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German Pages 342 Year 2017
John Maynard Keynes
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes Neuübersetzung von Nicola Liebert
Duncker & Humblot Berlin
JOHN MAYNARD KEYNES Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes
Von
John Maynard Keynes Aus dem Englischen neu übersetzt von Nicola Liebert
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlag: John Maynard Keynes (undatiert) (© ullstein bild) Für die deutsche Ausgabe alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-15048-9 (Print) ISBN 978-3-428-55048-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85048-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort zur neu übersetzten Ausgabe Im Jahr 1935 vollendete John Maynard Keynes seine allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, und ein Jahr später erschien bereits die von Fritz Waeger unter Hochdruck übersetzte deutsche Ausgabe. Ist das englische Original, von dem Keynes selbst sagte, dass er es nicht für ein breites Publikum, sondern nur für Fachleute geschrieben habe, schon sowohl inhaltlich als auch sprachlich komplex, so war die bisherige Übersetzung bisweilen nur mehr schwer verständlich. Keynes’ zum Teil revolutionäre und angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen und Krisen des neuen Jahrtausends höchst aktuell, ja sogar brisant erscheinenden Überlegungen und Schlussfolgerungen endlich auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen, das ist die Hoffnung, die sich mit der Neuübersetzung dieses Buchs verbindet. Aus diesem Grund fiel in den Fällen, wo eine eng ans Original angelehnte Übersetzung den Lesefluss behindert hätte, die Entscheidung im Zweifel für die Lesbarkeit und damit für eine freiere Formulierung. Es wurde auch nicht versucht, Sprache und Begriffe an den Stil der 1930er Jahre anzupassen. So wurde die etwas altertümliche Bezeichnung Rentier, wo es sinnvoll erschien, durch Kapitalgeber ersetzt. Und wenn Keynes dem Rentier (in Waegers ursprünglicher Übersetzung war es ein Rentner) eine Euthanasie zudachte, wird ihm jetzt nur ein langsames Ende prophezeit. Auch in einigen anderen Fällen wurde, wenn es der Klarheit dient, von einer allzu wörtlichen Übersetzung Abstand genommen. Die factors of production wurden beispielsweise zu einfachen Beschäftigten, wenn aus dem Zusammenhang klar hervorgeht, dass nur von diesen die Rede ist und nicht von anderen Faktoren wie Boden und Kapital. Ebenfalls aus dem Kontext ergibt sich, dass mit banking system meist nicht das gesamte Bankensystem, sondern speziell die Zentralbank gemeint ist. Um den modernen Lesegewohnheiten Rechnung zu tragen und den Lesefluss möglichst wenig zu unterbrechen, wurden auch die Zitate aus anderen Werken, selbst da, wo diese in deutscher Fassung vorliegen, neu übersetzt (eine Ausnahme ist die von Bobertag et al. kongenial in deutsche Reime übertragene Bienenfabel von Bernard Mandeville). Ohne die wertvolle Unterstützung von Prof. Dr. Ingo Barens und Prof. Dr. Volker Caspari von der TU Darmstadt, beide Mitglieder der Keynes-
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Vorwort zur neu übersetzten Ausgabe
Gesellschaft, hätte ich in vielen Zweifelsfällen eine endgültige Entscheidung, welcher deutsche Begriff der Intention des Autors am nächsten kommt, kaum treffen können. Für die ausführlichen Antworten und Erläuterungen auf meine zahlreichen diesbezüglichen Fragen und für ihre Hilfe bei einer möglichst korrekten Übersetzung von Fachwörtern wie marginal prime cost oder rent-factors sowie historisch eingebetteten Begriffen wie animal spirits oder natural surplus bin ich beiden zu größtem Dank verpflichtet. Prof. Barens hat sich überdies der Mühe unterzogen, den gesamten Text noch einmal durchzugehen und, wo nötig, Änderungen vorzunehmen. Nicola Liebert, 31. März 2016
Inhaltsverzeichnis Vorwort zur englischen Originalausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 BUCH I Einleitung 17 Kapitel 1: Die allgemeine Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Kapitel 3: Das Prinzip der effektiven Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 BUCH II
Definitionen und Konzepte 43
Kapitel 4: Die Wahl der Maßeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Kapitel 5: Erwartungen als Bestimmungsfaktor für Produktion und Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Kapitel 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen . . 57 Kapitel 7: Weitere Betrachtungen über die Bedeutung von Ersparnissen und Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 BUCH III
Die Konsumneigung 85
Kapitel 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . 87 Kapitel 9: Die Konsumneigung II: Die subjektiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . 101 Kapitel 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator . . . . . . . . . . 105 BUCH IV
Der Anreiz zur Investition 119
Kapitel 11: Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Kapitel 12: Die langfristige Erwartungshaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
8 Inhaltsverzeichnis Kapitel 13: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Kapitel 14: Die klassische Theorie des Zinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Kapitel 15: Die psychologischen und wirtschaftlichen Liquiditätsanreize . . . . . . 167 Kapitel 16: Verschiedene Betrachtungen über das Wesen des Kapitals . . . . . . . 179 Kapitel 17: Die wesentlichen Eigenschaften des Zinses und des Geldes . . . . . 188 Kapitel 18: Eine Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung. 205 BUCH V
Nominallöhne und Preise 213
Kapitel 19: Änderungen der Nominallöhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Kapitel 20: Die Beschäftigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Kapitel 21: Die Theorie der Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 BUCH VI
Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen 259
Kapitel 22: Anmerkungen zum Konjunkturzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Kapitel 23: Anmerkungen zu Merkantilismus, Wuchergesetzen, Freigeld und Unterkonsumtionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Kapitel 24: Abschließende Bemerkungen über eine aus der allgemeinen Theorie abzuleitende Sozialphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Vokabularium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Vorwort zur englischen Originalausgabe Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Wirtschaftswissenschaftler. Ich hoffe zwar, dass es auch für andere verständlich ist. Aber sein Zweck ist vor allem die Erörterung schwieriger theoretischer Fragen und nur in zweiter Linie die praktische Anwendung dieser Theorien. Denn wenn sich die orthodoxe Ökonomie als fehlerhaft erweist, so liegt der Fehler nicht im Überbau, bei dessen Errichtung große Sorgfalt auf logische Konsistenz verwendet wurde, sondern in der mangelnden Klarheit und Allgemeingültigkeit ihrer Prämissen. Meine Absicht, Ökonomen zur kritischen Überprüfung einiger ihrer grundlegenden Annahmen zu bewegen, kann ich daher nur durch eine äußerst abstrakte Argumentation und kontroverse Thesen umsetzen. Letzteres hätte ich gerne vermieden. Ich hielt es jedoch für wichtig, nicht nur meinen eigenen Standpunkt darzulegen, sondern auch zu zeigen, inwiefern er von der herrschenden Theorie abweicht. Wer stark zu dem neigt, was ich die ‚klassische Theorie‘ nenne, dürfte meiner Vermutung nach schwanken zwischen der Überzeugung, dass ich völlig falsch liege bzw. dass ich nichts Neues zu sagen habe. Es mögen andere entscheiden, ob eine dieser Annahmen zutrifft oder aber eine dritte Alternative. Meine Streitschrift soll einen Beitrag zur Beantwortung der offenen Fragen leisten, und ich muss um Entschuldigung bitten, wenn im Bemühen um eine saubere Differenzierung die Kontroverse zu scharf ausfallen sollte. Ich selbst war jahrelang von den Theorien überzeugt, die ich jetzt kritisiere, und bin mir ihrer Stärken durchaus bewusst. Die Bedeutung der strittigen Fragen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn meine Erklärungen zutreffen, muss ich jedoch zuerst meine Fachkollegen von deren Richtigkeit überzeugen und nicht die breite Öffentlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt ist die Öffentlichkeit, so willkommen ihre Teilnahme ist, doch nur Publikum bei dem Versuch, die tiefen Meinungsverschiedenheiten zwischen Ökonomen beizulegen, die den praktischen Einfluss der Wirtschaftswissenschaft derzeit – und, wenn sie nicht endlich ausgeräumt werden, auch in Zukunft – fast zunichte machten. Die Verbindung zwischen diesem Buch und meiner vor fünf Jahren erschienenen Abhandlung Vom Gelde ist vermutlich mir selbst klarer als vielen anderen. Was in meiner eigenen Vorstellung die natürliche Fortentwicklung eines Gedankengangs ist, den ich nun schon seit mehreren Jahren verfolge, mag dem Leser gelegentlich als verwirrender Sinneswandel er-
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Vorwort zur englischen Originalausgabe
scheinen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich gewisse Änderungen in der Terminologie für nötig erachtete, die ich auf den folgenden Seiten erläutern werde. Doch generell lässt sich das Verhältnis zwischen den beiden Büchern in aller Kürze wie folgt darstellen: Als ich Vom Gelde zu schreiben begann, dachte ich noch in den herkömmlichen Mustern, wonach der Einfluss des Geldes in keinem Zusammenhang mit der allgemeinen Theorie von Angebot und Nachfrage zu stehen scheint. Beim Abschluss des Buches hatte ich einige Fortschritte dabei gemacht, die Geldtheorie wieder als eine Theorie der Gesamtproduktion zu etablieren. Dass ich jedoch den hergebrachten Vorstellungen verhaftet geblieben war, zeigte sich in dem, was mir inzwischen als der größte Fehler im theoretischen Teil dieses Werks (Buch III und IV) erscheint: nämlich dass ich mich nicht gründlich genug mit der Wirkung von Veränderungen der Produktionsmenge befasst hatte. Meine sogenannten „Grundgleichungen“ waren eine Momentaufnahme, die auf der Annahme einer gegebenen Produktionsmenge beruhte. Sie sollten zeigen, wie unter dieser Annahme Kräfte entstehen können, die ein Gewinnungleichgewicht bedingen und so eine Veränderung der Produktionsmenge erforderlich machen. Aber im Gegensatz zu dieser Momentaufnahme blieb die dynamische Entwicklung unvollständig und äußerst verworren. Dieses Buch ist demgegenüber vor allem zu einer Untersuchung derjenigen Kräfte geworden, die Veränderungen des gesamten Produktionsvolumens und der Beschäftigung verursachen. Und auch wenn sich dabei zeigt, dass Geld eine wesentliche und zugleich eigentümliche Rolle im Wirtschaftssystem spielt, treten die technischen Details der Geldtheorie dabei in den Hintergrund. Wie wir noch sehen werden, lässt sich von einer Geldwirtschaft sprechen, wenn Veränderungen der Zukunftserwartung nicht nur die Art, sondern auch die Menge der Beschäftigung zu beeinflussen vermögen. Aber unsere Methode, das wirtschaftliche Verhalten der Gegenwart unter dem Einfluss sich ändernder Annahmen über die Zukunft zu analysieren, ist abhängig vom Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und ist im Übrigen auch verknüpft mit unserer grundlegenden Werttheorie. Wir gelangen so zu einer allgemeineren Theorie, innerhalb derer die uns vertraute klassische Theorie einen Spezialfall darstellt. Der Autor eines solchen Buchs, der auf unbekannten Pfaden wandelt, ist sehr auf Kritik und Diskussionen angewiesen, um allzu viele Fehler zu vermeiden. Es ist erstaunlich, auf welch törichte Ideen man zuweilen kommt, wenn man zu lange allein für sich nachdenkt, ganz besonders in der Volkswirtschaftslehre (aber auch anderen Geisteswissenschaften), wo es oft unmöglich ist, seine Ideen beweiskräftigen formalen oder experimentellen Tests zu unterziehen. Für dieses Buch habe ich mich, mehr noch als für Vom Gelde, auf den beständigen Rat und die konstruktive Kritik von R. F. Kahn verlassen. Umfangreiche Teile dieses Buches hätten ohne seine Anregungen
Vorwort zur englischen Originalausgabe11
nie ihre jetzige Form erhalten. Des Weiteren habe ich wertvolle Hilfe erhalten von Joan Robinson, R. G. Hawtrey und R. F. Harrod, die sämtliche Druckfahnen Korrektur gelesen haben. Das Sachregister wurde von D. M. Bensusan-Butt vom King’s College in Cambridge erstellt. Das Schreiben dieses Buches stellte für den Autor einen langwierigen Kampf dar, aus alten Denkmustern auszubrechen, und genauso muss es auch den Lesern ergehen, wenn der Autor mit seiner Kritik Erfolg haben will. Die Überlegungen, die hier so mühevoll dargelegt werden, sind äußerst einfach und geradezu offensichtlich. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, neue Ideen zu entwickeln, sondern aus den alten auszubrechen, die sich in allen Winkeln der Köpfen derer festgesetzt haben, die so wie die meisten von uns unterrichtet wurden. J. M. Keynes, 13. Dezember 1935
Vorwort zur deutschen Ausgabe Alfred Marshall, mit dessen Principles of Economics (Handbuch der Volkswirtschaftslehre) alle zeitgenössischen englischen Ökonomen groß geworden sind, strich stets die Kontinuität seines Werks mit dem Ricardos heraus. Seine Leistung bestand vor allem darin, die Tradition Ricardos um die Gesetze des Grenznutzens und der Substitution zu erweitern. Allerdings ist seine Theorie der Produktion und des Konsums insgesamt – im Gegensatz zu seiner Theorie der Produktion und Distribution einer gegebenen Gütermenge – nie aufgegriffen worden. Ich bin nicht sicher, ob er selbst eine solche Theorie für notwendig erachtete. Fest steht, dass seine unmittelbaren Nachfolger und Schüler darauf verzichteten und sie offenbar auch nie vermisst haben. Das war das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Ich habe dann selbst diese Theorien gelehrt, und erst in den vergangenen zehn Jahren wurde mir ihre Unzulänglichkeit bewusst. Im Zuge meiner eigenen Entwicklung stellt dieses Buch für mich daher eine Reaktion auf die klassische (oder orthodoxe) englische Tradition bzw. eine Loslösung davon dar. Dass ich darauf auf den folgenden Seiten einen Schwerpunkt lege ebenso wie auf meine Divergenzen zur bisherigen Doktrin, wurde in einigen Kreisen als unangemessen kontrovers angesehen. Aber wie kann jemand, der im orthodoxen ökonomischen Glauben erzogen wurde, Auseinandersetzungen vermeiden, wenn er zum protestantischen Glauben übertritt? Ich kann mir jedoch vorstellen, dass deutsche Leser anders dazu stehen. Die orthodoxe Tradition, die im 19. Jahrhundert in England vorherrschte, war in der deutschen Debatte nie sehr fest verankert. Es gab in Deutschland immer auch wichtige wirtschaftswissenschaftliche Schulen, die die klassische Theorie als wenig geeignet für die Analyse aktueller Geschehnisse erachteten. Sowohl der Manchesterliberalismus als auch der Marxismus leiten sich letztlich von Ricardo ab – eine nur auf den ersten Blick überraschende Feststellung. In Deutschland gibt es jedoch seit jeher eine breite theoretische Strömung, die keiner dieser Schulen angehört. Gleichwohl kann man nicht gerade behaupten, dass diese Denkschule ein rivalisierendes Theoriegebäude errichtet oder dies auch nur versucht hätte. Sie blieb vielmehr skeptisch und realistisch und gab sich mit historischen und empirischen Methoden bzw. Ergebnissen ohne formale Analyse zufrieden. Die in diesem Zusammenhang wichtigste heterodoxe theoretische Abhandlung stammt von Wicksell. Seine Bücher waren auf Deutsch
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Vorwort zur deutschen Ausgabe
erhältlich (bis vor kurzem hingegen nicht auf Englisch), und eines seiner wichtigsten Werke wurde sogar auf Deutsch verfasst. Seine Anhänger aber waren hauptsächlich Schweden und Österreicher, wobei letztere seine Erkenntnisse mit spezifisch österreichischen Theorien kombinierten und sie so letztlich wieder in Richtung der klassischen Tradition zurückentwickelten. Somit kam Deutschland in der Volkswirtschaftslehre – ganz anders als es hier in anderen wissenschaftlichen Disziplinen üblich ist – ein ganzes Jahrhundert lang ohne vorherrschende und allgemein anerkannte formale Theorie aus. Aus diesem Grund erwarte ich vielleicht weniger Widerstand von deutschen als von englischen Lesern, wenn ich ihnen eine Gesamttheorie der Beschäftigung und der Produktion darlege, die in wesentlichen Teilen von der orthodoxen Tradition abweicht. Besteht jedoch auch Hoffnung, den ökonomischen Agnostizismus in Deutschland zu überwinden? Wird es mir gelingen, deutsche Ökonomen davon zu überzeugen, dass formale Analysemethoden einen wichtigen Beitrag zur Interpretation aktueller Ereignisse und zur Gestaltung aktueller Politik leisten können? Immerhin ist es doch typisch deutsch, Gefallen an Theorien zu finden. Wie hungrig und durstig müssen deutsche Volkswirte sein, nachdem sie so viele Jahre ganz ohne auskommen mussten! Gewiss wird sich da ein Versuch lohnen. Ich bin schon zufrieden, wenn ich einige Happen zu einem Mahl beitragen kann, das von deutschen Ökonomen speziell für die deutschen Bedürfnisse zubereitet wird. Ich muss nämlich gestehen, dass sich das hier folgende Buch zur Illustrierung größtenteils auf die Bedingungen in den angelsächsischen Ländern stützt. Gleichwohl lässt sich die im vorliegenden Buch dargestellte Theorie der Gesamtproduktion viel einfacher auf die Verhältnisse in einem totalitären Staat anwenden als die Theorie der Produktion und Distribution einer gegebenen Gütermenge, die unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs und eines hohen Maßes an Laissez-faire produziert wurde. Das ist einer der Gründe, durch die sich die Bezeichnung allgemeine Theorie für meine Theorie rechtfertigen lässt. Da sie sich auf weniger enge Voraussetzungen stützt als die orthodoxe Theorie, lässt sie sich umso leichter den verschiedenartigsten Situationen anpassen. Obschon ich sie also mit dem Blick auf die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern ausgearbeitet habe, wo immer noch ein großes Maß von Laissez-faire vorherrscht, bleibt sie trotzdem auch auf Bedingungen anwendbar, in denen der Staat eine aktivere Rolle übernimmt. Die Theorie der psychologischen Gesetze, die Konsum mit Ersparnis verbinden, der Einfluss von kreditfinanzierten Ausgaben auf Preise und Reallöhne, die Rolle des Zinssatzes – all dies gehört zu den notwendigen Bestandteilen unseres Denkansatzes.
Vorwort zur deutschen Ausgabe15
Ich möchte bei dieser Gelegenheit meinem Übersetzer, Herrn Waeger, für seine ausgezeichnete Arbeit danken (ich hoffe, dass sich sein Glossar am Ende dieses Buches über seinen unmittelbaren Zweck hinaus als hilfreich erweist) und ebenso meinen Verlegern, den Herren Duncker und Humblot. Deren Unternehmen erlaubt es mir seit 16 Jahren, seit es mein Buch Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages herausgab, mit den deutschen Lesern in Kontakt zu bleiben. J. M. Keynes, 7. September 1936
BUCH I
Einleitung
Kapitel 1
Die allgemeine Theorie Ich habe dieses Buch „Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ genannt, mit Betonung auf dem Wort „allgemein“. Die Absicht hinter einem derartigen Titel ist, meine Argumente und Schlussfolgerungen denen der klassischen1 Theorie gegenüberzustellen, mit der ich aufgewachsen bin und die wie schon in den vergangenen hundert Jahren auch die ökonomischen Ideen der jetzigen Generation sowohl in der Praxis als auch in der Theorie beherrscht. Ich vertrete im Folgenden die These, dass die Postulate der klassischen Theorie lediglich in einem Spezialfall Gültigkeit besitzen und nicht im Regelfall, denn die von dieser Theorie unterstellte Situation ist nur ein Grenzfall aller möglichen Gleichgewichtslagen. Überdies entsprechen die Eigenschaften des Sonderfalls, von dem die klassische Theorie ausgeht, ganz und gar nicht denen der Volkswirtschaft, in der wir in Wirklichkeit leben. Infolgedessen sind ihre Lehren irreführend und, wenn wir sie auf die realen Erfahrungen anzuwenden versuchen, von verheerender Wirkung.
1 Als „die klassischen Ökonomen“ bezeichnete Marx Ricardo und James Mill sowie deren Vorgänger, also die Begründer der Theorie, die in der ricardianischen Ökonomie ihren Höhepunkt fand. Es mag ein Fehler sein, aber ich habe mich daran gewöhnt, auch Ricardos Nachfolger unter die „klassische Schule“ zu subsummieren, also diejenigen, die die ricardianische Theorie übernommen und vervollkommnet haben, darunter zum Beispiel J. S. Mill, Marshall, Edgeworth und Pigou.
Kapitel 2
Die Postulate der klassischen Ökonomie Die meisten Abhandlungen über die Wert- und Produktionstheorie befassen sich vor allem mit der Verteilung einer gegebenen Menge beschäftigter Ressourcen auf unterschiedliche Verwendungszwecke sowie mit den Bedingungen, die beim Einsatz der Arbeitskräfte ihre relative Vergütung und die relativen Werte ihrer Produkte determinieren.1 Auch die Frage der Menge der verfügbaren Produktionsfaktoren – im Sinne der Größe der Erwerbsbevölkerung, Rohstoffvorkommen und Kapitalausstattung – wurde schon häufig deskriptiv abgehandelt. Aber wodurch sich die tatsächliche Verwendung der verfügbaren Faktoren bestimmt, wurde auf rein theoretischer Ebene bislang noch kaum detailliert untersucht. Es wäre falsch zu behaupten, diese Frage sei überhaupt noch nicht untersucht worden. Denn jede Diskussion über Schwankungen des Beschäftigungsstands – und davon gab es schon viele – hat sich damit befasst. Ich will damit sagen, das Thema wurde nicht übersehen, aber die dahinter stehende grundlegende Theorie wurde als so simpel und offensichtlich erachtet, dass sie bestenfalls nur am Rande Erwähnung fand.2 1 Das entspricht der Tradition Ricardos. Ricardo bestritt ausdrücklich jegliches Interesse an der Höhe des Nationaleinkommens, im Gegensatz zu seiner Verteilung. Er hat dabei das Wesen seiner eigenen Theorie richtig eingeschätzt. Seine weniger klarsichtigen Nachfolger haben sich jedoch in der Debatte über die Entstehung des Reichtums auf die klassische Theorie berufen. Siehe dazu Ricardos Brief an Malthus vom 9. Oktober 1820: „Sie denken, die politische Ökonomie sei eine Untersuchung des Wesens und der Entstehung des Reichtums. Ich denke, man sollte sie eine Untersuchung der Gesetze nennen, die die Verteilung der Produkte der Wirtschaftsunternehmen auf die Klassen bestimmen, die an ihrer Herstellung beteiligt sind. Über die Menge lässt sich kein Gesetz festlegen, wohl aber ein leidlich korrektes Gesetz über die Anteile. Ich bin immer stärker davon überzeugt, dass die erstere Untersuchung vergeblich und irreführend ist und nur letztere der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft.“ 2 So schreibt zum Beispiel Pigou in den Economics of Welfare (4. Auflage, S. 127; Hervorhebung durch mich): „Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, wird in der ganzen Debatte die Tatsache ignoriert, dass Arbeitskraft teilweise unbeschäftigt bleibt, zumeist gegen den Willen ihrer Besitzer. Das berührt das Argument in der Sache nicht, sondern vereinfacht lediglich die Darstellung.“ Während Ricardo daher ausdrücklich auf jeden Versuch verzichtete, sich mit der Höhe des Nationaleinkommens zu beschäftigen, behauptet Pigou in einem Buch, das sich insbesondere mit dem Pro-
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie21
I. Die angeblich so einfache und offensichtliche Theorie der Beschäftigung stützt sich meiner Ansicht nach auf die folgenden beiden grundlegenden, aber so gut wie nie diskutierten Postulate: 1. Der Lohn ist gleich dem Grenzprodukt der Arbeit. Das bedeutet, der Lohn eines Arbeitnehmers entspricht den Einnahmen, die eingebüßt würden, wenn die Beschäftigung um eine Einheit vermindert würde (nach Abzug sonstiger Kosten, die aber durch diese Produktionssenkung vermieden werden sollen). Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass diese Gleichsetzung entsprechend gewissen Grundsätzen nicht gilt, wenn Wettbewerb und Märkte unvollkommen sind. 2. Der Nutzen des Lohns bei Einsatz einer bestimmten Menge Arbeitskraft ist gleich dem Grenzleid3 dieses Beschäftigungsvolumens. Das bedeutet, der Reallohn eines Arbeitnehmers ist so hoch, dass er (nach eigener Einschätzung des Arbeitnehmers) gerade ausreichend ist, damit das tatsächlich eingesetzte Arbeitsvolumen angeboten wird. Ebenso wie beim ersten Postulat, das durch die Unvollkommenheit der Märkte relativiert wird, gilt jedoch auch hier eine Einschränkung: Die Gleichsetzung kann für jeden einzelnen Erwerbstätigen durch Zusammenschlüsse von Arbeitern ungültig werden. Der Begriff Grenzleid soll hier er alle möglichen Gründe abdecken, aus denen Menschen es vorziehen, nicht zu arbeiten, statt einen Lohn zu akzeptieren, dessen Nutzen für sie ein gewisses Minimum unterschreitet. Dieses Postulat steht in Einklang mit einem Phänomen, das man als „friktionelle“ Arbeitslosigkeit bezeichnen kann. Schließlich kalkuliert eine realistische Interpretation des Postulats ungenaue Justierungen, die einer dauerhaften Vollbeschäftigung im Weg stehen, durchaus mit ein. Ein Beispiel ist die Arbeitslosigkeit wegen zeitweiliger Ungleichgewichte bei den relativen Mengen spezieller Produktionsfaktoren etwa infolge von Fehlkalkulationen oder periodischen Nachfrageausfällen, von Verzögerungen aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen oder weil der Wechsel von einem Beschäftigungsverhältnis zum nächsten mit gewissen Verzögerungen einhergeht. In einer nichtstatischen Gesellschaft wird darum immer ein gewisser Teil der verfügbaren Arbeitskräfte im Übergang von einem Beschäftigungsverhältnis zum nächsten arbeitslos sein. Neben der friktionellen Arbeitsloblem des Nationaleinkommens beschäftigt, dass ebendiese Theorie sowohl im Fall unfreiwilliger Arbeitslosigkeit als auch bei Vollbeschäftigung gilt. 3 Unter der Prämisse, dass Arbeit als leidensvoll und Freizeit als nutzbringend empfunden wird, ist das Grenzleid der Arbeit die mit jeder zusätzlichen Arbeitseinheit einhergehende Zunahme des Arbeitsleids in Form von entgangenem Nutzen aus Freizeit. (A. d. Ü.)
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Buch 1: Einleitung
sigkeit ist das Postulat auch vereinbar mit „freiwilliger“ Arbeitslosigkeit, wenn Arbeitnehmer aufgrund von Gesetzen, gesellschaftlichen Gepflogenheiten, der Bildung von Arbeitnehmerorganisationen, langsamer Anpassung an veränderte Bedingungen oder einfach nur aus Starrsinn nicht willens oder fähig sind, eine Entlohnung entsprechend dem Wert des Produkts zu akzeptieren, das ihrer Grenzproduktivität entspricht. Mehr als diese beiden Kategorien, die friktionelle und die freiwillige Arbeitslosigkeit, ist in dem Postulat jedoch nicht vorgesehen. Die klassische Theorie lässt die Möglichkeit einer dritten Kategorie nicht zu: die „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit, die ich im Folgenden definieren werde. Der klassischen Theorie zufolge wird die Höhe der Beschäftigung, vorbehaltlich der genannten Einschränkungen, durch die beiden Postulate hinreichend genau bestimmt. Das erste ergibt die Arbeitsnachfragekurve, das zweite die Angebotskurve. Die Beschäftigungsmenge lässt sich an dem Punkt ablesen, wo der Nutzen des Grenzprodukts mit dem Grenzleid der Beschäftigung übereinstimmt. Daraus würde dann folgen, dass es nur vier Möglichkeiten gibt, für mehr Beschäftigung zu sorgen: a) eine Verbesserung von Verwaltung und Planung, wodurch sich die friktionelle Arbeitslosigkeit reduzieren lässt, b) eine Verminderung des Grenzleids der Arbeit, das sich in dem Reallohn ausdrückt, zu dem zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um so die freiwillige Arbeitslosigkeit zu senken, c) eine Erhöhung der physischen Grenzproduktivität der Arbeit in den Lohngüter (Pigous praktischer Begriff für Güter, von deren Preis der Nutzen des Nominallohns abhängt) produzierenden Branchen oder d) eine Preiserhöhung bei den Nicht-Lohngütern relativ zum Preis der Lohngüter verbunden mit einer Verschiebung der Ausgaben der NichtLohnempfänger von Lohngütern zu Nicht-Lohngütern. Dies ist meinem Verständnis nach der Kern von Pigous Theory of Unemployment, der einzigen detaillierten Darstellung der klassischen Theorie der Beschäftigung.4 II. Handeln die oben genannten Kategorien das Thema wirklich erschöpfend ab angesichts dessen, dass die Menschen kaum je so viel arbeiten, wie sie es auf der Basis des jeweils aktuellen Lohnniveaus gerne täten? Man muss 4 Pigous Theory of Unemployment wird im Anhang zu Kap. 19 ausführlicher dargestellt.
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie23
doch zugeben, dass auch beim derzeitigen Nominallohn mehr Leute eine Arbeit aufnehmen würden, wenn es nur eine entsprechende Nachfrage nach Arbeitskräften gäbe.5 Die klassische Schule versucht dieses Phänomen folgendermaßen mit ihrem zweiten Postulat in Einklang zu bringen: Auch wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften zum aktuellen Nominallohn befriedigt sein mag, bevor jeder zu diesem Lohn Arbeitswillige Arbeit gefunden hat, so sei diese Situation doch nur einer offenen oder stillschweigenden Übereinkunft unter den Arbeitern geschuldet, für weniger Geld nicht zu arbeiten. Wäre die Arbeiterschaft zu einer Nominallohnsenkung bereit, würden mehr Arbeitsplätze geschaffen. In diesem Fall erschiene die Arbeitslosigkeit zwar als eine unfreiwillige, wäre es aber streng genommen gar nicht. Vielmehr würde sie in die Kategorie „freiwillige“ Arbeitslosigkeit infolge von Kollektivverhandlungen und dergleichen fallen. An dieser Stelle bedarf es zweier Anmerkungen. Die erste bezieht sich auf die tatsächliche Einstellung der Arbeiter zu Real- bzw. Nominallöhnen, während es bei der zweiten um Grundsätzliches geht. Nehmen wir einmal an, die Arbeiter wären nicht bereit, zu einem niedrigeren Nominallohn zu arbeiten, und eine Nominallohnsenkung würde zu einem Rückzug der bislang Beschäftigten vom Arbeitsmarkt führen, sei es durch Streiks, sei es durch andere Maßnahmen. Folgt daraus nun, dass das aktuelle Reallohnniveau das Grenzleid der Arbeit exakt wiedergibt? Nicht unbedingt. Denn auch wenn eine Nominallohnsenkung zum Rückzug von Arbeitskräften führt, so lässt sich daraus keineswegs schließen, dass eine Senkung des in Lohngütern ausgedrückten Nominallohns denselben Effekt hätte, wenn sie die Folge gestiegener Preise dieser Güter wäre. Es kann mit anderen Worten durchaus sein, dass sich zumindest in einem gewissen Rahmen die von den Arbeitern geforderte Lohnuntergrenze auf den Nominal- und nicht den Reallohn bezieht. Die klassischen Ökonomen gehen stillschweigend von der Annahme aus, dass sich dadurch keine nennenswerten Änderungen ihrer Theorie ergäben. Doch das ist ein Fehler. Denn wenn das Arbeitskräfteangebot nicht vom Reallohn als einziger Variable abhängt, dann fällt ihre ganze Argumentation in sich zusammen, womit völlig ungeklärt bleibt, wodurch sich das Beschäftigungsvolumen denn nun eigentlich bestimmt.6 Die Klassiker machen sich offenbar nicht bewusst, dass sich ihre Arbeitsangebotskurve, wenn sich das Angebot an Arbeitskraft nicht allein aus den Reallöhnen ableitet, mit jeder Preisänderung insgesamt verschiebt. Somit ist ihre Verfahrensweise aufs Engste mit ihren höchst speziellen Annahmen verknüpft und lässt sich auf den Normalfall gar nicht anwenden. 5 Siehe
Zitat von Pigou oben in Fußnote 2. Punkt wird noch genauer dargestellt im Anhang zu Kap. 19.
6 Dieser
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Buch 1: Einleitung
Die Erfahrung lässt keinen Zweifel daran, dass eine Situation, in der die Arbeiterschaft (innerhalb gewisser Grenzen) ihre Forderungen am Nominalstatt am Reallohn ausrichtet, beileibe keine Möglichkeit unter vielen ist, sondern vielmehr die Norm. Arbeiter leisten zwar normalerweise Widerstand gegen eine Nominallohnsenkung, aber sie ziehen sich nicht gleich vom Arbeitsmarkt zurück, sobald es zu Preiserhöhungen bei den Lohngütern kommt. Mitunter wird den Arbeitern vorgeworfen, es sei unvernünftig, sich einer Nominallohnsenkung zu widersetzen, nicht aber einer Senkung der Reallöhne. Aus Gründen, die weiter unten noch ausgeführten werden (siehe S. 27), ist das vielleicht nicht so unvernünftig, wie es auf den ersten Blick wirken mag – glücklicherweise, wie wir noch sehen werden. Unabhängig davon zeigt die Erfahrung, dass sich die Arbeitnehmer jedenfalls genau so verhalten. Zudem hält die Behauptung, die in Depressionen übliche Arbeitslosigkeit sei auf die Weigerung der Arbeiter zurückzuführen, niedrigere Nominallöhne zu akzeptieren, den Fakten nicht stand. Nicht gerade plausibel ist auch die Feststellung, dass in den Vereinigten Staaten die Arbeitslosigkeit im Jahr 1932 die Schuld der Arbeiter gewesen sei, die sich stur einer Nominallohnsenkung widersetzt oder ebenso stur auf höhere Reallöhne bestanden hätten, als die wirtschaftliche Produktivität hergab. Auch ganz ohne erkennbare Veränderungen bei den Lohnforderungen der Arbeiterschaft oder der Arbeitsproduktivität schwankt die Zahl der Arbeitsplätze erheblich. Die Arbeiter sind in wirtschaftlichen Krisenzeiten weder aufsässiger als sonst – ganz im Gegenteil! – noch ist ihre Produktivität geringer. Diese empirisch nachweisbaren Fakten sind allein schon Grund genug, die klassische Theorie in Frage zu stellen. Es wäre interessant, die Ergebnisse einer statistischen Erhebung über den Zusammenhang von Nominal- und Reallohnveränderungen zu sehen. Im Fall einer auf eine einzelne Branche beschränkten Veränderung wäre zu erwarten, dass sich beide in dieselbe Richtung entwickeln. Bei einer Veränderung des allgemeinen Lohnniveaus aber dürfte sich meiner Ansicht nach der Reallohn, weit davon entfernt, dieselbe Richtung wie der Nominallohn einzuschlagen, fast immer in die Gegenrichtung bewegen. Bei steigenden Nominallöhnen werden sich also sinkende Reallöhne beobachten lassen, und bei sinkenden Nominallöhnen werden die Reallöhne steigen. Das liegt daran, dass auf kurze Sicht sowohl sinkende Nominallöhne als auch steigende Reallöhne jeweils mit geringerer Beschäftigung einhergehen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Bei einem schrumpfenden Beschäftigungsniveau werden die Arbeiter nämlich eher zu Lohnkürzungen bereit sein. Zugleich aber steigen zwangsläufig die Reallöhne, weil das Grenzprodukt der Arbeit zunimmt, wenn bei einem gegebenen Sachkapital die Produktion zurückgeht. Wenn der aktuelle Reallohn wirklich und wahrhaftig die Untergrenze wäre, unterhalb derer das Arbeitsangebot unter keinen Umständen über den
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie25
jetzigen Stand hinausginge, dann gäbe es, von der friktionellen Arbeit abgesehen, keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Es ist aber geradezu abwegig anzunehmen, dass diese Behauptung ausnahmslos zutrifft. In der Regel stehen zu den aktuellen Nominallöhnen mehr Arbeitssuchende zur Verfügung, als es Arbeitsplätze gibt, auch wenn die Lohngüterpreise steigen und infolgedessen die Reallöhne rückläufig sind. Wenn das stimmt, dann ist der in Lohngütern ausgedrückte Gegenwert eines bestimmten Nominallohns kein exakter Indikator für das Grenzleid der Arbeit. Das zweite Postulat ist damit hinfällig. Es gibt allerdings noch einen grundsätzlicheren Einwand. Das zweite Postulat geht von der Annahme aus, dass die Reallöhne der Arbeiter das Ergebnis von Lohnabschlüssen der Arbeitnehmervertreter mit den Unternehmern sei. Seine Verfechter geben natürlich zu, dass diese Abschlüssen in Wirklichkeit auf nominaler Basis erfolgen, und sogar, dass die den Arbeitnehmern annehmbar erscheinenden Reallöhne nicht ohne Bezug zum entsprechenden Nominallohn sind. Gleichwohl ist es der auf diese Weise vereinbarte Nominallohn, der ihrer Ansicht nach den Reallohn bestimmt. Die klassische Theorie geht also davon aus, dass es den Arbeitnehmern immer freistehe, ihren Reallohn zu senken, indem sie einer Nominallohnsenkung zustimmen. Das Postulat über die tendenzielle Angleichung des Reallohns an das Grenzleid der Arbeit unterstellt ganz klar, dass die Arbeiter den Reallohn, für den sie arbeiten, selbst bestimmen können, nicht aber die Menge der zu diesem Lohn angebotenen Beschäftigung. Der traditionellen Theorie zufolge wird kurz gesagt der Reallohn durch Lohnverhandlungen zwischen Unternehmern und Arbeitern bestimmt. Sofern zwischen den Arbeitgebern freier Wettbewerb herrscht und es keine den Wettbewerb einschränkenden Arbeitnehmervereinigungen gibt, können letztere ihre Reallöhne, wenn sie wollen, mit dem Grenzleid der von den Arbeitgebern bei diesem Lohnniveau angebotenen Beschäftigung in Übereinstimmung bringen. Trifft das aber nicht zu, gibt es keinen Grund mehr, von einer tendenziellen Angleichung des Reallohns an das Grenzleid der Arbeit auszugehen. Es sei daran erinnert, dass sich die Aussagen der klassischen Theorie auf die gesamte Arbeiterschaft beziehen und keineswegs nur besagen, dass ein Einzelner einen Arbeitsplatz finden kann, indem er einen niedrigeren Nominallohn akzeptiert als seine Mitbewerber. Sie sollen überdies für offene genauso wie für geschlossene Volkswirtschaften Gültigkeit besitzen – unabhängig von den Besonderheiten einer offenen Volkswirtschaft oder von den Auswirkungen einer Nominallohnkürzung in einem einzelnen Land auf dessen Außenhandel (was jedoch nicht Thema dieser Abhandlung ist). Ebenso wenig gehen sie von indirekten Effekten niedrigerer nominaler Lohnkosten auf das Bankensystem und dessen Vertrauen in die Kreditwür-
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Buch 1: Einleitung
digkeit seiner Kunden aus (womit sich Kapitel 19 noch eingehender befasst). Vielmehr liegt ihnen die Überzeugung zugrunde, dass in einem geschlossenen System niedrigere Nominallöhne – zumindest kurzfristig und vorbehaltlich geringfügiger Einschränkungen – mit einer gewissen, wenn auch nicht immer proportionalen Senkung der Reallöhne einhergehen. Nun trifft die Annahme, dass das allgemeine Reallohnniveau aus den nominalen Lohnabschlüssen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern resultiert, nicht unbedingt zu. Es ist doch merkwürdig, dass kaum je der Versuch unternommen wurde, diese Behauptung zu beweisen oder zu widerlegen. Schließlich steht sie alles andere als im Einklang mit dem Tenor der klassischen Theorie, die uns glauben machen will, dass Preise durch die nominalen Grenzkosten und diese wiederum im Wesentlichen durch Nominallöhne bestimmt werden. Im Falle einer Veränderung der Nominallöhne wäre nun zu erwarten gewesen, dass die Anhänger der klassischen Schule eine Veränderung der Preise in ähnlicher Größenordnung postulieren bei mehr oder weniger unveränderten Reallöhnen und Arbeitslosenquote. Etwaige kleine Zugewinne oder Verluste für die Arbeiter würden dabei mit den übrigen Bestandteilen der Grenzkosten verrechnet, die ja gleich geblieben sind.7 Sie scheinen jedoch von dieser Vorstellung abgekommen zu sein, teils aufgrund der festen Überzeugung, die Arbeiter könnten ihren eigenen Reallohn festsetzen, und teils wohl aufgrund ihrer fixen Idee, Preise seien eine Funktion der Geldmenge. Dass der einmal gefasste Glauben an die Fähigkeit der Arbeiter, den eigenen Reallohn zu bestimmen, nie hinterfragt wurde, liegt wohl auch daran, dass er mit der These verwechselt wurde, die Arbeiter könnten bestimmen, welcher Reallohn dem Zustand Vollbeschäftigung entspricht, das heißt mit der maximalen Beschäftigung, die mit einem gegebenen Reallohn vereinbar ist. Es gibt zusammenfassend also zwei Einwände gegen das zweite Postulat der klassischen Theorie. Der erste bezieht sich auf das wirkliche Verhalten der Arbeiter. Ein Sinken der Reallöhne aufgrund von Preissteigerungen sorgt normalerweise nicht dafür, dass das zum aktuellen Lohn bestehende Arbeitskräfteangebot unter die tatsächliche Beschäftigtenzahl vor der Preiserhöhung fällt. Unter der Annahme eines derartigen Rückgangs müssten sich alle Arbeitslosen, die zum gegenwärtigen Lohn zu arbeiten bereit wären, schon beim geringsten Anstieg der Lebenshaltungskosten vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Und doch liegt diese merkwürdige Auffassung anscheinend Pigous Theory of Unemployment 8 zugrunde und wurde von allen Anhängern der orthodoxen Schule stillschweigend übernommen. 7 Dieses Argument hätte meiner Ansicht nach tatsächlich viel für sich, obgleich die vollständigen Auswirkungen einer Nominallohnänderung komplexer sind, wie in Kap. 19 gezeigt wird. 8 s. Anhang von Kap. 19.
