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German Pages 373 Year 2009
John Maynard Keynes
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes Übersetzung von Fritz Waeger, verbessert und um eine Erläuterung des Aufbaus ergänzt von Jürgen Kromphardt und Stephanie Schneider
Elfte, erneut verbesserte Auflage
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JOHN MAYNARD KEYNES
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes Von
John Maynard Keynes Übersetzung von Fritz Waeger, verbessert und um eine Erläuterung des Aufbaus ergänzt von Jürgen Kromphardt und Stephanie Schneider
Elfte, erneut verbesserte Auflage
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 1936 2. Auflage 1952 3. Auflage 1955 4. Auflage 1966 5. Auflage 1974 6. Auflage 1983 7. Auflage 1994 8. Auflage 2000 9. Auflage 2002 10., verbesserte Auflage 2006 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-12912-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorbemerkung zu dieser Übersetzung Diese 11. Auflage stellt eine korrigierte und erneut überarbeitete Fassung der Übersetzung von Fritz Waeger aus dem Jahre 1936 dar, die den Grundstein für den hohen Bekanntheitsgrad dieses Werkes im deutschsprachigen Raum legte. Die Überarbeitung und Korrektur erwies sich als notwendig, da Herr Waeger nicht in allen Fällen den Text dieses schwierigen Buches, das für die Zeitgenossen völlig neue, auch im Englischen nicht leicht verständliche Gedanken enthält, richtig interpretiert hat. Außerdem konnte er nicht vorhersehen, wie viele der von Keynes verwendeten englischen Fachausdrücke inzwischen Eingang in die deutsche Fachsprache gefunden haben, so daß seine Verdeutschung solcher Begriffe das Verständnis erschwert. Daher ist die 2003 gegründete Keynes-Gesellschaft alsbald mit dem Verlag Duncker & Humblot in Verbindung getreten, um die Übersetzung aus dem Jahre 1936 zu korrigieren und zu überarbeiten, ohne eine Neuübersetzung vorzunehmen. Für Begriffe, deren Übersetzung ins Deutsche nicht eindeutig feststeht, ist als Interpretationshilfe am Ende des Textes ein Vokabularium eingefügt, in dem der Leser für solche Begriffe das englische Originalwort nachschlagen kann. Außerdem haben die Überarbeiter der Übersetzung an einigen wenigen Stellen eine erläuternde Anmerkung unter dem Kürzel K / S eingefügt. Ferner ist am Textrand die jeweilige Seite des englischen Originaltextes angegeben, um es dem Leser zu erleichtern, die deutsche Übersetzung mit dem Original zu vergleichen, und um für Seitenverweise in der Literatur, die sich auf den englischen Text beziehen, die deutsche Übersetzung direkt heranziehen zu können. Überdies wurden in dieser Auflage zur Erleichterung des Verständnisses Aufbau und Gliederung der „Allgemeinen Theorie‘‘ kurz erläutert. Die Überarbeitung und Korrektur der Übersetzung von 1936 haben für die Keynes-Gesellschaft Frau Dipl.-Volkswirtin Stephanie Schneider und Prof. Dr. Jürgen Kromphardt vorgenommen, von denen auch die „Erläuterungen“ verfasst worden sind. Für die Keynes-Gesellschaft
Für den Verlag Duncker & Humblot
Dr. Jürgen Kromphardt
Dr. Florian R. Simon
Prof. em. der Volkswirtschaftslehre Technische Universität Berlin
Geschäftsführer
Inhaltsverzeichnis Vorworte zur engl. und deutschen Ausgabe 1936 von J. M. K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV ERSTES BUCH
Einleitung 1. Kapitel: Die allgemeine Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
2. Kapitel: Die Postulate der klassischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
3. Kapitel: Das Prinzip der effektiven Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
ZWEITES BUCH
Definitionen und Ideen 4. Kapitel: Die Wahl der Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
5. Kapitel: Erwartung als Bestimmungsgrund von Produktion und Beschäftigung . .
41
6. Kapitel: Die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition . . . . . . . . . . . . . .
46
Anhang über die Nutzungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
7. Kapitel: Weitere Betrachtung der Bedeutung von Ersparnis und Investition . . . . . .
64
DRITTES BUCH
Die Konsumneigung 8. Kapitel: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
9. Kapitel: Die Konsumneigung: 2. Die subjektiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
10. Kapitel: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
VIERTES BUCH
Die Anreize zu investieren 11. Kapitel: Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 12. Kapitel: Der Stand der langfristigen Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 13. Kapitel: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 14. Kapitel: Die klassische Theorie des Zinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Anhang über den Zinssatz in Marshalls „Principles of Economics“, in Ricardos „Principles of Political Economy“ und anderweitig . . . . . . . . . . . . . 156 15. Kapitel: Die psychologischen und betrieblichen Anreize zur Liquidität . . . . . . . . . . . 164 16. Kapitel: Verschiedene Bemerkungen über das Wesen des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . 177 17. Kapitel: Die wesentlichen Eigenschaften von Zins und Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 18. Kapitel: Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung . . . . . . . . . . 206
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Inhaltsverzeichnis FÜNFTES BUCH
Nominallöhne und Preise 19. Kapitel: Änderungen in den Nominallöhnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Anhang über Professor Pigous „Theory of Unemployment“ . . . . . . . . . . . . 229 20. Kapitel: Die Beschäftigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 21. Kapitel: Die Theorie der Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 SECHSTES BUCH
Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen 22. Kapitel: Bemerkungen über den Konjunkturzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 23. Kapitel: Bemerkungen über den Merkantilismus, die Wuchergesetze, gestempeltes Geld und Theorien der Unterkonsumption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 24. Kapitel: Schlußbetrachtungen über die Sozialphilosophie, zu der die Allgemeine Theorie führen könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Vokabularium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Vorwort zur englischen Ausgabe Dieses Buch richtet sich in erster Linie an meine Fachkollegen. Ich hoffe, daß es auch anderen verständlich sein wird. Aber sein Hauptzweck ist die Behandlung schwieriger theoretischer Fragen und nur in zweiter Linie die Anwendung dieser Theorie auf die Wirklichkeit. Denn wenn die orthodoxe Wirtschaftslehre auf falscher Fährte ist, so liegt der Fehler nicht im Überbau, der mit großer Sorge für logische Geschlossenheit errichtet worden ist, sondern in einem Mangel an Klarheit und an allgemeiner Gültigkeit der Voraussetzungen. Ich kann somit meinen Zweck, Ökonomen zu überzeugen, gewisse ihrer grundlegenden Voraussetzungen kritisch zu überprüfen, nicht anders erreichen als durch eine höchst abstrakte Beweisführung sowie durch viele Auseinandersetzungen. Ich wünschte, der Umfang der letzteren hätte sich vermindern lassen. Ich hielt es aber für wichtig, nicht nur meinen eigenen Standpunkt zu erklären, sondern auch zu zeigen, inwiefern er von der vorherrschenden Theorie abweicht. Jene, die fest verkettet sind mit dem, was ich „die klassische Theorie“ nennen werde, werden, wie ich erwarte, zwischen der Überzeugung schwanken, daß ich völlig im Unrecht sei, und der Überzeugung, daß ich nichts Neues sage. Es ist anderen überlassen, zu entscheiden, ob eine dieser Alternativen oder die dritte richtig ist. Meine Auseinandersetzungen bezwecken, einigen Stoff für eine Antwort bereitzustellen, und ich muß um Entschuldigung bitten, wenn in der Verfolgung genauer Unterscheidungen meine Auseinandersetzung an sich zu scharf geworden ist. Ich selbst habe mich während vieler Jahre mit Überzeugung an die Theorien gehalten, die ich jetzt angreife, und verkenne, wie ich glaube, nicht ihre starken Punkte. Die umstrittenen Gegenstände sind von einer Wichtigkeit, die nicht überschätzt werden kann. Wenn aber meine Erklärungen richtig sind, so sind es meine Fachkollegen, die ich zuerst überzeugen muß, und nicht das allgemeine Publikum. Auf dieser Stufe der Beweisführung ist das allgemeine Publikum, obschon zur Debatte willkommen, nur Mitlauschender bei dem Versuch eines Ökonomen, die tiefen Meinungsverschiedenheiten unter meinen Fachkollegen zur Entscheidung zu bringen, die zur Zeit den praktischen Einfluß der ökonomischen Theorie fast zerstört haben und dies weiterhin tun werden, bis sie gelöst worden sind. Die Beziehung zwischen diesem Buch und meiner Abhandlung „Vom Gelde“, die ich vor fünf Jahren veröffentlichte, ist mir wahrscheinlich klarer als anderen, und, was für mich selbst eine natürliche Entwicklung in einem Gedankengang ist, den ich während vieler Jahre verfolgt hatte,
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Vorwort zur englischen Ausgabe
mag dem Leser manchmal wie eine verwirrende Änderung der Sichtweise vorkommen. Die Schwierigkeit wird nicht erleichtert durch gewisse Änderungen in der Terminologie, die ich mich vorzunehmen gezwungen fühlte. Diese Änderungen der Sprache habe ich im Verlauf der folgenden Seiten auseinandergesetzt; aber das allgemeine Verhältnis zwischen den beiden Büchern kann kurz wie folgt ausgedrückt werden. Als ich begann, meine Abhandlung „Vom Gelde“ zu schreiben, bewegte ich mich noch in dem überlieferten Gedankengang, den Einfluß des Geldes gewissermaßen als etwas von der allgemeinen Theorie des Angebotes und der Nachfrage Getrenntes zu betrachten. Als ich sie beendigte, hatte ich einigen Fortschritt in der Zurückführung der Theorie des Geldes auf eine Theorie der Produktion als Ganzes gemacht. Aber meine ungenügende Befreiung von vorgefaßten Gedanken zeigte sich in dem, was mir nun der hervorstechende Fehler der theoretischen Teile jenes Werkes (nämlich des dritten und vierten Buches) zu sein scheint, daß ich es unterließ, die Wirkungen von Änderungen im Niveau der Produktion gründlich zu behandeln. Meine sogenannten „Grundgleichungen“ waren ein Augenblicksbild unter der Voraussetzung einer gegebenen Produktion. Sie versuchten zu zeigen, wie, unter der Voraussetzung einer gegebenen Produktion, sich Kräfte entwickeln konnten, die ein Gewinn-Ungleichgewicht mit sich brachten und somit eine Änderung im Niveau der Produktion erforderten. Aber die dynamische Entwicklung, im Gegensatz zum Augenblicksbild, wurde unvollständig und äußerst verworren gelassen. Dagegen hat sich dieses Buch zu etwas entwickelt, das hauptsächlich eine Erforschung der Kräfte ist, die Änderungen im Umfang der Produktion und Beschäftigung als Ganzes bestimmen, und während sich zeigt, daß das Geld in das wirtschaftliche Gefüge in einer wesentlichen und eigenartigen Weise eintritt, treten die technischen Einzelheiten der Geldlehre in den Hintergrund. Wir werden finden, daß eine Geldwirtschaft im wesentlichen eine solche ist, in der wechselnde Anschauungen über die Zukunft nicht nur die Richtung, sondern auch die Menge der Beschäftigung beeinflussen können. Aber unser Verfahren, das wirtschaftliche Verhalten der Gegenwart unter dem Einfluß sich ändernder Vorstellungen über die Zukunft zu analysieren, ist abhängig von dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und in dieser Weise mit unserer grundlegenden Werttheorie verbunden. Wir werden somit auf eine allgemeinere Theorie geführt, welche die uns vertraute klassische Theorie als einen Sonderfall einschließt. Der Schreiber eines Buches wie dieses, auf unbekannten Wegen schreitend, ist außerordentlich abhängig von Kritik und Gespräch, wenn er ein ungebührliches Maß von Fehlern vermeiden soll. Es ist erstaunlich,
Vorwort zur deutschen Ausgabe
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was für einfältige Sachen man vorübergehend glauben kann, wenn man zu lange für sich allein denkt, besonders in der Wirtschaftslehre (sowie überhaupt in den Geisteswissenschaften), in der es oft unmöglich ist, seine Vorstellungen einem schlüssigen Test durch Denken oder Experimentieren zu unterwerfen. Vielleicht noch mehr als beim Schreiben meiner Abhandlung „Vom Gelde“ habe ich mich bei diesem Buch auf den beständigen Rat und die konstruktive Kritik von Mr. R. F. Kahn gestützt. Es ist vieles in diesem Buch, das ohne seine Anregung nicht die Gestalt angenommen hätte, die es hat. Sehr viel Hilfe hatte ich auch von Mrs. Joan Robinson, Mr. R. G. Hawtrey und Mr. R. F. Harrod, die sämtliche Druckfahnen durchgelesen haben. Das Sachregister wurde von Mr. D. M. Bensusan-Butt vom King’s College, Cambridge, zusammengestellt. Die Abfassung dieses Buches war für den Verfasser ein langer Kampf, aus den alten Denkmustern auszubrechen, und das gleiche muß für die meisten Leser bei der Lektüre gelten, wenn der Angriff des Verfassers auf sie Erfolg haben soll: ein Kampf um Befreiung von gewohnten Formen des Denkens und des Ausdruckes. Die Gedanken, die hier so mühevoll ausgedrückt sind, sind äußerst einfach und sollten augenscheinlich sein. Die Schwierigkeit liegt nicht so sehr in den neuen Gedanken, als in der Befreiung von den alten, die sich bei allen, die so erzogen wurden, wie die meisten von uns, bis in die letzten Winkel ihres Verstandes verzweigen. 13. Dezember 1935. J. M. KEYNES *
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Vorwort zur deutschen Ausgabe Alfred Marshall, nach dessen Principles of Economics alle zeitgenössischen englischen Ökonomen erzogen wurden, gab sich besondere Mühe, den Zusammenhang seines Denkens mit jenem Ricardos hervorzuheben. Sein Werk bestand großenteils darin, daß er das Gesetz des Grenznutzens und das Gesetz der Ersetzung auf die Ricardosche Überlieferung pfropfte, und seine Theorie der Produktion und des Verbrauches als Ganzes ist, im Gegensatz zu seiner Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen Produktion, nie für sich dargelegt worden. Ich bin nicht sicher, ob er selber das Bedürfnis nach einer solchen Theorie verspürte. Aber seine unmittelbaren Nachfolger und Schüler haben sie sicherlich aufgegeben und ihr Fehlen offenbar nicht empfunden. In dieser Atmosphäre bin ich erzogen worden. Ich habe diese Doktrinen
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Vorwort zur deutschen Ausgabe
selber gelehrt, und erst innerhalb des letzten Jahrzehntes bin ich mir ihrer Unzulänglichkeit bewußt geworden. In meinem eigenen Denken und meiner eigenen Entwicklung stellt dieses Buch daher eine Reaktion dar, einen Übergang und eine Loslösung von der englischen klassischen (oder orthodoxen) Überlieferung. Wie ich dies und die Punkte, in denen ich von der anerkannten Doktrin abweiche, hervorgehoben habe, ist in gewissen Kreisen in England als übermäßig kontrovers betrachtet worden. Aber wie kann einer, der in englischer wirtschaftlicher Orthodoxie erzogen wurde, sogar einmal ein Priester jenes Glaubens war, einigen kontroversen Nachdruck vermeiden, wenn er zum erstenmal ein Protestant wird? Ich kann mir aber vorstellen, daß all dies die deutschen Leser etwas verschieden berühren mag. Die orthodoxe Überlieferung, die im England des neunzehnten Jahrhunderts herrschte, hat nie eine so starke Macht auf das deutsche Denken ausgeübt. In Deutschland hat es immer wichtige Wirtschaftsschulen gegeben, die die Zulänglichkeit der klassischen Theorie für die Analyse zeitgenössischer Ereignisse stark in Frage gestellt haben. Sowohl die Manchester-Schule wie der Marxismus stammen letzten Endes von Ricardo ab – eine Folgerung, die nur bei oberflächlicher Betrachtung zu überraschen braucht. Aber in Deutschland hat es immer einen großen Teil der Meinung gegeben, der weder zur einen noch zur anderen Schule gehalten hat. Es kann jedoch kaum behauptet werden, daß diese Gedankenschule einen gegnerischen theoretischen Aufbau errichtet hat oder auch nur versucht hat, dies zu tun. Sie ist skeptisch, realistisch gewesen, zufrieden mit historischen und empirischen Methoden und Ergebnissen, die eine formelle Analyse verwerfen. Die wichtigste unorthodoxe Erörterung auf theoretischer Ebene war jene von Wicksell. Seine Bücher waren in deutscher Sprache erhältlich (was sie bis vor kurzem im Englischen nicht waren); eines seiner wichtigsten war in der Tat in deutscher Sprache geschrieben. Seine Nachfolger aber waren hauptsächlich Schweden und Österreicher; die letzteren verbanden seine Ideen mit wesentlich österreichischer Theorie und brachten sie so in Wirklichkeit zur klassischen Überlieferung zurück. Deutschland hat sich somit, im Gegensatz zu seiner Gewohnheit in den meisten Wissenschaften, während eines ganzen Jahrhunderts damit begnügt, ohne eine vorherrschende und allgemein anerkannte formelle Theorie der Wirtschaftslehre auszukommen. Ich darf daher vielleicht erwarten, daß ich bei den deutschen Lesern auf weniger Widerstand stoßen werde als bei den englischen, wenn ich ihnen eine Theorie der Beschäftigung und Produktion als Ganzes vorlege, die in wichtigen Beziehungen von der orthodoxen Überlieferung ab-
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weicht. Aber darf ich hoffen, Deutschlands wirtschaftlichen Agnostizismus zu überwinden? Kann ich deutsche Ökonomen überzeugen, daß Methoden formeller Analyse einen wichtigen Beitrag zur Auslegung zeitgenössischer Ereignisse und zur Formung einer zeitgenössischen Politik bilden? Schließlich liegt es im deutschen Wesen, an einer Theorie Gefallen zu finden. Wie hungrig und durstig müssen sich deutsche Ökonomen fühlen, nachdem sie während all dieser Jahre ohne eine solche gelebt haben! Es lohnt sich sicherlich für mich, den Versuch zu machen. Und wenn ich einige einzelne Brocken beitragen kann zu einem von deutschen Ökonomen zubereiteten vollen Mahl, eigens auf deutsche Verhältnisse abgestellt, werde ich zufrieden sein. Denn ich gestehe, daß vieles in dem folgenden Buche hauptsächlich mit Bezug auf die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern erläutert und dargelegt worden ist. Trotzdem kann die Theorie der Produktion als Ganzes, die den Zweck des folgenden Buches bildet, viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepaßt werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellten Produktion. Das ist einer der Gründe, die es rechtfertigen, daß ich meine Theorie eine allgemeine Theorie nenne. Da sie sich auf weniger enge Voraussetzungen stützt als die orthodoxe Theorie, läßt sie sich umso leichter einem weiten Feld verschiedener Verhältnisse anpassen. Obschon ich sie also mit dem Blick auf die in den angelsächsischen Ländern geltenden Verhältnisse ausgearbeitet habe, wo immer noch ein großes Maß von laissez-faire vorherrscht, bleibt sie dennoch auf Zustände anwendbar, in denen die staatliche Führung ausgeprägter ist. Denn die Theorie der psychologischen Gesetze, die den Verbrauch und die Ersparnis miteinander in Beziehung bringen; der Einfluß von Anleiheausgaben auf Preise und Reallöhne; die Rolle, die der Zinssatz spielt – alle diese Grundgedanken bleiben auch unter solchen Bedingungen notwendige Bestandteile in unserem Gedankenplan. Ich möchte bei dieser Gelegenheit meinem Übersetzer, Herrn Waeger, danken für seine vorzügliche Leistung (ich hoffe, daß sich sein Vokabularium am Ende dieses Buches über seinen unmittelbaren Zweck hinaus als nützlich erweisen wird), sowie meinen Verlegern, den Herren Duncker & Humblot, deren Unternehmungsgeist seit den Tagen, als sie vor nun sechzehn Jahren meine Wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages veröffentlichten, mir ermöglicht hat, die Fühlung mit den deutschen Lesern aufrecht zu erhalten. 7. September 1936. J. M. KEYNES
Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches Jürgen Kromphardt und Stephanie Schneider
Keynes richtet dieses Buch an seine Fachkollegen, die er von der Richtigkeit seiner neuen Erkenntnisse überzeugen möchte, die der herrschenden Theorie widersprechen. Sein Buch ist daher keine eingängige, für Studierende und interessierte Fachfremde leicht verständliche Kost. Vielmehr vertieft er an vielen Stellen theoretische und begriffliche Details, die manchmal vom Hauptstrang der Gedankengänge wegführen. Schon deshalb dürfte es für viele Leser hilfreich sein, wenn im Folgenden der Aufbau des Buches kurz erläutert und kommentiert wird. Erstes Buch Dieses erste von sechs Büchern, zurückhaltend als Einleitung bezeichnet, enthält bereits den Kern des neuen Ansatzes zur Erklärung des Niveaus der Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit. Es ist in drei Kapitel unterteilt. In dem sehr kurzen Kapitel 1 begründet Keynes, weshalb er sein Buch eine „Allgemeine Theorie“ nennt. Sie sei deswegen allgemein, weil sie – im Gegensatz zu dem Teil der klassischen Theorie, der zur Analyse gesamtwirtschaftlicher Phänomene herangezogen wird – nicht nur für den Grenzfall der Vollbeschäftigung aller Ressourcen gilt. Im Begriff „klassische Theorie“ ist bei Keynes immer die damalige neoklassische Ausprägung dieser Theorie einbegriffen, speziell in der ihr von Pigou gegebenen Form. In Kapitel 2 formuliert Keynes in kondensierter Form die Grundpostulate, auf denen die Erklärung der Beschäftigung durch die „klassische Theorie“ beruht. Da in dieser Theorie die Beschäftigung durch den Arbeitsmarkt bestimmt wird, betreffen die zwei Grundpostulate direkt die Nachfrage nach sowie das Angebot an Arbeit. Das 1. Grundpostulat, demzufolge der Lohn gleich dem Grenzertrag der Arbeit ist, akzeptiert Keynes mit dem Vorbehalt, dass es bei unvollkommenem Wettbewerb modifiziert werden muss. Diese Übernahme war voreilig, wie Keynes in seinem Artikel „Relative Movements of Real Wages and Output“ (1939) drei Jahre später feststellt. Das 2. Grundpostulat, wonach bei jedem Beschäftigungsniveau bei allen, die nicht arbeiten, der Lohn niedriger liegt als ihre Nutzeneinbuße durch Arbeit, sie also freiwillig arbeitslos sind, lehnt Keynes ab und begründet dies in den Abschnitten II–V. Er berücksichtigt nämlich, dass es meistens Personen gibt, die bei dem herrschenden Reallohn arbeiten möchten, aber keinen Arbeitsplatz finden. Um sicher zu sein, dass diese
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Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
Personen wirklich arbeiten wollen, mithin unfreiwillig arbeitslos sind, definiert er unfreiwillige Arbeitslosigkeit so, dass diese vorliegt, wenn auch bei einer geringen Reallohnsenkung (über steigende Preise) das Angebot an Arbeit größer bleibt als die tatsächliche Beschäftigung. Im VI. Abschnitt verwirft Keynes das Say’sche Gesetz, wonach sich das Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Dieses Gesetz ruft – auf einer anderen Argumentationsebene – dasselbe Ergebnis hervor wie die beiden Grundpostulate. Hinter ihm steht die Vorstellung, dass „Geld keinen wirklichen Unterschied mache. . . und das die Theorie der Produktion und Beschäftigung. . . auf der Grundlage realer Tauschhandlungen ausgearbeitet werden könne, wobei das Geld in einem späteren Kapitel routinemäßig eingeführt wird“ (S. 20). Keynes lehnt diese Vorstellung ab; denn Geld spielt in einer Geldwirtschaft eine zentrale Rolle. Das Besondere des Geldes arbeitet er in Kapitel 17 heraus, das man auch bereits im Anschluss an diese Stelle lesen könnte. Im wichtigen Kapitel 3 stellt Keynes der „klassischen Theorie“ seinen eigenen Erklärungsansatz entgegen, bei dem Beschäftigungsniveau und Arbeitslosigkeit aus dem Gütermarkt mittels des Prinzips der effektiven Nachfrage abgeleitet wird: Die effektive Nachfrage bestimmt das Volumen von Produktion und Beschäftigung. Dieses Prinzip sei der „Kern der allgemeinen Theorie der Beschäftigung“ (S. 22). „Effektiv“ ist das Niveau der Nachfrage, bei dem die Unternehmer aus der Produktion von zusätzlichen Konsum- und Investitionsgütern einen Erlös erwarten, der gerade noch die Kosten deckt; denn bis zu diesem Punkt werden sie die Produktion ausdehnen und die dafür notwendigen Arbeitskräfte beschäftigen. Keynes erläutert seine Überlegungen durch ein (leider nicht gezeichnetes) Diagramm, in dem auf der Abszisse die Beschäftigung abgetragen wird und auf der Ordinate der erwartete Erlös bzw. die erwarteten Kosten. Die Kurve der erwarteten Erlöse bei alternativen Beschäftigungsmengen bezeichnet er als aggregierte Nachfragefunktion, die andere Kurve, auf der die Kosten der Produktion bei diesen Beschäftigungsmengen abzulesen sind, als aggregierte Angebotsfunktion. Beide Kurven steigen an, die Nachfragefunktion jedoch mit abnehmenden Zuwächsen, während diese bei der Angebotskurve zunehmen. Die Unternehmen, die ihren Gewinn, d. h. den Überschuss der erwarteten Erlöse über die Kosten, maximieren wollen, werden die Beschäftigungsmenge realisieren, bei der die beiden Kurven sich schneiden. Da sich die aggregierte Nachfrage aus der Nachfrage nach Konsumund Investitionsgütern zusammensetzt, stellt sich für Keynes nun die
Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
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Aufgabe, die Nachfrage nach diesen beiden Gütergruppen zu erklären.1 Dies ist dann der Gegenstand des dritten und vierten Buches. Vorher klärt Keynes im zweiten Buch grundlegende Definitionen und Ideen. Zweites Buch Die vier Kapitel dieses Buches haben, sagt Keynes, den Charakter „einer Abschweifung, die uns eine Zeitlang daran hindern wird, unser Hauptthema zu verfolgen“. Sie seien aber notwendig, um verschiedene Verwirrungen aufzuklären, die ihn beim Schreiben des Buches am meisten gehemmt hätten. Keynes behandelt die Wahl der Mengeneinheiten für eine gesamtwirtschaftliche Analyse, die Rolle der Erwartungen und die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition. Die Wahl der Mengeneinheiten ist Gegenstand des Kapitels 4. Keynes geht von der Tatsache aus, dass die Aggregation heterogener Güter nur möglich ist, wenn diese mit einem einheitlichen Maßstab bewertet werden. Dafür können die Preise verwendet werden, die aber nicht notwendig den Wert der einzelnen Güter widerspiegeln. Während sich die Ökonomen heutzutage mit den Lösungen und Konventionen zufrieden geben, die in den international standardisierten Regelungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) niedergelegt sind, beschließt Keynes, nur Wertgrößen (in Geldeinheiten) und Beschäftigungsmengen zu verwenden und alle Wertgrößen auf eine Lohneinheit zu beziehen, also auf den Lohnsatz, der für eine Einheit Arbeit von durchschnittlicher Qualität gezahlt wird. Wichtige Folgen für seine Theorie hat das nicht. In Kapitel 5 behandelt Keynes die Rolle der Erwartungen. Dabei unterscheidet er zwischen kurzfristigen und langfristigen Erwartungen. Erstere beziehen sich auf den erwarteten erzielbaren Preis für die laufende Produktion sowie auf deren Kosten. Die langfristigen Erwartungen betreffen die Rendite von Sachinvestitionen; sie werden erst im 12. Kapitel behandelt. In Kapitel 5 erörtert Keynes, wie sich die kurzfristigen Erwartungen bilden, wie stark und rasch sie sich ändern und welche Wirkungen dies auf die Produktionsentscheidungen hat. In den Kapitel 6 und 7 präzisiert Keynes die Begriffe „Einkommen, Ersparnis und Investitionen“. In Abschnitt I von Kapitel 6 definiert Keynes den Begriff Einkommen (unter besonderer Berücksichtigung der Pro1 Für die „klassische“ Theorie stellte sich diese Aufgabe nicht; denn dort wird unterstellt, die beiden Funktionen stimmten bei allen Beschäftigungsmengen überein, sodass die tatsächliche Beschäftigung nicht auf dem Gütermarkt festgelegt werden kann. Stattdessen ergibt sie sich durch die Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt.
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Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
bleme, die sich bei der Definition der Abschreibungen ergeben) in der heute üblichen Weise und grenzt diese Definition von der sehr speziellen Definition ab, die er in seinem Buch „Vom Gelde“ (1930) verwendet hatte. In Abschnitt II definiert er – wie heute in der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) üblich – die Ersparnis als Einkommen minus Verbrauch. Anschließend definiert er die Investitionen als „Zuwachs des Wertes an Kapitalausrüstung, der aus der Produktionstätigkeit der Periode herrührt.“ Die Summe dieser Investitionen setzt er der Ersparnis gleich, wobei er implizit den Zuwachs an Lagerbeständen der Kapitalausrüstung zuschlägt; er nennt Lagerbestände „liquides Kapital“. Es handelt sich also um die Investitionen ex post (d. h. um die geplanten und ungeplanten Investitionen), die auch in der VGR mit den Ersparnissen ex post übereinstimmen. Allerdings verwendete Keynes die Begriffspaare ex ante / ex post oder geplant / ungeplant nicht. Es stiftete daher viel Verwirrung, dass er in späteren Kapiteln die ex ante-Investitionen behandelt, ohne dies explizit zu erläutern. Der Anhang über die Nutzungskosten ist wohl der damaligen Diskussion geschuldet. Im folgenden kommt Keynes auf diese Größe nur einmal wieder zurück. Deshalb kann man seine Lektüre auf später verschieben, zumal das Kapitel 7 unmittelbar an die Erörterungen in Abschnitt II des vorangehenden Kapitels anschließt. Keynes setzt sich hier mit anderen Definitionen der Investitionen auseinander (alle diese Erörterungen beziehen sich auf Sachinvestitionen). Im Abschnitt II dieses Kapitels zitiert er die sinnvolle Definition, die Hawtrey für die geplanten Investitionen vorgeschlagen hat, die von den geplanten Ersparnissen abweichen können. Da Keynes aber geplante und ungeplante Investitionen zusammenfasst und sie der Ersparnis gleichsetzt, kann er sich Hawtrey nicht anschließen. Auch in den weiteren Abschnitten, die von Keynes zutreffend als Abschweifungen bezeichnet werden, von denen man nicht jedes Detail zur Kenntnis nehmen muss, setzt er sich mit abweichenden Definitionen von Investitionen auseinander und versucht, die ex post-Identität von Ersparnis und Investition inhaltlich plausibel zu machen, obwohl es sich um eine reine Definitionsfrage handelt. Drittes Buch Nach der Klärung von „Vorfragen“ im zweiten Buch wendet sich Keynes nun den Bestimmungsgrößen der beiden Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu, nämlich dem Konsum und den Investitio-
Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
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nen. In diesem Buch untersucht er in drei Kapiteln, welche Faktoren den privaten Konsum bestimmen. In Kapitel 8 behandelt er „objektive Faktoren“. Der wichtigste Faktor ist das verfügbare Einkommen, das seinerseits von vier Größen beeinflusst wird, nämlich von Änderungen a) des Lohnsatzes (abhängig von der Reaktion des Preisniveaus), b)des Wertes des Vermögens, c) der Präferenzen der Konsumenten für gegenwärtigen im Vergleich zu künftigen Verbrauch und d) der Fiskalpolitik. Im Anschluss an die Erläuterung dieser Einflussfaktoren präzisiert er die Abhängigkeit des Konsums vom verfügbaren Einkommen in Form seiner Konsumfunktion und formuliert dazu sein berühmtes psychologisches Gesetz. Am Ende des Kapitels 8 (in Abschnitt IV) greift Keynes dem vierten Buch vor, indem er Überlegungen anstellt, wie Rücklagen und Rückstellungen die Investitionen und über deren Einfluss auf die Einkommen den Konsum beeinflussen können. In Kapitel 9 behandelt Keynes subjektive Faktoren, die die Konsumneigung beeinflussen. In Abschnitt I nennt Keynes acht Faktoren für die privaten Haushalte. Daran fügt er Faktoren an, die Unternehmen und öffentliche Haushalte betreffen. In Abschnitt II zieht er folgenden Schluss: Da sich die subjektiven und gesellschaftlichen Faktoren nur langsam ändern und die objektiven Faktoren (außer dem Einkommen) von untergeordneter Bedeutung sind, werden kurzfristige Änderungen im Verbrauch weitgehend auf Änderungen des laufenden Einkommens beruhen. Dabei umfasst kurzfristig für Keynes in der Tradition von Marshall die Zeitperiode, in der die Unternehmen auf Änderungen der Nachfrage mit Änderungen der produzierten Mengen reagieren, ohne schon ihre Kapitalausstattung zu verändern. Anschließend betont er – wieder im Vorgriff auf das vierte Buch –, dass Zinsänderungen den Konsum indirekt über die Investitionstätigkeit erheblich beeinflussen können: Ein höherer Zinssatz verringert die Investitionen und damit die tatsächlichen Werte des Gesamteinkommens, des Konsums und der Ersparnisse. Im letzten Kapitel 10 dieses Buches führt Keynes erstens den wichtigen Begriff der marginalen Konsumneigung ein; diese gibt an, wie hoch der zusätzliche Konsum aufgrund einer Einheit zusätzlichen Einkommens ist. Ferner erklärt er den Begriff des Multiplikators, der anzeigt, wie hoch das zusätzliche Einkommen aufgrund einer exogenen Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (insbesondere der Investitionen) ist. Er leitet ab, wie dieses Verhältnis von der marginalen Konsumneigung abhängt, und bezeichnet es als Investitionsmultiplikator.
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Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
Schließlich analysiert Keynes (Abschnitt II), unter welchen Umständen dieser Multiplikator vom Beschäftigungsmultiplikator abweicht, also dem Verhältnis von zusätzlicher Beschäftigung zur Erhöhung der Investitionen. Anschließend überlegt er, welche Nebenwirkungen eine Erhöhung öffentlicher Arbeiten auf andere (staatliche und private) Ausgaben haben kann, die den Wert des Multiplikators verändern. Viertes Buch In den sechs Kapiteln dieses Buchs befasst sich Keynes mit der zentralen, schwierigen und umstrittenen Frage, welche Faktoren die Höhe der Investitionen bestimmen. Das Buch schließt mit einer Zusammenführung der „Fäden der bisherigen Beweisführung“. In Kapitel 11 führt Keynes in Abschnitt I den Begriff der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ ein. Diese ergibt sich aus dem Verhältnis der voraussichtlichen, auf die Gegenwart abdiskontierten Erträge aus einer Investition zu den Produktionskosten (Wiederbeschaffungskosten) dieser Investition und entspricht dem Zinssatz, mit dem man die zukünftigen Erträge auf die Gegenwart abdiskontierten muss, damit abdiskontierte Erträge und Wiederbeschaffungskosten genau übereinstimmen. Damit entspricht die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitalgutes der erwarteten Rendite. Es wäre besser, wenn Keynes diese Größe als Grenzleistungsfähigkeit der Investitionen bezeichnet hätte. Dadurch wäre schon aus dem Begriff deutlich geworden, dass jedes Investitionsobjekt eine individuelle Grenzleistungsfähigkeit aufweist. So wird dies erst deutlich, wenn Keynes schreibt, dass „der tatsächliche Umfang der laufenden Investitionen bis zu dem Punkt getrieben wird, auf dem es keine Klasse von Kapitalgütern mehr gibt, deren Grenzleistungsfähigkeit den aktuellen Zinssatz übersteigt“ (S. 136). In den Abschnitten II und III unterstreicht Keynes, dass die Grenzleistungsfähigkeit ein anderes und weitreichenderes Konzept darstellt als das physische Grenzprodukt des Kapitals. Erstens wird dieses in Mengen gemessen (zusätzliche mögliche Produktion in Stück je Einheit zusätzlichen Sachkapitaleinsatzes), und zweitens bezieht es die mögliche höhere Produktionsmenge der laufenden Periode auf den zusätzlichen Kapitaleinsatz in dieser Periode, während die Grenzleistungsfähigkeit alle jetzt und in den künftigen Perioden erwarteten Erträge während der gesamten Lebensdauer des Kapitalgutes einbezieht. Ein positives physisches Grenzprodukt einer Investition ist nur eine Voraussetzung für eine positive Renditeerwartung; denn wenn der Mehreinsatz von Kapital nicht zu einer höheren Produktionsmenge führt, woher sollte dann eine positive Rendite kommen?
Erläuterungen zum Aufbau dieses Buches
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In Abschnitt IV erörtert Keynes die Risiken, die für den Gläubiger und für den Schuldner mit der Kreditfinanzierung der Investitionen verbunden sind. Da sich die Renditeerwartungen – je nach Lebensdauer der Investitionen – auf lange Zeiträume beziehen, stellt Keynes im anschließenden Kapitel 12 Überlegungen an, wie langfristige Erwartungen gebildet werden und wie sensibel sie auf neue Informationen reagieren. Keynes betont als „hervorstechendste Tatsache die äußerste Unsicherheit der Wissensgrundlage, auf der unsere Schätzungen der voraussichtlichen Erträge gemacht werden müssen“. Daher vermutet Keynes, die potentiellen Investoren gingen von der Voraussetzung aus, die bestehende Geschäftslage werde unbegrenzt andauern, sofern nicht besondere Gründe für ihre Änderung vorliegen. Dies sei eine Konvention, um mit der Unsicherheit der Zukunft und den Grenzen ihrer Vorhersehbarkeit zurecht zu kommen. Wegen der unsicheren Grundlage, auf der die Erwartungen basieren, neigen sie zu starken Schwankungen. Aus demselben Grunde haben die Akteure unterschiedliche Erwartungen. „Rationale Erwartungen“ im Sinne „modellkonsistenter Erwartungen“, die auf der Anwendung eines für das richtige gehaltene Erklärungsmodells beruhen, sind wegen der Unvorhersehbarkeit der Zukunft, die kein noch so gutes Modell überwinden kann, unmöglich. Keynes betont außerdem (insbesondere in Abschnitt V), dass die Akteure auf den Finanzmärkten sich weniger mit den langfristigen Erwartungen beschäftigen als mit kurzfristigen Kursänderungserwartungen. Da diese auch davon abhängen, welche Kursentwicklungen die anderen Marktteilnehmer erwarten, stellt Keynes hier den Vergleich mit einem Schönheitswettbewerb an, bei dem der gewinnt, der der Durchschnittsmeinung, darüber, wer die Schönste sei, am nächsten kommt. Nachdem Keynes in den Kapiteln 11 und 12 die Ertragsseite der Investitionen behandelt hat, wendet er sich in Kapitel 13 den Finanzierungskosten zu. Diese werden durch den Zinssatz bestimmt. Keynes formuliert hier seine Zinstheorie. Während die klassische Theorie einen direkten Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach Ersparnissen für die Finanzierung von Investitionen und den Sparentscheidungen der Einkommensbezieher und dem daraus resultierenden Angebot an Ersparnissen herstellt, zeigt Keynes, dass der Geldmarkt zwischen diese beide Größen tritt. Jeder Sparer muss nach der Entscheidung zu sparen die zweite Entscheidung treffen, in welcher Form er seine Ersparnisse hält. Diese Entscheidung hängt von seiner Liquiditätspräferenz ab, also seiner Vorliebe dafür, einen Teil seines Geldvermögens in Formen zu halten, die völlig
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liquide sind, aber keinen Zins abwerfen (vor allem Bargeld und Sichteinlagen). Keynes listet die Motive für das Halten liquider Mittel auf und begründet, weshalb deren Umfang auch vom Zinssatz abhängt, der mithin die Nachfrage nach dem Halten liquider Mittel mit der vorhandenen Menge an solchen Mitteln in Übereinstimmung bringt. Zwischen diese Darstellung seiner eigenen Zinstheorie und ihre Fortsetzung in Kapitel 15 schiebt Keynes in Kapitel 14 eine detaillierte Diskussion der klassischen Theorie des Zinses. Er betont zunächst erneut, diese laufe im Kern darauf hinaus, dass der Zins das Angebot und die Nachfrage nach Ersparnissen in Übereinstimmung bringt. Seiner Meinung nach ist der Zins jedoch – wie im Kapitel 13 dargelegt – der Preis, der „das Verlangen, Vermögen in Form von Kasse zu halten, mit der verfügbaren Menge von Kasse in Übereinstimmung bringt“ (S. 142). Keynes zeigt dann, dass man den Zins nicht durch das Angebot von Ersparnissen und die Nachfrage nach ihnen (für Investitionszwecke) erklären kann. Steigen z. B. die Ertragserwartungen und damit die Nachfrage nach Investitionsgütern, dann erhöhen sich auch das Produktionsniveau und das Einkommen und damit die Ersparnisse. Investitionen und Ersparnisse sind also nicht unabhängig voneinander. Es gibt daher nicht den einen „natürlichen“ Zinssatz, sondern für jedes Einkommensniveau einen anderen Zinssatz, bei dem die (einkommensabhängigen) Ersparnisse und die Investitionen übereinstimmen. Ersparnis und Investition sind nicht die bestimmenden Größen des Systems, sondern sie werden bestimmt durch die Konsumneigung, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, die Liquiditätspräferenzen und die Geldmenge. Im Anhang setzt sich Keynes mit verschiedenen Zinstheorien einzelner Autoren aus seiner Zeit auseinander. Mit dem Kapitel 15 kehrt Keynes zu seiner eigenen Zinserklärung zurück, indem er die Ursachen der Liquiditätspräferenz „ausführlicher entwickelt“. Dazu unterteilt er das Transaktionsmotiv in das „Einkommensmotiv“ der Haushalte und das „Geschäftsmotiv“ der Unternehmen. Anschließend erörtert Keynes verschiedene mögliche Ausprägungen der Beziehungen zwischen Änderungen der Liquiditätspräferenz, der Geldmenge und des Zinssatzes. Dabei erörtert er auch den Fall, dass jedermann nur Kasse halten will, eine Situation, die später als Liquiditätsfalle bezeichnet wird. Keynes betont, ihm sei kein bisheriges Beispiel für diesen Extremfall bekannt, er könne aber in Zukunft praktisch wichtig werden (S. 174). Diese Prognose hat sich inzwischen nach allgemeiner Ansicht für Japan in den 1990er Jahren bestätigt. Im 16. Kapitel, das treffender „Bemerkungen über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals “ heißen könnte, kehrt Keynes zur Grenzleistungs-
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fähigkeit des Kapitals zurück, die er im 11. Kapitel behandelt hatte. Jetzt geht es ihm vor allem um deren langfristige Entwicklung im Verhältnis zum Zinssatz, der einen Mindestwert nicht unterschreiten kann. Keynes beginnt im Abschnitt I mit der Frage, wie sich die Ersparnis auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auswirkt. Dazu benutzt er seine berühmte Metapher, wonach ein Akt individueller Ersparnis zum Beispiel „den Entschluss bedeutet, heute kein Abendessen zu haben. Aber er erfordert keinen Entschluss, nach einer Woche oder einem Jahr ein Abendessen zu haben, oder ein Paar Schuhe zu kaufen oder eine bestimmte Sache an einem bestimmten Zeitpunkt zu verbrauchen“ (S. 177). Wenn die Unternehmen von dem aktuellen Nachfrageausfall auf die zukünftige Nachfrage schließen, sinkt nicht nur der heutige Verbrauch, sondern auch der erwartete Ertrag des vorhandenen Kapitalbestands mit negativer Auswirkung auf die Grenzleistungsfähigkeit neuer Investitionen. Im Abschnitt II wendet sich Keynes erneut gegen die Relevanz der physischen Produktivität des Kapitals, da der wertmäßige Ertrag für den Investor entscheidend ist. Anschließend argumentiert er gegen die damals von vielen vertretene Theorie der Produktionsumwege. Seine Erwartungen über die langfristige Entwicklung der Grenzleistungsfähigkeit präsentiert Keynes in Abschnitt III. Er betont, die Investitionen und damit der Kapitalbestand werden dadurch begrenzt, dass die Unternehmer nur investieren, wenn sie eine Rendite oberhalb des Marktzinssatzes erwarten. Insofern wird das Sachkapital knapp gehalten – und vermutlich häufig so knapp, dass der vorhandene Kapitalbestand nicht ausreicht, um alle Erwerbswilligen zu beschäftigen, weil – und solange – die Bevölkerung bei Vollbeschäftigung mehr sparen würde, als die Investoren zu investieren für profitabel erachten. In Abschnitt IV schließlich deutet Keynes an, was geschehen könnte, wenn durch Kapitalakkumulation die Grenzleistungsfähigkeit und dann auch der Zinssatz gegen Null gehen, sodass die Vermögensbesitzer kein Einkommen aus ihrem Vermögen erzielen („Tod des Rentiers“). In Kapital 17 greift Keynes eine grundsätzliche Frage wieder auf, die er im einleitenden Kapitel 2 nur kurz gestreift hatte: Welches sind die besonderen Eigenschaften des Geldes, die dazu führen, dass eine Geldwirtschaft nicht wie eine Tauschwirtschaft funktioniert? In den ersten beiden Abschnitten zeigt er, dass die Existenz eines Geldzinssatzes nicht die gesuchte besondere Eigenschaft sein kann, weil es einen solchen Zinssatz für alle Waren gibt, für die Terminkontrakte abgeschlossen werden. Ebenso werfen auch andere Vermögensbestände einen Ertrag ab, wobei allerdings die Lagerhaltungskosten (bzw. Erhal-
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tungskosten) bei Häusern, Maschinen etc. eine gewichtige Rolle spielen können. Ist der (erwartete) Ertrag höher als der Geldzinssatz, besteht ein Anreiz, mehr von diesen Vermögensbeständen zu produzieren, wodurch dieser Ertrag fällt. Im dritten Abschnitt leitet Keynes aus diesen Überlegungen die besonderen Eigenschaften des Geldes ab: a) Die Angebotselastizität des Geldes ist Null oder nahe Null: Die Privatwirtschaft hat nicht das Recht, mehr Geld zu produzieren, wenn sein Zinssatz steigt. b) Diese Eigenschaft haben allerdings auch alle reinen „Rentengüter“. Das sind Güter, deren Produktion völlig unelastisch ist und die daher eine Knappheitsrente erzielen. Deshalb muss es eine weitere besondere Eigenschaft des Geldes geben. Diese bestehe in seiner Substitutionselastizität von (nahezu) Null: Es bestehe kaum eine Bereitschaft der Geldhalter, Geld durch einen anderen Vermögensbestand zu ersetzen, wenn der Tauschwert des Geldes steigt, d. h. wenn das Preisniveau sinkt. An dieser Stelle begründet Keynes dies damit, dass mit dem Tauschwert auch der Nutzen des Geldes steigt. Eine vertiefte Analyse erfolgt im 19. Kapitel. In den Abschnitten IV und V diskutiert Keynes die Bedeutung und die Konsequenzen dessen, dass Geld durch eine hohe Liquiditätsprämie und sehr niedrige Lagerhaltungskosten gekennzeichnet ist und dass Löhne und Schulden in Geldeinheiten fixiert sind. Im letzten Abschnitt kommt er noch einmal darauf zurück, dass es – wie schon im Kapitel 14 ausgeführt – nicht einen einzigen „natürlichen“ Zinssatz gibt, wohl aber den „optimalen“ Zinssatz, bei dem Investitionen und Ersparnisse bei Vollbeschäftigung übereinstimmen. Im Kapitel 18 sieht sich Keynes an einem Punkt angekommen, wo er „die Fäden unserer Beweisführung zusammenführen“ kann, die unter der Annahme gegebener Technik, gegebener Präferenzen sowie eines konstanten Lohnniveaus erfolgt ist. Exogen ist auch die Geldmenge, die „durch den Einfluss der Zentralbanken bestimmt wird“. In diesem Rahmen bestimmen die Konsumneigung, die Liquiditätspräferenz und die erwartete Grenzleistung des Kapitals die Menge an Produktion und Beschäftigung (Abschnitte I und II). In Abschnitt III stellt Keynes Überlegungen an, weshalb das marktwirtschaftliche System zwar starken Schwankungen von Produktion und Beschäftigung unterworfen, aber doch nicht extrem instabil ist. Er zieht dafür Erfahrungstatsachen und Vermutungen heran. Diese Betrachtungen werden im Kapitel 22 fortgesetzt. Vorher aber wird im fünften Buch die Annahme konstanter Löhne und Preise aufgehoben.
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Fünftes Buch Dieses Buch umfasst die drei Kapitel 19 – 21, von dem das 19. Kapitel weitaus das wichtigste ist; denn dort begründet Keynes, weshalb er die populäre These der „klassischen“ Theorie ablehnt, wonach ein sinkendes Lohnniveau zu mehr Beschäftigung führt, mit der Implikation, dass Arbeitslosigkeit auf zu hohen Löhnen beruht. Keynes kritisiert in Abschnitt I, dass in dieser Analyse eine einzelwirtschaftlich zutreffende Aussage über die positive Auswirkung einer isolierten Lohnsenkung in einem Unternehmen auf die Nachfrage nach den Erzeugnissen dieses Unternehmens und damit auf die Nachfrage dieses Unternehmen nach Arbeit unzulässigerweise auf die Gesamtwirtschaft übertragen wird. In Abschnitt II wendet Keynes seine eigene Methode an, um die Frage nach der gesamtwirtschaftlichen Wirkung einer allgemeinen Senkung des Lohnniveaus zu beantworten. Er leitet sieben Effekte einer generellen Lohnsenkung auf die Nachfrage nach Gütern ab, die von der Nominallohnsenkung bzw. von dem damit verbundenen Absinken von Preisniveau und Reallohnniveau verursacht werden. Diese Effekte wirken teils positiv, teils negativ auf die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage; ihr Saldo kann positiv oder negativ sein – auf jeden Fall ist er schwer vorhersehbar und vermutlich gering. Eine Politik flexibler Löhne ist daher kein gangbarer Weg, um Vollbeschäftigung wiederherzustellen oder zu sichern. Keynes übersieht einen Effekt, den Pigou (1943) in die Diskussion einbrachte, nämlich den möglichen positiven Effekt eines steigenden Realwerts des Geldvermögens auf den Konsum. Außerdem gehr er wegen der Annahme gegebener Technik nicht auf den tendenziell verlangsamten Prozess der Substitution von Arbeit durch Kapital ein. Die Einbeziehung beider Effekte würde aber an seiner Schlussfolgerung nichts ändern, dass man sich auf die erhoffte Wirkung einer Lohnsenkungspolitik nicht verlassen kann. Im anschließenden Abschnitt III weist Keynes zum einen darauf hin, dass die Arbeiter, selbst wenn sie es wollten, nur schwerlich ihre Reallöhne beeinflussen können (außer in autoritären Gesellschaften); das Ergebnis wäre eher ein stark schwankendes Preisniveau. Zum anderen sei es kurzfristig am ratsamsten, das Nominallohnniveau konstant zu halten; langfristig dagegen sollte es mit der Arbeitsproduktivität ansteigen, sodass das Preisniveau stabil blieben kann. Das Kapitel wird ergänzt durch einen Anhang, in dem sich Keynes detailliert mit der „Theory of Unemployment“ von Pigou (1933) auseinandersetzt, weil dieser die (neo-)klassische Theorie der Arbeitslosigkeit am genauesten und präzisesten formuliert habe.
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Nachdem Keynes die geringfügige und unsichere Wirkung veränderter Löhne und Preise – und damit einer Lohnsenkungspolitik – auf die Nachfrage herausgearbeitet hat, widmet er sich in Kapitel 20 der Frage, wie stark eine Änderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Beschäftigung beeinflusst. Er entwickelt dafür seine Beschäftigungsfunktion (die dem Kapitel den Titel liefert), in der die Abhängigkeit der Beschäftigung von der Gesamtnachfrage formal dargestellt ist. Zentral ist hier die Nachfrageelastizität der Beschäftigung; diese hängt ihrerseits entscheidend davon ab, ob die Unternehmer auf eine erhöhte Nachfrage stärker mit einer Steigerung ihrer Produktion oder mit einer Erhöhung ihrer Preise reagieren. Einen wichtigen Einflussfaktor für diese Entscheidung stellt der Auslastungsgrad der Sachanlagen dar, der in den einzelnen Unternehmen oder Branchen sehr unterschiedlich sein kann. Je näher eine Volkswirtschaft an die Vollbeschäftigung herankommt, desto mehr werden nur die Preise steigen. Wird diese Grenze erreicht, steigen bei einer Erhöhung der Güternachfrage nur noch die Preise. Damit ist ein „Zustand erreicht, in welchem der einfachen Quantitätstheorie des Geldes völlig genügt wird.“ (S. 245) Gegen den Ansatz der Quantitätstheorie, Änderungen des Preisniveaus durch Änderungen der Geldmenge zu erklären, wendet sich Keynes im 21. Kapitel. Er kritisiert, dass in der Werttheorie die Preise der Güter durch Angebot und Nachfrage erklärt werden, in der Theorie des Geldes aber das Preisniveau und seine Änderungen von der Geldmenge (und anderen Faktoren) abhängig gemacht werden. Keynes hält diese Zweiteilung für falsch und zeigt, dass die Preisanalyse, die er im vorangehenden Kapitel vorgenommen hat, auch zur Bestimmung des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus geeignet ist und dass demzufolge eine Änderung der Geldmenge keine Auswirkung auf das Preisniveau hat, solange es nachfragebedingte Arbeitslosigkeit gibt und die Unternehmen bei zusätzlicher Nachfrage ihre Produktion erhöhen. Die Quantitätstheorie gilt nur bei Vollbeschäftigung; nur dort ändert sich das Preisniveau proportional zur Geldmenge. Aber auch diese Aussage gilt nur, wenn man mögliche Komplikationen außer Acht lässt, von denen Keynes fünf relativ ausführlich erörtert. Im letzten Abschnitt VII dieses Kapitels beleuchtet Keynes abschließend historische Erfahrungen mit dem Zusammenspiel von Geldmenge, Zinssatz und Lohnniveau.
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Sechstes Buch In den drei Kapiteln dieses letzten Buches präsentiert Keynes Überlegungen, zu denen ihn seine „Allgemeine Theorie“ angeregt hat. In Kapitel 22 betreffen diese den Konjunkturzyklus. Hier betont Keynes, dass die konjunkturellen Schwankungen vor allem durch (zum Teil drastische) Veränderungen der erwarteten Erträge von Sachinvestitionen, also der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, verursacht werden. Zwar erfahren im Konjunkturzyklus häufig auch die Zinssätze Veränderungen in derselben Richtung, aber diese sind viel zu gering, um erstere ausgleichen zu können. Die nach dem Ende des Booms einsetzende höhere Liquiditätspräferenz und die Notwendigkeit, in der Rezession zunächst die unerwünscht hohen Warenbestände zu reduzieren, tragen häufig dazu bei, die Rezessionen zu verlängern (Abschnitt I und II). In den Abschnitten III und VI diskutiert Keynes die Frage, ob man Rezessionen verhindern könnte und sollte, indem man den vorangehenden, beginnenden möglichen Boom durch rasche Erhöhung der Zinssätze schnell abwürgt. Dazwischen macht KeynBin den Abschnitten IV und V erstens einige Bemerkungen zur These, die (damalige) chronische Tendenz zum Unterbeschäftigung sei auf einen zu niedrigen Konsum zurückzuführen, bedingt durch „gesellschaftliche Bräuche“ und eine dem Konsum abträgliche „Reichtumsverteilung“. Keynes hält jedoch eine Förderung von Investitionen häufig für sinnvoller, spricht sich aber für die Förderung von Konsum und Investitionen aus. Zweitens lehnt Keynes in aller Kürze den Vorschlag ab, durch Arbeitzeitverkürzung das Arbeitsangebot zu verringern. In Abschnitt VII geht Keynes kurz auf die Rolle der Landwirtschaft im Konjunkturzyklus ein sowie erneut auf die bremsende Wirkung sehr hoher Vorräte. Kapitel 23 hat einen anderen Charakter. Hier arbeitet Keynes heraus, wie sich aufgrund seiner Analyse die Sichtweise auf frühere Theorien ändert, die im Widerspruch zur klassischen Theorie stehen und von dieser in eine völlige Außenseiterposition gedrängt worden sind. Den größten Umfang nimmt die Auseinandersetzung mit dem Merkantilismus ein. Für Keynes hat diese Denkrichtung, die das wirtschaftspolitische Handeln der Staaten viele Jahrzehntelang vor dem Vordringen der Freihandelsdoktrin bestimmte, unter den damaligen Verhältnissen durchaus seine Berechtigung gehabt. Die Merkantilisten betonten nämlich die Vorteile einer überschüssigen Handelsbilanz, durch die unter dem Gold- bzw. Silberstandard Edelmetalle ins Land strömten. Diese Überlegung wäre nur dann unsinnig, wenn die klassische Position richtig wäre, dass der Zins-
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satz stets für Investitionen in Höhe der Ersparnisse bei Vollbeschäftigung sorgte. Da das aber falsch ist, stellt ein Außenhandelsüberschuss eine zusätzliche Nachfrage dar, die die häufig bestehende Differenz zwischen Investitionen und Ersparnissen verringern kann. Außerdem verhindert der Überschuss, dass ein Land unter den Regeln des Goldstandards die Zinsen heraufsetzen muss, um den Abfluss von Edelmetallen zu verhindern, obwohl ein niedriger Zinssatz vonnöten wäre, um Investitionen anzuregen. In die gleiche Richtung zielt Keynes’ Verteidigung der Gesetze gegen Wucherzinsen (Abschnitt V), weil solche überhöhten Zinssätze die Investitionenstätigkeit beeinträchtigen. Die klassische Theorie habe solche Überlegungen für „kindisch“ gehalten, weil der frei flexible Zinssatz sich aus dem Angebot an Ersparnissen und der Nachfrage nach diesen für Investitioneszwecke ergebe und somit seinen optimalen Wert von selbst erreiche. In den beiden letzten Abschnitten erinnert Keynes an Außenseiter, die das Problem der unzureichenden Nachfrage nach Gütern und Arbeit erkannten, aber denen es nicht gelang, eine Theorie der Beschäftigung zu entwickeln, die sich gegen die klassische Theorie durchsetzen konnte. Keynes behandelt vor allem die Ansätze von Silvio Gesell, Malthus und Hobson und zitiert ausführlich die Bienenfabel von Mandeville, die illustriert, dass Sparen zwar ein private Tugend ist, aber dennoch ein gesamtgesellschaftliches Laster sein kann. Mit dem 24. und letzten Kapitel bringt Keynes seine „General Theory“ zum Abschluss. In Abschnitt I hebt er hervor, dass durch seine Theorie ein häufig gebrauchtes Argument zugunsten einer sehr ungleichen Verteilung widerlegt worden sei, weil bei Unterbeschäftigung eine geringere Ungleichheit eine positive Auswirkung auf den Konsum und dadurch auf Investitionen und Wachstum hat. In Abschnitt II gibt er seiner Erwartung Ausdruck, die fortschreitende Kapitalakkumulation werde die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals verringern und dadurch den Zinssatz, so dass die Einkommen der Vermögensbesitzer langsam dahinschwinden („Tod des Rentiers“). In den Abschnitten III und IV weist er darauf hin, dass seine Theorie gemäßigt konservativ sei, da er – u. a. durch eine „ziemlich umfassende gesellschaftliche Steuerung der Investitionen“ – das kapitalistische Wirtschaftssystem in der Nähe der Vollbeschäftigung halten und dadurch – vor allem, weil es viele persönliche Freiheiten ermöglicht – bewahren wolle. Auch sei die aus seiner Theorie folgende Wirtschaftspolitik günstiger für ein friedliches Zusammenleben der Nationen, weil sie eine interne Belebung der Wirtschaft propagiere
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und nicht Exportförderung auf Kosten der Nachbarn. Abschnitt V schließlich enthält seine kühne These, auf Dauer seien Ideen wirksamer als das Bestreben, eigennützige (Gruppen-)Interessen durchzusetzen. Literatur Keynes, John Maynard (1930), A Treatise on Money. 2 Volumes. London (Macmillan). Wiederabgedruckt in: John Maynard Keynes. Collected Writings, Vol. V and VI. London & Basingstoke (Macmillan), 1971. – (1939), Relative Movements of Real Wages and Output. „The Economic Journal“, Vol. 49, S. 34 – 51. Wiederabgedruckt in: John Maynard Keynes. Collected Writings, Vol. VII, Appendix 3. London & New York / Macmillan-St.Martins, 1973. Pigou, Arthur (1933), The Theory of Unemployment. London (Cass). – (1943), The Classical Stationary State. „The Economic Journal“, Vol. 53, S. 343-351.
ERSTES BUCH
Einleitung
Erstes Kapitel
Die allgemeine Theorie Ich habe dieses Buch die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes genannt und hebe dabei das Wort allgemein hervor. Ich wähle diesen Titel, weil ich die Art meiner Beweisführung und Folgerungen jenen der klassischen1 Theorie über das Thema entgegenstellen will, jener Theorie, in deren Anschauungen ich erzogen worden bin, und welche heute, genau wie während der letzten hundert Jahre, das wirtschaftliche Denken und Handeln unserer regierenden und akademischen Kreise beherrscht. Ich werde darlegen, daß die Postulate der klassischen Theorie nur in einem Sonderfall, aber nicht im Allgemeinen gültig sind, weil der Zustand, den sie voraussetzt, nur ein Grenzfall der möglichen Gleichgewichtslagen ist. Die Eigenheiten des von der klassischen Theorie vorausgesetzten Sonderfalles weichen überdies von denen unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse ab, und ihre Lehren werden daher irreführend und verhängnisvoll, wenn wir versuchen, sie auf die Tatsachen der Erfahrung zu übertragen.
1 Der Ausdruck „die klassischen Ökonomen“ wurde von Marx erdacht und von ihm auf Ricardo und James Mill und deren Vorgänger angewandt, das heißt auf die Begründer der Theorie, welche in der Ricardianischen Ökonomie ihren Höhepunkt fand. Ich habe mich daran gewöhnt, obschon ich dabei vielleicht einen groben Fehler begehe, in der „klassischen Schule“ die Nachfolger Ricardos einzuschließen, das heißt jene, welche die Ricardianische Theorie angenommen und vervollkommnet haben, einschließlich (zum Beispiel) J. S. Mill, Marshall, Edgeworth und Professor Pigou.
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Zweites Kapitel
Die Postulate der klassischen Ökonomie 4
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Die meisten Abhandlungen über die Wert- und Produktionstheorie beschäftigen sich in erster Linie mit der Verteilung einer gegebenen Menge beschäftigter Ressourcen auf verschiedene Zwecke und mit den Bedingungen, welche, die Beschäftigung dieser Menge an Ressourcen vorausgesetzt, ihre relativen Entgelte und die relativen Werte ihrer Erzeugnisse bestimmen1. Auch die Frage der Menge der verfügbaren Ressourcen im Sinne der Größe der erwerbsfähigen Bevölkerung, der Menge der natürlichen Reichtümer und der akkumulierten Kapitalausstattung ist häufig deskriptiv behandelt worden. Aber die reine Theorie dessen, was die tatsächliche Beschäftigung der verfügbaren Ressourcen bestimmt, ist nur selten eingehend untersucht worden. Es wäre natürlich widersinnig zu behaupten, daß sie überhaupt nie untersucht wurde; denn jede Erörterung über die Schwankungen der Beschäftigung, und deren gab es viele, hatte mit ihr zu tun. Ich will also nicht sagen, daß der Gegenstand übersehen wurde, sondern daß die ihm zugrunde liegende fundamentale Theorie immer als so einfach und offensichtlich betrachtet wurde, daß man sie bestenfalls nur eben erwähnte2. 1 Das liegt in der Ricardianischen Tradition; denn Ricardo verwarf ausdrücklich jedes Interesse am Betrag des Nationaleinkommens, im Gegensatz zu seiner Verteilung. Er hat dabei den Charakter seiner eigenen Theorie richtig eingeschätzt. Seine Nachfolger, weniger klarsehend, haben aber von der klassischen Theorie in Erörterungen über die Ursachen des Reichtums Gebrauch gemacht. Siehe Ricardos Brief an Malthus vom 9. Oktober 1820: „Sie denken, daß die politische Ökonomie eine Untersuchung der Natur und der Ursachen des Reichtums ist. – Ich denke, man sollte sie eine Untersuchung der Gesetze nennen, welche die Verteilung der Erzeugnisse der Gewerbe auf die Klassen bestimmen, die zu ihrer Herstellung beitragen. Über die Menge läßt sich kein Gesetz festlegen, wohl aber ein leidlich richtiges Gesetz über Proportionen. Ich bin von Tag zu Tag mehr und mehr davon überzeugt, daß die erstere Untersuchung eitel und irreführend und daß nur die letztere das wahre Ziel der Wissenschaft ist.“ 2 So schreibt zum Beispiel Professor Pigou in den Economics of Welfare (4. Auflage, S. 127), (Sperrdruck von mir): „Die Tatsache, daß bestimmte Ressourcen im allgemeinen gegen den Willen ihrer Besitzer unbeschäftigt sind, wird durch diese ganze Erörterung hindurch ignoriert, wenn das Gegenteil nicht ausdrücklich hervorgehoben wird. Das vereinfacht die Darstellung, ohne den Kern der Beweisführung zu beeinflussen“. Während Ricardo daher ausdrücklich auf jeden Versuch, sich mit dem Betrag des gesamten Nationaleinkommens zu beschäftigen, verzichtete, behauptet Professor Pigou in einem Buch, welches sich besonders mit dem Problem des Nationaleinkommens beschäftigt, daß dieselbe Theorie sowohl beim Vorhandensein unfreiwilliger Arbeitslosigkeit als auch im Fall der Vollbeschäftigung gilt.
2. Kap.: Die Postulate der klassischen Ökonomie
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I. Die angeblich einfache und augenscheinliche klassische Theorie der Beschäftigung stützt sich meiner Ansicht nach auf zwei praktisch ohne Diskussion verwendete Grundpostulate, nämlich: I. Der Lohn ist gleich dem Grenzertrag der Arbeit. Das heißt, der Lohn eines beschäftigten Menschen ist gleich dem Wert, der verloren ginge, wenn die Beschäftigung um eine Einheit vermindert würde (nach Abzug aller anderen Kosten, die durch diese Verminderung der Produktion vermieden würden), jedoch unter dem Vorbehalt, daß die Gleichheit in Übereinstimmung mit gewissen Grundsätzen bei unvollkommenem Wettbewerb und Märkten verletzt werden kann. II. Der Nutzen des Lohnes ist, wenn eine gegebene Arbeitsmenge beschäftigt wird, gleich der marginalen „Nutzeneinbuße durch Arbeit“ bei dieser Beschäftigungsmenge. Das heißt, der Reallohn einer beschäftigten Person ist der, welcher (nach Anschauung der beschäftigten Personen selber) gerade genügt, damit die tatsächlich beschäftigte Arbeitsmenge angeboten wird; dies mit der Einschränkung, daß diese Gleichheit für jede einzelne Arbeitseinheit durch Zusammenschlüsse beschäftigungsfähiger Einheiten verletzt werden kann, ähnlich wie ein unvollkommener Wettbewerb die Gültigkeit des ersten Postulates einschränkt. Unter Nutzeneinbuße muß hier jegliche Überlegung verstanden werden, die einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen veranlassen könnte, lieber nicht zu arbeiten, als einen Lohn anzunehmen, dessen Nutzen für sie unter einem gewissen Minimum liegt. Dieses Postulat ist mit etwas vereinbar, was man mit „friktioneller“ Arbeitslosigkeit bezeichnen könnte; denn eine realistische Auslegung dieses Postulats läßt mit Recht verschiedene Anpassungshemmnisse zu, die einer andauernden Vollbeschäftigung im Wege stehen. Zum Beispiel Arbeitslosigkeit als Folge eines durch Fehlkalkulation oder periodisch auftretende Nachfrageschwankungen verursachten zeitweisen Verfehlens des Gleichgewichtes zwischen den relativen Mengen spezialisierter Ressourcen oder als Folge von Zeitverzögerungen, die im Anschluß an unvorhergesehene Änderungen auftreten; oder als Folge davon, daß der Wechsel von einer Beschäftigung zur anderen nicht ohne eine gewisse Verzögerung vollzogen werden kann, so daß in einer nichtstatischen Gesellschaft immer ein Teil der Ressourcen in einem Zwischenzustand der Nichtbeschäftigung sein wird. Außer mit „friktioneller“ Arbeitslosigkeit ist das Postulat auch mit „freiwilliger“ Arbeitslosigkeit vereinbar, die darauf zurückzuführen ist, daß eine Arbeitseinheit – aus Gründen,
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Erstes Buch: Einleitung
die mit der Gesetzgebung, sozialen Gebräuchen, kollektiven Verhandlungen, langsamer Anpassung an veränderte Verhältnisse oder auch nur mit menschlicher Starrköpfigkeit zusammenhängen – eine Entlohnung nicht annehmen will oder nicht annehmen kann, deren Wert dem Erzeugnis entspricht, das ihrer Grenzproduktivität zuzuschreiben ist. Diese beiden Arten von „friktioneller“ und „freiwilliger“ Arbeitslosigkeit erschöpfen aber den Geltungsbereich der klassischen Theorie: die klassischen Postulate lassen die Möglichkeit einer dritten Kategorie nicht zu, welche ich als „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit definieren werde. Mit diesen Einschränkungen wird nach der klassischen Theorie die Menge der beschäftigten Ressourcen durch diese zwei Postulate bestimmt. Das erste liefert uns die Arbeitsnachfragekurve, das zweite die Angebotskurve, und die Menge der Beschäftigung wird an dem Punkt fixiert, an welchem der Nutzen des Grenzertrags der marginalen Nutzeneinbuße (durch weniger Freizeit und durch die Mühe der Arbeit) der Beschäftigung entspricht. Es würde daraus folgen, daß es nur vier Möglichkeiten gibt, um die Beschäftigung zu vermehren: a) Eine Verringerung der „friktionellen“ Arbeitslosigkeit durch Verbesserung der Organisation oder der Voraussicht; b) eine Verringerung der „freiwilligen“ Arbeitslosigkeit durch Abnahme der marginalen Nutzeneinbuße durch Arbeit, wie er durch den Reallohn ausgedrückt wird, zu dem weitere Arbeitskräfte erhältlich sind; c) eine Zunahme der physischen Grenzproduktivität der Arbeit in den Branchen, die Lohngüter herstellen (um den bequemen Ausdruck von Professor Pigou für Güter zu gebrauchen, von deren Preis der Nutzen des Nominallohnes abhängt), oder d) ein Steigen des Preises von Nichtlohngütern im Verhältnis zum Preis von Lohngütern, verbunden mit einer Verschiebung der Ausgaben der Nichtlohnbezieher von Lohngütern zu Nichtlohngütern. Das ist nach meinem besten Verständnis der Kern von Professor Pigous Theory of Unemployment, der einzigen ausführlichen Behandlung der klassischen Theorie der Beschäftigung, die es gibt3.
II. Wie vereinbart sich aber die Auffassung, daß die beiden erwähnten Kategorien den Geltungsbereich unseres Themas erschöpfen, mit der 3 Professor Pigous Theory of Unemployment wird im Anhang zum 19. Kapitel unten ausführlicher untersucht werden.
2. Kap.: Die Postulate der klassischen Ökonomie
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Erfahrung, daß die Bevölkerung im allgemeinen selten so viel arbeitet, als sie zu den bestehenden Löhnen gern arbeiten möchte? Denn es muß doch zugegeben werden, daß zu den bestehenden Nominallöhnen in der Regel eine größere Arbeitsmenge angeboten würde, wenn eine Nachfrage nach ihr bestünde4. Die klassische Schule vereinbart diese Erscheinung mit ihrem zweiten Postulat, indem sie argumentiert, daß die Nachfrage nach Arbeit zu den bestehenden Nominallöhnen zwar befriedigt sein mag, bevor ein jeder beschäftigt ist, der zu diesen Löhnen arbeiten wolle, daß dieser Zustand aber auf ein offenes oder stillschweigendes Abkommen der Arbeiter zurückzuführen sei, für keinen niedrigeren Lohn zu arbeiten, und daß, falls die Arbeiter in ihrer Gesamtheit mit einer Kürzung der Nominallöhne einverstanden wären, auch mehr Beschäftigung zustande käme. Wenn das der Fall ist, sei diese Arbeitslosigkeit aber genau genommen nur scheinbar eine unfreiwillige und sollte daher in die obige Gruppe der „freiwilligen“ Arbeitslosigkeit eingereiht werden, die auf die Folgen kollektiven Verhandlungen usw. zurückzuführen ist. Das bringt uns auf zwei Bemerkungen, deren erste sich auf die tatsächliche Einstellung der Arbeiter zu Reallöhnen einerseits und zu Nominallöhnen andererseits bezieht und theoretisch nicht fundamental ist, und eine zweite, die fundamental ist. Nehmen wir einmal an, daß die Arbeiter zu keinem niedrigeren Nominallohn arbeiten wollen und daß eine Kürzung des bestehenden Niveaus der Nominallöhne durch Streiks oder sonstige Maßnahmen zum Rückzug von zur Zeit beschäftigten Arbeitern vom Arbeitsmarkt führen würde. Folgt daraus, daß die marginale Nutzeneinbuße durch Arbeit durch das bestehende Reallohnniveau genau gemessen wird? Nicht unbedingt. Denn obschon eine Kürzung der bestehenden Nominallöhne zu einem Rückzug von Arbeitern führen würde, ist noch nicht gesagt, daß ein Sinken des Wertes der bestehenden Nominallöhne, in Lohngütern ausgedrückt, die gleiche Folge hätte, falls das Sinken auf einen Anstieg der Preise dieser Lohngüter zurückzuführen wäre. Mit anderen Worten, es mag sein, daß sich die Forderung der Arbeiter innerhalb gewisser Grenzen auf einen Mindestnominallohn und nicht auf einen Mindestreallohn bezieht. Die klassische Schule hat stillschweigend angenommen, daß das ihre Theorie nicht wesentlich beeinflussen würde. Aber dem ist nicht so. Denn wenn das Arbeitsangebot keine Funktion von Reallöhnen als einzige Bestimmungsgröße ist, bricht ihre Beweisführung gänzlich zusammen und läßt die Frage, was die tatsächliche Beschäftigung sein wird, völlig ungelöst5. 4 5
Vergleiche das obige Zitat von Prof. Pigou, S. 5, Fußnote. Dieser Punkt ist im Anhang zum 19. Kapitel unten ausführlich behandelt.
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Die klassische Schule scheint nicht erfaßt zu haben, daß, wenn das Arbeitsangebot nicht ausschließlich die Funktion der Reallöhne ist, ihre Kurve des Arbeitsangebotes mit jeder Preisbewegung verschoben wird. Ihre Methode ist daher mit ihren ganz speziellen Voraussetzungen eng verbunden und kann der Behandlung des allgemeineren Falles nicht angepaßt werden. Nun lehrt uns aber die gewöhnliche Erfahrung ohne Zweifel, daß ein Zustand, in dem die Arbeiter (innerhalb gewisser Grenzen) mehr auf Nominallöhnen als auf Reallöhnen bestehen, nicht nur eine bloße Möglichkeit, sondern der Normalzustand ist. Während die Arbeiter sich gewöhnlich einer Kürzung der Nominallöhne widersetzen, pflegen sie die Arbeit nicht bei jedem Steigen der Preise der Lohngüter niederzulegen. Man sagt manchmal, daß es unlogisch wäre, wenn sich die Arbeiter wohl einer Kürzung der Nominallöhne, nicht aber einer Kürzung der Reallöhne widersetzen. Aus weiter unten angeführten Gründen (S. 12) mag das gar nicht so unlogisch sein, wie es auf den ersten Blick scheint, was, wie wir später sehen werden, ein Glück ist. Ob aber logisch oder unlogisch, die Erfahrung lehrt uns, daß dies das Verhalten der Arbeiter ist. Die Behauptung, daß die Arbeitslosigkeit, die eine Depression kennzeichnet, auf eine Weigerung der Arbeiter zurückzuführen ist, eine Kürzung der Nominallöhne hinzunehmen, ist überdies nicht einwandfrei durch Tatsachen erwiesen. Die Behauptung, daß die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten im Jahre 1932 entweder durch die hartnäckige Weigerung der Arbeiter verschuldet wurde, eine Kürzung der Nominallöhne hinzunehmen oder durch ihr hartnäckiges Bestehen auf einem Reallohn, der höher war als der, den die Produktivität der Wirtschaft bieten konnte, klingt nicht sehr überzeugend. Starke Änderungen in der Menge der Beschäftigung werden beobachtet, ohne daß sich die von den Arbeitern geforderten Mindestreallöhne oder ihre Produktivität merklich ändern. Die Arbeiter sind weit davon entfernt, sich in wirtschaftlich schlechten Zeiten widerspenstiger zu benehmen als während eines Wirtschaftsaufschwunges, und ihre physische Produktivität nimmt auch nicht ab. Diese Erfahrungstatsachen berechtigen auf den ersten Blick, die Angemessenheit der klassischen Theorie in Frage zu stellen. Es wäre interessant, das Ergebnis einer statistischen Erhebung über das tatsächliche Verhältnis zwischen Änderungen von Nominallöhnen und Änderungen von Reallöhnen zu sehen. Im Falle von Änderungen, die nur für ein einzelnes Gewerbe Geltung haben, würde man erwarten, daß sich die Nominallöhne und Reallöhne in der gleichen Richtung ändern. Handelt es sich aber um eine Änderung des allgemeinen Lohnniveaus,
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wird man meiner Ansicht nach finden, daß die Änderung der Reallöhne, welche mit einer Änderung der Nominallöhne verbunden ist, weit davon entfernt, die gleiche Richtung einzuschlagen, fast immer in entgegengesetzter Richtung verlaufen wird. Das heißt, man wird finden, daß, wenn die Nominallöhne steigen, die Reallöhne sinken, und daß, wenn die Nominallöhne fallen, die Reallöhne steigen. Das ist darauf zurückzuführen, daß auf kurze Sicht sinkende Nominallöhne und steigende Reallöhne wahrscheinlich mit einer Abnahme der Beschäftigung einhergehen, aus Gründen, die unabhängig voneinander sind. Die Arbeiter werden nämlich eher bereit sein, eine Lohnkürzung hinzunehmen, wenn die Beschäftigung abnimmt, während die Reallöhne unter den gegebenen Umständen gleichzeitig steigen müssen, weil der Grenzertrag der Arbeit bei einer gegebenen Kapitalausrüstung steigt, wenn die Produktion abnimmt. Wenn es wirklich wahr wäre, daß der bestehende Reallohn ein Minimum ist, unter dem unter keinen Umständen eine größere Arbeitsmenge angeboten würde, als zur Zeit beschäftigt ist, so gäbe es, von „friktioneller“ Arbeitslosigkeit abgesehen, keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Aber es wäre widersinnig anzunehmen, daß das immer so sei; denn es ist in der Regel mehr Arbeit zu dem bestehenden Nominallohn verfügbar, als gerade beschäftigt ist, sogar dann, wenn der Preis der Lohngüter steigt und folglich der Reallohn fällt. Wenn das stimmt, ist der in Lohngütern ausgedrückte Nominallohn kein genauer Indikator für den Nutzenverlust durch Arbeit und das zweite Postulat hält nicht stand. Aber es gibt noch einen tiefergehenden Einwand. Das zweite Postulat kommt aus der Anschauung, daß sich die Reallöhne auf die Lohnabschlüsse stützen, welche die Arbeiter mit den Unternehmern vereinbaren. Es wird natürlich zugegeben, daß die getroffenen Abschlüsse tatsächlich in Geld ausgedrückt werden und sogar, daß die Reallöhne, die den Arbeitern annehmbar erscheinen, nicht völlig unabhängig von der Höhe sind, welche die entsprechenden Nominallöhne gerade haben. Trotz alledem ist es aber der auf diese Art vereinbarte Nominallohn, der den Reallohn bestimmen soll. Die klassische Theorie nimmt somit an, daß es den Arbeitern immer freisteht, ihren Reallohn zu verringern, indem sie einer Kürzung ihres Nominallohnes zustimmen. Das Postulat, daß der Reallohn dazu tendiert, mit dem Nutzenverlust durch Arbeit in Übereinstimmung zu kommen, setzt ganz offenbar voraus, daß die Arbeiter den Reallohn, für den sie arbeiten, selber bestimmen können, wenn auch nicht die Menge der Beschäftigung, die zu diesem Lohn zustande kommt.
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Mit kurzen Worten, die herkömmliche Theorie vertritt die Ansicht, daß die Lohnabschlüsse zwischen den Unternehmern und den Arbeitern den Reallohn bestimmen, so daß, freien Wettbewerb unter den Unternehmern und kein einschränkendes Zusammenwirken der Arbeiter vorausgesetzt, die Arbeiter ihre Reallöhne, wenn sie wollen, mit dem Nutzenverlust durch Arbeit bei der Beschäftigungsmenge, die von den Unternehmern zu diesem Lohn angeboten wird, in Übereinstimmung bringen können. Wenn das nicht richtig ist, besteht kein Grund mehr, zu erwarten, daß der Reallohn und der Nutzenverlust durch Arbeit dazu tendieren, in Übereinstimmung zu kommen. Man darf nicht vergessen, daß die klassischen Folgerungen sich auf die gesamte Arbeiterschaft beziehen sollen, und daß sie nicht einfach sagen wollen, daß ein einzelner Arbeiter Beschäftigung finden kann, indem er eine Lohnkürzung annimmt, die von seinen Arbeitskollegen verweigert wird. Sie sollen sowohl für eine geschlossene wie für eine offene Volkswirtschaft anwendbar sein und nicht von den Merkmalen einer offenen Volkswirtschaft abhängen oder von den Rückwirkungen einer Kürzung der Nominallöhne eines einzelnen Landes auf dessen Außenhandel, Rückwirkungen, die natürlich völlig außerhalb des Gebietes dieser Erörterung liegen. Sie stützen sich auch nicht auf die mittelbaren Folgen gewisser Rückwirkungen einer – in Geld ausgedrückt – niedrigeren Lohnsumme auf das Bankensystem und auf den Stand des Kredits, die wir im 19. Kapitel ausführlich untersuchen werden. Sie stützen sich auf die Überzeugung, daß in einem geschlossenen System eine Senkung des allgemeinen Niveaus der Nominallöhne, zumindest auf kurze Sicht und nur mit unwesentlichen Einschränkungen, von einer, obschon nicht immer proportionalen, Kürzung der Reallöhne begleitet sein wird. Die Annahme nun, daß das allgemeine Niveau der Reallöhne von den Nominallohnabschlüssen zwischen Unternehmern und Arbeitern abhängt, kann nicht ohne weiteres als richtig angenommen werden. Es ist in der Tat merkwürdig, daß man sich so wenig anstrengte, diese Annahme entweder zu beweisen oder zu widerlegen. Denn sie ist weit davon entfernt, mit dem allgemeinen Tenor der klassischen Theorie übereinzustimmen, die uns zu glauben lehrte, daß Preise durch die nominalen marginalen Grundkosten bestimmt werden und daß die Nominallöhne großenteils die marginalen Grundkosten bestimmen. Wenn sich die Nominallöhne ändern, hätte man daher erwartet, daß die klassische Schule argumentieren würde, daß sich die Preise fast im gleichen Verhältnis änderten, so daß sie den Reallohn und die Höhe der Arbeitslosigkeit praktisch unverändert ließen, wobei etwaige geringe Vorteile oder Nachteile für die Arbeiter zu Lasten oder zu Gunsten der übrigen Bestandteile
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der Grenzkosten gingen, die unverändert gelassen wurden6. Sie scheinen aber von diesem Gedankengang abgelenkt worden zu sein, teilweise wegen der festverwurzelten Überzeugung, daß die Arbeiter ihren eigenen Reallohn bestimmen können, und teilweise vielleicht wegen ihrer Voreingenommenheit für die Anschauung, daß die Preise von der Geldmenge abhängen. Und der Glaube an die These, daß die Arbeiter immer ihren eigenen Reallohn bestimmen können, wurde, einmal angenommen, auch beibehalten, indem sie mit der Anschauung verwechselt wurde, daß die Arbeiter immer bestimmen können, welcher Reallohn der Vollbeschäftigung entsprechen werde, das heißt der maximalen Menge der Beschäftigung, die mit einem gegebenen Reallohn vereinbar ist. Ich fasse zusammen: Es gibt zwei Einwände gegen das zweite Postulat der klassischen Theorie. Der erste bezieht sich auf das tatsächliche Verhalten der Arbeiter. Ein Sinken der Reallöhne, verursacht bei unveränderten Nominallöhnen durch ein Steigen der Preise, veranlaßt in der Regel keinen Rückgang des Angebotes der verfügbaren, zum laufenden Lohn angebotenen Arbeitskräfte unter die Menge, die vor der Preissteigerung beschäftigt war. Die Annahme eines derartigen Rückgangs hieße anzunehmen, daß alle, die jetzt arbeitslos sind, obschon sie zu den bestehenden Löhnen bereit sind zu arbeiten, ihr Arbeitsangebot bei einem auch nur geringen Anstieg der Lebenshaltungskosten zurückziehen würden. Und doch liegt diese merkwürdige Auffassung anscheinend Professor Pigous Theory of Unemployment7 zugrunde und wird von allen Anhängern der orthodoxen Schule stillschweigend vorausgesetzt. Der andere, grundlegendere Einwand aber, den wir in den folgenden Kapiteln entwickeln werden, kommt aus unserem Einwand gegen die Voraussetzung, daß das allgemeine Niveau der Reallöhne unmittelbar durch den Charakter der Lohnabschlüsse bestimmt werde. Indem die klassische Schule voraussetzte, daß die Lohnabschlüsse den Reallohn bestimmen, ist sie in eine unzulässige Voraussetzung gerutscht. Denn es ist möglich, daß die Arbeiterklasse über keine Methode verfügt, durch die sie den Lohngütergegenwert des allgemeinen Niveaus der Nominallöhne mit dem marginalen Nutzenverlust durch Arbeit bei dem aktuellen Beschäftigungsniveau in Übereinstimmung bringen kann. Es ist möglich, daß es kein Mittel gibt, durch das die Arbeiterklasse ihren Reallohn auf einen gegebenen Betrag kürzen kann, indem sie die Geldlohnabschlüsse mit den Unternehmern ändert. Das wird unsere Behauptung sein. Wir werden 6 Dieses Argument hätte meiner Ansicht nach in der Tat viel für sich, obschon die vollständigen Folgen einer Änderung der Nominallöhne, wie wir im 19. Kap. unten zeigen werden, komplexer sind. 7 Vgl. Kap. 19, Anhang.
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uns bemühen zu zeigen, daß es in erster Linie gewisse andere Kräfte sind, die das allgemeine Niveau der Reallöhne bestimmen. Der Versuch, dieses Problem zu erläutern, wird einer unserer Hauptgegenstände sein. Wir werden darlegen, daß ein fundamentales Missverständnis darüber besteht, wie in dieser Beziehung die Wirtschaft tatsächlich funktioniert, in der wir leben.
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Obschon oft angenommen wird, daß der Kampf zwischen Individuen und Gruppen um die Nominallöhne das allgemeine Niveau der Reallöhne bestimmt, wird dieser Kampf in Wirklichkeit zu einem ganz anderen Zweck geführt. Da die Mobilität der Arbeiter unvollkommen ist und Löhne keine Tendenz zu einer genauen Gleichheit des Nettovorteiles in verschiedenen Beschäftigungen haben, werden einzelne Individuen oder Gruppen, die in eine Kürzung ihrer Nominallöhne unter das allgemeine Niveau einwilligen, eine relative Kürzung der Reallöhne erleiden, was eine genügende Rechtfertigung für sie ist, sich dieser Kürzung zu widersetzen. Andererseits wäre es undurchführbar, sich jeder Kürzung der Reallöhne zu widersetzen, die durch eine Änderung der Kaufkraft des Geldes verursacht wird und die alle Arbeiter im gleichen Maße trifft. In der Tat wird Kürzungen der Reallöhne, die auf diese Art vorgenommen werden, in der Regel kein Widerstand entgegengesetzt, es sei denn, daß sie ins Extreme gehen. Ein Widerstand gegen Kürzungen der Nominallöhne, die für einzelne Gewerbe Geltung haben, erzeugt überdies nicht dieselbe unüberbrückbare Schranke gegen eine Zunahme der gesamten Beschäftigung, die durch einen ähnlichen Widerstand gegen jede Kürzung der Reallöhne hervorgerufen würde. Mit anderen Worten, der Kampf um die Nominallöhne beeinflußt in erster Linie die Verteilung der realen Lohnsumme zwischen den verschiedenen Arbeitergruppen und nicht deren Durchschnittsbetrag je Beschäftigungseinheit, der, wie wir sehen werden, von einer anderen Reihe von Kräften abhängt. Das Zusammenwirken einer Gruppe von Arbeitern bewirkt den Schutz des relativen Reallohnes. Das allgemeine Niveau der Reallöhne hängt von den anderen Kräften in der Wirtschaft ab. Die Arbeiter sind daher glücklicherweise, obschon unbewußt, instinktiv vernünftigere Ökonomen als die klassische Schule, indem sie sich gegen eine Kürzung der Nominallöhne wehren, die selten oder nie einen allumfassenden Charakter hat, selbst wenn der bestehende Realgegenwert dieser Löhne den marginalen Nutzenverlust durch Arbeit bei der bestehen-
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den Beschäftigung übersteigt, während sie sich einer Kürzung der Reallöhne nicht widersetzen, die mit einer Zunahme der Gesamtbeschäftigung verbunden ist und welche die relativen Nominallöhne unverändert läßt, es sei denn, daß die Kürzung so weit geht, daß der Reallohn unter den marginalen Nutzenverlust durch Arbeit bei der bestehenden Menge der Beschäftigung zu fallen droht. Jede Gewerkschaft wird gegen eine Kürzung der Nominallöhne, auch wenn sie noch so gering ist, einen gewissen Widerstand leisten. Da es aber keiner Gewerkschaft auch nur im Traum einfallen würde, jedesmal, wenn die Lebenshaltungskosten steigen, zu streiken, stellen sie für eine Zunahme der Gesamtbeschäftigung nicht das Hindernis dar, das ihnen die klassische Schule zuschreibt.
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IV. Wir müssen nun die dritte Art von Arbeitslosigkeit definieren, nämlich die „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit im strengen Sinne des Wortes, deren Möglichkeit die klassische Theorie nicht zugibt. Unter „unfreiwilliger“ Arbeitslosigkeit verstehen wir natürlich nicht das bloße Vorhandensein von nicht voll ausgeschöpfter Arbeitskapazität. Ein Achtstundentag bedeutet keine Arbeitslosigkeit, nur weil es nicht über die menschliche Kraft geht, zehn Stunden zu arbeiten. Noch sollten wir unter „unfreiwilliger“ Arbeitslosigkeit das Zurückziehen ihrer Arbeit durch eine Gruppe von Arbeitern verstehen, die nicht unter einem gewissen realen Entgelt arbeiten wollen. Der Einfachheit halber wollen wir ferner „friktionelle“ Arbeitslosigkeit von unserer Definition „unfreiwilliger“ Arbeitslosigkeit ausschließen. Meine Definition ist daher die folgende: Personen sind unfreiwillig arbeitslos, wenn im Falle einer geringen Preissteigerung von Lohngütern im Verhältnis zum Nominallohn sowohl das aggregierte Arbeitsangebot, bei dem laufenden Nominallohn zu arbeiten, als auch die aggregierte Arbeitsnachfrage bei diesem Lohn größer wäre als die bestehende Beschäftigungsmenge. Eine alternative Definition (für das Nichtvorhandensein unfreiwilliger Arbeitslosigkeit – K / S), die jedoch aufs Gleiche hinausläuft, werden wir im nächsten Kapitel geben (S. 23). Es folgt aus dieser Definition, daß die Gleichheit des Reallohnes und des marginalen Nutzenverlustes durch Arbeit, die vom zweiten Postulat vorausgesetzt wird, realistisch ausgelegt, dem Fehlen von „unfreiwilliger“ Arbeitslosigkeit entspricht. Wir werden diesen Zustand als „Voll“-Beschäftigung bezeichnen im Sinne, daß sowohl „friktionelle“ wie „freiwillige“ Arbeitslosigkeit mit der so definierten „Voll“-Beschäftigung vereinbar ist. Wir werden finden, daß dies zu anderen Merkmalen der klassischen Theorie paßt, die am besten als eine Verteilungstheorie
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für Zustände der Vollbeschäftigung betrachtet werden kann. Solange die klassischen Postulate Geltung haben, kann Arbeitslosigkeit, die im oben erwähnten Sinn unfreiwillig ist, nicht vorkommen. Offensichtliche Arbeitslosigkeit muß daher entweder die Folge eines vorübergehenden Arbeitsverlustes vom Typus der friktionellen Arbeitslosigkeit oder von Nachfrageschwankungen nach hochspezialisierten Ressourcen oder der Wirkung eines gewerkschaftlichen „closed shop“ auf die Beschäftigung unorganisierter Arbeiter sein. Autoren in der klassischen Tradition, die die ihrer Theorie zugrunde liegende besondere Voraussetzung übersehen haben, sind somit unvermeidlicherweise zu der auf Grund ihrer Voraussetzung vollständig logischen Folgerung getrieben worden, daß offensichtliche Arbeitslosigkeit (von den zugegebenen Ausnahmen abgesehen) im Grunde auf eine Weigerung der unbeschäftigten Faktoren zurückgeführt werden müsse, ein Entgelt zu akzeptieren, das ihrem Grenzertrag entspricht. Ein klassischer Ökonom mag mit den Arbeitern sympathisieren, die sich weigern, eine Kürzung ihres Nominallohnes anzunehmen, und er wird zugeben, daß es nicht weise sein mag, diese Kürzung vorzunehmen, um vorübergehenden Zuständen zu begegnen; aber wissenschaftliche Lauterkeit zwingt ihn, zu erklären, daß es trotz alledem diese Weigerung ist, die den Schwierigkeiten zugrunde liegt. Wenn die klassische Theorie nur auf den Fall von Vollbeschäftigung anwendbar ist, ist es jedoch offenbar trügerisch, sie auf das Problem der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit anzuwenden – wenn es so etwas gibt (und wer möchte das bestreiten?). Die klassischen Theoretiker gleichen euklidischen Mathematikern in einer nichteuklidischen Welt, die entdecken, daß scheinbar parallele gerade Linien in Wirklichkeit sich oft treffen, und denen kein anderes Mittel gegen die sich ereignenden bedauerlichen Zusammenstöße einfällt, als die Linien zu schelten, daß sie nicht gerade bleiben. Und trotzdem gibt es in Wahrheit kein anderes Mittel, als das Parallelenaxiom über den Haufen zu werfen und eine nichteuklidische Geometrie auszuarbeiten. Etwas Ähnliches wird heute in der Wirtschaftslehre benötigt. Wir müssen das zweite Postulat der klassischen Doktrin aufgeben und das Verhalten eines Wirtschaftssystems ausarbeiten, in dem unfreiwillige Arbeitslosigkeit im strengen Sinn des Wortes möglich ist.
V. Während wir die Punkte hervorheben, in denen wir vom klassischen System abweichen, dürfen wir einen wichtigen Punkt der Überein-
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stimmung nicht übersehen. Wir werden nämlich das erste Postulat wie zuvor beibehalten, mit denselben Einschränkungen wie in der klassischen Theorie, und wir müssen einen Augenblick einhalten, um zu überlegen, was das bedeutet. Es bedeutet, daß – bei gegebener Organisation, Ausrüstung und Technik – Reallöhne und Produktionsmenge (und daher Beschäftigungsmenge) in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen, so daß im allgemeinen die Beschäftigung nur zunehmen kann, wenn die Reallöhne gleichzeitig fallen. Ich bestreite daher diese wesentliche Tatsache nicht, welche die klassischen Ökonomen (ganz richtig) als unantastbar bezeichnet haben. Bei einem gegebenen Stand der Organisation, der Ausrüstung und der Technik hat der durch eine Arbeitseinheit verdiente Reallohn eine eindeutige (inverse) Beziehung zu der Menge der Beschäftigung. Wenn die Beschäftigung zunimmt, muß somit auf kurze Sicht das Entgelt je Arbeitseinheit, in Lohngütern ausgedrückt, im Allgemeinen fallen, und die Gewinne müssen zunehmen8. Das ist einfach die Kehrseite des bekannten Satzes, daß die Wirtschaft normalerweise in der kurzen Periode, während der Ausrüstung usw. als konstant angenommen werden, mit abnehmendem Ertrag arbeitet, so daß der Grenzertrag im Lohngütergewerbe (der die Reallöhne bestimmt) notwendigerweise abnimmt, wenn die Beschäftigung zunimmt. Solange dieser Satz gilt, muß in der Tat jedes Mittel für eine Zunahme der Beschäftigung gleichzeitig zu einer Abnahme des Grenzertrages und daher auch zu einer Abnahme der Löhne führen, in Größen dieser Produkte gemessen. Wenn wir aber das zweite Postulat aufgegeben haben, so ist doch eine Abnahme der Beschäftigung, obschon sie notwendigerweise damit verbunden ist, daß die Arbeiter einen Lohn im Werte einer größeren Menge von Lohngütern erhalten, nicht unbedingt darauf zurückzuführen, daß die Arbeiter eine größere Menge von Lohngütern verlangen, und eine Einwilligung der Arbeiter, niedrigere Nominallöhne anzunehmen, ist nicht unbedingt ein Heilmittel gegen die Arbeitslosigkeit. 8 Der Beweis wird folgendermaßen geführt: Es werden n Arbeiter beschäftigt, der nte Arbeiter fügt der Ernte einen Scheffel je Tag zu, und die Löhne haben eine Kaufkraft von einem Scheffel je Tag. Der
n 1te Arbeiter würde jedoch nur 0,9 Scheffel je Tag zufügen, und die Beschäftigung kann daher nicht auf n 1 Arbeiter steigen, es sei denn, daß der Preis des Getreides im Verhältnis zu den Löhnen stiege, bis die täglichen Löhne eine Kaufkraft von 0,9 Scheffel je Tag haben. Die Lohnsumme würde sich dann auf 9/10
n 1 Scheffel belaufen, verglichen mit n Scheffel vorher. Die Beschäftigung eines weiteren Arbeiters muß somit unbedingt eine Übertragung von Einkommen von denen, die bereits vorher beschäftigt waren, auf die Unternehmer mit sich bringen.
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Die Theorie der Löhne in ihrer Beziehung zur Beschäftigung, auf die wir hier überleiten, kann jedoch nicht völlig erläutert werden, bevor wir zum 19. Kapitel und seinem Anhang gekommen sind.
VI. Seit den Zeiten von Say und Ricardo haben die klassischen Ökonomen gelehrt, daß das Angebot seine eigene Nachfrage schafft – womit sie in einem bedeutsamen, aber nicht klar definierten Sinn meinen, daß die gesamten Produktionskosten, unmittelbar oder mittelbar wieder ausgegeben werden müssen, um diese Erzeugnisse zu kaufen. In J. S. Mills Principles of Political Economy wird die Doktrin ausdrücklich dargestellt. Die Zahlungsmittel für Güter sind schlicht Güter. Die Mittel eines jeden Menschen zur Bezahlung der Erzeugnisse der anderen bestehen in denen, die er selbst besitzt. Alle Verkäufer sind unvermeidlich und im Sinne des Wortes Käufer. Wenn wir die Produktionsskräfte eines Landes plötzlich verdoppeln könnten, würden wir das Angebot der Güter in jedem Markt verdoppeln; gleichzeitig würden wir aber auch auf einen Schlag die Kaufkraft verdoppeln. Jedermann würde gleichzeitig eine verdoppelte Nachfrage wie ein verdoppeltes Angebot hervorbringen; jedermann könnte doppelt so viel kaufen; denn jedermann hätte doppelt so viel zum Tauschen anzubieten9.
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Als eine logische Folge der gleichen Doktrin wurde angenommen, daß jeder einzelne Akt des Konsumverzichts notwendigerweise dazu führen müsse und gleichbedeutend damit sei, daß die Arbeit und die Güter, welche dadurch von der Befriedigung des Konsums frei gestellt werden, für die Erzeugung von Kapitalgütern verwendet würden. Der folgende Absatz aus Marshalls Pure Theory of Domestic Values10 ist ein Beispiel der herkömmlichen Anschauung: Das gesamte Einkommen eines Menschen wird für den Kauf von Dienstleistungen und Waren ausgegeben. Man sagt zwar gemeinhin, daß ein Mensch einen Teil seines Einkommens verbraucht und einen anderen Teil spart, aber es ist ein bekanntes wirtschaftliches Axiom, daß ein Mensch mit dem Teil seines Einkommens, den er spart, genauso Dienstleistungen oder Waren kauft, wie mit dem, den er verbraucht. Man sagt, daß er verbraucht, wenn er aktuelle Befriedigung von den Dienstleistungen und Gütern zu erhalten sucht, die er kauft. Man sagt, daß er spart, wenn er veranlaßt, daß die Dienste und Waren, die er kauft, der Erzeugung von Vermögen gewidmet werden, von dem er erwartet, daß es ihm in der Zukunft Genuß verschaffen werde. 9 10
Principles of Political Economy, Book III, chap. XIV, § 2. S. 34.
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Es stimmt, daß es nicht leicht wäre, ähnliches aus Marshalls späterem Werk11 oder aus den Werken von Edgeworth oder Professor Pigou zu zitieren. Die Doktrin wird heute nie in dieser rohen Form dargestellt. Sie bildet aber trotzdem noch die Grundlage der ganzen klassischen Theorie, ohne die sie zusammenfiele. Zeitgenössische Ökonomen, die vielleicht zögern, mit Mill übereinzustimmen, zögern nicht, Folgerungen anzunehmen, die Mills Doktrin als Voraussetzung fordern. Die Überzeugung, die zum Beispiel fast durch das ganze Werk von Professor Pigou läuft, daß das Geld keinen wirklichen Unterschied mache, es sei denn durch Friktionen, und daß die Theorie der Produktion und Beschäftigung (wie die von Mill) auf der Grundlage „realer“ Tauschhandlungen ausgearbeitet werden könne, wobei das Geld in einem späteren Kapitel der Ordnung halber eingeführt wird, ist die moderne Fassung der klassischen Tradition. Das zeitgenössische Denken ist noch stark von der Vorstellung durchtränkt, daß, wenn die Menschen ihr Geld nicht in einer Weise ausgeben, sie es in einer anderen Weise ausgeben12. Nachkriegsökonomen können diesen Standpunkt zwar selten konsequent vertreten; denn ihr Denken ist heute zu sehr von der entgegengesetzten Tendenz und von Tatsachen der Erfahrung durchdrungen, die ihrer früheren Auffassung zu offensichtlich widersprechen13. Aber sie haben nicht genügend weitgehende Schlüsse gezogen und ihre grundlegende Theorie nicht abgeändert. Erstens mögen diese Schlüsse auf die Art von Volkswirtschaft, in der wir heute leben, durch eine falsche Analogie mit einer Art Nichttausch-Robinson-Crusoe-Wirtschaft angewandt worden sein, in der das durch die Tätigkeit der Menschen geschaffene Einkommen, ob verbraucht 11 Mr. J. A. Hobson weist, nachdem er in seiner Physiology of Industry (S. 102) die obige Passage von Mill zitiert hat, darauf hin, daß Marshall schon in seinen Economics of Industry (S. 154) folgende Bemerkung über diese Passage gemacht hat: „Obschon aber Menschen Kaufkraft haben, mögen sie vorziehen, sie nicht anzuwenden.“ „Aber“, fährt Mr. Hobson fort, „er kann die kritische Wichtigkeit dieser Tatsache nicht erfassen und scheint ihre Wirkung auf Zeiten der Krise zu beschränken.“ Angesichts des späteren Werkes von Marshall scheint mir das nach wie vor ein fairer Kommentar zu sein. 12 Vgl. Alfred and Mary Marshall, Economics of Industry S. 17; „Es ist nicht gut, wenn die Handelswelt Kleider aus Material machen läßt, das sich schnell abträgt; denn wenn die Menschen ihr Einkommen nicht für neue Kleider verbrauchten, würden sie es dazu verwenden, Arbeiter in einer anderen Art zu beschäftigen.“ Der Leser wird bemerken, daß ich wieder den frühen Marshall zitiere. Der Marshall der Principles ist genügend zweifelnd geworden, um sich sehr vorsichtig und ausweichend auszudrücken. Aber die alten Ideen sind nie widerrufen oder aus den Grundvoraussetzungen seines Denkens ausgemerzt worden. 13 Es ist das Verdienst von Prof. Robbins, daß er, beinahe allein, konsequent einen in sich geschlossenen Gedankengang aufrechterhält und seine praktischen Vorschläge dem gleichen System angehören läßt wie seine Theorien.
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oder aufbewahrt, tatsächlich und ausschließlich aus den Gütern besteht, die sie mit ihrer Tätigkeit produziert haben. Davon abgesehen ist aber die Folgerung, daß die Kosten der Produktion immer im Aggregat durch die Summe der aus der Nachfrage resultierenden Verkaufserlöse gedeckt werden, sehr einleuchtend, da sie sehr schwer von einer anderen, ähnlich erscheinenden unzweifelhaften Feststellung unterscheidbar ist, nämlich, daß das gesamte Einkommen, das von allen an der Produktion teilnehmenden Kreisen der Bevölkerung bezogen wird, einen Wert haben muß, der genau gleich dem Wert der Produktion ist. Ebenso ist es natürlich anzunehmen, daß die Tätigkeit, durch die sich ein Einzelner bereichert, ohne sichtlich einem anderen etwas wegzunehmen, das Gemeinwesen als Ganzes genommen bereichern muß, so daß (wie in der soeben angeführten Passage von Marshall) ein individueller Sparakt unvermeidlich zu einer genau entsprechenden Investitionstätigkeit führen muß; denn, ich wiederhole, es ist unbestreitbar, daß die Summe der Vermögenszuwächse der Einzelnen genau gleich dem gesamten Reinvermögenszuwachs des Gemeinwesens sein muß. Die so denken, werden trotzdem durch eine optische Täuschung irregeführt, die zwei im Grunde verschiedene Tätigkeiten als die gleiche erscheinen läßt. Sie nehmen irrtümlicherweise an, daß eine Verknüpfung zwischen Entschlüssen, sich des gegenwärtigen Verbrauchs zu enthalten, und Entschlüssen, für einen zukünftigen Verbrauch vorzusorgen, besteht. Stattdessen sind die Motive, welche letztere bestimmen, nicht in einfacher Weise mit den Beweggründen, die erstere bestimmen, verbunden. Es ist die Voraussetzung, daß der Nachfragewert der Gesamtproduktion und ihr Angebotswert einander gleich sind, die als das „ParallelenAxiom“ der klassischen Theorie betrachtet werden muß. Wird das zugegeben, ergibt sich der Rest von selbst – die sozialen Vorteile privater und nationaler Sparsamkeit, die herkömmliche Stellung zum Zins, die klassische Theorie der Arbeitslosigkeit, die Quantitätstheorie des Geldes, die uneingeschränkten Vorteile des laissez-faire in bezug auf den Außenhandel und vieles andere, was wir in Frage stellen werden.
VII. An verschiedenen Stellen dieses Kapitels haben wir die klassische Theorie von einer Kette von Voraussetzungen abhängen lassen: 1. daß der Reallohn gleich der Nutzeneinbuße durch Arbeit bei der bestehenden Beschäftigung ist;
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2. daß es so etwas wie unfreiwillige Arbeitslosigkeit im strengen Sinn des Wortes nicht gibt; 3. daß das Angebot seine eigene Nachfrage schafft, in dem Sinne, daß der aggregierte Nachfragewert gleich dem aggregierten Angebotswert auf allen Niveaus der Produktion und Beschäftigung ist. Diese drei Voraussetzungen kommen aber alle insofern auf das gleiche hinaus, als sie zusammen stehen und fallen, da eine jede von ihnen logischerweise die beiden anderen einschließt.
Drittes Kapitel
Das Prinzip der effektiven Nachfrage I. 23
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Wir brauchen für den Anfang ein paar Ausdrücke, die wir später genau definieren werden. Bei gegebenem Stand der Technik, Ressourcen und Kosten verursacht die Beschäftigung einer gegebenen Arbeitsmenge dem Unternehmer zwei Arten von Ausgaben: erstens die Beträge, die er den Produktionsfaktoren (die anderer Unternehmer ausgeschlossen) für ihre laufenden Dienste bezahlt, was wir mit Faktorkosten der betrachteten Beschäftigung bezeichnen werden, und zweitens die Beträge, die er anderen Unternehmern für das bezahlt, was er von ihnen kaufen muß, zusammen mit der Einbuße, die er dadurch erleidet, daß er die Ausrüstung verwendet, statt sie brachliegen zu lassen, was wir mit Nutzungskosten der in Frage kommenden Beschäftigung bezeichnen werden1. Der Wertüberschuß der sich ergebenden Produktion über die Summe der Faktorkosten und der Nutzungskosten ist der Gewinn oder, wie wir ihn bezeichnen werden, das Einkommen des Unternehmers. Die Faktorkosten sind, vom Standpunkt des Unternehmers aus betrachtet, natürlich das gleiche, was die Produktionsfaktoren als ihr Einkommen betrachten. Die Faktorkosten und der Unternehmergewinn ergeben daher zusammen die Größe, die wir als das Gesamteinkommen definieren werden, das aus der vom Unternehmer bestimmten Beschäftigung herrührt. Der Gewinn des Unternehmers, so definiert, ist, wie es sein sollte, die Größe, welche er aufs Höchstmaß zu steigern versucht, wenn er entscheidet, wie viel Beschäftigung er anbieten soll. Wenn wir die Sache vom Standpunkt des Unternehmers aus betrachten, ist es manchmal zweckdienlich, das gesamte Einkommen (das heißt Faktorkosten plus Gewinn), das sich aus einer gegebenen Beschäftigungsmenge ergibt, als den Erlös dieser Beschäftigung zu bezeichnen. Andererseits ist der aggregierte Angebotswert2 der Produktion einer gegebenen Beschäftigungsmenge die Erwartung des Erlöses, welche die Unternehmer gerade noch veranlaßt, diese Beschäftigung zu realisieren3. Eine genaue Definition von Nutzungskosten wird im 6. Kap. gegeben werden. Nicht zu verwechseln (siehe unten) mit dem Angebotspreis einer Produktionseinheit im üblichen Sinn dieses Ausdruckes. 3 Der Leser wird bemerken, daß ich die Nutzungskosten sowohl vom Erlös als auch vom aggregierten Angebotswert einer gegebenen Produktionsmenge abziehe, so daß beide Ausdrücke als bereinigt um die Nutzungskosten ausgelegt werden 1 2
3. Kap.: Das Prinzip der effektiven Nachfrage
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Es folgt daraus, daß – bei gegebenem Stand der Technik, Ressourcen und Faktorkosten je Beschäftigungseinheit – die Höhe der Beschäftigung, sowohl in jeder einzelnen Firma und Branche wie auch im ganzen, von dem Umfang der Erlöse abhängt, den die Unternehmer von der entsprechenden Produktion zu erhalten erwarten4. Denn die Unternehmer werden versuchen, die Menge der Beschäftigung auf dem Niveau zu fixieren, von dem sie erwarten, daß es den Überschuß des Erlöses über die Faktorkosten maximiert. Es sei Z der aggregierte Angebotswert der Produktion bei der Beschäftigung von N Arbeitern und es werde das Verhältnis zwischen Z und N mit Z '
N bezeichnet, was die aggregierte Angebotsfunktion genannt werden kann5. Auf die gleiche Art sei D der Erlös, den die Unternehmer von der Beschäftigung von N Personen zu erhalten erwarten, und es werde das Verhältnis zwischen D und N mit D f
N bezeichnet, was die aggregierte Nachfragefunktion genannt werden kann. müssen, während die von den Käufern bezahlten Gesamtsummen natürlich die Nutzungskosten einschließen. Die Zweckdienlichkeit dieses Vorgehens wird sich im 6. Kap. erweisen. Der wesentliche Punkt ist, daß die aggregierten Erlöse und der aggregierte Angebotswert, ausschließlich der Nutzungskosten, einheitlich und unzweideutig definiert werden können, während, da die Nutzungskosten offenbar sowohl von der Integration der Industrie als auch vom Maß abhängen, in dem die Unternehmer voneinander kaufen, es keine Definition von den gesamten von den Käufern bezahlten Summen, einschließlich Nutzungskosten, geben kann, die von diesen Faktoren unabhängig ist. Eine ähnliche Schwierigkeit ergibt sich schon bei der Definition des Angebotspreises im üblichen Sinn für einen einzelnen Produzenten, und im Falle des aggregierten Angebotswertes der Gesamtproduktion ergeben sich Schwierigkeiten der Doppelzählung, auf die man nicht immer gefaßt war. Wenn der Ausdruck als einschließlich Nutzungskosten ausgelegt werden soll, können diese Schwierigkeiten nur durch besondere Annahmen überwunden werden, die sich auf die Zusammenfassung von Unternehmen in Gruppen beziehen, je nachdem, ob sie Verbrauchs- oder Kapitalgüter erzeugen, Voraussetzungen, die an und für sich unklar und kompliziert sind und nicht den Tatsachen entsprechen. Wenn der aggregierte Angebotswert jedoch, wie oben, unter Ausschluß der Nutzungskosten definiert wird, ergeben sich diese Schwierigkeiten nicht. Ich empfehle jedoch dem Leser, die ausführliche Erörterung im 6. Kap. und seinem Anhang abzuwarten. 4 Ein Unternehmer, der zu einem praktischen Entschluß über sein Produktionsniveau kommen muß, stützt sich natürlich nicht auf eine einzige unzweifelhafte Erwartung über den Verkaufserlös einer gegebenen Produktion, sondern auf verschiedene hypothetische Erwartungen von verschiedenen Wahrscheinlichkeits- und Bestimmtheitsgraden. Ich verstehe daher unter seiner Erwartung des Erlöses jene Erwartung des Erlöses, die, wenn sie mit Sicherheit angenommen werden könnte, zum gleichen Verhalten führen würde, wie das Bündel unbestimmter und verschiedener Möglichkeiten, die tatsächlich seinen Stand der Erwartungen ausmachen, wenn er seine Entscheidung trifft. 5 Im 20. Kap. werden wir eine der obigen sehr ähnliche Funktion die Beschäftigungsfunktion nennen.
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Wenn nun für einen gegebenen Wert von N der erwartete Erlös größer als der aggregierte Angebotswert ist, das heißt, wenn D größer als Z ist, werden die Unternehmer einen Ansporn haben, die Beschäftigung über N hinaus zu vermehren, und, falls notwendig, die Kosten zu erhöhen, indem sie miteinander um die Produktionsfaktoren konkurrieren bis zu dem Wert von N, für den Z gleich D geworden ist. Die Menge der Beschäftigung ist somit durch den Schnittpunkt der aggregierten Nachfragefunktion mit der aggregierten Angebotsfunktion gegeben; denn an diesem Punkt ist die Gewinnerwartung der Unternehmer maximal. Wir werden den Wert von D an dem Punkt, an dem die aggregierten Nachfragefunktion sich mit der aggregierten Angebotsfunktion schneidet, die effektive Nachfrage nennen, und da dies der Kern der allgemeinen Theorie der Beschäftigung ist, deren Darlegung wir uns zum Ziel gesetzt haben, werden wir uns in den folgenden Kapiteln überwiegend mit der Untersuchung der verschiedenen Faktoren beschäftigen, von denen diese beiden Funktionen abhängen. Die klassische Doktrin, die kategorisch durch die Behauptung „das Angebot schafft seine eigene Nachfrage“ ausgedrückt zu werden pflegte und die aller orthodoxen Wirtschaftstheorie weiterhin zugrunde liegt, schließt aber eine besondere Annahme über das Verhältnis dieser zwei Funktionen ein. Denn „das Angebot schafft seine eigene Nachfrage“ bedeutet, daß f (N) und ' (N) bei allen Werten von N einander gleich sind, das heißt auf allen Niveaus der Produktion und der Beschäftigung, und daß, wenn Z
'
N der Zunahme von N entsprechend zunimmt, D
f
N um die gleiche Summe wie Z zunehmen muß. Mit andern Worten, die klassische Theorie nimmt an, daß der aggregierte Nachfragewert (oder Erlös) sich immer dem aggregierten Angebotswert anpaßt, so daß, was immer der Wert von N sein mag, der Erlös D einen Wert annimmt, der gleich ist dem aggregierten Angebotswert Z, der zu N gehört. Das heißt, die effektive Nachfrage wird nicht durch einen einzigen Gleichgewichtswert bestimmt, sondern besteht aus einer unendlichen Reihe von Werten, die alle gleich zulässig sind, und die Menge der Beschäftigung ist unbestimmt, soweit ihr nicht durch die marginale Nutzeneinbuße durch Arbeit eine obere Grenze gesetzt wird. Wenn das der Fall wäre, würde der Wettbewerb unter den Unternehmern immer zu einer Ausdehnung der Beschäftigung führen bis zu dem Punkt, an dem das Angebot der Produktion als Ganzes aufhört, elastisch zu sein, das heißt, wenn eine weitere Zunahme des Wertes der effektiven Nachfrage nicht mehr von einer Zunahme der
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Produktion begleitet sein wird. Das ist offenbar dasselbe wie Vollbeschäftigung. Wir haben im vorhergehenden Kapitel eine Definition von Vollbeschäftigung, ausgedrückt im Verhalten der Arbeiter, gegeben. Ein anderes, obschon gleichwertiges Kriterium ist das, zu dem wir eben gekommen sind, nämlich ein Zustand, in dem die gesamte Beschäftigung sich gegenüber einer Zunahme der effektiven Nachfrage nach ihrer Produktion unelastisch verhält. Das Gesetz von Say, nach dem der aggregierte Nachfragewert der Produktion als Ganzes dem aggregierten Angebotswert aller Produktionsmengen gleich ist, ist somit das Äquivalent zu der Behauptung, daß einer Vollbeschäftigung kein Hindernis im Wege steht. Wenn das aber nicht das wahre Gesetz über die Beziehung zwischen den Funktionen der aggregierten Nachfrage und des aggregierten Angebotes ist, gibt es ein Kapitel der Wirtschaftstheorie von wesentlichster Bedeutung, das noch geschrieben werden muß und ohne das alle Erörterungen über die Gesamtmenge der Beschäftigung leere Worte sind.
II. Eine kurze Zusammenfassung der Theorie der Beschäftigung, die im Verlauf der folgenden Kapitel ausgearbeitet werden soll, dürfte das Verständnis auf dieser Stufe erleichtern, selbst wenn sie nicht völlig verständlich sein mag. Die benutzten Ausdrücke werden an passender Stelle sorgfältiger definiert werden. In dieser Zusammenfassung werden wir voraussetzen, daß der Nominallohn und die anderen Faktorkosten je beschäftigte Arbeitseinheit konstant sind. Diese Vereinfachung, die wir später aufgeben werden, ist aber lediglich zur Erleichterung der Ausführung eingeführt. Der wesentliche Charakter der Beweisführung bleibt genau derselbe, ob die Nominallöhne usw. veränderlich sind oder nicht. Der Umriß unserer Theorie kann wie folgt ausgedrückt werden. Wenn die Beschäftigung zunimmt, nimmt das gesamte Realeinkommen zu. Die Psychologie der Bevölkerung ist derart, daß bei einer Zunahme des aggregierten Realeinkommens auch der aggregierte Verbrauch zunimmt, obschon nicht im gleichen Maße wie das Einkommen. Die Unternehmer würden daher einen Verlust erleiden, wenn die gesamte Zunahme der Beschäftigung der Befriedigung der vermehrten Nachfrage für den sofortigen Verbrauch gewidmet würde. Um eine gegebene Beschäftigungsmenge zu rechtfertigen, ist somit ein Betrag laufender Investitionen erforderlich, der groß genug ist, um den Überschuß der gesamten Produktion über die Menge zu absorbieren, die die Bevölkerung gerade verbraucht, wenn die Beschäftigung die gegebene Höhe hat.