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie27
Dass sich die Behauptung, das allgemeine Reallohnniveau sei das unmittelbare Ergebnis von Lohnverhandlungen, anfechten lässt, bringt uns zu dem anderen, grundlegenderen Einwand, der in den folgenden Kapiteln noch näher ausgeführt werden soll. In den Lehrsatz der klassischen Schule, dass der Lohnabschluss den Reallohn bestimmt, hat sich eine unzulässige Prämisse eingeschlichen. Die Arbeiterschaft als Ganze verfügt nämlich möglicherweise über kein Instrument, das Lohngüter-Äquivalent des durchschnittlichen Nominallohns mit dem Grenzleid des aktuellen Beschäftigungsvolumens in Übereinstimmung zu bringen. Womöglich steht der Arbeiterschaft gar kein Mittel zur Verfügung, ihren Reallohn im Zuge von nominalen Lohnabschlüssen mit den Arbeitgebern auf ein ganz bestimmtes Niveau zu senken. Das jedenfalls ist die These, die wir im Folgenden näher ausführen werden. Wir werden nachzuweisen versuchen, dass das allgemeine Reallohniveau im Wesentlichen durch ganz andere Einflüsse bestimmt wird. Dieser Klärungsversuch ist einer der Schwerpunkte dieses Buches. Wir werden darlegen, dass bislang die Funktionsweise unserer Volkswirtschaft von Grund auf falsch verstanden wurde. III. Zwar gehen die meisten davon aus, die Kämpfe zwischen Einzelpersonen und Organisationen um die Nominallöhne seien entscheidend für das allgemeine Niveau der Reallöhne. Aber in Wirklichkeit geht es dabei um etwas anderes. Weil die Arbeitnehmermobilität unvollkommen ist und weil sich Löhne meist nicht einfach mit dem Nettovorteil in verschiedenen Beschäftigungszweigen gleichsetzen lassen, würden all diejenigen, die eine Nominallohnsenkung relativ zu anderen Gruppen akzeptieren, auch eine relative Verminderung ihrer Reallöhne hinnehmen müssen – was allein schon ein hinreichender Grund für die Ablehnung von Lohnsenkungen ist. Andererseits wäre es undurchführbar, sich jeder Reallohnkürzung zu widersetzen, die durch eine Änderung der Kaufkraft des Geldes verursacht wird und die alle Arbeiter gleichermaßen trifft. Und tatsächlich gibt es kaum Widerstand gegen derartige Reallohnsenkungen, sofern sie nicht übermäßig hoch ausfallen. Ohnehin stellt der Widerstand gegen Reallohnsenkungen in einzelnen Branchen kein so unüberwindliches Hindernis für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze dar wie die Verweigerung jeglicher Reallohnkürzungen. Der Kampf um die Nominallöhne wirkt sich mit anderen Worten in erster Linie auf die Verteilung der realen Lohnsumme zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen aus und nicht etwa auf deren durchschnittliche Höhe pro Beschäftigtem – die, wie wir noch sehen werden, von anderen Faktoren abhängt. Der Zusammenschluss von Arbeitern zielt darauf, ihren relativen
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Buch 1: Einleitung
Reallohn zu sichern. Das allgemeine Reallohnniveau hängt demgegenüber von anderen volkswirtschaftlichen Einflüssen ab. Instinktiv und ohne es zu merken sind die Arbeiter also vernünftigere Ökonomen als die Anhänger der klassischen Schule. So leisten sie Widerstand gegen Nominallohnkürzungen, die so gut wie nie allumfassend sind, auch wenn das reale Äquivalent dieser Löhne größer ist als das Grenzleid der aktuellen Beschäftigungsmenge. Sie wehren sich indes nicht gegen niedrigere Reallöhne, wenn diese mit höherer Gesamtbeschäftigung einhergehen und die relativen Nominallöhne unverändert lassen. Etwas anderes ist es, wenn die Kürzungen so weit gehen, dass die Reallöhne unter das Grenzleid des aktuellen Beschäftigungsvolumens fallen. Jede Gewerkschaft wird sich natürlich gegen eine noch so kleine Nominallohnkürzung zur Wehr setzen. Da jedoch Gewerkschaften nicht im Traum darauf kämen, bei jeder Erhöhung der Lebenshaltungskosten zu streiken, stellen sie auch nicht das Hindernis für die Schaffung von Arbeitsplätzen dar, für das die klassische Schule sie hält. IV. Es bleibt nun noch, die dritte Art von Arbeitslosigkeit zu definieren, nämlich die „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit im engeren Sinne, deren Existenz die klassische Theorie nicht anerkennt. Mit unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ist selbstredend nicht das bloße Vorhandensein nicht ausgeschöpfter Arbeitskapazitäten gemeint. So kann bei einem Achtstundentag noch nicht von Arbeitslosigkeit gesprochen werden, nur weil es nicht über die menschlichen Kräfte geht, auch zehn Stunden zu arbeiten. Genauso wenig handelt es sich um Arbeitslosigkeit, wenn eine Arbeiterorganisation die Arbeit niederlegt, weil die Mitglieder nicht für einen Reallohn unterhalb bestimmter Grenzen arbeiten wollen. Zudem ist es sinnvoll, die friktionelle Arbeitslosigkeit aus unserer Definition von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit auszuklammern. Meine Definition lautet demnach folgendermaßen: Menschen sind unfreiwillig arbeitslos, wenn bei einer kleinen Preiserhöhung von Lohngütern relativ zum Nominallohn sowohl das Gesamtangebot an Arbeitskraft zu diesem Nominallohn als auch die zu diesem Lohn bestehende Gesamtnachfrage danach größer ist als die tatsächliche Beschäftigungsmenge. Eine alternative Definition, die letztlich jedoch auf das Gleiche hinausläuft, findet sich in Kapitel 3. Aus dieser Definition folgt, dass die Gleichsetzung von Reallohn und Grenzleid der Beschäftigung, von der das zweite Postulat ausgeht, unter realistischer Betrachtung der Abwesenheit unfreiwilliger Arbeitslosigkeit entspricht. Dieser Zustand soll hier als „Vollbeschäftigung“ bezeichnet wer-
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie29
den, wobei sowohl friktionelle als auch freiwillige Arbeitslosigkeit mit einer so definierten Vollbeschäftigung vereinbar sind. Dies passt, wie wir noch sehen werden, zu anderen Merkmalen der klassischen Theorie, die sich am besten als Theorie der Verteilung unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung begreifen lässt. Geht man von der Gültigkeit der klassischen Postulate aus, ist keine in diesem Sinne unfreiwillige Arbeitslosigkeit möglich. Für die unbestritten vorhandene Arbeitslosigkeit kann es deswegen nur drei Gründe geben: ein vorübergehender Arbeitsplatzverlust vom Typ „Übergang von einem Beschäftigungsverhältnis zum nächsten“, die schwankende Nachfrage nach hochspezialisierten Arbeitskräften oder aber die Auswirkungen eines Gewerkschaftszwangs9 auf die Beschäftigungssituation unorganisierter Arbeitnehmer. In der klassischen Tradition verwurzelte Autoren übersehen stets, dass die ihrer Theorie zugrunde liegende Annahme nur in Sonderfällen zutrifft. Auf diese Annahme gestützt, erscheint es ihnen dann ganz logisch, dass jedwede bestehende Arbeitslosigkeit (von den genannten Ausnahmen abgesehen) im Grunde genommen nur an der Weigerung der Arbeitslosen liegen kann, sich mit einem Lohn zufrieden zu geben, der ihrer Grenzproduktivität entspricht. Ein klassischer Ökonom mag sogar Verständnis haben für den Widerstand der Arbeiter gegen Nominallohnkürzungen. Er gibt vielleicht auch zu, dass diese zur Bekämpfung nur kurzzeitiger Probleme unklug sein könnten. Aber seine wissenschaftliche Integrität zwingt ihn gleichwohl zu der Behauptung, allein die Weigerung der Arbeiter sei die Wurzel aller Probleme. Wenn jedoch die klassische Theorie nur für einen Zustand der Vollbeschäftigung gültig ist, wäre es abwegig, sie auf das Problem der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit anzuwenden – wenn es so etwas gibt (und wer würde das bestreiten?). Die klassischen Theoretiker gleichen euklidischen Mathematikern in einer nichteuklidischen Welt, die entdecken, dass scheinbar parallele Geraden sich in Wirklichkeit oft treffen, und denen kein anderes Mittel gegen die bedauerlichen Zusammenstöße einfällt, als die Linien dafür zu tadeln, dass sie nicht gerade bleiben. Dabei gäbe es in Wahrheit kein anderes Mittel als das Axiom der Parallelen zu verwerfen und eine nichteuklidische Geometrie zu erarbeiten. Etwas Vergleichbares ist heute in der Volkswirtschaftslehre nötig. Wir müssen das zweite Postulat der klassischen Doktrin aufgeben und stattdessen das Verhalten eines Wirtschaftssystems erforschen, in dem unfreiwillige Arbeitslosigkeit im engeren Sinne möglich ist.
9 Insbesondere in den angelsächsischen Ländern gibt es eine lange Tradition so genannter „closed shops“, also Betriebe, in denen ausschließlich Gewerkschaftsmitglieder beschäftigt werden. (A. d. Ü.)
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Buch 1: Einleitung
V. Bei aller Betonung der Punkte, in denen wir vom klassischen System abweichen, dürfen wir nicht übersehen, dass es in einem Punkt eine Übereinstimmung gibt. Das erste Postulat nämlich werden wir beibehalten, mit denselben Einschränkungen wie in der klassischen Theorie. Wir sollten uns einen Moment Zeit nehmen, um uns der Folgen bewusst zu werden. Reallöhne und Produktionsvolumen (und damit auch das Beschäftigungsvolumen) weisen demnach bei gleicher Organisation, Ausrüstung und Technik eine starke Korrelation auf. Ein Beschäftigungszuwachs muss daher im Allgemeinen mit einem sinkenden Reallohnniveau einhergehen. Diese für die klassischen Ökonomen (zu Recht) unantastbare, zentrale These stelle ich also nicht in Frage. Bei gegebener Organisation, Ausrüstung und Technik korreliert der Reallohn einer Arbeitskraft auf eine ganz bestimmte Weise (negativ) mit dem Beschäftigungsvolumen. Wenn also die Beschäftigung zunimmt, muss auf kurze Sicht die in Lohngütern ausgedrückte Entlohnung einer Arbeitskraft für gewöhnlich sinken, während zugleich die Gewinne steigen.10 Das ist ganz einfach der Umkehrschluss des bekannten Lehrsatzes, dem zufolge das produzierende Gewerbe auf kurze Sicht und bei konstanten Betriebsmitteln etc. mit abnehmenden Erträgen arbeitet, so dass eine zunehmende Beschäftigung zwingend mit einem geringeren Grenzprodukt in den Lohngüterbranchen (welches ja die Reallöhne determiniert) einhergeht. Solange dies der Fall ist, muss jeder Versuch, mehr Beschäftigung zu schaffen, zugleich auf eine Verringerung des Grenzprodukts hinauslaufen und infolgedessen auch des in diesen Produkten ausgedrückten Lohnniveaus. Auch wenn wir das zweite Postulat verworfen haben, so ergibt sich doch ein Beschäftigungsrückgang – obschon dann die Arbeiter zwangsläufig einer größeren Menge an Lohngütern entsprechende Löhne erhalten – nicht zwangsläufig daraus, dass die Arbeiter mehr Lohngütern fordern. Und die bereitwillige Hinnahme niedrigerer Nominallöhne durch die Arbeiter ist auch nicht unbedingt ein Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit. Die Theorie über den Zusammenhang von Löhnen und Beschäftigung, auf die hier an10 Die Erklärung lautet folgendermaßen: Es werden n Arbeiter beschäftigt, der n‑te Arbeiter erhöht die Ernte um einen Scheffel pro Tag, und die Löhne haben eine Kaufkraft von einem Scheffel pro Tag. Der (n + 1)-te Arbeiter würde die Ernte jedoch nur mehr um 0,9 Scheffel pro Tag erhöhen. Die Beschäftigtenzahl kann daher nicht auf n + 1 Arbeiter steigen, es sei denn, der Preis des Getreides stiege im Verhältnis zu den Löhnen, bis der Tageslohn auf eine Kaufkraft von 0,9 Scheffel pro Tag gefallen ist. Die Lohnsumme würde sich dann auf 9 / 10 (n + 1) Scheffel belaufen, verglichen mit n Scheffel vorher. Die Beschäftigung eines zusätzlichen Arbeiters führt somit zwangsläufig zu einer Übertragung von Einkommen von denen, die bereits zuvor beschäftigt waren, auf die Unternehmer.
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie31
gespielt wird, kann jedoch erst in Kapitel 19 und dessen Anhang im Detail ausgeführt werden. VI. Seit Say und Ricardo haben die klassischen Ökonomen gelehrt, dass das Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Gemeint ist damit, dass in gewisser, leider nicht näher definierter Weise die gesamten Produktionskosten direkt oder indirekt wieder für den Kauf der Produkte ausgegeben werden müssen. In J. S. Mills Principles of Political Economy (Grundsätze der politischen Ökonomie) wird diese Doktrin ausdrücklich dargelegt: Die Zahlungsmittel für Waren sind ihrerseits schlicht Waren. Die Mittel des einen zum Kauf der Erzeugnisse eines anderen sind seine eigenen Erzeugnisse. Alle Verkäufer sind unweigerlich und im strengen Sinne des Wortes Käufer. Könnten wir plötzlich die Produktivkräfte eines Landes verdoppeln, dann würden wir damit nicht nur das Warenangebot in jedem Markt verdoppeln, sondern gleichzeitig auch die Kaufkraft. Jeder würde sowohl die doppelte Nachfrage als auch das doppelte Angebot auf den Markt bringen. Jeder könnte doppelt so viel kaufen, weil jeder im Tausch dafür doppelt so viel anzubieten hätte.11
Aus dieser Doktrin wurde dann logisch abgeleitet, jeder Akt des Konsumverzichts bedeute zwangsläufig, dass alle Arbeit und Güter, die nun nicht mehr für die Befriedigung des Konsums nötig sind, stattdessen für die Bildung von Kapitalvermögen verwendet würden. Die folgende Textstelle aus Marshalls Pure Theory of Domestic Values12 ist ein Beispiel für diesen traditionellen Ansatz: Menschen geben ihr ganzes Einkommen für den Kauf von Dienstleistungen und Waren aus. Es wird zwar gemeinhin angenommen, dass die meisten Leute nur einen Teil ihres Einkommens ausgeben und den Rest sparen. Doch einem geläufigen ökonomischen Grundsatz zufolge nutzen sie ihre Ersparnissen genauso zum Kauf von Dienstleistungen und Waren wie den Teil des Einkommens, den sie gleich ausgeben. Man hat den Eindruck, dass sie Geld ausgeben, wenn sie erworbene Dienstleistungen und Waren aktuell nutzen wollen. Und man hält es für Sparen, wenn sie die zu kaufenden Dienstleistungen und Waren für die Erzeugung von Vermögen übrig lassen, durch welches sie die Mittel für deren späteren Genuss zu erhalten hoffen.
Es ist wahr, dass sich vergleichbare Textstellen in Marshalls späterem Werk13 oder in den Arbeiten von Edgeworth oder Pigou kaum finden las11 Principles 12 S. 34.
of Political Economy, Buch III, Kap. 14, Abs. 2.
13 Nachdem er in seiner Physiology of Industry (S. 102) die obige Passage von Mill zitiert hat, weist J. A. Hobson darauf hin, dass Marshall schon in seinen Eco-
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Buch 1: Einleitung
sen. In dieser groben Form wird die Doktrin heutzutage nicht mehr vertreten. Dennoch liegt sie nach wie vor der ganzen klassischen Theorie zugrunde, die ohne sie einfach in sich zusammenfiele. Zeitgenössische Ökonomen, die vielleicht nicht unbedingt mit Mill einverstanden sind, haben keinerlei Probleme mit Befunden, die auf Mills Doktrin basieren. So durchzieht die Überzeugung beispielsweise Pigous gesamtes Werk, dass Geld von friktionellen Effekten abgesehen keine größere Bedeutung hat und dass sich die Theorie der Produktion und Beschäftigung (wie die von Mill) allein auf der Grundlage „realer“ Tauschhandlungen entwickeln lasse – Geld wird erst später im Text oberflächlich behandelt. Doch dies ist nichts anderes als eine modernere Variante der klassischen Tradition. Die zeitgenössische Lehrmeinung bleibt der Vorstellung verhaftet, Leute würden ihr Geld so oder so ausgeben.14 Den Ökonomen der Nachkriegszeit gelingt es zwar selten, diesen Standpunkt konsequent zu vertreten, weil ihr Lehrgebäude zu stark von gegenläufigen Tendenzen und von Erfahrungen durchdrungen ist, die allzu offensichtlich ihren früheren Ansichten widersprechen.15 Aber sie haben daraus keine hinreichend umfassenden Schlüsse gezogen, geschweige denn, dass sie ihre grundlegenden Theorien entsprechend überarbeitet hätten. Zunächst einmal wurden diese Schlussfolgerungen wohl auf unsere tatsächliche Wirtschaft übertragen, indem diese fälschlicherweise mit einer Robinson-Crusoe-Wirtschaft ohne Tauschgeschehen gleichgesetzt wurde, in der das Einkommen, das die Menschen durch ihre Produktionstätigkeit erzielen und entweder verbrauchen oder zurückbehalten, nichts anderes ist als die sich durch diese Tätigkeit ergebende Gütermenge. Aber davon abgesehen ist die Annahme, dass die Produktionskosten immer und in Gänze durch nomics of Industry (S. 154) folgende Bemerkung über diese Textstelle gemacht hat: „Auch wenn Menschen Kaufkraft haben, ziehen sie es unter Umständen vor, sie nicht zu nutzen.“ Aber, fährt Hobson fort, „er kann die entscheidende Bedeutung dieser Tatsache nicht erfassen und scheint ihre Auswirkungen auf Zeiten der ‚Krise‘ zu beschränken“. Angesichts des späteren Werks von Marshall scheint mir das nach wie vor eine berechtigte Kritik zu sein. 14 Vgl. Alfred und Mary Marshall, Economics of Industry, S. 17; „Es ist nicht gut, wenn Händler Kleider aus Material machen lassen, das sich schnell abträgt; denn wenn die Menschen ihr Geld nicht für neue Bekleidung aufwenden, könnten sie es nutzen, Arbeiter auf eine andere Art zu beschäftigen.“ Der Leser wird bemerken, dass ich wieder den frühen Marshall zitiere. Der Marshall der Principles ist hinreichend ins Grübeln gekommen, um sich sehr vorsichtig und ausweichend auszudrücken. Aber seine alten Ideen wurden nie widerrufen oder aus den Grundannahmen seines Modells entfernt. 15 Es ist das Verdienst von Robbins, dass er beinahe als einziger konsequent ein in sich geschlossenes Denkschema aufrechterhält, in dem seine praktischen Empfehlungen und seine Theorien ein einheitliches System darstellen.
Kap. 2: Die Postulate der klassischen Ökonomie33
die aus der Nachfrage resultierenden Verkaufserlöse gedeckt sind, durchaus plausibel. Denn sie ist kaum von einem ähnlichen, unstrittigen Grundsatz zu unterscheiden, demzufolge das Gesamteinkommen aller Erwerbstätigen zwingend genau denselben Wert haben muss wie der Produktionswert. Genauso ist auch die Vermutung naheliegend, dass jede Tätigkeit eines Einzelnen, durch die dieser sich bereichert, ohne anderen erkennbar etwas wegzunehmen, zugleich die Allgemeinheit bereichert. Folglich müssen (wie im obigen Zitat von Marshall) die Ersparnisse eines Einzelnen unweigerlich zu entsprechenden Investitionen führen. Denn um es noch einmal zu sagen: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Summe der individuellen Reinvermögenszuwächse genau gleich dem aggregierten Reinvermögenszuwachs der Bevölkerung ist. Wer so denkt, sitzt jedoch einer optischen Täuschung auf, die zwei grundsätzlich verschiedene Tätigkeiten gleich erscheinen lässt. Die Annahme einer Verbindung zwischen aktuellem Konsumverzicht und der Vorsorge für künftigen Konsum ist irrig. Vielmehr stehen die Motive für letzteres in keinem einfachen Zusammenhang mit den Beweggründen für ersteres. Die Annahme einer Gleichheit zwischen dem Nachfrage- und dem Angebotspreis der gesamten Produktionsmenge ist gleichsam das „Axiom der Parallelen“ der klassischen Theorie. Basierend auf dieser Annahme ergibt sich alles andere von selbst – die gesellschaftlichen Vorteile privater und nationaler Sparsamkeit, die traditionelle Einstellung zum Zins, die klassische Theorie der Arbeitslosigkeit, die Quantitätstheorie des Geldes, die nicht näher ausgeführten Vorteile des Laissez-faire im Außenhandel und noch viel mehr, was wir alles in Frage stellen müssen. VII. In diesem Kapitel wurde immer wieder die Abhängigkeit der klassischen Theorie von mehreren Annahmen beschrieben, nämlich 1. dass der Reallohn gleich dem Grenzleid der aktuellen Beschäftigung ist, 2. dass es keine im engeren Sinne unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt und 3. dass das Angebot seine eigene Nachfrage schafft, in dem Sinne, dass auf allen Produktions- und Beschäftigungsstufen der aggregierte Nachfragepreis gleich dem aggregierten Angebotspreis ist. Diese drei Annahmen laufen jedoch alle insofern auf das gleiche hinaus, als sie miteinander stehen und fallen, denn jede von ihnen bezieht die jeweils anderen beiden logisch mit ein.
Kapitel 3
Das Prinzip der effektiven Nachfrage I. Wir brauchen zunächst einmal einige Begriffe, die erst später genauer definiert werden. Für einen Unternehmer geht bei einem gegebenen Stand an Technik, Ressourcen und Kosten die Beschäftigung einer bestimmten Menge Arbeitskraft mit zweierlei Ausgaben einher: zum einen den Beträgen, die er für den Faktor Arbeit (ausgenommen andere Unternehmer) für dessen laufende Dienste zahlt, die wir die Faktorkosten der fraglichen Beschäftigungsmenge nennen. Zur zweiten Art von Ausgaben zählen die Beträge, die er anderen Unternehmern für das zahlt, was er von ihnen einkaufen muss, sowie die Kosten, die ihm entstehen, wenn er seine Anlagen laufen lässt, statt sie ungenutzt zu lassen. Diese bezeichnen wir als Nutzungskosten der fraglichen Beschäftigungsmenge.1 Der Wert der Produkte abzüglich der Summe der bei ihrer Produktion anfallenden Faktor- und Nutzungskosten ist der Gewinn bzw. in unserer Terminologie das Einkommen des Unternehmers. Die Faktorkosten aus Sicht des Unternehmers sind natürlich nichts anderes als das, was die Produktionsfaktoren als ihr Einkommen betrachten. Die Faktorkosten und der Unternehmergewinn zusammengenommen ergeben das, was wir als das Gesamteinkommen aus der durch den Unternehmer geschaffenen Beschäftigung bezeichnen. So definiert, ist der Gewinn des Unternehmers die Größe, die er zu maximieren versucht, wenn er über die Menge der von ihm angebotenen Beschäftigung entscheidet. Von der Warte des Unternehmers aus gesehen ist es mitunter praktisch, das Gesamteinkommen (d. h. Faktorkosten plus Gewinn) aus einer bestimmten Beschäftigungsmenge als den Erlös aus dieser Beschäftigung zu bezeichnen. Auf der anderen Seite entspricht der aggregierte Angebotspreis2 der von einer bestimmten Zahl Beschäftigter erzeugten Gütermenge der Erwartung des Erlöses, bei dem es sich für die Unternehmer gerade noch lohnt, diese Beschäftigung anzubieten.3 1 Für
eine genaue Definition von Nutzungskosten siehe Kap. 6. zu verwechseln (siehe unten) mit dem Angebotspreis einer Gütereinheit im herkömmlichen Sinn. 3 Der Leser wird bemerken, dass ich die Nutzungskosten sowohl vom Erlös als auch vom aggregierten Angebotspreis einer gegebenen Produktionsmenge abziehe, so dass beide Begriffe als bereinigt um die Nutzungskosten ausgelegt werden müs2 Nicht
Kap. 3: Das Prinzip der effektiven Nachfrage35
Folglich hängt bei einem gegebenen Stand von Technik, Ressourcen und Faktorkosten pro Beschäftigtem das Beschäftigungsvolumen sowohl in jeder einzelnen Firma oder Branche als auch insgesamt von der Höhe der Erlöse ab, die die Unternehmer aus dem Verkauf ihres entsprechenden Produkts erwarten.4 Denn die Unternehmer werden das Beschäftigungsvolumen stets so festzusetzen versuchen, dass die Erlöse möglichst weit über den Faktorkosten liegen. Es sei Z der aggregierte Angebotspreis der von N Beschäftigten erzeugten Produkte. Das Verhältnis zwischen Z und N soll als Z = φ(N) beschrieben werden und lässt sich als aggregierte Angebotsfunktion5 bezeichnen. Des Weiteren sei D der Erlös, den Unternehmer aus der Beschäftigung von N Personen erwarten. Das Verhältnis zwischen D und N lässt sich dementsprechend als D = f(N) ausdrücken, was man als aggregierte Nachfragefunktion bezeichnen kann. Liegt nun für einen gegebenen Wert von N der erwartete Erlös über dem aggregierten Angebotspreis, ist also D größer als Z, so stellt dies für die sen, während die von den Käufern bezahlten Gesamtsummen natürlich die Nutzungskosten einschließen. Die Zweckdienlichkeit dieses Vorgehens wird sich in Kap. 6 erweisen. Der wesentliche Punkt ist, dass die aggregierten Erlöse und der aggregierte Angebotspreis abzüglich der Nutzungskosten einheitlich und eindeutig definiert werden können. Da die Nutzungskosten offensichtlich sowohl vom Ausmaß der Integration der Industrie abhängen als auch vom Maß, in dem die Unternehmer voneinander kaufen, ist eine Definition der von den Käufern bezahlten Gesamtsummen inklusive Nutzungskosten dagegen nicht möglich, denn diese hängen von anderen Faktoren ab. Ein ähnliches Problem taucht bereits auf, will man den Angebotspreis im herkömmlichen Sinn für einen einzelnen Produzenten definieren. Beim aggregierten Angebotspreis der Gesamtproduktion tun sich überdies unerwartete Probleme der Doppelzählung auf. Berücksichtigt man dabei auch noch die Nutzungskosten, können diese Schwierigkeiten nur durch besondere Annahmen überwunden werden, etwa die Zusammenfassung von Unternehmen in Gruppen, je nachdem, ob sie Verbrauchs- oder Kapitalgüter erzeugen. Solche Annahmen aber sind an und für sich unklar und kompliziert und entsprechen auch nicht der Realität. Wenn der aggregierte Angebotspreis hingegen wie oben abzüglich der Nutzungskosten definiert wird, werden diese Schwierigkeiten vermieden. Ich empfehle jedoch dem Leser, die ausführliche Erläuterung in Kap. 6 und seinem Anhang abzuwarten. 4 Ein Unternehmer, der eine Entscheidung über sein Produktionsvolumen treffen muss, stützt sich dabei natürlich nicht auf eine einzige, nicht anzuzweifelnde Erwartung über den Verkaufserlös einer gegebenen Produktmenge, sondern auf verschiedene hypothetische Annahmen, deren Wahrscheinlichkeit und Exaktheit variieren. Ich verstehe daher unter seiner Erwartung des Erlöses diejenige als sicher angenommene Erwartung, die zum gleichen Verhalten führen würde wie das Bündel unbestimmter und unterschiedlicher Einschätzungen, die zusammengenommen seine tatsächlichen Erwartungen ausmachen, auf deren Basis er seine Entscheidung trifft. 5 In Kap. 20 wird eine eng verwandte Funktion als Beschäftigungsfunktion bezeichnet.
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Buch I: Einleitung
Unternehmer einen Anreiz dar, die Beschäftigung über N hinaus zu erhöhen. Wenn nötig, werden sie dann auch die Kosten erhöhen, weil sie miteinander um Arbeitskräfte konkurrieren, und zwar bis zu einem Niveau von N, an dem Z gleich D ist. Somit lässt das Beschäftigungsvolumen am Schnittpunkt der Gesamtnachfragekurve mit der Gesamtangebotskurve ablesen. Es ist derselbe Punkt, an dem die Gewinnerwartung der Unternehmer ihr Maximum erreicht. Der Wert von D am Schnittpunkt der Gesamtangebots- und Gesamtnachfragekurven soll als effektive Nachfrage bezeichnet werden. Da dies der Kern der allgemeinen Theorie der Beschäftigung ist, die wir hier darlegen wollen, werden sich die folgenden Kapitel hauptsächlich mit der Untersuchung der verschiedenen Faktoren befassen, von denen diese beiden Funktionen abhängen. Die klassische Doktrin hingegen, die unmissverständlich in der Feststellung, „das Angebot schafft seine eigene Nachfrage“, ihren Ausdruck fand und die immer noch allen orthodoxen ökonomischen Theorien zugrunde liegt, geht mit einer ganz besonderen Annahme über das Verhältnis zwischen diesen beiden Funktionen einher. Denn „das Angebot schafft seine eigenen Nachfrage“ läuft darauf hinaus, dass f(N) und φ(N) bei allen Werten von N gleich sind, d. h. auf allen Niveaus von Produktion und Beschäftigung. Es bedeutet überdies, dass bei einer Zunahme von Z (= φ(N)), die einer Zunahme von N entspricht, zwangsläufig auch D (= f(N)) um denselben Betrag wie Z zunimmt. Anders gesagt, der klassischen Theorie zufolge passt sich der aggregierte Nachfragepreis (oder Erlös) immer dem aggregierten Angebotspreis an. Folglich nimmt, unabhängig vom Wert von N, der Erlös D einen Wert gleich dem aggregierten Angebotspreis Z an, der wiederum N entspricht. Die effektive Nachfrage wird also nicht durch einen einzigen Gleichgewichtspreis bestimmt, sondern besteht aus einer unendlichen Reihe von Werten, die alle gleichermaßen zulässig sind. Ansonsten ist das Beschäftigungsvolumen unbestimmt, abgesehen von der durch das Grenzleid der Arbeit gesetzten Obergrenze. Wenn das zuträfe, dann würde der Wettbewerb zwischen Unternehmern immer zu einer Ausdehnung des Beschäftigungsvolumens führen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem das Angebot nicht mehr elastisch ist, d. h. an dem ein weiterer Wertzuwachs der effektiven Nachfrage nicht mehr mit einem Zuwachs der Produktion einhergeht. Dies kommt ganz offensichtlich dem Zustand der Vollbeschäftigung gleich. Im vorangegangenen Kapitel wurde Vollbeschäftigung über das Verhalten der Arbeiter definiert. Hier gelangen wir nun zu einem alternativen, aber gleichwertigen Kriterium, nämlich einer Situation, in der die Gesamtbeschäftigung unelastisch auf eine zunehmende effektive Nachfrage nach ihren Produkten reagiert. Das Saysche Theorem, wonach der Nachfragepreis der gesamten Produktionsmenge gleich ihrem Angebotspreis ist, entspricht demnach der Annahme, dass einer Vollbeschäftigung
Kap. 3: Das Prinzip der effektiven Nachfrage37
nichts im Wege steht. Wenn dies jedoch nicht die wahre Gesetzmäßigkeit ist, die die aggregierten Nachfrage- und Angebotskurven zueinander in Beziehung setzt, dann handelt es sich hierbei um ein höchst bedeutsames Kapitel der Wirtschaftstheorie, das noch nicht geschrieben wurde, ohne das aber alle Debatten über die Gesamtbeschäftigungsmenge vollkommen nutzlos sind. II. Eine kurze Zusammenfassung der Theorie der Beschäftigung, die in den folgenden Kapiteln noch weiter ausgearbeitet werden soll, ist an diesem Punkt sicher hilfreich, selbst wenn sie noch nicht völlig verständlich erscheinen mag. Die fraglichen Begriffe werden zu gegebener Zeit noch genauer definiert. In dieser Zusammenfassung gehen wir von konstanten Nominallöhnen und sonstigen Faktorkosten für jede Beschäftigungseinheit aus. Diese Vereinfachung, auf die später verzichtet werden kann, wird hier nur zwecks Erleichterung der Darstellung vorgenommen. Der Kern des Arguments bleibt aber genau derselbe, unabhängig davon, ob Nominallöhne etc. veränderlich sind oder nicht. Unsere Theorie lässt sich folgendermaßen umreißen: Bei zunehmender Beschäftigung nehmen die aggregierten Realeinkommen zu. Es ist psychologisch erklärbar, dass bei steigenden Realeinkommen auch der Gesamtkonsum steigt, wenngleich nicht im gleichen Maße wie das Einkommen. Für die Arbeitgeber würde es einen Verlust bedeuten, wenn der gesamte Beschäftigungszuwachs allein für die unmittelbare Befriedigung der zusätzlichen Nachfrage nach Konsumgütern aufgewandt würde. Zur Rechtfertigung eines bestimmten Beschäftigungsvolumens müssen die laufenden Investitionen deshalb so hoch sein, dass sie den Betrag binden, um den die Gesamtproduktion über dem Konsum der Bevölkerung bei diesem Beschäftigungsniveau liegt. Bei einem niedrigeren Investitionsvolumen wären die Einkünfte der Unternehmer zu gering, um einen Anreiz zur Schaffung der jeweiligen Menge an Beschäftigung darzustellen. Bei einer bestimmten Konsumneigung der Bevölkerung, wie wir das künftig nennen wollen, hängt folglich das Gleichgewichtsniveau der Beschäftigung – also das Niveau, auf dem die Arbeitgeber weder einen Anreiz zur Verminderung noch zur Erhöhung der Beschäftigung hat – von der Höhe der laufenden Investitionen ab. Diese ist ihrerseits vom Investitionsanreiz, wie wir es nennen wollen, abhängig, welcher wiederum, wie wir noch sehen werden, vom Verhältnis zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf der einen und den Zinssätzen für Darlehen verschiedener Laufzeiten und Risiken auf der anderen Seite abhängt. Bei einer bestimmten Konsumneigung und Investitionshöhe kann es nur ein Beschäftigungsniveau geben, das mit dem Gleichgewichtszustand ver-
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Buch I: Einleitung
einbar ist. Alles andere würde dazu führen, dass der aggregierte Angebotsund Nachfragfragepreis der gesamten Produktmenge nicht mehr übereinstimmt. Dieses Niveau kann nicht über Vollbeschäftigung liegen, d. h. der Reallohn kann nicht geringer sein als das Grenzleid der Arbeit. Aber es gibt auch keinen Grund für die Annahme, dass es auf der gleichen Höhe wie Vollbeschäftigung liegt. Die mit Vollbeschäftigung verbundene effektive Nachfrage ist ein Spezialfall, der nur eintritt, wenn Konsumneigung und Investitionsanreiz in einem ganz bestimmten Verhältnis zu einander stehen. Diese spezielle Beziehung, die mit den Annahmen der klassischen Theorie übereinstimmt, könnte man als optimales Verhältnis bezeichnen. Dieses kann jedoch nur bestehen, wenn die laufenden Investitionen – zufällig oder absichtlich – eine Nachfragemenge schaffen, die genau der Differenz entspricht zwischen dem aggregierten Angebotspreis des bei Vollbeschäftigung produzierten Ausstoßes und dem, was die Bevölkerung bei Vollbeschäftigung für ihren Konsum auszugeben bereit ist. Diese Theorie lässt sich in folgenden Aussagen zusammenfassen: 1. Bei einem gegebenen Stand von Technik, Ressourcen und Kosten hängt das Einkommen (sowohl nominal als auch real) von der Menge der Beschäftigung N ab. 2. Das mit D1 bezeichnete Verhältnis zwischen dem Einkommen der Bevölkerung und der Summe, die sie voraussichtlich für den Konsum ausgibt, ist von einer psychologischen Eigenschaft der Menschen abhängig, die wir als Konsumneigung bezeichnen. Genauer gesagt hängt der Konsum also bei unveränderter Konsumneigung von der Höhe des Gesamteinkommens und infolgedessen von der Höhe der Beschäftigung N ab. 3. Die Menge an Arbeitskraft N, die die Unternehmer beschäftigen, hängt von der Summe (D) zweier Größen ab: von D1, dem Betrag, der voraussichtlich für Konsum ausgegeben wird, und D2, dem Betrag, der wahrscheinlich für Neuinvestitionen verwendet wird. D ist das, was wir oben als die effektive Nachfrage bezeichnet haben. 4. Da D1 + D2 = D = φ(N), wobei φ die aggregierte Angebotsfunktion ist, und da überdies, wie oben unter Punkt 2 dargelegt, D1 eine Funktion von N ist, die wir als χ(N) ausdrücken können und die in Abhängigkeit von der Konsumneigung steht, folgt daraus, dass φ(N) – χ(N) = D2. 5. Das Beschäftigungsvolumen im Gleichgewichtszustand hängt daher 1. von der aggregierten Angebotsfunktion φ ab, 2. von der Konsumneigung χ und 3. vom Investitionsvolumen D2. Dies ist der Kern der allgemeinen Theorie der Beschäftigung. 6. Für jeden Wert von N gibt es eine entsprechende Grenzproduktivität der Arbeit in den Lohngüterbranchen, durch die sich der Reallohn definiert.
Kap. 3: Das Prinzip der effektiven Nachfrage39
Punkt 5 basiert deshalb auf der Voraussetzung, dass N nicht über dem Wert liegen kann, bei dem der Reallohn gleich dem Grenzleid der Arbeit ist. Demzufolge sind nicht alle Änderungen von D kompatibel mit unserer vorläufigen Annahme konstanter Reallöhne. Für die vollständige Darstellung unserer Theorie müssen wir darum auf diese Annahme verzichten. 7. Laut der klassischen Theorie, der zufolge D = φ(N) für alle Werte von N gilt, ist für alle Werte von N unterhalb des Maximalwerts auch das Beschäftigungsvolumen in einem neutralen Gleichgewicht. Durch den Wettbewerb zwischen den Unternehmern dürfte es sich jedoch seinem Maximalwert annähern. Und nur an diesem Punkt kann der klassischen Theorie zufolge das Gleichgewicht stabil sein. 8. Bei zunehmender Beschäftigung nimmt auch D1 zu, aber nicht im gleichen Maße wie D. Denn bei zunehmendem Einkommen nimmt auch unser Konsum zu, aber nicht im gleichen Maße. Dieses psychologische Gesetz liefert den Schlüssel zu unserem konkreten Problem. Denn daraus lässt sich ableiten: Je größer das Beschäftigungsvolumen, desto größer ist auch die Differenz zwischen dem aggregierten Angebotspreis (Z) der entsprechenden Produkte und der Summe (D1), die die Unternehmer durch die Konsumausgaben der Verbraucher voraussichtlich zurückbekommen. Bei unveränderter Konsumneigung kann die Beschäftigung mithin nur zunehmen, wenn zugleich auch D2 zunimmt und so die wachsende Differenz zwischen Z und D1 ausgleicht. Daher ist es durchaus möglich, dass sich die Gesamtwirtschaft auch bei einem N unterhalb des Vollbeschäftigungsniveaus in einem stabilen Gleichgewicht befindet, und zwar auf dem Niveau, das durch den Schnittpunkt der Gesamtnachfrage- und Gesamtangebotskurven angezeigt wird – jedenfalls, wenn wir einmal von der speziellen Annahme der klassischen Theorie absehen, der zufolge irgendeine Kraft bei steigender Beschäftigung stets für einen ausreichenden Anstieg von D2 sorgt, um die wachsende Differenz zwischen Z und D1 auszugleichen. Das in Reallöhnen ausgedrückte Grenzleid der Arbeit determiniert also nur insoweit das Beschäftigungsvolumen, als die zu einem bestimmten Reallohn angebotene Arbeitsmenge dessen Obergrenze darstellt. Vielmehr bestimmen Konsumneigung und Investitionsquote zusammen das Beschäftigungsvolumen, welches in direktem Zusammenhang mit dem gegebenen Reallohnniveau steht – und nicht umgekehrt. Wenn Konsumneigung und Investitionsquote nur zu einer unzureichenden effektiven Nachfrage führen, bleibt das tatsächliche Beschäftigungsniveau hinter dem beim gegebenen Reallohn potenziell verfügbaren Angebot an Arbeitskraft zurück. Der reale Gleichgewichtslohn ist dann größer als das Grenzleid des Gleichgewichtsniveaus der Beschäftigung.
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Buch I: Einleitung
Diese Analyse bietet eine Erklärung für das Paradox der Armut mitten im Überfluss. Allein die unzureichende effektive Nachfrage bringt nämlich das Beschäftigungswachstum allzu oft schon zum Stillstand, bevor Vollbeschäftigung erreicht ist. Sie bremst den Produktionsprozess, obwohl das Grenzprodukt der Arbeit immer noch einen Wert hat, der über dem des Grenzleids der Beschäftigung liegt. Je reicher die Bevölkerung außerdem ist, desto größer ist zumeist auch die Differenz zwischen ihrer tatsächlichen und ihrer potenziellen Produktion – und desto offensichtlicher und schändlicher treten die Mängel unseres Wirtschaftssystems zutage. Denn eine arme Bevölkerung wird tendenziell ihre Produktion zum allergrößten Teil konsumieren, so dass schon eine sehr bescheidene Menge an Investitionen ausreicht, um Vollbeschäftigung zu erzielen. Eine reiche Bevölkerung muss hingegen viel umfangreichere Investitionsgelegenheiten auftun, damit die Sparneigung der wohlhabenden Bürger mit der Beschäftigung der ärmeren Bevölkerungsschichten vereinbar ist. Bestehen in einem potenziell wohlhabenden Gemeinwesen nur ein schwacher Investitionsanreiz, dann sorgt das Prinzip der effektiven Nachfrage trotz des potenziellen Reichtums für eine Verringerung der Produktion. Dies setzt sich so lange fort, bis die Bevölkerung trotz all ihres potenziellen Reichtums so arm geworden ist, dass ihre über den Konsumausgaben liegenden Einnahmen hinreichend geschrumpft sind, um sich mit dem schwachen Investitionsanreiz zu decken. Aber es kommt noch schlimmer. Nicht nur ist in einem wohlhabenden Gemeinwesen die marginale Konsumneigung6 schwächer, sondern es sind auch die Investitionsgelegenheiten wegen der bereits fortgeschrittenen Kapitalakkumulation weniger attraktiv, es sei denn, der Zinssatz sinkt schnell genug. Dies führt uns zur Theorie des Zinssatzes und zu den Gründen, warum dieser nicht automatisch auf das angemessene Niveau sinkt. Dies wird Thema von Buch IV sein. Bei der Analyse der Konsumneigung, der Definition der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Theorie des Zinssatzes handelt es sich um unsere drei größten Wissenslücken, die es zu füllen gilt. Dabei wird sich dann die Theorie der Preise als ein unserer allgemeinen Theorie untergeordnetes Thema entpuppen. Dagegen wird sich herausstellen, dass Geld in unserer Theorie des Zinssatzes eine wesentliche Rolle spielt. Wir wollen deshalb versuchen, die besonderen Eigenschaften von Geld herauszuarbeiten, die es von allen anderen Dingen unterscheidet.
6 Für
eine Definition siehe Kap. 10.