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Erstes Buch: Einleitung
Denn wenn dieser Betrag an Investitionen nicht vorhanden ist, werden die Einkünfte der Unternehmer kleiner sein als notwendig ist, um sie zu veranlassen, die gegebene Menge der Beschäftigung anzubieten. Daraus folgt, daß, wenn das, was wir die Konsumneigung der Bevölkerung nennen werden, gegeben ist, das Gleichgewichtsniveau der Beschäftigung – das heißt das Niveau, auf dem die Unternehmer in ihrer Gesamtheit keine Veranlassung haben, die Beschäftigung zu steigern oder zu verringern – von der Menge der laufenden Investitionen abhängt. Die Menge der laufenden Investitionen wird wiederum von dem abhängen, was wir die Anreize zur Investition nennen werden, und wir werden finden, daß die Anreize zur Investition vom Verhältnis zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Gesamtheit der Zinssätze für Anleihen verschiedener Fälligkeiten und Risiken abhängt. Wenn die Konsumneigung und das Niveau neuer Investitionen gegeben sind, wird es somit nur ein Niveau der Beschäftigung geben, das mit dem Gleichgewichtszustand vereinbar ist, weil jedes andere Niveau zur Ungleichheit zwischen dem aggregierten Angebotswert der Gesamtproduktion und dem aggregierten Nachfragewert führen würde. Dieses Niveau kann nicht höher als Vollbeschäftigung sein, das heißt der Reallohn kann nicht niedriger als der marginale Nutzenverlust durch Arbeit sein. Aber es besteht kein allgemeiner Grund anzunehmen, daß es gleich der Vollbeschäftigung sei. Die effektive Nachfrage, verbunden mit Vollbeschäftigung, ist ein Spezialfall, der nur verwirklicht wird, wenn die Konsumneigung und der Anreiz zum Investieren in einem besonderen Verhältnis zueinander stehen. Dieses besondere Verhältnis, das den Annahmen der klassischen Theorie entspricht, ist in einem gewissen Sinn ein Optimum-Verhältnis. Es kann aber nur bestehen, wenn, zufällig oder absichtlich, die laufenden Investitionen eine Nachfragemenge schaffen, die genau gleich ist dem Überschuß des aggregierten Angebotswertes der Produktion, die von Vollbeschäftigung herrührt, über die Menge, die die Bevölkerung bereit ist zu verbrauchen, wenn sie vollbeschäftigt ist. Diese Theorie kann durch die folgenden Sätze zusammengefaßt werden: 1. Bei einem gegebenen Zustand der Technik, Ressourcen und Kosten hängt das Einkommen (Nominaleinkommen wie Realeinkommen) von der Menge der Beschäftigung N ab. 2. Das Verhältnis zwischen dem Einkommen des Gemeinwesens und dem Teil, der voraussichtlich verbraucht werden wird, mit D1 bezeichnet, hängt von psychologischen Merkmalen des Gemeinwesens ab, die
3. Kap.: Das Prinzip der effektiven Nachfrage
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wir seine Konsumneigung nennen werden. Das heißt, der Konsum hängt vom Niveau des gesamten Einkommens und daher vom Niveau der Menge der Beschäftigung N ab, außer, wenn sich die Konsumneigung ändert. 3. Die Arbeitsmenge N, die sich die Unternehmer entschließen zu beschäftigen, hängt von der Summe (D) zweier Größen ab, nämlich von D1 , dem Betrag, den das Gemeinwesen voraussichtlich verbrauchen wird, und von D2 , dem Betrag, den es voraussichtlich für Neuinvestitionen verwenden wird. D ist das, was wir oben die effektive Nachfrage genannt haben. 4. Da D1 D2 D '
N , wobei ' die aggregierte Angebotsfunktion ist, und da, wie wir unter 2. oben gesehen haben, D1 eine Funktion von N ist, welche wir mit
N bezeichnen mögen und welche von der Konsumneigung abhängt, folgt, daß '
N
N D2 . 5. Die Menge der Beschäftigung im Gleichgewichtszustand hängt folglich ab 1. von der aggregierten Angebotsfunktion, ', 2. von der Konsumneigung und 3. von der Menge der Investitionen, D2 . Dies ist der Kern der Allgemeinen Theorie der Beschäftigung. 6. Für jeden Wert von N gibt es einen entsprechenden Grenzertrag der Arbeit in den Lohngüterindustrien, und es ist diese, die den Reallohn bestimmt. Der 5. Satz hängt daher von der Bedingung ab, daß N den Wert nicht übersteigen kann, der den Reallohn auf die Gleichheit mit dem marginalen Nutzenverlust durch Arbeit reduziert. Das bedeutet, daß nicht alle Änderungen in D mit unserer vorübergehenden Voraussetzung, daß die Nominallöhne konstant sind, vereinbar sind. Für die volle Darstellung unserer Theorie wird es somit notwendig sein, diese Voraussetzung aufzuheben. 7. Nach der klassischen Theorie, nach der D '
N für alle Werte von N gilt, ist die Menge der Beschäftigung für alle Werte von N, die unter ihrem Höchstwert sind, in einem neutralen Gleichgewicht, so daß man erwarten kann, daß die Kräfte des Wettbewerbs unter den Unternehmern sie auf ihren Höchstwert treiben werden; nur an diesem Punkt kann es nach der klassischen Theorie ein stabiles Gleichgewicht geben. 8. Wenn die Beschäftigung zunimmt, wird D1 zunehmen, aber nicht im gleichen Maße wie D, da, wenn unser Einkommen zunimmt, auch unser Verbrauch zunimmt, aber nicht im gleichen Maße. Der Schlüssel zu unserem praktischen Problem ist in diesem psychologischen Gesetz zu finden. Denn es folgt daraus, daß, je größer die Menge der Beschäftigung, desto größer die Kluft zwischen dem aggregierten Angebotswert
Z der entsprechenden Produktion und der Summe
D1 ; welche die Unter-
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Erstes Buch: Einleitung
nehmer erwarten können, durch die Ausgaben der Verbraucher zurückzubekommen. Wenn sich die Konsumneigung nicht ändert, kann folglich auch die Beschäftigung nicht zunehmen, es sei denn, daß D2 gleichzeitig zunimmt, um die zunehmende Kluft zwischen Z und D1 auszufüllen. Von den besonderen Voraussetzungen der klassischen Theorie abgesehen, nach denen es eine Kraft gibt, die, wenn die Beschäftigung zunimmt, D2 immer veranlaßt, genügend zuzunehmen, um die wachsende Kluft zwischen Z und D1 auszufüllen, kann sich die Gesamtwirtschaft somit in einem stabilen Gleichgewicht befinden, mit N auf einem Niveau, das unter der Vollbeschäftigung liegt, nämlich auf dem Niveau, das durch den Schnittpunkt der aggregierten Nachfragefunktion und der aggregierten Angebotsfunktion bestimmt wird. Die Menge der Beschäftigung wird nicht durch die marginale Nutzeneinbuße durch Arbeit, in Reallöhnen ausgedrückt, bestimmt, außer insoweit als das Arbeitsangebot, das zu einem gegebenen Reallohn verfügbar ist, der Menge der Beschäftigung eine Höchstgrenze setzt. Die Konsumneigung und die Höhe der Neuinvestitionen bestimmen unter sich die Menge der Beschäftigung, und die Menge der Beschäftigung steht in einer eindeutigen Beziehung zu einem gegebenen Niveau der Reallöhne – und nicht umgekehrt. Wenn die Konsumneigung und das Niveau der Neuinvestitionen zu einer unzureichenden effektiven Nachfrage führen, wird das tatsächliche Niveau der Beschäftigung hinter dem Arbeitsangebot zurückbleiben, das zum bestehenden Reallohn potentiell verfügbar ist, und der gleichgewichtige Reallohn wird größer als der marginale Nutzenverlust durch Arbeit beim Gleichgewichtsniveau der Beschäftigung sein. Diese Analyse gibt uns eine Erklärung für das Paradox der Armut mitten im Überfluß. Denn das bloße Vorhandensein einer unzureichenden effektiven Nachfrage kann und wird oft die Zunahme der Beschäftigung zum Stillstand bringen, bevor ein Niveau der Vollbeschäftigung erreicht worden ist. Die Unzulänglichkeit der effektiven Nachfrage wird den Produktionsprozeß hemmen, obschon der Grenzertrag der Arbeit immer noch den Wert des marginalen Nutzenverlusts durch Arbeit übersteigt. Ferner, je reicher das Gemeinwesen, umso größer wird die Tendenz, daß sich die Kluft zwischen der tatsächlichen und der potentiellen Produktion erweitert und daher umso augenscheinlicher und empörender die Mängel unserer wirtschaftlichen Ordnung. Denn ein armes Gemeinwesen wird geneigt sein, weitaus den größten Teil seiner Produktion zu verbrauchen, so daß ein sehr bescheidenes Maß von Investition
3. Kap.: Das Prinzip der effektiven Nachfrage
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genügt, um einen Zustand der Vollbeschäftigung zu schaffen, während ein reiches Gemeinwesen viel weitergehende Investitionsgelegenheiten entdecken muß, wenn die Sparneigung der reicheren Mitglieder mit der Beschäftigung der ärmeren vereinbart werden soll. Wenn in einem potentiell reichen Gemeinwesen die Anreize zu investieren schwach sind, wird es das Prinzip der effektiven Nachfrage, trotz seines potentiellen Reichtums, zwingen, seine tatsächliche Produktion zu verringern, bis es, trotz seines potentiellen Reichtums, so arm geworden ist, daß sein Überschuß über seinen Verbrauch genügend verringert worden ist, um den schwachen Anreizen zu investieren zu entsprechen. Aber noch schlimmer. Nicht nur ist die marginale Konsumneigung6 in einem reichen Gemeinwesen schwächer, sondern es sind auch, wegen der bereits größeren Kapitalakkumulation, die Gelegenheiten für weitere Investitionen weniger attraktiv, es sei denn, daß der Zinssatz genügend rasch fällt. Dies führt uns zur Theorie des Zinses und zu den Gründen, warum dieser nicht automatisch auf die angemessene Höhe fällt, womit sich unser viertes Buch beschäftigen wird. Die Analyse der Konsumneigung, die Definition der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und die Theorie des Zinses sind somit die drei Hauptlücken in unserem bestehenden Wissen, die ausgefüllt werden müssen. Wenn das getan sein wird, werden wir finden, daß die Theorie der Preise sich auf ihren richtigen Platz einfügt als ein unserer allgemeinen Theorie untergeordneter Gegenstand. Wir werden aber entdecken, daß das Geld eine wesentliche Rolle in unserer Theorie des Zinses spielt, und wir werden versuchen, die besonderen Merkmale des Geldes zu entwirren, die es von anderen Dingen unterscheiden.
III. Die Anschauung, daß wir die aggregierte Nachfragefunktion ohne weiteres vernachlässigen können, bildet die Basis der Wirtschaftslehre von Ricardo, die dem, was man uns über ein Jahrhundert lang gelehrt hat, zugrunde liegt. Malthus hat zwar Ricardos Doktrin, daß die effektive Nachfrage unmöglich unzureichend sein könne, heftig widersprochen, aber umsonst. Weil nämlich Malthus nicht deutlich erklären konnte (von einer Berufung auf allgemeine Erfahrungstatsachen abgesehen), wie und warum die effektive Nachfrage unzureichend oder übermäßig sein könne, mißlang ihm die Bereitstellung einer alternativen Theorie, und Ricardo hat England so vollständig erobert wie die 6
Im 10. Kap. definiert.
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Erstes Buch: Einleitung
Heilige Inquisition Spanien. Nicht nur wurde seine Theorie von der „City‘‘, von Staatsmännern und von der akademischen Welt angenommen, sondern der wissenschaftliche Streit nahm ein Ende; der andere Standpunkt verschwand vollkommen; man hörte auf, ihn zu erörtern. Das große Rätsel der effektiven Nachfrage, mit dem Malthus gerungen hatte, verschwand aus der wirtschaftlichen Literatur. Man wird sie in den gesamten Werken von Marshall, Edgeworth und Prof. Pigou, die der klassischen Theorie ihre reifste Verkörperung gaben, auch nicht ein einziges Mal nur erwähnt finden. Sie konnte nur verstohlen unter der Oberfläche weiterleben, in den Unterwelten von Karl Marx, Silvio Gesell oder Major Douglas. Der völlige Sieg Ricardos erscheint merkwürdig und rätselhaft. Er muß dem Umstand zugeschrieben werden, daß die Doktrin in hohem Maße der Umwelt angepaßt war, in die sie geworfen wurde. Daß sie Schlüsse zog, die grundverschieden waren von dem, was eine gewöhnliche uninformierte Person erwartet hatte, hat ihr intellektuelles Prestige, meine ich, nur gesteigert. Daß ihre Lehre, aufs wirkliche Leben übertragen, hart und oft ungenießbar war, verlieh ihr Tugend. Daß sie geeignet war, einen mächtigen und logisch konsequenten Überbau zu tragen, gab ihr Schönheit. Daß sie erklären konnte, daß eine Menge sozialer Ungerechtigkeiten und scheinbarer Grausamkeiten unvermeidliche Zwischenfälle im Fortschrittsplan seien und daß jeder Versuch, solche Zustände zu ändern, im Ganzen voraussichtlich mehr Schaden als Gutes bringen würde, empfahl sie den Regierungsbehörden. Daß sie den uneingeschränkten Tätigkeiten der einzelnen Kapitalisten eine gewisse Rechtfertigung gewährte, brachte ihr die Unterstützung der herrschenden sozialen Macht, die hinter der Regierung stand. Aber obschon die Doktrin selbst bis vor kurzem von den orthodoxen Ökonomen unangefochten blieb, hat ihr ausgesprochenes Versagen für Zwecke wissenschaftlicher Voraussage im Laufe der Zeit das Ansehen derer, die sie praktizierten, sehr geschmälert. Denn die professionellen Ökonomen nach Malthus wurden offenbar von der mangelnden Übereinstimmung zwischen den Folgerungen ihrer Theorie und den Erfahrungstatsachen nicht berührt – eine Diskrepanz, die dem gewöhnlichen Manne nicht entging, mit der Folge, daß er den Ökonomen mehr und mehr die Achtung verweigert, die er anderen Gelehrten zollt, deren theoretische Folgerungen durch die Beobachtung bestätigt werden, wenn sie an der Empirie gemessen werden. Der berühmte Optimismus der traditionellen ökonomischen Theorie, der dazu geführt hat, daß jeder Ökonom als Candide (Romanfigur von Voltaire – Anm. K / S) angesehen wird, der nach Verlassen dieser Welt
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sich der Bebauung seines Gartens widmet und lehrt, daß alles aufs beste in dieser besten der möglichen Welten geregelt ist, wenn nur alles sich selbst überlassen bleibt, scheint mir auch auf deren Unterlassung zurückzuführen zu sein, die Hemmung des Wohlstandes zu berücksichtigen, die durch einen Mangel an effektiver Nachfrage ausgeübt werden kann. Denn in einer nach der Art der klassischen Postulate funktionierenden Gesellschaft müßte es offenkundig eine natürliche Tendenz zur optimalen Beschäftigung der Ressourcen geben. Es ist gut möglich, daß die klassische Theorie die Art des Verhaltens unserer Wirtschaft repräsentiert, die wir gerne sähen. Aber anzunehmen, daß sie sich tatsächlich so verhält, heißt, unsere Schwierigkeiten einfach wegzudefinieren.
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ZWEITES BUCH
Definitionen und Ideen
Viertes Kapitel
Die Wahl der Einheiten I. Wir werden uns in diesem und den nächsten drei Kapiteln mit dem Versuch beschäftigen, gewisse Verwirrungen aufzuklären, die keine besondere oder ausschließliche Bedeutung für die Probleme haben, deren Untersuchung wir uns als besonderes Ziel gesetzt haben. Diese Kapitel haben somit das Wesen einer Abschweifung, die uns eine Zeitlang daran hindern wird, unser Hauptthema zu verfolgen. Der Gegenstand wird hier nur erörtert, weil er nicht bereits anderweitig in einer Art behandelt worden ist, die ich den Erfordernissen meiner eigenen besonderen Untersuchung angemessen finde. Die drei Verwirrungen, die meinen Fortschritt im Schreiben dieses Buches am meisten gehemmt haben, so daß ich mich nicht passend ausdrücken konnte, bis ich eine Lösung für sie gefunden hatte, sind: erstens die Wahl der Mengeneinheiten, die den Problemen des Wirtschaftssystems als Ganzes angemessen sind; zweitens die Rolle, die die Erwartung in der wirtschaftlichen Analyse spielt, und drittens die Definition des Einkommens.
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II. Daß die Einheiten, auf deren Grundlage die Ökonomen gewöhnlich arbeiten, unbefriedigend sind, kann durch die Begriffe Nationaleinkommen, Bestand an Realkapital und Allgemeines Preisniveau veranschaulicht werden: 1. Das Nationaleinkommen, wie es von Marshall und Professor Pigou1 definiert wird, mißt die Menge der laufenden Produktion oder das Realeinkommen und nicht den Wert der Produktion oder das Geldeinkommen2. Es hängt ferner in einem gewissen Sinn vom Nettoprodukt ab – das heißt von der Nettozunahme der Ressourcen des Gemeinwesens, die für den Verbrauch oder für die Erhaltung des Kapitalbestandes verfügbar ist, als Folge der wirtschaftlichen Tätigkeiten und Einbußen der laufenden Periode und unter Berücksichtigung der AbVgl. Pigou, Economics of Welfare, passim und besonders Part I, chap. 3. Obschon als bequemer Kompromiß das Realeinkommen, was genommen wird, um das Nationaleinkommen darzustellen, gewöhnlich auf jene Güter und Dienstleistungen beschränkt wird, die für Geld gekauft werden können. 1 2
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Zweites Buch: Definitionen und Ideen
nutzung des Bestandes an Realkapital, der zu Beginn der Periode vorhanden war. Auf dieser Grundlage wird versucht, eine quantitative Wissenschaft aufzubauen. Ein schwerwiegender Einwand gegen diese Definition für einen solchen Zweck ist aber, daß die Produktion von Gütern und Dienstleistungen des Gemeinwesens ein nicht homogener Komplex ist, der genau genommen nicht gemessen werden kann, mit Ausnahme gewisser Sonderfälle, wie zum Beispiel, wenn alle Bestandteile einer Produktion im gleichen Verhältnis in einer anderen Produktion enthalten sind. 2. Die Schwierigkeit ist noch größer, wenn wir, um das Nettoprodukt zu berechnen, versuchen, die Nettozunahme zur Kapitalausrüstung zu messen; denn wir müssen irgendeine Grundlage für einen Mengenvergleich finden zwischen den neuen Ausrüstungsgegenständen, die während der Periode erzeugt worden sind, und den alten Bestandteilen, die durch Abnutzung zugrunde gegangen sind. Um zum Nettonationaleinkommen zu gelangen, zieht Professor Pigou3 das Veralten usw. ab, „das fairerweise ,normal‘ genannt werden kann; und das praktische Merkmal von Normalität ist, daß die Abnahme regelmäßig genug ist, um, wenn nicht im einzelnen, so doch im ganzen vorausgesehen werden zu können.“ Da aber dieser Abzug kein Abzug in Geld ist, ist er gezwungen, die Möglichkeit einer Veränderung in physischen Mengen anzunehmen, obschon es keine physischen Veränderungen gegeben hat; das heißt, er führt verstohlen Änderungen in Wertgrößen ein. Er kann überdies keine befriedigende Formel4 für die Bewertung der neuen Ausrüstung im Vergleich zur alten erdenken, wenn die beiden infolge von Änderungen in der Technik nicht identisch sind. Ich glaube, daß der Begriff, nach dem Professor Pigou strebt, der richtige und passende Begriff für die wirtschaftliche Analyse ist. Solange aber kein befriedigendes System von Einheiten angenommen worden ist, bleibt die genaue Definition des Begriffes eine unmögliche Aufgabe. Das Problem, ein Realprodukt mit einem anderen zu vergleichen und dann das Nettoprodukt durch die Gegenüberstellung von neuen Bestandteilen der Ausrüstung gegen die Abnutzung von alten Bestandteilen zu berechnen, gibt uns Rätsel auf, die, man kann es mit Überzeugung sagen, keine Lösung zulassen. 3. Das wohlbekannte, aber unvermeidliche Element der Unklarheit, das zugestandenermaßen dem Begriff des allgemeinen Preisniveaus an3 Economics of Welfare, Part. I, chap. V: „Was man unter Kapital unversehrt bewahren versteht“; mit einer Abänderung durch einen neueren Aufsatz im Economic Journal, June 1935, p. 225. 4 Vgl. Prof. Hayeks Kritik, Economica, Aug. 1935, p. 247.
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haftet, macht diesen Ausdruck für die Zwecke einer Kausalanalyse, die genau sein sollte, sehr unbefriedigend. Diese Schwierigkeiten werden trotzdem mit Recht als „Rätsel“ angesehen. Sie sind „rein theoretisch“, insofern, als sie geschäftliche Entschlüsse nie verwirren oder gar in irgendeiner Art beeinflussen und auch keine Beziehung zur ursächlichen Aufeinanderfolge von wirtschaftlichen Ereignissen haben, die, trotz der quantitativen Unbestimmtheit dieser Begriffe, klar und bestimmt sind. Es ist daher natürlich anzunehmen, daß sie nicht nur ungenau, sondern auch unnötig sind. Es ist klar, daß unsere ursächliche Analyse dargestellt werden muß, ohne quantitativ ungenaue Ausdrücke zu benutzen. Und wirklich wird es, wie ich zu zeigen hoffe, sobald man diesen Versuch macht, offenbar, daß man ohne sie viel besser weiterkommt. Die Tatsache, daß zwei nicht vergleichbare Zusammenfassungen verschiedener Gegenstände keine Unterlage für eine quantitative Analyse bieten können, braucht uns natürlich nicht davon abzuhalten, ungefähre statistische Vergleiche zu machen, die sich mehr auf ein allgemeines Urteil als auf strenge Berechnung stützen, und die innerhalb gewisser Grenzen Signifikanz und Gültigkeit haben mögen. Der eigentliche Ort aber für Dinge, wie das reale Nettoprodukt und das allgemeine Preisniveau, liegt im Bereich geschichtlicher und statistischer Beschreibung, und ihr Zweck sollte sein, geschichtliche und soziale Neugierde zu befriedigen, ein Zweck, für den völlige Genauigkeit – wie sie für unsere Kausalanalyse erforderlich ist, ob nun unsere Kenntnis der tatsächlichen Werte und maßgebenden Mengen vollständig sei oder nicht – weder gebräuchlich noch notwendig ist. Die Behauptung, daß das Nettoprodukt heute größer, aber das Preisniveau niedriger ist als vor zehn Jahren oder vor einem Jahr, gleicht in ihrem Wesen der Feststellung, daß Königin Viktoria eine bessere Königin, aber keine glücklichere Frau war als Königin Elisabeth – eine Behauptung, die nicht ohne Bedeutung und nicht ohne Interesse, aber unbrauchbar als Grundlage für die Differentialrechnung ist. Unsere Genauigkeit wird eine Scheingenauigkeit sein, wenn wir versuchen, solche teilweise ungenauen und nicht quantitativen Begriffe als Grundlage für eine quantitative Analyse zu benützen.
III. Halten wir fest: Bei jeder einzelnen Gelegenheit hat ein Unternehmer Entscheidungen über die Ausnützung einer gegebenen Kapitalausrüstung zu treffen, und wenn wir sagen, daß die Erwartung einer vermehrten
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Zweites Buch: Definitionen und Ideen
Nachfrage, das heißt eine Erhöhung der aggregierten Nachfragefunktion, zu einer Zunahme der Gesamtproduktion führen wird, meinen wir tatsächlich, daß die Firmen, die die Kapitalausrüstung besitzen, veranlaßt sein werden, mit ihr eine größere Gesamtbeschäftigung von Arbeit zu verbinden. Im Falle einer einzelnen Firma oder einer Industrie, die ein homogenes Erzeugnis erstellt, können wir, wenn wir wollen, mit Recht von Zunahmen und Abnahmen der Produktion sprechen. Wenn wir aber die Tätigkeit aller Firmen zusammenfassen, können wir uns nicht genau äußern, es sei denn, daß wir uns in Mengen der Beschäftigung ausdrükken, die bei gegebener Ausrüstung eingesetzt wird. Die Begriffe Gesamtproduktion und deren Preisniveau sind in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, da wir ein absolutes Maß der laufenden Gesamtproduktion nicht brauchen, das uns ermöglichen würde, ihre Menge mit der Menge zu vergleichen, die sich aus der Verbindung einer anderen Kapitalausrüstung mit einer anderen Beschäftigungsmenge ergeben würde. Wenn wir zum Zwecke von Beschreibungen oder ungefähren Vergleichen von einer Zunahme der Produktion sprechen wollen, müssen wir uns auf die allgemeine Voraussetzung verlassen, daß die Menge der Beschäftigung, die mit einer gegebenen Kapitalausrüstung verbunden ist, ein befriedigender Index der Menge der sich aus ihr ergebenden Produktion ist, wobei vorausgesetzt wird, daß die beiden zusammen zu- und abnehmen, obschon nicht in einem bestimmten zahlenmäßigen Verhältnis. Ich schlage daher bei der Behandlung der Theorie der Beschäftigung vor, nur zwei grundlegende Mengeneinheiten zu gebrauchen, nämlich Mengen von Nominalwerten und Mengen der Beschäftigung. Die erste dieser Mengen ist streng homogen, und die andere kann so gestaltet werden; denn insofern verschiedene Güteklassen und Arten von Arbeit und bezahlter Hilfe in einem mehr oder weniger festen Verhältnis entlohnt werden, kann die Menge der Beschäftigung für unseren Zweck genügend definiert werden, indem wir die Beschäftigung einer Stunde gewöhnlicher Arbeit als unsere Einheit nehmen und die Beschäftigung einer Stunde besonderer Arbeit im Verhältnis zu ihrer Entlohnung bewerten; das heißt, eine Stunde besonderer Arbeit, die zum doppelten gewöhnlichen Satz entlohnt wird, wird als zwei Einheiten zählen. Wir werden die Einheit, in der die Menge der Beschäftigung gemessen wird, die Arbeitseinheit und den Nominallohn einer Arbeitseinheit die Lohneinheit nennen5. Wenn somit E die Lohn- (und 5 Wenn X für irgendeine in Geld gemessene Menge steht, wird es oft bequem sein, Xw für die gleiche in Lohneinheiten gemessene Menge zu schreiben.
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Gehalts-)summe, W die Lohneinheit und N die Menge der Beschäftigung ist, so ist E N W . Diese Annahme der Gleichartigkeit des Arbeitsangebots wird durch die augenscheinliche Tatsache großer Unterschiede in der spezialisierten Geschicklichkeit einzelner Arbeiter und ihrer Eignung für verschiedene Beschäftigungen nicht gestört. Denn wenn die Entlohnung der Arbeiter im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit steht, werden die Unterschiede durch unsere Annahme berücksichtigt, daß die Einzelnen im Verhältnis zu ihrer Entlohnung zum Arbeitsangebot beitragen, während, wenn bei steigendem Output eine gegebene Firma Arbeiter einsetzen muß, die immer und immer weniger je bezahlter Lohneinheit leisten, dann ist das lediglich ein Faktor unter anderen, der zu einem abnehmenden Ertrag der Kapitalausrüstung, gemessen in Outputeinheiten, führt, wenn diese mit mehr Arbeit verbunden wird. Wir erfassen sozusagen die Inhomogenität von gleich entlohnten Arbeitseinheiten in der Ausrüstung, die wir im Maße der zunehmenden Produktion als immer weniger geeignet betrachten, die verfügbaren Arbeitseinheiten zu beschäftigen, statt die verfügbaren Arbeitseinheiten als immer weniger geeignet zu betrachten, eine homogene Kapitalausrüstung auszunützen. Wenn es somit keinen Überschuß spezialisierter oder gelernter Arbeiter gibt und die Verwendung von weniger geeigneten Arbeitern höhere Arbeitskosten je Produktionseinheit bedingt, bedeutet dies, daß die Rate, mit der der Ertrag einer Ausrüstung bei zunehmender Beschäftigung abnimmt, höher ist, als wenn es einen solchen Überschuß gäbe6. Selbst der Grenzfall, wenn verschiedene Arbeitseinheiten so hoch spezialisiert sind, daß sie sich überhaupt nicht gegeneinander austauschen lassen, bringt uns nicht in Verlegenheit; denn dies bedeutet lediglich, daß die Elastizität des Produktionsangebotes einer besonderen Art Kapitalausrüstung plötzlich auf Null fällt, wenn alle verfügbaren Arbeiter, die für ihre Verwendung spezialisiert sind, bereits 6 Das ist der Hauptgrund, warum der Angebotspreis der Produktion bei zunehmender Nachfrage sogar dann steigt, wenn es noch einen Überschuß an Ausrüstung in der gleichen Art gibt wie die, die im Gebrauch ist. Wenn wir annehmen, daß das überschüssige Arbeitsangebot einen Pool bildet, der allen Unternehmern in gleicher Weise zur Verfügung steht, und daß die Arbeiter, die für einen gegebenen Zweck beschäftigt werden, wenigstens teilweise je Leistungseinheit entschädigt werden und nicht streng nach ihrer Effizienz in ihrer besonderen Beschäftigung (was in den meisten Fällen eine realistische Annahme ist), ist die abnehmende Leistungsfähigkeit der beschäftigten Arbeiter ein hervorstechendes Beispiel eines steigenden Angebotspreises mit zunehmender Produktion, der nicht auf interne Kostenprogression zurückzuführen ist.
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beschäftigt sind7. Unsere Annahme einer homogenen Arbeitseinheit bringt daher keine Schwierigkeit, es sei denn, daß die relative Entlohnung der verschiedenen Arbeitseinheiten sehr unbeständig ist, und selbst diese Schwierigkeit kann, wenn sie sich ergibt, überwunden werden, indem wir eine große Bereitschaft zur Änderung beim Arbeitsangebot und in der Form der aggregierten Angebotsfunktion voraussetzen. Ich glaube, daß viel unnötige Verwirrung vermieden werden kann, wenn wir uns streng an die zwei Einheiten Geld und Arbeit halten, wenn wir uns mit dem Verhalten des Wirtschaftssystems als Ganzes beschäftigen und den Gebrauch von Einheiten einzelner Produktionen und Ausrüstungen für die Gelegenheiten aufsparen, wo wir die Produktion einzelner Firmen oder Gewerbezweige für sich genommen analysieren, und den Gebrauch unbestimmter Begriffe, wie die gesamte Produktionsmenge, die Menge der gesamten Kapitalausrüstung und das allgemeine Preisniveau, für die Gelegenheiten aufsparen, wenn wir geschichtliche Vergleiche anstreben, die innerhalb gewisser (vielleicht ziemlich weiter) Grenzen zugegebenermaßen ungenau und ungefähr sind. 7 Wie die Angebotskurve im gewöhnlichen Gebrauch mit dieser Schwierigkeit zurechtkommen soll, weiß ich nicht, da jene, die diese Kurve anwenden, ihre Annahmen nicht sehr klar gemacht haben. Wahrscheinlich nehmen sie an, daß für einen gegebenen Zweck beschäftigte Arbeiter immer streng nach ihrer Effizienz für diesen Zweck entlohnt werden. Aber das entspricht nicht der Wirklichkeit. Der maßgebende Grund für die Behandlung der sich ändernden Effizienz der Arbeiter in einer Art, als ob sie zur Ausrüstung gehörte, liegt vielleicht darin, daß die zunehmenden Überschüsse, die sich bei zunehmender Produktion ergeben, in Wirklichkeit hauptsächlich den Besitzern der Ausrüstung zugute kommen und nicht den leistungsfähigeren Arbeitern (obschon diese durch regelmäßigere Beschäftigung und frühere Beförderung einen Vorteil erzielen mögen); das heißt, Menschen von ungleicher Effizienz, die an der gleichen Aufgabe arbeiten, werden selten nach Sätzen bezahlt, die in engem Verhältnis zu ihrer Effizienz stehen. Wo jedoch eine erhöhte Bezahlung für höhere Effizienz vorkommt und im Maße, in dem sie vorkommt, wird sie von meiner Methode berücksichtigt, indem durch die Berechnung der Zahl der beschäftigten Arbeitseinheiten die einzelnen Arbeiter im Verhältnis zu ihrer Entlohnung bewertet werden. Auf Grund meiner Annahmen werden sich offenbar interessante Komplikationen ergeben, wenn wir uns mit einzelnen Angebotskurven beschäftigen, da ihre Formen von der Nachfrage nach geeigneten Arbeitern aus anderen Richtungen abhängen werden. Diese Komplikationen zu übersehen, wäre, wie ich gesagt habe, unrealistisch. Aber wir brauchen sie nicht zu berücksichtigen, wenn wir uns mit der Gesamtbeschäftigung befassen, vorausgesetzt, daß wir annehmen, daß eine gegebene Menge effektiver Nachfrage sich in bestimmter Art auf verschiedene Erzeugnisse verteilt, die in eindeutiger Weise mit ihr verbunden sind. Es mag jedoch sein, daß dies nicht ohne Rücksicht auf die besonderen Ursachen der Änderung in der Nachfrage zutrifft. Zum Beispiel eine Zunahme der effektiven Nachfrage infolge einer gesteigerten Konsumneigung mag einer anderen aggregierten Angebotsfunktion gegenüberstehen als eine gleiche Zunahme infolge vermehrter Anreize zur Investition. All dies gehört aber zu der Detailanalyse der hier ausgeführten allgemeinen Ideen, deren Durchführung nicht meine unmittelbare Absicht ist.
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Daraus folgt, daß wir Änderungen in der laufenden Produktion messen werden durch Bezug auf die Zahl der auf die bestehende Kapitalausrüstung angewandten bezahlten Arbeitsstunden (sei es, um die Verbraucher zu befriedigen oder um neue Kapitalausrüstung zu produzieren), wobei wir die Arbeitsstunden gelernter Arbeiter im Verhältnis zu ihrer Entlohnung bewerten. Wir benötigen keinen Mengenvergleich zwischen dieser Produktion und der Produktion, die sich durch die Verbindung einer anderen Gruppe von Arbeitern mit einer anderen Kapitalausrüstung ergeben würde. Um das Verhalten der Unternehmer, die eine gegebene Ausrüstung besitzen, bei einer Verschiebung in der aggregierten Nachfragefunktion vorauszusagen, braucht man nicht zu wissen, wie die Menge der sich ergebenden Produktion, der Lebensstandard und das allgemeine Preisniveau im Vergleich zu denen eines anderen Zeitpunktes oder in einem anderen Lande wären.
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IV. Es kann leicht gezeigt werden, daß die Bedingungen des Angebotes, wie sie gewöhnlich durch die Angebotskurve ausgedrückt werden, und die Angebotselastizität, die den Output in Beziehung zum Preis setzt, mit unseren beiden gewählten Einheiten mittels der aggregierten Angebotsfunktion analysiert werden können, ohne daß wir uns auf Produktionsmengen zu beziehen brauchen, ob wir uns mit einer einzelnen Firma oder Branche oder mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit beschäftigen. Denn die aggregierte Angebotsfunktion für eine gegebene Firma (und in gleicher Weise für eine gegebene Branche oder für die Wirtschaft als Ganzes) wird durch die Formel Zr 'r
Nr ; angegeben, wobei Zr der Erlös (bereinigt um die Nutzungskosten) ist, dessen Erwartung ein Beschäftigungsniveau Nr verursacht. Wenn daher eine solche Beziehung zwischen Beschäftigung und Produktion besteht, daß eine Beschäftigung Nr eine Produktion Or ergibt, wobei Or
Nr , so folgt, daß p
Zr Ur
Nr 'r
Nr Ur
Nr Or r
N r
die gewöhnliche Angebotskurve ist, wobei Ur
Nr die (erwarteten) Nutzungskosten sind, die zu einem Niveau der Beschäftigung Nr gehören.
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Für jede gleichartige Ware, für die Or r
Nr eine bestimmte Bedeutung hat, können wir somit die Gleichung Zr 'r
Nr auf die übliche Weise bilden; wir können aber dann die Nr in einer Weise aggregieren, in der wir die Or nicht aggregieren können, weil Or keine numerische Menge ist. Wenn wir überdies annehmen können, daß in einer gegebenen Umwelt eine gegebene aggregierte Beschäftigung in einer eindeutigen Weise zwischen verschiedenen Branchen aufgeteilt ist, so daß Nr eine Funktion von N ist, werden weitere Vereinfachungen möglich.
Fünftes Kapitel
Erwartung als Bestimmungsgrund von Produktion und Beschäftigung I. Jede Produktion dient letzten Endes der Befriedigung des Verbrauchers. Zwischen den in Hinblick auf den Verbraucher getätigten Aufwendungen des Erzeugers und dem Ankauf der Produktion durch den endgültigen Verbraucher vergeht aber gewöhnlich Zeit und manchmal sogar viel Zeit. Inzwischen muß der Unternehmer (unter welcher Bezeichnung wir sowohl den Erzeuger als den Investor einschließen) seine bestmöglichen Erwartungen1 über den Preis bilden, den die Verbraucher zu bezahlen bereit sein werden, wenn er nach Ablauf eines möglicherweise langen Zeitabschnittes, sie (unmittelbar oder mittelbar) beliefern kann; und er hat keine andere Wahl, als sich durch diese Erwartungen leiten zu lassen, wenn er überhaupt mit Zeit beanspruchenden Verfahren produzieren will. Diese Erwartungen, auf die sich die Geschäftsentscheidungen stützen, fallen in zwei Gruppen; bestimmte Individuen oder Firmen spezialisieren sich auf die Herausbildung der ersten Gruppe von Erwartungen und andere auf die Herausbildung der zweiten Gruppe. Die erste Art befaßt sich mit dem Preis, den ein Fabrikant für seine „fertige“ Produktion zu dem Zeitpunkt erwarten kann, zu dem er das sie erzeugende Verfahren in Gang setzt, wobei (vom Standpunkt des Fabrikanten aus) die Produktion in dem Zustand als „fertig“ angesehen wird, in dem sie gebraucht oder an jemand anderen verkauft werden kann. Die zweite Art von Erwartung befaßt sich mit dem, was der Unternehmer in der Form zukünftiger Erträge zu verdienen hoffen kann, wenn er „fertige“ Produkte für seine Kapitalausrüstung hinzukauft (oder vielleicht herstellt). Wir wollen das erste die kurzfristigen Erwartungen und das zweite die langfristigen Erwartungen nennen. Das Verhalten jeder einzelnen Firma bei der Entscheidung über die tägliche2 Produktion wird somit durch ihre kurzfristigen Erwartungen bestimmt: Erwartungen über die Kosten der Produktion bei verschie1 Über die Methode, durch die man auf den Gegenwert dieser Erwartungen in Größen von Verkaufserlösen kommt, siehe Anmerkung 1 zu S. 21 oben. 2 Täglich steht hier für den kürzesten Zeitabschnitt, nach welchem es der Firma freisteht, ihre Entscheidung über die von ihr angebotene Beschäftigung zu berichtigen. Es ist sozusagen die geringste wirksame Einheit der ökonomischen Zeit.
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denen möglichen Produktionsniveaus und Erwartungen über den Verkaufserlös dieser Produktion, wobei diese kurzfristigen Erwartungen sich im Falle einer Erweiterung von Kapitalausrüstungen und selbst im Falle von Verkäufen an Zwischenhändler allerdings großenteils auf die langfristigen (oder mittelfristigen) Erwartungen anderer Beteiligter stützen. Es sind diese verschiedenen Erwartungen, auf die sich die von den Firmen angebotene Beschäftigungsmenge stützt. Die wirklich erzielten Ergebnisse der Produktion und des Verkaufs der Produktion sind nur insofern für die Beschäftigung maßgebend, als sie eine Änderung in den späteren Erwartungen verursachen. Genauso wenig sind andererseits die ursprünglichen Erwartungen maßgebend, die die Firma veranlaßten, die Kapitalausrüstung und den Bestand an Zwischenerzeugnissen und halbfertigem Material zu kaufen, mit denen sie zu dem Zeitpunkt ausgestattet ist, zu dem sie die Produktion des nächsten Tages festzulegen hat. Jede Einzelentscheidung wird somit zwar unter Berücksichtigung dieser Ausrüstung und dieser Vorräte getroffen, aber im Lichte der laufenden Erwartungen voraussichtlicher Kosten und Verkaufserlöse. Eine Änderung in den Erwartungen (ob kurzfristig oder langfristig) wird nun im Allgemeinen ihre vollen Wirkungen auf die Beschäftigung nur über einen beträchtlichen Zeitabschnitt ausüben. Die Änderung in der Beschäftigung infolge einer Änderung in den Erwartungen wird am zweiten Tag nach der Änderung nicht die gleiche sein wie am ersten Tag oder am dritten Tag die gleiche wie am zweiten Tag, und so fort, obschon es keine weitere Änderung in den Erwartungen gegeben haben mag. Bei kurzfristigen Erwartungen ist dies darauf zurückzuführen, daß Änderungen im Falle der Erwartung einer Verschlimmerung gewöhnlich nicht heftig oder schnell genug sind, um ein Einstellen der Arbeit in allen Produktionsprozessen zu verursachen, deren Inangriffnahme sich im Lichte der berichtigten Erwartung als Fehler erweist. Im Falle einer Besserung muß dagegen einige Zeit für die Vorbereitung vergehen, bevor die Beschäftigung das Niveau erreichen kann, auf dem sie sich befinden würde, wenn der Stand der Erwartung früher berichtigt worden wäre. Im Falle von langfristigen Erwartungen wird die Ausrüstung, die nicht erneuert wird, weiter Beschäftigung geben, bis sie abgenützt ist, während im Falle einer Änderung in den langfristigen Erwartungen zum Besseren die Beschäftigung zuerst auf einem höheren Niveau sein mag als später, wenn die Ausrüstung der neuen Lage angepaßt werden konnte. Wenn wir uns vorstellen, daß ein Zustand der Erwartung lang genug andauert, um sich so völlig auf die Beschäftigung auszuwirken, daß,
5. Kap.: Erwartung als Bestimmungsgrund von Produktion und Beschäftigung
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allgemein gesprochen, kein einzelnes Beschäftigungsverhältnis fortgeführt wird, das nicht auf Grund dieses Standes der Erwartung gerechtfertigt ist, kann das somit erreichte stetige Niveau der Beschäftigung die langfristige Beschäftigung3 genannt werden, die mit jenem Zustand der Erwartung übereinstimmt. Daraus folgt, daß jeder Stand der Erwartung sein bestimmtes entsprechendes langfristiges Niveau der Beschäftigung hat, obschon das wirkliche Niveau der Beschäftigung nicht Zeit haben mag, die mit dem bestehenden Stand der Erwartung übereinstimmende langfristige Beschäftigung zu erreichen. Betrachten wir vorerst den Übergangsprozeß zu einem langfristigen Zustand als Folge einer Änderung in der Erwartung, die durch keine weitere Änderung in der Erwartung verwirrt oder unterbrochen wird. Wir wollen zuerst annehmen, daß die Änderung derart ist, daß die neue langfristige Beschäftigung größer als die alte sein wird. Nun wird es in der Regel nur der Input sein, der am Anfang stark betroffen wird, das heißt, die Arbeitsmenge auf den ersten Stufen neuer Produktionsprozesse, während die Produktion von Verbrauchsgütern und die Menge der Beschäftigung auf den späteren Stufen der vor der Änderung begonnenen Verfahren fast unverändert bleibt. Sofern Bestände teilweise fertiger Waren vorhanden waren, kann dieser Schluß eingeschränkt werden, obschon die anfängliche Zunahme in der Beschäftigung wahrscheinlich bescheiden bleiben wird. Von Tag zu Tag wird aber die Beschäftigung allmählich zunehmen. Man kann sich übrigens leicht Verhältnisse vorstellen, die verursachen, daß die Beschäftigung in einem gewissen Stadium auf ein höheres Niveau als das der neuen langfristigen Beschäftigung steigen wird. Denn der Vorgang der Kapitalbildung zur Befriedigung des neuen Standes der Erwartung kann zu einer Beschäftigung und auch zu einem laufenden Verbrauch führen, die größer sind als nach Erreichung des langfristigen Zustandes. Die Änderung in der Erwartung kann somit zu einem allmählichen Steigen des Beschäftigungsniveaus bis zu einem Höhepunkt führen, um sich hernach auf das neue langfristige Niveau zu senken. Das gleiche kann sogar dann vorkommen, wenn das neue langfristige Niveau das gleiche wie das alte ist, wenn die Änderung eine Änderung in der Verbrauchsrichtung bedeutet, die gewisse bestehende Verfahren und ihre Ausrüstung obsolet werden läßt. Oder, wenn die 3 Es ist nicht nötig, daß das Niveau der langfristigen Beschäftigung konstant sei, das heißt langfristige Verhältnisse sind nicht notwendigerweise statisch. Zum Beispiel kann eine ständige Zunahme des Wohlstandes oder der Bevölkerung einen Teil der sich nicht ändernden Erwartungen ausmachen. Die einzige Bedingung ist, daß die gegenwärtigen Erwartungen schon lange genug Bestand hatten.
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neue langfristige Beschäftigung geringer als die alte ist, kann das Niveau der Beschäftigung während des Übergangs zeitweilig unter das Niveau fallen, das die neue langfristige Beschäftigung einnehmen wird. Eine bloße Änderung in der Erwartung kann somit eine Schwankung von gleicher Form erzeugen, wie sie einer zyklischen Bewegung während ihres Ablaufs eigen ist. Es waren Bewegungen dieser Art, die ich in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ im Zusammenhang mit dem durch solche Veränderungen hervorgerufenen Aufbau oder Abbau von Beständen an Betriebsmitteln und liquidem Kapital erörterte. Ein ununterbrochener Übergang wie der obige zu einem neuen langfristigen Zustand kann in seinen Einzelheiten verwickelt sein, aber der wirkliche Verlauf der Ereignisse ist noch verwickelter. Denn der Stand der Erwartungen ist einer beständigen Änderung ausgesetzt, indem eine neue Erwartung die alte überlagert, lange ehe sie sich völlig ausgewirkt hat, so daß das wirtschaftliche Geschehen zu jeder gegebenen Zeit mit einer Reihe ineinander übergreifender Tätigkeiten beschäftigt ist, deren Entstehen auf verschiedene vergangene Zustände der Erwartung zurückzuführen ist.
II. Dies führt uns zu der Bedeutung dieser Erörterung für unseren gegenwärtigen Zweck. Aus dem Obigen ergibt sich, daß das Niveau der Beschäftigung sich an einem beliebigen Zeitpunkt eigentlich nicht nur auf den gegenwärtigen Stand der Erwartung stützt, sondern auch auf Erwartungen, die während eines bestimmten vergangenen Zeitabschnittes bestanden haben. Vergangene Erwartungen, die sich noch nicht ausgewirkt haben, sind aber in der heutigen Kapitalausrüstung verkörpert, vor deren Hintergrund der Unternehmer seine heutigen Entscheidungen zu treffen hat, und beeinflussen seine Entscheidungen nur, sofern sie in dieser Weise verkörpert sind. Es ergibt sich hieraus, daß die heutige Beschäftigung, trotz des oben Gesagten, richtig beschrieben werden kann, wenn wir sie als durch die heutigen Erwartungen im Zusammenhang mit der heutigen Kapitalausrüstung bestimmt darstellen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die laufende langfristige Erwartung kann selten vermieden werden. Dagegen wird man eine ausdrückliche Bezugnahme auf die kurzfristige Erwartung oft ruhig unterlassen können angesichts der Tatsache, daß die Berichtigung der kurzfristigen Erwartung in Wirklichkeit allmählich und kontinuierlich und großenteils im Lichte erzielter Ergebnisse vorgeht, so daß die Einflüsse der erwarteten und der verwirklichten Ergebnisse ineinander laufen und sich
5. Kap.: Erwartung als Bestimmungsgrund von Produktion und Beschäftigung
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überlagern. Obschon nämlich Produktion und Beschäftigung durch die kurzfristigen Erwartungen des Produzenten und nicht durch vergangene Ergebnisse bestimmt werden, spielen die jüngsten Ergebnisse gewöhnlich doch eine überwiegende Rolle in der Bestimmung dieser Erwartungen. Es wäre zu kompliziert, diese Erwartungen am Anfang eines jeden Produktionsprozesses von neuem auszuarbeiten, und es wäre überdies eine Zeitverschwendung, da ein großer Teil der Verhältnisse gewöhnlich von einem Tag zum andern im Wesentlichen unverändert bleibt. Außer wenn keine ausgesprochenen Gründe für die Erwartung einer Veränderung bestehen, handeln daher die Produzenten vernünftig, wenn sie ihren Erwartungen die Annahme zugrunde legen, daß die zuletzt erzielten Ergebnisse andauern werden. In Wirklichkeit greifen somit die Wirkungen des erzielten Verkaufserlöses der jüngsten Produktion und die vom laufenden Einsatz erwarteten Verkaufserlöse stark ineinander, und die Voraussagen der Produzenten werden häufiger im Lichte von Ergebnissen als durch die Vorwegnahme voraussichtlicher Änderungen allmählich gewandelt werden4. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, daß im Falle von dauerhaften Gütern die kurzfristigen Erwartungen des Produzenten auf die laufenden langfristigen Erwartungen des Investors gestützt werden, und es liegt in der Natur der langfristigen Erwartungen, daß sie nicht in kurzen Zeiträumen im Lichte der erzielten Ergebnisse überprüft werden können. Wie wir überdies im 12. Kapitel sehen werden, in welchem wir die langfristigen Erwartungen eingehender behandeln werden, sind diese plötzlicher Berichtigung ausgesetzt. Der Faktor fortlaufender langfristiger Erwartungen kann somit auch nicht annähernd durch erzielte Ergebnisse ersetzt oder ausgeschaltet werden.
4 Ich denke, daß diese Betonung der Erwartung, die in dem Augenblick gehegt wird, in dem man den Entschluß zur Produktion faßt, mit Mr. Hawtreys Auffassung übereinstimmt, daß Input und Beschäftigung durch die Anhäufung von Vorräten beeinflußt werden, bevor die Preise gefallen sind oder Enttäuschung über die Produktionsmenge sich in einem erlittenen Verlust im Vergleich zur Erwartung spiegelt. Denn die Zunahme unverkaufter Vorräte (oder Abnahme der Aufträge auf spätere Lieferung) ist gerade die Art von Ereignis, die am ehesten verursacht, daß der Input von dem abweicht, was die bloßen Statistiken über Verkaufserlöse vergangener Produktion nahelegen würden, wenn man sie ohne Kritik auf den nächsten Zeitabschnitt übertragen würde.
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Sechstes Kapitel
Die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition I. Einkommen 52
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Ein Unternehmer wird in jedem Zeitabschnitt an Verbraucher oder andere Unternehmer Produkte für die Endnachfrage für eine gewisse Summe verkauft haben, die wir mit A bezeichnen wollen. Er wird auch eine gewisse Summe, mit A1 bezeichnet, ausgegeben haben, um Endprodukte von anderen Unternehmern zu kaufen. Und am Ende wird er eine Kapitalausrüstung – in welchem Begriff sein Bestand an unfertigen Gütern oder Betriebsmitteln und sein Bestand an fertigen Produkten eingeschlossen sind – im Wert von G haben. Ein gewisser Teil von A G A1 wird jedoch nicht den Tätigkeiten während des in Frage kommenden Zeitabschnittes zuzuschreiben sein, sondern der Kapitalausrüstung, die er am Anfang des Zeitabschnittes hatte. Wir müssen daher, um auf das zu kommen, worunter wir das Einkommen der laufenden Periode verstehen, von A G A1 eine bestimmte Summe abziehen, die den Teil des Wertes darstellen soll, der (in einem gewissen Sinne) durch die Ausrüstung beigetragen wurde, die von einer früheren Periode übernommen wurde. Das Problem der Definition von Einkommen ist gelöst, sobald wir eine befriedigende Methode für die Berechnung dieses Abzuges gefunden haben. Für diese Berechnung gibt es zwei mögliche Grundsätze, von denen jeder eine gewisse Bedeutung hat: der eine im Zusammenhang mit der Erzeugung und der andere im Zusammenhang mit dem Verbrauch. Untersuchen wir sie der Reihe nach. 1. Der aktuelle Wert G der Kapitalausrüstung am Ende der Periode ist das Nettoergebnis davon, daß der Unternehmer sie einerseits während der Periode durch Käufe von anderen Unternehmern und durch eigene darauf verwandte Arbeit erhalten und verbessert hat und sie andererseits durch ihren Gebrauch zur Herstellung des Outputs verbraucht oder entwertet hat. Wenn er sich entschlossen hätte, sie nicht zu gebrauchen, um zu produzieren, gibt es dennoch eine gewisse optimale Summe, deren Ausgabe für Erhaltung und Verbesserung sich für ihn gelohnt hätte. Nehmen wir an, daß er in diesem Fall B0 für ihre Erhaltung und Verbesserung ausgegeben hätte, und daß die Ausrüstung nach dieser Ausgabe am Ende der Periode G0 wert gewesen wäre. Das heißt, G0 B0 ist der höchste Nettowert, der aus der vorangegangenen
6. Kap.: Die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition
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Periode hätte erhalten bleiben können, wenn die Ausrüstung nicht zur Erzeugung von A gebraucht worden wäre. Der Überschuß dieses potentiellen Wertes der Ausrüstung über G A1 ist das Maß des Aufwandes, der (in irgendeiner Art) für die Erzeugung von A entstand. Wir wollen diese Menge, nämlich
G0
B0
G
A1
die den Wert des Aufwandes mißt, der für die Erzeugung von A erforderlich ist, als Nutzungskosten von A bezeichnen. Die Nutzungskosten werden mit U bezeichnet1. Den Betrag, den der Unternehmer an die anderen Produktionsfaktoren zum Ausgleich ihrer Dienste bezahlt, der von ihrem Standpunkte aus ihr Einkommen ist, werden wir die Faktorkosten von A nennen. Die Summe der Faktorkosten F und der Nutzungskosten U werden wir die Grundkosten der Produktion A nennen. Wir können dann das Einkommen2 des Unternehmers als den Überschuß des Wertes seiner während der Periode verkauften fertigen Produktion über seine Grundkosten definieren. Das heißt, das Einkommen des Unternehmers wird als der Menge gleich angenommen, die er sich bemüht abhängig von seinem Produktionsniveau zu maximieren, das heißt gleich seinem Rohgewinn im üblichen Sinne des Ausdruckes – was dem gesunden Menschenverstand entspricht. Da das Einkommen des übrigen Gemeinwesens gleich den Faktorkosten des Unternehmers ist, ist daher das Gesamteinkommen gleich A U . Einkommen, so definiert, ist eine völlig unzweideutige Größe. Darüber hinaus ist es die Größe, die von ursächlicher Bedeutung für die Beschäftigung ist. Denn es ist der erwartete Überschuß dieser Größe über die Auslagen für die anderen Produktionsfaktoren, die der Unternehmer zu maximieren sucht, wenn er entscheidet, wieviel Beschäftigung er den Produktionsfaktoren geben soll. Es ist natürlich denkbar, daß G A1 größer als G0 B0 ist, so daß die Nutzungskosten negativ sind. Das kann zum Beispiel leicht vorkommen, wenn wir unsere Periode derartig wählen, daß der Input während der Periode zugenommen hat, ohne daß Zeit gewesen wäre, die vermehrte Produktion in einen fertigen und verkaufsfähigen Zustand zu versetzen. Es wird auch immer dann vorkommen, wenn eine 1 Einige weitere Betrachtungen über Nutzungskosten sind im Anhang zu diesem Kapitel gegeben. 2 Im Unterschied zu seinem Nettoeinkommen, welches wir weiter unten definieren werden.
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positive Investition vorliegt, wenn wir uns die Industrie als so stark konzentriert vorstellen, daß die Unternehmer den größten Teil ihrer Ausrüstung selbst herstellen. Da aber die Nutzungskosten nur negativ sind, wenn der Unternehmer seine Kapitalausrüstung durch seine eigenen Arbeiter vermehrt hat, können wir uns in einer Wirtschaft, in der die Kapitalausrüstung großenteils von anderen Firmen hergestellt wird, als jenen, die sie brauchen, die Nutzungskosten normalerweise als positiv denken. Man kann sich darüber hinaus schwer einen Fall vorstellen, in dem die Grenznutzungskosten, die mit einer Zunahme von A verdU , anders als positiv sind. bunden sind, das heißt dA Es mag hier angebracht sein, in Vorwegnahme des späteren Teiles dieses Kapitels zu erwähnen, daß für das Gemeinwesen als Ganzes der gesamte Konsum (C) der Periode gleich
A A1 und die gesamte Investition (I) gleich
A1 U ist. Für den einzelnen Unternehmer ist U ferner die Disinvestition (und U seine Investition) in seine eigene Ausrüstung, abgesehen von dem, was er von anderen Unternehmern kauft. In einem vollständig konzentrierten System (wenn A1 0) ist der Verbrauch somit gleich A und die Investition gleich U das heißt G
G0 B0 . Die obige kleine Komplikation durch die Einführung von A1 ist lediglich darauf zurückzuführen, daß es erwünscht ist, in einer verallgemeinerten Art für den Fall eines nicht konzentrierten Produktionssystems vorzusorgen. Ferner: die effektive Nachfrage ist einfach das Gesamteinkommen (oder die Erlöse), das die Unternehmer von der Menge der laufenden Beschäftigung erwarten, die sie zu geben sich entschließen, einschließlich der Einkommen, die sie an die anderen Produktionsfaktoren weitergeben werden. Die aggregierte Nachfragefunktion bringt verschiedene hypothetische Beschäftigungsmengen in Beziehung zu den Erlösen, die von ihren Produktionsmengen erwartet werden, und die effektive Nachfrage ist der Punkt der aggregierten Nachfragefunktion, der wirksam wird, weil er, in Verbindung mit den Bedingungen des Angebotes, mit dem Niveau der Beschäftigung übereinstimmt, das die Gewinnerwartung des Unternehmers maximiert. Dieser Satz von Definitionen hat zugleich den Vorteil, daß wir den Grenzerlös (oder das Grenzeinkommen) mit den Grenzfaktorkosten gleichsetzen können und dadurch auf die gleiche Art von Lehrsätzen kommen, die den so definierten Grenzerlös zu den Grenzfaktorkosten in Beziehung bringen, wie sie von jenen Ökonomen aufgestellt wurden, die, indem sie die Nutzungskosten übersahen oder als
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null annahmen, den Angebotspreis3 mit den Grenzfaktorkosten4 gleichsetzten. 2. Wir wenden uns nun dem zweiten der oben erwähnten Grundsätze zu. Wir haben bis jetzt jene Veränderung im Werte der Kapitalausrüstung zwischen dem Anfang und dem Ende einer Periode behandelt, die auf die freiwilligen Entscheidungen des Unternehmers, mit denen er seinen Gewinn zu maximieren versucht, zurückzuführen ist. Dazu kann es aber noch einen unfreiwilligen Verlust (oder Gewinn) im Werte seiner Kapitalausrüstung geben, der auf Ursachen zurückzuführen ist, die außerhalb seiner Kontrolle und unabhängig von seinen laufenden Entscheidungen sind, z. B. auf eine Änderung im Marktwert, auf Entwertung durch Veraltung oder bloßen Zeitablauf oder auf Zerstörung durch Katastrophen, wie Krieg oder Erdbeben. Ein Teil dieser unfreiwilligen Verluste ist nun, obschon unvermeidlich, allgemein gesprochen, doch nicht unerwartet, wie zum Beispiel Verluste, die durch bloßen Zeitablauf, ohne Berücksichtigung der Nutzung, verursacht werden, oder durch „normale“ Veraltung, die, wie sich Professor Pigou ausdrückt, „regelmäßig genug ist, um, wenn nicht im einzelnen, so doch im ganzen vorausgesehen werden zu können“, worin wir auch solche Verluste des Gemeinwesens als Ganzes einschließen können, die regelmäßig genug sind, um allgemein als „versicherbare Risiken“ betrachtet zu werden. Lassen wir einen Augenblick die Tatsache außer acht, daß die Höhe des erwarteten Verlustes vom Zeitpunkt abhängt, an dem die Erwartung des Verlustes 3 Angebotspreis ist nach meiner Ansicht ein unvollständig definierter Ausdruck, wenn das Problem der Definition der Nutzungskosten übersehen wurde. Der Gegenstand wird im Anhang zu diesem Kapitel weiter behandelt, wo ich darlege, daß die Ausschließung der Nutzungskosten vom Angebotspreis wohl hie und da für den aggregierten Angebotswert angebracht ist, aber nicht für die Probleme des Angebotspreises je Produktionseinheit für ein einzelnes Unternehmen. 4 Nehmen wir zum Beispiel Z '
N oder als Alternative Z W '
N als w die Funktion des gesamten Angebotes (wobei W die Lohneinheit und W Zw Z ist). Da der Erlös des Grenzprodukts dann an jedem Punkt auf der aggregierten Angebotskurve gleich den Grenzfaktorkosten ist, haben wir
N Aw
Uw Zw '
N ;
das heißt, '0
N 1; vorausgesetzt, daß die Faktorkosten in einem stetigen Verhältnis zu den Lohnkosten stehen, und daß die aggregierte Angebotsfunktion für jede Firma (deren Zahl als konstant angenommen wird) von der Zahl der Menschen, die in anderen Branchen beschäftigt sind, unabhängig ist, so daß die Ausdrücke der obigen Gleichung, welche für jeden einzelnen Unternehmer gelten, für die Unternehmer in ihrer Gesamtheit zusammengefaßt werden können. Das bedeutet, daß, wenn die Löhne konstant sind und die anderen Faktorkosten in einem konstanten Verhältnis zur Lohnsumme stehen, die aggregierte Angebotsfunktion eine gerade Linie mit einer Steigung bildet, die durch den reziproken Wert des Nominallohnes gegeben wird.
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annahmegemäß gebildet wird, und nennen wir die Entwertung der Ausrüstung, die unfreiwillig, aber nicht unerwartet ist, das heißt den Überschuß der erwarteten Entwertung über die Nutzungskosten ergänzende Kosten, die mit V bezeichnet seien. Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, daß diese Definition nicht dieselbe wie Marshalls Definition von „supplementary cost“ ist, obschon die zugrunde liegende Idee, nämlich die Behandlung jenes Teiles der erwarteten Entwertung, die nicht in die Grundkosten einbezogen wird, ähnlich ist. Wenn wir das Nettoeinkommen und den Nettogewinn des Unternehmers berechnen, ist es daher üblich, den geschätzten Betrag der ergänzenden Kosten von seinem Einkommen und Rohgewinn, wie oben definiert, abzuziehen. Denn die psychologische Wirkung der ergänzenden Kosten auf den Unternehmer, wenn er erwägt, was er ausgeben und sparen kann, ist praktisch die gleiche, wie wenn sie aus seinem Rohgewinn käme. Wenn der Unternehmer in seiner Eigenschaft als Produzent entscheidet, ob er die Ausrüstung ausnützen soll oder nicht, sind die Grundkosten und der Rohgewinn, wie oben definiert, die maßgebenden Begriffe. Aber in seiner Eigenschaft als Verbraucher wird er in der gleichen Art von den ergänzenden Kosten beeinflußt, wie wenn diese ein Teil der Grundkosten wären. Wenn wir in der Definition des aggregierten Einkommens sowohl die ergänzenden Kosten wie auch die Nutzungskosten abziehen, so daß das gesamte Nettoeinkommen gleich A U V ist, kommen wir daher nicht nur dem üblichen Gebrauch am nächsten, sondern wir kommen auch auf einen Begriff, der für das Niveau des Konsums maßgebend ist. Es verbleibt die Wertveränderung der Ausrüstung als Folge unvorhergesehener Änderungen im Marktwert, außergewöhnlicher Veraltung oder Zerstörung durch Katastrophen, die sowohl unfreiwillig wie – allgemein gesprochen – unvorhergesehen ist. Der tatsächliche Verlust aus diesen Gründen, die wir bei der Berechnung des Nettoeinkommens nicht beachten, sondern dem Kapitalkonto belasten, mag als Zufallsverlust bezeichnet werden. Die ursächliche Bedeutung des Nettoeinkommens liegt in dem psychologischen Einfluß der Größe von V auf den Betrag des laufenden Verbrauchs, weil das Nettoeinkommen das ist, was der gewöhnliche Mensch als sein verfügbares Einkommen betrachtet, wenn er entscheidet, wieviel er für den laufenden Konsum ausgeben soll. Dies ist natürlich nicht der einzige Faktor, den der Unternehmer in Betracht zieht, wenn er entscheidet, wieviel er ausgeben soll. So spielt zum Beispiel der Zufallsgewinn oder Zufallsverlust, den er auf seinem Kapitalkonto macht,
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eine große Rolle. Aber es gibt insofern einen Unterschied zwischen einem Zufallsverlust und den ergänzenden Kosten, als Veränderungen in den ergänzenden Kosten dazu geeignet sind, ihn in genau der gleichen Weise zu berühren wie Änderungen in seinem Rohgewinn. Es ist der Überschuß des Erlöses der laufenden Produktion über die Summe der Grundkosten und der ergänzenden Kosten, der für den Verbrauch der Unternehmer maßgebend ist, während der Zufallsverlust (oder Zufallsgewinn) zwar in seine Entscheidungen mit einbezogen wird, aber doch nicht im gleichen Umfang, so daß ein gegebener Zufallsverlust nicht die gleiche Wirkung hat wie gleich hohe ergänzende Kosten. Wir müssen jetzt jedoch darauf zurückkommen, daß die Grenze zwischen ergänzenden Kosten und Zufallsverlusten, das heißt zwischen jenen unvermeidlichen Verlusten, bei denen wir es richtig finden, mit ihnen die Einkommensrechnung zu belasten, und jenen, die vernünftigerweise als Zufallsverlust (oder Zufallsgewinn) auf dem Kapitalkonto in Ansatz gebracht werden, zum Teil konventionell oder psychologisch ist und sich auf das stützt, was gemeinhin als Kriterien für die Schätzung der ergänzenden Kosten angenommen wurde. Denn für die Schätzung der ergänzenden Kosten kann kein allgemein gültiger Grundsatz aufgestellt werden, und ihr Betrag wird von unserer Wahl des Berechnungsverfahrens abhängen. Der erwartete Wert der ergänzenden Kosten hat bei der ursprünglichen Erstellung der Ausrüstung eine bestimmte Höhe. Wenn er aber nachher neu eingeschätzt wird, kann sein Betrag sich für die restliche Lebensdauer der Ausrüstung infolge einer inzwischen eingetretenen Änderung in unseren Erwartungen geändert haben, wobei der zufällige Kapitalverlust der diskontierte Wert des Unterschiedes zwischen der früheren und der berichtigten Erwartung der voraussichtlichen Reihe von U V ist. Es ist ein weitverbreiteter Grundsatz in der geschäftlichen Buchführung, der durch die inländischen Steuerbehörden gutgeheißen wird, für die Summe der ergänzenden Kosten und der Nutzungskosten beim Erwerb der Ausrüstung einen Betrag festzusetzen und diesen während der Lebensdauer der Ausrüstung unverändert zu erhalten, ungeachtet späterer Änderungen in der Erwartung. In diesem Fall müssen die ergänzenden Kosten für jeden Zeitabschnitt als Überschuß dieses vorausbestimmten Betrages über die tatsächlichen Nutzungskosten betrachtet werden. Das hat den Vorteil, sicherzustellen, daß der Zufallsgewinn oder Zufallsverlust über die gesamte Lebensdauer der Ausrüstung null sein wird. Unter gewissen Umständen ist es aber auch vernünftig, den Abzug für die ergänzenden Kosten auf Grundlage der laufenden Werte und Erwartungen nach einem willkürlich festgesetzten Buchungszeitraum,
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zum Beispiel jährlich, neu zu berechnen. Geschäftsleute weichen in der Tat in der Wahl des Verfahrens voneinander ab. Es mag zweckdienlich sein, die anfängliche Erwartung der ergänzenden Kosten, wenn die Ausrüstung zuerst erworben wird, die ursprünglichen ergänzenden Kosten zu nennen, und die gleiche Menge, auf Grundlage der laufenden Werte und Erwartungen auf den heutigen Tag berechnet, die laufenden ergänzenden Kosten. Die genaueste Mengendefinition, die wir erreichen können, wird somit immer noch jene Abzüge von seinem Einkommen einschließen, die ein typischer Unternehmer macht, bevor er das berechnet, was er, zum Zwecke der Dividendenerklärung (im Falle einer Gesellschaft) oder für die Bestimmung seines laufenden Verbrauches (im Falle eines Einzelnen) als sein Nettoeinkommen betrachtet. Da zufällige Belastungen des Kapitalkontos nicht vom Gesamtbild ausgeschlossen werden sollen, ist es im Zweifelsfall sicherlich besser, einen Posten dem Kapitalkonto zuzuschreiben und in die ergänzenden Kosten nur das einzuschließen, was ziemlich offensichtlich dahin gehört. Denn jede Überladung der ersteren kann dadurch berichtigt werden, daß man ihnen auf die Höhe des laufenden Verbrauches mehr Einfluß erlaubt, als sie sonst gehabt hätten. Man wird erkennen, daß unsere Definition von Nettoeinkommen sehr nahe an Marshalls Definition von Einkommen herankommt, als er sich entschloß, seine Zuflucht zu dem Verfahren der Einkommenssteuerbeamten zu nehmen und – allgemein gesprochen – das als Einkommen zu betrachten, was diese mit ihrer Erfahrung geneigt waren, als solches zu behandeln. Denn das Gewebe ihrer Entscheidungen kann als das Ergebnis der sorgfältigsten und umfassendsten verfügbaren Untersuchungen betrachtet werden, um auszulegen, was in der Praxis gewöhnlich als Nettoeinkommen behandelt wird. Es entspricht auch dem Geldwert von Professor Pigous neuester Definition des Nationaleinkommens5. Wir kommen jedoch nicht um die Tatsache herum, daß das Nettoeinkommen, da es sich auf ein zweideutiges Kriterium stützt, das von verschiedenen Autoritäten verschieden ausgelegt werden kann, nicht völlig klar umschrieben ist. Professor Hayek hat zum Beispiel die Ansicht geäußert, daß ein einzelner Besitzer von Kapitalgütern danach trachten mag, das Einkommen, das er aus seinem Besitz zieht, konstant zu halten, so daß er sich nicht frei fühlen würde, sein Einkommen zu verbrauchen, bis er genügend beiseite gelegt hätte, um den wie auch immer begründeten Rückgang seines Investitionseinkommens 5
Economic Journal, Juni 1935, S. 235.
6. Kap.: Die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition
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auszugleichen6. Ich bezweifle, daß es ein solches Individuum gibt, aber es kann offenbar kein theoretischer Einspruch gegen diese Deduktion als ein mögliches psychologisches Kriterium von Nettoeinkommen erhoben werden. Wenn aber Professor Hayek den Schluß zieht, daß die Begriffe von Ersparnis und Investition unter einer entsprechenden Unklarheit leiden, hat er nur Recht, wenn er Nettoersparnis und Nettoinvestition meint. Die Ersparnis und die Investition, die für die Theorie der Beschäftigung maßgebend sind, sind frei von diesem Mangel und können, wie wir oben gezeigt haben, objektiv definiert werden. Es ist somit ein Fehler, den ganzen Nachdruck auf das Nettoeinkommen zu legen, das nur für Entscheidungen Bedeutung hat, die den Verbrauch betreffen und das überdies von verschiedenen anderen Faktoren, die den Verbrauch beeinflussen, nur durch eine schmale Linie getrennt ist, und den Begriff des eigentlichen Einkommens zu übersehen (wie das gewöhnlich geschah), der unzweideutig ist und maßgebend für die Entscheidungen, welche die laufende Produktion betreffen. Die obigen Definitionen von Einkommen und Nettoeinkommen beabsichtigen, so genau wie möglich mit dem gewöhnlichen Gebrauch übereinzustimmen. Ich muß daher den Leser gleich daran erinnern, daß ich in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ Einkommen in einem besonderen Sinn definiert habe. Die Eigenheit in meiner früheren Definition bezog sich auf jenen Teil des aggregierten Einkommens, der den Unternehmern zufließt. Dort hatte ich weder den Gewinn (ob roh oder netto), der durch ihre laufenden Unternehmungen erzielt wurde, noch den Gewinn, den sie erwarteten, als sie sich entschlossen, ihre laufenden Unternehmungen auszuführen, berücksichtigt, sondern in einem gewissen Sinn einen Normal- oder Gleichgewichtsgewinn (der aber nach meinem heutigen Dafürhalten nicht genügend klar definiert war, wenn wir die Möglichkeit von Veränderungen im Produktionsvolumen berücksichtigen). Dies hat zur Folge, daß nach dieser Definition die Ersparnis die Investition um den Betrag des Überschusses des normalen über den tatsächlichen Gewinn überstieg. Ich fürchte, daß die Anwendung der Begriffe beträchtliche Verwirrungen hervorgerufen hat, namentlich im Falle ihrer entsprechenden Anwendung auf die „Ersparnis“; denn Schlüsse (die sich besonders auf den Überschuß der Ersparnis über die Investition bezogen), die nur galten, wenn die Begriffe in meinem besonderen Sinn ausgelegt wurden, wurden oft in populärwissenschaftlichen Diskussionen übernommen, als ob die Begriffe in ihrem volkstümlicheren Sinn verwendet worden wären. Aus diesem Grunde und weil 6
„The Maintenance of Capital“, Economica, August 1935, S. 241 et seq.
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ich meine früheren Begriffe nicht mehr brauche, um meine Gedanken genau auszudrücken, habe ich mich entschlossen, sie aufzugeben – mit großem Bedauern für die Verwirrung, die sie verursacht haben.
II. Ersparnis und Investition
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Es ist angenehm, in dem Chaos widerspruchsvoller Begriffsanwendungen einen festen Punkt zu entdecken. Soweit mir bekannt ist, stimmen nämlich alle überein, daß Ersparnis den Überschuß des Einkommens über die Ausgaben für den Verbrauch bedeutet. Etwaige Zweifel über die Bedeutung von Ersparnis müssen somit von Zweifeln über die Bedeutung des Einkommens oder des Verbrauches herrühren. Einkommen haben wir oben definiert. Ausgaben für den Verbrauch während einer Periode muß den Wert der Güter bedeuten, die während dieser Periode an Verbraucher verkauft wurden, was uns auf die Frage zurückführt, was man unter einem Konsumgüterkäufer versteht. Jede vernünftige Definition der Abgrenzung zwischen Konsumgüterkäufer und Investitionsgüterkäufer wird uns gleich gut dienen, vorausgesetzt, daß sie konsistent angewandt wird. Probleme, wie zum Beispiel, ob es richtig ist, den Kauf eines Kraftwagens als Konsumkauf und den Kauf eines Hauses als einen Investitionskauf zu betrachten, sind häufig erörtert worden, und ich habe dieser Erörterung nichts Wesentliches hinzuzufügen. Das Kriterium hängt offenbar davon ab, wo wir die Grenze zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer ziehen. Wenn wir somit A1 als den Wert dessen definiert haben, was ein Unternehmer vom anderen gekauft hat, haben wir die Frage implizit gelöst. Es folgt, daß die Ausgaben für den Verbrauch unzweideutig durch
A A1 definiert werden können, wobei A die gesamten Verkäufe sind, die während der Periode gemacht wurden, und A1 die gesamten Verkäufe von einem Unternehmer an einen anderen. Im Folgenden wird es in der Regel zweckdienlich sein, wegzulassen und die aggregierten Verkäufe aller Arten mit A, die aggregierten Verkäufe von einem Unternehmer an einen anderen mit A1 und die aggregierten Nutzungskosten der Unternehmer mit U zu bezeichnen. Indem wir nun sowohl Einkommen wie Verbrauch definiert haben, ergibt sich die Definition von Ersparnis, die der Überschuß des Einkommens über den Verbrauch ist, von selbst. Da das Einkommen gleich A U und der Verbrauch gleich A A1 ist, folgt, daß die Ersparnis gleich A1 U ist. In der gleichen Weise ist die Nettoersparnis der Überschuß des Nettoeinkommens über den Verbrauch, das heißt gleich A1 U V .
6. Kap.: Die Definition von Einkommen, Ersparnis und Investition
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Unsere Definition des Einkommens führt ohne weiteres zur Definition der laufenden Investition; denn wir müssen darunter den laufenden Zuwachs des Wertes der Kapitalausrüstung verstehen, der aus der Produktionstätigkeit der Periode herrührt. Dies ist augenscheinlich das gleiche, was wir soeben als Ersparnis definiert haben; denn es ist jener Teil der Einkommen der Periode, der nicht in den Verbrauch übergegangen ist. Wir haben oben gesehen, daß die Unternehmer in jeder Produktionsperiode Endprodukte im Werte von A verkauft haben und am Ende eine Kapitalausrüstung haben, die infolge der Erzeugung und der Veräußerung von A unter Berücksichtigung ihrer Käufe A1 von anderen Unternehmern eine Entwertung erlitten hat, die durch U gemessen wird (oder einen Wertzuwachs, der durch U gemessen wird, wenn U negativ ist). Während des gleichen Zeitabschnittes werden Endprodukte im Werte von A A1 in den Verbrauch übergegangen sein. Der Überschuß von A U über A A1, nämlich A1 U , ist die Hinzufügung zur Kapitalausrüstung infolge der produktiven Tätigkeiten in der Periode und daher die Investition der Periode. Auf die gleiche Art ist A1 U V , das heißt die Nettohinzufügung zur Kapitalausrüstung, nach Abzug der normalen Verminderung im Werte des Kapitals neben ihrem Gebrauch und abgesehen von Zufallsänderungen in ihrem Werte, die der Kapitalrechnung zu belasten sind, die Nettoinvestition der Periode. Während daher der Betrag der Ersparnis die Folge des Gesamtverhaltens der einzelnen Verbraucher und der Betrag der Investitionen die Folge des Gesamtverhaltens der einzelnen Unternehmer ist, müssen diese zwei Beträge notwendigerweise einander gleich sein, da ein jeder gleich dem Überschuß des Einkommens über den Verbrauch ist. Diese Folgerung stützt sich überdies keineswegs auf irgendwelche Feinheiten oder Eigenheiten in der obigen Definition des Einkommens. Vorausgesetzt, daß wir übereinstimmen, daß das Einkommen gleich dem Werte der laufenden Produktion ist, daß die laufende Investition gleich dem Werte des Teiles der laufenden Produktion ist, der nicht verbraucht wird, und daß die Ersparnis gleich dem Überschuß des Einkommens über den Verbrauch ist – was alles mit dem gesunden Menschenverstand und mit dem traditionellen Gebrauch der großen Mehrheit der Ökonomen vereinbar ist –, folgt die Gleichheit der Ersparnis und der Investition mit Notwendigkeit. Kurz gesagt: Einkommen = Wert der Produktion = Konsum + Investition. Ersparnis = Einkommen – Konsum. Darum Ersparnis = Investition.
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Jeder beliebige Satz von Definitionen, der den obigen Bedingungen genügt, führt somit zum gleichen Schluß. Nur wenn man die Gültigkeit der einen oder anderen von ihnen verneint, kann der Schluß vermieden werden. Die Gleichheit der Summe der Ersparnis und der Summe der Investition ergibt sich aus dem zweiseitigen Wesen der Transaktionen zwischen dem Erzeuger einerseits und dem Verbraucher oder Käufer der Kapitalausrüstung andererseits. Einkommen erwächst aus dem Überschuß des Wertes über die Nutzungskosten, den der Erzeuger für die verkaufte Produktion erhält; aber diese gesamte Produktion muß offenbar entweder an einen Verbraucher oder an einen anderen Unternehmer verkauft worden sein, und die laufende Investition eines jeden Unternehmers ist gleich dem Überschuß der Ausrüstung, die er von anderen Unternehmern gekauft hat, über seine eigenen Nutzungskosten. Der gesamte Überschuß von Einkommen über Verbrauch, von uns Ersparnis genannt, kann daher nicht von der Hinzufügung zur Kapitalausrüstung abweichen, die wir Investition nennen. Und ganz gleich verhält es sich mit Nettoersparnis und Nettoinvestition. Ersparnis ist ein reines Residuum. Die Entscheidungen, zu verbrauchen, und die Entscheidungen, zu investieren, bestimmen unter sich das Einkommen. Angenommen, die Entscheidungen, zu investieren, werden umgesetzt, so muß entweder der Verbrauch eingeschränkt oder das Einkommen vergrößert werden. Der Akt der Investition muß für sich somit unbedingt das Residuum oder die Spanne – was wir Ersparnis nennen – um einen entsprechenden Betrag erhöhen. Es könnte natürlich sein, daß Individuen so starrköpfig in ihren Entscheidungen wären, wieviel sie selber sparen und anlegen wollen, daß es keinen Preisgleichgewichtspunkt gäbe, an dem Geschäfte abgeschlossen werden könnten. In diesem Falle wären unsere Begriffe nicht länger anwendbar, denn die Produktion hätte keinen bestimmten Marktwert mehr, und die Preise würden keinen Ruhepunkt zwischen null und unendlich finden. Die Erfahrung lehrt aber, daß dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist, und daß es Gewohnheiten psychologischer Reaktionen gibt, welche das Erreichen eines Gleichgewichtes ermöglichen, an dem der Wille zu kaufen dem zu verkaufen gleich ist. Daß es etwas wie einen Marktwert der Produktion gibt, ist zugleich eine notwendige Bedingung dafür, daß die Geldeinkommen einen bestimmten Wert haben, und es ist eine hinreichende Bedingung dafür, daß der aggregierte Betrag, den sich einzelne Sparer zu sparen entschließen, gleich ist dem aggregierten Betrag, den sich einzelne Investoren zu investieren entschließen.
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Klarheit über diesen Gegenstand wird vielleicht am ehesten erreicht, wenn wir eher in Entscheidungen, zu verbrauchen (oder sich des Komsums zu enthalten), als in Entscheidungen, zu sparen, denken. Eine Entscheidung, zu verbrauchen oder nicht zu verbrauchen, liegt offensichtlich in der Macht des Einzelnen; das gleiche gilt für den Entschluß, zu investieren oder nicht zu investieren. Die Beträge des Gesamteinkommens und der Gesamtersparnis sind die Ergebnisse der freien Wahl der Einzelnen, zu verbrauchen oder nicht zu verbrauchen und zu investieren oder nicht zu investieren, aber keiner von ihnen kann einen unabhängigen Wert annehmen, der von einer besonderen Reihe von Entscheidungen herrührt, die unabhängig von den Entscheidungen über den Verbrauch und die Investition gefaßt wurden. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz wird der Begriff Konsumneigung im Folgenden die Stelle der Neigung oder der Bereitschaft zu Sparen einnehmen.
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Anhang über die Nutzungskosten Die Nutzungskosten haben nach meiner Ansicht für die klassische Werttheorie eine Bedeutung, die übersehen worden ist. Es läßt sich mehr über sie sagen, als an dieser Stelle notwendig oder angebracht wäre. Als Abschweifung wollen wir sie aber in diesem Anhang etwas ausführlicher untersuchen. Die Nutzungskosten eines Unternehmers sind definitionsgemäß gleich A1
G0
B0
G;
wobei A1 der Betrag der Käufe von Gütern für die Endnachfrage unseres Unternehmers von anderen Unternehmern ist, G der tatsächliche Wert seiner Kapitalausrüstung am Ende der Periode und G0 der Wert, den die Kapitalausrüstung am Ende der Periode gehabt haben könnte, wenn er sich ihres Gebrauches enthalten und die optimale Summe B0 für ihre Erhaltung und Verbesserung ausgegeben hätte. G
G0 B0 , das heißt der Wertzuwachs der Ausrüstung des Unternehmers über den Wert, den er aus der früheren Periode übernommen hat, stellt die laufende Investition des Unternehmers in seine Ausrüstung dar und kann mit I bezeichnet werden. U, die Nutzungskosten seines Umsatzes A, ist infolgedessen gleich A1 I, wobei A1 der Betrag seiner Käufe von anderen Unternehmern und I seine laufende Investition in seine eigene Ausrüstung ist. Ein wenig Überlegung wird zeigen, daß all dies nur dem gesunden Menschenverstande entspricht. Ein Teil seiner Ausgaben an andere Unternehmer entspricht dem Wert seiner laufenden Investition in seine eigene Ausrüstung, und der Rest stellt den Aufwand dar, den ihn die verkaufte Produktionsmenge zusätzlich zu der gesamten Summe verursacht haben muß, die er den Produktionsfaktoren ausgezahlt hat. Wenn der Leser versucht, den Kern dieser Ausführung anders auszudrücken, wird er finden, daß ihr Vorteil in ihrer Vermeidung unlösbarer (und unnötiger) Rechnungslegungsprobleme liegt. Meiner Ansicht nach kann der laufende Erlös der Produktion auf keine andere Art unzweideutig
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analysiert werden. Wenn die Wirtschaft völlig konzentriert ist, oder wenn der Unternehmer nichts von außen gekauft hat, so daß A1 0, sind die Nutzungskosten einfach der Gegenwert der laufenden Desinvestition, die durch den Gebrauch der Ausrüstung bedingt wird. Wir haben aber immer noch den Vorteil, daß wir die Faktorkosten auf keiner Stufe der Untersuchung auf die verkauften Güter und die selbsterstellten Anlagen aufteilen müssen. Wir können somit die durch eine Firma oder Branche gegebene Beschäftigung als von einer einzigen zusammengefaßten Entscheidung abhängig betrachten – ein Verfahren, das mit dem tatsächlichen ineinandergreifenden Wesen der Produktion, die laufend verkauft werden, und der Gesamterzeugung korrespondiert. Der Begriff Nutzungskosten ermöglicht uns überdies, eine klarere Definition zu geben als jene, die gewöhnlich für den kurzfristigen Angebotspreis einer Einheit der verkäuflichen Produktion einer Firma gewählt wird. Denn der kurzfristige Angebotspreis ist die Summe der Grenzfaktorkosten und der Grenznutzungskosten. In der modernen Werttheorie ist es nun üblich gewesen, den kurzfristigen Angebotspreis nur mit den Grenzfaktorkosten gleichzusetzen. Es ist jedoch offensichtlich, daß dies nur zulässig ist, wenn die Grenznutzungskosten null sind, oder wenn der Angebotspreis besonders definiert wird, so daß er sich ausschließlich der Grenznutzungskosten versteht, genau so, wie ich (S. 20 oben) den „Erlös“ und den „aggregierten Angebotswert“ als ausschließlich der aggregierten Nutzungskosten definiert habe. Während es uns jedoch bei der Behandlung der Produktion als Ganzen gelegentlich passen mag, die Nutzungskostcn abzuziehen, nimmt dieses Verfahren unserer Analyse jede Realitätsnähe, wenn es gewohnheitsmäßig (und stillschweigend) auf die Produktion einer einzelnen Branche oder Firma angewandt wird, da es den „Angebotspreis“ einer Ware von seinem Preis in jeglichem üblichen Sinne trennt, was einige Verwirrung verursacht haben mag. Es scheint vorausgesetzt worden zu sein, daß der „Angebotspreis“ einen augenscheinlichen Sinn in bezug auf eine Einheit der verkäuflichen Produktion einer einzelnen Firma hat, und man hat es nicht für nötig gehalten, diesen Gegenstand zu erörtern. Und doch birgt die Behandlung sowohl des Kaufes von anderen Firmen als auch der Abnützung der eigenen Ausrüstung als Folge der Erzeugung der Grenzproduktion das ganze Bündel von Verwirrungen in sich, welche der Definition des Einkommens anhaften. Denn selbst wenn wir voraussetzen, daß die Grenzkosten der Käufe von anderen Firmen, die der Verkauf einer zusätzlichen Produktionseinheit mit sich bringt, vom Verkaufserlös je Einheit abgezogen werden müssen, um das zu ergeben, was wir unter dem Angebotspreis unserer Firma verstehen, müssen wir dennoch die marginale Desinvestition in die eigene Ausrüstung der Firma berücksichtigen, die die Erzeugung des Grenzoutputs mit sich bringt. Selbst wenn die gesamte Produktion durch eine einzige völlig selbstgenügsame Firma unternommen wird, ist es immer noch unzulässig, anzunehmen, daß die Grenznutzungskosten null sind, das heißt, daß die Grenzdesinvestition in der Ausrüstung als Folge der Erzeugung des Grenzprodukts im allgemeinen unberücksichtigt gelassen werden kann. Die Begriffe Nutzungskosten und ergänzende Kosten ermöglichen uns auch, eine klarere Beziehung zwischen langfristigem und kurzfristigem Angebotspreis
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aufzustellen. Langfristige Kosten müssen offenbar einen Betrag zur Deckung sowohl der ursprünglichen ergänzenden Kosten als auch der in geeigneter Weise auf die Dauer der Ausrüstung verteilten erwarteten Grundkosten einschließen. Das heißt, die langfristigen Kosten der Produktion sind gleich der erwarteten Summe der Grundkosten und der ergänzenden Kosten und, um einen Normalgewinn abzuwerfen, muß der langfristige Angebotspreis die auf diese Weise berechneten langfristigen Kosten überdies um einen Betrag übersteigen, der durch den laufenden Zinssatz auf Anleihen von vergleichbarer Frist und vergleichbarem Risiko bestimmt wird, als Prozentsatz der Kosten der Ausrüstung gerechnet. Oder, wenn wir lieber einen „reinen“ Standardzinssatz nehmen, müssen wir in den langfristigen Kosten einen dritten Posten einschließen, den wir die Risikokosten nennen könnten, für die unbekannten Möglichkeiten der Abweichung des tatsächlichen Ertrags vom erwarteten. Der langfristige Angebotspreis ist somit gleich der Summe der Grundkosten, der ergänzenden Kosten, der Risikokosten und der Zinskosten; diese Summe kann in diese Komponenten zerlegt analysiert werden. Der kurzfristige Angebotspreis dagegen ist gleich den Grenzgrundkosten. Der Unternehmer muß daher beim Kauf oder bei der Erstellung seiner Ausrüstung erwarten, seine ergänzenden Kosten, seine Risikokosten und seine Zinskosten aus dem Überschuß des Grenzwertes der Grundkosten über ihren Durchschnittswert zu decken, so daß im langfristigen Gleichgewicht der Überschuß der Grenzgrundkosten über die durchschnittlichen Grundkosten gleich der Summe der ergänzenden Kosten, Risikokosten und Zinskosten ist7. Das Niveau der Produktion, auf dem die marginalen Grundkosten genau gleich der Summe der durchschnittlichen Grundkosten und ergänzenden Kosten sind, hat eine besondere Bedeutung, weil es der Punkt ist, an dem die Betriebsrechnung des Unternehmers weder einen Gewinn noch einen Verlust aufweist (Break-Even-Point – K / S). Das heißt, das Produktionsniveau stimmt mit dem Nullpunkt des Nettogewinns überein; arbeitet der Unternehmer mit einer geringeren Produktion, so erleidet er einen Nettoverlust. Das Maß, nach dem neben den Grundkosten Vorsorge für die ergänzenden Kosten getroffen werden muß, hängt stark von der Art der Ausrüstung ab. Zwei extreme Fälle sind die folgenden: 7 Diese Darstellungsart stützt sich auf die bequeme Voraussetzung, daß die Kurve der Grenzgrundkosten über ihre ganze Länge für Änderungen in der Produktion kontinuierlich verläuft. Diese Voraussetzung entspricht jedoch oft nicht der Wirklichkeit, und die Kurve mag an einem oder mehreren Punkten diskontinuierlich verlaufen, besonders, wenn wir an eine Produktionsmenge kommen, die der technischen Vollauslastung der Ausrüstung entspricht. In diesem Fall bricht die Grenzanalyse teilweise zusammen, und der Preis kann die Grenzgrundkosten übersteigen, wenn jene in bezug auf eine kleine Abnahme der Produktion berechnet werden. (Auf die gleiche Art kann es oft eine Diskontinuität in der Abwärtsrichtung geben, das heißt bei einer Verminderung der Produktion unter einen gewissen Punkt.) Dies ist wichtig, wenn wir den kurzfristigen Angebotspreis im langfristigen Gleichgewicht betrachten, da in jenem Fall irgendwelche Diskontinuitäten, die einem Punkt technischer Vollauslastung entsprechen, als relevant angenommen werden müssen. Es kann daher vorkommen, daß der kurzfristige Angebotspreis im langfristigen Gleichgewicht die Grenzgrundkosten (gemessen für eine kleine Produktionsabnahme) übersteigen muß.
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1. Ein gewisser Teil der Erhaltung der Ausrüstung muß notwendigerweise pari passu mit ihrem Gebrauch vorgenommen werden (z. B. das Ölen der Maschine). Die Ausgaben hierfür (von Zukäufen abgesehen) sind in den Faktorkosten eingeschlossen. Wenn aus physischen Gründen der genaue Betrag der ganzen laufenden Entwertung notwendigerweise auf diese Art eingebracht werden muß, würde der Betrag der Nutzungskosten (von Zukäufen abgesehen) gleich den ergänzenden Kosten sein, und die Grenzfaktorkosten würden im langfristigen Gleichgewicht die durchschnittlichen Faktorkosten um einen Betrag übersteigen, der gleich dem Risiko und den Zinskosten ist. 2. Ein gewisser Teil der Verminderung im Werte der Ausrüstung tritt nur auf, wenn diese gebraucht wird. Die Kosten hierfür werden den Nutzungskosten zugerechnet, sofern sie nicht pari passu mit dem Gebrauchsakt eintreten. Wenn ein Wertverlust der Ausrüstung nur auf diese Art auftreten könnte, würden die ergänzenden Kosten null sein. Es mag angebracht sein, darauf aufmerksam zu machen, daß ein Unternehmer seine älteste und schlechteste Ausrüstung nicht zuerst gebraucht, nur weil ihre Nutzungskosten niedrig sind, da ihre niedrigen Nutzungskosten durch ihre relative Ineffizienz, das heißt durch ihre hohen Faktorkosten, überkompensiert werden können. Ein Unternehmer wird somit vorzugsweise den Teil seiner Ausrüstung benützen, für den die Nutzungskosten plus Faktorkosten die niedrigsten je Produktionseinheit sind8. Es folgt, daß es für jede gegebene Produktionsmenge des in Frage kommenden Erzeugnisses entsprechende Nutzungskosten gibt9, daß aber diese gesamten Nutzungskosten in keiner einheitlichen Beziehung zu den Grenznutzungskosten stehen, das heißt zum Zuwachs der Nutzungskosten als Folge eines Zuwachses in der Produktion.
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Die Nutzungskosten sind eines der Verbindungsglieder zwischen der Gegenwart und der Zukunft. Denn ein Unternehmer muß bei der Entscheidung über seine Produktionsmenge wählen, ob er seine Ausrüstung jetzt verbrauchen oder sie für späteren Gebrauch aufbewahren soll. Es ist die durch den gegenwärtigen Gebrauch bedingte Einbuße an zukünftigem Gewinn, der die Höhe der Nutzungskosten bestimmt, und es ist der Grenzbetrag dieser Einbuße, der zusammen mit den Grenzfaktorkosten und der Erwartung über den Grenzerlös seine Produk-
8 Da die Nutzungskosten sich teilweise auf die Erwartungen in bezug auf das zukünftige Lohnniveau stützen, wird eine Verminderung in der Lohneinheit, von der man annimmt, daß sie nur von kürzerer Dauer sein wird, die Faktorkosten und die Nutzungskosten in unterschiedlichen Proportionen verändern und somit einen Einfluß darauf ausüben, welche Ausrüstung benutzt wird, und möglicherweise auch auf das Niveau der effektiven Nachfrage, da die Faktorkosten die effektive Nachfrage in einer von den Nutzungskosten abweichenden Art beeinflussen dürfte. 9 Die Nutzungskosten der Ausrüstung, die zuerst gebraucht wird, sind nicht unbedingt von der gesamten Produktionsmenge unabhängig (siehe unten), das heißt die Nutzungskosten können auf der ganzen Linie beeinflußt werden, wenn die Gesamtmenge der Produktion verändert wird.
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tionsmenge bestimmt. Wie werden dann aber die Nutzungskosten eines Produktionsvorganges durch den Unternehmer berechnet? Wir haben die Nutzungskosten definiert als die Wertverminderung der Ausrüstung durch Gebrauch im Vergleich zu ihrer Verminderung durch Nichtgebrauch, nach Abzug der Erhaltungskosten und Verbesserungen, deren Vornahme sich lohnen würde, und der Käufe von anderen Unternehmern. Um sie zu ermitteln, muß daher der diskontierte Wert des zusätzlichen voraussichtlichen Ertrags berechnet werden, der sich an einem zukünftigen Zeitpunkt ergeben würde, wenn die Ausrüstung nicht jetzt gebraucht würde. Dieser muß zum mindesten gleich dem Gegenwartswert der Möglichkeit sein, den Ersatz aufzuschieben, der sich aus der Stillegung der Ausrüstung ergehen wird; und er kann höher sein10. Wenn es keine überschüssigen Bestände gibt, so daß jedes Jahr weitere Einheiten gleichartiger Ausrüstung entweder als Hinzufügung oder als Ersatz neu erzeugt werden, ist es offensichtlich, daß die Grenznutzungskosten durch den Betrag, um den die Dauer oder Leistungsfähigkeit bei Gebrauch gekürzt wird, und die laufenden Ersatzkosten berechnet werden können. Beim Vorhandensein von überschüssiger Ausrüstung werden die Nutzungskosten aber auch vom Zinssatz und den laufenden (das heißt neu geschätzten) ergänzenden Kosten für den Zeitabschnitt abhängen, innerhalb dessen der Abbau des Übberschusses durch Westverlust usw. erwartet wird. Auf diese Art werden Zinskosten und laufende ergänzende Kosten mittelbar in die Berechnung der Nutzungsskosten einbezogen. Die Berechnung ist in ihrer einfachsten und verständlichsten Form darstellbar, wenn die Faktorkosten null sind, zum Beispiel im Falle eines überschüssigen Bestandes von Rohmaterial, wie Kupfer, nach den Richtlinien, die ich in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ im 29. Kapitel ausgearbeitet habe. Nehmen wir die voraussichtlichen Werte von Kupfer an verschiedenen Zeitpunkten, eine Zeitreihe, die durch das Tempo beherrscht wird, mit dem der künftige Überschuß absorbiert wird, bis sie sich allmählich den geschätzten Normalkosten annähert. Der jetzige Wert oder die jetzigen Nutzungskosten einer Tonne überschüssigen Kupfers werden dann gleich dem höchsten der Werte sein, die man erhält, wenn man vom geschätzten zukünftigen Wert dieser Tonne Kupfers an irgendeinem gegebenen Zeitpunkt die Zinskosten und die laufenden ergänzenden Kosten für eine Tonne Kupfer zwischen jenem und dem heutigen Zeitpunkt abzieht. Auf die gleiche Art entsprechen die Nutzungskosten eines Schiffes, einer Fabrik oder einer Maschine bei einem überschüssigen Angebot an diesen Ausrüstungen ihren geschätzten Wiederbeschaffungskosten, wobei diese mit ihrem Zinssatz diskontiert werden, und den ergänzenden Kosten bis zum voraussichtlichen Zeitpunkt des Abbaus des Überschusses. Wir haben oben vorausgesetzt, daß die Ausrüstung zu gegebener Zeit durch einen identischen Gegenstand ersetzt werden wird. Wenn die in Frage kom10 Er wird höher sein, wenn man erwartet, daß ein höherer als normaler Ertrag an einem zukünftigen Zeitpunkt erzielt werden kann, man aber nicht erwartet, daß diese Situation lang genug anhalten werde, um die Erzeugung neuer Ausrüstung zu rechtfertigen (oder um sich dafür Zeit zu nehmen). Die heutigen Nutzungskosten sind gleich der Höchstsumme der diskontierten Werte der potentiellen erwarteten Erträge aller künftigen Perioden.
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mende Ausrüstung nach ihrem Verbrauch nicht durch einen ersetzt wird, müssen ihre Nutzungskosten berechnet werden, hältnismäßigen Leistungsfähigkeit entsprechender Teil der neuen Ausrüstung herangezogen wird, die erstellt wird, um nach ihrem Abbruch zu verrichten.
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gleichen Gegenstand indem einer der verNutzungskosten der die Arbeit der alten
III. Der Leser sollte beachten, daß bei bloßem zeitweiligem Überschuß, ohne Veraltung der Ausrüstung, der Unterschied zwischen den tatsächlichen Nutzungskosten und ihrem normalen Wert (das heißt dem Wert, wenn es keine überschüssige Ausrüstung gibt) sich mit dem Zeitraum ändert, mit dem man bis zur Absorption des Überschusses rechnet. Wenn die in Frage kommende Ausrüstung alle Jahrgänge umfaßt und nicht „gebündelt“ ist, so daß ein angemessener Teil jedes Jahr das Ende seiner Dauer erreicht, werden die Grenznutzungskosten nicht stark abnehmen, es sei denn, daß der Überschuß ausnahmsweise groß ist. Im Falle einer allgemeinen Absatzschwäche werden die Grenznutzungskosten von der Erwartung der Unternehmer über die Dauer der Absatzschwäche abhängen. Ein Steigen des Angebotspreises bei einer Besserung der Geschäftslage kann somit teilweise einer starken Zunahme der Grenznutzungskosten als Folge einer Berichtigung ihrer Erwartungen zuzuschreiben sein. Entgegen der Ansicht von Geschäftsleuten ist hie und da erklärt worden, daß organisierte Pläne für den Abbruch überschüssiger Fabrikanlagen nicht zu der gewünschten Preissteigerung führen werden, wenn sie sich nicht auf die gesamten überschüssigen Fabrikanlagen beziehen. Der Begriff Nutzungskosten zeigt aber, daß der Abbruch von zum Beispiel der Hälfte der überschüssigen Fabrikanlagen zu einer sofortigen Preissteigerung führen kann. Denn dieses Verfahren erhöht, da es den Tag der Absorption des Überschusses näher bringt, die Grenznutzungskosten und folglich auch den laufenden Angebotspreis. Geschäftsleute scheinen daher den Begriff Nutzungskosten implizit richtig erfaßt zu haben, obschon sie ihn nicht genau formulieren. Wenn die ergänzenden Kosten hoch sind, folgt, daß die Grenznutzungskosten niedrig sein müssen, wenn ein Überschuß an Ausrüstung vorhanden ist. Bei einem Überschuß an Ausrüstung ist es überdies unwahrscheinlich, daß die Grenzfaktorkosten und die Grenznutzungskosten ihren durchschnittlichen Wert stark übersteigen werden. Sind diese beiden Bedingungen erfüllt, so wird das Bestehen einer überschüssigen Ausrüstung wahrscheinlich dazu führen, daß der Unternehmer mit einem Nettoverlust und vielleicht sogar mit einem großen Nettoverlust arbeiten wird. Von dieser Geschäftslage wird es im Augenblick der Absorption des Überschusses keinen plötzlichen Übergang zu einem normalen Gewinn geben. Mit dem Abnehmen des Überschusses werden die Nutzungskosten allmählich zunehmen, und der Überschuß der marginalen Kosten über die durchschnittlichen Faktor- und Nutzungskosten kann ebenfalls allmählich zunehmen. IV. In Marshall’s Principles of Economics (6. Auflage, S. 360) wird ein Teil der Nutzungskosten unter der Bezeichnung „besondere Abnutzung der Betriebsanlage“ in den Grundkosten eingeschlossen. Über die Art der Berechnung oder
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die Wichtigkeit dieses Postens wird jedoch kein Anhaltspunkt gegeben. In seiner Theory of Unemployment (S. 42) nimmt Prof. Pigou ausdrücklich an, daß die durch die Grenzproduktion verursachte Grenzdesinvestition in der Ausrüstung im allgemeinen unberücksichtigt gelassen werden kann: „Die Unterschiede in der Menge, die die Ausrüstung durch die Abnutzung erlitten hat, und in den Kosten der nicht manuellen Arbeit, die mit den Unterschieden in der Produktionsmenge verbunden sind, werden, da im allgemeinen von untergeordneter Bedeutung, nicht berücksichtigt11.“ Die Anschauung, daß die Desinvestition in Ausrüstung am Produktionslimit null ist, zieht sich durch einen großen Teil der jüngsten wirtschaftlichen Theorie. Aber das ganze Problem wird zur Entscheidung gebracht, sobald man es für notwendig erachtet, genau zu erklären, was man unter dem Angebotspreis einer einzelnen Firma versteht. Es ist wahr, daß die Erhaltungskosten stilliegender Betriebe, aus den oben angeführten Gründen, die Höhe der Grenznutzungskosten verringern können, besonders während einer Absatzschwäche, von der man erwartet, daß sie lange dauern werde. Sehr niedrige Nutzungskosten an der Grenze sind aber trotzdem nicht für die kurze Periode als solche, sondern für besondere Situationen und Arten der Ausrüstung kennzeichnend, wo die Kosten der Erhaltung stilliegender Betriebe hoch sind und für jene Ungleichgewichte, die durch sehr rasche Veraltung oder großen Überschuß gekennzeichnet sind, besonders wenn dieser mit einem großen Teil verhältnismäßig neuer Anlagen verbunden ist. Im Falle von Rohmaterialien ist die Notwendigkeit für die Berücksichtigung der Nutzungskosten offensichtlich: Wenn eine Tonne Kupfer heute aufgebraucht wird, kann sie nicht morgen verbraucht werden, und der Wert, den das Kupfer für die Zwecke von morgen haben würde, muß offenbar als ein Teil der Grenzkosten gerechnet werden. Aber man hat die Tatsache übersehen, daß Kupfer nur ein Extremfall dessen ist, was jedesmal vorkommt, wenn Kapitalausrüstung zur Produktion verwendet wird. Die Annahme, daß es eine scharfe Grenze gibt zwischen Rohmaterialien, wo wir die Desinvestition infolge ihres Gebrauches berücksichtigen müssen, und Fixkapital, wo wir sie ruhig unberücksichtigt lassen können, entspricht nicht den Tatsachen, besonders während normaler Verhältnisse, wenn Ausrüstung jedes Jahr zum Ersatz fällig wird und der Gebrauch der Ausrüstung den Zeitpunkt näher bringt, an dem Ersatz nötig wird. Es ist ein Vorteil der Begriffe Nutzungskosten und ergänzende Kosten, daß sie für Betriebsmittel und ungeplante Bestände an Fertigwaren ebenso wie für Fixkapital anwendbar sind. Der wesentliche Unterschied zwischen Rohmaterialien und Fixkapital liegt nicht in ihrer Zuordnung zu Nutzungskosten und ergänzenden Kosten, sondern in der Tatsache, daß der Ertrag der Fertigerzeugnisse aus einem einzigen Posten besteht, während der Ertrag von Fixkapital, das dauerhaft ist und allmählich aufgebraucht wird, aus einer Reihe von Nutzungskosten und von Gewinnen besteht, die in aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten verdient werden. 11 Mr. Hawtrey (Economica, Mai 1934, S. 145) macht auf Prof. Pigous Gleichsetzung des Angebotspreises mit den Grenzarbeitskosten aufmerksam und behauptet, daß Prof. Pigous Beweisführung dadurch stark beeinträchtigt wird.
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Siebentes Kapitel
Weitere Betrachtung der Bedeutung von Ersparnis und Investition I. 74
Im vorhergehenden Kapitel sind Ersparnis und Investition derart definiert worden, daß ihre Beträge notwendigerweise einander gleich sind, da sie für das Gemeinwesen als Ganzes lediglich verschiedene Aspekte des gleichen Gegenstandes sind. Mehrere zeitgenössische Autoren (darunter ich selbst in meiner Abhandlung Vom Gelde) haben jedoch besondere Definitionen dieser Begriffe gegeben, nach denen sie nicht notwendigerweise gleich sind. Andere haben unter der Annahme geschrieben, daß sie ungleich sein können, ohne ihrer Erörterung irgendwelche Definition voranzustellen. Um die vorangehende Diskussion zu anderen Erörterungen dieser Begriffe in Beziehung zu bringen, wird es daher nützlich sein, wenn wir einige ihrer häufigsten Sprachgebräuche klassifizieren. Soweit mir bekannt ist, stimmen alle überein, daß Ersparnis den Überschuß des Einkommens über die Ausgaben für den Verbrauch bedeutet. Eine andere Auffassung wäre zweifellos sehr unbequem und irreführend. Auch darüber, was Ausgaben für den Verbrauch bedeuten, bestehen keine wichtigen Meinungsunterschiede. Die Unterschiede im Sprachgebrauch entstehen daher entweder aus der Definition der Investition oder aus der des Einkommens.
II.
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Nehmen wir zuerst die Investition. Im gewöhnlichen Gebrauch versteht man darunter gemeinhin den Kauf eines Vermögenswertes, alt oder neu, durch einen Einzelnen oder eine Körperschaft. Gelegentlich könnte der Ausdruck auf den Kauf eines Vermögenswertes an der Börse beschränkt werden. Wir reden aber ebenso bereitwillig von einer Investition zum Beispiel in ein Haus oder in eine Maschine, oder in einem Bestand an fertigen oder unfertigen Waren, und Neuinvestition bedeutet, allgemein gesprochen, im Gegensatz zur Nettoinvestition den Kauf eines Kapitalgutes irgendwelcher Art aus dem Einkommen. Wenn wir den Verkauf einer Investition als negative Investition betrachten, das heißt als Desinvestition, stimmt meine eigene Definition mit dem üblichen Gebrauch überein, da sich der Tausch von alten Investitionen notwendigerweise aufhebt. Wir müssen zwar das Ein-
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gehen und Tilgen von Schulden (einschließlich Änderungen in der Menge von Kredit und Geld) berücksichtigen, da aber für das Gemeinwesen als Ganzes die Zunahme oder Abnahme der gesamten Gläubigerposition genau gleich der Zunahme oder Abnahme der gesamten Schuldnerposition ist, gleicht sich diese Schwierigkeit ebenfalls aus, wenn wir uns mit der gesamten Investition beschäftigen. Angenommen, daß das Einkommen im üblichen Sinn mit meinem Nettoeinkommen übereinstimmt, so wird die gesamte Investition im üblichen Sinn mit meiner Definition der Nettoinvestition übereinstimmen, das heißt, mit der Hinzufügung zu jeder Art Kapitalausrüstung nach Abzug jener Änderungen im Werte der alten Kapitalausrüstung, die bei der Berechnung des Nettoeinkommens berücksichtigt werden. Investition, so definiert, schließt daher den Zuwachs der Kapitalausrüstung ein, unabhängig davon, ob sie aus fixem Kapital, Betriebsmitteln oder liquidem Kapital besteht, und die maßgebenden Unterschiede in der Definition (von der Unterscheidung zwischen Investition und Nettoinvestition abgesehen) sind auf den Ausschluß einer oder mehrerer dieser Kategorien aus dem Investitionsbegriff zurückzuführen. Mr. Hawtrey zum Beispiel, der den Änderungen im liquiden Kapital, das heißt den unbeabsichtigten Zunahmen (oder Abnahmen) im Bestand unverkaufter Waren große Bedeutung beimißt, hat eine Definition der Investition vorgeschlagen, die solche Änderungen ausschließt. In diesem Fall wäre ein Überschuß der Ersparnisse über die Investition das gleiche wie eine unbeabsichtigte Zunahme des Bestandes unverkaufter Güter, das heißt eine Zunahme des liquiden Kapitals. Mr. Hawtrey hat mich nicht überzeugt, daß dies der ausschlaggebende Faktor ist; denn dies legt das ganze Gewicht auf die Korrektur anfänglich nicht vorausgesehener Änderungen, im Gegensatz zu jenen, die, mit Recht oder Unrecht, vorausgesehen wurden. Mr. Hawtrey ist der Ansicht, daß die täglichen Entscheidungen der Unternehmer über ihr Produktionsniveau im Vergleich zum Niveau des vorhergehenden Tages unter Beachtung der Änderungen des Bestands unverkaufter Waren bestimmt werden. Im Falle von Verbrauchsgütern spielt dies gewiß eine große Rolle in ihren Entscheidungen. Ich sehe aber keinen Grund, warum der Einfluß anderer Faktoren auf ihre Entscheidungen ausgeschaltet werden soll, und ich ziehe es daher vor, die gesamte Änderung in der effektiven Nachfrage hervorzuheben und nicht nur den Teil, der die Zunahme oder Abnahme der unverkauften Bestände des vorhergehenden Zeitabschnittes widerspiegelt. Im Falle von Fixkapital hat die Zunahme oder Abnahme der unausgenützten Kapazitäten überdies die gleiche Wirkung auf die
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Entscheidungen über die Produktion wie die Zunahme oder Abnahme der unverkauften Bestände, und ich sehe nicht, wie Mr. Hawtreys Methode diesem mindestens ebenso wichtigen Faktor gerecht werden kann. Es scheint wahrscheinlich, daß die von der österreichischen Schule gebrauchten Begriffe Kapitalbildung und Kapitalaufzehrung weder mit Investition und Desinvestition, wie oben definiert, noch mit Nettoinvestition und entsprechender Desinvestition identisch sind. Kapitalaufzehrung soll insbesondere unter Umständen vorkommen, in denen es offenbar keine Abnahme der Kapitalausrüstung nach obiger Definition gegeben hat. Ich habe jedoch keinen Hinweis auf irgendeine Stelle entdecken können, wo der Sinn dieser Ausdrücke deutlich erklärt wird. Die Feststellung zum Beispiel, daß Kapitalbildung vorkommt, wenn eine Verlängerung der Produktionsperiode stattfindet, bringt uns nicht viel weiter. III.
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Wir kommen nun zu den Abweichungen zwischen Ersparnis und Investition als Folge einer besonderen Definition des Einkommens und folglich des Überschusses des Einkommens über den Verbrauch. Mein eigener Gebrauch der Ausdrücke in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ ist ein Beispiel hierfür. Wie ich nämlich auf S. 53 oben erklärt habe, wich die Definition von Einkommen, die ich dort gebrauchte, von meiner jetzigen Definition dadurch ab, daß sie als das Einkommen der Unternehmer nicht ihre tatsächlich erzielten Gewinne, sondern (in einem gewissen Sinne) ihren „normalen Gewinn“ bezeichnete. Ich verstand somit unter einem Überschuß der Ersparnis über die Investition, daß das Produktionsniveau derart war, daß die Unternehmer weniger als ihren normalen Gewinn aus dem Besitz ihrer Kapitalausrüstung verdienten, und unter einem vermehrten Überschuß der Ersparnis über die Investition verstand ich, daß die tatsächlichen Gewinne abnahmen, so daß die Unternehmer einen Beweggrund hatten, die Produktion einzuschränken. Heute denke ich, daß die Menge der Beschäftigung (und folglich der Produktion und des Realeinkommens) vom Unternehmer mit der Zielsetzung festgesetzt wird, seine gegenwärtigen und voraussichtlichen Gewinne zu maximieren (wobei der Abzug der Nutzungskosten durch seine Ansicht über jenen Gebrauch der Ausrüstung bestimmt wird, der seinen Verdienst aus ihr während ihrer ganzen Dauer maximiert), während die Menge der Beschäftigung, die seinen Gewinn maximiert, sich auf die aggregierte Nachfragefunktion stützt, die durch seine
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Erwartungen der Summe des Erlöses gegeben wird, die sich unter verschiedenen Hypothesen aus Verbrauch einerseits und Investition andererseits ergibt. In meiner Abhandlung Vom Gelde war der Begriff von Änderungen im Überschuß von Investition über Ersparnis, wie dort definiert, ein Weg zur Behandlung von Änderungen im Gewinn, obschon ich in jenem Buch nicht klar zwischen erwarteten und erzielten Ergebnissen unterschied1. Ich setzte dort auseinander, daß eine Änderung im Überschuß von Investition über Ersparnis die leitende Kraft ist, die die Änderung in der Menge der Produktion beherrscht. Die neue Beweisführung, obschon (nach meinem jetzigen Dafürhalten) viel genauer und lehrreicher, ist daher wesentlich eine Entwicklung der alten. In der Sprache meiner Abhandlung Vom Gelde würde sie lauten: die Erwartung eines vermehrten Überschusses der Investitionen über die Ersparnis, bei gegebener Menge von Beschäftigung und Produktion, wird die Unternehmer veranlassen, die Menge von Beschäftigung und Produktion zu vermehren. Die Bedeutung sowohl meiner jetzigen als auch meiner früheren Beweisführung liegt in ihrem Versuch, zu zeigen, daß die Menge der Beschäftigung durch die von den Unternehmern gemachten Schätzungen der effektiven Nachfrage bestimmt wird, wobei eine erwartete Zunahme der Investitionen im Verhältnis zur Ersparnis nach der Definition in meiner Abhandlung Vom Gelde ein Kriterium für eine Zunahme in der effektiven Nachfrage ist. Im Lichte der hier dargelegten weiteren Entwicklung ist die Ausführung in meiner Abhandlung Vom Gelde aber natürlich sehr verwirrend und unvollständig. Mr. D. H. Robertson hat das heutige Einkommen als gleich dem gestrigen Verbrauch plus Investition definiert, so daß die heutige Ersparnis in seinem Sinne gleich der gestrigen Investition plus dem Überschuß des gestrigen Verbrauches über den heutigen Verbrauch ist. Nach dieser Definition kann die Ersparnis die Investition übersteigen, nämlich um den Überschuß des gestrigen Einkommens (in meinem Sinne) über das heutige. Wenn Mr. Robertson somit sagt, daß es einen Überschuß von Ersparnis über Investition gibt, meint er wörtlich das gleiche, wie wenn ich sage, daß das Einkommen fällt, und der Überschuß der Ersparnis in seinem Sinn ist genau gleich der Abnahme des Einkommens in meinem Sinn. Wenn es wahr wäre, daß die laufenden Erwartungen immer durch die gestern erzielten Ergebnisse bestimmt würden, wäre die heutige effektive Nachfrage gleich dem gestrigen 1 Meine Methode dort war, den laufend erzielten Gewinn als Bestimmungsgrund für die laufende Gewinnerwartung anzusehen.
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Einkommen. Mr. Robertsons Methode mag somit als ein alternativer Versuch zu meiner Methode (und vielleicht als eine erste Näherung an sie) betrachtet werden, um die gleiche – für die Kausalanalyse so wesentliche – Unterscheidung zu machen, die ich durch den Gegensatz zwischen effektiver Nachfrage und Einkommen versuchte2. IV.
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Wir kommen nun zu den viel unbestimmteren Ideen, die mit dem Ausdruck „erzwungene Ersparnis“ verbunden sind. Kann man in diesen eine klare Bedeutung entdecken? In meiner Abhandlung Vom Gelde (S. 140, Fußnote) gab ich einige Hinweise auf frühere Anwendungen dieses Ausdrucks und vertrat die Ansicht, daß sie eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Unterschied zwischen Investitionen und „Ersparnis“ in dem Sinne, in dem ich diesen Ausdruck dort gebrauchte, hatten. Ich bin nicht mehr überzeugt, daß wirklich so viel Ähnlichkeit bestand, wie ich damals annahm. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, daß „erzwungene Ersparnis“ und entsprechende, in neuerer Zeit angewandte Ausdrücke (wie zum Beispiel von Professor Hayek oder Professor Robbins) keine bestimmte Beziehung zum Unterschied zwischen Investition und „Ersparnis“ in dem in meiner Abhandlung Vom Gelde beabsichtigten Sinn haben; denn obschon diese Autoren nicht genau erklärt haben, was sie unter diesem Ausdruck verstehen, ist es doch klar, daß „erzwungene Ersparnis“ in ihrem Sinne eine Erscheinung ist, die unmittelbar auf Änderungen in der Menge des Geldes oder Bankkredites zurückzuführen und durch sie zu messen ist. Es ist offensichtlich, daß eine Änderung in der Menge der Produktion und der Beschäftigung in der Tat eine Änderung im Einkommen, in Lohneinheiten gemessen, verursachen wird; daß eine Änderung in der Lohneinheit sowohl eine Umverteilung des Einkommens zwischen Schuldner und Gläubiger als auch eine Änderung im Gesamteinkommen, in Geld gemessen, verursachen wird; und daß es im einen wie im anderen Falle eine Änderung im ersparten Betrag geben wird (oder kann). Da Änderungen in der Menge des Geldes daher durch ihre Wirkung auf den Zinssatz zu einer Änderung in der Menge und Verteilung des Einkommens führen können, wie wir später zeigen werden, mögen solche Änderungen mittelbar eine Änderung im ersparten Betrag zur Folge haben. Solche Änderungen in den ersparten Beträgen sind aber ebensowenig „erzwungene Ersparnis“ als irgend2 Siehe Mr. Robertsons Aufsatz „Saving and Hoarding“ (Economic Journal, September 1933, S. 399) und die Diskussion zwischen Mr. Robertson, Mr. Hawtrey und mir (Economic Journal, Dezember 1933, S. 658).
7. Kap.: Weitere Betrachtung der Bedeutung von Ersparnis und Investition
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welche anderen Änderungen in den ersparten Beträgen infolge einer Änderung der Verhältnisse, und es gibt kein Mittel, um zwischen dem einen und dem anderen Fall zu unterscheiden, es sei denn, daß wir den ersparten Betrag in gewissen gegebenen Umständen als unsere Norm oder unseren Standard kennzeichnen. Wie wir ferner sehen werden, ist der Betrag der Änderung in den Gesamtersparnissen, der von einer gegebenen Änderung in der Menge des Geldes herrührt, höchst variabel und von manchen anderen Faktoren abhängig. „Erzwungene Ersparnis“ bekommt somit erst einen Sinn, wenn wir irgendein Standardniveau der Ersparnis ausdrücklich spezifiziert haben. Wenn wir (was verständlich erscheint) die Ersparnis wählen, die mit einem bestehenden Zustand der Vollbeschäftigung übereinstimmt, würde die obige Definition wie folgt lauten: „Erzwungene Ersparnis ist der Überschuß der tatsächlichen Ersparnis über das, was bei Vollbeschäftigung in einer langfristigen Gleichgewichtslage gespart würde“. Diese Definition hätte Sinn, aber einen Sinn, in dem ein erzwungener Überschuß von Ersparnis eine sehr seltene und eine sehr instabile Erscheinung und ein erzwungener Mangel an Ersparnissen der übliche Zustand wäre. Professor Hayeks interessante „Note on the Development of the Doctrine of Forced Saving3“ zeigt, daß dies in der Tat die ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks war. „Erzwungene Ersparnis“ oder „erzwungene Genügsamkeit“ war ursprünglich ein Begriff Benthams, und Bentham bemerkte ausdrücklich, daß er die Folgen einer Zunahme der Geldmenge (im Verhältnis zur Menge der für Geld verkäuflichen Dinge) in der Situation im Sinne hatte, in der „alle Leute beschäftigt und in der vorteilhaftesten Weise beschäftigt sind“.4 Unter solchen Umständen, hebt Bentham hervor, kann das Realeinkommen nicht vermehrt werden, und eine durch die vermehrte Geldmenge verursachte zusätzliche Investition bedingt daher erzwungene Genügsamkeit „auf Kosten nationaler Wohlfahrt und nationaler Gerechtigkeit“. Alle Autoren des neunzehnten Jahrhunderts, die diesen Gegenstand behandelten, hatten im Grunde die gleiche Idee im Sinn. Ein Versuch, diese vollständig klare Idee auf Zustände geringerer als Vollbeschäftigung auszudehnen, birgt aber Schwierigkeiten in sich. Es ist natürlich wahr (wegen des Gesetzes des abnehmenden Ertrages bei einer Zunahme der auf einer gegebenen Kapitalausrüstung angewandten Beschäftigung), daß jede Zunahme der Beschäftigung für die schon vorher Beschäftigten eine 3 4
Quarterly Journal of Economics, Nov. 1932, S. 123. Loc. cit. S. 125.
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Zweites Buch: Definitionen und Ideen
Einbuße im Realeinkommen bedingt; aber ein Versuch, diesen Verlust in Beziehung zur Zunahme der Investition zu bringen, die die Zunahme der Beschäftigung begleiten mag, wird kaum fruchtbar sein. Auf jeden Fall ist mir nicht bewußt, daß von modernen Autoren, die sich für „erzwungene Ersparnis“ interessieren, ein Versuch gemacht wurde, diese Idee auf Zustände einer zunehmenden Beschäftigung auszudehnen, und sie scheinen in der Regel zu übersehen, daß eine Ausdehnung von Benthams Begriff von erzwungener Genügsamkeit auf Zustände unterhalb der Vollbeschäftigung einige Erklärungen oder Einschränkungen verlangt.
V.
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Das Überwiegen der Vorstellung, daß Ersparnis und Investition, in ihrem einfachen Sinn genommen, voneinander abweichen können, muß meiner Ansicht nach durch eine optische Täuschung erklärt werden, die die Beziehung eines einzelnen Einzahlers zu seiner Bank als eine einseitige Transaktion erscheinen läßt, statt als das zweiseitige Geschäft, das sie tatsächlich ist. Es wird angenommen, daß ein Einzahler und seine Bank irgendwie unter sich einen Weg finden, eine Operation vorzunehmen, wodurch Ersparnisse im Bankensystem verschwinden können, so daß sie für die Investition verloren sind, oder umgekehrt, daß das Bankensystem die Bildung von Investition möglich machen kann, der keine Ersparnisse gegenüberstehen. Niemand kann aber sparen, ohne einen Vermögensbestand zu erwerben, sei es in der Form von Kasse, eines Darlehens oder von Kapitalgütern, und niemand kann einen Vermögensbestand erwerben, den er nicht vorher besaß, ohne daß entweder ein Vermögensbestand vom gleichen Wert neu erzeugt wird oder jemand anders einen Vermögensbestand vom gleichen Wert aufgibt, den er vorher besaß. Im ersten Fall entsteht eine entsprechende neue Investition, im zweiten Fall muß jemand anders eine gleichhohe Summe seiner Ersparnis aufgelöst haben. Sein Vermögensverlust muß nämlich durch den Überschuß seines Verbrauches über sein Einkommen verursacht worden sein und nicht durch einen Verlust auf dem Kapitalkonto infolge einer Änderung im Werte eines Vermögensbestandes; denn es handelt sich nicht um das Erleiden eines Verlustes im Werte, den sein Vermögensbestand früher besaß; er erhält richtig den laufenden Wert seines Vermögensbestandes, ohne jedoch diesen Vermögenswert in irgendeiner Form zu bewahren, das heißt seine Ausgaben für den laufenden Verbrauch müssen sein laufendes Einkommen um seinen Vermögensverlust übersteigen. Wenn es überdies das Bankensystem ist, das einen Ver-
7. Kap.: Weitere Betrachtung der Bedeutung von Ersparnis und Investition
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mögensgegenstand aufgibt, so muß jemand anders sich von Kasse getrennt haben. Daraus folgt, daß die Gesamtersparnis des ersten und der anderen Individuen zusammen notwendigerweise gleich dem Betrag der laufenden Neuinvestition ist. Die Vorstellung, daß die Schöpfung von Kredit durch das Bankensystem die Vornahme von Investitionen zuläßt, denen „keine echte Ersparnis“ gegenübersteht, kann nur davon herrühren, daß eine der Folgen des vermehrten Bankkredites unter Ausschluß der übrigen herausgehoben wird. Wenn die Gewährung eines Bankdarlehens an einen Unternehmer in Ergänzung der bestehenden Kredite es diesem Unternehmer erlaubt, eine zusätzliche laufende Investition vorzunehmen, die sonst nicht stattgefunden hätte, werden die Einkommen notwendigerweise zunehmen, und zwar in einem Maße, das die zusätzliche Investition normalerweise übersteigt. Abgesehen von der Situation der Vollbeschäftigung, wird überdies sowohl das Realeinkommen als auch das Nominaleinkommen zunehmen. Das Publikum wird „frei wählen“, in welchem Verhältnis es die Zunahme seines Einkommens zwischen Ersparnis und Ausgaben aufteilt; und es ist unmöglich, daß sich die Absicht des Unternehmers, der geborgt hat, um seine Investition zu vergrößern (wenn es sich nicht um eine Investition handelt, die sonst durch andere Unternehmer vorgenommen worden wäre), rascher verwirklicht, als sich das Publikum entschließt, seine Ersparnisse zu vermehren. Die Ersparnisse, die von diesem Entschluß herrühren, sind überdies ebenso echt wie irgendwelche anderen Ersparnisse. Niemand kann gezwungen werden, das zusätzliche Geld zu halten, das dem neuen Bankkredit entspricht, sofern er nicht absichtlich das Halten von mehr Geld dem Halten irgendeiner anderen Vermögensform vorzieht. Und doch müssen Beschäftigung, Einkommen und Preise sich derart bewegen, daß jemand im neuen Zustand bereit ist, das zusätzliche Geld zu halten. Es ist wahr, daß eine unerwartete Zunahme der Investitionen in einer speziellen Richtung eine Unregelmäßigkeit in der Höhe der gesamten Ersparnis und Investition verursachen kann, die nicht vorgekommen wäre, wenn man sie genügend vorausgesehen hätte. Es ist ferner wahr, daß die Bewilligung eines Bankkredites drei Tendenzen auslösen wird: 1. eine Zunahme der Produktion, 2. eine Werterhöhung des Grenzprodukts, in Lohneinheiten gemessen, (die bei abnehmendem Ertrag notwendigerweise eine Zunahme der Produktion begleiten muß) und 3. eine Erhöhung der Lohneinheit in Geld gemessen (da dies eine häufige Begleiterscheinung besserer Beschäftigung ist), und diese Tendenzen können die Verteilung des Realeinkommens zwischen verschiedenen Gruppen beeinflussen. Diese
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Tendenzen sind aber für einen Zustand zunehmender Produktion als solche kennzeichnend und werden gleichermaßen vorkommen, wenn die Zunahme in der Produktion durch etwas anderes als zunehmende Bankkredite ausgelöst worden wäre. Sie können nur vermieden werden, wenn jegliche Handlung unterlassen wird, die die Beschäftigung vermehren kann. Ein guter Teil des Obigen nimmt aber das Ergebnis von Erörterungen vorweg, zu welchen wir noch nicht gelangt sind. Die altmodische Anschauung, daß Ersparnis immer Investition bedingt, ist somit, obschon unvollständig und irreführend, im Kern gesünder als die neumodische Anschauung, daß es Ersparnis ohne Investition oder Investition ohne „echte“ Ersparnis geben kann. Der Irrtum besteht darin, die an sich einleuchtende Folgerung zu ziehen, daß das Sparen eines Einzelnen die gesamte Investition um einen gleichen Betrag vergrößert. Es ist richtig, daß ein Einzelner durch Sparen sein eigenes Vermögen vermehrt. Die Folgerung, daß er dadurch auch das Gesamtvermögen vermehrt, übersieht aber die Möglichkeit, daß der Ersparnisakt eines Einzelnen auf die Ersparnisse und folglich auf das Vermögen eines Anderen zurückwirken kann. Die Möglichkeit, die Identität zwischen Ersparnis und Investition mit dem anscheinend „freien Willen“ des Einzelnen, zu sparen, was ihm beliebt, unabhängig davon, was er oder andere investieren mögen, zu vereinbaren, stützt sich wesentlich darauf, daß Sparen sowie Ausgeben eine zweiseitige Angelegenheit ist. Obschon nämlich der Betrag seiner eigenen Ersparnis wahrscheinlich keinen bedeutenden Einfluß auf sein eigenes Einkommen haben wird, machen die Rückwirkungen des Betrages seines Verbrauches auf die Einkommen anderer es doch unmöglich, daß alle Menschen gleichzeitig irgendwelche gegebenen Summen sparen können. Jeder Versuch, durch derartige Einschränkung des Konsums mehr zu sparen, wird die Einkommen so beeinflussen, daß sich der Versuch notwendigerweise selbst vereitelt. Für das Gemeinwesen als Ganzes ist es selbstverständlich ebenso unmöglich, weniger als den Betrag der laufenden Investition zu sparen, da dieser Versuch notwendigerweise die Einkommen auf ein Niveau erhöhen wird, auf dem die Summen, die sich die Einzelnen zu sparen entschließen, eine Zahl ergeben, die genau gleich dem Betrag der Investition ist. Das obige entspricht dem Lehrsatz, der die Freiheit des Einzelnen, nach seinem Belieben seinen Geldbestand zu ändern, mit der Notwendigkeit in Übereinstimmung bringt, daß die gesamte Geldsumme, die die einzelnen Bestände ergeben, genau gleich dem Geldbetrag sein
7. Kap.: Weitere Betrachtung der Bedeutung von Ersparnis und Investition
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muß, den das Bankensystem geschaffen hat. In diesem letzteren Fall wird die Gleichheit durch die Tatsache herbeigeführt, daß der Geldbetrag, den sich die Leute zu halten entschließen, nicht unabhängig von ihrem Einkommen oder dem Preise der Dinge ist (hauptsächlich Wertpapiere), deren Kauf die natürliche Alternative zum Halten von Geld ist. Die Einkommen und diese Preise müssen sich daher ändern, bis die Gesamtheit der Geldbeträge, die sich die Einzelnen auf dem neuen Niveau der Einkommen und der dadurch verursachten Preise zu halten entschließen, gleich dem durch das Bankensystem geschaffenen Geldbetrag geworden ist. Das ist in der Tat der Grundlehrsatz der Geldtheorie. Diese beiden Sätze ergeben sich lediglich aus der Tatsache, daß es keinen Käufer ohne Verkäufer und keinen Verkäufer ohne Käufer geben kann. Obschon nämlich ein Einzelner, dessen Transaktionen im Verhältnis zum Markt gering sind, die Tatsache, daß die Nachfrage keine einseitige Transaktion ist, ruhig übersehen kann, wäre es doch widersinnig, sie zu übersehen, wenn wir zur gesamten Nachfrage kommen. Das ist der essentielle Unterschied zwischen der Theorie des wirtschaftlichen Verhaltens der Gesamtheit und der Theorie des Verhaltens des Einzelnen, in der wir unterstellen, daß Änderungen in der eigenen Nachfrage des Einzelnen sein Einkommen nicht beeinflussen.
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DRITTES BUCH
Die Konsumneigung
Achtes Kapitel
Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren I. Wir können jetzt zu unserem Hauptgegenstand zurückkehren, von dem wir uns am Ende des ersten Buches trennten, um uns mit gewissen allgemeinen Problemen der Methode und Definition zu befassen. Der endgültige Zweck unserer Analyse ist, zu entdecken, was die Menge der Beschäftigung bestimmt. Bis jetzt haben wir den vorläufigen Schluß erreicht, daß die Menge der Beschäftigung durch den Schnittpunkt der aggregierten Angebotsfunktion und der aggregierten Nachfragefunktion bestimmt wird. Die aggregierten Angebotsfunktion, die sich hauptsächlich auf die physischen Verhältnisse des Angebotes stützt, betrifft jedoch wenige Erwägungen, die uns nicht bereits vertraut sind. Die Form mag fremdartig sein, aber die ihr zugrunde liegenden Faktoren sind nicht neu. Wir werden zu der aggregierten Angebotsfunktion im 20. Kapitel zurückkehren, indem wir ihre Umkehrung unter dem Namen Beschäftigungsfunktion erörtern. In der Hauptsache ist es aber die Rolle der aggregierten Nachfragefunktion, die übersehen worden ist, und es ist diese aggregierte Nachfragefunktion, der wir das dritte und vierte Buch widmen werden. Die aggregierte Nachfragefunktion verbindet jedes gegebene Niveau der Beschäftigung mit den „Erlösen“, die von diesem Niveau der Beschäftigung erwartet werden. Die Erlöse werden durch die Summe zweier Mengen gebildet: der Summe, die für den Verbrauch ausgegeben wird, wenn die Beschäftigung auf dem gegebenen Niveau ist, und der Summe, die der Investition gewidmet wird. Die Faktoren, die diese zwei Mengen beherrschen, sind weitgehend unterschiedlich. In diesem Buch werden wir die ersten betrachten, das heißt die Faktoren, die die Summe bestimmen, die für den Verbrauch ausgegeben wird, wenn die Beschäftigung auf einem gegebenen Niveau ist, und im vierten Buch zu den Faktoren übergehen, die die Summe bestimmen, die der Investition gewidmet wird. Da wir hier mit der Bestimmung der Summe beschäftigt sind, die für den Verbrauch ausgegeben wird, wenn die Beschäftigung auf einem gegebenen Niveau ist, sollten wir, genau genommen, die Funktion betrachten, die jene (C) mit dieser (N) verbindet. Es ist jedoch zweck-
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
mäßiger, mit einer etwas anderen Funktion zu arbeiten, nämlich der Funktion, die den Verbrauch, in Lohneinheiten gemessen
Cw , mit dem Einkommen, in Lohneinheiten gemessen
Yw , verbindet, die einem Beschäftigungsniveau N entspricht. Dies unterliegt dem Einwand, daß Yw keine eindeutige Funktion von N ist, die unter allen Umständen die gleiche bleibt. Denn die Beziehung zwischen Yw und N mag (obschon wahrscheinlich in sehr geringem Maße) von der genauen Natur der Beschäftigung abhängen. Das heißt, zwei unterschiedliche Verteilungen einer gegebenen aggregierten Beschäftigung N zwischen verschiedenen Beschäftigungen können (wegen der verschiedenen Formen der individuelle Beschäftigungsfunktion – ein Punkt, den wir im 20. Kapitel behandeln werden) zu verschiedenen Werten von Yw führen. Unter denkbaren Umständen mag es notwendig sein, diesen Faktor besonders zu berücksichtigen; aber im Allgemeinen ist die Annahme, daß Yw eindeutig durch N bestimmt wird, eine gute Annäherung. Wir werden daher das, was wir die Konsumneigung nennen werden, als die funktionelle Beziehung zwischen Yw , einem gegebenen Niveau des Einkommens in Lohneinheiten gemessen, und Cw, der Ausgaben für den Verbrauch aus diesem Einkommensniveau, definieren, so daß Cw
Yw oder C W
Yw :
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Der Betrag, den das Gemeinwesen für den Verbrauch ausgibt, stützt sich offenbar: 1. teilweise auf den Betrag seines Einkommens, 2. teilweise auf die anderen objektiven Begleitumstände und 3. teilweise auf die subjektiven Bedürfnisse, pychologischen Neigungen und Gewohnheiten der Einzelnen, welche das Gemeinwesen bilden, und die Grundsätze, nach denen das Einkommen unter ihnen verteilt wird (die sich mit der Vermehrung der Produktion ändern mögen). Die Beweggründe zum Ausgeben greifen ineinander über, und der Versuch, sie zu klassifizieren, bringt die Gefahr einer falschen Aufteilung mit sich. Nichtsdestoweniger wird ihre Betrachtung unter zwei allgemeinen Punkten, die wir die subjektiven und die objektiven Faktoren nennen werden, das Verständnis erleichtern. Die subjektiven Faktoren, die wir ausführlicher im nächsten Kapitel erwägen werden, schließen jene psychologischen Eigenheiten der menschlichen Natur und jene gesellschaftlichen Gebräuche und Einrichtungen ein, die sich, obschon nicht unwandelbar, während eines kurzen Zeitabschnittes, von anormalen und revolutionären Umständen abgesehen, wahrscheinlich nicht merklich ändern werden. In einer geschichtlichen Untersuchung oder beim Vergleich einer gesellschaftlichen Ordnung mit einer anderen von verschiedener Art ist es notwendig, die Weise, in der Änderungen in den subjektiven Fak-
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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toren die Konsumneigung beeinflussen können, in Betracht zu ziehen. Aber im allgemeinen können wir im Folgenden die subjektiven Faktoren als gegeben betrachten, und wir werden annehmen, daß die Konsumneigung nur von den Änderungen in den objektiven Faktoren abhängt.
II. Die hauptsächlichen objektiven Faktoren, die die Konsumneigung beeinflussen, scheinen die folgenden zu sein: 1. Eine Änderung in der Lohneinheit. Der Verbrauch (C) ist offensichtlich viel mehr eine Funktion von (in einem gewissen Sinne) Realeinkommen als von Nominaleinkommen. In einem gegebenen Zustand der Technik, der Vorlieben und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Verteilung des Einkommens bestimmen, wird das Realeinkommen eines Menschen mit dem Betrag steigen und fallen, mit dem er über (die Produkte anderer – K / S) Arbeitseinheiten verfügen kann, das heißt mit der Höhe seines in Lohneinheiten gemessenen Einkommens, obwohl bei einer Änderung der gesamten Produktionsmenge sein Realeinkommen (wegen der Wirkung des abnehmenden Ertrages) verhältnismäßig weniger steigen wird als sein Einkommen, in Lohneinheiten gemessen. Als erste Annäherung können wir daher wohl annehmen, daß sich bei einer Änderung in der Lohneinheit die mit einem gegebenen Beschäftigungsniveau verbundenen Ausgaben für den Verbrauch wie auch die Preise im gleichen Verhältnis ändern werden, obschon wir unter gewissen Umständen etwaige Rückwirkungen auf den Gesamtverbrauch, die sich aus einer geänderten Verteilung eines gegebenen Realeinkommens zwischen Unternehmern und Rentiers als Folge einer Änderung in der Lohneinheit ergeben, berücksichtigen müssen. Hiervon abgesehen, haben wir bereits Änderungen in der Lohneinheit berücksichtigt, indem wir die Konsumneigung in Größen des Einkommens, in Lohneinheiten gemessen, definiert haben. 2. Eine Änderung im Unterschied zwischen Einkommen und Nettoeinkommen. Wir haben oben gezeigt, daß die Höhe des Verbrauches eher vom Nettoeinkommen als vom Einkommen abhängt, da definitionsgemäß ein Mensch in erster Linie sein Nettoeinkommen im Sinne hat, wenn er über die Höhe seines Verbrauchs entscheidet. In einem gegebenen Zustand mag es eine einigermaßen stabile Beziehung zwischen den beiden geben, in Form einer Funktion etwa, die verschiedene Niveaus des Einkommens eindeutig mit den entsprechenden Niveaus des Nettoeinkommens verbindet. Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, muß derjenige Teil der Änderung des Einkommens,
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der nicht im Nettoeinkommen zum Ausdruck kommt, unberücksichtigt gelassen werden, da er den Verbrauch nicht beeinflussen wird, und auf die gleiche Art muß eine Änderung im Nettoeinkommen, die nicht im Einkommen zum Ausdruck kommt, berücksichtigt werden. Von ungewöhnlichen Umständen abgesehen, bezweifle ich jedoch die praktische Bedeutung dieses Faktors. Wir werden die Wirkung des Unterschiedes zwischen Einkommen und Nettoeinkommen auf den Verbrauch im vierten Abschnitt dieses Kapitels eingehender erörtern. 3. In der Berechnung des Nettoeinkommens nicht berücksichtigte zufällige Änderungen in Kapitalwerten. Diese sind viel wichtiger für die Beeinflussung der Konsumneigung, da sie keine stabile oder regelmäßige Beziehung zum Betrag des Einkommens haben. Der Verbrauch der besitzenden Klasse mag sich gegenüber unvorhergesehenen Änderungen im Geldwerte ihres Vermögens außerordentlich empfindlich verhalten. Dies sollte unter die wichtigeren Faktoren eingereiht werden, die fähig sind, kurzfristige Änderungen in der Konsumneigung zu verursachen. 4. Änderungen in der Rate der Zeitdiskontierung, das heißt im Tauschverhältnis zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Gütern. Das ist nicht ganz dasselbe wie der Zinssatz, da dieser zukünftige Änderungen in der Kaufkraft des Geldes berücksichtigt, soweit diese vorausgesehen werden. Ferner müssen alle Arten von Risiken in Betracht gezogen werden, wie zum Beispiel die Aussicht, das Genießen zukünftiger Güter nicht zu erleben, oder die Möglichkeit konfiskatorischer Steuern. Als Annäherung können wir jedoch den Diskontierungssatz mit dem Zinssatz gleichsetzen. Der Einfluß dieses Faktors auf die Höhe der Ausgaben aus einem gegebenen Einkommen unterliegt großem Zweifel. Für die klassische Theorie des Zinses1, die sich auf die Vorstellung stützte, daß der Zinssatz der Faktor sei, der Angebot und Nachfrage von Ersparnissen ins Gleichgewicht brachte, war es bequem anzunehmen, daß die Ausgaben für den Verbrauch unter sonst gleichen Bedingungen in negativer Richtung auf Änderungen im Zinssatz reagieren, so daß jedes Steigen des Zinssatzes den Verbrauch beträchtlich vermindern würde. Man hat jedoch längst erkannt, daß die Gesamtwirkung von Zinssatzänderungen auf die Bereitschaft, Ausgaben für den gegenwärtigen Verbrauch zu machen, komplex und ungewiß ist, da sie von einander widersprechenden Tendenzen abhängt, weil einige der subjektiven Beweggründe zum Sparen leichter befriedigt sein werden, wenn der Zinssatz steigt, während andere geschwächt werden. Über einen langen Zeitabschnitt werden beträchtliche 1
Vgl. 14. Kap. unten.
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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Änderungen im Zinssatz wahrscheinlich dazu tendieren, gesellschaftliche Bräuche erheblich zu ändern, und somit die subjektive Konsumneigung beeinflussen – obschon es schwierig wäre zu sagen, in welcher Richtung, außer im Lichte aktueller Erfahrungen. Die übliche Art kurzfristiger Schwankungen im Zinssatz wird jedoch kaum einen großen unmittelbaren Einfluß auf die Ausgaben in der einen oder anderen Richtung haben. Es gibt nicht viele Leute, die ihre Lebensweise ändern werden, weil der Zinssatz von 5 auf 4 % gefallen ist, wenn ihr Gesamteinkommen das gleiche wie zuvor ist. Indirekt mag es mehr Effekte geben, die aber nicht alle in dieselbe Richtung wirken. Vielleicht der wichtigste Einfluß von Änderungen im Zinssatz auf die Bereitschaft, bei einem gegebenen Einkommen Geld auszugeben, hängt von der Wirkung dieser Änderungen auf die Zunahme oder Abnahme des Preises von Wertpapieren und anderen Vermögensgegenständen ab; denn wenn sich ein Mensch einer zufälligen Wertzunahme seines Kapitals erfreut, ist es natürlich, daß seine Bereitschaft zu laufenden Ausgaben verstärkt wird, obwohl am Einkommen gemessen sein Kapital nicht mehr wert ist als vorher, und daß sie geschwächt wird, wenn er einen Kapitalverlust erleidet. Diesen mittelbaren Einfluß haben wir aber bereits unter 3. oben berücksichtigt. Hiervon abgesehen, ist der Hauptschluß, der sich uns durch die Erfahrung aufdrängt, meiner Ansicht nach der, daß der kurzfristige Einfluß des Zinssatzes auf die Ausgaben des Einzelnen aus einem gegebenen Einkommen von untergeordneter Bedeutung ist, ausgenommen vielleicht, wenn es sich um ungewöhnlich große Änderungen handelt. In der Tat, wenn der Zinssatz sehr tief fällt, kann das veränderte Verhältnis zwischen einer für eine gegebene Summe kaufbaren Leibrente und dem jährlichen Zins auf diese Summe eine wichtige Ursache für negatives Sparen schaffen, indem sie die Praxis unterstützt, für das Alter durch den Kauf einer Leibrente vorzusorgen. Die anormale Situation, in der die Konsumneigung durch die Entwicklung äußerster Ungewißheit über die Zukunft und das, was sie bringen mag, sehr stark beeinflußt sein kann, sollte vielleicht auch unter diesem Abschnitt eingereiht werden. 5. Änderungen in der Fiskalpolitik. Soweit die Sparneigung des Einzelnen von den Erwartungen über sein zukünftiges Einkommen abhängt, hängt sie offenbar nicht nur vom Zinssatz, sondern auch von der Fiskalpolitik der Regierung ab. Einkommensteuern, besonders wenn sie „nicht erarbeitetes“ Einkommen diskriminieren, Steuern auf Kapitalgewinn, Erbschaftssteuern und dergleichen sind ebenso gewichtig wie der Zinssatz; dabei kann die Spannweite möglicher Änderungen der Fiskalpolitik, wenigstens in der Erwartung, größer sein
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als beim Zinssatz selbst. Wenn die Fiskalpolitik als bewußtes Mittel für die gleichmäßigere Verteilung der Einkommen benutzt wird, ist ihre Wirkung auf die Zunahme der Konsumneigung natürlich um so größer2. Wir müssen auch die Wirkung in Betracht ziehen, die auf die aggregierte Konsumneigung durch Tilgungsfonds der Regierung ausgeübt wird, die aus den allgemeinen Steuereinnahmen gebildet werden, um Schulden zu begleichen. Denn diese Fonds sind eine Art gemeinschaftlichen Sparens, so daß eine Politik großer Tilgungsfonds unter bestimmten Umständen als der Konsumneigung abträglich angesehen werden muß. Aus diesem Grund kann ein Wechsel von einer Regierungspolitik der Kreditfinanzierung zur entgegengesetzten Politik der Schaffung von Tilgungsfonds (oder umgekehrt) eine ernsthafte Schrumpfung (oder ausgesprochene Ausdehnung) der effektiven Nachfrage verursachen. 6. Änderungen in den Erwartungen über das Verhältnis zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Niveau des Einkommens. Wir müssen diesen Faktor der formellen Vollständigkeit halber aufführen. Während er die Konsumneigung eines Einzelnen stark beeinflussen mag, wird er sich wahrscheinlich für das Gemeinwesen als Ganzes ausgleichen. Überdies ist es ein Punkt, der in der Regel viel zu ungewiß ist, um einen starken Einfluß auszuüben.
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Es bleibt uns daher nur der Schluß übrig, daß die Konsumneigung in einem gegebenen Zustand als eine ziemlich stabile Funktion betrachtet werden kann, sofern wir Änderungen in der Lohneinheit, in Geld gemessen, ausgeschaltet haben. Zufällige Änderungen in Kapitalwerten können die Konsumneigung ändern, und beträchtliche Änderungen im Zinssatz und in der Fiskalpolitik mögen einigen Unterschied machen; die anderen objektiven Faktoren aber, die ihn beeinflussen könnten, werden, obschon sie nicht übersehen werden dürfen, unter gewöhnlichen Umständen kaum wichtig sein. Der Umstand, daß in einer gegebenen gesamtwirtschaftlichen Lage die Ausgaben für den Verbrauch, in Lohneinheiten gemessen, hauptsächlich von der Menge der Produktion und der Beschäftigung abhängen, liefert die Berechtigung für die Zusammenfassung der anderen Faktoren unter der Sammelbezeichnung „Konsumneigung“. Während die anderen Faktoren nämlich variieren können (was nicht vergessen 2 Es mag nebenbei erwähnt werden, daß die Wirkung der Fiskalpolitik auf das Wachsen des Reichtums einem bedeutsamen Mißverständnis unterlag, das wir hier jedoch ohne die Hilfe der im vierten Buch gegebenen Zinstheorie nicht genügend erörtern können.
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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werden darf), ist das Gesamteinkommen, in Lohneinheiten gemessen, in der Regel die hauptsächliche Variable, von der die Verbrauchskomponente der aggregierten Nachfrage abhängen wird.
III. Zugestanden also, daß die Konsumneigung eine ziemlich stabile Funktion ist, so daß in der Regel sich der Betrag des gesamten Verbrauches hauptsächlich auf den Betrag des gesamten Einkommens stützt (beide in Lohneinheiten gemessen) und Änderungen in der Neigung selbst als von untergeordneter Bedeutung behandelt werden, was ist dann die normale Form dieser Funktion? Das grundlegende psychologische Gesetz, auf das wir uns sowohl a priori auf Grund unserer Kenntnis der menschlichen Natur als auch aufgrund detaillierter Erfahrungstatsachen mit großer Zuversicht stützen dürfen, ist, daß die Menschen in der Regel und im Durchschnitt geneigt sind, ihren Verbrauch mit der Zunahme in ihrem Einkommen zu vermehren, aber nicht im vollen Maße dieser Zunahme. Das heißt, wenn Cw der Betrag des Verbrauchs ist und Yw das Einkommen (beide in Lohneinheiten gemessen), hat Cw das gleiche Vorzeichen wie Yw , dCw ist aber kleiner als Yw ; das heißt ist positiv und kleiner als Eins. dYw Das trifft besonders zu, wenn wir kurze Zeitabschnitte im Auge haben, wie im Fall der sogenannten Konjunkturschwankungen der Beschäftigung, während deren Dauer Gewohnheiten, die von beständigeren psychologischen Eigenarten zu unterscheiden sind, nicht genug Zeit haben, sich den geänderten objektiven Umständen anzupassen. Denn die gewohnte Lebenshaltung eines Menschen hat gewöhnlich den ersten Anspruch auf sein Einkommen, und er ist geneigt, die Spanne zu sparen, die sich zwischen seinem tatsächlichen Einkommen und seiner gewohnten Lebenshaltung ergibt; oder, wenn er seine Ausgaben Änderungen in seinem Einkommen anpaßt, wird er dies innerhalb kurzer Zeitabschnitte unvollständig tun. Ein zunehmendes Einkommen wird somit oft zunächst von einer größeren Zunahme der Ersparnis und ein abnehmendes Einkommen von einer größeren Abnahme der Ersparnis begleitet sein als später. Von kurzfristigen Änderungen im Niveau des Einkommens abgesehen, ist es aber auch offensichtlich, daß ein höheres absolutes Niveau des Einkommens in der Regel dazu führen wird, die Spanne zwischen Einkommen und Verbrauch zu vergrößern, weil die Befriedigung der sofortigen hauptsächlichen Bedürfnisse eines Mannes und seiner Familie
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
in der Regel ein stärkerer Beweggrund ist als die Beweggründe zur Akkumulation, die nur einen wirksamen Einfluß ausüben, wenn ein gewisser Grad von Komfort erreicht worden ist. Diese Gründe werden in der Regel dazu führen, daß bei zunehmendem Realeinkommen ein größerer Teil des Einkommens gespart wird. Unabhängig davon, ob ein größerer Teil gespart wird oder nicht, wir betrachten es als grundlegende psychologische Regel jedes modernen Gemeinwesens, daß es bei einer Zunahme seines Realeinkommens seinen Verbrauch nicht um einen gleichen absoluten Betrag vermehren wird, so daß ein größerer absoluter Betrag gespart werden muß, sofern nicht gleichzeitig eine große und ungewöhnliche Änderung in den anderen Faktoren eintritt. Wie wir später zeigen werden3, hängt die Stabilität des Wirtschaftssystems wesentlich von der Gültigkeit dieser Regel in der Wirklichkeit ab. Das bedeutet, daß, wenn die Beschäftigung und folglich das gesamte Einkommen zunimmt, nicht die gesamte zusätzliche Beschäftigung zur Befriedigung der Bedürfnisse zusätzlichen Verbrauchs benötigt werden wird. Andererseits kann eine Abnahme des Einkommens als Folge einer Abnahme im Niveau der Beschäftigung, wenn sie weit geht, dazu führen, daß der Verbrauch sogar das Einkommen übersteigt, und zwar nicht nur dadurch, daß Einzelne oder Institutionen die in besseren Zeiten angehäuften finanziellen Reserven verbrauchen, sondern auch dadurch, daß die Regierung freiwillig oder unfreiwillig in ein Budgetdefizit geraten oder zum Beispiel Arbeitslosenunterstützung aus geliehenem Geld gewähren wird. Wenn die Beschäftigung somit auf ein tiefes Niveau fällt, wird der gesamte Verbrauch um einen kleineren Betrag als die Abnahme des Realeinkommens sinken, sowohl wegen des gewohnheitsmäßigen Verhaltens der Einzelnen als auch wegen der wahrscheinlichen Politik der Regierung. Das erklärt, warum eine neue Gleichgewichtslage gewöhnlich innerhalb einer mäßigen Schwankungsspanne erreicht wird. Sonst könnte eine Abnahme in der Beschäftigung und im Einkommen, einmal begonnen, sich extrem lange fortsetzen. Dieser einfache Grundsatz führt, wie wir sehen werden, zum gleichen Schluß wie vorher, daß nämlich die Beschäftigung nur bei gleichzeitiger Zunahme der Investition zunehmen kann; es sei denn, daß sich die Konsumneigung ändert. Da nämlich die Verbraucher bei einer Zunahme der Beschäftigung weniger als die Zunahme des aggregierten Angebotswertes ausgeben werden, wird die vermehrte Beschäftigung sich nicht lohnen, wenn nicht die Investition zunimmt, um die Lücke zu füllen. 3
Vgl. S. 211 unten.
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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IV. Wir dürfen die Wichtigkeit der bereits erwähnten Tatsache nicht unterschätzen, daß, während die Beschäftigung eine Funktion des erwarteten Verbrauches und der erwarteten Investition ist, der Verbrauch unter sonst gleichen Bedingungen eine Funktion des Nettoeinkommens ist, das heißt der Nettoinvestition (da Nettoeinkommen gleich Verbrauch plus Nettoinvestition ist). Mit anderen Worten, je größer die für notwendig erachtete finanzielle Vorsorge vor der Berechnung des Nettoeinkommens ist, desto ungünstiger wird ein gegebenes Niveau der Investitionen für den Verbrauch und folglich für die Beschäftigung sein. Wenn die Summe dieser finanziellen Vorsorge (oder der ergänzenden Kosten) tatsächlich für die Erhaltung der bereits bestehenden Kapitalausrüstung laufend ausgegeben wird, wird dieser Punkt kaum übersehen werden. Wenn aber die finanzielle Vorsorge die tatsächlichen Ausgaben für laufende Erhaltung übersteigt, werden die praktischen Folgen dieser Wirkung auf die Beschäftigung nicht immer gewürdigt. Der Betrag dieses Überschusses verursacht nämlich weder unmittelbar laufende Investitionen, noch ist er verfügbar, um daraus den Verbrauch zu bestreiten. Er muß daher durch neue Investitionen ausgeglichen werden, für welche die Nachfrage sich ganz unabhängig vom laufenden Wertverlust der alten Ausrüstung ergeben hat, gegen welchen die finanzielle Vorsorge getroffen wird, mit der Folge, daß die neuen Investitionen, die für die Schaffung laufenden Einkommens verfügbar sind, entsprechend vermindert werden und eine stärkere Nachfrage für neue Investitionen notwendig wird, um ein gegebenes Niveau der Beschäftigung möglich zu machen. Sehr ähnliche Betrachtungen beziehen sich überdies auf die Berücksichtigung des Wertverlustes, der in den Nutzungskosten eingeschlossen ist, sofern der Wertverlust nicht tatsächlich ausgeglichen wird. Nehmen wir ein Haus, das bewohnbar bleibt, bis es abgerissen oder aufgegeben wird. Wenn aus dem vom Mieter bezahlten jährlichen Mietzins eine gewisse Summe vom Wert des Hauses abgeschrieben wird, die der Besitzer weder für den Unterhalt ausgibt noch als für den Verbrauch verfügbares Nettoeinkommen betrachtet, stellt diese Vorsorge, sei sie ein Teil von U oder von V, während der ganzen Lebensdauer des Hauses einen Hemmschuh für die Beschäftigung dar, der plötzlich mit einem Schlage gelöst wird, wenn das Haus neu gebaut werden muß. In einer stationären Wirtschaft mag dies alles nicht der Erwähnung wert sein, da jedes Jahr die Rückstellungen für Entwertung von alten Häusern genau durch die neuen Häuser ausgeglichen würden, die als
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
Ersatz derer gebaut werden, die in jedem Jahr das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Diese Faktoren können aber in einer nichtstationären Wirtschaft bedeutungsvoll sein, besonders während einer Periode, die unmittelbar auf einen lebhaften Investitionsboom in langlebiges Kapital folgt. Unter solchen Umständen kann nämlich ein sehr großer Teil der neuen Investitionen durch die größeren finanziellen Rückstellungen absorbiert werden, die von den Unternehmern in bezug auf die bestehende Kapitalausrüstung für Ausbesserungen und Erneuerungen gemacht wurden, für die trotz der allmählichen Abnutzung der Ausrüstung der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, um Summen auszugeben, die nur annähernd den gemachten finanziellen Rückstellungen entsprechen würden, mit der Folge, daß die Einkommen nicht das Niveau übersteigen können, das niedrig genug ist, um mit einer geringen aggregierten Nettoinvestition übereinzustimmen. Abschreibungen usw. sind somit geeignet, den Verbrauchern Konsumkraft zu entziehen, lange bevor die Nachfrage für die Ausgaben für Ersatz (welche diese Abschreibungen vorwegnehmen) einsetzt, das heißt, sie verringern die laufende wirksame Nachfrage und vermehren sie erst in dem Jahr, in dem der Ersatz tatsächlich vorgenommen wird. Wenn die Wirkung hiervon durch „vorsichtiges Finanzgebaren“ verschärft wird, das heißt durch die Ansicht, daß es ratsam ist, die Herstellungskosten rascher abzuschreiben als es der tatsächlichen Abnützung der Ausrüstung entspricht, können die kumulativen Folgen in der Tat sehr ernsthaft sein. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel hatte die rapide Kapitalexpansion der vorhergehenden fünf Jahre 1929 in so hohem Maße zur Anhäufung von Rücklagen für die Tilgung von Schulden und für Abschreibungen in bezug auf keinen Ersatz benötigende Betriebsanlagen geführt, daß eine ungeheure Menge völlig neuer Investitionen nötig war, um lediglich diese finanzielle Vorsorge zu absorbieren; und es wurde fast hoffnungslos, noch mehr neue Investitionen in genügendem Maß zu finden, um für jene neuen Ersparnisse vorzusorgen, die ein reiches Gemeinwesen bei Vollbeschäftigung bereit wäre zurückzulegen. Dieser Umstand allein genügte wahrscheinlich, um eine Rezession zu verursachen. Und da „vorsichtiges Finanzgebaren“ von den großen Kapitalgesellschaften, die es sich noch leisten konnten, während der Rezession weiterhin ausgeübt wurde, stellte sie ein ernsthaftes Hindernis für einen baldigen Aufschwung dar. In Großbritannien wiederum hat der erhebliche Umfang von Wohnbauten und anderen Neuinvestitionen seit dem Krieg gegenwärtig (1935) zu einer Anhäufung von Rücklagen geführt, die die gegenwärtigen Ausgabebedürfnisse für Ausbesserungen und Erneuerungen stark überstei-
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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gen, eine Tendenz, die im Falle von Investitionen von lokalen Gebietskörperschaften und öffentlichen Einrichtungen durch die Grundsätze „gesunden“ Finanzgebarens verschärft wurde, die oft Rücklagen verlangen, die genügen, um die Herstellungskosten einige Zeit vor der tatsächlichen Fälligkeit des Ersatzes abzuschreiben. Die Folge ist: Selbst wenn die privaten Individuen bereit wären, ihr gesamtes Nettoeinkommen auszugeben, wäre es angesichts dieser, von irgendwelchen neuen Investitionen völlig losgelösten großen Menge satzungsgemäßer Rücklagen öffentlicher und halböffentlicher Körperschaften immer noch eine schwere Aufgabe, Vollbeschäftigung wiederherzustellen. Die Tilgungsfonds lokaler Gebietskörperschaften belaufen sich derzeit meiner Ansicht nach4 jährlich auf mehr als die Hälfte ihrer gesamten Ausgaben für Neuanlagen5. Trotzdem ist es nicht gewiß, daß sich das Gesundheitsministerium bewußt ist, wie sehr es das Problem der Arbeitslosigkeit verschärfen mag, wenn es auf rigorosen Rücklagen örtlicher Behörden besteht. Im Falle von Darlehen von Bausparkassen, die einem Einzelnen helfen, sein eigenes Haus zu bauen, mag der Wunsch, rascher schuldenfrei zu sein, als sich das Haus tatsächlich entwertet, den Hausbesitzer veranlassen, mehr zu sparen, als er sonst gespart hätte; – obschon dieser Umstand vielleicht eher unter die Faktoren eingeordnet werden sollte, die die Konsumneigung unmittelbar, als durch ihre Wirkung auf das Nettoeinkommen vermindern. In Zahlen ausgedrückt, stiegen die Rückzahlungen der durch Bausparkassen gewährten Darlehen von £ 24.000.000 im Jahre 1925 auf £ 68.000.000 im Jahre 1933, verglichen mit £ 103.000.000 neuer Vorschüsse; und heute sind die Rückzahlungen wahrscheinlich noch höher. Daß es vielmehr die Investitionen als die Nettoinvestitionen sind, die sich aus den Statistiken über die Produktion ergeben, geht nachdrücklich und klar aus Mr. Colin Clarks National Income, 1924 – 1931, hervor. Er zeigt auch, wie groß das Verhältnis von Abschreibungen usw. gewöhnlich zum Wert der Investitionen ist. So schätzt er zum Beispiel die Investitionen und die Nettoinvestitionen in Großbritannien in den Jahren 1928 – 19316 wie folgt, wobei seine Bruttoinvestitionen allerdings wahrscheinlich etwas größer als meine Investitionen sind, insofern sie einen Teil der Nutzungskosten einschließen mögen, und es nicht klar ist, wie genau seine „Nettoinvestitionen“ mit meiner Definition dieses Ausdruckes übereinstimmen. 4 Die tatsächlichen Zahlen werden als so wenig interessant erachtet, daß sie nur mit einer Verspätung von zwei oder mehr Jahren veröffentlicht werden. 5 In dem am 31. März 1930 endenden Finanzjahr gaben lokale Gebietskörperschaften 87 Mio. £ in der Kapitalrechnung aus, davon 37 Mio. £ für Tilgungsfonds usw. in bezug auf frühere Kapitalausgaben; in dem am 31. März 1933 endenden Finanzjahr waren es 81 Mio. £ bzw. 46 Mio. £. 6 Op. cit. S. 117 und 138.
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Drittes Buch: Die Konsumneigung (Millionen £)
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1928
1929
1930
1931
Bruttoinvestitionen
791
731
620
482
„Wert der physischen Wertverminderung von altem Kapital“
433
435
437
439
Nettoinvestitionen
358
296
183
43
Mr. Kuznets ist bei der Zusammenstellung von Statistiken über die Bruttokapitalbildung (wie er das bezeichnet, was ich Investition nenne) in den Vereinigten Staaten 1919–1923 zu ungefähr dem gleichen Schluß gekommen. Die physische Größe, auf welche die Statistiken über die Produktion sich beziehen, ist unvermeidlich die Brutto- und nicht die Nettoinvestition. Mr. Kuznets hat auch die Schwierigkeiten entdeckt, die mit dem Übergang von der Brutto- zur Nettoinvestition verbunden sind. „Die Schwierigkeit“, schreibt er, „von der Brutto- auf die Nettokapitalbildung zu kommen, das heißt, die Schwierigkeit einer Berichtigung um den Verbrauch dauerhafter Güter, liegt nicht nur im Mangel an Daten. Schon der Begriff des jährlichen Verbrauchs von Gütern mit einer mehrjährigen Lebensdauer leidet an seiner Vieldeutigkeit“7. Er greift daher zur „Annahme, daß die Abschreibung für Entwertung und Abnahme in den Büchern der Unternehmen die Verbrauchsmenge bereits vorhandener, von ihnen benutzter fertiger dauerhafter Güter richtig wiedergibt“. Andererseits versucht er nicht, einen Abzug für Häuser und andere dauerhafte Güter im Besitz von Individuen zu ermitteln. Seine sehr interessanten Ergebnisse für die Vereinigten Staaten können wie folgt zusammengefaßt werden: (Millionen $) 1925
1926
1927
1928
1929
Bruttokapitalbildung (nach Berücksichtigung der Nettoveränderung der Lagerbestände)
30 706
33 571
31 157
33 934
34 491
Dienstleistungen des Unternehmers, Ausbesserungen, Erhaltung, Entwertung und Abnahme
7 685
8 288
8 223
8 481
9 010
23 021
25 283
22 934
25 453
25 481
Nettokapitalbildung (nach Mr. Kuznets Definition)
7 Diese Zitate sind dem Bulletin (Nr. 52) des National Bureau of Economic Research entnommen, das vorläufige Ergebnisse von Mr. Kuznets demnächst erscheinendem Buche gibt.
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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(Millionen $) 1930
1931
1932
1933
Bruttokapitalbildung (nach Berücksichtigung der Nettoveränderung der Lagerbestände)
27 538
18 721
7 780
14 879
Dienstleistungen des Unternehmers, Ausbesserungen, Erhaltung, Entwertung und Abnahme
8 502
7 623
6 543
8 204
19 036
11 098
1 237
6 675
Nettokapitalbildung (nach Mr. Kuznets Definition)
Aus dieser Zusammenstellung gehen mehrere Tatsachen nachdrücklich hervor. Die Nettokapitalbildung war sehr stetig während der fünf Jahre 1925–1929, mit einer Zunahme von nur 10 % während des späteren Teils des Aufschwungs. Der Abzug für Dienstleistungen des Unternehmers, für Ausbesserung, Erhaltung, Entwertung und Abnahme blieb selbst auf dem Tiefpunkt der Rezession auf einem hohen Niveau. Mr. Kuznets Methode muß aber sicherlich zu einer zu niedrigen Schätzung der jährlichen Zunahme in der Entwertung usw. führen; denn er nimmt jene mit weniger als 1 1/2 % p. a. der neuen Nettokapitalbildung an. Vor allem erlitt aber die Nettokapitalbildung nach 1929 einen entsetzlichen Zusammenbruch, indem sie im Jahre 1932 um nicht weniger als 95 % unter den Durchschnitt der fünf Jahre 1925 – 1929 fiel. Das Obige ist bis zu einem gewissen Grad eine Abschweifung. Es ist aber wichtig, daß wir die Größe des Abzuges hervorheben, der vom Einkommen eines Gemeinwesens gemacht werden muß, das bereits einen großen Kapitalbestand besitzt, bevor wir zum Nettoeinkommen gelangen, das gewöhnlich für den Verbrauch verfügbar ist. Denn wenn wir dies übersehen, könnten wir den großen Hemmschuh für die Konsumneigung unterschätzen, der selbst unter Bedingungen besteht, in denen die Bevölkerung bereit ist, einen sehr großen Teil ihres Nettoeinkommens zu verbrauchen. Verbrauch – um das Selbstverständliche zu wiederholen – ist das einzige Ziel und der einzige Zweck aller wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Beschäftigungsgelegenheiten sind notwendigerweise durch die Größe der gesamten Nachfrage begrenzt. Die gesamte Nachfrage kann nur vom gegenwärtigen Verbrauch oder von der gegenwärtigen Vorsorge für zukünftigen Verbrauch kommen. Der Verbrauch, für den wir vorteilhaft Vorsorge treffen können, kann nicht unendlich in die Zukunft hinausgeschoben werden. Wir können als Gemeinwesen für den zukünftigen Verbrauch nicht durch finanzielle Maßnahmen, sondern nur durch laufende
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
physische Produktion vorsorgen. Insofern unsere gesellschaftlichen und geschäftlichen Strukturen finanzielle Vorsorge für die Zukunft von der physischen Vorsorge für diese trennen, so daß Anstrengungen, erstere zu sichern, nicht notwendigerweise letztere einschließen, wird vorsichtiges Finanzgebaren Gefahr laufen, die aggregierte Nachfrage zu verringern und den Wohlstand zu beeinträchtigen, wofür es viele Beispiele gibt. Je größer überdies der Verbrauch, für den wir im voraus gesorgt haben, um so schwieriger wird es, etwas weiteres zum Vorsorgen zu finden, und desto größer wird unsere Abhängigkeit vom gegenwärtigen Verbrauch als einer Quelle der Nachfrage. Je größer jedoch unser Einkommen, desto größer ist unglücklicherweise auch die Spanne zwischen unserem Einkommen und unserem Verbrauch. Solange es an irgendeinem Notbehelf mangelt, gibt es daher, wie wir sehen werden, keine Lösung für das Rätsel, es sei denn, es gäbe genug Arbeitslosigkeit, um uns so arm zu halten, daß unser Verbrauch um nicht mehr hinter unserem Einkommen zurückbleibt, als der Gegenwert der physischen Vorsorge für den zukünftigen Verbrauch beträgt, deren Erzeugung sich heute lohnt. Oder betrachten wir die Sache so: Der Verbrauch wird teilweise durch laufend erzeugte Gegenstände und teilweise durch früher erzeugte, d. h. durch Desinvestition, befriedigt. Im Maße der Befriedigung des Verbrauchs durch diese wird es eine Schrumpfung in der laufenden Nachfrage geben, weil insoweit ein Teil der laufenden Ausgaben nicht ihren Weg als ein Teil des Nettoeinkommens zurückfinden kann. Umgekehrt, wenn immer ein Gegenstand innerhalb des Zeitabschnittes erzeugt wird mit der Absicht, späterem Verbrauch zu dienen, wird eine Ausdehnung der Nachfrage geschaffen. Alle Kapitalinvestition ist nun dazu bestimmt, sich früher oder später in Kapitaldesinvestition aufzulösen. Die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die neue Kapitalinvestition immer die Kapitaldesinvestition genügend übersteige, um die Spanne zwischen Nettoeinkommen und Verbrauch zu füllen, stellt uns somit vor ein Problem, dessen Schwierigkeit mit der Zunahme des Kapitals wächst. Neue Kapitalinvestition kann die laufende Kapitaldesinvestition nur übersteigen, wenn eine Zunahme der zukünftigen Ausgaben für den Verbrauch erwartet wird. Jedesmal, wenn wir das heutige Gleichgewicht durch vermehrte Investitionen sichern, verschärfen wir die Schwierigkeit, das Gleichgewicht von morgen zu sichern. Eine verminderte Neigung, heute zu konsumieren, kann nur zum allgemeinen Vorteil ausgenutzt werden, wenn ein vermehrter Hang zum Verbrauch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt erwartet wird. Wir werden an „Die Fabel von den Bienen“ erinnert – die Vergnügungssüchtigen von morgen sind unbedingt notwendig, um den Besorgten von heute eine Existenzberechtigung zu schaffen.
8. Kap.: Die Konsumneigung: 1. Die objektiven Faktoren
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Es ist eine sonderbare und bemerkenswerte Sache, daß die übliche Volksmeinung sich dieser unausweichlichen Schwierigkeit nur bewußt zu sein scheint, wenn es sich um öffentliche Investitionen handelt, wie im Falle von Straßenbau, Wohnungsbau und dergleichen. Als Einwand gegen Pläne für die Vermehrung der Beschäftigung durch die Investitionstätigkeit öffentlicher Körperschaften wird gemeinhin vorgebracht, daß sie Schwierigkeiten für die Zukunft schaffen. „Was wollt ihr tun“, wird gefragt, „wenn ihr alle Häuser und Straßen und Stadthallen und Elektrizitätswerke und Wasserwerke usw. gebaut habt, die die stationäre Bevölkerung der Zukunft aller Erwartung nach benötigen kann?“ Aber es wird nicht so leicht verstanden, daß dieselbe Schwierigkeit für private Investitionen und für die gewerbliche Expansion gilt; besonders für letztere, da man sich eine Sättigung der Nachfrage nach neuen Fabriken und Anlagen, deren jede einzeln nur wenig Geld absorbiert, viel eher vorstellen kann, als eine Sättigung der Nachfrage nach Wohnbauten. Das Hindernis für ein klares Verständnis ist in diesen Fällen ziemlich dasselbe wie in manchen akademischen Erörterungen über das Kapital, nämlich eine ungenügende Würdigung der Tatsache, daß das Kapital keine selbstgenügsame, vom Verbrauch unabhängige Gesamtgröße ist. Im Gegenteil, jede Schwächung der Konsumneigung, die als beständige Gewohnheit betrachtet wird, muß sowohl die Nachfrage nach Kapital als auch die Konsumnachfrage schwächen.
Neuntes Kapitel
Die Konsumneigung: 2. Die subjektiven Faktoren I.
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Es verbleibt die zweite Kategorie von Faktoren, die den Betrag des Verbrauchs aus einem gegebenen Einkommen beeinflussen – nämlich jene subjektiven und gesellschaftlichen Anreize, die bestimmen, wieviel ausgegeben wird, wenn das in Lohneinheiten gemessene Gesamteinkommen und die bereits erörterten maßgebenden objektiven Faktoren gegeben sind. Da die Analyse dieser Faktoren jedoch nichts Neues bringt, mag es genügen, wenn wir die wichtigeren aufzählen, ohne auf sie ausführlich einzugehen. Es gibt im allgemeinen acht Beweggründe oder Absichten subjektiven Wesens, die Individuen veranlassen, sich der Ausgabe aus ihren Einkommen zu enthalten: 1. Um eine Rücklage gegen unvorhergesehene Ausgaben aufzubauen; 2. um Vorsorge zu treffen für ein vorweggenommenes zukünftiges Verhältnis zwischen dem Einkommen und den Bedürfnissen des Einzelnen oder seiner Familie, das von dem gegenwärtig bestehenden Verhältnis abweicht, wie zum Beispiel in bezug auf Alter, Erziehung der Kinder oder die Unterhaltung von Abhängigen; 3. um Zinsen und Wertzuwachs zu genießen, das heißt, weil ein größerer realer Verbrauch an einem späteren Zeitpunkt einem sofortigen kleineren Verbrauch vorgezogen wird; 4. um eine allmählich zunehmende Ausgabe zu genießen, weil es einen allgemeinen Instinkt befriedigt, einer sich allmählich bessernden Lebenshaltung entgegenzugehen, statt dem Gegenteil, obschon die Fähigkeit, zu genießen, abnehmen mag; 5. um ein Gefühl der Unabhängigkeit und die Macht, Dinge tun zu können, zu genießen, obschon ohne klare Vorstellung oder deutliche Absicht einer bestimmten Handlung; 6. um ein einsatzbereites Kapital zur Ausführung spekulativer oder geschäftlicher Pläne sicherzustellen; 7. um ein Vermögen hinterlassen zu können; 8. um bloßen Geiz zu befriedigen, das heißt aus unverständigem, aber beharrlichem Zurückschrecken vor der Ausgabe als solcher.
9. Kap.: Die Konsumneigung: 2. Die subjektiven Faktoren
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Diese acht Beweggründe könnten die Beweggründe der Vorsicht, Voraussicht, Berechnung, Verbesserung, Unabhängigkeit, Unternehmungslust, des Stolzes und Geizes genannt werden, und wir könnten auch eine entsprechende Liste von Beweggründen für den Verbrauch aufstellen, wie Genuß, Kurzsichtigkeit, Freigebigkeit, Fehlkalkulation, Prahlerei und Extravaganz. Neben den von Einzelnen angehäuften Ersparnissen gibt es noch den großen Betrag von Einkommen – der in einem modernen industriellen Gemeinwesen, wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten, vielleicht zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der ganzen Akkumulation schwankt – der durch zentrale und lokale Regierungen, durch Institutionen und Kapitalgesellschaften aus Beweggründen einbehalten wird, die sehr ähnlich, aber nicht identisch mit jenen sind, welche die Einzelnen beeinflussen; und zwar hauptsächlich aus den vier folgenden: 1. Der Beweggrund des Unternehmertums – zur Sicherung von Ressourcen für die Vornahme weiterer Kapitalinvestitionen, ohne Schulden aufnehmen oder weiteres Eigenkapital auf dem Markt auftreiben zu müssen; 2. der Beweggrund der Liquidität – zur Sicherung von liquiden Mitteln gegen unvorhergesehene Vorfälle, Schwierigkeiten und Depressionen; 3. der Beweggrund der Verbesserung – zur Sicherung eines allmählich zunehmenden Einkommens, das nebenbei die Geschäftsleitung gegen Einwände schützt, weil eine Zunahme des Einkommens als Folge der Akkumulation selten von einer Zunahme als Folge von Leistungsfähigkeit unterschieden wird; 4. der Beweggrund der finanziellen Vorsicht und dem Streben, durch die Schaffung einer, die Nutzungskosten und die ergänzenden Kosten übersteigenden finanziellen Rücklage, welche die Abzahlung von Schulden und die Abschreibung der Kosten von Vermögenswerten eher über als unter dem tatsächlichen Tempo der Wertminderung und Veralterung ermöglicht, „auf der richtigen Seite“ zu sein. Dabei hängt die Stärke dieses Beweggrundes hauptsächlich von der Menge und der Art der Kapitalausrüstung und dem Tempo technischer Wandlungen ab. Diesen Motiven, die eine Zurückhaltung eines Teils des Einkommens vom Verbrauch begünstigen, stehen zeitweilig andere gegenüber, die zu einem Überschuß des Verbrauchs über das Einkommen führen. Mehrere der oben angeführten Beweggründe Einzelner zu positiven Ersparnissen
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
haben ihr beabsichtigtes Gegenstück in negativen Ersparnissen an einem späteren Zeitpunkt, wie zum Beispiel die Ersparnis als Vorsorge für Bedürfnisse der Familie oder das Alter. Durch Kredite finanzierte Arbeitslosenunterstützung wird zweckmäßig als negative Ersparnis betrachtet. Die Stärke all dieser Beweggründe wird nun gewaltig schwanken, je nach den Institutionen und der Organisation der vorausgesetzten Wirtschaftsgesellschaft, die wir annehmen, und zwar gemäß den durch Rasse, Erziehung, Konventionen, Religion und jeweils herrschenden Moralvorstellungen geprägten Gewohnheiten, gemäß den Hoffnungen der Gegenwart und den Erfahrungen der Vergangenheit, gemäß dem Umfang und der Technik der Kapitalausrüstung und gemäß der bestehenden Verteilung des Reichtums und des etablierten Lebensstandards. In der Beweisführung dieses Buches werden wir uns aber, von gelegentlichen Abschweifungen abgesehen, nicht mit den Folgen weittragender gesellschaftlicher Änderungen oder mit den allmählichen Wirkungen langfristigen Fortschritts beschäftigen. Das heißt, wir werden den Hintergrund subjektiver Beweggründe zur Ersparnis und zum Verbrauch in der Hauptsache als gegeben betrachten. Insofern die Verteilung des Reichtums durch das mehr oder weniger beständige gesellschaftliche Gefüge des Gemeinwesens bestimmt wird, kann auch dies als ein Faktor betrachtet werden, der nur einer langsamen Änderung über einen langen Zeitabschnitt unterworfen ist, den wir in unserem gegenwärtigen Zusammenhang als gegeben annehmen können.
II. Da sich also der Haupthintergrund subjektiver und gesellschaftlicher Anreize nur langsam ändert, während der kurzfristige Einfluß von Änderungen im Zinssatz und den anderen objektiven Tatsachen oft von untergeordneter Bedeutung ist, bleibt uns nur der Schluß übrig, daß kurzfristige Änderungen im Verbrauch sich weitgehend auf Änderungen in der Höhe stützen, in der Einkommen (in Lohneinheiten gemessen) verdient wird, und nicht auf Änderungen in der Neigung, aus einem gegebenen Einkommen zu verbrauchen. Wir müssen uns jedoch vor einem Mißverständnis hüten. Das Obige bedeutet, daß der Einfluß mäßiger Änderungen im Zinssatz auf die Konsumneigung gewöhnlich klein ist. Es bedeutet nicht, daß Änderungen im Zinssatz nur einen geringen Einfluß auf die tatsächlich ersparten und verbrauchten Beträge haben. Ganz im Gegenteil. Der Einfluß von Änderungen im Zinssatz auf den tatsächlich ersparten Betrag ist von allerhöchster Bedeutung, aber in der umgekehrten Richtung, als gewöhnlich angenommen wird. Denn selbst wenn der Anreiz des sich
9. Kap.: Die Konsumneigung: 2. Die subjektiven Faktoren
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aus einem höheren Zinssatz ergebenden größeren zukünftigen Einkommens die Wirkung hat, die Konsumneigung zu verringern, können wir trotzdem sicher sein, daß ein Steigen des Zinssatzes eine Abnahme des tatsächlich gesparten Betrages zur Folge haben wird. Denn die Gesamtersparnis wird durch die gesamten Investitionen beherrscht; ein Steigen des Zinssatzes (sofern es nicht durch eine entsprechende Änderung in der Nachfragekurve der Investitionen aufgehoben wird), wird die Investitionen verringern; ein Steigen des Zinssatzes muß somit die Wirkung haben, das Einkommen auf ein Niveau hinunterzudrücken, bei dem die Ersparnisse im gleichen Maße wie die Investitionen verringert werden. Da Einkommen um einen größeren absoluten Betrag als die Investitionen abnehmen werden, ist es in der Tat wahr, daß bei einem Steigen des Zinssatzes der Konsum abnimmt. Das heißt aber nicht, daß ein breiterer Raum für Ersparnisse entstehen wird. Im Gegenteil, Ersparnis und Ausgabe werden beide abnehmen. Selbst wenn ein Steigen des Zinssatzes somit das Gemeinwesen veranlassen würde, aus einem gegebenen Einkommen mehr zu sparen, können wir dennoch ziemlich sicher sein, daß ein Steigen des Zinssatzes (unter der Annahme, daß keine günstige Änderung in der Nachfragekurve der Investitionen eintritt) die tatsächlichen Gesamtersparnisse vermindern wird. Die gleiche Linie der Beweisführung kann uns sogar zeigen, um wieviel ein Steigen des Zinssatzes unter sonst gleichen Bedingungen die Einkommen vermindern wird. Denn die Einkommen werden gerade um jenen Betrag fallen oder anders verteilt werden müssen, der bei der bestehenden Konsumneigung erforderlich ist, um die Ersparnisse um denselben Betrag zu vermindern, um den das Steigen des Zinssatzes bei der bestehenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Investitionen vermindern wird. Eine eingehende Untersuchung dieses Gesichtspunktes wird der Gegenstand unseres nächsten Kapitels sein. Das Steigen des Zinssatzes könnte uns veranlassen, mehr zu sparen, wenn unsere Einkommen unverändert blieben. Wenn aber der höhere Zinssatz die Investitionen vermindert, werden und können unsere Einkommen nicht unverändert bleiben. Sie müssen notwendigerweise fallen, bis die abnehmende Fähigkeit, zu sparen, den durch den höheren Zinssatz gegebenen Antrieb, zu sparen, genügend ausgeglichen hat. Je tugendhafter, je entschlossener sparsam, je starrsinniger orthodox wir in unserem nationalen und persönlichen Finanzgebaren sind, desto mehr werden unsere Einkommen fallen müssen, wenn der Zinssatz im Verhältnis zur Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steigt. Starrsinn kann nur eine Strafe und keine Belohnung hervorbringen: denn die Folgen sind unvermeidlich.
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
Das tatsächliche Ausmaß der Gesamtersparnisse und Gesamtausgaben stützt sich somit letzten Endes nicht auf Vorsicht, Voraussicht, Berechnung, Verbesserung, Unabhängigkeit, Unternehmertum, Stolz oder Geiz. Tugend und Laster spielen keine Rolle. Es hängt alles davon ab, inwieweit der Zinssatz, unter Berücksichtigung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, für Investitionen günstig ist1. Nein, das ist eine Übertreibung. Wenn der Zinssatz so geregelt würde, daß er ständige Vollbeschäftigung aufrecht erhielte, so würde die Tugend ihre Herrschaft zurückgewinnen; – die Rate der Kapitalakkumulation würde von der Schwäche der Konsumneigung abhängen. Der Tribut, den die klassischen Ökonomen der Tugend zollen, ist somit – es sei noch einmal betont – die Folge ihrer versteckten Annahme, daß der Zinssatz immer so geregelt wird.
1 An einigen Stellen dieses Abschnittes haben wir stillschweigend Gedanken vorweggenommen, die im vierten Buch eingeführt werden.
Zehntes Kapitel
Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator Wir haben im achten Kapitel festgestellt, daß die Beschäftigung nur im Gleichschritt mit den Investitionen zunehmen kann, es sei denn, es ändert sich die Konsumneigung. Wir können diesen Gedankengang nun eine Stufe weiterführen. Unter gegebenen Umständen kann nämlich ein bestimmtes Verhältnis, der Multiplikator, zwischen Einkommen und Investition festgelegt werden sowie, mit gewissen Vereinfachungen, zwischen der gesamten Beschäftigung und der unmittelbar mit Investitionen befaßten Beschäftigung (die wir die Grundbeschäftigung nennen werden). Dieser weitere Schritt ist ein integraler Teil unserer Theorie der Beschäftigung, da er bei einer gegebenen Konsumneigung eine genaue Beziehung zwischen aggregierter Beschäftigung und Einkommen und dem Investitionsniveau festlegt. Das Konzept des Multiplikators wurde zuerst von Mr. R. F. Kahn in seinem Aufsatz über „The Relation of Home Investment to Unemployment“ (Economic Journal, June 1931) in die wirtschaftliche Theorie eingeführt. Seine Beweisführung in diesem Aufsatz stützte sich auf die Grundidee, daß, wenn die Konsumneigung unter verschiedenen hypothetischen Umständen (zusammen mit gewissen anderen Bedingungen) als gegeben angenommen wird, und wir uns vorstellen, daß die Währungsbehörde oder die staatliche Verwaltung Schritte zur Förderung oder Hemmung von Investitionen unternimmt, die Änderung in der Menge der Beschäftigung eine Funktion der Nettoänderung im Betrag der Investitionen sein wird. Seine Beweisführung zielte darauf, allgemeine Grundsätze zur Schätzung der tatsächlichen Mengenbeziehung zwischen einem Zuwachs der Nettoinvestitionen und dem Zuwachs der mit ihr verbundenen Gesamtbeschäftigung niederzulegen. Bevor wir jedoch zum Multiplikator kommen, wird es zweckmäßig sein, den Begriff der marginalen Konsumneigung einzuführen.
I. Die in diesem Buch behandelten Schwankungen im Realeinkommen sind jene, die aus der Kombination verschiedener Mengen von Beschäftigung (d. h. Arbeitseinheiten) mit einer gegebenen Kapitalausrüstung herrühren, so daß das Realeinkommen mit der Zahl der beschäftigten Arbeitseinheiten zu- oder abnimmt. Wenn, wie wir im allgemeinen an-
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
nehmen, ein abnehmender Grenzertrag der Arbeit vorliegt, sobald die Zahl der Arbeitseinheiten bei gegebener Kapitalausrüstung erhöht wird, dann wird das Einkommen, in Lohneinheiten gemessen, im Verhältnis zur Menge der Beschäftigung überproportional zunehmen, welche ihrerseits im Verhältnis zum Betrag des Realeinkommens, gemessen in Größen der Produktion (wenn das möglich ist), überproportional zunehmen wird. Realeinkommen, in Produkteinheiten gemessen, und Einkommen, in Lohneinheiten gemessen, werden jedoch (auf kurze Sicht, wenn die Kapitalausrüstung praktisch unverändert ist) miteinander zu- oder abnehmen. Da das Realeinkommen, in Produkteinheiten gemessen, quantitativ nicht genau meßbar sein mag, ist es daher oft zweckmäßig, Einkommen, in Lohneinheiten gemessen
Yw , als einen hinreichend brauchbaren Index der Änderungen im Realeinkommen zu betrachten. In gewissen Zusammenhängen dürfen wir nicht übersehen, daß Yw im allgemeinen verhältnismäßig mehr als das Realeinkommen zu- oder abnimmt; in anderen Zusammenhängen aber macht sie die Tatsache, daß sie immer miteinander zu- und abnehmen, sozusagen gegeneinander austauschbar. Unser normales psychologisches Gesetz, daß bei einer Zu- oder Abnahme des Realeinkommens des Gemeinwesens auch sein Verbrauch zuoder abnehmen wird, nur nicht so schnell, kann deshalb – zwar nicht mit völliger Genauigkeit, sondern mit Einschränkungen, die offensichtlich sind und leicht in schematisch vollständiger Weise angeführt werden können – in den Satz übersetzt werden, daß Cw und Yw das gleiche Vorzeichen haben, daß aber Yw > Cw, wobei Cw der Verbrauch, in Lohneinheiten gemessen, ist. Dies ist lediglich eine Wiederholung des dCw bereits auf S. 25 festgelegten Satzes. Definieren wir also als die dYw marginale Konsumneigung. Diese Größe ist sehr wichtig, weil sie uns sagt, wie der nächste Produktionszuwachs zwischen Verbrauch und Investition verteilt wird. Denn Yw Cw Iw , wobei Cw und Iw die Zuwächse des Verbrauchs und der Investition sind; so daß wir Yw k Iw schreiben 1 können, wobei 1 gleich der marginalen Konsumneigung ist. k Nennen wir k den Investitionsmultiplikator. Er sagt uns, daß bei einem Zuwachs der aggregierten Investitionen das Einkommen um einen Betrag zunehmen wird, der k mal dem Zuwachs der Investitionen ist.
II. Mr. Kahns Multiplikator weicht hiervon etwas ab, da er das ist, was wir den Beschäftigungsmultiplikator (mit k 0 bezeichnet) nennen können,
10. Kap.: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator
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da er das Verhältnis des Zuwachses der Gesamtbeschäftigung zu dem gegebenen Zuwachs der Grundbeschäftigung in den Investitionsgüterindustrien mißt, mit dem die Gesamtbeschäftigung verknüpft ist. Das heißt, wenn der Zuwachs der Investition Iw zu einem Zuwachs der Grundbeschäftigung N2 in den Investitionsgüterindustrien führt, ist der Zuwachs der Gesamtbeschäftigung N k 0 N2 . Es besteht im allgemeinen kein Grund anzunehmen, daß k k 0 ist. Denn es besteht keine notwendige Vermutung dafür, daß die Formen der relevanten Bereiche der aggregierten Angebotsfunktion für verschiedene Wirtschaftszweige derart sind, daß das Verhältnis zwischen dem Zuwachs der Beschäftigung und dem Zuwachs der Nachfrage, der sie angeregt hat, in der einen Gruppe von Branchen die gleiche sein wird wie in einer anderen1. Man kann sich in der Tat leicht Fälle vorstellen, in denen zum Beispiel die marginale Konsumneigung sehr deutlich von der durchschnittlichen abweicht; in dem Fall dürfte man eine gewisse Yw Iw Ungleichheit zwischen und vermuten, weil dann sehr stark N N2 voneinander abweichende relative Änderungen in der Nachfrage nach Konsumgütern und nach Investitionsgütern vorkommen würden. Wenn wir solche möglichen Unterschiede in den Formen der maßgebenden Teile der aggregierten Angebotsfunktion für jede der zwei Gruppen von Branchen in Betracht ziehen wollen, ist es nicht schwierig, die nachfolgende Beweisführung in eine verallgemeinerte Form zu fassen. Zur Erläuterung der darin enthaltenen Gedankengänge wird es aber zweckmäßig sein, sich mit dem vereinfachten Fall zu beschäftigen, in dem k k 0 gilt. Genauer, angenommen, es seien ee und e0e die Elastizitäten der Beschäftigung in der Wirtschaft als Ganzes bzw. in den Investitionsgüterindustrien, und N und N2 die Zahlen der in der Wirtschaft als Ganzes bzw. in den Investitionsgüterindustrien beschäftigten Personen, so ergibt sich Yw Yw N ee N Iw N2 ; Iw 0 und ee N2 1
so daß das heißt
N
ee Iw N k N2 ; e0e N2 Yw
k0
Iw ee N k : e0e N2 Yw
Wenn jedoch kein Grund besteht, irgendeinen bedeutenden maßgebenden Unterschied in den Formen der aggregierten Angebotsfunktion für die Wirtschaft als Ganzes einerseits und für die Investitionsgüterindustrien andererseits zu erwarten, Iw Yw Yw Iw so daß 0 dann folgt daraus, daß und daher k k 0. e e N2 e e N 0 N N2
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Es ergibt sich daher: Wenn die Verbrauchspsychologie des Gemeinwesens derart ist, daß es sich entschließt, zum Beispiel neun Zehntel einer Zunahme des Einkommens zu verbrauchen2, so wird der Multiplikator k gleich 10 sein, und die Gesamtbeschäftigung, verursacht durch (beispielsweise) vermehrte öffentliche Arbeiten, wird zehnmal die Grundbeschäftigung sein, die durch die öffentlichen Arbeiten selber geschaffen wird, vorausgesetzt, daß die Investitionen in anderen Bereichen nicht abnehmen. Nur wenn das Gemeinwesen seinen Verbrauch trotz der Zunahme in der Beschäftigung und folglich im Realeinkommen unverändert beibehält, wird die Zunahme der Beschäftigung auf die durch die öffentlichen Arbeiten geschaffene Grundbeschäftigung beschränkt sein. Wenn es andererseits bestrebt ist, den gesamten Zuwachs an Einkommen zu verbrauchen, wird es keinen stabilen Ruhepunkt geben und die Preise werden unbegrenzt steigen. Unter normalen psychologischen Voraussetzungen wird eine Zunahme in der Beschäftigung nur dann mit einer Abnahme im Verbrauch verbunden sein, wenn sich gleichzeitig die Konsumneigung ändert – zum Beispiel in Kriegszeiten als Folge von Propaganda für die Einschränkung des persönlichen Verbrauchs; und nur in diesem Fall wird die vermehrte Beschäftigung in der Investitionsgüterindustrie mit ungünstigen Auswirkungen auf die Beschäftigung in den Konsumgüterindustrien verbunden sein. Dies faßt nur in einer Formel zusammen, was dem Leser jetzt aus allgemeinen Gründen klar sein sollte. Die Investition, in Lohneinheiten gemessen, kann nicht zunehmen, ohne daß die Bevölkerung bereit wäre, ihre Ersparnisse, in Lohneinheiten gemessen, zu vermehren. Gewöhnlich wird die Bevölkerung dies nicht tun, ohne daß ihr gesamtes Einkommen, in Lohneinheiten gemessen, zunimmt. Ihr Streben, einen Teil ihrer vermehrten Einkommen zu verbrauchen, wird somit die Produktion anregen, bis das neue Niveau (und die neue Verteilung) der Einkommen einen Überschuß an Ersparnissen schafft, der genügt, um der vermehrten Investition zu entsprechen. Der Multiplikator sagt uns, um wieviel ihre Beschäftigung vermehrt werden muß, um eine Zunahme im Realeinkommen zu ergeben, die genügt, um sie zu den notwendigen Extraersparnissen zu veranlassen; er ist eine Funktion ihrer psychologischen Neigungen3. Wenn Ersparnis die bittere Pille und Verbrauch die Marmelade ist, muß die Extramarmelade der Größe der zusätzlichen bitteren Pille angepaßt werden. Wenn nicht die psychologischen Neigungen der Unsere Mengen werden durchweg in Lohneinheiten gemessen. Obschon er im allgemeineren Fall auch eine Funktion der physischen Bedingungen der Produktion in den Investitionsgüterindustrien einerseits und in den Konsumgüterzweigen andererseits ist. 2 3
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Bevölkerung von unserer Annahme abweichen, haben wir daher hier das Gesetz aufgestellt, daß vermehrte Beschäftigung für Investitionen notwendigerweise die Konsumgüterbranchen fördern und somit zu einer Gesamtzunahme der Beschäftigung führen muß, die ein Mehrfaches der für die Investitionen selbst benötigten Grundbeschäftigung ist. Daraus folgt, daß, wenn die marginale Konsumquote nicht weit unter Eins liegt, geringe Schwankungen in den Investitionen zu weiten Schwankungen in der Beschäftigung führen werden; gleichzeitig wird aber ein verhältnismäßig kleiner Zuwachs der Investitionen zur Vollbeschäftigung führen. Wenn andererseits die marginale Konsumquote nicht weit über Null liegt, werden geringe Schwankungen in den Investitionen zu entsprechend geringen Schwankungen in der Beschäftigung führen; gleichzeitig kann aber zur Herbeiführung der Vollbeschäftigung ein großer Zuwachs in den Investitionen erforderlich sein. Im ersten Fall wäre unfreiwillige Arbeitslosigkeit ein leicht zu heilendes Übel, obwohl sie unangenehm zu werden droht, wenn man sie sich ausweiten läßt. Im zweiten Fall mag die Beschäftigung weniger veränderlich sein; aber sie kann sich leicht auf einem niedrigen Niveau festsetzen und sich Heilmitteln gegenüber, mit Ausnahme der drastischsten, widerspenstig zeigen. In Wirklichkeit scheint die marginale Konsumquote irgendwo zwischen diesen beiden Extremen zu liegen, jedoch näher an Eins als an Null; mit der Folge, daß wir in einem gewissen Sinn die schlechteste von beiden Welten haben; die Schwankungen in der Beschäftigung sind beträchtlich und gleichzeitig ist der für die Erzeugung von Vollbeschäftigung erforderliche Zuwachs in den Investitionen zu groß, um leicht gehandhabt zu werden. Unglücklicherweise haben die Schwankungen genügt, um die Erkenntnis der Natur des Übels zu verhindern, während das Übel so heftig ist, daß es ohne die Erkenntnis seiner Natur nicht geheilt werden kann. Wenn die Vollbeschäftigung erreicht ist, wird jeder Versuch, die Investitionen noch weiter zu vermehren, eine Tendenz der Preise erzeugen, grenzenlos und unabhängig von der marginalen Konsumneigung zu steigen, das heißt, wir werden einen Zustand wahrer Inflation erreicht haben4. Bis zu diesem Punkt werden jedoch steigende Preise mit einem zunehmenden Gesamtrealeinkommen verbunden sein.
III. Wir haben uns bis jetzt mit einem Nettozuwachs der Investitionen beschäftigt. Wenn wir daher das Obige ohne Einschränkung auf die 4
Vgl. 21. Kap., S. 256 unten.
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Wirkung von (zum Beispiel) vermehrten öffentlichen Arbeiten anwenden wollen, müssen wir annehmen, daß diese nicht durch verminderte Investitionen in anderen Bereichen ganz oder teilweise aufgehoben wird, und natürlich auch, daß damit keine Änderung der gesellschaftlichen Konsumquote verbunden ist. Mr. Kahn beschäftigte sich im oben erwähnten Aufsatz hauptsächlich mit der Betrachtung der wahrscheinlich wichtigen Gegenwirkungen, die wir berücksichtigen sollten, und mit dem Vorschlag quantitativer Schätzungen. Denn im konkreten Fall gibt es neben einer spezifischen Zunahme der Investitionen einer gegebenen Art noch verschiedene andere Faktoren, die das Endergebnis beeinflussen. Wenn zum Beispiel eine Regierung 100 000 zusätzliche Menschen für öffentliche Arbeiten beschäftigt und der Multiplikator (wie oben definiert) 4 ist, können wir nicht mit Sicherheit annehmen, daß die gesamte Beschäftigung um 400 000 zunehmen wird, weil die neue Politik nachteilige Rückwirkungen auf die Investitionen in anderen Bereichen haben kann. Es scheint (wenn wir Mr. Kahn folgen), daß in einem modernen Gemeinwesen die folgenden Faktoren vermutlich am wenigsten übersehen werden dürfen (obschon die ersten zwei nicht völlig verständlich sein werden, bis wir das vierte Buch erreicht haben): Die Finanzierungsart der Politik und die vermehrten betrieblichen Kassenbestände, die wegen der vermehrten Beschäftigung und der damit verbundenen Preissteigerung erforderlich sind, mögen eine Zunahme des Zinssatzes und damit eine Verminderung der Investitionen in anderen Bereichen zur Folge haben, sofern die Währungsbehörde keine gegenteiligen Schritte unternimmt, während gleichzeitig die vermehrten Kosten der Kapitalgüter deren Grenzleistungsfähigkeit für den privaten Investor vermindern, was nur durch ein tatsächliches Fallen des Zinssatzes aufgehoben werden kann. Bei der oft vorherrschenden verworrenen Psychologie mag das Regierungsprogramm durch seine Wirkung auf das „Vertrauen“ die Liquiditätspräferenz erhöhen oder die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals vermindern, was wiederum andere Investitionen hemmen könnte, wenn nichts getan wird, um diese Tendenz auszugleichen. In einer offenen Wirtschaft mit Handelsbeziehungen zum Ausland wird ein Teil des Multiplikators der vermehrten Investitionen der Beschäftigung in fremden Ländern zugute kommen, weil ein Teil des vermehrten Verbrauches die günstige Zahlungsbilanz unseres eigenen Landes verschlechtern wird, so daß wir bei der bloßen Berücksichtigung der einheimischen Beschäftigung, im Gegensatz zur Weltbeschäftigung, die volle Zahl des Multiplikators vermindern müssen. Andererseits mag
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unser eigenes Land einen Teil dieses Abflusses durch günstige Rückwirkungen zurückerhalten als Folge der durch den Multiplikator im Ausland verursachten Zunahme in der wirtschaftlichen Tätigkeit. Wenn wir ferner Änderungen von beträchtlichem Umfang betrachten, müssen wir eine fortschreitende Änderung in der marginalen Konsumquote berücksichtigen, wenn sich die Position dieser Grenze schrittweise verschiebt, entsprechend ändert sich der Multiplikator. Die marginale Konsumneigung ist nicht für alle Niveaus der Beschäftigung konstant, und sie wird wahrscheinlich eine Tendenz haben, mit der Zunahme der Beschäftigung abzunehmen; das heißt, das Gemeinwesen wird bei einer Zunahme der Realeinkommen einen sich allmählich vermindernden Teil davon verbrauchen wollen. Neben der Wirkung der soeben erwähnten allgemeinen Regel gibt es noch andere Faktoren, die eine Änderung der marginalen Konsumneigung und folglich des Multiplikators bewirken können, und diese anderen Faktoren scheinen durchgängig die Tendenz der allgemeinen Regel eher zu verstärken als aufzuheben. Erstens wird die Zunahme der Beschäftigung wegen der Wirkung des abnehmenden Ertrages auf kurze Sicht dazu führen, den Teil des Gesamteinkommens zu vermehren, der den Unternehmern zufließt; deren persönliche marginale Konsumneigung ist wahrscheinlich geringer als der Durchschnitt für das Gemeinwesen als Ganzes. Zweitens wird Arbeitslosigkeit wahrscheinlich in bestimmten privaten oder öffentlichen Kreisen mit negativen Ersparnissen verbunden sein, da die Arbeitslosen von ihren eigenen Ersparnissen und denen ihrer Freunde oder von öffentlicher, teilweise aus Anleihen finanzierter Unterstützung leben dürften; mit der Folge, daß ihre Wiederbeschäftigung diese besonderen Akte negativer Ersparnisse allmählich verringern und daher die marginale Konsumneigung rascher vermindern wird, als wenn das Realeinkommen des Gemeinwesens unter anderen Umständen in gleichem Maße zugenommen hätte. Auf jeden Fall wird der Multiplikator wahrscheinlich für einen kleinen Nettozuwachs in den Investitionen größer sein als für einen großen Zuwachs, so daß, wenn beträchtliche Änderungen in Aussicht stehen, wir uns von dem Durchschnittswert des Multiplikators leiten lassen müssen, der sich auf die durchschnittliche marginale Konsumneigung über den in Frage kommenden Bereich stützt. Mr. Kahn hat die wahrscheinlichen, quantitativen Ergebnisse derartiger Faktoren in verschiedenen hypothetischen Sonderfällen untersucht. Aber es ist offenbar nicht möglich, Verallgemeinerungen sehr weit zu führen. Man kann zum Beispiel nur sagen, daß ein typisches modernes Gemeinwesen wahrscheinlich dazu neigen würde, nicht viel weniger als 80 %
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eines Zuwachses des Realeinkommens zu verbrauchen, sofern es eine geschlossene Wirtschaft darstellt, in der der Verbrauch der Arbeitslosen durch Übertragungen vom Verbrauch anderer Verbraucher bezahlt würde, so daß der Multiplikator, nach Abzug der Gegenwirkungen, nicht viel weniger als 5 wäre. In einem Land hingegen, in dem, sagen wir, 20 % des Verbrauches durch den Außenhandel befriedigt werden, und in dem die Arbeitslosen aus Anleihen oder dergleichen bis zu, sagen wir, 50 % ihres normalen Verbrauches bei Beschäftigung erhalten, mag der Multiplikator bis auf das Zwei- oder Dreifache der Beschäftigung fallen, die durch eine spezifische Neuinvestition geschaffen wird. Eine gegebene Schwankung in der Investition wird somit in einem Land, in dem der Außenhandel eine große Rolle spielt und die Arbeitslosenunterstützung in größerem Maße durch Verschuldung bestritten wird (wie das zum Beispiel in Großbritannien im Jahre 1931 der Fall war), mit einer viel weniger heftigen Schwankung der Beschäftigung verbunden sein als in einem Land, in dem diese Faktoren weniger wichtig sind (wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten im Jahre 1932)5. Es ist jedoch der allgemeine Grundsatz des Multiplikators, an den wir uns für die Erklärung der Tatsache halten müssen, daß Schwankungen im Betrag der Investitionen, die einen verhältnismäßig kleinen Teil des Nationaleinkommens ausmachen, Schwankungen in der Gesamtbeschäftigung und im Gesamteinkommen hervorbringen können, die eine höhere Amplitude haben als sie selbst.
IV. Die Erörterung ist bis jetzt auf der Grundlage einer Änderung in der Gesamtinvestition durchgeführt worden, die genügend weit vorausgesehen worden ist, um den Konsumgüterindustrien zu ermöglichen, im Gleichschritt mit den Kapitalgüterindustrien vorzurücken, ohne Störungen in den Preisen der Konsumgüter über die hinaus, die sich bei abnehmenden Erträgen aus einer Zunahme der erzeugten Menge ergeben. Im allgemeinen müssen wir jedoch den Fall in Betracht ziehen, in dem der Anstoß von einer Zunahme in der Produktion der Kapitalgüterindustrien kommt, die nicht völlig vorausgesehen wurde. Es ist offensichtlich, daß ein Anstoß dieser Art seine volle Wirkung auf die Beschäftigung nur über einen längeren Zeitabschnitt ausüben kann. Ich habe jedoch bei Erörterungen dieses Gegenstandes gesehen, daß diese offensichtliche Tatsache oft einige Verwirrung verursacht zwischen der logischen Theorie des Multiplikators, die fortwährend, ohne Zeit5
Vgl. jedoch die amerikanische Schätzung auf S. 109 unten.
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verzögerungen und immer gilt, und den Folgen einer Ausdehnung in den Kapitalgüterindustrien, die sich allmählich, mit Zeitverzögerungen, und nur im Zeitablauf auswirken. Die Beziehung zwischen diesen beiden Dingen kann durch die Feststellung erläutert werden, erstens, daß eine unvorhergesehene oder ungenügend vorhergesehene Ausdehnung in den Kapitalgüterindustrien keine sofortige Wirkung im gleichen Betrag auf die Gesamtinvestitionen hat, sondern eine allmähliche Zunahme dieser verursacht; und zweitens, daß die marginale Konsumneigung vorübergehend von ihrem Normalwert abweicht, jedoch anschließend schrittweise zu ihm zurückkehren wird. Eine Ausdehnung in den Kapitalgüterindustrien verursacht somit eine Reihe von Zuwächsen in der Gesamtinvestition, die in aufeinander folgenden Perioden während eines Zeitraumes vorkommen, und eine Reihe von Werten der marginalen Konsumneigung in diesen aufeinander folgenden Zeitabschnitten, die sowohl von den Werten abweichen, die sich ergeben hätten, wenn man die Ausdehnung vorhergesehen hätte, wie auch von jenen, die sich ergeben würden, wenn das Gemeinwesen auf einem neuen stetigen Niveau der Gesamtinvestitionen zur Ruhe käme. Die Theorie des Multiplikators gilt jedoch in jedem Zeitabschnitt in dem Sinne, daß der Zuwachs der gesamten Nachfrage gleich dem Produkt des Zuwachses der Gesamtinvestition und des durch die Konsumneigung bestimmten Multiplikators ist. Die Erklärung für diese beiden Tatsachen ist am offensichtlichsten, wenn wir den äußersten Fall nehmen, in dem die Ausdehnung der Beschäftigung in den Kapitalgüterindustrien so völlig unvorhergesehen ist, daß zuerst überhaupt keine Zunahme in der Produktion der Verbrauchsgüter entsteht. In diesem Falle wird das Streben der in den Kapitalgüterindustrien Neubeschäftigten, einen Teil ihrer vermehrten Einkommen zu verbrauchen, die Preise der Verbrauchsgüter steigern, bis ein vorübergehendes Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot teilweise infolge des durch die hohen Preise verursachten Aufschubs des Verbrauches, teilweise durch eine Umverteilung der Einkommen zugunsten der sparenden Klassen als eine Folge der von den höheren Preisen herrührenden vermehrten Gewinne, und teilweise infolge der durch die höheren Preise verursachten Abnahme der Vorräte hergestellt ist. Insofern das Gleichgewicht durch einen Aufschub des Verbrauches wiederhergestellt wird, entsteht eine vorübergehende Abnahme der marginalen Konsumneigung, das heißt des Multiplikators selbst, und insofern die Vorräte abnehmen, nimmt die Gesamtinvestition für die Zeit um weniger zu als der Zuwachs der Investitionen in den
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Kapitalgüterindustrien, das heißt, die zu vervielfachende Größe nimmt nicht um den vollen Zuwachs der Investitionen in den Kapitalgüterindustrien zu. Mit der Zeit passen sich jedoch die Konsumgüterzweige der neuen Nachfrage an, so daß, wenn der aufgeschobene Verbrauch genossen wird, die marginale Konsumneigung vorübergehend über ihr normales Niveau steigt, um zu kompensieren, daß sie früher unter dieses Niveau gefallen ist und schließlich zu ihrem normalen Niveau zurückkehrt; hingegen führt die Auffüllung der Vorräte auf ihre frühere Höhe dazu, daß der Zuwachs der Gesamtinvestitionen vorübergehend größer ist als der Zuwachs der Investitionen in den Kapitalgüterindustrien (wobei der Zuwachs der Betriebsmittel, der mit der größeren Produktion einhergeht, vorübergehend ebenfalls die gleiche Wirkung hat). Die Tatsache, daß eine unvorhergesehene Änderung ihre volle Wirkung auf die Beschäftigung nur über einen längeren Zeitabschnitt ausübt, ist in bestimmten Zusammenhängen wichtig; – sie spielt insbesondere eine Rolle in der Analyse des Konjunkturzyklus (wie ich sie in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ ausführte). Sie beeinflußt aber in keiner Weise die Bedeutung der Theorie des Multiplikators, wie in diesem Kapitel dargelegt, noch macht sie diese Theorie unanwendbar als Indikator des gesamten von einer Ausdehnung in den Kapitalgüterindustrien erwarteten Vorteils für die Beschäftigung. Mit Ausnahme von Zuständen, in denen die Konsumgüterzweige bereits mit fast voller Leistungsfähigkeit arbeiten, so daß eine Ausdehnung der Produktion eine Ausdehnung der Anlagen erfordert und nicht nur eine intensivere Ausnutzung der bestehenden Anlagen, besteht überdies kein Grund zur Annahme, daß mehr als ein kurzer Zeitraum verstreichen muß, bevor die Beschäftigung in den Konsumgüterzweigen im Gleichschritt mit der Beschäftigung in den Kapitalgüterindustrien fortschreitet und der Multiplikator in der Nähe seiner normalen Größe arbeitet.
V. Wir haben oben gesehen, daß je größer die marginale Konsumneigung, desto größer der Multiplikator, und folglich desto größer die Wirkung einer gegebenen Änderung in der Investition auf die Beschäftigung. Es könnte scheinen, daß dies zu der paradoxen Folgerung führen würde, daß ein armes Gemeinwesen, dessen Ersparnis ein sehr kleiner Teil des Einkommens ist, heftigen Schwankungen mehr unterworfen sein wird als ein reiches Gemeinwesen, bei dem die Ersparnis ein größerer Teil der Einkommen und der Multiplikator folglich kleiner ist.
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Dieser Schluß würde jedoch die Unterscheidung zwischen den Wirkungen der marginalen Konsumneigung und jenen der durchschnittlichen Konsumneigung übersehen. Während nämlich eine hohe marginale Konsumneigung eine größere proportionale Wirkung einer gegebenen prozentualen Änderung in den Investitionen bedingt, wird die absolute Wirkung trotzdem klein sein, wenn die durchschnittliche Konsumneigung hoch ist. Dies kann durch ein rechnerisches Beispiel wie folgt erläutert werden. Angenommen, daß die Konsumneigung eines Gemeinwesens derart ist, daß es, solange sein Realeinkommen die Produktion aus der Beschäftigung von 5.000.000 Menschen mit seiner bestehenden Kapitalausrüstung nicht übersteigt, sein ganzes Einkommen verbraucht; daß es 99% der Produktion der Beschäftigung der nächsten 100.000 Menschen verbraucht, 98 % der übernächsten 100.000, 97 % der dritten 100.000 und so fort; und daß die Beschäftigung von 10.000.000 Menschen Vollbeschäftigung darstellen würde. Daraus folgt, daß, wenn 5.000.000 n 100.000 Menschen beschäftigt werden, der Multiplikator an der Grenze 100 n
n 1 ist und % des Nationaleinkommens investiert wird. n 2
50 n Wenn somit 5.200.000 Menschen beschäftigt werden, ist der Multiplikator sehr groß, nämlich 50, aber die Investition ist nur ein sehr geringer Teil des laufenden Einkommens, nämlich 0,06 %, mit der Folge, daß wenn die Investition um einen großen Teil abnimmt, sagen wir um zwei Drittel, die Beschäftigung nur auf 5.100.000 zurückgehen wird, das heißt um ungefähr 2 %. Andererseits wird der marginale Multiplikator bei der Beschäftigung von 9.000.000 Menschen verhältnismäßig klein sein, nämlich 2,5, aber die Investition ist nun ein beträchtlicher Teil des laufenden Einkommens, nämlich 9 %, mit der Folge, daß wenn die Investition um zwei Drittel fällt, die Beschäftigung auf 6.900.000 zurückgehen wird, nämlich um 23 %. An der Grenze, wenn die Investition auf Null fällt, wird die Beschäftigung im ersten Fall um ungefähr 4 % abnehmen, während sie im zweiten Fall um 44 % abnehmen wird6. Im obigen Beispiel ist das ärmere der zwei verglichenen Gemeinwesen ärmer, weil es unterbeschäftigt ist. Die gleiche Beweisführung ist aber auch durch eine leichte Anpassung anwendbar, wenn die Armut auf 6 Die Menge der Investition wird oben durch die Zahl der Menschen gemessen, die in ihrer Erzeugung beschäftigt sind. Wenn somit mit der Zunahme der Beschäftigung die Produktion je Beschäftigungseinheit abnimmt, wird, was nach dem obigen Maß die doppelte Menge Investition ist, nach physischem Maß (wenn ein solches verfügbar ist) weniger als das Doppelte sein.
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geringere Geschicklichkeit, Technik oder Ausrüstung zurückzuführen ist. Während der Multiplikator somit in einem armen Gemeinwesen größer ist, wird die Wirkung von Schwankungen in der Investition auf die Beschäftigung in einem wohlhabenden Gemeinwesen viel größer sein, vorausgesetzt, daß die laufende Investition in diesem einen viel größeren Teil der laufenden Produktion ausmacht7. Aus dem Obigen ist auch offensichtlich, daß die Beschäftigung einer gegebenen Zahl von Menschen mit öffentlichen Arbeiten (unter den gemachten Voraussetzungen) in Zeiten großer Arbeitslosigkeit eine viel größere Wirkung auf die Gesamtbeschäftigung haben wird als später, wenn die Vollbeschäftigung näher liegt. Nach dem obigen Beispiel wird zu einer Zeit, in der die Beschäftigung auf 5.200.000 gefallen ist, die Beschäftigung von zusätzlichen 100.000 Menschen für öffentliche Arbeiten die Gesamtbeschäftigung auf 6.400.000 steigern. Wenn aber die Beschäftigung bereits 9.000.000 beträgt, wird, wenn die zusätzlichen 100.000 Menschen für öffentliche Arbeiten angestellt werden, die Gesamtbeschäftigung nur auf 9.200.000 steigen. Öffentliche Arbeiten von selbst zweifelhaftem Nutzen mögen sich daher in Zeiten großer Arbeitslosigkeit um ein Vielfaches bezahlt machen, sei es auch nur durch die Verminderung der Kosten für Arbeitslosenunterstützung, vorausgesetzt, daß wir annehmen können, daß ein kleinerer Teil des Einkommens gespart wird, wenn die Arbeitslosigkeit größer ist; in einem Zustand nahe der Vollbeschäftigung mag ihr Nutzen aber zweifelhaft werden. Ferner folgt, wenn unsere Annahme richtig ist, daß die marginale Konsumneigung in dem Maß, in dem wir uns der Vollbeschäftigung nähern, stetig fällt, daß eine weitere Zunahme der Beschäftigung durch eine weitere Vermehrung der Investitionen immer schwieriger werden wird. Es sollte nicht schwierig sein, aus den Statistiken (wenn sie verfügbar wären) des Gesamteinkommens und der Gesamtinvestitionen an aufeinanderfolgenden Zeitpunkten eine graphische Darstellung der marginalen Konsumneigung eines Konjunkturzyklus auszuarbeiten. Unsere Statistiken sind jedoch gegenwärtig nicht genau genug (oder 7 Allgemeiner, das Verhältnis zwischen der proportionalen Änderung der gesamten Nachfrage und der proportionalen Änderung der Investitionen C 1 Y .I Y Y C Y : dC Y I Y Y C 1 dY dC C abnehmen, aber wird auch abnehmen. Mit der Zunahme des Reichtums wird dY Y Der Quotient nimmt somit zu oder ab, je nachdem, ob der Verbrauch in einem größeren oder in einem kleineren Verhältnis als das Einkommen abnimmt.
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nicht genug auf diesen besonderen Gegenstand abgestellt), um uns mehr als höchst unzuverlässige Schätzungen zu gestatten. Die besten für den Zweck, die mir bekannt sind, sind die bereits auf S. 88 / 89 erwähnten Zahlen von Mr. Kuznets für die Vereinigten Staaten, obschon auch sie sehr gewagt sind. Im Zusammenhang mit Schätzungen des Nationaleinkommens, welchen Wert diese auch immer haben mögen, weisen sie sowohl auf einen geringeren als auch auf einen stabileren Wert für den Multiplikator der Investitionen hin, als ich erwartet hätte. Wenn einzelne Jahre für sich betrachtet werden, erscheinen die Ergebnisse sehr unregelmäßig. Wenn sie aber in Paaren zusammengestellt werden, scheint der Multiplikator weniger als drei und wahrscheinlich ziemlich beständig in der Nähe von 2,5 gewesen zu sein. Dies weist auf eine marginale Konsumneigung hin, die 60–70 % nicht übersteigt, – eine Zahl, die sehr glaubwürdig für den Boom, aber, überraschend und nach meinem Urteil, unwahrscheinlich niedrig für die Rezession ist: Es ist jedoch möglich, daß das extrem konservative Finanzgebaren der Körperschaften in den Vereinigten Staaten, selbst während der Rezession, hierfür verantwortlich sein mag. Mit anderen Worten: Wenn bei einem starken Rückgang der Investitionen durch die Unterlassung von Ausbesserungen und Ersatz trotzdem für diese Wertverminderung finanzielle Rücklagen gemacht werden, hat dies die Wirkung, das Steigen der marginalen Konsumneigung zu verhindern, die sonst erfolgt wäre. Ich vermute, daß dieser Faktor eine bedeutende Rolle in der Verschärfung des Grades der jüngsten Rezession in den Vereinigten Staaten gespielt hat. Andererseits ist es möglich, daß die Statistiken den Rückgang der Investitionen etwas überschätzen, die angeblich 1932 um mehr als 75 % gegen 1929 abgenommen haben sollen, während die „Nettokapitalbildung“ um mehr als 95 % abgenommen haben soll – eine leichte Veränderung in diesen Schätzungen könnte einen beträchtlichen Unterschied im Multiplikator ausmachen.
VI. Wenn es unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt, ist die marginale Nutzeneinbuße durch Arbeit notwendigerweise niedriger als der Nutzen des Grenzproduktes. Sie mag in der Tat viel niedriger sein. Für einen Menschen, der lange arbeitslos war, mag irgendeine Arbeitsmaßnahme, statt mit Nachteilen verbunden zu sein, einen positiven Nutzen haben. Wenn das stimmt, zeigt die obige Beweisführung, wie „unrentable“ anleihefinanzierte Ausgaben8 das Gemeinwesen im Endergebnis trotzdem be8 Es ist oft zweckmäßig, in den Ausdruck „anleihefinanzierte Ausgaben“ sowohl öffentliche Investitionen, die durch Anleihen von Individuen finanziert werden, als
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reichern können. Das Bauen von Pyramiden, Erdbeben, selbst Kriege mögen dazu dienen, den Reichtum zu vermehren, wenn die Ausbildung unserer Staatsmänner in den Grundsätzen der klassischen Wirtschaftslehre etwas Besserem im Wege steht. Es ist merkwürdig, wie der gesunde Menschenverstand in seinem Ringen nach einem Ausweg aus widersinnigen Folgerungen geneigt gewesen ist, völlig „unrentable“ Formen von anleihefinanzierten Ausgaben teilweise unrentablen Formen vorzuziehen, die, weil sie nicht völlig verloren sind, dazu tendieren, nach streng „geschäftlichen“ Grundsätzen beurteilt zu werden. So wird zum Beispiel einer anleihefinanzierten Arbeitslosenunterstützung bereitwilliger zugestimmt als der Finanzierung von Landverbesserungen mit einer Belastung unter dem laufenden Zinssatz, während die unter Goldbergbau bekannte Form des Grabens von Löchern in den Erdboden, die dem wahren Reichtum der Welt nicht nur schlechthin nichts zufügt, sondern Nutzeneinbußen durch Arbeit hervorruft, die annehmbarste aller Lösungen ist. Wenn das Schatzamt alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie in geeignete Tiefen in verlassenen Kohlenbergwerken vergraben würde, die dann bis zur Oberfläche mit städtischen Abfällen gefüllt würden und es dann dem privaten Unternehmergeist nach den erprobten Grundsätzen des laissez-faire überlassen würde, die Noten wieder auszugraben (wobei das Recht, dies zu tun, natürlich durch Offerten für die Pacht des Grundstücks, in dem die Noten liegen, zu erwerben wäre), brauchte es keine Arbeitslosigkeit mehr zu geben, und dank der Rückwirkungen würde das Realeinkommen des Gemeinwesens wie auch sein Kapitalreichtum wahrscheinlich viel größer als jetzt werden. Es wäre zwar vernünftiger, Häuser und dergleichen zu bauen, aber wenn dem politische und praktische Schwierigkeiten im Wege stehen, wäre das obige besser als gar nichts. Die Analogie zwischen diesem Notbehelf und den Goldgruben der wirklichen Welt ist vollständig. Zu Zeiten, wenn Gold in geeigneten Tiefen erhältlich ist, lehrt die Erfahrung, daß der reale Reichtum der Welt sehr rasch zunimmt, während, wenn nur wenig Gold auf diese Art verauch andere derart finanzierte laufende Ausgaben einzuschließen. Genau genommen sollten letztere als negative Ersparnisse betrachtet werden, doch werden derartige behördliche Maßnahmen nicht von der gleichen Art psychologischer Beweggründe geleitet wie jene, die die privaten Ersparnisse bestimmen. „Anleihefinanzierte Ausgaben“ ist somit ein bequemer Ausdruck für die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand, sei es für die Kapitalrechnung, sei es zur Begleichung eines Budgetdefizits. Die eine Form von „anleihefinanzierten Ausgaben“ wirkt durch eine Zunahme der Investitionen und die andere durch eine zunehmende Konsumneigung.
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fügbar ist, unser Reichtum stillsteht oder abnimmt. Goldgruben sind somit von größtem Wert und größter Wichtigkeit für die Zivilisation. Genau wie Kriege die einzige Form von „anleihefinanzierten Ausgaben“ in großem Umfang sind, die Staatsmänner berechtigt fanden, so ist der Goldbergbau der einzige Vorwand, um Löcher in den Boden zu graben, der von den Bankiers als gesunde Geldwirtschaft anerkannt wurde; und jede dieser Tätigkeiten hat ihre Rolle im Fortschritt gespielt – in Ermangelung eines besseren. Um eine Einzelheit zu erwähnen, trägt die Tendenz des Goldpreises, in Arbeitsgrößen und Werkstoffen gemessen, in Zeiten wirtschaftlichen Niederganges zu steigen, schließlich zu einem Umschwung bei, weil es die Tiefen vergrößert, in denen sich das Goldgraben lohnt und den Mindestgehalt der Erze herunterdrückt, deren Ausbeute sich bezahlt macht. Zu der wahrscheinlichen Wirkung des vermehrten Goldangebotes auf den Zinssatz kommt noch hinzu, daß Goldgruben aus zwei Gründen eine höchst praktische Form der Investition sind, wenn es uns nicht möglich ist, die Beschäftigung durch Mittel zu vermehren, die gleichzeitig unseren Bestand nützlichen Reichtums vergrößern. Erstens werden sie wegen ihrer spekulativen Anziehungskraft ohne zu genaue Rücksicht auf den laufenden Zinssatz ausgeführt. Zweitens hat das Ergebnis, nämlich der vermehrte Goldbestand, nicht wie in anderen Fällen die Wirkung, seinen Grenznutzen zu vermindern. Da der Wert eines Hauses von seinem Nutzen abhängt, wird jedes neuerbaute Haus dazu beitragen, den voraussichtlichen Mietzins von weiteren Häuserbauten und folglich die Anziehungskraft weiterer ähnlicher Investition zu vermindern, es sei denn, daß der Zinssatz im Gleichschritt fällt. Die Früchte des Goldgrabens leiden aber nicht unter diesem Nachteil und ein Rückschlag kann nur durch ein Steigen der Lohneinheit, in Gold gemessen, eintreten, was kaum vorkommen wird ohne daß, und bis sich die Beschäftigung merklich gebessert hat. Überdies gibt es keine spätere entgegengesetzte Wirkung aus der Vorsorge für Nutzungskosten und ergänzende Kosten, wie im Fall von weniger dauerhaften Formen des Reichtums. Das alte Ägypten war doppelt glücklich und verdankte seinen sagenhaften Reichtum zweifellos dem Umstand, daß es über zwei Tätigkeiten verfügte, nämlich sowohl das Bauen von Pyramiden als auch das Suchen nach kostbaren Metallen, deren Früchte, da sie den Bedürfnissen der Menschheit durch Verbrauch nicht dienen konnten, mit dem Überfluß nicht schal wurden. Das Mittelalter baute Kathedralen und sang Totenklagen. Zwei Pyramiden, zwei Messen für die Toten, sind doppelt so gut wie eine, aber nicht so zwei Eisenbahnen von London nach York. Daher sind wir so einsichtig, haben uns so sehr den Anschein vorsichtiger
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Drittes Buch: Die Konsumneigung
Finanzierung anerzogen, stellen sorgfältige Erwägungen an, bevor wir die „finanziellen“ Bürden der Nachwelt durch das Bauen von Wohnhäusern für sie vermehren, daß wir keinen so leichten Ausweg aus dem Elend der Arbeitslosigkeit haben. Wir müssen sie als unvermeidliches Ergebnis dessen hinnehmen, daß wir die Staatsführung den Grundsätzen unterwerfen, die am besten geeignet sind, den Einzelnen durch die Möglichkeit zu „bereichern“, Ansprüche auf Genuß anzuhäufen, die er nicht zu irgendeiner bestimmten Zeit geltend zu machen gedenkt.
VIERTES BUCH
Die Anreize zu investieren
Elftes Kapitel
Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals I. Wenn ein Mensch ein Investitionsgut oder Kapitalgut kauft, kauft er das Anrecht auf die Reihe voraussichtlicher Erträge, die er während der Lebensdauer des Vermögenswertes vom Verkauf seiner Produktion, nach Abzug der laufenden Ausgaben für die Herstellung dieser Produktion, zu erhalten erwartet. Es ist zweckmäßig, diese Reihe Annuitäten Q1 , Q2 . . . Qn den voraussichtlichen Ertrag der Investition zu nennen. Dem voraussichtlichen Ertrag der Investition steht der Angebotspreis des Kapitalgutes gegenüber, worunter wir nicht den Marktpreis verstehen, zu dem ein Vermögenswert der in Frage kommenden Art tatsächlich im Markt gekauft werden kann, sondern den Preis, der einen Fabrikanten gerade noch veranlassen würde, eine zusätzliche Einheit solcher Vermögenswerte neu zu erzeugen, das heißt das, was gelegentlich Wiederbeschaffungskosten genannt wird. Das Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Ertrag eines Kapitalgutes und seinem Angebotspreis oder seinen Wiederbeschaffungskosten, das heißt, das Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Ertrag einer weiteren Einheit jener Art Kapital und den Erzeugungskosten jener Einheit, liefert uns die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals jener Art. Genauer: ich definiere die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als gleichwertig zu jenem Diskontsatz, der den gegenwärtigen Wert der Reihe von Jahresrenten, die aus dem Kapitalgut während seines Bestandes erwartet werden, genau gleich seinem Angebotspreis machen würde. Das gibt uns die Grenzleistungsfähigkeiten einzelner Arten von Kapitalgütern. Die größte dieser Grenzleistungsfähigkeiten kann dann als die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im allgemeinen betrachtet werden. Der Leser sollte beachten, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hier in Kategorien der Erwartung von Erträgen und des laufenden Angebotspreises des Kapitalgutes definiert wird. Sie hängt ab von der Rate des Ertrages, die von einem Geldbetrag erwartet wird, wenn er in einen neu erzeugten Vermögensbestand investiert wird; und nicht von dem historischen Ergebnis dessen, was eine Investition im Verhältnis zu ihren ursprünglichen Kosten erbracht hat, wenn wir auf ihre Vergangenheit zurückblicken, nachdem ihr Leben erloschen ist.
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Wenn die Investition in irgendeine gegebene Art von Kapital während irgendeines Zeitabschnittes erhöht wird, wird sich die Grenzleistungsfähigkeit jener Art Kapital mit der Zunahme der Investition verringern; teilweise, weil sich der voraussichtliche Ertrag mit der Zunahme jener Art Kapital verringern wird und teilweise, weil ein Druck auf die Einrichtungen für die Erzeugung dieser Art von Kapital in der Regel eine Zunahme ihres Angebotspreises verursachen wird. Hierbei wird der zweite dieser Faktoren gewöhnlich der wichtigere in der Herstellung des kurzfristigen Gleichgewichtes sein; je länger aber der in Aussicht genommene Zeitabschnitt, desto mehr wird der erste Faktor die Stelle des zweiten einnehmen. Wir können somit für jede Art von Kapital eine Kurve aufstellen, die zeigt, um wieviel die Investition in sie innerhalb des Zeitabschnittes zunehmen muß, damit ihre Grenzleistungsfähigkeit auf jeden gegebenen Zahlenwert fällt. Wir können dann diese Kurve für alle verschiedenen Arten von Kapital zusammenfassen und eine Kurve aufstelllen, welche die Höhe der Gesamtinvestition zu der entsprechenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im allgemeinen in Beziehung bringt, die sich bei diesem Investitionsniveau ergibt. Wir werden dies die Kurve der Investitionsnachfrage nennen oder auch die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Es ist nun offensichtlich, daß der tatsächliche Umfang der laufenden Investitionen bis auf den Punkt getrieben wird, auf dem es keine Klasse von Kapitalgütern mehr gibt, deren Grenzleistungsfähigkeit den aktuellen Zinssatz übersteigt. Mit anderen Worten: Die Investitionen werden auf den Punkt auf der Investitionsnachfragekurve getrieben werden, auf dem die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im allgemeinen gleich dem Marktzinssatz ist1. Das Gleiche kann auch wie folgt ausgedrückt werden. Wenn Qr der voraussichtliche Ertrag eines Vermögenswertes im Zeitpunkt r ist und dr der Gegenwartswert von einem im Jahre Tr fälligen £ zum laufenden Zinssatz, so ist Qr dr der Nachfragepreis der Investition, und die Investition wird bis auf den Punkt getrieben werden, in dem Qr dr gleich dem oben definierten Angebotspreis der Investition ist. Wenn Qr dr andererseits hinter dem Angebotspreis zurückbleibt, wird es keine laufende Investition in den in Frage kommenden Vermögenswert geben. 1 Um die Darstellung zu vereinfachen, bin ich über den Punkt hinweggegangen, daß wir es mit Komplexen von Zinssätzen und Diskontsätzen zu tun haben, die den verschiedenen Zeiträumen entsprechen, die vor der Erzielung der verschiedenen voraussichtlichen Erträge aus dem Vermögenswert verstreichen. Aber die Beweisführung kann ohne Schwierigkeit so umgestellt werden, daß sie auch diesen Punkt abdeckt.
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Daraus folgt, daß die Bereitschaft zur Investition teilweise von der Kurve der Investitionsnachfrage und teilweise vom Zinssatz abhängt. Es wird erst nach dem Schlußergebnis des vierten Buches möglich sein, zu einer umfassenden Ansicht über die Faktoren zu kommen, welche die Höhe der Investitionen in ihrer tatsächlichen Komplexität bestimmen. Ich möchte den Leser jedoch ersuchen, sich schon jetzt zu merken, daß es uns weder die Kenntnis der voraussichtlichen Erträge eines Vermögenswertes noch die Kenntnis der Grenzleistungsfähigkeit des Vermögenswertes ermöglicht, den Zinssatz oder den Gegenwartswert des Vermögenswertes abzuleiten. Wir müssen den Zinssatz aus einer anderen Quelle ermitteln, und erst dann können wir den Vermögenswert bewerten, indem wir seinen voraussichtlichen Ertrag „kapitalisieren“.
II. Wie verhält sich die obige Definition der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zum allgemeinen Gebrauch? Grenzproduktivität oder Grenzertrag oder Grenzleistungsfähigkeit oder Grenznutzen des Kapitals sind vertraute Ausdrücke, die wir alle oft gebraucht haben. Es ist aber nicht leicht, beim Durchforschen der ökonomischen Literatur eine klare Erklärung dessen zu finden, was Ökonomen gewöhnlich mit diesen Ausdrücken gemeint haben. Es sind mindestens drei Unklarheiten aus dem Wege zu räumen. Erstens besteht Unklarheit darüber, ob wir es mit dem Zuwachs des physischen Erzeugnisses je Zeiteinheit als Folge der Beschäftigung einer weiteren physischen Einheit des Kapitals zu tun haben oder mit dem Wertzuwachs als Folge der Beschäftigung einer weiteren Werteinheit des Kapitals. Der erstere birgt Schwierigkeiten in sich hinsichtlich der Definition der physischen Einheit des Kapitals, die ich sowohl als unlösbar wie auch als unnötig betrachte. Man kann natürlich sagen, daß zehn Arbeiter mehr Weizen auf einer gegebenen Fläche erzielen werden, wenn sie gewisse zusätzliche Maschinen benützen können, aber ich kenne kein Mittel, dies auf ein verständliches rechnerisches Verhältnis zurückzuführen, das nicht Werte einführt. Trotzdem scheinen sich viele Erörterungen über diesen Gegenstand hauptsächlich mit der physischen Produktivität des Kapitals in irgendeinem Sinne zu beschäftigen, obschon die Autoren verfehlen, sich verständlich zu machen. Zweitens erhebt sich die Frage, ob die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals irgendeine absolute Menge oder ein Verhältnis ist. Die Zusammenhänge, in denen sie gebraucht wird, und der Brauch, sie so zu behandeln, als ob sie von gleicher Dimension wie der Zinssatz sei,
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scheinen zu fordern, daß sie ein Verhältnis sein sollte. Aber es wird gewöhnlich nicht klargemacht, was die beiden Bestandteile des Verhältnisses sein sollen. Schließlich gibt es die Unterscheidung, deren Vernachlässigung die Hauptursache der Verwirrung und der Mißverständnisse gewesen ist, zwischen dem Zuwachs im Wert, der durch den Gebrauch einer zusätzlichen Menge Kapital in der bestehenden Lage erzielt werden kann und der Reihe von Zuwächsen, von denen erwartet wird, daß sie während der gesamten Lebensdauer des zusätzlichen Kapitalgutes erzielt werden, das heißt, die Unterscheidung zwischen Q1 und der vollständigen Reihe Q1 ; Q2 . . . Qr . . . Dies birgt das ganze Problem in sich, welchen Platz die Erwartung in der ökonomischen Theorie einnimmt. Die meisten Erörterungen über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals scheinen keinem Glied der Reihe außer Q1 Beachtung zu schenken. Und doch ist dies nicht zulässig, ausgenommen in einer statischen Theorie, in der alle Q’s gleich sind. Die gewöhnliche Theorie der Verteilung, in der vorausgesetzt wird, daß das Kapital jetzt seine Grenzproduktivität (in irgendeinem Sinne) erreicht, gilt nur in einem stationären Zustand. Der aggregierte gegenwärtige Ertrag des Kapitals steht in keiner unmittelbaren Beziehung zu seiner Grenzleistungsfähigkeit, während sein aggregierter Ertrag an der Grenze der Erzeugung (das heißt der Ertrag des Kapitals, der in den Angebotspreis der Produktion eingeht) seine Grenznutzungskosten sind, die wiederum keine enge Beziehung zu seiner Grenzleistungsfähigkeit haben. Es besteht, wie ich oben bemerkt habe, ein auffallender Mangel an irgendeiner klaren Behandlung des Gegenstandes. Gleichzeitig glaube ich, daß die Definition, die ich oben gegeben habe, ziemlich nahe an das herankommt, was Marshall unter diesem Begriff bezeichnen wollte. Der Ausdruck, den Marshall selbst braucht, ist „marginale Netto-Grenzleistungsfähigkeit“ eines Produktionsfaktors oder auch der „Grenznutzen des Kapitals“. Das folgende ist eine Zusammenfassung der maßgebendsten Stellen, die ich in seinen Principles (6. Auflage, S. 519 – 520) finden kann. Ich habe einige nicht aufeinanderfolgende Sätze zusammengestellt, um den Kern seiner Ausführungen wiederzugeben: „In einer bestimmten Fabrik kann ein zusätzlicher Wert an Maschinen in Höhe von £ 100 so angewandt werden, daß er keine anderen zusätzlichen Ausgaben mit sich bringt, und daß er nach Abzug für seine eigene Abnutzung jährlich einen Wert von £ 3 zum Nettooutput der Fabrik hinzufügt. Wenn die Investoren Kapital in jede Beschäftigung einsetzen, in welcher es voraussichtlich einen hohen Gewinn abwerfen wird, und wenn, nachdem dies getan und ein Gleichgewicht gefunden worden ist, es sich immer noch und gerade noch lohnt,
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diese Maschinen zu beschäftigen, können wir aus dieser Tatsache schließen, daß der jährliche Zinssatz 3 % ist. Aber Erläuterungen dieser Art zeigen nur teilweise die Wirkung der großen Ursachen an, welche den Wert beherrschen. Sie können nicht in eine Theorie des Zinses geformt werden, sowenig wie in eine Theorie der Löhne, ohne daß man einen Zirkelschluß vornimmt. . . Angenommen, der Zinssatz sei 3 % pro anno für vollkommen sichere Wertpapiere und die Hutindustrie absorbiere ein Kapital von einer Million Pfund. Dies bedeutet, daß die Hutindustrie den Wert des Kapitals einer ganzen Million Pfund so gut verwenden kann, daß sie eher 3 % pro anno netto für ihren Gebrauch bezahlen würde als darauf zu verzichten. Es mag Maschinen geben, auf deren Gebrauch die Industrie selbst bei einem Zinssatz von 20 % pro anno nicht verzichtet hätte. Wenn der Zinssatz 10% gewesen wäre, wäre mehr gebraucht worden; wenn er 6 % gewesen wäre, noch mehr; zu 4 % noch mehr; und zum bestehenden Zinssatz von 3% wird noch mehr gebraucht werden. Wenn diese Menge erreicht ist, wird der Grenznutzen der Maschinen, das heißt, der Nutzen jener Maschinen, deren Verwendung sich gerade noch lohnt, mit 3 % gemessen sein.“
Aus dem Obigen ist offensichtlich, daß sich Marshall wohl bewußt war, daß wir in einen Zirkelschluß verwickelt sind, wenn wir durch solche Gedankengänge zu bestimmen versuchen, was der Zinssatz tatsächlich ist2. An dieser Stelle scheint er die oben dargelegte Ansicht zu akzeptieren, daß der Zinssatz den Punkt bestimmt, auf den die Neuinvestition getrieben wird, wenn die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gegeben ist. Wenn der Zinssatz 3 % ist, bedeutet dies, daß niemand £ 100 für eine Maschine bezahlen wird, wenn er nicht hofft, dadurch £ 3 – nach Abzug für Kosten und Entwertung – seiner jährlichen Nettoproduktion zuzufügen. Wir werden aber im 14. Kapitel sehen, daß Marshall an anderen Stellen weniger vorsichtig war, obschon er sich immer noch zurückzog, wenn ihn seine Beweisführung auf unsicheren Grund führte. Obwohl er es nicht „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ nennt, hat Professor Irving Fisher in seiner Theory of Interest (1930) eine Definition dessen gegeben, was er die „Ertrags-Kosten-Relation“ nennt, die mit meiner Definition übereinstimmt. „Die Ertrags-Kosten-Relation“, schreibt er3, „ist jene Rate, die, wenn sie zur Berechnung des gegenwärtigen Wertes aller Kosten und des gegenwärtigen Wertes aller Erträge verwendet wird, diese beiden einander gleich machen wird.“ Professor Fisher erklärt, daß sich die Höhe der Investitionen in jeder Richtung auf einen Vergleich zwischen der Ertrags-Kosten-Relation und dem 2 Aber irrte er sich nicht in der Annahme, daß die Theorie der Grenzproduktivität der Löhne ebenso zirkulär ist? 3 Op. cit. S. 168.
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Zinssatz stützt. Um Neuinvestitionen zu veranlassen, „muß die ErtragsKosten-Relation den Zinssatz übersteigen“4. „Diese neue Größe (oder dieser neue Faktor) in unserer Untersuchung steht im Mittelpunkt des Teiles der Zinstheorie, der sich mit den Investitionsgelegenheiten befaßt“.5 Professor Fisher gebraucht somit seine „Ertrags-Kosten-Relation“ im gleichen Sinne und für genau den gleichen Zweck, wie ich die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ anwende.
III.
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Die bedeutsamste Verwirrung über den Sinn und die Bedeutung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals rührt von der mangelnden Erkenntnis her, daß sie sich auf die voraussichtlichen Erträge des Kapitals stützt und nicht nur auf seinen aktuellen Ertrag. Dies kann am besten erläutert werden durch einen Hinweis darauf, welche Wirkung die Erwartung von Änderungen in den voraussichtlichen Produktionskosten auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals haben wird, sei es, daß diese Änderungen von Änderungen in den Arbeitskosten, das heißt in der Lohneinheit, herrühren oder von Erfindungen und neuer Technik. Die Produktion mittels heute produzierter Ausrüstung wird während ihrer Lebensdauer mit der Produktion späterer, vielleicht mit niedrigeren Arbeitskosten oder mittels einer verbesserten Technik, erzeugter Ausrüstung konkurrieren müssen, die sich mit einem niedrigeren Preis für ihre Produktion begnügt und deren Menge vermehrt werden wird, bis der Preis ihrer Produktion auf diese niedrigere Zahl gefallen ist, mit der sie sich begnügt. Der Gewinn des Unternehmers (in Geld gemessen) aus der Ausrüstung, sei sie alt oder neu, wird überdies vermindert werden, wenn die gesamte Produktion billiger erstellt wird. Insofern solche Entwicklungen als wahrscheinlich oder auch nur als möglich vorausgesehen werden, wird die Grenzleistungsfähigkeit von heute erzeugtem Kapital entsprechend vermindert. Dies ist der Faktor, durch den die Erwartung von Änderungen im Geldwert die Menge der laufenden Produktion beeinflußt. Die Erwartung einer Senkung des Geldwertes regt die Investitionen und folglich die Beschäftigung im allgemeinen an, weil sie die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erhöht, das heißt die Kurve der Investitionsnachfrage, und die Erwartung einer Erhöhung des Geldwertes wirkt entmutigend, weil sie die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals senkt. 4 5
Op. cit. S. 159. Op. cit. S. 155.
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Das ist die Wahrheit, die hinter Professor Irving Fishers Theorie dessen liegt, was er ursprünglich „Wertzuwachs und Zins“ nannte; – die Unterscheidung zwischen dem nominalen Zinssatz und dem realen Zinssatz, wobei ersterer nach Berichtigung der Änderungen im Geldwert gleich letzterem ist. Es ist schwierig, aus dieser Theorie, so wie sie dargestellt ist, einen Sinn abzuleiten, weil es nicht klar ist, ob die Änderung im Geldwert als vorausgesehen oder nicht vorausgesehen angenommen wird. Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma, daß sie, wenn sie nicht vorausgesehen wird, keinen Einfluß auf die laufenden Angelegenheiten haben wird; während, wenn sie vorausgesehen wird, die Preise von bestehenden Gütern sofort so berichtigt werden, daß die Vorteile, Geld zu halten und Güter zu halten, sich wieder ausgleichen und es für Besitzer von Geld zu spät sein wird, um aus der Änderung des Zinssatzes einen Gewinn zu erzielen oder einen Verlust zu erleiden, der die voraussichtliche Wertänderung des geliehenen Geldes während der Laufzeit des Darlehens ausgleichen wird. Denn Professor Pigous Ausweg, anzunehmen, daß die voraussichtliche Änderung im Geldwert von einer Gruppe von Menschen, aber nicht von einer anderen, vorausgesehen wird, ermöglicht uns nicht, dem Dilemma erfolgreich zu entrinnen. Der Fehler liegt in der Annahme, daß es der Zinssatz ist, auf den voraussichtliche Änderungen im Geldwert unmittelbar wirken werden, statt auf die Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalbestandes. Die Preise bestehender Vermögensbestände werden sich immer Änderungen in der Erwartung über den voraussichtlichen Wert des Geldes anpassen. Die Bedeutung solcher Änderungen in der Erwartung liegt darin, daß sie durch ihre Rückwirkung auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf die Bereitschaft wirken, neue Vermögensbestände zu erzeugen. Die anregende Wirkung der Erwartung höherer Preise ist nicht auf die Erhöhung des Zinssatzes zurückzuführen (das wäre eine widersinnige Art, die Produktion anzuregen – insofern der Zinssatz steigt, wird die anregende Wirkung bis zu diesem Grad aufgehoben), sondern auf ihre Erhöhung der Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalbestandes. Wenn der Zinssatz im Gleichschritt mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steigen würde, gäbe es keine anregende Wirkung von der Erwartung steigender Preise. Denn die Anregung zur Produktion stützt sich darauf, daß die Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalbestandes im Verhältnis zum Zinssatz steigt. Professor Fishers Theorie könnte in der Tat am besten in Kategorien eines „realen Zinssatzes“ umgeschrieben werden, definiert als der Zinssatz, der als Folge einer Änderung der bestehenden Erwartungen über den zukünftigen
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Geldwert herrschen müßte, damit diese Änderung keine Wirkung auf die laufende Produktion hat6. Es ist beachtenswert, daß eine Erwartung einer zukünftigen Senkung des Zinssatzes die Wirkung haben wird, die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu senken; denn sie bedeutet, daß die Produktion von heute erzeugter Ausrüstung während eines Teiles ihrer Dauer mit der Produktion von Ausrüstung zu konkurrieren haben wird, die sich mit einem niedrigeren Ertrag begnügt. Diese Erwartung wird keine sehr entmutigende Wirkung haben, da die Erwartungen, die über den Komplex der Zinssätze für verschiedene zukünftige Fristen gehegt werden, teilweise im Komplex der heutigen Zinssätze zum Ausdruck kommen. Trotzdem kann aber eine gewisse entmutigende Wirkung eintreten, weil die Produktion mithilfe von heute erzeugter Ausrüstung, die gegen Ende der Lebensdauer dieser Ausrüstung erzeugt werden wird, mit der Produktion einer viel jüngeren Ausrüstung zu konkurrieren haben dürfte, die sich mit einem niedrigeren Ertrag begnügt, wegen des niedrigeren Zinssatzes, der für Zeitabschnitte nach Beendigung der Lebensdauer der heute erzeugten Ausrüstung gilt. Es ist wichtig, die Abhängigkeit der Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalbestandes von Änderungen in der Erwartung zu erfassen, weil es hauptsächlich diese Erwartung ist, welche die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals den einigermaßen heftigen Schwankungen unterwirft, welche die Erklärung für den Konjunkturzyklus sind. Im 22. Kapitel werden wir zeigen, daß die Folge von Boom und Rezession in Kategorien der Schwankungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Verhältnis zum Zinssatz beschrieben und analysiert werden kann.