Kap. 3: Das Prinzip der effektiven Nachfrage41
III. Die Vorstellung, die aggregierte Nachfragefunktion sei vernachlässigbar, ist ein grundlegender Bestandteil der ricardianischen Ökonomie, auf der alles, was in den letzten hundert Jahren gelehrt wurde, beruht. Lediglich Malthus hatte Ricardos Doktrin, dass die effektive Nachfrage niemals unzureichend sein könne, heftig, aber erfolglos widersprochen. Malthus verwies zwar auf alltägliche Beobachtungen, konnte jedoch nicht zweifelsfrei erklären, wie und warum die effektive Nachfrage mitunter zu gering oder zu hoch ist. Es gelang ihm deshalb nicht, eine alternative Theorie zu entwickeln, und so übernahm Ricardo ebenso vollständig die Herrschaft über England wie die Inquisition über Spanien. Seine Theorie wurde nicht nur in der Londoner Finanzwelt, in Politik und Wissenschaft übernommen, sondern es hörten zugleich auch alle Auseinandersetzungen darüber auf. Andere Sichtweisen verschwanden aus dem Blickfeld und wurden nicht mehr diskutiert. Das große Rätsel der effektiven Nachfrage, mit dem sich Malthus noch geplagt hatte, verschwand aus der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur. Sie wird in den gesammelten Werken von Marshall, Edgeworth und Pigou, die der klassischen Theorie ihre vollendete Form gaben, nicht ein einziges Mal erwähnt. Sie konnte nur verborgen im Untergrund überleben, bei Karl Marx, Silvio Gesell oder C. H. Douglas. Dieser vollständige Sieg Ricardos erscheint kurios und rätselhaft. Er ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Doktrin so gut in das Umfeld zu passen schien, auf das sie projiziert wurde. Dass sie zu ganz anderen Schlüssen gelangte, als man als Uneingeweihter erwartet hätte, steigerte meiner Vermutung nach ihr intellektuelles Prestige noch. Dass ihre Lehren, sobald man sie in die Praxis umsetzte, asketisch und unpopulär waren, ließ sie umso tugendhafter erscheinen. Dass sie einen riesigen, in sich schlüssigen Überbau zu tragen vermochte, verlieh ihr Schönheit. Dass sie soziale Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Härten als unvermeidliche Begleiterscheinungen des Fortschritts erklären konnte, wobei jeder Versuch einer Linderung mehr Schaden als Nutzen anrichten werde, machte sie bei staatlichen Stellen beliebt. Dass sie die unreglementierten Geschäfte der einzelnen Kapitalisten bis zu einem gewissen Grad rechtfertigte, brachte ihr die Unterstützung der dominierenden gesellschaftlichen Kräfte hinter der Regierung ein. Zwar wurde die Doktrin selbst zumindest bis vor kurzem von den orthodoxen Ökonomen nicht mehr hinterfragt. Doch dass sie für wissenschaftliche Prognosen auf bemerkenswerte Weise versagt, hat sie im Lauf der Zeit bei ihren Anhängern viel Ansehen gekostet. Die nach Malthus kommenden Ökonomen nahmen offensichtlich die mangelnde Übereinstimmung der Folgerungen ihrer Theorie und der beobachtbaren Tatsachen ungerührt hin,
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Buch I: Einleitung
die normale Leute längst bemerkt hatten. Im Ergebnis wurde den Ökonomen nicht mehr bereitwillig der gleiche Respekt gezollt wie anderen Wissenschaftlern, deren theoretische Folgerungen sich bei Anwendung in der Praxis durch Beobachtung bestätigen lassen. Der berühmte Optimismus der traditionellen Theorie führte dazu, dass jeder Ökonom als ein Candide7 betrachtet wurde, der sich von der Welt abwendet, um seinen Garten zu kultivieren, und der uns lehrt, dass in der besten aller möglichen Welten alles bestens sei, solange man nur alles in Ruhe lässt. Das dürfte daran liegen, dass die Wirtschaftswissenschaftler die negativen Auswirkungen einer zu geringen effektiven Nachfrage auf den Wohlstand vernachlässigt haben. Denn in einer Gesellschaft, die den Postulaten der klassischen Theorie gehorcht, müsste es ja eine automatische Tendenz zum optimalen Einsatz des Faktors Arbeit geben. Es ist gut möglich, dass die klassische Theorie nur eine Darstellung der Funktionsweise der Wirtschaft ist, wie wir sie gerne hätten. Aber es wäre Wunschdenken zu glauben, dass sie sich in Wirklichkeit so verhält.
7 Hauptfigur von Voltaires satirischer Erzählung Candide oder der Optimismus aus dem Jahr 1759. Darin versucht Candide, sich an die damals verbreitete Anschauung, man lebe in der besten aller möglichen Welten, zu halten, scheitert damit aber an den realen Schrecknissen der Welt. (A. d. Ü.)
BUCH II
Definitionen und Konzepte
Kapitel 4
Die Wahl der Maßeinheiten I. In diesem und in den folgenden drei Kapiteln wollen wir versuchen, einige Unklarheiten zu bereinigen, die allerdings für die Probleme, deren Klärung den wesentlichen Zweck dieses Buches darstellt, nicht von besonderer oder ausschließlicher Relevanz sind. Diese Kapitel stellen also Exkurse dar, die uns einstweilen von der Verfolgung unseres zentralen Themas abhalten. Diese Fragen werden hier lediglich erörtert, weil sie bislang noch nirgends sonst auf eine für die Zwecke meiner eigenen Untersuchung ausreichende Weise abgehandelt wurden. Folgende drei Probleme, ohne deren Klärung ich mich nicht hinreichend verständlich ausdrücken könnte, haben mich beim Schreiben dieses Buches stark behindert: erstens, die Wahl von auf die gesamte Volkswirtschaft anwendbaren Mengeneinheiten, zweitens die Rolle der Erwartungen in der ökonomischen Analyse und drittens die Definition von Einkommen. II. Wie unbefriedigend die Maßeinheiten sind, mit denen Wirtschaftswissenschaftler normalerweise arbeiten, lässt sich anhand der Konzepte des Nationaleinkommens, des realen Kapitalstocks und des allgemeinen Preisniveaus zeigen: 1. Das Nationaleinkommen gemäß der Definition von Marshall und Pigou1 misst das Volumen der aktuellen Produktion bzw. das Realeinkommen und nicht etwa den Wert der Produktion bzw. das Nominaleinkommen.2 Darüber hinaus hängt es in gewisser Weise von der Nettoproduktion ab – also von der Nettozunahme der für den Konsum der Bevölkerung oder der Erhaltung des Kapitalstocks verfügbaren Mittel infolge der ökonomischen Pigou, Economics of Welfare, insbesondere Teil I, Kap. 3. ein bequemer Kompromiss wird allerdings meistens das Realeinkommen, mit dem das Nationaleinkommen berechnet wird, auf solche Güter und Dienstleistungen beschränkt, die für Geld gekauft werden können. 1 Siehe 2 Als
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Buch II: Definitionen und Konzepte
Aktivitäten und Einbußen in einem gegebenen Zeitraum, nach Abzug der Abnutzung des zu Beginn des Zeitraums vorhandenen Kapitalstocks. Nun versucht man, auf diese Grundlage eine quantitative Wissenschaft aufzubauen. Es gibt jedoch einen schwerwiegenden Einwand gegen eine solche Definition für diesen Zweck: Der Output an Waren und Dienstleistungen in einem Gemeinwesen ist ein inhomogener Komplex, der sich streng genommen gar nicht messen lässt. Ausgenommen sind dabei lediglich gewisse Sonderfälle, beispielsweise wenn alle Bestandteile einer Produktionsmenge auch in einer anderen Produktionsmenge im gleichen Verhältnis enthalten sind. 2. Noch schwieriger wird es, wenn wir zur Berechnung der Nettoproduktion die Nettozunahme des Sachkapitals messen wollen. Denn wir müssen erst einmal eine geeignete Basis finden für einen Vergleich der im jeweiligen Zeitraum hergestellten neuen und der alten, durch Abnutzung verschlissenen Ausrüstungsgüter. Um zum Nettonationaleinkommen zu gelangen, zieht Pigou3 eine Abnutzung ab, „die billigerweise als ‚normal‘ bezeichnet werden kann. Diese Normalität bemisst sich danach, ob der Verschleiß so regelmäßig erfolgt, dass er – wenn auch nicht im Detail, so doch im Großen und Ganzen – vorhersehbar ist.“ Doch da dieser Abzug nicht monetär bewertet ist, muss Pigou notgedrungen von einer Veränderung der physischen Menge ausgehen, obwohl es gar keine physische Veränderung gegeben hat. Das heißt, in Wirklichkeit bringt er insgeheim Veränderungen des Werts ins Spiel. Er ist zudem nicht in der Lage, eine befriedigende Formel4 zum Vergleich neuer Ausrüstungsgüter mit den alten zu entwickeln, wenn diese aufgrund technischer Fortschritte nicht identisch sind. Ich halte zwar das Konzept, auf das Pigou abzielt, für prinzipiell korrekt und für die wirtschaftliche Analyse geeignet. Aber solange kein befriedigendes Set von Maßeinheiten vorliegt, bleibt die genaue Definition unmöglich. Der Vergleich zweier Produktmengen und die anschließende Berechnung des Nettoausstoßes, indem neue Ausrüstungsgüter mit der Abnutzung der alten verrechnet werden, gibt uns, wie man getrost festhalten kann, unlösbare Rätsel auf. 3. Drittens ist das Konzept des allgemeinen Preisniveaus wegen des altbekannten, aber unvermeidbaren Elements der Unbestimmtheit, das ihm eingestandenermaßen anhaftet, höchst unzulänglich. Denn für eine Kausalanalyse muss es notwendigerweise exakt sein. 3 Economics of Welfare, Teil I, Kap. 5, „What is meant by maintaining Capital intact“; ergänzt durch einen neueren Aufsatz im Economic Journal, Juni 1935, S. 225. 4 Vgl. Hayeks Kritik in Economica, Aug. 1935, S. 247.
Kap. 4: Die Wahl der Maßeinheiten47
Diese Schwierigkeiten werden jedoch zu Recht als „Rätsel“ betrachtet. Sie sind insofern „rein theoretisch“, als sie Geschäftsentscheidungen nicht belasten, ja nicht die geringste Rolle dabei spielen. Sie bleiben auch ohne Auswirkungen auf die logische Aufeinanderfolge wirtschaftlicher Ereignisse, die stets eindeutig und bestimmt ist, trotz der quantitativen Unbestimmtheit der dahinterstehenden Konzepte. Daher läge der Schluss nur nahe, dass diese nicht nur ungenau sind, sondern auch unnötig. Es liegt jedoch auf der Hand, dass unsere quantitative Analyse nicht mit quantitativ unbestimmten Begriffen durchgeführt werden kann. Und tatsächlich wird einem schon beim ersten Versuch klar, wie ich zu zeigen hoffe, dass man ohne diese viel besser vorankommt. Dass zwei nicht miteinander vergleichbare Ansammlungen verschiedener Objekte an und für sich nicht das Material für eine quantitative Analyse bieten können, muss einen natürlich nicht von überschlägigen statistischen Vergleichen abhalten. Auch wenn diese eher auf groben Schätzungen denn auf genauen Berechnungen basieren, können sie in gewissen Grenzen aussagekräftig und valide sein. Doch Konzepte wie die reale Nettoproduktion und das allgemeine Preisniveau sind viel besser für die historische und statistische Darstellung geeignet. Sie sollten zur Befriedigung historischer oder sozialer Neugier dienen. Für diesen Zweck ist absolute Genauigkeit – wie sie unsere Kausalanalyse unabhängig davon erfordert, ob wir die Werte der fraglichen Mengen vollständig und genau kennen – weder üblich noch erforderlich. Die Behauptung, die Nettoproduktion sei heute größer als vor zehn Jahren oder vor einem Jahr, und das Preisniveau niedriger, gleicht der Aussage, Königin Victoria sei eine bessere Königin gewesen als Königin Elisabeth, aber als Frau nicht glücklicher. Eine solche Feststellung ist durchaus sinnvoll und nicht ganz uninteressant, aber als Grundlage für die Differenzialrechnung doch denkbar ungeeignet. Unsere Genauigkeit wird zur Scheingenauigkeit, wenn wir solche teilweise unbestimmten und nicht-quantitativen Konzepte zur Grundlage einer quantitativen Analyse machen. III. Es sei daran erinnert, dass ein Unternehmer für jeden Zeitpunkt eine Entscheidung über den Auslastungsgrad seines Sachkapitals treffen muss. Die Erwartung einer höheren Nachfrage – also eine Zunahme der aggregierten Nachfragefunktion – führt dabei zu einer Erhöhung der Gesamtproduktion. In Wirklichkeit bedeutet das nichts anderes, als dass die Unternehmen, also die Besitzer des Sachkapitals, sich für dessen Nutzung zur Schaffung zusätzlicher Beschäftigung veranlasst fühlen. Im Falle einer einzelnen Firma
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Buch II: Definitionen und Konzepte
oder Branche, die ein einheitliches Produkt herstellt, können wir berechtigterweise von einer Zu- oder Abnahme der Produktion sprechen. Nehmen wir aber die Aktivitäten aller Unternehmen zusammen, können wir uns nur mehr exakt ausdrücken, indem wir uns auf das Beschäftigungsvolumen beziehen, das für die Bedienung einer bestimmten Menge Ausrüstungsgüter nötig ist. Die Konzepte Gesamtproduktion und ihr Preisniveau sind in diesem Zusammenhang gar nicht nötig. Wir brauchen kein absolutes Maß der aktuellen Gesamtproduktion, mit dem wir diese mit der Menge vergleichen könnten, die mit einer anderen Kombination von Sachkapital und Beschäftigung produziert würde. Wenn wir zwecks Beschreibung oder grober Vergleiche von einer Produktionszunahme sprechen wollen, dann müssen wir davon ausgehen, dass das mit einem gegebenen Sachkapital einhergehende Beschäftigungsvolumen ein befriedigender Indikator für den resultierenden Output ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass die beiden immer gleichzeitig zu- bzw. abnehmen, wenn auch nicht in einem festen zahlenmäßigen Verhältnis. Wenn es um die Theorie der Beschäftigung geht, schlage ich deshalb vor, mit nur zwei grundlegenden Einheiten zu arbeiten: den Geldsummen und den Beschäftigungsmengen. Erstere ist eine homogene Menge gleichartiger Bestandteile, und für die zweite kann eine entsprechende Definition vorgenommen werden. Denn da die Löhne für unterschiedliche Qualitäten und Arten von Arbeit in einer mehr oder weniger festen Relation zueinander stehen, lässt sich die Menge der Beschäftigung für unsere Zwecke ausreichend genau definieren, indem man eine Stunde einfache Arbeit als Grundeinheit nimmt und eine Stunde höherqualifizierter Arbeit entsprechend ihrer Entlohnung bewertet. Das heißt, eine Stunde qualifizierter Arbeit, die doppelt so hoch wie einfache Arbeit entlohnt wird, zählt als zwei Einheiten. Die Maßeinheit für die Beschäftigungsmenge bezeichnen wir als Arbeitseinheit, und den Nominallohn für eine Arbeitseinheit nennen wir Lohneinheit.5 Wenn nun also E die Lohn- (und Gehalts‑)summe, W die Lohneinheit und N die Menge der Beschäftigung ist, so gilt E = N · W. Die angenommene Homogenität des Arbeitskräfteangebots wird durch die offensichtlich vorhandenen großen Unterschiede bei der Qualifikation von Arbeitern und ihrer Eignung für verschiedene Tätigkeiten nicht in Frage gestellt. Denn wenn die Entlohnung der Arbeiter proportional zu ihrer Leistungsfähigkeit ist, werden diese Unterschiede dadurch berücksichtigt, dass die einzelnen Arbeiter zum gesamten Arbeitsvolumen proportional zu ihrer Entlohnung beitragen. Wenn dagegen ein Unternehmen angesichts steigen5 Wenn X für eine beliebige in Geld gemessene Menge steht, lässt sich die gleiche in Lohneinheiten gemessene Menge am besten als Xw bezeichnen.
Kap. 4: Die Wahl der Maßeinheiten49
der Produktion zusätzliche Arbeitskräfte einstellen muss, deren Leistung pro gezahlter Lohneinheit jedoch immer geringer ist, so ist dies nur ein Faktor unter vielen, der bei zunehmender Beschäftigung für eine abnehmende Sachkapitalrendite in Form von Output sorgt. Wir ordnen sozusagen die Uneinheitlichkeit von gleich entlohnten Arbeitseinheiten dem Sachkapital zu. Dieses betrachten wir bei steigender Produktion als immer weniger produktiv bei der Beschäftigung der verfügbaren Arbeitseinheiten, statt andersherum die Arbeitseinheiten als immer weniger produktiv bei der Nutzung eines homogenen Sachkapitals anzusehen. Wenn es also nicht genügend qualifizierte oder erfahrene Arbeitskräfte gibt und wenn die Einstellung weniger geeigneter Arbeitskräfte mit höheren Lohnkosten pro Gütereinheit einhergeht, bedeutet dies, dass sich die Sachkapitalrendite bei zunehmender Beschäftigung schneller vermindert als bei ausreichendem Arbeitskräfteangebot.6 Selbst der Grenzfall, in dem unterschiedliche Arbeitseinheiten jeweils so hoch spezialisiert sind, dass sie nicht gegeneinander ausgetauscht werden können, stellt kein Problem dar. Denn das bedeutet nur, dass die Elastizität des Angebots an Produkten, die mit einem bestimmten Sachkapital hergestellt wurden, schlagartig auf null fällt, wenn alle auf diese Arbeit spezialisierten Arbeitskräfte bereits beschäftigt sind.7 Unsere Annahme ho6 Das ist der wesentliche Grund, warum der Angebotspreis der Produktion bei zunehmender Nachfrage sogar dann steigt, wenn es noch einen Überschuss an Sachkapital von der gleichen Art gibt wie das aktuell verwendete. Unter der Annahme, dass das überschüssige Arbeitskräfteangebot einen allen Unternehmern gleichermaßen zur Verfügung stehenden Pool bildet und dass außerdem die für einen bestimmten Zweck eingestellten Arbeiter zumindest teilweise pro Leistungseinheit entlohnt werden und nicht streng nach ihrer Effizienz bei der Ausübung ihrer speziellen Arbeit (was in den meisten Fällen eine realistische Annahme ist), ist die abnehmende Leistungsfähigkeit der Beschäftigten ein hervorstechendes Beispiel eines mit zunehmender Produktion steigenden Angebotspreises, der nicht auf interne Kostenprogression zurückzuführen ist. 7 Wie die normalerweise verwendete Angebotskurve mit diesem Problem umgeht, kann ich nicht sagen, da diejenigen, die mit dieser Kurve arbeiten, ihre Grundannahmen nicht sehr deutlich gemacht haben. Sie gehen wahrscheinlich davon aus, dass für einen bestimmten Zweck beschäftigte Arbeiter immer streng danach entlohnt werden, wie effizient sie die jeweilige Arbeit erledigen. Aber das ist unrealistisch. Die Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit der Arbeiter werden womöglich einfach deswegen dem Sachkapital zugeschrieben, weil die wachsenden Überschüsse, die durch eine Erhöhung der Produktion erzielt werden, in Wirklichkeit hauptsächlich den Besitzern des Sachkapitals zugutekommen und nicht den leistungsfähigeren Arbeitern (obgleich auch diese durch regelmäßigere Beschäftigung und frühere Beförderung einen Vorteil erzielen mögen). Unterschiedlich effiziente Arbeiter, die an der gleichen Aufgabe arbeiten, werden selten im Verhältnis zu ihrer Effizienz entlohnt. Kommt es doch zu einer höheren Bezahlung für höhere Effizienz, wird dies von meiner Methode berücksichtigt, indem bei der Berechnung der Zahl der beschäftigten Arbeitseinheiten die einzelnen Arbeiter entsprechend ihrer Entlohnung bewertet werden. Allerdings ergeben sich durch meine Methode auch interessante
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Buch II: Definitionen und Konzepte
mogener Arbeitseinheiten verursacht keinerlei Probleme, es sei denn, dass die relative Entlohnung unterschiedlicher Arbeitseinheiten sehr instabil ist. Selbst wenn dieses Problem auftritt, lässt es sich durch die Annahme einer schnellen Veränderlichkeit des Angebots an Arbeitskraft und der Form der Gesamtangebotskurve bewältigen. Ich bin überzeugt, dass sich durch eine strenge Beschränkung auf die beiden Einheiten Geld und Arbeit viele unnötigen Unklarheiten vermeiden lassen, die bei der Beschäftigung mit dem Verhalten des Wirtschaftssystems als Ganzem ergeben. Wir sollten Maßeinheiten für bestimmte Produktionsmengen und ein bestimmtes Sachkapital nur benutzen, wenn wir die Produktion eines einzelnen Unternehmens oder einer einzigen Branche isoliert untersuchen. Und wir sollten solch ungenaue Konzepte wie die Menge der Gesamtproduktion, die Menge des gesamten Sachkapitals und das allgemeine Preisniveau nur für historische Vergleiche verwenden, die innerhalb bestimmter (und womöglich recht weiter) Grenzen ungenau und ungefähr sein mögen. Folglich werden wir Veränderungen der laufenden Produktion mithilfe der Anzahl der bezahlten Arbeitsstunden messen, die auf den Betrieb des vorhandenen Sachkapitals verwendet wurden (sei es zur Befriedigung der Verbraucher, sei es für die Produktion neuer Ausrüstungsgüter) – wobei die Stunde qualifizierter Arbeit im Verhältnis zu ihrer Entlohnung gewichtet wird. Ein quantitativer Vergleich zwischen dieser Produktion und einem von anderen Arbeitern mit anderen Ausrüstungsgütern produzierten Output ist gar nicht nötig. Um vorherzusagen, wie im Besitz eines bestimmten Sachkapitals befindliche Unternehmer auf eine Veränderung der aggregierten Nachfragefunktion reagieren, braucht man nichts darüber zu wissen, wie die Niveaus der daraus resultierenden Produktion, des Lebensstandards und des allgemeinen Preisniveaus im Vergleich zu den Niveaus zu einem anderen Zeitpunkt oder in einem anderen Land sind. Komplikationen, wenn wir uns mit bestimmten Angebotskurven beschäftigen, da ihre Formen von der Nachfrage nach geeigneten Arbeitern aus anderen Bereichen abhängen. Diese Komplikationen zu übersehen wäre, wie gesagt, unrealistisch. Aber wir brauchen darauf keine Rücksicht zu nehmen, wenn wir uns mit der Gesamtbeschäftigung befassen, solange wir davon ausgehen, dass eine gegebene effektive Nachfrage sich in bestimmter Weise auf unterschiedliche Produkte verteilt, deren Produktion eindeutig mit diesen in Zusammenhang steht. Es könnte allerdings sein, dass dies unabhängig vom besonderen Grund für die Nachfrageänderung nicht zutrifft. Zum Beispiel könnte eine höhere effektive Nachfrage infolge einer gesteigerten Konsumneigung einer anderen aggregierten Angebotskurve gegenüberstehen als eine gleiche Zunahme infolge vermehrter Investitionsanreize. All dies wäre aber Bestandteil einer Detailanalyse der hier ausgeführten allgemeinen Konzepte, die vorzunehmen nicht meine Absicht ist.
Kap. 4: Die Wahl der Maßeinheiten51
IV. Es lässt sich leicht zeigen, dass die Angebotsbedingungen, wie sie normalerweise durch die Angebotskurve beschrieben werden, und die Angebots elastizität, welche Output und Preis miteinander in Beziehung setzt, mit den beiden von uns gewählten Maßeinheiten mittels der aggregierten Angebotsfunktion analysiert werden können. Eine Bezugnahme auf die Produktionsmengen ist dafür nicht nötig, gleichgültig, ob es um eine einzelne Firma oder Branche oder um die gesamte Volkswirtschaft geht. Denn die aggregierte Angebotsfunktion für ein Unternehmen (bzw. für eine Branche oder die gesamte Wirtschaft) lässt sich durch diese Formel ausdrücken: Zr = φr(Nr)
Dabei ist Zr der Erlös (bereinigt um die Nutzungskosten), dessen Erwartung ein Beschäftigungsniveau Nr bewirkt. Wenn nun das Verhältnis zwischen Beschäftigung und Output dergestalt ist, dass eine Beschäftigung Nr zu einem Output Or führt, wobei Or = Ψr(Nr), so folgt daraus, dass
p=
Z r + U r ( N r ) ϕr ( N r ) + U r ( N r ) = Or Ψr ( Nr )
die gewöhnliche Angebotskurve ist, wobei Ur (Nr) die (erwarteten) Nutzungskosten sind, die einem Beschäftigungsniveau Nr entsprechen. Für alle homogenen Güter, für die Or = Ψr (Nr) eine eindeutige Aussage trifft, können wir Zr = φr(Nr) auf herkömmliche Weise ermitteln. Wir können jedoch dann die diversen Nr auf eine Weise aggregieren, die bei den Or nicht zulässig ist, weil ΣOr keine numerische Größe ist. Weitere Vereinfachungen werden möglich, wenn wir annehmen, dass in einem gegebenen Umfeld eine bestimmte Gesamtbeschäftigung auf eindeutige Weise auf die verschiedenen Branchen aufgeteilt wird, so dass Nr eine Funktion von N ist.
Kapitel 5
Erwartungen als Bestimmungsfaktor für Produktion und Beschäftigung I. Sämtliche Produktion dient letzten Endes der Deckung des Bedarfs der Verbraucher. Vom Zeitpunkt, zu dem der Hersteller (mit Blick auf den Verbraucher) Ausgaben tätigt, bis zum Kauf der Produkte durch den Endverbraucher vergeht jedoch Zeit, mitunter sogar viel Zeit. In der Zwischenzeit muss der Unternehmer (womit hier sowohl der Hersteller als auch der Investor gemeint sind) nach bestem Wissen Erwartungen1 über den voraussichtlichen Preis bilden, den die Verbraucher zu zahlen bereit sein werden, wenn er sie am Ende der womöglich langen Zeitspanne (direkt oder indirekt) beliefert. Er hat keine andere Wahl, als sich durch diese Erwartungen leiten zu lassen, wenn er überhaupt etwas produzieren will, das zeitraubende Verfahren erfordert. Diese Erwartungen, von denen die Geschäftsentscheidungen abhängen, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Einige Individuen oder Firmen spezialisieren sich auf die erste, andere auf die zweite Kategorie. Die erste Gruppe betrifft den Preis, den ein Hersteller in dem Moment für seine „fertigen“ Produkte erwartet, in dem er sich an die Fertigung dieser Produkte macht – wobei die Produkte (aus Sicht des Herstellers) als „fertig“ gelten, sobald sie genutzt oder an jemand anderen verkauft werden können. Die zweite Gruppe befasst sich mit dem, was der Unternehmer in Form künftiger Erträge zu verdienen hofft, wenn er „fertige“ Produkte zu seinen vorhandenen Ausrüstungsgütern hinzukauft (oder vielleicht auch selbst herstellt). Erstere lassen sich als kurzfristige Erwartungen und letztere als langfristige Erwartungen bezeichnen. Wie jede einzelne Firma ihre Entscheidungen über ihre tägliche2 Produktion trifft, bestimmt sich durch die kurzfristigen Erwartungen. Es handelt sich dabei um Erwartungen über die Produktionskosten für verschiedene 1 Für die Methode zur Berechnung der Verkaufserlöse, die den Gegenwert dieser Erwartungen darstellen, siehe Kap. 3, Fußnote 4. 2 Ein Tag steht hier für den kürzesten Zeitraum, nach dem die Firma ihre Entscheidung über die von ihr angebotene Beschäftigung revidieren kann. Es ist sozusagen die kleinste wirksame Einheit der ökonomischen Zeit.
Kap. 5: Erwartungen als Bestimmungsfaktor53
Produktionsmengen und über die entsprechenden Verkaufserlöse. Allerdings beruhen diese kurzfristigen Erwartungen im Fall der Anschaffung zusätzlicher Ausrüstungsgüter oder sogar bei Verkäufen an Zwischenhändler größtenteils auf den langfristigen (oder mittelfristigen) Erwartungen anderer Marktteilnehmer. Das Angebot an Arbeitsplätzen durch die Unternehmen hängt jedenfalls von diesen verschiedenartigen Erwartungen ab. Die tatsächlich erzielten Ergebnisse der Produktion und des Verkaufs der Produkte wirkt sich nur insofern auf die Beschäftigung aus, als sie die künftigen Erwartungen beeinflussen. Genauso wenig relevant sind andererseits die ursprünglichen Erwartungen, auf deren Basis die Firma Betriebsmittel, Rohstoffe und Halbfertigprodukte anschaffte, über die sie verfügt, wenn sie über die Produktion des folgenden Tages entscheidet. Wenn immer eine Entscheidung getroffen werden muss, wird sich diese daher tatsächlich nach diesen Betriebsmitteln und Lagerbeständen richten – aber stets im Lichte der aktuellen Erwartungen über die voraussichtlichen Kosten und Verkaufserlöse. Allerdings wird eine Veränderung der (kurz- oder langfristigen) Erwartungen zumeist erst nach geraumer Zeit ihre volle Wirkung auf die Beschäftigung entfalten. Die Veränderung des Beschäftigungsvolumens infolge geänderter Erwartungen wird am zweiten Tag nach der Änderung nicht die gleiche wie am ersten Tag sein und am dritten Tag nicht die gleiche wie am zweiten Tag und so weiter, obwohl sich doch die Erwartungen gar nicht mehr weiter verändern. Bei kurzfristigen Erwartungen liegt das daran, dass eine Erwartungsänderung zum Schlechteren grundsätzlich nicht stark oder schnell genug vonstatten geht, um den Abbruch der Arbeit in allen Produktionsprozessen zu rechtfertigen, die man im Lichte der revidierten Erwartungen gar nicht erst hätte anfangen sollen. Bei einer Veränderung zum Besseren ist indes eine gewisse Vorbereitungszeit nötig, bevor die Beschäftigung das Niveau erreicht, auf dem sie bei einer frühzeitigeren Anpassung der Erwartungen schon angelangt wäre. Im Fall von langfristigen Erwartungen werden die Ausrüstungsgüter, auch wenn sie nicht ersetzt werden, noch so lange für Beschäftigung sorgen, bis sie endgültig abgenutzt ist. Bei einer Verbesserung der langfristigen Erwartungen mag dagegen die Beschäftigung anfangs sogar noch höher sein als nach einer gewissen Zeit, wenn das Sachkapital der neuen Situation angepasst wurde. Angenommen, eine bestimmte Erwartungshaltung dauert lange genug, um sich vollständig auf die Beschäftigung auszuwirken. In diesem Zustand gibt es grob gesagt kein Beschäftigungsverhältnis mehr, das nicht aufgrund der neuen Erwartung gerechtfertigt ist. Das nun erreichte stabile Beschäftigungsniveau kann man als langfristige Beschäftigung3 bezeichnen, die die3 Das Niveau der langfristigen Beschäftigung muss dabei nicht unbedingt konstant sein, das heißt, langfristige Verhältnisse sind nicht zwangsläufig statisch. So wird zum
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Buch II: Definitionen und Konzepte
sem Stand der Erwartung entspricht. Selbst wenn das tatsächliche Beschäftigungsniveau wegen ständiger Änderungen der Erwartungen nie genügend Zeit hatte, die dem aktuellen Stand der Erwartung entsprechende langfristige Beschäftigung zu erreichen, so existiert doch für jede Erwartungshaltung eine ganz bestimmte langfristige Beschäftigung. Betrachten wir zuerst den Übergang zu einer langfristigen Gleichgewichtsposition, als Folge einer veränderten Erwartung, die aber nicht durch weitere Erwartungsänderungen verkompliziert oder unterbrochen wird. Gehen wir zunächst von einer Veränderung aus, die zu einer höheren langfristigen Beschäftigung führt als zuvor. In der Regel wird zunächst nur das Inputniveau stark betroffen sein, also die Arbeitsmenge am Beginn eines Produktionsprozesses, während der Output an Verbrauchsgütern und das Beschäftigungsvolumen in den späteren, schon vor der Erwartungsänderung begonnenen Produktionsstufen mehr oder weniger unverändert bleiben dürften. Diese Folgerung muss vielleicht leicht modifiziert werden, wenn es noch Bestände an Halbfertigprodukten gab. Aber es bleibt festzuhalten, dass der Beschäftigungszuwachs zu Beginn eher bescheiden sein dürfte. Im Laufe der Zeit aber wird die Beschäftigung langsam zunehmen. Es sind überdies ohne weiteres Bedingungen vorstellbar, die zu einem späteren Zeitpunkt einen Anstieg auf ein Niveau oberhalb des langfristigen Beschäftigungsniveaus verursachen. Denn der Prozess der Kapitalbildung, um einem neuen Stand der Erwartung gerecht zu werden, kann zu mehr Beschäftigung und damit auch zu mehr Konsum führen als nach Erreichung der langfristigen Gleichgewichtsposition. Die Veränderung der Erwartung kann also zu einem allmählichen Anschwellen des Beschäftigungsniveaus bis auf einen Maximalpunkt führen und dann zu einem Absinken auf das langfristige Niveau. Das kann sogar dann passieren, wenn das neue langfristige Niveau das gleiche wie das alte ist, nämlich wenn die veränderte Erwartung aus einer Veränderung der Konsummuster resultiert, die bestimmte Produktionsprozesse und die dazugehörigen Betriebsmittel obsolet werden lässt. Wenn wiederum die neue langfristige Beschäftigung geringer als die alte ist, kann das Beschäftigungsvolumen während der Übergangsphase eine Zeitlang unter das neue langfristige Niveau fallen. Eine bloße Änderung der Erwartung ist also imstande, eine wie ein Konjunkturzyklus aussehende Schwankung zu verursachen, bevor sie sich eingependelt hat. Ich habe derartige Bewegungen schon in meiner Abhandlung Vom Gelde erörtert, wo es um den Auf- oder Abbau der Bestände an Ausrüstungsgütern und liquidem Kapital infolge solcher Veränderungen ging. Beispiel die beständige Zunahme des Wohlstands oder der Bevölkerung wohl zu den sich nicht ändernden Erwartungen gehören. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass die aktuellen Erwartungen schon vor ausreichend längerer Zeit gebildet worden sind.
Kap. 5: Erwartungen als Bestimmungsfaktor55
Ein ununterbrochener Übergang wie der oben beschriebene zu einer neuen langfristigen Gleichgewichtsposition kann im Detail komplex sein. Aber der tatsächliche Ablauf ist sogar noch komplizierter, weil der Stand der Erwartungen andauernden Veränderungen unterworfen ist. Eine neue Erwartung überlagert die alte, bevor diese völlig zum Tragen kommt, so dass die Wirtschaftsmaschinerie zu jedem Zeitpunkt mit sich überschneidenden Aktionen beschäftigt ist, die jeweils infolge unterschiedlicher in der Vergangenheit gebildeter Erwartungen in Gang kamen. II. Dies bringt uns zur Bedeutung dieser Erörterung für unseren aktuellen Zweck. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass das Beschäftigungsniveau zu jedem gegebenen Zeitpunkt gewissermaßen nicht nur vom aktuellen Stand der Erwartung abhängt, sondern von den verschiedenen Erwartungen der jüngeren Zeit. Die noch nicht vollständig umgesetzten früheren Erwartungen sind jedoch auch noch im aktuellen Sachkapital verkörpert, auf deren Basis der Unternehmer seine aktuellen Entscheidungen zu treffen hat. Und nur insoweit beeinflussen sie diese Entscheidungen. Trotz des oben Gesagten ist es daher die Feststellung korrekt, dass die aktuelle Beschäftigung durch die aktuellen Erwartungen in Kombination mit dem aktuellen Sachkapital determiniert wird. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die gegenwärtigen langfristigen Erfahrungen lässt sich zumeist nicht vermeiden – anders als bei den kurzfristigen Erwartungen, wo man darauf gefahrlos verzichten kann angesichts der Tatsache, dass in der Praxis die Korrektur der Erwartungen im Lichte der erzielten Ergebnisse allmählich und stetig erfolgt. Die erwarteten und die realisierten Ergebnisse fließen somit ineinander und ihre Auswirkungen überlagern sich. Denn Produktion und Beschäftigung werden zwar durch die kurzfristigen Erwartungen des Herstellers bestimmt und nicht durch die früheren Ergebnisse. Aber diese Erwartungen werden eben doch am stärksten durch die jüngsten Ergebnisse beeinflusst. Es wäre zu aufwendig, die Erwartungen bei jedem Beginn eines neuen Produktionsprozesses wieder von vorne zu bilden. Und es wäre ohnehin Zeitverschwendung, weil sich die Gegebenheiten von einem Tag auf den anderen meist kaum ändern. Dementsprechend ist es nur vernünftig, wenn Hersteller ihre Erwartungen auf die Annahme gründen, dass sich die zuletzt realisierten Ergebnisse auch in Zukunft fortsetzen, sofern keine besonderen Gründe dagegen sprechen. In der Praxis überschneiden sich also die Auswirkungen der Erlöse aus dem Verkauf der zuletzt hergestellten Produkte und der Verkaufserlöse, die die Hersteller durch den aktuelle Input zu erzielen hoffen. Diese modifizieren
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Buch II: Definitionen und Konzepte
ihre Vorhersagen eher allmählich im Lichte der Ergebnisse denn in Vorwegnahme potenzieller Veränderungen.4 Wir dürfen gleichwohl nicht vergessen, dass die kurzfristigen Erwartungen der Hersteller im Falle langlebiger Güter auf den aktuellen langfristigen Erwartungen des Investors beruhen – und es ist das Wesen langfristiger Erwartungen, dass sie nicht in kurzen Zeiträumen anhand der erzielten Ergebnisse überprüfbar sind. Sie unterliegen außerdem plötzlichen Berichtigungen, wie wir in Kapitel 12 sehen werden, wo langfristige Erwartungen noch eingehender untersucht werden. Der Einfluss aktueller langfristiger Erwartungen kann somit nicht einmal ansatzweise durch die erzielten Ergebnisse ersetzt oder eliminiert werden.
4 Diese Betonung der jeweiligen Erwartung in dem Moment, in dem der Entschluss zur Produktion fällt, dürfte mit Hawtreys Auffassung übereinstimmen, dass Input und Beschäftigung durch die Anhäufung von Vorräten beeinflusst werden, bevor die Preise gefallen sind oder sich Enttäuschung über den Output in einem relativ zur Erwartung tatsächlich erlittenen Verlust spiegelt. Denn die Zunahme unverkaufter Lagerbestände (oder die Abnahme der Lieferaufträge) ist der wahrscheinlichste Auslöser für ein Abweichen des Inputs von dem, was die Statistiken über Verkaufserlöse aus vergangener Produktion nahelegen würden, wenn man sie unhinterfragt auf den nächsten Zeitabschnitt übertragen würde.
Kapitel 6
Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen I. Einkommen In einem beliebigen Zeitraum verkauft ein Unternehmer an Verbraucher oder andere Unternehmer Produkte für eine Summe, die wir A nennen wollen. Er tätigt zugleich aber auch Ausgaben, hier als A1 bezeichnet, für den Ankauf von Waren von anderen Unternehmen. Am Ende wird er über ein Sachkapital im Wert von G verfügen, zu dem sowohl sein Inventar an Vorprodukten oder Betriebsmitteln als auch sein Bestand an Endprodukten zählen. Allerdings entstand ein Teil des Ergebnisses von A + G – A1 gar nicht infolge der Aktivitäten im fraglichen Zeitraum, sondern ist dem zuvor schon vorhandenen Sachkapital zuzurechnen. Um das eigentliche in der laufenden Periode erzielte Einkommen zu berechnen, müssen wir deshalb von A + G – A1 noch eine bestimmte Summe abziehen. Diese entspricht dem Teil des Einkommens, der noch mit dem Sachkapital des vorangegangenen Produktionszeitraums erzielt wurde. Einkommen lässt sich also problemlos definieren, sobald wir eine zufriedenstellende Methode zur Berechnung dieses Abzugs finden. Zwei Verfahren bieten sich dafür an, von denen jedes seine Berechtigung hat: ein auf die Produktion und ein auf den Verbrauch bezogenes. Im Folgenden sollen sie der Reihe nach betrachtet werden. 1. Der tatsächliche Wert G des Sachkapitals am Ende des Produktionszeitraums ist das Nettoergebnis zweier gegenläufiger Prozesse: Der Unternehmer hat sein Sachkapital einerseits durch Zukäufe von anderen Unternehmen und durch Eigenleistungen erhalten und aufgewertet. Andererseits aber hat er es durch die Produktion von Waren abgenutzt bzw. entwertet. Auch wenn er sich entschieden hätte, es nicht zur Produktion zu nutzen, lässt sich gleichwohl ein optimaler Betrag für Instandhaltung und Verbesserung bestimmen, dessen Ausgabe sich für ihn rentiert hätte. Angenommen, er hätte in diesem Fall einen Betrag B' dafür ausgegeben und dadurch den Wert des Sachkapitals am Ende des Zeitraums auf G' gesteigert. G' – B' ist somit der maximale Nettowert, der noch vom vorangegangenen Produk
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Buch II: Definitionen und Konzepte
tionszeitraum übrig sein könnte, wenn er nicht für die Produktion von A verwendet worden wäre. Die Differenz zwischen diesem potenziellen Wert des Sachkapitals und G – A1 ist das Maß dessen, was (auf die eine oder andere Weise) für die Produktion von A aufgewendet wurde. Diese Summe, die den mit der Produktion von A einhergehenden Wertverlust ausmacht, also (G' – B') – (G – A1)
lässt sich als die Nutzungskosten von A bezeichnen. Die Nutzungskosten wiederum werden als U bezeichnet.1 Den Betrag, den ein Unternehmer dem Faktor Arbeit für dessen Dienste auszahlt und der sich aus dessen Perspektive als Einkommen darstellt, bezeichnen wir als Faktorkosten von A. Die Summe der Faktorkosten F und der Nutzungskosten U nennen wir die variablen Kosten des Outputs A. Nun lässt sich das Einkommen2 des Unternehmers definieren als der Wert seiner im jeweiligen Zeitraum verkauften fertigen Produkte abzüglich der variablen Kosten. Das Einkommen des Unternehmers ist demnach gleich der Summe, die er, in Abhängigkeit von seinem Produktionsumfang, zu maximieren versucht, d. h. gleich seinem Bruttogewinn – was einem ja auch der gesunde Menschenverstand sagt. Da das Einkommen der übrigen Bevölkerung gleich den Faktorkosten des Unternehmers ist, ist also das Gesamteinkommen gleich A – U. Das solchermaßen definierte Einkommen ist eine absolut unzweideutige Größe, die überdies von ursächlicher Bedeutung für die Beschäftigung ist. Denn der Unternehmer versucht, den erwarteten Betrag, um den diese Größe über seinen Auslagen für die anderen Produktionsfaktoren liegt, zu maximieren, wenn er darüber entscheidet, wie viel Beschäftigung er schafft. Es ist natürlich denkbar, dass G – A1 größer ist als G' – B', so dass die Nutzungskosten negativ werden. Dass kann zum Beispiel vorkommen, wenn wir einen Zeitraum auswählen, in dem der Input zunimmt, die Zeit aber nicht für die Fertigstellung und den Verkauf der dann ebenfalls wachsenden Produktmenge reicht. Das Gleiche passiert bei zusätzlichen Investitionen, wenn die Unternehmenskonzentration derart hoch ist, dass die Unternehmer ihre Kapitalgüter größtenteils selbst herstellen. Da jedoch die Nutzungskosten nur negativ werden, wenn der Unternehmer tatsächlich selbst seine Ausrüstungsgüter mithilfe seiner eigenen Arbeiter vermehrt hat, können wir 1 Einige weitere Bemerkungen über Nutzungskosten finden sich im Anhang zu diesem Kapitel. 2 Im Unterschied zu seinem Nettoeinkommen, das weiter unten definiert wird.