IV. Zwei Arten von Risiken beeinflussen das Investitionsvolumen, deren Unterscheidung wichtig ist, obschon sie oft vernachlässigt wurde. Die erste ist das Risiko des Unternehmers oder Schuldners und entsteht aus seinen eigenen Zweifeln über die Wahrscheinlichkeit, ob er den voraussichtlichen Ertrag wirklich verdienen wird, auf den er hofft. Wenn eine Person ihr eigenes Geld einsetzt, ist dies das einzige relevante Risiko. Wo aber ein System von Entleihen und Verleihen besteht, worunter ich die Gewährung von Darlehen mit einem bestimmten Maß von realer oder persönlicher Sicherheitsleistung verstehe, ist noch eine zweite Art Risiko 6 Vgl. Mr. Robertsons Aufsatz über „Industrial Fluctuations and the Natural Rate of Interest“, Economic Journal, Dezember 1934.
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maßgebend, die wir das Gläubigerrisiko nennen können. Dieses mag entweder auf moralisches Wagnis zurückzuführen sein, nämlich absichtliche Zahlungseinstellung oder andere, möglicherweise gesetzliche Wege, sich der Erfüllung von Verpflichtungen zu entziehen, oder auf die mögliche Unzulänglichkeit der Sicherheitsleistung, das heißt unfreiwillige Zahlungseinstellung als Folge des Fehlschlagens der Erwartung. Eine dritte Quelle des Risikos könnte hinzugefügt werden, nämlich eine etwaige ungünstige Änderung im Werte des Geldstandards, die ein Gelddarlehen bis zu diesem Grad unsicherer als einen Realvermögensbestand macht, obschon dies alles oder das meiste davon im Preis der dauerhaften Realvermögenswerte bereits zum Ausdruck gekommen und folglich abgegolten sein sollte. Die erste Art Risiko stellt nun gewissermaßen reale gesellschaftliche Kosten dar, obschon diese durch Risikostreuung sowie durch eine größere Genauigkeit in der Vorhersage verringert werden können. Die zweite Art ist jedoch ein reiner Zusatz zu den Investitionskosten, der nicht bestehen würde, wenn Entleiher und Verleiher dieselbe Person wären. Es bedingt überdies teilweise eine Verdoppelung eines Teilbetrages des Unternehmerrisikos, der zweimal dem reinen Zinssatz zugefügt werden muß, um den voraussichtlichen minimalen Ertrag zu ergeben, der die Investition veranlassen wird. Wenn nämlich eine Unternehmung gewagt ist, wird der Entleiher eine größere Spanne zwischen seiner Ertragserwartung und dem Zinssatz benötigen, zu dem er sich zu entleihen entschließen wird, während der gleiche Grund dazu führen wird, daß der Verleiher eine größere Spanne zwischen seiner Forderung und dem reinen Zinssatz benötigen wird, um ihn zum Verleihen zu veranlassen (ausgenommen, wenn der Entleiher so zahlungskräftig und vermögend ist, daß er eine außergewöhnliche Sicherheitsleistung bieten kann). Die Hoffnung auf ein sehr günstiges Ergebnis, welches das Risiko in der Vorstellung des Entleihers ausgleichen mag, ist kein für den Verleiher verfügbarer Trost. Diese Verdoppelung des Ansatzes eines Teiles des Risikos ist bis jetzt, soviel mir bekannt ist, nicht hervorgehoben worden, kann aber unter gewissen Umständen wichtig sein. Während eines Aufschwunges tendiert die allgemeine Einschätzung der Größe dieser beiden Risiken, sowohl des Entleiherrisikos als auch des Verleiherrisikos, dazu, ungewöhnlich und unvorsichtig niedrig zu werden.
V. Die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist von grundlegender Bedeutung, da es hauptsächlich dieser Faktor ist (viel mehr
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als der Zinssatz), durch den die Erwartungen über die Zukunft die Gegenwart beeinflussen. Der Fehler, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals in erster Linie in Größen des laufenden Ertrags der Kapitalausrüstung zu betrachten, was nur im statischen Zustand richtig wäre, wo es keine sich ändernde Zukunft gibt, welche die Gegenwart beeinflussen kann, ließ das theoretische Verbindungsglied zwischen heute und morgen zerbrechen. Selbst der Zinssatz ist im Grunde7 eine laufende Erscheinung, und wenn wir die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf den gleichen Status reduzieren, schneiden wir uns in unserer Analyse des bestehenden Gleichgewichtes von jeder unmittelbaren Berücksichtigung des Einflusses der Zukunft ab. Die Tatsache, daß die Voraussetzungen des statischen Zustandes oft der heutigen wirtschaftlichen Theorie zugrunde liegen, trägt in diese ein großes Element der Unwirklichkeit hinein. Die Einführung der Begriffe Nutzungskosten und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, wie oben definiert, wird aber nach meiner Ansicht die Wirkung haben, sie zur Wirklichkeit zurückzuführen, während sie gleichzeitig den notwendigen Grad der Anpassung auf ein Mindestmaß verringert. Das Bestehen dauerhafter Ausrüstungen ist die Ursache, durch die die wirtschaftliche Zukunft mit der Gegenwart verbunden wird. Es ist daher ein unseren allgemeinen gedanklichen Grundsätzen entsprechendes und sie befriedigendes Ergebnis, daß die Erwartungen über die Zukunft durch den Nachfragepreis für dauerhafte Ausrüstungsgüter die Gegenwart beeinflussen.
7 Nicht vollständig; denn in seinem Wert kommt teilweise die Ungewißheit über die Zukunft zum Ausdruck. Außerdem hängt die Beziehung zwischen Zinssätzen für verschiedene Fristen von Erwartungen ab.
Zwölftes Kapitel
Der Stand der langfristigen Erwartung I. Wir haben im vorhergehenden Kapitel gesehen, daß das Ausmaß der Investitionen von dem Verhältnis zwischen dem Zinssatz und der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals abhängt, die den verschiedenen Niveaus der laufenden Investitionen entspricht, während die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals von dem Verhältnis zwischen dem Angebotspreis eines Kapitalgutes und dessen voraussichtlichem Ertrag abhängt. In diesem Kapitel werden wir einige der Faktoren, die den voraussichtlichen Ertrag eines Vermögensbestandes bestimmen, genauer betrachten. Die Erwägungen, auf die sich die Erwartungen der voraussichtlichen Erträge stützen, umfassen teilweise bestehende Tatsachen, die wir mehr oder weniger als sicher bekannt voraussetzen können, und teilweise zukünftige Ereignisse, die nur, mit mehr oder weniger Vertrauen, vermutet werden können. Unter den ersteren kann der bestehende Bestand an Kapitalgütern verschiedener Arten und an Kapitalgütern im allgemeinen erwähnt werden sowie die Stärke der bestehenden Nachfrage der Verbraucher nach Gütern, deren effiziente Erzeugung einen verhältnismäßig großen Einsatz von Kapital erfordert. Zu den letzteren gehören zukünftige Änderungen in der Art und Menge des Bestandes an Kapitalgütern und im Geschmack der Verbraucher, die Stärke der jeweilig effektiven Nachfrage während der Lebensdauer der in Betracht gezogenen Investitionen und die Änderungen in der Lohneinheit, in Geld gemessen, die während ihrer Lebensdauer vorkommen mögen. Wir können den Stand der psychologischen Erwartung, die letztere umfaßt, als den Stand der langfristigen Erwartung zusammenfassen – im Gegensatz zur kurzfristigen Erwartung, auf deren Grundlage ein Produzent schätzt, was er für ein Erzeugnis nach seiner Fertigstellung bekommen wird, wenn er sich entschließt, seine Produktion heute mit der bestehenden Ausrüstung zu beginnen, was wir im 5. Kapitel untersucht haben.
II. Es wäre närrisch, wenn wir bei der Bildung unserer Erwartungen zuviel Gewicht auf solche Faktoren legen würden, die sehr ungewiß
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sind1. Es ist daher vernünftig, daß wir uns in einem beträchtlichen Maß durch die Tatsachen leiten lassen, hinsichtlich derer wir uns einigermaßen zuversichtlich fühlen, obschon sie von weniger ausschlaggebender Bedeutung für den Ausgang sein mögen als andere Faktoren, über die unsere Kenntnis unbestimmt und spärlich ist. Aus diesem Grunde werden die Tatsachen der gegenwärtigen Lage gewissermaßen unverhältnismäßig in die Bildung unserer langfristigen Erwartungen einbezogen, da es unser übliches Verfahren ist, die gegenwärtige Lage zu nehmen, in die Zukunft zu verlängern und sie nur in dem Maß abzuändern, in welchem wir mehr oder weniger genaue Gründe für die Erwartung einer Änderung haben. Der Stand der langfristigen Erwartung, auf den sich unsere Entscheidungen stützen, beruht daher nicht nur auf der wahrscheinlichsten Voraussage, die wir machen können. Er stützt sich auch auf das Vertrauen, mit dem wir diese Voraussage machen, das heißt darauf, wie hoch wir die Wahrscheinlichkeit einschätzen, daß unsere beste Voraussage sich als ganz falsch erweisen wird. Wenn wir große Änderungen erwarten, aber sehr unsicher über die genauen Formen sind, welche diese Änderungen annehmen werden, wird unser Vertrauen schwach sein. Der Stand des Vertrauens, wie er genannt wird, ist ein Faktor, dem Geschäftsleute immer die tiefste und sorgfältigste Beachtung schenken. Die Ökonomen haben ihn aber nicht sorgfältig analysiert und sich in der Regel damit begnügt, ihn in allgemeinen Ausdrücken zu erörtern. Insbesondere ist nicht klargemacht worden, daß er seine Bedeutung für wirtschaftliche Fragen durch seinen wichtigen Einfluß auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gewinnt. Es sind nicht zwei getrennte Faktoren, welche die Höhe der Investitionen beeinflussen, nämlich die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Stand des Vertrauens. Der Stand des Vertrauens ist wichtig, weil er einer der Hauptbestimmungsgründe der ersteren ist, die wiederum mit der Nachfragekurve nach Investitionen identisch ist. Es kann aber a priori nicht viel über den Stand des Vertrauens gesagt werden. Unsere Folgerungen müssen sich hauptsächlich auf die tatsächliche Beobachtung der Märkte und die Geschäftspsychologie stützen. Das ist der Grund, warum sich die nachfolgende Abschweifung auf einer anderen Abstraktionsebene befindet als die meisten Teile dieses Buches. 1 Unter „sehr ungewiß“ verstehe ich nicht dasselbe wie unter „sehr unwahrscheinlich“. Vgl. mein Treatise on Probability, 6. Kap., über „The Weight of Arguments“.
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Zur Vereinfachung der Darstellung wollen wir in der folgenden Erörterung über den Stand des Vertrauens voraussetzen, daß keine Änderungen im Zinssatz vorkommen, und wir werden uns in allen folgenden Abschnitten so ausdrücken, als ob Änderungen in den Werten von Investitionen einzig auf Änderungen in der Erwartung ihrer voraussichtlichen Erträge zurückzuführen seien und keineswegs auf Änderungen in dem Zinssatz, zu dem diese voraussichtlichen Erträge kapitalisiert sind. Die Wirkung von Änderungen im Zinssatz kann jedoch leicht der Wirkung von Änderungen im Stand des Vertrauens hinzugefügt werden.
III. Die hervorstechende Tatsache ist die äußerste Unsicherheit der Wissensgrundlage, auf der unsere Schätzungen der voraussichtlichen Erträge gemacht werden müssen. Unsere Kenntnis der Faktoren, die den Ertrag einer Investition nach einigen Jahren bestimmen werden, ist gewöhnlich sehr gering und oft vernachlässigbar. Wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir zugeben, daß unsere Wissensgrundlage für die Schätzung der Erträge nach zehn oder sogar fünf Jahren einer Eisenbahn, eines Kupferbergwerks, einer Weberei, des Markenwertes einer Patentmedizin, eines atlantischen Dampfers, eines Gebäudes in der City von London sehr gering und manchmal null ist. In der Tat sind jene, die ernsthaft versuchen, eine solche Schätzung zu machen, oft derartig in der Minderheit, daß ihr Verhalten den Markt nicht beherrscht. In früheren Zeiten, als die Unternehmen hauptsächlich im Besitze jener waren, die sie leiteten, oder ihrer Freunde und Teilhaber, stützten sich die Investitionen auf ein genügendes Angebot an Einzelnen von sanguinischem Temperament und konstruktiven Eingebungen, die sich das Geschäft zur Lebensaufgabe machten, ohne wirklich auf eine genaue Berechnung des voraussichtlichen Gewinnes zu vertrauen. Das Geschäft war teilweise eine Lotterie, deren endgültiges Ergebnis allerdings zum großen Teil davon abhing, ob die Fähigkeiten und der Charakter der Leiter über oder unter dem Durchschnitt lagen. Einigen mißlang es, andere waren erfolgreich. Aber selbst im nachhinein wußte niemand, ob die durchschnittlichen Ergebnisse, an den investierten Summen gemessen, den bestehenden Zinssatz überstiegen hatten, ihm gleich waren oder unter ihm geblieben waren, obschon es wahrscheinlich ist, wenn wir die Ausbeutung von Rohstoffen und Monopole ausschließen, daß die tatsächlichen durchschnittlichen Ergebnisse der Investitionen, selbst in Zeiten des Fortschrittes und Wohlstandes, die
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Hoffnungen, die sie veranlaßten, enttäuscht haben. Geschäftsleute treiben ein Spiel, in dem Geschicklichkeit und Zufall vermischt sind, und dessen durchschnittliche Ergebnisse den Spielern, die sich daran beteiligen, nicht bekannt sind. Wenn die menschliche Natur nicht versucht wäre, etwas zu wagen, keine Befriedigung (abgesehen vom Gewinn) in dem Bau einer Fabrik, einer Eisenbahn, eines Bergwerkes oder eines Bauernhofes fände, würden als bloßes Ergebnis kalter Berechnung vielleicht wenige Investitionen vorgenommen werden. Entscheidungen über Investitionen in privaten Geschäften vom alten Schlag waren jedoch zum großen Teil unwiderrufliche Entscheidungen, nicht nur für das Gemeinwesen als Ganzes, sondern auch für den Einzelnen. Mit der heute vorherrschenden Trennung von Eigentum und Management und mit der Entwicklung organisierter Investmentmärkte ist jedoch ein neuer Faktor von großer Wichtigkeit eingeführt worden, der zuweilen das Investment erleichtert, zuweilen aber auch stark zu der Unbeständigkeit des Systems beiträgt. Ohne Wertpapiermärkte hätte der Versuch einer häufigen Neubewertung eines Investments, an dem wir beteiligt sind, keinen Zweck. Die Börse schätzt aber viele Investments jeden Tag neu ein, und die neuen Bewertungen geben dem Einzelnen (obschon nicht dem Gemeinwesen als Ganzem) häufig Gelegenheit, seine Beteiligungen zu ändern. Es ist, als ob ein Bauer, nachdem er nach dem Frühstück aufs Barometer geklopft hat, sich entscheiden könnte, sein Kapital aus der Landwirtschaft zwischen zehn und elf Uhr vormittags zurückzuziehen, und wieder neu erwägen könnte, ob er es später in der Woche wieder einsetzen solle. Die täglichen Neubewertungen an der Börse aber, obschon sie in erster Linie zur Erleichterung der Übertragung alter Investments von einem Einzelnen auf den anderen gemacht werden, üben unvermeidlicherweise einen entscheidenden Einfluß auf die Höhe der laufenden Investitionen aus. Denn es hat keinen Sinn, eine neue Unternehmung mit höheren Kosten aufzubauen als jene, zu denen eine ähnliche bestehende Unternehmung gekauft werden kann; dagegen besteht Veranlassung, für ein neues Projekt eine übertrieben scheinende Summe auszugeben, wenn es mit einem sofortigen Gewinn an die Börse gebracht werden kann2. 2 In meiner Abhandlung „Vom Gelde“ (S. 455) habe ich dargelegt, daß, wenn die Aktien einer Gesellschaft sehr hoch notiert sind, so daß sie durch die Ausgabe von neuen Aktien mehr Kapital zu günstigen Bedingungen aufnehmen kann, dies die gleiche Wirkung hat, wie wenn sie zu einem niedrigeren Zinssatz Geld entleihen könnte. Ich möchte dies nun so beschreiben, daß eine hohe Notierung bestehender Aktien eine Zunahme in der Grenzleistungsfähigkeit der entsprechenden Art Kapital bedingt und daher die gleiche Wirkung hat (weil sich die Investition auf einen Vergleich zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und dem Zinssatz stützt), wie eine Senkung des Zinssatzes.
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Einige Arten der Investition werden somit durch die durchschnittliche Erwartung jener bestimmt, die an der Börse handeln und welche sich eher im Preis der Aktien als in den echten Erwartungen des berufsmäßigen Unternehmers ausdrückt3. Wie werden aber diese höchst bedeutungsvollen täglichen, ja stündlichen Neubewertungen bestehender Investitionen in der Wirklichkeit vorgenommen?
IV. In der Wirklichkeit haben wir uns in der Regel stillschweigend darauf eingelassen, auf etwas zurückzugreifen, was in Wahrheit eine Konvention ist. Das Wesentliche dieser Konvention – obschon es sich natürlich nicht so einfach auswirkt – liegt in der Voraussetzung, daß die bestehende Geschäftslage unendlich andauern wird, soweit wir nicht besondere Gründe für die Erwartung einer Änderung haben. Das heißt nicht, daß wir wirklich glauben, daß die bestehende Geschäftslage unendlich andauern werde. Wir wissen durch umfangreiche Erfahrung, daß dies höchst unwahrscheinlich ist. Die tatsächlichen Ergebnisse einer Investition während einer langen Reihe von Jahren stimmen selten mit der anfänglichen Erwartung überein. Wir können auch unser Verhalten nicht durch die Beweisführung begründen, daß für einen Menschen in einem Zustand der Unwissenheit Fehler in beiden Richtungen gleich wahrscheinlich sind, so daß eine auf gleichen Wahrscheinlichkeiten beruhende mittlere versicherungsmathematische Erwartung übrig bleibt. Denn es kann leicht gezeigt werden, daß die Voraussetzung rechnerisch gleicher Wahrscheinlichkeiten, gestützt auf einen Zustand der Unwissenheit, zu Sinnwidrigkeiten führt. Wir setzen tatsächlich voraus, daß die bestehende Marktbewertung, wie sie auch immer erreicht wurde, in bezug auf unsere Kenntnis der den Ertrag der Investition beeinflussenden Tatsachen eindeutig richtig ist, und daß sie sich nur im Verhältnis zu Änderungen in dieser Kenntnis ändern wird, obschon sie, philosophisch gesprochen, nicht eindeutig richtig sein kann, weil die Kenntnis, die wir haben, keine genügende Grundlage für eine berechnete mathematische Erwartung schafft. Tatsache ist, daß in der Marktbewertung alle Arten von Erwägungen einbezogen werden, die in keiner Weise für den erwarteten Ertrag von Belang sind. 3 Dies bezieht sich natürlich nicht auf Arten von Unternehmungen, die nicht leicht verkäuflich sind oder denen kein veräußerlicher Titel entspricht. Die Kategorien, die unter diese Ausnahme fallen, waren früher sehr umfangreich, aber im Verhältnis zum Gesamtwert der neuen Investitionen nimmt ihre Bedeutung sehr rasch ab.
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Die obige konventionelle Rechnungsmethode wird dennoch mit einem beträchtlichen Maß von Stetigkeit und Beständigkeit in unseren Unternehmungen vereinbar sein, solange wir uns auf die Einhaltung der Konvention verlassen können. Denn wenn es organisierte Investmentmärkte gibt und wenn wir uns auf die Einhaltung der Konvention verlassen können, kann sich ein Investor mit Recht von der Vorstellung ermutigen lassen, daß sein einziges Risiko dasjenige einer echten Änderung in den Neuigkeiten über die nahe Zukunft ist, deren Wahrscheinlichkeit kaum sehr groß sein wird und über die er versuchen kann, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Vorausgesetzt, daß die Konvention aufrechterhalten wird, sind es nämlich nur diese Änderungen, die den Wert seines Investments beeinflussen können, und es braucht ihm nicht den Schlaf zu rauben, daß er keine Ahnung hat, was sein Investment in zehn Jahren wert sein wird. Das Investment wird somit für den einzelnen Investor auf kurze Sicht genügend „sicher“, und folglich auch für eine Folge von kurzen Zeitabschnitten, wie viele es auch sein mögen, wenn er sich einigermaßen darauf verlassen kann, daß die Konvention nicht zusammenbricht und daß er daher Gelegenheit haben wird, sein Urteil zu berichtigen und sein Investment rechtzeitig zu ändern, bevor viel geschehen konnte. Investitionen, die für das Gemeinwesen „fixiert“ sind, werden somit für den Einzelnen „liquide“ gemacht. Ich bin überzeugt, daß sich unsere führenden Investmentmärkte auf der Grundlage irgendeines solchen Vorganges entwickelt haben. Aber es ist nicht überraschend, daß eine, von einem voraussetzungslosen Standpunkt aus gesehen, so willkürliche Konvention ihre schwachen Punkte hat. Ihre Fragwürdigkeit ist es, die für einen nicht geringen Teil unserer gegenwärtigen Sorge verantwortlich ist, genügend Investitionen zu sichern.
V. Einige der Faktoren, welche diese Fragwürdigkeit verdeutlichen, mögen hier kurz erwähnt werden. 1. Die allmähliche Zunahme desjenigen Anteiles am Eigentum der gesamten Kapitalinvestition des Gemeinwesens, der sich im Besitz von Menschen befindet, die das betreffende Unternehmen weder leiten noch eine besondere Kenntnis seiner tatsächlichen oder voraussichtlichen Gegebenheiten haben, hat zu einer ernstlichen Abnahme des wirklichen Einblicks in die Bewertung von Investitionen durch jene geführt, die sie besitzen oder zu kaufen beabsichtigen.
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2. Schwankungen von Tag zu Tag in den Gewinnen bestehender Investitionen, die offensichtlich flüchtig und bedeutungslos sind, haben die Tendenz, einen durchaus übertriebenen und selbst widersinnigen Einfluß auf den Markt auszuüben. Es wird zum Beispiel gesagt, daß die Aktien amerikanischer Unternehmen, die Speiseeis produzieren, im Sommer, wenn ihre Gewinne der Saison gemäß hoch sind, höher notiert werden als im Winter, wenn niemand Eis braucht. Die regelmäßige Wiederkehr eines Bankfeiertages kann die Marktbewertung des britischen Eisenbahnnetzes um mehrere Millionen Pfund steigern. 3. Eine konventionelle, auf der Massenpsychologie einer großen Zahl unwissender Menschen beruhende Bewertung ist heftigen Schwankungen ausgesetzt als Folge einer plötzlichen Meinungsänderung, verursacht durch Faktoren, die eigentlich keinen großen Einfluß auf den voraussichtlichen Ertrag haben, denn es gibt keine stark verwurzelte Überzeugung, die der Bewertung Beständigkeit verleihen könnte. Besonders in anormalen Zeiten, wenn die Hypothese einer unbegrenzten Dauer der bestehenden Geschäftslage weniger einleuchtend ist als gewöhnlich, obschon keine besonderen Gründe für die Vorwegnahme einer bestimmten Änderung bestehen, wird der Markt Wellen von Optimismus und Pessimismus ausgesetzt sein, die unvernünftig und doch in einem Sinne gerechtfertigt sind, wenn keine solide Grundlage für eine vernünftige Berechnung besteht. 4. Insbesondere eine Erscheinung verdient aber unsere Beachtung. Man hätte annehmen können, daß der Wettbewerb zwischen professionellen Experten, deren Urteilsfähigkeit und Kenntnis den durchschnittlichen privaten Investor überragen, die launenhaften Einfälle des sich selbst überlassenen Einzelnen korrigieren würde. Es ergibt sich aber, daß die Tatkraft und Geschicklichkeit des beruflichen Investors und Spekulanten in der Hauptsache anderweitig angewandt wird. Tatsächlich befassen sich nämlich die meisten dieser Menschen überwiegend nicht damit, bessere langfristige Voraussagen der wahrscheinlichen Erträge einer Investition während ihrer gesamten Lebensdauer zu machen, sondern damit, die Änderungen in der konventionellen Grundlage der Bewertung mit einem kurzen Vorsprung vor dem allgemeinen Publikum vorauszusehen. Sie befassen sich nicht damit, welchen Wert eine Investition wirklich für einen Menschen hat, der sie als Daueranlage kauft, sondern damit, wie sie der Markt, unter dem Einfluß der Massenpsychologie, nach drei Monaten oder nach einem Jahr bewerten wird. Dieses Verhalten ist überdies nicht das Ergebnis einer starrsinnigen Neigung. Es ist das unvermeidliche Ergebnis eines nach den beschriebenen Grundlinien aufgebauten Investmentmarktes. Denn es hat keinen Sinn, für ein Invest-
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ment 25 zu bezahlen, von dem man glaubt, daß sein voraussichtlicher Ertrag einen Wert von 30 rechtfertigt, wenn man gleichzeitig glaubt, daß der Markt es nach drei Monaten mit 20 bewerten wird. Der professionelle Investor ist somit gezwungen, sich mit der Vorwegnahme bevorstehender Änderungen solcher Art in den Ereignissen oder in der Umwelt zu befassen, durch welche die Massenpsychologie des Marktes erfahrungsgemäß am meisten beeinflußt wird. Das ist die unvermeidliche Folge dessen, daß Investmentmärkte mit dem Blick auf sogenannte „Liquidität“ eingerichtet sind. Von den Leitsätzen orthodoxer Finanzierung ist sicherlich keiner antisozialer als der Fetisch der Liquidität, die Doktrin, daß es eine positive Tugend der Investmenteinrichtungen ist, ihre Geldmittel auf den Besitz „liquider„ Wertpapiere zu konzentrieren. Sie übersieht, daß es für das Gemeinwesen als Ganzes so etwas wie die Liquidität der Investition nicht gibt. Der soziale Zweck geschickter Investitionen sollte die Überwindung der dunklen Kräfte der Zeit und der Unwissenheit sein, die unsere Zukunft einhüllen. Der tatsächliche private Zweck der geschicktesten Investments von heute ist es, den Markt zu schlagen – „to beat the gun“, wie die Amerikaner es so trefflich ausdrücken – schlauer zu sein als die Masse und das schlechte oder sich entwertende Geldstück an den Nächsten abzustoßen. Für diesen Wettkampf der Gerissenheit, die Grundlage der konventionellen Bewertung für ein paar Monate vorauszusehen, statt den voraussichtlichen Ertrag einer Investition während einer langen Reihe von Jahren, sind nicht einmal Leichtgläubige in der Masse nötig, um den Rachen des Profis zu stopfen; – die Profis können ihn unter sich selbst ausfechten. Auch ist es nicht notwendig, daß jemand einen schlichten Glauben an eine wahrhaft langfristige Gültigkeit der konventionellen Grundlage der Bewertung hat. Denn es ist sozusagen eine Partie Schnippschnapp, Schwarzer Peter oder Reise nach Jerusalem – ein Zeitvertreib, bei dem derjenige Sieger ist, der schnapp weder zu früh noch zu spät sagt, der den Schwarzen Peter an seinen Nachbarn weitergibt, bevor die Partie aus ist, der sich einen Stuhl sichert, wenn die Musik aufhört. Diese Spiele können mit Spannung und Genuß gespielt werden, obschon alle Spieler wissen, daß es der Schwarze Peter ist, der herumgeht, oder daß beim Aufhören der Musik einige der Spieler ohne Stühle sein werden. Oder, um den Vergleich etwas zu ändern, kann das berufsmäßige Investment mit jenen Zeitungswettbewerben verglichen werden, bei denen die Teilnehmer die sechs hübschesten Gesichter von hundert Lichtbildern auszuwählen haben, wobei der Preis dem Teilnehmer zugesprochen wird, dessen Wahl am nächsten mit der durchschnittlichen
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Vorliebe aller Teilnehmer übereinstimmt, so daß jeder Teilnehmer nicht diejenigen Gesichter auszuwählen hat, die er selbst am hübschesten findet, sondern jene, von denen er denkt, daß sie am ehesten der Vorliebe der anderen Teilnehmer entsprechen werden, welche alle das Problem vom gleichen Gesichtspunkt aus betrachten. Es handelt sich nicht darum, jene auszuwählen, die nach dem eigenen Urteil wirklich die hübschesten sind, ja sogar nicht einmal jene, welche die durchschnittliche Meinung wirklich als die hübschesten betrachtet. Wir haben den dritten Grad erreicht, wo wir unsere Intelligenz der Vorwegnahme dessen widmen, was die durchschnittliche Meinung als das Ergebnis der durchschnittlichen Meinung erwartet. Und ich glaube, daß es sogar einige gibt, welche den vierten, fünften und noch höhere Grade ausüben. Wenn der Leser einwendet, daß auf Dauer doch sicherlich auf Kosten der anderen Spieler Gewinne für den geschickten Einzelnen zu machen sind, der, unbeirrt durch den vorherrschenden Zeitvertreib, weiterhin Investitionen nach seinen besten wirklichen langfristigen Erwartungen kauft, so ist die erste Antwort darauf, daß es in der Tat solche ernsthaften Einzelnen gibt, und daß es einen großen Unterschied für einen Investmentmarkt ausmacht, ob ihr Einfluß stärker ist als jener der Spieler. Wir müssen aber auch hinzufügen, daß es verschiedene Faktoren gibt, welche die Vorherrschaft solcher Einzelner in modernen Investmentmärkten gefährden. Auf wirklicher langfristiger Erwartung beruhende Investitionen sind heute so schwierig, daß sie kaum durchführbar sind. Wer dies versucht, muß sicherlich arbeitsreichere Tage verbringen und größere Risiken eingehen als derjenige, der versucht, besser als die Masse zu raten, wie sich die Masse verhalten wird; und bei gleicher Intelligenz mag er verhängnisvollere Fehler machen. Aus der Erfahrung geht nicht klar hervor, daß die sozial vorteilhafte Strategie des Investments mit jener übereinstimmt, die am gewinnbringendsten ist. Es gehört mehr Intelligenz dazu, die Kräfte der Zeit und unsere Unwissenheit über die Zukunft zu überwinden, als den Markt zu schlagen. Das Leben ist überdies nicht lang genug; – die menschliche Natur verlangt rasche Ergebnisse, es verursacht besonderes Behagen, schnell zu Geld zu kommen, und entferntere Gewinne werden von Durchschnittsmenschen zu einem sehr hohen Satz diskontiert. Das Spiel des berufsmäßigen Investments ist unerträglich langweilig und übermäßig anstrengend für jeden, der vom Spieltrieb völlig frei ist, während derjenige, der ihn hat, diesem Hang den angemessenen Zoll zahlen muß. Ein Investor, der beabsichtigt, kurzfristige Marktschwankungen unberücksichtigt zu lassen, benötigt überdies größere Geldmittel als sichernden Rückhalt und kann nicht in so hohem Maße, falls überhaupt, mit geborgtem Geld operie-
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ren – ein weiterer Grund, warum ein gegebener Bestand an Scharfsinn und Hilfsmitteln aus dem Zeitvertreib einen höheren Verdienst erzielen kann. Schließlich ist es der langfristige Investor, also derjenige, der das öffentliche Wohl am meisten fördert, der am meisten Kritik auszuhalten hat, wo immer Investmentfonds durch Kommitees, Ausschüsse oder Banken verwaltet werden4. Denn es liegt im Wesen seines Verhaltens, daß er in den Augen der durchschnittlichen Meinung als überspannt, unkonventionell und waghalsig erscheint. Wenn er Erfolg hat, wird das nur den allgemeinen Glauben an seine Waghalsigkeit bestätigen; und wenn er auf kurze Sicht erfolglos ist, was sehr wahrscheinlich ist, wird ihm nicht viel Gnade zuteil werden. Weltliche Weisheit lehrt, daß es besser für den Ruf ist, konventionell zu versagen, als unkonventionell erfolgreich zu sein. 5. Bis jetzt haben wir hauptsächlich den Stand des Vertrauens des Spekulanten oder des spekulativen Investors selbst im Auge gehabt, und es mag so ausgesehen haben, als ob wir stillschweigend vorausgesetzt haben, daß er in unbegrenztem Maße über Geld zum Marktzinssatz verfügen kann, wenn er mit den Aussichten zufrieden ist. Dies ist natürlich nicht der Fall. Wir müssen daher auch die andere Facette des Stand des Vertrauens in Betracht ziehen, nämlich das Vertrauen der Kreditinstitute in jene, die von ihnen einen Kredit haben wollen, was zuweilen als der Stand des Kredites bezeichnet wird. Ein Zusammenbruch der Aktienkurse, mit verhängnisvollen Rückwirkungen auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, kann durch eine Schwächung entweder des spekulativen Vertrauens oder des Standes des Kredites verursacht worden sein. Während jedoch die Schwächung eines von beiden genügt, um einen Zusammenbruch zu verursachen, erfordert der Aufschwung die Wiederbelebung von beiden. Denn während die Schwächung der Kreditvergabe genügt, um einen Zusammenbruch herbeizuführen, ist ihre Stärkung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Erholung.
VI. Diese Betrachtungen sollten nicht außerhalb des Gebietes des Ökonomen liegen, aber sie müssen in der richtigen Perspektive eingeordnet werden. Wenn wir den Ausdruck Spekulation für die Tätigkeit der Vor4 Der gewöhnlich als vorsichtig angesehene Brauch, nach dem ein Investmentfonds oder eine Versicherungsgesellschaft nicht nur das Einkommen aus ihrem Investmentportfolio, sondern auch ihre Kapitalbewertungen im Markt in die Berechnung einbezieht, kann auch die Tendenz haben, die Aufmerksamkeit zu sehr auf die kurzfristigen Schwankungen in jenen zu lenken.
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aussage der Marktpsychologie gebrauchen dürfen, und den Ausdruck Unternehmertum für die Tätigkeit der Voraussage der voraussichtlichen Erträge von Vermögensbeständen während ihrer ganzen Lebensdauer, so trifft es keineswegs immer zu, daß die Spekulation die Oberhand über das Unternehmertum hat. Mit der Verbesserung der Organisation von Investmentmärkten nimmt aber die Gefahr zu, daß die Spekulation die Oberhand gewinnt. Auf einem der größten Investmentmärkten der Welt, nämlich New York, ist der Einfluß der Spekulation (im obigen Sinn) enorm. Selbst außerhalb des Bereiches der Finanzen sind die Amerikaner dazu geneigt, ein übertriebenes Interesse an der Entdeckung dessen zu haben, was die Durchschnittsmeinung als den Inhalt der Durchschnittsmeinung vermutet; und diese nationale Schwäche findet ihre Nemesis in der Wertpapierbörse. Man sagt, daß ein Amerikaner selten ein Investment „als Einkommensquelle“ tätigt, wie das viele Engländer noch tun; und er wird kaum ein Investment kaufen, es sei denn in der Hoffnung auf eine Wertzunahme des Kapitals. Dies ist nur eine andere Form der Behauptung, daß der Amerikaner beim Kauf eines Investments seine Hoffnungen weniger auf ihren voraussichtlichen Ertrag als auf eine günstige Änderung in der konventionellen Grundlage der Bewertung setzt, das heißt, daß er ein Spekulant im obigen Sinn ist. Spekulanten mögen als Luftblasen auf einem steten Strom des Unternehmertums keinen Schaden anrichten. Aber die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Luftblase auf einem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden. Die Wall Street, als Einrichtung betrachtet, deren eigentlicher sozialer Zweck die Leitung neuer Investments in die einträglichsten Kanäle, in Größen der zukünftigen Erträge gemessen, ist, kann nicht Anspruch darauf erheben, daß der von ihr erreichte Erfolgsgrad ein hervorstechender Triumph des laissez-faire Kapitalismus ist – was nicht überraschen kann, wenn meine Annahme richtig ist, daß die besten Köpfe von der Wall Street in der Tat auf eine andere Aufgabe gerichtet sind. Diese Entwicklungen sind eine kaum vermeidbare Folge unseres erfolgreichen Aufbaues von „liquiden“ Investmentmärkten. Man stimmt allgemein überein, daß Spielkasinos im öffentlichen Interesse unzugänglich und kostspielig sein sollten, und das gleiche gilt vielleicht für Wertpapierbörsen. Daß die Sünden der Londoner Börse geringer sind als jene der Wall Street, mag nicht so sehr Unterschieden im Volkscharakter zuzuschreiben sein als der Tatsache, daß die Throgmorton Street für den durchschnittlichen Engländer unzugänglicher und kostspieliger ist als
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die Wall Street für den durchschnittlichen Amerikaner. Die Spanne des Effektenhändlers, die hohen Maklergebühren, die hohe an den Schatzkanzler zu bezahlende Umsatzsteuer, die mit den Geschäften auf der Londoner Börse verbunden sind, verringern die Liquidität des Marktes genügend (obschon der Brauch vierzehntägiger Kontoabrechnungen in die andere Richtung wirkt), um einen großen Teil der für die Wall Street kennzeichnenden Geschäfte fernzuhalten5. Die Einführung einer beträchtlichen Umsatzsteuer auf alle Abschlüsse dürfte sich als die zweckmäßigste verfügbare Reform erweisen, um die Vorherrschaft der Spekulation über das Unternehmertum in den Vereinigten Staaten abzuschwächen. Das Schauspiel moderner Investmentmärkte hat mich hie und da zu der Folgerung getrieben, daß die Unauflösbarkeit des Kaufes eines Investments, nach dem Vorbild der Heirat, von Todesfällen und anderen schwerwiegenden Gründen abgesehen, ein gutes Heilmittel gegen die Übel unserer Zeit sein könnte. Denn dies würde den Investor zwingen, seine Aufmerksamkeit den langfristigen Aussichten und nur diesen zuzuwenden. Ein auch schon geringes Nachdenken über diesen Ausweg stellt uns aber vor ein Dilemma, indem es uns zeigt, daß die Liquidität der Investmentmärkte den Zulauf neuer Investments zwar manchmal aufhält, aber andererseits auch oft erleichtert. Die Tatsache nämlich, daß sich jeder einzelne Investor Hoffnungen macht, seine Bindung sei „liquide“ (obschon dies nicht für alle Investoren zusammen gelten kann), beruhigt seine Nerven und macht ihn viel williger, ein Risiko einzugehen. Wenn die einzelnen Käufe von Investments illiquide gemacht würden, könnte dies neue Investitionen ernstlich hemmen, solange dem Einzelnen andere Wege zur Verfügung stünden, in denen er seine Ersparnisse halten könnte. Dies ist das Dilemma. Solange der Einzelne die Wahl hat, seinen Reichtum zu horten oder als Geld zu verleihen, kann die Alternative des Kaufes von realen Kapitalgütern nicht genügend attraktiv gemacht werden (besonders für den Menschen, der die Kapitalanlagen nicht selbst verwaltet und sehr wenig von ihnen versteht), es sei denn durch den Aufbau von Märkten, in denen diese Vermögenswerte leicht in Geld umgewandelt werden können. Die einzige grundlegende Heilung für die Vertrauenskrisen, die das wirtschaftliche Leben der modernen Welt heimsuchen, wäre, dem Ein5 Man sagt, daß, wenn die Wall Street geschäftig ist, zum mindesten die Hälfte aller Investmentkäufe und -verkäufe von Spekulanten mit der Absicht vorgenommen wird, sie am gleichen Tag wieder zurückzudrehen, und das gleiche trifft auch häufig für die Warenbörsen zu.
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zelnen keine Wahl zwischen dem Verbrauch seines Einkommens und dem Auftrag für die Erzeugung des spezifischen Kapitalgutes zu lassen, der ihm, obschon vielleicht auf sehr fragwürdiger Beweisgrundlage, als die verheißungsvollste ihm erreichbare Investition erscheint. Es könnte sein, daß er sich zu Zeiten, in denen er mehr als gewöhnlich von Zweifeln über die Zukunft gepackt würde, in seiner Verlegenheit mehr dem Verbrauch und weniger der neuen Investition zuwenden würde. Aber dies würde die verhängnisvollen, kumulativen und weitreichenden Rückwirkungen dessen vermeiden, daß es ihm freisteht, wenn er von Zweifeln gepackt wird, sein Einkommen weder für die eine noch die andere Art auszugeben. Diejenigen, die die sozialen Gefahren der Hortung von Geld betonten, haben natürlich etwas Ähnliches im Sinn gehabt. Sie haben aber die Möglichkeit übersehen, daß diese Erscheinung ohne jede Änderung oder wenigstens ohne eine entsprechende Änderung in der Hortung des Geldes eintreten kann.
VII. Auch ohne die Unbeständigkeit als Folge der Spekulation bleibt noch die Unbeständigkeit aus der Eigenheit der menschlichen Natur, die bewirkt, daß ein großer Teil unserer positiven Tätigkeiten mehr von spontanem Optimismus als von einer mathematischen Erwartung, sei sie moralisch, hedonistisch oder ökonomisch, abhängt. Wahrscheinlich können die meisten unserer Entschlüsse, etwas Positives zu tun, dessen volle Wirkungen sich über viele künftige Tage ausdehnen werden, nur auf animalische Instinkte zurückgeführt werden – auf einen plötzlichen Anstoß zur Tätigkeit statt zur Untätigkeit, und nicht auf den gewogenen Durchschnitt quantitativer Vorteile, multipliziert mit quantitativen Wahrscheinlichkeiten. Das Unternehmertum tut nur so, als ob es hauptsächlich durch die Feststellungen seiner eigenen Vorausschau angetrieben würde, wie offen und ehrlich diese auch sein mag. Kaum mehr als eine Forschungsreise zum Südpol stützt sie sich auf eine genaue Berechnung der kommenden Vorteile. Wenn die animalischen Instinkte abgedämpft werden und der plötzliche Optimismus stockt, so daß wir uns auf nichts als auf mathematische Erwartung stützen können, wird somit das Unternehmertum schwinden und sterben – obschon die Angst vor Verlusten keine vernünftigere Grundlage haben mag als vorher die Hoffnung auf Gewinn. Man kann ruhig sagen, daß das Unternehmertum, das sich auf in die Zukunft reichende Hoffnungen stützt, dem Gemeinwesen als Ganzes zugute kommt. Die individuelle Entschlußkraft wird aber nur ausreichen,
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wenn die vernünftige Berechnung durch animalisches Temperament ergänzt und unterstützt wird, so daß der Gedanke an einen schließlichen Verlust, der oft Pioniere überfällt, wie die Erfahrung unzweifelhaft uns und sie lehrt, beiseite geschoben wird, so wie ein gesunder Mensch die Erwartung des Todes beiseite schiebt. Dies bedeutet unglücklicherweise nicht nur, daß Rezessionen und Depressionen in ihrer Stärke verstärkt werden, sondern daß auch wirtschaftlicher Aufschwung übermäßig von einer politischen und gesellschaftlichen Stimmung abhängig ist, die dem durchschnittlichen Geschäftsmann sympathisch ist. Wenn die Angst vor einer Labour-Regierung oder einem „New Deal“ das Unternehmertum bedrückt, braucht dies weder auf eine vernunftgemäße Berechnung noch auf eine Verschwörung in politischer Absicht zurückzuführen sein – es ist lediglich die Folge einer Störung der empfindlichen Gleichgewichtslage des spontanen Optimismus. In der Abschätzung der Aussichten einer Investition müssen wir daher die Nerven und die Hysterien, sogar die Verdauung und die Wetterabhängigkeit jener berücksichtigen, auf deren spontane Tätigkeit sie weitgehend angewiesen ist. Wir dürfen hieraus nicht schließen, daß alles von Wellen irrationaler Psychologie abhängt. Im Gegenteil, der Stand der langfristigen Erwartung ist oft beständig, und selbst wenn er es nicht ist, üben die anderen Faktoren doch ihre ausgleichenden Wirkungen aus. Wir wollen uns lediglich erinnern, daß menschliche Entscheidungen, welche die Zukunft beeinflussen, ob persönlicher, politischer oder wirtschaftlicher Art, sich nicht auf strenge mathematische Erwartung stützen können, weil die Grundlage für solche Berechnungen nicht besteht; und daß es unser angeborener Drang zur Tätigkeit ist, der die Räder in Bewegung setzt, wobei unser vernünftiges Ich nach bestem Können seine Wahl trifft, rechnend, wo es kann, aber oft für seine Beweggründe zurückfallend auf Laune, Gefühl oder Zufall.
VIII. Es gibt überdies verschiedene wichtige Faktoren, welche die Wirkungen unserer Unkenntnis über die Zukunft praktisch etwas abschwächen. Infolge der Wirksamkeit von Zinseszinsen, verbunden mit der Wahrscheinlichkeit des Veraltens durch Zeitablauf, gibt es viele einzelne Investitionen, deren voraussichtliche Erträge mit Recht durch die Erträge der verhältnismäßig nahen Zukunft beherrscht werden. Im Falle der wichtigsten Gruppe von sehr langfristigen Investitionen, nämlich Gebäuden, kann das Risiko oft durch langfristige Verträge vom Investor auf den Bewohner übertragen oder wenigstens zwischen ihnen
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geteilt werden, wobei das Risiko für den Bewohner durch die Vorteile der Dauerhaftigkeit und Sicherheit der Miete ausgeglichen wird. Im Falle einer anderen wichtigen Gruppe langfristiger Investitionen, nämlich der öffentlichen Versorgungsunternehmen, wird ein beträchtlicher Teil der voraussichtlichen Erträge praktisch durch Monopolrechte gewährleistet, verbunden mit dem Recht, Preise zu fordern, die eine vorbestimmte Gewinnspanne gewährleisten. Schließlich gibt es eine zunehmende Gruppe von Investitionen, die durch oder auf Risiko von öffentlichen Körperschaften unternommen werden, die in ihrer Investition unumwunden durch die allgemeine Voraussetzung geleitet werden, daß mit der Investition voraussichtliche soziale Vorteile verbunden sind, wie immer ihre kaufmännischen Erträge während eines langen Zeitabschnittes sein mögen, und ohne das Streben nach der Gewißheit, daß die mathematische Erwartung der Erträge mindestens gleich dem laufenden Zinssatz ist, – obschon der von der staatlichen Verwaltung zu bezahlende Zinssatz immer noch eine entscheidende Rolle in der Bestimmung des Niveaus der Investitionen haben mag, das sie sich leisten können. Nachdem somit der Wichtigkeit des Einflusses von kurzfristigen Änderungen im Stand der langfristigen Erwartung, im Gegensatz zu Änderungen im Zinssatz, volle Anerkennung gezollt worden ist, dürfen wir letzterem, zumindest unter normalen Verhältnissen, immer noch einen großen, wenn auch nicht entscheidenden Einfluß auf die Höhe der Investitionen zuschreiben. Nur die Erfahrung kann jedoch zeigen, inwiefern die Steuerung des Zinssatzes die angemessene Höhe der Investitionen dauerhaft anregen kann. Ich selbst bin einigermaßen zweifelnd geworden über den Erfolg einer lediglich monetären Politik, die darauf abzielt, den Zinssatz zu beeinflussen. Ich bin darauf gefaßt, daß der Staat, der die Grenzleistungsfähigkeit der Kapitalgüter auf lange Sicht und auf der Grundlage des allgemeinen sozialen Wohls berechnen kann, eine stets wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investitionen übernehmen wird. Denn es ist wahrscheinlich, daß die Schwankungen in der Marktbewertung der Grenzleistungsfähigkeit verschiedener Arten von Kapital, nach den oben beschriebenen Grundsätzen berechnet, zu groß sein werden, als daß sie durch irgendeine der gangbaren Änderungen im Zinssatz ausgeglichen werden könnten.
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I. Wir haben im elften Kapital gezeigt, daß es zwar Kräfte gibt, die das Investitionsvolumen so steigen oder fallen lassen, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gleich dem Zinssatz gehalten wird, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals an sich betrachtet aber dennoch etwas anderes als der geltende Zinssatz ist. Man kann sagen, daß die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Bedingungen beherrscht, zu denen leihbare Geldmittel für den Zweck neuer Investitionen nachgefragt werden, während der Zinssatz die Bedingungen beherrscht, zu denen Geldmittel laufend angeboten werden. Um unsere Theorie zu vervollständigen, müssen wir daher wissen, durch was der Zinssatz bestimmt wird. Im vierzehnten Kapitel und seinem Anhang werden wir die bisherigen Antworten auf diese Frage betrachten. Allgemein gesprochen, werden wir finden, daß diese den Zinssatz von der Wechselwirkung zwischen der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der psychologischen Sparneigung abhängig machen. Die Anschauung aber, daß der Zinssatz der ausgleichende Faktor ist, der die in der Form neuer Investitionen zu einem gegebenen Zinssatz hervorkommende Nachfrage nach Ersparnis in Übereinstimmung mit dem Angebot an Ersparnis bringt, das sich aus der psychologischen Neigung des Gemeinwesens zum Sparen zu eben diesem Zinssatz ergibt, bricht zusammen, sobald wir erkennen, daß der Zinssatz unmöglich allein aus einer Kenntnis dieser beiden Faktoren abgeleitet werden kann. Was also ist unsere eigene Antwort auf diese Frage? II. Die psychologischen Zeitpräferenzen eines Einzelnen erfordern, um ihnen Rechnung zu tragen, zwei verschiedene Arten von Entscheidungen. Die erste beschäftigt sich mit jenem Aspekt der Zeitpräferenz, die ich die Konsumneigung genannt habe, und die unter der Wirkung der verschiedenen im dritten Buche angeführten Beweggründe bestimmt, wieviel jeder Einzelne aus seinem Einkommen verbrauchen, und wieviel er in irgendeiner Form von Verfügungsrecht über zukünftigen Verbrauch zurücklegen wird. Nach dieser Entscheidung muß er aber eine weitere Entscheidung treffen, nämlich die Entscheidung, in welcher Form er das Verfügungs-
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recht über zukünftigen Verbrauch halten soll, das er aus seinem laufenden Einkommen oder aus früheren Ersparnissen zurückgestellt hat. Soll er es in der Form eines sofort liquiden Verfügungsrechtes (das heißt in Geld oder etwas Gleichwertigem) halten? Oder soll er auf das sofortige Verfügungsrecht für einen bestimmten oder unbestimmten Zeitabschnitt verzichten und zukünftigen Marktverhältnissen die Bestimmung der Bedingungen überlassen, zu denen er, falls notwendig, das aufgeschobene Verfügungsrecht über bestimmte Güter in ein sofortiges Verfügungsrecht über Güter im allgemeinen umwandeln kann? Mit anderen Worten, was ist der Grad seiner Liquiditätspräferenz – wobei die Liquiditätspräferenz eines Einzelnen durch die Beträge seiner Mittel gegeben ist, in Größen von Geld oder Lohneinheiten gewertet, die er unter verschiedenen Arten von Umständen in der Form von Geld zu halten wünscht? Wir werden finden, daß der Fehler der anerkannten Theorien des Zinssatzes in ihrem Versuch liegt, den Zinssatz aus dem ersten dieser beiden Bestandteile der psychologischen Zeitpräferenz abzuleiten unter Vernachlässigung des zweiten; und es ist diese Vernachlässigung, die wir zu berichtigen versuchen müssen. Es sollte klar sein, daß der Zinssatz keine Belohnung für Sparen oder Warten an sich sein kann. Denn wenn ein Mensch seine Ersparnisse in Kasse hortet, nimmt er keine Zinsen ein, obschon er gerade so viel spart wie zuvor. Im Gegenteil, die bloße Definition des Zinssatzes sagt uns in ebenso vielen Worten, daß der Zinssatz die Belohnung für die Aufgabe der Liquidität für einen bestimmten Zeitabschnitt ist. Denn der Zinssatz an sich ist weiter nichts als das umgekehrte Verhältnis zwischen einer Summe Geld und dem, was für die Aufgabe des Verfügungsrechtes über das Geld im Tausch gegen ein Darlehen1 für einen bestimmten Zeitabschnitt erhalten werden kann2. 1 Wir können, ohne diese Definition zu beeinträchtigen, die Grenze zwischen „Geld“ und „Finanzanlagen“ an jedem Punkt ziehen, der für die Behandlung eines besonderen Problems am zweckmäßigsten ist. Zum Beispiel können wir als Geld jedes Verfügungsrecht über allgemeine Kaufkraft behandeln, das ihr Besitzer nicht für einen längeren Zeitabschnitt als drei Monate aufgegeben hat, und als Finanzanlagen, was während eines längeren Zeitabschnittes als drei Monate nicht zurückverlangt werden kann; oder wir können „drei Monate“ durch einen Monat oder drei Tage oder drei Stunden oder irgendeinen Zeitabschnitt ersetzen; oder wir können von Geld alles ausschließen, was nicht gesetzliches Zahlungsmittel an Ort und Stelle ist. In der Praxis ist es oft zweckmäßig, unter Geld Termineinlagen bei Banken einzuschließen und gelegentlich sogar solche Instrumente wie (zum Beispiel) Schatzwechsel. In der Regel werde ich, wie in meiner Abhandlung „Vom Gelde“, voraussetzen, daß Geld Bankeinlagen einschließt. 2 In der allgemeinen Erörterung, im Gegensatz zu spezifischen Problemen, wenn die Laufzeit des Darlehens ausdrücklich spezifiziert wird, ist es zweckmäßig, unter
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Da der Zinssatz die Belohnung für die Aufgabe der Liquidität ist, ist er somit jederzeit ein Maß für die Abneigung derer, die Geld besitzen, sich von der liquiden Verfügung darüber zu trennen. Der Zinssatz ist nicht der „Preis“, der die Nachfrage nach Geldmitteln zur Investition mit der Bereitwilligkeit, sich des gegenwärtigen Verbrauches zu enthalten, ins Gleichgewicht bringt. Er ist der „Preis“, der das Verlangen, Vermögen in der Form von Kasse zu halten, mit der verfügbaren Menge von Kasse ins Gleichgewicht bringt; – was bedingt, daß bei einem niedrigeren Zinssatz, das heißt bei einer geringeren Belohnung für die Aufgabe von Kasse, die Gesamtsumme von Kasse, die die Bevölkerung halten möchte, das verfügbare Angebot übersteigen würde, und daß bei einem Steigen des Zinssatzes ein Überschuß von Kasse da sein würde, den niemand zu halten gewillt wäre. Wenn diese Erklärung richtig ist, ist die Geldmenge der andere Faktor, der, zusammen mit der Liquiditätspräferenz, unter gegebenen Umständen, den tatsächlichen Zinssatz bestimmt. Die Liquiditätspräferenz ist eine latente Größe oder funktionelle Tendenz, die die Geldmenge festlegt, die die Bevölkerung bei einem gegebenen Zinssatz halten will, so daß, wenn r der Zinssatz, M die Geldmenge und L die Funktion der Liquiditätspräferenz ist, wir die Gleichung M L
r haben. An dieser Stelle also und auf diese Weise tritt die Geldmenge in das Wirtschaftssystem ein. Wir wollen uns aber an diesem Punkt zurückwenden und uns überlegen, warum es überhaupt so etwas wie die Liquiditätspräferenz gibt. In diesem Zusammenhang können wir sinnvoll die alte Unterscheidung zwischen der Verwendung von Geld zur Durchführung der laufenden Geschäfte und als Aufbewahrungsmittel von Vermögen anwenden. Hinsichtlich der ersten dieser zwei Verwendungsarten ist es offensichtlich, daß es sich bis zu einem Punkte lohnt, einen gewissen Betrag von Zinsen für die Annehmlichkeit der Liquidität zu opfern. Wenn aber der Zinssatz nie negativ ist, warum sollte es jemand vorziehen, sein Vermögen in einer Form zu halten, die wenig oder keine Zinsen abwirft, statt in einer Form, die Zinsen abwirft, natürlich unter der Voraussetzung, daß das Risiko der Zahlungsunfähigkeit bei einem Bankguthaben dasselbe ist wie bei einem festverzinslichen Wertpapier? Eine volle Erklärung ist komplex und kann erst im fünfzehnten Kapitel gegeben werden. Es gibt jedoch eine notwendige Bedingung, ohne die es keine Liquiditätspräferenz für Geld als ein Mittel zum Halten von Vermögen geben könnte. Diese notwendige Bedingung besteht in der Ungewißheit über die Zukunft des Zinssatzes, das heißt über den Komplex der Zinssätze für verdem Zinssatz den Komplex von verschiedenen Zinssätzen für verschiedene Zeitabschnitte zu verstehen, das heißt für Darlehen von verschiedenen Fälligkeiten.
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schiedene Fälligkeiten zu zukünftigen Zeitpunkten. Denn wenn die in allen zukünftigen Zeiten gültigen Zinssätze mit Gewißheit vorauszusehen wären, könnten alle zukünftigen Zinssätze aus den gegenwärtigen Zinssätzen für Darlehen verschiedener Fälligkeiten abgeleitet werden, die wiederum der Kenntnis der zukünftigen Zinssätze angepaßt würden. Zum Beispiel wenn 1 dr der Wert im gegenwärtigen Jahre 1 von nach r Jahren fälligen £ 1 ist, und es bekannt ist, daß n dr der Wert im Jahr n von £ 1, das nach r Jahren von jenem Zeitpunkt aus fällig sein wird, so ergibt sich, daß 1 dnr n dr 1 dn ist, woraus folgt, daß der Satz, zu dem irgendein Darlehen nach n Jahren in Kasse umgewandelt werden kann, durch zwei Zinssätze aus dem Komplex der laufenden Zinssätze gegeben ist. Wenn der laufende Zinssatz für Darlehen jeder Fälligkeit positiv ist, muß der Kauf eines Darlehens immer vorteilhafter sein als der Besitz von Vermögen in der Form von Kasse. Wenn aber der zukünftige Zinssatz ungewiß ist, können wir nicht mit 1 dnr Sicherheit folgern, daß n dr zu jener Zeit gleich sein wird. Tritt 1 dn somit ein Bedarf an liquider Kasse vor dem Ablauf von n Jahren ein, so besteht die Gefahr, daß der Kauf eines langfristigen Darlehens und seine spätere Umwandlung in Kasse, verglichen mit dem Halten der Kasse, einen Verlust bringen würde. Der rechnungsmäßige Gewinn oder die mathematische, in Übereinstimmung mit den bestehenden Wahrscheinlichkeiten berechnete Gewinnerwartung – wenn sie so berechnet werden kann, was zweifelhaft ist – muß genügen, um für das Risiko der Enttäuschung zu entschädigen. Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die Liquiditätspräferenz, der sich aus der Ungewißheit über die Zukunft des Zinssatzes ergibt, vorausgesetzt, daß es einen organisierten Markt für den Handel mit Wertpapieren gibt. Denn die Aussichten werden von verschiedenen Menschen verschieden eingeschätzt werden, und wer von der vorherrschenden durch die Marktnotierungen ausgedrückten Meinung abweicht, mag einen guten Grund haben, seine Mittel flüssig zu halten, um aus seinem Verhalten einen Gewinn zu ziehen, wenn sich später herausstellen sollte, daß die 1 dr in einem falschen Verhältnis zueinander standen3. 3 Dies ist das gleiche, wie das, was ich in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ unter der Bezeichnung „geteilte Meinung“ und „Bulle-Bär-Position“ erörtert habe.
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Dies hat eine große Ähnlichkeit mit unserer früheren ziemlich ausführlichen Erörterung über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Genau wie wir gefunden haben, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals nicht durch die „beste“ Meinung, sondern durch die durch Massenpsychologie bestimmte Marktbewertung festgesetzt wird, so haben auch Erwartungen über die Zukunft des von der Massenpsychologie festgesetzten Zinssatzes ihre Rückwirkungen auf die Liquiditätspräferenz; – aber mit der Ergänzung, daß der Einzelne, der glaubt, daß die zukünftigen Zinssätze höher als die vom Markt angenommenen Sätze sein werden, einen Grund hat, liquides Geld zu halten4, während der Einzelne, dessen Meinung vom Markt in der anderen Richtung abweicht, einen Beweggrund haben wird, kurzfristig Geld zu borgen, um damit langfristigere Finanzanlagen zu kaufen. Der Marktpreis wird an dem Punkt festgesetzt werden, an dem die Verkäufe der „Bären“ und die Käufe der „Bullen“ sich die Waage halten. Wir können die drei Einteilungen der Liquiditätspräferenz, die wir oben gemacht haben, definieren als abhängig von 1. dem Transaktionsmotiv, das heißt der Notwendigkeit von Kasse für den laufenden persönlichen und geschäftlichen Austausch; 2. dem Vorsichtsmotiv, das heißt dem Verlangen nach Sicherheit über den zukünftigen Barwert eines gewissen Teiles des Gesamtvermögens; und 3. dem Spekulationsmotiv, das heißt der Absicht, aus einer besseren Kenntnis der Zukunft, als sie der Markt hat, einen Gewinn zu erzielen. Wie bei der Erörterung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals stellt uns auch die Frage der Wünschbarkeit eines hoch organisierten Marktes für den Handel von Wertpapieren vor ein Dilemma. Denn ohne einen organisierten Markt würde die Liquiditätspräferenz aus dem Vorsichtsmotiv sehr erhöht, während das Bestehen eines organisierten Marktes eine Gelegenheit für große Schwankungen in der Liquiditätspräferenz aus dem Spekulationsmotiv schafft. Die Beweisführung mag durch die folgende Darstellung erläutert werden: Wir wollen annehmen, daß die Liquiditätspräferenz aus dem Transaktions- und dem Vorsichtsmotiv eine Menge von Kasse absorbiert, die sich gegenüber Änderungen im Zinssatz an sich, von seinen Rückwirkungen auf das Niveau des Einkommens abgesehen, nicht sehr empfindlich 4 Man könnte denken, daß ein Einzelner, der glaubt, daß der voraussichtliche Ertrag der Investition unter die Erwartung des Marktes fallen wird, auf die gleiche Art einen genügenden Grund für den Besitz von Kasse haben wird. Aber dies ist nicht der Fall. Er hat einen ausreichenden Grund, den Besitz von Kasse oder Darlehen dem Besitz von Aktien vorzuziehen; aber der Kauf von Darlehen wird dem Besitz von Kasse vorzuziehen sein; sofern er nicht gleichzeitig glaubt, daß der zukünftige Zinssatz höher sein wird, als der Markt annimmt.
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verhält, so daß die gesamte Geldmenge, abzüglich dieser Menge, für die Befriedigung der Liquiditätspräferenz aus dem Spekulationsmotiv verfügbar ist. Der Zinssatz und der Preis der Wertpapiere werden dann auf dem Niveau festgesetzt werden müssen, auf dem das Verlangen Einzelner nach dem Besitz von Kasse (weil sie auf diesem Kursniveau eine Baisse der Schuldscheine erwarten) genau gleich der Summe Kasse ist, die für das Spekulationsmotiv verfügbar ist. Jede Zunahme in der Geldmenge muß somit den Preis der Wertpapiere genügend erhöhen, um die Erwartungen irgendeines Bullen zu übersteigen, und um ihn so zu veranlassen, seine Wertpapiere für Kasse zu verkaufen und sich dem Trupp der „Bären“ anzuschließen. Wenn aber die Nachfrage nach Kasse aus dem Spekulationsmotiv nur unbedeutend ist, von einer kurzen Übergangszeit abgesehen, wird eine Zunahme in der Geldmenge den Zinssatz fast unverzüglich in einem Maß verringern müssen, das erforderlich ist, die Beschäftigung und die Lohneinheit genügend zu heben, um die Absorption von zusätzlicher Kasse durch das Transaktions- und Vorsichtsmotiv zu verursachen. In der Regel können wir annehmen, daß die Kurve der Liquiditätspräferenz, welche die Geldmenge zum Zinssatz in Beziehung setzt, durch eine glatte Kurve gegeben ist, die einen mit der Zunahme der Geldmenge fallenden Zinssatz anzeigt. Denn es gibt mehrere verschiedene Gründe, die alle auf dieses Ergebnis hinweisen. Erstens ist es wahrscheinlich, daß bei einer Senkung des Zinssatzes, unter sonst gleichen Bedingungen, mehr Geld durch die Liquiditätspräferenz aus dem Transaktionsmotiv absorbiert werden wird. Denn wenn die Senkung des Zinssatzes das Nationaleinkommen vermehrt, wird der für die laufenden Ausgaben benötigte Geldbetrag mehr oder weniger im Verhältnis zur Zunahme im Einkommen vermehrt werden, während sich gleichzeitig die Kosten der Annehmlichkeit einer großen Barreserve, in Größen entgehenden Zinses gemessen, verringern werden. Falls wir die Liquiditätspräferenz statt in Geld etwa in Größen der Lohneinheit messen (was in gewissen Zusammenhängen zweckmäßig ist), werden ähnliche Ergebnisse folgen, wenn die aus einer Senkung des Zinssatzes hervorgehende vermehrte Beschäftigung zu einer Erhöhung der Löhne führt, das heißt zu einer Zunahme des Geldwerts der Lohneinheit. Zweitens kann jede Senkung des Zinssatzes, wie wir soeben gesehen haben, die Menge von Kasse vermehren, die Einzelne zu halten wünschen werden, weil ihre Ansichten über die Zukunft des Zinssatzes von den Marktanschauungen abweichen. Trotzdem können sich Umstände entwickeln, unter denen selbst eine große Zunahme in der Geldmenge einen verhältnismäßig geringen Ein-
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fluß auf den Zinssatz haben mag. Denn eine große Zunahme der Geldmenge mag so viel Ungewißheit über die Zukunft verursachen, daß die Liquiditätspräferenz aus dem Sicherheitsmotiv verstärkt wird, während die Meinung über die Zukunft des Zinssatzes so einheitlich sein mag, daß eine kleine Änderung in den gegenwärtigen Sätzen eine Massenbewegung in Kasse verursacht. Es ist beachtenswert, dass die Stabilität des Systems und seine Empfindlichkeit gegen Änderungen in der Geldmenge so sehr vom Bestehen einer Mannigfaltigkeit von Meinungen über das, was unsicher ist, abhängig sein sollte. Am besten wäre es, wenn wir die Zukunft kennen würden. Wenn das aber nicht möglich ist, ist es wichtig, daß die Meinungen voneinander abweichen, wenn wir die Tätigkeit des Wirtschaftssystems durch Änderungen in der Geldmenge lenken wollen. Diese Methode der Lenkung ist somit in den Vereinigten Staaten riskanter, wo alle geneigt sind, gleichzeitig die gleiche Ansicht zu haben, als in England, wo Meinungsverschiedenheiten üblicher sind.
III. 173
Wir haben nun zum ersten Mal das Geld in unsere Ursachenverkettung eingeführt und können einen raschen Blick darauf werfen, wie Änderungen in der Geldmenge sich ihren Weg in die Wirtschaft bahnen. Wenn wir jedoch versucht sind, zu behaupten, daß das Geld der Trank ist, der das Wirtschaftsleben zur Tätigkeit anregt, so müssen wir uns daran erinnern, daß sich noch vieles zwischen dem Becher und den Lippen ereignen kann. Denn während man von einer Zunahme der Geldmenge unter sonst gleichen Bedingungen eine Senkung des Zinssatzes erwarten kann, wird dies nicht eintreten, wenn die Liquiditätspräferenz im Publikum mehr als die Geldmenge zunimmt, und während man von einer Abnahme des Zinssatzes, unter sonst gleichen Bedingungen, eine vermehrte Menge der Investition erwarten kann, wird dies nicht eintreten, wenn die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals rascher als der Zinssatz fällt; und während man von einer Zunahme in der Menge der Investitionen, unter sonst gleichen Bedingungen, eine Vermehrung der Beschäftigung erwarten kann, wird dies nicht eintreten, wenn die Konsumneigung abnimmt. Schließlich werden die Preise bei einer Zunahme der Beschäftigung in einem Grade steigen, der teilweise durch die Gestalt der mengenmäßigen Angebotsfunktionen und teilweise durch die Tendenz der Lohneinheit, in Geld gemessen zu steigen, bestimmt wird. Und wenn die Produktion zugenommen hat und die Preise gestiegen sind, so wird sich als Wirkung
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hiervon auf die Liquiditätspräferenz ergeben, daß die für die Erhaltung eines gegebenen Zinssatzes notwendige Geldmenge größer sein muß.
IV. Obschon die Liquiditätspräferenz aus dem Spekulationsmotiv mit dem korrespondiert, was ich in meiner Abhandlung „Vom Gelde“ als „Baissestimmung“ bezeichnet habe, ist sie keineswegs das gleiche. Denn „Baissestimmung“ wird dort als die funktionelle Beziehung, nicht zwischen dem Zinssatz (oder dem Preis von Finanzanlagen) und der Geldmenge definiert, sondern zwischen dem Preis von Vermögenswerten und Darlehen zusammengenommen und der Geldmenge. Diese Behandlung verursachte jedoch ein Durcheinander zwischen Folgen, die sich aus einer Änderung im Zinssatz ergeben und jenen, die sich aus einer Änderung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ergeben. Das hoffe ich hier vermieden zu haben.
V. Der Begriff Horten kann am besten als eine erste Annäherung an den Begriff der Liquiditätspräferenz betrachtet werden. In der Tat, wenn wir „Horten“ durch „Hang zum Horten“ ersetzen würden, käme es im Grunde auf das gleiche heraus. Wenn wir aber unter „Horten“ eine tatsächliche Zunahme im Bestand an Kasse verstehen, handelt es sich um eine unvollkommene Vorstellung – und diese ist ernstlich irreführend, wenn sie uns veranlaßt, über „Horten“ und „Nichthorten“ als einfache Alternativen zu denken. Denn die Entscheidung zu horten wird nicht absolut oder ohne Rücksicht auf die Vorteile getroffen, die sich aus der Aufgabe der Liquidität ergeben; – sie ist die Folge eines Abwägens von Vorteilen, und wir müssen daher wissen, was in der anderen Waagschale liegt. Solange wir unter „Horten“ den tatsächlichen Besitz von Kasse verstehen, kann sich der tatsächlich gehortete Betrag unmöglich als eine Folge von Entscheidungen der Nichtbanken ändern. Denn der gehortete Betrag muß gleich der Geldmenge sein (oder – nach gewissen Definitionen – der Geldmenge abzüglich dessen, was zur Befriedigung des Transaktionsmotivs benötigt wird); und die Geldmenge wird nicht von den Nichtbanken bestimmt. Alles, was die Neigung der Nichtbanken zum Horten erreichen kann, ist, den Zinssatz zu bestimmen, bei dem das gesamte Verlangen zu horten gleich der verfügbaren Kasse wird. Die gewohnheitsmäßige Außerachtlassung der Beziehung des Zinssatzes zum Horten mag teilweise erklären, warum der Zinssatz gewöhnlich als Belohnung für das Nichtausgeben betrachtet wurde, während er in Wahrheit die Belohnung für das Nichthorten ist.
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Vierzehntes Kapitel
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Was ist die klassische Theorie des Zinssatzes? Es ist etwas, mit dem wir alle groß geworden sind, und was wir bis vor kurzem ohne viel Vorbehalt akzeptiert haben. Und doch finde ich es schwierig, sie genau vorzutragen oder eine explizite Darstellung von ihr in den führenden Abhandlungen der modernen klassischen Schule zu entdecken1. Es ist jedoch immerhin klar, daß diese Tradition den Zinssatz als den Faktor betrachtet hat, der die Nachfrage nach Investitionen und die Bereitwilligkeit zum Sparen miteinander ins Gleichgewicht bringt. Die Investition stellt die Nachfrage nach investierbaren Mitteln dar, und die Ersparnisse stellen ihr Angebot dar, während der Zinssatz der „Preis“ der investierbaren Mittel ist, zu dem die beiden ausgeglichen werden. Genauso wie der Preis einer Ware notwendigerweise auf dem Punkt fixiert wird, auf dem die Nachfrage nach ihr gleich ihrem Angebot ist, so wird der Zinssatz unter dem Spiel der Marktkräfte notwendigerweise in dem Punkt zur Ruhe kommen, in dem die Summe der Investitionen zu diesem Zinssatz gleich der Summe der Ersparnisse zu diesem Zinssatz ist. Das Obige läßt sich nicht mit so vielen Worten in Marshalls Principles finden. Und doch scheint dies seine Theorie zu sein, und es ist das, womit ich selbst groß geworden bin, und was ich während vieler Jahre andere gelehrt habe. Nehmen wir zum Beispiel die folgende Stelle aus seinen Principles: „Der Zins, nämlich der auf dem Markt bezahlte Preis für den Gebrauch von Kapital, tendiert zu einem Gleichgewicht, bei dem die aggregierte Nachfrage nach Kapital auf jenem Markt und bei dem dortigen Zinssatz gleich dem gesamten Bestand ist, der zu diesem Zinssatz zur Verfügung steht2.“ Oder, nehmen wir Professor Cassels Nature and Necessity of Interest, worin erklärt wird, daß die Investition die „Nachfrage nach Warten“ darstellt und Ersparnisse das „Angebot von Warten“, während der Zinssatz folgerichtig ein „Preis“ ist, der dazu dient, die zwei ins Gleichgewicht zu bringen, obschon ich auch hier keinen tatsächlichen Wortlaut anführen kann. Im sechsten Kapitel von Professor Carvers Distribution of Wealth wird der Zins klar als der Faktor 1 Ein Auszug dessen, was ich zu finden in der Lage war, ist im Anhang zu diesem Kapitel gegeben. 2 Eine weitere Erörterung über diesen Auszug ist auf S. 156 zu finden.
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dargestellt, der den Grenznachteil des Wartens mit der Grenzproduktivität des Kapitals ins Gleichgewicht bringt3. Sir Alfred Flux (Economic Principles, S. 95) schreibt: „Wenn die Behauptungen unserer allgemeinen Erörterung richtig sind, muß zugegeben werden, daß sich ein automatischer Ausgleich zwischen Ersparnis und den Gelegenheiten, Kapital gewinnbringend zu verwenden, vollzieht . . . Sparen wird die Möglichkeit seiner nützlichen Verwendung nicht überschritten haben . . . solange der Nettozinssatz null übersteigt.“ Professor Taussig (Principles, Band II, S. 29) zeichnet eine Angebotskurve der Ersparnis und eine Nachfragekurve, welche „die abnehmende Produktivität verschiedener Raten von Kapital“ darstellt, nachdem er früher (S. 20) anführte, daß „der Zinssatz sich an einem Punkt festsetzt, an dem die Grenzproduktivität des Kapitals genügt, um die marginale Rate von Ersparnis herauszubringen“4. Walras in Anhang I (III) seiner Eléments d’Economie Pure, wo er „den Tausch von Ersparnissen gegen neue Kapitalien“ behandelt, legt ausdrücklich dar, daß es bei jedem möglichen Zinssatz eine Summe gibt, welche die Einzelnen sparen werden, und auch eine Summe, die sie in neue Kapitalgüter investieren werden, daß diese zwei Aggregate sich auszugleichen tendieren, und daß der Zinssatz die veränderliche Größe ist, die sie zur Gleichheit bringt; so daß der Zinssatz an dem Punkt fixiert wird, an dem die Ersparnis, die das Angebot von neuem Kapital darstellt, gleich der Nachfrage nach diesem ist. Walras ist somit streng in der klassischen Tradition. Der normale Mann – Bankier, Staatsbeamter oder Politiker –, der mit der traditionellen Theorie groß wurde, wie auch der ausgebildete Ökonom hat sicherlich die Anschauung mitgenommen, daß, wenn immer ein Einzelner einen Ersparnisakt vollzieht, er etwas getan hat, was automatisch den Zinssatz herunterbringt, daß dies automatisch die Produktion von Kapital anregt und daß der Zinssatz gerade um so viel 3 Es ist schwierig, Prof. Carvers Erörterung zu folgen 1. wegen seiner Ungenauigkeit darüber, ob er unter „Grenzproduktivität des Kapitals“ die Menge oder den Wert des Grenzprodukts versteht und 2. wegen des Fehlens eines Versuches, die Menge des Kapitals zu definieren. 4 In einer jüngsten Erörterung dieser Probleme („Capital, Time and the Interest Rate“, von Prof. F. H. Knight, Economica, Aug. 1934), eine Erörterung, welche viele bemerkenswerte und tiefe Betrachtungen über die Natur des Kapitals enthält und die Richtigkeit der Marshallschen Tradition in bezug auf die Nutzlosigkeit der Analyse von Böhm-Bawerk bestätigt, wird die Theorie des Zinses genau in der überlieferten klassischen Form wiedergegeben. Gleichgewicht auf dem Gebiet der Kapitalerzeugung bedeutet nach Prof. Knight „einen derartigen Zinssatz, daß die Ersparnisse zu genau der gleichen Zeitrate oder Geschwindigkeit in den Markt fließen, wie sie in Investitionen fließen, die die gleiche Nettorendite erzeugen wie jene, die den Sparern für ihre Verwendung bezahlt wird.“
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sinken wird, wie zur Anregung der Produktion des Kapitals bis auf ein Maß notwendig ist, das dem Zuwachs der Ersparnis gleich ist; und ferner, daß dies ein sich selbstregelnder Anpassungsvorgang ist, der sich ohne die Notwendigkeit einer besonderen Einmischung oder großmütterlichen Sorge seitens der Währungsbehörde vollzieht. Auf ähnliche Weise – und dies ist selbst heute eine noch weiter verbreitetere Anschauung – wird jeder zusätzliche Investitionsakt notwendigerweise den Zinssatz erhöhen, wenn er nicht durch eine Änderung in der Bereitwilligkeit zu Sparen aufgehoben wird. Die Analyse der vorhergehenden Kapitel wird nun klar gemacht haben, daß diese Darstellung des Gegenstandes irrig sein muß. Um den Grund für die Meinungsverschiedenheit auf ihren Ursprung zurückzuführen, wollen wir jedoch mit den Gegenständen beginnen, die anerkannt sind. Abweichend von der neoklassischen Schule, die glaubt, daß Ersparnis und Investition tatsächlich ungleich sein können, hat die eigentliche klassische Schule der Anschauung zugestimmt, daß sie einander gleich sind. Marshall zum Beispiel hat sicherlich geglaubt, obschon er es nicht ausdrücklich gesagt hat, daß die Gesamtersparnis und die Gesamtinvestition einander notwendigerweise gleich sind. In der Tat sind die meisten Anhänger der klassischen Schule in diesem Glauben viel zu weit gegangen, indem sie annahmen, daß jeder Akt vermehrter Ersparnis durch einen Einzelnen notwendigerweise einen entsprechenden Akt vermehrter Investition schafft. Es besteht auch kein nennenswerter in diesem Zusammenhang maßgebender Unterschied zwischen meiner Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals oder der Nachfragekurve nach Investitionen und der von einigen der oben angeführten klassischen Autoren betrachteten Nachfragekurve für Kapital. Wenn wir zu der Konsumneigung und ihrem Gegenstück, der Sparneigung, kommen, sind wir einer Meinungsverschiedenheit näher gerückt, wegen der Betonung, welche die klassischen Autoren auf den Einfluß des Zinssatzes auf die Sparneigung gelegt haben. Sie würden aber wohl kaum bestreiten wollen, daß auch das Niveau des Einkommens einen großen Einfluß auf die ersparte Summe hat; während ich, meinerseits, nicht bestreiten möchte, daß der Zinssatz vielleicht einen Einfluß auf die Summe haben mag (obschon vielleicht nicht in der von ihnen angenommenen Weise), die aus einem gegebenen Einkommen erspart wird. Alle diese Punkte der Übereinstimmung können in einen Satz zusammengefaßt werden, den die klassische Schule annehmen und ich nicht in Abrede stellen würde; nämlich daß, wenn das Niveau des Einkommens als gegeben vorausgesetzt wird, wir folgern können,
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daß der laufende Zinssatz bei dem Punkt liegen muß, bei dem die für verschiedene Zinssätze geltende Nachfragekurve des Kapitals die Kurve der für verschiedene Zinssätze geltenden Summen schneidet, die aus dem gegebenen Einkommen erspart werden. Dies aber ist der Punkt, an dem sich definitiv ein Irrtum in die klassische Theorie einschleicht. Wenn die klassische Schule aus dem obigen Satz lediglich gefolgert hätte, daß, wenn die Nachfragekurve nach Kapital und der Einfluß von Änderungen im Zinssatz auf die Bereitschaft aus gegebenen Einkommen zu sparen, gegeben sind, das Niveau des Einkommens und der Zinssatz in einer eindeutigen Wechselbeziehung zueinander stehen müssen, gäbe es keinen strittigen Punkt. Dieser Satz würde überdies selbstverständlich zu einem anderen Satz führen, der eine wichtige Wahrheit einschließt; nämlich, daß, wenn der Zinssatz, die Nachfragekurve nach Kapital und der Einfluß des Zinssatzes auf die Bereitschaft, aus gegebenen Niveaus des Einkommens zu sparen, gegeben sind, das Niveau des Einkommens der Faktor sein muß, der die ersparte Summe mit der investierten Summe zur Gleichheit bringt. In Wahrheit übersieht aber die klassische Theorie nicht nur den Einfluß der Änderungen im Niveau des Einkommens, sondern sie verwickelt sich in einen formalen Irrtum. Wie aus den obigen Zitaten ersehen werden kann, nimmt die klassische Theorie nämlich an, daß sie dazu übergehen kann, die Wirkung (zum Beispiel) einer Verschiebung der Nachfragekurve nach Kapital auf den Zinssatz zu betrachten, ohne ihre Annahme über die Summe des gegebenen Einkommens, aus der die Ersparnisse gemacht werden müssen, einzuschränken oder zu ändern. Die voneinander unabhängigen veränderlichen Größen der klassischen Theorie des Zinssatzes sind die Nachfragekurve nach Kapital und der Einfluß des Zinssatzes auf die aus einem gegebenen Einkommen ersparte Summe; und wenn (zum Beispiel) die Nachfragekurve nach Kapital sich verschiebt, wird der neue Zinssatz nach dieser Theorie durch den Schnittpunkt der neuen Nachfragekurve nach Kapital und der Kurve gegeben sein, die den Zinssatz zu den Summen in Beziehung bringt, die aus dem gegebenen Einkommen gespart werden. Die klassische Theorie des Zinssatzes scheint anzunehmen, daß bei einer Verschiebung der Nachfragekurve nach Kapital oder bei einer Verschiebung der Kurve, die den Zinssatz zu den aus einem gegebenen Einkommen ersparten Summen in Beziehung bringt, oder bei einer Verschiebung dieser beiden Kurven der neue Zinssatz durch den Schnittpunkt der neuen Lagen der beiden Kurven gegeben sein wird. Diese Theorie ist aber Unsinn. Denn die Voraussetzung, daß das Einkommen konstant ist, ist unvereinbar mit der Annahme, daß
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diese beiden Kurven sich unabhängig voneinander verschieben können. Wenn sich eine von ihnen verschiebt, wird sich im allgemeinen das Einkommen verändern; mit der Folge, daß der ganze, sich auf die Voraussetzung eines gegebenen Einkommens stützende Ansatz zusammenbricht. Diese Ansicht könnte nur durch irgendeine komplizierte Voraussetzung gerettet werden, die eine automatische Änderung in der Lohneinheit um eine Summe vorsieht, deren Wirkung auf die Liquiditätspräferenz gerade genügt, um einen Zinssatz festzusetzen, der gerade die vorausgesetzte Verschiebung aufheben würde, so daß die Produktion auf dem gleichen Niveau wie zuvor verbliebe. In der Tat kann aber keine Andeutung der obigen Autoren für die Notwendigkeit einer solchen Voraussetzung gefunden werden; im besten Fall wäre sie einzig in bezug auf das langfristige Gleichgewicht plausibel, ohne aber die Grundlage für eine kurzfristige Theorie bilden zu können; und es besteht kein Grund für die Annahme, daß sie wenigstens in der langfristigen Periode gilt. In Wahrheit ist sich die klassische Theorie der Bedeutung von Änderungen im Niveau des Einkommens oder der Möglichkeit, daß das Niveau des Einkommens tatsächlich eine Funktion des Investitionsvolumens ist, nicht bewußt gewesen. Das obige kann wie folgt durch ein Diagramm5 erläutert werden:
In diesem Diagramm ist die Summe der Investitionen (oder Ersparnis) I senkrecht abgetragen und der Zinssatz r waagerecht. X1 X10 ist die erste Lage der Nachfragekurve der Investition, und X2 X20 ist eine zweite Lage dieser Kurve. Die Kurve Y1 setzt die aus einem Einkommen Y1 ersparten Summen zu verschiedenen Niveaus des Zinssatzes in Be5 Dieses Diagramm wurde mir von Mr. R. F. Harrod vorgeschlagen. Vgl. auch einen teilweise ähnlichen Ansatz von Mr. D. H. Robertson, Economic Journal, December 1934, p. 652.
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ziehung, wobei die Kurven Y2 ; Y3 usw. die entsprechenden Kurven für die Niveaus des Einkommens Y2 ; Y3 usw. sind. Nehmen wir an, daß die Kurve Y1 die Y-Kurve ist, die mit einer Nachfragekurve der Investition X1 X10 und einem Zinssatz r1 vereinbar ist. Wenn nun die Nachfragekurve der Investition sich von X1 X10 auf X2 X20 verschiebt, wird sich das Einkommen im allgemeinen auch verschieben. Das obige Diagramm enthält aber nicht genügend Angaben, um uns zu sagen, was sein neuer Wert sein wird; und da wir daher nicht wissen, welches die passende Y-Kurve ist, wissen wir nicht, an welchem Punkt die neue Nachfragekurve der Investition sie schneiden wird. Wenn wir jedoch den Stand der Liquiditätspräferenz und die Geldmenge einführen, und uns diese zusammen sagen, daß der Zinssatz r2 ist, wird die ganze Lage bestimmt. Denn die passende Kurve wird die Y-Kurve sein, die X2 X20 an dem Punkt schneidet, der senkrecht über r2 liegt, nämlich die Kurve Y2 . Die X-Kurve und die Y-Kurven sagen uns daher nichts über den Zinssatz. Sie sagen uns nur, was das Einkommen sein wird, wenn wir aus einer anderen Quelle sagen können, was der Zinssatz ist. Wenn der Stand der Liquiditätspräferenz und die Geldmenge gleich geblieben sind, so daß der Zinssatz unverändert bleibt, wird die Kurve Y20 das heißt die Kurve, welche die neue Nachfragekurve der Investition senkrecht unter dem Punkt schneidet, an dem die Kurve Y1 die alte Nachfragekurve der Investition schneidet, die passende Y-Kurve sein, und Y20 das neue Niveau des Einkommens. Die von der klassischen Theorie angewandten Funktionen, nämlich das Verhalten der Investitionen und das Verhalten der aus einem gegebenen Einkommen ersparten Summe als Folge von Änderungen im Zinssatz, liefern uns somit keinen Stoff für eine Theorie des Zinssatzes; aber sie könnten dazu benützt werden, uns zu sagen, was das Niveau des Einkommens bei einem (aus irgendeiner anderen Quelle) gegebenen Zinssatz sein wird; oder umgekehrt, was der Zinssatz sein muß, wenn das Niveau des Einkommens auf einer gegebenen Höhe aufrechterhalten werden soll (zum Beispiel auf dem mit der Vollbeschäftigung übereinstimmenden Niveau). Der Fehler rührt daher, den Zinssatz als eine Belohnung für Warten als solches statt als eine Belohnung für Nichthortung zu betrachten; genau wie die Renditen auf Anleihen oder Investitionen von verschiedenen Risikoklassen ganz richtig als die Belohnung nicht des Wartens an sich, sondern des damit verbundenen Risikos betrachtet werden. Es gibt in Wahrheit keine scharfe Grenze zwischen diesen und dem sogenannten „reinen“ Zinssatz, da sie alle die Belohnung für das Risiko der Unsicherheit in der einen oder der anderen Form sind. Nur wenn
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Geld ausschließlich für die Bestreitung von Ausgaben und nie zur Wertaufbewahrung verwendet würde, würde eine andere Theorie angebracht sein6. Es gibt jedoch zwei wohlbekannte Punkte, welche die klassische Schule vielleicht hätten warnen können, daß etwas nicht stimmt. Erstens ist zugegeben worden, zumindest nach der Veröffentlichung von Professor Cassels Nature and Necessity of Interest, daß es nicht gewiß ist, daß die aus einem gegebenen Einkommen ersparte Summe notwendigerweise mit einer Erhöhung des Zinssatzes zunimmt; während niemand bezweifelt, daß die Nachfragekurve nach Investition bei einem steigenden Zinssatz zurückgeht. Wenn aber sowohl die Y-Kurven wie auch die X-Kurven mit der Erhöhung des Zinssatzes fallen, besteht keine Gewähr, daß eine gegebene Y-Kurve eine gegebene X-Kurve überhaupt schneiden wird. Dies deutet darauf hin, daß es nicht die Y-Kurve und die X-Kurve allein sein können, die den Zinssatz bestimmen.
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Zweitens war es üblich, anzunehmen, daß eine Zunahme in der Geldmenge dazu tendiert, den Zinssatz zu senken, zumindest unmittelbar und auf kurze Sicht. Es ist aber kein Grund angeführt worden, warum eine Änderung in der Geldmenge entweder die Nachfragekurve der Investition oder die Bereitschaft, aus einem gegebenen Einkommen zu sparen, berühren sollte. Die klassische Schule hat somit im ersten Band, der sich mit der Werttheorie beschäftigt, eine ganz andere Theorie vertreten als im zweiten Band, der von der Geldtheorie handelt. Der Widerspruch hat sie scheinbar ungestört gelassen, und sie hat, soweit mir bekannt ist, keinen Versuch gemacht, zwischen den beiden Theorien eine Brücke zu bauen. Dies gilt für die klassische Schule im eigentlichen Sinne; denn es ist der Versuch der neo-klassischen Schule, eine Brücke zu bauen, der zum ärgsten Wirrwarr von allen geführt hat. Denn die letztere hat gefolgert, daß es zwei Quellen des Angebots geben muß, um der Nachfragekurve der Investition zu genügen; nämlich, eigentliche Ersparnisse, welche die von der klassischen Schule behandelten Ersparnisse sind, plus die durch eine Zunahme der Geldmenge verfügbar gemachte Summe (welche durch irgendeine Art Abgabe der Bevölkerung, „erzwungene Ersparnis“ oder dergleichen genannt, ausgeglichen wird). Dies führt zu der Vorstellung, daß es einen „natürlichen“ oder „neutralen“7 oder „Gleichgewichts“-Zinssatz gibt, nämlich jenen ZinsVgl. 17. Kap. Der „neutrale“ Zinssatz zeitgenössischer Ökonomen ist sowohl vom „natürlichen“ Satz von Böhm-Bawerk als auch vom „natürlichen“ Satz von Wicksell verschieden. 6 7
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satz, der die Investitionen mit den klassischen eigentlichen Ersparnissen ohne Hinzufügung „erzwungener Ersparnis“ ausgleicht. Und führt schließlich unter der Annahme, daß diese Schule am Anfang auf der richtigen Spur gewesen ist, zu der offensichtlichsten aller Lösungen, daß nämlich, wenn nur die Geldmenge unter allen Umständen konstant gehalten werden könnte, sich keine dieser Verwicklungen ergeben würden, da die Übel, die sich aus dem angeblichen Überschuß der Investitionen über eigentliche Ersparnisse ergeben sollen, nicht mehr möglich wären. An diesem Punkt aber geraten wir in tiefes Wasser. „Die Wildente ist auf den Grund hinuntergetaucht, so tief sie gelangen kann, und hat sich dort festgebissen am Unkraut, Tang und all dem wilden Gestrüpp der Tiefe, und es brauchte einen außerordentlich geschickten Hund, um ihr nachzutauchen und sie wieder heraufzufischen.“ Die herkömmliche Analyse ist somit fehlerhaft, weil sie die unabhängigen Variablen des Systems nicht richtig hat isolieren können. Ersparnis und Investition sind die Bestimmten des Systems und nicht die Bestimmenden. Sie sind die Zwillingsergebnisse der Bestimmenden des Systems, nämlich der Konsumneigung, der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und des Zinssatzes. Diese Bestimmenden sind zwar selber komplex, und jede kann von voraussichtlichen Änderungen der anderen betroffen werden. Sie bleiben aber unabhängig in dem Sinne, daß ihre Werte nicht voneinander abgeleitet werden können. Die herkömmliche Analyse war sich bewußt, daß Ersparnis vom Einkommen abhängt, aber sie übersah die Tatsache, daß Einkommen von Investitionen abhängt, in solcher Weise, daß, wenn sich die Investitionen ändern, sich das Einkommen notwendigerweise genau in jenem Grade ändern muß, der erforderlich ist, um die Änderung in der Ersparnis gleich der Änderung der Investitionen zu machen. Keineswegs erfolgreicher sind jene Theorien, die versuchen, den Zinssatz von der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ abhängig zu machen. Es ist richtig, daß im Gleichgewicht der Zinssatz gleich der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sein wird, weil es gewinnbringend sein wird, das Volumen der laufenden Investitionen zu vergrößern (oder zu vermindern), bis der Punkt der Gleichheit erreicht worden ist. Aber daraus eine Theorie des Zinssatzes zu gestalten oder den Zinssatz davon abzuleiten, verwickelt uns in einen Zirkelschluß, wie Marshall entdeckte, als er bis zur Hälfte seiner Erklärung des Zinssatzes gemäß dieser Richtschnur gekommen war8. Denn die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ 8
Vgl. den Anhang zu diesem Kapitel.
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hängt teilweise von dem Volumen der laufenden Investitionen ab, und wir müssen den Zinssatz schon kennen, ehe wir berechnen können, was dieses Volumen sein wird. Die bedeutsame Folgerung ist, daß die neuen Investitionen bis zu dem Punkt ausgedehnt werden, an dem die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gleich dem Zinssatz wird; und die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sagt uns nicht, was der Zinssatz ist, sondern wo der Punkt liegt, bis zu dem die neuen Investitionen bei einem gegebenen Zinssatz ausgedehnt werden. Der Leser wird bereitwillig zu würdigen wissen, daß das hier erörterte Problem eine Sache von fundamentalster theoretischer Bedeutung und von überwältigender praktischer Wichtigkeit ist. Denn der wirtschaftliche Grundgedanke, auf den sich der praktische Rat von Ökonomen fast durchweg gestützt hat, nahm in der Tat an, daß, unter sonst gleichen Bedingungen, eine Verminderung der Ausgaben dazu neigen wird, den Zinssatz zu senken, und eine Zunahme der Investitionen, ihn zu erhöhen. Aber wenn das, was diese beiden Mengen bestimmen, nicht der Zinssatz ist, sondern die Gesamtmenge der Beschäftigung, wird unsere Anschauung über das Triebwerk des Wirtschaftssystems von Grund auf geändert werden. Eine verminderte Bereitschaft, Ausgaben zu tätigen, wird in einem ganz anderen Licht angesehen werden, wenn sie, statt als ein Faktor betrachtet zu werden, der, unter sonst gleichen Bedingungen, die Investitionen vermehrt, als ein Faktor erscheinen wird, der, unter sonst gleichen Bedingungen, die Beschäftigung vermindern wird.
Anhang zum Vierzehnten Kapitel 186
Anhang über den Zinssatz in Marshalls „Principles of Economics“, in Ricardos „Principles of Political Economy“ und anderweitig I. In den Werken von Marshall, Edgeworth oder Professor Pigou ist keine zusammenhängende Erörterung des Zinssatzes zu finden, nichts mehr als einige obiter dicta. Von der oben bereits angeführten Stelle (S. 117) abgesehen, sind die einzigen wichtigen Anhaltspunkte für Marshalls Stellung zum Zinssatz in seinen Principles of Economics (6. Auflage, Buch VI, S. 534 und S. 593) zu finden, deren Kern durch die folgenden Anführungen wiedergegeben sei. „Der Zins, das heißt der für die Benutzung von Kapital in irgendeinem Markt bezahlte Preis, tendiert zu einer Gleichgewichtslage derart, daß die gesamte Nachfrage nach Kapital in jenem Markt und zu jenem Zinssatz
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gleich dem gesamten Bestand9 ist, der zu jener Rate angeboten wird. Ist der Markt, den wir betrachten, ein kleiner – sagen wir – eine einzelne Stadt oder ein einzelner Geschäftszweig in einem fortschrittlichen Land – so wird eine vermehrte Nachfrage in ihm für Kapital alsbald durch ein aus umliegenden Bezirken oder Geschäftszweigen stammendes vermehrtes Angebot befriedigt werden. Wenn wir aber die ganze Welt oder selbst nur die Gesamtheit eines großen Landes als einen einzigen Kapitalmarkt betrachten, können wir das gesamte Angebot nicht als durch eine Änderung des Zinssatzes rasch und in erheblichem Ausmaß veränderlich betrachten. Denn der allgemeine Fonds von Kapital ist das Produkt aus Arbeitsleistung und Warten; und die zusätzliche Arbeitsleistung10 und das zusätzliche Warten, für die ein Steigen des Zinssatzes als ein Antrieb dienen würde, würde nicht rasch viel ausmachen, verglichen mit der Arbeitsleistung und mit dem Warten, aus denen der vorhandene Gesamtbestand an Kapital herrührt. Eine umfassende Zunahme in der Nachfrage nach Kapital im allgemeinen wird daher für einige Zeit nicht so sehr von einer Zunahme im Angebot als von einem Steigen im Zinssatz11 beantwortet werden, was das Kapital veranlassen wird, 9 Es ist zu beachten, daß Marshall das Wort „Kapital“ und nicht „Geld“ und das Wort „Bestand“ und nicht „Anleihen“ gebraucht; und doch ist der Zins eine Zahlung für das Borgen von Geld, und „Nachfrage nach Kapital“ sollte in diesem Zusammenhang die „Nachfrage nach Geldanleihen zum Zwecke des Kaufes eines Bestandes an Kapitalgütern“ bedeuten. Die Gleichheit zwischen dem Angebot des Bestandes an Kapitalgütern und der Nachfrage nach dem Bestand wird aber durch die Preise der Kapitalgüter und nicht durch den Zinssatz hergestellt werden. Was der Zinssatz herstellt, ist die Gleichheit zwischen der Nachfrage und dem Angebot von Darlehen, das heißt Anleihen. 10 Dies setzt voraus, daß das Einkommen nicht konstant ist. Aber es ist nicht offensichtlich, in welcher Weise eine Erhöhung des Zinssatzes zu „zusätzlicher Arbeitsleistung“ führen wird. Soll es besagen, daß eine Erhöhung des Zinssatzes, weil sie die um der Ersparnis willen geleistete Arbeit anziehender macht, als eine Art Zunahme in den Reallöhnen betrachtet werden muß, welche die Produktionsfaktoren veranlassen wird, für einen niedrigeren Lohn zu arbeiten? Dies entspricht, glaube ich, der Auffassung von Mr. D. H. Robertson in einem ähnlichen Zusammenhang. Sicherlich würde dies „nicht rasch viel ausmachen“; und ein Versuch, die tatsächlichen Schwankungen im Betrag der Investitionen durch diesen Faktor zu erklären, wäre sehr wenig überzeugend, sogar widersinnig. Meine Neufassung der zweiten Hälfte dieses Satzes wäre: „und wenn eine umfassende Zunahme in der Nachfrage nach Kapital im allgemeinen, als Folge einer Zunahme in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, nicht durch ein Steigen des Zinssatzes ausgeglichen wird, werden die zusätzliche Beschäftigung und das höhere Niveau des Einkommens, die sich als Folge der vermehrten Erzeugung von Kapitalgütern ergeben werden, zu einem Betrag von zusätzlichem „Warten“ führen, der, in Geld gemessen, genau gleich dem Werte des laufenden Zuwachses von Kapitalgütern sein wird, und daher auch genau für ihn vorsorgen wird“. 11 Warum nicht durch eine Erhöhung des Angebotspreises von Kapitalgütern? Nehmen wir zum Beispiel an, daß die „umfassende Zunahme in der Nachfrage nach Kapital im allgemeinen“ auf eine Senkung des Zinssatzes zurückzuführen ist. Ich würde dann vorschlagen, den Satz wie folgt neu zu fassen: „Insofern daher die umfassende Zunahme in der Nachfrage nach Kapitalgütern nicht sofort durch eine Zunahme im ganzen Bestand beantwortet werden kann, wird sie zeitweilig durch eine Zunahme im Angebotspreis von Kapitalgütern gehemmt werden müssen, die genügt, um die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals mit dem Zinssatz im Gleich-
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sich zum Teil aus jenen Anwendungen zurückzuziehen, in denen sein Grenznutzen am niedrigsten ist. Nur langsam und allmählich wird eine Erhöhung des Zinssatzes den Gesamtbestand an Kapital vermehren (S. 534). „Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß der Begriff ,Zinssatz‘ auf alte Kapitalinvestitionen nur in einem sehr begrenzten Sinn anwendbar ist12. Wir mögen zum Beispiel schätzen, daß ein Handelskapital von ungefähr siebentausend Millionen in den verschiedenen Handelszweigen dieses Landes zu ungefähr 3% Nettozinsen investiert ist. Eine solche Redeweise, obschon bequem und für viele Zwecke gerechtfertigt, ist aber nicht genau. Was gesagt werden sollte, ist, daß, wenn wir den Nettozins für Investitionen von neuem Kapital in jedem jener Handelszweige (das heißt auf Grenzinvestitionen) mit ungefähr 3 % annehmen, das gesamte Nettoeinkommen, das durch das ganze in den verschiedenen Handelszweigen investierte Handelskapital geschaffen wird, derart sein wird, daß es zu 33 Jahren kapitalisiert (das heißt auf der Zinsbasis von 3 %) ungefähr siebentausend Millionen Pfund betragen würde. Denn der Wert des Kapitals, das bereits für Landverbesserungen oder die Errichtung eines Gebäudes, in der Konstruktion einer Eisenbahn oder einer Maschine investiert ist, ist der gesamte diskontierte Wert seiner geschätzten zukünftigen Nettoeinkommen (oder Quasi-Renten); und wenn seine voraussichtliche Kraft, Einkommen abzuwerfen, abnehmen sollte, würde sein Wert entsprechend fallen und gleich dem kapitalisierten Wert jenes kleineren Einkommens, nach Abzug für Abschreibung, sein“ (S. 593). In seinen Economics of Welfare (3. Auflage) S. 163 schreibt Professor Pigou: „Die Natur des Dienstes ,Warten‘ ist sehr mißverstanden worden. Hie und da ist angenommen worden, daß es in der Bereitstellung von Geld, und hie und da, daß es in der Bereitstellung von Zeit besteht, und nach beiden Annahmen ist behauptet worden, daß es in keiner Weise zum Einkommen beiträgt. Keine dieser Annahmen ist richtig. ,Warten‘ bedeutet lediglich den Aufschub eines Verbrauches, den ein Mensch in der Lage wäre, sofort zu genießen, wodurch es Ressourcen, die sonst verbraucht worden wären, ermöglicht wird, die Form von Produktionsmitteln anzunehmen13. . . Die Einheit vom ,Warten‘ ist daher der Gebrauch einer gegebenen Menge von Ressourcen14 – zum Beispiel Arbeit oder Maschinen – während einer gegebenen Zeit . . . gewicht zu halten, ohne daß damit irgendwelche materielle Änderung in dem Volumen der Investitionen verbunden wäre; inzwischen werden die für die Produktion von Kapitalgütern geeigneten Produktionsfaktoren wie immer für die Erzeugung jener Kapitalgüter verwendet werden, deren Grenzleistungsfähigkeit unter den neuen Bedingungen am größten ist.“ 12 Tatsächlich können wir überhaupt nicht davon reden. Wir können richtigerweise nur vom Zinssatz auf Geld reden, das zum Zwecke des Kaufes von Kapitalgütern, neuen oder alten (oder für irgendeinen anderen Zweck), geborgt wird. 13 Es ist hier nicht eindeutig, ob wir folgern müssen, daß der Aufschub des Verbrauches notwendigerweise diese Wirkung hat, oder ob er nur Ressourcen freigibt, die je nach Umständen dann entweder unbenutzt oder für die Investitionen benutzt werden. 14 Nicht, so sei hier bemerkt, der Geldbetrag, den der Bezieher von Einkommen verbrauchen könnte, aber nicht verbraucht; so daß die Belohnung für Warten nicht der Zins, sondern die Quasirente ist. Dieser Satz scheint zu bedingen, daß die freigewordenen Ressourcen notwendigerweise benutzt werden. Denn was ist die Belohnung für Warten, wenn die freigewordenen Ressourcen unbenutzt gelassen werden?
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Allgemeiner gesprochen, mögen wir sagen, daß die Einheit vom Warten eine Jahreswerteinheit ist, oder in der einfacheren, aber weniger genauen Sprache von Dr. Cassel, ein Jahrespfund . . . Es mag hier vor der allgemeinen Anschauung gewarnt werden, daß der in irgendeinem Jahr angehäufte Betrag von Kapital notwendigerweise gleich dem Betrag der ,Ersparnisse‘ ist, die in ihm gemacht werden. Dem ist nicht so, selbst dann nicht, wenn Ersparnisse als Nettoersparnisse ausgelegt werden, wodurch die Ersparnisse eines Menschen, die für die Zunahme des Verbrauches eines anderen ausgeliehen werden, abgezogen werden, und wenn vorübergehende Anhäufungen von ungenutzten Ansprüchen auf Dienste in der Form von Giralgeld ignoriert werden; denn viele Ersparnisse, die dazu bestimmt waren, Kapital zu werden, verfehlen in Wirklichkeit ihren Zweck als Folge von Fehlleitung in verlustbringende Verwendungen15.“ Professor Pigous einzige bedeutungsvolle Bezugnahme auf das, was den Zinssatz bestimmt, ist meiner Ansicht nach in seinen Industrial Fluctuations (1. Auflage) S. 251 – 253 zu finden, wo er die Anschauung bekämpft, daß der Zinssatz, da er durch die allgemeinen Bedingungen von Nachfrage und Angebot des Realkapitals bestimmt wird, außerhalb der Kontrolle der Zentralbank oder irgendeiner anderen Bank liegt. Gegen diese Anschauung argumentiert er, daß: „wenn Bankiers mehr Kredit für Geschäftsleute schaffen, erheben sie, in ihrem Interesse, gemäß den in Kapitel XIII von Teil l16 gegebenen Erklärungen, von der Bevölkerung eine erzwungene Abgabe von realen Dingen, wodurch sie einen Strom von Realkapital für sie verfügbar machen und ein Fallen im Realzinssatz auf sowohl langfristigen als auch kurzfristigen Anleihen verursachen. Kurz gesagt, es ist richtig, daß der Kreditzins der Banken durch ein mechanisches Band mit dem Realzinssatz auf langfristige Anleihen verknüpft ist; aber es ist nicht richtig, daß diese 15 Es wird uns an dieser Stelle nicht gesagt, ob die Nettoersparnisse gleich dem Zuwachs des Kapitals sein würden oder nicht, wenn wir fehlgeleitete Investitionen außer acht lassen, aber „vorübergehende Anhäufungen von ungenutzten Ansprüchen auf Dienstleistungen in der Form von Giralgeld“ in Betracht ziehen würden. In den Industriell Fluctuations (S. 22) macht Prof. Pigou aber klar, daß solche Anhäufungen keine Wirkung auf das haben, was er „Realersparnisse“ nennt. 16 Diese Bezugnahme (op. cit. S. 129 – 134) enthält Professor Pigous Anschauung über den Betrag, um den eine Schöpfung neuen Kredites den Strom des für Unternehmer verfügbaren Realkapitals vermehrt. Tatsächlich versucht er, „vom schwebenden Kredit, der durch die Schaffung von Kredit auf Geschäftsleute übertragen wird, das schwebende Kapital abzuziehen, das, wenn es die Banken nicht gäbe, auf andere Arten beigetragen worden wäre“. Nachdem diese Abzüge gemacht sind, ist seine Beweisführung von tiefer Dunkelheit. Um damit zu beginnen, haben die Rentiers ein Einkommen von 1500, wovon sie 500 verbrauchen und 1000 sparen; der Akt der Kreditschöpfung vermindert ihr Einkommen auf 1300, wovon sie 500 x verbrauchen und 800 x sparen; und x, folgert Professor Pigou, stellt die Nettozunahme des Kapitals dar, das durch den Akt der Kreditschöpfung verfügbar gemacht worden ist. Soll das Einkommen der Unternehmer um den Betrag, den sie von den Banken (nach den obigen Abzügen) borgen, angeschwollen sein? Oder ist es um den Betrag angeschwollen, das heißt 200, um den das Einkommen der Rentiers vermindert wird? Wird angenommen, daß sie in beiden Fällen den ganzen Betrag sparen? Ist die erhöhte Investition gleich der Kreditschaffung minus der Abzüge? Oder ist sie gleich x? Die Beweisführung scheint gerade da aufzuhören, wo sie beginnen sollte.
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reale Rate durch Bedingungen bestimmt wird, die gänzlich außerhalb der Kontrolle der Bankiers liegen.“ Meine laufenden Erläuterungen zu den obigen Ausführungen habe ich in den Fußnoten gegeben. Die Verwirrung, die ich in Marshalls Darstellung des Gegenstandes finde, ist meiner Ansicht nach im Grunde zurückzuführen auf die Einführung des Begriffes „Zins“, der einer monetären Wirtschaft angehört, in eine Abhandlung, die Geld nicht in Betracht zieht. „Zins“ hat in Marshalls Principles of Economics wirklich nichts zu suchen – er gehört einem anderen Zweig des Fachgebietes an. Professor Pigou führt uns (in seinen Economics of Welfare) in Übereinstimmung mit seinen anderen stillschweigenden Voraussetzungen zu der Folgerung, daß die Einheit des Wartens die gleiche wie die Einheit der laufenden Investitionen ist, und daß die Belohnung für Warten Quasi-Rente ist; den Zins erwähnt er – wie es sich gehört – sozusagen nie. Und dennoch beschäftigen sich diese Autoren nicht mit einer nichtgeldlichen Wirtschaft (wenn es so etwas gibt). Sie setzen ganz offensichtlich voraus, daß Geld benutzt wird und daß es ein Bankensystem gibt. Der Zinssatz spielt überdies in Professor Pigous Industrial Fluctuations (die hauptsächlich eine Untersuchung von Schwankungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sind) oder in seiner Theory of Unemployment (die hauptsächlich eine Untersuchung der Umstände ist, die Änderungen in der Menge der Beschäftigung bestimmen, unter der Voraussetzung, daß es keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt) kaum eine größere Rolle als in seinen Economics of Welfare.
II. Der folgende Auszug aus seinen Principles of Political Economy (S. 511) formuliert den Kern von Ricardos Theorie des Zinssatzes: „Der Geldzinssatz wird nicht durch den Satz geregelt, zu dem die Bank verleihen wird, seien es nun 5, 3 oder 2%, sondern durch die Profitrate, die durch die Beschäftigung von Kapital erzielt werden kann; und diese ist völlig unabhängig von der Menge oder vom Wert des Geldes. Ob von der Bank eine Million, zehn Millionen oder hundert Millionen ausgeliehen werden, sie würden den Marktzinssatz nicht auf die Dauer ändern; sie würden nur den Wert des Geldes ändern, das so in Umlauf gebracht wurde. In einem Fall mag zehn- oder zwanzigmal mehr Geld zur Ausführung des gleichen Geschäftes notwendig sein als im anderen. Die Anträge an die Bank auf Geld stützen sich also auf den Vergleich zwischen der Profitrate, die durch die Beschäftigung des Geldes erzielt werden kann, und dem Satz, zu welchem die Banken es auszuleihen bereit sind. Wenn sie weniger als den Marktzinssatz verlangen, gibt es keinen Betrag von Geld, den sie nicht ausleihen könnten; – wenn sie mehr als jenen Satz verlangen, würde sich zeigen, daß nur Vergeuder und Verschwender von ihnen borgen würden.“ Dies ist so scharf umrissen, daß es einen besseren Ausgangspunkt für eine Erörterung bietet als die Sätze späterer Autoren, die, ohne wirklich vom Kern der Lehre Ricardos abzuweichen, sich trotzdem unbehaglich genug fühlen, um ihre Zuflucht in Verschwommenheit zu suchen. Das Obige muß natürlich, wie immer bei Ricardo, als eine langfristige Lehre ausgelegt werden, mit Betonung auf dem Wort „dauerhaft“ ungefähr in der Mitte der Textpassage; und es ist
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interessant, die Voraussetzungen zu erwägen, die für ihre Gültigkeit erforderlich sind. Noch einmal: Die erforderliche Voraussetzung ist die übliche klassische Annahme, daß es immer Vollbeschäftigung gibt; so daß, unter der Voraussetzung keiner Änderung in der Arbeitsangebotskurve (in Outputeinheiten), es im langfristigen Gleichgewicht nur ein einziges Niveau der Beschäftigung geben kann. Unter dieser Voraussetzung mit den üblichen ceteris paribus Bedingungen, das heißt keiner Änderung in den psychologischen Neigungen und Erwartungen mit Ausnahme jener, die sich aus einer Änderung in der Geldmenge ergeben, ist die Theorie Ricardos gültig in dem Sinne, daß es nach diesen Voraussetzungen nur einen Zinssatz gibt, der mit Vollbeschäftigung auf lange Sicht vereinbar sein wird. Ricardo und seine Nachfolger übersehen, daß selbst auf lange Sicht das Beschäftigungsvolumen nicht unbedingt voll, sondern Wechseln unterworfen ist, und daß jeder Geldpolitik ein anderes langfristiges Niveau der Beschäftigung entspricht und es daher eine Vielzahl von langfristigen Gleichgewichtspunkten den verschiedenen denkbaren Zinspolitiken der Währungsbehörde entsprechend gibt. Wenn Ricardo sich begnügt hätte, seine Beweisführung lediglich als auf jede gegebene, durch die Währungsbehörde geschaffene Geldmenge anwendbar darzustellen, würde sie, unter der Voraussetzung flexibler Nominallöhne, immer noch richtig sein. Das heißt, wenn Ricardo behauptet hätte, daß der Zinssatz keiner dauernden Änderung unterworfen sei, ob nun die Geldmenge durch die Währungsbehörde mit zehn oder hundert Millionen festgesetzt werde, so würde seine Folgerung Bestand haben. Wenn wir aber unter der Politik der Währungsbehörde die Bedingungen verstehen, zu denen sie die Geldmenge vermehren oder vermindern wird, das heißt den Zinssatz, zu dem sie entweder durch eine Änderung in der Menge der diskontierten Wechsel oder durch Offenmarktoperationen ihre Aktiva vermehren und vermindern wird – was Ricardo in der obigen Ausführung ausdrücklich meint –, dann trifft weder zu, daß die Politik der Währungsbehörde wirkungslos ist, noch daß nur eine Politik mit dem langfristigen Gleichgewicht vereinbar ist. Allerdings kann es im äußersten Fall, wenn angenommen wird, daß die Nominallöhne angesichts unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge eines vergeblichen Wettbewerbes um Beschäftigung zwischen den arbeitslosen Arbeitern ohne Grenze fallen, in der Tat nur zwei langfristige Zustände geben – Vollbeschäftigung und das Niveau der Beschäftigung, das mit dem Zinssatz korrespondiert, zu dem die Liquiditätspräferenz absolut wird (falls dieses niedriger als Vollbeschäftigung ist). Unter der Voraussetzung flexibler Nominallöhne ist die Geldmenge als solche in der Tat auf lange Sicht wirkungslos; aber die Bedingungen, zu denen die Währungsbehörde die Geldmenge ändern wird, wirken als realer Bestimmungsgrund auf das Wirtschaftssystem ein. Es ist der Hinzufügung wert, daß die Schlußsätze des Zitats die Vermutung aufkommen lassen, daß Ricardo die möglichen Änderungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals je nach dem investierten Betrag übersah. Aber dies kann wieder als ein weiteres Beispiel seiner größeren inneren Konsisenz, verglichen mit seinen Nachfolgern, ausgelegt werden. Denn wenn die Menge der Beschäftigung und die psychologischen Neigungen des Gemeinwesens als
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gegeben genommen werden, kann es in der Tat nur eine Rate der Kapitalakkumulation geben und folglich nur einen Wert für die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Ricardo bietet uns die höchste geistige Leistung, unerreichbar für schwächere Geister, eine hypothetische Welt außerhalb der Wirklichkeit anzunehmen, als ob sie die Welt der Wirklichkeit wäre, und dann beständig in ihr zu leben. Die meisten seiner Nachfolger konnten dem gesunden Menschenverstand nicht den Einbruch verwehren – unter Verletzung ihrer logischen Konsistenz.
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Eine eigenartige Theorie des Zinssatzes ist von Professor von Mises vorgelegt und von Professor Hayek, sowie, glaube ich, auch von Professor Robbins übernommen worden; daß nämlich Änderungen im Zinssatz Änderungen in den verhältnismäßigen Preisniveaus von Konsumgütern und Kapitalgütern gleichgesetzt werden können17. Es ist nicht klar, wie diese Folgerung erreicht wird, doch scheint die Beweisführung wie folgt zu laufen. Durch eine etwas drastische Vereinfachung wird angenommen, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals durch das Verhältnis zwischen dem Angebotspreis der neuen Konsumgüter und dem Angebotspreis der neuen Produktionsgüter gemessen wird18. Dies wird dann dem Zinssatz gleichgesetzt. Es wird hervorgehoben, daß ein Fallen des Zinssatzes für Investitionen günstig ist. Ergo ist ein Rückgang des Verhältnisses zwischen dem Preis von Konsumgütern und dem Preis von Produktionsgütern für Investitionen günstig. Durch dieses Mittel wird ein Verbindungsglied zwischen den vermehrten Ersparnissen eines Einzelnen und der vermehrten Gesamtinvestition hergestellt; denn es ist allgemein bekannt, daß vermehrtes Sparen der Einzelnen ein Fallen im Preis von Konsumgütern und, sehr möglich, ein größeres Fallen als im Preis von Produktionsgütern verursachen wird, und folglich, nach der obigen Beweisführung, eine Senkung des Zinssatzes mit sich bringt, welche die Investitionen anregen wird. Aber eine Verminderung der Grenzleistungsfähigkeit von einzelnen Vermögenswerten und folglich eine Senkung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im allgemeinen hat natürlich genau die entgegengesetzte Wirkung, als von der obigen Beweisführung vorausgesetzt wird. Denn die Investitionen werden entweder durch eine Erhöhung der Grenzleistungsfähigkeit oder durch eine Senkung des Zinssatzes angeregt. Als eine Folge der Verwechslung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals mit dem Zinssatz haben Professor von Mises und seine Schüler ihre Folgerungen genau verkehrt herum gewonnen. Ein gutes Beispiel einer Verwirrung dieser Art wird durch die folgende Stelle von Professor Alvin Hansen gegeben19: „Es ist von einigen Ökonomen The Theory of Money and Credit. S. 339 et passim, besonders S. 363. Wenn wir uns im langfristigen Gleichgewicht befinden, könnten besondere Voraussetzungen ausgedacht werden, nach denen dies gerechtfertigt sein könnte. Aber wenn die in Frage kommenden Preise die in Zuständen der Rezession vorherrschenden sind, ist die Vereinfachung durch die Voraussetzung, daß der Unternehmer bei der Bildung seiner Erwartungen diese Preise als dauerhaft voraussetzen wird, sicherlich irreführend. Wenn er es tut, werden die Preise der bestehenden Bestände an Produktionsgütern überdies im gleichen Verhältnis wie die Preise der Verbrauchsgüter fallen. 19 Economic Reconstruction, S. 233. 17 18
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behauptet worden, daß die Nettowirkung verminderter Ausgaben ein niedrigeres Preisniveau von Konsumgütern sein werde, als dies sonst der Fall gewesen wäre, und daß folglich die Anregung zur Investition in fixes Kapital hierdurch die Tendenz hätte, sich zu vermindern. Diese Anschauung ist jedoch unrichtig und auf eine Verwechslung der Wirkung auf die Kapitalbildung zurückzuführen von 1. höheren oder niedrigeren Preisen von Konsumgütern und 2. einer Änderung im Zinssatz. Es stimmt, daß als Folge verminderter Ausgaben und vermehrter Ersparnisse die Preise von Konsumgütern im Verhältnis zu den Preisen von Produktionsgütern niedrig sein würden. Aber dies bedeutet tatsächlich einen niedrigeren Zinssatz, und ein niedrigerer Zinssatz regt eine Ausdehnung von Kapitalinvestitionen in Bereiche an, die zu höheren Zinssätzen nicht profitabel sein würden.“
Fünfzehntes Kapitel
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Wir müssen jetzt die Analyse der Motive für eine Liquiditätspräferenz ausführlicher entwickeln, die wir in Kapitel 13 in vorläufiger Weise eingeführt haben. Der Gegenstand ist im wesentlichen derselbe wie jener, der hie und da unter der Bezeichnung Nachfrage nach Geld erörtert worden ist. Er ist ferner eng verbunden mit der sogenannten Einkommensgeschwindigkeit des Geldes; denn die Einkommensgeschwindigkeit des Geldes ist lediglich ein Maß für den Teil ihres Einkommens, den die Bevölkerung beschließt, in Kasse zu halten, so daß eine vermehrte Einkommensgeschwindigkeit des Geldes ein Anzeichen einer verminderten Liquiditätspräferenz sein kann. Es ist jedoch nicht das Gleiche, da die Wahl, die der Einzelne zwischen Liquidität und Illiquidität treffen kann, sich eher auf seinen Bestand an akkumulierten Ersparnissen als auf sein Einkommen bezieht; und auf jeden Fall läßt der Ausdruck „Einkommensgeschwindigkeit des Geldes“ die irreführende Vermutung aufkommen, daß die Nachfrage nach Geld als Ganzes im festen Verhältnis zum Einkommen steht oder irgendeine bestimmte Beziehung zum Einkommen hat, während diese Vermutung, wie wir sehen werden, sich nur auf einen Teil der Barbestände der Bevölkerung beziehen sollte; mit der Folge, daß sie die Rolle übersieht, die vom Zinssatz gespielt wird. In meiner Abhandlung „Vom Gelde“ habe ich die gesamte Nachfrage nach Geld unter den Rubriken Einkommensdepositen, Geschäftsdepositen und Spardepositen untersucht, und ich brauche hier nicht die Analyse zu wiederholen, die ich im dritten Kapitel jenes Buches gegeben habe. Das für jeden der drei Zwecke gehaltene Geld bildet aber trotzdem eine einzige Masse, die vom Besitzer nicht in drei wasserdichte Abteilungen getrennt zu werden braucht; denn die Abteilungen brauchen nicht einmal in seinen eigenen Gedanken scharf getrennt zu sein, und die gleiche Summe kann in erster Linie für einen Zweck und in zweiter Linie für einen anderen gehalten werden. Wir können somit – ebensogut und vielleicht besser – die gesamte Nachfrage des Einzelnen nach Geld unter gegebenen Umständen als eine einzige Entscheidung betrachten, wenn auch als das zusammengesetzte Ergebnis von verschiedenen Beweggründen.
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Wenn wir die Beweggründe analysieren, ist es jedoch immer noch zweckmäßig, sie unter gewissen Rubriken einzureihen, deren erste ungefähr mit den Einkommensdepositen und Geschäftsdepositen übereinstimmt und deren zwei letztere jenen der Spardepositen entsprechen. Ich habe diese Motive im dreizehnten Kapitel kurz unter den Bezeichnungen Transaktionsmotiv, das weiter in das Einkommensmotiv und das Geschäftsmotiv unterteilt werden kann, sowie Vorsichtsmotiv und Spekulationsmotiv eingeführt. 1. Das Einkommensmotiv. – Ein Grund für das Halten von Kasse ist die Überbrückung des Zeitraumes zwischen dem Bezug des Einkommens und seiner Ausgabe. Die Stärke dieses Motivs, eine Entscheidung zu veranlassen, eine gegebene Summe Kasse zu halten, wird hauptsächlich vom Betrag des Einkommens und der normalen Länge des Zeitraumes zwischen seinem Bezug und seiner Ausgabe abhängen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff Einkommensgeschwindigkeit des Geldes völlig angemessen. 2. Das Geschäftsmotiv. – Ähnlicherweise wird Kasse für die Überbrückung des Zeitraumes zwischen dem Zeitpunkt gehalten, an dem Geschäftskosten anfallen werden, und dem Zeitpunkt, an dem der Verkaufserlös empfangen wird; Kasse, die von Händlern zur Überbrückung des Zeitraumes zwischen Kauf und Verkauf gehalten wird, ist unter dieser Bezeichnung eingeschlossen. Die Stärke dieser Nachfrage wird hauptsächlich vom Wert der laufenden Produktion (und folglich vom laufenden Einkommen) und von der Zahl der Hände abhängen, durch welche die Produktion geht. 3. Das Vorsichtsmotiv. – Die Vorsorge für unvorhergesehene plötzliche Ausgabe erfordernde Posten und für unvorhergesehene Gelegenheiten zu vorteilhaften Käufen, sowie das Halten eines Vermögensbestandes, dessen Wert in Geld festgesetzt ist, zur Erfüllung einer späteren, in Geld festgesetzten Verbindlichkeit, sind weitere Beweggründe für das Halten von Kasse. Die Stärke dieser drei Arten von Beweggründen wird teilweise von der Billigkeit und der Zuverlässigkeit der Methoden abhängen, mittels derer Kasse, falls benötigt, durch irgendeine Form vorübergehender Kreditaufnahme, insbesondere durch die Überziehung eines Bankkontos oder durch etwas Gleichwertiges, erhältlich ist. Denn es besteht keine Notwendigkeit für das Halten ungenutzter Kasse für die Überbrückung von Zeiträumen, falls Kasse ohne Schwierigkeiten erhältlich ist, wenn sie tatsächlich benötigt wird. Ihre Stärke wird auch von dem abhängen, was wir die relativen Kosten des Haltens von Kasse nennen können. Wenn Kasse nur dadurch gehalten werden kann, daß man sich den
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Kauf eines gewinnbringenden Vermögensbestandes entgehen läßt, vermehren sich die Kosten und wird der Beweggrund des Haltens eines gegebenen Betrages von Kasse geschwächt. Wenn auf (kurzfristige – K. / S.) Einlagen Zinsen gezahlt werden oder wenn durch das Halten von Kasse Bankgebühren vermieden werden, werden die Kosten vermindert und wird der Beweggrund gestärkt. Dies mag jedoch ein untergeordneter Faktor sein, ausgenommen, wenn große Änderungen in den Kosten des Haltens von Kasse eintreten. 4. Es verbleibt das Spekulationsmotiv. – Dieses erfordert eine ausführlichere Untersuchung als die anderen, sowohl wegen seines schwierigeren Verständnisses als auch wegen seiner besonderen Wichtigkeit in der Übermittlung der Wirkungen einer Änderung in der Geldmenge. Unter normalen Verhältnissen ist der für die Befriedigung des Transaktions- und Vorsichtsmotivs erforderliche Betrag hauptsächlich ein Ergebnis des allgemeinen Aktivitätsniveaus der Wirtschaft und des Niveaus des Geldeinkommens. Aber es ist gerade der Einfluß auf das Spekulationsmotiv, durch den die monetäre Steuerung (oder, in der Abwesenheit einer Steuerung, zufällige Änderungen in der Geldmenge) auf das Wirtschaftssystem wirkt. Denn die Nachfrage nach Geld zur Befriedigung der ersteren Beweggründe reagiert im allgemeinen nicht auf solche Einflüsse, mit Ausnahme einer tatsächlichen Änderung im allgemeinen wirtschaftlichen Aktivitätsniveau und im Niveau der Einkommen; dagegen lehrt die Erfahrung, daß die aggregierte Nachfrage nach Geld zur Befriedigung des Spekulationsmotivs gewöhnlich auf allmähliche Änderungen im Zinssatz durchgängig reagiert; das heißt es gibt eine stetige Kurve, die Änderungen in der Nachfrage nach Geld zur Befriedigung des Spekulationsmotivs mit Änderungen im Zinssatz verbindet, wie er durch Änderungen in den Preisen von Wertpapieren und Darlehen verschiedener Fälligkeiten gegeben wird. In der Tat ließen sich, wenn dies nicht so wäre, „Offenmarktoperationen“ gar nicht durchführen. Ich habe gesagt, daß die Erfahrung die oben angeführte ununterbrochene Beziehung anzeigt, weil das Bankensystem unter normalen Umständen in der Tat immer Wertpapiere gegen Kasse kaufen (oder verkaufen) kann, indem es den Marktpreis der Wertpapiere um einen moderaten Betrag hinauf (oder hinunter) treibt; und je größer die Menge von Kasse, die es durch den Kauf (oder Verkauf) von Wertpapieren und Darlehen zu schaffen (oder zu vernichten) sucht, desto größer muß die Senkung (oder das Steigen) des Zinssatzes sein. Wo sich jedoch (wie in den Vereinigten Staaten 1933–1934) Offenmarktoperationen nur auf den Kauf sehr kurzfristi-
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ger Wertpapiere erstrecken, mag sich die Wirkung natürlich vor allem auf den sehr kurzfristigen Zinssatz beschränken und nur wenig Rückwirkungen auf die viel wichtigeren langfristigen Zinssätze haben. Bei der Behandlung des Spekulationsmotivs ist es jedoch wichtig, zwischen den Änderungen im Zinssatz zu unterscheiden, die auf Änderungen im Angebot von zur Befriedigung des Spekulationsmotivs verfügbarem Gelde zurückzuführen sind, ohne daß damit irgendeine Änderung in der Liquiditätsfunktion verbunden war, und jenen, die hauptsächlich auf Änderungen in der Erwartung, welche die Liquiditätsfunktion selbst beeinflussen, zurückzuführen sind. Offenmarktoperationen können in der Tat den Zinssatz durch beide Kanäle beeinflussen; da sie nicht nur die Geldmenge ändern, sondern auch geänderte Erwartungen über die zukünftige Politik der Zentralbank oder der Regierung hervorrufen können. Änderungen in der Liquiditätsfunktion selber, hervorgerufen durch Änderungen in den Nachrichten, die eine Berichtigung von Erwartungen verursachen, werden oft sprunghaft sein und daher eine entsprechende Unstetigkeit der Änderung im Zinssatz hervorrufen. In der Tat, nur wenn die Änderung in den Nachrichten von verschiedenen Individuen verschieden ausgelegt wird oder einzelne Interessen verschieden berührt, wird Raum für eine vermehrte Tätigkeit im Markt für Wertpapiere sein. Wenn die Änderung in den Nachrichten das Urteil und die Bedürfnisse aller in genau der gleichen Weise berührt, wird der Zinssatz (wie er aus den Kursen von Wertpapieren und Darlehen hervorgeht) der neuen Lage sofort und ohne die Notwendigkeit irgendwelcher Markttransaktionen angepaßt werden. Im einfachsten Fall, wenn alle gleich und in der gleichen Lage sind, wird somit eine Änderung in den Umständen oder Erwartungen überhaupt keine Verlagerung von Geld verursachen können; – sie wird lediglich den Zinssatz in jenem Grade ändern, der notwendig ist, um den beim früheren Zinssatz verspürten Wunsch eines jeden Einzelnen auszugleichen, seinen Bestand an Kasse in Übereinstimmung mit den neuen Umständen oder Erwartungen zu ändern; und da alle ihre Anschauung über den Zinssatz ändern werden, der sie veranlassen würde, ihre Bestände an Kasse im gleichen Grad zu ändern, werden keine Transaktionen erfolgen. Jeder Art von Umständen und Erwartungen wird ein geeigneter Zinssatz entsprechen, und es wird nie vorkommen, daß jemand seinen üblichen Kassenbestand ändern wird. Im allgemeinen wird aber eine Änderung in den Umständen oder Erwartungen eine gewisse Umverteilung der Geldbestände Einzelner verursachen; – weil tatsächlich eine Änderung die Anschauungen ver-
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schiedener Individuen verschieden beeinflussen wird, teilweise wegen Unterschieden in den Umständen und den Zwecken, für die Geld gehalten wird, und teilweise wegen Unterschieden in der Kenntnis und Auslegung der neuen Lage. Der neue Gleichgewichtszinssatz wird somit mit einer Umverteilung der Geldbestände verbunden sein. Dennoch ist es eher die Änderung im Zinssatz als die Umverteilung der Kasse, die unsere Hauptaufmerksamkeit verdient. Die letztere ist mit individuellen Unterschieden verbunden, während das wesentliche Phänomen jenes ist, das im einfachsten Fall vorkommt. Überdies ist selbst im allgemeinen Fall die Verschiebung im Zinssatz gewöhnlich der hervorstechendste Teil der Rückwirkung einer Änderung in den Nachrichten. Die Bewegung in den Kursen der Wertpapiere steht, wie die Zeitungen zu sagen pflegen, „in keinem Verhältnis zu den Marktoperationen“; was angesichts der Tatsache, daß die Individuen in ihrer Reaktion auf Nachrichten sich viel mehr ähnlich als unähnlich verhalten, so ist, wie es sein sollte.
II. Während der Geldbetrag, den ein Individuum sich zur Befriedigung des Transaktions- und Vorsichtsmotivs zu halten entschließt, nicht völlig unabhängig vom Betrag ist, den er zur Befriedigung des Spekulationsmotivs hält, ist es eine zulässige erste Annäherung, die Beträge dieser zwei Arten von Kassenbeständen als weitgehend unabhängig voneinander zu betrachten. Wir wollen daher für die Zwecke unserer weiteren Analyse unser Problem in dieser Weise aufgliedern. Es sei M1 der Betrag von Kasse, der zur Befriedigung des Transaktions- und Vorsichtsmotivs gehalten wird, und M2 der Betrag, der zur Befriedigung des Spekulationsmotivs gehalten wird. In Übereinstimmung mit diesen zwei Teilmengen von Kasse haben wir dann zwei Funktionen der Liquidität L1 und L2 . L1 hängt hauptsächlich vom Niveau des Einkommens ab, während L2 hauptsächlich von der Beziehung zwischen dem laufenden Zinssatz und dem Stand der Erwartung abhängt. Somit ist M M1 M2 L1
Y L2
r ; 200
wobei L1 die Liquiditätsfunktion ist, die einem Einkommen Y entspricht, das M1 bestimmt, und L2 die Liquiditätssfunktion des Zinssatzes r, der M2 bestimmt. Daraus folgt, daß drei Gegenstände untersucht werden müssen: 1. die Beziehung von Änderungen in M zu Y und r, 2. die Umstände, welche die Form von L1 bestimmen, 3. die Umstände, welche die Form von L2 bestimmen.
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1. Das Verhältnis von Änderungen in M zu jenen von Y und r hängt in erster Linie von der Art ab, in der Änderungen in M hervorgerufen werden. Nehmen wir an, daß M aus Goldmünzen bestehe, und daß Änderungen in M sich nur aus vermehrten Erträgen von Goldgräbern ergeben können, die der betrachteten Wirtschaft angehören. In diesem Fall sind Änderungen in M in erster Linie unmittelbar mit Änderungen in Y verbunden, weil das neue Gold bei irgendwem zu Einkommen wird. Genau die gleichen Bedingungen gelten, wenn Änderungen in M auf das Drucken von Papiergeld durch die Regierung zur Bestreitung ihrer laufenden Ausgaben zurückzuführen sind; – auch in diesem Fall wird das neue Geld bei jemandem zu Einkommen. Das neue Niveau des Einkommens wird jedoch nicht so hoch bleiben, daß der Bedarf an M1 die ganze Zunahme in M absorbieren wird; und ein Teil des Geldes wird eine Verwendung im Kauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten suchen, bis r genug gesunken ist, um eine Zunahme in M2 hervorzurufen und gleichzeitig eine Erhöhung in Y in einem solchen Grad anzuregen, daß das neue Geld entweder durch M2 absorbiert wird oder durch M1 , das der durch die Senkung in r verursachten Erhöhung in Y entspricht. Beinahe wird dieser Fall somit auf das gleiche herauskommen wie der alternative Fall, in dem das neue Geld im ersten Schritt nur durch eine Lockerung der Kreditbedingungen seitens des Bankensystems geschaffen werden kann, so daß jemand veranlaßt wird, bei den Banken ein Darlehen aufzunehmen oder ein Wertpapier gegen die neue Kasse zu verkaufen. Wir werden daher nicht fehlgehen, wenn wir den letzten Fall als typisch annehmen. Es kann angenommen werden, daß eine Änderung in M durch eine Änderung in r herbeigeführt wird, und eine Änderung in r wird zu einem neuen Gleichgewicht führen, teilweise durch eine Änderung von M2 und teilweise durch eine Änderung von Y und folglich von M1 . Die Verteilung des Zuwachses von Kasse zwischen M1 und M2 in der neuen Gleichgewichtslage wird davon abhängen, wie die Investitionen auf eine Senkung des Zinssatzes und das Einkommen auf eine Vermehrung in den Investitionen reagieren1. Da Y teilweise von r abhängt, folgt, daß eine gegebene Änderung in M eine Änderung in r verursachen muß, die genügt, daß die sich ergebenden Änderungen in M1 und M2 sich zusammen auf die gegebene Änderung in M belaufen werden. 2. Es wird nicht immer klar gemacht, ob die Einkommensgeschwindigkeit des Geldes als das Verhältnis zwischen Y und M oder als 1 Wir müssen die Frage, was das Wesen des neuen Gleichgewichtes bestimmen wird, bis zum fünften Buch aufschieben.
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das Verhältnis zwischen Y und M1 definiert wird. Ich beabsichtige jedoch, die Definition im letzteren Sinne anzuwenden. Wenn somit V die Einkommensgeschwindigkeit des Geldes ist, so ist Y L1
Y M1 : V Es besteht natürlich kein Grund, anzunehmen, daß V konstant sei. Ihr Wert wird von dem Aufbau der Banken und der Industrie abhängen, von gesellschaftlichen Gewohnheiten, von der Verteilung des Einkommens zwischen verschiedenen Klassen und von den tatsächlichen Kosten des Haltens von ungenutzter Kasse. Dennoch können wir, wenn wir eine kurze Sicht im Auge haben und mit Sicherheit annehmen können, daß keine wesentliche Änderung in irgendeinem dieser Faktoren eintreten wird, V als fast hinreichend konstant behandeln. 3. Schließlich besteht die Frage der Beziehung zwischen M2 und r. Wir haben im dreizehnten Kapitel gesehen, daß die Unsicherheit über den zukünftigen Verlauf des Zinssatzes die einzige verständliche Erklärung der Art der Liquiditätspräferenz L2 ist, die zum Halten der Kasse M2 führt. Daraus folgt, daß eine gegebene Menge M2 keine bestimmte Mengenbeziehung zu einem gegebenen Zinssatz r haben wird; – worauf es ankommt, ist nicht das absolute Niveau von r, sondern der Grad seiner Abweichung von dem, was als ziemlich sicheres Niveau von r betrachtet wird, unter Berücksichtigung jener Berechnungen der Wahrscheinlichkeit, auf die man sich verläßt. Trotzdem gibt es zwei Gründe, warum man erwarten kann, daß bei einem gegebenen Stand der Erwartung eine Senkung von r mit einer Zunahme in M2 verbunden sein wird. Erstens vermindert bei einer unveränderten allgemeinen Anschauung über das, was ein sicheres Niveau von r ist, jede Senkung von r den Marktsatz im Verhältnis zum „sicheren“ Satz und vermehrt daher das Risiko, das mit der Aufgabe von Liquidität verbunden ist; und zweitens vermindert jede Senkung von r die laufenden Entgelte für die Aufgabe von Liquidität, die als eine Art Versicherungsprämie zum Ausgleich für das Kursverlustrisiko vorhanden sind, um einen Betrag, der gleich der Differenz zwischen den Quadraten des alten und des neuen Zinssatzes ist. Wenn zum Beispiel der Zinssatz für ein langfristiges Darlehen 4 % ist, wird es besser sein, auf Liquidität zu verzichten, sofern nicht auf Grund einer Abwägung von Wahrscheinlichkeiten befürchtet wird, daß der langfristige Zinssatz rascher als um 4 % seiner selbst im Jahr steigen könnte, das heißt um einen Betrag, der größer als 0,16 % im Jahr ist. Wenn aber der Zinssatz bereits auf dem niedrigen Stand von 2 % ist, wird der laufende Ertrag lediglich eine Steigerung des Zinssatzes von nur 0,04 % im Jahr ausgleichen. Dies ist in der Tat vielleicht das Haupthindernis gegen eine Senkung
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des Zinssatzes auf ein sehr niedriges Niveau. Sofern nicht angenommen wird, daß Gründe für eine große Abweichung der zukünftigen Erfahrung von der vergangenen bestehen, läßt ein langfristiger Zinssatz von sagen wir 2 % mehr zu fürchten als zu hoffen und bietet gleichzeitig einen laufenden Ertrag, der gerade nur genügt, um ein sehr geringes Maß an Furcht auszugleichen. Es ist somit klar, daß der Zinssatz eine in hohem Grad psychologische Erscheinung ist. Wir werden in der Tat im fünften Buch finden, daß er nicht im Gleichgewicht sein kann auf einem Niveau unter dem Satz, der der Vollbeschäftigung entspricht; weil auf einem solchen Niveau ein Zustand wahrer Inflation erzeugt werden wird, mit der Folge, daß M1 ständig zunehmende Mengen von Kasse absorbieren wird. Auf einem Niveau über dem Satz, der mit Vollbeschäftigung übereinstimmt, wird der langfristige Marktzinssatz sich aber nicht nur auf die laufende Politik der Währungsbehörde, sondern auch auf die Markterwartungen ihrer zukünftigen Politik stützen. Der kurzfristige Zinssatz kann leicht durch die Währungsbehörde beherrscht werden, sowohl, weil es nicht schwierig ist, eine Überzeugung zu schaffen, daß ihre Politik sich in der nahen Zukunft nicht stark ändern wird, als auch, weil der etwaige Verlust im Vergleich mit dem laufenden Ertrag klein ist (sofern er nicht gegen Null strebt). Der langfristige Zinssatz mag aber widerspenstiger sein, wenn er einmal auf ein Niveau gefallen ist, das auf Grund der vergangenen Erfahrungen und der gegenwärtigen Erwartungen in bezug auf die zukünftige Geldpolitik von der repräsentativen Meinung als „unsicher“ betrachtet wird. In einem Land zum Beispiel, das mit einem internationalen Goldstandard verbunden ist, wird ein Zinssatz, der niedriger ist als anderswo, mit einem berechtigten Mangel an Vertrauen betrachtet werden; und doch mag ein inländischer Zinssatz, der auf eine Parität mit dem höchsten Zinssatz (höchsten unter Berücksichtigung des Risikos), der in irgendeinem dem internationalen System angehörigen Land besteht, gehoben wird, viel höher sein, als mit inländischer Vollbeschäftigung vereinbar ist. Eine Geldpolitik, die der öffentlichen Meinung als experimentierfreudig oder als leicht veränderlich erscheint, kann somit ihr Ziel einer starken Senkung des langfristigen Zinssatzes verfehlen, weil M2 dazu tendieren kann, als Folge einer Senkung von r unter einen gewissen Betrag beinahe ohne Grenze anzusteigen. Die gleiche Politik kann sich andererseits leicht erfolgreich erweisen, wenn die öffentliche Meinung findet, daß sie verständig, durchführbar und im öffentlichen Interesse ist, in starker Überzeugung wurzelt und von einer Behörde unternommen wird, deren Ablösung unwahrscheinlich ist.
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Es wäre vielleicht genauer zu sagen, daß der Zinssatz eher eine höchst konventionelle als eine höchst psychologische Erscheinung ist; denn sein tatsächlicher Wert wird zum großen Teil durch die bestehende Anschauung über seinen erwarteten zukünftigen Wert beherrscht. Jedes Zinsniveau, das mit genügender Überzeugung als voraussichtlich beständig angenommen wird, wird beständig sein, mit der Einschränkung natürlich, daß der Zinssatz in einer sich ändernden Gesellschaft, aus verschiedenen Gründen, Schwankungen um den erwarteten Normalsatz unterworfen ist. Insbesondere wird, wenn Ml rascher als M zunimmt, der Zinssatz steigen, und vice versa. Aber er kann für Jahrzehnte um ein Niveau schwanken, das chronisch zu hoch für Vollbeschäftigung ist; – besonders, wenn die Meinung vorherrscht, daß der Zinssatz sich selbst anpaßt, so daß das durch Konvention geschaffene Niveau als auf sachlichen Gründen, die viel stärker als Konvention sind, beruhend angesehen wird, und das Scheitern der Beschäftigung, ein Optimum zu erreichen, in den Gedanken der Bevölkerung oder der Regierungsbehörden in keiner Weise mit dem Vorherrschen einer unangemessenen Spanne von Zinssätzen verbunden wird. Die Schwierigkeiten für die Aufrechterhaltung der effektiven Nachfrage auf einem für die Schaffung von Vollbeschäftigung genügend hohem Niveau, die sich aus der Verbindung eines konventionellen und ziemlich beständigen langfristigen Zinssatzes mit einer unzuverlässigen und höchst unbeständigen Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ergeben, sollten dem Leser jetzt offensichtlich sein. Solch ein Trost, wie wir ihn aus ermutigenderen Erwägungen billigerweise ziehen können, muß aus der Hoffnung abgeleitet werden, daß die Konvention, gerade weil sie nicht auf sicherer Kenntnis beruht, einem bescheidenen Maß an Beharrlichkeit und Zielkonstanz seitens der Währungsbehörde nicht immer übermäßig stark widerstehen wird. Die öffentliche Meinung kann ziemlich rasch an eine mäßige Senkung im Zinssatz gewöhnt werden, und die konventionelle Erwartung über die Zukunft mag entsprechend geändert werden, womit – bis zu einem Punkt – der Weg für einen weiteren Zinsschritt gebahnt werden kann. Das Sinken des langfristigen Zinssatzes in Großbritannien nach seinem Verlassen des Goldstandards bietet ein beachtenswertes Beispiel hierfür; – die Hauptbewegungen wurden durch eine Reihe diskontinuierlicher Sprünge vollbracht, die vorgenommen wurden, wenn die Bevölkerung sich an die vorausgegangene Senkung gewöhnt hatte und ihre Liquiditätsfunktion daher bereit war, auf einen neuen Anreiz in den Nachrichten oder in der Politik der Regierungsbehörden zu reagieren.
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III. Wir können das Obige in den Satz zusammenfassen, daß bei einem gegebenen Stand der Erwartung in der Meinung der Bevölkerung eine gewisse Bereitschaft zum Besitz von Kasse besteht, über die Menge hinaus, die für das Transaktions- oder das Vorsichtsmotiv erforderlich ist und die sich zu tatsächlichen Kassenbeständen in einem Grad verwirklichen wird, der von den Bedingungen abhängt, zu denen die Währungsbehörde gewillt ist, Geld zu schaffen. Es ist diese Bereitschaft, die in der Funktion der Liquidität L2 zusammengefaßt ist. In Übereinstimmung mit der durch die Währungsbehörde geschaffenen Geldmenge wird es daher, unter sonst gleichen Bedingungen, einen bestimmten Zinssatz, oder genauer, einen bestimmten Komplex von Zinssätzen für Darlehen verschiedener Fälligkeiten geben. Das gleiche würde aber für jeden anderen Faktor in der Wirtschaft, für sich genommen, zutreffen. Diese besondere Analyse wird somit nur in dem Ausmaß nützlich und bedeutungsvoll sein, in dem eine unmittelbare oder absichtliche Beziehung zwischen Änderungen in der Geldmenge und Änderungen im Zinssatz besteht. Unser Grund für die Annahme, daß eine solche besondere Verbindung besteht, ergibt sich aus der Tatsache, daß, allgemein gesprochen, das Bankensystem und die Währungsbehörde mit Geld und Finanzanlagen handeln und nicht mit Vermögensgegenständen und Verbrauchsgütern. Wenn die Währungsbehörde bereit wäre, mit Finanzanlagen aller Fälligkeiten zu festgesetzten Bedingungen in beiden Richtungen zu handeln, und noch mehr, wenn sie bereit wäre, mit Finanzanlagen von verschiedenen Risikoklassen zu handeln, würde die Beziehung zwischen dem Komplex der Zinssätze und der Geldmenge unmittelbar sein. Der Komplex der Zinssätze wäre einfach ein Ausdruck der Bedingungen, zu denen das Bankensystem bereit ist, Finanzanlagen zu kaufen oder zu verkaufen; und die Geldmenge wäre der Betrag, der einen Unterschlupf im Besitz der Individuen finden kann, die – nachdem sie alle maßgebenden Umstände in Betracht gezogen haben – die Verfügung über liquide Kasse ihrer Aufgabe gegen eine Finanzanlage zu den vom Marktzinssatz angezeigten Bedingungen vorziehen. Ein umfassendes Angebot durch die Zentralbank, zu festgesetzten Preisen erstklassige Wertpapiere aller Fälligkeiten zu kaufen und zu verkaufen an Stelle eines einzigen Diskontsatzes für kurzfristige Wechsel, ist vielleicht die wichtigste praktische Verbesserung, die in der Technik der monetären Steuerung gemacht werden kann. In der Praxis aber schwankt heute in verschiedenen Systemen der Grad, in welchem der durch das Bankensystem festgesetzte Preis von
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Finanzanlagen im Markt „wirksam“ ist, in dem Sinne, daß er den tatsächlichen Marktpreis beherrscht. Manchmal ist der Preis mehr in einer Richtung als in der anderen wirksam; das heißt das Bankensystem mag sich darauf einlassen, zu einem gewissen Preis Finanzanlagen zu kaufen, aber nicht notwendigerweise sie zu einem Preis zu verkaufen, der genügend in der Nähe des Kaufpreises liegt, um nicht mehr als einen Händlerverdienst übrig zu lassen, obschon kein Grund besteht, warum der Preis nicht mittels Offenmarktoperationen in beiden Richtungen wirksam gemacht werden sollte. Es besteht ferner die noch wichtigere Einschränkung, die sich daraus ergibt, daß die Währungsbehörde in der Regel nicht gleich bereitwillig mit Finanzanlagen aller Fälligkeiten handeln wird. Die Währungsbehörde neigt in Wirklichkeit oft dazu, sich auf kurzfristige Finanzanlagen zu beschränken und den Preis langfristiger Finanzanlagen dem Einfluß verspäteter und unvollkommener Rückwirkungen des Preises der kurzfristigen Finanzanlagen zu überlassen; – obschon auch hier wiederum kein Grund besteht, warum sie dies tun müßte. Wo diese Einschränkungen gelten, wird die Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen dem Zinssatz und der Geldmenge entsprechend abgeändert. In Großbritannien scheint sich das Gebiet bewußter Kontrolle zu erweitern. Bei der Anwendung dieser Theorie müssen in jedem einzelnen Fall die besonderen Merkmale der von der Währungsbehörde tatsächlich angewandten Methode berücksichtigt werden. Wenn die Währungsbehörde nur in kurzfristigen Papieren handelt, müssen wir berücksichtigen, welchen Einfluß der Preis, der wirkliche und der voraussichtliche, von kurzfristigen Papieren auf langfristigere Papiere ausübt. Der Fähigkeit der Währungsbehörde, einen gegebenen Komplex von Geldsätzen für Finanzanlagen verschiedener Fristen und Risiken festzusetzen, sind somit gewisse Grenzen gezogen, die wie folgt zusammengefaßt werden können: 1. Es gibt jene Begrenzungen, die sich aus den eigenen Gebräuchen der Währungsbehörde ergeben, durch die sie ihre Bereitwilligkeit zum Handeln auf Finanzanlagen einer bestimmten Art beschränkt. 2. Es besteht die Möglichkeit, aus den oben erörterten Gründen, daß, nachdem der Zinssatz auf ein gewisses Niveau gefallen ist, die Liquiditätspräferenz sozusagen absolut werden kann in dem Sinne, daß fast jedermann Kasse dem Besitz einer Finanzanlage zu einem so niedrigen Zinssatz vorzieht. In diesem Fall hätte die Währungsbehörde die wirksame Kontrolle über den Zinssatz verloren. Während aber dieser Grenzfall in der Zukunft praktisch wichtig werden könnte, ist mir bisher kein Beispiel dafür bekannt. In der Tat gab es wegen der Unwilligkeit der meisten Währungsbehörden, kühn mit langfristigen Finanzanlagen zu
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handeln, nicht viel Gelegenheit für einen Test. Ferner, wenn eine solche Lage entstehen sollte, würde dies bedeuten, daß die öffentlichen Körperschaften selbst durch das Bankensystem unbegrenzt zu einem nominalen Zinssatz borgen könnten. 3. Die hervorstechendsten Beispiele eines vollständigen Zusammenbruches der Stabilität des Zinssatzes, als Folge eines Abflachens der Liquiditätsfunktion in der einen oder der anderen Richtung, sind unter sehr anormalen Umständen vorgekommen. In Rußland und Zentraleuropa erlebte man nach dem Krieg eine Währungskrise oder Flucht aus der Währung, während der niemand veranlaßt werden konnte, Geld oder Finanzanlagen zu irgendwelchen Bedingungen zu halten, und während der selbst ein hoher und steigender Zinssatz unter dem Einfluß der Erwartung einer noch größeren Senkung des Geldwertes nicht mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (besonders von Beständen an liquiden Gütern) Schritt halten konnte. Dagegen gab es in den Vereinigten Staaten zu gewissen Zeitpunkten im Jahre 1932 eine Krise der entgegengesetzten Art – eine Finanz- oder Liquiditätskrise, während der kaum irgend jemand veranlaßt werden konnte, den Besitz von Geld zu irgendwelchen vernünftigen Bedingungen aufzugeben. 4. Schließlich basiert die in Absatz IV des elften Kapitels, S. 122, erörterte Schwierigkeit, den effektiven Zinssatz unter einen gewissen Betrag zu bringen, was sich in einem Zeitabschnitt niedriger Zinssätze als wichtig erweisen mag, auf den Transaktionskosten für das Zusammenbringen des Entleihers und des endgültigen Verleihers und auf der Risikoprämie für besonders moralisches Risiko, die der Verleiher über den reinen Zinssatz hinaus verlangt. Wenn der reine Zinssatz abnimmt, folgt nicht, daß die Prämien für Auslagen und Risiko im gleichen Schritt abnehmen. Der Zinssatz, der von einem durchschnittlichen Entleiher gezahlt werden muß, kann somit langsamer als der reine Zinssatz abnehmen und mag durch die Methoden des bestehenden Banken- und Finanzwesens überhaupt nicht unter einen gewissen Mindeststand zu bringen sein. Dies ist besonders wichtig, wenn das moralische Risiko als erheblich eingeschätzt wird. Denn wo das Risiko auf innere Zweifel des Verleihers über die Ehrlichkeit des Entleihers zurückzuführen ist, gibt es nichts für einen Entleiher, der nicht beabsichtigt, unehrlich zu sein, was die sich ergebende höhere Forderung kompensieren könnte. Es ist auch im Fall von kurzfristigen Anleihen (zum Beispiel Bankanleihen) wichtig, bei denen die Kosten hoch sind; – eine Bank mag ihren Kunden 1,5 – 2 % zu belasten haben, selbst wenn der reine Zinssatz für den Verleiher Null ist.
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Auf Kosten der Vorwegnahme dessen, was eigentlich mehr der Gegenstand des einundzwanzigsten Kapitels ist, mag es interessant sein, an dieser Stelle kurz die Beziehung des Obigen zur Quantitätstheorie des Geldes anzugeben. In einer statischen Gesellschaft oder in einer Gesellschaft, in der aus irgendeinem anderen Grund niemand irgendwelche Unsicherheit über die zukünftigen Zinssätze hegt, wird die Liquiditätsfunktion L2 oder der Hang zu Horten (wie wir sie nennen mögen) im Gleichgewicht immer Null sein. Im Gleichgewicht ist folglich M2 0 und M M1, so daß jede Änderung in M den Zinssatz veranlassen wird, zu schwanken, bis das Einkommen ein Niveau erreicht, auf dem die Änderung in M1 gleich der angenommenen Änderung in M ist. Nun ist M1 V Y , wobei V die Einkommensgeschwindigkeit des Geldes, wie oben definiert, und Y das gesamte Einkommen ist. Wenn es praktikabel ist, die Menge, O, und das Preisniveau, P, der laufenden Produktion zu messen, so haben wir Y OP, und daher MV OP, was ziemlich genau das gleiche wie die Quantitätstheorie des Geldes in ihrer überlieferten Form ist2. Für die Zwecke der wirklichen Welt ist es ein großer Fehler der Quantitätstheorie, daß sie nicht zwischen Änderungen in den Preisen unterscheidet, die eine Funktion von Änderungen in der Produktion sind, und jenen, die eine Funktion von Änderungen in der Lohneinheit sind3. Die Erklärung für diese Unterlassung ist vielleicht in den Voraussetzungen zu finden, daß es keine Neigung zum Horten gibt und daß immer Vollbeschäftigung besteht. In diesem Fall folgt nämlich, weil O konstant und M2 Null ist, daß, wenn wir V auch als konstant annehmen können, sowohl die Lohneinheit als auch das Preisniveau direkt proportional zur Geldmenge sein werden.
2 Wenn wir V nicht als Y =M1 , sondern als Y =M definiert hätten, wäre die Quantitätstheorie natürlich ein Truismus, unter allen Umständen gültig, allerdings ohne Bedeutung. 3 Dieser Punkt wird im 21. Kap. weiterentwickelt werden.
Sechzehntes Kapitel
Verschiedene Bemerkungen über das Wesen des Kapitals I. Ein Akt individueller Ersparnis bedeutet sozusagen einen Entschluß, heute kein Abendessen zu haben. Aber er erfordert keinen Entschluß, nach einer Woche oder einem Jahr ein Abendessen zu haben oder ein Paar Schuhe zu kaufen oder irgendeine bestimmte Sache an irgendeinem bestimmten Zeitpunkt zu verbrauchen. Er verschlechtert somit das Geschäft, heute ein Abendessen zuzubereiten, ohne das Geschäft der Vorsorge für einen zukünftigen Verbrauchsakt anzuregen. Er ist kein Ersatz in der Form einer zukünftigen Verbrauchsnachfrage für die verminderte gegenwärtige Verbrauchsnachfrage, – er stellt eine Nettoverminderung dieser Nachfrage dar. Überdies stützt sich die Erwartung zukünftigen Verbrauches so stark auf die laufende Erfahrung gegenwärtigen Verbrauches, daß eine Verminderung des letzteren voraussichtlich die erstere vermindern wird, mit der Folge, daß der Akt der Ersparnis nicht nur den Preis der Verbrauchsgüter vermindern und die Grenzleistungsfähigkeit des bestehenden Kapitals unberührt lassen wird, sondern tatsächlich dazu tendieren kann, auch diese zu vermindern. In diesem Fall kann er sowohl die gegenwärtige Investitionsnachfrage wie auch die gegenwärtige Verbrauchsnachfrage vermindern. Wenn Ersparnis nicht nur im Verzicht auf gegenwärtigen Verbrauch, sondern in der gleichzeitigen Erteilung eines bestimmten Auftrages für zukünftigen Verbrauch bestehen würde, könnte die Wirkung in der Tat anders sein. Denn in diesem Fall würde sich die Erwartung irgendeines zukünftigen Ertrages aus Investitionen bessern, und die von der Herstellung des gegenwärtigen Verbrauches freigestellten Ressourcen könnten der Herstellung des zukünftigen Verbrauches zugewandt werden. Die Zuwendung braucht selbst in diesem Fall nicht notwendigerweise gleich dem Betrag der freigestellten Ressourcen zu sein; denn die gewünschte Länge des Aufschubes könnte so umständliche „Produktionswege“ erfordern, daß ihre Leistungsfähigkeit deutlich unter dem laufenden Zinssatz liegen würde; mit der Folge, daß sich die günstige Wirkung der Vorbestellung für einen späteren Verbrauch auf die Beschäftigung nicht sofort, sondern an einem späteren Zeitpunkt auswirken würde, so daß die sofortige Wirkung der Ersparnis für die Beschäftigung immer noch ungünstig bliebe. Auf jeden Fall bedingt aber eine individuelle Entscheidung, zu sparen, in Wirklichkeit keine Erteilung eines be-
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stimmten Auftrages für zukünftigen Verbrauch, sondern lediglich die Aufhebung eines gegenwärtigen Auftrages. Da die Erwartung des Verbrauches der einzige Daseinsgrund der Beschäftigung ist, sollte somit die Folgerung, daß eine verminderte Konsumneigung unter sonst gleichen Bedingungen eine schädliche Wirkung auf die Beschäftigung hat, kein Paradoxon enthalten. Die Schwierigkeit beruht darauf, daß der Akt der Ersparnis nicht eine Substitution von gegenwärtigem Verbrauch durch einen spezifischen zusätzlichen Verbrauch bedeutet, der zu seiner Herstellung gerade so viel sofortige wirtschaftliche Tätigkeit erfordert, wie ein gegenwärtiger Verbrauch erfordert hätte; vielmehr bedeutet er ein Verlangen nach „Reichtum„ in Höhe der ersparten Summe an sich, das heißt nach der Möglichkeit des Verbrauches eines unbestimmten Gegenstandes zu einer unbestimmten Zeit. Die widersinnige, obschon fast über die ganze Welt verbreitete Anschauung, daß ein Akt individueller Ersparnis für die effektive Nachfrage ebensogut ist wie ein Akt des individuellen Verbrauches, ist durch den Trugschluß genährt worden, der viel trügerischer ist als die von ihm abgeleitete Folgerung. Dies ist der Trugschluß, daß ein vermehrtes Verlangen nach dem Besitz von Reichtum, da dies ziemlich genau das gleiche wie ein vermehrtes Verlangen nach dem Besitz von Investitionen sei, durch die Vermehrung der Nachfrage nach Investitionen eine Anregung für deren Erzeugung schaffen muß; daher würden die laufenden Investitionen durch die Ersparnis der Einzelnen im gleichen Maß gefördert, wie der gegenwärtige Verbrauch vermindert werde. Aus der Verstrickung gerade in diesen Trugschluß ist der menschliche Geist sehr schwer zu befreien. Er kommt aus dem Glauben, daß der Besitzer von Reichtum einen Kapitalwert als solchen haben will, während das, was er wirklich haben will, dessen voraussichtlicher Ertrag ist. Nun hängt aber der voraussichtliche Ertrag vollständig von der Erwartung der zukünftigen effektiven Nachfrage im Verhältnis zu den zukünftigen Bedingungen des Angebotes ab. Wenn daher ein Akt der Ersparnis nichts tut, um den voraussichtlichen Ertrag zu verbessern, tut er nichts, um die Investition anzuregen. Überdies, damit ein individueller Sparer das erwünschte Ziel des Besitzes von Reichtum verwirklichen kann, braucht kein neues Kapitalgut erzeugt zu werden, um ihn zu befriedigen. Da der bloße Akt der Ersparnis eines Einzelnen, wie oben gezeigt, zweiseitig ist, zwingt er irgendeinen anderen Einzelnen, ihm irgendeinen alten oder neuen Vermögensgegenstand zu übertragen. Jeder Akt der Ersparnis bedingt eine „erzwungene“ unvermeidliche Übertragung von Vermögen auf den Sparer, obschon dieser wiederum unter den Ersparnissen anderer leiden mag. Diese Übertragungen
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von Vermögen erfordern keine Schaffung neuen Vermögens – sie mögen dafür in der Tat geradezu schädlich sein, wie wir gesehen haben. Die Schaffung neuen Vermögens hängt vollständig davon ab, ob der voraussichtliche Ertrag des neuen Vermögens den Standard erreicht, der durch den laufenden Zinssatz gesetzt wird. Der voraussichtliche Ertrag der neuen Grenzinvestition wird nicht vermehrt durch die Tatsache, daß jemand sein Vermögen vergrößern will, da sich der voraussichtliche Ertrag der marginalen neuen Investition auf die Erwartung einer Nachfrage für einen bestimmten Gegenstand zu einem bestimmten Zeitpunkt stützt. Wir können diese Folgerung auch nicht durch die Argumentation vermeiden, daß das, was der Besitzer von Vermögen haben will, nicht ein gegebener voraussichtlicher Ertrag, sondern der beste verfügbare voraussichtliche Ertrag ist, so daß ein vermehrtes Verlangen nach dem Besitz von Vermögen den voraussichtlichen Ertrag vermindert, mit dem sich die Erzeuger der neuen Investition zu begnügen haben. Denn dies übersieht die Tatsache, daß es immer eine Alternative zum Besitz von Sachkapitalgütern gibt, nämlich den Besitz von Geld und Wertpapieren; so daß der voraussichtliche Ertrag, mit welchem sich die Erzeuger der neuen Investition zu begnügen haben, nicht unter den Standard fallen kann, der durch den laufenden Zinssatz gesetzt wird. Und der laufende Zinssatz stützt sich, wie wir gesehen haben, nicht auf die Stärke des Verlangens nach dem Besitz von Vermögen, sondern auf die Stärke der Verlangen, es in liquider oder in illiquider Form zu halten, verbunden mit dem Betrag des Angebotes von Vermögen in der einen Form im Verhältnis zu seinem Angebot in der anderen Form. Wenn der Leser immer noch verwirrt ist, möge er sich fragen, warum, da die Geldmenge unverändert ist, ein neuer Akt der Ersparnis die Summe vermindern sollte, die zum bestehenden Zinssatz in flüssiger Form zu halten gewünscht wird. Gewisse tiefere Verwirrungen, die sich ergeben mögen, wenn wir versuchen, uns noch mehr in das Warum und Weshalb zu vertiefen, werden im nächsten Kapitel betrachtet werden.
II. Es ist viel zweckmäßiger zu sagen, daß das Kapital während seines ganzen Bestandes einen seine ursprünglichen Kosten übersteigenden Ertrag hat, als es produktiv zu nennen. Denn der einzige Grund, warum ein Vermögenswert eine Aussicht bietet, während seines Bestandes Dienste von einem größeren Gesamtwert als dem ursprünglichen Angebotspreis zu leisten, ist seine Knappheit; und er wird knapp gehalten
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durch den Wettbewerb mit dem Zinssatz für Geld. Wird das Kapital weniger knapp, so vermindert sich der überschüssige Ertrag, ohne daß es wenigstens im physischen Sinn weniger produktiv geworden ist. Ich neige daher zu der vorklassischen Lehre, daß alles durch Arbeit erzeugt wird; unterstützt durch das, was man früher Kunst zu nennen pflegte und jetzt Technik genannt wird; sowie durch natürliche Ressourcen, die frei sind oder je nach ihrer Knappheit oder ihrem Überfluß eine Rente kosten, und durch die Ergebnisse vergangener, in den Vermögenswerten verkörperter Arbeit, die ebenfalls gemäß ihrer Knappheit oder ihrem Überfluß einen Preis bedingen. Es ist vorzuziehen, die Arbeit, natürlich einschließlich der persönlichen Dienstleistungen des Unternehmers und seiner Gehilfen, als den einzigen Produktionsfaktor, wirkend in einer gegebenen Umwelt von Technik, natürlichen Ressourcen, Kapitalausrüstung und Nachfrage, zu betrachten. Dies erklärt teilweise, warum wir die Arbeitseinheit als die einzige physische Einheit nehmen konnten, die wir, abgesehen von Einheiten des Geldes und der Zeit, in unserem Wirtschaftssystem benötigen. Es stimmt, daß einige langwierige oder mit Produktionsumwegen verbundene Verfahren physisch leistungsfähig sind; aber das sind auch einige kurze Verfahren. Langwierige Verfahren sind nicht physisch leistungsfähig, weil sie lang sind. Einige und vielleicht die meisten langwierigen Verfahren wären physisch sehr leistungsunfähig; denn es gibt so etwas wie Verderben oder Schwund im Zeitablauf1. Bei einer gegebenen Arbeitsbevölkerung ist der Arbeitsmenge, die in Produktionsumwegen vorteilhaft verwendet werden kann, eine klare Grenze gesetzt. Von anderen Erwägungen abgesehen, muß ein angemessenes Verhältnis zwischen der Arbeitsmenge, die für die Erstellung von Maschinen, und der Menge, die bei ihrer Benutzung beschäftigt wird, bestehen. Die endgültige Größe des Wertes wird, wenn die verwendeten Verfahren mit neuen größeren Produktionsumwegen verbunden werden, nicht unendlich zunehmen im Verhältnis zur beschäftigten Arbeitsmenge, selbst dann nicht, wenn deren physische Leistungsfähigkeit immer noch zunimmt. Nur wenn das Verlangen, den Verbrauch aufzuschieben, stark genug wäre, um eine Lage zu erzeugen, in der die Vollbeschäftigung eine so große Menge an Investitionen erfordern würde, daß diese eine negative Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals nach sich zögen, würde ein Vorgang – lediglich wegen seiner Langwierigkeit – vorteilhaft werden; in diesem Fall sollten wir physisch ineffiziente Verfahren anwenden, sofern sie langwierig genug wären, damit der Vorteil des Aufschubs ihre Ineffizienz ausgleichen würde. Wir sollten in der Tat eine 1
Vgl. die Anmerkung von Marshall über Böhm-Bawerk, Principles S. 583.
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Lage haben, in der kurze Verfahren knapp genug gehalten werden müßten, damit ihre physische Leistungsfähigkeit den Nachteil der frühen Ablieferung ihres Erzeugnisses überwiegen würde. Eine richtige Theorie muß daher umkehrbar sein, um die Fälle einzuschließen, in denen die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals entweder mit einem positiven oder mit einem negativen Zinssatz übereinstimmt; und es ist meiner Ansicht nach nur die oben angeführte Theorie der Knappheit, die dies vollbringen kann. Es bestehen überdies die verschiedensten Gründe, warum verschiedene Arten von Diensten und Einrichtungen knapp und daher im Verhältnis zur eingesetzten Arbeitsmenge kostspielig sind. Übelriechende Prozesse bedingen zum Beispiel eine höhere Entlohnung, weil sie sonst nicht vorgenommen werden. Das gleiche gilt für riskante Verfahren. Aber wir entwerfen keine Theorie der Produktivität übelriechender oder riskanter Verfahren als solche. Kurz gesagt, nicht alle Arbeit wird unter gleich angenehmen Begleitumständen vollbracht; und die Bedingungen des Gleichgewichtes erfordern, daß unter weniger angenehmen Begleitumständen erzeugte Gegenstände, gekennzeichnet durch üblen Geruch, Risiko oder Zeitablauf, genügend knapp gehalten werden müssen, um einen höheren Preis zu erzielen. Wenn aber der Zeitablauf ein angenehmer Begleitumstand wird, was leicht möglich ist und bereits für viele Individuen zutrifft, dann sind es, wie ich oben gesagt habe, die kurzen Verfahren, die genügend knapp gehalten werden müssen. Wenn der optimale Umfang von Produktionsumwegen gegeben ist, werden wir natürlich die effizientesten derartigen Verfahren auswählen, die wir bis zu der erforderten Gesamtsumme finden können. Das Optimum selbst sollte aber derart sein, daß es zu den geeigneten Zeitpunkten jenen Teil der Verbrauchernachfrage hervorbringt, dessen Aufschub gewünscht wird. Das heißt, in Zuständen des Optimums sollte die Produktion derart aufgebaut sein, daß sie in der effizientesten Weise erzeugt wird, die mit der Ablieferung zu den Zeitpunkten vereinbar ist, an denen das Wirksamwerden der Verbrauchernachfrage erwartet wird. Es hat keinen Zweck, für die Ablieferung an einem anderen Zeitpunkt zu produzieren, selbst wenn die physische Produktion durch eine Änderung des Zeitpunktes der Ablieferung vermehrt werden könnte; – es sei denn, daß sozusagen die Aussicht auf eine reichlichere Mahlzeit den Verbraucher veranlaßt, die Essenszeit vorzuverlegen oder aufzuschieben. Wenn man erwartet, daß der Verbraucher nach Kenntnisnahme aller Einzelheiten über die Mahlzeiten, die er zu verschiedenen Essenszeiten bekommen kann, sich zugunsten von 8 Uhr entscheidet, so ist es die Aufgabe des Koches, das beste Essen zu liefern, das er für diese Zeit bereitstellen kann, unabhängig davon, ob 7.30, 8 Uhr oder 8.30 die Stunde ist, die ihm am
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besten passen würde, wenn die Zeit in der einen oder anderen Richtung keine Rolle spielen würde und es seine einzige Aufgabe wäre, das absolut beste Essen zu kochen. Es mag sein, daß wir auf gewissen Entwicklungsstufen der Gesellschaft physisch bessere Mahlzeiten haben könnten, wenn wir später essen würden; auf anderen Entwicklungsstufen ist es aber ebenso denkbar, daß wir bessere Mahlzeiten haben könnten, wenn wir früher essen würden. Unsere Theorie muß daher, wie oben gesagt, auf beide Fälle anwendbar sein. Wenn der Zinssatz Null wäre, gäbe es für jeden gegebenen Gegenstand einen günstigsten Zeitabstand zwischen dem durchschnittlichen Zeitpunkt des Inputs und dem Zeitpunkt des Verbrauches, für den die Arbeitskosten am geringsten wären; – ein kürzeres Produktionsverfahren würde technisch weniger effizient sein, während ein längeres Verfahren wegen Lagerkosten und Wertminderung ebenfalls weniger effizient wäre. Wenn aber der Zinssatz Null übersteigt, wird ein neues Kostenelement eingeführt, das mit der Länge des Verfahrens zunimmt, so daß der optimale Zeitabstand kürzer sein wird und der für die schließliche Ablieferung des Gegenstandes erforderliche laufende Input eingeschränkt werden muß, bis der voraussichtliche Preis genügend gestiegen ist, um die vermehrten Kosten zu decken – Kosten, die sowohl durch die Zinsen wie auch durch die verminderte Leistungsfähigkeit der kürzeren Produktionsmethode vermehrt werden. Wenn dagegen der Zinssatz unter Null fällt (angenommen, daß dies technisch möglich ist), ist das Gegenteil der Fall. Wenn die voraussichtliche Nachfrage der Verbraucher gegeben ist, muß der laufende Input heute sozusagen mit der Alternative konkurrieren, den Input an einem späteren Zeitpunkt zu beginnen; und der laufende Input wird sich folglich nur lohnen, wenn die größere Billigkeit als Folge größerer technischer Leistungsfähigkeit oder voraussichtlicher Preisänderungen einer späteren Produktion – verglichen mit einer sofortigen – nicht genügt, um den geringeren Ertrag aus negativen Zinsen aufzuheben. Im Fall der meisten Gegenstände würde ihr Input an einem früheren Zeitpunkt als verhältnismäßig kurz vor dem voraussichtlichen Verbrauch, eine große technische Ineffizienz bedingen. Selbst wenn der Zinssatz Null ist, ist somit dem Teil der voraussichtlichen Nachfrage der Verbraucher, für den es sich auszahlen würde, die Vorsorge im voraus in Angriff zu nehmen, eine strikte Grenze gesetzt; und mit dem Steigen des Zinssatzes wird der Teil der voraussichtlichen Nachfrage der Verbraucher, dessen heutige Produktion sich bezahlt macht, im gleichen Verhältnis zusammenschrumpfen.
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III. Wir haben gesehen, daß das Kapital in der langen Frist knapp genug gehalten werden muss, damit es eine Grenzleistungsfähigkeit haben kann, die mindestens gleich ist dem – durch psychologische und institutionelle Umstände bestimmten – Zinssatz während des der Lebensdauer des Kapitals entsprechenden Zeitabschnittes. Was würde dies für eine Gesellschaft bedeuten, die so gut mit Kapital ausgerüstet ist, daß dessen Grenzleistungsfähigkeit Null ist und mit jeder zusätzlichen Investition negativ würde, die dennoch ein derartiges Geldsystem besitzt, daß Geld „gehalten“ wird und vernachlässigbare Kosten für Lagerung und sicheren Gewahrsam aufweist, mit der Folge, daß der Zins in der Praxis nicht negativ sein kann, und die im Zustand der Vollbeschäftigung zum Sparen geneigt ist? Wenn wir unter solchen Umständen von einer Lage der Vollbeschäftigung ausgehen, werden die Unternehmer notwendigerweise Verluste erleiden, wenn sie fortfahren, Beschäftigung in einem Umfang anzubieten, der zum Einsatz des gesamten bestehenden Bestands an Kapital führt. Der Bestand an Kapital und das Niveau der Beschäftigung werden folglich schrumpfen müssen, bis das Gemeinwesen so verarmt ist, daß die Gesamtersparnis Null geworden ist, so daß die positive Ersparnis einiger Individuen oder Gruppen durch die negative Ersparnis anderer ausgeglichen wird. In einer unseren Annahmen entsprechenden Gesellschaft wird das Gleichgewicht somit unter Verhältnissen des laissez-faire in einer Situation bestehen, in der die Beschäftigung niedrig genug und der Lebensstandard genügend elend ist, um die Ersparnisse auf Null zu bringen. Wahrscheinlicher wird es um diese Gleichgewichtslage herum eine zyklische Bewegung geben. Denn solange Raum für Ungewißheit über die Zukunft ist, wird die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gelegentlich über Null steigen und zu einem „Aufschwung“ führen, und in der darauf folgenden „Rezession“ mag der Bestand an Kapital zeitweilig unter das Niveau fallen, das auf die Dauer eine Grenzleistungsfähigkeit von Null ergeben wird. Unter der Voraussetzung richtiger Voraussicht wird der Gleichgewichtsbestand an Kapital, dessen Grenzleistungsfähigkeit genau Null sein wird, natürlich kleiner sein als der Bestand, welcher der Vollbeschäftigung der verfügbaren Arbeit entsprechen würde; denn es wird die Ausrüstung sein, die mit jenem Grad von Arbeitslosigkeit übereinstimmt, der Ersparnisse von Null sicherstellt. Die einzige alternative Gleichgewichtslage würde ein Zustand sein, in dem ein Bestand an Kapital, der groß genug ist, um eine Grenz-
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leistungsfähigkeit von Null zu haben, zugleich den Vermögensbetrag darstellt, der groß genug ist, um das aggregierte Verlangen der Bevölkerung, für die Zukunft vorzusorgen, voll zu befriedigen, selbst in einem Zustand der Vollbeschäftigung, unter Umständen, in denen kein Bonus in der Form von Zinsen erhältlich ist. Es wäre aber ein unwahrscheinliches Zusammentreffen, wenn die Sparneigung in Zuständen der Vollbeschäftigung gerade an dem Punkt gesättigt wäre, an dem der Kapitalbestand das Niveau erreicht, auf dem die Grenzleistungsfähigkeit Null ist. Wenn daher diese erwähnte günstigere Möglichkeit zu Hilfe kommt, wird sie sich wahrscheinlich nicht gerade an dem Punkt geltend machen, an dem der Zinssatz verschwindet, sondern an einem früheren Punkt während der allmählichen Senkung des Zinssatzes. Wir haben bis jetzt einen institutionellen Faktor in der Form von Geld mit unbedeutenden Haltekosten vorausgesetzt, der den Zinssatz daran hindert, negativ zu sein. In Wirklichkeit aber sind institutionelle und psychologische Faktoren vorhanden, die der möglichen Senkung des Zinssatzes schon weit über Null eine Grenze setzen. Insbesondere setzen die Kosten für das Zusammenbringen von Entleiher und Verleiher und die Ungewißheit über die Zukunft des Zinssatzes, die wir oben untersucht haben, eine untere Grenze fest, die unter gegenwärtigen Umständen vielleicht so hoch wie 2 oder 2,5% auf langfristigen Darlehen sein mag. Wenn dies richtig sein sollte, könnten die unangenehmen Möglichkeiten eines zunehmenden Bestandes an Reichtum in Zuständen, in denen der Zinssatz unter Bedingungen des laissez-faire nicht weiter fallen kann, in Wirklichkeit bald praktische Formen annehmen. Wenn das Mindestniveau, auf das der Zinssatz gebracht werden kann, beträchtlich über Null ist, besteht überdies eine geringere Wahrscheinlichkeit, daß das gesamte Verlangen, Vermögen anzuhäufen, befriedigt wird, bevor der Zinssatz sein Mindestniveau erreicht hat. Die Nachkriegserfahrungen von Großbritannien und den Vereinigten Staaten sind in der Tat lebendige Beispiele dafür, wie eine Anhäufung von Vermögen – das so groß ist, daß seine Grenzleistungsfähigkeit rascher gefallen ist, als der Zinssatz angesichts der vorherrschenden institutionellen und psychologischen Faktoren fallen kann – bei einem Vorwiegen von Bedingungen des laissez-faire einem angemessenen Niveau der Beschäftigung und einem bei dem technischen Stand der Produktion möglichen Lebensstandard im Wege stehen kann. Daraus folgt, daß von zwei gleichen Gemeinwesen mit der gleichen Technik, aber mit verschiedenen Beständen an Kapital, das Gemeinwesen mit dem kleineren Bestand an Kapital sich vorübergehend eines höheren Lebensstandards erfreuen mag als das Gemeinwesen mit dem
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größeren Bestand. Nachdem jedoch das ärmere Gemeinwesen das reichere eingeholt hat – was es voraussichtlich mit der Zeit tun wird –, werden beide miteinander das Schicksal des Midas erleiden. Diese beunruhigende Folgerung stützt sich natürlich auf die Voraussetzung, daß die Konsumneigung und das Investitionsvolumen nicht absichtlich im sozialen Interesse geleitet, sondern hauptsächlich den Einflüssen des laissezfaire überlassen werden. Wenn der Zinssatz – aus welchem Grunde auch immer – nicht so rasch fallen kann, wie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bei einer Akkumulation fallen würde, die mit der Summe übereinstimmt, welche die Bevölkerung zu sparen bereit wäre, wenn der Zinssatz genauso hoch wäre wie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Zustand der Vollbeschäftigung, dann wird sogar eine Umlenkung des Strebens nach dem Besitz von Reichtum auf Vermögensgegenstände, die in Wahrheit überhaupt keine wirtschaftlichen Früchte abwerfen, das wirtschaftliche Wohlbefinden vermehren. Soweit Millionäre ihre Befriedigung darin finden, mächtige Paläste zur Beherbergung ihrer Leiber während ihres Lebens und Pyramiden zu ihrer Aufbewahrung nach dem Tode zu errichten oder in Bereuung ihrer Sünden Kathedralen erbauen und Klöster oder auswärtige Missionen beschenken, kann der Tag, an dem die Fülle des Kapitals auf die Fülle der Produktion störend einwirkt, aufgeschoben werden. „Das Graben von Löchern im Erdboden“, bezahlt aus Ersparnissen, wird nicht nur die Beschäftigung, sondern auch das reale Nationaleinkommen in Form von nützlichen Gütern und Dienstleistungen vermehren. Es ist aber nicht vernünftig, daß sich ein verständiges Gemeinwesen damit begnügen sollte, von solchen zufälligen und oft verschwenderischen Linderungen abhängig zu bleiben, nachdem wir einmal die Einflüsse verstanden haben, von denen die effektive Nachfrage abhängt.
IV. Nehmen wir an, daß Schritte unternommen werden, damit der Zinssatz zum Investitionsvolumen paßt, das mit Vollbeschäftigung verbunden ist. Nehmen wir ferner an, daß staatliche Maßnahmen als ein ausgleichender Faktor eingreifen, um dafür zu sorgen, daß das Wachstum der Kapitalausrüstung derart sein wird, daß sie dem Sättigungspunkt in einem Tempo nahe rückt, welches der Lebenshaltung der gegenwärtigen Generation keine unverhältnismäßige Bürde auferlegt. Unter solchen Voraussetzungen würde ich schätzen, daß ein richtig geleitetes, mit modernen technischen Hilfsmitteln ausgerüstetes Gemeinwesen, dessen Bevölkerung nicht sehr rasch zunimmt, in der Lage sein sollte, innerhalb einer einzigen Generation die Grenzleistungsfähig-
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keit des Kapitals im Gleichgewicht auf ungefähr Null herunterzubringen; so daß wir die Zustände eines quasi-stationären Gemeinwesens erreichen würden, in dem Änderungen und Fortschritt sich nur aus Änderungen in der Technik, im Geschmack, in der Bevölkerung und in den Institutionen ergeben würden, wobei die mit Kapital produzierten Erzeugnisse zu einem der in ihnen verkörperten Arbeit usw. entsprechenden Preis verkauft werden würden, nach genau den gleichen Grundsätzen, nach denen die Preise von Konsumgütern bestimmt werden, in die Kapitalkosten nur zu einem unbeträchtlichen Grade eingehen. Wenn ich recht habe in meiner Annahme, daß es verhältnismäßig leicht sein sollte, Kapitalgüter so überreichlich zu produzieren, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Null ist, mag dies der vernünftigste Weg sein, um allmählich die verschiedenen zu beanstandenden Merkmale des Kapitalismus los zu werden. Denn ein wenig Überlegung wird zeigen, was für gewaltige gesellschaftliche Änderungen sich aus einem allmählichen Verschwinden der Rendite auf akkumulierten Reichtum ergeben würden. Es würde einer Person immer noch freistehen, ihr verdientes Einkommen mit der Absicht zu akkumulieren, es zu einem späteren Zeitpunkt auszugeben. Aber ihre akkumulierten Beträge würden nicht wachsen. Sie würde lediglich in der Lage von Popes2 Vater sein, der, als er sich vom Geschäft zurückzog, eine Kiste voller Goldstücke mit in sein Landhaus in Twickenham nahm und aus ihr seine Ausgaben für den Haushalt entsprechend seinem Bedarf bestritt. Obschon der Rentier verschwinden würde, würde trotzdem noch Raum für Unternehmertum und für Geschicklichkeit in der Abschätzung voraussichtlicher Erträge sein, über welche die Ansichten voneinander abweichen könnten. Denn das Obige bezieht sich in erster Linie auf den reinen Zinssatz, ohne irgendwelche Zuschläge für Risiken und dergleichen, und nicht auf den Bruttoertrag von Anlagen einschließlich der Risikoprämie. Sofern der reine Zinssatz nicht negativ gehalten werden würde, würde es somit immer noch einen positiven Ertrag für geschickte Investitionen in einzelne Anlagen geben können, deren voraussichtlicher Ertrag fraglich wäre. Bliebe eine gewisse meßbare Abneigung gegen die Übernahme von Risiken bestehen, würde es auch ein positiven Nettoertrag aus der Gesamtheit solcher Anlagen über einen gewissen Zeitraum geben. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß unter solchen Umständen der Eifer, einen Ertrag aus fragwürdigen Investitionen zu erhalten, derart sein könnte, daß diese in ihrer Gesamtheit einen negativen Nettoertrag erzielen würden. 2 Alexander Pope, 1688 – 1740, wichtiger Autor des englischen Klassizismus – K / S.
Siebzehntes Kapitel
Die wesentlichen Eigenschaften von Zins und Geld I. Es scheint also, daß der Zinssatz auf Geld eine besondere Rolle in der Begrenzung des Niveaus der Beschäftigung spielt, da er einen Standard festsetzt, den die Grenzleistungsfähigkeit eines Kapitalgutes erreichen muß, wenn es neu erzeugt werden soll. Daß dies so sein sollte, ist auf den ersten Blick äußerst verblüffend. Es ist natürlich, daß wir uns fragen, worin die Eigenheit des Geldes im Gegensatz zu anderen Vermögensgegenständen liegt, ob es nur das Geld ist, das einen Zinssatz hat, und was in einer nichtmonetären Wirtschaft geschehen würde. Solange wir diese Fragen nicht beantwortet haben, wird die volle Bedeutung unserer Theorie nicht klar sein. Der Geldzinssatz – wie wir den Leser erinnern dürfen – ist lediglich der prozentuale Überschuß einer für spätere Lieferung (zum Beispiel nach einem Jahr) kontrahierten Summe Geldes über das, was wir den „Spot“oder Kassapreis der für spätere Lieferung kontrahierten Summe nennen können. Es hat daher den Anschein, daß es für jede Art von Vermögenswert ein Analogon zum Geldzinssatz geben muß; denn es gibt eine bestimmte, nach einem Jahr lieferbare Menge von (zum Beispiel) Weizen, die heute den gleichen Tauschwert hat wie 100 Viertelzentner Weizen bei sofortiger Lieferung. Wenn die nach einem Jahr zu liefernde Menge 105 Viertelzentner beträgt, können wir sagen, daß der Weizenzinssatz 5 % pro Jahr ist; und wenn sie 95 Viertelzentner ist, daß er minus 5 % pro Jahr ist. Für jede dauerhafte Ware haben wir somit einen Zinssatz in Größen von sich selbst – einen Weizenzinssatz, einen Kupferzinssatz, einen Häuserzinssatz und sogar einen Stahlwerkzinssatz. Die Differenz zwischen den im Markt notierten „Termin“- und „Spot“Kontrakten einer Ware wie Weizen steht in einem eindeutigen Verhältnis zum Weizenzinssatz; da aber der Terminkontrakt in Geld für spätere Lieferung und nicht in Weizen für sofortige Lieferung notiert wird, bringt er auch den Geldzinssatz ins Spiel. Die genaue Beziehung ist wie folgt: Nehmen wir an, daß der Spotpreis von Weizen £ 100 für 100 Viertelzentner ist, daß der Preis des „Termin“-Kontraktes für nach einem Jahr lieferbaren Weizen £ 107 für 100 Viertelzentner ist und daß der Geldzinssatz 5 % ist; was ist dann der Weizenzinssatz? £ 100 sofort werden
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£ 105 für spätere Lieferung kaufen, und £ 105 für spätere Lieferung 105 werden 100
98 Viertelzentner für spätere Lieferung kaufen. 107 Alternativ werden £ 100 sofort 100 Viertelzentner Weizen für sofortige Lieferung kaufen. 100 Viertelzentner Weizen für sofortige Lieferung werden 98 Viertelzentner für spätere Lieferung kaufen. Daraus folgt, daß der Weizenzinssatz minus 2 % im Jahr ist1. Daraus folgt, daß kein Grund besteht, warum verschiedene Waren die gleichen Zinssätze haben sollten, – warum der Weizenzinssatz gleich dem Kupferzinssatz sein sollte. Denn das Verhältnis zwischen „Spot“und „Termin“-Kontrakten, wie sie im Markt notiert werden, ist, wie allgemein bekannt, für verschiedene Waren verschieden. Dies wird uns, so werden wir finden, auf die gesuchte Spur führen. Denn es mag sein, daß der höchste der Eigenzinssätze (wie wir sie nennen können) das Regiment führen wird (weil es der höchste dieser Sätze ist, den die Leistungsfähigkeit eines Kapitalgutes erreichen muß, wenn es neu erzeugt werden soll); und daß Gründe bestehen, warum es der Geldzinssatz ist, der oft der höchste ist (weil, wie wir finden werden, gewisse Kräfte, die auf eine Senkung der Eigenzinssätze anderer Vermögensgegenstände hinarbeiten, im Fall des Geldes nicht wirksam sind). Es mag hinzugefügt werden, daß, genau so, wie es zu jeder Zeit ungleiche Warenzinssätze gibt, auch die Devisenhändler mit der Tatsache vertraut sind, daß nicht einmal der Zinssatz der gleiche in Größen zweier verschiedener Devisen, wie zum Beispiel Sterling und Dollar, ist; denn auch hier ist die Differenz zwischen den „Spot“- und „Termin“Kontrakten für fremdes Geld, in Sterling gemessen, in der Regel für verschiedene ausländische Währungen nicht dieselbe. Jeder dieser Warenstandards bietet uns für die Messung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals nun die gleiche Möglichkeit wie das Geld. Denn wir können irgendeine beliebige Ware nehmen, zum Beispiel Weizen, und können den Weizenwert des voraussichtlichen Ertrages irgendeines Kapitalgutes berechnen. Dann gibt uns der Diskontsatz, der den gegenwärtigen Wert dieser Reihe von Weizenannuitäten dem gegenwärtigen Angebotspreis des Vermögensgegenstandes in Größen von Weizen gleichmacht, die Grenzleistungsfähigkeit des Vermögensgegenstandes, in Größen von Weizen gemessen an. Wenn keine Änderung in den relativen Werten zweier alternativer Standards erwartet wird, dann wird die Grenzleistungsfähigkeit eines Kapitalgutes die gleiche sein, ob sie nun in dem 1 Diese Beziehung wurde zuerst von Mr. Sraffa, Economic Journal, März 1932, S. 50 hervorgehoben.
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einen oder dem anderen Standard gemessen wird, da der Zähler und der Nenner des Bruches, der zu der Grenzleistungsfähigkeit führt, im gleichen Verhältnis geändert werden. Wenn jedoch erwartet wird, daß sich der eine der alternativen Standards im Wert, in Größen des anderen, ändern wird, werden sich die Grenzleistungsfähigkeiten der Kapitalgüter um den gleichen Prozentsatz ändern, je nach dem Standard, in dessen Größen sie gemessen werden. Um dies zu erläutern, wollen wir den einfachsten Fall nehmen, in welchem erwartet wird, daß Weizen als einer der alternativen Standards, zu einem stetigen Satz von a % im Jahr, in Geld gemessen, im Werte zunimmt; die Grenzleistungsfähigkeit eines Vermögensgegenstandes, die x %, in Geld gemessen, ist, wird dann x a %, in Weizen gemessen, sein. Da die Grenzleistungsfähigkeiten aller Kapitalgüter um den gleichen Betrag geändert werden, folgt, daß ihre Größenordnung die gleiche sein wird, unabhängig von der Wahl des Standards. Wenn es irgendeine zusammengesetzte Ware gäbe, die im strengen Sinn des Wortes als repräsentativ betrachtet werden könnte, könnten wir den Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals in Größen dieser Ware gewissermaßen als den Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals betrachten. Aber dem stehen natürlich die gleichen Hindernisse im Wege wie der Festsetzung eines einheitlichen Wertstandards. Bis hierher besitzt daher der Geldzinssatz keine Einzigartigkeit im Vergleich zu anderen Zinssätzen, sondern er hat genau den gleichen Rang. Worin liegt denn aber die Besonderheit des Geldzinssatzes, die ihm die überragende praktische Bedeutung gibt, die ihm in den vorhergehenden Kapiteln zugeschrieben wurde? Warum sollte die Menge von Produktion und Beschäftigung enger an den Geldzinssatz als an den Weizenzinssatz oder den Häuserzinssatz gebunden sein?
II. Wir wollen einmal überlegen, was wahrscheinlich die verschiedenen Warenzinssätze während eines Zeitabschnittes von (sagen wir) einem Jahr für verschiedene Arten von Vermögensgegenständen sein werden. Da wir jede Ware der Reihe nach als Standard nehmen werden, müssen die Erträge auf jede Ware in diesem Zusammenhang als in Größen von sich selbst gemessen errechnet werden. Es gibt drei Eigenschaften, die verschiedene Arten von Vermögensgegenständen in verschiedenen Graden besitzen; nämlich: 1. Einige Vermögensgegenstände erwirtschaften einen Ertrag oder einen Output q, in Größen von sich selbst gemessen, indem sie irgendeinen Produktionsprozeß unterstützen oder einem Verbraucher Dienste leisten.
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2. Die meisten Vermögensgegenstände, mit Ausnahme von Geld, erleiden einen Wertverlust oder bedingen Kosten lediglich durch den Zeitablauf (abgesehen von jeder Änderung in ihrem relativen Wert), unabhängig davon, ob sie zur Erzeugung eines Ertrages gebraucht werden; das heißt sie bedingen Lagerhaltungskosten c, in Größen von sich selbst gemessen. Für unseren gegenwärtigen Zweck spielt es keine Rolle, wo wir die Linie zwischen den Kosten ziehen, die wir vor der Berechnung von q abziehen und jenen, die wir in c einschließen, weil wir uns im folgenden ausschließlich mit q c beschäftigen werden. 3. Schließlich mag die Verfügungsmacht über einen Vermögensgegenstand während eines Zeitabschnittes eine potentielle Annehmlichkeit oder Sicherheit bieten, die für verschiedene Arten von Vermögensgegenständen ungleich ist, obschon die Vermögensgegenstände selbst den gleichen Anfangswert haben. Es gibt hierfür sozusagen kein greifbares Ergebnis am Ende des Zeitabschnittes in der Form von Produktion, und doch ist es etwas, für das die Leute bereit sind, etwas zu bezahlen. Wir werden den Betrag (in Größen von sich selbst gemessen), den sie bereit sind, für die durch diese Verfügungsmacht gegebene potentielle Annehmlichkeit oder Sicherheit zu bezahlen (ausschließlich der Erträge oder der Lagerhaltungskosten, die mit dem Vermögensgegenstand verbunden sind), die Liquiditätsprämie l nennen. Daraus folgt, daß der gesamte Ertrag, der vom Besitz eines Vermögensgegenstandes während eines Zeitabschnittes erwartet wird, gleich seinem Ertrag minus seinen Lagerhaltungskosten plus seiner Liquiditätsprämie ist, das heißt gleich q c l. Das heißt q c l ist der Eigenzinssatz einer jeden Ware, wobei q, c und l in Größen von sich selbst als Standard gemessen werden. Es ist charakteristisch für das in Verwendung begriffene Produktionskapital (zum Beispiel eine Maschine) oder Gebrauchskapital (zum Beispiel ein Haus), daß sein Ertrag normalerweise seine Lagerhaltungskosten übersteigen sollte, während seine Liquiditätsprämie wahrscheinlich unbeachtlich ist. Es ist charakteristisch für einen Bestand an unverkauften Gütern oder an überschüssigen, stillgelegten Produktionsoder Gebrauchskapital, daß es Lagerhaltungskosten in Größen von sich selbst bedingt, denen keinerlei Ertrag gegenübergestellt werden kann, wobei die Liquiditätsprämie in diesem Fall, sobald die Bestände ein mäßiges Niveau übersteigen, gewöhnlich ebenfalls unbeachtlich wird, obwohl sie unter besonderen Umständen bedeutsam werden kann. Es ist eine Eigenart des Geldes, daß sein Ertrag Null und seine Lagerhaltungskosten unbeachtlich sind, aber seine Liquiditätsprämie beträchtlich ist. Verschiedene Waren können in der Tat voneinander abweichende
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Grade von Liquiditätsprämien aufweisen, und das Geld mag einen gewissen Grad an Lagerhaltungskosten bedingen, zum Beispiel für sicheren Gewahrsam. Es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen Geld und allen (oder den meisten) anderen Vermögensgegenständen, daß im Fall des Geldes seine Liquiditätsprämie seine Lagerhaltungskosten stark übersteigt, während im Fall der anderen Vermögensgegenstände ihre Lagerhaltungskosten stark ihre Liquiditätsprämie übersteigen. Nehmen wir zum Zwecke der Veranschaulichung an, daß der Ertrag von Häusern q1 ist und daß ihre Lagerhaltungskosten und ihre Liquiditätsprämie unbeachtlich sind, daß die Lagerhaltungskosten von Weizen c2 und der Ertrag und die Liquiditätsprämie von Weizen unbeachtlich, und daß die Liquiditätsprämie von Geld l3 beträgt und der Ertrag und die Lagerhaltungskosten von Geld unbeachtlich sind. Das heißt, q1 ist der Hauszinssatz, c2 der Weizenzinssatz und l3 der Geldzinssatz. Um die Verhältnisse zwischen den erwarteten Erträgen verschiedener Arten von Vermögensgegenständen zu bestimmen, die mit dem Gleichgewicht vereinbar sind, müssen wir noch wissen, was für Änderungen in den relativen Werten während des Jahres erwartet werden. Nehmen wir Geld (das für diesen Zweck nur eine Recheneinheit zu sein braucht, so daß wir ebensogut Weizen nehmen könnten) als unser Standardmaß, und bezeichnen wir die erwartete prozentuale Wertvermehrung (oder Wertverminderung) von Häusern mit a1 und von Weizen mit a2 . Wir haben q1 , c2 und l3 die Eigenzinssätze von Häusern, Weizen und Geld in Größen von sich selbst als Wertstandard genannt; das heißt, q1 ist der Häuserzinssatz in Größen von Häusern, c2 ist der Weizenzinssatz in Größen von Weizen und l3 ist der Geldzinssatz in Größen von Geld. Es wird ferner dienlich sein, a1 q1 , a2 c2 und l3, die für die gleichen auf Geld als Wertstandard zurückgeführten Mengen stehen, den Haussatz des Geldzinses, den Weizensatz des Geldzinses und den Geldsatz des Geldzinses zu nennen. Mit Hilfe dieses Bezeichnungssystems ist leicht ersichtlich, daß die Nachfrage von Vermögensbesitzern sich auf Häuser, Weizen oder Geld richten wird, je nachdem, ob a1 q1 oder a2 c2 oder l3 am größten ist. Im Gleichgewicht werden somit die Nachfragepreise von Häusern und Weizen, in Geld gemessen, derart sein, daß keine der Alternativen vorteilhafter als die andere erscheint; – das heißt a1 q1 , a2 c2 und l3 werden gleich sein. Die Wahl des Wertstandards wird dieses Ergebnis nicht beeinflussen, weil eine Verschiebung von einem Standard zum anderen alle Größen in gleicher Weise ändern wird; das heißt um einen Betrag, der gleich dem erwarteten Satz der Wertvermehrung (oder Wertverminderung) des neuen Standards in Größen des alten ist.
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Jene Vermögensgegenstände nun, deren normaler Angebotspreis niedriger als ihr Nachfragepreis ist, werden neu erzeugt werden; und das werden jene Vermögensgegenstände sein, deren Grenzleistungsfähigkeit (auf der Grundlage ihres normalen Angebotspreises) größer als der Zinssatz ist (wobei beide in dem gleichen Wertstandard gemessen werden, welcher dieser auch sein mag). Mit der Zunahme des Vorrates an Vermögensgegenständen, die am Anfang eine Grenzleistungsfähigkeit haben, die mindestens genauso hoch wie der Zinssatz ist, wird ihre Grenzleistungsfähigkeit (aus genügend offensichtlichen, bereits angegebenen Gründen), die Neigung haben zu fallen. Es wird daher ein Punkt kommen, an dem es sich nicht länger lohnt, sie zu erzeugen, es sei denn, daß der Zinssatz im gleichen Schritt fällt. Wenn es keinen Vermögensgegenstand gibt, dessen Grenzleistungsfähigkeit den Zinssatz erreicht, wird die weitere Erzeugung von Kapitalgütern zu einem Stillstand kommen. Nehmen wir an (als bloße Hypothese auf dieser Stufe der Beweisführung), daß irgendein Vermögensgegenstand (zum Beispiel Geld) besteht, dessen Zinssatz fixiert ist (oder bei einer Zunahme der Produktion langsamer abnimmt als der Zinssatz irgendeiner anderen Ware); wie wird die Lage ausgeglichen? Da a1 q1 , a2 c2 und l3 notwendigerweise einander gleich sind, und da l3 unserer Hypothese gemäß entweder fixiert ist oder langsamer als q1 oder – c2 fällt, folgt, daß a1 und a2 steigen müssen. Mit anderen Worten, der gegenwärtige Geldpreis jeder anderen Ware als Geld hat die Neigung, im Verhältnis zu seinem erwarteten zukünftigen Preis zu fallen. Wenn q1 und c2 weiter fallen, wird folglich ein Punkt kommen, an dem es nicht mehr einträglich ist, irgendwelche der Waren zu erzeugen, es sei denn, man erwartet, daß die Erzeugungskosten an irgendeinem zukünftigen Zeitpunkt die gegenwärtigen Kosten um einen Betrag übersteigen werden, der die Lagerhaltungskosten eines jetzt erzeugten Bestandes bis zum Zeitpunkt des voraussichtlichen höheren Preises decken wird. Es wird nun deutlich, daß unsere frühere Feststellung, daß es der Geldzinssatz ist, welcher dem Produktionsvolumen eine Grenze setzt, nicht völlig richtig ist. Wir hätten sagen sollen, daß es der Zinssatz jenes Vermögensgegenstandes ist, der bei einer allgemeinen Zunahme des Vorrats an Vermögensgegenständen am langsamsten fällt, der letzten Endes die gewinnbringende Erzeugung aller anderen Vermögensgegenstände unmöglich macht, – mit Ausnahme des soeben erwähnten möglichen Falles eines besonderen Verhältnisses zwischen den gegenwärtigen und den voraussichtlichen Produktionskosten. Mit der Zunahme der Produktion werden die Eigenzinssätze auf Niveaus sinken, auf denen ein Vermögensgegenstand nach dem anderen unter den Standard der gewinnbringenden Erzeugung
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fällt; – bis letzten Endes nur noch wenige oder selbst nur ein Eigenzinssatz auf einem Niveau bleibt, das über dem der Grenzleistungsfähigkeit irgendeines Vermögensgegenstandes liegt. Wenn wir unter Geld den Wertstandard verstehen, ist es klar, daß nicht notwendigerweise der Geldzinssatz die Probleme bereitet. Wir könnten unseren Schwierigkeiten nicht einfach durch die Verordnung entrinnen (wie einige vermutet haben), daß Weizen oder Häuser an Stelle von Gold oder Sterling der Wertstandard sein sollen. Denn es zeigt sich nun, daß sich die gleichen Schwierigkeiten ergeben werden, solange irgendein Vermögensgegenstand weiter besteht, dessen Eigenzinssatz sich bei einer Zunahme der Produktion einer Senkung widersetzt. Es ist zum Beispiel möglich, daß in einem Lande, das zu einem nicht konvertierbaren Papierstandard übergegangen ist, Gold diese Rolle weiter ausfüllen wird. III.
Indem wir also dem Geldzinssatz eine besondere Bedeutung beimessen, haben wir stillschweigend vorausgesetzt, daß die Geldart, an die wir gewöhnt sind, einige besondere Merkmale hat, die dazu führen, daß ihr Eigenzinssatz, in Größen von sich selbst als Standard, bei einer Zunahme der Produktion zögerlicher fällt, als die Eigenzinssätze irgendwelcher anderer Vermögensgegenstände in Größen von sich selbst. Ist diese Voraussetzung gerechtfertigt? Meiner Ansicht nach zeigt die Überlegung, daß die folgenden Eigenheiten, die das Geld, so wie wir es kennen, gemeinhin kennzeichnen, diese Voraussetzung rechtfertigen können. Im Maße, in dem der festgelegte Wertstandard diese Eigenheiten aufweist, wird die summarische Behauptung zutreffen, daß der Geldzinssatz der ausschlaggebende Zinssatz ist. 1. Das erste Merkmal, das auf die obige Folgerung hinweist, ist die Tatsache, daß das Geld, sowohl auf lange als auch auf kurze Sicht, eine Angebotselastizität von Null oder zumindest eine sehr geringe Elastizität hat – soweit es sich um den Machtbereich der privaten Unternehmen, im Gegensatz zum Machtbereich der Währungsbehörde, handelt. Angebotselastizität 2 bedeutet in diesem Zusammenhang die Reaktion der für ein Produkt aufgewendeten Arbeitsmenge auf eine Zunahme der Arbeitsmenge, über die eine Produkteinheit wird verfügen können.3 Das heißt, Geld kann nicht ohne weiteres produziert werden; – Arbeit kann bei steiVgl. 20. Kap. Nämlich dann, wenn der Verkaufserlös verwendet wird, um andere Güter – und damit die darin enthaltene Arbeitsmenge – zu kaufen (Anm. K. / S.). 2 3
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genden Preisen (in Lohneinheiten gemessen) nicht nach dem Belieben der Unternehmer umgelenkt werden, um Geld in zunehmenden Mengen zu produzieren. Im Fall einer nicht konvertiblen, kontrollierten Währung ist diese Bedingung vollkommen erfüllt. Aber auch im Falle einer Goldwährung trifft dies annähernd zu, im Sinne, daß die höchste proportionale zusätzliche Arbeitsmenge, die so verwendet werden kann, sehr klein ist, außer in einem Land, in dem der Goldbergbau die größte Industrie ist. Im Falle von Vermögensgegenständen mit einer positiven Angebotselastizität stützte sich nun der Grund, weshalb wir annahmen, ihr Eigenzinssatz werde sinken, auf unsere Voraussetzung, daß ihr Bestand bei einer höheren Produktion zunehmen wird. Im Fall von Geld ist jedoch das Angebot fixiert – wenn wir für den Augenblick unsere Betrachtung der Wirkungen einer Senkung der Lohneinheit oder einer absichtlichen Vermehrung des Geldangebotes durch die Währungsbehörde zurückstellen. Das Merkmal, daß Geld nicht ohne weiteres durch Arbeit produziert werden kann, läßt somit schon auf den ersten Blick vermuten, daß sein Eigenzinssatz verhältnismäßig zögerlich fallen wird; während, wenn Geld wie Getreide angebaut oder wie ein Kraftwagen fabriziert werden könnte, wirtschaftliche Notlagen vermieden oder gemildert werden könnten, weil, wenn der Preis anderer Vermögensgegenstände (in Geld gemessen) zu fallen tendiert, mehr Arbeit auf die Erzeugung von Geld umgelenkt würde – wie dies der Fall in Ländern ist, die Goldbergbau betreiben, obschon für die Welt als Ganzes die maximale Umlenkung in diese Richtung fast vernachlässigt werden kann. 2. Die obige Bedingung wird jedoch offensichtlich nicht nur von Geld, sondern auch von allen reinen Rentengütern erfüllt, deren Produktion vollständig unelastisch ist. Es ist deshalb eine zweite Bedingung erforderlich, um das Geld von solchen Gütern zu unterscheiden. Die zweite Besonderheit des Geldes ist, daß seine Substitutionselastizität gleich oder fast gleich Null ist; was bedeutet, daß bei einer Erhöhung des Tauschwertes des Geldes keine Bereitschaft besteht, es durch irgendeinen anderen Faktor zu ersetzen; – ausgenommen, vielleicht, in einem unbedeutenden Maße, soweit das Material, aus dem Geld besteht, auch in der Industrie oder in der Kunst Verwendung findet. Dies ergibt sich aus der Besonderheit des Geldes, daß sein Nutzen einzig von seinem Tauschwert abgeleitet wird, so daß die beiden im gleichen Schritt steigen und fallen, mit der Folge, daß bei einer Erhöhung des Tauschwertes des Geldes kein Beweggrund oder keine Tendenz vorhanden ist, es durch irgendeinen anderen Faktor zu ersetzen, wie dies bei anderen reinen Rentengütern der Fall ist.
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Es ist somit nicht nur unmöglich, bei einer Erhöhung des Arbeitspreises des Geldes mehr Arbeit auf seine Produktion zu lenken, sondern das Geld ist für die Kaufkraft ein Faß ohne Boden, wenn die Nachfrage nach ihm zunimmt, weil es keinen Wert erreichen kann, bei dem die Nachfrage in ein Verlangen nach anderen Dingen umgelenkt wird, wie dies bei sonstigen Rentengütern der Fall ist. Die einzige Einschränkung in dieser Beziehung ergibt sich, wenn die Erhöhung im Werte des Geldes zu Ungewißheit über die zukünftige Erhaltung dieser Erhöhung führt; in welchem Falle a1 und a2 erhöht werden, was gleichbedeutend mit einer Erhöhung des Warenzinssatzes des Geldes ist und daher die Erzeugung von anderen Vermögensgegenständen anregt. 3. Drittens müssen wir erwägen, ob diese Folgerungen durch die Tatsache über den Haufen geworfen werden, daß es zwar nicht möglich ist, die Menge des Geldes durch eine Umlenkung von Arbeit auf seine Erzeugung zu vermehren, es aber trotzdem ungenau wäre, vorauszusetzen, daß sein effektives Angebot starr festgelegt ist. Insbesondere wird eine Senkung der Lohneinheit Kasse von seinen anderen Verwendungen für die Befriedigung des Liquiditätsmotivs freisetzen; während darüber hinaus bei einer Senkung des Geldwertes der Bestand an Geld einen größeren Teil vom Gesamtvermögen des Gemeinwesens ausmachen wird. Es ist auf rein theoretischer Grundlage nicht möglich, zu bestreiten, daß diese Rückwirkung eine adäquate Senkung des Geldzinssatzes zulassen könnte, aber es gibt verschiedene Gründe, die, zusammen genommen, von zwingender Überzeugungskraft sind, warum sich in der uns vertrauten Wirtschaft der Geldzinssatz wahrscheinlich einer adäquaten Senkung widersetzen wird. a) Erstens müssen wir die Rückwirkungen einer Senkung in der Lohneinheit auf die Grenzleistungsfähigkeiten anderer Vermögensgegenstände in Größen von Geld berücksichtigen; – denn es ist die Differenz zwischen diesen und dem Geldzinssatz, mit der wir es zu tun haben. Wenn die Senkung der Lohneinheit die Erwartung hervorruft, daß sie später wieder steigen wird, wird das Ergebnis durchweg günstig sein. Wenn aber im Gegenteil die Senkung die Erwartung einer weiteren Senkung hervorruft, kann die Rückwirkung auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Senkung im Zinssatz aufheben4. b) Die Tatsache, daß Löhne, in Geld gemessen, die Neigung haben, rigide zu sein, indem der Nominallohn stabiler als der Reallohn ist, 4
Dies ist ein Gegenstand, der im 19. Kap. ausführlicher behandelt wird.
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mindert die Tendenz der Lohneinheit, in Größen von Geld zu sinken. Wenn dem nicht so wäre, wäre die Lage überdies eher schlechter als besser, weil, wenn die Nominallöhne leicht sinken würden, dies oft dazu führen würde, die Erwartung einer weiteren Senkung hervorzurufen, mit ungünstigen Rückwirkungen auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Falls die Löhne in Größen irgendeiner anderen Ware, zum Beispiel Weizen, fixiert wären, wäre es unwahrscheinlich, daß sie weiterhin rigide blieben. Es sind gerade die anderen Eigenschaften des Geldes, – besonders jene, die es liquide machen – die bewirken, daß Löhne, wenn sie in Geld festgesetzt sind, dazu tendieren, rigide zu sein5. c) Drittens kommen wir zu der in diesem Zusammenhang fundamentalsten Erwägung, nämlich den Merkmalen des Geldes, welche die Liquiditätspräferenz befriedigen. Denn unter gewissen, häufig vorkommenden Umständen werden diese den Zinssatz veranlassen, sich selbst gegen eine beträchtliche Zunahme in der Geldmenge, im Verhältnis zu anderen Formen von Vermögen, unempfindlich zu verhalten, besonders wenn der Zinssatz unter einen bestimmten Stand sinkt6. Mit anderen Worten, über einen gewissen Punkt hinaus wird der Ertrag des Geldes aus Liquidität auf eine Vermehrung seiner Menge hin nicht annähernd in dem Maße fallen, in dem der Ertrag aus anderen Arten von Vermögensanlagen bei einer vergleichbaren Vermehrung ihrer Menge fällt. In diesem Zusammenhang spielen die niedrigen (oder unbeachtlichen) Lagerhaltungskosten des Geldes eine wesentliche Rolle. Denn wenn seine Lagerhaltungskosten bedeutend wären, würden sie die Wirkung von Erwartungen über den voraussichtlichen Wert des Geldes an zukünftigen Zeitpunkten aufheben. Die Bereitwilligkeit der Bevölkerung, auf einen verhältnismäßig geringen Anreiz hin ihren Bestand an Geld zu vergrößern, ist darauf zurückzuführen, daß die (wirklichen oder vermeintlichen) Vorteile der Liquidität keinem Gegengewicht in der Form von Lagerhaltungskosten ausgesetzt sind, die im Zeitverlauf steil ansteigen. Im Fall einer anderen Ware als Geld mag ein mäßiger Bestand gewisse Annehmlichkeiten für Benutzer der Ware bieten. Obschon aber auch ein größerer Vorrat als wertbeständige Form von Vermögen einige Anziehungskraft haben könnte, würde diese doch durch die Lagerhaltungskosten der Ware in der Form von Lagerkosten, Schwund usw. aufgehoben werden. Nachdem also ein gewisser Punkt erreicht ist, ergibt 5 Wenn Löhne (und Verträge) in Größen von Weizen festgesetzt würden, würde wahrscheinlich der Weizen einen Teil der Liquiditätsprämie des Geldes übernehmen; wir werden auf diese Frage unten in Abschnitt IV zurückkommen. 6 Vgl. S. 146.
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sich somit notwendigerweise ein Verlust aus dem Halten eines größeren Bestandes. Im Fall von Geld ist dies jedoch, wie wir gesehen haben, nicht der Fall, – und zwar wegen jener Reihe von Gründen, die das Geld, nach der Ansicht der Bevölkerung, zum Inbegriff der Liquidität machen. Jene Reformatoren, die in der Erzeugung künstlicher Lagerhaltungskosten des Geldes ein Heilmittel gesucht haben, zum Beispiel durch das Erfordernis periodischer Abstempelungen der gesetzlichen Zahlungsmittel oder auf analogen Wegen zu vorgeschriebenen Gebühren, sind somit auf der richtigen Spur gewesen; und der praktische Wert ihrer Vorschläge verdient, erwogen zu werden. Die Bedeutsamkeit des Geldzinssatzes ergibt sich daher aus der Verbindung der Merkmale, daß dieser Zinssatz sich infolge der Wirkung des Liquiditätsmotivs einer Änderung im Verhältnis der Geldmenge zu anderen in Geld gemessenen Formen von Vermögen gegenüber nahezu unempfindlich verhält und daß die Elastizitäten sowohl des Angebots als auch der Substitution des Geldes Null (oder unbeachtlich) sind (oder sein können). Die erste Bedingung bedeutet, daß die Nachfrage in überwiegender Weise auf Geld gerichtet sein kann, die zweite, daß in dieser Situation keine Arbeit mit der Erzeugung von mehr Geld beschäftigt werden kann, und die dritte, daß an keinem Punkt eine Milderung dadurch entsteht, daß irgendein anderer Faktor, wenn er billig genug ist, den Dienst des Geldes ebensogut erfüllen kann. Die einzige Linderung – von Änderungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals abgesehen – kann (solange die Liquiditätspräferenz unverändert ist) von einer Zunahme in der Geldmenge, oder – was formal das gleiche ist – von einer Erhöhung des Geldwertes kommen, die es einer gegebenen Menge ermöglicht, größere Gelddienste zu leisten. Eine Erhöhung des Geldzinssatzes verzögert somit die Produktion aller Gegenstände mit einer elastischen Erzeugung, ohne die Produktion von Geld anregen zu können (dessen Erzeugung unserer Hypothese gemäß völlig unelastisch ist). Indem der Geldzinssatz das Tempo aller anderen Warenzinssätze bestimmt, hält er Investitionen für die Erzeugung dieser anderen Waren zurück, ohne Investitionen für die Erzeugung von Geld, das unserer Hypothese gemäß nicht erzeugt werden kann, anzuregen. Wegen der Elastizität der Nachfrage nach liquiden Mitteln (im Verhältnis zu Wertpapieren) wird überdies eine geringe Änderung in den Verhältnissen, die diese Nachfrage beherrschen, den Geldzinssatz nicht stark ändern, während (von amtlichen Maßnahmen abgesehen) gleichzeitig die natürlichen Kräfte, wegen des unelastischen Geldangebots, nicht
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in der Lage sein werden, den Geldzinssatz durch eine Beeinflussung des Angebotes herunterzubringen. Im Falle einer gewöhnlichen Ware würde die unelastische Nachfrage nach liquiden Beständen es den geringen Änderungen auf der Nachfrageseite ermöglichen, ihren Zinssatz mit einem Ruck hinauf- oder hinunterzubringen, während die Angebotselastizität auch dazu tendieren würde, eine hohe Prämie für sofortige gegenüber Lieferung auf Termin zu verhindern. Wenn andere Waren sich selbst überlassen sind, würden somit „natürliche Kräfte“, das heißt die gewöhnlichen Kräfte des Marktes, dazu tendieren, ihren Zinssatz hinunterzubringen, bis das Eintreten von Vollbeschäftigung die Unelastizität des Angebotes an Waren im Allgemeinen hervorgebracht hätte, die wir als ein normales Merkmal des Geldes unterstellt haben. In der Abwesenheit von Geld und – wir müssen natürlich voraussetzen – in der Abwesenheit jeder anderen Ware mit den angenommenen Merkmalen von Geld, würden somit die Zinssätze das Gleichgewicht erst erreichen, wenn Vollbeschäftigung besteht. Das heißt, Arbeitslosigkeit entwickelt sich, weil die Menschen dem Mond nachjagen; – es ist nicht möglich, Menschen zu beschäftigen, wenn der Gegenstand des Verlangens (das heißt Geld) etwas ist, was nicht erzeugt werden kann und dessen Nachfrage nicht ohne weiteres unterdrückt werden kann. Es gibt nur das Heilmittel, die Bevölkerung zu überzeugen, daß grüner Käse sozusagen die gleiche Sache ist6a, und eine Fabrik für grünen Käse (das heißt eine Zentralbank) unter öffentlicher Kontrolle zu haben. Es zeigt sich das interessante Ergebnis, daß das Merkmal, das nach überlieferter Annahme Gold besonders zweckmäßig für den Gebrauch als Wertstandard machen soll, nämlich die Unelastizität seines Angebotes, sich gerade als das Merkmal erweist, das der Kern des Übels ist. Unsere Folgerung kann (wenn wir die Konsumneigung als gegeben annehmen) in der allgemeinsten Form, wie folgt, dargestellt werden. Es kann keine weitere Zunahme im Niveau der Investitionen geben, wenn der höchste der Eigensätze des Eigenzinses aller verfügbaren Vermögensgegenstände gleich der höchsten der Grenzleistungsfähigkeiten aller Vermögensgegenstände ist, in Größen des Vermögengegenstandes gemessen, dessen Eigensatz des Eigenzinses am höchsten ist. In einem Zustand der Vollbeschäftigung ist diese Bedingung notwendigerweise erfüllt. Sie kann aber auch erfüllt sein, bevor Vollbeschäfti6a Hier spielt Keynes auf den Spruch „Der Mond ist aus grünem Käse gemacht‘‘ an, der dem englischen Poeten John Heywood zugeschrieben wird, wobei grün hier im Sinne von unreif zu verstehen ist (K / S).
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gung erreicht wird, wenn irgendeine Vermögensform besteht, deren Elastizitäten des Angebots und der Substitution Null (oder verhältnismäßig gering) sind7, deren Zinssatz bei einer Zunahme der Produktion langsamer abnimmt als die Grenzleistungsfähigkeiten der Kapitalgüter, in Größen von sich selbst gemessen.
IV. Wir haben oben gezeigt, daß die Tatsache, daß eine Ware der Wertstandard ist, nicht genügt, um ihren Zinssatz zum ausschlaggebenden Zinssatz zu machen. Es ist jedoch interessant zu erwägen, inwiefern die Merkmale des Geldes, wie wir es kennen, die den Geldzinssatz zum ausschlaggebenden Zinssatz erheben, damit zusammenhängen, daß das Geld der Standard ist, in dem Schulden und Löhne gewöhnlich fixiert sind. Der Gegenstand verlangt Betrachtung unter zwei Gesichtspunkten. Erstens ist die Tatsache, daß Verträge in Geld festgesetzt werden und daß in Geld festgesetzte Löhne gewöhnlich ziemlich beständig sind, unzweifelhaft stark für die hohe Liquiditätsprämie des Geldes verantwortlich. Die Annehmlichkeit, Vermögensbestände im gleichen Standard zu halten, in dem zukünftige Verbindlichkeiten fällig werden, und in einem Standard, in dessen Größen die zukünftigen Lebenshaltungskosten voraussichtlich verhältnismäßig beständig sein werden, liegt auf der Hand. Gleichzeitig könnte die Erwartung einer relativen Stabilität in den zukünftigen Geldkosten der Produktion nicht mit großer Zuversicht gehegt werden, wenn der Wertstandard eine Ware mit einer großen Angebotselastizität wäre. Überdies ist, so wie wir es kennen, die Erhebung des Geldzinssatzes zum ausschlaggebenden Zinssatz ebensosehr auf die niedrigen Lagerhaltungskosten des Geldes wie auf seine hohe Liquiditätsprämie zurückzuführen. Denn worauf es ankommt, ist die Differenz zwischen der Liquiditätsprämie und den Lagerhaltungskosten; und im Falle der meisten Waren, abweichend von solchen Anlagen wie Gold und Silber und Banknoten, sind die Lagerhaltungskosten mindestens ebenso hoch wie die Liquiditätsprämie, die unter gewöhnlichen Umständen dem Standard anhaftet, in dem Verträge und Löhne festgesetzt werden, so daß, selbst wenn die Liquiditätsprämie, die jetzt (zum Beispiel) dem Sterlinggeld anhaftet, auf (zum Beispiel) Weizen übertragen würde, es immer noch unwahrscheinlich wäre, daß der Weizenzinssatz über Null steigen würde. Es ergibt sich daher, daß die Tatsache, daß Verträge und Löhne in Größen von Geld festgesetzt werden, die Bedeutung des Geldzinssatzes zwar beträchtlich erhöht, dieser Um7 Eine Null-Elastizität ist eine härtere Bedingung, als notwendigerweise erforderlich ist.
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stand aber wahrscheinlich an sich doch nicht genügen würde, um die beobachteten Eigenschaften des Geldzinssatzes hervorzurufen. Der zweite Punkt, den wir betrachten müssen, ist subtiler. Die normale Erwartung, daß der Wert der Produktion in Größen von Geld gemessen beständiger sein wird als in Größen irgendeiner anderen Ware, stützt sich natürlich nicht darauf, daß Löhne in Geld vereinbart werden, sondern darauf, daß Löhne, in Größen von Geld, verhältnismäßig rigide sind. Was würde dann aber die Lage sein, wenn erwartet würde, daß die Löhne in Größen einer oder mehrerer anderer Waren als Geld rigider (das heißt stabiler) sein würden, als in Größen von Geld? Eine solche Erwartung erfordert nicht nur, daß die Kosten der in Frage kommenden Ware in Größen der Lohneinheit für ein höheres oder geringeres Niveau der Produktion, sowohl auf kurze als auf lange Sicht, als relativ konstant erwartet werden, sondern auch, daß jeder Überschuß über die laufende Nachfrage zum Herstellungspreis ohne Kosten auf Lager genommen werden kann, das heißt, daß ihre Liquiditätsprämie ihre Lagerhaltungskosten übersteigt (weil sonst, da keine Hoffnung auf einen Gewinn durch einen höheren Preis besteht, das Lagern eines Vorrates notwendigerweise einen Verlust bringen muß). Wenn eine Ware gefunden werden kann, die diese Bedingungen erfüllt, könnte sie sicherlich als ein Rivale des Geldes aufgestellt werden. Es ist somit logisch nicht unmöglich, daß es eine Ware geben könnte, in deren Größen der Wert der Produktion voraussichtlich beständiger sein wird, als in Größen von Geld. Aber es erscheint nicht wahrscheinlich, daß irgendeine solche Ware existiert. Ich folgere daher, daß die Ware, in deren Größe ausgedrückt die Löhne als am rigidesten erwartet werden, nur eine sein kann, deren Angebotselastizität die niedrigste und bei der der Überschuß der Lagerhaltungskosten über die Luquiditätsprämie am geringsten ist. Mit anderen Worten, die Erwartung einer verhältnismäßigen Rigidität der Löhne, in Geld gemessen, ist eine Folgerung daraus, daß der Überschuß der Liquiditätsprämie über die Lagerhaltungskosten im Falle von Geld größer als im Falle irgendeines anderen Vermögensgegenstandes ist. Wir sehen somit, daß die verschiedenen Merkmale, welche miteinander den Geldzinssatz ausschlaggebend machen, in kumulativer Weise aufeinander einwirken. Die Tatsache, daß die Elastizitäten des Angbots und der Substitution und die Lagerhaltungskosten des Geldes niedrig sind, verstärkt tendenziell die Erwartung, daß Nominallöhne relativ beständig sein werden; und diese Erwartung erhöht die Liquiditätsprämie des Geldes und verhindert die außergewöhnliche Korrelation
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zwischen dem Geldzinssatz und den Grenzleistungsfähigkeiten anderer Vermögensgegenstände, die, wenn sie existieren könnte, dem Geldzinssatz seinen Stachel rauben könnte. Professor Pigou hat sich (mit anderen) daran gewöhnt, vorauszusetzen, daß ein Grund zur Annahme besteht, daß Reallöhne stabiler sind als Nominallöhne. Aber dies könnte nur der Fall sein, wenn es eine Vermutung zugunsten einer Beständigkeit der Beschäftigung geben würde. Überdies besteht die Schwierigkeit, daß Lohngüter hohe Lagerhaltungskosten haben. Irgendein Versuch, die Reallöhne durch Festsetzung der Löhne in Größen von Lohngütern zu stabilisieren, könnte sich nur in einer heftigen Schwankung der Geldpreise auswirken. Denn jede geringe Schwankung in der Konsumneigung und in den Anreizen zur Investition würde die Geldpreise veranlassen, heftig zwischen Null und Unendlich zu schwanken. Daß die Nominallöhne stabiler als die Reallöhne sein sollten, ist eine Bedingung dafür, daß das System inhärent stabil ist. Den Reallöhnen relative Stabilität beizumessen, erweist sich somit nicht nur auf Grund der Tatsachen und Erfahrung als ein Fehler, sondern es ist auch ein logischer Fehler, wenn wir voraussetzen, daß das betrachtete System stabil ist, in dem Sinne, daß geringe Änderungen in der Konsumneigung und in den Anreizen zur Investition keine heftigen Wirkungen auf die Preise hervorbringen.
V. Als Anmerkung zu den obigen Ausführungen mag noch einmal hervorgehoben werden, was bereits dargestellt wurde, daß sowohl die „Liquidität“ als auch die „Lagerhaltungskosten“ nur eine Frage des Grades sind, und daß die Eigenheit des „Geldes“ nur darin besteht, daß die Liquidität im Verhältnis zu den Lagerhaltungskosten hoch ist. Erwägen wir zum Beispiel eine Wirtschaft, in der es keinen Vermögensgegenstand gibt, deren Liquiditätsprämie immer seine Lagerhaltungskosten übersteigt, was die beste Definition ist, die ich von einer sogenannten „nichtmonetären Wirtschaft“ geben kann. Das heißt, es gibt nichts als einzelne Konsumgüter und einzelne Kapitalausrüstungen, die sich mehr oder weniger nach dem Wesen der Konsumgüter unterscheiden, die sie über eine längere oder kürzere Zeit hervorbringen können, oder deren Erzeugung sie unterstützen, und im Gegensatz zur Kasse sich alle entwerten oder, wenn sie auf Vorrat gehalten werden, Kosten bedingen, die über jede ihnen vielleicht anhaftende Liquiditätsprämie hinausgehen.
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In einer solchen Wirtschaft werden sich Kapitalausrüstungen voneinander unterscheiden a) in der Art der Konsumgüter, zu deren Erzeugung sie beitragen können, b) in der Wertbeständigkeit ihrer Produktion (in dem Sinne, in dem der Wert des Brotes auf die Dauer beständiger ist als der Wert von Modeneuheiten), und c) in der Raschheit, mit der der in ihnen verkörperte Reichtum „liquide“ gemacht werden kann, in dem Sinne der Erzeugung von Gütern, deren Erlös, falls gewünscht, in einer ganz anderen Form wieder verkörpert werden kann. Die Besitzer von Vermögen werden dann den Mangel verschiedener Kapitalausrüstungen an „Liquidität“ im obigen Sinne als ein Mittel, Reichtum zu halten, gegen die beste verfügbare versicherungsmathematische Schätzung ihrer voraussichtlichen Erträge, unter Berücksichtigung des Risikos, abwägen. Man wird bemerken, daß die Liquiditätsprämie teilweise ähnlich, aber teilweise auch verschieden von der Risikoprämie ist; – der Unterschied entspricht dabei den Unterschieden zwischen den besten Schätzungen, die wir von den Wahrscheinlichkeiten machen können, und der Zuversicht, mit der wir sie machen8. Als wir in früheren Kapiteln die Schätzung der voraussichtlichen Erträge behandelt haben, sind wir nicht im Einzelnen darauf eingegangen, wie die Schätzung gemacht wird; und um eine Erschwerung der Beweisführung zu vermeiden, haben wir Unterschiede in der Liquidität nicht von Unterschieden im eigentlichen Risiko unterschieden. Es ist jedoch offensichtlich, daß wir bei der Berechnung des Eigenzinssatzes beide in Betracht ziehen müssen. Es ist klar, daß es keinen absoluten „Liquiditäts“-Standard gibt, sondern lediglich eine Liquiditätsskala – eine sich ändernde Prämie, die zusammen mit den Kosten des Gebrauchs und des Lagerns in die Schätzung der relativen Attraktivität verschiedener Formen des Haltens von Vermögen einbezogen werden muß. Die Vorstellung darüber, was zur „Liquidität“ beiträgt, ist zum Teil unbestimmt, von Zeit zu Zeit wechselnd und von gesellschaftlichen Gebräuchen und Institutionen abhängig. Die Rangordnung der Vorzüge in den Gedanken der Vermögensbesitzer, in der sie zu irgendeiner gegebenen Zeit ihre Einstellung zur Liquidität ausdrücken, ist jedoch fest umrissen und ist alles, was wir für unsere Analyse des Verhaltens der Wirtschaft brauchen. Es mag sein, daß in gewissen geschichtlichen Situationen der Besitz von Land in den Gedanken der Vermögensbesitzer durch eine hohe 8
Vgl. Fußnote S. 126.
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Liquiditätsprämie gekennzeichnet war; und da Land dem Geld insofern gleicht, als ihre Elastizitäten des Angebots und der Substitution sehr niedrig sein können9, ist es denkbar, daß es Zeiten in der Geschichte gegeben hat, in denen das Verlangen nach dem Besitz von Land die gleiche Rolle in der Aufrechterhaltung des Zinssatzes auf einem zu hohen Niveau gespielt hat wie das Geld in neueren Zeiten. Wegen des Mangels eines Terminpreises für Land, in Größen von sich selbst, der genau mit dem Zinssatz auf ein Gelddarlehen vergleichbar wäre, ist es schwierig, diesen Einfluß mengenmäßig zu verfolgen. Wir haben jedoch etwas, was zeitweise sehr analog gewesen ist, in der Form von hohen Zinssätzen auf Hypotheken10. Die hohen Zinsen auf Hypotheken, die oft den wahrscheinlichen Nettoertrag aus der Bebauung des Landes überstiegen, waren eine gebräuchliche Erscheinung vieler Agrarwirtschaften. Wuchergesetze sind in erster Linie gegen Belastungen dieser Art gerichtet gewesen. Und mit Recht. Denn in früheren gesellschaftlichen Ordnungen, in denen es keine langfristigen Schuldscheine im modernen Sinne gab, mag der Wettbewerb mit einem hohen Hypothekenzinssatz leicht die gleiche verzögernde Wirkung auf das Wachsen von Reichtum aus laufender Investition in neu erzeugten Kapitalanlagen gehabt haben, wie die hohen Zinssätze auf langfristige Darlehen in neueren Zeiten. Daß die Welt nach mehreren Jahrtausenden beständigen Sparens der Individuen so arm an angehäuften Kapitalgütern ist, ist nach meiner Ansicht weder durch die geringe Vorsorgeneigung der Menschheit, sogar nicht einmal durch die Zerstörungen von Kriegen, sondern durch die hohen Liquiditätsprämien zu erklären, die früher dem Besitz von Land anhafteten und die jetzt an dem Besitz von Geld hängen. Ich weiche hierin von der älteren Anschauung ab, wie sie von Marshall mit unge9 Die Eigenschaft der „Liquidität“ ist keineswegs unabhängig von dem Vorhandensein dieser zwei Merkmale. Denn es ist unwahrscheinlich, daß ein Vermögensgegenstand, dessen Angebot leicht vermehrt werden kann oder nach dem das Verlangen durch eine Änderung im relativen Preis leicht umgelenkt werden kann, in den Gedanken der Besitzer von Reichtum die Eigenschaft der „Liquidität“ haben wird. Selbst das Geld verliert rasch die Eigenschaft der „Liquidität“, wenn angenommen wird, daß sein zukünftiges Angebot starken Änderungen unterworfen sein wird. 10 Eine Hypothek und die Zinsen darauf werden in der Tat in Größen von Geld festgesetzt. Aber die Tatsache, daß der Hypothekenschuldner die Wahl hat, das Land selber zur Begleichung der Schuld abzuliefern – und es abliefern muß, wenn er das Geld nicht auf Verlangen auftreiben kann –, hat das Hypothekensystem gelegentlich einem Vertrag über spätere Lieferung von Land, im Gegensatz zu sofortiger Lieferung, ähnlich gemacht. Es hat Landverkäufe an Pächter gegen von den Eigentümern aufgenommene Hypotheken gegeben, die in der Tat Transaktionen dieser Art sehr nahe kamen.
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wöhnlich dogmatischer Überzeugungskraft in seinen Principles of Economics S. 581 ausgedrückt wird: Jedermann ist sich bewußt, daß die Vorliebe, welche die große Masse der Menschheit für gegenwärtige Befriedigung statt für aufgeschobene hat, oder mit anderen Worten, ihre Unwilligkeit zu „warten“, die Anhäufung von Reichtum gehemmt und den Zinssatz hochgehalten hat.
VI.
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In meiner Abhandlung „Vom Gelde“ habe ich einen vermeintlich einzigartigen Zinssatz definiert, den ich den natürlichen Zinssatz genannt habe – nämlich den Zinssatz, der in der Sprache meiner Abhandlung Gleichheit zwischen der Ersparnis (wie dort definiert) und den Investitionen sicherte. Dies schien mir eine Weiterführung und Klärung des „natürlichen Zinssatzes“ von Wicksell zu sein, der ihm zufolge der Satz war, der die Beständigkeit irgendeines nicht ganz klar bestimmten Preisniveaus bewahren würde. Ich hatte jedoch die Tatsache übersehen, daß es in einer gegebenen Gesellschaft nach dieser Definition einen unterschiedlichen natürlichen Zinssatz für jedes hypothetische Niveau der Beschäftigung gibt. Und ähnlich gibt es für jeden Zinssatz ein Niveau der Beschäftigung, für das jener Zinssatz der „natürliche“ Zinssatz ist, in dem Sinne, daß das System bei diesem Zinssatz und auf diesem Niveau der Beschäftigung im Gleichgewicht sein wird. Es war somit ein Fehler, von dem natürlichen Zinssatz zu sprechen oder anzudeuten, daß die obige Definition einen einzigen Wert für den Zinssatz ergeben würde, unabhängig von dem Niveau der Beschäftigung. Ich hatte damals noch nicht verstanden, daß unter gewissen Bedingungen das System im Gleichgewicht sein könnte mit weniger als Vollbeschäftigung. Ich glaube nun nicht mehr, daß der Begriff eines „natürlichen“ Zinssatzes, der mir früher als ein sehr vielversprechender Gedanke erschien, irgendeinen sehr nützlichen oder bedeutsamen Beitrag zu unserer Analyse darstellt. Er ist lediglich der Zinssatz, der den Status quo bewahren wird; und im allgemeinen haben wir kein überwiegendes Interesse am Status quo als solchem. Wenn es irgendeinen Zinssatz gibt, der einzigartig und bedeutsam ist, muß es der Zinssatz sein, den wir als den neutralen Zinssatz bezeichnen könnten11, nämlich der natürliche Zinssatz im obigen Sinne, der mit 11 Diese Definition stimmt mit keiner der verschiedenen Definitionen von neutralem Geld überein, die von modernen Autoren gegeben wurden; obschon sie vielleicht in irgendeiner Beziehung zu der Zielsetzung steht, welche die Verfasser dieser Definitionen im Sinne hatten.
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Vollbeschäftigung vereinbar ist, wenn die anderen Parameter des Systems gegeben sind; obschon dieser Zinssatz vielleicht besser als der optimale Zinssatz bezeichnet werden könnte. Der neutrale Zinssatz kann genauer als der Zinssatz definiert werden, der im Gleichgewicht vorherrscht, wenn die Produktion und die Beschäftigung derart sind, daß die Elastizität der Gesamtbeschäftigung Null ist12. Das Obige gibt uns noch einmal die Antwort auf die Frage, welche stillschweigende Voraussetzung erforderlich ist, um der klassischen Theorie des Zinssatzes einen Sinn zu geben. Diese Theorie setzt entweder voraus, daß der tatsächliche Zinssatz immer dem neutralen Zinssatz gleich ist, in dem Sinne, in dem wir jenen soeben definiert haben, oder wahlweise, daß der tatsächliche Zinssatz immer dem Zinssatz gleich ist, der die Beschäftigung auf irgendeinem genau umschriebenen beständigen Niveau hält. Wenn die herkömmliche Theorie auf diese Weise ausgelegt wird, ist wenig oder nichts in ihren praktischen Folgerungen, womit wir uns nicht einverstanden erklären können. Die klassische Theorie setzt voraus, daß die Währungsbehörde oder natürliche Kräfte den Marktzinssatz veranlassen, die eine oder die andere der obigen Bedingungen zu erfüllen; und sie erforscht die Gesetze, welche den Einsatz und die Erträge der produktiven Ressourcen des Gemeinwesens nach dieser Voraussetzung beherrschen werden. Wenn diese Begrenzung in Kraft getreten ist, dann hängt die Menge der Produktion ausschließlich von dem als konstant vorausgesetzten Niveau der Beschäftigung in Verbindung mit der vorhandenen Ausrüstung und Technik ab; und damit haben wir uns wohlbehütet in einer Ricardianischen Welt behaglich niedergelassen.
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Vgl. 20. Kap.
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Achtzehntes Kapitel
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Wir haben nun einen Punkt erreicht, an dem wir die Fäden unserer Beweisführung zusammenführen können. Für den Anfang mag es zweckmäßig sein, klar zu machen, welche Elemente im wirtschaftlichen System wir gewöhnlich als gegeben voraussetzen, welches die unabhängigen Variablen unseres Systems und welches die abhängigen Variablen sind. Als gegeben setzen wir voraus: Die bestehende Geschicklichkeit und die Menge der verfügbaren Arbeitskraft, die bestehende Qualität und Menge der verfügbaren Ausrüstung, die bestehende Technik, den Grad der Konkurrenz, die Geschmacksrichtungen und Gewohnheiten der Verbraucher, die Nutzeneinbußen verschiedener Intensitäten der Arbeit und der Tätigkeit der Leitung und Organisation sowie den gesellschaftlichen Aufbau einschließlich der Kräfte, welche die Verteilung des Nationaleinkommens bestimmen, sofern sie nicht unter den unten angeführten variablen Größen eingereiht sind. Das heißt nicht, daß wir diese Faktoren als konstant voraussetzen, sondern lediglich, daß wir an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang die Wirkungen und Folgen von Änderungen in ihnen außer Acht und außer Berechnung lassen. Unsere unabhängigen Variablen sind in erster Linie die Konsumneigung, die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz, obschon diese, wie wir bereits gesehen haben, weiter analysiert werden können. Unsere abhängigen Variablen sind die Menge der Beschäftigung und das Nationalprodukt (oder Nationaleinkommen), in Lohneinheiten gemessen. Die Faktoren, die wir als gegeben vorausgesetzt haben, beeinflussen unsere unabhängigen Variablen, ohne sie aber vollständig zu bestimmen. So stützt sich zum Beispiel die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals teilweise auf die bestehende Menge der Ausrüstung, die einer der gegebenen Faktoren ist, aber teilweise auch auf den Stand der langfristigen Erwartung, der aus den gegebenen Faktoren nicht abgeleitet werden kann. Aber es gibt gewisse andere Elemente, die von den gegebenen Faktoren so vollständig bestimmt werden, daß wir diese Ableitungen selber als gegeben behandeln können.
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Zum Beispiel können wir aus den gegebenen Faktoren ableiten, welches Niveau des Nationaleinkommens, in Größen der Lohneinheit gemessen, jedem gegebenen Niveau der Beschäftigung entspricht, so daß innerhalb des wirtschaftlichen Rahmens, den wir als gegeben voraussetzen, das Nationaleinkommen von der Menge der Beschäftigung abhängt, das heißt von der Menge der Anstrengung, die laufend der Erzeugung gewidmet wird, in dem Sinne, daß es eine eindeutige Korrelation zwischen den beiden gibt1. Ferner können wir von ihnen die Form der aggregierten Angebotsfunktionen ableiten, welche die physischen Bedingungen des Angebots von verschiedenen Arten von Erzeugnissen verkörpern; – das heißt die Menge an Beschäftigung, die der Erzeugung im Umfang des jeweiligen Niveaus der effektiven Nachfrage, in Größen der Lohneinheit gemessen, gewidmet sein wird. Schließlich liefern sie uns die Angebotsfunktion der Arbeit (oder der Leistung); so daß sie uns unter anderem sagen, an welchem Punkt die Beschäftigungsfunktion2 für die Arbeit als Ganzes aufhören wird, elastisch zu sein. Die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals stützt sich jedoch teilweise auf die gegebenen Faktoren und teilweise auf den voraussichtlichen Ertrag von Kapitalgütern verschiedener Art; während der Zinssatz teilweise vom Stand der Liquiditätspräferenz abhängt (das heißt von der Funktion der Liquidität) und teilweise von der Geldmenge, in Größen der Lohneinheit gemessen. Wir können somit bisweilen unsere fundamentalen unabhängigen Variablen als aus den folgenden Größen bestehend betrachten: 1. den drei grundlegenden psychologischen Faktoren, nämlich der psychologischen Konsumneigung, der psychologischen Liquiditätspräferenz und der psychologischen Erwartung der zukünftigen Erträge aus Kapitalgütern, 2. der Lohneinheit, wie sie durch die von den Unternehmern und Arbeitern getroffenen Abkommen bestimmt wird, und 3. der Geldmenge, wie sie durch die Aktionen der Zentralbank bestimmt wird; so daß, wenn wir die oben aufgeführten Faktoren als gegeben voraussetzen, diese Variablen das Nationalprodukt (oder das Nationaleinkommen) und die Menge der Beschäftigung bestimmen. Aber auch diese könnten einer weiteren Analyse unterworfen werden und sind daher nicht unsere sozusagen letzten, atomaren, unabhängigen Elemente. 1 Wir übersehen auf dieser Stufe gewisse Verwicklungen, die sich ergeben, wenn die Beschäftigungsfunktionen verschiedener Erzeugnisse innerhalb des relevanten Niveaus der Beschäftigung unterschiedliche Krümmungen haben. Siehe 20. Kap. unten. 2 Im 20. Kap. unten definiert.
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Von jedem absoluten Standpunkt aus ist die Einteilung der bestimmenden Größen des wirtschaftlichen Systems in die zwei Gruppen der gegebenen Faktoren und der unabhängigen Variablen natürlich ganz willkürlich. Die Einteilung muß völlig auf Grundlage der Erfahrung gemacht werden, so daß sie einerseits den Faktoren entspricht, deren Änderungen so langsam oder so unerheblich erscheinen, daß sie nur einen geringen und verhältnismäßig unbedeutenden kurzfristigen Einfluß auf unseren Fragegegenstand haben, und andererseits jenen Faktoren, deren Änderungen erfahrungsgemäß einen überwiegenden Einfluß auf unseren Fragegegenstand ausüben. Unser gegenwärtiges Ziel ist, zu entdecken, was zu jeder Zeit das Nationaleinkommen eines gegebenen wirtschaftlichen Systems und (was fast das gleiche ist) die Menge seiner Beschäftigung bestimmt; das bedeutet in einer so komplexen Nationalökonomie, in der wir nicht hoffen können, völlig genaue Verallgemeinerungen zu machen, die Faktoren zu entdecken, deren Änderungen hauptsächlich unseren Fragegegenstand bestimmen. Unsere endgültige Aufgabe könnte die Auswahl jener Variablen sein, die absichtlich von den zentralen Regierungsbehörden des Systems, in dem wir tatsächlich leben, kontrolliert oder gesteuert werden können.