Kap. 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen59
in einer Volkswirtschaft, in der die Hersteller und die Nutzer von Sachkapital nicht dieselben Firmen sind, von positiven Nutzungskosten ausgehen. Ohnehin ist ein Fall schwer vorstellbar, in dem die mit einem Anstieg von A einhergehenden Grenznutzungskosten, also dU , nicht positiv sind. dA Es sollte hier in Vorwegnahme der späteren Teile dieses Kapitels erwähnt werden, dass der aggregierte Konsum (C) der Gesamtbevölkerung im jeweiligen Zeitabschnitt gleich Σ(A – A1) ist und dass die aggregierten Investitionen (I) gleich Σ(A1 – U) sind. Ferner sind U die Desinvestitionen des Unternehmers (und – U seine Investitionen), bezogen auf seine eigenen Ausrüstungsgüter, ohne die von anderen Firmen hinzugekauften. In einer Volkswirtschaft mit höchster Unternehmenskonzentration (wo A1 = 0) ist der Konsum gleich A und die Investitionen sind gleich – U, also gleich G – (G' – B'). Die Einführung von A1 hat das oben Gesagte zwar etwas verkompliziert, ist aber sinnvoll, um auch den Fall eines nicht vertikal integriertes Produktionssystems pauschal abdecken zu können. Darüber hinaus ist die effektive Nachfrage einfach das Gesamteinkommen (bzw. die Erlöse) inklusive des an die anderen Produktionsfaktoren fließenden Einkommens, das die Unternehmer von der eigens hierfür geschaffenen Beschäftigungsmenge erwarten. Die aggregierte Nachfragefunktion setzt verschiedene hypothetische Beschäftigungsmengen in Beziehung zu den aus der Produktion erwarteten Erlösen. Die effektive Nachfrage liegt dabei an dem Punkt der aggregierten Nachfragekurve, an dem das Beschäftigungsniveau unter den jeweiligen Angebotsbedingungen gerade so hoch ist, dass die Gewinnerwartung des Unternehmers die maximale ist. Diese Definitionen haben unter anderem den Vorteil, dass wir den Grenz erlös (bzw. das Grenzeinkommen) mit den Grenzkosten der Produktionsfaktoren gleichsetzen können. Auf diese Weise kommen wir zu einer ganz ähnlichen Aussage – nämlich den so definierten Grenzerlös mit besagten Grenzfaktorkosten in Beziehung zu setzen – wie jene Ökonomen, die, indem sie die Nutzungskosten ignorieren oder mit null ansetzen, den Angebotspreis3 mit den Grenzfaktorkosten4 gleichsetzen. 3 Angebotspreis ist meiner Ansicht nach ein unvollständig definierter Begriff, solange das Problem der Definition von Nutzungskosten übersehen wird. Diese Frage wird im Anhang zu diesem Kapitel noch eingehender behandelt, wo ich darlege, dass es zwar bei der Betrachtung des aggregierten Angebotspreis gelegentlich angebracht sein mag, beim Angebotspreis die Nutzungskosten unberücksichtigt zu lassen. Das gilt jedoch nicht für das Problem des Angebotspreises pro Produktionseinheit bei einem einzelnen Unternehmen. 4 Nehmen wir zum Beispiel Z = φ(N) oder alternativ dazu Z = W · φ(N) als die w aggregierte Angebotsfunktion (wobei W die Lohneinheit und W · Zw = Z ist). Da der Erlös aus dem Grenzprodukt dann an jedem Punkt der aggregierten Angebotskurve gleich den Grenzkosten der Produktionsfaktoren ist, ergibt sich daraus
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Buch II: Definitionen und Konzepte
2. Wenden wir uns nun dem zweiten der oben genannten Grundsätze zu. Wenn wir bislang den Wert des Sachkapitals am Ende eines Produktionszeitraums mit dem zu Beginn vorhandenen verglichen haben, so ging es immer nur um die Veränderungen, die aus freiwilligen Entscheidungen des Unternehmers im Zuge seiner Bemühung um Gewinnmaximierung resultierten. Es kann jedoch auch eine unfreiwillige Verminderung (bzw. ein Zuwachs) des Werts seines Sachkapitals stattfinden, die auf Gründe außerhalb seiner Kontrolle und unabhängig von seinen aktuellen Entscheidungen zurückzuführen ist. Dazu gehören beispielsweise Veränderungen des Markwerts, Wertverluste durch Verschleiß oder Veraltung des Sachkapitals oder aber Zerstörungen durch Katastrophen wie Kriege oder Erdbeben. Solche unfreiwilligen Wertminderungen mögen unvermeidlich sein, aber sind sie, grob gesagt, nicht immer unerwartet. Beispiele dafür sind Wertverluste durch auch ohne jede Benutzung stattfindende Veraltung oder der „normale“ Verschleiß, der in Pigous Worten „so regelmäßig erfolgt, dass er – wenn auch nicht im Einzelnen, so doch im Großen und Ganzen – vorhersehbar ist“. Dem lassen sich noch die Verluste hinzufügen, die regelmäßig genug auftreten, um gemeinhin als „versicherbare Risiken“ zu gelten. Lassen wir bis auf Weiteres den Umstand außer Acht, dass der Umfang des erwarteten Verlusts vom Zeitpunkt abhängt, zu dem die Erwartung gebildet wird. Wir können nun die unfreiwillige, aber nicht unerwartete Wertminderung des Sachkapitals – also den Überhang der erwarteten Entwertung über die Nutzungskosten – als Zusatzkosten bezeichnen, die hier als V ausgedrückt werden sollen. Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass diese Definition nicht mit Marshalls Definition von Zusatzkosten übereinstimmt, obgleich die zugrunde liegende Idee ähnlich ist, nämlich sich auf den Teil der erwarteten Entwertung zu konzentrieren, der nicht in die variablen Kosten eingeht. Zur Berechnung des Nettoeinkommens und des Nettogewinns des Unternehmers werden üblicherweise die geschätzten Zusatzkosten von seinem wie oben definierten Einkommen und Bruttogewinn abgezogen. Denn wenn der Unternehmer überlegt, welchen Betrag er sparen oder ausgeben kann, ΔN = ΔA
w – ΔUw = ΔZw = Δφ(N)
heißt, φ'(N) = 1. Unter der Voraussetzung, dass die Faktorkosten in einer konstanten Relation zu den Lohnkosten stehen und dass die aggregierte Angebotsfunk tion für jede Firma (deren Zahl als konstant angenommen wird) unabhängig von der Zahl der in anderen Branchen Beschäftigten ist, können die Bestimmungen dieser Gleichung, die für jeden einzelnen Unternehmer gilt, ebenso auf die Unternehmerschaft als Ganze angewandt werden. Wenn die Löhne konstant sind und die anderen Faktorkosten in einem konstanten Verhältnis zur Lohnsumme stehen, bildet demzufolge die aggregierte Angebotskurve eine gerade Linie mit einer Steigung, die durch den reziproken Wert des Nominallohns gegeben ist. das
Kap. 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen61
ist für ihn der psychologische Effekt der Zusatzkosten der gleiche, als ob sie von seinem Bruttogewinn abgingen. In seiner Eigenschaft als Hersteller, der über Gebrauch oder Nichtgebrauch seines Sachkapitals zu entscheiden hat, sind variable Kosten und Bruttogewinn nach obiger Definition die maßgeblichen Konzepte. In seiner Eigenschaft als Verbraucher haben die Zusatzkosten für ihn die gleiche Wirkung, als seien sie ein Teil der variablen Kosten. Wenn wir also vom Nettogesamteinkommen sowohl Zusatz- als auch Nutzungskosten abziehen, womit dieses gleich A – U – V ist, kommen wir nicht nur der allgemein üblichen Definition am nächsten, sondern wir erhalten auch Konzept, das für die Höhe des Konsums relevant ist. Bleibt noch die Wertveränderung des Sachkapitals infolge von unerwarteten Veränderungen des Marktwerts, außergewöhnlicher Veraltung oder Zerstörung durch Katastrophen, die sowohl unfreiwillig als auch im weiteren Sinn unvorhergesehen ist. Der tatsächliche Wertverlust in diesen Fällen, den wir selbst bei der Berechnung des Nettoeinkommens und der Belastung der Vermögensbilanz außer Acht lassen, lässt sich als Zufallsverlust bezeichnen. Die kausale Bedeutung des Nettoeinkommens besteht aus dem psychologischen Einfluss, den die Höhe von V auf den laufenden Konsum hat. Schließlich ist das Nettoeinkommen das, was ein normaler Mensch bei seinen Konsumentscheidungen als verfügbares Einkommen betrachten dürfte. Natürlich ist das nicht der einzige Faktor, den ein Unternehmer bei der Entscheidung, wie viel er ausgibt, berücksichtigt. So fällt der Zufallsgewinn oder ‑verlust in seiner Vermögensbilanz durchaus ins Gewicht. Es besteht jedoch insofern ein Unterschied zwischen Zusatzkosten und Zufallskosten, als ihn nur geänderte Zusatzkosten in gleicher Weise tangieren wie Veränderungen seines Bruttogewinns. Es ist der Überhang des Erlöses aus der laufenden Produktion über die Summe der variablen und der Zusatzkosten, der für den Verbrauch des Unternehmers maßgeblich ist. Auch wenn der Zufallsverlust (bzw. ‑gewinn) in seine Entscheidungen mit einbezogen wird, so geschieht das doch nicht im selben Maße. Ein gegebener Zufallsverlust wirkt sich deswegen nicht genauso aus wie Zusatzkosten in gleicher Höhe. Wir müssen jedoch noch einmal auf die Grenze zwischen Zusatzkosten und Zufallsverlusten zurückkommen – also zwischen den unvermeidlichen Verlusten, die am besten in der Ertragsbilanz zu verbuchen sind, und denen, die vernünftigerweise als Zufallsverlust (bzw. ‑gewinn) in der Vermögensbilanz erfasst werden. Hierbei handelt es sich zum Teil um eine konventionelle oder psychologische Abgrenzung, die sich nach den allgemein anerkannten Kriterien für die Schätzung der Zusatzkosten richtet. Für diese Schätzung lässt sich nämlich kein allgemein gültiger Grundsatz aufstellen. Ihre Höhe hängt vielmehr von der Wahl der Buchführungsmethode ab. Die
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Buch II: Definitionen und Konzepte
bei der Herstellung der Ausrüstungsgüter erwarteten Zusatzkosten haben jedenfalls eine eindeutig bestimmbare Höhe. Diese kann sich jedoch im Zuge einer späteren Korrektur der Schätzung für die restliche Lebensdauer der Ausrüstungsgüter ändern, wenn sich in der Zwischenzeit unsere Erwartungen verändert haben. Der Zufallsverlust des Kapitals entspricht dann der diskontierten Differenz zwischen der ursprünglichen und der revidierten Erwartung der voraussichtlichen Reihe von U + V. Es ist ein weithin anerkannter und von den Steuerbehörden akzeptierter Buchführungsgrundsatz, schon bei der Anschaffung der Ausrüstungsgüter einen Betrag für die Summe der Zusatz- und der Nutzungskosten festzusetzen und diesen während dessen gesamter Lebensdauer unverändert zu belassen, ungeachtet späterer Erwartungsänderungen. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die Zusatzkosten in einem gegebenen Zeitraum als der Überschuss dieses vorab festgelegten Betrags über die tatsächlichen Nutzungskosten interpretieren. Das hat den Vorteil, dass sich der Zufallsgewinn bzw. ‑verlust über die gesamte Lebensdauer der Ausrüstungsgüter auf null beläuft. Es kann aber unter Umständen auch vernünftig sein, die Rückstellungen für Zusatzkosten auf Basis aktueller Werte und Erwartungen in gewissen Buchungszeiträumen, beispielsweise jährlich, neu zu berechnen. Geschäftsleute wählen hier in der Tat unterschiedliche Vorgehensweisen. Die anfängliche Erwartung der Zusatzkosten zum Anschaffungszeitpunkt de Ausrüstungsgtüer lässt sich sinnvollerweise als anfängliche Zusatzkosten bezeichnen und der auf der Basis von aktuellen Zahlen und Erwartungen neu berechnete Betrag als aktuelle Zusatzkosten. Die bestmögliche quantitative Definition von Zusatzkosten ist, dass es sich dabei um die Abzüge vom Einkommen eines Unternehmers handelt, die dieser zur Berechnung seines Nettoeinkommens vornimmt, um daraus dann die Höhe der Dividende abzuleiten (im Fall einer Kapitalgesellschaft) oder über seinen Konsum zu entscheiden (im Fall einer Personengesellschaft). Da Zufallsbelastungen in der Vermögensbilanz nicht ganz auszuschließen sind, ist es im Zweifelsfall besser, einen Bilanzposten dafür vorzusehen und unter Zusatzkosten nur das zu fassen, was ganz offensichtlich dorthin gehört. Denn sollten die Belastungen überschätzt worden sein, lässt sich das leicht ausgleichen, indem man sie überproportional bei der Festlegung des laufenden Verbrauchs berücksichtigt. Es zeigt sich, dass unsere Definition des Nettoeinkommens sehr nah an Marshalls Definition von Einkommen herankommt, nachdem dieser Zuflucht zu den Methoden der Steuerbeamten nahm und, grob gesagt, das als Einkommen betrachtete, was diese mit all ihrer Erfahrung als Einkommen behandeln. Immerhin können ihre Entscheidungen in der Substanz als das Ergebnis der sorgfältigsten und umfassendsten verfügbaren Erhebung gelten, auf deren Basis entschieden wird, was in der Praxis als Nettoeinkommen
Kap. 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen63
behandelt wird. Es entspricht im Übrigen auch dem Nominalwert von Pigous neuster Definition des Nationaleinkommens.5 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass das auf mehrdeutigen Kriterien basierende Nettoeinkommen, das verschiedene Autoritäten unterschiedlich definieren, kein fest umrissenes Konzept ist. So meint beispielsweise Hayek, dass ein einzelner Besitzer von Kapitalgütern es darauf anlegen könnte, das mithilfe seines Eigentums erzielte Einkommen konstant zu halten. Er würde dann sein Einkommen so lange nicht einfach für konsumtive Zwecke ausgeben, bis er genug angespart hätte, um einen wodurch auch immer verursachten Rückgang seines Kapitalertrags zu kompensieren.6 Ich bezweifle zwar, dass ein solches Individuum existiert. Aber es gibt offenkundig keinen theoretischen Einwand gegen diese Ableitung als ein mögliches psychologisches Merkmal von Nettoeinkommen. Aber wenn Hayek folgert, dass die Konzepte von Ersparnissen und Investitionen gleichermaßen vage seien, dann kann er damit nur recht haben, wenn er Nettoersparnisse und Nettoinvestitionen meint. Die Ersparnisse und die Investitionen, die für die Theorie der Beschäftigung relevant sind, leiden nicht an diesem Problem und können, wie wir oben dargelegt haben, objektiv definiert werden. Es wäre daher ein Fehler, allzu großes Gewicht auf das Nettoeinkommen zu legen, das nur für Konsumentscheidungen von Bedeutung ist und das zudem kaum abgrenzbar ist von diversen anderen Faktoren, die den Konsum beeinflussen. Ebenso sollte man nicht (wie bislang üblich) über das Konzept des eigentlichen Einkommens hinwegsehen, denn dieses ist für Entscheidungen über die aktuelle Produktion von Bedeutung und überdies ganz und gar unzweideutig. Die obigen Definitionen von Einkommen und Nettoeinkommen sollen so genau wie möglich dem allgemein üblichen Gebrauch entsprechen. Ich sollte daher den Lesern ins Gedächtnis rufen, dass ich in Vom Gelde Einkommen in einem speziellen Sinn definiert habe. Die Besonderheit meiner früheren Definition bezog sich auf den Teil des Gesamteinkommens, der den Unternehmern zufließt. Denn ich legte weder den aus ihren aktuellen Geschäften resultierenden Brutto- oder Nettogewinn noch den bei Aufnahme ihre aktuellen Geschäfte erwarteten Gewinn zugrunde, sondern gewissermaßen einen Normal- oder Gleichgewichtsgewinn (der, wie ich inzwischen glaube, nicht ausreichend genau definiert war, wenn man mögliche Veränderungen des Produktionsvolumens berücksichtigt). Das Ergebnis war, dass nach dieser Definition die Ersparnisse um so viel größer als die Investitionen waren, wie der normale über dem tatsächlichen Gewinn lag. Ich fürchte, diese Verwendung 5 Economic 6 „The
Journal, Juni 1935, S. 235. Maintenance of Capital“, Economica, August 1935, S. 241 f.
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des Begriffs hat einige Verwirrung gestiftet, besonders in Hinblick auf die entsprechende Verwendung des Begriffs „Ersparnisse“. Denn die Schlussfolgerungen (vor allem in Bezug auf den Überhang der Ersparnisse über die Investitionen), die nur Gültigkeit besaßen, solange man die Begriffe in meinem ganz speziellen Sinn interpretierte, wurden oft in populärwissenschaftlichen Debatten übernommen, aber die Begriffe wurden dabei in ihrem herkömmlichen Sinn verwendet. Aus diesem Grund und auch, weil ich meine früheren Begriffe für die exakte Darstellung meiner Ideen nicht mehr benötige, habe ich mich mit großem Bedauern über die durch sie verursachte Verwirrung entschlossen, sie zu verwerfen. II. Ersparnisse und Investitionen Es ist erfreulich, in dem Durcheinander widersprüchlicher Begriffsverwendungen einen Fixpunkt zu finden. Meines Wissens besteht Einigkeit darüber, dass Ersparnisse der Überschuss des Einkommens über die Konsumausgaben sind. Etwaige Zweifel an der Bedeutung von Ersparnissen können deshalb nur an Zweifeln über die Bedeutung von Einkommen oder von Konsum liegen. Einkommen haben wir bereits oben definiert. Die Konsumausgaben in einem gegebenen Zeitraum können nichts anderes als der Wert der Güter sein, die in diesem Zeitraum an die Konsumenten verkauft wurden. Dies bringt uns zu der Frage, was mit einem Konsumgüterkäufer gemeint ist. Jede vernünftige Definition der Abgrenzung zwischen einem Konsumgüter- und einem Investitionsgüterkäufer würde uns hier ebensogut weiterbringen, sofern sie konsequent angewandt wird. Dabei auftretende Probleme – beispielsweise, ob sich der Erwerb eines Kraftfahrzeugs korrekterweise als ein Konsumgüterkauf und den Erwerb eines Hauses als ein Investitionsgüterkauf bezeichnen lässt – wurden schon häufig diskutiert, und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Die Abgrenzung muss offensichtlich damit übereinstimmen, wo wir die Grenze zwischen Verbraucher und Investor ziehen. Indem wir A1 als den Wert dessen definiert haben, was ein Unternehmer von einem anderen kauft, haben wir dieses Problem implizit bereits gelöst. Daraus abgeleitet lassen sich die Konsumausgaben unzweideutig als Σ(A – A1) definieren, wobei ΣA die gesamten Verkäufe im fraglichen Zeitraum und ΣA1 die gesamten Verkäufe eines Unternehmers an einen anderen sind. Im Folgenden wird es in der Regel am einfachsten sein, Σ wegzulassen und A für sämtliche Arten von Verkäufen zu benutzen, A1 für die gesamten Verkäufe zwischen Unternehmern und U für die aggregierten Nutzungskosten der Unternehmer. Nachdem wir nun sowohl Einkommen als auch Konsum definiert haben, ergibt sich daraus die Definition von Ersparnissen als Überschuss des Einkommens über den Konsum von selbst. Da Einkommen gleich A – U und
Kap. 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen65
Konsum gleich A – A1 ist, folgt daraus, dass die Ersparnisse gleich A1 – U sind. Dementsprechend sind die Nettoersparnisse der Betrag, um den das Nettoeinkommen über dem Konsum liegt, d. h. sie sind gleich A1 – U – V. Unsere Definition des Einkommens führt sogleich auch zu einer Definition der laufenden Investitionen. Darunter verstehen wir den aktuellen Zuwachs zum Wert des Sachkapitals, der sich aus der Produktionstätigkeit des jeweiligen Zeitabschnitts ergibt. Dies ist eindeutig dasselbe wie das, was wir soeben als Ersparnisse definiert haben. Denn es ist der Teil des Einkommens im fraglichen Zeitraum, der nicht für Konsum aufgewendet wurde. Wir haben oben gesehen, dass die Unternehmer am Ende eines Produktionszeitraums fertige Produkte im Wert von A verkauft haben. Als Konsequenz der Produktion und des Verkaufs von A und unter Berücksichtigung der Käufe A1 von anderen Unternehmern verfügen sie nun über ein Sachkapital, das eine mit U bezeichnete Abnutzung erlitten hat (oder wenn eine Verbesserung erfolgte, als –U, wobei U also negativ ist). Im selben Zeitraum wurden fertige Produkte im Wert von A – A1 für Konsumzwecke bereitgestellt. Der Überschuss von A – U über A – A1, nämlich A1 – U, stellt somit die Aufstockung seines Sachkapitals infolge der Produktionstätigkeit des jeweiligen Zeitraums dar oder anders gesagt, die Investitionen. Entsprechendes gilt für A1 – U – V, dem Nettozugang zum Sachkapital, wovon die normale, nicht aus dem Gebrauch resultierende Minderung des Kapitalwerts und die in der Vermögensbilanz verbuchten unerwarteten Wertänderungen des Sachkapitals abgezogen werden. Hierbei handelt es sich um die Nettoinvestitionen des Zeitraums. Während daher die Summe der Ersparnisse das Ergebnis des kollektiven Verhaltens einzelner Konsumenten und die Summe der Investitionen das Ergebnis des kollektiven Verhaltens einzelner Unternehmer sind, stimmen beide Summen zwangsläufig überein, da jede von ihnen gleich dem Überschuss des Einkommens über den Konsum ist. Diese Folgerung ist völlig unabhängig von jeglichen Feinheiten oder Eigenheiten der obigen Definition des Einkommens. Sofern Einigkeit darüber besteht, dass das Einkommen gleich dem Wert der aktuell produzierten Gütermenge ist, dass die aktuellen Investitionen gleich dem Wert des nicht konsumierten Teils der Produktionsmenge sind und dass überdies die Ersparnisse gleich dem Überschuss des Einkommens über den Konsum sind – was alles gut mit dem gesunden Menschenverstand und der traditionellen Begriffsverwendung der allermeisten Volkswirte vereinbar ist – dann folgt daraus die Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen. Kurz gesagt gilt: Einkommen = Wert der Produktionsmenge = Konsum + Investitionen Ersparnisse = Einkommen – Konsum Daher Ersparnisse = Investitionen.
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Jede Kombination von Definitionen, die den oben genannten Bedingungen entsprechen, führt daher zum gleichen Schluss. Dieser kann nur angezweifelt werden, wenn man die Gültigkeit von einer von ihnen verneint. Die Übereinstimmung von Ersparnissen und Investitionen ergibt sich aus der bilateralen Wesensart der Transaktionen zwischen dem Produzenten auf der einen und dem Konsumenten bzw. Käufer des Sachkapitals auf der anderen Seite. Einkommen erwächst aus dem Wert, den der Produzent durch den Verkauf seiner Produkte einnimmt, welcher über den Nutzungskosten liegt. Der gesamte Output muss dabei selbstredend entweder an einen Konsumenten oder an einen anderen Unternehmer verkauft worden sein. Und überdies sind die aktuellen Investitionen eines jeden Unternehmers gleich dem Betrag, um den der Wert seiner von anderen Unternehmen gekauften Ausrüstungsgüter über seinen eigenen Nutzungskosten liegt. Daher kann insgesamt der Überschuss des Einkommens über den Konsum, den wir als Ersparnisse bezeichnen, nicht vom Zugang zu seinen Betriebsmitteln abweichen, den wir als Investitionen bezeichnen. Entsprechendes gilt für Nettoersparnisse und Nettoinvestitionen. Ersparnisse sind im Grunde eine bloße Restgröße. Die Konsum- und die Investitionsentscheidungen zusammengenommen determinieren die Einkommen. Werden die Investitionsentscheidungen umgesetzt, muss entweder der Konsum eingeschränkt oder das Einkommen erhöht werden. Somit erhöht der Akt des Investierens zwangsläufig die Restgröße oder Marge, die wir als Ersparnisse bezeichnen, um einen entsprechenden Betrag. Es könnte natürlich sein, dass einzelne Personen so starrköpfig in ihren Entscheidungen wären, wie viel sie sparen oder investieren wollen, dass es kein Preisgleichgewicht gäbe, zu dem Transaktionen möglich wären. In diesem Fall wären unsere Begrifflichkeiten nicht mehr anwendbar, da der Output keinen bestimmten Marktwert mehr hätte und Preise keinen Ruhepunkt mehr zwischen null und unendlich finden würden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dem in Wirklichkeit nicht so ist und dass es gewohnheitsmäßige psychologische Reaktionen gibt, die dafür sorgen, dass ein Gleichgewicht erreicht wird, an dem die Bereitschaft zu kaufen und die Bereitschaft zu verkaufen gleich groß sind. Dass es etwas wie einen Marktwert für den Output gibt, ist zugleich eine notwendige Bedingung dafür, dass das Geldeinkommen einen bestimmten Wert besitzt. Es ist zudem eine hinreichende Bedingung dafür, dass der Gesamtbetrag, den Sparer zu sparen beschließen, gleich dem Gesamtbetrag ist, den Investoren zu investieren beschließen. Am besten kann man sich das klar machen, wenn man sich die Angelegenheit als eine Entscheidung zu konsumieren (oder auf Konsum zu verzichten) vorstellt und nicht als Entscheidung zu sparen. Die Entscheidung,
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zu konsumieren oder nicht zu konsumieren, steht ebenso in der Macht eines jeden wie die Entscheidung, zu investieren oder nicht zu investieren. Die Summen des Gesamteinkommen und der Gesamtersparnisse sind jeweils das Ergebnis der freien Wahl von Individuen, ob sie konsumieren wollen oder nicht und ob sie investieren wollen oder nicht. Sie können jedoch nicht unabhängig voneinander einen Wert annehmen, der aus separaten Entscheidungen resultiert, die nichts mit Konsum und Investitionen zu tun haben. In Einklang mit diesem Prinzip wird im Folgenden das Konzept der Konsumneigung an Stelle der Neigung oder Bereitschaft zum Sparen treten. Anhang über Nutzungskosten I. Die Nutzungskosten haben meines Erachtens eine Bedeutung für die klassische Werttheorie, die bislang übersehen wurde. Es ließe sich mehr darüber sagen, als an dieser Stelle sachdienlich oder angemessen wäre. In diesem Anhang wollen wir dennoch einen Exkurs zu diesem Thema machen. Die Nutzungskosten eines Unternehmers sind per definitionem gleich A1 + (G' – B') – G,
wobei A1 die Einkäufe unseres Unternehmers von anderen Unternehmern sind, G der tatsächliche Wert seines Sachkapitals am Ende des Produktionszeitraums ist und G' der Wert, der am Ende möglich gewesen wäre, hätte er auf dessen Nutzung verzichtet und die optimale Summe B' für seine Instandhaltung und Verbesserung aufgewendet. G – (G' – B'), also der Wertzuwachs des Sachkapitals über den Wert, den der Unternehmer aus dem vorherigen Produktionszeitraum übernommen hat, stellt die aktuellen Investitionen des Unternehmers in sein Sachkapital dar und kann mit I bezeichnet werden. U, die Nutzungskosten seines Umsatzes A, ist folglich gleich A1 – I, wobei A1 für die von anderen Unternehmern gekauften Güter steht und I für seine eigenen Investitionen in sein Sachkapital. All das entspricht dem gesunden Menschenverstand, wie man mit ein wenig Überlegung feststellen wird. Ein Teil der seiner Auslagen an andere Unternehmer wird durch den Wert seiner aktuellen Investitionen in sein eigenes Sachkapital aufgewogen. Der Rest stellt den Aufwand für seine verkauften Produkte dar, der über dem Gesamtbetrag liegt, den er für den Faktor Arbeit gezahlt hat. Der Vorteil dieser Darstellung ist, dass sie unlösbare (und unnötige) Rechnungslegungsprobleme umgeht, was der Leser merken wird, wenn er ihren Kern anders auszudrücken versucht. Es gibt meines Erachtens keine andere Me-
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thode zur eindeutigen Analyse des aktuellen Produktionserlöses. Im Fall einer vollständigen Unternehmenskonzentration oder wenn der Unternehmer nichts von anderen zukauft, so dass A1 = 0, wären die Nutzungskosten einfach der Gegenwert der mit der Nutzung des Sachkapitals einhergehenden Desinvestitionen. Es bleibt jedoch der Vorteil, dass wir an keinem Punkt der Analyse die Faktorkosten zwischen den verkauften Gütern und dem einbehaltenen Sachkapital aufzuteilen brauchen. Wir können also die von einer Firma – gleichgültig, ob eine einzelner Betrieb oder ein vertikal integrierter Konzern – geschaffene Beschäftigung als auf einer einzigen, zusammengefassten Entscheidung basierend sehen. Diese Vorgehensweise entspricht der in Wirklichkeit mit der Gesamtproduktion verzahnten Produktion der aktuell für den Verkauf bestimmten Güter. Mithilfe des Konzepts der Nutzungskosten lässt sich überdies der kurzfristige Angebotspreis einer Einheit zum Verkauf stehender Produkte einer Firma klarer als sonst üblich definieren. Denn dieser ist die Summe der Grenzfaktor- und der Grenznutzungskosten. In der modernen Werttheorie ist es bislang gängige Praxis, den kurzfristigen Angebotspreis nur mit den Grenzkosten der Produktionsfaktoren gleichzusetzen. Allerdings ist dies zweifellos nur dann berechtigt, wenn die Grenznutzungskosten gleich null sind oder wenn der Angebotspreis speziell ohne die Grenznutzungskosten definiert wird – ganz so wie ich oben „Erlös“ und „aggregierten Angebotspreis“ ohne die aggregierten Nutzungskosten definiert habe (siehe S. 34). Wenn es um die Gesamtproduktion geht, mag es zwar gelegentlich praktisch sein, die Nutzungskosten herauszurechnen. Doch dieses Verfahren regelmäßig (und stillschweigend) auf einzelne Branchen oder Firmen anzuwenden nimmt unserer Analyse jeden Realitätsbezug, da dadurch der „Angebotspreis“ einer Ware von ihrem „Preis“ im üblichen Sinn abgespalten wird. Dies dürfte für einige Verwirrung gesorgt haben. Anscheinend ist man davon ausgegangen, dass „Angebotspreis“ bezogen auf eine Einheit zum Verkauf stehender Waren einer einzelnen Firma ein unmissverständlicher Begriff ist und dass die Angelegenheit keine weitere Diskussion erfordert. Bei der Betrachtung sowohl der von anderen Firmen gekauften Waren als auch der Abnutzung der eigenen Produktionsanlagen durch die Erzeugung einer zusätzlichen Gütereinheit treten jedoch all die problematischen Begleiterscheinungen auf, die mit der Definition des Einkommens verbunden sind. Nehmen wir einmal an, dass die Grenzkosten der Zukäufe von anderen Firmen, die der Verkauf einer zusätzlichen Outputeinheit mit sich bringt, vom Verkaufserlös jeder Einheit abgezogen werden müssen, um den von uns so genannten Angebotspreis unserer Firma zu ergeben. Selbst dann müssen wir immer noch die marginale Desinvestition berücksichtigen, die infolge der Erzeugung einer zusätzlichen Gütereinheit vom eigenen Sachkapital abgeht. Sogar wenn die Produktion in einem ver-
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tikal vollständig integrierten Unternehmen stattfindet, ist die Annahme unzulässig, dass die Grenznutzungskosten bei null liegen, dass also die marginale Desinvestition infolge der Herstellung einer zusätzlichen Gütereinheit ignoriert werden kann. Mithilfe der Konzepte Nutzungskosten und Zusatzkosten lässt sich auch ein deutlicherer Zusammenhang zwischen langfristigem und kurzfristigem Angebotspreis herstellen. Die langfristigen Kosten müssen offensichtlich einen Betrag einschließen, der sowohl die anfänglichen Zusatzkosten als auch die erwarteten, auf die durchschnittliche Lebensdauer der Ausrüstungsgüter verteilten variablen Kosten abdeckt. Das bedeutet, die langfristigen Kosten der Produktion sind gleich der erwarteten Summe der variablen Kosten und der Zusatzkosten. Um einen Normalgewinn zu erzielen, muss außerdem der langfristige Angebotspreis um einen bestimmten Betrag über den so berechneten langfristigen Kosten liegen. Dieser wird durch den aktuellen Zinssatz auf Darlehen vergleichbarer Laufzeiten und Risiken bestimmt und als Prozentsatz der Kosten des Sachkapitals wiedergegeben. Wenn wir stattdessen einen „reinen“ Standardzinssatz nehmen, müssen wir in die langfristigen Kosten einen dritten Posten einrechnen, den wir als Risikokosten bezeichnen können, um für vorher nicht abzusehende Abweichungen des tatsächlichen vom erwarteten Erlös vorzusorgen. Der langfristige Angebotspreis ist somit gleich der Summe der variablen Kosten, der Zusatzkosten, der Risikokosten und der Zinskosten, und zwecks Analyse lässt er sich in diese Bestandteile zerlegen. Der kurzfristige Angebotspreis ist hingegen gleich den Grenzkosten. Wenn der Unternehmer seine Ausrüstungsgüter kauft oder selbst herstellt, muss er folglich davon ausgehen, seine Zusatz-, Risiko- und Zinskosten aus dem Überhang des Grenzwerts der variablen Kosten über ihren Durchschnittswert zu decken. Somit ist im langfristigen Gleichgewicht die Differenz zwischen den Grenzkosten und den durchschnittlichen variablen Kosten gleich der Summe der Zusatz-, Risiko- und Zinskosten.7 7 Diese Darstellungsweise basiert auf der bequemen Annahme, dass die Kurve der Grenzkosten über ihre ganze Länge einen kontinuierlichen Verlauf in Relation zu Änderungen in der Produktion aufweist. Diese Voraussetzung entspricht jedoch oft nicht der Wirklichkeit. An einem oder mehreren Punkten der Kurve können sich Diskontinuitäten ergeben, besonders bei einer Produktionsmenge, die der technischen Vollauslastung des Sachkapitals nahekommt. In diesem Fall bricht die Grenzanalyse teilweise zusammen. Der Preis kann über den Grenzkosten liegen, wenn diese in Bezug auf eine leicht rückläufige Produktion kalkuliert werden. (Ebenso kommt es öfters zu einer Diskontinuität in der Abwärtsrichtung, das heißt bei einer Verminderung der Produktion unter einen gewissen Punkt.) Dies ist wichtig, wenn wir den kurzfristigen Angebotspreis im langfristigen Gleichgewicht betrachten, weil dann alle Diskontinuitäten, die einem Punkt technischer Vollauslastung entsprechen, als relevant angenommen werden müssen. Es kann daher vorkommen, dass der kurz-
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Das Produktionsniveau, auf dem die Grenzkosten genauso hoch sind wie die Summe der durchschnittlichen Herstellungs- und Zusatzkosten, ist von besonderer Bedeutung, weil auf diesem Niveau der Unternehmer kostendeckend arbeitet. Es entspricht also dem Punkt, an dem er einen Nettogewinn von null macht, während er mit einem geringeren Output einen Verlust erwirtschaften würde. In welchem Ausmaß über die variablen Kosten hinaus auch noch für die Zusatzkosten Vorsorge getroffen werden muss, unterscheidet sich stark je nach Art des Sachkapitals. Im Folgenden werden zwei Extremfälle dargestellt: 1. Zum Teil findet die Wartung der Ausrüstungsgüter (beispielsweise das Ölen der Maschinen) notgedrungen parallel zu ihrer Nutzung statt. Die Aufwendungen hierfür (ohne die Zukäufe von außerhalb) sind in den Faktorkosten enthalten. Müsste aus technischen Gründen die gesamte laufende Wertminderung auf diese Weise ausgeglichen werden, wären die Nutzungskosten (wiederum ohne Zukäufe) in ihrer Höhe gleich den Zusatzkosten, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Und im langfristigen Gleichgewicht würden die Grenzkosten der Produktionsfaktoren um einen Betrag über den durchschnittlichen Faktorkosten liegen, der den Kosten für Risiko und Zinsen entspricht. 2. Zum Teil erfolgt die Wertverminderung der Ausrüstungsgüter nur, wenn diese genutzt werden. Insoweit die Instandhaltung dann nicht während der Nutzung stattfindet, werden diese Kosten den Nutzungskosten zugerechnet. Käme die Wertminderung des Sachkapitals ausschließlich auf diese Weise zustande, dann wären die Zusatzkosten null. Es sollte vielleicht darauf hingewiesen werden, dass Unternehmer nicht zuerst ihre ältesten und schlechtesten Ausrüstungsgüter benutzen, nur weil deren Nutzungskosten gering sind, denn diese dürften durch umso höhere Faktorkosten wettgemacht werden. Die Unternehmer werden vielmehr bevorzugt die Ausrüstungsgüter mit den geringsten Nutzungskosten plus Faktorkosten pro Produktionseinheit verwenden.8 Folglich entstehen für jede Produktionsmenge eines bestimmten Gutes Nutzungskosten in entsprechenfristige Angebotspreis im langfristigen Gleichgewicht die Grenzkosten (gemessen in Hinblick auf eine leicht rückläufige Produktion) übersteigen muss. 8 Die Nutzungskosten basieren teilweise auf Erwartungen über das künftige Lohnniveau. Eine nur als kurzfristig angenommene Verminderung einer Lohneinheit wird daher unterschiedlich starke Veränderungen von Faktor- und Nutzungskosten bewirken und somit einen Einfluss darauf ausüben, welche Ausrüstungsgüter benutzt werden. Möglicherweise wirkt sie sich auch auf die Höhe der effektiven Nachfrage aus, denn diese dürfte durch die Faktorkosten anders beeinflusst werden als durch die Nutzungskosten.
Kap. 6: Die Definition von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen71
der Höhe.9 Doch die Gesamtnutzungskosten stehen in keinem konstanten Verhältnis zu den Grenznutzungskosten, d. h. zur Erhöhung der Nutzungskosten infolge einer Erhöhung der Produktion. II.
Nutzungskosten sind eines der Bindeglieder zwischen Gegenwart und Zukunft. Denn ein Unternehmer muss bei der Entscheidung über den Produktionsumfang wählen, ob er sein Sachkapital gleich (ver-)brauchen oder es für eine spätere Verwendung aufbewahren will. Für die jetzige Nutzung muss er etwas von seinem künftigen Gewinn opfern, und es sind diese Einbußen, die die Nutzungskosten bestimmen. Der Grenzwert dieser Einbußen wiederum entscheidet – zusammen mit den Grenzkosten der Produktionsfaktoren und der Erwartung über den Grenzerlös – über den Produktionsumfang. Wie aber errechnet der Unternehmer die Nutzungskosten eines Produktionsvorgangs? Wir haben Nutzungskosten definiert als die Wertminderung des Sachkapitals infolge seines Gebrauchs gegenüber seinem Nichtgebrauch, und zwar nach Abzug von Instandhaltung und lohnenden Verbesserungsmaßnahmen sowie Zukäufen von anderen Unternehmern. Für ihre Kalkulation muss daher zunächst der diskontierte Wert des voraussichtlichen zusätzlichen Ertrags berechnet werden, der zu einem zukünftigen Zeitpunkt erwirtschaftet werden könnte, würde das Sachkapital nicht zum jetzigen Zeitpunkt genutzt. Dieser muss mindestens gleich dem Gegenwartswert der Option sein, den Ersatz stillgelegten Sachkapitals aufzuschieben – und er kann sogar höher sein.10 Gibt es keine überschüssigen Lagerbestände und wird Sachkapital für Neu- oder Ersatzinvestitionen jedes Jahr neu hergestellt, lassen sich die Grenznutzungskosten eindeutig berechnen mithilfe des aktuellen Wiederbeschaffungswerts sowie des Betrags, um den die Lebensdauer oder die Wirtschaftlichkeit des Sachkapitals durch seine Nutzung vermindert wird. Sind jedoch Lagerbestände vorhanden, so hängen die Nutzungskosten auch noch 9 Die Nutzungskosten der als erste benutzten Ausrüstungsgüter sind nicht unbedingt von der Gesamtproduktion unabhängig (siehe unten). Das heißt, eine Veränderung der Gesamtmenge der Produktion kann die Nutzungskosten auf der ganzen Linie beeinflussen. 10 Er ist dann höher, wenn zu einem künftigen Zeitpunkt ein höherer Ertrag als üblich erwartet wird, wenn aber nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Situation lang genug anhält, um die Produktion neuer Ausrüstungsgüter zu rechtfertigen (oder um genügend Zeit dafür zu lassen). Die aktuellen Nutzungskosten sind dann gleich der Höchstsumme der diskontierten Werte der möglichen erwarteten Erträge aller künftigen Zeiträume.
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Buch II: Definitionen und Konzepte
vom Zinssatz ab sowie von den aktuellen (das heißt neu geschätzten) Zusatzkosten für die Zeit vor dem Abbau des überschüssigen Inventars infolge von Abnutzung und dergleichen. Auf diese Weise fließen Zinskosten und aktuelle Zusatzkosten indirekt in die Berechnung der Nutzungskosten ein. Am einfachsten und verständlichsten lässt sich die Berechnung darstellen, wenn die Faktorkosten null sind – etwa im Fall von überschüssigen Rohstoffbeständen, beispielsweise Kupfer, wie ich das schon in Vom Gelde Band 2, Kapitel 29, dargelegt habe. Nehmen wir zunächst den voraussichtlichen Wert des Kupfers zu unterschiedlichen in der Zukunft liegenden Zeitpunkten. Der Wert verändert sich in dem Maße, in dem die Überschüsse abgebaut werden, und erreicht allmählich ein als normal geltendes Niveau. Der Gegenwartswert – oder die aktuellen Nutzungskosten – einer Tonne überschüssigen Kupfers ist dann gleich dem höchsten Wert, den man erhält, wenn man vom Schätzwert einer Tonne Kupfer an irgendeinem künftigen Zeitpunkt die Zinskosten sowie die aktuellen Zusatzkosten einer Tonne Kupfer zwischen jeweiligen künftigen und dem jetzigen Zeitpunkt abzieht. Vergleichbares gilt für ein Überangebot an Schiffen, Fabriken oder einzelnen Maschinen. Deren Nutzungskosten entsprechen den geschätzten, mit ihrem jeweiligen Zinssatz diskontierten Wiederbeschaffungskosten sowie den aktuellen Zusatzkosten bis dem voraussichtlichen Zeitpunkt, zu dem das Überangebot abgebaut ist. Wir sind vorhin davon ausgegangen, dass das Sachkapital zu gegebener Zeit durch identische Güter ersetzt wird. Wird das abgenutzte Sachkapital jedoch nicht durch gleiche Güter ersetzt, so muss in die Berechnung der Nutzungskosten ein Teil der Nutzungskosten des an die Stelle der ausrangierten Gegenstände tretenden Ausrüstungsgüter einfließen, der durch dessen relative Produktivität definiert ist. III.