II.
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Wir wollen nun versuchen, die Beweisführung der früheren Kapitel zusammenzufassen, wobei wir die Faktoren in der umgekehrten Reihenfolge betrachten, in der wir sie eingeführt haben. Es wird Anreize geben, das Volumen neuer Investitionen auf den Punkt zu treiben, der den Angebotspreis jeder Art von Kapitalgut auf einen Betrag bringt, der, verbunden mit seinem voraussichtlichen Ertrag, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im allgemeinen in ungefähre Gleichheit mit dem Zinssatz bringt. Das heißt, die physischen Angebotsbedingungen in den Kapitalgüterindustrien, der Stand des Vertrauens bezüglich des voraussichtlichen Ertrages, die psychologische Einstellung zur Liquidität und die Geldmenge (vorzugsweise in Größen der Lohneinheit gerechnet) bestimmen miteinander das Volumen neuer Investitionen. Eine Zunahme (oder Abnahme) im Volumen der Investitionen wird aber eine Zunahme (oder Abnahme) des Verbrauchs mit sich bringen, weil das Verhalten der Bevölkerung im allgemeinen derart ist, daß sie nur bereit ist, die Spanne zwischen ihrem Einkommen und ihrem Verbrauch zu vergrößern (oder zu verringern), wenn ihr Einkommen vermehrt (oder vermindert) wird. Das heißt, Änderungen im Konsum erfol-
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gen im allgemeinen in der gleichen Richtung (obschon im Betrag geringer) wie Änderungen im Einkommen. Das Verhältnis zwischen dem Zuwachs des Verbrauches, der einen gegebenen Zuwachs der Ersparnis begleiten muß, wird durch die marginale Konsumneigung gegeben. Das auf diese Art bestimmte Verhältnis zwischen einem Zuwachs der Investition und dem entsprechenden Zuwachs des Gesamteinkommens, beide in Lohneinheiten gemessen, wird durch den Investitionsmultiplikator gegeben. Wenn wir schließlich (als erste Annäherung) voraussetzen, daß der Beschäftigungsmultiplikator gleich dem Investitionsmultiplikator ist, können wir diesen Multiplikator auf die durch die zuerst beschriebenen Faktoren herbeigeführte Zunahme (oder Abnahme) der Investitionen anwenden und daraus den Zuwachs der Beschäftigung ableiten. Eine Zunahme (oder Abnahme) der Beschäftigung hat jedoch die Tendenz, die Kurve der Liquiditätspräferenz zu erhöhen (oder zu senken); wobei sie auf drei Wegen dazu tendieren wird, die Nachfrage nach Geld zu erhöhen. Einmal wird der Wert der Produktion bei einer Zunahme der Beschäftigung steigen, selbst wenn die Lohneinheit und die Preise (in Größen der Lohneinheit) unverändert bleiben; zusätzlich wird die Lohneinheit selbst dazu tendieren, mit der Zunahme der Beschäftigung zu steigen; und schließlich wird die Zunahme in der Produktion wegen der zunehmenden Kosten in der kurzen Periode von einer Preissteigerung (in Größen der Lohneinheit) begleitet sein. Die Gleichgewichtslage wird somit durch diese Rückwirkungen beeinflußt werden; und dazu kommen noch andere Rückwirkungen. Überdies gibt es nicht einen der obigen Faktoren, der nicht Änderungen, und manchmal beträchtlichen Änderungen (ohne große Vorwarnung), unterworfen wäre. Daher die außerordentliche Komplexität des tatsächlichen Verlaufes der Ereignisse. Trotz allem scheinen es aber diese Faktoren zu sein, deren isolierte Betrachtung nützlich und zweckmäßig ist. Wenn wir irgendein aktuelles Problem gemäß dem obigen Schema untersuchen, werden wir finden, daß es leichter zu handhaben ist; und unsere praktische Intuition (die einen detaillierteren Komplex von Tatsachen in Betracht ziehen kann, als nach allgemeinen Grundsätzen zu behandeln möglich ist) wird eine weniger widerspenstige Materie zu bearbeiten haben.
III. Das Obige ist eine Zusammenfassung der Allgemeinen Theorie. Die tatsächlichen Erscheinungen in der Wirtschaft sind aber auch durch gewisse besondere Merkmale der Konsumneigung, der Grenzleistungs-
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fähigkeit des Kapitals und des Zinssatzes gefärbt, die wir unbedenklich aus der Erfahrung verallgemeinern können, die aber nicht logisch notwendig sind. Insbesondere ist es ein hervorstechendes Merkmal unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems, daß es zwar starken Schwankungen in bezug auf Produktion und Beschäftigung unterworfen ist, aber daß es doch nicht extrem instabil ist. Es scheint in der Tat während eines beträchtlichen Zeitraums in einem chronischen Zustand unternormaler Tätigkeit verbleiben zu können, ohne irgendeine ausgesprochene Tendenz zur Wiederbelebung oder zum vollständigen Zusammenbruch zu haben. Die Erfahrung weist überdies darauf hin, daß Vollbeschäftigung oder auch nur annähernde Vollbeschäftigung eine seltene und kurzlebige Erscheinung ist. Schwankungen mögen lebhaft beginnen, scheinen aber nachzulassen, bevor sie große Extremwerte erreichen, und eine Zwischenlage, die weder verzweifelt noch befriedigend ist, ist unser normales Los. Auf diese Tatsache, daß Schwankungen dazu neigen, nachzulassen, bevor sie große Extremwerte erreichen, um schließlich die umgekehrte Richtung einzuschlagen, wurde die Theorie aufgebaut, daß der Konjunkturzyklus einen regelmäßigen Verlauf hat. Das gleiche gilt für die Preise, die anscheinend auf eine einleitende Störungsursache hin ein Niveau zu finden fähig sind, auf dem sie zeitweilig einigermaßen stabil bleiben können. Da nun diese Erfahrungstatsachen sich nicht aus logischer Notwendigkeit ergeben, hat man anzunehmen, daß die Gegebenheiten und die psychologischen Neigungen der modernen Welt derart sein müssen, daß sie diese Ergebnisse hervorbringen. Es ist deshalb nützlich, zu überlegen, welche hypothetischen psychologischen Neigungen zu einem stabilen System führen würden; und ferner, ob diese Neigungen auf Grund unserer allgemeinen Kenntnis der gegenwärtigen menschlichen Natur der Welt, in der wir leben, glaubhaft zugeschrieben werden können. Die Stabilitätsbedingungen, von denen wir auf Grund der obigen Analyse annehmen dürfen, daß sie fähig wären, die beobachteten Ergebnisse zu erklären, sind die folgenden: 1. Die marginale Konsumneigung ist derart, daß, wenn die Produktion eines gegebenen Gemeinwesens zunimmt (oder abnimmt), weil mehr (oder weniger) Beschäftigung auf ihre Kapitalausrüstung angewandt wird, der Multiplikator, der die beiden verbindet, größer als eins ist, aber nicht sehr groß. 2. Wenn sich der voraussichtliche Ertrag aus dem Kapital oder der Zinssatz ändert, wird die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals derart sein, daß die Änderung der Neuinvestitionen in keinem großen
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Mißverhältnis zur Änderung von Ertrag und Zins stehen wird; das heißt, mäßige Änderungen im voraussichtlichen Ertrag des Kapitals oder im Zinssatz werden nicht mit großen Änderungen im Investitionsvolumen verbunden sein. 3. Wenn sich die Beschäftigung ändert, werden die Nominallöhne dazu tendieren, sich in der gleichen Richtung wie die Beschäftigung zu ändern, aber in keinem großen Mißverhältnis zu deren Änderung; das heißt mäßige Änderungen in der Beschäftigung sind nicht mit sehr großen Änderungen in den Nominallöhnen verbunden. Dies ist mehr eine Bedingung für die Stabilität der Preise als der Beschäftigung. 4. Wir können eine vierte Bedingung hinzufügen, die sich nicht so sehr auf die Stabilität des Systems auswirkt, sondern auf die Tendenz einer Schwankung, die in die eine Richtung geht, sich von selbst zu gegebener Zeit umzukehren; so wird nämlich ein Investitionsvolumen, das höher (oder niedriger) als das frühere ist, anfangen, ungünstig (oder günstig) auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu wirken, wenn sie während eines Zeitabschnittes andauert, der, in Jahren gemessen, nicht sehr groß ist. 1. Unsere erste Stabilitätsbedingung, nämlich daß der Multiplikator, obschon größer als eins, doch nicht sehr groß ist, ist als psychologisches Merkmal der menschlichen Natur höchst plausibel. Mit einer Zunahme des Realeinkommens vermindert sich nicht nur die Dringlichkeit der gegenwärtigen Bedürfnisse, sondern vergrößert sich auch der über den bestehenden Lebensstandard hinausgehende Spielraum; und mit einer Abnahme des Realeinkommens trifft das Gegenteil zu. Es ist somit natürlich – jedenfalls in bezug auf den Durchschnitt des Gemeinwesens –, daß sich der laufende Verbrauch bei einer Zunahme der Beschäftigung ausdehnt, aber um weniger als den ganzen Zuwachs des Realeinkommens, und daß er bei einer Abnahme der Beschäftigung abnimmt, aber um weniger als die ganze Abnahme des Realeinkommens. Was auf den Durchschnitt der Individuen zutrifft, trifft überdies wahrscheinlich auch auf die Regierungen zu, besonders in einer Zeit, in der eine fortschreitende Zunahme der Arbeitslosigkeit den Staat gewöhnlich zwingen wird, aus geliehenen Mitteln Unterstützungen zu gewähren. Aber, ob dieses psychologische Gesetz dem Leser a priori plausibel erscheint oder nicht, so ist doch gewiß, daß die Erfahrung äußerst verschieden wäre von dem, was sie ist, wenn das Gesetz nicht gelten würde. Denn in jenem Fall würde eine Zunahme der Investitionen, sei sie noch so gering, eine kumulative Zunahme der effektiven Nachfrage in Bewegung setzen, bis ein Zustand der Vollbeschäftigung er-
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reicht würde; während eine Abnahme der Investitionen eine kumulative Abnahme der effektiven Nachfrage in Bewegung setzen würde, bis überhaupt niemand mehr beschäftigt wäre. Die Erfahrung zeigt aber, daß wir uns im allgemeinen in einem Zwischenzustand befinden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es einen Bereich geben mag, in dem Instabilität in der Tat vorherrscht. Wenn dies aber so ist, so ist es wahrscheinlich ein enger Bereich, außerhalb dessen unser psychologisches Gesetz unzweifelhaft in beide Richtungen Gültigkeit hat. Es ist überdies offensichtlich, daß der Multiplikator, auch wenn er größer als eins ist, doch unter normalen Umständen nicht enorm groß ist. Denn wenn er es wäre, würde eine gegebene Änderung in der Rate der Investition eine große Änderung im Investitionsvolumen bedingen (die nur durch Volloder Nullbeschäftigung begrenzt wäre). 2. Während unsere erste Bedingung vorsieht, daß eine mäßige Änderung im Investitionsvolumen keine unendlich große Änderung in der Nachfrage nach Konsumgütern bedingen wird, sorgt unsere zweite Bedingung dafür, daß eine mäßige Änderung im voraussichtlichen Ertrag von Kapitalgütern oder im Zinssatz keine unendlich große Änderung im Investitionsvolumen bedingen wird. Daß dies wahrscheinlich der Fall sein wird, ist auf die zunehmenden Kosten einer stark vergrößerten Produktion auf der Grundlage der bestehenden Ausrüstung zurückzuführen. Wenn wir in der Tat von einem Zustand ausgehen, in welchem sehr große überschüssige Ressourcen für die Erzeugung von Kapitalgütern vorhanden sind, mag es innerhalb eines gewissen Bereichs eine beträchtliche Instabilität geben; aber diese Instabilität wird nur so lange anhalten, bis der Überschuß zum großen Teil abgebaut worden ist. Diese Bedingung setzt überdies der Instabilität eine Grenze, die sich aus raschen Änderungen im voraussichtlichen Ertrag aus Kapitalwerten infolge starker Schwankungen in der Geschäftspsychologie oder epochaler Erfindungen ergibt, – obschon vielleicht mehr in der Aufwärts- als in der Abwärtsrichtung. 3. Unsere dritte Bedingung stimmt mit unserer Erfahrung der menschlichen Natur überein. Denn obschon der Kampf um Nominallöhne, wie wir oben hervorgehoben haben, hauptsächlich ein Kampf um die Erhaltung eines hohen relativen Lohnes ist, wird dieser Kampf wahrscheinlich bei zunehmender Beschäftigung in jedem einzelnen Fall verschärft werden, weil sich die Verhandlungsposition des Arbeiters einerseits verbessert hat, und weil der sinkende Grenznutzen seines Lohnes und sein verbesserter finanzieller Spielraum ihn andererseits bereitwilliger machen, Risiken einzugehen. Diese Beweggründe werden aber trotzdem nur innerhalb gewisser Grenzen wirken, und die
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Arbeiter werden bei einer Verbesserung der Beschäftigung keinen sehr viel höheren Nominallohn verlangen oder eine sehr große Verminderung zulassen, statt Arbeitslosigkeit auf sich zu nehmen. Auch hier gilt: Unabhängig davon, ob diese Folgerung a priori plausibel ist oder nicht, so lehrt uns die Erfahrung, daß irgendein solches psychologisches Gesetz tatsächlich Geltung haben muß. Denn wenn der Wettbewerb unter arbeitslosen Arbeitern immer zu einer großen Senkung des Nominallohnes führen würde, wäre das Preisniveau einer heftigen Instabilität unterworfen. Überdies könnte es dann keine Lage stabilen Gleichgewichts geben, ausgenommen in Zuständen, die mit Vollbeschäftigung vereinbar sind, da die Lohneinheit unbegrenzt fallen können müßte, bis sie einen Punkt erreicht haben würde, an dem die Wirkung des Übermaßes an Geld (in Größen der Lohneinheit) auf den Zinssatz ausreichend wäre, um ein Niveau der Vollbeschäftigung wiederherzustellen. Eine Ruhelage wäre auf keinem anderen Punkt möglich3. 4. Unsere vierte Bedingung, die nicht so sehr eine Bedingung der Stabilität als eine Bedingung abwechselnder Rezessionen und Erholungen ist, stützt sich lediglich auf die Vermutung, daß die Kapitalgüter von verschiedenem Alter sind, sich mit der Zeit abnützen und nicht alle sehr langlebig sind, so daß, wenn die Investitionen unter ein gewisses Mindestniveau fallen, es (in Ermangelung großer Schwankungen in den anderen Faktoren) lediglich eine Frage der Zeit ist, bis die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitels genügend steigt, um einen Anstieg der Investition über dieses Mindestniveau herbeizuführen. Und auf die gleiche Weise ist es natürlich beim Anstieg der Investition auf einen höheren Betrag als zuvor nur eine Frage der Zeit, bis die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals genügend fällt, um, wenn es keine ausgleichenden Änderungen in den anderen Faktoren gibt, eine Rezession herbeizuführen. Aus diesem Grunde werden selbst jene Ausmaße von Erholungen und Rezessionen, die innerhalb der durch unsere anderen Stabilitätsbedingungen gesetzten Begrenzungen vorkommen können, wenn sie genügend lang andauern und nicht durch Änderungen in den anderen Faktoren gestört werden, wahrscheinlich eine Bewegung in der entgegengesetzten Richtung verursachen, bis die gleichen Kräfte von vorher die Richtung wieder ändern. Unsere vier Bedingungen zusammen genügen somit, um die hervorstechenden Erscheinungen unserer aktuellen Erfahrung zu erklären: nämlich daß wir unter Vermeidung besorgniserregender Extreme der Schwan3 Die Wirkungen von Änderungen in der Lohneinheit werden im 19. Kap. eingehend betrachtet werden.
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kungen in der Beschäftigung und in den Preisen in beiden Richtungen um einen mittleren Zustand pendeln, der beträchtlich unter der Vollbeschäftigung und beträchtlich über der Mindestbeschäftigung ist, unterhalb derer das Leben gefährdet wäre. Wir dürfen aber nicht folgern, daß die auf diese Weise durch „natürliche“ Tendenzen bestimmte mittlere Lage, das heißt durch solche Tendenzen, die wahrscheinlich andauern werden, falls keine eigens zu ihrem Ausgleich vorgesehene Maßnahmen getroffen werden, deshalb durch Gesetze der Notwendigkeit geschaffen ist. Die unbehinderte Herrschaft der obigen Bedingungen ist eine beobachtete Tatsache in der Welt, wie sie ist oder war, aber kein notwendiges Prinzip, das nicht geändert werden kann.
FÜNFTES BUCH
Nominallöhne und Preise
Neunzehntes Kapitel
Änderungen in den Nominallöhnen I. Es wäre ein Vorteil gewesen, wenn wir die Wirkungen einer Änderung in den Nominallöhnen in einem früheren Kapitel hätten erörtern können. Denn die Klassische Theorie war daran gewöhnt, das angeblich sich selbst regulierende Wesen der Wirtschaft auf eine vorausgesetzte Flexibilität der Nominallöhne zu stützen und, wenn sich Rigidität zeigte, die Schuld an der schlechten Anpassung dieser Rigidität zuzuschreiben. Es war jedoch nicht möglich, diesen Gegenstand ausführlich zu erörtern, bevor unsere eigene Theorie entwickelt war. Denn die Folgen einer Änderung in den Nominallöhnen sind kompliziert. Eine Kürzung der Nominallöhne kann unter gewissen Umständen sehr wohl die Produktion anregen, wie es von der klassischen Theorie vorausgesetzt wird. Meine Abweichung von dieser Theorie ist hauptsächlich eine Abweichung in der Analyse, so daß sie nicht klar ausgeführt werden konnte, bevor der Leser mit meiner eigenen Methode vertraut war. Die allgemein angenommene Erklärung ist, so wie ich sie verstehe, ganz einfach. Sie stützt sich nicht auf umständliche Rückwirkungen, wie wir sie unten erörtern werden. Der Gedankengang ist einfach der, daß eine Kürzung der Nominallöhne unter sonst gleichen Bedingungen die Nachfrage durch eine Verminderung des Preises des fertigen Erzeugnisses anregen und daher die Produktion und die Beschäftigung bis auf den Punkt vermehren wird, auf dem die von den Arbeitern hingenommene Kürzung der Nominallöhne gerade durch die sich mit der Zunahme der Produktion (bei einer gegebenen Ausrüstung) ergebende abnehmende Grenzleistungsfähigkeit der Arbeit aufgehoben wird. In seiner rohesten Form ist dies gleichbedeutend mit der Voraussetzung, daß die Kürzung der Nominallöhne die Nachfrage unberührt lassen wird. Es mag Ökonomen geben, die behaupten würden, daß kein Grund vorliegt, warum die Nachfrage berührt werden sollte, indem sie argumentieren, daß die Gesamtnachfrage von der Geldmenge, multipliziert mit der Einkommensgeschwindigkeit des Geldes, abhängt, und daß kein offensichtlicher Grund da ist, warum eine Kürzung der Nominallöhne entweder die Nominalmenge oder ihre Einkommensgeschwindigkeit vermindern sollte. Oder sie mögen sogar behaupten, daß die Gewinne notwendigerweise zunehmen werden, weil die Löhne her-
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untergegangen sind. Es wäre aber meiner Ansicht nach üblicher, darin übereinzustimmen, daß die Kürzung der Nominallöhne durch Verminderung der Kaufkraft einiger Arbeiter eine gewisse Wirkung auf die Gesamtnachfrage haben mag, daß aber die reale Nachfrage der anderen Faktoren, deren Geldeinkommen nicht vermindert worden sind, durch den Fall der Preise angeregt werden wird, und daß die gesamte Nachfrage der Arbeiter selber wahrscheinlich infolge der vermehrten Menge der Beschäftigung vermehrt werden wird, es sei denn, daß die Elastizität der Nachfrage nach Arbeitskräften aufgrund von Änderungen der Nominallöhne kleiner als eins ist. Im neuen Gleichgewicht wird es somit mehr Beschäftigung geben, als es sonst gegeben hätte, ausgenommen vielleicht in irgendeinem ungewöhnlichen Grenzfall, der in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Dies ist die Art von Analyse, von der ich von Grund aus abweiche; oder vielmehr von der Analyse, die hinter Beobachtungen wie den obigen zu liegen scheint. Denn während das Obige meiner Ansicht nach unvoreingenommen die Art darstellt, in der viele Ökonomen reden und schreiben, ist die zugrundeliegende Analyse doch selten ausführlich niedergeschrieben worden. Es scheint jedoch, daß diese Denkweise wahrscheinlich wie folgt erreicht worden ist. In jeder gegebenen Branche haben wir eine Nachfragekurve nach dem Produkt, welche die verkäuflichen Mengen mit den geforderten Preisen verbindet; wir haben eine Reihe von Angebotskurven, welche die Preise verbinden, die für den Verkauf verschiedener Mengen auf verschiedenen Kostengrundlagen gefordert werden; und diese Kurven unter sich führen zu einer weiteren Kurve, die, unter der Voraussetzung, daß die anderen Kosten unverändert sind (ausgenommen als Ergebnis der Änderung in der Produktion), uns die Arbeitsnachfragekurve in der Branche angibt, welche die Menge der Beschäftigung mit verschiedenen Lohnniveaus verbindet, wobei die Form der Kurve an jedem Punkt die Elastizität der Nachfrage nach Arbeit liefert. Dieser Begriff wird dann ohne wesentliche Änderung auf die Wirtschaft als Ganzes übertragen; und es wird durch eine entsprechende Überlegung angenommen, daß wir eine Arbeitsnachfragekurve in der Gesamtwirtschaft haben, welche die Menge der Beschäftigung mit verschiedenen Niveaus der Löhne verbindet. Es wird angenommen, daß es für diese Beweisführung keinen wesentlichen Unterschied bedeutet, ob sie sich auf Größen von Nominallöhnen oder auf Größen von Reallöhnen bezieht. Wenn wir in Größen von Nominallöhnen denken, müssen wir natürlich eine Berichtigung für die Änderungen im Geldwert vornehmen; aber dies läßt die allgemeine Linie der Beweisführung unverändert,
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da sich die Preise sicherlich nicht im genauen Verhältnis zu Änderungen in den Nominallöhnen ändern. Wenn dies der Grundansatz der Beweisführung ist (und wenn er es nicht ist, weiß ich nicht, was der Grundansatz sein soll), so ist er sicherlich trügerisch. Denn die Nachfragekurven einzelner Industrien können nur auf irgendeiner bestimmten Voraussetzung über die Natur der Nachfrage- und Angebotskurven anderer Industrien und über den Betrag der aggregierten effektiven Nachfrage aufgebaut werden. Es ist daher unzulässig, diese Beweisführung auf die Gesamtwirtschaft zu übertragen, es sei denn, daß wir auch unsere Voraussetzung, daß die aggregierte effektive Nachfrage festgelegt ist, übertragen. Diese Voraussetzung reduziert aber die Beweisführung auf eine ignoratio elenchi (Beweisfehler, indem ein Satz bewiesen wird, aber nicht der, der zu beweisen war – K / S). Denn während niemand die Feststellung bestreiten möchte, daß eine Kürzung der Nominallöhne, die mit der gleichen aggregierten effektiven Nachfrage wie zuvor einhergeht, mit einer Zunahme in der Beschäftigung verbunden sein wird, ist die genaue Frage, auf die es ankommt, ob die Kürzung der Nominallöhne von der gleichen aggregierten effektiven Nachfrage, in Geld gemessen, wie zuvor begleitet sein wird oder nicht, oder zum mindesten von einer aggregierten effektiven Nachfrage, die nicht genau proportional zur Kürzung der Nominallöhne vermindert wurde (das heißt, die in Lohneinheiten gemessen etwas größer ist). Aber wenn die klassische Theorie ihre Folgerungen in bezug auf eine besondere Branche nicht durch Analogie auf die Gesamtwirtschaft ausdehnen darf, ist sie völlig unfähig, die Frage zu beantworten, welche Wirkung eine Kürzung der Nominallöhne auf die Beschäftigung haben wird. Denn sie hat keine Methode der Analyse, mit der sie das Problem anpacken kann. Professor Pigous Theory of Unemployment scheint mir aus der Klassischen Theorie alles das herauszuholen, was aus ihr herauszuholen ist, mit dem Ergebnis, daß das Buch ein schlagender Beweis dafür wird, daß diese Theorie nichts zu bieten hat, wenn sie auf das Problem angewandt wird, was die Menge der tatsächlichen Beschäftigung als Ganzes bestimmt1.
II. Wenden wir also unsere eigene Methode der Analyse für die Beantwortung des Problems an. Sie fällt in zwei Teile. 1. Hat eine Kürzung der Nominallöhne eine unmittelbare Tendenz, unter sonst gleichen Bedingungen die Beschäftigung zu vermehren, wobei „unter sonst glei1 In einem Anhang zu diesem Kapitel wird Professor Pigous Theory of Unemployment im einzelnen kritisiert.
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chen Bedingungen“ bedeutet, daß die Konsumneigung, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz für das Gemeinwesen als Ganzes die gleichen sind wie zuvor? Und 2. hat eine Kürzung der Nominallöhne eine sichere oder wahrscheinliche Tendenz, die Beschäftigung durch ihre sicheren oder wahrscheinlichen Rückwirkungen auf diese drei Faktoren in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen? Die erste Frage haben wir in den vorhergehenden Kapiteln bereits verneinend beantwortet; denn wir haben gezeigt, daß die Menge der Beschäftigung in einer eindeutigen Weise mit der Menge der effektiven Nachfrage, in Lohneinheiten gemessen, in Wechselbeziehung steht, und daß die effektive Nachfrage, nämlich die Summe des erwarteten Verbrauches und der erwarteten Investitionen, sich nicht ändern kann, wenn die Konsumneigung, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz alle unverändert sind. Wenn die Unternehmer ohne irgendeine Änderung in diesen Faktoren die Beschäftigung als Ganzes vermehren würden, würden ihre Erlöse notwendigerweise hinter dem Angebotswert zurückbleiben. Vielleicht wird es helfen, die schlichte Folgerung zu widerlegen, daß eine Kürzung der Nominallöhne die Beschäftigung vermehrt, „weil sie die Produktionskosten vermindert“, wenn wir den Lauf der Ereignisse nach der Hypothese verfolgen, die für diese Anschauung am günstigsten ist, nämlich daß die Unternehmer am Anfang erwarten, daß die Kürzung der Nominallöhne diese Wirkung haben werde. Es ist in der Tat nicht unwahrscheinlich, daß der einzelne Unternehmer, da er seine eigenen Kosten vermindert sieht, am Anfang die Rückwirkungen auf die Nachfrage nach seinem Erzeugnis übersehen und nach der Voraussetzung handeln wird, daß er eine größere Produktion als früher mit Gewinn werde verkaufen können. Werden die Unternehmer aber tatsächlich ihre Gewinne vermehren können, wenn sie allgemein nach dieser Erwartung handeln? Nur dann, wenn die margi-nale Konsumneigung des Gemeinwesens gleich eins ist, so daß keine Lücke zwischen dem Zuwachs des Einkommens und dem Zuwachs des Verbrauches besteht; oder wenn eine Zunahme in der Investition erfolgt, die der Lücke zwischen dem Zuwachs des Einkommens und dem Zuwachs des Verbrauches entspricht, was nur vorkommen wird, wenn sich die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Verhältnis zum Zinssatz erhöht hat. Der aus der vermehrten Produktion erzielte Erlös wird somit die Unternehmer enttäuschen, und die Beschäftigung wird auf ihren früheren Stand zurückfallen, es sei denn, daß die marginale Konsumneigung gleich eins ist oder die Kürzung der Nominallöhne die Wirkung gehabt hat, die Grenzleistungsfähigkeit des
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Kapitals im Verhältnis zum Zinssatz und folglich den Betrag der Investitionen zu erhöhen. Denn wenn die Unternehmer in einem Umfang Beschäftigung anbieten, die, wenn sie ihre Produktion zum erwarteten Preis verkaufen könnten, die Bevölkerung mit Einkommen versehen würde, aus denen sie mehr als den Betrag der laufenden Investition ersparen würden, müssen sie unbedingt einen Verlust erleiden, der gleich der Differenz ist; und dies wird absolut unabhängig vom Niveau der Nominallöhne der Fall sein. Im besten Fall kann der Zeitpunkt ihrer Enttäuschung nur um den Zeitraum aufgeschoben werden, währenddessen ihre eigene Investition in vermehrte Betriebsmittel die Lücke füllt. Die Kürzung der Nominallöhne wird somit keine dauerhafte Tendenz haben, die Beschäftigung zu vermehren, ausgenommen durch ihre Rückwirkungen entweder auf die Konsumneigung des Gemeinwesens als Ganzes oder auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals oder auf den Zinssatz. Die Wirkung einer Kürzung der Geldlöhne kann nur durch die Verfolgung ihrer möglichen Wirkungen auf diese drei Faktoren analysiert werden. Die wichtigsten Rückwirkungen auf diese Faktoren werden in der Praxis wahrscheinlich die folgenden sein: 1. Eine Kürzung der Nominallöhne wird die Preise etwas vermindern. Sie wird daher eine gewisse Umverteilung des Realeinkommens bedingen a) von den Lohnbeziehern auf die anderen Faktoren, die in die marginalen Grundkosten mit eingehen und deren Entlohnung nicht verringert worden ist, und b) von den Unternehmern auf die Rentiers, denen ein gewisses Einkommen, in Größen von Geld festgesetzt, gewährleistet worden ist. Was wird die Wirkung dieser Umverteilung auf die Konsumneigung des Gemeinwesens als Ganzes sein? Die Übertragung von Lohnbeziehern auf andere Faktoren wird wahrscheinlich die Konsumneigung vermindern. Die Wirkung der Übertragung von den Unternehmern auf die Rentiers ist weniger offensichtlich. Wenn aber die Rentiers im allgemeinen den reicheren Teil des Gemeinwesens darstellen und jene, deren Lebensstandard am wenigsten flexibel ist, so wird die Wirkung hiervon ebenfalls ungünstig sein. Was das Nettoergebnis im Endergebnis der Erwägungen sein wird, können wir nur raten. Voraussichtlich wird es eher ungünstig als günstig sein. 2. Wenn wir es mit einem nicht geschlossenen System zu tun haben und die Kürzung der Nominallöhne eine Kürzung im Verhältnis zu den Nominallöhnen im Ausland darstellt, wenn beide auf eine gemeinsame Währungseinheit zurückgeführt werden, ist es offensichtlich, daß die
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Änderung günstig für die Investition sein wird, da sie dazu tendieren wird, die Handelsbilanz zu verbessern. Dies setzt natürlich voraus, daß der Vorteil nicht durch eine Änderung in Zöllen, Kontingenten usw. aufgehoben wird. Daß traditionell der Glaube an die Wirksamkeit einer Kürzung der Nominallöhne als ein Mittel, die Beschäftigung zu vermehren, in Großbritannien größer ist als in den Vereinigten Staaten, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Vereinigten Staaten im Vergleich zu Großbritannien ein geschlossenes System darstellen. 3. Im Falle eines nicht geschlossenen Systems wird eine Kürzung der Nominallöhne, obschon sie die Handelsbilanz verbessert, wahrscheinlich die „terms of trade“ verschlechtern. Es wird sich somit eine Verminderung in den Realeinkommen ergeben, ausgenommen im Fall der Neubeschäftigten, die tendenziell die Konsumneigung erhöhen mögen. 4. Wenn erwartet wird, daß die Kürzung der Nominallöhne eine Kürzung im Verhältnis zu den Nominallöhnen in der Zukunft sein wird, wird die Änderung günstig für die Investition sein, weil sie, wie wir oben gesehen haben, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals vermehren wird, während sie aus dem gleichen Grund günstig für den Verbrauch sein kann. Wenn die Kürzung andererseits die Erwartung oder sogar nur die ernsthafte Möglichkeit einer weiteren Kürzung der Löhne hervorruft, wird sie genau die umgekehrte Wirkung haben. Denn sie wird die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals vermindern und zum Aufschub sowohl von Investitionen als auch von Verbrauch führen. 5. Die Kürzung der Lohnsumme, begleitet von einer gewissen Herabsetzung der Preise und der Geldeinkommen im allgemeinen, wird das Bedürfnis nach Kassenhaltung für Einkommens- und Geschäftszwecke vermindern; und sie wird daher in dem Maße die Liquiditätspräferenz des Gemeinwesen als Ganzes vermindern. Unter sonst gleichen Bedingungen wird dies den Zinssatz senken und daher günstig für die Investition sein. In diesem Fall wird jedoch die Wirkung der Erwartungen über die Zukunft entgegengesetzt zu jenen verlaufen, die wir soeben unter 4. betrachtet haben. Denn wenn erwartet wird, daß die Löhne und Preise wieder steigen werden, wird die günstige Rückwirkung im Fall von langfristigen Anleihen viel weniger ausgeprägt sein als im Fall von kurzfristigen. Wenn die Kürzung der Löhne überdies das politische Vertrauen stört, indem sie allgemeine Unzufriedenheit hervorruft, kann die Zunahme der Liquiditätspräferenz als Folge dieser Ursache die Freisetzung von Kasse aus dem aktiven Umlauf mehr als aufheben.
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6. Da eine spezielle Kürzung der Nominallöhne für einen einzelnen Unternehmer oder eine einzelne Industrie immer vorteilhaft ist, kann eine allgemeine Kürzung (obschon ihre tatsächlichen Wirkungen verschieden sind,) ebenfalls eine optimistische Note in der Stimmung der Unternehmer erzeugen, die einen Teufelskreis übertrieben pessimistischer Schätzungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals durchbrechen und die Wirtschaft auf einer normaleren Grundlage der Erwartung ankurbeln kann. Wenn aber andererseits die Arbeiter über die Wirkungen einer allgemeinen Lohnkürzung in den gleichen Fehler wie ihre Arbeitgeber verfallen, mögen Arbeiterunruhen diesen günstigen Faktor aufheben; hiervon abgesehen liegt es, da es in der Regel kein Mittel gibt, eine gleichzeitige und gleiche Kürzung der Nominallöhne in allen Branchen durchzusetzen, im Interesse aller Arbeiter, sich einer Kürzung in ihrem speziellen Fall zu widersetzen. In der Tat wird einer Bewegung der Unternehmer, die Nominallohnabkommen nach unten zu berichtigen, ein viel größerer Widerstand entgegengesetzt werden als einer allmählichen und automatischen Senkung der Reallöhne als eine Folge steigender Preise. 7. Andererseits mag der bedrückende Einfluß auf die Unternehmer, ausgelöst durch ihre größere Schuldenlast, teilweise die ermutigenden Rückwirkungen einer Lohnkürzung aufheben. Wenn die Lohnkürzung und die Herabsetzung der Preise wirklich weit gehen, können die finanziellen Schwierigkeiten stark verschuldeter Unternehmer bald den Zustand der Zahlungsunfähigkeit erreichen – mit äußerst ungünstigen Wirkungen auf die Investitionen. Die Wirkung des niedrigeren Preisniveaus auf die reale Last der Staatsschulden und folglich auf die Steuern wird sich überdies für das Geschäftsvertrauen als sehr nachteilig erweisen. Dies ist keine vollständige Aufzählung aller möglichen Rückwirkungen von Lohnkürzungen in der komplizierten wirklichen Welt. Das Obige deckt aber nach meiner Ansicht jene ab, die gewöhnlich am wichtigsten sind. Wenn wir daher unsere Beweisführung auf den Fall eines geschlossenen Systems beschränken und voraussetzen, daß von den Rückwirkungen der neuen Verteilung der Realeinkommen auf die Ausgabenneigung des Gemeinwesens nichts zu erhoffen, eher vielleicht etwas zu befürchten ist, so folgt, daß wir jegliche Hoffnungen auf günstige Folgen für die Beschäftigung von einer Kürzung der Nominallöhne hauptsächlich auf eine Verbesserung in der Investition als Folge entweder einer vermehrten Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals unter 4. oder eines verminderten Zinssatzes unter 5. setzen müssen. Wir wollen diese zwei Möglichkeiten detaillierter betrachten.
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Die für eine Zunahme der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals günstigste Möglichkeit ist jene, in der angenommen wird, daß die Nominallöhne den Tiefpunkt erreicht haben, so daß erwartet wird, daß weitere Änderungen in der Richtung nach oben gehen werden. Die ungünstigste Möglichkeit ist jene, in der die Nominallöhne langsam sinken und jede Lohnkürzung dazu beiträgt, das Vertrauen in die voraussichtliche Aufrechterhaltung der Löhne zu vermindern. Wenn wir in einen Zeitabschnitt einer abnehmenden effektiven Nachfrage eintreten, würde eine plötzliche kräftige Kürzung der Nominallöhne auf ein so niedriges Niveau, daß niemand an seine unbegrenzte Dauer glaubt, das für eine Zunahme der effektiven Nachfrage günstigste Ereignis sein. Dies könnte aber nur durch eine staatliche Verfügung erreicht werden und ist in einem System freier Lohnverhandlungen kaum durchführbar. Andererseits wäre es viel besser, daß die Löhne starr fixiert und einer wesentlichen Änderung für unfähig gehalten würden, als daß Depressionen von einem allmählichen Sinken der Nominallöhne begleitet sind, wobei von jeder weiteren moderaten Lohnsenkung erwartet wird, daß sie eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit um sagen wir 1 % signalisiert. Die Wirkung einer Erwartung zum Beispiel, daß die Löhne im kommenden Jahr um, sagen wir, 2 % sinken werden, wird ungefähr der Wirkung einer Zunahme von 2 % im Zins gleichkommen, der für den gleichen Zeitabschnitt zu bezahlen ist. Die gleichen Beobachtungen beziehen sich mutatis mutandis auf den Fall eines Aufschwunges. Daraus folgt, daß es angesichts der tatsächlichen Gebräuche und Institutionen der gegenwärtigen Welt zweckmäßiger ist, eine starre Nominallohnpolitik anzustreben als eine flexible Politik, die in mäßigen Stufen auf Änderungen in der Höhe der Arbeitslosigkeit reagiert – dies gilt, soweit die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals betroffen ist. Kann aber diese Folgerung aufrechterhalten werden, wenn wir uns dem Zinssatz zuwenden? Für diese Frage müssen diejenigen, die an die Fähigkeit des wirtschaftlichen Systems zur Selbststeuerung glauben, das Gewicht ihrer Beweisführung darauf legen, wie ein fallendes Lohn- und Preisniveau auf die Nachfrage nach Geld wirkt, obschon mir nicht bewußt ist, daß sie das getan hätten. Wenn die Geldmenge selbst eine Funktion des Lohn- und Preisniveaus ist, gibt es in der Tat in dieser Richtung nichts zu hoffen. Wenn aber die Geldmenge tatsächlich fixiert ist, ist es offensichtlich, daß ihre Menge, in Größen der Lohneinheit, durch eine genügende Kürzung der Nominallöhne unendlich vermehrt werden kann, und daß ihre Menge im Verhältnis zu den Einkommen im allgemeinen stark vermehrt werden kann, wobei die Grenze dieser Zunahme ab-
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hängt von dem Verhältnis der Lohnkosten zu den marginalen Grundkosten und von der Reaktion anderer Elemente dieser Grundkosten auf die fallende Lohneinheit. Wir können daher, wenigstens theoretisch, genau die gleichen Wirkungen auf den Zinssatz durch eine Kürzung der Löhne ohne Änderung der Geldmenge erzeugen, wie durch eine Vermehrung der Geldmenge ohne Änderung des Lohnniveaus. Daraus folgt, daß Lohnkürzungen als eine Methode zur Erreichung der Vollbeschäftigung ebenfalls den gleichen Begrenzungen unterworfen sind wie die Methode der Vermehrung der Geldmenge. Die gleichen Gründe, wie die oben erwähnten, welche die Wirksamkeit von Zunahmen der Geldmenge als ein Mittel, die Investition auf die optimale Größe zu vermehren, begrenzen, beziehen sich mutatis mutandis auf Lohnkürzungen. Gerade so wie eine mäßige Zunahme in der Geldmenge einen ungenügenden Einfluß auf den langfristigen Zinssatz ausüben kann, während eine übermäßige Zunahme ihre anderen Vorteile durch ihre störende Wirkung auf das Vertrauen aufheben kann, so kann sich eine mäßige Kürzung der Nominallöhne als ungenügend erweisen, während eine übermäßige Kürzung, selbst wenn sie durchführbar wäre, das Vertrauen zerrütten könnte. Es besteht daher kein Grund für die Annahme, daß eine flexible Lohnpolitik einen Zustand dauernder Vollbeschäftigung aufrecht zu erhalten vermag; – so wenig wie für die Annahme, daß eine Offenmarktpolitik für sich allein fähig ist, dieses Ergebnis zu erzielen. Die wirtschaftliche Ordnung kann auf diesen Wegen nicht zur Selbststeuerung gebracht werden. Wenn die Arbeiter tatsächlich immer in der Lage wären, Schritte zu unternehmen (und dies auch tun würden), wann immer die Beschäftigung unter der Vollbeschäftigung wäre, ihre Geldlohnforderungen durch gemeinsames Vorgehen auf den Punkt zu vermindern, wo auch immer dieser sein mag, der erforderlich wäre, um das Geld im Verhältnis zur Lohneinheit so reichlich zu machen, daß der Zinssatz auf ein Niveau fallen würde, das mit Vollbeschäftigung vereinbar ist, so hätten wir in der Tat eine auf Vollbeschäftigung hinzielende monetäre Steuerung durch die Gewerkschaften statt durch das Bankensystem. Während eine flexible Lohnpolitik und eine flexible Geldpolitik analytisch auf das gleiche hinauskommen, insofern sie alternative Mittel sind, die Geldmenge in Lohneinheiten zu ändern, besteht natürlich in anderen Beziehungen ein ungeheurer Unterschied zwischen ihnen. Ich möchte dem Leser kurz die drei hervorstechenden Erwägungen in Erinnerung rufen.
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1. Von einer sozialistischen Gesellschaft abgesehen, in der die Lohnpolitik durch Verordnung festgesetzt wird, gibt es kein Mittel, um einheitliche Lohnkürzungen für jede Klasse von Arbeit zu erreichen. Das Ergebnis kann nur durch eine Reihe allmählicher, unregelmäßiger Änderungen herbeigeführt werden, die nach keinem Maßstab sozialer Gerechtigkeit oder wirtschaftlicher Ratsamkeit gerechtfertigt sind, und wahrscheinlich nur nach unwirtschaftlichen und verhängnisvollen Kämpfen vollbracht werden können, in denen jene, welche die schwächste Verhandlungsposition haben, verhältnismäßig am meisten leiden werden. Andererseits liegt eine Änderung in der Geldmenge durch Offenmarktpolitik oder entsprechende Maßnahmen bereits jetzt in der Macht der meisten Regierungen. Unter Berücksichtigung der menschlichen Natur und unserer Institutionen kann es nur ein törichter Mensch sein, der eine flexible Lohnpolitik einer flexiblen Geldpolitik vorziehen würde, es sei denn, daß er auf Vorteile der ersteren hinweisen kann, die von der letzteren nicht erreicht werden können. Überdies sollte, unter sonst gleichen Bedingungen, eine Methode, deren Anwendung verhältnismäßig leicht ist, einer Methode vorzuziehen sein, die wahrscheinlich so schwierig ist, daß sie undurchführbar wird. 2. Wenn die Nominallöhne inflexibel sind, werden solche Preisänderungen, die sich aus dem Markt ergeben (das heißt abgesehen von administrierten Preisen oder Monopolpreisen, die durch andere Erwägungen zusätzlich zu den Grenzkosten bestimmt werden), hauptsächlich der abnehmenden Grenzproduktivität der bestehenden Ausrüstung entsprechen, die sich bei einer zunehmenden Produktion ergibt. Auf diese Weise wird die größte machbare Fairness zwischen den Arbeitern und den Faktoren aufrecht erhalten werden, deren Entlohnung vertraglich in Größen von Geld festgelegt ist, insbesondere der Rentierklasse und der von Unternehmen, Institutionen oder vom Staate mit festen Gehältern angestellten Menschen. Wenn für wichtige Klassen ihre Bezüge in jedem Fall in Größen von Geld festgelegt sind, wird der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Zweckmäßigkeit am besten gedient sein, wenn die Bezüge aller Faktoren in Größen von Geld einigermaßen inflexibel sind. Angesichts der großen Gruppen von Einkommen, die in Größen von Geld verhältnismäßig inflexibel sind, kann es nur ein ungerechter Mensch sein, der eine flexible Lohnpolitik einer flexiblen Geldpolitik vorziehen würde, es sei denn, daß er auf Vorteile der ersteren hinweisen kann, die von der letzteren nicht erreicht werden können. 3. Die Methode, die Geldmenge in Größen der Lohneinheit durch eine Verminderung der Lohneinheit zu vermehren, vergrößert die verhältnismäßige Last der Schulden; während die Methode, das gleiche
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Ergebnis durch eine Vermehrung der Geldmenge ohne Änderung der Lohneinheit zu erzielen, die umgekehrte Wirkung hat. Angesichts der übermäßigen Last mancher Arten von Schulden kann es nur ein unerfahrener Mensch sein, der die erstere vorziehen würde. 4. Wenn ein sinkender Zinssatz durch ein sinkendes Lohnniveau herbeigeführt werden muß, wird aus den gegebenen Gründen die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals einem doppelten Hemmnis ausgesetzt, und es wird einen doppelten Grund für die Aufschiebung von Investitionen und folglich des Aufschwungs geben.
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III. Daraus folgt: Wenn die Arbeiter Zuständen einer allmählich abnehmenden Beschäftigung dadurch begegnen würden, daß sie ihre Dienste zu einem allmählich abnehmenden Nominallohn anböten, würde dies in der Regel keine Kürzung der Reallöhne bewirken, sondern könnte wegen des ungünstigen Einflusses auf die Menge der Produktion sogar ihre Zunahme zur Folge haben.2 Das Hauptergebnis dieser Politik wäre eine große Instabilität der Preise, die so heftig sein könnte, daß sie geschäftliche Kalkulationen in einer Wirtschaftsgesellschaft wertlos macht, die nach der Art derer funktioniert, in der wir leben. Die Annahme, daß eine flexible Lohnpolitik ein richtiges und angemessenes Zubehör eines im großen und ganzen auf laissez-faire beruhenden Systems ist, ist das Gegenteil der Wahrheit. Eine flexible Lohnpolitik könnte nur in einer höchst autoritären Gesellschaft mit Erfolg arbeiten, in der plötzliche beträchtliche allseitige Änderungen angeordnet werden könnten. Man kann sich vorstellen, daß sie in Italien, Deutschland oder Rußland durchgeführt wird, aber nicht in Frankreich, den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Wenn, wie in Australien, versucht würde, die Reallöhne gesetzlich festzusetzen, würde es ein bestimmtes Niveau der Beschäftigung geben, das diesem Niveau der Reallöhne entsprechen würde; und das tatsächliche Niveau der Beschäftigung würde in einem geschlossenen System heftig zwischen jenem Niveau und überhaupt keiner Beschäftigung schwanken, je nachdem, ob das Investitionsvolumen unter oder nicht unter dem Volumen wäre, das mit jenem Niveau vereinbar ist; während, wenn die Beschäftigung auf dem kritischen Niveau ist, die Preise in einem instabilen Gleichgewicht wären, gegen Null strebend, wenn immer die Investition darunter, und gegen Unendlichkeit strebend, wenn immer 2 Keynes geht hier davon aus, daß bei sinkender Produktion die Preise – wie bei einem Mengenanpasser – wegen des steigenden Verlaufs der Grenzkostenkurve zurückgehen. Werden dann außerdem die Nominallöhne reduziert, sinken die Preise zusätzlich wegen der Verschiebung der Grenzkostenkurve nach unten (Anm. K / S).
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sie darüber ist. Das Element der Stabilität müßte, falls überhaupt, darin gefunden werden, daß die Faktoren, die die Geldmenge beherrschen, derart bestimmt werden, daß es immer ein Niveau der Nominallöhne gäbe, auf dem die Geldmenge derart wäre, daß sie eine Verbindung zwischen dem Zinssatz und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals herstellen würde, welche die Investition auf dem kritischen Niveau bewahren würde. In diesem Fall wäre die Beschäftigung konstant (auf dem dem gesetzlichen Reallohn entsprechenden Niveau), während Nominallöhne und Preise rasch in dem Maße schwanken würden, das zur Aufrechterhaltung dieser Investitionsrate auf dem angemessenen Stand gerade notwendig wäre. Im tatsächlichen Fall von Australien ergab sich der Ausweg teilweise natürlich durch die unvermeidliche Unfähigkeit der Gesetzgebung, dieses Ziel zu erreichen, und teilweise deswegen, weil Australien kein geschlossenes System darstellt, so daß das Niveau der Nominallöhne selber eine Bestimmende des Niveaus der Investitionen im Ausland und folglich der Gesamtinvestitionen war, während die „terms of trade“ einen wichtigen Einfluß auf die Reallöhne ausübten. Im Lichte dieser Erwägungen bin ich nun der Ansicht, daß die Erhaltung eines stabilen allgemeinen Niveaus der Nominallöhne im Endergebnis aller Überlegungen die ratsamste Politik für ein geschlossenes System ist; während dieselbe Folgerung für ein offenes System gelten wird, vorausgesetzt, daß das Gleichgewicht mit der übrigen Welt durch das Mittel schwankender Wechselkurse gesichert werden kann. Ein gewisser Grad von Flexibilität der Löhne in einzelnen Branchen hat Vorzüge, weil dadurch die Umschichtungen aus verhältnismäßig schrumpfenden auf verhältnismäßig expandierende Branchen beschleunigt werden können. Aber das Niveau der Nominallöhne als Ganzes sollte zumindest auf kurze Sicht so stabil wie möglich gehalten werden. Diese Politik wird zu einem „fairen‘‘ Grad der Stabilität des Preisniveaus führen; – zumindest zu einer größeren Stabilität, als bei einer flexiblen Lohnpolitik erreicht werden könnte. Von „administrierten“ Preisen oder Monopolpreisen abgesehen, wird sich das Preisniveau auf kurze Sicht nur in dem Grade ändern, in welchem Änderungen in der Menge der Beschäftigung die marginalen Grundkosten beeinflussen, während auf lange Sicht sich die Preise nur aufgrund von Änderungen in den Produktionskosten als Folge einer neuen Technik und einer neuen oder vermehrten Ausrüstung ändern werden. Es stimmt, daß, wenn es trotzdem große Schwankungen in der Beschäftigung gibt, sie von beträchtlichen Schwankungen im Preisniveau begleitet sein werden. Aber die Schwankungen werden, wie ich oben gesagt habe, geringer sein als mit einer flexiblen Lohnpolitik.
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Bei einer rigiden Lohnpolitik wird die Stabilität der Preise somit auf kurze Sicht an die Vermeidung von Schwankungen in der Beschäftigung gebunden sein. Auf lange Sicht stehen wir andererseits immer noch vor der Wahl zwischen einer Politik, die Preise mit dem Fortschritt der Technik und der Ausrüstung langsam fallen zu lassen und die Löhne stabil zu halten, und einer Politik, die Löhne langsam steigen zu lassen und die Preise stabil zu halten. Im ganzen ziehe ich die zweite Möglichkeit vor, wegen der Tatsache, daß das tatsächliche Niveau der Beschäftigung leichter innerhalb einer gewissen Spanne der Vollbeschäftigung gehalten werden kann, wenn in der Zukunft eine Erhöhung der Löhne erwartet wird, als wenn mit einer Lohnkürzung gerechnet werden muß, wegen der sozialen Vorteile einer Verminderung der Schuldenlast, wegen der leichteren Anpassung von schrumpfenden auf wachsende Industrien und wegen der psychologischen Ermutigung, die sich wahrscheinlich bei einer mäßigen Tendenz steigender Nominallöhne bemerkbar machen wird. Es handelt sich aber um keine wesentliche Frage grundsätzlicher Art, und es würde mich über den Bereich meiner gegenwärtigen Absicht hinausführen, wenn ich die Beweise in beide Richtungen im einzelnen entwickeln würde.
Anhang zum Neunzehnten Kapitel Professor Pigous „Theory of Unemployment“ Professor Pigou macht in seiner Theory of Unemployment die Menge der Beschäftigung von zwei grundlegenden Faktoren abhängig, nämlich 1. den Reallohnsätzen, die von den Arbeitern gefordert werden, und 2. der Form der realen Nachfragefunktion nach Arbeit. Die zentralen Abschnitte seines Buches beschäftigen sich mit der Bestimmung der Form der letzteren Funktion. Die Tatsache, daß die Arbeiter tatsächlich nicht auf Reallohnsätzen, sondern auf einem Geldlohnsatz bestehen, wird nicht übersehen; aber es wird im Ergebnis unterstellt, daß der tatsächliche Nominallohnsatz, dividiert durch den Preis der Lohngüter, als Maß des geforderten Reallohnes genommen werden kann. Die Gleichungen, die, wie er sagt, „den Ausgangspunkt der Untersuchung“ der realen Nachfragefunktion der Arbeit bilden, werden in seiner Theory of Unemployment S. 90 wiedergegeben. Da die stillschweigenden Voraussetzungen, die der Anwendung seiner Analyse zugrunde liegen, sich schon fast am Anfang seiner Beweisführung einschleichen, will ich seine Behandlung bis zum kritischen Punkt zusammenfassen. Professor Pigou teilt die Branchen in jene ein, „die mit der Herstellung von Lohngütern im eigenen Land und mit der Herstellung von Ausfuhrgütern beschäftigt sind, deren Verkauf Forderungen auf Lohngüter im Ausland schafft“ und die „anderen“ Branchen, was bequemerweise einerseits die Lohngüterbranchen und andererseits die Nichtlohngüterbranchen genannt werden kann. Er nimmt an, daß x Personen in der ersteren und y Personen in der
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letzteren beschäftigt sind. Den Wert der Produktion von Lohngütern der x Personen nennt er F
x; und den allgemeinen Lohnsatz F 0
x. Dies, obschon er sich mit dessen Erwähnung nicht aufhält, kommt auf die Voraussetzung hinaus, daß die Grenzlohnkosten gleich den Grenzgrundkosten sind3. Er nimmt ferner an, daß x y '
, das heißt, daß die Zahl der in den Lohngüterindustrien beschäftigten Personen eine Funktion der Gesamtbeschäftigung ist. Er zeigt dann, daß die Elastizität der realen Nachfrage nach Arbeit als Ganzes (die uns den Verlauf des von uns gesuchten Gegenstandes, nämlich die Funktion der realen Nachfrage nach Arbeit, gibt) durch die Formel Er
'0
x F 0
x '
x F 00
x
ausgedrückt werden kann. Was diese Notation betrifft, besteht kein bedeutsamer Unterschied zwischen dieser und meinen eigenen Ausdrucksweisen. Insofern Professor Pigous Lohngüter meinen Konsumgütern und seine „anderen Güter“ meinen InvestitionsF
x gütern gleichgesetzt werden können, ergibt sich, daß sein 0 , nämlich der F
x Wert der Produktion der Lohngüterindustrien in Größen der Lohneinheit, dasselbe wie mein Cw ist. Ferner ist seine Funktion ' (unter der Voraussetzung der Gleichsetzung von Lohngütern mit Konsumgütern) eine Funktion dessen, was ich oben den Beschäftigungsmultiplikator k 0 genannt habe. Denn x k 0 y
so daß '0
x 1
1 : k0
3 Der Ursprung des irreführenden Brauches, die Grenzlohnkosten mit den Grenzgrundkosten gleichzusetzen, mag in einer Zweideutigkeit in der Bedeutung der Grenzlohnkosten zu finden sein. Wir könnten darunter die Kosten einer zusätzlichen Produktionseinheit verstehen, wenn, mit Ausnahme der zusätzlichen Lohnkosten, keine zusätzlichen Kosten erforderlich werden; oder wir könnten darunter die zusätzlichen Lohnkosten verstehen, die mit der Erzeugung einer zusätzlichen Produktionseinheit in der wirtschaftlichsten Weise mit Hilfe der bestehenden Ausrüstung und anderer unbeschäftigter Faktoren verbunden sind. Im ersteren Fall dürfen wir mit der zusätzlichen Arbeit keine zusätzliche Unternehmerleistung oder Betriebsmittel oder irgend etwas anderes außer der Arbeit verbinden, was die Kosten vermehren würde; und wir dürfen der zusätzlichen Arbeit nicht einmal gestatten, die Ausrüstung irgendwie schneller abzunützen, als es die kleinere Belegschaft getan hätte. Da wir im ersteren Fall, mit Ausnahme von Arbeit, in den Grenzgrundkosten kein Kostenelement zugelassen haben, so folgt natürlich, daß die Grenzlohnkosten und die Grenzgrundkosten gleich sind. Die Ergebnisse einer auf dieser Voraussetzung geführten Analyse sind aber kaum anwendbar, da die Voraussetzung, auf die sie sich stützt, in Wirklichkeit sehr selten zutrifft. Denn wir sind nicht so einfältig, uns in der Praxis zu weigern, mit zusätzlicher Arbeit andere Faktoren in angemessenem Umfang zusätzlich einzusetzen, sofern sie verfügbar sind, und die Voraussetzung wird daher nur zutreffen, wenn wir voraussetzen, daß alle Faktoren, mit Ausnahme der Arbeit, bereits bis zum äußersten beschäftigt sind.
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Professor Pigous „Elastizität der Realnachfrage nach Arbeit als Ganzes“ ist somit ein Gedankenbild, das einigen meiner eigenen ähnlich ist und sich teilweise auf die physischen und technischen Bedingungen in der Branche (wie durch seine Funktion F gegeben) und teilweise auf die Neigung, Lohngüter zu konsumieren (wie durch seine Funktion ' gegeben) stützt; immer vorausgesetzt, daß wir uns auf den Sonderfall beschränken, in welchem die Grenzarbeitskosten gleich den Grenzgrundkosten sind. Um die Menge der Beschäftigung zu bestimmen, verbindet dann Professor Pigou seine „Realnachfrage nach Arbeit“ mit einer Angebotsfunktion der Arbeit. Er setzt voraus, daß diese lediglich eine Funktion des Reallohnes ist. Da er aber auch vorausgesetzt hat, daß der Reallohn eine Funktion der Zahl der Personen x ist, die in den Lohngüterbranchen beschäftigt sind, kommt dies auf die Voraussetzung hinaus, daß das gesamte Angebot von Arbeit zum bestehenden Reallohn lediglich eine Funktion von x ist. Das heißt, n
x, wobei n das Angebot der Arbeit ist, verfügbar zu einem Reallohn F 0
x. Von allen Komplikationen befreit, kommt somit Professor Pigous Analyse auf einen Versuch hinaus, die Menge der tatsächlichen Beschäftigung aus den Gleichungen x y '
x und n
x abzuleiten. Aber wir haben hier drei Unbekannte und nur zwei Gleichungen. Es scheint klar zu sein, daß er um diese Schwierigkeit herumkommt, indem er annimmt, daß n x y sei. Dies kommt natürlich auf die Voraussetzung hinaus, daß es keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit im strengen Sinn des Wortes gibt, das heißt, daß alle zum bestehenden Reallohn verfügbaren Arbeiter in der Tat beschäftigt sind. In diesem Fall hat x den Wert, welcher der Gleichung '
x
x
genügt; und wenn wir somit gefunden haben, daß der Wert von x gleich (sagen wir) n1 ist, muß y gleich
n1 n1 und die Gesamtbeschäftigung n
n1 sein. Es lohnt sich, hier einen Augenblick anzuhalten, um zu erwägen, was dies bedeutet. Es bedeutet, daß, wenn sich die Angebotsfunktion der Arbeit ändert, indem mehr Arbeiter zu einem gegebenen Reallohn zur Verfügung stehen (so daß n1 d n1 nun der Wert von x ist, welcher der Gleichung '
x
x genügt), die Nachfrage nach der Produktion der Nichtlohngüterindustrien derart ist, daß die Beschäftigung in diesen Industrien gerade um die Menge zunehmen muß, welche die Gleichheit zwischen '
n1 d n1 und
n1 d n1 bewahren wird. Die einzige andere Art, in der sich die Gesamtbeschäftigung ändern kann, ist durch eine Veränderung der Neigung, Lohngüter einerseits und Nichtlohngüter andererseits zu kaufen, so daß eine Zunahme von y vorliegt, die von einer größeren Abnahme von x begleitet ist. Die Voraussetzung, daß n x y, bedeutet natürlich, daß die Arbeiter immer in der Lage sind, ihren eigenen Reallohn zu bestimmen. Die Voraussetzung, daß die Arbeiter in der Lage sind, ihren eigenen Reallohn zu bestimmen, bedeutet somit, daß die Nachfrage nach der Produktion der Nichtlohngüter-
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branchen den obigen Gesetzen gehorcht. Mit andern Worten, es wird vorausgesetzt, daß sich der Zinssatz immer von selbst derart an die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals anpaßt, daß er die Vollbeschäftigung bewahrt. Ohne diese Voraussetzung bricht die Analyse von Professor Pigou zusammen und bietet kein Mittel, die Menge der Beschäftigung zu bestimmen. Es ist in der Tat eigentümlich, daß Professor Pigou geglaubt haben sollte, eine Theorie der Arbeitslosigkeit aufstellen zu können, die überhaupt keine Bezugnahme auf die Änderungen im Investitionsvolumen einschließt (das heißt auf Änderungen in der Beschäftigung in den Nichtlohngüterbranchen) als Folge, nicht von einer Änderung in der Angebotsfunktion der Arbeit, sondern von Änderungen (zum Beispiel) entweder im Zinssatz oder im Stand des Vertrauens. Sein Titel „Theory of Unemployment“ ist daher gewissermaßen eine Fehlbezeichnung. Sein Buch beschäftigt sich nicht wirklich mit diesem Gegenstand. Es ist eine Erörterung über die Menge der Beschäftigung bei einer gegebenen Angebotsfunktion der Arbeit, wenn die Bedingungen für Vollbeschäftigung erfüllt sind. Der Zweck des Begriffes der Elastizität der realen Nachfrage nach Arbeit als Ganzes ist, zu zeigen, um wieviel die Vollbeschäftigung in Übereinstimmung mit einer gegebenen Verschiebung in der Angebotsfunktion der Arbeit steigen oder fallen wird. Oder – wahlweise und vielleicht besser – können wir sein Buch als eine nichtkausale Untersuchung der funktionellen Beziehung betrachten, die bestimmt, welches Niveau der Reallöhne einem gegebenen Niveau der Beschäftigung entspricht. Aber es kann uns nicht sagen, wodurch das tatsächliche Niveau der Beschäftigung bestimmt wird; und für das Problem der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit ist es ohne unmittelbare Bedeutung. Wenn Professor Pigou die Möglichkeit unfreiwilliger Arbeitslosigkeit in dem Sinne, in dem ich sie oben definiert habe, verneinen würde, was er vielleicht täte, wäre es immer noch schwierig, zu sehen, wie seine Analyse angewandt werden könnte. Denn seine Unterlassung, zu erörtern, was die Verbindung zwischen x und y bestimmt, das heißt zwischen der Beschäftigung in den Lohngüterbranchen einerseits und in den Nichtlohngüterbranchen andererseits, bleibt immer noch verhängnisvoll. Er gibt überdies zu, daß die Arbeiter innerhalb gewisser Grenzen oft nicht auf einem gegebenen Reallohn, sondern auf einem gegebenen Nominallohn bestehen. In diesem Fall ist aber die Angebotsfunktion der Arbeit nicht nur allein eine Funktion von F 0
x, sondern auch eine Funktion des Geldpreises der Lohngüter – mit der Folge, daß die frühere Analyse zusammenbricht und ein weiterer Faktor eingeführt werden muß, ohne daß eine weitere Gleichung vorhanden ist, die diese weitere Unbekannte bestimmt. Die Fallgruben einer pseudomathematischen Methode, die nur fortschreiten kann, indem sie alles als Funktion einer einzigen veränderlichen Größe darstellt und voraussetzt, daß die partiellen Ableitungen alle verschwinden, hätten nicht besser veranschaulicht werden können. Denn es hat keinen Zweck, später zuzugeben, daß es in der Tat andere veränderliche Größen gibt und trotzdem weiterzugehen, ohne alles, was bis zu jenem Punkt geschrieben worden ist, umzuschreiben. Auch wenn die Arbeiter somit (innerhalb gewisser Grenzen) auf einem Nominallohn bestehen, haben wir immer noch unzureichende Angaben, selbst wenn wir voraussetzen, daß
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n x y ist, es sei denn, daß wir wissen, was den Geldpreis der Lohngüter bestimmt. Denn der Geldpreis der Lohngüter wird von der gesamten Menge der Beschäftigung abhängen. Wir können daher nicht sagen, was die Gesamtbeschäftigung sein wird, bevor wir den Geldpreis der Lohngüter kennen; und wir können den Geldpreis der Lohngüter nicht kennen, bevor wir die gesamte Menge der Beschäftigung kennen. Es fehlt uns, wie gesagt, eine Gleichung. Und doch könnte es eher die vorläufige Voraussetzung einer Starrheit der Nominallöhne statt einer Starrheit der Reallöhne erreichen, unsere Theorie den Tatsachen am nächsten zu bringen. So waren zum Beispiel die Nominallöhne in Großbritannien während des Durcheinanders, der Ungewißheit und der großen Preisschwankungen des Jahrzehntes 1924 – 1934 innerhalb einer Spanne von 6 % stabil, während die Reallöhne um mehr als 20 % schwankten. Eine Theorie kann nicht beanspruchen, eine allgemeine Theorie zu sein, wenn sie nicht ebensosehr auf den Fall anwendbar ist, in welchem die Geldlöhne fixiert sind (oder auf die Spanne, innerhalb welcher sie es sind), wie auf jeden anderen Fall. Es steht den Politikern frei, zu jammern, daß die Nominallöhne äußerst flexibel sein sollten, aber ein Theoretiker muß bereit sein, jeden Zustand unparteiisch zu behandeln. Eine wissenschaftliche Theorie darf nicht erfordern, daß die Tatsachen sich ihren eigenen Voraussetzungen anpassen. Wenn Professor Pigou zur ausdrücklichen Behandlung der Wirkung einer Kürzung der Nominallöhne kommt, führt er offenbar (nach meiner Ansicht) wiederum zu wenig Angaben ein, um eine bestimmte Antwort erhalten zu können. Er beginnt mit der Verwerfung der Beweisführung (op. cit. S. 101), wonach, wenn die Grenzgrundkosten den Grenzlohnkosten gleich sind, die Einkommen der Nichtlohnbezieher bei einer Kürzung der Nominallöhne im gleichen Verhältnis wie die Einkommen der Lohnbezieher geändert werden, mit der Begründung, daß dies nur zutrifft, wenn die Menge der Beschäftigung unverändert bleibt – was gerade der Punkt ist, der zur Erörterung steht. Auf der nächsten Seite (op. cit. S. 102) macht er aber selber den gleichen Fehler, indem er annimmt, daß „am Anfang mit den Geldeinkommen der Nichtlohnbezieher nichts geschehen ist“, was, wie er gerade gezeigt hat, nur zutrifft, wenn die Menge der Beschäftigung nicht unverändert bleibt – was gerade der Punkt ist, der zur Erörterung steht. In der Tat ist keine Antwort möglich, bevor in unsere Daten andere Faktoren eingeschlossen werden. Die Weise, in der das Eingeständnis, daß die Arbeiter tatsächlich auf einem gegebenen Nominallohn und nicht auf einem gegebenen Reallohn bestehen (vorausgesetzt, daß der Reallohn nicht unter ein gewisses Minimum fällt), die Analyse beeinflußt, kann auch durch den Hinweis gezeigt werden, daß in diesem Fall die Voraussetzung, daß keine weiteren Arbeiter zur Verfügung stehen, ausgenommen zu einem höheren Reallohn, was für den größten Teil der Beweisführung grundlegend ist, zusammenbricht. Zum Beispiel verwirft Professor Pigou (op. cit. S. 75) die Theorie des Multiplikators, indem er die Höhe der Reallöhne als gegeben voraussetzt, das heißt, daß, da die Vollbeschäftigung bereits erreicht ist, keine zusätzliche Arbeit zu einem niedrigeren Reallohn bereitsteht. Unter dieser Voraussetzung ist die Beweisführung natürlich richtig. An dieser Stelle kritisiert aber Professor Pigou einen Vorschlag, der sich auf die praktische Politik bezieht; und es ist phan-
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tastisch weit von der Wirklichkeit entfernt, zu einer Zeit, als die statistische Arbeitslosigkeit in Großbritannien 2 000 000 überstieg (das heißt als es 2 000 000 Menschen gab, die zum bestehenden Nominallohn bereit waren, zu arbeiten), vorauszusetzen, daß irgendeine noch so geringe Zunahme der Lebenshaltungskosten, im Verhältnis zum Nominallohn, die Zurückziehung von mehr als dem Äquivalent all dieser 2 000 000 Menschen vom Arbeitsmarkt verursachen würde. Es ist wichtig, hervorzuheben, daß das ganze Buch von Professor Pigou unter der Voraussetzung geschrieben wurde, daß jede noch so geringe Zunahme der Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Nominallohn das Ausscheiden einer Zahl von Arbeitern aus dem Arbeitsmarkt verursachen wird, die größer ist als die gesamte Zahl der vorhandenen Arbeitslosen. Professor Pigou bemerkt überdies an dieser Stelle (op. cit. S. 75) nicht, daß die Beweisführung, die er gegen eine sekundäre Beschäftigung (auf einem „zweiten Arbeitsmarkt“ – K / S) als Folge öffentlicher Arbeiten vorbringt, nach den gleichen Voraussetzungen, ebenso verhängnisvoll für die aus der gleichen Politik sich ergebende zusätzliche primäre Beschäftigung ist. Denn wenn der in den Lohngüterbranchen herrschende Reallohnsatz gegeben ist, kann es überhaupt keine vermehrte Beschäftigung geben – ausgenommen als Folge der Verminderung des Verbrauches von Lohngütern durch die Nichtlohnbezieher. Denn die in der primären Beschäftigung Neubeschäftigten werden voraussichtlich ihren Verbrauch von Lohngütern vermehren, was den Reallohn vermindern und folglich (nach seinen Voraussetzungen) zu einem Rückzug früher anderweitig beschäftigter Arbeiter führen wird. Trotzdem nimmt Professor Pigou offenbar die Möglichkeit einer vermehrten primären Beschäftigung an. Die Grenze zwischen der primären Beschäftigung und der sekundären Beschäftigung scheint der kritische psychologische Punkt zu sein, an dem sein gesunder Menschenverstand aufhört, über seine schlechte Theorie hinweg zu gehen. Der Unterschied in den Folgerungen, zu denen die obigen Unterschiede in den Voraussetzungen und in der Analyse führen, kann durch die folgende wichtige Stelle gezeigt werden, in der Professor Pigou seinen Standpunkt zusammenfaßt: „Bei vollständig freiem Wettbewerb unter den Arbeitern und vollständig mobiler Arbeit wird die Natur der Beziehung (das heißt zwischen den Reallohnsätzen, auf denen die Menschen bestehen, und der Nachfragefunktion der Arbeit) sehr einfach sein. Die Lohnsätze werden immer eine starke Tendenz haben, in einer derartigen Beziehung zur Nachfrage zu stehen, daß alle beschäftigt sind. Folglich werden unter stabilen Bedingungen alle tatsächlich beschäftigt sein. Dies impliziert, daß solche Arbeitslosigkeit, wie sie zu jeder Zeit besteht, völlig der Tatsache zuzuschreiben ist, daß es fortwährend Änderungen in den Bedingungen der Nachfrage gibt, und daß Reibungswiderstände die sofortige Vornahme angemessener Lohnanpassungen verhindern4.“ Er schließt (op. cit. S. 253), daß die Arbeitslosigkeit in erster Linie auf eine Lohnpolitik zurückzuführen ist, der es nicht gelingt, sich genügend den Änderungen in der realen Nachfragefunktion der Arbeit anzupassen.
4
Op. cit. S. 252.
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Professor Pigou glaubt somit, daß die Arbeitslosigkeit auf die Dauer durch Lohnanpassungen geheilt werden kann5, während ich behaupte, daß der Reallohn (abgesehen nur von einem durch die marginale Nutzeneinbuße der Beschäftigung gegebenen Minimum) in erster Linie nicht durch „Lohnanpassungen“ bestimmt wird (obschon diese Rückwirkungen haben mögen), sondern durch die anderen Kräfte des Systems. Professor Pigou hat es, wenn ich nicht irre, unterlassen, einige von diesen in sein formales Schema einzuschließen (insbesondere die Beziehung zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und dem Zinssatz). Schließlich spricht Professor Pigou, wenn er zu der „Verursachung der Arbeitslosigkeit“ kommt, in der Tat von den Schwankungen in der Nachfrage, ähnlich wie ich es tue. Er stellt aber den Zustand der Nachfrage der Realnachfragefunktion der Arbeit gleich und vergißt, was für eine begrenzte Sache die letztere nach seiner Definition ist. Denn die Realnachfragefunktion nach Arbeit hängt definitionsgemäß (wie wir oben gesehen haben), nur von zwei Faktoren ab, nämlich 1. der Beziehung in der jeweils gegebenen Umweltsituation zwischen der gesamten Zahl der beschäftigten Personen und der Zahl, die in den Lohngüterindustrien beschäftigt werden muß, um sie mit den Gütern zu versehen, die sie verbrauchen, und 2. der Grenzproduktivität in den Lohngüterindustrien. Trotzdem wird im fünften Teil seiner Theory of Unemployment den Schwankungen im Stand der „Realnachfrage nach Arbeit“ eine bedeutungsvolle Stellung eingeräumt. „Die Realnachfrage nach Arbeit“ wird als ein Faktor betrachtet, der großen kurzfristigen Schwankungen unterworfen ist (op. cit. Part V. chaps. VI. – XII.), und es scheint angedeutet zu werden, daß Fluktuationen in „der Realnachfrage nach Arbeit“ zusammen mit der Unfähigkeit der Lohnpolitik, empfindlich auf solche Änderungen zu reagieren, zum großen Teil für den Konjunkturzyklus verantwortlich sind. Dem Leser erscheint dies alles zuerst vernünftig und vertraut. Denn wenn er nicht auf die Definition zurückgeht, werden ihm „Schwankungen in der Realnachfrage nach Arbeit“ die gleiche Art von Vorstellung übermitteln, wie ich sie durch „Schwankungen in der Gesamtnachfrage“ übermitteln will. Wenn wir aber auf die Definition „der Realnachfrage nach Arbeit“ zurückgehen, verliert dies alles seine Überzeugungskraft; denn wir werden finden, daß nichts in der Welt weniger wahrscheinlich scharfen kurzfristigen Schwingungen unterworfen sein wird als dieser Faktor. Professor Pigous „Realnachfrage nach Arbeit“ hängt definitionsgemäß nur von F
x ab, was die physischen Bedingungen in den Lohngüterbranchen darstellt, und '
x, was die funktionelle Beziehung zwischen der Beschäftigung in den Lohngüterbranchen und der Gesamtbeschäftigung darstellt, die jedem gegebenen Niveau der letzteren entspricht. Es ist schwierig, einen Grund zu sehen, warum sich irgendeine dieser Funktionen ändern sollte, ausgenommen allmählich über einen langen Zeitabschnitt. Sicherlich scheint es keinen Grund für die Annahme zu geben, daß sie wahrscheinlich während eines Konjunkturzyklus schwanken werden. Denn F
x kann sich nur langsam und in einem technisch fortschreitenden Gemeinwesen nur in der Vorwärtsrich5 Es wird nicht angedeutet oder erklärt, daß dies durch Rückwirkungen auf den Zinssatz herbeigeführt wird.
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tung ändern; während '
x stabil bleiben wird, es sei denn, daß wir einen plötzlichen Ausbruch von Sparsamkeit in den Arbeiterklassen voraussetzen, oder allgemeiner, eine plötzliche Verschiebung in der Konsumneigung. Ich möchte daher erwarten, daß die Realnachfrage nach Arbeit während eines Konjunkturzyklus nahezu stabil bleiben würde. Ich wiederhole, daß Professor Pigou in seiner Analyse vollständig den instabilen Faktor ausgelassen hat, nämlich Schwankungen im Investitionsvolumen, der am häufigsten der Erscheinung von Schwankungen in der Beschäftigung zugrunde liegt. Ich habe Professor Pigous Theorie der Arbeitslosigkeit ausführlich kritisiert, nicht weil er mir mehr der Kritik ausgesetzt scheint als andere Ökonomen der klassischen Schule, sondern weil seine Theorie der einzige mir bekannte Versuch ist, die klassische Theorie der Arbeitslosigkeit genau niederzuschreiben. Ich war daher gezwungen, meine Einwendungen gegen diese Theorie gegen die stärkste Darstellung zu richten, in der sie vorgebracht worden ist.
Zwanzigstes Kapitel
Die Beschäftigungsfunktion1 I. Im dritten Kapitel (S. 21) haben wir die aggregierte Angebotsfunktion, Z '
N definiert, welche die Beschäftigung N mit dem aggregierten Angebotswert des zugehörigen Outputs verbindet. Die Beschäftigungsfunktion weicht von der aggregierten Angebotsfunktion nur insofern ab, als sie eigentlich ihre inverse Funktion ist und in Größen der Lohneinheit definiert wird; und der Zweck der Beschäftigungsfunktion ist es, den Betrag der effektiven Nachfrage (in Lohneinheiten gemessen), die auf eine gegebene Firma oder Branche oder auf die Wirtschaft als Ganzes gerichtet ist, mit der Menge der Beschäftigung zu verbinden, bei der der Angebotswert ihrer Produktion jenem Betrag der effektiven Nachfrage entsprechen wird. Somit gilt: Wenn ein Betrag der effektiven Nachfrage Dwr , in Lohneinheiten gemessen, auf eine Firma oder Branche gerichtet, eine Menge der Beschäftigung Nr in jener Firma oder Branche hervorruft, so ist die Beschäftigungsfunktion durch die Gleichung Nr Fr
Dwr gegeben. Oder, allgemeiner, wenn wir voraussetzen dürfen, daß Dwr eine eindeutige Funktion der aggregierten effektiven Nachfrage Dw ist, ist die Funktion der Beschäftigung durch die Gleichung Nr Fr
Dw gegeben. Das heißt, wenn die effektive Nachfrage Dw ist, werden Nr Personen in der Branche r beschäftigt sein. Wir werden in diesem Kapitel gewisse Eigenschaften der Funktion der Beschäftigung herausarbeiten. Ganz abgesehen von jedweder Bedeutung, die diese haben mögen, bestehen zwei Gründe, warum der Ersatz der gewöhnlichen Angebotskurve durch die Beschäftigungsfunktion mit den Methoden und Zwecken dieses Buches vereinbar ist. Erstens drückt sie die maßgebenden Tatsachen in Größen der Einheiten aus, auf die zu beschränken wir uns entschlossen haben, ohne irgendeine Einheit einzuführen, welche einen zweifelhaften Mengencharakter hat. Zweitens eignet sie sich aus den nachstehenden Gründen besser als die gewöhnliche Angebotskurve für die Probleme der Wirtschaft und der Produktion als Ganzes, im Gegensatz zu den Problemen einer einzigen Branche oder Firma in einer gegebenen Umgebung. Die gewöhnliche Nachfragekurve wird für eine einzelne Ware unter einer bestimmten Voraussetzung über die Einkommen der Mitglieder der 1 Jene, die Algebra (mit Recht) nicht mögen, werden wenig versäumen, wenn sie den ersten Teil dieses Kapitels überschlagen.
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Gesellschaft gezeichnet und muß neu gezeichnet werden, wenn sich die Einkommen ändern. In der gleichen Weise wird die gewöhnliche Angebotskurve einer einzelnen Ware unter einer bestimmten Voraussetzung über die Produktion der Wirtschaft als Ganzes gezeichnet und Änderungen unterworfen, wenn sich die gesamte Produktion der Wirtschaft ändert. Wenn wir daher die Reaktion einzelner Branchen auf Änderungen in der Gesamtbeschäftigung untersuchen, haben wir es notwendigerweise nicht mit einer einzigen Nachfragekurve für jede Branche in Verbindung mit einer einzigen Angebotskurve zu tun, sondern mit zwei Familien solcher Kurven, die verschiedenen Voraussetzungen über die Gesamtbeschäftigung entsprechen. Im Fall der Beschäftigungsfunktion ist aber die Aufgabe, eine Funktion für die Wirtschaft als Ganzes zu erreichen, welche Änderungen in der Beschäftigung als Ganzes widerspiegeln wird, leichter durchführbar. Setzen wir, um zu beginnen, voraus, daß die Konsumneigung ebenso wie die anderen Faktoren gegeben sind, die wir im achtzehnten Kapitel als gegeben vorausgesetzt haben, und daß wir Änderungen in der Beschäftigung als Folge von Änderungen im Investitionsvolumen betrachten. Unter dieser Voraussetzung wird es für jedes Niveau der effektiven Nachfrage in Größen der Lohneinheit eine entsprechende Gesamtbeschäftigung geben, und diese effektive Nachfrage wird in bestimmten Größenverhältnissen zwischen dem Verbrauch und der Investition aufgeteilt sein. Jedes Niveau der effektiven Nachfrage wird überdies einer gegebenen Verteilung des Einkommens entsprechen. Es ist daher vernünftig, weiterhin anzunehmen, daß jedes gegebene Niveau der aggregierten effektiven Nachfrage einer eindeutigen Verteilung zwischen den verschiedenen Branchen entspricht. Hieraus können wir bestimmen, welche Menge der Beschäftigung in jeder Branche einem gegebenen Niveau der Gesamtbeschäftigung entsprechen wird. Das heißt, wir können die Menge der Beschäftigung in jeder einzelnen Branche bestimmen, die jedem Niveau der aggregierten effektiven Nachfrage, in Größen der Lohneinheit gemessen, entspricht, so daß die Bedingungen für die zweite Form der Beschäftigungsfunktion der Branche, wie oben definiert, nämlich Nr Fr
Dw erfüllt sind. Wir haben somit den Vorteil, daß die einzelnen Beschäftigungsfunktionen unter diesen Bedingungen addiert werden können, in dem Sinne, daß die Beschäftigungsfunktion für die Wirtschaft als Ganzes, die einem gegebenen Niveau der effektiven Nachfrage entspricht, gleich der Summe der Beschäftigungsfunktionen für jede einzelne Branche ist; das heißt F
Dw N Nr Fr
Dw :
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Definieren wir nun die Elastizität der Beschäftigung. Die Elastizität der Beschäftigung für eine gegebene Branche ist eer
dNr Dwr ; dDwr Nr
da sie die Reaktion der Zahl der in der Branche beschäftigten Arbeitseinheiten auf Änderungen in der Zahl der Lohneinheiten mißt, von denen erwartet wird, daß sie für den Kauf der Produkte dieser Branche ausgegeben werden. Die Elastizität der Beschäftigung für die Wirtschaft als Ganzes werden wir, wie folgt, schreiben: ee
dN Dw : dDw N
Vorausgesetzt, daß wir irgendeine hinreichend befriedigende Methode finden können, um die Produktion zu messen, ist es zugleich nützlich, das zu definieren, was die Elastizität des Outputs oder der Produktion genannt werden kann, welche die Rate mißt, zu der die Produktion in irgendeiner Branche zunimmt, wenn ihr eine vermehrte effektive Nachfrage in Größen der Lohneinheit zugewandt wird, nämlich eor
dOr Dwr : dDwr Or
Vorausgesetzt, wir können annehmen, daß der Preis gleich den Grenzgrundkosten ist, haben wir dann 1 Dwr Pr ; 1 eor wobei Pr der erwartete Gewinn ist2. Daraus folgt, daß, wenn eor = 0 und somit die Produktion der Branche vollkommen unelastisch ist, die ganze Zunahme der effektiven Nachfrage (in Größen der Lohneinheit) 2 Denn wenn p wr der erwartete Preis einer Produktionseinheit in Größen der Lohneinheit ist, so ist
so daß oder Aber
Folglich
Dwr
pwr Or pwr Or Or pwr Dwr Or Or pwr ; Or Or pwr Dwr
1 eor Or pwr : Dwr 1 eor Or pwr Dwr pwr Or Dwr
Grenzgrundkosten O Dwr
P : 1 Pr : 1 eor
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erwartungsgemäß den Unternehmern als Gewinn zufließen wird, das heißt Dwr Pr . Dagegen wird, wenn eor 1, das heißt, wenn die Elastizität der Produktion gleich eins ist, kein Teil der Zunahme der effektiven Nachfrage den Unternehmern erwartungsgemäß als Gewinn zufließen, da sie vollständig von den Elementen aufgenommen wird, die in die Grenzgrundkosten eingehen. Wenn die Produktion einer Branche eine Funktion '
Nr der von ihr beschäftigten Arbeiter ist, haben wir überdies3 1
eor eer
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Nr '00
Nr
pwr f'0
Nr g2
;
wobei Pwr der erwartete Preis einer Produkteinheit ist – in Lohneinheiten gemessen. Die Bedingung eor 1 bedeutet somit, daß '00
Nr 0, das heißt, daß es bei einer zunehmenden Beschäftigung konstante Erträge geben wird. Insoweit die klassische Theorie nun voraussetzt, daß die Reallöhne immer gleich der marginalen Nutzeneinbuße durch Arbeit sind, und daß jene mit einer Zunahme der Beschäftigung zunimmt, so daß das Arbeitsangebot, unter sonst gleichen Bedingungen, abnehmen wird, wenn die Reallöhne gekürzt werden, setzt sie voraus, daß es in Wirklichkeit unmöglich ist, die Ausgaben in Größen der Lohneinheit zu vermehren. Wenn dies zutreffen würde, wäre der Begriff der Elastizität der Beschäftigung nicht anwendbar. In diesem Fall wäre es überdies unmöglich, die Beschäftigung durch eine Vermehrung der Ausgaben, in Geld gemessen, zu vermehren; denn die Nominallöhne würden proportional zu den zunehmenden Geldausgaben steigen, so daß es keine Zunahme der Ausgaben in Größen der Lohneinheit und folglich auch keine Zunahme der Beschäftigung gäbe. Wenn aber die klassische Voraussetzung nicht stichhaltig ist, wird es möglich sein, die Beschäftigung durch eine Vermehrung der Ausgaben, in Geld gemessen, zu vermehren, bis die Reallöhne so weit gefallen sind, daß sie der Nutzeneinbuße durch Arbeit gleich sind, an welchem Punkt, definitionsgemäß, Vollbeschäftigung bestehen wird. Für gewöhnlich wird natürlich eor einen Wert zwischen Null und eins haben. Das Ausmaß, in welchem die Preise (in Größen der Lohneinheit) steigen werden, das heißt das Ausmaß, in welchem die Real3
Denn da Dwr pwr Or , haben wir 1 pwr eor
d Or d pwr Or d Dwr d Dwr Nr '00
Nr eer f'0
Nr g2 pwr
:
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löhne bei einer Vermehrung der Geldausgaben fallen werden, hängt daher von der Elastizität der Produktion in bezug auf die Ausgaben in Größen der Lohneinheit ab. Die Elastizität des erwarteten Preises pwr in bezug auf Änderungen dpwr Dwr in der effektivenen Nachfrage Dwr , nämlich , möge als e0pr bedDwr pwr zeichnet werden. Da Or pwr Dwr , so haben wir dOr Dwr dpwr Dwr 1 dDwr Or dDwr pwr oder
e0pr eor 1 :
Das heißt, die Summe der Elastizitäten des Preises und der Produktion in bezug auf Änderungen in der effektiven Nachfrage (in Lohneinheiten gemessen), ist gleich Eins. Die effektive Nachfrage erschöpft sich, indem sie gemäß diesem Gesetz teilweise die Produktion und teilweise den Preis beeinflußt. Wenn wir uns mit der Wirtschaft als Ganzes beschäftigen und bereit sind, vorauszusetzen, daß wir eine Einheit haben, in der die Produktion als Ganzes gemessen werden kann, kann die gleiche Art der Beweisführung angewandt werden, so daß e0p eo 1 ist, wobei die Elastizitäten ohne das Suffix r sich auf die Wirtschaft als Ganzes beziehen. Messen wir nun die Werte in Geld statt in Lohneinheiten und dehnen wir unsere Folgerungen in bezug auf die Wirtschaft als Ganzes auf diesen Fall aus. Wenn W den Nominallohn einer Arbeitseinheit bezeichnet und p den erwarteten Preis einer gesamtwirtschaftlichen Produkteinheit in Geld ge Ddp messen, können wir ep für die Elastizität der Preise in bezug pdD auf Änderungen in der effektiven Nachfrage (in Geld gemessen), schrei DdW ben, und ew für die Elastizität der Nominallöhne in bezug WdD auf Änderungen in der effektiven Nachfrage (in Geld gemessen). Es kann dann leicht gezeigt werden, daß ep 1 4
e o
1
e w 4 :
Denn da p pw W und D Dw W, haben wir p p W pw W W p p w Dw w e0p W Dw W
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Diese Gleichung ist, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ein erster Schritt zu einer verallgemeinerten Quantitätstheorie des Geldes. Wenn eo 0 oder wenn ew 1, wird die Produktion unverändert sein und die Preise werden im gleichen Verhältnis wie die effektive Nachfrage, in Geld gemessen, steigen. Andernfalls werden sie in einem geringeren Verhältnis steigen.
II. Kehren wir zur Beschäftigungsfunktion zurück. Wir haben oben vorausgesetzt, daß jedem Niveau der aggregierten effektiven Nachfrage eine eindeutige Aufteilung der effektiven Nachfrage auf die Erzeugnisse jeder einzelnen Branche entspricht. Mit der Änderung der Gesamtausgabe wird die entsprechende Ausgabe für die Erzeugnisse einer einzelnen Branche sich nun im allgemeinen nicht im gleichen Verhältnis ändern; teilweise, weil die Individuen mit der Zunahme ihrer Einkommen die Menge der Erzeugnisse jeder einzelnen Branche, die sie kaufen, nicht im gleichen Verhältnis vermehren werden, und teilweise, weil die Preise verschiedener Waren auf Zunahmen in den Ausgaben für diese Waren in verschiedenen Graden reagieren werden. Daraus folgt, daß unsere bisherige Voraussetzung, daß Änderungen in der Beschäftigung ausschließlich von Änderungen der aggregierten effektiven Nachfrage (in Lohneinheiten) abhängen, nichts weiter als eine erste Annäherung ist, wenn wir zugeben, daß es mehr als eine Art und Weise gibt, in der eine Zunahme des Einkommens ausgegeben werden kann. Je nachdem, wie sich nach unserer Annahme die Zunahme der Gesamtnachfrage auf verschiedene Waren aufteilen wird, kann die Menge der Beschäftigung beträchtlich beeinflußt werden. Wenn die vermehrte Nachfrage sich zum Beispiel großenteils auf Erzeugnisse mit einer großen Elastizität der Beschäftigung richtet, wird die Gesamtzunahme in der Beschäftigung größer sein, als wenn sie sich großenteils auf Erzeugnisse mit einer geringen Elastizität der Beschäftigung richtet. Auf die gleiche Weise kann die Beschäftigung abnehmen, ohne daß irgendeine Änderung in der Gesamtnachfrage eingetreten wäre, wenn p D p D W W D W W p p e0p D W
1 e0p ; D W Dp D W p 0 ep ep
1 e0p pD pD W e0p ew
1 e0p e0p
so daß
1
eo
1
ew :
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sich die Struktur der Nachfrage zugunsten von Erzeugnissen mit einer verhältnismäßig geringen Elastizität der Beschäftigung ändert. Diese Erwägungen sind besonders wichtig, wenn wir es mit kurzfristigen Erscheinungen zu tun haben, im Sinne von Änderungen im Betrag oder der Struktur der Nachfrage, die nicht einige Zeit vorher vorausgesehen werden. Die Herstellung einiger Erzeugnisse nimmt viel Zeit in Anspruch, so daß es praktisch unmöglich ist, ihr Angebot rasch zu vermehren. Wenn sich die zusätzliche Nachfrage somit ohne vorherige Warnung auf sie richtet, werden sie eine geringe Elastizität der Beschäftigung aufweisen, obschon sich ihre Elastizitiät der Beschäftigung bei ausreichender Vorwarnung dem Wert eins nähern mag. In diesem besonderen Zusammenhang liegt für mich die Hauptbedeutung des Begriffes der Produktionsperiode. Ich würde vorziehen zu sagen5, daß ein Erzeugnis eine Produktionsperiode n hat, wenn bei Änderungen der Nachfrage n Zeiteinheiten der Vorankündigung erforderlich sind, damit ihre höchste Elastizität der Beschäftigung erreicht wird. Es ist offensichtlich, daß Konsumgüter, in ihrer Gesamtheit genommen, in diesem Sinne die längste Produktionsperiode haben, da sie von jedem Produktionsprozeß die letzte Stufe darstellen. Wenn somit der erste Impuls für die Zunahme der effektiven Nachfrage von einer Zunahme im Verbrauch kommt, wird die Anfangselastizität der Beschäftigung tiefer unter ihrem schließlichen Gleichgewichtsniveau sein, als wenn der Antrieb von einer Zunahme in der Investition kommt. Wenn die vermehrte Nachfrage sich auf Erzeugnisse mit einer verhältnismäßig geringen Elastizität der Beschäftigung richtet, wird ein größerer Teil von ihr die Einkommen der Unternehmer und ein kleinerer Teil die Einkommen der Lohnbezieher und der anderen Grundkostenfaktoren anschwellen lassen; mit der möglichen Folge, daß die Rückwirkungen auf die Ausgaben etwas weniger günstig sein werden, weil die Unternehmer wahrscheinlich mehr aus ihrem Einkommenszuwachs sparen werden, als es die Lohnbezieher täten. Die Unterscheidung zwischen den beiden Fällen darf aber trotzdem nicht überschätzt werden, da ein großer Teil der Rückwirkungen in beiden Fällen ziemlich gleich sein wird6. Wie lang auch die Vorankündigung sein mag, die den Unternehmern von einer voraussichtlichen Änderung der Nachfrage gegeben wird, so 5 Dies ist nicht identisch mit der üblichen Definition, aber es scheint mir alles zu enthalten, was für die Vorstellung bedeutsam ist. 6 Eine weitere Erörterung dieses Gegenstandes ist im vierten Buch meiner Abhandlung „Vom Gelde“ zu finden.
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kann die anfängliche Elastizität der Beschäftigung in bezug auf eine gegebene Zunahme der Investition nicht so groß wie ihr schließlicher Gleichgewichtswert sein, es sei denn, daß es auf jeder Stufe der Erzeugung überschüssige Bestände und überschüssige Kapazitäten gibt. Andererseits wird der Abbau der überschüssigen Bestände eine ausgleichende Wirkung auf den Betrag haben, um den die Investitionen zunehmen. Wenn wir annehmen, daß es anfänglich an jedem Punkt einige Überschüsse gibt, kann die anfängliche Elastizität der Beschäftigung dem Wert eins nahekommen; nachdem dann die Bestände aufgebraucht worden sind, jedoch ehe ein vermehrtes Angebot aus den früheren Produktionsstufen in einem angemessenen Umfang hervorkommt, wird die Elastizität absinken, um mit dem Näherrücken der neuen Gleichgewichtslage wieder auf eins anzusteigen. Dies ist jedoch einer gewissen Einschränkung unterworfen, insofern es Faktoren gibt, die ein Renteneinkommen erzielen und die größere Ausgaben absorbieren, wenn die Beschäftigung zunimmt, oder wenn der Zinssatz steigt. Aus diesen Gründen ist eine vollkommene Stabilität der Preise in einer Wirtschaft, die Änderungen unterworfen ist, unmöglich – es sei denn, daß es in der Tat einen besonderen Mechanismus gibt, der im gerade richtigen Grad vorübergehende Schwankungen in der Konsumneigung verursacht. Aber eine Instabilität der Preise, die auf diese Weise entsteht, führt nicht zu der Art von Gewinnanreiz, die überschüssige Kapazitäten hervorrufen kann. Denn der Zufallsgewinn wird ausschließlich jenen Unternehmern zufallen, die gerade Erzeugnisse auf einer verhältnismäßig vorgeschrittenen Stufe der Erzeugung besitzen, und es gibt nichts, was der Unternehmer, der keine spezialisierten Produktionsmittel der richtigen Art hat, tun kann, um diesen Gewinn auf sich zu ziehen. Die unvermeidliche Instabilität der Preise als Folge von Änderungen kann somit die Handlungen der Unternehmer nicht beeinflussen, sondern sie kann lediglich de facto einen zufälligen Reichtum in den Schoß der Glücklichen leiten. Die Wirkung ist entsprechend umgekehrt, wenn die angenommene Änderung in der anderen Richtung verläuft. Diese Tatsache ist meiner Ansicht nach in einigen zeitgenössischen Erörterungen übersehen worden, die sich mit einer auf Stabilisierung der Preise hinzielenden praktischen Politik beschäftigen. Es ist richtig, daß in einer Gesellschaft, die Änderungen unterworfen ist, eine solche Politik nicht vollkommen erfolgreich sein kann. Aber daraus folgt nicht, daß jede geringe vorübergehende Abweichung von der Preisstabilität notwendig ein kumulatives Ungleichgewicht hervorruft.
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III. Wir haben gezeigt, daß, wenn die effektive Nachfrage unzulänglich ist, Unterbeschäftigung entsteht, in dem Sinne, daß unbeschäftigte Personen da sind, die bereit wären, für weniger als den bestehenden Reallohn zu arbeiten. Mit der Zunahme der effektiven Nachfrage nimmt folglich auch die Beschäftigung zu, jedoch zu einem Reallohn, der gleich oder unter dem bestehenden Reallohn ist, bis ein Punkt kommt, an dem keine überschüssige Arbeit zum dann bestehenden Reallohn verfügbar ist; das heißt keine weiteren Personen (oder Arbeitsstunden) verfügbar sind, es sei denn, daß die Nominallöhne (von diesem Punkt an) rascher als die Preise steigen. Das nächste Problem ist, zu erwägen, was geschehen wird, wenn die Ausgaben weiterhin zunehmen, nachdem dieser Punkt erreicht wurde. Bis zu diesem Punkt ist der durch die Beschäftigung einer größeren Arbeitsmenge auf einer gegebenen Kapitalausrüstung verursachte abnehmende Ertrag durch die Bereitschaft der Arbeiter, sich mit einem abnehmenden Reallohn abzufinden, ausgeglichen worden. Nach diesem Punkt würde aber eine Arbeitseinheit den Anreiz des Gegenwertes einer vermehrten Menge von Erzeugnissen erfordern, während der Ertrag des Einsatzes einer weiteren Einheit eine verringerte Menge von Erzeugnissen wäre. Die Bedingungen strikten Gleichgewichtes erfordern daher, daß die Löhne und Preise, und folglich auch die Gewinne, alle im gleichen Verhältnis wie die Ausgaben steigen, wenn die „reale“ Lage, einschließlich der Menge der Produktion und der Beschäftigung, in jeder Beziehung unverändert bleiben soll. Das heißt, wir haben einen Zustand erreicht, in welchem der einfachen Quantitätstheorie des Geldes (welche die „Umlaufgeschwindigkeit“ als „Einkommengeschwindigkeit“ auslegt) völlig genügt wird; denn die Produktion ändert sich nicht, und die Preise steigen im genauen Verhältnis zu MV. Diese Folgerung ist aber trotzdem gewissen praktischen Einschränkungen unterworfen, die nicht vergessen werden dürfen, wenn sie auf eine aktuelle Situation angewandt werden: 1. Die steigenden Preise mögen die Unternehmer zum mindesten für einige Zeit dazu verleiten, die Beschäftigung über das Niveau auszudehnen, das ihre individuellen Gewinne, in Produkteinheiten gemessen, maximiert. Denn sie sind so daran gewöhnt, steigende Verkaufserlöse, in Geld gemessen, als ein Signal für eine Ausdehnung der Erzeugung zu betrachten, daß sie fortfahren mögen, die Beschäftigung zu vermehren, wenn diese Geschäftspolitik in der Tat nicht länger zu ihrem besten Vorteil ist; das heißt, sie mögen ihre Grenznutzungskosten in der neuen Preisumgebung unterschätzen.
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2. Da jener Teil des Gewinnes, den der Unternehmer den Rentiers aushändigen muß, in Größen von Geld festgesetzt ist, werden steigende Preise, selbst wenn sie von keiner Änderung in der Produktion begleitet sind, die Einkommen zugunsten des Unternehmers und zum Nachteil des Rentiers umverteilen, was eine Rückwirkung auf die Konsumneigung haben kann. Dies ist jedoch kein Vorgang, der erst begonnen haben würde, wenn Vollbeschäftigung erreicht ist; er würde schon während der ganzen Zeit, in der die Ausgaben zunahmen, stetig fortgeschritten sein. Wenn der Rentier weniger zur Ausgabe neigt als der Unternehmer, wird ein allmählicher Entzug von Realeinkommen bei ersteren bedeuten, daß Vollbeschäftigung mit einer geringeren Zunahme in der Geldmenge und mit einer geringeren Senkung des Zinssatzes erreicht wird, als wenn die umgekehrte Hypothese zutrifft. Nachdem Vollbeschäftigung erreicht worden ist, wird eine weitere Preissteigerung, wenn die erste Hypothese weiterhin gilt, bedeuten, daß der Zinssatz etwas steigen muß, um eine Preissteigerung ins Unendliche zu verhindern, und daß die Zunahme der Geldmenge geringer als die Zunahme der Ausgaben sein wird; während, wenn die zweite Hypothese zutrifft, das Gegenteil der Fall sein wird. Es mag sein, daß mit der Abnahme des Realeinkommens des Rentiers ein Punkt kommen wird, wenn, als eine Folge seiner wachsenden verhältnismäßigen Verarmung, die erste Hypothese durch die zweite abgelöst werden wird; dieser Punkt mag entweder vor oder nach Verwirklichung der Vollbeschäftigung erreicht werden.
IV. Es liegt vielleicht etwas Verwirrendes in der offenkundigen Asymmetrie zwischen Expansion und Schrumpfung. Denn während eine Schrumpfung der effektiven Nachfrage unter das für Vollbeschäftigung erforderliche Niveau sowohl die Beschäftigung als auch die Preise vermindern wird, wird eine Expansion der effektiven Nachfrage über dieses Niveau hinaus lediglich die Preise beeinflussen. Diese Asymmetrie ist jedoch lediglich eine Spiegelung folgender Tatsache: Während die Arbeiter sich immer weigern können, in einem Umfang zu arbeiten, der einen Reallohn mit sich bringt, der unter der marginalen Nutzeneinbuße bei jener Menge der Beschäftigung liegt, sind sie nicht in der Lage, darauf zu bestehen, daß ihnen Arbeit in einem Umfang angeboten wird, der einen Reallohn mit sich bringt, der nicht größer als die marginale Nutzeneinbuße bei jener Beschäftigungsmenge ist.
Einundzwanzigstes Kapitel
Die Theorie der Preise I. Solange sich Ökonomen mit dem beschäftigten, was die Werttheorie genannt wird, waren sie gewohnt zu lehren, daß die Preise durch die Bedingungen von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, wobei insbesondere Änderungen in den Grenzkosten und die Elastizität des kurzfristigen Angebotes eine hervorstechende Rolle spielten. Wenn sie aber im zweiten Band, oder häufiger noch in einer besonderen Abhandlung, zur Theorie des Geldes und der Preise übergehen, hören wir nichts mehr von diesen schlichten, aber verständlichen Begriffen und gehen über in eine Welt, in der die Preise durch die Menge des Geldes, durch seine Einkommensgeschwindigkeit, durch die Umlaufgeschwindigkeit relativ zur Menge der Transaktionen, durch Horten, durch erzwungenes Sparen, durch Inflation und Deflation et hoc genus omne beherrscht werden; und es wird kein oder nur ein geringer Versuch gemacht, diese unbestimmteren Sätze mit unseren früheren Begriffen der Elastizitäten des Angebotes und der Nachfrage zu verbinden. Wenn wir versuchen, das uns Gelehrte rational zu erklären, scheint es, daß in den einfacheren Erörterungen die Elastizität des Angebotes Null und die Nachfrage proportional zur Menge des Geldes geworden sein muß, während wir uns in den fortgeschritteneren Erörterungen in einem Dunst verlieren, in welchem nichts klar und alles möglich ist. Wir haben uns alle daran gewöhnt, daß wir uns manchmal auf der einen und manchmal auf der anderen Seite des Mondes befinden, ohne daß wir wissen, welcher Weg oder welche Reise die beiden Seiten verknüpft, die anscheinend nach Art unserer wachenden und träumenden Leben miteinander verbunden sind. Eines der Ziele der vorhergehenden Kapitel war, diesem Doppelleben zu entrinnen und die Theorie der Preise als Ganzes in enge Fühlung mit der Theorie des Wertes zurückzubringen. Die Einteilung der Wirtschaftslehre in die Theorie des Wertes und der Verteilung einerseits und die Theorie des Geldes andererseits ist nach meiner Ansicht eine falsche Einteilung. Die richtige Einteilung ist, wie ich annehme, die Einteilung in die Theorie der individuellen Branche oder Firma, der Entlohnungen und der Verteilung zwischen verschiedenen Verwendungen einer gegebenen Menge von Ressourcen einerseits, und die Theorie der Produktion und der Beschäftigung als Ganzes andererseits. Solange wir uns auf die Erforschung der individuellen Branche oder
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Firma beschränken, unter der Voraussetzung, daß die Gesamtmenge der beschäftigten Ressourcen konstant ist und daß vorläufig die Lage der anderen Branchen oder Firmen unverändert ist, ist es richtig, daß wir uns mit den maßgebenden Merkmalen des Geldes nicht zu beschäftigen brauchen. Sobald wir aber auf das Problem übergehen, was die Produktion und die Beschäftigung als Ganzes bestimmt, benötigen wir die vollständige Theorie einer monetären Wirtschaft. Oder wir könnten vielleicht unsere Trennungslinie zwischen der Theorie des stationären Gleichgewichtes und der Theorie des sich verschiebenden Gleichgewichtes ziehen – wobei wir unter der letzteren die Theorie eines Systems verstehen, in welchem sich ändernde Anschauungen über die Zukunft die gegenwärtige Lage beeinflussen können. Denn die Bedeutung des Geldes rührt im wesentlichen daher, daß es ein Verbindungsglied zwischen der Gegenwart und der Zukunft darstellt. Wir können überlegen, welche Verteilung der Ressourcen auf verschiedene Verwendungen vereinbar sein wird mit dem Gleichgewicht unter dem Einfluß normaler wirtschaftlicher Beweggründe in einer Welt, in der unsere Anschauungen über die Zukunft festgelegt und in jeder Beziehung zuverlässig sind; – mit einer etwaigen weiteren Trennung zwischen einer Wirtschaft, die unveränderlich, und einer solchen, die Änderungen unterworfen ist, aber in der alle Dinge von Anfang an vorausgesehen werden. Oder wir können von dieser vereinfachten Vorstufe auf die Probleme der wirklichen Welt übergehen, in der unsere vorhergehenden Erwartungen Enttäuschungen unterworfen sind, und in der die Erwartungen über die Zukunft das, was wir heute tun, beeinflussen. Erst wenn wir diesen Übergang gemacht haben, müssen die spezifischen Eigenschaften des Geldes als eines Verbindungsgliedes zwischen der Gegenwart und der Zukunft in unsere Berechnungen einbezogen werden. Aber obschon die Theorie des sich verschiebenden Gleichgewichtes notwendigerweise in Größen einer monetären Wirtschaft verfolgt werden muß, bleibt sie doch eine Theorie des Wertes und der Verteilung und nicht eine besondere „Theorie des Geldes“. Die kennzeichnenden Eigenschaften des Geldes liegen vor allem darin, daß es eine scharfsinnige Einrichtung ist, um die Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden; und wir können die Wirkung sich ändernder Erwartungen auf laufende Tätigkeiten außerhalb von monetären Größen nicht einmal beginnen zu diskutieren. Wir können vom Gelde nicht einmal dadurch loskommen, daß wir Gold und Silber und die gesetzlichen Zahlungsmittel abschaffen. Solange es irgendeinen dauerhaften Vermögenswert gibt, wird er fähig sein, geldliche Eigen-
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schaften zu besitzen1 und daher die kennzeichnenden Probleme einer monetären Wirtschaft hervorzurufen.
II. Das spezifische Preisniveau einer einzelnen Branche hängt teilweise von der Entlohnung der Produktionsfaktoren ab, die in ihre Grenzkosten eingehen, und teilweise vom Niveau der Produktion. Es besteht kein Grund, diese Folgerung abzuändern, wenn wir auf die Wirtschaft als Ganzes übergehen. Das allgemeine Preisniveau stützt sich teilweise auf die Entlohnung der Produktionsfaktoren, die in die Grenzkosten eingehen, und teilweise auf das Niveau der Produktion als Ganzem, das heißt (wenn wir die Ausrüstung und die Technik als gegeben voraussetzen) auf die Menge der Beschäftigung. Es stimmt, daß, wenn wir zur Produktion als Ganzes übergehen, die Kosten der Erzeugung in irgendeiner Branche teilweise von der Produktion der anderen Branchen abhängen. Die bedeutsamere Änderung jedoch, die wir zu berücksichtigen haben, ist die Wirkung von Änderungen in der Nachfrage sowohl auf die Kosten als auch auf die Menge. Es ist die Nachfrageseite, auf der wir ganz neue Gedanken einzuführen haben, wenn wir uns mit der Nachfrage als Ganzem beschäftigen und nicht länger mit der Nachfrage nach einem einzelnen, isoliert genommenen Erzeugnis unter der Voraussetzung, daß die Nachfrage als Ganzes unverändert ist.
III. Wenn wir uns die Vereinfachung gestatten, vorauszusetzen, daß sich die Entlohnungssätze der verschiedenen in die Grenzkosten eingehenden Produktionsfaktoren alle im gleichen Verhältnis ändern, das heißt im gleichen Verhältnis wie die Lohneinheit, ergibt sich, daß das allgemeine Preisniveau (wenn wir die Ausrüstung und die Technik als gegeben voraussetzen) teilweise von der Lohneinheit und teilweise von der Menge der Beschäftigung abhängt. Die Wirkung von Änderungen in der Geldmenge auf das Preisniveau kann folglich als eine Zusammensetzung der Wirkung auf die Lohneinheit und der Wirkung auf die Beschäftigung betrachtet werden. Um die in Frage kommenden Gedanken zu erläutern, wollen wir unsere Voraussetzungen noch weiter vereinfachen und voraussetzen, 1. daß alle unbeschäftigten Ressourcen homogen und in ihrer Leistungsfähigkeit, das Verlangte zu erzeugen, gegeneinander austauschbar sind, 1
Vgl. 17. Kap.
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und 2. daß die in die Grenzkosten eingehenden Produktionsfaktoren sich mit dem gleichen Nominallohn begnügen, solange der überschüssige Teil von ihnen unbeschäftigt ist. In diesem Fall werden wir konstante Erträge und eine starre Lohneinheit haben, solange es überhaupt Arbeitslosigkeit gibt. Daraus folgt, daß eine Zunahme der Geldmenge überhaupt keine Wirkung auf die Preise haben wird, solange es überhaupt Arbeitslosigkeit gibt, und daß die Beschäftigung im genauen Verhältnis zu jeder Zunahme in der effektiven Nachfrage zunehmen wird, die durch eine Zunahme in der Geldmenge herbeigeführt wurde; während sofort nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung es die Lohneinheit und die Preise sein werden, die von nun an im genauen Verhältnis zu der Zunahme der effektiven Nachfrage zunehmen werden. Wenn somit vollkommen elastisches Angebot besteht, solange es Arbeitslosigkeit gibt, und vollkommen unelastisches Angebot, sobald die Vollbeschäftigung erreicht wird, und wenn sich die effektive Nachfrage im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge ändert, kann die Quantitätstheorie des Geldes wie folgt ausgedrückt werden: „Solange es Arbeitslosigkeit gibt, wird sich die Beschäftigung im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge ändern; und wenn Vollbeschäftigung besteht, werden sich die Preise im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge ändern.“ Nachdem wir aber der Tradition durch die Einführung einer hinreichenden Anzahl von vereinfachenden Annahmen Genüge getan haben, um eine Quantitätstheorie des Geldes aufstellen zu können, wollen wir nun die möglichen Komplikationen erwägen, welche die Ereignisse tatsächlich beeinflussen werden: 1. Die effektive Nachfrage wird sich nicht im genauen Verhältnis zur Geldmenge ändern. 2. Da die Ressourcen nicht homogen sind, werden sich mit der allmählich zunehmenden Beschäftigung abnehmende und nicht konstante Erträge ergeben. 3. Da die Ressourcen nicht gegeneinander austauschbar sind, werden einige Waren einen Zustand unelastischen Angebotes erreichen, während gleichzeitig immer noch unbeschäftigte Ressourcen für die Erzeugung anderer Waren verfügbar sind. 4. Die Lohneinheit wird tendenziell steigen, bevor Vollbeschäftigung erreicht worden ist. 5. Die Entlohnungen der in die Grenzkosten eingehenden Faktoren werden sich nicht alle im gleichen Verhältnis ändern. Wir müssen somit zuerst die Wirkung von Änderungen in der Geldmenge auf die Menge der effektiven Nachfrage betrachten; und die Zu-
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nahme in der effektiven Nachfrage wird sich, allgemein gesprochen, teilweise durch eine Vermehrung der Menge an Beschäftigung und teilweise durch einen Anstieg des Preisniveaus ausdrücken. Statt konstanter Preise in Situationen der Arbeitslosigkeit und proportional zur Geldmenge steigender Preise in Situationen der Vollbeschäftigung haben wir somit tatsächlich eine Situation, in der die Preise allmählich mit der Zunahme der Beschäftigung steigen. Die Theorie der Preise, das heißt die Analyse der Beziehung von Änderungen in der Geldmenge zu Änderungen im Preisniveau mit dem Ziel, die Elastizität der Preise in bezug auf Änderungen der Geldmenge zu bestimmen, muß sich daher auf die oben angeführten fünf Faktoren richten, welche die Lage komplizieren. Wir wollen sie einzeln der Reihe nach betrachten. Aber dieses Vorgehen darf uns nicht zu der Annahme verführen, daß sie, streng genommen, unabhängig sind. Das Verhältnis zum Beispiel, in welchem sich eine Zunahme der effektiven Nachfrage auf eine Vermehrung der Produktion und eine Steigerung der Preise aufteilt, kann die Art und Weise beeinflussen, in der die Geldmenge zur Menge der effektiven Nachfrage in Beziehung steht. Oder die Unterschiede in den Verhältnissen, in denen sich die Entlohnungen verschiedener Faktoren ändern, kann die Beziehung zwischen der Geldmenge und der Menge der effektiven Nachfrage beeinflussen. Der Zweck unserer Analyse ist nicht, eine Maschine oder eine blind anwendbare Methode bereitzustellen, die eine unfehlbare Antwort liefert, sondern eine organisierte und geordnete Methode aufzubauen, mit der wir einzelne Probleme durchdenken können; und nachdem wir die komplizierten Faktoren einen nach dem anderen isoliert haben und dadurch zu einer vorläufigen Folgerung gekommen sind, müssen wir uns rückbesinnen und, so gut wir können, die wahrscheinlichen Wechselwirkungen der Faktoren untereinander berücksichtigen. Das ist das Wesen wirtschaftlichen Denkens. Jede andere Art der Anwendung unserer formalen Denkgrundsätze (ohne die wir uns indessen im Walde verlieren werden) wird uns in die Irre führen. Es ist ein großer Fehler der symbolischen pseudomathematischen Methoden, die ein System wirtschaftlicher Analyse in der Art und Weise formalisieren, wie wir es im sechsten Abschnitt dieses Kapitels niederlegen werden, daß sie ausdrücklich eine strenge Unabhängigkeit zwischen den einbezogenen Faktoren voraussetzen und all ihre zwingende Beweiskraft verlieren, wenn diese Hypothese ausgeschlossen wird. Im gewöhnlichen Diskurs dagegen, in dem wir nicht blind manipulieren, sondern jederzeit wissen, was wir tun und was die Worte bedeuten, können wir die notwendigen Vorbehalte und Einschränkungen und die Anpassungen, die wir später
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machen werden, im Hinterkopf behalten in einer Art, in der wir komplizierte partielle Ableitungen, die voraussetzen, daß sie alle verschwinden, über mehrere Seiten Algebra hinweg nicht im Hinterkopf behalten können. Ein allzu großer Teil jüngster „mathematischer“ Wirtschaftslehren besteht aus bloßen Tüfteleien, so ungenau wie die anfänglichen Voraussetzungen, auf denen sie beruhen, welche dem Autor erlauben, die Verwicklungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der wirklichen Welt in einem Wust anmaßender und nutzloser Symbole aus dem Blick zu verlieren.
IV.
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1. Die Hauptwirkung einer Änderung in der Geldmenge auf die Menge der effektiven Nachfrage wird durch ihren Einfluß auf den Zinssatz ausgeübt. Wenn dies die einzige Rückwirkung wäre, könnte die Mengenwirkung von den folgenden drei Elementen abgeleitet werden: a) der Kurve der Liquiditätspräferenz, die uns sagt, um wie viel der Zinssatz fallen muß, damit das neue Geld durch bereitwillige Halter aufgenommen werden kann, b) der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit, die uns sagt, um wie viel eine gegebene Senkung des Zinssatzes die Investitionen vermehren wird, und c) dem Investitionsmultiplikator, der uns sagt, um wie viel eine gegebene Zunahme der Investitionen die effektive Nachfrage als Ganzes vermehren wird. Diese Analyse, obschon wertvoll für die Einführung von Ordnung und Methode in unsere Untersuchung, ist dennoch von trügerischer Einfachheit, wenn wir vergessen, daß die drei Elemente a), b) und c) selber teilweise von den komplizierenden Faktoren 2., 3., 4. und 5. abhängig sind, die wir noch nicht betrachtet haben. Denn die Kurve der Liquiditätspräferenz hängt davon ab, welcher Teil der neuen Geldmenge von der Einkommens- und der geschäftlichen Zirkulation absorbiert wird, die ihrerseits von der Zunahme der effektiven Nachfrage und ihrer Verteilung zwischen der Steigerung der Preise, der Erhöhung der Löhne und der Erhöhung der Produktions- und Beschäftigungsmenge abhängt. Ferner wird die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit teilweise von der Wirkung abhängen, welche die Begleitumstände der Zunahme in der Geldmenge auf die Erwartungen über zukünftige monetäre Aussichten haben. Und schließlich wird der Multiplikator durch die Art beeinflußt werden, in der das sich aus der vermehrten effektiven Nachfrage ergebende neue Einkommen zwischen verschiedenen Klassen von Verbrauchern verteilt ist. Und damit ist selbstverständlich die Liste der möglichen Wechselwirkungen noch nicht vollständig. Wenn wir alle die Tatsachen vor uns haben, werden wir aber trotzdem genügend simultane Gleichungen haben, um ein bestimmtes Ergebnis zu bekommen. Es wird einen bestimmten
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Betrag der Zunahme in der Menge der effektiven Nachfrage geben, der, unter Berücksichtigung aller Umstände, der Zunahme der Geldmenge entsprechen und mit ihr im Gleichgewicht sein wird. Überdies wird eine Zunahme der Geldmenge nur in höchst außergewöhnlichen Umständen mit einer Abnahme in der Menge der effektiven Nachfrage verbunden sein. Das Verhältnis zwischen der Menge der effektiven Nachfrage und der Geldmenge steht in enger Beziehung zu dem, was oft die „Einkommensgeschwindigkeit des Geldes“ genannt wird; – mit der Einschränkung, daß die effektive Nachfrage dem Einkommen entspricht, dessen Erwartung die Produktion in Gang gesetzt hat, und nicht dem tatsächlich erzielten Einkommen, ferner dem Brutto- und nicht dem Nettoeinkommen. Die „Einkommensgeschwindigkeit des Geldes“ ist aber für sich genommen lediglich ein Name, der nichts erklärt. Es besteht kein Grund für die Erwartung, daß sie konstant sein wird. Denn sie stützt sich, wie die vorhergehende Erörterung gezeigt hat, auf viele komplexe und veränderliche Faktoren. Die Anwendung dieses Ausdruckes verschleiert meiner Ansicht nach das wahre Wesen der Kausalität und hat nichts als Verwirrung hervorgerufen. 2. Wie wir oben (S. 37) gezeigt haben, hängt die Unterscheidung zwischen abnehmendem und konstantem Ertrag teilweise davon ab, ob die Arbeiter im genauen Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit entlohnt werden. Geschieht dies, so werden wir bei einer Zunahme der Beschäftigung konstante Arbeitskosten (in Größen der Lohneinheit) haben. Wenn aber der Lohn einer gegebenen Arbeitergruppe einheitlich ist, unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Einzelnen, werden wir steigende Arbeitskosten haben, unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Ausrüstung. Wenn die Ausrüstung überdies inhomogen ist und ein Teil von ihr höhere Grundkosten je Produkteinheit bedingt, werden wir steigende Grenzgrundkosten haben, die über den Anstieg infolge zunehmender Arbeitskosten hinausgehen. Im allgemeinen wird folglich der Angebotspreis mit der Zunahme der Produktion mit einer gegebenen Ausrüstung zunehmen. Von irgendeiner Veränderung in der Lohneinheit abgesehen wird somit eine zunehmende Produktion mit steigenden Preisen verbunden sein. 3. Unter 2. haben wir die Möglichkeit eines unvollkommen elastischen Angebots erwogen. Wenn ein perfektes Verhältnis zwischen den jeweiligen Mengen spezialisierter unterbeschäftigter Ressourcen besteht, wird die Vollbeschäftigung für sie alle gleichzeitig erreicht werden. Im allgemeinen wird aber die Nachfrage nach einigen Dienstleistungen und Waren ein Niveau erreichen, über das hinaus ihr Angebot eine Zeitlang vollkom-
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men unelastisch ist, während es in anderen Richtungen immer noch einen beträchtlichen Überschuß unbeschäftigter Ressourcen gibt. Mit der Zunahme der Produktion wird somit nach und nach eine Reihe von „Flaschenhälsen“ erreicht, wo das Angebot bestimmter Güter aufhört, elastisch zu sein, und ihre Preise müssen auf das Niveau ansteigen, welches notwendig ist, um die Nachfrage in andere Richtungen umzulenken. Es ist wahrscheinlich, daß das allgemeine Preisniveau mit der Zunahme der Produktion nicht stark steigen wird, solange leistungsfähige unbeschäftigte Ressourcen jeder Art verfügbar sind. Sobald aber die Produktion genügend vermehrt ist, um sich den „Flaschenhälsen“ anzunähern, wird wahrscheinlich eine starke Preissteigerung bestimmter Waren eintreten. In dieser Rubrik sowie in Rubrik 2 hängt jedoch die Elastizität des Angebotes teilweise vom Verlauf der Zeit ab: Wenn wir einen genügend langen Zeitraum voraussetzen, in dem sich die Menge der Ausrüstung selbst ändern kann, werden die Elastizitäten des Angebotes schließlich entschieden größer sein. Eine mäßige Änderung der effektiven Nachfrage, die mit großer Arbeitslosigkeit zusammentrifft, dürfte sich somit nur sehr wenig in einer Preissteigerung und hauptsächlich in einer Vermehrung der Beschäftigung auswirken; während eine größere Änderung, die, da unvorhergesehen, zur vorübergehenden Erreichung einiger „Flaschenhälse“ führt, sich anfänglich in einem größeren Maße als später in einer Preissteigerung im Gegensatz zu einer Vermehrung der Beschäftigung auswirken wird. 4. Daß die Lohneinheit dazu tendieren mag, vor der Erreichung der Vollbeschäftigung zu steigen, erfordert keine weitläufige Erläuterung oder Erklärung. Da jede Arbeitergruppe unter sonst gleichen Bedingungen durch eine Erhöhung ihrer eigenen Löhne einen Vorteil erzielen wird, wird natürlicherweise für alle Gruppen ein Druck in dieser Richtung bestehen, dem die Unternehmer williger nachgeben werden, wenn sie bessere Geschäfte machen. Aus diesem Grunde wird ein Teil jeder Zunahme in der effektiven Nachfrage wahrscheinlich zur Befriedigung der steigenden Tendenz der Lohneinheit absorbiert werden. Zusätzlich zu dem endgültigen kritischen Punkt der Vollbeschäftigung, an dem die Nominallöhne in Reaktion auf eine (in Größen von Geldeinheiten gemessene) zunehmende effektive Nachfrage völlig proportional zur Preissteigerung der Lohngüter steigen müssen, haben wir somit eine Reihe früherer halb-kritischer Punkte, auf denen eine zunehmende effektive Nachfrage tendenziell die Nominallöhne erhöhen wird, obgleich nicht im vollen Verhältnis zur Preissteigerung der Lohngüter; und
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ähnlich im Fall einer abnehmenden effektiven Nachfrage. In Wirklichkeit ändert sich die Lohneinheit, in Geld gemessen, nicht stetig in Reaktion auf jede geringe Änderung in der effektiven Nachfrage, sondern diskontinuierlich. Diese Punkte der Diskontinuität werden durch die Psychologie der Arbeiter und durch die Taktik der Unternehmer und Gewerkschaften bestimmt. In einem offenen System, in welchem sie eine Änderung im Verhältnis zu den Lohnkosten anderswo bedeuten, und in einem Konjunkturzyklus, in welchem sie, selbst in einem geschlossenen System, eine Änderung im Verhältnis zu den in der Zukunft erwarteten Lohnkosten bedeuten, können sie von beträchtlicher praktischer Geltung sein. Diese Punkte, auf denen eine weitere Zunahme in der effektiven Nachfrage, in Geld gemessen, eine diskontierliche Erhöhung der Lohneinheit verursachen kann, könnten von einem gewissen Standpunkt aus als Positionen einer Semi-Inflation mit einer gewissen Analogie (obschon mit einer sehr unvollkommenen) zu der absoluten Inflation (vergleiche S. 256 unten) bezeichnet werden, die auf eine Zunahme in der effektiven Nachfrage in Situationen der Vollbeschäftigung folgt. Überdies sind sie von großer geschichtlicher Bedeutung. Für theoretische Verallgemeinerungen eignen sie sich aber schlecht. 5. Unsere erste Vereinfachung bestand in der Voraussetzung, daß sich die Entlohnungen der verschiedenen in die Grenzkosten eingehenden Faktoren alle im gleichen Verhältnis ändern. Tatsächlich werden aber die Sätze der Entlohnungen verschiedener Faktoren in Größen von Geld veränderliche Grade der Rigidität aufweisen, und sie können auch unterschiedliche Angebotselastizitäten in bezug auf Änderungen in den angebotenen Geldentlohnungen haben. Ohne diese Tatsachen könnten wir sagen, daß das Preisniveau aus zwei Faktoren zusammengesetzt ist, der Lohneinheit und der Menge der Beschäftigung. Vielleicht das wichtigste Element in den Grenzkosten, das sich wahrscheinlich in einem anderen Verhältnis als die Lohneinheit ändern und auch innerhalb viel weiterer Grenzen schwanken wird, sind die Grenznutzungskosten. Denn die Grenznutzungskosten können steil steigen, wenn sich die Beschäftigung zu bessern beginnt, wenn (wie dies wahrscheinlich der Fall sein wird) die zunehmende effektive Nachfrage eine rasche Änderung in der vorherrschenden Erwartung in bezug auf den Zeitpunkt hervorbringt, an dem der Ersatz der Ausrüstungen notwendig sein wird. Während die Voraussetzung, daß die Entlohnungen aller in die Grenzgrundkosten eingehenden Faktoren sich im gleichen Verhältnis
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wie die Lohneinheit ändern, für manche Zwecke eine sehr nützliche erste Annäherung ist, ist es vielleicht besser, einen gewogenen Durchschnitt der in die Grenzgrundkosten eingehenden Entlohnungen der Faktoren zu nehmen und diesen die Kosteneinheit zu nennen. Die Kosteneinheit oder, gemäß der obigen Annäherung, die Lohneinheit, kann somit als der wesentliche Wertstandard betrachtet werden, und das Preisniveau wird bei einem gegebenen Stand der Technik und Ausrüstung sich teilweise auf die Kosteneinheit und teilweise auf den Produktionsumfang stützen und, wo die Produktion steigt, gemäß dem Grundsatz des abnehmenden Ertrages auf kurze Sicht um mehr als im Verhältnis zu irgendeiner Zunahme in der Kosteneinheit zunehmen. Wir haben Vollbeschäftigung, wenn die Produktion auf ein Niveau gestiegen ist, auf dem der Grenzertrag einer repräsentativen Einheit der Produktionsfaktoren auf den Mindeststand gefallen ist, bei dem eine Menge der Faktoren verfügbar ist, die genügt, um diese Produktion zu erzeugen.
V. Wenn eine weitere Zunahme in der effektiven Nachfrage keine weitere Zunahme in der Produktion hervorruft und ausschließlich auf eine Zunahme in der Lohneinheit völlig proportional zur Zunahme in der effektiven Nachfrage wirkt, haben wir einen Zustand erreicht, der zutreffend als ein Zustand wahrer Inflation bezeichnet werden könnte. Bis zu diesem Punkt ist die Wirkung der monetären Expansion völlig eine Frage des Grades, und es gibt keinen früheren Punkt, an dem wir eine klare Linie ziehen und erklären können, daß Zustände der Inflation eingesetzt haben. Jede frühere Zunahme in der Geldmenge wird wahrscheinlich, insofern sie die effektive Nachfrage vermehrt, teilweise durch eine Vermehrung der Kosteneinheit und teilweise durch eine Vermehrung der Produktion wirken. Daraus wird ersichtlich, daß wir eine Art Asymmetrie über und unter dem kritischen Niveau haben, oberhalb dessen die wahre Inflation einsetzt. Denn eine Schrumpfung der effektiven Nachfrage unter das kritische Niveau wird ihren Betrag, in Lohneinheiten gemessen, verringern, während eine Ausdehnung der effektiven Nachfrage über dieses Niveau im allgemeinen nicht die Wirkung haben wird, ihren Betrag in Größen der Kosteneinheit zu vermehren. Dieses Ergebnis folgt aus der Voraussetzung, daß die Produktionsfaktoren, und insbesondere die Arbeiter, geneigt sind, sich einer Kürzung ihrer Entlohnung zu widersetzen, und daß es keinen entsprechenden Beweggrund gibt, sich einer Zunahme zu widersetzen. Diese Voraussetzung ist jedoch offenbar
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in den Tatsachen wohlbegründet, als Folge des Umstandes, daß eine nicht allumfassende Änderung für die besonders betroffenen Faktoren günstig ist, wenn sie nach oben, und ungünstig ist, wenn sie nach unten geht. Wenn andererseits die Nominallöhne jedesmal ohne Grenze fallen würden, wenn eine Tendenz zu weniger als Vollbeschäftigung besteht, würde die Asymmetrie in der Tat verschwinden. In diesem Fall gäbe es aber keinen Ruhepunkt unterhalb der Vollbeschäftigung, bis entweder der Zinssatz nicht mehr weiter fallen könnte oder die Löhne Null wären. Wir benötigen in der Tat einen Faktor, dessen Wert, in Geld ausgedrückt, wenn nicht fixiert, so doch wenigstens rigide ist, um irgendeine Wertbeständigkeit in einem monetären System zu haben. Die Anschauung, daß jede Zunahme in der Geldmenge eine Inflation bedeutet (wenn wir unter Inflation nicht lediglich eine Preissteigerung verstehen), ist mit der grundlegenden Voraussetzung der klassischen Theorie verbunden, daß wir immer in einem Zustand sind, in welchem eine Kürzung der Realentlohnung der Produktionsfaktoren zu einer Einschränkung ihres Angebotes führen wird.
VI. Mit Hilfe der im zwanzigsten Kapitel eingeführten Bezeichnungen können wir, wenn wir wollen, den Kern des Obigen in symbolischer Form ausdrücken. Schreiben wir MV D, wobei M die Geldmenge ist, V ihre Einkommensgeschwindigkeit (wobei diese Definition im Hinblick auf die oben angeführten kleineren Punkte von der üblichen Definition abweicht) und D die effektive Nachfrage. Wenn dann V konstant ist, werden sich die Preise im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge Dd p ändern, wenn ep gleich eins ist. Diese Bedingung wird erpd D füllt (siehe S. 242 oben), wenn eo 0 oder wenn ew 1 ist. Die Bedingung ew 1 bedeutet, daß die Lohneinheit, in Geld ausgedrückt, im Dd W gleichen Verhältnis wie die effktive Nachfrage steigt, da ew ; Wd D und die Bedingung eo 0 bedeutet, daß die Produktion nicht länger auf eine weitere Zunahme in der effektiven Nachfrage reagiert, da Dd O eo . Die Produktion wird in beiden Fällen unverändert bleiben. Od D Wir können uns sodann mit dem Fall beschäftigen, in dem die Einkommensgeschwindigkeit nicht konstant ist, indem wir noch eine wei-
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tere Elastizität einführen, nämlich die Elastizität der effektiven Nachfrage in bezug auf Änderungen in der Geldmenge ed
MdD : DdM
Dies gibt uns Mdp ep ed ; wobei ep 1 pdM so daß
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e ed
1
e e e o
1
ew ;
ew ed ee eo
e d
1 e e e o e e e o e w ; Mdp an der Spitze dieser Pyramide steht und wobei e ohne Suffix pdM die Reaktion der Nominallöhne auf Änderungen der Geldmenge mißt. Da uns diese letzte Bezeichnung die verhältnismäßige Änderung der Preise auf eine Änderung der Geldmenge angibt, kann sie als eine verallgemeinerte Darstellung der Quantitätstheorie des Geldes betrachtet werden. Ich selber messe Manipulationen dieser Art keinen großen Wert bei, und ich möchte meine obige Warnung wiederholen, daß sie gerade soviel stillschweigende Voraussetzungen über die veränderlichen Größen bedingen, die als unabhängig angenommen werden (wobei partielle Ableitungen durchweg ignoriert werden), wie gewöhnliche Darstellungen, während ich bezweifle, ob sie uns weiter bringen als diese. Der beste von ihrem Niederschreiben erreichte Zweck ist vielleicht die Hervorhebung der extremen Komplexität des Verhältnisses zwischen den Preisen und der Geldmenge, wenn wir versuchen, es in einer formalen Art auszudrükken. Es lohnt sich jedoch hervorzuheben, daß von den vier Ausdrücken ed , ew , ee und eo, auf die sich die Wirkung von Änderungen der Geldmenge auf die Preise stützen, ed für die Liquiditätsfaktoren steht, welche die Nachfrage nach Geld in jeder Situation bestimmen, ew für die Arbeitsfaktoren (oder genauer die in den Grenzkosten einbezogenen Faktoren), die das Maß bestimmen, in dem die Nominallöhne bei einer Vermehrung der Beschäftigung erhöht werden, und ee und eo für die physischen Faktoren, die bei der Anwendung von mehr Beschäftigung auf die bestehende Ausrüstung den Grad des abnehmenden Ertrages bestimmen. Wenn das Publikum einen konstanten Anteil ihres Einkommens in Geld hält, so ist ed 1; wenn die Nominallöhne fixiert sind, so ist ew 0; wenn es durchweg konstante Erträge gibt, so daß der Grenzertrag gleich dem Durchschnittsertrag ist, so ist ee eo 1; und wenn Vollbeschäftigung der Arbeit oder der Ausrüstung besteht, so ist ee eo 1.
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Nun ist e 1, wenn ed 1 und ew = 1; oder wenn ed 1, ew 0 und ee eo 0; oder wenn ed 1 und eo 0. Und es gibt offenbar eine Reihe anderer besonderer Fälle, in denen e 1 ist. Im allgemeinen ist aber e nicht gleich eins; und wir können vielleicht ohne Gefahr verallgemeinern, daß unter plausiblen Annahmen in bezug auf die Wirklichkeit und mit Ausnahme des Falles einer „Flucht aus der Währung“, in welchem ed und ew groß werden, e in der Regel kleiner als eins ist.
VII. Bis jetzt haben wir uns in erster Linie mit der Art beschäftigt, in der Änderungen der Geldmenge die Preise auf kurze Sicht beeinflussen. Aber gibt es auf lange Sicht nicht ein einfacheres Verhältnis? Dies ist mehr eine Frage historischer Verallgemeinerung als der reinen Theorie. Wenn der Stand der Liquiditätspräferenz eine gewisse Tendenz zu einem Maß langfristiger Konstanz hat, mag es in einem Durchschnitt von Zeiten des Pessimismus und Optimismus wohl irgendein ungefähres Verhältnis zwischen dem Nationaleinkommen und der Geldmenge geben, die für die Befriedigung der Liquiditätspräferenz erforderlich ist. Es mag zum Beispiel einen gewissen ziemlich stabilen Teil des Nationaleinkommens geben, über den hinaus die Bevölkerung als Ganzes nicht bereitwillig unbenutzte Kassenbestände für lange Zeitabschnitte halten wird, sofern der Zinssatz einen gewissen psychologischen Mindestsatz übersteigt. Daher wird, wenn die Geldmenge, die über den Bedarf für die aktive Zirkulation hinausgeht, diesen Teil des Nationaleinkommens übersteigt, der Zinssatz früher oder später tendenziell in die Nähe dieses Mindestsatzes fallen. Der fallende Zinssatz wird dann, unter sonst gleichen Bedingungen, die effektive Nachfrage vermehren, und die zunehmende effektive Nachfrage wird einen oder mehrere der halbkritischen Punkte erreichen, auf denen die Lohneinheit die Tendenz haben wird, diskontinuierlich zu steigen mit einer entsprechenden Wirkung auf die Preise. Die umgekehrten Tendenzen werden einsetzen, wenn die Menge des überschüssigen Geldes einen ungewöhnlich geringen Teil des Nationaleinkommens ausmacht. Die Nettowirkung der Schwankungen über einen längeren Zeitabschnitt wird somit sein, eine Durchschnittszahl hervorzubringen, die mit dem stetigen Verhältnis zwischen dem Nationaleinkommen und der Geldmenge im Einklang ist, zu dem die Psychologie des Publikums früher oder später zurückzukehren geneigt sein wird.
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Diese Tendenzen werden sich in der Aufwärtsrichtung wahrscheinlich reibungsloser als in der Abwärtsrichtung geltend machen. Wenn aber die Geldmenge während einer langen Zeit sehr unzulänglich bleibt, wird der Ausweg gewöhnlich in einer Änderung des Geldstandards oder des Geldsystems gefunden werden, um lieber die Geldmenge zu erhöhen als die Lohneinheit hinabzuzwingen und dadurch die Schuldenlast zu vermehren. Der sehr langfristige Preisverlauf war somit fast immer nach oben gerichtet. Denn wenn das Geld verhältnismäßig reichlich ist, wird die Lohneinheit steigen; und wenn das Geld verhältnismäßig knapp ist, wird irgendein Mittel gefunden werden, um die effektive Geldmenge zu vermehren. Während des neunzehnten Jahrhunderts scheint die Zunahme der Bevölkerung und der Erfindungen, die Erschließung neuen Landes, der Stand des Vertrauens und die Häufigkeit von Kriegen im Durchschnitt (sagen wir) jedes Jahrzehntes genügend gewesen zu sein, um zusammen mit der Konsumneigung eine Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hervorzubringen, die zuließ, daß ein ziemlich befriedigendes Durchschnittsniveau der Beschäftigung mit einem Zinssatz vereinbar war, der genügend hoch war, um von den Vermögensbesitzern psychologisch akzeptiert zu werden. Es liegt Evidenz vor, daß während eines Zeitabschnittes von fast hundertfünfzig Jahren der langfristige typische Zinssatz in den führenden Finanzzentren ungefähr 5 % war, und der Satz für erstklassige Wechsel zwischen 3 und 3,5 %; und daß diese Zinssätze bescheiden genug waren, um ein Investitionsvolumen zu ermutigen, das mit einer nicht unerträglich niedrigen Durchschnittsbeschäftigung vereinbar war. Hier und da wurde die Lohneinheit, aber öfters der Geldstandard oder das monetäre System (insbesondere durch die Entwicklung des Giralgeldes) derart angepaßt, daß die Geldmenge, in Größen der Lohneinheit, genügte, um eine normale Liquiditätspräferenz zu Zinssätzen zu befriedigen, die selten stark unter den obigen Standardsätzen lagen. Die Tendenz der Lohneinheit zeigte, wie gewöhnlich, im ganzen stetig nach oben, aber die Leistungsfähigkeit der Arbeit nahm ebenfalls zu. Der Ausgleich der Kräfte war somit derart, daß er ein faires Maß von Preisbeständigkeit gestattete; – der höchste fünfjährige Durchschnitt der Sauerbeckschen Indexzahl zwischen 1820 und 1914 war nur 50 % über dem niedrigsten. Dies war nicht zufällig. Es wird mit Recht einem Kräfteausgleich in einem Zeitalter zugeschrieben, in welchem einzelne Unternehmergruppen stark genug waren, um zu verhindern, daß die Lohneinheit viel rascher als die Produktionseffizienz stieg, und in welchem die monetären Systeme gleichzeitig genügend flüssig und genügend konservativ waren, um ein – in Lohn-
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einheiten gemessen – ausreichendes Durchschnittsangebot an Geld zu schaffen, das das Vorherrschen der niedrigsten Durchschnittsrate des Zinses gestattete, die die Vermögensbesitzer unter dem Einfluß ihrer Liquiditätspräferenz leicht akzeptieren konnten. Das Durchschnittsniveau der Beschäftigung war natürlich beträchtlich unter dem der Vollbeschäftigung, aber nicht so unerträglich darunter, um revolutionäre Veränderungen hervorzurufen. Heute und wahrscheinlich auch für die Zukunft ist die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals aus verschiedenen Gründen viel niedriger als im neunzehnten Jahrhundert. Die Schärfe und die Besonderheit unseres gegenwärtigen Problems erwächst daher aus der Möglichkeit, daß der durchschnittliche Zinssatz, der ein vernünftiges Durchschnittsniveau der Beschäftigung gestattet, den Vermögensbesitzern so unannehmbar ist, daß er nicht ohne weiteres lediglich durch Manipulation der Geldmenge erreicht werden kann. Solange ein erträgliches Niveau der Beschäftigung im Durchschnitt von einem oder zwei oder drei Jahrzehnten allein durch die Schaffung eines (in Größen der Lohneinheit) angemessenen Geldangebots erreicht werden konnte, konnte selbst das neunzehnte Jahrhundert einen Weg finden. Wenn dies auch jetzt nur unser einziges Problem wäre – wenn ein genügender Grad der Abwertung alles wäre, was wir brauchten –, könnten wir heute sicherlich einen Weg finden. Aber das beständigste und das am wenigsten leicht verschiebbare Element in unserer zeitgenössischen Wirtschaft war bis jetzt, und mag sich auch in Zukunft als solches erweisen, der Mindestzinssatz, der der Allgemeinheit der Vermögensbesitzer annehmbar ist2. Wenn ein erträgliches Niveau der Beschäftigung einen Zinssatz stark unter den durchschnittlichen Sätzen erfordert, die im neunzehnten Jahrhundert Geltung hatten, ist es sehr fraglich, ob er lediglich durch die Steuerung der Geldmenge erreicht werden kann. Vom prozentualen Gewinn, den die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals dem Entleiher als Verdienst zu erwarten gestattet, müssen abgezogen werden: 1. die Kosten, Schuldner und Gläubiger zusammenzubringen, 2. Einkommens- und Zuschlagssteuer und 3. die Marge, die der Gläubiger zur Deckung seines Risikos und der Ungewißheit braucht, bevor wir auf den verfügbaren Nettoertrag kommen, der den Besitzer von Vermögen verleiten wird, seine Liquidität zu opfern. 2 Vergleiche die von Bagehot angeführte Redensart des 19. Jahrhunderts: „John Bull kann vieles ertragen, aber was er nicht ertragen kann, sind 2 Prozent.“
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Wenn in Zuständen einer erträglichen Durchschnittsbeschäftigung dieser Nettoertrag unendlich klein sein sollte, mögen altehrwürdige Methoden sich als nutzlos erweisen. Kehren wir zu unserm unmittelbaren Gegenstand zurück, so wird das langfristige Verhältnis zwischen dem Nationaleinkommen und der Geldmenge von der Liquiditätspräferenz abhängen. Und die langfristige Stabilität oder Instabilität der Preise wird abhängen von der Stärke des Aufwärtstrends der Lohneinheit (oder, genauer, der Kosteneinheit) im Vergleich zur Zuwachsrate der Leistungsfähigkeit des produktiven Systems.
SECHSTES BUCH
Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Bemerkungen über den Konjunkturzyklus Da wir Anspruch erheben, in den vorausgegangenen Kapiteln gezeigt zu haben, was die Menge der Beschäftigung zu jeder Zeit bestimmt, so folgt, daß unsere Theorie, wenn wir recht haben, fähig sein muß, die Erscheinung des Konjunkturzyklus zu erklären. Wenn wir die Einzelheiten eines tatsächlichen Beispiels des Konjunkturzyklus untersuchen, werden wir finden, daß er höchst kompliziert ist, und daß jedes Element unserer Analyse für seine völlige Erklärung benötigt wird. Insbesondere werden wir finden, daß Schwankungen in der Konsumneigung, im Stand der Liquiditätspräferenz und in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals alle eine Rolle gespielt haben. Ich behaupte aber, daß der wesentliche Charakter des Konjunkturzyklus und insbesondere die Regelmäßigkeit der Zeitfolge und Dauer, die uns erlaubt, ihn einen Zyklus zu nennen, hauptsächlich auf die Art zurückzuführen ist, in der die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals schwankt. Der Konjunkturzyklus kann nach meiner Ansicht am besten als die Folge einer zyklischen Veränderung in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals betrachtet werden, obschon kompliziert und oft verschärft durch damit verbundene Änderungen in den anderen kennzeichnenden kurzfristigen Variablen des Wirtschaftssystems. Die Entwicklung dieser These würde eher ein Buch als ein Kapitel füllen und eine eingehende Untersuchung von Tatsachen erfordern. Die folgenden kurzen Bemerkungen werden aber genügen, um den Weg der Untersuchung zu zeigen, die durch unsere vorausgegangene Theorie nahegelegt wird.
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I. Unter einer zyklischen Bewegung verstehen wir, daß beim Fortschreiten des Systems, zum Beispiel in der Richtung nach oben, die Kräfte, die es nach aufwärts treiben, zuerst an Stärke gewinnen und eine kumulative Wirkung haben, allmählich aber ihre Kraft verlieren, bis sie auf einem gewissen Punkt dazu tendieren, durch Kräfte ersetzt zu werden, die in der entgegengesetzten Richtung wirken; diese Kräfte werden ihrerseits eine Zeitlang stärker werden und sich gegenseitig steigern, bis auch sie, nachdem sie ihre höchste Entwicklung erreicht haben, schwinden und ihren entgegengesetzten Kräften Platz machen. Unter einer zyklischen Bewegung verstehen wir aber nicht nur, daß Aufwärts- und Abwärtstendenzen, einmal begonnen, nicht für immer
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in der gleichen Richtung verharren, sondern daß sie schließlich umgekehrt werden. Wir verstehen darunter auch, daß ein gewisser erkennbarer Grad von Regelmäßigkeit in der Zeitfolge und Dauer der Aufwärts- und Abwärtsbewegungen besteht. Es gibt jedoch noch ein weiteres Merkmal des sogenannten Konjunkturzyklus, das unsere Erklärung decken muß, wenn sie angemessen sein soll; nämlich die Erscheinung der Krise, – der Tatsache, daß die Ablösung einer Aufwärts- durch eine Abwärtstendenz oft plötzlich und heftig eintritt, während es in der Regel keinen solchen scharfen Wendepunkt gibt, wenn eine Abwärts- durch eine Aufwärtstendenz abgelöst wird. Jede nicht durch eine entsprechende Änderung in der Konsumneigung aufgehobene Schwankung in der Investition wird natürlich zu einer Schwankung in der Beschäftigung führen. Da deshalb das Investitionsvolumen höchst komplizierten Einflüssen unterworfen ist, ist es höchst unwahrscheinlich, daß alle Schwankungen entweder der Investitionen selber oder der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals einen zyklischen Charakter haben werden. Ein Sonderfall vor allem, nämlich jener, der mit landwirtschaftlichen Schwankungen verbunden ist, wird in einem späteren Absatz dieses Kapitels für sich betrachtet werden. Ich behaupte jedoch, daß bestimmte Gründe bestehen, weshalb im Falle eines typischen industriellen Konjunkturzyklus im Zeitalter des neunzehnten Jahrhunderts Schwankungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zyklische Merkmale gehabt haben müssen. Diese Gründe sind keineswegs weder an sich noch als Erklärungen des Konjunkturzyklus unbekannt. Mein einziger Zweck hier ist, sie mit der vorausgegangenen Theorie zu verbinden.
II. Ich kann das, was ich zu sagen habe, am besten einführen, indem ich mit den späteren Phasen des Aufschwunges und dem Ausbruch der „Krise“ beginne. Wir haben oben gesehen, daß die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals1 nicht nur von dem bestehenden Überschuß oder der Knappheit von Kapitalgütern und von den laufenden Produktionskosten von Kapitalgütern, sondern auch von den laufenden Erwartungen über den zukünftigen Ertrag von Kapitalgütern abhängt. Im Falle dauerhafter Vermögensbestände ist es daher natürlich und vernünftig, daß Erwartungen über 1 In Zusammenhängen, in denen es kein Mißverständnis geben kann, ist es oft zweckmäßig, „die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ zu schreiben, wo „die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ gemeint ist.
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die Zukunft eine vorherrschende Rolle in der Bestimmung des Umfangs spielen, in dem neue Investitionen ratsam erscheinen. Wie wir aber gesehen haben, ist die Grundlage für solche Erwartungen sehr schwankend. Da sie sich auf veränderliche und unzuverlässige Evidenz stützen, sind sie plötzlichen und heftigen Änderungen unterworfen. Wir sind nun in der Erklärung der „Krise“ daran gewöhnt worden, die Tendenz des Zinssatzes hervorzuheben, unter dem Einfluß der vermehrten Nachfrage nach Geld sowohl für den Handel als auch für die Spekulation zu steigen. Zu gewissen Zeiten mag dieser Faktor sicherlich eine verschärfende Rolle spielen und gelegentlich vielleicht den Anstoß geben. Aber ich behaupte, daß eine typischere und oft vorherrschende Erklärung der Krise nicht primär eine Erhöhung des Zinssatzes, sondern ein plötzlicher Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist. Die späteren Phasen des Aufschwunges sind durch optimistische Erwartungen über den zukünftigen Ertrag von Kapitalgütern gekennzeichnet, die stark genug sind, um ihr zunehmend reichliches Vorhandensein und ihre steigenden Produktionskosten und wahrscheinlich auch eine Erhöhung des Zinssatzes auszugleichen. Es liegt in der Natur organisierter Investmentmärkte, die unter dem Einfluß von Käufern stehen, die großenteils nicht wissen, was sie kaufen, und von Spekulanten, denen es mehr darauf ankommt, den nächsten Wandel der Marktstimmung vorauszusehen, als eine wohlerwogene Schätzung des zukünftigen Ertrages von Kapitalgütern zu machen, daß sie, wenn Enttäuschung einen überoptimistischen und überteuerten Markt befällt, von ihr mit plötzlicher und sogar verheerender Kraft getroffen werden müssen2. Die Angst und die Ungewißheit über die Zukunft, die einen Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals begleiten, beschleunigt natürlich überdies eine starke Zunahme in der Liquiditätspräferenz – und folglich eine Erhöhung des Zinssatzes. Die Tatsache, daß ein Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals tendenziell mit einer Erhöhung des Zinssatzes verbunden ist, kann somit die Abnahme der Investitionen ernstlich verstärken. Das Wesentliche der Situation ist aber trotzdem im Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu finden; dies gilt besonders für jene Art von Kapitalgütern, die am meisten zu der vorherigen Phase großer Neuinvestitionen beigetragen haben. 2 Ich habe oben (12. Kap.) gezeigt, daß der private Finanzinvestor zwar selten unmittelbar für neue Investitionen verantwortlich ist, die unmittelbar verantwortlichen Unternehmer es aber doch finanziell vorteilhaft und oft unvermeidlich finden, den Anschauungen des Marktes zu folgen, selbst wenn sie selber besser unterrichtet sind.
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Die Liquiditätspräferenz, mit Ausnahme jener Ausprägungen von ihr, die mit zunehmendem Handel und zunehmender Spekulation verbunden sind, nimmt erst nach dem Zusammenbruch in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu. Es ist in der Tat dieser Umstand, der die Rezession so hartnäckig macht. Später wird eine Senkung des Zinssatzes eine große Hilfe und wahrscheinlich eine notwendige Bedingung für den Aufschwung sein. Für den Augenblick aber kann der Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so vollständig sein, daß keine durchführbare Senkung des Zinssatzes groß genug sein wird. Wenn eine Senkung des Zinssatzes an sich ein wirksames Heilmittel sein könnte, wäre es möglich, einen Aufschwung ohne beträchtlichen Zeitverlust und durch mehr oder weniger unmittelbar unter der Leitung der Währungsbehörde stehende Mittel zu erreichen. Tatsächlich ist dies aber gewöhnlich nicht der Fall; und es ist nicht so leicht, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu beleben, die nun einmal durch die unkontrollierbare und unbotmäßige Psychologie der Geschäftswelt bestimmt wird. Es ist die Rückkehr des Vertrauens, um in gewöhnlicher Sprache zu reden, die sich in einer Wirtschaftsform des individualistischen Kapitalismus einer Steuerung gegenüber so unzugänglich verhält. Dies ist der Gesichtspunkt der Rezession, den Bankiers und Geschäftsleute mit Recht hervorgehoben haben, und den die Ökonomen, die ihren Glauben in ein „rein monetäres“ Heilmittel gesetzt haben, unterschätzt haben. Dies bringt mich zu meinem Punkt. Die Erklärung des Zeitelementes im Konjunkturzyklus, also der Tatsache, daß ein Zeitraum einer bestimmten Größenordnung gewöhnlich verstreichen muß, bevor der Aufschwung beginnt, ist in den Einflüssen zu suchen, welche die Wiederbelebung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steuern. Es gibt Gründe, die erstens durch die Lebensdauer der dauerhaften Vermögenswerte in Relation zur normalen Wachstumsrate einer gegebenen Epoche gegeben sind, und zweitens durch die Lagerhaltungskosten überschüssiger Vorräte, warum die Dauer der Abwärtsbewegung eine Größenordnung hat, die nicht zufällig ist und die beispielsweise nicht zwischen einmal einem Jahr und das nächste Mal zehn Jahren schwankt, sondern die eine gewisse Regelmäßigkeit von, sagen wir, drei bis fünf Jahren aufweist. Kommen wir aber darauf zurück, was bei der Krise geschieht. Solange der Aufschwung andauerte, zeigte ein großer Teil der neuen Investitionen einen nicht unbefriedigenden laufenden Ertrag. Die Enttäuschung kommt, weil plötzlich Zweifel an der Zuverlässigkeit des voraussichtlichen Ertrages aufsteigen, vielleicht, weil der laufende Ertrag
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mit der steten Zunahme des Bestandes an neu erzeugten dauerhaften Gütern Anzeichen einer Abnahme aufweist. Wenn von den laufenden Produktionskosten angenommen wird, daß sie höher sind, als sie später sein werden, wird dies ein weiterer Grund für ein Fallen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sein. Zweifel, einmal begonnen, breiten sich rasch aus. Am Anfang der Rezession wird es somit wahrscheinlich viel Kapital geben, dessen Grenzleistungsfähigkeit vernachlässigbar gering oder selbst negativ geworden ist. Der Zeitraum aber, der verstreichen muß, bevor der durch Gebrauch, Verfall oder Veraltung entstehende Ausfall von Kapital eine genügend offensichtliche Knappheit verursacht, um die Grenzleistungsfähigkeit zu erhöhen, kann eine ziemlich stabile Funktion der durchschnittlichen Dauerhaftigkeit des Kapitals in einer gegebenen Epoche sein. Wenn sich die Kennzeichen der Epoche wandeln, wird sich der Standardzeitraum ändern. Wenn wir zum Beispiel von einem Zeitabschnitt zunehmender Bevölkerung in einen solchen abnehmender Bevölkerung übergehen, wird die charakteristische Phase des Zyklus verlängert werden. Wir haben aber im Obigen einen gewichtigen Grund, warum die Dauer der Rezession in einem bestimmten Verhältnis zur Lebensdauer der dauerhaften Vermögensbestände und zur normalen Wachstumsrate in einer gegebenen Epoche stehen muß. Der zweite stabile Zeitfaktor ist auf die Lagerhaltungskosten überschüssiger Vorräte zurückzuführen, die deren Abbau innerhalb eines gewissen Zeitabschnittes erzwingen, der weder sehr kurz noch sehr lang ist. Das plötzliche Einstellen neuer Investitionen nach der Krise wird wahrscheinlich zu einer Anhäufung überschüssiger Vorräte unfertiger Waren führen. Die Lagerhaltungskosten dieser Vorräte werden selten weniger als 10% im Jahr sein. Der Fall in ihrem Preis muß daher genügend sein, um eine Restriktion herbeizuführen, die ihren Abbau innerhalb eines Zeitabschnittes von, sagen wir, höchstens drei bis fünf Jahren ermöglicht. Der Vorgang des Abbaus der Vorräte stellt nun eine negative Investition dar, die ein weiteres Hindernis für die Beschäftigung ist; und wenn er vorüber ist, wird sich eine ausgesprochene Erleichterung fühlbar machen. Die Abnahme der Betriebsmittel, von der die Abnahme der Produktion während der Abwärtsphase notwendigerweise begleitet ist, stellt überdies ein weiteres Element von Desinvestition dar, das groß sein kann; und nachdem einmal die Rezession begonnen hat, wird dies einen starken kumulativen Einfluß in der Abwärtsrichtung ausüben. In der frühesten Phase einer typischen Rezession wird es wahrscheinlich Investitionen in zunehmende Vorräte geben, die helfen werden, Des-
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investitionen in Betriebsmittel auszugleichen; in der zweiten Phase kann es einen kurzen Zeitabschnitt von Desinvestition sowohl in den Vorräten als auch bei den Betriebsmitteln geben; nachdem der niedrigste Punkt überschritten wurde, tritt wahrscheinlich eine weitere Desinvestition in Vorräten ein, die teilweise Reinvestitionen in Betriebsmittel aufheben wird; und endlich, nachdem der Aufschwung gut im Gange ist, werden beide Faktoren gleichzeitig günstig für die Investitionen sein. Dieser Hintergrund ist es, gegen den die zusätzlichen und sich überlagernden Wirkungen von Schwankungen der Investitionen in dauerhafte Güter untersucht werden müssen. Wenn eine Abnahme in dieser Art Investition eine zyklische Schwankung in Gang gesetzt hat, wird es wenig Ermutigung für einen Anstieg solcher Investitionen geben, bis der Zyklus seinen Lauf teilweise vollendet hat3. Eine ernstliche Senkung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hat unglücklicherweise auch die Tendenz, die Konsumneigung ungünstig zu beeinflussen. Denn sie bedingt eine starke Abnahme des Marktwertes der Börsenpapiere. Auf die Schicht der Bevölkerung, die ein lebendiges Interesse an ihren Börseninvestments hat, besonders wenn sie mit geborgtem Geld arbeitet, übt dies nun natürlich einen sehr bedrückenden Einfluß aus. Diese Leute werden vielleicht in ihrer Bereitschaft zu Ausgaben noch mehr durch Erhöhungen und Senkungen im Werte ihrer Investments beeinflußt als durch die Höhe ihres Einkommens. Für eine „börsenbewußte“ Bevölkerung, wie heute in den Vereinigten Staaten, kann ein steigender Wertpapiermarkt geradezu eine wesentliche Bedingung für eine befriedigende Konsumneigung sein; und dieser bis vor kurzem übersehene Umstand trägt offenbar dazu bei, die niederdrückende Wirkung einer Abnahme in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals noch weiter zu verstärken. Wenn der Aufschwung einmal eingesetzt hat, ist die Art, in der er sich aus sich selbst nährt und steigert, offensichtlich. Während der Abwärtsphase aber, wenn sowohl festes Kapital als auch Warenvorräte zeitweilig überschüssig sind und die Betriebsmittel vermindert werden, kann die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so niedrig ausfallen, daß sie durch keine irgendwie durchführbare Senkung des Zinssatzes derart berichtigt werden kann, um ein befriedigendes neues Investitionsvolumen zu sichern. Mit Märkten, wie sie gegenwärtig organisiert und beeinflußt sind, mag somit die Marktschätzung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so gewaltig schwanken, daß sie durch entsprechende Schwan3 Ein Teil meiner Erörterung in meiner Abhandlung „Vom Gelde“, Viertes Buch, bezieht sich auf das Obige.
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kungen des Zinssatzes nicht genügend ausgeglichen werden kann. Wie wir oben gesehen haben, können die entsprechenden Bewegungen im Wertpapiermarkt überdies die Konsumneigung gerade dann, wenn sie am meisten benötigt wird, nach unten drücken. In Zuständen des laissez-faire kann sich daher die Vermeidung großer Schwankungen in der Beschäftigung ohne eine weitgehende Änderung in der Psychologie der Investmentmärkte, die zu erwarten wir keinen Grund haben, als unmöglich erweisen. Ich folgere, daß die Aufgabe, den laufenden Umfang der Investitionen zu regeln, nicht ohne Gefahr in privaten Händen gelassen werden kann.
III. Die vorangehende Analyse mag mit der Anschauung jener vereinbar erscheinen, die die Ansicht vertreten, daß Überinvestitionen das Merkmal des Aufschwunges sind, daß das Vermeiden dieser Überinvestitionen das einzige Heilmittel gegen die folgende Rezession ist, und daß, während die Rezession wegen der oben angeführten Gründe nicht durch einen niedrigen Zinssatz verhindert werden kann, der Boom trotzdem durch einen hohen Zinssatz vermieden werden kann. Es liegt in der Tat einige Überzeugungskraft in der Behauptung, daß ein hoher Zinssatz viel wirksamer gegen einen Boom ist als ein niedriger Zinssatz gegen eine Rezession. Diese Folgerungen aus dem Obigen abzuleiten, hieße jedoch, meine Analyse falsch auszulegen, und würde nach meiner Denkweise einen schwerwiegenden Irrtum nach sich ziehen. Denn der Ausdruck Überinvestition ist zweideutig. Er mag sich auf Investitionen beziehen, die bestimmt sind, die Erwartungen derer, die sie veranlaßten, zu enttäuschen oder für die es in Situationen schwerwiegender Arbeitslosigkeit keine Verwendung gibt, oder er mag auf eine Situation hinweisen, in welcher jede Art von Kapitalgütern so reichlich ist, daß es keine neue Investition gibt, von der man selbst in Zuständen von Vollbeschäftigung erwartet, daß sie während ihrer Lebensdauer mehr als ihre Wiederbeschaffungskosten abwerfen wird. Streng genommen ist nur der letztere Zustand ein Zustand der Überinvestition, in dem Sinne, daß jede weitere Investition eine reine Verschwendung von Ressourcen wäre4. Selbst wenn Überinvestition in diesem Sinne ein normales Kennzeichen des Aufschwunges wäre, würde das Heilmittel überdies nicht in der Zuflucht zu einem hohen Zinssatz liegen, was wahrscheinlich einige nützliche Investitionen 4 Unter gewissen Annahmen über die Verteilung der Konsumneigung über die Zeit könnte jedoch eine Investition, die einen negativen Ertrag erzielte, vorteilhaft sein in dem Sinne, daß sie für das Gemeinwesen als Ganzes die Befriedigung maximieren würde.
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abhalten und die Konsumneigung weiter vermindern könnte, sondern in der Vornahme drastischer Schritte, um durch eine Umverteilung der Einkommen oder sonstige Maßnahmen die Konsumneigung anzuregen. Nach meiner Analyse kann jedoch nur im ersteren Sinne gesagt werden, daß der Boom durch Überinvestitionen gekennzeichnet ist. Ich stelle nicht jene Lage als typisch hin, in der Kapital so reichlich ist, daß das Gemeinwesen als Ganzes keine vernünftige Verwendung für mehr hat, sondern jene, in der Investitionen in Situationen vorgenommen werden, die unbeständig sind und nicht andauern können, weil sie durch Erwartungen hervorgerufen wurden, die bestimmt sind, enttäuscht zu werden. Es kann natürlich vorkommen – und dies ist in der Tat wahrscheinlich –, daß die Illusionen des Booms dazu führen, besondere Arten von Kapitalgütern in so übermäßiger Fülle zu erzeugen, daß ein Teil der Produktion nach jedem Maßstab eine Verschwendung von Ressourcen ist, – was, wie wir hinzufügen können, hie und da vorkommt, sogar ohne Boom; das heißt, es führt zu fehlgeleiteter Investition. Darüber hinaus ist es jedoch ein wesentliches Merkmal des Booms, daß Investitionen, die, sagen wir, in Situationen der Vollbeschäftigung tatsächlich 2 % abwerfen, in der Erwartung eines Ertrages von, sagen wir, 6 % vorgenommen und entsprechend bewertet werden. Wenn die Enttäuschung kommt, macht diese Erwartung einem entgegengesetzten „Irrtum aus Pessimismus“ Platz, mit der Folge, daß man von Investitionen, die in Situationen der Vollbeschäftigung tatsächlich 2 % abwerfen würden, erwartet, daß sie weniger als nichts abwerfen; und der sich daraus ergebende Zusammenbruch der neuen Investitionen führt dann zu einer Situation der Arbeitslosigkeit, in welcher die Investitionen, die in Situationen der Vollbeschäftigung 2% abgeworfen hätten, tatsächlich weniger als nichts abwerfen. Wir erreichen einen Zustand, in welchem eine Knappheit an Häusern besteht, gleichwohl aber sich niemand mehr leisten kann, in den Häusern zu wohnen, die da sind. Somit ist das Heilmittel für den Boom nicht ein höherer Zinssatz, sondern ein niedrigerer Zinssatz5, denn dies mag dem sogenannten Boom ermöglichen anzudauern. Das richtige Heilmittel für den 5 Bezüglich einiger Argumente, die für die Gegenseite vorgebracht werden könnten, siehe unten (S. 277). Denn wenn wir verhindert sind, große Änderungen in unseren gegenwärtigen Methoden zu machen, würde ich zustimmen, daß eine Erhöhung des Zinssatzes während eines Booms unter denkbaren Umständen das kleinere Übel sein kann.
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Konjunkturzyklus liegt nicht darin, daß wir die Boomphasen abschaffen und somit dauerhaft in einer Semi-Rezession verharren, sondern darin, daß wir die Rezession abschaffen und uns somit dauerhaft in einem Quasi-Boom halten. Der Boom, der bestimmt ist, in einer Rezession zu enden, wird daher verursacht durch die Verbindung eines Zinssatzes, der in einem richtigen Stand der Erwartung zu hoch für Vollbeschäftigung wäre, mit einem irregeführten Stand der Erwartung, der, solange er andauert, diesen Zinssatz daran hindert, tatsächlich ein Hemmnis zu sein. Ein Boom ist ein Zustand, in welchem Überoptimismus über einen Zinssatz triumphiert, der, kühler betrachtet, sich als übermäßig herausstellen würde. Ich bezweifle, daß wir mit Ausnahme des Krieges eine jüngere Erfahrung eines so starken Booms hatten, daß er zu Vollbeschäftigung führte. In den Vereinigten Staaten war die Beschäftigung in den Jahren 1928 – 1929 nach normalen Maßstäben sehr befriedigend; aber ich habe kein Zeichen eines Mangels an Arbeitskraft gesehen, ausgenommen vielleicht im Falle einiger Gruppen hochspezialisierter Arbeiter. Einige „Flaschenhälse“ wurden erreicht, aber die Produktion als Ganzes war immer noch einer weiteren Ausdehnung fähig. Auch gab es keine Überinvestition weder in dem Sinne, daß der Standard und die Ausstattung von Wohnungen so hoch gewesen wären, daß jeder, Vollbeschäftigung vorausgesetzt, über alles, was er wollte, zu einem Betrag verfügte, der, über die Lebensdauer des Hauses betrachtet, nicht mehr als die Wiederbeschaffungskosten gedeckt hätte, ohne irgendeine Vergütung von Zinsen. Noch waren Transportwesen, öffentliche Dienste und landwirtschaftliche Verbesserungen bis zu einem Punkt geführt worden, an dem man von weiteren zusätzlichen Erweiterungen vernünftigerweise nicht hätte erwarten können, daß sie auch nur ihre Wiederbeschaffungskosten decken würden. Ganz im Gegenteil. Es wäre absurd zu behaupten, daß es in den Vereinigten Staaten im Jahre 1929 Überinvestition im strengen Sinne des Wortes gegeben hätte. Der wirkliche Zustand war von anderer Art. Neue Investitionen während der vorausgegangenen fünf Jahre hatten tatsächlich im ganzen einen so gewaltigen Umfang, daß der voraussichtliche Ertrag zusätzlicher Erweiterungen, kühl betrachtet, rasch fiel. Richtige Voraussicht hätte die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf einen nie dagewesenen niedrigen Stand gebracht, so daß der „Boom“ auf einer gesunden Grundlage nicht hätte weitergeführt werden können, außer bei einem sehr niedrigen langfristigen Zinssatz und unter Vermeidung von Investitionsfehlleitungen in bestimmte Richtungen, die in Gefahr waren, übermäßig genutzt zu werden.
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Tatsächlich war der Zinssatz hoch genug, um neue Investitionen zu verhindern, ausgenommen in jenen besonderen Richtungen, die unter dem Einfluß spekulativer Erregung standen und daher in besonderer Gefahr waren, übernutzt zu werden; und ein Zinssatz, der hoch genug gewesen wäre, um die spekulative Erregung zu überwinden, hätte gleichzeitig jede Art vernünftiger Neuinvestition verhindert. Eine Erhöhung des Zinssatzes als ein Heilmittel für den Zustand, der sich aus einer verlängerten Periode abnormal hoher Neuinvestitionen ergibt, gehört zu den Heilmitteln, welche die Krankheit heilen, indem sie den Patienten töten. Es ist in der Tat sehr gut möglich, daß die Ausdehnung annähernder Vollbeschäftigung über einen Zeitabschnitt von Jahren in so reichen Ländern wie Großbritannien oder den Vereinigten Staaten mit einer so großen Menge Neuinvestitionen verbunden wäre, daß sie, unter der Voraussetzung der bestehenden Konsumneigung, schließlich zu einem Zustand der Vollinvestition führen würde in dem Sinne, daß ein Gesamtbruttoertrag über die Wiederbeschffungskosten hinaus nach vernünftiger Berechnung von einem weiteren Zuwachs dauerhafter Güter irgendwelcher Art nicht mehr erwartet werden könnte. Dieser Zustand könnte überdies verhältnismäßig bald erreicht werden – sagen wir innerhalb von fünfundzwanzig Jahren oder weniger. Man darf mir nicht unterstellen, daß ich dies bestritte, weil ich behaupte, daß ein Zustand der Vollinvestition im strengen Sinne noch nie, sei es auch nur vorübergehend, vorgekommen sei. Selbst wenn wir weiterhin voraussetzen würden, daß heutige Boomphasen die Tendenz haben, mit einem vorübergehenden Zustand von Vollinvestition oder Überinvestition im strengen Sinne verbunden zu sein, wäre es immer noch widersinnig, einen höheren Zinssatz als das geeignete Heilmittel zu betrachten. Denn in diesem Fall wäre die Richtigkeit des Standpunktes jener, welche die Krankheit der Unterkonsumption zuschreiben, völlig erwiesen. Das Heilmittel würde in verschiedenen Maßnahmen liegen, die die Konsumneigung durch die Umverteilung der Einkommen oder andere Mittel zu steigern bezweckten; so daß ein gegebenes Niveau der Beschäftigung, um es aufrechtzuerhalten, eine geringere Menge laufender Investition erfordern würde.
IV. Es mag an diesem Punkt zweckmäßig sein, ein Wort über die wichtigen Denkschulen zu sagen, die von verschiedenen Gesichtspunkten aus die Ansicht vertreten, daß die chronische Tendenz gegenwärtiger Gesellschaften zur Unterbeschäftigung auf Unterkonsumption zurück-
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geführt werden müsse: das heißt auf gesellschaftliche Bräuche und auf eine Reichtumsverteilung, die zu einer ungebührlich niedrigen Konsumneigung führte. Unter den bestehenden Bedingungen – oder wenigstens unter den Bedingungen, die bis vor kurzem herrschten –, in denen das Ausmaß der Investitionen ungeplant und ungesteuert war, den Launen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals unterworfen, wie sie durch das private Urteil unwissender oder spekulativer Individuen und durch einen langfristigen Zinssatz bestimmt wird, der selten oder nie unter ein konventionelles Niveau fällt, sind diese Schulen als Wegweiser einer praktischen Politik ohne Zweifel im Recht. Denn unter solchen Bedingungen gibt es kein anderes Mittel, um das Durchschnittsniveau der Beschäftigung auf ein befriedigenderes Niveau zu heben. Wenn es unmöglich ist, die Investitionen wesentlich zu vermehren, gibt es offensichtlich kein anderes Mittel als einen zunehmenden Verbrauch, um ein höheres Niveau der Beschäftigung zu sichern. Praktisch weiche ich von diesen Denkrichtungen nur insoweit ab, als ich denke, daß sie vielleicht ein wenig zuviel Gewicht auf einen zunehmenden Verbrauch in einer Zeit legen, in der aus vermehrten Investitionen immer noch ein großer gesellschaftlicher Vorteil zu erzielen wäre. Theoretisch setzen sie sich aber dem Einwand aus, die Tatsache zu übersehen, daß es zwei Wege gibt, um die Produktion auszudehnen. Selbst wenn wir entscheiden würden, daß es besser wäre, das Kapital langsamer zu vermehren und die Anstrengung auf einen zunehmenden Verbrauch zu konzentrieren, müssen wir diese Entscheidung mit offenen Augen treffen, nachdem wir die andere Möglichkeit wohl erwogen haben. Mich selber beeindrucken die großen gesellschaftlichen Vorteile einer Vermehrung des Bestandes an Kapital, bis es aufhört, knapp zu sein. Aber dies ist ein praktisches Urteil, kein theoretischer Imperativ. Überdies würde ich ohne weiteres zugeben, daß das weiseste Verfahren wäre, an beiden Fronten gleichzeitig vorzurücken. Während ich ein sozial gesteuertes Investitionsvolumen anstrebe (im Hinblick auf eine fortschreitende Abnahme in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals), würde ich gleichzeitig alle Arten der Politik unterstützen, die die Konsumneigung vermehren. Denn es ist unwahrscheinlich, daß wir mit der bestehenden Konsumneigung Vollbeschäftigung aufrechterhalten könnten, was immer wir in bezug auf die Investitionen unternehmen würden. Es ist daher Raum für die Zusammenarbeit beider Politiken; für eine Förderung der Investition und gleichzeitig eine Förderung des Verbrauches, nicht nur auf das Niveau, das bei der bestehen-
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den Konsumneigung mit der vermehrten Investition übereinstimmen würde, sondern auf ein noch höheres Niveau. Wenn – um zum Zwecke der Erläuterung runde Zahlen zu nehmen – das heutige Durchschnittsniveau der Produktion 15 % unter dem ist, was es mit Vollbeschäftigung wäre, und wenn 10 % dieser Produktion Nettoinvestitionen darstellen und 90 % Verbrauch, und wenn außerdem die Nettoinvestitionen um 50 % steigen müßten, um bei der bestehenden Konsumneigung Vollbeschäftigung zu gewährleisten, so daß bei Vollbeschäftigung die Produktion von 100 auf 115, der Verbrauch von 90 auf 100 und die Nettoinvestitionen von 10 auf 15 steigen würden – dann könnten wir uns vielleicht eine derartige Änderung der Konsumneigung zum Ziel setzen, daß bei Vollbeschäftigung der Verbrauch von 90 auf 103 und die Nettoinvestitionen von 10 auf 12 steigen würden.
V. Eine andere Denkschule findet die Lösung des Konjunkturzyklus weder in einer Vermehrung des Verbrauches noch in einer Vermehrung der Investitionen, sondern in einer Verminderung des Beschäftigung suchenden Arbeitsangebotes; das heißt durch eine Umverteilung der bestehenden Beschäftigungsmenge ohne Erhöhung der Beschäftigung oder der Produktion. Dies scheint mir eine voreilige Politik zu sein – noch eindeutiger als der Plan einer Steigerung des Verbrauches. Es kommt ein Punkt, an dem jeder Einzelne die Vorteile vermehrter Freizeit gegen vermehrtes Einkommen abwägt. Gegenwärtig sind aber nach meiner Ansicht starke Anzeichen dafür da, daß die große Mehrheit der Individuen ein vermehrtes Einkommen einer vermehrten Freizeit vorziehen würde; und ich sehe keinen ausreichenden Grund, warum jene, die ein größeres Einkommen vorziehen würden, gezwungen werden sollten, sich einer größeren Freizeit zu erfreuen.
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Es mag außerordentlich erscheinen, daß es eine Denkschule gibt, welche die Lösung für den Konjunkturzyklus in der Verhinderung des Booms in seinen frühen Phasen durch einen höheren Zinssatz findet. Die einzige Art der Beweisführung, nach der irgendeine Berechtigung dieser Politik entdeckt werden kann, ist jene, die von Mr. D. H. Robertson vorgebracht wird, der in der Tat voraussetzt, daß Vollbeschäftigung ein unerreichbares Ideal ist, und daß das Beste, was wir erhoffen können, ein viel stabileres und im Durchschnitt vielleicht ein etwas höheres Niveau der Beschäftigung wäre als gegenwärtig.
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Wenn wir wesentliche Änderungen der Politik in bezug auf die Steuerung der Investitionen oder in bezug auf die Konsumneigung ausschließen, und, allgemein gesprochen, eine Fortsetzung der bestehenden Verhältnisse voraussetzen, kann nach meiner Ansicht vorgebracht werden, daß sich ein im Durchschnitt günstigerer Stand der Erwartung aus einer Geldpolitik ergeben könnte, die einen beginnenden Aufschwung immer durch einen Zinssatz im Keim erstickte, der hoch genug wäre, um selbst die unverbesserlichsten Optimisten abzuschrecken. Die enttäuschte Erwartung, so kennzeichnend für die Rezession, kann zu so viel Verlust und Verschwendung führen, daß das durchschnittliche Niveau nützlicher Investitionen höher sein könnte, wenn ein Abschreckungsmittel angewandt würde. Es ist schwierig, sich darüber klar zu werden, ob dies unter seinen eigenen Voraussetzungen richtig wäre oder nicht; es ist eine Sache des praktischen Urteils, für das ins Einzelne gehendes Beweismaterial fehlt. Es kann sein, daß diese Politik die gesellschaftlichen Vorteile übersieht, die sich aus dem vermehrten Verbrauch ergeben, der selbst jene Investitionen begleitet, die sich als völlige Fehlleitung erweisen, so daß selbst solche Investitionen noch besser sein können als gar keine. Selbst die aufgeklärteste monetäre Kontrolle mag sich jedoch angesichts eines Booms vom 1929er Typus in Amerika, und mit keinen anderen Waffen versehen als jenen, die damals dem Federal Reserve System zur Verfügung standen, in Schwierigkeiten befinden, und keine der anderen Alternativen in ihrer Macht könnten einen großen Unterschied im Ergebnis ausmachen. Wie dem auch sein mag, eine solche Auffassung scheint mir gefährlich und unnötig rasch das Scheitern zu akzeptieren. Sie empfiehlt – oder setzt es zumindest voraus –, zu viel von dem, was in unserm bestehenden wirtschaftlichen System fehlerhaft ist, dauerhaft zu akzeptieren. Die strenge Auffassung, welche die Anwendung eines hohen Zinssatzes befürwortet, um sofort jede Tendenz des Niveaus der Beschäftigung daran zu hindern, beträchtlich über den Durchschnitt von, sagen wir, des vorhergehenden Jahrzehntes zu steigen, wird jedoch häufiger durch Argumente unterstützt, die, von einer Gedankenverwirrung abgesehen, überhaupt keine Grundlage haben. Sie entspringt in einigen Fällen aus der Anschauung, daß die Investitionen in einem Boom die Tendenz haben, die Ersparnisse zu übertreffen, und daß ein höherer Zinssatz das Gleichgewicht wiederherstellen wird, indem es die Investitionen einerseits zurückhält und die Ersparnisse andererseits anregt. Dies bedingt, daß die Ersparnisse und Investitionen ungleich sein können, und hat daher keine Bedeutung, bis diese Ausdrücke in einem besonderen Sinn definiert worden sind. Oder es wird hie und da erklärt, daß die vermehrten Ersparnisse, welche die vermehrten Investitionen begleiten, unerwünscht und
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ungerecht sind, weil sie in der Regel auch mit steigenden Preisen verbunden seien. Wenn dem aber so wäre, müßte jede Änderung nach oben im bestehenden Niveau der Produktion und Beschäftigung mißbilligt werden. Denn die Erhöhung der Preise ist wesentlich nicht auf eine Zunahme der Investitionen zurückzuführen; sie ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß der Angebotspreis mit der zunehmenden Produktion gewöhnlich steigt, sei es wegen der physischen Tatsache des abnehmenden Ertrages oder wegen der Tendenz der Kosteneinheit, mit der Zunahme der Produktion, in Geld gemessen, zu steigen. Wenn wir einen konstanten Angebotspreis annehmen könnten, gäbe es natürlich keine Preissteigerung; und trotzdem würden vermehrte Ersparnisse vermehrte Investitionen begleiten. Es ist die vermehrte Produktion, welche die vermehrten Ersparnisse schafft; und die Erhöhung der Preise ist lediglich ein Nebenprodukt der vermehrten Produktion, das ebensosehr vorkommen wird, wenn keine vermehrte Ersparnisse folgen, sondern stattdessen eine gesteigerte Konsumneigung. Niemand hat einen legitim erworbenen Anspruch, zu Preisen kaufen zu können, die nur niedrig sind, weil die Produktion niedrig ist. Oder es wird angenommen, daß sich das Übel einschleicht, wenn die vermehrten Investitionen durch eine Senkung des Zinssatzes angeregt worden sind, bewerkstelligt durch eine Vermehrung der Geldmenge. Und doch hat der frühere Zinssatz keine besondere Tugend, und das neue Geld wird niemandem „aufgezwungen“: es wird geschaffen, um die gesteigerte Liquiditätspräferenz zu befriedigen, die dem niedrigeren Zinssatz oder der vermehrten Menge der Transaktionen entspricht, und es wird von jenen Individuen gehalten, die es vorziehen, Geld zu halten, statt es zu dem niedrigeren Zinssatz auszuleihen. Oder es wird weiterhin erklärt, daß sich ein Aufschwung durch „Kapitalaufzehrung“ kennzeichnet, was vermutlich negative Nettoinvestitionen bedeutet, das heißt durch eine übermäßige Konsumneigung. Außer wenn die Erscheinungen des Konjunkturzyklus mit jenen einer Flucht aus der Währung verwechselt werden, wie sie in den europäischen Währungszusammenbrüchen der Nachkriegszeit vorkamen, deuten die Belege völlig auf das Gegenteil hin. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, wäre eine Senkung des Zinssatzes immer noch ein einleuchtenderes Heilmittel für Zustände der Unterinvestition als eine Erhöhung des Zinssatzes. Ich kann in diesen Denkschulen überhaupt keinen Sinn finden; ausgenommen vielleicht, wenn wir stillschweigend voraussetzen, daß die Gesamtproduktion keiner Änderung fähig ist. Aber eine Theorie, die eine konstante Produktion voraussetzt, ist offenbar nicht sehr brauchbar für die Erklärung des Konjunkturzyklus.
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VII. In den früheren Untersuchungen des Konjunkturzyklus, namentlich jenen von Jevons, wurde eine Erklärung mehr in den landwirtschaftlichen Schwankungen als Folge der Jahreszeiten als in den industriellen Gegebenheiten gefunden. Im Licht der obigen Theorie erscheint dies als eine äußerst einleuchtende Annäherung an das Problem. Denn selbst heute ist die Schwankung in den Vorräten landwirtschaftlicher Erzeugnisse zwischen einem Jahr und einem anderen einer der größten einzelnen Posten unter den Ursachen von Änderungen im laufenden Investitionsvolumen; dagegen muß zu der Zeit, als Jevons schrieb – und noch mehr während des Zeitabschnittes, auf den sich die Mehrzahl seiner Statistiken bezog – dieser Faktor alle anderen bei weitem überwogen haben. Die Theorie von Jevons, daß der Konjunkturzyklus in erster Linie auf Schwankungen in der Fülle der Ernte zurückzuführen war, kann wie folgt neugefaßt werden. Wenn eine außerordentlich große Ernte eingebracht wird, bedeutet dies gewöhnlich eine beträchtliche Erhöhung der Bestände, die für spätere Jahre auf Lager genommen werden. Der Erlös für diese Erhöhung wird den laufenden Einkommen der Bauern zugefügt und von ihnen als Einkommen behandelt, während die vermehrte Vorratsbildung keine Schwächung der Ausgaben anderer Teile des Gemeinwesens aus den Einkommen bedingt, sondern durch Ersparnisse finanziert wird. Das heißt, die erhöhten Vorräte stellen eine Erweiterung der laufenden Investitionen dar. Diese Folgerung verliert ihre Gültigkeit nicht einmal, wenn die Preise stark fallen. In ähnlicher Weise werden, wenn die Ernte gering ist, die übertragenen Vorräte für den laufenden Verbrauch herangezogen, so daß ein entsprechender Teil der Ausgaben aus dem Einkommen der Verbraucher kein gleichzeitiges Einkommen der Bauern erzeugt. Das heißt, was vom Lager genommen wird, bedingt eine entsprechende Verminderung in den laufenden Investitionen. Wenn die Investitionen in anderen Richtungen als konstant angenommen werden, mag die Differenz in den gesamten Investitionen zwischen einem Jahr, in welchem eine beträchtliche Aufstockung der Vorräte erfolgt, und einem Jahr, in welchem ein beträchtlicher Abbau von ihnen eintritt, somit groß sein; und in einem Gemeinwesen, in dem die Landwirtschaft der vorherrschende Wirtschaftsbereich ist, wird sie überwältigend groß sein im Vergleich zu jeder anderen üblichen Ursache von Schwankungen in den Investitionen. Es ist somit natürlich, daß der untere Wendepunkt durch reiche Ernten und der obere Wendepunkt durch ungenügende Ernten gekennzeichnet ist. Die weitere Theorie, daß es physikalische Ursachen für einen regelmäßigen Zyklus guter und schlechter Ernten gibt,
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ist natürlich ein anderer Gegenstand, mit dem wir uns hier nicht zu beschäftigen brauchen. Neuerdings wurde die Theorie vorgebracht, daß es schlechte und nicht gute Ernten sind, die gut für den Handel sind, sei es, daß schlechte Ernten die Bevölkerung bereitwillig machen, für eine geringere reale Entlohnung zu arbeiten, oder daß die sich ergebende Umverteilung der Kaufkraft günstig für den Verbrauch sein soll. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich in der obigen Beschreibung der Ernteerscheinungen als einer Erklärung für den Konjunkturzyklus nicht diese Theorien im Sinne habe. Die landwirtschaftlichen Ursachen der Schwankungen sind jedoch aus zwei Gründen in der modernen Welt viel weniger wichtig. Erstens stellt die landwirtschaftliche Produktion einen viel geringeren Teil der Gesamtproduktion dar. Und zweitens führt die Entwicklung eines beide Hemisphären umfassenden Weltmarktes für die meisten landwirtlichen Erzeugnisse zu einem Ausgleich der Wirkungen guter und schlechter Ernten, so daß die prozentuale Schwankung der Menge der Welternte viel geringer ist als die prozentualen Schwankungen in den Ernten der einzelnen Länder. Aber in alten Zeiten, wenn ein Land hauptsächlich von seiner eigenen Ernte abhängig war, ist es, von Krieg abgesehen, schwierig, irgendeine mögliche Ursache von Schwankungen in den Investitionen zu sehen, die in irgendeiner Weise in ihrer Größenordnung mit Änderungen in der Vorratsbildung landwirtschaftlicher Erzeugnisse vergleichbar gewesen wäre. Selbst heute noch ist es wichtig, der Rolle große Aufmerksamkeit zu schenken, die Änderungen der Vorräte von landwirtschaftlichen und mineralischen Rohstoffen bei der Bestimmung des laufenden Investitionsvolumens spielen. Ich möchte das langsame Tempo der Erholung aus einer Rezession, nachdem der Wendepunkt erreicht worden ist, hauptsächlich der deflationären Wirkung der Verminderung überschüssiger Vorräte auf ein normales Niveau zuschreiben. Zuerst mäßigt die Akkumulation von Vorräten, die eintritt, nachdem der Boom gebrochen war, das Tempo des Zusammenbruches; aber wir müssen später für diese Erleichterung mit der Dämpfung des darauffolgenden Tempos des Aufschwungs zahlen. Manchmal muß in der Tat die Verminderung der Vorräte erst praktisch beendet sein, bevor irgendein meßbarer Grad von Aufschwung entdeckt werden kann. Denn ein Investitionsvolumen in anderen Richtungen, das genügt, um eine Aufwärtsbewegung zu erzeugen, falls ihr keine laufende Desinvestition in Vorräten entgegensteht, mag völlig unzulänglich sein, solange es eine solche Desinvestition immer noch gibt.
22. Kap.: Bemerkungen über den Konjunkturzyklus
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Wir haben nach meiner Ansicht ein bemerkenswertes Beispiel hierfür in den ersten Phasen von Amerikas „New Deal“. Als Präsident Roosevelts beträchtliche anleihefinanzierte Ausgaben begannen, waren die Vorräte aller Art – und insbesondere die Vorräte landwirtschaftlicher Erzeugnisse – immer noch auf einem sehr hohen Niveau. Der „New Deal“ bestand teilweise in einem mühsamen Versuch, diese Vorräte durch eine Einschränkung der laufenden Produktion und auf alle möglichen Arten zu verringern. Die Abnahme der Vorräte auf ein normales Niveau war ein notwendiger Vorgang – eine Phase, die ertragen werden mußte. Solange sie andauerte, nämlich ungefähr zwei Jahre, stellte sie aber eine beträchtliche Gegenwirkung zu anleihefinanzierten Ausgaben dar, die in anderen Bereichen vorgenommen wurde. Erst nachdem sie vollendet war, war der Weg für einen beträchtlichen Aufschwung vorbereitet. Die jüngste amerikanische Erfahrung hat uns auch gute Beispiele für die Rolle gegeben, die die Schwankungen in den Vorräten fertiger und unfertiger Waren – „Warenbestände“, wie es üblich wird, sie zu nennen – für die geringeren Schwingungen innerhalb der Hauptbewegung des Konjunkturzyklus spielen. Fabrikanten, welche das Gewerbe in Gang setzen, um für ein Niveau des Verbrauches vorzusorgen, das für ein paar Monate später erwartet wird, neigen dazu, kleinere Fehlberechnungen zu machen, im allgemeinen in der Richtung, den Tatsachen etwas vorauszueilen. Wenn sie ihren Fehler entdecken, müssen sie eine Zeitlang die Produktion unter das Niveau des laufenden Verbrauches einschränken, um die Absorption der überschüssigen Vorräte zu erlauben; und der Unterschied im Tempo zwischen dem etwas Voraneilen und dem Zurückfallen hat sich in seiner Wirkung auf das laufende Investitionsvolumen als genügend groß erwiesen, um sich ganz deutlich vor dem Hintergrund der in ausgezeichnetem Maße vollständigen Statistiken zu zeigen, die in den Vereinigten Staaten jetzt verfügbar sind.
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Dreiundzwanzigstes Kapitel
Bemerkungen über den Merkantilismus, die Wuchergesetze, gestempeltes Geld und Theorien der Unterkonsumption I. 333
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Etwa zweihundert Jahre hindurch haben sowohl Wirtschaftstheoretiker als auch die Praktiker nicht daran gezweifelt, daß ein besonderer Vorteil für ein Land in einer günstigen Handelsbilanz liegt und eine große Gefahr in einer ungünstigen Bilanz, insbesondere, wenn sie zu einem Ausströmen der Edelmetalle führt. Während der vergangenen hundert Jahre hat es aber bemerkenswerte Meinungsunterschiede gegeben. Die Mehrzahl der Staatsmänner und Praktiker in den meisten Ländern und nahezu die Hälfte von ihnen sogar in Großbritannien, der Heimat der entgegengesetzten Anschauung, ist der alten Doktrin treu geblieben; während nahezu alle Wirtschaftstheoretiker die Ansicht vertreten haben, daß Befürchtungen über solche Angelegenheiten vollständig grundlos seien, ausgenommen auf sehr kurze Sicht, da der Mechanismus des Außenhandels selbstregulierend sei und Versuche der Einmischung nicht nur nutzlos seien, sondern jene, die sie unternehmen, ärmer machten, weil sie die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung verwirkten. In Übereinstimmung mit der Tradition wird es zweckmäßig sein, die ältere Meinung als Merkantilismus und die neuere als Freihandel zu bezeichnen, obschon diese Bezeichnungen, da jede von ihnen sowohl eine weitere als auch eine engere Bedeutung hat, unter Bezugnahme auf den Zusammenhang ausgelegt werden müssen. Allgemein gesprochen, haben die modernen Ökonomen die Ansicht vertreten, daß sich in der Regel aus der internationalen Arbeitsteilung nicht nur ein durchschnittlicher Gewinn ergebe, der genügt, um die Vorteile zu überwiegen, welche die merkantilistische Praxis billigerweise beanspruchen kann, sondern daß die merkantilistische Beweisführung vom Anfang bis zum Ende auf einer intellektuellen Verwirrung beruhe. Marshall1 zum Beispiel hatte, obschon seine Hinweise auf den Merkantilismus nicht ganz und gar ohne Sympathie waren, kein Verständnis für ihre zentrale Theorie als solche und erwähnt nicht einmal jene Elemente der Wahrheit in ihren Behauptungen, die ich unten unter1 Vergleiche sein Industry and Trade, Appendix D; Money, Credit and Commerce, S. 130; und Principles of Economics, Appendix I.
23. Kap.: Bemerkungen über den Merkantilismus
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suchen werde2. In der gleichen Weise haben die theoretischen Zugeständnisse, die Freihandelsökonomen bereit waren, in zeitgenössischen Auseinandersetzungen in bezug zum Beispiel auf die Unterstützung junger Industrien oder die Verbesserung von Handelsbedingungen zu machen, mit dem wirklichen Kern der merkantilistischen Lehre nichts zu tun. Ich kann mich nicht erinnern, daß während des Schutzzollstreites im ersten Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts von Ökonomen je irgendein Zugeständnis an die Behauptung gemacht worden wäre, daß der Zollschutz die heimische Beschäftigung vermehren könnte. Es wird vielleicht am fairsten sein, wenn ich das als Beispiel anführe, was ich selber schrieb. Als gläubiger Schüler der klassischen Theorie, der damals nicht anzweifelte, was ihm gelehrt worden war, und in diesen Dingen keinerlei Vorbehalte machte, habe ich noch 1923 geschrieben: „Wenn es etwas gibt, was der Zollschutz nicht tun kann, so ist es die Heilung der Arbeitslosigkeit . . . Es gibt gewisse Argumente zugunsten von Protektion, die darauf beruhen, daß sie mögliche, aber unwahrscheinliche Vorteile sichere, auf die es keine einfache Erwiderung gibt. Aber die Behauptung, daß sie die Arbeitslosigkeit heile, birgt den protektionistischen Trugschluß in seiner gröbsten und rohesten Form in sich“3. Von der früheren merkantilistischen Theorie war keine verständliche Darstellung vorhanden; und wir wurden in dem Glauben erzogen, daß sie nicht viel besser als Unsinn war. So absolut überwältigend und vollständig ist die Herrschaft der klassischen Schule gewesen.
II. Ich will zuerst in meiner eigenen Ausdrucksweise darlegen, was mir jetzt das Element wissenschaftlicher Wahrheit in der merkantilistischen Doktrin zu sein scheint. Wir wollen dies dann mit den tatsächlichen Argumenten der Merkantilisten vergleichen. Es sollte klar verstanden werden, daß die behaupteten Vorteile zugestandenermaßen nationale Vorteile sind, kaum geeignet, der Welt als Ganzem zum Vorteil zu gereichen. 2 Seine Anschauung über sie ist in einer Fußnote zur ersten Auflage seiner Principles, S. 51, gut zusammengefaßt: „Viele Untersuchungen sind in England und in Deutschland den mittelalterlichen Ansichten über die Beziehung des Geldes zum nationalen Wohlstand gewidmet worden. Im Großen und Ganzen müssen diese Ansichten eher als verwirrt bezeichnet werden aus Mangel eines klaren Verständnisses der Funktion des Geldes, denn als falsch infolge einer gewollten Annahme, daß die Zunahme im Nettovermögen einer Nation nur durch Zunahme ihres Vorrates an Edelmetallen verwirklicht werden könne.“ 3 The Nation and the Athenaeum, November 24, 1923.
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Sechstes Buch: Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
Wenn der Reichtum eines Landes einigermaßen rasch zunimmt, läuft die weitere Entwicklung dieses glücklichen Zustandes Gefahr, unter den Bedingungen des laissez-faire durch die Unzulänglichkeit der Anreize zu neuen Investitionen unterbrochen zu werden. Wenn die gesellschaftliche und politische Umwelt und die nationalen Merkmale gegeben sind, die die Neigung zum Verbrauch bestimmen, hängt das Wohlergehen eines fortschreitenden Staates aus den bereits erklärten Gründen wesentlich davon ab, ob diese Anreize in ausreichendem Maße bestehen. Sie können sich in Investitionen im Inland oder im Ausland niederschlagen (wobei wir in die letzteren die Akkumulation der Edelmetalle einschließen), die zusammen die Gesamtinvestitionen ausmachen. Unter Bedingungen, in denen die Menge der Gesamtinvestitionen allein durch das Gewinnmotiv bestimmt wird, werden die Gelegenheiten für inländische Investitionen auf lange Sicht durch den inländischen Zinssatz bestimmt werden; während die Menge der Investitionen im Ausland (im Sinne des Kapitalexports – K / S) notwendigerweise durch die Größe der günstigen Handelsbilanz bestimmt wird. In einer Gesellschaft, in der unmittelbare Investitionen unter dem Schirm öffentlicher Körperschaften nicht in Frage kommen, sind somit die wirtschaftlichen Gegenstände, mit denen sich die Regierung vernünftigerweise beschäftigen kann, der inländische Zinssatz und die Außenhandelsbilanz. Wenn nun die Lohneinheit einigermaßen stabil und nicht plötzlichen beträchtlichen Änderungen unterworfen ist (eine Bedingung, die fast immer erfüllt ist), wenn die Liquiditätspräferenz, im Durchschnitt ihrer kurzfristigen Schwankungen genommen, ziemlich stabil ist, und wenn die Gewohnheiten des Bankensystems ebenfalls stabil sind4, so wird der Zinssatz tendenziell durch die Menge der Edelmetalle, in Größen der Lohneinheit gemessen, bestimmt werden, die für die Befriedigung des Verlangens des Gemeinwesens nach Liquidität verfügbar ist. Gleichzeitig werden in einem Zeitalter, in welchem beträchtliche ausländische Kredite und der unmittelbare Besitz von im Ausland liegenden Vermögen kaum möglich sind, Zunahmen und Abnahmen der Menge der Edelmetalle großenteils davon abhängen, ob die Handelsbilanz günstig oder ungünstig ist. Es ergibt sich somit, daß eine Vorsorge der Behörden für eine günstige Handelsbilanz beiden Zwecken diente und außerdem das einzige verfügbare Mittel war, um sie zu fördern. Zu einer Zeit, als die Behörden keine unmittelbare Macht über den inländischen Zinssatz oder die anderen Anreize zu Investitionen im Inland hatten, waren Maßnahmen zur Vergrößerung der günstigen Handelsbilanz die einzige 4
Insbesondere bezüglich der Giralgeldschöpfung (K / S).
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unmittelbare Handhabe, die ihnen zur Verfügung stand, um die Investitionen im Ausland zu vergrößern; und gleichzeitig war die Wirkung einer günstigen Handelsbilanz auf den Zufluß der Edelmetalle ihre einzige mittelbare Handhabe, um den inländischen Zinssatz zu senken und so die Anreize zu Investitionen im Inland zu steigern. Dem Erfolg dieser Politik sind jedoch zwei Grenzen gesetzt, die nicht übersehen werden dürfen. Wenn der inländische Zinssatz so tief fällt, daß das Investitionsvolumen genügend angeregt wird, um die Beschäftigung auf ein Niveau zu heben, das einige der kritischen Punkte überschreitet, von wo an die Lohneinheit steigt, wird die Zunahme im inländischen Kostenniveau anfangen, ungünstig auf die Außenhandelsbilanz zu wirken, so daß die Anstrengung, die letztere zu verbessern, zu weit gegangen sein und sich selbst zunichte gemacht haben wird. Wenn wiederum der inländische Zinssatz im Verhältnis zu den Zinssätzen anderswo so tief fällt, daß er Kreditvergaben an das Ausland in einer Menge anregt, die im Mißverhältnis zur günstigen Handelsbilanz steht, kann sich ein Abfluß von Edelmetallen ergeben, der genügt, um die vorher erlangten Vorteile ins Gegenteil zu verkehren. Die Gefahr, daß die eine oder die andere dieser Begrenzungen wirksam wird, wird im Falle eines Landes, das groß und international wichtig ist, durch die Tatsache vergrößert, daß in Zeiten, in denen die laufende Förderung von Edelmetallen in den Minen auf einem verhältnismäßig niedrigem Niveau ist, ein Zufluß von Geld in ein Land einen Abfluß aus einem anderen bedeutet; so daß die nachteiligen Wirkungen der steigenden Kosten und fallenden Zinssätze im Inland (wenn die merkantilistische Politik zu weit getrieben wird) durch fallende Kosten und steigende Zinssätze im Ausland verschärft werden. Die Wirtschaftsgeschichte Spaniens im späteren Teil des fünfzehnten und im sechzehnten Jahrhundert bietet ein Beispiel für ein Land, dessen Außenhandel durch die Wirkung einer übermäßigen Fülle von Edelmetallen auf die Lohneinheit zerstört wurde. Großbritannien in den Vorkriegsjahren des zwanzigsten Jahrhunderts bietet das Beispiel eines Landes, in welchem die übermäßige Leichtigkeit der Kreditvergabe ans Ausland und der Kauf von Besitz im Ausland oft der Senkung des inländischen Zinssatzes im Wege stand, die notwendig gewesen wäre, um Vollbeschäftigung im Inland zu sichern. Die Geschichte Indiens zu allen Zeiten ist ein Beispiel für ein Land gewesen, das durch eine Liquiditätspräferenz verarmte, die zu einer so starken Leidenschaft anwuchs, daß selbst ein gewaltiger und chronischer Zufluß von Edelmetallen ungenügend war, um den Zinssatz auf ein Niveau hinunterzubringen, das mit dem Wachstum des realen Wohlstandes vereinbar gewesen wäre.
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Wenn wir eine Gesellschaft mit einer einigermaßen stabilen Lohneinheit betrachten, mit nationalen Eigenschaften, die die Konsumneigung und die Liquiditätspräferenz bestimmen, und mit einem Geldsystem, das die Geldmenge starr an den Vorrat der Edelmetalle bindet, so wird es für die Erhaltung der Prosperität wichtig sein, daß die Behörden dem Zustand der Handelsbilanz genaue Beachtung schenken. Denn eine günstige Bilanz, vorausgesetzt, daß sie nicht zu groß ist, wird sich als äußerst anregend erweisen; während eine ungünstige Bilanz rasch einen Zustand beharrlicher Depression erzeugen kann. Hieraus folgt nicht, daß der maximale Grad der Einschränkung der Einfuhr die höchste günstige Handelsbilanz erzeugen wird. Die früheren Merkantilisten legten hierauf großen Nachdruck und haben sich oft Handelseinschränkungen widersetzt, weil sie auf lange Sicht einer günstigen Bilanz entgegenzuwirken drohten. Es läßt sich in der Tat die Ansicht vertreten, daß in den besonderen Umständen Großbritanniens während der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine fast völlige Handelsfreiheit die Politik war, die der Entwicklung einer günstigen Bilanz am zuträglichsten war. Zeitgenössische Erfahrungen von Handelseinschränkungen im Nachkriegseuropa bieten verschiedene Beispiele schlecht ausgedachter Behinderungen der Freiheit, die, geplant, die günstige Bilanz zu verbessern, tatsächlich eine entgegengesetzte Tendenz auslösten. Aus diesen und anderen Gründen darf der Leser keinen voreiligen Schluß über die praktische Politik ziehen, zu der unsere Beweisführung hinleitet. Es gibt starke Einwände allgemeiner Art gegen Handelseinschränkungen, sofern sie nicht durch besondere Gründe gerechtfertigt sind. Die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sind wirklich und beträchtlich, obschon die klassische Schule sie erheblich übertrieb. Die Tatsache, daß der Vorteil, den unser eigenes Land aus einer günstigen Handelsbilanz erzielt, dafür verantwortlich ist, daß einem anderen Land ein gleicher Nachteil zugefügt wird (ein Punkt, dessen sich die Merkantilisten voll bewußt waren), bedeutet nicht nur, daß große Mäßigung notwendig ist, damit ein Land sich selber keinen größeren Anteil am Vorrat der Edelmetalle sichert, als billig und vernünftig ist, sondern auch, daß eine unmäßige Politik zu einem sinnlosen internationalen Wettbewerb um eine günstige Bilanz führen kann, die alle im gleichen Maße schädigt5. Und schließlich ist eine Politik 5 Das Hilfsmittel einer flexibleren Lohneinheit, mit dem einer wirtschaftlichen Depression durch eine Kürzung der Löhne begegnet wird, muß aus dem gleichen Grund ein Mittel sein, uns auf Kosten unserer Nachbarn einen Vorteil zu verschaffen.
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von Handelseinschränkungen ein trügerisches Mittel selbst für die Erzielung ihres offenkundigen Zweckes, da Privatinteressen, Unfähigkeit der Verwaltung und die innere Schwierigkeit der Aufgabe dazu führen können, daß sie Ergebnisse erzeugt, die den beabsichtigten gerade entgegengesetzt sind. Das Gewicht meiner Kritik richtet sich somit gegen die Unzulänglichkeit der theoretischen Grundlagen der laissez-faire-Doktrin, in der ich erzogen wurde, und die ich während vieler Jahre gelehrt habe; – gegen die Anschauung, daß der Zinssatz und das Investitionsvolumen sich von selbst auf das optimale Niveau einstellen, so daß es Zeitverschwendung wäre, sich mit der Handelsbilanz abzugeben. Denn wir, die Fakultät der Ökonomen, haben uns eines anmaßenden Irrtums schuldig erwiesen, indem wir das, was durch Jahrhunderte der Hauptgegenstand praktischer Staatskunst war, als eine kindische Besessenheit behandelt haben. Unter dem Einfluß dieser fehlerhaften Theorie hat die „City of London“ allmählich die gefährlichste Technik für die Erhaltung des Gleichgewichtes ausgearbeitet, die man sich überhaupt denken kann, nämlich die Diskontsatzpolitik mit einer starren Parität der auswärtigen Wechselkurse zu verbinden. Denn dies bedeutete, daß das Ziel der Erhaltung eines mit Vollbeschäftigung zu vereinbarenden Zinssatzes völlig ausgeschaltet wurde. Da es in Wirklichkeit unmöglich ist, die Zahlungsbilanz zu vernachlässigen, wurde ein Mittel zu ihrer Steuerung entwickelt, das, statt den inländischen Zinssatz zu schützen, ihn der Wirkung blinder Gewalten opferte. Die praktizierenden Bankiers in London haben in letzter Zeit viel gelernt, und man kann fast hoffen, daß die Politik des Diskontsatzes in Großbritannien nie mehr zum Schutze der Außenhandelsbilanz unter Bedingungen verwendet wird, in denen sie voraussichtlich Arbeitslosigkeit im Inland verursacht. Als Theorie der einzelnen Firma und der Verteilung der Produktion, die sich aus der Beschäftigung einer gegebenen Menge von Ressourcen ergibt, hat die klassische Theorie einen Beitrag zum wirtschaftlichen Denken geleistet, der nicht angefochten werden kann. Es ist unmöglich, über diesen Gegenstand ohne diese Theorie als einen Teil seines Gedankenapparates klar zu denken. Man darf mir nicht zuschreiben, daß ich dies in Frage stelle, wenn ich die Aufmerksamkeit auf ihre Vernachlässigung dessen lenke, was in der Theorie ihrer Vorgänger wertvoll war. Als ein Beitrag zur Staatskunst, die sich mit dem wirtschaftlichen System als Ganzem und mit der Sicherung der optimalen Beschäftigung der gesamten Ressourcen des Systems befaßt, mögen die Methoden der frühen Wegbereiter wirtschaftlichen Denkens im sechzehnten und
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siebzehnten Jahrhundert aber trotzdem zu Bruchstücken praktischer Einsicht gekommen sein, welche die unrealistischen Abstraktionen Ricardos zuerst vergaßen und dann austilgten. Es lag Weisheit in ihrem eingehenden Interesse, den Zinssatz durch Wuchergesetze (worauf wir später in diesem Kapitel zurückkommen werden), durch die Erhaltung des inländischen Vorrats an Geld und durch die Bekämpfung von Erhöhungen der Lohneinheit niedrig zu halten, und in ihrer Bereitschaft, als letzte Zuflucht den Geldbestand durch Abwertung wiederherzustellen, wenn er durch einen unvermeidlichen Abfluß ins Ausland, eine Erhöhung der Lohneinheit6 oder irgendeine andere Ursache offensichtlich unzulänglich geworden war.
III.
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Die frühen Wegbereiter wirtschaftlichen Denkens mögen auf ihre Grundsätze praktischer Weisheit gestoßen sein, ohne viel Kenntnis theoretischer Hintergründe gehabt zu haben. Untersuchen wir deshalb kurz die von ihnen vorgebrachten Gründe sowie das, was sie empfahlen. Dies wird erleichtert durch Bezug auf Professor Heckschers großes Werk über den Merkantilismus, in welchem die wesentlichen Eigenschaften wirtschaftlichen Denkens über zwei Jahrhunderte hinweg zum erstenmal dem gewöhnlichen wirtschaftlichen Leser zugänglich gemacht wurden. Die folgenden Anführungen sind hauptsächlich aus seinem Buche genommen7. 1. Merkantilistisches Denken hat nie angenommen, daß eine Tendenz zur Selbstregulierung besteht, durch die der Zinssatz auf dem geeigneten Niveau festgesetzt würde. Im Gegenteil, sie betonten, daß ein übermäßig hoher Zinssatz das Haupthindernis gegen das Wachstum von Reichtum war; und sie waren sich sogar bewußt, daß der Zinssatz von der Liquiditätspräferenz und der Geldmenge abhing. Sie beschäftigten sich sowohl mit abnehmender Liquiditätspräferenz als auch mit der zunehmenden Geldmenge, und mehrere von ihnen machten klar, daß 6 Die Erfahrung, zum mindesten seit dem Zeitalter von Solon und, wenn wir Statistiken hätten, wahrscheinlich während vieler Jahrhunderte vorher, weist auf das hin, was uns eine Kenntnis der menschlichen Natur erwarten lassen würde, nämlich daß die Lohneinheit die Tendenz hat, über lange Zeitabschnitte zu steigen, und daß sie nur inmitten des Niedergangs und der Auflösung einer Wirtschaftsgesellschaft vermindert werden kann. Von Fortschritt und zunehmender Bevölkerung ganz abgesehen, hat sich somit ein schrittweise zunehmender Geldbestand als unbedingt notwendig erwiesen. 7 Sie sind für meinen Zweck umso geeigneter, weil Prof. Heckscher im ganzen selbst ein Anhänger der klassischen Theorie ist und den merkantilistischen Theorien viel weniger sympathisch gegenübersteht als ich. Es besteht somit keine Gefahr, daß seine Wahl von Zitaten in irgendeiner Weise durch einen Wunsch beeinflußt worden ist, ihre Weisheit zu veranschaulichen.
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ihre ständige Sorge um die Zunahme der Geldmenge auf ihren Wunsch zurückzuführen war, den Zinssatz zu senken. Professor Heckscher faßt diesen Aspekt ihrer Theorie wie folgt zusammen: Der Standpunkt der scharfsichtigeren Merkantilisten war in dieser Beziehung, wie in manchen anderen, innerhalb gewisser Grenzen vollständig klar. Für sie war Geld – um die Fachsprache von heute zu gebrauchen – ein Produktionsfaktor, auf der gleichen Stufe wie Land, hie und da als „künstlicher“ Reichtum im Gegensatz zu „natürlichem“ Reichtum betrachtet; Kapitalzins war die Zahlung für das Leihen von Geld, dem Pachtzins für Land vergleichbar. Soweit die Merkantilisten sachliche Gründe für die Höhe des Zinssatzes zu entdecken suchten – was sie während dieses Zeitabschnittes mehr und mehr taten, – fanden sie solche Gründe in der Gesamtmenge des Geldes. Aus dem reichlichen verfügbaren Material werden nur die kennzeichnendsten Beispiele ausgewählt werden, um vor allem zu zeigen, wie beständig, wie festverwurzelt und unabhängig von praktischen Erwägungen diese Anschauung war. Beide Hauptgegner im Kampf um die Geldpolitik und den ostindischen Handel im Anfang der 1620er Jahre in England stimmten über diesen Punkt völlig überein. Gerard Malynes stellte fest, indem er eingehende Gründe für seine Behauptung gab, daß „eine große Geldmenge den Wucher in Preis und im Zinssatz vermindert“ (Lex Mercatoria und Maintenance of Free Trade, 1622). Sein heftiger und ziemlich skrupelloser Gegner, Edward Misselden, antwortete: „Das Mittel gegen Wucher kann eine große Geldmenge sein“ (Free Trade or the Meanes to make Trade Florish, gleiches Jahr). Unter den führenden Autoren ein halbes Jahrhundert später erörterte (1668) Child, der allmächtige Führer der „East India Company‘‘ und ihr geschicktester Vertreter, die Frage, wieweit der gesetzliche Höchstzinssatz, den er nachdrücklich verlangte, dazu führen würde, „das Geld“ der Holländer von England wegzuziehen. Er fand ein Mittel gegen diesen gefürchteten Nachteil in der leichteren Übertragung von Schuldscheinen, wenn diese als Währung benützt würden; denn dies, sagte er, „wird sicherlich dem Mangel von mindestens der Hälfte des Geldbestandes abhelfen, den wir im Lande im Gebrauch haben“. Petty, der andere Autor, der vom Interessenkonflikt völlig unberührt war, stimmte mit den übrigen überein, als er die „natürliche“ Senkung des Zinssatzes von 10 % auf 6 % durch die Zunahme der Geldmenge erklärte (Political Arithmetick, 1676) und das Ausleihen gegen Zinsen als ein geeignetes Mittel für ein Land mit zu viel „Münzgeld“ empfahl (Quantulumcunque concerning Money, 1682). Diese Überlegung beschränkte sich – selbstverständlich genug – keineswegs auf England. Einige Jahre später (1701 und 1706) beklagten sich zum Beispiel französische Kaufleute und Staatsmänner über die vorherrschende Knappheit an Münzgeld (disette des espèces), die sie für die hohen Zinssätze verantwortlich machten, und sie bemühten sich, den Wuchersatz durch eine Vermehrung des Geldumlaufes zu vermindern8. 8
Heckscher, Mercantilism, vol. II, S. 200, 201, ein wenig gekürzt.
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Der große Locke war vielleicht der erste, der in seiner Auseinandersetzung mit Petty die Beziehung zwischen dem Zinssatz und der Geldmenge in abstrakten Formen ausdrückte9. Er bekämpfte den Vorschlag Pettys für einen Höchstzinssatz mit der Begründung, daß er so undurchführbar wäre wie die Festsetzung eines Höchstpachtzinses für Land, da „der natürliche Wert des Geldes wegen seiner Tendenz, ein solches jährliches Einkommen durch Zinsen abzuwerfen, von der gesamten zur Zeit im Königreich umlaufenden Geldmenge im Verhältnis zum gesamten Handel im Königreich (das heißt, dem allgemeinen Absatz aller Waren) abhängt10“. Locke erklärt, daß das Geld zwei Werte hat: 1. seinen Gebrauchswert, der durch den Zinssatz gegeben wird, „und in dieser Beziehung gleicht es dem Wesen des Bodens; das Einkommen des einen wird Pacht und das des anderen Nutzung (use11) genannt“, und 2. seinen Tauschwert, „und in dieser Beziehung hat es das Wesen einer Ware“; sein Tauschwert hängt „lediglich von dem Überfluß oder der Knappheit an Geld im Verhältnis zum Überfluß oder der Knappheit jener Dinge ab, und nicht davon, was der Zins sein wird“. Locke war somit der Vater zweier Zwillings-Quantitätstheorien. Erstens vertrat er die Ansicht, daß der Zinssatz von dem Verhältnis der Geldmenge (unter Berücksichtigung der Umlaufsgeschwindigkeit) zum gesamten Wert des Handels abhänge. Zweitens behauptete er, daß der Tauschwert des Geldes von dem Verhältnis der Geldmenge zur gesamten Menge der Güter im Markt abhänge. Da er aber mit einem Fuß in der merkantilistischen und mit dem anderen in der klassischen Welt12 stand, war er 9 Some Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest and Raising the Value of Money, 1692, aber einige Jahre vorher geschrieben. 10 Er fügt hinzu: „nicht lediglich von der Geldmenge, sondern auch von der Geschwindigkeit ihres Umlaufes“. 11 „Use“ ist natürlich der altenglische Ausdruck für „interest“. 12 Hume stand ein wenig später mit anderthalb Füßen in der klassischen Welt. Denn Hume begann mit der Gewohnheit, unter den Ökonomen die Wichtigkeit der Gleichgewichtslage hervorzuheben, im Vergleich zu dem sich fortwährend wandelnden Übergang zu ihr, obschon er noch genug Merkantilist war, nicht die Tatsache zu übersehen, daß es der Übergang ist, in dem sich unser wirkliches Sein abspielt: „Nur in diesem Zeitraum oder Zwischenzustand, zwischen dem Erwerb des Geldes und einer Erhöhung der Preise, ist die zunehmende Menge von Gold und Silber der Industrie günstig . . . Es spielt keine Rolle in bezug auf das einheimische Wohlergehen eines Staates, ob Geld in größerer oder kleinerer Menge vorhanden ist. Die gute Politik der Obrigkeit besteht nur darin, dafür zu sorgen, es wenn möglich zu vermehren; denn dadurch hält sie einen Geist der Betriebsamkeit in der Nation wach und vermehrt den Stand der Beschäftigung, aus der alle wirkliche Kraft und Reichtum bestehen. Eine Nation, deren Geld abnimmt, ist tatsächlich zu jener Zeit schwächer und elender als eine andere Nation, deren Geldbestand nicht größer ist, aber sich in einem aufsteigenden Trend befindet“ (Essay on Money, 1752).
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verwirrt hinsichtlich der Beziehung zwischen diesen beiden Verhältnissen, und er übersah vollständig die Möglichkeit von Schwankungen in der Liquiditätspräferenz. Es lag ihm jedoch daran, zu erklären, daß eine Senkung des Zinssatzes keine unmittelbare Wirkung auf das Preisniveau hat und die Preise nur insofern berührt, als „die Änderung des Zinses im Handel dazu beiträgt, Geld oder Waren hereinzubringen oder auszuführen, und so mit der Zeit ihr Verhältnis hier in England gegenüber dem zu ändern, wie es früher war“, das heißt, wenn die Senkung des Zinssatzes zur Ausfuhr von Geld oder zu einer Vermehrung der Produktion führt. Aber er gelangt nach meiner Ansicht nie zu einer reinen Synthese13. Wie zwanglos die merkantilistische Denkart zwischen dem Zinssatz und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals unterschied, wird durch eine Stelle (gedruckt in 1621) erläutert, die Locke aus Einem Brief an einen Freund über den Wucher anführt: „Hohe Zinsen schädigen den Handel. Der Vorteil aus Zinsen ist größer als der Gewinn aus dem Handel, was die reichen Kaufleute veranlaßt, aufzuhören und ihr Kapital verzinslich anzulegen, und die kleineren Kaufleute ruiniert.“ Fortrey (England’s Interest and Improvement, 1663) bietet ein weiteres Beispiel für den Nachdruck, der auf einen niedrigen Zinssatz gelegt wird als ein Mittel, den Reichtum zu vermehren. Die Merkantilisten übersahen die Tatsache nicht, daß, wenn eine übermäßige Liquiditätspräferenz den Zufluß der Edelmetalle ins Horten ablenken würde, der Vorteil dem Zinssatz verloren ginge. In einigen Fällen (zum Beispiel Mun) führte sie das Ziel, die Macht des Staates zu erhöhen, aber trotzdem dazu, die Anhäufung eines Staatsschatzes zu befürworten. Andere aber setzten sich dieser Politik offen entgegen: Schrötter zum Beispiel wandte die üblichen merkantilistischen Argumente an, indem er ein düsteres Bild malte, wie der Umlauf im Lande durch einen stark vermehrten Staatsschatz seines ganzen Geldes beraubt würde . . . ; . . . auch zog er eine völlig logische Parallele zwischen der Anhäufung von Schätzen durch die Klöster und dem Ausfuhrüberschuß der Edelmetalle, was ihm in der Tat das ärgste war, was er sich vorstellen konnte. Davenant erklärte die äußerste Armut mancher Nationen im Osten – von denen man glaubte, daß sie mehr Gold und Silber hätten als alle anderen Länder in 13 Es ist bezeichnend für die Vollständigkeit, mit der die merkantilistische Anschauung beseitigt worden ist, daß der Zins Geldzins bedeutet (die Anschauung, die, wie mir nun scheint, unzweifelhaft richtig ist), daß Prof. Heckscher, als guter klassischer Ökonom, seine Darstellung von Lockes Theorie in den Kommentar zusammenfaßt: „Lockes Beweisführung wäre unwiderleglich, . . . wenn der Zins tatsächlich gleichbedeutend mit dem Preis für das Leihen von Geld wäre; da dies nicht der Fall ist, ist sie vollständig irrelevant“ (op. cit. Vol. 2, S. 204).
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der Welt – durch die Tatsache, daß man den Schatz „in den Truhen der Fürsten stagnieren läßt“ . . . Wenn die Hortung durch den Staat bestenfalls als ein zweifelhafter Segen betrachtet wurde und oft als eine große Gefahr, so ergibt sich ohne weiteres, daß die private Hortung wie die Pest zu meiden war. Es war eine der Tendenzen, gegen die unzählige merkantilistische Autoren donnerten, und ich glaube nicht, daß es möglich wäre, eine einzige abweichende Stimme zu finden14.
2. Die Merkantilisten erkannten den Trugschluß der Billigkeit, und die Gefahr, daß ein übermäßiger Wettbewerb die „terms of trade‘‘ gegen ein Land wenden mag. So schrieb Malynes in seiner Lex Mercatoria (1622): „Trachte nicht, die anderen zum Schaden des Gemeinwesens zu unterbieten unter dem Vorwand, den Handel zu vergrößern; denn der Handel nimmt nicht zu, wenn die Waren sehr billig sind, weil die Billigkeit von der geringen Nachfrage und der Knappheit an Geld herrührt, welche die Dinge billig machen; so daß das Gegenteil den Handel vermehrt, wenn viel Geld vorhanden ist und die Waren, da sie gesucht sind, teurer werden15.“ Professor Heckscher faßt diesen Strang merkantilistischen Denkens wie folgt zusammen:
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Während eineinhalb Jahrhunderten wurde dieser Standpunkt immer wieder auf die Art gebildet, daß ein Land mit verhältnismäßig weniger Geld als andere Länder „billig verkaufen und teuer kaufen“ muß . . . Selbst in der ursprünglichen Auflage der Discourse of the Common Weal, das heißt in der Mitte des 16. Jahrhunderts, war diese Haltung bereits augenscheinlich. Hales sagt in der Tat: „Und doch, wenn die Fremden nur geneigt wären, unsere Waren für die ihren zu nehmen, was sollte sie veranlassen, den Preis anderer Dinge zu erhöhen (wobei unter ,andere‘ auch das verstanden wird, was wir von ihnen kaufen), obschon die unsern für sie sehr billig waren? Und dann werden wir immer noch die Verlierer sein und sie die Oberhand behalten, weil sie uns teuer verkaufen und trotzdem unsere Waren billig kaufen und folglich sich reicher und uns ärmer machen. Ich würde daher eher unsere Waren im Preis erhöhen, wie sie die ihren erhöhen, so wie wir es jetzt tun; einige mögen dabei allerdings die Verlierer sein, aber nicht so viele wie im entgegengesetzten Fall.“ In dieser Sache hatte er die uneingeschränkte Zustimmung seines Herausgebers einige Jahrzehnte später (1581). Im 17. Jahrhundert wiederholte sich diese Stellungnahme ohne grundlegende Änderung in der Bedeutung. So glaubte Malynes, daß dieser unglückliche Zustand das Ergebnis dessen war, was er vor allen Dingen fürchtete, das heißt einer ausländischen Unterbewertung der englischen Währung . . . Die gleiche Auffassung wiederholte sich dann beständig. In seiner Verbum Sapienti (geschrieben im Jahre 1665, veröffentlicht im Jahre 1691) glaubte Petty, daß die heftigen Anstrengungen, die Geldmenge zu vermehren, nur aufhören könnten, „wenn kein Zweifel darüber besteht, daß wir mehr Geld haben 14 15
Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 210, 211. Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 228.
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als jeder unserer Nachbarstaaten (obschon nie so wenig), sowohl im arithmetischen als auch im geometrischen Verhältnis.“ Während des Zeitabschnittes zwischen dem Schreiben und der Veröffentlichung seines Werkes erklärte Coke: „Wenn unser Schatz größer als der unserer Nachbarstaaten wäre, wäre es mir gleichgültig, wenn wir ein Fünftel des Schatzes hätten, den wir jetzt haben“ (1675)16.
3. Die Merkantilisten waren die ersten, die „die Furcht vor Waren„ und die Knappheit an Geld als Ursachen der Arbeitslosigkeit erkannten, welche die Klassiker zwei Jahrhunderte später als eine Sinnwidrigkeit bezeichneten: Einer der ersten Fälle der Anwendung des Argumentes der Arbeitslosigkeit als eines Grundes für das Verbot von Einfuhren ist in Florenz im Jahre 1426 zu finden . . . Die englische Gesetzgebung in der Sache geht mindestens bis 1455 zurück . . . Eine fast gleichzeitige französische Verordnung von 1466, welche die Grundlage der später so berühmten Seidenindustrie von Lyon bildete, war insofern weniger interessant, als sie sich nicht wirklich gegen fremde Waren richtete. Aber auch sie erwähnte die Möglichkeit, Zehntausenden arbeitsloser Männer und Frauen Beschäftigung zu geben. Man sieht, wie sehr dieses Argument damals in der Luft lag . . . Die erste große Erörterung dieses Gegenstandes wie fast aller gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme fand in England in der Mitte des 16. Jahrhunderts oder etwas früher statt während der Herrschaft Heinrichs VIII. und Eduards VI. In diesem Zusammenhang müssen wir eine Reihe von Schriften erwähnen, anscheinend spätestens in den 1530er Jahren geschrieben, von denen auf jeden Fall zwei Clement Armstrong zugeschrieben werden . . . Er drückt zum Beispiel den Gegenstand wie folgt aus: „Der große Überfluß an fremden Waren, die jedes Jahr in England eingeführt werden, hat nicht nur eine Knappheit an Geld verursacht, sondern auch alle Gewerbe zerstört, durch die eine große Zahl des gemeinen Volkes Beschäftigung gefunden hätte, um Geld für die Bezahlung von Essen und Trinken zu erhalten, die jetzt aus barer Notwendigkeit müßig leben, betteln und stehlen müssen17.“ Der beste mir bekannte Fall einer typischen merkantilistischen Erörterung eines Zustandes dieser Art sind die Debatten im englischen Unterhaus über die Knappheit an Geld, die 1621 geführt wurden, als eine schwere wirtschaftliche Depression eingesetzt hatte, insbesondere im Tuchexport. Die Zustände wurden sehr klar durch eines der einflußreichsten Mitglieder des Parlaments, Sir Edwin Sandys, beschrieben. Er führte an, daß der Bauer und Handwerker fast überall Not litt, daß Webstühle aus Mangel an Geld im Lande stillagen, und daß die Bauern gezwungen waren, ihre Kontrakte zu widerrufen, „nicht (Gott sei gedankt) aus Mangel an Früchten der Erde, sondern aus Mangel an Geld“. Die Lage führte zu eingehenden Untersuchungen darüber, wohin das Geld gelangt sein könnte, dessen Mangel so bitter empfunden wurde. Zahlreiche Angriffe wurden gegen 16 17
Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 235. Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 122.
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alle Personen gerichtet, die zu einer Ausfuhr (einem Ausfuhrüberschuß) der Edelmetalle beigetragen haben sollten oder zu ihrem Verschwinden infolge entsprechender Tätigkeiten innerhalb des Landes18.
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Die Merkantilisten waren sich bewußt, daß ihre Politik, wie sich Professor Heckscher ausdrückt, „zwei Vögel mit einem Stein tötete“. „Einerseits war das Land einen unerwünschten Überschuß an Waren los, von dem man glaubte, daß er zur Arbeitslosigkeit führte, während andererseits die gesamte Geldmenge im Lande vermehrt wurde“19, mit den daraus folgenden Vorteilen eines Rückganges des Zinssatzes. Es ist unmöglich, die Vorstellungen zu studieren, zu denen die Merkantilisten durch ihre tatsächlichen Erfahrungen geführt wurden, ohne zu erkennen, daß der Hang zum Sparen durch die ganze Geschichte der Menschheit eine chronische Tendenz hatte, stärker zu sein als die Anreize zu Investitionen. Die Schwäche der Anreize zu Investitionen ist zu allen Zeiten der Schlüssel zum wirtschaftlichen Problem gewesen. Heute mag die Erklärung für die Schwäche dieser Anreize hauptsächlich im Umfang der bestehenden Kapitalakkumulation liegen, während früher Risiken und Wagnisse aller Art eine größere Rolle gespielt haben mögen. Das Ergebnis ist aber dasselbe. Der Wunsch des Einzelnen, seinen persönlichen Reichtum durch Enthaltsamkeit vom Verbrauch zu vermehren, ist gewöhnlich stärker gewesen als der Anreiz für den Unternehmer, den nationalen Reichtum durch die Beschäftigung von Arbeitern für die Erstellung dauerhafter Vermögensbestände zu vermehren. 4. Die Merkantilisten unterlagen keiner Täuschung über den nationalistischen Charakter ihrer Politik und deren Tendenz, dem Kriege Vorschub zu leisten. Was sie offenkundig bezweckten, war nationaler Vorteil und verhältnismäßige Stärke20. Wir mögen sie für die offenbare Gleichgültigkeit tadeln, mit der sie diese unvermeidliche Folge eines internationalen Währungssystems annahmen. Aber intellektuell ist ihr Realismus bei weitem dem verworrenen Denken zeitgenössischer Befürworter eines internationalen festen Goldstandards und des laissez-faire im internationalen Kreditverkehr vorzuziehen, die glauben, daß es gerade diese Politik ist, die am meisten den Frieden fördert. Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 223. Heckscher, op. cit, Vol. 2, S. 178. 20 „Innerhalb des Staates verfolgte der Merkantilismus durchgehend dynamische Zwecke. Wichtig ist aber, daß dies mit einer statischen Vorstellung von den gesamten wirtschaftlichen Ressourcen der Welt verbunden war; und eben dies schuf jene grundlegende Disharmonie, welche die endlosen Handelskriege nährte . . . Dies war die Tragödie des Merkantilismus. Sowohl das Mittelalter mit seinem 18 19
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Denn in einer Wirtschaft, die monetären Kontrakten und Zollsätzen unterworfen ist, die über einen beträchtlichen Zeitabschnitt mehr oder weniger festgesetzt sind, und in der die Menge des inländischen Geldumlaufes und der inländische Zinssatz hauptsächlich durch die Zahlungsbilanz bestimmt werden, wie dies in Großbritannien vor dem Krieg der Fall war, steht den Regierungsbehörden kein anderes orthodoxes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Inland zur Verfügung als das Ringen nach einem Ausfuhrüberschuß und nach einer Einfuhr des Währungsmetalles auf Kosten ihrer Nachbarn. Nie in der Geschichte ist eine Methode erdacht worden, die den Vorteil jedes Landes wirksamer in den Gegensatz zum Vorteil seiner Nachbarn gebracht hätte, als der internationale Gold- (oder früher Silber-)Standard. Denn er machte den inländischen Wohlstand unmittelbar von einer wetteifernden Jagd nach Märkten und einem wetteifernden Appetit auf die Edelmetalle abhängig. Wenn durch einen glücklichen Zufall die neuen Angebote von Gold und Silber verhältnismäßig reichlich waren, mag der Kampf etwas nachgelassen haben. Aber mit dem Anwachsen des Reichtums und mit der abnehmenden marginalen Konsumneigung hat er die Tendenz gehabt, zunehmend verderblich zu werden. Die Rolle, die von den orthodoxen Ökonomen gespielt wurde, deren gesunder Menschenverstand nicht ausreichte, um ihrer falschen Logik entgegenzuwirken, ist bis zum letzten Akt verhängnisvoll gewesen. Denn wenn einige Länder in ihrem blinden Ringen nach einem Ausweg die Verpflichtungen abgeworfen hatten, die früher einen autonomen Zinssatz unmöglich gemacht hatten, so haben diese Ökonomen gelehrt, daß die Wiederherstellung der früheren Fesseln ein notwendiger erster Schritt zu einer allgemeinen Erholung sei. In Wahrheit trifft das Gegenteil zu. Es ist die Politik eines autonomen Zinssatzes, ungehemmt von internationalen Voreingenommenheiten, und eines auf ein Optimum inländischer Beschäftigung gerichteten nationalen Investitionsprogramms, das doppelt gesegnet ist in dem Sinne, daß es gleichzeitig uns selbst und unseren Nachbarn hilft. Und es ist die gleichzeitige Verfolgung dieser Politik gemeinsam durch alle Länder, die wirtschaftliche Gesundheit und Stärke international wiederherstellen kann, ob wir sie am Niveau der inländischen Beschäftigung oder an der Menge des internationalen Handels messen21. weltumfassenden statischen Ideal, wie auch das laissez-faire mit seinem weltumfassenden dynamischen Ideal, vermieden diese Folge“ (Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 25, 26). 21 Die beharrliche Anerkennung dieser Wahrheit durch das Internationale Arbeitsamt, zuerst unter Albert Thomas und dann unter Mr. H. B. Butler, ragte unter den Proklamationen der zahlreichen internationalen Ämter der Nachkriegszeit besonders hervor.
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Die Merkantilisten erkannten das Bestehen des Problems, ohne ihre Analyse bis zum Punkt der Lösung vorantreiben zu können. Die klassische Schule aber ignorierte das Problem, indem sie in ihre Voraussetzungen Bedingungen einführte, die sein Nichtbestehen einschlossen; mit der Folge, daß sie eine Spaltung zwischen den Folgerungen der wirtschaftlichen Theorie und jenen des gesunden Menschenverstandes schufen. Die außerordentliche Leistung der klassischen Theorie war, die Anschauungen des „natürlichen Menschen“ zu überwältigen und gleichzeitig falsch zu sein. Wie Professor Heckscher es ausdrückt: Wenn also die grundlegende Stellung zum Geld und dem Material, aus dem das Geld geschaffen wurde, sich während des Zeitabschnittes zwischen den Kreuzzügen und dem 18. Jahrhundert nicht änderte, so folgt, daß wir es mit tiefverwurzelten Anschauungen zu tun haben. Die gleichen Anschauungen herrschten vielleicht schon über die 500 Jahre hinaus, die in jenem Zeitabschnitt eingeschlossen sind, obschon nicht annähernd im gleichen Grad wie die „Furcht vor Gütern“ . . . Mit Ausnahme des Zeitabschnittes des laissezfaire ist kein Zeitalter von diesen Ideen frei gewesen. Es war nur die einzigartig intellektuelle Zähigkeit des laissez-faire, die eine Zeitlang die Anschauungen des „natürlichen Menschen“ über diesen Punkt überwand22. Es erforderte den uneingeschränkten Glauben des doktrinären laissez-faire, um die „Furcht vor Gütern“ auszutilgen . . . (welche) die natürlichste Haltung des „natürlichen Menschen“ in einer monetären Wirtschaft ist. Der Freihandel bestritt das Bestehen von Faktoren, die offensichtlich zu sein schienen, und war bestimmt, in den Augen des gewöhnlichen Menschen in Verruf zu geraten, sobald das laissez-faire die Gedanken der Menschen nicht länger in ihrer Ideologie gefangen halten konnte23.
Ich erinnere mich an Bonar Laws kombinierte Wut und Betroffenheit angesichts der Ökonomen, weil sie bestritten, was offensichtlich war. Er war tief bemüht um eine Erklärung. Man muß an die Analogie zwischen der Macht der klassischen Schule der Wirtschaftstheorie und jener gewisser Religionen denken. Denn es ist eine viel größere Leistung der Macht einer Idee, das Offensichtliche auszutreiben, als in die allgemeinen Anschauungen der Menschen das Verborgene und Fernliegende einzuführen.
V. Es verbleibt eine verwandte, aber getrennte Streitfrage, in der durch Jahrhunderte, ja durch mehrere Jahrtausende die aufgeklärte Meinung eine Doktrin als gewiß und offensichtlich ansah, welche die klassische 22 23
Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 176–177. Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 335.
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Theorie als kindisch verworfen hat, die aber Rehabilitierung und Ehre verdient. Ich meine die Doktrin, daß der Zinssatz sich nicht von selbst auf einem Niveau reguliert, das dem sozialen Vorteil am besten angepaßt ist, sondern beständig dazu neigt, zu hoch zu steigen, so daß eine weise Regierung sich damit beschäftigen wird, ihn durch gesetzliche und gewohnheitsrechtliche Regelungen zu zügeln und selbst durch die Berufung auf die Sanktionen des Sittengesetzes. Vorkehrungen gegen Wucher finden sich unter den ältesten wirtschaftlichen Maßnahmen, über die wir Aufzeichnungen haben. Die Zerstörung der Anreize zur Investition durch eine übermäßige Liquiditätspräferenz war das hervorstechende Übel, das Haupthindernis des Wachstums von Reichtum in den Welten des Altertums und des Mittelalters. Dies war nur natürlich, weil einige Risiken und Wagnisse des Wirtschaftslebens die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals verringern, während andere dazu dienen, die Liquiditätspräferenz zu vermehren. In einer Welt, die niemand als sicher ansah, war es daher fast unvermeidlich, daß der Zinssatz, sofern er nicht durch jedes der Gesellschaft zur Verfügung stehende Mittel niedrig gehalten wurde, zu hoch steigen würde, um angemessene Anreize zur Investition zuzulassen. Ich wurde in dem Glauben erzogen, daß die Haltung der mittelalterlichen Kirche gegenüber dem Zinssatz von Natur aus widersinnig war und daß die scharfsinnigen Erörterungen, die auf eine Unterscheidung zwischen dem Ertrag von Gelddarlehen und dem Ertrag aktiver Investitionen zielten, lediglich jesuitische Versuche waren, einen praktischen Ausweg aus einer törichten Theorie zu finden. Jetzt aber lese ich diese Erörterungen als eine ehrliche, intellektuelle Bemühung, auseinander zu halten, was die klassische Theorie unauflöslich miteinander verflochten hat, nämlich den Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Denn es scheint nun klar zu sein, daß die Untersuchungen der Scholastiker sich auf die Erläuterung einer Formel richteten, die der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ermöglichen sollte, hoch zu sein, während sie gleichzeitig Vorschriften, Gewohnheiten und das Sittengesetz dazu benutzten, um den Zinssatz niedrig zu halten. Selbst Adam Smith war äußerst maßvoll in seiner Haltung gegenüber den Wuchergesetzen. Denn er war sich wohl bewußt, daß die individuellen Ersparnisse entweder durch Investitionen oder durch Finanzanlagen absorbiert werden können, und daß keine Gewähr besteht, daß sie alle in erstere fließen werden. Außerdem zog er einen niedrigen Zinssatz vor, da dieser die Möglichkeit vergrößert, daß Ersparnisse in neuen Investitionen statt in Finanzanlagen Verwendung finden; und aus
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diesem Grunde verteidigte er an einer Stelle, wegen der er von Bentham heftig zur Rede gestellt wurde24, eine mäßige Anwendung der Wuchergesetze25. Überdies stützte sich Benthams Kritik hauptsächlich darauf, daß Adam Smiths schottische Vorsicht zu streng gegen „Unternehmensgründer“ war, und daß ein Höchstzinssatz eine zu geringe Spanne für die Belohnung rechtmäßiger und gesellschaftlich ratsamer Risiken lassen würde. Denn Bentham verstand unter Unternehmensgründern „alle solche Leute, die auf der Jagd nach Reichtum oder bei der Verfolgung irgendeines anderen Zieles mit Unterstützung ihres Reichtums danach trachten, sich auf irgendeine Fährte der Erfindung zu werfen . . . vor allem solche Leute, die auf dem Gebiet irgendeines ihrer Geschäfte nach irgendetwas trachten, was Verbesserung genannt werden kann . . . Kurz gesagt, er bezieht sich auf jede Anwendung der menschlichen Kräfte, bei der Erfindungsgabe die Unterstützung durch Reichtum nötig hat“. Bentham hatte natürlich Recht, gegen Gesetze Einspruch zu erheben, die der Übernahme legitimer Risiken im Wege standen. „Ein vorsichtiger Mensch“, fährt Bentham fort, „wird unter diesen Umständen nicht die guten Projekte aus den schlechten auswählen, sondern er wird sich überhaupt nicht auf Projekte einlassen.“26 Es mag vielleicht bezweifelt werden, ob das Obige gerade das ist, was Adam Smith unter seinem Ausdruck verstand. Oder hören wir in Bentham (obschon er im März 1787 aus „Crichoff in Weißrußland“ schrieb) die Stimme, mit der das England des neunzehnten Jahrhunderts zum achtzehnten spricht? Denn nichts als der Überschwang des größten Zeitalters der Anreize zur Investition konnte es möglich machen, die theoretische Möglichkeit dieser Unzulänglichkeit aus den Augen zu verlieren.
VI. Es ist zweckmäßig, an dieser Stelle den seltsamen, zu Unrecht übersehenen Propheten Silvio Gesell (1862 – 1930) zu erwähnen, dessen Werk Einfälle tiefer Einsicht enthält und der nur gerade eben verfehlte, In seinem Brief an Adam Smith, der seiner Defence of Usury beigefügt ist. Wealth of Nations, Book II, chap. 4. 26 Nachdem ich begonnen habe, in diesem Zusammenhang Bentham anzuführen, muß ich den Leser an seine schönste Stelle erinnern: „Die Geschichte der Kunstfertigkeit, der große Weg, welcher die Fußstapfen der Gründer empfängt, kann als eine weite und vielleicht unbegrenzte Ebene betrachtet werden, von Abgründen durchzogen, wie sie Curtius verschlungen haben. Jeder von ihnen verlangt ein menschliches Opfer, das in ihn hineinstürzt, bevor er sich schließen kann, aber wenn er sich einmal schließt, schließt er sich, um sich nie mehr zu öffnen, und so viel des Weges wird sicher für jene, die ihn verfolgen.“ 24 25
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bis zum Kern der Sache vorzudringen. In den Nachkriegsjahren bombardierten mich seine Anhänger mit Exemplaren seiner Werke; aber wegen gewisser offenkundiger Mängel seiner Beweisführung verfehlte ich vollständig, ihre Vorzüge zu entdecken. Wie so oft im Falle unvollkommen analysierter Eingebungen wurde ihre Bedeutung erst augenscheinlich, nachdem ich meine eigenen Folgerungen auf meine eigene Art erreicht hatte. Wie andere akademische Ökonomen, behandelte ich in der Zwischenzeit seine tief originellen Bestrebungen als nichts Besseres als die eines Sonderlings. Da die Bedeutung Gesells voraussichtlich wenigen Lesern dieses Buches sehr vertraut sein wird, will ich ihm einen sonst unverhältnismäßig großen Platz einräumen. Gesell war ein erfolgreicher deutscher Kaufmann27 in Buenos Aires, der durch die Krise der späten achtziger Jahre, die in Argentinien besonders heftig war, zur Erforschung der monetären Probleme geführt wurde. Sein erstes Buch, Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum socialen Staat, wurde 1891 in Buenos Aires veröffentlicht. Seine grundlegenden Anschauungen über das Geld wurden im gleichen Jahr in Buenos Aires unter dem Titel Nervus rerum veröffentlicht, und es folgten viele Bücher und Flugschriften, bis er sich 1906 als wohlhabender Mann in die Schweiz zurückzog, in der Lage, die letzten Jahrzehnte seines Lebens den allerangenehmsten Beschäftigungen zu widmen, die jenen offenstehen, die ihren Unterhalt nicht zu verdienen brauchen, nämlich: Schriftstellerei und experimentelle Landwirtschaft. Der erste Teil seines Standardwerkes wurde 1906 in Les Hauts Geneveys in der Schweiz unter dem Titel Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag veröffentlicht und der zweite Teil 1911 in Berlin unter dem Titel Die neue Lehre vom Zins. Beide Teile zusammen wurden in Berlin und in der Schweiz während des Krieges (1916) veröffentlicht und erreichten eine sechste Auflage während seines Lebens unter dem Titel Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld. Die englische Ausgabe (übersetzt von Mr. Phillip Pye) erschien unter dem Titel The Natural Economic Order. Im April 1919 trat Gesell dem kurzlebigen Sowjet-Kabinett Bayerns als dessen Finanzminister bei und wurde danach vor ein Kriegsgericht gestellt. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbrachte er in Berlin und in der Schweiz und widmete es der Propaganda. Gesell zog die halbreligiöse Verehrung auf sich, die früher Henry George umgab, und wurde der verehrte Prophet eines Kultes mit Tausenden von Anhängern in der ganzen Welt. Die erste internationale Zusammenkunft des schweizerischen und deutschen 27 Geboren in der Nähe der Luxemburger Grenze, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter.