Für den Fall, dass die Ausrüstungsgüter nicht veraltet sind, sondern nur gerade nicht benötigt werden, sei darauf hingewiesen, dass die Differenz zwischen den tatsächlichen Nutzungskosten und ihrem Normalwert (d. h. wenn kein überschüssiges Sachkapital vorhanden sind) unterschiedlich sein kann, je nachdem, wie viel Zeit vergeht, bis der Überschuss aufgebraucht ist. Wenn daher die fraglichen Ausrüstungsgüter alle unterschiedlich alt und nicht „gebündelt“ sind, so dass jedes Jahr ein gewisser Teil das Ende seiner Lebensdauer erreicht, werden die Grenznutzungskosten – außer bei übermäßiger Abnutzung – nur mäßig abnehmen. Bei einem Konjunkturrückgang wiederum hängen die Grenznutzungskosten von der Erwartung der Unter-
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nehmer über die Dauer der Absatzschwäche ab. Der Anstieg der Angebotspreise in der Aufschwungsphase kann dann teilweise auf den kräftigen Anstieg der Grenznutzungskosten infolge der geänderten Erwartungen zurückgeführt werden. Entgegen der Meinung von Geschäftsleuten wird bisweilen argumentiert, Absprachen zur Stilllegung überflüssiger Produktionsanlagen, um Preiserhöhungen zu erreichen, könnten nur die erhoffte Wirkung zeigen, wenn alle überflüssigen Anlagen geschlossen würden. Das Konzept der Nutzungskosten zeigt jedoch, wie die Verschrottung von, sagen wir, der Hälfte der überschüssigen Anlagen schon zu einem sofortigen Preisanstieg führen kann. Denn diese Maßnahme führt, indem sie den Tag näher bringt, an dem der Überschuss absorbiert ist, zu einer Erhöhung der Grenznutzungskosten und folglich des Angebotspreises. Geschäftsleute scheinen den Begriff der Nutzungskosten implizit im Kopf zu haben, ohne ihn ausdrücklich zu verwenden. Hohe Zusatzkosten gehen mit niedrigen Grenznutzungskosten einher, solange es einen Überschuss an Sachkapital gibt. Außerdem liegen in diesem Fall die Grenzfaktor- und Grenznutzungskosten zumeist kaum über ihrem Durchschnittswert. Sind diese Bedingungen beide erfüllt, so führt das Vorhandensein überschüssigen Sachkapitals aller Voraussicht nach dazu, dass der Unternehmer einen Nettoverlust schreibt, vielleicht sogar hohe Verluste. Es wird auch kein plötzlicher Umschwung zu normalen Gewinnen in dem Moment stattfinden, in dem der Überschuss absorbiert ist. In dem Maße, in dem der Überschuss abgebaut wird, werden die Nutzungskosten langsam zunehmen. Und damit können die Überschüsse der Grenzfaktorüber die Grenznutzungskosten auf der einen Seite und der durchschnittlichen Faktor- über die Nutzungskosten auf der anderen Seite ebenfalls wieder zunehmen. IV.
In Marshall’s Principles of Economics (6. Aufl., S. 360) wird ein Teil der Nutzungskosten unter der Bezeichnung „außergewöhnliche Abnutzung der Produktionsanlagen“ als variable Kosten erfasst. Es werden jedoch keine Angaben über ihre Berechnungsweise oder Bedeutung gemacht. In seiner Theory of Unemployment (S. 42) geht Pigou ausdrücklich davon aus, dass die durch die Erzeugung einer zusätzlichen Gütereinheit verursachte marginale Desinvestition beim Sachkapital generell außen vor gelassen werden könnte: „Die Unterschiede beim Ausmaß der Abnutzung der Ausrüstungsgüter und bei den Kosten der nichtmanuellen Arbeit, die mit unterschiedlichen Produktionsmengen einhergehen, können im Allgemeinen als zweitran-
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gig angesehen und deshalb ignoriert werden.“11 Tatsächlich findet sich die Auffassung, dass sich die Desinvestitionen beim Sachkapital an der Nut zengrenze der Produktion auf null belaufen, in einem Großteil der neueren Wirtschaftstheorien. Aber das ganze Problem muss gelöst werden, sobald man eine Erklärung sucht, was genau man unter dem Angebotspreis eines einzelnen Unternehmens zu verstehen hat. Es ist zwar richtig, dass die Instandhaltungskosten stillgelegter Produktionsanlagen aus den oben genannten Gründen häufig die Grenznutzungskosten verringern, insbesondere während eines voraussichtlich länger währenden Abschwungs. Dennoch sind ausgesprochen niedrige marginale Nutzungskosten kein typisches Merkmal kurzer Zeiträume an sich. Sie treten vielmehr in speziellen Situationen mit speziellen Ausrüstungsgütern auf, nämlich wenn der Unterhalt der stillgelegten Anlage sehr kostenintensiv ist, und bei Ungleichgewichten, die durch sehr schnellen Wertverlust oder großen Überfluss an Sachkapital gekennzeichnet sind, ganz besonders in Verbindung mit einem hohen Anteil relativ neuer Produktionsanlagen. Im Fall von Rohstoffen ist es offensichtlich, dass den Nutzungskosten Rechnung getragen werden muss: Wenn eine Tonne Kupfer heute aufgebraucht wird, steht sie morgen nicht mehr zur Verfügung. Der Wert, den das Kupfer für die Produktion des morgigen Tages gehabt hätte, muss eindeutig als Teil der Grenzkosten verbucht werden. Dabei wurde jedoch bislang übersehen, dass Kupfer nur einen Extremfall dessen darstellt, was bei jeder Verwendung von Sachkapital geschieht. Die Annahme einer scharfen Trennung zwischen Rohstoffen, wo wir von Desinvestitionen infolge ihres Verbrauchs ausgehen müssen, und Anlagevermögen, wo wir dies problemlos vernachlässigen können, entspricht nicht der Realität. Dies gilt vor allem unter normalen Bedingungen, wenn alle Jahre ein Teil der Ausrüstungsgüter erneuert werden muss und zwar umso schneller, je mehr sie genutzt werden. Der Vorteil der Konzepte der Nutzungs- und Zusatzkosten ist, dass sie genauso gut auf Umlauf- und liquides Vermögen wie auf Anlagevermögen anwendbar sind. Der wesentliche Unterschied zwischen Rohstoffen und Anlagevermögen besteht nicht in ihrer Zuordnung zu Nutzungs- und Zusatzkosten, sondern in der Tatsache, dass der Ertrag aus dem liquiden Vermögen aus einem einzigen Posten besteht, wohingegen der Ertrag im Fall von langlebigem und nur allmählich aufgebrauchtem Anlagevermögen aus einer Reihe von Nutzungskosten und Gewinnen besteht, die in aufeinanderfolgenden Produktionszeiträumen erzielt werden. 11 Hawtrey (in Economica, Mai 1934, S. 145) hat darauf hingewiesen, dass Pigou den Angebotspreis mit den Grenzarbeitskosten gleichsetzt, wodurch seine Argumentation stark beeinträchtigt werde.
Kapitel 7
Weitere Betrachtungen über die Bedeutung von Ersparnissen und Investitionen I. Gemäß der im vorangegangenen Kapitel vorgenommenen Definition sind Ersparnisse und Investitionen zwingend gleich groß, da sie bezogen auf die Gesamtbevölkerung lediglich zwei Seiten derselben Medaille darstellen. Mehrere zeitgenössische Autoren (darunter auch ich in meiner Abhandlung Vom Gelde) haben diese Begriffe jedoch auf spezielle Weise definiert, so dass sie nicht unbedingt gleich sind. Andere vertreten die These, dass sie ungleich sein können, ohne dieser Behauptung irgendwelche Definitionen voranzustellen. Um die vorangegangene Darstellung mit anderen Abhandlungen über diese Frage in Verbindung zu setzen, dürfte es deshalb sinnvoll sein, hier eine Einordnung von einigen der häufigsten Verwendungen dieser Begriffe vorzunehmen. Soweit ich weiß, herrscht Einigkeit darüber, dass Ersparnisse der Überschuss der Einkommen über die Konsumausgaben sind. Alle anderen Auffassungen wären impraktikabel und irreführend. Genauso wenig bestehen nennenswerte Meinungsunterschiede über die Bedeutung von Konsumausgaben. Die Unterschiede in der Verwendung der Begriffe können also nur von der Definition von Investitionen oder von Einkommen herrühren. II. Nehmen wir uns zuerst die Investitionen vor. Im normalen Sprachgebrauch ist damit gemeinhin der Kauf eines neuen oder gebrauchten Vermögenswerts durch einen Einzelnen oder eine Körperschaft gemeint. Gelegentlich wird der Begriff auch auf den Kauf von Vermögensgütern an einer Aktienbörse beschränkt. Wir sprechen aber auch ebenso gerne von Investitionen etwa in Häuser, Maschinen oder Vorräte von Fertig- oder Halbfertigwaren. Mit Neuinvestitionen – im Unterschied zu Ersatzinvestitionen – sind jedenfalls aus dem Einkommen bestrittene Anschaffungen von Kapitalgütern jedweder Art gemeint. Wenn wir die Verkäufe von Kapitalanlagen als negative Investitionen betrachten, d. h. als Desinvestitio-
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nen, so steht meine eigene Definition in Einklang mit dem normalen Sprachgebrauch, denn der Austausch alter Investitionen hebt sich zwangsläufig auf. Wir müssen zwar aufgenommene und abgezahlte Schulden (inklusive der Änderungen der Kredit- bzw. Geldmenge) berücksichtigen. Aber wenn wir Gesamtinvestitionen betrachten, gleicht sich auch dies aus, da die Zu- oder Abnahme der aggregierten Gläubigerposition für die Gesamtbevölkerung immer gleich der Zu- oder Abnahme der aggregierten Schuldnerposition ist. Unter der Annahme, dass Einkommen im landläufigen Sinn meiner Definition von Nettoeinkommen entspricht, deckt sich Gesamtinvestitionen im landläufigen Sinn mit meiner Definition von Nettoinvestitionen, d. h. dem Nettozugang zu allen Arten von Sachkapital, nach Abzug der Veränderungen des Werts der alten Investitionsgüter, die in die Berechnung des Nettoeinkommens einfließen. Die solchermaßen definierten Investitionen schließen daher die Zugänge zum Sachkapital ein, gleich, ob es ich dabei um Anlage-, Umlauf- oder liquides Kapital handelt. Die beträchtlichen Unterschiede bei den Definitionen (außer bei der Unterscheidung zwischen Investitionen und Nettoinvestitionen) sind darauf zurückführen, dass eine oder mehrere dieser Kategorien nicht im Investitionsbegriff enthalten sind. So hat zum Beispiel Hawtrey, der den Veränderungen beim zirkulierenden Kapital, d. h. ungeplanter Zu- oder Abnahme des Bestandes unverkaufter Waren, große Bedeutung beimisst, eine Definition von Investitionen vorgeschlagen, die solche Veränderungen ausschließt. Ein Überhang der Ersparnisse über die Investitionen wäre demnach gleichbedeutend mit einem ungeplanten Zuwachs bei den unverkauften Waren, d. h. einer Zunahme des liquiden Kapitals. Hawtrey hat mich jedoch nicht davon überzeugt, dass dies der ausschlaggebende Faktor ist, weil er zu viel Gewicht auf die Korrektur unvorhergesehener Veränderungen legt verglichen mit den – richtig oder unrichtig – vorhergesehenen. Hawtrey zufolge treffen Unternehmer die täglichen Entscheidungen über die Veränderung ihres Produktionsniveaus gegenüber dem Vortagesniveau auf Basis von Veränderungen des Bestands an unverkauften Waren. Gewiss spielt dies im Fall von Konsumgütern eine wichtige Rolle bei ihren Entscheidungen. Ich kann jedoch keinen Sinn darin erkennen, die Rolle anderer Faktoren und deren Veränderungen auszuschließen. Daher lege ich das Gewicht lieber auf die gesamten Veränderungen der effektiven Nachfrage und nicht nur auf den Teil, der die Zu- oder Abnahme unverkaufter Lagerbestände im vorangegangenen Produktionszeitraum widerspiegelt. Was ihren Einfluss auf Produktionsentscheidungen anbelangt, so entspricht die Zu- oder Abnahme ungenutzter Kapazitäten des Anlagevermögens der Zu- oder Abnahme unverkaufter Bestände. Ich kann nicht erkennen, wie Hawtreys Methode diesem mindestens ebenso wichtigen Faktor gerecht wird.
Kap. 7: Weitere Betrachtungen über Ersparnisse und Investitionen77
Die von der Österreichischen Schule verwendeten Begriffe Kapitalbildung und Kapitalaufzehrung sind vermutlich weder mit Investitionen und Desinvestitionen nach obiger Definition noch mit Nettoinvestitionen und Nettodesinvestitionen identisch. Vor allem kommt es laut dieser Lehrmeinung auch dann zu einer Kapitalaufzehrung, wenn es gar keinen Rückgang des Sachkapitals, wie oben definiert, gab. Ich konnte jedoch keinen Hinweis auf eine Textstelle finden, wo die Bedeutung dieser Begriffe klar erläutert wird. Die Feststellung etwa, dass es bei einer Verlängerung der Produktionsperiode zu Kapitalbildung kommt, bringt uns nicht viel weiter. III. Wir kommen nun zu den Fällen, wo Ersparnisse und Investitionen voneinander abweichen, die von einer besonderen Definition des Einkommens und folglich des Überschusses des Einkommens über den Konsum herrühren. Meine Verwendung dieser Begriffe in Vom Gelde ist ein Beispiel hierfür. Denn wie ich schon auf S. 63 erwähnte, besteht der Unterschied zwischen meiner damaligen Definition des Einkommens und meiner heutigen darin, dass ich als Einkommen der Unternehmer nicht ihre tatsächlich erzielten Gewinne zählte, sondern gewissermaßen ihren „Normalgewinn“. Einen Überschuss der Ersparnisse über die Investitionen führte ich auf ein Produktionsvolumen zurück, bei dem die Unternehmer weniger als den Normalgewinn aus ihrem Sachkapital zogen. Ein zunehmender Überschuss von Ersparnissen über Investitionen war für mich gleichbedeutend mit einem Rückgang der tatsächlichen Gewinne, der den Unternehmern einen Grund für die Verringerung der Produktion liefert. Heute glaube ich demgegenüber, dass der Unternehmer das Beschäftigungsvolumen (und daraus folgend das Volumen von Produktion und Realeinkommen) festlegt mit der Absicht, seine gegenwärtigen und seine für die Zukunft erwarteten Gewinne zu maximieren (wobei für den Abzug der Nutzungskosten entscheidend ist, welche Nutzung seines Sachkapitals ihm als besonders günstig zur Maximierung des Gewinns über die gesamte Lebensdauer dieser Güter erscheint). Das für einen maximalen Gewinn vorteilhafteste Beschäftigungsvolumen dagegen hängt von der aggregierten Nachfragefunktion ab, die sich aus seinen auf verschiedenen Hypothesen basierenden Erwartungen ergibt, der über den Erlös sowohl aus Konsum als auch aus Investitionen hegt. In Vom Gelde diente das darin definierte Konzept von Änderungen des Überschusses der Investitionen über die Ersparnisse zur Erklärung von Veränderungen bei den Gewinnen. Allerdings unterschied ich in diesem Buch nicht hinreichend klar zwischen erwarteten und reali-
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Buch II: Definitionen und Konzepte
sierten Ergebnissen.1 Ich vertrat darin die These, dass eine Veränderung des Überschusses der Investitionen über die Ersparnisse die treibende Kraft für Veränderungen des Produktionsvolumens sei. Meine neue These, die meines Erachtens viel exakter und aufschlussreicher ist, ist also im Grunde nur eine Weiterentwicklung der alten. Mit den Begriffen aus Vom Gelde könnte man sie so ausdrücken: Die Erwartung eines zunehmenden Überschusses von Investitionen über Ersparnisse bei einem gegebenen Beschäftigungsund Produktionsvolumen ist für die Unternehmer ein Anreiz zu dessen Erhöhung. Das Entscheidende bei meiner damaligen wie auch heutigen Argumentation ist, dass ich damit zu zeigen versuche, wie das Beschäftigungsvolumen durch die Schätzungen der Unternehmer über die effektive Nachfrage bestimmt wird. Dabei ist ein erwarteter Investitionszuwachs relativ zu den Ersparnissen, wie ich ihn in Vom Gelde definiert habe, ein Kriterium für die Zunahme der effektiven Nachfrage. Aber im Lichte der hier dargestellten weiteren Entwicklung sind die Ausführungen in Vom Gelde natürlich sehr verwirrend und unvollständig. D. H. Robertsons Definition lautet: Das Einkommen von heute ist gleich dem Konsum plus den Investitionen von gestern. Demnach sind die Ersparnisse von heute gleich den Investitionen von gestern plus den Überschuss des gestrigen Konsums über den heutigen. Gemäß dieser Definition können die Ersparnisse über den Investitionen liegen, und zwar um den Überschuss des gestrigen Einkommens (gemäß meiner Definition) über das heutige. Wenn also Robertson von einem Überschuss der Ersparnisse über die Investitionen spricht, meint er damit exakt das gleich wie ich, wenn ich von sinkendem Einkommen spreche. Und der Überschuss der Ersparnisse in seiner Definition ist genau gleich dem Einkommensrückgang laut meiner Definition. Wenn es zuträfe, dass die aktuellen Erwartungen immer durch die gestern erzielten Ergebnisse bestimmt werden, wäre die effektive Nachfrage von heute gleich dem Einkommen von gestern. Robertsons Methode kann also als Alternative zu meiner gelten (vielleicht auch als erste Annäherung daran), die für die Kausalanalyse so wichtige Unterscheidung vorzunehmen, die ich durch die Gegenüberstellung von effektiver Nachfrage und Einkommen zu erreichen versuche.2
1 Meine Vorgehensweise war, den gegenwärtig erzielten Gewinn als entscheidenden Faktor für die gegenwärtige Gewinnerwartung anzusehen. 2 Siehe Robertsons Aufsatz „Saving and Hoarding“ (Economic Journal, September 1933, S. 399) sowie die Debatte zwischen Robertson, Hawtrey und mir (Economic Journal, Dezember 1933, S. 658).
Kap. 7: Weitere Betrachtungen über Ersparnisse und Investitionen79
IV. Kommen wir nun zu den weitaus schwammigeren Vorstellungen, die sich mit dem Begriff „erzwungenes Sparen“ verbinden. Lässt sich aus diesen eine klare Bedeutung herauslesen? In Vom Gelde (S. 140, Fußnote) gab ich einige Hinweise auf den früheren Gebrauch dieses Ausdrucks. Ich vertrat darin die Ansicht, dass dieser gewisse Analogien aufweist mit der Differenz zwischen Investitionen und den „Ersparnissen“ in dem Sinne, in dem ich damals diesen Begriff verwendete. Ich bin mir nicht mehr sicher, dass die Analogien wirklich so stark sind, wie ich damals annahm. Allerdings bin ich überzeugt, dass „erzwungenes Sparen“ und vergleichbare, in jüngerer Zeit verwendete Ausdrücke (zum Beispiel von Hayek oder Robbins) in keinem eindeutigen Zusammenhang stehen mit der Differenz zwischen Investitionen und „Ersparnissen“ in der in Vom Gelde intendierten Bedeutung. Denn obwohl diese Autoren nicht genau erklärt haben, was sie mit diesem Ausdruck meinen, ist klar, dass „erzwungenes Sparen“ in dem von ihnen gemeinten Sinne etwas ist, was sich direkt aus den Veränderungen der Geldmenge oder des Bankkredits ergibt und auch daran gemessen wird. Folgende Befunde liegen auf der Hand: Eine Veränderung des Produktions- und Beschäftigungsvolumen bewirkt in der Tat eine Veränderung des in Lohneinheiten gemessenen Einkommens. Eine Veränderung der Lohneinheit bewirkt sowohl eine Umverteilung des Einkommens zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern als auch eine Veränderung des in Geld gemessenen Gesamteinkommens. Und in beiden Fällen wird (oder kann) es zu einer Veränderung der Sparsumme kommen. Da somit Veränderungen der Geldmenge durch ihre Auswirkungen auf den Zinssatz zu einer Veränderung der Menge und Verteilung des Einkommens führen können, können sie indirekt auch mit einer Veränderung der Sparsumme einhergehen. Doch bei derartigen Veränderungen der Sparsummen handelt es sich ebenso wenig um „erzwungenes Sparen“ wie bei irgendwelchen anderen Veränderungen der Sparsumme infolge geänderter Umstände. Es existiert kein Mittel, um zwischen diesen Fällen zu unterscheiden, es sei denn, wir definieren die unter ganz bestimmten Umständen gesparte Summe als Norm oder Standard. Wie wir noch sehen werden, ist außerdem die Höhe der Veränderung der Gesamtersparnisse, die aus einer gegebenen Geldmengenänderung resultieren, sehr veränderlich und von vielen anderen Faktoren abhängig. „Erzwungenes Sparen“ ist darum so lange bedeutungslos, wie wir keine Standardsparhöhe definiert haben. Wenn wir (was sinnvoll erscheint) die einem anhaltenden Zustand der Vollbeschäftigung entsprechende Höhe der Ersparnisse wählen, würde die obige Definition wie folgt lauten: „Erzwungenes Sparen ist der Überhang der tatsächlichen Ersparnis über das, was normalerweise bei Vollbeschäftigung in einer langfristigen Gleichgewichts-
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Buch II: Definitionen und Konzepte
lage gespart würde.“ Diese Definition würde zwar einen Sinn ergeben, aber einen, in dem der erzwungene Überschuss der Ersparnisse ein äußerst seltenes und instabiles Phänomen wäre. Der Normalzustand wäre vielmehr ein erzwungener Mangel an Ersparnissen. Hayeks interessanter Aufsatz „Note on the Development of the Doctrine of Forced Saving“3 belegt, dass dies in der Tat die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs war. „Erzwungenes Sparen“ oder „erzwungene Sparsamkeit“ war ursprünglich ein von Bentham entwickeltes Konzept. Und dieser betonte, ihm sei es dabei um die Auswirkungen einer Geldmengenerhöhung (relativ zur Menge der für Geld verkäuflichen Dinge) gegangen, und zwar in einer Situation, in der „alle Arbeitskräfte in der vorteilhaftesten Weise beschäftigt sind“.4 Unter diesen Umständen kann Bentham zufolge das Realeinkommen nicht mehr steigen. Folglich bedingen zusätzliche Investitionen infolge der höheren Geldmenge eine erzwungene Sparsamkeit – „auf Kosten der Wohlfahrt und der Gerechtigkeit im Land“. Alle Autoren des 19. Jahrhunderts, die sich mit dieser Frage befassten, hatten mehr oder weniger dieselbe Vorstellung. Jedoch verursacht der Versuch, diesen vollkommen eindeutigen Begriff auf Situationen mit weniger als Vollbeschäftigung anzuwenden, Probleme. Es ist zwar richtig (wegen des abnehmenden Ertrags bei einer wachsenden Beschäftigtenzahl bei einer gleichbleibenden Menge Sachkapital), dass jeder Beschäftigungszuwachs mit gewissen Einbußen beim Realeinkommen der bereits Beschäftigten einhergeht. Gleichwohl dürfte der Versuch erfolglos sein, diese Einbußen mit dem Zuwachs an Investitionen in Relation zu bringen, der den Beschäftigungszuwachs begleiten mag. Jedenfalls ist mir kein Versuch von zeitgenössischen Autoren, die sich für „erzwungenes Sparen“ interessieren, bekannt, dieses Konzept auf Situationen mit zunehmender Beschäftigung auszudehnen. In der Regel übersehen sie offenbar, dass die Erweiterung des benthamschen Konzepts der erzwungenen Sparsamkeit auf Situationen mit weniger als Vollbeschäftigung einige Erklärungen oder Einschränkungen erfordert. V. Dass die Vorstellung, Ersparnisse und Investitionen in ihrer unmittelbaren Bedeutung könnten voneinander abweichen, so weit verbreitet ist, lässt sich meines Erachtens am besten durch eine Art optische Täuschung erklären. Diese entsteht dadurch, dass die Beziehung zwischen einem einzelnen Sparer und seiner Bank als einseitige Transaktion verstanden wird statt als das in Wirklichkeit stattfindende zweiseitige Geschäft. Man scheint zu glauben, 3 Quarterly 4 Op.
Journal of Economics, Nov. 1932, S. 123. cit. S. 125.
Kap. 7: Weitere Betrachtungen über Ersparnisse und Investitionen81
dass ein Einleger und seine Bank es irgendwie fertigbringen, im Zuge der Transaktion Ersparnisse im Bankensystem verschwinden zu lassen, so dass diese für Investitionen verloren sind – oder dass das Bankensystem umgekehrt Investitionen zu ermöglichen vermag, denen keine Ersparnisse gegenüberstehen. Niemand kann jedoch sparen, ohne Vermögensgüter zu erwerben, sei es in Form von Geld, Wertpapieren oder Anlagevermögen. Und niemand kann einen Vermögenswert erwerben, den er in irgendeiner Form nicht schon vorher besaß, es sei denn, dass entweder ein Vermögenswert von gleichem Wert neu produziert wird oder jemand anders einen Vermögenswert gleichen Werts abgibt, der vorher in seinem Besitz war. Im ersten Fall findet eine entsprechende Neuinvestition statt, im zweiten muss jemand Ersparnisse in gleicher Höhe auflösen. Dieser Vermögensrückgang des Sparers liegt daran, dass sein Konsum offenbar sein Einkommen übersteigt, und nicht an Verlusten in seiner Vermögensbilanz infolge einer Wertveränderung einer Kapitalanlage. Schließlich erleidet er keinen Wertverlust seines Vermögens. Er erhält vielmehr ordnungsgemäß den aktuellen Gegenwert des Vermögenswerts, ohne diesen jedoch als Vermögen in irgendeiner Form zurückzubehalten, d. h. er deckt damit seine Konsumausgaben, die über seinem aktuellen Einkommen liegen. Wenn sich aber das Bankensystem von einem Vermögenswert trennt, muss sich jemand anders von Barbeständen trennen. Daraus folgt, dass die Gesamtersparnis der ersten Person und weiteren zusammengenommen zwingend gleich der Summe der aktuellen Neuinvestitionen ist. Die Vorstellung, dass die Kreditschöpfung durch das Bankensystem Investitionen ermöglicht, denen „keine echten Ersparnisse“ gegenüberstehen, kann nur davon herrühren, dass nur eine einzelne Folge des Kreditwachstums betrachtet wird und alle anderen außen vor bleiben. Wenn die Vergabe eines Kredits an einen Unternehmer zusätzlich zu den bereits bestehenden Krediten ihm zusätzliche Investitionen ermöglicht, die es sonst nicht gegeben hätte, so werden die Einkommen notwendigerweise steigen, und zwar normalerweise stärker als die Investitionen zunehmen. Außer wenn Vollbeschäftigung herrscht, werden überdies sowohl die Real- als auch die Nominaleinkommen steigen. Die Öffentlichkeit hat die „freie Wahl“, wie sie ihren Einkommenszuwachs auf Ersparnisse und Ausgaben aufteilt. Es ist unmöglich, dass der Unternehmer, der sich zur Steigerung seiner Investitionen verschuldet hat, seine Investitionsabsicht schneller umsetzt, als die Öffentlichkeit sich zur Erhöhung ihrer Ersparnisse entscheidet. (Dies gilt allerdings nicht für Investitionen, die sonst durch andere Unternehmer vorgenommen worden wären.) Die Ersparnisse, die infolge dieser Entscheidung der Öffentlichkeit gebildet werden, sind im Übrigen genauso real wie andere Ersparnisse. Niemand kann gezwungen werden, das zusätzliche, dem neuen Bankkredit entsprechende Geld zu behalten, sofern er nicht ganz bewusst
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Buch II: Definitionen und Konzepte
lieber Geld als andere Vermögensformen hält. Und doch verändern sich Beschäftigung, Einkommen und Preise zwangsläufig so, dass in der neuen Situation jemand bereit sein wird, das zusätzliche Geld zu halten. Zwar kann eine unerwartete Investitionszunahme in eine bestimmte Richtung durchaus Unregelmäßigkeiten bei der Spar- und der Investitionsquote hervorrufen, die bei einer besseren Vorhersehbarkeit nicht aufgetreten wären. Es ist auch wahr, dass die Vergabe des Bankkredits drei Entwicklungen auslöst: 1. eine Zunahme der Produktion, 2. einen Wertzuwachs des in Lohneinheiten gemessenen Grenzprodukts (der bei abnehmendem Ertrag zwingend mit einer Produktionssteigerung einhergeht) und 3. einen Anstieg der in Geld gemessenen Lohneinheit (da dies eine häufige Begleiterscheinung besserer Beschäftigungsbedingungen ist). Alle drei können die Verteilung des Realeinkommens zwischen verschiedenen Gruppen beeinflussen. Aber diese Entwicklungen sind charakteristisch für eine Situation mit zunehmender Produktion an sich. Sie treten genauso ein, wenn die Produk tionserhöhung durch etwas anderes als zusätzliche Bankkredite zustande kommt. Sie lassen sich nur verhindern, indem man jede Maßnahme zur Verbesserung der Beschäftigungslage vermeidet. Ein Gutteil dieser Feststellungen nimmt allerdings Diskussionsergebnisse vorweg, zu denen wir noch gar nicht gelangt sind. Daher mag die altmodische Auffassung, wonach Ersparnisse immer Investitionen mit sich bringen, zwar unvollständig und irreführend sein. Sie ist aber stichhaltiger als die neumodische Auffassung, es könne Ersparnisse ohne Investitionen oder Investitionen ohne „echte“ Ersparnisse geben. Der Fehler liegt in der an sich plausiblen Folgerung, dass die Ersparnisse einer einzelnen Person die Gesamtinvestitionen um den gleichen Betrag erhöhen. Zwar vermehrt eine Einzelperson durch Sparen ihr eigenes Vermögen. Doch die Schlussfolgerung, dass sie auch das Gesamtvermögen mehrt, lässt die Möglichkeit außer Acht, dass individuelles Sparen Rückwirkungen auf die Ersparnisse und somit das Vermögen anderer hat. Will man die Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen auf der einen Seite mit dem offenkundigen „freien Willen“ jedes Einzelnen, nach seinem Belieben und unabhängig von seinen oder anderer Leute Investitionen zu sparen, auf der anderen Seite in Einklang bringen, so stützt sich dies im Wesentlichen darauf, dass Sparen, ähnlich wie Geldausgeben, ein zweiseitiges Geschäft ist. Denn zwar dürfte die Höhe seiner eigenen Ersparnisse sein Einkommen kaum beeinflussen. Aber aufgrund der Rückwirkungen, die die Höhe seines Konsums auf die Einkommen anderer Menschen hat, ist es unmöglich, dass alle Menschen gleichzeitig irgendwelche gegebenen Summen sparen können. Jeder Versuch, durch Konsumverzicht Geld zu sparen, wirkt sich derart auf die Einkommen aus, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Genauso unmöglich ist es natürlich, dass die Bevölkerung als
Kap. 7: Weitere Betrachtungen über Ersparnisse und Investitionen83
Ganze weniger spart als die Summe der aktuellen Investitionen. Denn jeder Versuch in diese Richtung sorgt zwangsläufig für einen Anstieg der Einkommen auf ein Niveau, auf dem sich die Summe dessen, was jeder Einzelne spart, genau auf die Summe der Investitionen beläuft. Dies entspricht weitestgehend der These, die die Freiheit jedes Einzelnen, jederzeit seine Geldbestände zu verändern, in Einklang bringt mit der Tatsache, dass die Summe der individuellen Geldbestände notwendigerweise genauso hoch sein muss wie durch das Bankensystem geschaffene Geldmenge. Im letzteren Fall wird die Übereinstimmung dadurch hergestellt, dass der Geldbetrag, den die Menschen zu halten beschließen, sowohl von ihrem Einkommen abhängt als auch von den Preisen der Dinge (insbesondere Wertpapiere), die als Alternativen zu Barmitteln erworben werden. Die Einkommen und die Preise der Alternativen verändern sich deshalb zwangsläufig so lange, bis die Summe der Geldbestände, die die Menschen bei den neuen Einkommens- und Preisniveaus zu halten bereit sind, gleich der durch das Bankensystem geschaffenen Menge Geldes ist. In der Tat ist dies der fundamentale Lehrsatz der Geldtheorie. Die beiden Thesen ergeben sich ganz einfach aus der Tatsache, dass es keinen Käufer ohne Verkäufer geben kann und keinen Verkäufer ohne Käufer. Zwar kann eine Einzelperson, deren Transaktionen im Verhältnis zur Größe des Markts klein sind, problemlos ignorieren, dass Nachfrage keine einseitige Transaktion ist. Doch es ist unsinnig, darüber hinwegzusehen, wenn es um die Gesamtnachfrage geht. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen der Theorie des Verhaltens der Gesamtheit und der Theorie des Verhaltens des Einzelnen, bei der wir davon ausgehen, dass Veränderungen der Nachfrage einer Einzelperson keinen Einfluss auf ihr Einkommen haben.
BUCH III
Die Konsumneigung
Kapitel 8
Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren I. Damit sind wir nun in der Lage, zu unserem zentralen Thema zurückzukehren, von dem wir uns am Ende von Buch I abwandten, um zunächst einige allgemeine methodologische und definitorische Fragen zu behandeln. Das letztendliche Ziel unserer Analyse ist die Klärung der Bestimmungsgründe für das Beschäftigungsvolumen. Bisher sind wir zu dem vorläufigen Schluss gelangt, dass sich das Beschäftigungsvolumen durch den Schnittpunkt der Gesamtangebots- mit der Gesamtnachfragekurve determinieren lässt. Bei der Gesamtangebotskurve, die hauptsächlich von den materiellen Angebotsbedingungen abhängt, haben wir es größtenteils mit längst bekannten Erwägungen zu tun. Die Form mag vielleicht fremd erscheinen, aber die zugrundeliegenden Faktoren sind nichts Neues. Auf die aggregierte Angebotsfunktion werden noch einmal in Kapitel 20 zurückkommen, wo wir uns mit ihrer Umkehrung unter der Bezeichnung Beschäftigungsfunktion befassen. Die aggregierte Nachfragefunktion indes wurde bislang weitgehend übersehen. Dieser Funktion widmen sich Buch III und Buch IV. Die aggregierte Nachfragefunktion stellt den Zusammenhang her zwischen jedem möglichen Beschäftigungsniveau und den „Erlösen“, die bei dem jeweiligen Niveau zu erwarten sind. Die „Erlöse“ setzten sich aus der Summe zweier Mengen zusammen: der Konsumausgaben bei einem bestimmten Beschäftigungsniveau und der Ausgaben für Investitionen. Die Faktoren, diese beiden Mengen determinieren, unterscheiden sich deutlich. In diesem Buch werden wir uns mit ersteren befassen, also mit den Faktoren, die für die Summe der Konsumausgaben bei einem bestimmten Beschäftigungsniveau ausschlaggebend sind. In Buch IV gehen wir dann auf die Faktoren ein, durch welche die für Investitionen bestimmten Beträge festgelegt werden. Da es uns hier um die Frage geht, welche Summe bei einem bestimmten Beschäftigungsniveau für Konsum ausgegeben wird, sollten wir genau genommen die Funktion betrachten, die ersteren Betrag (N) mit letzterem (C) in Relation setzt. Es lässt sich jedoch besser mit einer leicht abgewandelten
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Buch III: Die Konsumneigung
Funktion arbeiten, die den in Lohneinheiten gemessenen Konsum (Cw) in Relation setzt mit dem in Lohneinheiten gemessenen und einem Beschäftigungsniveau von N entsprechenden Einkommen (Yw). Dagegen lässt sich einwenden, dass (Yw) keine eindeutige Funktion von N ist, die unter allen Umständen gleich bleibt. Denn das Verhältnis zwischen Yw und N kann (wenn auch wahrscheinlich in geringem Ausmaß) von der genauen Art der Beschäftigung abhängen. Das heißt, zwei unterschiedliche Verteilungen einer gegebenen Gesamtbeschäftigung N auf verschiedene Beschäftigungsarten können zu jeweils anderen Werten von Yw führen (und zwar aufgrund der unterschiedlichen Form der jeweiligen Beschäftigungsfunktion, worauf noch in Kapitel 20 näher eingegangen wird). Unter bestimmten, durchaus vorstellbaren Umständen kann es nötig werden, diesen Faktor eigens zu berücksichtigen. Aber im Allgemeinen ist es eine hinreichend genaue Annäherung, Yw als eine allein durch N determinierte Größe zu betrachten. Wir werden deshalb das, was wir die Konsumneigung nennen, definieren als die funktionale Beziehung χ zwischen Yw bei einem bestimmten in Lohneinheiten gemessenen Einkommensniveau und Cw, den Konsumausgaben bei diesem Einkommensniveau. Somit ist Cw = χ(Yw) oder C = W · χ(Yw).
Offensichtlich hängt die Summe, die die Bevölkerung für ihren Konsum ausgibt, zum Teil von 1. der Summe ihres Einkommens ab, 2. von anderen objektiven Begleitumständen und 3. von den subjektiven Bedürfnissen und den psychologischen Neigungen und Gewohnheiten der Individuen sowie den Grundsätzen, nach denen das Einkommen zwischen diesen aufgeteilt wird (und die sich mit zunehmender Produktion verändern können). Die Motive für die Ausgaben stehen in einer Wechselwirkung zueinander, und jeder Versuch einer Zuordnung birgt die Gefahr einer falschen Aufteilung in sich. Gleichwohl dürfte es das Verständnis erleichtern, wenn wir sie unter zwei Rubriken getrennt betrachten, die wir als subjektive und objektive Faktoren bezeichnen. Die subjektiven Faktoren, die wir im folgenden Kapitel ausführlicher betrachten, umfassen die psychologischen Eigenheiten der menschlichen Natur und die sozialen Praktiken und Institutionen die, obgleich nicht unveränderlich, auf kurze Sicht keinen substanziellen Veränderungen unterworfen sein dürften, von ungewöhnlichen oder revolutionären Situationen einmal abgesehen. Für historische Untersuchungen oder für einen Vergleich unterschiedlicher Gesellschaftssysteme mag es unabdingbar sein zu beachten, auf welche Weise Veränderungen der subjektiven Faktoren die Konsumneigung beeinflussen können. Aber im Allgemeinen können wir im Folgenden die subjektiven Faktoren als gegeben betrachten. Wir werden also davon ausgehen, dass die Konsumneigung allein von Veränderungen der objektiven Faktoren abhängt.
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren89
II. Die wesentlichen objektiven Faktoren, die die Konsumneigung beeinflussen, sind offenbar folgende: 1. Eine Veränderung der Lohneinheit. Der Konsum (C) ist offensichtlich eher eine Funktion des (wie immer definierten) Realeinkommens denn des Nominaleinkommens. Bei einem gegebenen Stand der Technik und Vorlieben und gegebenen sozialen Verhältnissen, die die Einkommensverteilung determinieren, steigt und fällt das Realeinkommen einer Person mit der Menge an Arbeitseinheiten, die sie „kommandieren“ kann, d. h. mit der Höhe ihres in Lohneinheiten gemessenen Einkommens. Bei Veränderungen der Gesamtproduktion wird ihr Realeinkommen (aufgrund der Wirkungsweise abnehmender Erträge) relativ gesprochen langsamer ansteigen als ihr in Lohneinheiten gemessenes Einkommen. Als erste Annäherung können wir daher ohne weiteres davon ausgehen, dass sich bei einer Veränderung der Lohneinheiten auch die einem bestimmten Beschäftigungsniveau entsprechenden Konsumausgaben ebenso wie die Preise proportional dazu ändern. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass eine geänderte Verteilung des Realeinkommens zwischen Unternehmern und Kapitalgebern infolge einer Veränderung der Lohneinheit unter Umständen Rückwirkungen auf den Gesamtkonsum hat. Davon abgesehen haben wir Veränderungen der Lohneinheit bereits Rechnung getragen, indem wir die Konsumneigung durch das in Lohneinheiten gemessene Einkommen definiert haben. 2. Eine Veränderung der Differenz zwischen Brutto‑ und Nettoeinkommen. Wie eben gezeigt, hängt die Konsumhöhe eher vom Nettoeinkommen als vom Einkommen an sich ab, da sich Menschen per definitionem an ihrem Nettoeinkommen orientieren, wenn sie Entscheidungen über die Höhe ihres Konsums treffen. In einer gegebenen Situation mag es durchaus ein einigermaßen stabiles Verhältnis zwischen den beiden geben, im Sinne einer Funktion, die verschiedene Einkommensniveaus eindeutig einem entsprechenden Nettoeinkommensniveau zuordnet. Wo dies nicht der Fall ist, muss der Teil einer Einkommensänderung, der nicht auch im Nettoeinkommen zum Ausdruck kommt, herausgerechnet werden, da er sich nicht auf den Konsum auswirkt. Ebenso berücksichtigt werden muss auch eine Änderung des Nettoeinkommens, die sich nicht im Bruttoeinkommen widerspiegelt. Von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, dürfte dieser Faktor jedoch in der Realität von geringer Bedeutung sein. Wir kommen im vierten Abschnitt dieses Kapitels noch einmal ausführlicher zurück auf die Auswirkungen der Differenz zwischen Brutto- und Nettoeinkommen auf den Konsum. 3. Bei der Berechnung des Nettoeinkommens unberücksichtigt gebliebene, unerwartete Veränderungen von Vermögenswerten. Diese sind von viel
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Buch III: Die Konsumneigung
größerer Bedeutung für Veränderungen der Konsumneigung, da sie in keiner festen oder regelmäßigen Relation zur Höhe des Einkommens stehen. Der Konsum der vermögenden Klasse kann äußerst empfindlich auf unvorhergesehene Schwankungen des Geldwerts ihres Vermögens reagieren. Dies sollte als einer der Hauptfaktoren aufgeführt werden, die kurzfristige Veränderungen der Konsumneigung auslösen können. 4. Änderungen der Rate der Zeitdiskontierung, d. h. des Austauschverhältnisses zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Gütern. Das ist nicht ganz dasselbe wie der Zinssatz, da hier künftige Veränderungen der Kaufkraft des Geldes, soweit vorhersehbar, mit eingerechnet werden. Außerdem werden diverse Risiken in Betracht gezogen, etwa das Risiko, nicht lange genug zu leben, um die künftigen Güter konsumieren zu können, oder das Risiko konfiskatorischer Steuern. Als Näherungswert können wir jedoch den Zinssatz damit gleichsetzen. Der Einfluss dieses Faktors auf die Höhe der Ausgaben, die aus einem gegebenen Einkommen bestritten werden, ist sehr zweifelhaft. Für die klassische Zinstheorie1, nach deren Vorstellung der Zinssatz der Faktor ist, der das Angebot an und die Nachfrage nach Ersparnissen ins Gleichgewicht bringt, war die Annahme zweckmäßig, dass Konsumausgaben unter sonst gleichen Bedingungen mit umgekehrten Vorzeichen auf Zinsänderungen reagieren. Jede Anhebung des Zinssatzes würde somit den Konsum spürbar verringern. Man hat jedoch längst festgestellt, dass die Auswirkungen von Zinsänderungen auf die Bereitschaft, Geld für den laufenden Konsum auszugeben, in ihrer Gesamtheit komplex und ungewiss sind. Sie sind abhängig von gegenläufigen Tendenzen, weil manche subjektiven Anreize zu sparen bei steigenden Zinssätzen eher gestärkt werden, während andere sich abschwächen. Über einen längeren Zeitraum dürften substanzielle Veränderungen des Zinsniveaus wohl zu einem erheblichen Wandel gesellschaftlicher Gewohnheiten führen und so die subjektive Ausgabenbereitschaft beeinflussen – obgleich ohne Kenntnis der aktuellen Situation schwer zu sagen ist, in welche Richtung. Die üblichen kurzfristigen Schwankungen des Zinssatzes hingegen werden wahrscheinlich die Ausgaben nur wenig in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Nur wenige Menschen werden ihre Lebensweise ändern, weil der Zinssatz von 5 % auf 4 % gefallen ist, solange ihr Gesamteinkommen unverändert ist. Es mag zwar indirekte Effekte geben, aber diese wirken nicht unbedingt alle in dieselbe Richtung. Den womöglich stärksten Einfluss auf die Bereitschaft, aus einem gegebenen Einkommen Ausgaben zu tätigen, üben Änderungen des Zinssatzes aus, indem sie für Kurssteigerungen oder ‑rück1 Vgl.