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Freiland-Freigeld-Bundes und ähnlicher Organisationen aus vielen Ländern wurde 1923 in Basel abgehalten. Nach seinem Tode 1930 wurde ein großer Teil der besonderen Art von Schwärmerei, die Doktrinen wie die seine hervorrufen können, auf andere (nach meiner Ansicht weniger bedeutende) Propheten gelenkt. Dr. Büchi ist der Führer der Bewegung in England, aber ihre Literatur scheint von San Antonio, Texas, aus verbreitet zu werden. Ihre Hauptstärke liegt heute in den Vereinigten Staaten, wo Professor Irving Fisher, als einziger unter den akademischen Ökonomen, ihre Bedeutung erkannt hat. Trotz des prophetischen Schmuckes, mit dem ihn seine Verehrer ausgestattet haben, ist Gesells Hauptwerk in kühler, wissenschaftlicher Sprache geschrieben, obschon es durchweg von einer leidenschaftlicheren, einer emotionaleren Hingebung für gesellschaftliche Gerechtigkeit durchströmt ist, als manche für einen Gelehrten schicklich finden. Der Anteil von Henry George28, obschon ohne Zweifel eine wichtige Quelle der Stärke der Bewegung, ist von völlig zweitrangigem Interesse. Der Zweck des Buches als Ganzes kann als die Errichtung eines antimarxistischen Sozialismus beschrieben werden, eine Reaktion gegen das laissez-faire, auf theoretischen Grundlagen aufgebaut, die von jenen von Marx grundverschieden sind, indem sie sich auf eine Verwerfung, statt auf eine Annahme der klassischen Hypothesen stützen, und auf eine Entfesselung des Wettbewerbes, statt auf seine Abschaffung. Ich glaube, daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird. Das Vorwort zu Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld wird dem Leser, wenn er es nachschlägt, die moralischen Qualitäten Gesells zeigen. Die Antwort auf den Marxismus ist nach meiner Ansicht in den Argumentationslinien dieses Vorwortes zu finden. Gesells besonderer Beitrag zur Theorie des Geldes und des Zinses ist der folgende. Erstens unterscheidet er deutlich zwischen dem Zinssatz und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, und er legt dar, daß es der Zinssatz ist, welcher der Wachstumsrate des Realkapitals eine Grenze setzt. Dann hebt er hervor, daß der Zinssatz eine rein monetäre Erscheinung ist, und daß die Eigentümlichkeit des Geldes, von der die Bedeutung des Geldzinssatzes herrührt, in der Tatsache liegt, daß sein Besitz als Mittel, Reichtum aufzuspeichern, dem Besitzer unbedeutende Lagerhaltungskosten verursacht, und daß die Formen von Reichtum, wie Vorräte von Waren, die Lagerhaltungskosten bedingen, tatsächlich wegen des vom Geld gesetzten Standards einen Ertrag abwerfen. Er führt die verhältnismäßige Stabilität des Zinssatzes durch alle Zeitalter als 28 Gesell wich von George darin ab, daß er die Bezahlung einer Entschädigung empfahl, wenn das Land nationalisiert wird.
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Beweis an, daß er nicht von rein physischen Merkmalen abhängen kann, da die Schwankungen des letzteren von einem Zeitabschnitt zum anderen unberechenbar größer als die beobachteten Änderungen im Zinssatz gewesen sein müssen; das heißt (in meiner Terminologie) der Zinssatz, der von konstanten psychologischen Eigenschaften abhängt, ist stabil geblieben, während die stark schwankenden Merkmale, die hauptsächlich die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bestimmen, nicht den Zinssatz bestimmt haben, sondern die Rate, zu welcher der (mehr oder weniger) gegebene Zinssatz dem Bestand an Realkapital zu wachsen erlaubt. Aber die Theorie Gesells hat einen großen Fehler. Er zeigt, daß es nur das Bestehen eines Geldzinssatzes ist, der es möglich macht, aus dem Ausleihen von Warenvorräten einen Ertrag zu erzielen. Sein Zwiegespräch zwischen Robinson Crusoe und einem Fremden29 ist eine ganz ausgezeichnete wirtschaftliche Parabel – so gut wie nur irgend etwas dieser Art, was geschrieben wurde –, um diesen Punkt darzulegen. Nachdem er aber den Grund angeführt hat, warum der Geldzinssatz im Gegensatz zu den meisten Warenzinssätzen nicht negativ sein kann, übersieht er vollständig die Notwendigkeit einer Erklärung, warum der Geldzinssatz positiv ist, und er unterläßt es, zu erklären, warum der Geldzinssatz nicht durch den Standard beherrscht wird (wie dies von der klassischen Schule behauptet wird), der vom Ertrag produktiven Kapitals gesetzt wird. Dies ist darauf zurückzuführen, daß ihm die Vorstellung der Liquiditätspräferenz entgangen ist. Er hat nur eine halbe Theorie des Zinssatzes aufgebaut. Die Unvollständigkeit seiner Theorie liefert zweifellos die Erklärung, warum sein Werk von der akademischen Welt vernachlässigt worden ist. Er hat aber seine Theorie trotzdem weit genug entwickelt, um zu einem praktischen Schluß zu kommen, der den Kern dessen in sich tragen mag, was notwendig ist, obschon er in der vorgeschlagenen Form nicht durchführbar ist. Er legt dar, daß die Vermehrung von Realkapital durch den Geldzinssatz aufgehalten wird, und daß, wenn dieses Hemmnis beseitigt würde, die Vermehrung von Realkapital in der modernen Welt so rasch sein würde, daß ein Geldzinssatz von Null wahrscheinlich zwar nicht sofort, aber doch innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit gerechtfertigt sein würde. Die Hauptnotwendigkeit ist somit eine Senkung des Zinssatzes, und dies, hebt er hervor, kann dadurch erreicht werden, daß man veranlaßt, daß das Geld Lagerhaltungskosten bedingt, genau wie andere Vorräte unproduktiver Güter. Dies führte ihn zu dem 29
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berühmten Vorschlag von „gestempeltem“ Geld, mit dem sein Name hauptsächlich in Zusammenhang gebracht wird und der den Segen von Professor Irving Fisher erhalten hat. Nach diesem Vorschlag würden Banknoten (obschon er sich offenbar zumindest auch auf einige Formen von Giralgeld beziehen müßte) ihren Wert nur bewahren, wenn sie jeden Monat ähnlich wie eine Versicherungskarte mit auf dem Postamt gekauften Marken gestempelt würden. Der Preis der Marken könnte natürlich auf jeder angemessenen Höhe festgesetzt werden. Nach meiner Theorie sollte er ungefähr gleich dem Überschuß des Geldzinssatzes (von den Marken abgesehen) über diejenige Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sein, die einem Volumen neuer Investitionen entspricht, das mit Vollbeschäftigung vereinbar ist. Die von Gesell tatsächlich vorgeschlagene Gebühr war 1 Promille pro Woche, gleich 5,2 % im Jahr. Dies würde unter bestehenden Verhältnissen zu hoch sein, aber die richtige Zahl, die von Zeit zu Zeit geändert werden müßte, könnte nur durch Versuch und Irrtum erreicht werden. Der hinter dem gestempelten Geld liegende Gedanke ist verständig. Es ist in der Tat möglich, daß Mittel gefunden werden könnten, um ihn in bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeit anzuwenden. Aber es bestehen viele Schwierigkeiten, auf die Gesell nicht gefaßt war. Insbesondere war er sich nicht bewußt, daß das Geld nicht einzigartig darin ist, daß ihm eine Liquiditätsprämie anhaftet, sondern in dieser Beziehung nur im Grad von vielen anderen Waren abweicht, und daß seine Bedeutung daher rührt, daß es eine größere Liquiditätsprämie als irgendeine andere Ware hat. Wenn den Banknoten somit durch das Stempelsystem ihre Liquiditätsprämie genommen würde, würde eine lange Reihe von Ersatzmitteln in ihre Fußstapfen treten – Giralgeld, täglich fällige Einlagen, ausländisches Geld, Juwelen und die Edelmetalle im allgemeinen und so weiter. Wie ich oben erwähnt habe, hat es Zeiten gegeben, in denen wahrscheinlich die Begierde nach dem Besitz von Land, ohne Rücksicht auf seinen Ertrag, dazu beigetragen hat, den Zinssatz hoch zu halten; – freilich wäre nach Gesells System diese Möglichkeit durch die Verstaatlichung des Landes ausgeschaltet worden.
VII. Die Theorien, die wir oben untersucht haben, richten sich im Kern auf den Bestandteil der effektiven Nachfrage, der von der Zulänglichkeit der Anreize zu Investitionen abhängig ist. Es ist jedoch nichts Neues, die Übel der Arbeitslosigkeit der Unzulänglichkeit des anderen Bestandteiles zuzuschreiben, nämlich der Unzulänglichkeit der Konsumneigung. Aber diese bei den klassischen Ökonomen ebenso unbeliebte
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alternative Erklärung der wirtschaftlichen Übel der Zeit spielte im Denken des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts eine viel geringere Rolle und hat nur in verhältnismäßig neueren Zeiten Kraft gewonnen. Obschon Klagen über Unterkonsumption eine sehr untergeordnete Seite merkantilistischen Denkens waren, führt Professor Heckscher eine Anzahl von Beispielen dessen auf, was er „den tief verwurzelten Glauben an den Nutzen des Luxus und das Übel der Sparsamkeit“ nennt. „Sparsamkeit wurde in der Tat als die Ursache der Arbeitslosigkeit betrachtet, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil angenommen wurde, daß das Realeinkommen um den Geldbetrag vermindert wurde, der nicht in den Tauschverkehr einging, und zweitens, weil angenommen wurde, daß Ersparnis dem Umlauf Geld entzieht30.“ 1598 griff Laffemas (Les Trésors et richesses pour mettre l’Estat en Splendeur) die Gegner der Verwendung französischer Seide an, mit der Begründung, daß alle Käufer französischer Luxuswaren ein Auskommen für die Armen schufen, während der Geizhals sie im Elend sterben ließ31. 1662 verteidigte Petty „Unterhaltungen, prächtige Veranstaltungen, Triumphbögen usw.“ mit der Begründung, daß ihre Kosten in die Taschen der Brauer, Bäcker, Schneider, Schuhmacher und so fort zurückflössen. Fortrey verteidigte „übermäßigen Aufwand an Kleidern“. Von Schrötter (1686) mißbilligte Aufwandsregulierungen und erklärte, daß er den Aufwand an Kleidern und dergleichen gern noch größer sehen würde. Barbon (1690) schrieb, daß „Verschwendung ein Laster ist, das für den Menschen nachteilig ist, aber nicht für den Handel . . . Geiz ist ein Laster, das sowohl für den Menschen als auch für den Handel nachteilig ist32“. 1695 legte Cary dar, daß, wenn jeder mehr ausgeben würde, alle höhere Einkommen erhalten würden „und dann besser leben könnten33“. Aber die Ansicht Barbons wurde hauptsächlich durch Bernard Mandevilles Bienenfabel volkstümlich ein Buch, das durch die anklageerhebende Jury von Middlesex 1723 als anstößig beurteilt wurde, und das in der Geschichte der moralischen Wissenschaften durch seinen skandalösen Ruf hervorragt. Man weiß nur von einem Mann zu berichten, der ein gutes Wort dafür eingelegt hat, nämlich Dr. Johnson, der erklärte, daß es ihn nicht verwirrte, sondern „ihm die Augen für das wirkliche Leben sehr weit öffnete“. Die bösartige Natur des Buches 30 31 32 33
Heckscher, op. cit. Vol. 2, S. 208. Op. cit. Vol. 2, S. 290. Op. cit. Vol. 2, S. 291. Op. cit. Vol. 2, S. 209.
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kann am besten durch Leslie Stephens Zusammenfassung im Dictionary of National Biography übermittelt werden:
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Mandeville verursachte großes Ärgernis durch dieses Buch, in welchem ein zynisches System der Moral durch geistreiche Paradoxa attraktiv gemacht wurde . . . Seine Doktrin, daß der Wohlstand durch Ausgaben, statt durch Ersparnis vermehrt wird, stimmte mit vielen geläufigen wirtschaftlichen Trugschlüssen überein, die noch nicht ausgemerzt sind34. Indem er mit den Asketen übereinstimmte, daß die menschlichen Verlangen im Wesentlichen böse sind und daher „private Laster“ erzeugen, und mit der allgemeinen Anschauung voraussetzte, daß Reichtum ein „öffentlicher Vorteil“ ist, zeigte er mühelos, daß jede Zivilisation die Entwicklung lasterhafter Neigungen in sich einschließt . . .
Der Text der Bienenfabel ist ein sinnbildliches Gedicht – „Der summende Bienenschwarm oder Schurken tugendhaft gemacht“, in welchem die große Bedrängnis eines wohlhabenden Gemeinwesens gezeigt wird, dessen Bewohner es sich alle plötzlich in den Kopf setzen, vom luxuriösen Leben abzulassen, und der Staat die Rüstungsausgaben einschränkt, der Ersparnis zu Liebe: Nicht mehr gilt’s jetzt als Ehrensache für einen, daß er Schulden mache. Ins Leihamt wandern die Livreen, Spottbillig zum Verkaufe stehen Jetzt Villen, dazu Pferd und Wagen, Denn man wünscht Schulden abzutragen. Gespart wird tüchtig jetzt; nicht mehr Hält man in Feindesland ein Heer. Man lacht der Achtung fremder Staaten, Des eitlen Ruhms durch Waffentaten, Und wagt allein des Kriegs Gefahren, Um Freiheit oder Recht zu wahren.
Die stolze Chloe: Sie schränkt sich in der Küche ein Und trägt ein Kleid aus grobem Lein.
Und was ist das Ergebnis? – Wie das Gewerbe nun gedeiht Bei unsrer Bienen Ehrlichkeit, Drauf achte man: Fort ist die Pracht, Verändert alles über Nacht. Denn nicht bloß, die das Geld in Massen Ausgaben, hatten bald verlassen Den Stock; auch jene gehen in Scharen, Die auf sie angewiesen waren; 34 In seiner History of English Thought in the Eighteenth Century schrieb Stephen (S. 297), als er von dem „von Mandeville berühmt gemachten Trugschluß“ sprach, „daß dessen völlige Widerlegung in der Doktrin liegt – die so selten verstanden wird, daß ihr vollständiges Verständnis vielleicht der beste Test für einen Ökonomen ist –, daß Nachfrage nach Waren nicht Nachfrage nach Arbeit ist“.
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Da alles überfüllt, ist’s ihnen Unmöglich, etwas zu verdienen. Der Preis von Land und Häusern fiel. Die Prachtpaläste, die beim Spiel Man aufgebaut, gleich Thebens Mauern, Sind „zu vermieten“ . . . Der Baubetrieb ist ganz gestört, Jedwede Kunst hat aufgehört. Nicht Maler werden mehr bekannt, Steinschneider, Schnitzer nicht genannt.
„Die Moral“ daher ist: – Mit Tugend bloß kommt man nicht weit; Wer wünscht, daß eine goldne Zeit Zurückkehrt, sollte nicht vergessen: Man mußte damals Eicheln essen35.
Zwei Auszüge aus dem Kommentar, der dem Sinngedicht folgt, zeigen, daß das Obige nicht ohne theoretische Grundlage war: Da dieses vorsichtige Wirtschaften, das von einigen Ersparnis genannt wird, in privaten Familien die sicherste Methode ist, ein Vermögen zu vergrößern, so glauben einige, daß gleichgültig, ob ein Land unfruchtbar oder ergiebig ist, die gleiche Methode, falls allgemein verfolgt (was sie als durchführbar erachten), die gleiche Wirkung auf ein ganzes Land haben wird, und daß zum Beispiel die Engländer viel reicher sein könnten, als sie es sind, wenn sie so genügsam wie einige ihrer Nachbarn wären; dies ist nach meiner Ansicht ein Irrtum36.
Mandeville folgert im Gegenteil: Die große Kunst, ein Land glücklich und, was wir florierend nennen, zu machen, besteht darin, jedem eine Gelegenheit zu geben, beschäftigt zu werden. Um dies zustandezubringen, sei die erste Sorge der Regierung, eine möglichst große Zahl verschiedener Fabrikationen, Künste und Handwerke zu fördern, die der menschliche Geist erdenken kann; und die zweite, Landwirtschaft und Fischerei in allen ihren Zweigen zu ermutigen, daß sowohl die ganze Erde wie auch der Mensch gezwungen wird, sich anzustrengen. Größe und Glück der Nationen müssen von dieser Politik erwartet werden, und nicht von den kleinlichen Verfügungen über Verschwendung und Sparsamkeit. Denn der Wert von Gold und Silber mag steigen oder fallen, der Genuß aller Gesellschaften wird immer von den Früchten der Erde und der Arbeit der Bevölkerung abhängen, die, zusammengefügt, ein sicherer und unerschöpflicherer und wirklicherer Schatz sind, als das Gold von Brasilien oder das Silber von Potosi.
Kein Wunder, daß solche bösartigen Gedanken den Schimpf der Moralisten und Ökonomen zweier Jahrhunderte auf sich zogen, die sich viel Mandevilles Bienenfabel, herausgegeben von Otto Bobertag. Vergleiche Adam Smith, den Vorläufer der klassischen Schule, der schrieb: „Was Klugheit im Verhalten jeder privaten Familie ist, kann kaum Torheit im Verhalten eines großen Königreiches sein“ – wahrscheinlich in bezug auf die obige Stelle von Mandeville. 35 36
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tugendhafter fühlten im Besitz ihrer strengen Doktrin, daß kein sicheres Heilmittel zu entdecken sei, ausgenommen in der äußersten Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, sowohl des Einzelnen als auch des Staates. Pettys „Unterhaltungen, prächtige Veranstaltungen, Triumphbögen usw.“ machten der Pennyweisheit von Gladstone’s Finanzgebaren und einem Staatssystem Platz, das sich keine Spitäler, offene Plätze, vornehme Gebäude, nicht einmal die Erhaltung ihrer alten Denkmäler „leisten“ konnte, und noch viel weniger den Glanz der Musik und des Schauspiels, die alle der privaten Wohltätigkeit und Großherzigkeit sorgloser Individuen überlassen wurden. Die Doktrin kam in angesehenen Kreisen während eines weiteren Jahrhunderts nicht wieder zum Vorschein, bis in der späteren Phase von Malthus die Vorstellung der Unzulänglichkeit der effektiven Nachfrage einen bestimmten Platz als eine wissenschaftliche Erklärung der Arbeitslosigkeit erhält. Da ich mich hiermit bereits ziemlich ausführlich in meinem Essay über Malthus37 beschäftigt habe, wird es genügen, wenn ich hier eine oder zwei kennzeichnende Stellen wiederhole, die ich bereits in meinem Essay angeführt habe:
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Wir sehen fast in jedem Teil der Welt umfangreiche Produktivkräfte, die nicht in Tätigkeit gesetzt werden, und ich erkläre diese Erscheinung dadurch, daß in Ermangelung einer richtigen Verteilung der tatsächlichen Produktion keine hinreichenden Beweggründe für eine fortlaufende Erzeugung geschaffen werden . . . Ich behaupte ausdrücklich, daß ein Versuch, sehr rasch zu akkumulieren, was notwendigerweise eine starke Verminderung des unproduktiven Verbrauches bedingt, eine große Schwächung der üblichen Beweggründe der Erzeugung verursachen und folglich vorzeitig das Wachstum des Reichtums hemmen muß . . . Wenn es aber richtig ist, daß ein Versuch, sehr rasch zu akkumulieren, eine solche Verteilung zwischen Arbeit und Gewinn verursachen wird, daß sowohl der Beweggrund als auch die Möglichkeit einer weiteren Akkumulation und folglich die Möglichkeit, eine zunehmende Bevölkerung zu erhalten und zu beschäftigen, zerstört wird, muß dann nicht anerkannt werden, daß ein solcher Versuch, zu akkumulieren oder zu viel zu sparen, tatsächlich einem Lande nachteilig sein kann38? Die Frage ist, ob diese Stagnation des Kapitals und die nachfolgende Stagnation der Nachfrage nach Arbeitskräften, die sich aus einer vermehrten Erzeugung ohne einen angemessenen Teil unproduktiven Verbrauches seitens der Grundbesitzer und Kapitalisten ergibt, ohne Nachteil für das Land stattfinden konnte, ohne einen geringeren Grad von Glück und Reichtum zu verursachen, als es der Fall gewesen wäre, wenn der unproduktive Verbrauch der Grundbesitzer und Kapitalisten in ein derartiges Verhältnis zum natürlichen Überschuß der Gesellschaft gebracht worden wäre, daß die Beweggründe der 37 38
Essays on Biography, S. 139–147. Ein Brief von Malthus an Ricardo vom 7. Juli 1821.
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Erzeugung ohne Unterbrechung angedauert, und zuerst eine unnatürliche Nachfrage nach Arbeitskräften und dann eine notwendige und plötzliche Verminderung dieser Nachfrage verhindert hätten. Aber wenn dem so ist, wie kann dann wahrheitsgemäß gesagt werden, daß Sparsamkeit, obschon sie nachteilig für die Erzeuger sein kann, nicht nachteilig für den Staat sein kann, oder daß eine Zunahme unproduktiven Verbrauches unter den Grundbesitzern und Kapitalisten manchmal nicht das geeignete Heilmittel für einen Zustand sein mag, in welchem die Beweggründe der Erzeugung versagen39? Adam Smith hat behauptet, daß Kapitalien durch Sparsamkeit vermehrt werden, daß jeder genügsame Mensch ein öffentlicher Wohltäter ist, und daß die Zunahme des Reichtums sich auf den Überschuß der Produktion über den Verbrauch stützt. Daß diese Behauptungen in einem großen Maße richtig sind, kann nicht in Frage gestellt werden . . . Aber es ist ganz offensichtlich, daß sie nicht in einem unendlichen Maße richtig sind, und daß die Grundsätze der Ersparnis, bis zum Übermaß getrieben, den Beweggrund der Erzeugung zerstören würden. Wenn jeder Mensch mit der einfachsten Nahrung, der geringsten Kleidung und den armseligsten Häusern zufrieden wäre, ist es gewiß, daß es dann keine andere Art von Nahrung, Kleidern und Behausung geben würde . . . Die zwei Extreme sind offensichtlich; und es folgt, daß es irgendeinen mittleren Punkt geben muß, obschon die Mittel der politischen Ökonomie nicht in der Lage sein mögen, ihn festzustellen, wo in Anbetracht sowohl der Kraft, zu erzeugen, als auch des Willens, zu verbrauchen, der Antrieb zur Vermehrung des Reichtums am größten ist40. Von allen von fähigen und erfinderischen Menschen vorgebrachten Ansichten, denen ich je begegnet bin, scheint mir die Ansicht von M. Say, die behauptet: un produit consommé ou détruit est un débouché fermé (I. i.ch.15)41 jene zu sein, die der richtigen Theorie am unmittelbarsten entgegengesetzt ist und die der Erfahrung am einheitlichsten widerspricht. Und doch ergibt sich unmittelbar aus der neuen Doktrin, daß Waren nur in ihrer Beziehung zueinander betrachtet werden müssen – und nicht in ihrer Beziehung zu den Verbrauchern. Was, würde ich fragen, würde mit der Nachfrage nach Waren geschehen, wenn jeder Verbrauch, mit Ausnahme von Brot und Wasser, während des nächsten halben Jahres eingestellt würde? Was für eine Anhäufung von Waren! Quels débouchés!42 Was für einen wunderbaren Markt würde dieses Ereignis verursachen43!
Ricardo jedoch war stocktaub gegenüber den Äußerungen von Malthus. Das letzte Echo der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist in John Stuart Mills Erörterung seiner Lohnfondstheorie zu finden44, Ein Brief von Malthus an Ricardo vom 16. Juli 1821. Vorwort zu Malthus’ Principles of Political Economy, S. 8, 9. 41 Ein konsumiertes oder vernichetes Produkt stellt einen verschlossenen Absatzmarkt dar (K / S). 42 Was für Absatzmärkte! (K / S). 43 Malthus’ Principles of Political Economy, S. 363, Fußnote. 44 J. S. Mill, Political Economy, Book I, chap. V. In Mummery and Hobson’s Physiology of Industry, S. 38 et seq., ist eine sehr wichtige und äußerst durchdringende Erörterung dieses Aspekts von Mills Theorie zu finden, und insbesondere seiner Doktrin (die Marshall in seiner sehr unbefriedigenden Erörterung der Lohnfondstheorie versuchte, wegzuerklären), daß „eine Nachfrage nach Waren keine Nachfrage nach Arbeit ist“. 39 40
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die nach seiner eigenen Ansicht eine wesentliche Rolle in seiner Verwerfung der späteren Phase von Malthus spielte, von deren Erörterungen umgeben er natürlich erzogen worden war. Mills Nachfolger verwarfen seine Lohnfondstheorie, übersahen aber die Tatsache, daß Mills Widerlegung von Malthus sich auf sie stützt. Ihre Methode war, das Problem aus dem corpus der Wirtschaftswissenschaften zu entlassen, nicht indem sie es lösten, sondern indem sie es nicht erwähnten. Es verschwand völlig aus den wissenschaftlichen Streitfragen. Mr. Cairncross, der kürzlich nach seinen Spuren unter den unbedeutenderen Ökonomen aus der victorianischen Zeit gesucht hat45, hat vielleicht noch weniger gefunden, als man hätte erwarten können46. Die Theorien der Unterkonsumption überwinterten bis zum Erscheinen von The Physiology of Industry von J. A. Hobson und A. F. Mummery, 1889, des ersten und bedeutsamsten vieler Bände, in denen sich Mr. Hobson während fast 50 Jahren mit unermüdlichem, aber fast vergeblichem Eifer und Mut gegen die Stellungen der Orthodoxie geworfen hat. Obschon es heute so vollständig vergessen ist, so bezeichnete die Veröffentlichung dieses Buches in einem gewissen Sinne doch eine Epoche im ökonomischen Denken47. The Physiology of Industry wurde in Zusammenarbeit mit A. F. Mummery geschrieben. Mr. Hobson erzählt wie folgt, wie es kam, daß dieses Buch geschrieben wurde48: Nicht eher als in der Mitte der achtziger Jahre begann meine wirtschaftliche Ketzerei Gestalt anzunehmen. Obschon der Feldzug von Henry George gegen den Landbesitz und die frühe Agitation verschiedener sozialistischer Gruppen gegen die sichtbare Unterdrückung der Arbeiterklassen, zusammen mit den Enthüllungen der beiden Booths über die Armut in London, einen tiefen Eindruck auf mich machten, zerstörten sie doch nicht meinen Glauben an die politische Ökonomie. Das kam durch etwas, das man einen zufälligen Kontakt nennen könnte. Während ich an einer Schule in Exeter lehrte, kam ich in persönliche Beziehung zu einem Geschäftsmann namens Mummery, damals und nachher als ein großer Bergsteiger bekannt, der einen anderen Aufstieg aufs Matterhorn entdeckt hatte und der 1895 bei einem Versuch, den berühmten Nanga Parbat im Himalaya zu ersteigen, ums Leben kam. Ich brauche kaum zu sagen, daß meine Beziehung zu ihm nicht in dieser physischen Sphäre lag. „The Victorians and Investment“, Economic History, 1936. Fullartons Abhandlung On the Regulation of Currencies (1844) ist die interessanteste seiner Quellenangaben. 47 J. M. Robertsons The Fallacy of Saving 1892 veröffentlicht, unterstützte die Ketzerei von Mummery and Hobson. Aber es ist kein Buch von großem Wert oder Bedeutung, da ihm die durchdringenden Eingebungen von The Physiology of Industry völlig abgehen. 48 In einer vor der London Ethical Society in the Conway Hall, Sonntag, 14. Juli 1935, unter dem Titel „Confessions of an Economic Heretic“ gehaltenen Ansprache Ich gebe sie hier mit der Erlaubnis von Mr. Hobson wieder. 45 46
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Aber er war auch ein geistiger Höhenbezwinger, mit einem natürlichen Sinn für einen Weg seiner eigenen Entdeckung und einer erhabenen Mißachtung intellektueller Autorität. Dieser Mann verwickelte mich in eine Auseinandersetzung über übermäßige Ersparnis, die er als verantwortlich für die Unterbeschäftigung des Kapitals und der Arbeit in Zeiten schlechten Geschäftsganges betrachtete. Lange versuchte ich, seinen Argumenten mit der Anwendung der orthodoxen ökonomischen Waffen zu begegnen. Aber nach längerer Zeit überzeugte er mich, und ich kam mit ihm überein, das Überersparnisargument in einem Buch mit dem Titel The Physiology of Industry auszuarbeiten, das 1889 veröffentlicht wurde. Dies war der erste offene Schritt in meiner ketzerischen Laufbahn, und ich war mir nicht im geringsten seiner bedeutsamen Folgen bewußt. Denn gerade damals hatte ich meine Schullehrerstelle aufgegeben und verlegte mich auf einen neuen Arbeitszweig als Volkshochschullehrer in Ökonomie und Literatur. Der erste Schlag kam in einer Verweigerung der Londoner Volkshochschulverwaltung, mir zu erlauben, Vorlesungen über Nationalökonomie zu halten. Dies, erfuhr ich, war auf den Einspruch eines Ökonomieprofessors zurückzuführen, der mein Buch gelesen hatte und es in bezug auf seinen Vernunftgehalt als gleichbedeutend mit einem Versuch ansah zu beweisen, die Erde sei eine Scheibe. Wie könnte es eine Grenze des Betrages nützlicher Ersparnis geben, wenn jeder Posten der Ersparnis dazu verwendet würde, das Kapitalgefüge und den Fonds zur Bezahlung von Löhnen zu vermehren? Gesunde Ökonomen könnten nicht umhin, mit Entsetzen ein Argument zu betrachten, das versuchte, die Quelle allen industriellen Fortschrittes aufzuhalten49. Eine weitere interessante persönliche Erfahrung trug dazu bei, mir die Bedeutung meiner Missetat klarzumachen. Obschon mir nicht erlaubt war, in London Vorlesungen über Wirtschaftslehre zu halten, war es mir durch die größere Liberalität der Oxforder Volkshochschulbewegung estattet, Vorträge in den Provinzen zu halten, unter der Bedingung, daß ich mich auf praktische Fragen über das Leben der Arbeiterklasse beschränkte. Es traf sich nun zu dieser Zeit, daß die „Charity Organisation Society“ eine Vortragstour über wirtschaftliche Gegenstände plante und mich einlud, eine Reihe von Vorlesungen vorzubereiten. Ich hatte eingewilligt, diese neuen Vorlesungen zu übernehmen, als plötzlich und ohne Erklärung die Einladung zurückgezogen wurde. Selbst dann wurde es mir kaum bewußt, daß ich durch die Infragestellung der Tugend unbegrenzter Sparsamkeit eine unverzeihliche Sünde begangen hatte.
In diesem frühen Werk drückte sich Mr. Hobson mit seinem Mitarbeiter mit unmittelbarerer Bezugnahme auf die klassische Ökonomie (in der er erzogen worden war) aus als in seinen späteren Schriften; und aus diesem Grunde, und weil es der erste Ausdruck seiner Theorie ist, will 49 Hobson hatte in The Physiology of Industry S. 26 respektlos geschrieben: „Ersparnis ist eine Quelle nationalen Reichtums, und je sparsamer eine Nation ist, desto reicher wird sie. Das ist die allgemeine Lehre fast aller Ökonomen; viele von ihnen nehmen einen Ton moralischer Würde an, wenn sie den unendlichen Segen der Sparsamkeit verkünden; dies ist die einzige Note ihres ganzen langweiligen Liedes, die in den Ohren des Publikums Gehör gefunden hat.“
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Sechstes Buch: Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
ich daraus zitieren, um zu zeigen, wie bedeutend und wohlbegründet die Einwände und Intuitionen der Autoren waren. In ihrem Vorwort legen sie das Wesen der Folgerungen, die sie angreifen, wie folgt dar:
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Ersparnis macht das Gemeinwesen und den Einzelnen reicher, und Ausgabe macht sie ärmer, und es kann allgemein als eine feste Behauptung bezeichnet werden, daß die wirksame Liebe zum Geld die Wurzel alles wirtschaftlich Guten ist. Nicht nur bereichert sie den sparsamen Einzelnen selber, sondern sie erhöht die Löhne, gibt den Arbeitslosen Beschäftigung und verbreitet Segen auf allen Seiten. Von den Tageszeitungen bis zur jüngsten wirtschaftlichen Abhandlung, von der Kanzel bis zum Unterhaus wird dieser Schluß wiederholt und von neuem behauptet, bis es schlechterdings gottlos zu sein scheint, ihn in Frage zu stellen. Und doch hat die gebildete Welt, unterstützt durch die Mehrheit der wirtschaftlichen Denker, diese Doktrin bis zur Veröffentlichung von Ricardos Werk eifrigst verneint, und ihre endgültige Annahme war ausschließlich darauf zurückzuführen, daß sie der nun gründlich widerlegten Lohnfondstheorie nicht zu begegnen wußten. Daß die Folgerung das Argument überlebt hat, auf dem es logisch beruhte, kann nur durch die beherrschende Autorität der großen Männer erklärt werden, die sie verfochten. Wirtschaftliche Kritiker haben es gewagt, die Theorie im einzelnen anzugreifen, aber sie sind davor zurückgeschreckt, ihre Hauptfolgerungen anzutasten. Unser Ziel ist, zu zeigen, daß diese Folgerungen nicht haltbar sind, daß eine übermäßige Ausübung der Gewohnheit zu sparen möglich ist, und daß eine solche übermäßige Ausübung das Gemeinwesen ärmer macht, Arbeiter außer Arbeit setzt, Löhne hinuntertreibt und jenen Trübsinn und jene Niedergeschlagenheit durch die kaufmännische Welt verbreitet, die als Handelsdepression bekannt ist . . . Der Zweck der Erzeugung ist die Versorgung der Verbraucher mit „nützlichen Gegenständen und Annehmlichkeiten“, und der Vorgang läuft ununterbrochen von der ersten Behandlung des Rohstoffes bis zu dem Augenblick, wenn er schließlich als ein nützlicher Gegenstand oder eine Annehmlichkeit verbraucht wird. Da der einzige Nutzen des Kapitals darin besteht, die Erzeugung dieser nützlichen Gegenstände und Annehmlichkeiten zu unterstützen, wird die verwendete Gesamtmenge notwendigerweise mit der Gesamtheit der täglich oder wöchentlich verbrauchten nützlichen Gegenstände und Annehmlichkeiten schwanken. Während die Ersparnis nun das bestehende Gesamtkapital vermehrt, vermindert sie aber gleichzeitig die Menge der verbrauchten nützlichen Gegenstände und Annehmlichkeiten; und eine übermäßige Ausübung dieser Neigung muß daher eine Anhäufung von Kapital verursachen, über das hinaus, was für den Gebrauch erforderlich ist, und dieser Überschuß wird in der Form einer allgemeinen Überproduktion bestehen50.
Im letzten Satz dieser Stelle zeigt sich der Ursprung von Hobsons Irrtum, nämlich seine Annahme, daß die überschüssige Ersparnis eine tatsächliche überschüssige Akkumulation von Kapital verursacht, was tatsächlich ein untergeordnetes Übel ist, das nur durch Fehler in der Voraus50
Hobson and Mummery, Physiology of Industry, pp. III–V.
23. Kap.: Bemerkungen über den Merkantilismus
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sicht vorkommt; während das hauptsächliche Übel eine Neigung ist, in Zuständen der Vollbeschäftigung mehr als das Äquivalent des erforderlichen Kapitals zu sparen, wodurch Vollbeschäftigung verhindert wird, ausgenommen, wenn ein Fehler in der Voraussicht gemacht wird. Eine oder zwei Seiten später stellt er aber eine Hälfte des Gegenstandes, wie mir scheint, mit absoluter Genauigkeit dar, obschon er immer noch die mögliche Rolle von Änderungen im Zinssatz und im Zustand des geschäftlichen Vertrauens übersieht, Faktoren, die er vermutlich als gegeben voraussetzt:
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Wir werden somit zu der Folgerung gebracht, daß die Grundlage, auf der alle wirtschaftlichen Lehren seit Adam Smith beruhten, nämlich, daß die jährlich erzeugte Menge durch die Gesamtheit der verfügbaren Naturkräfte, Kapital und Arbeit bestimmt wird, irrtümlich ist, und daß im Gegenteil die erzeugte Menge die ihr durch diese Aggregate auferlegten Grenzen zwar nie überschreiten kann, aber durch die Hemmung einer übermäßigen Ersparnis und der sich ergebenden Akkumulation des Überangebotes auf die Erzeugung, doch weit unter dieses Höchstmaß vermindert werden kann und tatsächlich vermindert wird; das heißt: In normalen Zeiten moderner Industriegesellschaften begrenzt der Verbrauch die Erzeugung und nicht die Erzeugung den Verbrauch51.
Schließlich beachtet er die Tragweite dieser Theorie für die Gültigkeit der orthodoxen Freihandelsargumente: Wir stellen auch fest, daß die Anschuldigung kaufmännischer Dummheit, die so leichthin von den orthodoxen Ökonomen gegen unsere amerikanischen Vettern und andere Schutzzollgemeinwesen vorgebracht wird, nicht länger durch irgendwelche der bisher vorgebrachten Freihandelsargumente aufrecht erhalten werden kann, da sie sich alle auf die Voraussetzung stützen, daß es kein Überangebot geben kann52.
Die nachfolgende Beweisführung ist, zugegebenerweise, unvollständig. Aber sie ist die erste ausdrückliche Darstellung der Tatsache, daß Kapital nicht durch Sparneigung geschaffen wird, sondern in Antwort auf die Nachfrage, die sich aus dem tatsächlichen und dem voraussichtlichen Verbrauch ergibt. Die folgende Zitatensammlung zeigt den Gedankengang an: Es sollte klar sein, daß das Kapital eines Gemeinwesens nicht mit Vorteil vermehrt werden kann, ohne eine nachfolgende Zunahme im Verbrauch von Waren . . . Jede Zunahme in der Ersparnis und im Kapital erfordert, um wirksam zu sein, eine entsprechende Zunahme im unmittelbar zukünftigen Verbrauch53 . . . Und wenn wir zukünftigen Verbrauch sagen, beziehen wir uns nicht auf eine Zukunft von zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren, sondern auf eine Zukunft, die nur wenig von der Gegenwart entfernt ist . . . Wenn vermehrte Sparsamkeit oder Vorsicht die Bevölkerung veranlaßt, mehr 51 52
Hobson and Mummery, Physiology of Industry, S. VI. 53 Op. cit. S. 27. Op. cit. S. IX.
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Sechstes Buch: Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
in der Gegenwart zu sparen, muß sie einwilligen, mehr in der Zukunft zu verbrauchen54 . . . Es kann nicht mehr Kapital an irgendeinem Punkt im Erzeugungsvorgang wirtschaftlich bestehen, als erforderlich ist, um Güter für das laufende Verbrauchsvolumen zu liefern55. . . Es ist klar, daß meine Sparsamkeit in keiner Weise die gesamte wirtschaftliche Sparsamkeit des Gemeinwesens berührt, sondern nur bestimmt, ob ein besonderer Teil der gesamten Sparsamkeit durch mich selber oder durch jemand anders ausgeübt worden sein soll. Wir werden zeigen, wie die Sparsamkeit eines Teiles des Gemeinwesens die Macht hat, einen anderen Teil zu zwingen, über sein Einkommen zu leben56. . . Die meisten modernen Ökonomen bestreiten, daß der Verbrauch irgendwie ungenügend sein könnte. Können wir irgendeine wirtschaftliche Kraft am Werke finden, die ein Gemeinwesen zu diesem Exzeß antreiben könnte, und wenn solche Kräfte bestehen, werden dann durch den Handelsmechanismus nicht wirksame Hemmungen geschaffen? Es wird gezeigt werden, erstens, daß in jeder hochorganisierten Industriegesellschaft beständig eine Kraft tätig ist, die auf natürliche Weise eine Veranlassung zu übermäßiger Sparsamkeit bewirkt; zweitens, daß die angeblich vom Handelsmechanismus geschaffenen Hemmungen entweder völlig unwirksam oder ungenügend sind, um schweren kaufmännischen Schaden zu verhindern57. . . Die kurze Antwort, die Ricardo auf die Behauptungen von Malthus und Chalmers gab, scheint von den meisten späteren Ökonomen als genügend angenommen worden zu sein. „Erzeugnisse werden immer durch Erzeugnisse oder durch Dienstleistungen gekauft; Geld ist nur das Mittel, durch das der Tausch bewerkstelligt werden wird. Da die vermehrte Produktion folglich immer von einer entsprechend vermehrten Fähigkeit, zu erwerben und zu verbrauchen, begleitet ist, kann es keine Überproduktion geben“. (Ricardo, Princ. of Pol. Econ. S. 36258.)
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Hobson und Mummery waren sich bewußt, daß der Zins weiter nichts als die Bezahlung für den Gebrauch von Geld ist59. Sie wußten auch sehr wohl, daß ihre Gegner behaupten würden, daß es „ein solches Fallen im Zinssatz (oder Gewinn) geben wird, daß es die Ersparnis hemmen und das richtige Verhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch wiederherstellen wird60“. Als Antwort heben sie hervor, daß „wenn ein Rückgang des Gewinns die Bevölkerung veranlassen soll, weniger zu sparen, er in einer von zwei Arten wirken muß; entweder muß er sie veranlassen, mehr auszugeben, oder er muß sie veranlassen, weniger zu erzeugen61. In bezug auf die erstere Möglichkeit legen sie dar, daß, wenn die Gewinne fallen, das Gesamteinkommen des Gemeinwesens vermindert wird, und „wir können nicht annehmen, daß, wenn das Durchschnittsniveau der Einkommen fällt, die Einzelnen veranlaßt sein werden, ihren Verbrauch zu vermehren, weil die Prämie auf Ersparnis entsprechend vermindert wird“. In bezug auf die zweite Mög54 58
Op. cit. S. 50, 51. Op. cit. S. 101.
55 59
Op. cit. S. 69. Op. cit. S. 79.
56 60
Op. cit. S. 113. Op. cit. S. 177.
57 61
Op. cit. S. 100. Op. cit. S. 130.
23. Kap.: Bemerkungen über den Merkantilismus
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lichkeit erklären sie: „Es ist so weit von unserer Absicht entfernt, zu bestreiten, daß ein Fallen des Gewinns als Folge von Überangebot die Erzeugung hemmen wird, daß das Eingeständnis der Wirkung dieser Hemmung den eigentlichen Mittelpunkt unserer Beweisführung bildet62.“ Ihre Theorie war aber trotzdem nicht vollständig, hauptsächlich weil sie keine unabhängige Zinstheorie hatten; mit der Folge, daß Mr. Hobson zu viel Gewicht (besonders in seinen späteren Büchern) auf Unterkonsumption legte, die zu Überinvestitionen im Sinne nicht profitabler Investitionen führte, statt zu erklären, daß eine verhältnismäßig schwache Konsumneigung dadurch dazu beiträgt, Arbeitslosigkeit zu verursachen, daß sie die Begleitung durch eine ausgleichende Menge neuer Investitionen erfordert, aber nicht erhält. Vorübergehend mag zwar eine solche ausgleichende Menge neuer Investitionen als Folge von übermäßigem Optimismus vorkommen, aber im allgemeinen wird sie doch durch das Fallen des voraussichtlichen Gewinnes unter den vom Zinssatz gesetzten Standard daran verhindert werden, sich überhaupt zu ereignen. Seit dem Kriege hat es eine Flut ketzerischer Theorien der Unterkonsumption gegeben, deren berühmteste jene von Major Douglas sind. Die Kraft von Major Douglas’ Beweisführung beruhte natürlich großenteils darauf, daß die orthodoxe Schule auf vieles seiner vernichtenden Kritik keine ausreichende Antwort hatte. Andererseits schließen die Einzelheiten seiner Diagnose, insbesondere der sogenannte A + B-Lehrsatz, vieles ein, was bloße Mystifikation ist. Wenn Major Douglas seine B-Posten auf die von Unternehmern gemachten finanziellen Vorkehrungen beschränkt hätte, denen kein laufender Verbrauch für Ersatz und Erneuerungen entspricht, wäre er der Wahrheit näher gekommen. Aber selbst in jenem Fall ist es notwendig, die Möglichkeit in Berücksichtigung zu ziehen, daß diese Vorkehrungen durch neue Investitionen in anderen Richtungen, wie auch durch vermehrte Ausgaben für den Verbrauch, ausgeglichen werden. Major Douglas kann für sich in Anspruch nehmen, daß er, im Gegensatz zu einigen seiner orthodoxen Gegner, das hervorstechende Problem unserer wirtschaftlichen Ordnung wenigstens nicht völlig außer acht gelassen hat. Jedoch hat er kaum einen Anspruch auf den gleichen Rang – vielleicht als gemeiner Soldat, aber nicht als Major in der tapferen Armee der Ketzer – wie Mandeville, Malthus, Gesell und Hobson, die, indem sie ihrer Intuition folgten, es vorzogen, lieber die Wahrheit unklar und unvollständig zu sehen, als Irrtum aufrechtzuerhalten, der zwar mit Klarheit, Konsequenz und bequemer Logik erreicht wurde, aber doch auf Grund von Hypothesen, die den Tatsachen nicht angepaßt waren. 62
Op. cit. S. 131.
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Vierundzwanzigstes Kapitel
Schlußbetrachtungen über die Sozialphilosophie, zu der die Allgemeine Theorie führen könnte I. 372
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Die hervorstechenden Fehler der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, sind ihr Versagen, für Vollbeschäftigung zu sorgen, und ihre willkürliche und ungerechte Verteilung des Reichtums und der Einkommen. Die Beziehung der vorangehenden Theorie zum ersten dieser Fehler ist offensichtlich. Aber in zwei wichtigen Hinsichten ist sie auch für den zweiten bedeutsam. Seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts sind, besonders in Großbritannien, durch das Mittel direkter Besteuerung – Einkommensteuer, Steuerzuschlag und Erbschaftsteuer – signifikante Fortschritte auf dem Wege der Beseitigung großer Ungleichheiten von Reichtum und Einkommen gemacht worden. Viele würden es gerne sehen, wenn dieser Vorgang viel weiter geführt werden würde, aber sie werden von zwei Erwägungen zurückgehalten: einmal durch die Furcht, geschickte Steuerhinterziehungen allzu lohnend zu machen und außerdem die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken ungebührlich zu vermindern, aber hauptsächlich, denke ich, durch die Anschauung, daß das Wachstum des Kapitals von der Stärke der Motive zum individuellen Sparen abhängt und daß wir für einen großen Teil dieses Wachstums auf die Ersparnisse der Reichen aus ihrem Überfluß angewiesen sind. Unsere Beweisführung läßt die erste dieser Erwägungen unberührt. Aber sie kann unsere Einstellung zur zweiten beträchtlich ändern. Denn wir haben gesehen, daß bis zu dem Punkt, an dem Vollbeschäftigung vorherrscht, das Wachstum des Kapitals sich keineswegs auf eine niedrigere Konsumneigung stützt, sondern im Gegenteil von ihr zurückgehalten wird; und daß nur in Zuständen der Vollbeschäftigung eine niedrige Konsumneigung förderlich für das Wachstum von Kapital sein wird. Die Erfahrung weist überdies darauf hin, daß in den bestehenden Zuständen die Ersparnis von Institutionen und durch Tilgungsfonds mehr als angemessen ist und daß Maßnahmen zur Umverteilung der Einkommen in einer Art, die die Konsumneigung wahrscheinlich erhöhen wird, sich als günstig für das Wachstum von Kapital erweisen können.
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Die bestehende Verworrenheit der öffentlichen Meinung über den Gegenstand wird sehr gut durch die sehr gebräuchliche Ansicht illustriert, daß Erbschaftsteuern für eine Verminderung des Kapitalreichtums des Landes verantwortlich seien. Vorausgesetzt, daß der Staat den Erlös dieser Steuern für seine gewöhnlichen Ausgaben verwendet, so daß Steuern auf Einkommen und Verbrauch entsprechend vermindert oder vermieden werden, ist es natürlich richtig, daß eine Politik hoher Erbschaftsteuern die Wirkung hat, die Konsumneigung des Gemeinwesens zu vermehren. Insoweit aber eine Zunahme der gewohnheitsmäßigen Konsumneigung im allgemeinen (das heißt mit Ausnahme von Zuständen der Vollbeschäftigung) dazu dienen wird, gleichzeitig die Anreize zur Investition zu steigern, ist die gewöhnlich gezogene Folgerung das genaue Gegenteil der Wahrheit. Unsere Beweisführung führt uns somit zu der Folgerung, daß in den gegenwärtigen Zuständen das Wachstum von Reichtum, weit davon entfernt, von der Enthaltsamkeit der Reichen abhängig zu sein, wie gemeinhin angenommen wird, wahrscheinlicher von ihr behindert wird. Eine der hauptsächlichsten gesellschaftlichen Rechtfertigungen großer Ungleichheit des Reichtums ist daher beseitigt. Ich sage nicht, daß es keine anderen, von unserer Theorie unberührten Gründe gibt, die unter gewissen Umständen ein gewisses Maß von Ungleichheit rechtfertigen können. Unsere Theorie erledigt aber den wichtigsten der Gründe, warum wir es bis jetzt als ratsam erachtet haben, vorsichtig vorzugehen. Dies beeinflußt namentlich unsere Einstellung zu Erbschaftsteuern; denn es bestehen gewisse Rechtfertigungen für Ungleichheit der Einkommen, die sich nicht im gleichen Maße auf Ungleichheit von Erbschaften beziehen. Ich selber glaube, daß bedeutsame Ungleichheiten von Einkommen und Reichtum gesellschaftlich und psychologisch gerechtfertigt sind, aber nicht so große Ungleichheiten, wie sie heute bestehen. Es gibt wertvolle menschliche Betätigungen, die zu ihrer vollen Entfaltung das Motiv des Gelderwerbes und den Rahmen privaten Besitztums erfordern. Gefährliche menschliche Triebe können überdies durch Gelegenheiten für Gelderwerb und privaten Besitz in verhältnismäßig harmlose Kanäle abgeleitet werden, die, wenn sie nicht auf diese Art befriedigt werden können, einen Ausweg in Grausamkeit, in rücksichtsloser Verfolgung von persönlicher Macht und Autorität und anderen Formen von Selbsterhöhung finden könnten. Es ist besser, daß ein Mensch sein Bankguthaben tyrannisiert als seine Mitmenschen, und während das erstere gelegentlich als ein Mittel zum letzteren bezeichnet wird, ist
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Sechstes Buch: Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
es wenigstens gelegentlich eine andere Möglichkeit. Für die Anregung dieser Tätigkeiten und die Befriedigung dieser Triebe ist es aber nicht notwendig, daß das Spiel um so hohe Einsätze wie gegenwärtig gespielt wird. Erheblich niedrigere Einsätze werden dem Zweck ebenso sehr dienen, sobald sich die Spieler an sie gewöhnt haben. Die Aufgabe, die menschliche Natur umzugestalten, darf nicht mit der Aufgabe verwechselt werden, sie zu steuern. Obschon im idealen Staat die Menschen gelehrt, beeinflußt oder erzogen worden sein mögen, an den Einsätzen kein Interesse zu haben, mag es trotzdem weise und vorsichtige Staatskunst sein, das Spiel, nach Regeln und mit Begrenzungen, zuzulassen, solange der Durchschnittsmensch oder auch nur ein bedeutender Teil des Gemeinwesens der Leidenschaft des Gelderwerbs tatsächlich stark ergeben ist.
II.
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Aus unserer Beweisführung kann jedoch eine zweite, viel grundlegendere Folgerung abgeleitet werden, die für die Zukunft der Ungleichheiten von Reichtum von Gewicht ist; nämlich unsere Zinstheorie. Die Berechtigung für einen mäßig hohen Zinssatz wurde bisher in der Notwendigkeit gesehen, genügend Anreize zum Sparen zu schaffen. Wir haben aber gezeigt, daß das Maß effektiver Ersparnis notwendigerweise vom Investitionsvolumen bestimmt wird, und daß das Investitionsvolumen durch einen niedrigen Zinssatz gefördert wird, vorausgesetzt, daß wir nicht versuchen, es auf diese Weise über den Punkt anzuregen, der mit Vollbeschäftigung übereinstimmt. Es ist somit zu unserem besten Vorteil, den Zinssatz auf jenen Punkt im Verhältnis zur Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu senken, auf dem Vollbeschäftigung besteht. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Kriterium zu einem viel niedrigeren Zinssatz als bisher führen wird; und, soweit man aus den mit zunehmenden Beständen von Kapital übereinstimmenden Grenzleistungsfähigkeiten des Kapitals vermuten kann, wird der Zinssatz wahrscheinlich stetig fallen, wenn es möglich sein sollte, Bedingungen mehr oder weniger dauernder Vollbeschäftigung zu erhalten – es sei denn, daß eine übermäßige Änderung in der aggregierten Kosumneigung (unter Einschluß des Staates) eintritt. Ich bin überzeugt, daß die Nachfrage nach Kapital streng begrenzt ist, in dem Sinne, daß es nicht schwierig wäre, den Bestand an Kapital bis auf einen Punkt zu vermehren, auf dem seine Grenzleistungsfähigkeit auf einen sehr niedrigen Stand gefallen wäre. Dies würde nicht bedeuten, daß die Benutzung von Kapitalgütern sozusagen nichts kosten
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würde, sondern nur, daß der Ertrag aus ihnen nicht viel mehr als ihre Abnutzung durch Wertverminderung und Veraltung, zusammen mit einer gewissen Spanne für das Risiko und die Ausübung von Geschicklichkeit und Urteilsvermögen, zu decken haben würde. Kurz gesagt, der Gesamtertrag von dauerhaften Gütern während ihrer Lebensdauer würde, wie im Falle von Gütern von kurzer Dauer, gerade ihre Arbeitskosten der Erzeugung plus einer Entschädigung für das Risiko und die Kosten der Geschicklichkeit und Aufsicht decken. Obschon dieser Zustand nun sehr wohl mit einem gewissen Maß von Individualismus vereinbar wäre, würde er doch den sanften Tod des Rentiers bedeuten, und folglich den sanften Tod der kumulativen niederdrückenden Macht des Kapitalisten, den knappheitsbedingten Wert des Kapitals auszunutzen. Zinsen sind heute keine Belohnung für ein wirkliches Opfer, sowenig wie die Pachtzinsen von Land. Der Besitzer von Kapital kann Zinsen erhalten, weil das Kapital knapp ist, gerade wie der Besitzer von Land einen Pachtzins erhalten kann, weil das Land knapp ist. Aber während inhärente Gründe für die Knappheit von Land bestehen mögen, bestehen keine inhärenten Gründe für die Knappheit des Kapitals. Ein wahrer Grund für eine solche Knappheit im Sinne eines wirklichen Opfers, das nur durch das Angebot einer Entschädigung in der Form von Zinsen hervorgerufen werden könnte, würde auf lange Dauer nicht bestehen, ausgenommen, wenn sich die individuelle Konsumneigung als derart erweisen würde, daß die Nettoersparnis in Zuständen der Vollbeschäftigung zu einem Ende kommt, bevor das Kapital reichlich genug geworden ist. Aber selbst dann wird es immer noch möglich sein, die gesellschaftliche Ersparnis durch die Tätigkeit des Staates auf einem Niveau aufrechtzuerhalten, das das Wachstum des Kapitals bis auf den Punkt zulassen wird, auf dem es aufhört knapp zu sein. Ich betrachte daher die Rentierseite des Kapitalismus als eine vorübergehende Phase, die verschwinden wird, wenn sie ihre Arbeit getan hat. Und mit dem Verschwinden der Rentierseite wird noch vieles andere einen Gezeitenwechsel erfahren. Es wird überdies ein großer Vorteil der Ereignisabfolge sein, die ich befürworte, daß der sanfte Tod des Rentiers, des funktionslosen Investors, nichts Plötzliches sein wird, sondern nur eine allmähliche, aber verlängerte Fortsetzung dessen, was wir jüngst in Großbritannien gesehen haben, und keine Revolution erfordern wird. Wir könnten somit in der Wirklichkeit (und es liegt hierin nichts Unerreichbares) auf eine Vermehrung der Menge des Kapitals zielen, bis es aufhört knapp zu sein, so daß der funktionslose Investor nicht länger
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einen Bonus erhalten wird; und auf einen Plan direkter Besteuerung, der es ermöglicht, die Intelligenz, die Entschlossenheit und die Geschäftsführungsfähigkeiten des Finanziers, des Unternehmers et hoc genus omne (die ihr Gewerbe offenbar so gern haben, daß ihre Arbeit viel billiger als gegenwärtig erhältlich wäre) in den Dienst des Gemeinwesens zu einer angemessenen Entlohnung einzuspannen. Gleichzeitig müssen wir erkennen, daß nur die Erfahrung zeigen kann, inwieweit der gemeinsame Wille, verkörpert in der Politik des Staates, auf die Vermehrung und Ergänzung der Anreize zur Investition gerichtet werden sollte, und inwieweit es gefahrlos ist, die durchschnittliche Konsumneigung anzuregen, ohne auf unser Ziel zu verzichten, dem Kapital innerhalb einer oder zwei Generationen seinen Knappheitswert zu entziehen. Es mag sich ergeben, daß die Konsumneigung durch die Wirkungen eines fallenden Zinssatzes so leicht gestärkt werden kann, daß Vollbeschäftigung mit einer Rate der Akkumulation erreichbar ist, die nur wenig größer ist als gegenwärtig. In diesem Falle könnte ein Plan höherer Besteuerung der großen Einkommen und Erbschaften dem Einwand ausgesetzt sein, daß er zu Vollbeschäftigung führen würde mit einer Rate der Akkumulation, die beträchtlich unter dem gegenwärtigen Niveau wäre. Man darf mir nicht unterstellen, daß ich diese Möglichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit dieses Ergebnisses bestreite. Denn in solchen Sachen ist es voreilig, vorauszusagen, wie der durchschnittliche Mensch auf die veränderte Umgebung reagieren wird. Wenn es sich jedoch als leicht erweisen sollte, eine Annäherung an Vollbeschäftigung zu erreichen, mit einer Rate der Akkumulation, die nicht viel größer als gegenwärtig ist, wird wenigstens ein hervorstechendes Problem gelöst sein. Und es würde einer besonderen Entscheidung überlassen sein, zu bestimmen, auf welchem Niveau und durch welche Mittel es richtig und vernünftig ist, von der lebenden Generation zu fordern, ihren Verbrauch einzuschränken, um im Laufe der Zeit einen Zustand der Vollinvestition für ihre Nachfolger zu schaffen.
III.
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In einigen anderen Beziehungen ist die vorangehende Theorie in ihren Folgerungen gemäßigt konservativ. Denn während sie auf die lebenswichtige Bedeutung hinweist, gewisse zentrale Steuerungen in Angelegenheiten einzurichten, die jetzt in der Hauptsache der individuellen Initiative überlassen sind, gibt es doch weite Tätigkeitsbereiche, die unberührt bleiben. Der Staat wird einen leitenden Einfluß auf die Konsumneigung teilweise durch sein System der Besteuerung, teilweise durch die Festlegung des Zinssatzes und teilweise vielleicht durch andere Wege
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ausüben müssen. Ferner scheint es unwahrscheinlich, daß der Einfluß der Geldpolitik auf den Zinssatz für sich allein genügen wird, um ein optimales Volumen der Investitionen herbeizuführen. Ich denke mir daher, daß eine ziemlich umfassende gesellschaftliche Steuerung1 der Investitionen sich als das einzige Mittel zur Erreichung einer Annäherung an Vollbeschäftigung erweisen wird; obschon dies nicht alle Arten von Zwischenlösungen und Verfahren ausschließen muß, durch welche die staatliche Verwaltung mit der privaten Initiative zusammenarbeiten wird. Aber darüber hinaus wird keine offensichtliche Begründung für ein System des Staatssozialismus vorgebracht, das den größten Teil des wirtschaftlichen Lebens des Gemeinwesens umfassen würde. Es ist nicht der Besitz der Produktionsmittel, deren Aneignung wichtig für den Staat ist. Wenn der Staat die der Vermehrung dieser Güter gewidmete Gesamtmenge der Ressourcen und die grundlegende Rate der Belohnung an ihre Besitzer bestimmen kann, wird er alles erfüllt haben, was notwendig ist. Die notwendigen Maßnahmen der gesellschaftlichen Steuerung können überdies allmählich und ohne einen Bruch in den allgemeinen Traditionen der Gesellschaft eingeführt werden. Unsere Kritik der akzeptierten klassischen Wirtschaftstheorie bestand nicht so sehr darin, logische Fehler in ihrer Analyse zu finden, als hervorzuheben, daß ihre stillschweigenden Voraussetzungen selten oder nie erfüllt sind, mit der Folge, daß sie die wirtschaftlichen Probleme der wirklichen Welt nicht lösen kann. Wenn es aber unserer zentralen Steuerung gelingt, eine Gesamtmenge der Erzeugung durchzusetzen, die mit Vollbeschäftigung so nah als durchführbar übereinstimmt, wird die klassische Theorie von diesem Punkt an wieder zu ihrem Recht kommen. Wenn wir die Menge der Produktion als gegeben annehmen, das heißt als von Kräften außerhalb des klassischen Gedankensystems bestimmt, dann kann kein Einwand gegen die klassische Analyse erhoben werden über die Art, in der privates Selbstinteresse bestimmen wird, was im einzelnen erzeugt wird, in welchen Verhältnissen die Produktionsfaktoren kombiniert werden, um es zu erzeugen, und wie der Wert des endgültigen Erzeugnisses unter ihnen verteilt wird. Wenn wir wiederum das Problem der Sparsamkeit in anderer Weise behandelt haben, kann kein Einwand gegen die moderne klassische Theorie in bezug auf den Grad der Vereinbarkeit von privatem und öffentlichem Vorteil unter 1 Z. B. durch ein „Board of National Investment“, dessen Bildung Keynes 1928 im Rahmen seiner Mitarbeit an der Publikation „Britains Industrial Future“ durch die „Industrial Inquire Group“ der Liberalen Partei Großbritanniens (s. James Grotty, Was Keynes a Corporatist? Keynes’s Radical Views on Industrial Policy and Macro Policy in the 1920s) unterstützt hatte und das u. a. durch umfangreiche öffentliche Investitionen das Gesamtvolumen der Investitionen steuern sollte (K / S).
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Bedingungen des vollkommenen Wettbewerbes einerseits und des unvollkommenen andererseits erhoben werden. Von der Notwendigkeit zentraler Steuerung für die Herbeiführung eines Ausgleichs zwischen der Konsumneigung und den Anreizen zum Investieren abgesehen, besteht somit kein weiterer Grund für die gesellschaftliche Steuerung des wirtschaftlichen Lebens als zuvor. Um den Punkt konkret darzustellen: ich sehe keinen Grund anzunehmen, daß das bestehende System die in Gebrauch befindlichen Produktionsfaktoren ernstlich fehlbeschäftigt. Es kommen natürlich Fehler in der Voraussicht vor; aber diese würden durch eine Zentralisierung der Entscheidungen nicht vermieden werden. Wenn von 10.000.000 arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen 9.000.000 beschäftigt werden, liegen keine Beweise dafür vor, daß die Arbeit dieser 9.000.000 Menschen fehlgeleitet wird. Die Beschwerde gegen das gegenwärtige System ist nicht, daß diese 9.000.000 Menschen für andere Aufgaben beschäftigt werden sollten, sondern, daß Aufgaben für die übrigen 1.000.000 Menschen verfügbar sein sollten. Das bestehende System ist bei der Bestimmung der Menge und nicht bei der Ausrichtung der tatsächlichen Beschäftigung zusammengebrochen. Ich stimme somit mit Gesell überein, daß das Ergebnis des Ausfüllens der Lücken in der klassischen Theorie nicht darin besteht, das „Manchester System“ abzuschaffen, sondern die Natur der Umwelt anzugeben, die das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte erfordert, wenn es die vollen Möglichkeiten der Produktion verwirklichen soll. Die zentrale Steuerung, die für die Sicherung von Vollbeschäftigung erforderlich ist, bringt natürlich eine große Ausdehnung der traditionellen Aufgaben der Regierung mit sich. Außerdem hat die moderne klassische Theorie selbst die Aufmerksamkeit auf verschiedene Zustände gelenkt, in denen es notwendig sein mag, das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte zu zügeln oder zu leiten. Aber es wird immer noch ein weites Feld für die Ausübung der privaten Initiative und Verantwortung verbleiben. Innerhalb dieses Feldes werden die traditionellen Vorteile des Individualismus immer noch Geltung haben. Halten wir einen Augenblick ein, um uns daran zu erinnern, was diese Vorteile sind. Sie sind teilweise Vorteile der Effizienz – die Vorteile der Dezentralisation und des Spieles des Eigennutzes. Die Steigerung der Effizienz, die sich aus der Dezentralisierung der Entscheidungen und der individuellen Verantwortung ergibt, ist vielleicht noch größer, als das neunzehnte Jahrhundert annahm; und die Gegenbewegung, die dem Appell an den Eigennutz folgte, mag zu weit gegangen sein. Vor allem aber ist der Individualismus, wenn er von seinen Mängeln und Miß-
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bräuchen gereinigt werden kann, die beste Gewähr der persönlichen Freiheit, in dem Sinne, daß er im Vergleich zu jedem anderen System das Feld für die Ausübung der persönlichen Wahl stark erweitert. Er ist auch die beste Gewähr für die Vielseitigkeit des Lebens, die gerade aus diesem weiten Feld der persönlichen Wahl hervorgeht, und deren Verlust der größte aller Verluste in einem homogenen oder totalen Staat ist. Denn diese Vielseitigkeit bewahrt die Traditionen, welche die sichersten und erfolgreichsten Entscheidungen der früheren Generationen einschließen; sie färbt die Gegenwart mit der Abwechslung ihrer Phantasie; und da sie sowohl die Magd der Erfahrung als auch der Tradition und der Phantasie ist, ist sie das mächtigste Mittel, um die Zukunft zu bessern. Während daher die Ausdehnung der Aufgaben der Regierung, welche die Angleichung der Konsumneigung an die Anreize zur Investition mit sich bringt, einem Publizisten des neunzehnten Jahrhunderts oder einem zeitgenössischen amerikanischen Finanzier als ein schrecklicher Eingriff in die persönliche Freiheit erscheinen würde, verteidige ich sie im Gegenteil, sowohl als das einzige durchführbare Mittel, die Zerstörung der bestehenden wirtschaftlichen Formen in ihrer Gesamtheit zu vermeiden, als auch als die Bedingung für die erfolgreiche Ausübung der Initiative des Einzelnen. Denn wenn die effektive Nachfrage unzulänglich ist, ist nicht nur der öffentliche Skandal unbenutzter Ressourcen unerträglich, sondern der einzelne Unternehmer, der versucht, diese Ressourcen in Tätigkeit zu setzen, hat mit vielen Nachteilen zu kämpfen. Das Risikospiel, das er spielt, ist mit vielen Nullen versehen, so daß die Spieler in ihrer Gesamtheit verlieren werden, wenn sie die Energie und die Hoffnung haben, alle Karten auszugeben. Bis jetzt ist der Zuwachs des Reichtums der Welt hinter der Gesamtheit der positiven individuellen Ersparnisse zurückgeblieben; und die Differenz besteht aus den Verlusten jener, deren Mut und Initiative nicht durch ausnahmsweise Geschicklichkeit oder ungewöhnlich gutes Glück ergänzt worden ist. Wenn aber die effektive Nachfrage angemessen ist, werden durchschnittliche Geschicklichkeit und durchschnittlich gutes Glück ausreichen. Die autoritären Staatssysteme von heute scheinen das Problem der Arbeitslosigkeit auf Kosten der Leistungsfähigkeit und der Freiheit zu lösen. Es ist sicher, daß die Welt die Arbeitslosigkeit, die, von kurzen Zeiträumen der Belebung abgesehen – nach meiner Ansicht unvermeidlich – mit dem heutigen kapitalistischen Individualismus verbunden ist, nicht viel länger dulden wird. Durch eine richtige Analyse des Problems sollte es aber möglich sein, die Krankheit zu heilen und gleichzeitig Leistungsfähigkeit und Freiheit zu bewahren.
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IV.
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Ich habe beiläufig erwähnt, daß das neue System günstiger für den Frieden sein könnte, als es das alte gewesen ist. Es ist der Mühe wert, jene Ansicht zu wiederholen und hervorzuheben. Kriege haben verschiedene Ursachen. Diktatoren und andere, denen der Krieg, wenigstens in ihrer Erwartung, eine angenehme Erregung bietet, finden es leicht, auf die natürliche Kriegslust ihrer Völker aufzubauen. Darüber hinaus sind es aber die wirtschaftlichen Ursachen der Kriege, nämlich der Druck der Bevölkerung und der Konkurrenzkampf um Märkte, die ihre Aufgabe erleichtern, die populäre Flamme anzufachen. Es ist der zweite Faktor, der wahrscheinlich im neunzehnten Jahrhundert eine überwiegende Rolle gespielt hat und wieder spielen könnte, der mit dieser Erörterung eng verbunden ist. Ich habe im vorangegangenen Kapitel dargelegt, daß unter dem System des inländischen laissez-faire und eines internationalen Goldstandards, wie es in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts orthodox war, einer Regierung kein Mittel offenstand, die wirtschaftliche Not im Inland zu mildern, mit Ausnahme des Konkurrenzkampfes um Märkte. Denn alle für einen Zustand chronischer oder unterbrochener Unterbeschäftigung hilfreichen Maßnahmen waren ausgeschaltet, mit Ausnahme der Maßnahmen zur Verbesserung der Handelsbilanz in laufender Rechnung. Während die Ökonomen somit gewohnt waren, dem vorherrschenden internationalen System als dem Spender der Früchte der internationalen Arbeitsteilung und als dem gleichzeitigen Vereiniger der Interessen verschiedener Nationen Beifall zu zollen, lag dort ein weniger günstiger Einfluß verborgen; und jene Staatsmänner, die glaubten, daß der Wohlstand eines reichen alten Landes, wenn es den Kampf um die Märkte vernachlässigen würde, verblassen und versagen würde, waren von gesundem Menschenverstand und einer richtigen Erfassung des wahren Laufs der Dinge angetrieben. Wenn aber die Nationen lernen können, sich durch ihre inländische Politik Vollbeschäftigung zu verschaffen (und, müssen wir beifügen, wenn sie auch ein Gleichgewicht in der Entwicklung ihrer Bevölkerung erreichen können), braucht es keine wichtigen wirtschaftlichen Kräfte zu geben, die bestimmt sind, das Interesse eines Landes demjenigen seiner Nachbarn entgegenzusetzen. Es würde immer noch Raum für die internationale Arbeitsteilung und für internationale Anleihen zu geeigneten Bedingungen geben. Aber es gäbe keinen drängenden Beweggrund mehr, warum ein Land seine Waren einem andern aufzwingen oder die Angebote seines Nachbarn zurückstoßen sollte,
24. Kap.: Schlußbetrachtungen
323
nicht weil dies notwendig wäre, um ihm zu ermöglichen zu bezahlen, was er zu kaufen wünschte, sondern mit dem ausdrücklichen Zweck, das Gleichgewicht der Zahlungen zu stören und dadurch seine Handelsbilanz zu seinen Gunsten zu verändern. Internationaler Handel würde aufhören das zu sein, was er ist, nämlich ein verzweifeltes Mittel, um die Beschäftigung im Inland durch das Erzwingen von Verkäufen auf ausländischen Märkten und die Einschränkung von Käufen aufrechtzuerhalten, das, wenn es erfolgreich ist, lediglich das Problem der Arbeitslosigkeit auf den Nachbarn schiebt, der im Kampf unterliegt; vielmehr würde er ein williger und ungehinderter Austausch von Gütern und Dienstleistungen in Zuständen des gegenseitigen Vorteiles sein.
V. Ist die Erfüllung dieser Ideen eine visionäre Hoffnung? Haben sie ungenügende Wurzeln in den Motiven, welche die Entwicklung der politischen Gesellschaft beherrschen? Sind die Interessen, die sie durchkreuzen werden, stärker und deutlicher als jene, denen sie dienen werden? Ich versuche an dieser Stelle nicht, eine Antwort zu geben. Es würde einen Band erfordern, dessen Charakter von diesem verschieden wäre, um selbst nur im Umriß die praktischen Maßnahmen anzudeuten, in welche sie allmählich gekleidet werden könnten. Wenn aber die Ideen richtig sind – eine Vermutung, auf die der Autor das, was er schreibt, notwendigerweise stützen muß – wäre es, wie ich voraussage, ein Fehler, zu bestreiten, daß sie im Verlauf einer gewissen Zeit Macht gewinnen werden. Im gegenwärtigen Augenblick erwarten die Menschen mehr als sonst eine grundlegendere Diagnose, sind sie ganz besonders bereit, sie aufzunehmen, begierig, sie auszuprobieren, wenn sie nur einigermaßen plausibel sein sollte. Von dieser zeitgenössischen Stimmung abgesehen, sind aber die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, einflußreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes regiert. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Verrückte in hoher Stellung, die Stimmen in der Luft hören, zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Schreiberling ein paar Jahre vorher verfaßte. Ich bin überzeugt, daß die Macht erworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen stark übertrieben wird. Diese wirken zwar nicht immer sofort,
383
324
Sechstes Buch: Von der Allgemeinen Theorie angeregte kurze Bemerkungen
sondern nach einem gewissen Zeitraum; denn im Bereich der Wirtschaftslehre und der Staatsphilosophie gibt es nicht viele, die nach ihrem fünfundzwanzigsten oder dreißigsten Jahr durch neue Theorien beeinflußt werden, so daß die Ideen, die Staatsbeamte und Politiker und selbst Agitatoren auf die laufenden Ereignisse anwenden, wahrscheinlich nicht die neuesten sind. Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht eigennützige (Gruppen-)Interessen, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.
Symbolverzeichnis Symbole
deutscher Begriff
englischer Begriff
a
erwartete prozentuale Wertsteigerung expected percentage appreciation
A
Endprodukte (Produkte für die Endnachfrage)
A1
Käufe von Endprodukten von anderen entrepreneurs purchases from other Unternehmen entrepreneurs
B0
Optimale Ausgaben für die Verbesserung und Erhaltung ungenutzter Kapitalausrüstung
optimum sum to spend on maintaining and improving an unused capital equipment
c
Lagerhaltungskosten einschl. Erhaltungsaufwand
carrying costs
finished goods
C
Konsum
consumption
Cw
Konsum in Lohneinheiten gemessen
consumption in terms of wage-units
D
effektive Nachfrage = erwarteter effective demand = expected proceeds Erlös aus der aggregierten Nachfrage out of the aggregate demand
Dw
D, in Lohneinheiten gemessen
D1
Verhältnis von (erwartetem) Konsum relationship between the (expected) zu Einkommen in der Gesamtwirtconsumption expenditure and the schaft income of the community
D2
voraussichtlicher Investitionsbetrag des Gemeinwesens
expected amount devoted to new investments by the community
dr
Gegenwartswert eines im Jahre r fälligen Pfund Sterling
present value of £ 1 deferred r years
E
Lohn- (und Gehalts-)summe
wages (and salaries) bill
Elastizität
Elasticity
E, e
D, measured in wage-units
F
Faktorkosten
factor costs
G
Tatsächliche Kapitalausrüstung am Ende der Periode
actual capital equipment
G0
Gt
1
B0
Gt
1
B0
I
Investition
I A1
Iw
Investition in Lohneinheiten gemessen
investment in terms of wage-units
U
Investment
k
Investitionsmultiplikator
investment multiplier
k0
Beschäftigungsmultiplikator
employment multiplier
l
Liquiditätsprämie
liquidity premium
L
Liquiditätspräferenz (function)
(function of) liquidity preference
L1
einkommensabhängige Liquiditätspräferenz
liquidity function depending on income
L2
zins- und erwartungsabhängige Liquiditätspräferenz
liquidity function depending on the state of current income and the state of expectations
326
Symbolverzeichnis
Symbole
deutscher Begriff
englischer Begriff
M
Geldmenge
quantity of money
M1
Geldhaltung aus Transaktions- und Vorsichtsmotiv
cash hold for transactions- und precaution-motives
M2
Geldhaltung aus Spekulationsmotiv
cash hold for speculative motives
N, n
Zahl der Beschäftigten
number of men employed
Beschäftigte in den Lohngüterbranchen
number of men employed in the wage-good industries
N1 ; n1 N2
Beschäftigte in der Investitionsgüter- employment in the investment industrie industry
O
Menge der laufenden Produktion
P
Preisniveau der laufenden Produktion price of the current output
q
Ertrag oder Output von Vermögensgegenständen
yield or output of assets
Q
voraussichtlicher Ertrag eines Vermögenswertes
prospective yield from an asset
r
Zinssatz
rate of interest
U
Nutzungskosten
user costs
V
Einkommensgeschwindigkeit des Geldes
income-velocity of money
V
ergänzende Kosten (Entwertung supplementary costs des Kapitals über die Nutzungskosten hinaus)
W
Nominallohn einer Arbeitseinheit
money-wage of a unit of labour
quantity of current output
Y
Einkommen
income
Yw
Einkommen in Lohneinheiten gemessen
income in terms of wage-units
Z
Wert des aggregierten Angebots
aggregate supply price
Vokabularium deutsch Abnutzung der Betriebsanlagen Absatzschwäche aggregierte Nachfragefunktion aggregierter Angebotswert aggregierter Nachfragewert altehrwürdig Angebotselastizität animalische Instinkte anleihefinanzierte Ausgaben Anreize Arbeitseinheit (eine Stunde gewöhnlicher Arbeit) Ausgaben für den Konsum Ausprägung Bankeinlagen Bausparkasse behaglich niederlassen bemerkenswert Bereitschaft zur Investition Beschäftigung, primäre Beschäftigung, sekundäre (auf dem 2. Arbeitsmarkt) Bestand an Fertigerzeugnissen betriebliche Kassenbestände Betriebsmittel Bindung Branche Darlehen Doppelzählung effektive Nachfrage Eigennützige (Gruppen-)Interessen Einbuße Einkommen (nach Abzug der Nutzungskosten) – Nettoeinkommen (Einkommen abzüglich ergänzender Kosten Einkommensgeschwindigkeit des Geldes Endprodukte (für die Endnachfrage) Erklärung von Erlöse Erstklassige Wechsel Ertrags-Kosten-Relation Erweiterungen
englisches Original wear and tear of plant Slump aggregate demand function aggregate supply price aggregate demand price time-honoured elasticity of production animal spirits loan expenditure Inducement labour unit (one hour’s employment of ordinary labour) consumption expenditures Manifestation bank deposits building society to ensconce Signal Inducement to invest primary employment secondary employment stock of liquid capital working cash working capital Commitment Industry loan of money duplication effective demand vested interests sacrifice income – net income income-velocity of money finished goods account of proceeds gilt-edged bills rate of return over cost additions
328
Vokabularium deutsch
Expansion Faktoren, die ein Renteneinkommen erzielen Faktorkosten festverwurzelt Finanzanlagen finanzielle Schwierigkeiten Fixkapital Flaschenhälse für künftige Jahre auf Lager nehmen Geist der Betriebsamkeit Gesamteinkommen gesellschaftliche Steuerung der Investitionen gewaltig Gewerbe, Gewerbezweige Gewinn – Nettogewinn (Gewinn abz. ergänzender Kosten) – Rohgewinn graduell verschieden Grenzgrundkosten Grundbeschäftigung (Beschäftigung in der Investitionsgüterindustrie) gründlich widerlegt Güter, die ein Renteneinkommen erzielen Hervorbringen in manchen Zeiten Investitionen – Desinvestition – Nettoinvestitionen Investment Kapitalausrüstung – Betriebsmittel – fixes Kapital – liquides Kapital (Bestand an unverkauften Waren) Kapitalgesellschaften Kapitalgut Kapitalkonto Kasse (Bargeld und Sichteinlagen) Konsumneigung Kosten – ergänzende Kosten – Grundkosten (Summe von Faktorkosten und Nutzungskosten – normale Kosten – ursprüngliche ergänzende Kosten Kosteneinheit
englisches Original expansion, inflation rent factors factor costs settled investment, debt embarrassment fixed capital bottle-necks carry over spirit of industry total income socialisation of investment violently industry, industries profit – net profit – gross profit matter of degree marginal prime costs primary employment exploded (pure) rent factors establish sometimes investment – disinvestment – net investment investment capital equipment – working capital – fixed capital – liquid capital business corporations capital asset capital account cash propensity to consume supplementary costs prime costs normal costs basic supplement costs cost unit
Vokabularium deutsch Kredite Kreditvergabe an das Ausland Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Lagerhaltungskosten latente Größe Leichtigkeit Lohnabschluß Lohneinheit (Nominallohn für eine Arbeitseinheit) Lohngüter (Güter, die von Lohnbeziehern gekauft werden) lokale Gebietskörperschaften moralisches Wagnis mühsam Nationaleinkommen Nationalprodukt Netto-Grenzleistungsfähigkeit Nominallohn Nutzeneinbuße durch Arbeit Nutzungskosten oberer Wendepunkt öffentliche Körperschaften öffentliche Versorgungsunternehmen primäre Beschäftigung Produktionsniveau Produktionsumwege rational erklären Regierungsbehörden Rendite Rentier (Person, die von den Erträgen ihres Kapitals lebt) Rezession Risiko des Kursverlustes Risikoprämie Schrumpfung Schuld schwankend sekundäre Beschäftigung (auf dem „zweiten Arbeitsmarkt“) selbstverständlich sonstige Forderungen (in Abgrenzung zu Geld) staatliche Verwaltung Stand des Kredits Steuerung Steuerzuschlag
329 englisches Original
credits, loans foreign lending schedule of the marginal efficiency of capital carrying costs potentiality facility wage bargain wage unit (money-wage of a labour unit) wage goods local authorities moral hazard strenuous national dividend national income net efficiency money wage disutility of labour user costs downward turning point public authorities public utilities primary employment scale of production roundabout methods of production rationalize authorities rate of return rentier slump risk of loss on capital account return in respect to risk deflation (an einigen Stellen) debt precarious secondary employment (as a result of public works) naturally debts public authority state of credit control surtax
330
Vokabularium deutsch
Termineinlagen Truismus Überschuß Umsetzung unrentabel unterer Wendepunkt Unternehmertum unzulänglich versicherungsmathematisch Viertelzentner Volkshochschullehrer Vollinvestition voraussichtlicher Ertrag Vorratsbildung Vorsorge Währungsbehörde Warenbestände Wert des aggregierten Angebots Wertpapier, festverzinslich Wertpapiere Wertzuwachs widerspenstig Wiederbeschaffungskosten zentrale Regierungsbehörden Zufallsgewinn Zufallsverlust Zusammenwirken der Arbeiter
englisches Original time deposits truism redundancy transfer wasteful upward turning-point enterprise deficient actuarial quarter university extension lecturer full investment prospective yield carry-over preoccupation monetary authority inventories aggregate supply price bond securities appreciation intractable replacement costs central authority windfall profit windfall loss combination among workers
Namenregister Armstrong, Clement 293 Barbon, N. 303 Bentham, J. 69–70, 298 Böhm-Bawerk, E. von 149 Fn., 154 Fn., 179 Fn. Bonar Law, A. 296 Booth, Charles 308 Büchi, Dr. 300 Butler, H. B. 295 Fn. Cairncross, A. K. 308 Carver, T. N. 148, 149 Fn. Cary, J. 303 Cassel, G. 148, 154, 159 Chalmers 312 Child, J. 289 Clark, Colin 87 Curtius 298 Fn. Davenant, C. 291 Douglas, C. H. 28, 313 Edgeworth, F. Y. 3 Fn., 17, 28, 156 Fisher, Irving 119–121, 300, 302 Flux, A. W. 149 Fortrey, S. 291–303 Fullarton, J. 308 Fn. George, Henry 299, 300, 308 Gesell, Silvio 28, 298–302, 313, 320 Haies 292 Hansen, Alvin 162–163. Harrod, R. F. 152 Fn.
Hawtrey, R. G. 45 Fn., 63 Fn, 65–66, 68 Fn. Hayek, F. von 34 Fn., 52–53, 68, 69, 162 Heckscher, E. 288–296, 303 Hobson, J. A. 17 Fn., 308 bis 313 Hume 290 Fn. Jevons, W. S. 279–281 Johnson, Dr. 303 Kahn, R. F. 96, 98, 102, 103 Keynes, J. M., in Economic Journal 68 Fn. – in Essays in Biography 306 – in The Nation and the Athenaeum 283 – in Treatise on Probability 126 Fn. – in Vom Gelde 44, 53, 61, 64, 66–68, 106, 127 Fn., 141 Fn., 143 Fn., 147, 164, 204, 243 Fn., 270 Fn. Knight, F. H. 149 Fn. Kuznets, S. S. 88–89 Laffemas 303 Locke, J., 290, 291, 291 Fn. Malthus, T. R. 27, 306 bis 308, 312, 313 Malynes, Gerard 289, 292 Mandeville, Bernard 90, 303–306, 313 Marshall, Alfred 3 Fn., 16, 27, 33, 50, 52, 62–63, 118–119, 148, 155 bis 160, 180 Fn., 203–204,
282– 283, 282 Fn., 283 Fn. Marshall, Alfred and Mary 17 Fn., 18 Marx, Karl 3 Fn., 27, 300 Mill, J. S. 3 Fn., 16–17, 307 Fn. Mises, L. von 162 Misseiden, Edward 289 Mummery, A. F. 308–313 Mun, Thomas 291 Petty, W. 289, 292, 303, 306 Pigou, A. C. 3 Fn., 4 Fn., 6, 11, 17, 28, 33, 34, 49, 52, 63, 121, 156, 159–160, 201, 219, 229 bis 236 Pye, Philip 299 Ricardo 3 Fn., 4 Fn., 16, 27, 160–162, 205, 306, 310, 312 Robbins, L. 17 Fn., 68, 162 Robertson, D. H. 67, 68 Fn., 122 Fn., 152 Fn., 157 Fn., 276 Robertson, J. M. 308 Fn. Say, J. B. 3 Fn., 16, 307 Schrötter, von 291, 303 Smith, Adam 297–298, 305 Fn., 311 Sraffa, P. 188 Fn. Stephen, Leslie 304 Taussig 149 Thomas, Albert 295 Fn. Walras 149 Wicksell 154 Fn., 203
Sachregister Abnehmender Ertrag 37, 69, 71, 79, 97–98, 103, 245, 253, 256, 258, 278 Administrierte Preise 226, 228 Aggregierte Angebotsfunktion 21, 25, 39, 49 Fn., 78, 99, 206, 237 Aggregierte Nachfragefunktion 21, 27, 36, 48, 66, 77 – in Krisen 144 – Liquiditätspräferenzfunktion 142, 145, 166–168 – und Beschäftigung 209 – und Geldmenge 252 – und Mengentheorie des Geldes 176 – und Nominallöhne 144, 222–223 Ägypten, Reichtum im alten 112 Angebot der Arbeit nicht nur eine Funktion des Reallohnes 7 – und Nachfrage, ihr Platz in der Wirtschaftslehre 247 Angebotskurve, gewöhnliche 39, 237 Angebotspreis einer Investition 115, 125, 208 – Definition 114 – kurzfristiger 58–59, 278 – langfristiger 58–59 – normaler, und Gleichgewicht 191 – und Nutzungskosten 49 Fn., 58–59, 62 Angebotswert, aggregierter, Definition 21 – und Nutzungskosten 49 Fn., 58 – und Verbrauch 26, 84 Anleihefinanzierte Ausgaben 109–111, 281 Anreize zur Investition 24, 117, 201, 284, 294, 297, 298, 302 Arbeit – als einziger Produktionsfaktor 180 – Elastizität der Nachfrage nach 218 – Grenzprodukt der 5, 71 – marginale Nutzeneinbuße der 5, 24, 109, 240, 246 – Nachteil der 5, 109, 206 – und Konjunkturzyklus 276 – und Produktion von Geld 193–194 – und Zinsen in der Zukunft 316 Arbeiterregierung und Unternehmertum 138 Arbeitseinheit 36, 79, 97, 239
Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten 8 – Definition 13 – friktionelle 6, 11, 13 – und Arbeitslosenunterstützung 211 – und autoritäre Staatssysteme 321 – und effektive Nachfrage 306–307 – und Goldstandard 295 – und Merkantilismus 293 – und negative Ersparnisse 94, 103 – und Produktion 283 – und Wesen des Geldes 197–198 – unfreiwillige 6, 13, 19, 109, 245 Arbeitsteilung, internationale 282, 286 Außenhandel – in der klassischen Wirtschaftslehre 282 – in der Zukunft 322 Außenhandel und Merkantilismus 282 – 296 – und Multiplikator 102–103 Australien, Lohnpolitik in 227–228 Autoritäre Staatssysteme 321 Baissestimmung 147 Bankdepositen 70, 141 Fn., 164–165 Bankensystem, – seine Kreditbedingungen 169 – und Investitionen in der Zukunft 319 – und Lohnpolitik 225 – und Schaffung von Kredit 70–73 – und Zinssatz 175 – vorgeschlagene Verbesserung im 173–174 – s. a. Geldpolitik, Geldmenge Bankgebühren 165 Bankgeld im 19. Jahrhundert 260 Bausparkassen 87 Beschäftigung – eine abhängige Variable 105–106 – heutiges Problem der 261 – ihre Beständigkeit 210–213 – ihre Mengeneinheiten 36 – im 19. Jahrhundert 260 – in armen und reichen Gemeinwesen 26– 27, 184–185 – in der klassischen Theorie 3–6, 156, 218– 219 – Theorie der 23–27, 206–213
Sachregister – – – – – –
und aggregierte Nachfragefunktion 78 und Änderungen in den Erwartungen 42 und Ersparnis der Individuen 178 und Ersparnis und Investition 66–67 und Freihandel 284–285, 322 und Funktion der Beschäftigung 78, 237, 242 – und Geldmenge 145 – und Investition 85 – und Konjunkturzyklus 83, 266–267, 269, 271, 275, 277 – und Multiplikator 97, 104 – und Nominallöhne 217–229 – und Preise 250, 252 – und starrer Nominallohn 227–228 – und Zinssatz 184–186, 188, 205, 295 Beschäftigung, Elastizität der 205, 238–239, 242–244 – Definition 239 – Funktion der 77, 207, 237–246 – zusätzliche 234 – s. a. Grundbeschäftigung, Unterbeschäftigung, Vollbeschäftigung Beschäftigungsmultiplikator 98, 209, 230 Betriebsmittel – und Grundkosten 230 Fn. – und Konjunkturzyklus 269–270 Bevölkerung und Geldbestand 288 Fn. – und Konjunkturzyklus 269 – und Kriege 322 Beweggrund – der Verbesserung 93 – der Vorsicht 93 – des Unternehmertums 93 Budgetdefizit 84, 109–111 Bull, John, Redensart des 19. Jahrhunderts über 261 Fn. Bulle-Bär-Position 143 Fn. Bullen, Bären und der Zinssatz 144–145 „Closed shop“ 14 Deflation 246, 280 Denkschulen in bezug auf den Konjunkturzyklus 289–295 Desinvestition 58, 64, 90, 269, 278 Diskontsätze 173–174, 287
333
Edelmetalle 282–286, 291–295 Effektive Nachfrage 20–28, 48 – auf lange Sicht 259 – Definition 22, 25, 48 – Elastizität 258 – in reichen Gemeinwesen 26–27, 184 – und Beschäftigung 220–221 – und Stabilität 211–212 Effektive Nachfrage und Einkommen 48 – und Beschäftigungsfunktion 237–246 – und Ersparnis der Individuen 177–179 – und Erwartung 125 – und klassische Theorie 22, 27–29 – und merkantilistisches Denken 303 – und Nutzungskosten 60 Fn. – und Preise 176, 249–258 – und Produktionsverfahren 181 – und Unternehmer 321 – und weise Finanzpolitik 86 Eigenzinssatz 187–194, 197–199, 202 Eigenzinssatz des Goldes 193 Einfuhr, Einschränkung der 286–287 Einheiten, Wahl von 33–40, 180 Einkommen 20, 46–54 – Definition 20, 46 – eine abhängig Veränderliche 206 – 207 – seine Verteilung 272, 314–316 – Statistiken und Multiplikator 108 – 109 – und Beschäftigung 24, 218 – und Ersparnis und Investition 55, 64 – und Geld 258–261 – und gewöhnliche Angebots- und Nachfragekurve 237–238 – und Konsumneigung 79–83, 208–209 – und Nutzungskosten 58 Einkommen und Investition 100, 152–154, 208–209 – der Unternehmer 46–48 – – Definition 47 – – in der Abhandlung „Vom Gelde“ 53, 74 – – und Elastizität der Beschäftigung 243 – und klassische Zinstheorie 150–151 – und Liquidität 144–145, 165–166, 168 – und Quantitätstheorie des Geldes 176 – Wahl zwischen Muße und 276 – s. a. Realeinkommen, Nettoeinkommen – s. a. Nettoeinkommen der Unternehmer Einkommensdepositen 163
334
Sachregister
Einkommensgeschwindigkeit des Geldes 164, 169–170, 176, 217, 245, 253, 257 Einkommensmotiv 164 Einkommensteuer und Konsumneigung 81 – und Liquidität 261 – und Ungleichheit von Reichtum 314 Elastizität der Beschäftigung 205, 238–239, 242–244; s. a. Beschäftigung – der effektiven Nachfrage 258 – der Nachfrage nach Arbeit 218 – der Nominallöhne 241, 257 – der Preise 241, 250–251, 258 – der Produktion 193–194, 197–198, 200, 239–241 – der Schöpfung von Geld 193–194, 197– 200 – der Substitution 193, 197–198, 200 – des Angebots 239 – des Geldersatzes 194, 197, 200 Entwertung in den Vereinigten Staaten 88– 89 – und Nutzungskosten 60 – von Häusern 85–87 Erbschaftssteuer 81, 314–315 Ergänzende Kosten 49 – und Einkommen 49, 52 – und Nutzungskosten 58–59, 63 – und Verbrauch 84–91, 93 Ergänzende Kosten, laufende 52, 61–62 – primäre 52 Erhaltung und Nutzungskosten 57, 60–61 Erlös der Beschäftigung 20–22, 48, 57–58, 66, 77, 245 – s. a. Grenzerlös Ersparnis 54–57, 69, 94–95 – im merkantilistischen Denken 303 – in Abhandlung „Vom Gelde“ 53 – in der Zukunft 314, 316–317 – negative 18, 70, 94 – und Elastizität der Beschäftigung 243 – und Investition 53–57, 64–73, 154–156, 277–278 – und klassische Theorie 149–151 – und Nullzinssatz 183 – und Verbrauch 182, 208–209 – s. a. Nettoersparnis, Sparneigung Ersparnisse, akkumulierte und Liquidität 164 Erträge des Kapitals 179 – des zukünftigen Ertrags 115, 125, 207
– – – –
Erwartung 41–45, 124–138, 248 kurzfristige 41–42, 44–45 langfristige 41–42, 45, 125–139, 207 und Änderungen im Geldwert und der Produktion 120, 199–201 – und Änderungen zwischen d. gegenwärtigen und zukünftigen Einkommen 81–82 – und gegenwärtiger und zukünftiger Verbrauch 176 – und Geldmenge 252 – und Konjunkturzyklus 266, 271 bis 272, 277 – und Liquidität 166–168, 170, 173 – und Nominallöhne 60 Fn., 200, 222 – 224, 254 – und Produktivität des Kapitals 117 – von Vermögensbeständen 189 Ertrags-Kosten-Relation 119 Erworbene Rechte 323 Erzwungene Ersparnis 68–70, 154 bis 155, 247, 278 – Genügsamkeit 69 Europa, Handelseinschränkungen in 286 Faktoren, die ein Renteneinkommen erzielen – und Elastizität der Beschäftigung 244 – und Geld 194 Faktorkosten 20, 47, 58, 60 – s. a. Grenzfaktorkosten Federal Reserve System 277 Finanzanlagen und Geld – Unterscheidung zwischen 141 Fn Finanzanlagen, Preise der 168–169, 173 Finanzpolitik, weise 86 – 87, 90, 109–110 Flaschenhälse 254, 273 Flucht aus der Währung 175, 259, 278 Freihandel 282–283, 296 Freiwillige Arbeitslosigkeit 5–7, 13–14 Gebrauchskapital 190 Geld, Lagerhaltungskosten 190–191, 196 bis 197, 200 – Elastizität der Substitution 194, 197, 200 – Elastizität des Angebots 193–194, 197– 200 – gestempeltes 197, 302 – maßgebende Eigenschaften 187 bis 205, 248
Sachregister – Nachfrage nach 72–73, 164, 209, 223– 224 – Stellung im wirtschaftlichen System 146, 247–248 – und Abgrenzung zu Finanzanlagen 141 Fn. – und Zinssatz 141–147 Geldmenge, eine fundamentale unabhängige Variable 207–208 – im merkantilistischen Denken 288–289, 292–293, 303 – und Beschäftigung 145–146 – und Ersparnis u. Investition 68–73 – und Hortung 147 – und Liquidität 165–168, 203 Fn. – und Nominallohn 217–218, 224–228 – und Preise von Wertpapieren 145, 169 – und Preisniveau 146, 249–253, 256–262 – und Quantitätstheorie 176, 257–259 – und Rentiers 246 – und Zinssatz 142, 144–147, 173, 196 – s. a. Quantitätstheorie des Geldes Geldpolitik – der Zukunft 318–319 – und Ersparnis und Investition 72 – und Handelsbilanz 285–287 – und Konjunkturzyklus 267–268 – und Liquidität 166–168 – und Löhne 225–227 – und Merkantilismus 288–289 – und Schöpfung von Geld 194, 198 – und Zinssatz 138, 170–175 – und Zinssatz in der klassischen Theorie 204 Geldstandard im 19. Jahrhundert 260 – Risiko von Änderungen 123 – und Wesen von Geld und Zins 188–189, 192–193, 199 – s. a. Goldstandard Geschäftsdepositen 164 Geschäftsmotiv 165 Geschlossenes System 10, 223 – und Lohnpolitik 228 Geschmack 125, 186, 206 Gewerkschaften 14, 225, 255 Gewinn – normaler, und lang- und kurzfristiger Angebotspreis 59, 66
335
– und Beschäftigungsfunktion 240, 245 – s. a. Nettogewinn Gleichgewicht – langfristiges, und Angebotspreis 59 – – und Zinssatz 152, 160–161 – und Beschäftigung 209 – und Diskontsatz 287 – und Elastizität der Beschäftigung 243– 244 – und Preise 56 – und schwankende Wechselkurse 228 – und Vollbeschäftigung 245–246 – und Zinssatz 183–185, 204–206 – von Geld- und Vermögensbeständen 191 – von Geld und Zins 168–170 Gleichgewichtszinssatz 154, 275 Goldbergbau 110–111, 169, 194 Goldeignung für Wertstandard 198 Goldstandard und Geldschöpfung 194 – und Handelsbilanz 285–286, 295 – und Krieg 321–322 – und Merkantilisten 294–295 Grenzerlös 48–60 Grenzfaktorkosten 48, 58, 60–62 Grenzgrundkosten und Änderungen in Nominallöhnen 221–225 – und Funktion der Beschäftigung 240 – und Gebrauchskosten 59 – und Lohnkosten 230, 253, 255–256 Grenzkosten 249–250, 255–256 Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 24, 27, 115–139 – Definition 115–116 – eine unabhängige Variable 206–209 – heute 261 – ihre Bedeutung 123–124, 155–156 – im 19. Jahrhundert 260–261 – in Krisen 175 – in wirtschaftlicher Doktrin 118–120 – in Zukunft 185–186, 316–317 – und Geld 146–147, 188–189, 197, 252 – und Geld- und Eigenzinssätze 187 bis 188, 192 – und Investition 140, 316–317 – und klassische Theorie 150 – und Konjunkturzyklus 265–271, 273–274 – und Kurse von Aktien 128, 128 Fn., 159 – und Liquiditätspräferenz 144
336
Sachregister
– und Löhne 195–196, 219–224, 227 bis 228 – und öffentliche Arbeiten 102 – und Staat 139, 185 – und Stabilität 210–211, 213 – und Warenstandards 188–189 – und Wuchergesetze 297–298 – und Zinspolitik 316–317 Grenzneigung zum Konsum 97, 112 – in reichen Gemeinwesen 27, 196 – und Lohnkürzungen 220–221 – und Multiplikator 98–99 – und Stabilität 210–212 Grenznutzen des Kapitals 116, 117 – des Lohnes 239 Grenznutzungskosten 48, 58, 62 – Änderungen in 255–256 – und Ertrag des Kapitals 118–119 – und steigende Preise 245–246 Großbritannien – Beschäftigung und Außenhandel vor dem Kriege 285, 295 – Freihandel im 19. Jahrhundert 286 – Investition 86–87 – Multiplikator 104 – Real- und Nominallöhne 233 – Umverteilung des Einkommens 314 – und Diskontsatz 287 – und Zinssatz 184–185 – Vollbeschäftigung 274 – zeitgenössischer Merkantilismus 282 Grundbeschäftigung 97–100, 234 Grundkosten 47 – durchschnittliche 59 – und Nutzungskosten 59 – und Quantitätstheorie des Geldes 258 Handelsbedingungen 222, 228, 283 Handelsbilanz 102–103, 221–222, 282, 283 bis 286 – und Änderungen in den Nominallöhnen 221–222 – und Merkantilismus 282–287, 294 bis 295 – und zukünftige Politik 322–323 Handelseinschränkungen 286–287 Horten, die Merkantilisten über 291 – 292 Horten und Liquidität 136–137, 147 Hypotheken 202
Indien, Liquidität und Reichtum 285 Individualismus, Vorteil des 320–321 Inflation 171, 175, 246 – absolute 255 – Semi- 255 – wahre 101, 256 Internationale Arbeitsteilung 282, 28G Internationaler Handel – in der klassischen Wirtschaftslehre 282 – in der Zukunft 322–323 – und Merkantilismus 283–297 – und Multiplikator 102–103 Internationales Arbeitsamt 295 Fn. Investitionen 23–27, 48, 53–56, 208–213 – britische und amerikanische Statistiken 87–89 – in der Zukunft 316–318 – und Beschäftigung 219 – 220, 238 – und Eigenzinssätze 198–199 – und Elastizität der Beschäftigung 243– 244 – und Ersparnis der Individuen 177–178 – und Erwartung 127–129 – und Gebrauchskosten 57 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 116–117, 125 – und klassische Theorie 152–156 – und Konjunkturzyklus 265–281 – und Konsumneigung 78, 84 bis 91, 95 – und Liquiditätsprämie des Landes 202 bis 202 – und Merkantilismus 283–288 – und Nominallöhne 219–224 – und Risiko 122–123 – und Stabilität 210–213 Investitionen und Staat 91, 139, 185–186, 194, 275, 284, 295, 317–318, 321 – ausländische 284, 287, 295, 322 – fehlgeleitete 272, 273, 277 – öffentliche 91, 139 – unerwartete Zunahme der 105–106 Investitionsmultiplikator 98, 208 – in den Vereinigten Staaten 109 – und Geldmenge 252–253 Investmentmärkte s. Wertpapierbörsen Investoren, professionelle 131–139 Italien, Lohnpolitik in 227
Sachregister Kapital, abnehmender Ertrag 37, 69, 97–98, 245, 258 – Angebotspreis 114, 208, 212 – Dauerhaftigkeit 269 – Erzeugungskosten 266, 269 – fixes, und Nutzungskosten 63 – – und Investition 65 – – und Konjunkturzyklus 270 – liquides 65 – liquides, und Erwartung 44 – – und Nutzungskosten 63 – Nachfragekurve in der klassischen Theorie 148–156 – nicht vorausgesehene Zunahme in der Produktion 104–106 – Produktivität 178–181 – Reichlichkeit 186, 316–317 – Trennung von Besitz und Leitung 130 – und Abnutzung 85–91 – und Einkommen 46–47, 49 – und Investition 55 – und Konjunkturzyklus 266–270 – und Nutzungskosten 57 – und voraussichtliches Erträgnis 125 – und Zinssatz 183–185 – s. a. Betriebsmittel, Produktionskapital Kapitalakkumulation in der Zukunft 314, 316–317 – in reichen Gemeinwesen 26, 184–185, 284, 294 – und Konsumneigung 96, 295 – und Liquiditätsprämie auf Land 202–203 – und merkantilistisches Denken 294 Kapitalaufzehrung 66, 278 Kapitalbildung in den Vereinigten Staaten 88–89 Kapitalgewinn, Besteuerung 81–82 Kapitalismus, zukünftige Neigungen 186, 261, 314–323 Klassische Ökonomen 3 Fn., 14 Klassische Theorie – ihre Begrenzungen 319 – Postulate 4–19, 29, 257 – und Beschäftigung 3, 96, 240 – und effektive Nachfrage 27–29 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 118–119 – und Lohnkürzungen 217–219
337
– und Merkantilismus 282–283, 287, 294– 295 – und Zinsen und Investition 80, 140–141, 148–163, 296–297, 300 bis 301 Knappheit und Ertrag des Kapitals 179–181 – und Produktivität 181 Konjunkturzyklus 210, 265–281 – und Löhne 255 – und Nullzinssatz 184–185 – und unvorausgesehene Änderungen 106 – und Verbrauch 83 Konkurrenz, Grad der 206 Konsumneigung 23–27, 78, 205, 207, 209– 210 – Definition 78 – die objektiven Faktoren 77–91 – die subjektiven Faktoren 92–96 – im 19. Jahrhundert 260 – Sparneigung 57 – und Akkumulation 284, 285, 314–315, 316 – und Beschäftigung 177–178 – und Beschäftigung in reichen Gemeinwesen 27, 184–185 – und Einkommensteuer 81, 315 – und klassische Zinstheorie 150 – und Nominallöhne 201, 219–220, 221–222 Konsumneigung und Konjunkturzyklus 265–266, 270–272, 274–278 – Hang zum Horten 176; s. a. Funktion der Liquidität – und Zinssatz 80, 150–151, 155–156 – und zufällige Änderungen in Kapitalwerten 80 – und zukünftige Politik 315, 316 Kontenüberziehung 165 Konventionen und Bewertung auf der Wertpapierbörse 129–130 Kosten, langfristige 58–59 – der Verbindung von Verleiher und Entleiher 175, 184, 261 – s. a. Lagerhaltungskosten, ergänzende Kosten, Faktorkosten, Gebrauchskosten, Grenzkosten, Grundkosten, Lohnkosten Kosteneinheit 256, 262, 278 Kredit, Stand des Kredites 134 Krieg, die Merkantilisten über 294 – und Zukunftskapitalismus 322 Krise, finanzielle, in Europa und in den Vereinigten Staaten 175, 278
338
Sachregister
– und Konjunkturzyklus 265–271 Kurzfristige Darlehen und Änderungen in der Lohneinheit 222 – Elastizität der Beschäftigung 255 bis 256 – Erwartung 41–42, 44–45 – und Bankkosten 175 – Wechsel und Diskontsatz 173 Kurzfristiger Verbrauch und Änderungen im Zinssatz 80–81 Lagerhaltungskosten 190–191, 202 – und Geld 196–197, 199 – und Land 202–203 – und überschüssige Vorräte 268–269 Laissez-faire und Außenhandel 284, 287, 294 – und Beschäftigung 183–185 – und Geld 110, 198 – und Investition 135 – und Krieg 294, 322 – und Merkantilismus 294, 296 Land – und Akkumulation 20–22 – Verstaatlichung 300 Fn., 302 Landwirtschaft und Konjunkturzyklus 266, 279–281 Langfristige Erwartung 41–42, 45, 125–139, 207 – Finanzanlagen, Preisregulierung durch Zentralbank 173 f. – Kosten und Nutzungskosten 58–59 Langfristiger Angebotspreis 58–59 Lebenshaltung und Verbrauch 83, 221 Leistungsfähigkeit und langwierige Verfahren 180–182 Liquidität 63–75, 202–203, 208 – des Geldes und Geldmenge 203 Fn., 258 – des Geldes und Lagerhaltungskosten 196 bis 197, 199 – in nichtmonetärer Wirtschaft 202 – und Ersparnisse der Individuen 178–179 – und Geldzinssatz 197 – und Konsumneigung 93 – und Land 202–203 – und Lohneinheit 195–196 – und Wachstum des Reichtums in Indien 285 – s. a. Funktion der Liquiditätspräferenz, Liquiditätspräferenz Liquiditätsfalle 146, 174, 196
Liquiditätspräferenz, Definition 141–142 – auf lange Sicht 259 – Einkommensmotiv 165 – Geschäftsmotiv 165 – heute 261 – im 19. Jahrhundert 261 – Spekulationsmotiv 144–147 – Umsatzmotiv 144–145, 147, 165 – und ausländische Investition 284 – und Erwartung 143 – und Hortung 147 – und Konjunkturzyklus 265, 267 bis 268, 278 – und merkantilistisches Denken 288 – und öffentliche Arbeiten 102–103 – und Reichtum im Mittelalter 297 – und Zinssatz 140–147, 152–153, 174 – Vorsichtsmotiv 144–145, 165 Liquiditätsprämie 190 – des Geldes 196 Fn. – des Geldes und anderer Vermögensgegenstände 191–193 – des Landes 202–203 – des Wertstandards 199–202 Lohneinheit 36–40 – in der allgemeinen Theorie 206–209 – in Großbritannien vor dem Kriege 285 – und Änderungen in der Geldmenge 71, 144–145, 146, 193, 195, 250, 252–257, 260–261 – und ausländische Investitionen 284 – 285 – und Funktion der Beschäftigung 237–242 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 120, 125 – und Konsumneigung 78–79, 82–83, 92 – und Liquiditätspräferenz 144–145, 152 – und marginale Konsumquote 97–100 – und Preise 249–250, 252–257, 260–261 – und Quantitätstheorie des Geldes 176, 249–250, 252–257 Lohnfonds 307, 309 Lohngüter 6 – ihre Lagerhaltungskosten 201 Lohnkosten 229–230, 233, 253, 255 – 256 Lohnpolitik 224–229, 286 Fn. Lohnsumme und Nachfrage nach Geld 10, 222–223 London, Wertpapierbörse 135–136
Sachregister Maklergebühren 136 Manchester System 320 marginale Nutzeneinbuße durch Arbeit 5, 24, 109, 240, 246 Massenpsychologie der Investoren 131 bis 132, 135, 146, 268 Merkantilismus 282–296, 302–303 Midas 185 Monopolpreise 226, 228 Multiplikator 97–112 – Beschäftigungs- 98, 209, 230 – in armen und reichen Gemeinwesen 107 – in den Vereinigten Staaten 104, 109 – in Großbritannien 104 – Investitions- 98, 108, 209 – – und Geldmenge 252 – und Stabilität 209–211 Mußezeit und Einkommen 276 Nachfrage, gesamte 89, 105, 217, 235 – der Arbeit in der klassischen Theorie 6 – der Investitionen 116 – effektive, s. effektive Nachfrage Nachfragekurve 218–219, 237–238 – und Erwartungen 125 – und Geldwert 121 – und klassische Zinstheorie 150 bis 151, 153–155 – und Konsumneigung 94–95 – und Zinssatz 116–117 Nationalprodukt 4 Fn., 33–34 Natürlicher Zinssatz 154, 204–205 Neoklassische Schule 150, 154 Nettoeinkommen 50–54 – Definition 50 – der Unternehmer 49–52, 79 – und Konsumneigung 79, 84 – und Nutzungskosten 58 Nettoersparnis 53, 54, 5.6 Nettoinvestition 54–57 – Definition 55 – und Multiplikator 97 – und Verbrauch 85, 276 Neutraler Zinssatz 154, 204 New Deal 163, 331–332 New York Investmentmarkt 135, 136, 136 Fn., 146 nichtmonetäre Wirtschaft 187, 201
339
nichtstatische Wirtschaft 86, 124, 248 Nominallöhne, Änderungen 6–13, 217 bis 227, 240 – Beständigkeit und Änderungen 211 bis 213, 227–229, 256–257 Nominallöhne, ihre Starrheit 217, 225 – in Großbritannien 233 – und Vollbeschäftigung 245 – und Wesen des Geldes 195–196, 199–201 Normale Kosten 61 Normaler Gewinn 62 – in der Abhandlung vom Gelde 66 Nutzen des Geldes 194 – des Lohnes 5 – Grenz- des Lohnes 239 Nutzeneinbuße durch Arbeit 5, 18, 109, 205 Nutzungskosten 20, 47–48, 51, 57–63. – Definition 47 – in statischem Zustand 124 – und Einkommen 51 – Wertverlust 85 – s. a. Grenznutzungskosten Offenes System in der klassischen Theorie 10 – und Lohnkürzungen 221–222 – und Lohnpolitik 228, 255 – und Multiplikator 102–103 Offenmarktoperationen 166–168, 226 öffentliche Arbeiten 100, 102, 108 Ökonomen, Meinungsverschiedenheiten der 247–248 – klassische 3 Fn.t 14 Optimismus der klassischen Theorie 28 – und Konjunkturzyklus 207 – und wirtschaftliche Tätigkeit 137 österreichische Schule 66, 278 Popes Vater 186 Preise, Theorie der 247–262 – Elastizität der 241, 250–251, 258 – und Änderungen in den Nominallöhnen 10, 201, 212–213, 221–223, 225, 227– 229, 259–262 – und Änderungen in der Beschäftigung 146, 210, 213 – und Konjunkturzyklus 278, 279 – und öffentliche Arbeiten 100
340
Sachregister
– und Quantitätstheorie des Geldes 176, 257–258 – und Vollbeschäftigung 101, 245–246 Preisniveau 33, 35–38 – Konstanz 56, 201, 210–213, 228–229, 244–245 Produktion 15, 38, 58, 248 – abnehmender Ertrag der 79, 253, 256, 278 – Angebotspreis der 253, 278 – durch den Zinssatz gesetzte Grenzen der 192 – und Änderungen in der Geldmenge 252 – und Ersparnis und Investition 66–67 – und gewöhnliche Angebotskurve 237– 238 – und Konjunkturzyklus 275–276, 278, 280–281 – und Liquidität 164–165 – und Lohneinheit 227 – und staatliche Steuerung 318–319 – und Vollbeschäftigung 245 Produktion und wahre Inflation 256 – Elastizität der 239 Produktionsfaktoren 179–182, 289 Produktionskapital, Merkmale 190 Produktionsumwege 177, 180–181 Produktivität des Kapitals und Ertrag des Kapitals 179–182 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 117–120 Protektion 283 Psychologie der Investoren 131–132, 135, 146, 268 – der Unternehmer 127–128, 137–138 Psychologische Faktoren, grundlegende 207 – und Stabilität 210–213 Pyramiden 111, 185 Quantitätstheorie des Geldes 241, 249 – 250, 258–259 – und Liquidität 176 – und Vollbeschäftigung 245 Quasi-statische Zustände 186 Rate der Zeitdiskontierung 89–90 Realeinkommen und Änderungen in den Nominallöhnen 221–222 – und Beschäftigung 24, 97 – und Verbrauch 79, 211
Reallöhne, ihre Fixierung 227–228 – in der klassischen Theorie 5–16, 19, 218, 240 – in Großbritannien 233 – und Vollbeschäftigung 245–246 – Widerstand gegen Kürzungen 223 Realnachfragefunktion nach Arbeit 229– 231, 232, 235 Regierung s. Staat Reiches Gemeinwesen – und Akkumulation 184–185 – und Beschäftigung 26 – und effektive Nachfrage 185 – und Lebenshaltung 107–108 – und Multiplikator 107 Reichtum, Ersparnis und Verlangen nach 178–179, 294 – Goldbergbau und 111 – natürlicher und „künstlicher“ in der merkantilistischen Theorie 289 – Steuerpolitik 82 Fn. – Ungleichheit 94, 314–316 Rentiers in der Zukunft 186, 317 – und Kürzung der Nominallöhne 221 – und Vollbeschäftigung 246 Risiko, drei Arten von 122–123 – des Entleihers und des Verleihers 122– 123 – moralisches 122–123, 174, 261 – und Kapitalismus in der Zukunft 185, 316–317 – und Ungleichheit der Einkommen 314 – und Zinssatz 175 – Unternehmer- 122–123 – von Finanzanlagenen und Währungsbehörde 173 Risikokosten 59 Risikoprämie und Liquiditätspräferenz 202 Rohgewinn 49–51, 52 – Definition 50 – und Nutzungskosten 59–60 Say, Gesetz von 23 Schatzwechsel als Geld 141 Fn. Schönheitswettbewerb 132–133 Schuldenlast 223, 226–227, 229 Schwankungen 83, 210–213, 259; s. a. Konjunkturzyklus Solon 288 Fn
Sachregister Sozialisiertes Gemeinwesen, Lohnpolitik 226 Spanien im 15. und 16. Jahrhundert 285 Spardepositen 163 Sparneigung und Konsumneigung 57 – und Zinssatz 140, 150, 154–155, 183–185 Sparsamkeit 303 Spekulanten 131–139, 267 Spekulation 131–139 – in den Vereinigten Staaten 135–136, 273 – in Großbritannien 135–136 – und Unternehmertum 135 Spekulationsmotiv 144–147 Spotpreise 188–189 Staat, Noten drucken und Liquidität 170 – und Investition 91, 131, 186–187, 271, 275, 284, 295, 297, 317–318, 321 Staatssozialismus 319 Stabilität – Bedingungen 56, 211–213 – und Lohnpolitik 227–228 – und Preise 56, 202, 210–213, 227–228, 244 Stand des Kredites 134 – des Vertrauens 126, 137, 208 – im 19. Jahrhundert 260 – und Konjunkturzyklus 268 – und Lohnkürzungen 223 – und öffentliche Arbeiten 102 Statischer Zustand und Wertverlust 85 – und Berechnung der Erträge 118, 124 Steuern 81–82, 223, 261, 314 Steuerpolitik und Konsumneigung 81 – und Lohnpolitik 222 Steuerzuschlag 261, 314 Substitutionselastizität des Geldes 195 Termin- und Spotpreise 187–188 Tilgungsfonds 82, 86–87 Übelriechende Verfahren 181 Überinvestition 271–274, 313 Umsatzmotiv 144–145, 147, 165 Umsatzsteuer 136 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit 6, 13, 19, 109, 245 Ungewißheit – und Erwartung 125
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– – – –
und Konsumneigung 81 und Krisen 268 und Liquiditätspräferenz 142, 154, 170 und Substitutionselastizität des Geldes 194 – und Wahrscheinlichkeit 126 Fn. – und Zinssatz 124 Fn., 184 Unterbeschäftigung 245, 274, 308–309, 321; s. a. Arbeitslosigkeit Unternehmer und Elastizität der Beschäftigung 217 – und Geldschöpfung 193–194 – und Lohnkürzungen 220–221, 223 – und Nullzinssatz 183–184 – und Vollbeschäftigung 245 – und Wertpapierbörse 128, 267 Fn. – und zukünftige Politik 318 – s. a. Einkommen der Unternehmer, Nettoeinkommen der Unternehmer Unterkonsumption 274–276 – und Merkantilismus 303 Unternehmertum in der Zukunft 186, 315 – Psychologie des 127–128, 137–138 – und Spekulation 134–135 Veralten 140 Veränderliche Größen 206–208 Verbrauch 23, 54, 208, 210–212 – Definition 54 – und Änderungen in den Nominallöhnen 220–222 Verbrauch und Ersparnis und Investition 54– 57, 64, 71 – und finanzielle Vorsorge 89–91 – und Konjunkturzyklus 277, 279, 281 – und Konsumneigung 77, 79, 83, 84 – und New Deal 281 – und Sparen 18, 56–57, 177–179 – und Wesen des Kapitals 180–182 – und Zinssatz 141 – s. a. Konsumneigung Vereinigte Staaten, Arbeitslosigkeit 8 – Aufschwung in den Jahren 1928 bis 1929 273, 277 – Beschäftigung und Zinssatz 184 – Finanzkrisen 1932 175 – Gleichheit der Ansichten 145 – Kapitalexpansion und Kapitalentwertung in den Jahren 1924 bis 1929 86 – Konsumneigung und Wertpapierbörse 270
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Sachregister
– Lohnpolitik 227 – Multiplikator 104, 109 – New Deal 281 – Offenmarktoperationen 166–167 – Wertpapierbörse 135–136 Vertrauen, s. Stand des Vertrauens Vollbeschäftigung 13–14, 210–212, 256 – Definition 13–14, 23, 256 – und Eigenzinssätze 199 – und erzwungene Ersparnis 69 – und Gleichgewicht 213, 245–246 – und Hobsons Theorie 310 – und klassische Theorie 11, 161 – und Löhne 224–225, 229, 254–255 – und Quantitätstheorie des Geldes 176 – und Überinvestition 271–273 – und Unterverbrauch 275–276 – und Zinssatz 96, 171–178, 277 – und zukünftige Politik 314, 316, 318– 319, 321–322 Vollinvestition 274 Voraussichtliche Erträge, Definition 115 – Beziehung zum laufenden Ertrag 120 – Schätzung in der Zukunft 186 – und Ersparnis der Individuen 176–177 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 115–117, 125, 206–208 – und Stabilität 210, 212 – Unkenntnis über 127 Vorräte 42, 105–106 – Lagerhaltungskosten und Konjunkturzyklus 268–270 – überschüssige 189 – und Elastizität der Beschäftigung 243– 244 – und New Deal 281 – und Nutzungskosten 60–62 Wahrscheinlichkeit u. Liquidität 202 – und Ungewißheit 126 Fn. Wallstreet 135–136, 136 Fn. Warenbestände 281 Warenbörsen 136 Fn. Warenzinssatz s. Eigenzinssatz Warten 148, 158, 160 Wechselkurse 228, 287 Wertpapierbörsen 64, 127–139, 168 – und Konjunkturzyklus 267, 270
Wertpapiere, ihre Bewertung auf der Börse 128 Fn., 134, 270 – Kurse der 81, 168, 173–174 Werttheorie 247 Wettbewerb, übermäßiger 292 – und klassische Theorie 25, 320 – unvollkommener 5 Wiederbeschaffungskosten 115 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 115 – und Konjunkturzyklus 271–274 – und Nutzungskosten 62 Wildente 155 Wirtschaft als Ganzes 218–219, 237, 247 Wuchergesetz 202, 288, 297–298 Zeitablauf der Produktion 180–182, 243 Zeitdepositen 141 Fn. Zeitdiskontierung 80 Zeitelement 266, 268–269 Zeitpräferenz 166–167 Zeitverzögerung 104–106 Zentralbank 173, 198 Zinssatz 140–147, 187–205 – Definition 142, 187 – eine psychologische und konventionelle Erscheinung 171–172 – eine unabhängig Variable 206–209 – heute 261 – Hindernisse gegen einen niedrigen 170– 171, 174–175, 261 – im 19. Jahrhundert 260 – in der klassischen Theorie 80, 140, 151– 163, 296–297 – in Krisen 175 – in reichen Gemeinwesen 26, 184–186 – Komplex der Zinssätze 116 Fn., 122, 142–143, 142 Fn., 173–174 – und Akkumulation 185, 284–285, 295 – und Außenhandel 287, 294 – und Beschäftigung 244, 246 Zinssatz und Stabilität 210–213 – Eigen- 187–194, 197–199, 202 – Gleichgewichts- 154, 275 – kurzfristiger 171, 175 – langfristiger, und Geldpolitik 170–172, 174 – – und Liquidität 170–171 – – und Lohnpolitik 224–225 – natürlicher 154, 203–204
Sachregister – – – – – – – – – – –
neutraler 154, 203 optimaler 204 reiner 59, 123, 153, 175, 186 und Ersparnis der Individuen 177 und Geldmenge 68, 142, 144–147, 167– 176, 252, 259–262 und Geldpolitik 173–175 und Geldwert 120–122 und Goldbergbau 110–111 und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 115–117, 122, 123–124, 185–186 und Horten 147 und Konjunkturzyklus 267, 271–278
– und Konsumneigung 80–83, 94–96 – und Liquidität 167–176 – und Merkantilisten 288–291, 294 – und Nominallöhne 219–225, 227–228 – und Nutzungskosten 59, 61 – und öffentliche Arbeiten 102 – und Produktionsverfahren 180–182 – und Vertrauen 127 – und Wuchergesetze 296–298 – und zukünftige Politik 317 Zufallsverlust 50–51, 244 Zwangssparen (s. erzwungenes Sparen)
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