Kap. 14.
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren91
gänge von Wertpapieren und anderen Vermögensgütern sorgen. Denn wenn jemand auf diese Weise zu einem unverhofften Wertzuwachs seines Kapitals kommt, ist es nur natürlich, dass seine aktuelle Ausgabenbereitschaft dadurch verstärkt wird (obwohl sein Kapital gemessen am Einkommen nicht mehr wert ist als zuvor) und dass sie umgekehrt im Fall von Wertverlusten geschwächt wird. Aber diesen indirekten Effekt haben wir bereits oben unter Punkt 3 berücksichtigt. Davon abgesehen lautet meines Erachtens die wichtigste empirisch belegte Schlussfolgerung, dass der kurzfristige Einfluss des Zinssatzes auf die Ausgaben des Einzelnen aus einem gegebenen Einkommen von untergeordneter Bedeutung ist, außer vielleicht, wenn es sich um ungewöhnlich große Änderungen handelt. Fällt der Zinssatz sehr tief, kann die zunehmende Differenz zwischen einer für eine bestimmte Summe erhältlichen Leibrente und den jährlichen Zinsen auf diese Summe ein wichtiger Auslöser für negatives Sparen sein, weil dadurch der Anreiz wächst, für das Alter durch den Kauf einer Leibrente vorzusorgen. Außergewöhnliche Situationen, in denen eine extreme Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung die Konsumneigung stark beeinflusst, sollten vielleicht ebenfalls unter dieser Rubrik aufgeführt werden. 5. Änderungen der Steuerpolitik. Insofern als die Sparanreize einer Person von ihren Erwartungen über ihre künftigen Erträge abhängig sind, hängen sie eindeutig nicht nur vom Zinssatz, sondern auch von der Steuerpolitik der Regierung ab. Einkommensteuern, vor allem wenn sie nicht aus Erwerbsarbeit stammendes Einkommen benachteiligen, Kapitalertragsteuern, Erbschaftsteuern und dergleichen mehr sind genauso relevant wie der Zinssatz. Dabei ist die die Spanne möglicher Änderungen in der Steuerpolitik, zumindest in der Erwartung, womöglich noch größer als bei den Zinsen. Wenn Steuerpolitik bewusst zur Schaffung einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung eingesetzt wird, trägt sie natürlich noch mehr zur Steigerung der Konsumneigung bei.2 Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Auswirkungen von Tilgungsfonds, die die Regierung aus regulären Steuermitteln zur Abzahlung ihrer Schulden bildet, auf die aggregierte Konsumneigung. Diese stellen eine Art gesellschaftlichen Sparens dar, so dass die Einrichtung umfangreicher Tilgungsfonds unter Umständen dämpfend auf die Konsumneigung wirkt. Aus diesem Grund kann der Wechsel von einer Politik der Staatsverschuldung zur entgegengesetzten Politik der Schaffung von Tilgungsfonds (oder umge2 Es sollte am Rande erwähnt werden, dass die Auswirkungen der Steuerpolitik auf das Vermögenswachstum bislang einem gewaltigen Missverständnis unterliegt, das wir hier jedoch ohne die Hilfe der in Buch IV dargelegten Zinstheorie nicht adäquat klären können.
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Buch III: Die Konsumneigung
kehrt) eine massive Schrumpfung (oder deutliche Erhöhung) der effektiven Nachfrage verursachen. 6. Veränderungen der Erwartungen über das Verhältnis von gegenwärtigem und künftigem Einkommensniveau. Dieser Faktor sei hier nur der formalen Vollständigkeit halber aufgeführt. Denn während er die Konsumneigung einer Einzelperson durchaus spürbar beeinflussen mag, dürfte der Effekt sich für die Gesamtbevölkerung ausgleichen. In der Regel besteht über diesen Punkt ohnehin zu viel Unsicherheit, als dass er einen nennenswerten Einfluss ausüben könnte. Wir können also abschließend feststellen, dass die Konsumneigung in einer gegebenen Situation als ziemlich stabile Funktion gelten kann, sofern wir Veränderungen der in Geld gemessenen Lohneinheit ausschließen können. Unverhoffte Veränderungen der Vermögenswerte können die Konsumneigung verändern, und auch erhebliche Veränderungen des Zinsniveaus und der Steuerpolitik können einen gewissen Unterschied machen. Über die übrigen objektiven Faktoren, die wirksam werden können, sollte zwar nicht hinweggesehen werden, doch sie dürften unter normalen Umständen nur mäßig wichtig sein. In einer gegebenen gesamtwirtschaftlichen Situation hängen die in Lohneinheiten gemessenen Konsumausgaben hauptsächlich vom Produktionsund Beschäftigungsvolumen ab. Dieser Umstand rechtfertigt es, die anderen Faktoren unter der Sammelbezeichnung „Konsumneigung“ zu erfassen. Denn auch wenn man nicht vergessen darf, dass die anderen Faktoren variieren können, so ist doch in der Regel das in Lohneinheiten gemessene Einkommen die wesentliche Variable, von der die Konsumkomponente der aggregierten Nachfragefunktion abhängt. III. Wenn wir also annehmen, dass die Konsumneigung eine recht stabile Funktion ist, so dass in der Regel der Gesamtkonsum vor allem vom Gesamteinkommen (jeweils in Lohneinheiten gemessen) abhängt, und dass außerdem Veränderungen der Konsumneigung ein untergeordneter Einfluss zugeschrieben werden kann, welche Form nimmt diese Funktion dann normalerweise an? Das grundlegende psychologische Gesetz, auf das wir uns sowohl a priori aufgrund unserer Kenntnis der menschlichen Natur als auch aufgrund ausgiebiger Erfahrungen vertrauensvoll stützen können, lautet, dass Menschen im Allgemeinen und im Durchschnitt mit steigendem Einkommen ihren Konsum steigern, jedoch nicht in dem Maße, in dem ihr Einkommen steigt. Wenn also Cw die Menge des Konsums ist und Yw das Einkommen (jeweils
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren93
in Lohneinheiten gemessen), hat ΔCw zwar dasselbe Vorzeichen wie ΔYw, ist dC w ist positiv und kleiner als eins. aber kleiner, d. h. dYw Dies trifft vor allem für kurze Zeiträume zu, zum Beispiel im Fall von konjunkturellen Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt, die nicht genügend Zeit lassen, Gewohnheiten – in Abgrenzung zu dauerhafteren psychologischen Neigungen – an die veränderten objektiven Umstände anzupassen. Denn normalerweise stellt der gewohnte Lebensstandard der Menschen die vordringlichsten Ansprüche an ihr Einkommen. Sie werden deshalb die Differenz zwischen ihrem tatsächlichen Einkommen und den Ausgaben für ihren gewohnten Standard zu sparen trachten. Und wenn sie ihre Ausgaben an ein geändertes Einkommen anpassen, dürften sie das innerhalb kurzer Zeiträume nur unvollständig tun. Daher gehen oft mit steigenden Einkommen Ersparnisse einher, die anfangs schneller und im Lauf der Zeit immer langsamer zunehmen – und umgekehrt im Fall von abnehmenden Einkommen und Ersparnissen. Aber von kurzfristigen Einkommensänderungen abgesehen, liegt auf der Hand, dass sich bei einem höheren absoluten Einkommensniveau in Regel der Abstand zwischen Einkommen und Konsum vergrößert. Die Befriedigung der unmittelbaren Grundbedürfnisse eines Mannes und seiner Familie stellt üblicherweise ein stärkeres Motiv dar, als es die Motivation zur Akkumulation ist, die erst zum Tragen kommt, wenn ein gewisser Lebensstandard erreicht wurde. Aus diesen Gründen wird in der Regel bei zunehmendem Realeinkommen ein größerer Anteil des Einkommens gespart. Aber unabhängig davon, ob ein größerer Teil gespart wird oder nicht, können wir es als grundlegende psychologische Regel jeder modernen Gesellschaft betrachten, dass sich bei steigendem Realeinkommen der Konsum nicht um den gleichen absoluten Betrag erhöht. Folglich wird ein größerer absoluter Betrag gespart, sofern es nicht gleichzeitig größere Veränderungen bei den anderen Faktoren gab. Wie wir später noch zeigen werden3, hängt die Stabilität des Wirtschaftssystems im Wesentlichen von der Gültigkeit dieser Regel in der Praxis ab. Dies bedeutet, bei steigender Beschäftigung und somit steigendem Gesamteinkommen, wird nicht die gesamte zusätzliche Beschäftigung benötigt, um die zusätzlichen Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Andererseits kann ein starker Einkommensrückgang infolge eines schrumpfenden Beschäftigungsniveaus sogar dazu führen, dass der Konsum das Einkommen übersteigt, weil nicht nur einzelnen Personen oder Institutionen ihre in besseren Zeiten angelegten finanziellen Rücklagen aufbrauchen, sondern auch die Regierung. Diese dürfte dann, ob freiwillig oder 3 Vgl.
S. 209 f.
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unfreiwillig, ein Haushaltsdefizit verzeichnen, oder sie gewährt Arbeitslosenunterstützung, die sie beispielsweise durch Anleihen finanziert. Wenn daher die Beschäftigung auf einen sehr niedrigen Stand fällt, wird der Gesamtkonsum weniger stark schrumpfen als das Realeinkommen. Der Grund dafür liegt sowohl in den gewohnten Verhaltensweisen der Einzelpersonen als auch in der wahrscheinlichen Regierungspolitik. Dies erklärt, warum ein neuer Gleichgewichtszustand üblicherweise innerhalb einer mäßigen Schwankungsbreite erreicht werden kann. Andernfalls könnte sich ein einmal begonnener Rückgang von Beschäftigung und Einkommen extrem lange hinziehen. Dieses einfache Prinzip führt, wie sich zeigen wird, zur gleichen Schlussfolgerung wie zuvor, nämlich dass die Beschäftigung nur zunehmen kann, wenn gleichzeitig auch die Investitionen zunehmen, es sei denn, es kommt zu einer Änderung der Konsumneigung. Denn weil Verbraucher bei zunehmender Beschäftigung weniger ausgeben, als dem Anstieg des aggregierten Angebotspreises entspricht, wird sich die zusätzliche Beschäftigung nicht lohnen, solange es keinen Zuwachs an Investitionen gibt, um die Lücke zu füllen. IV. Wir dürfen die Bedeutung der bereits erwähnten Tatsache nicht unterschätzen, dass der Konsum – anders als die Beschäftigung, die eine Funktion des erwarteten Konsums und der erwarteten Investitionen ist – unter sonst gleichen Bedingungen eine Funktion des Nettoeinkommens ist, d. h. der Nettoinvestitionen (da ja das Nettoeinkommen gleich Konsum plus Nettoinvestitionen ist). Je höher mit anderen Worten die für nötig erachtete finanzielle Vorsorge ausfällt, bevor das Nettoeinkommen berechnet wird, desto weniger positiv wird sich ein gegebenes Investitionsvolumen auf den Konsum und folglich die Beschäftigung auswirken. Werden diese finanziellen Rücklagen (oder Zusatzkosten) laufend in toto für die Instandhaltung der vorhandenen Ausrüstungsgüter ausgegeben, ist dies in der Tat eine wohlbekannte Vorgehensweise. Wenn aber die Rücklagen die laufenden Instandhaltungsausgaben übersteigen, werden die konkreten Auswirkungen auf die Beschäftigung bislang nicht immer wahrgenommen. Der Betrag, um den die Rücklagen über den Ausgaben liegen, führt nämlich zumindest direkt weder zu mehr Investitionen noch steht er für den Konsum zur Verfügung. Er muss daher durch Neuinvestitionen ausgeglichen werden, deren Bedarf ganz unabhängig von der laufenden Abnutzung der alten Ausrüstungsgüter entstand, für die die Vorsorge ursprünglich getroffen wurde. Die Folge davon ist, dass die Neuinvestitionen, die zur Schaffung laufenden Einkommens geeignet sind, entsprechend vermindert werden.
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren95
Eine stärkere Nachfrage nach Neuinvestitionen ist dann nötig, um ein gegebenes Beschäftigungsniveau zu ermöglichen. Ganz ähnliche Erwägungen gelten übrigens auch für die in den Nutzungskosten berücksichtigte Abnutzung, sofern diese Abnutzung nicht tatsächlich ausgeglichen wird. Nehmen wir das Beispiel eines Hauses, das so lange bewohnbar bleibt, bis es abgerissen oder aufgegeben wird. Nimmt der Hausbesitzer bestimmte Wertabschreibungen aus den jährlichen Mieteinnahmen vor, die er aber weder für Instandhaltung ausgibt noch als für den Konsum verfügbares Nettoeinkommen betrachtet, stellt diese Vorsorge, sei sie ein Teil von U oder von V, ein Hemmnis für die Beschäftigung dar. Dies gilt so lange, wie das Haus bewohnt wird, und wird auf einen Schlag ausgeglichen, wenn es neu gebaut werden muss. In einer stationären Wirtschaft mag das alles nicht weiter erwähnenswert sein, da die Rücklagen für die Wertminderung der alten Häuser jedes Jahr exakt durch die neuen Häuser ausgeglichen würden, die im selben Zeitraum als Ersatz für unbewohnbar gewordene Häuser gebaut werden. In einer nichtstationären Wirtschaft aber können solche Faktoren höchst bedeutsam sein, vor allem in Zeiträumen unmittelbar nach einem Investitionsboom in langlebige Kapitalgüter. Denn unter solchen Umständen kann ein beträchtlicher Teil der neuen Investitionen durch die höheren finanziellen Rückstellungen absorbiert werden, die die Unternehmer für ihr vorhandenes Sachkapital vorgenommen haben. Für deren Reparaturen bzw. Ersatz muss unterdessen trotz der allmählichen Abnutzung noch längst nicht alles ausgegeben werden, was dafür beiseitegelegt wurde. Folglich können die Einkommen nicht über das niedrige Niveau steigen, das den geringen Nettogesamtinvestitionen entspricht. Die Abschreibungsrücklagen und dergleichen können deshalb schon lange, bevor die Nachfrage nach Ersatzinvestitionen (die von den Abschreibungen vorweggenommen wird) einsetzt, den Verbrauchern Kaufkraft entziehen. Sie verringern also die momentane effektive Nachfrage und erhöhen sie erst in dem Jahr, in dem der Ersatz tatsächlich vorgenommen wird. Wenn dieser Effekt auch noch durch „kaufmännische Umsicht“ verstärkt wird, d. h. wenn die die Anschaffungskosten lieber schneller abgeschrieben werden als es der tatsächlichen Abnutzung der Ausrüstungsgüter entspricht, können die kumulativen Folgen in der Tat erheblich sein. So hatte beispielsweise 1929 in den Vereinigten Staaten die rapide Kapitalexpansion der vorangegangenen fünf Jahre zur Aufhäufung derart hoher Rücklagen für Schuldentilgung und Abschreibungen für längst noch nicht erneuerungsbedürftige Produktionsanlagen geführt, dass eine enorme Menge an Neuinvestitionen nötig gewesen wäre, nur um diese finanzielle Vorsorge zu absorbieren. Es war so gut wie hoffnungslos, darüberhinausgehende Neuinvestitionen in ausreichender Höhe zu mobilisieren, um die zusätz
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Buch III: Die Konsumneigung
lichen Ersparnisse zu absorbieren, die eine wohlhabende Gesellschaft bei Vollbeschäftigung vorzunehmen bereit gewesen wäre. Dieser Umstand allein war wahrscheinlich schon ausreichend, um eine Rezession zu verursachen. Und da besagte „kaufmännische Umsicht“ von den großen Unternehmen, die es sich leisten konnten, auch noch während der Rezession praktiziert wurde, standen einer frühzeitigen Erholung gewaltige Hindernisse entgegen. In Großbritannien wiederum hat gegenwärtig (1935) der erhebliche Umfang des Wohnungsbaus und anderer Neuinvestitionen seit dem Krieg zur Bildung von Rücklagen geführt, die weit über den gegenwärtigen Bedarf an Ausgaben für Reparaturen und Erneuerungen hinausgehen. Die Tendenz wurde noch verstärkt, wo die Investitionen von Kommunalbehörden und öffentlichen Einrichtungen gemäß den Prinzipien einer „soliden“ Haushaltspolitik durchgeführt werden, die häufig ausreichend große Rückstellungen verlangt, um die Gestehungskosten schon einige Zeit vor der tatsächlichen Fälligkeit der Ersatzinvestition abschreiben zu können. Selbst wenn Privatpersonen bereit wären, ihr gesamtes Nettoeinkommen auszugeben, wäre folglich die Wiederherstellung von Vollbeschäftigung eine gewaltige Herausforderung angesichts dieser enorm hohen, von entsprechenden Neuinvestitionen völlig losgelösten vorgeschriebenen Rücklagen von öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen. Die Rückstellungen der Kommunalverwaltungen belaufen sich derzeit, soweit ich weiß4, auf mehr als die Hälfte der Summe, die diese Behörden für ihre gesamten neuen Projekte aufwenden.5 Dem Gesundheitsministerium ist womöglich gar nicht bewusst, dass es durch sein rigoroses Beharren auf Tilgungsfonds der Kommunalbehörden das Problem der Arbeitslosigkeit noch verschlimmern dürfte. Im Fall von Bauspardarlehen, die Einzelpersonen den Bau eines eigenen Hauses ermöglichen, dürfte der Wunsch, schneller schuldenfrei zu werden, als das Haus tatsächlich an Wert verliert, den Hausbesitzer dazu bringen, mehr zu sparen, als er es sonst täte. Allerdings sollte dies vielleicht eher als ein Faktor eingestuft werden, der die Konsumneigung direkt und nicht durch den Effekt auf das Nettoeinkommen vermindert. In konkreten Zahlen sind die Dar lehensrückzahlungen an Bausparkassen von 24 Mio. £ im Jahr 1925 auf 68 Mio. £ im Jahr 1933 gestiegen. Dem stand eine Vergabe neuer Darlehen in Höhe von 103 Mio. £ gegenüber. Heute dürften die Darlehenstilgungen sogar noch höher sein. 4 Die aktuellen Zahlen werden als so wenig interessant erachtet, dass sie erst mit einer Verspätung von zwei oder mehr Jahren veröffentlicht werden. 5 In dem am 31. März 1930 endenden Finanzjahr nahmen kommunale Behörden öffentliche Investitionen in Höhe von 87 Mio. £ vor, davon 37 Mio. £ aus Tilgungsfonds und dergleichen, bezogen auf frühere Investitionsaufwendungen; in dem am 31. März 1933 endenden Finanzjahr waren die jeweiligen Beträge 81 Mio. £ und 46 Mio. £.
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren97
Dass sich aus den Produktionsstatistiken die Investitionen und nicht die Nettoinvestitionen ablesen lassen, geht zwingend und eindeutig aus Colin Clarks The National Income, 1924–1931 hervor. Er zeigt darin auch, wie hoch normalerweise das Verhältnis von Abschreibungen etc. zum Inves titionswert ist. So schätzt er beispielsweise, dass sich in Großbritannien im Zeitraum 1928 bis 19316 die Bruttoinvestitionen wie unten dargestellt entwickelten – wobei seine Bruttoinvestitionen wahrscheinlich etwas weiter gefasst sind als meine Investitionen, insofern als sie einen Teil der Nutzungskosten enthalten können; und es ist auch nicht ganz klar, wie akkurat seine „Nettoinvestitionen“ meiner Definition dieses Begriffs entsprechen: (Mio. £) 1928
1929
1930
1931
Bruttoinvestitionen
791
731
620
482
Betrag des Verschleißes von altem Kapital
433
435
437
439
Nettoinvestitionen
358
296
183
43
Kuznets ist bei der Zusammenstellung von Statistiken über die Bruttokapitalbildung (wie er das nennt, was ich als Investitionen bezeichne) in den Vereinigten Staaten zwischen 1919 und 1923 zu annähernd dem gleichen Schluss gekommen. Die physische Realität, auf die sich die Produktionsstatistiken beziehen, entspricht unweigerlich den Brutto- und nicht den Nettoinvestitionen. Kuznets sind auch die Probleme beim Übergang von Bruttozu Nettoinvestitionen nicht entgangen. „Die Schwierigkeit“, schreibt er, „von der Brutto- auf die Nettokapitalbildung zu kommen, das heißt, die Schwierigkeit einer Berichtigung um den Verbrauch langlebiger Güter, liegt nicht nur im Mangel an Daten. Schon das Konzept des jährlichen Verbrauchs von Gütern mit einer mehrjährigen Lebensdauer leidet an mangelnder Eindeutigkeit“.7 Er greift deshalb zurück auf die „Annahme, dass die Abzüge für Abschreibungen und Schwund in den Geschäftsbüchern der Unternehmen den Umfang des Verbrauchs vorhandener und fertiger, von ihnen genutzter dauerhafter Güter korrekt wiedergeben“. Andererseits versucht er nicht, einen Abzug für Häuser und andere dauerhafte Güter im Besitz von 6 Op.
cit. S. 117 und S. 128. Zitate sind dem Bulletin (Nr. 52) des National Bureau of Economic Research entnommen, das vorläufige Ergebnisse aus Kuznets’ demnächst erscheinendem Buch vorstellt. (Simon Kuznets, National Income and Capital Formation 1919‑1935, NBER Books, 1937. A. d. Ü.) 7 Diese
98
Buch III: Die Konsumneigung
Einzelpersonen zu ermitteln. Seine sehr interessanten Ergebnisse für die Vereinigten Staaten können wie folgt zusammengefasst werden: (Mio. $) 1925
1926
1927
1928
1929
Bruttokapitalbildung (unter Berücksichtigung der Nettoveränderung der Lagerbestände)
30 706
33 571
31 157
33 934
34 491
Unternehmerausgaben für Wartung, Reparaturen, Instandhaltung, Abschreibungen und Schwund
7 685
8 288
8 223
8 481
9 010
Nettokapitalbildung (gemäß Kuznets’ Definition)
23 021
25 283
22 934
25 453
25 481
(Mio. $) 1930
1931
1932
1933
Bruttokapitalbildung (unter Berücksichtigung der Nettoveränderung der Lagerbestände)
27 538
18 721
7 780
14 879
Unternehmerausgaben für Wartung, Reparaturen, Instandhaltung, Abschreibungen und Schwund
8 502
7 623
6 543
8 204
Nettokapitalbildung (gemäß Kuznets’ Definition)
19 036
11 098
1 237
6 675
In dieser Tabelle stechen einige Fakten hervor. Die Nettokapitalbildung war im Fünfjahreszeitraum 1925 bis 1929 ausgesprochen stetig, mit einem Zuwachs um lediglich zehn Prozent während der letzten Phase des Aufschwungs. Die Abzüge für Reparaturen, Instandhaltung, Abschreibungen und Schwund sind selbst auf dem Tiefpunkt der Rezession auf hohem Niveau geblieben. Mit seiner Methode kommt Kuznets allerdings gewiss auf eine zu niedrige Schätzung der jährlichen Zunahme der Wertminderungen etc., denn er setzt diese pro Jahr mit nur 1,5 % der neuen Nettokapitalbildung an. Entscheidend ist jedoch, dass die Nettokapitalbildung nach 1929 einen fatalen Zusammenbruch erlitt und bis 1932 auf einen Betrag fiel, der um ganze 95 % unter dem Durchschnitt des Fünfjahreszeitraums 1925 bis 1929 lag. Das eben Dargestellte ist bis zu einem gewissen Grad eine Abschweifung. Es ist dennoch wichtig, die Höhe des Abzugs hervorzuheben, der vom Ein-
Kap. 8: Die Konsumneigung I: Die objektiven Faktoren99
kommen einer Gesellschaft vorgenommen werden muss, die bereits über einen großen Kapitalstock verfügt. Erst dann gelangen wir zum Nettoeinkommen, das normalerweise für den Konsum zur Verfügung steht. Denn wenn wir diese Tatsache ausblenden, dürften wir die massiven Hemmnisse für die Konsumneigung unterschätzen, die sogar dann bestehen, wenn die Bevölkerung zum Verbrauch eines Großteils ihres Einkommens bereit ist. Um noch einmal das Offensichtliche festzuhalten: Allein Konsum ist Ziel und Zweck aller wirtschaftlichen Tätigkeit. Beschäftigungsgelegenheiten sind zwangsläufig durch die Höhe der Gesamtnachfrage begrenzt. Die Gesamtnachfrage leitet sich ausschließlich aus dem aktuellen Konsum und der aktuellen Vorsorge für künftigen Konsum ab. Der Konsum, für den wir wirtschaftlich vernünftige Vorsorge treffen können, lässt sich nicht unendlich lang hinausschieben. Wir können als Gesellschaft nicht durch irgendwelche finanziellen Maßnahmen, sondern nur durch gegenwärtige Warenproduktion für den künftigen Konsum vorsorgen. Insofern als unsere sozialen und ökonomischen Strukturen finanzielle von materieller Vorsorge trennen, so dass Bemühungen um erstere nicht unbedingt zur Sicherung letzterer beitragen, neigt allzu vorsichtiges Finanzgebaren dazu, die Gesamtnachfrage und dadurch den Wohlstand zu verringern. Zahlreiche Beispiele belegen dies. Je höher zudem der Konsum ist, für den wir bereits vorgesorgt haben, desto schwieriger wird es, noch etwas anderes zu finden, für das wir noch vorsorgen können, und desto stärker hängt die Nachfrage vom aktuellen Konsum ab. Je höher aber unser Einkommen, desto größer ist unglücklicherweise auch die Differenz zwischen unseren Einkommen und dem Konsum. In Ermangelung neuartiger Behelfsmittel gibt es somit keine andere Lösung für das Problem, wie wir noch sehen werden, als dass die Arbeitslosigkeit und damit unsere Armut so weit ansteigen, bis unser Konsum nur um so viel kleiner als unser Einkommen ist wie der Gegenwert der materiellen Vorsorge für künftigen Konsum, dessen Produktion sich aktuell lohnt. Man könnte die Sache auch so sehen: Der Konsum wird teils durch aktuell produzierte Dinge befriedigt und teils durch Lagerabbau früher hergestellter Dinge, d. h. durch Desinvestitionen. In letzterem Fall wird es zu einem Rückgang der aktuellen Nachfrage kommen, weil ein diesen Des investitionen entsprechender Teil der laufenden Ausgaben nicht mehr zum Nettoeinkommen zählt. Im umgekehrten Fall, wenn ein Ding im aktuellen Zeitabschnitt hergestellt wird zum Zwecke der anschließenden Konsumbefriedigung, erhöht sich die aktuelle Nachfrage. Nun verkehren sich alle Anlageinvestitionen früher oder später in Anlagedesinvestitionen. Mit zunehmendem Kapital wächst auch das Problem, für neue Anlageinvestitionen zu sorgen, die stets weit genug über den Desinvestitionen liegen, um die Lücke zwischen Nettoeinkommen und Konsum zu schließen. Neue, die
100
Buch III: Die Konsumneigung
Desinvestitionen übersteigende Anlageinvestitionen sind nur möglich, wenn eine Zunahme der künftigen Konsumausgaben erwartet wird. Immer, wenn wir das heutige Gleichgewicht durch höhere Investitionen herstellen, erschweren wir die Herstellung Gleichgewichts am nächsten Tag. Eine geringere Konsumneigung zum jetzigen Zeitpunkt kann nur zum allgemeinen Vorteil ausgeglichen werden, wenn eine höhere Konsumneigung zu einem einen späteren Zeitpunkt erwartet werden kann. Dies erinnert an die Bienenfabel8: Die Vergnügungssüchtigen von morgen sind absolut unverzichtbar, um den Arbeitsamen von heute einen Daseinszweck zu verschaffen. Es ist sonderbar und durchaus erwähnenswert, dass sich die Öffentlichkeit dieses äußerst verworrenen Problems nur da bewusst zu sein scheint, wo es um öffentliche Investitionen wie Straßen- oder Wohnungsbau und dergleichen geht. Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen die Projekte zur Beschäftigungsförderung durch öffentliche Investitionen lautet, dass dies Probleme für die Zukunft verursache. „Was passiert“, so wird gefragt, „wenn erst alle Häuser und Straßen und Rathäuser und Stromnetze und Wasserleitungen und so weiter gebaut sind, die in der Zukunft eine gleichbleibende Bevölkerung vermutlich benötigen wird?“ Viel geringer ist das Bewusstsein darüber, dass dasselbe Problem auch bei privaten Investitionen und industriellem Ausbau auftritt – bei letzteren sogar besonders deutlich, denn eine baldige Sättigung der Nachfrage nach neuen Fabriken und anderen Anlagen, von denen jede einzelne nur relativ wenig Geld bindet, ist viel eher vorstellbar als eine gesättigte Nachfrage nach Wohnhäusern. Was einem besseren Verständnis im Weg steht, ist bei diesen Beispielen, ähnlich wie in vielen akademischen Diskursen über das Kapital, der fehlende Sinn dafür, dass Kapital kein sich selbst genügendes, unabhängig vom Konsum existierendes Gebilde ist. Vielmehr muss jede Schwächung der Konsumneigung, die sich zu perpetuieren droht, sowohl die Nachfrage nach Kapital als auch die Konsumnachfrage schwächen.
8 „Der unzufriedene Bienenstock – oder: Die ehrlich gewordenen Schurken“ von Bernard Mandeville (1714); für eine ausführlichere Darstellung siehe S. 297 [Kap. 23 VII]. (A. d. Ü.)
Kapitel 9
Die Konsumneigung II: Die subjektiven Faktoren I. Es bleibt nun noch die zweite Kategorie von Faktoren, die den Umfang des aus einem gegebenen Einkommen bestrittenen Konsums determinieren, nämlich die subjektiven und sozialen Anreize, die die Höhe der Ausgaben angesichts des in Lohneinheiten gemessenen Gesamteinkommens und der bereits dargestellten einschlägigen objektiven Faktoren bestimmen. Da jedoch eine Analyse dieser Faktoren keine neuen Erkenntnisse bringt, dürfte es ausreichen, die wichtigsten von ihnen aufzuzählen, ohne näher auf sie einzugehen. Allgemein gesprochen, gibt es acht zentrale Motive oder Zwecke subjektiver Art, die Menschen auf die Ausgabe eines Teils ihres Einkommens verzichten lassen: 1. um Rücklagen gegen unvorhergesehene Risiken aufzubauen; 2. um Vorsorge zu treffen für ein künftiges Verhältnis zwischen Einkommen und Bedürfnissen des Einzelnen oder der Familie, das sich beispielsweise in Hinblick auf Alter, Ausbildung der Kinder oder den Unterhalt von Angehörigen vom jetzigen Verhältnis unterscheidet; 3. um von Zinsen und Kapitalerträgen zu profitieren, d. h. weil ein höherer Konsum zu einem späteren Zeitpunkt einem geringeren sofortigen Konsum vorgezogen wird; 4. um sich langsam wachsender Ausgaben zu erfreuen, da die Vorfreude auf eine allmähliche Erhöhung des Lebensstandards statt einer eventuellen Verringerung einen verbreiteten Instinkt befriedigt, selbst wenn der relative Genuss dabei abnehmen sollte; 5. um ein Gefühl der Unabhängigkeit und die Fähigkeit, verschiedene Dinge zu tun, zu genießen, auch ohne klare Vorstellung oder Absicht einer bestimmten Tätigkeit; 6. um eine Manövriermasse für spekulative oder investive Projekte zur Verfügung zu haben;
102
Buch III: Die Konsumneigung
7. um ein Vermögen zu vererben; 8. um puren Geiz zu befriedigen, d. h. eine nicht vernunftgeleitete, aber hartnäckige Scheu vor jeglichen Ausgaben. Diese acht Motive lassen sich auch kurz auflisten als Vorsicht, Voraussicht, Berechnung, Verbesserung, Unabhängigkeit, Unternehmungsgeist, Stolz und Habsucht. Dem lässt sich eine Liste von Konsumanreizen gegenüberstellen, wie etwa Genuss, Kurzsichtigkeit, Großzügigkeit, Fehlkalkulation, Prahlerei und Extravaganz. Neben den von Privathaushalten angesammelten Ersparnissen gibt es auch noch große Einkommensbeträge – die sich auf vielleicht ein bis zwei Drittel der gesamten Akkumulation in einer modernen Industriegesellschaft wie Großbritannien oder den Vereinigten Staaten belaufen – die durch Zentralregierung, kommunale Behörden, Finanzinstitute und Kapitalgesellschaften einbehalten werden. Deren Beweggründe sind im Großen und Ganzen mit denen vergleichbar, wenn auch nicht identisch, von denen sich Einzelpersonen leiten lassen. Die vier wichtigsten sind 1. das Motiv des Unternehmertums: Mittel für weitere Anlageinvestitionen bereitzustellen, ohne dafür Schulden oder weiteres Eigenkapital auf den Finanzmärkten aufzunehmen; 2. das Motiv der Liquidität: liquide Mittel für Notfälle, Probleme und Rezessionen bereitzustellen; 3. das Motiv der Verbesserung: ein allmählich wachsendes Einkommen zu sichern, das nebenbei die Geschäftsführung vor Kritik schützt, weil sich Einkommenszuwächse aufgrund von Akkumulation kaum von Zuwächsen aufgrund von höherer Effizienz unterscheiden lassen; 4. das Motiv der kaufmännischen Vorsicht und des Bemühens, durch über die Nutzungs- und Zusatzkosten hinausgehende finanzielle Vorsorge „auf der sicheren Seite“ zu sein und so Schulden abzubauen und Abschreibungen für Vermögensgüter eher schneller denn langsamer als die tatsächliche Abnutzung und Wertminderung vorzunehmen. Wie stark dieses Motiv zum Tragen kommt, hängt dabei vor allem von Menge und Art des Sachkapitals und der Geschwindigkeit des technischen Wandels ab. So wie diese Motive das Einbehalten eines Teils des Einkommens begünstigen, so kommen mitunter auch Motive zum Tragen, die umgekehrt dazu führen, dass der Konsum das Einkommen übersteigt. Zu einigen der oben aufgelisteten Sparanreize von Privathaushalten gibt es zu einem späteren Zeitpunkt ein durchaus beabsichtigtes Gegenstück in Form eines negativen Sparsaldos, etwa im Fall von Ersparnissen für familiäre Bedürfnisse oder Altersvorsorge. Auch eine schuldenfinanzierte Arbeitslosenunterstützung lässt sich am besten als negatives Sparen sehen.
Kap. 9: Die Konsumneigung II: Die subjektiven Faktoren103
Die Stärke all dieser Beweggründe schwankt stark je nach der Art der Institutionen und Organisationen der betrachteten Volkswirtschaft, nach Gewohnheiten, die durch ethnische Zugehörigkeit, Erziehung, Religion und geltende Moralvorstellungen geprägt werden, nach jetzigen Hoffnungen und früheren Erfahrungen, nach Umfang und technischem Stand des Sachkapitals sowie nach der bestehenden Vermögensverteilung und dem erreichten Lebensstandard. Im Rahmen dieses Buches werden wir uns aber, von gelegentlichen Exkursen abgesehen, nicht mit den Folgen weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen oder mit den allmählichen Auswirkungen langfristigen Fortschritts befassen. Das heißt, wir setzen die wesentlichen Bedingungen subjektiver Motive für Sparen bzw. Konsumieren als gegeben voraus. Insofern als die Vermögensverteilung durch die mehr oder weniger konstanten gesellschaftlichen Strukturen des Landes bestimmt ist, kann auch sie als ein nur langfristigen Änderungen unterliegender Faktor angesehen werden, den wir für unsere Zwecke ebenfalls als gegeben voraussetzen können. II. Die wesentlichen Hintergründe subjektiver und sozialer Anreize verändern sich also nur langsam, während die kurzfristigen Einflüsse von Zinsänderungen und den übrigen objektiven Faktoren oft von untergeordneter Bedeutung sind. Daraus können wir schließen, dass kurzfristige Veränderungen des Konsums hauptsächlich von Veränderungen der (in Lohneinheiten gemessenen) Einkommenshöhe herrühren und nicht von Veränderungen der Konsumneigung bei einem gegebenen Einkommen. Wir müssen uns jedoch vor einem Missverständnis hüten. Das soeben Dargestellte bedeutet, dass der Einfluss moderater Zinsänderungen auf die Konsumneigung normalerweise klein ist. Es bedeutet nicht, dass geänderte Zinssätze nur einen geringen Einfluss auf die tatsächlich gesparten oder konsumierten Beträge haben. Ganz im Gegenteil, der Einfluss von Zinsänderungen auf die tatsächliche Sparsumme ist von größter Bedeutung, allerdings in umgekehrter Richtung als gemeinhin angenommen. Denn selbst wenn der Reiz eines größeren zukünftigen Einkommens, das sich durch einen höheren Zinssatz erzielen lässt, die Konsumneigung vermindern dürfte, können wir doch sicher sein, dass ein Zinsanstieg eine Verminderung der tatsächlichen Sparsumme zur Folge hat. Maßgeblich für die Gesamtersparnisse sind schließlich die Gesamtinvestitionen. Eine Zinserhöhung wird die Investitionen verringern (sofern sie nicht durch eine entsprechende Veränderung der Investitionsnachfragefunktion ausgeglichen wird). Daher muss ein Zinsanstieg zu einem Einkommensrückgang auf eine Höhe führen, auf der die Ersparnisse im gleichen Maße wie die Investitionen zurückgehen. Da in absoluten Zahlen die Ersparnisse stärker abnehmen als die Investitionen, trifft es tatsächlich zu,
104
Buch III: Die Konsumneigung
dass der Konsum bei steigenden Zinsen abnimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es einen größeren Spielraum für Ersparnisse gibt. Im Gegenteil, Ersparnisse und Ausgaben werden beide abnehmen. Selbst wenn eine Zinserhöhung die Bevölkerung dazu brächte, einen höheren Anteil ihres bestehenden Einkommens zu sparen, können wir ziemlich sicher sein, dass höhere Zinssätze (sofern es nicht parallel dazu zu einer positiven Veränderung der Investitionsnachfragefunktion kommt) die tatsächlichen Gesamtersparnisse verringern werden. Dieser Argumentationsstrang lässt sogar erkennen, wie stark eine Zinserhöhung unter sonst gleichen Bedingungen die Einkommen schrumpfen lässt. Denn die Einkommen müssen just so stark sinken (oder umverteilt werden), wie bei einer bestehenden Konsumneigung zur Verringerung der Ersparnisse um genau den Betrag nötig ist, um den der Zinsanstieg die Investitionen angesichts der bestehenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sinken lässt. Eine eingehendere Untersuchung dieses Aspekts ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Eine Zinserhöhung könnte ein Anreiz für uns sein, mehr zu sparen, wenn unsere Einkommen unverändert bleiben. Stellt der höhere Zinssatz jedoch ein Investitionshemmnis dar, werden – und können – unsere Einkommen nicht unverändert bleiben. Sie fallen zwangsläufig so lange, bis die abnehmende Sparfähigkeit die durch den höheren Zinssatz bedingten Sparanreize aufwiegt. Je tugendhafter wir sind, je entschlossener sparsam und je sturer konservativ bei unseren staatlichen und persönlichen Finanzentscheidungen, desto stärker müssen unsere Einkommen fallen, wenn der Zinssatz relativ zur Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steigt. Sturheit zieht nur Nachteile nach sich und keine Belohnung. Denn das Resultat ist unvermeidbar. Der tatsächliche Umfang der Gesamtersparnisse und der Gesamtausgaben hängt also letztlich nicht von Vorsicht, Voraussicht, Berechnung, Verbesserung, Unabhängigkeit, Unternehmungsgeist, Stolz und Habsucht ab. Tugend und Laster spielen ebenfalls keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob der Zinssatz unter Berücksichtigung der jeweiligen Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals günstig für Investitionen ist.1 Nein, das ist vielleicht etwas übertrieben. Würde der Zinssatz so gesteuert, dass damit dauerhafte Vollbeschäftigung sichergestellt ist, dann würde tugendhaftes Finanzgebaren einen positiven Einfluss ausüben: Die Kapitalakkumulation würde dann dank einer schwachen Konsumneigung stattfinden. Es sei hier noch einmal betont: Die Anerkennung, die die klassischen Ökonomen finanzieller Tugendhaftigkeit zollen, basiert auf ihrer stillschweigenden Annahme, der Zinssatz werde stets so gesteuert. 1 An einigen Stellen dieses Abschnitts haben wir stillschweigend Überlegungen vorweggenommen, die erst im vierten Buch ausgeführt werden.
Kapitel 10
Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator Wir haben in Kapitel 8 festgestellt, dass Beschäftigung nur im Gleichschritt mit den Investitionen zunehmen kann, außer wenn sich die Konsumneigung ändert. Wir können diesen Gedankengang nun einen Schritt weiter führen. Unter gegebenen Umständen lässt sich ein bestimmtes Verhältnis, das Multiplikator genannt werden soll, zwischen Einkommen und Investitionen feststellen und auch, vorbehaltlich gewisser Vereinfachungen, zwischen der Gesamtbeschäftigung und der eigens für Investitionen geschaffenen Beschäftigung (die wir als Primärbeschäftigung bezeichnen können). Dieser weitere Schritt ist ein integraler Bestandteil unserer Theorie der Beschäftigung. Denn damit wird bei einer gegebenen Konsumneigung eine genaue Relation zwischen Gesamtbeschäftigung, Einkommen und Investitionsvolumen hergestellt. Das Konzept des Multiplikators wurde zuerst durch R. F. Kahn in seinem Aufsatz „The Relation of Home Investment to Unemployment“ (Economic Journal, Juni 1931) in die Wirtschaftstheorie eingeführt. Seiner darin entwickelten Argumentation liegt folgende Idee zugrunde: Wenn die Konsumneigung unter verschiedenen hypothetischen Umständen (in Kombination mit bestimmten anderen Bedingungen) als gegeben gelten kann und wenn wir uns Maßnahmen zur Investitionsförderung oder ‑dämpfung durch geldpolitische oder andere staatliche Instanzen vorstellen, dann ist die Veränderung des Beschäftigungsvolumens eine Funktion der Nettoveränderung des Investitionsvolumens. Er wollte damit allgemeine Grundsätze formulieren zur Schätzung des tatsächlichen quantitativen Zusammenhangs zwischen einer Erhöhung der Nettoinvestitionen und der damit zusammenhängenden Gesamtbeschäftigung. Bevor wir jedoch zum Multiplikator kommen, sollte zuerst noch das Konzept der marginalen Konsumneigung vorgestellt werden. I. Dieses Buch befasst sich mit den Schwankungen des Realeinkommens, die aus der Nutzung verschiedener Mengen von Beschäftigung (d. h. Arbeitseinheiten) für ein gegebenes Sachkapital resultieren, so dass das Realeinkommen mit der Zahl der beschäftigten Arbeitseinheiten zu- oder abnimmt. Ge-
106
Buch III: Die Konsumneigung
meinhin können wir von einem abnehmenden Grenzertrag der Arbeit ausgehen, wenn bei einem gegebenen Sachkapital die Zahl der eingesetzten Arbeitseinheiten zunimmt. In diesem Fall steigt das in Lohneinheiten gemessene Einkommen überproportional zum Beschäftigungsvolumen, und dieses wächst seinerseits überproportional zum (sofern möglich) in Produkteinheiten gemessenen Realeinkommen. Das in Produkteinheiten gemessene Realeinkommen und das in Lohneinheiten gemessene Einkommen nehmen allerdings parallel zueinander zu oder ab (jedenfalls in der kurzen Frist, wenn das Sachkapital praktisch unverändert bleibt). Da das Realeinkommen nicht immer genau in Produkteinheiten quantifizierbar ist, mag das in Lohneinheiten gemessene Einkommen (Yw) als hinreichend exakter Indikator für die Veränderungen des Realeinkommens dienen. In manchen Zusammenhängen dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Yw zumeist stärker zu- oder abnimmt als das Realeinkommen. In anderen Zusammenhängen aber sind sie, weil sie immer parallel zueinander zu- und abnehmen, praktisch gegeneinander austauschbar. Unser normales psychologisches Gesetz, wonach bei zu- oder abnehmendem Realeinkommen der Bevölkerung auch ihr Konsum, wenn auch etwas geringer, zu- oder abnimmt, lässt sich deshalb – zwar nicht mit absoluter Genauigkeit, sondern mit offensichtlichen und in formal vollständiger Weise leicht darstellbaren Einschränkungen – folgendermaßen umformulieren: DCw und DYw haben dasselbe Vorzeichen, aber DYw > DCw, wobei Cw der in Lohneinheiten gemessene Konsum ist. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Wiederholung der bereits in Kapitel 3 entwickelten Thesen. Wir köndC w nen daher als die marginale Konsumneigung definieren. dYw Diese Größe ist von erheblicher Bedeutung, weil sich daraus ergibt, wie jede zusätzliche Menge an Output zwischen Konsum und Investitionen aufgeteilt wird. Denn ΔYw = ΔCw + ΔIw, wobei ΔCw und ΔIw die jeweiligen Zuwächse an Konsum und Investitionen sind. Dies lässt sich als ΔYw = kΔIw darstellen, wobei 1 - 1 gleich der marginalen Konsumneigung ist. k Wir können k den Investitionsmultiplikator nennen. Dieser gibt an, dass das Einkommen bei einem Zuwachs der Gesamtinvestitionen um einen Betrag wächst, der k mal dem Zuwachs der Investitionen entspricht. II. Kahns Multiplikator unterscheidet sich davon ein wenig. Man könnte ihn eher als Beschäftigungsmultiplikator (oder k') bezeichnen, da er das Verhältnis zwischen dem Zuwachs der Gesamtbeschäftigung und einem gegebenen Zuwachs der Primärbeschäftigung in der Investitionsgüterindustrie wiedergibt. Wenn also der Zuwachs der Investitionen ΔIw zu einem Zuwachs der
Kap. 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator107
Primärbeschäftigung ΔN2 in der Investitionsgüterindustrie führt, ist der Zuwachs der Gesamtbeschäftigung ΔN = k'ΔN2. Es besteht im Allgemeinen kein Grund, davon auszugehen, dass k = k'. Denn man muss sich die Form der jeweils relevanten Bereiche der Gesamtangebotskurve für verschiedene Branchen keineswegs so vorstellen, dass das Verhältnis des Beschäftigungszuwachses zum dadurch ausgelösten Zuwachs an Nachfrage in einem Industriezweig genauso wie in einem anderen ist.1 Es sind in der Tat ohne weiteres Fälle vorstellbar, beispielsweise wenn die marginale stark von der durchschnittlichen Konsumneigung DYw abweicht, in denen man von einer gewissen Ungleichheit zwischen DN DI w ausgehen kann, weil sich dann die Nachfrage nach Konsumgütern und DN 2 und die Nachfrage nach Investitionsgütern entsprechend unterschiedlich entwickeln würden. Will man solche möglichen Unterschiede in der Form der fraglichen Bereiche der Gesamtangebotskurve für die beiden Industriezweige berücksichtigen, lässt sich die folgende Darstellung ohne weiteres in eine verallgemeinerte Form umformulieren. Doch zur Erklärung der damit zusammenhängenden Überlegungen ist es durchaus sinnvoll, sich mit dem vereinfachten Fall zu befassen, in dem k = k' ist. Daraus folgt: Sind die Konsumgewohnheiten der Bevölkerung so, dass zum Beispiel neun Zehntel aller Einkommenszuwächse2 für Konsumzwecke ausgegeben werden, ist der Multiplikator k gleich 10. Die gesamte durch 1 Genauer gesagt, wenn e bzw. e' die Elastizität der Beschäftigung in der gee e samten Wirtschaft bzw. in der Ausrüstungsgüterindustrie bezeichnen und N bzw. N2 die Anzahl der in der gesamten Wirtschaft bzw. in der Ausrüstungsgüterindustrie beschäftigten Personen, so ergibt sich daraus Y DYw = w DN ee · N und so
dass
d. h.
Iw = DN = k'=
Iw DN 2 , ¢ ee · N 2 ee I w N k · DN 2 , ee¢ N 2 Yw Iw e N · e k. ee¢ N 2 Yw
Wenn allerdings kein größerer Unterschied der Formen der Gesamtangebotskurve für die gesamte Wirtschaft einerseits und für die Ausrüstungsgüterindustrie andererDYw DI Iw Yw = w seits zu erwarten ist, so dass , dann folgt daraus, dass = D N D N2 ¢ ¢ e · N e · N 2 e e und daher auch k = k'. 2 Wir
messen die Beträge hier durchweg in Lohneinheiten.
108
Buch III: Die Konsumneigung
(z. B.) zusätzliche öffentliche Bauprojekte entstehende Beschäftigung beträgt dann das Zehnfache der durch die staatlichen Bauarbeiten selbst geschaffenen Primärbeschäftigung, sofern es nicht anderswo zu einem Investitionsrückgang kommt. Nur im Fall, dass die Bevölkerung ihren Konsum trotz des Beschäftigungs- und in der Folge Einkommenszuwachses unverändert lässt, beschränkt sich der Beschäftigungszuwachs auf die durch die öffentlichen Bauprojekte selbst geschaffene Primärbeschäftigung. Wenn die Leute auf der anderen Seite ihr Mehreinkommen vollständig für den Konsum ausgeben wollen, wird es keinen Ruhepunkt geben, so dass die Preise unbegrenzt steigen. Unter normalen psychologischen Voraussetzungen wird ein Beschäftigungszuwachs nur dann mit einem Konsumrückgang einhergehen, wenn sich zugleich die Konsumneigung verändert – beispielsweise in Kriegszeiten infolge von Aufrufen zur Einschränkung des persönlichen Verbrauchs. Und nur in diesem Fall wird ein Beschäftigungszuwachs in der Investitionsgüterindustrie mit nachteiligen Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Konsumgüterindustrie verbunden sein. All dies fasst nur in einer Formel zusammen, was dem Leser inzwischen schon aus allgemeinen Gründen als offensichtlich erscheinen dürfte. Ein Zuwachs an in Lohneinheiten gemessenen Investitionen ist nur möglich, wenn die Privathaushalte bereit sind, ihre in Lohneinheiten gemessenen Ersparnisse zu erhöhen. Gemeinhin tun sie das nur, wenn ihr in Lohneinheiten gemessenes Einkommen steigt. Wenn sie einen Teil ihres Mehreinkommens verbrauchen, wird dies also so lange die Produktion anregen, bis die neue Höhe (und Verteilung) des Einkommens für ausreichend hohe Ersparnisse sorgt, um den erhöhten Investitionen zu entsprechen. Der Multiplikator gibt an, wie stark die Beschäftigung zunehmen muss, damit das Realeinkommen hinreichend ansteigt, um den Menschen einen Anreiz für die nötigen Ersparnisse zu geben. Er ist somit eine Funktion ihrer psychologischen Neigungen.3 Wenn man sich Sparen als bittere Pille und Konsum als Marmelade vorstellt, muss die Extraportion Marmelade zur Größe der Extrapille passen. Sofern die psychologischen Neigungen der Bevölkerung nicht ganz anders als von uns angenommen sind, haben wir hier das Gesetz begründet, dass zunehmende Beschäftigung in der Investitionsgüterindustrie zwangsläufig auch die Konsumgüterindustrie angeregt, was zu einem Wachstum der Gesamtbeschäftigung führt, das um ein Mehrfaches über der durch die Investitionen geschaffenen Primärbeschäftigung liegt. Daraus folgt, dass bei einer marginalen Konsumneigung, die nicht viel kleiner als eins ist, geringe Schwankungen bei den Investitionen starke 3 Obgleich der Multiplikator im allgemeineren Fall auch eine Funktion der hysischen Produktionsbedingungen in der Investitionsgüter- bzw. Konsumgüter p industrie ist.
Kap. 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator109
Schwankungen bei der Beschäftigung verursachen; zugleich führt aber auch eine vergleichsweise kleine Investitionserhöhung schnell zu Vollbeschäftigung. Wenn auf der anderen Seite die marginale Konsumneigung nur knapp über null liegt, führen geringe Schwankungen bei den Investitionen zu entsprechend kleinen Schwankungen bei der Beschäftigung; zugleich lässt sich Vollbeschäftigung dann nur durch kräftige Investitionssteigerung herstellen. Im ersteren Fall wäre unfreiwillige Arbeitslosigkeit schnell zu beheben, wenngleich sie zum Problem zu werden droht, wenn man nicht zügig dagegen vorgeht. Im letzteren Fall dürfte die Beschäftigung zwar geringeren Schwankungen unterworfen sein, doch tendiert sie dazu, sich auf einem niedrigen Niveau einzupendeln, und die Arbeitslosigkeit wird sich allenfalls durch drastische Maßnahmen kurieren lassen. In Wirklichkeit wird die marginale Konsumneigung irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen, allerdings deutlich näher an eins als an null. Infolgedessen haben wir gewissermaßen die schlechteste aller Welten: kräftige Beschäftigungsschwankungen und zugleich einen so hohen Investitionsbedarf zur Herstellung von Vollbeschäftigung, dass dieser nur schwer zu realisieren ist. Dummerweise haben die Schwankungen die Ursachen der Probleme verschleiert, dabei sind diese so ernst, dass sie ohne Kenntnis der Ursachen nicht behoben werden können. Ist Vollbeschäftigung erreicht, setzt jeder Versuch, die Investitionen noch weiter zu steigern, einen tendenziell unbegrenzten Anstieg der Geldpreise unabhängig von der marginalen Konsumneigung in Gang, d. h. es kommt zu einem Zustand wahrer Inflation.4 Bis zu diesem Punkt werden jedoch Preissteigerungen mit einem wachsenden Gesamtrealeinkommen einhergehen. III. Wir haben uns bisher mit einem Nettozuwachs an Investitionen beschäftigt. Wenn wir daher das eben Dargestellte ohne Einschränkungen auf die Wirkung von (z. B.) verstärkter staatlicher Bautätigkeit anwenden wollen, müssen wir davon ausgehen, dass es keine Gegenbewegung in Form abnehmender Investitionen in anderen Bereichen gibt – und natürlich auch keine damit einhergehende Veränderung der Konsumneigung der Bevölkerung. In seinem o. g. Artikel befasste sich Kahn hauptsächlich mit der Frage, welche nennenswerten gegenläufigen Effekte berücksichtigt werden müssen und wie sich deren Ausmaß schätzen lässt. Denn im konkreten Fall gehen neben einer bestimmten Investitionserhöhung stets noch weitere Faktoren in das Endergebnis ein. Wenn eine Regierung beispielsweise 100.000 Personen 4 Vgl.
Kap. 21, S. 253.
110
Buch III: Die Konsumneigung
zusätzlich für öffentliche Bauprojekte einstellt und der (wie oben definierte) Multiplikator 4 ist, kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Gesamtbeschäftigung um 400.000 steigt, denn die neuen Beschäftigungsmaßnahmen können negative Auswirkungen in anderen Bereichen haben. Die folgenden Faktoren erscheinen in einer modernen Gesellschaft (laut Kahn) als besonders wichtig und sollten nicht ignoriert werden (auch wenn die beiden ersten nicht vollkommen verständlich sein dürften, bevor wir zu Buch IV gelangt sind): 1. Die Art der Finanzierung der Maßnahmen und die höheren Kassenbestände, die wegen der vermehrten Beschäftigung und des damit einhergehenden Preisanstiegs nötig sind, können zu einer Zinserhöhung führen und auf diese Weise Investitionen in anderen Bereichen hemmen, sofern die Währungsbehörde dem nicht entgegentritt; gleichzeitig verringert sich durch die Verteuerung von Investitionsgütern deren Grenzleistungsfähigkeit für die Privatinvestoren, was nur durch eine tatsächliche Zinssenkung ausgeglichen werden kann. 2. Angesichts der oft vorherrschenden unklaren psychologischen Lage kann ein Regierungsprogramm, indem es das „Vertrauen“ beeinflusst, die Liquiditätspräferenz erhöhen oder die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals vermindern, was wiederum andere Investitionen hemmen kann, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. 3. In einer offenen Volkswirtschaft mit Außenhandelsbeziehungen wird ein Teil des Beschäftigungsmultiplikators der Beschäftigung in anderen Ländern zugutekommen, da ein Teil des erhöhten Konsums die Außenhandelsbilanz des eigenen Landes verschlechtert. Wenn wir nur die Auswirkungen auf die heimische Beschäftigung betrachten, im Gegensatz zur weltweiten Beschäftigung, müssen wir darum einen Abzug vom Multiplikator vornehmen. Andererseits kann das eigene Land einen Teil dieses Abflusses wieder durch positive Rückwirkungen ausgleichen, weil durch die Wirkung des Multiplikators im Ausland die dortigen wirtschaftlichen Aktivitäten zunehmen. Bei Veränderungen in erheblichem Umfang müssen wir überdies eine zunehmende Veränderung der Grenzneigung zum Konsum berücksichtigen, und zwar in dem Maße, in dem sich die Grenze verschiebt und damit einhergehend auch der Multiplikator. Die marginale Konsumneigung bleibt nicht auf allen Beschäftigungsniveaus gleich. In der Regel wird sie wohl mit zunehmender Beschäftigung tendenziell abnehmen, d. h. die Bevölkerung wird bei wachsendem Einkommen einen immer geringeren Anteil davon für den Konsum ausgeben. Über die Effekte der eben erwähnten generellen Regel hinaus gibt es noch weitere Faktoren, die auf die marginale Konsumneigung und damit auf
Kap. 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator111
den Multiplikator einwirken. Diese dürften zumeist den durch die allgemeine Regel bewirkten Trend eher verstärken als ihm entgegenzuwirken. Zum einen wird der Beschäftigungszuwachs aufgrund abnehmender Erträge in der kurzen Frist dazu führen, dass ein höherer Teil des Gesamteinkommens den Unternehmern zufließt, deren persönliche marginale Konsumneigung wahrscheinlich geringer ist als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Zum anderen geht mit Arbeitslosigkeit negatives Sparen in manchen privaten oder öffentlichen Bereichen einher, weil die Arbeitslosen tendenziell entweder von eigenen Ersparnissen oder denen ihrer Freunde leben oder von öffentlicher, teilweise kreditfinanzierter Unterstützung. Ihre Wiedereinstellung wird diese Art des negativen Sparens allmählich reduzieren, wodurch sich die marginale Konsumneigung schneller verringert, als das unter anderen Umständen bei einem Anstieg des Realeinkommens der Bevölkerung in gleicher Höhe der Fall gewesen wäre. Jedenfalls fällt der Multiplikator bei einem geringen Nettozuwachs an Investitionen aller Wahrscheinlichkeit nach größer aus als bei einem starken Zuwachs. Wenn substanzielle Veränderungen bevorstehen, müssen wir uns deshalb von Durchschnittswerten für den Multiplikator leiten lassen, die auf der durchschnittlichen marginalen Konsumneigung in der fraglichen Spannweite basieren. Kahn untersuchte die wahrscheinlichen quantitativen Ergebnisse solcher Faktoren in bestimmten hypothetischen Sonderfällen. Allzu weitgehende Verallgemeinerungen sind jedoch eindeutig nicht möglich. Es lässt sich zum Beispiel nur sagen, dass eine typische moderne Gesellschaft vermutlich nicht viel mehr als 80 % des realen Einkommenszuwachses für Konsum ausgibt, wenn es sich um eine geschlossene Volkwirtschaft handelt, in der der Konsum der Arbeitslosen durch Konsumtransfers von anderen Verbrauchern finanziert wird, so dass der Multiplikator nach Abzug von gegenläufigen Effekten nicht viel weniger als 5 betragen dürfte. Nehmen wir jedoch ein anderes Land, in dem, sagen wir, 20 % des Konsums durch den Außenhandel befriedigt werden und in dem Arbeitslosen – durch Kredite oder Ähnliches finanziert – 50 % ihres in Zeiten, in denen sie Arbeit haben, normalen Konsums zur Verfügung gestellt wird. Hier kann der Multiplikator auf das Zwei- oder Dreifache der Beschäftigung fallen, die durch eine bestimmte Neuinvestition geschaffen wird. Schwankungen der Investitionstätigkeit gehen somit in einem sehr außenhandelsorientierten Land, in dem die Arbeitslosenunterstützung zu größeren Teilen kreditfinanziert ist (wie z. B. 1931 in Großbritannien), mit viel schwächeren Schwankungen der Beschäftigung einher als in einem Land, in dem diese Faktoren weniger stark ausgeprägt sind (wie in den USA des Jahres 1932).5 5 Vgl.
demgegenüber die Schätzungen für die USA auf S. 116.
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Buch III: Die Konsumneigung
Wir müssen uns jedoch am allgemeinen Prinzip des Multiplikators orientieren, um zu erklären, wie Schwankungen des Investitionsvolumens, die doch einen vergleichsweise kleinen Teil des Nationaleinkommens ausmachen, um ein Vielfaches größere Schwankungen der Gesamtbeschäftigung und des Gesamteinkommens auslösen können. IV. Die bisherigen Erörterungen basierten auf Veränderungen der Gesamtinvestitionen, die früh genug vorhersehbar sind, so dass sich die Konsumgüterim Gleichschritt mit der Kapitalgüterindustrie entwickeln konnte, ohne die Konsumgüterpreise stärker zu beeinflussen, als es bei abnehmenden Erträgen infolge einer wachsenden Produktionsmenge ohnehin der Fall ist. Im Allgemeinen müssen wir jedoch damit rechnen, dass der Anstoß von einer nicht vollkommen vorhersehbaren Produktionssteigerung in der Kapitalgüterindustrie kommt. Es ist klar, dass ein solcher Anstoß erst nach einiger Zeit seine volle Wirkung auf die Beschäftigung entfaltet. Ich habe in Diskussionen jedoch festgestellt, dass diese offensichtlichen Tatsache zu einer Verwechslung verleitet zwischen der jederzeit, ohne Zeitverzögerung und Unterbrechung geltenden logischen Theorie des Multiplikators auf der einen Seite und allmählichen Effekten einer Expansion der Kapitalgüterindustrie auf der anderen Seite, die sich nur verzögert und mit einem gewissen Abstand auswirken. Die Beziehung zwischen diesen beiden Phänomenen wird deutlich, wenn man sich zwei Dinge vor Augen führt: Ein nicht oder ungenügend vorhergesehenes Wachstum der Kapitalgüterindustrie wirkt sich erstens weder sofort noch im gleichen Umfang auf die Gesamtinvestitionen aus, sondern führt nur zu deren allmählichem Anstieg. Es führt zweitens dazu, dass die marginale Konsumneigung zeitweilig von ihrem Normalwert abweicht, aber anschließend langsam wieder dahin zurückkehrt. Ein Wachstum der Kapitalgüterindustrie verursacht also eine einige Zeit anhaltende Reihe von Wachstumsschüben der Gesamtinvestitionen ebenso wie eine Reihe unterschiedlicher Werte der marginalen Konsumneigung in diesen Zeiträumen. Beide unterscheiden sich von den Werten, die sich ergeben hätten, wenn das Wachstum vorhersehbar gewesen wäre, und von den Werten, die sich ergeben, wenn sich die volkswirtschaftlichen Gesamtinvestitionen erst einmal auf ihrem neuen Niveau stabilisiert haben werden. Aber während all dieser Zeiträume gilt die Theorie des Multiplikators, insofern als die Zunahme der Gesamtnachfrage gleich dem Produkt der Zunahme der Gesamtinvestitionen sowie des durch die marginale Konsumneigung bestimmten Multiplikators ist.
Kap. 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator113
Diese beiden Tatsachen lassen sich am deutlichsten anhand des Extremfalls erklären, in dem die Beschäftigungszunahme in der Kapitalgüterindustrie völlig unvorhergesehen ist, so dass es anfangs zu gar keiner Zunahme der Konsumgüterproduktion kommt. In diesem Fall führt der Wunsch der Neubeschäftigten in der Kapitalgüterindustrie, einen Teil ihres erhöhten Einkommens für Konsumzwecke auszugeben, zu einem Preisanstieg bei den Konsumgütern, und zwar so lange, bis ein zeitweiliges Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot erreicht ist. Dies entsteht teils durch einen Konsumaufschub wegen der gestiegenen Preise, teils durch eine Einkommensumverteilung zugunsten der sparenden Klasse infolge der dank der höheren Preise angestiegenen Gewinne und teils durch einen Abbau der Lagerbestände aufgrund der höheren Preise. Insoweit als das Gleichgewicht durch einen Konsumaufschub wiederhergestellt wird, verringern sich vorübergehend die marginale Konsumneigung und damit der Multiplikator selbst. Und insoweit als es zu einem Abbau der Lagerbestände kommt, ist der Anstieg der Gesamtinvestitionen zunächst geringer als die Investitionszunahme in der Kapitalgüterindustrie – d. h. die Größe, auf die der Multiplikator angewandt wird, nimmt nicht um den gleichen Betrag zu wie die Investitionen in der Kapitalgüterindustrie. Im Laufe der Zeit aber passen sich die Konsumgüterhersteller an die neue Nachfragesituation an. Wenn nun der zunächst aufgeschobene Konsum nachgeholt wird, steigt die marginale Konsumneigung zeitweilig über ihr normales Niveau und schafft damit einen Ausgleich für die Zeit, während der sie darunter lag, um schließlich auf ihre normale Höhe zurückzufallen. Die Wiederaufstockung der Lagerbestände auf ihr normales Niveau wiederum lässt das Wachstum der Gesamtinvestitionen zeitweilig auf einen Stand über dem Zuwachs in der Kapitalgüterindustrie steigen (wobei der der höheren Produktion entsprechende Zuwachs an Betriebsmitteln vorübergehend denselben Effekt hat). Die Tatsache, dass unvorhergesehene Veränderungen erst nach einiger Zeit voll auf die Beschäftigung durchschlagen, ist in bestimmten Zusammenhängen entscheidend – vor allem spielt sie bei der Analyse der Konjunkturzyklen (wie ich sie etwa in Vom Gelde vornahm) eine Rolle. Doch schränkt sie keinesfalls die Bedeutung der in diesem Kapitel dargestellten Theorie des Multiplikators ein. Genauso wenig stellt sie dessen Verwendung als Indikator für die Beschäftigungseffekte in Frage, die infolge einer Expansion in der Kapitalgüterindustrie zu erwarten sind. Außer wenn die Konsumgüterindustrie beinahe an der Kapazitätsgrenze produziert, so dass eine Produktionserhöhung zusätzliche Produktionsanlagen und nicht bloß eine bessere Auslastung der vorhandenen Anlagen erforderlich macht, besteht kein Grund zur Annahme, dass viel Zeit vergehen muss, bevor die Beschäftigung in der Konsumgüterindustrie sich parallel zur Beschäftigung in der Kapitalgüterindustrie entwickelt und die Wirkung des Multiplikators sich ihrem Normalmaß annähert.
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Buch III: Die Konsumneigung
V. Je größer die marginale Konsumneigung, desto größer ist, wie wir gesehen haben, auch der Multiplikator und damit die Veränderung der Beschäftigung infolge einer bestimmten Veränderung bei den Investitionen. Dies könnte zu der paradoxen Folgerung verleiten, dass eine arme Gesellschaft, in der nur ein kleiner Teil des Einkommens gespart wird, stärkeren Schwankungen ausgesetzt ist als eine wohlhabende Gesellschaft, in der eine größerer Teil des Einkommens gespart wird und wo der Multiplikator somit kleiner ist. Bei dieser Schlussfolgerung wird jedoch der Unterschied zwischen der marginalen und der durchschnittlichen Konsumneigung übersehen. Denn während eine hohe marginale Konsumneigung eine größere relative Wirkung einer gegebenen prozentualen Veränderung bei den Investitionen zur Folge hat, wird der absolute Effekt doch klein sein, wenn die durchschnittliche Konsumneigung ebenfalls hoch ist. Dies lässt sich durch ein Rechenbeispiel illustrieren: Gehen wir von einer Konsumneigung aus, wonach die Bevölkerung ihr gesamtes Einkommen für Konsum ausgibt, solange das Realkommen nicht größer ist als der Output von 5.000.000 Beschäftigten mit gegebenem Sachkapital. Von dem Einkommen, das durch die Einstellung 100.000 zusätzlicher Arbeitskräfte entsteht, verwendet sie 99 % für Konsum; bei den nächsten 100.000 Arbeitskräften 98 %, bei den dritten 100.000 dann 97 % und so weiter. Gehen wir weiter davon aus, dass bei 10.000.000 Beschäftigten Vollbeschäftigung erreicht ist. Daraus folgt, dass bei einer Beschäftigtenzahl von 5.000.000 + n · 100.000 der Grenzwert des Multiplikators 100 beträgt n n (n + 1) und dass % des Nationaleinkommens investiert werden. 2(50 + n) Bei 5.200.000 Beschäftigten ist der Multiplikator mit einem Wert von 50 somit sehr groß, aber die Investitionen machen nur einen winzigen Teil des laufenden Einkommens aus, nämlich 0,06 %. Infolgedessen wird bei einem starken Rückgang der Investitionen, beispielsweise um zwei Drittel, die Beschäftigung nur auf 5.100.000 sinken, d. h. um 2 %. Demgegenüber ist bei 9.000.000 Beschäftigten der marginale Multiplikator mit einem Wert von 2,5 relativ klein, die Investitionen stellen allerdings einen beträchtlichen Teil des laufenden Einkommens dar, nämlich 9 %. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigtenzahl bei einem Rückgang der Investitionen um zwei Drittel auf 6.900.000 fällt, also um 19 %. Im Extremfall, in dem die Investitionen auf null fallen, geht die Beschäftigung im ersten Fall um 4 % zurück und im zweiten um 44 %.6 6 Das Volumen der Investitionen wird hier durch die Zahl der Arbeiter gemessen, die für ihre Erzeugung beschäftigt sind. Wenn also mit zunehmender Beschäftigung
Kap. 10: Die marginale Konsumneigung und der Multiplikator115
In diesem Rechenbeispiel ist die Armut der ärmeren der beiden Vergleichspopulationen in Unterbeschäftigung begründet. Aber die Argumentation lässt sich ohne weiteres auch auf Armut infolge von minderer Qualifikation, Technik oder Ausstattung anwenden. Während also der Multiplikator in einer armen Gesellschaft größer ist, sind in einer wohlhabenden Gesellschaft die Auswirkungen von Schwankungen bei den Investitionen viel stärker, jedenfalls unter der Annahme, dass in letzterer die laufenden Investitionen einen weitaus größeren Anteil der laufenden Produktion ausmachen.7 Aus all dem geht außerdem eindeutig hervor, dass die Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Arbeitskräften in öffentlichen Bauprojekten (unter den gleichen Annahmen) in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit viel stärkere Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung hat als zu einem späteren Zeitpunkt, wenn Vollbeschäftigung in Reichweite rückt. Wenn in obigem Rechenbeispiel die Beschäftigung nur mehr 5.200.000 beträgt und dann 100.000 Beschäftigte für öffentliche Bauprojekte eingestellt werden, wird die Gesamtbeschäftigung auf 6.400.000 steigen. Wenn aber die Beschäftigtenzahl bereits bei 9.000.000 liegt, wird durch die zusätzliche Einstellung von 100.000 Beschäftigten die Gesamtbeschäftigung nur auf 9.200.000 steigen. Daher finanzieren sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sogar öffentliche Bauprojekte von zweifelhaftem Nutzen selbst – und sei es auch nur durch die geringeren Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung –, sofern wir davon ausgehen können, dass bei höherer Arbeitslosigkeit ein kleinerer Teil des Einkommens gespart wird. Wenn Vollbeschäftigung in Aussicht steht, werden solche Projekte jedoch tatsächlich zweifelhafter. Wenn des Weiteren die Annahme zutrifft, dass die marginale Konsumneigung mit zunehmender Beschäftigung kontinuierlich sinkt, wird es folglich immer schwieriger, durch zusätzliche Investitionen die Beschäftigung noch weiter anzuheben. die zusätzliche Produktion pro Beschäftigungseinheit abnimmt, entspricht die so gemessene doppelte Menge an Investitionen physisch gesehen (sofern es ein Maß für die physische Menge gibt) weniger als dem Doppelten. 7 Allgemein ausgedrückt ist das Verhältnis zwischen der anteiligen Veränderung der Gesamtnachfrage und der anteiligen Veränderung der Investitionen DY 1- C Y = DY · Y - C = Y . Y DY - DC 1 - dC DI I dY dC Mit zunehmendem Wohlstand verringern sich , aber auch C . Der Quotient dY Y nimmt somit zu oder ab, je nachdem, ob der Konsum in einem höheren oder in einem geringeren Maß als das Einkommen zu- oder abnimmt. =
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Buch III: Die Konsumneigung
Es sollte nicht allzu schwer sein, mithilfe von Statistiken in Form von Zeitreihen (sofern vorhanden) über Gesamteinkommen und ‑investitionen die marginale Konsumneigung in jeder Phase eines Konjunkturzyklus graphisch darzustellen. Gegenwärtig sind unsere Statistiken jedoch nicht genau genug (oder nicht ausreichend auf diese spezielle Frage zugeschnitten), um mehr als nur ungefähre Schätzungen abgeben zu können. Soweit mir bekannt, sind Kuznets’ bereits auf Seite 98 aufgeführten Angaben für die USA die besten für diesen Zweck verfügbaren, obgleich auch sie durchaus heikel sind. In Verbindung mit den Schätzungen des Nationaleinkommens lassen diese Zahlen, soweit sie zutreffen, auf einen niedrigeren wie auch stabileren Wert des Investitionsmultiplikators schließen, als ich erwartet hätte. Werden einzelne Jahre isoliert betrachtet, wirken die Ergebnisse ziemlich erratisch. Nimmt man jedoch die Zahlen für Zweijahreszeiträume zusammen, scheint der Multiplikator unter 3 und wahrscheinlich recht konstant um 2,5 herum zu liegen. Dies deutet auf eine marginale Konsumneigung von höchstens 60 oder 70 % hin – was für eine Hochkonjunktur recht plausibel sein mag, aber für eine Rezession überraschend und meiner Einschätzung nach unwahrscheinlich niedrig ist. Möglich ist immerhin, dass die selbst während eines Konjunkturabschwungs extrem konservative Unternehmensfinanzierung in den USA dafür verantwortlich ist. Mit anderen Worten, wenn bei stark rückläufigen Investitionen aufgrund von unterlassener Instandhaltung und Wiederbeschaffung gleichwohl finanzielle Rückstellungen für eine derartige Abnutzung vorgenommen werden, verhindert dies im Effekt den sonst zu erwartenden Anstieg der marginalen Konsumneigung. Ich vermute, dass diese Tatsache ent scheidend zur Verschlimmerung des jüngsten Konjunktureinbruchs in den Vereinigten Staaten beigetragen hat. Allerdings kann es sein, dass die Statistiken den Rückgang der Investitionen übertrieben darstellen, die 1932 um mehr als 75 % unter den Stand von 1929 gefallen sein sollen, während die „Kapitalbildung“ netto um mehr 95 % abnahm. Eine geringe Veränderung dieser Schätzungen hätte dabei erhebliche Auswirkungen auf den Multiplikator. VI. Kommt es zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, ist das Grenzleid der Arbeit zwangsläufig kleiner als der Nutzen des Grenzprodukts. Es kann sogar deutlich geringer sein. Für jemanden, der lange arbeitslos war, dürfte ein gewisses Maß an Arbeit mehr Nutzen als Leid bedeuten. Wenn dies als unstrittig gelten kann, zeigt die obige Argumentation, wie „verschwenderische“ kreditfinanzierte Ausgaben8 unterm Strich die Gesellschaft doch be8 Es empfiehlt sich zumeist, unter den Begriff „kreditfinanzierte Ausgaben“ sowohl öffentliche Investitionen, die durch Anleihen bei Bürgern finanziert werden, als
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reichern können. Der Bau von Pyramiden, Erdbeben und selbst Kriege können dazu beitragen, den Wohlstand zu mehren, wenn denn die Ausbildung unserer Politiker in den Grundsätzen der klassischen Ökonomie sinnvolleren Maßnahmen im Weg steht. Es ist eigenartig, wie der gesunde Menschenverstand in seinem Bemühen, sich aus absurden Schlussfolgerung herauszuwinden, geneigt ist, völlig „verschwenderische“ Formen der kreditfinanzierten Ausgaben den teilweise unwirtschaftlichen Formen vorziehen, die, eben weil sie nicht vollkommen sinnlos sind, eher nach streng „betriebswirtschaftlichen“ Grundsätzen beurteilt werden. So wird etwa eine schuldenfinanzierte Arbeitslosenunterstützung bereitwilliger akzeptiert als die Finanzierung öffentlicher Investitionen zu Kosten unterhalb des Marktzinses. Und die als Goldgewinnung bekannte Maßnahme, Löcher in den Boden zu graben, die nicht nur keinerlei Beitrag zum realen Wohlstand der Welt leistet, sondern darüber hinaus auch mit Arbeitsleid einhergeht, erscheint als die annehmbarste aller Lösungen. Würde das Finanzministerium alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie tief genug in stillgelegten Kohlebergwerken vergraben, diese dann bis zum Rand mit Müll auffüllen und anschließend gemäß den bewährten Grundsätzen des Laissez-faire das Ausgraben der Banknoten privaten Firmen überlassen (die natürlich das Recht dazu durch die Teilnahme an Ausschreibungen über Pachtverträge für die banknotenbestückten Grundstücke erwerben müssten), müsste es keine Arbeitslosigkeit mehr geben. Und dank der Folge entwicklung wäre das Realeinkommen der Bevölkerung ebenso wie ihr Kapitalvermögen vermutlich deutlich größer als sonst. Es wäre selbstredend vernünftiger, Häuser und dergleichen zu bauen, aber wenn politische und praktische Hindernisse dem im Weg stehen, wäre das Vorstehende besser als nichts. Die Analogie zwischen diesem Notbehelf und der realen Welt ist perfekt. In Zeiten, in denen Gold in bequemer Tiefe in der Erde vorhanden ist, nimmt erfahrungsgemäß der reale Wohlstand in der Welt rapide zu. Lässt sich aber auf diese Weise nur wenig gewinnen, stagniert oder schrumpft unser Wohlstand. Aus diesem Grund sind Goldminen so wertvoll und wichtig für die Zivilisation. So wie Kriege die einzige Form umfangreicher kreditfinanzierter Ausgaben sind, die die Staatsmänner für vertretbar halten, auch andere solchermaßen finanzierte laufende Ausgaben zu subsummieren. Genau genommen sollten letztere als negative Ersparnisse betrachtet werden, doch werden solche staatlichen Maßnahmen nicht von der gleichen Art psychologischer Motive beeinflusst, welche die privaten Ersparnisse bestimmen. „Kreditfinanzierte Ausgaben“ ist somit ein bequemer Begriff für die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand, sei es für die Kapitalbilanz, sei es zur Begleichung eines Haushaltsdefizits. Die eine Form von „kreditfinanzierten Ausgaben“ ist durch eine Zunahme der Investitionen wirksam und die andere durch eine Erhöhung der Konsumneigung.
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Buch III: Die Konsumneigung
ist der Goldbergbau der einzige Vorwand, Löcher in den Boden zu graben, den Bankiers für finanziell empfehlenswert erachten. Beide Aktivitäten haben zum Fortschritt beigetragen – mangels besserer Alternativen. Dass in Rezessionen der Goldpreis, gemessen in Arbeitseinheiten und Materialeinsatz, zu steigen pflegt, leistet, um nur ein Detail anzuführen, allein schon deswegen einen Beitrag zur Konjunkturerholung, weil dadurch der Abbau in immer größeren Tiefen und von Erzen mit immer geringerem Goldgehalt rentabel wird. Über die wahrscheinlichen Auswirkungen des größeren Goldangebots auf den Zinssatz hinaus sind Goldminen aus zwei Gründen eine höchst zweckmäßige Art von Investitionen, wenn eine Beschäftigungsförderung durch Maßnahmen, die zugleich auch den verwertbaren Reichtum mehren würden, nicht in Frage kommt. Erstens werden sie wegen ihres Glückspielcharakters auch ohne Rücksicht auf den aktuellen Zinssatz vorgenommen. Zweitens führt das Ergebnis, nämlich die höheren Goldbestände, im Gegensatz zu anderen Investitionen nicht zu einem Absinken des Grenznutzens. Da der Wert eines Hauses von seinem Nutzen abhängt, trägt jedes neugebaute Haus dazu bei, die durch den Bau weiterer Häuser zu erzielenden Mieteinnahmen zu verringern. Dies lässt weitere derartige Investitionen unattraktiver werden, es sei denn, der Zinssatz fällt parallel dazu. Aber die Früchte des Goldbergbaus haben nicht diesen Nachteil. Rückschläge kann es nur durch einen Anstieg der Lohneinheit relativ zu Gold geben, was allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist, solange die Beschäftigungslage sich nicht spürbar gebessert hat. Anders als bei weniger dauerhaften Vermögensarten ergeben sich überdies anschließend keine entgegengesetzten Effekte, die aus der Vorsorge für Nutzungs- und Zusatzkosten resultieren. Das alte Ägypten hatte in zweifacher Hinsicht Glück und verdankte diesem Umstand zweifellos seinen sagenhaften Reichtum: Mit dem Pyramidenbau und der Suche nach Edelmetallen übte es zwei Tätigkeiten aus, deren Früchte, die ja nicht zur Bedürfnisbefriedigung konsumiert werden konnten, auch mit wachsender Menge nicht schal wurden. Nun sind zwei Pyramiden oder zwei Totenmessen sicher doppelt so gut wie eine, doch für zwei Eisenbahnlinien von London nach York gilt das nicht. Wir sind daher vernünftig genug und haben uns hinreichend darin geübt, den Anschein umsichtiger Finanzierung zu erwecken, dass wir erst zweimal darüber nachdenken, bevor wir die „finanziellen“ Lasten unserer Nachfahren vergrößern, indem wir ihnen Wohnhäuser bauen. Und darum steht uns kein so einfacher Ausweg aus dem Elend der Arbeitslosigkeit zu Verfügung. Wir müssen also mit ihr leben, als unvermeidliches Ergebnis der Grundsätze unseres staatlichen Handelns – Grundsätze, welche die Bürger „reicher“ machen sollen, indem ihnen die Anhäufung von Genussansprüchen ermöglicht wird, die sie in absehbarer Zeit gar nicht einzulösen gedenken.
BUCH IV
Der Anreiz zur Investition
Kapitel 11
Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals I. Durch eine Investition oder den Kauf einer Kapitalanlage (capital-asset) erwirbt man das Recht auf eine Abfolge zukünftiger Erträge, die man während der Lebensdauer dieser Anlagen durch den Verkauf ihrer Produkte nach Abzug der dafür anfallenden laufenden Kosten zu erzielen erwartet. Diese Reihe von Quasirenten Q1, Q2 … Qn lässt sich sinnvollerweise als voraussichtlicher Ertrag der Investition bezeichnen. Dem voraussichtlichen Ertrag der Investition steht der Angebotspreis der Kapitalanlage gegenüber. Damit ist nicht der Marktpreis gemeint, zu dem diese tatsächlich auf dem Markt erworben werden kann, sondern der Preis, der einen Produzenten gerade noch veranlasst, eine weitere Einheit derartiger Vermögensgüter bereitzustellen – manchmal auch Wiederbeschaffungswert genannt. Das Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Ertrag einer Kapitalanlage und ihrem Angebotspreis bzw. seiner Wiederbeschaffungskosten, also das Verhältnis zwischen dem künftigen Ertrag einer weiteren Einheit der fraglichen Kapitalanlage und den bei ihrer Herstellung anfallenden Kosten, liefert uns die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals der jeweiligen Art. Genauer gesagt entspricht die von mir so definierte Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals genau dem Diskontsatz, durch den der Gegenwartswert der gesamten Quasirenten, die sich über die Lebensdauer der Kapitalanlage hinweg erzielen lassen, gleich seinem Angebotspreis würde. Dadurch erhalten wir die jeweilige Grenzleistungsfähigkeit verschiedener Arten von Kapitalanlagen. Der höchste auf diese Weise errechnete Wert kann als die allgemeine Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gelten. Es sei darauf hingewiesen, dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hier unter den Gesichtspunkten der Erwartung von Erträgen und des aktuellen Angebotspreises der Kapitalanlage definiert wird. Sie ist abhängig von der Ertragsrate, die bei einer Investition in einen neu hergestellten Vermögenswert erwartet werden kann, und nicht vom historischen Ergebnis, das eine Investition zu ihren ursprünglichen Kosten rückblickend am Ende ihrer Lebensdauer erbracht hat.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Werden in einem beliebigen Zeitraum die Investitionen in eine beliebige Art von Kapital erhöht, nimmt dessen Grenzleistungsfähigkeit in dem Maße ab, in dem die Investitionen zunehmen. Dies liegt teils am Rückgang des voraussichtlichen Ertrags bei zunehmendem Angebot an dieser Kapitalart und teils am höheren Angebotspreis, da dieser in der Regel bei höherer Auslastung der Anlagen zur Produktion dieser Ausrüstungsgüter steigt. Der zweite dieser Faktoren ist üblicherweise wichtiger für die Herstellung eines kurzfristigen Gleichgewichts, aber je länger die Investitionszeiträume sind, umso stärker kommt der erste Faktor zum Tragen. Wir können somit für jede Art von Kapital durch eine Kurve abbilden, wie stark die Investitionen in dieses Kapital im fraglichen Zeitraum steigen müssen, damit dessen Grenzleistungsfähigkeit auf einen bestimmten Wert fällt. Anschließend können wir diese Kurven für alle Arten von Kapital in eine einzige Kurve zusammenfassen, welche die Gesamtinvestitionen ins Verhältnis zur entsprechenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Allgemeinen setzt, die sich aus dieser Investitionshöhe ergibt. Dies bezeichnen wir als Nachfragekurve für Investitionen oder alternativ dazu als Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Nun wird die tatsächliche Quote laufender Investitionen eindeutig bis zu dem Punkt vorangetrieben, an dem es keinerlei Kapitalanlagen mehr gibt mit einer Grenzleistungsfähigkeit über dem aktuellen Zinssatz. Die Investitionsquote steigt bis mit anderen Worten auf den Punkt auf der Investitionsnachfragekurve, an dem die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Allgemeinen gleich dem Marktzins ist.1 Das Gleiche kann auch wie folgt ausgedrückt werden: Wenn Qr der voraussichtliche Ertrag eines Vermögenswerts zum Zeitpunkt r ist und dr der Gegenwartswert von 1 £, das r Jahre zum aktuellen Zinssatz diskontiert wird, dann ist ΣQr dr der Nachfragepreis des Investitionsprojektes. Investitionen werden dann bis zu dem Punkt steigen, an dem ΣQr dr gleich dem wie oben definierten Angebotspreis der Investition ist. Wenn hingegen ΣQr dr unterhalb des Angebotspreises bleibt, werden keine Investitionen in den fraglichen Vermögenswert stattfinden. Daraus folgt, dass der Anreiz zu investieren teils von der Investitionsnachfragekurve und teils vom Zinssatz abhängt. Es wird erst am Ende von Buch IV möglich sein, sich ein umfassendes Bild der Faktoren zu machen, welche die Investitionen in ihrer ganzen Komplexität determinieren. Ich möchte den1 Zur Vereinfachung der Darstellung gehe ich darüber hinweg, dass wir es mit verschiedenen Zins- und Diskontierungssätzen zu tun haben, je nachdem, wieviel Zeit verstreicht, bis die Kapitalanlage ihre jeweiligen Erträge abwirft. Es wäre jedoch problemlos möglich, die die Darstellung so umzuformulieren, dass sie auch diesen Punkt abdeckt.
Kap. 11: Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals123
noch die Leser bitten, schon jetzt zu beachten, dass uns weder die Kenntnis des voraussichtlichen Ertrags eines Vermögenswerts noch die Kenntnis von dessen Grenzleistungsfähigkeit erlaubt, daraus auf seinen Gegenwartswert oder den Zinssatz zu schließen. Wir müssen den Zinssatz aus einer anderen Quelle ableiten, und erst dann können wir den Vermögenswert bewerten, indem wir seinen voraussichtlichen Ertrag „kapitalisieren“. II. Wie verhält sich diese Definition der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zum üblichen Gebrauch dieses Begriffs? Grenzproduktivität, Grenzertrag, Grenzleistungsfähigkeit oder Grenznutzen des Kapitals sind vertraute Begriffe, die wir alle häufig gebrauchen. Gleichwohl ist es bei der Durchsicht der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur nicht einfach, klare Aussagen darüber zu finden, was Ökonomen mit diesen Begriffen normalerweise meinen. Es müssen dabei wenigstens drei Unklarheiten beseitigt werden. Zum einen ist unklar, ob wir es mit einem Zuwachs pro Zeiteinheit der physischen Produktmenge infolge des Einsatzes einer zusätzlichen physischen Einheit an Kapital zu tun haben oder aber mit einem Wertzuwachs durch eine zusätzliche Werteinheit an Kapital. Im ersten Fall besteht das Problem der Messung einer physischen Einheit an Kapital, das ich für sowohl unlösbar als auch unnötig halte. Man kann natürlich sagen, dass zehn Arbeiter auf einer gegebenen Fläche mehr Weizen ernten, wenn sie über bestimmte zusätzliche Maschinen verfügen. Aber mir ist keine Methode bekannt, wie sich dies ohne Bezug auf Werte auf ein vernünftiges arithmetisches Verhältnis herunterbrechen lässt. Dessen ungeachtet scheinen sich viele Abhandlungen über diese Frage mit der wie immer gearteten physischen Produktivität des Kapitals zu befassen, obwohl die Autoren dies nicht deutlich machen. Zum zweiten stellt sich die Frage, ob die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals eine absolute Größe oder aber eine Verhältniszahl ist. Die Zusammenhänge, in denen der Begriff auftaucht, und die Angewohnheit, ihn als ein dem Zinssatz vergleichbares Maß zu nehmen, deutet in Richtung einer Verhältniszahl. Allerdings bleibt zumeist unklar, welche beiden Größen miteinander ins Verhältnis gesetzt werden sollen. Und schließlich wäre da noch die Unterscheidung – deren Vernachlässigung die Hauptursache von Verwirrung und Missverständnissen ist – zwischen dem zusätzlichen Wert, der durch den Einsatz einer zusätzlichen Kapitaleinheit in der aktuellen Situation erzeugt werden kann, und der Reihe von Mehrerträgen, die über die gesamte Lebensdauer dieser zusätz lichen Kapitaleinheit zu erwarten sind – d. h. die Unterscheidung zwischen
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Q1 und der vollständigen Reihe Q1, Q2 … Qr … Dies wirft die große Frage des Platzes auf, den die Erwartung in der ökonomischen Theorie innehat. Die meisten Debatten über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals scheinen außer Q1 keinem weiteren Glied der Kette Beachtung zu schenken. Dabei wäre dies allenfalls zulässig in einer statischen Theorie, in der alle Q gleich sind. Die übliche Verteilungstheorie, der zufolge das Kapital seine Grenzproduktivität gewissermaßen zum jetzigen Zeitpunkt erreicht, ist nur in einem stationären Zustand gültig. Der aktuelle Gesamtertrag des Kapitals steht in keinem direkten Bezug zu seiner Grenzleistungsfähigkeit, während sein aktueller Grenzertrag (d. h. der Kapitalertrag, der in den Angebotspreis der Produkte eingeht) gleich seinen Grenznutzungskosten ist, die ebenfalls in keinem engen Zusammenhang zu seiner Grenzleistungsfähigkeit stehen. Wie gesagt, es herrscht ein bemerkenswerter Mangel an eindeutigen Erklärungen dieses Problems. Gleichzeitig denke ich, dass meine oben dargelegte Definition recht nah an dem ist, was Marshall mit dem Begriff meinte. Marshall selbst verwendete den Ausdruck „Nettogrenzleistungsfähigkeit“ eines Produktionsfaktors oder alternativ dazu „Grenznutzen des Kapitals“. Das Folgende ist eine Zusammenfassung der relevantesten Textstelle, die ich dazu in seinen Principles of Economics (6. Auflage, S. 519 f.) finden konnte. Ich habe einige im Original nicht aufeinanderfolgende Sätze miteinander verbunden, um die Quintessenz seiner Ausführungen herauszuarbeiten: In einer bestimmten Fabrik können zusätzliche Maschinen im Wert von 100 £ so eingesetzt werden, dass dabei keine weitere Kosten anfallen und dass nach Abzug ihrer Abnutzung pro Jahr ein Wert von 3 £ zum Nettoausstoß der Fabrik hinzugefügt wird. Wenn die Investoren nun Kapital in jede Tätigkeit stecken, die einen hohen Gewinn verspricht, und wenn sich danach, nachdem ein Gleichgewicht gefunden wurde, der Einsatz dieser Maschinen immer noch gerade so lohnt, können wir daraus ableiten, dass der jährliche Zinssatz 3 % beträgt. Derartige Darstellungen bilden jedoch die Wirkung der umfassenden Ursachen, die den Wert bestimmen, nur teilweise ab. Sie können genauso wenig zu einer Theorie des Zinses wie zu einer Theorie der Löhne weiterentwickelt werden, ohne dabei einen Zirkelschluss vorzunehmen … Angenommen, der Zinssatz für absolut sichere Wertpapiere liegt bei 3 % pro Jahr und das Hutmachergewerbe binde ein Kapital von einer Million Pfund. Dies impliziert, dass das Hutmachergewerbe das gesamte Kapital im Wert von einer Million Pfund so gewinnbringend einsetzen kann, dass es lieber 3 % netto pro Jahr für seine Nutzung zahlt als darauf zu verzichten. Es mag Maschinen geben, auf die das Gewerbe nicht einmal bei einem jährlichen Zinssatz von 20 % verzichtet hätte. Bei 10 % wären mehr davon eingesetzt worden, bei 6 % noch mehr und noch mehr bei 4 %. Und zum tatsächlichen Zinssatz von 3 % nutzen sie noch mehr. Ist diese Menge erreicht, wird der Grenznutzen der Maschinen, d. h. der Nutzen der Maschinen, deren Einsatz sich gerade noch lohnt, mit 3 % angegeben.
Marshall war sich, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, sehr wohl darüber bewusst, dass wir beim Versuch, den tatsächlichen Zinssatz auf diese
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Weise zu bestimmen, in einen Zirkelschluss geraten würden.2 In dieser Textstelle scheint er die oben ausgeführte Auffassung zu akzeptieren, wonach der Punkt auf einer gegebenen Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, bis zu dem Neuinvestitionen durchgeführt werden, durch den Zinssatz bestimmt wird. Bei einem Zinssatz von 3 % würde demnach niemand 100 £ für eine Maschine zahlen, wenn er nicht eine Erhöhung seines jährlichen Nettoausstoßes um 3 £ nach Betriebskosten und Abschreibungen erwartet. Wir werden jedoch in Kapitel 14 sehen, dass Marshall an anderen Stellen weniger vorsichtig war, obwohl er doch stets zurückwich, wenn ihn seine Argumentation auf schwankenden Boden führte. Auch wenn er nicht von der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ spricht, hat Irving Fisher in seiner im Jahre 1930 erschienen Theory of Interest eine Definition der von ihm so genannten „Ertrags-Kosten-Relation“ (rate of return over costs) vorgeschlagen, die mit meiner Definition übereinstimmt. „Ertrags-Kosten-Relation“ heißt es bei ihm, „ist derjenige Diskontierungssatz, welcher, wird damit der Gegenwartswert aller Kosten und den Gegenwartswert aller Erträge berechnet, diese beiden Größen gleich werden lässt“.3 Fisher zufolge hängt der Umfang jedweder Investition von einem Vergleich der Ertrags-Kosten-Relation und dem Zinssatz ab. Um einen Anreiz für Neuinvestitionen zu geben, „muss die Ertrags-Kosten-Relation höher sein als der Zinssatz“.4 „Diese neue Größe (oder der Faktor) in unserer Untersuchung spielt die entscheidende Rolle für die mit Investitionsgelegenheiten befassten Aspekten der Zinstheorie.“5 Fisher verwendet also seine „Ertrags-Kosten-Rela tion“ im gleichen Sinne und zu genau dem gleichen Zweck, wie ich die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ benutze. III. Die schlimmste Verwirrung in Hinblick auf Bedeutung und Stellenwert der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals resultiert aus dem fehlenden Verständnis dafür, dass sie sich aus dem voraussichtlichen und nicht bloß dem aktuellen Ertrag des Kapitals ableitet. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich den Effekt vor Augen führt, den erwartete Veränderungen der voraussichtlichen Produktionskosten auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals haben, gleichgültig, ob diese Veränderungen von veränderten Arbeitskosten, d. h. Veränderungen der Lohneinheit, oder von Erfindungen und 2 Doch irrte er sich nicht in der Annahme, dass die Theorie der Grenzproduktivität der Löhne ebenso zirkulär sei? 3 Op. cit. S. 168. 4 Op. cit. S. 159. 5 Op. cit. S. 155.
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neuen Technologien herrühren. Der zum jetzigen Zeitpunkt mit den vorhandenen Ausrüstungsgütern produzierte Output muss während seiner Lebensdauer mit dem Output konkurrieren, der mithilfe später hergestellter Ausrüstungsgüter erzeugt wird. Diese wurden vielleicht mit geringeren Arbeitskosten oder mittels verbesserter Techniken hergestellt, wodurch sich der Output verbilligt. Ihre Menge wird daher zunehmen, bis das durch diese Ausrüstungsgüter möglich gewordene niedrigere Preisniveau des Outputs erreicht ist. Darüber hinaus wird Unternehmer mit den Ausrüstungsgütern, seien sie alt oder neu, geringere (in Geld gemessene) Gewinne erzielen, wenn sich die gesamte Produktion erst einmal verbilligt hat. Insofern als derartige Entwicklungen als wahrscheinlich oder auch nur als möglich angesehen werden, verringert sich die Grenzleistungsfähigkeit des zum jetzigen Zeitpunkt erzeugten Kapitals entsprechend. Dies ist der Faktor, durch den die Erwartung einer Veränderung des Geldwerts das aktuelle Produktionsniveau beeinflusst. Die Erwartung eines fallenden Geldwerts regt Investitionen an und in der Folge ganz allgemein die Beschäftigung, weil sie die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, d. h. die Investitionsnachfragekurve, erhöht. Die Erwartung eines Geldwertanstiegs wiederum wirkt hemmend, denn sie senkt die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Das ist die eigentliche Aussage von Irving Fishers Theorie, die er ursprünglich als „Wertzuwachs und Zins“ (Appreciation and Interest) bezeichnete: die Unterscheidung zwischen dem nominalen und dem realen Zinssatz, wobei letzterer gleich dem ersteren nach Berichtigung hinsichtlich der Geldwertveränderungen ist. Die Theorie in dieser Form ist nicht leicht zu verstehen, weil unklar ist, ob die Geldwertveränderung als vorhersehbar angesehen wird oder nicht. Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma, dass eine nicht vorhergesehene Veränderung folgenlos für die laufenden Geschäfte bleibt, während bei einer vorhergesehenen Änderung die Preise der vorhandenen Waren umgehend so angepasst werden, dass sich die Vorteile, Geld oder Güter zu halten, ausgleichen. Für die Besitzer von Geld ist es dann zu spät, um durch die Veränderung des Zinssatzes Gewinne oder Verluste zu realisieren, die die mögliche Wertänderung des verliehenen Geldes während der Darlehenslaufzeit aufwiegen. Denn auch die Annahme, mit der sich Pigou behilft, dass die zukünftige Geldwertveränderung von einigen Personen vorhergesehen wird und von anderen nicht, bietet keinen Ausweg aus dem Dilemma. Der Fehler liegt in der Annahme, potenzielle Veränderungen des Geldwerts würden sich unmittelbar auf den Zinssatz auswirken statt auf die Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalstocks. Die Preise vorhandener Vermögensgüter passen sich stets den Änderungen der Erwartung über den zukünftigen Geldwert an. Die Bedeutung solcher Erwartungsände-
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rungen besteht darin, dass sie sich durch ihre Rückwirkungen auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auch auf die Bereitschaft zur Produktion neuer Vermögensgüter auswirken. Dass die Erwartung höherer Preise die Konjunktur belebt, liegt nicht etwa daran, dass sie für höhere Zinsen sorgt (dies wäre insofern eine paradoxe Art der Produktionsförderung, als die Zinserhöhung die Konjunkturbelebung konterkariert). Der Grund ist vielmehr, dass sie die Grenzleistungsfähigkeit des jeweiligen Kapitalstocks erhöht. Wenn der Zinssatz im gleichen Maße wie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals steigen würde, dann gäbe es keine Konjunkturbelebung infolge der Erwartung steigender Preise. Denn die Belebung der Produktion beruht darauf, dass die Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalstocks relativ zum Zinssatz steigt. Fishers Theorie könnte in der Tat am besten im Sinne eines „realen Zinssatzes“ umformuliert werden. Dieser lässt sich als der Zinssatz definieren, der nach einer Veränderung der Erwartungen über den künftigen Geldwert gelten müsste, damit sich diese Veränderung nicht auf die aktuelle Produktion auswirkt.6 Es ist festzuhalten, dass die Erwartung rückläufiger Zinsen zu einer Absenkung der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals führt. Denn sie läuft darauf hinaus, dass die mit aktuellen Ausrüstungsgütern erzeugten Güter zumindest während eines Teils ihrer Lebensdauer mit Gütern konkurrieren müssen, die mit auch bei einem geringeren Ertrag noch rentablen Ausrüstungsgütern hergestellt wurden. Diese Erwartung wirkt sich nicht als nennenswertes Hemmnis aus, da sich die Erwartungen hinsichtlich der verschiedenen zukünftigen Zinssätze für unterschiedliche Laufzeiten bereits teilweise in den aktuell geltenden Zinssätzen widerspiegeln. Gleichwohl sind gewisse nachteilige Effekte möglich, weil die mit kurz vor dem Ende ihrer Lebensdauer stehenden Ausrüstungsgüter erzeugten Produkte womöglich mit einem Output in Wettbewerb treten, das mit viel neueren Ausrüstungsgütern hergestellt wurde, welche wegen eines möglicherweise niedrigeren Zinssatzes nach dem Ende der Lebensdauer der heutigen Ausrüstungsgüter mit geringeren Erträgen auskommen. Wichtig ist, sich der Abhängigkeit der Grenzleistungsfähigkeit eines gegebenen Kapitalstocks von Erwartungsänderungen bewusst zu werden, weil vor allem diese Abhängigkeit die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals recht heftigen Schwankungen unterwirft, die eine Erklärung für den Konjunkturzyklus darstellen. In Kapitel 22 werden wir zeigen, dass sich die Aufeinanderfolge von Auf- und Abschwung mithilfe der Schwankungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals relativ zum Zinssatz beschreiben und analysieren lässt. 6 Vgl. Robertsons Artikel über „Industrial Fluctuations and the Natural Rate of Interest“, Economic Journal, Dezember 1934.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
IV. Zwei Arten von Risiken beeinflussen das Investitionsvolumen, zwischen denen bislang kaum differenziert wurde, obwohl ihre Unterscheidung von großer Bedeutung ist. Zum einen ist da das Risiko des Unternehmers oder Kreditnehmers, das sich aus seinen eigenen Zweifeln darüber ergibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit er den erhofften Ertrag in Zukunft tatsächlich erzielt. Für jemanden, der sein eigenes Geld einsetzt, ist das das einzig entscheidende Risiko. Wo jedoch ein System von Anleihe- und Darlehensgeschäften besteht, womit ich die Kreditvergabe mit einem gewissen Maß an persönlichen oder Realsicherheiten meine, ist eine zweite Art von Risiko relevant, die man als Gläubigerrisiko bezeichnen kann. Dieses ist entweder auf opportunistisches Fehlverhalten (moral hazard) zurückzuführen, d. h. vorsätzlich herbeigeführte Zahlungsausfälle oder andere, möglicherweise durchaus legale Arten, sich der Zahlungsverpflichtung zu entziehen, oder aber auf die eventuelle Unzulänglichkeit der Sicherheiten, d. h. unfreiwillige Zahlungsausfälle infolge enttäuschter Erwartungen. Dem könnte noch eine dritte Risikoquelle hinzugefügt werden, nämlich eine nachteilige Wertveränderung des Währungsstandards, durch die ein Gelddarlehen gegenüber einem Realvermögen entsprechend an Sicherheit einbüßt. Dies dürfte jedoch bereits zum größten Teil oder vollständig im Preis dauerhafter Realvermögenswerte eingepreist sein. Die erste Risikoart entspricht also gewissermaßen realen gesellschaftlichen Kosten, auch wenn diese durch Risikostreuung und bessere Prognosen vermindert werden können. Die zweite Art ist jedoch ein echter Aufschlag auf die Investitionskosten, die es nicht gäbe, wenn Kreditnehmer und ‑geber dieselbe Person wären. Überdies stellt sie bis zu einem gewissen Grad eine Doppelzählung eines Teils des Unternehmerrisikos dar. Dieser Teil wird zweimal auf den reinen Zinssatz aufgeschlagen, um auf den voraussichtlichen Mindestertrag zu kommen, der den Anreiz für die jeweilige Investition gibt. Denn bei riskanten Vorhaben fordert der Kreditnehmer eine größere Marge zwischen seiner Ertragserwartung und dem Zinssatz, zu dem er die Kreditaufnahme für lohnend erachtet. Aus demselben Grund verlangt zugleich der Kreditgeber eine größere Marge zwischen den Kreditkosten und dem reinen Zinssatz, um einen ausreichenden Anreiz zur Kreditvergabe zu haben (außer wenn der Kreditnehmer so zahlungskräftig ist, dass er außergewöhnlich hohe Sicherheiten zu bieten vermag). Die Hoffnung auf ein vorteilhaftes Ergebnis, die für den Kreditnehmer einen Ausgleich für die Risiken darstellen mag, ist für den Kreditgeber kein Trost. Diese teilweise Doppelzählung des Risikoaufschlags fand bislang, soweit mir bekannt, kaum Beachtung, obwohl sie unter gewissen Umständen
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durchaus bedeutsam sein kann. Während eines Aufschwungs neigen die meisten Leute dazu, beide Risiken, das Risiko des Kreditnehmers wie auch des Kreditgebers, ungewöhnlich und unvorsichtig gering einzuschätzen. V. Die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist deswegen von so grundlegender Bedeutung, weil sie (viel mehr als der Zinssatz) der wesentliche Faktor ist, durch den die Zukunftserwartungen die Gegenwart beeinflussen. Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Wesentlichen nur unter dem Gesichtspunkt des aktuellen Ertrags des Sachkapitals zu betrachten – was nur in einem statischen Zustand ohne wechselhafte Zukunft, die die Gegenwart beeinflusst, korrekt wäre – ist ein Fehler, durch den die theoretische Verbindung zwischen heute und morgen unterbrochen wird. Selbst der Zinssatz ist im Prinzip7 ein aktuelles Phänomen. Reduzieren wir auch die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals darauf, berauben wir uns selbst der Möglichkeit, den Einfluss der Zukunft direkt in unsere Analyse des gegenwärtigen Gleichgewichts einzubeziehen. Da die ökonomische Theorie heutzutage allzu oft auf der Annahme eines statischen Zustands basiert, wird sie in weiten Teilen unrealistisch. Ich glaube jedoch, dass die Einführung der oben definierten Konzepte der Nutzungskosten und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals für eine Rückkehr zur Wirklichkeit sorgt, ohne größere Anpassungen erforderlich zu machen. Die Verbindung zwischen der wirtschaftlichen Zukunft und der Gegenwart wird durch Vorhandensein langlebiger Ausrüstungsgüter hergestellt. Es steht deshalb in Einklang mit unseren grundlegenden Überlegungen, dass die Erwartungen über die Zukunft die Gegenwart durch den Nachfragepreis für langlebige Ausrüstungsgüter beeinflussen.
7 Aber nicht vollständig; denn in seinem Wert kommt teilweise die Ungewissheit über die Zukunft zum Ausdruck. Außerdem hängt das Verhältnis zwischen den Zinssätzen für verschiedene Laufzeiten von Erwartungen ab.
Kapitel 12
Die langfristige Erwartungshaltung I. Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesehen, dass der Umfang der Investitionen abhängig ist vom Verhältnis zwischen Zinssatz und der die verschiedenen Investitionsvolumina abbildenden Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Diese wiederum hängt ab vom Verhältnis zwischen dem Angebotspreis einer Kapitalanlage und ihres erwarteten Ertrags. In diesem Kapitel werden wir uns eingehender mit einigen der Faktoren befassen, die den künftigen Ertrag eines Vermögenswerts bestimmen. Die Überlegungen, auf denen die Erwartungen künftiger Erträge beruhen, beruhen teils auf vorhandenen Tatsachen, die wir als mehr oder weniger sicher annehmen können, und teils auf zukünftigen Ereignissen, die lediglich mit mehr oder weniger Zuversicht vorhergesagt werden können. Zu ersteren lassen sich Bestände verschiedenartiger Kapitalanlagen im Allgemeinen zählen sowie die Stärke der bestehenden Verbrauchernachfrage nach Gütern, für deren effiziente Erzeugung ein relativ hoher Kapitaleinsatz nötig ist. Zu letzteren gehören zukünftige Veränderungen der Art und Menge der Kapitalanlagen sowie des Geschmacks der Verbraucher, die Stärke der effektiven Nachfrage im Verlauf der Lebenszeit der jeweiligen Investition und die Veränderungen der in Geld ausgedrückten Lohneinheit, zu denen es während ihrer Lebenszeit kommen kann. Zusammenfassend können wir den Zustand der psychologischen Erwartungen, der letztere umfasst, als langfristige Erwartungshaltung bezeichnen – im Unterschied zu den kurzfristigen Erwartungen, auf deren Grundlage ein Hersteller zu dem Zeitpunkt den Erlös für ein fertiges Produkt schätzt, zu dem er eine Entscheidung über dessen Produktion mit den vorhandenen Anlagen trifft (wie in Kapitel 5 dargelegt). II. Es wäre töricht, bei der Bildung unserer Erwartungen äußerst unsicheren1 Faktoren allzu großes Gewicht beizumessen. Es ist daher nur vernünftig, 1 Unter „äußerst unsicher“ verstehe ich nicht dasselbe wie unter „äußerst unwahrscheinlich“. Vgl. mein Treatise on Probability, Kap. 6 über „The Weight of Arguments“.
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sich maßgeblich von den Tatsachen leiten zu lassen, über die wir uns einigermaßen sicher sind, selbst wenn sie weniger entscheidend für unser Problem sein mögen als andere Tatsachen, über die wir jedoch nur vages und spärliches Wissen besitzen. Aus diesem Grund spielt die aktuelle Sachlage in gewisser Hinsicht eine unverhältnismäßig große Rolle bei der Bildung unserer langfristigen Erwartungen. Schließlich gehen wir normalerweise von der aktuellen Situation aus und schreiben sie in die Zukunft fort, wobei wir nur in dem Maße Anpassungen vornehmen, in dem wir mehr oder weniger gute Gründe für die Erwartung von Veränderungen haben. Die langfristige Erwartungshaltung, auf die wir unsere Entscheidungen stützen, beruht somit nicht nur auf der wahrscheinlichsten Prognose, die wir machen können, sondern auch auf dem Vertrauen, das wir in sie haben – darauf, wie hoch wir die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass unsere bestmögliche Prognose sich als ganz falsch erweist. Wenn wir umfangreiche Veränderungen erwarten, dabei aber unsicher sind, wie genau diese aussehen werden, wird unser Vertrauen eher schwach sein. Der so genannte Stand des Vertrauens2 ist ein Faktor, dem Geschäftsleute stets höchste und eifrigste Beachtung schenken. Wirtschaftswissenschaftler indes haben ihn nicht sorgfältig analysiert und begnügten sich in der Regel damit, ihn kursorisch abzuhandeln. Insbesondere hat man sich nicht vor Augen geführt, dass er aufgrund seines starken Einflusses auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals höchst relevant für ökonomische Fragen ist. Es sind nicht zwei verschiedene Faktoren, die das Investitionsvolumen beeinflussen, nämlich die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Stand des Vertrauens. Letzterer ist entscheidend, weil er einer der Hauptfaktoren ist, die die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals determinieren – und diese ist wiederum gleich der Investitionsnachfragekurve. Es lässt sich allerdings a priori nicht viel über den Stand des Vertrauens sagen. Unsere Feststellungen müssen sich hauptsächlich auf die tatsächliche Beobachtung der Märkte und Wirtschaftspsychologie stützen. Aus diesem Grund spielt sich der folgende Exkurs auf einem anderen Abstraktionsniveau ab als die übrigen Teile dieses Buches. Zur Vereinfachung der Darstellung setzen wir in der folgenden Abhandlung über den Stand des Vertrauens voraus, dass der Zinssatz unverändert bleibt. Und wir gehen so vor, als seien Wertveränderungen der Investitionen allein auf veränderte Erwartungen über ihre künftigen Erträge zurückzuführen und keineswegs auf Veränderungen des Zinssatzes, zu dem diese künftigen Erträge kapitalisiert sind. Der Effekt von Zinsänderungen lässt sich 2 Der von Keynes verwendete Begriff state of confidence drückt aus, wie groß die Zuversicht ist, dass eine Erwartung eintritt. (A. d. Ü.)
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
jedoch leicht zu den Auswirkungen einer Veränderung des Standes des Vertrauens hinzudenken. III. Auffallend ist die extreme Unsicherheit der Wissensgrundlage, auf der unsere Schätzungen der künftigen Erträge basieren. Unser Wissen über die Faktoren, durch die sich der Ertrag einer Investition in einigen Jahren bestimmt, ist normalerweise gering und oft geradezu vernachlässigbar. Wir müssen ehrlicherweise zugeben, dass unsere Wissensbasis für die Schätzung des Ertrags einer Eisenbahn, einer Kupfermine, einer Textilfabrik oder des künftigen Werts eines Arzneimittelpatents, eines Passagierschiffs oder eines Gebäudes in der Londoner City in zehn Jahren – oder selbst in fünf Jahren – auf sehr wenig und manchmal auf null hinausläuft. In der Tat sind diejenigen, die sich mit solchen Schätzungen versuchen, oft eine so kleine Minderheit, dass ihr Verhalten für den Markt unmaßgeblich ist. Früher, als Firmen noch größtenteils im Besitz der Unternehmer oder ihrer Freunde und Teilhaber waren, hingen Investitionen davon ab, dass es genügend Leute mit unternehmungslustigem Naturell und schöpferischem Drang gab, für die das Unternehmertum eine Lebensweise war, bei der sie sich nicht unbedingt auf die genaue Kalkulation künftiger Gewinne stützten. Die Geschäfte waren zum Teil so etwas wie eine Lotterie, für deren endgültiges Ergebnis allerdings entscheidend war, ob Können und Persönlichkeit der Führungskräfte über- oder unterdurchschnittlich waren. Manche scheiterten und manche hatten Erfolg. Aber selbst im Nachhinein ließ sich nicht sagen, ob die durchschnittliche Rendite der investierten Beträge über, gleichauf mit oder unter dem geltenden Zinssatz lag – wobei allerdings außer bei Rohstoffgewinnung und Monopolen die tatsächlichen Durchschnittsrenditen selbst in Zeiten des Fortschritts und des Wohlstands vermutlich die Hoffnungen enttäuschten, die der Auslöser der Investitionen waren. Geschäftsleute spielen eine Mischung aus Geschicklichkeits- und Glücksspiel, dessen durchschnittliche Gewinne den Mitspielern unbekannt sind. Würde die menschliche Natur nie in Versuchung geraten, etwas zu riskieren, und fände sie keine Befriedigung (über den Gewinn hinaus) im Bau einer Fabrik, einer Eisenbahn, einer Mine oder einer Farm, dann gäbe es allein auf der Basis eiskalter Berechnungen wohl längst nicht so viele Investitionen. Bei den Investitionsentscheidungen in Privatunternehmen vom alten Schlag handelte es sich zum größten Teil um unwiderrufliche Entscheidungen, für die Volkswirtschaft ebenso wie für den Einzelnen. Mit der heutzutage üblichen Trennung von Eigentum und Management aber und mit dem Entstehen organisierter Investmentmärkte kam ein neuer Faktor von größter
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Bedeutung hinzu, der manchmal Investitionen erleichtert, manchmal jedoch auch stark zur Instabilität des Systems beiträgt. Ohne Wertpapiermärkte wären die häufigen Versuche der Neubewertung einer Beteiligung sinnlos. Aber die Börse bewertet viele Investitionen jeden Tag neu, und diese Neubewertungen geben dem Einzelnen (wenngleich nicht der gesamten Bevölkerung) häufig die Gelegenheit, seine Beteiligungen zu ändern. Das ist so, als ob sich ein Bauer, sobald er nach dem Frühstück auf sein Barometer geklopft hat, entscheiden könnte, sein Kapital zwischen 10 und 11 Uhr morgens aus dem Agrargeschäft abzuziehen, um dann zu überlegen, ob er im Laufe der Woche wieder einsteigen soll. Obwohl die täglichen Neubewertungen durch die Börse dazu dienen sollen, die Übertragung bestehender Investitionen von einer Person zu einer anderen zu erleichtern, üben sie doch einen entscheidenden Einfluss auf das laufende Investitionsvolumen aus. Denn es ist sinnlos, ein Unternehmen für mehr Geld neu aufzubauen, als für den Kauf eines vergleichbaren bestehenden Unternehmens aufgewendet werden müsste. Es besteht hingegen ein Anreiz, selbst exorbitante Summen für ein neues Projekt auszugeben, wenn dieses dann mit sofortigem Gewinn an die Börse gebracht werden kann.3 Für manche Arten von Investitionen sind deshalb die durchschnittlichen Erwartungen der Aktienanleger, die in den Aktienkursen ausgedrückt sind, viel entscheidender als die realen Erwartungen der eigentlichen Unternehmer.4 Wie aber werden nun diese höchst bedeutungsvollen täglichen, ja stündlichen Neubewertungen bestehender Investitionen in der Praxis vorgenommen? IV. Praktisch haben wir uns zumeist stillschweigend darauf geeinigt, uns auf etwas zu verlassen, was in Wahrheit eine Konvention ist. Im Kern besteht diese Konvention – obwohl es natürlich nicht ganz so simpel ist – aus der Annahme, dass der gegenwärtige Stand der Dinge unbefristet andauert, sofern keine spezifischen Gründe für die Annahme von Veränderungen spre3 In Vom Gelde (S. 455) habe ich dargelegt, dass ein hoher Aktienkurs, der einem Unternehmen durch Aktienemissionen die Aufnahme zusätzlichen Eigenkapitals zu günstigen Bedingungen erlaubt, den gleichen Effekt hat wie ein niedriger Zinssatz, zu dem es Fremdkapital leihen könnte. Ich möchte dies nun so formulieren, dass hohe Aktienkurse eine Zunahme in der Grenzleistungsfähigkeit der entsprechenden Art Kapital bedingen und daher (weil die Investition auf einem Vergleich zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und dem Zinssatz basiert) die gleiche Wirkung haben wie eine Zinssenkung. 4 Dies bezieht sich natürlich nicht auf solche Unternehmen, die nicht ohne weiteres verkäuflich sind oder denen kein veräußerlicher Titel entspricht. Früher fielen sehr viele Arten von Unternehmen unter diese Ausnahme, aber relativ zum Gesamtwert der neuen Investitionen verlieren sie rapide an Bedeutung.
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chen. Das bedeutet nicht, dass wir wirklich glauben, der Stand der Dinge hätte ewig Bestand. Wir wissen ja aufgrund umfangreicher Erfahrungen, dass dies äußerst unwahrscheinlich ist. Die tatsächlichen Ergebnisse einer Investition über viele Jahre hinweg entsprechen selten den anfänglichen Erwartungen. Wir können unser Verhalten auch nicht durch das Argument rechtfertigen, dass ein Ahnungsloser mit gleicher Wahrscheinlichkeit Fehler in beide Richtungen macht, so dass die Erwartung einem auf gleich hohen Wahrscheinlichkeiten beruhenden, rechnerischen Mittel entspricht. Denn es lässt sich leicht zeigen, dass die Annahme rechnerisch gleicher Wahrscheinlichkeiten in einem Zustand der Unwissenheit zu absurden Ergebnissen führt. Dahinter steht eigentlich die Annahme, dass die wie auch immer zustande gekommene aktuelle Börsennotierung in Bezug auf unser Wissen über die Faktoren, die den Ertrag der Investition beeinflussen, eindeutig richtig ist und dass sie sich nur in dem Maße ändert, in dem sich unser Wissen ändert. Dabei kann, philosophisch gesehen, die Börsennotierung gar nicht eindeutig richtig sein, da unser vorhandenes Wissen keine ausreichende Grundlage für die mathematische Berechnung der Erwartung darstellt. Tatsächlich gehen alle möglichen Erwägungen in die Börsennotierung ein, die mit dem künftigen Ertrag gar nichts zu tun haben. Gleichwohl ist diese konventionelle Rechenmethode durchaus mit geschäftlicher Kontinuität und Stabilität vereinbar, solange wir uns auf die Einhaltung der Konvention verlassen können. Denn solange es organisierte Investmentmärkte gibt und solange wir uns auf den Fortbestand der Konvention verlassen können, kann ein Investor zu Recht Mut aus der Vorstellung schöpfen, dass sein einziges Risiko aus einer echten Veränderung der Nachrichtenlage in naher Zukunft besteht, über deren nicht sehr hohe Wahrscheinlichkeit er sich ein eigenes Bild zu machen versuchen kann. Unter der Annahme, dass die Konvention Bestand hat, haben nämlich nur derartige Veränderungen Einfluss auf den Wert seiner Investition. Dass er keine Ahnung hat, was seine Investition in zehn Jahren wert sein wird, muss ihm also nicht den Schlaf rauben. So werden Investitionen auf kurze Sicht für den einzelnen Investor einigermaßen „sicher“. Das gilt ebenso für eine Reihe von kurzen Zeiträumen, wie viele es auch sein mögen, solange er sich darauf verlassen kann, dass die Konvention nicht zusammenbricht und dass er somit stets die Gelegenheit hat, seiner Entscheidungen zu korrigieren und seine Investitionen umzuschichten, bevor allzu viel passieren konnte. Investitionen, die für die Volkswirtschaft „fix“ sind, werden für denen Einzelnen so „liquide“ gemacht. Ich bin überzeugt, dass sich unsere führenden Investmentmärkte auf Grundlage eines derartigen Vorgehens entwickelt haben. Es ist jedoch nicht überraschend, dass eine derartige Konvention bei objektiver Betrachtung
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ihrer willkürlichen Natur gewisse Schwachstellen aufweist. Ihre Unsicherheit ist eine wesentliche Ursache unseres gegenwärtigen Problems, genügend Investitionen zu gewährleisten. V. Einige Faktoren, die diese Unsicherheit verdeutlichen, seien hier kurz erwähnt. 1. Der allmählich wachsende Anteil von Aktienkapital an den gesamten Kapitalinvestitionen der Volkswirtschaft, das sich im Besitz von Personen befindet, die die Unternehmen weder führen noch besondere Kenntnisse über deren tatsächlichen oder künftigen Situation haben, hat zu einer drastischen Abnahme realen Wissens der Besitzer oder potenziellen Käufer von Investitionen über deren Bewertung geführt. 2. Die alltäglichen Gewinnschwankungen bestehender Investitionen, die offensichtlich flüchtig und unerheblich sind, haben tendenziell einen übermäßigen, ja absurden Einfluss auf den Markt. So heißt es beispielsweise, dass die Aktien amerikanischer Eishersteller im Sommer, wenn ihre Gewinne jahreszeitbedingt hoch sind, höher notiert werden als im Winter, wenn niemand Eis will. Ein arbeitsfreier Feiertag wiederum kann zu einer Höherbewertung der britischen Eisenbahnen um mehrere Millionen Pfund führen. 3. Eine konventionelle Bewertung, die das Ergebnis der Massenpsychologie einer großen Anzahl unkundiger Menschen ist, schwankt sehr heftig aufgrund plötzlicher Meinungsänderungen. Diese wurzeln meist nicht in starken Überzeugungen und werden deshalb oft durch Faktoren ausgelöst, die wenig mit dem künftigen Ertrag zu tun haben. Insbesondere in ungewöhnlichen Situationen, wenn die Hypothese einer unbegrenzten Fortdauer des aktuellen Stands der Dinge weniger glaubhaft als sonst erscheint, selbst wenn es gar keinen besonderen Grund für die Annahme bestimmter Veränderungen gibt, sind die Märkte Wellen von optimistischen oder pessimistischen Stimmungen ausgesetzt. Diese sind zwar nicht vernünftig, aber doch in gewisser Weise legitim, wenn keine solide Grundlage für eine vernünftige Berechnung existiert. 4. Eine Besonderheit aber verdient unsere besondere Beachtung. Man könnte meinen, die Irrungen der sich selbst überlassenen Privatperson würden durch den Wettbewerb zwischen erfahrenen Profis korrigiert, die über mehr Urteilsfähigkeit und Wissen als der durchschnittliche Privatanleger verfügen. Anscheinend setzen jedoch die professionellen Anleger und Spekulanten ihre Tatkraft und ihr Können anderweitig ein. Die meisten von ihnen beschäftigten sich in der Tat weniger mit besseren langfristigen Vorhersagen über den wahrscheinlichen Ertrag einer Investition während ihrer
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gesamten Lebensdauer als vielmehr damit, Veränderungen der herkömmlichen Bewertungsgrundlage etwas früher vorauszusehen als die breite Öffentlichkeit. Ihnen ist nicht wichtig, welchen Wert eine Investition wirklich für einen langfristig orientierten Anleger hat, sondern wie der Markt sie unter dem Einfluss der Massenpsychologie in drei Monaten oder in einem Jahr bewertet. Dieses Verhalten ist überdies nicht das Resultat fehlgeleiteter Interessen. Es ist vielmehr das unvermeidliche Ergebnis eines wie hier beschrieben aufgebauten Investmentmarkts. Schließlich wäre es nicht sinnvoll, 25 für eine Investition zu zahlen, bei der man angesichts der erwarteten Erträge auch einen Wert von 30 für gerechtfertigt hält, wenn man zugleich davon ausgeht, dass der Markt sie in drei Monaten mit nur 20 bewerten wird. Der professionelle Investor ist also gezwungen, sich mit der Erwartung bevorstehender Veränderungen der Nachrichtenlage oder der Stimmung zu befassen, die die Massenpsychologie des Marktes erfahrungsgemäß besonders stark beeinflussen. Dies ist das unvermeidliche Ergebnis, wenn Investmentmärkte mit Blick auf die sogenannte „Liquidität“ organisiert sind. Unter allen Maximen des orthodoxen Finanzwesens ist gewiss keine unsozialer als der Fetisch der Liquidität, also die Doktrin, dass es aufseiten der institutionellen Investoren eine eindeutige Tugend sei, ihre Mittel auf „liquide“ Titel zu konzentrieren. Sie übersieht, dass Investitionen nicht für die Volkswirtschaft als Ganze liquide sein können. Der gesellschaftliche Zweck kompetenter Investitionen sollte doch die Überwindung der dunklen Kräfte der Zeit und der Unwissenheit sein, die unsere Zukunft umgeben. Das tatsächliche private Ziel der geschicktesten Investitionen in der heutigen Zeit ist, „schneller zu ziehen“, wie es die Amerikaner treffend ausdrücken, also schlauer zu sein als die Masse bzw. eine beschädigte oder wertlose Münze schnell an den Nächsten weiterzugeben. In diesem intellektuellen Wettstreit, die Grundlage der konventionellen Bewertung einige Monate vorauszusehen, statt die künftigen Erträge einer Investitionen über einen langen Zeitraum hinweg zu schätzen, ist nicht einmal die Leichtgläubigkeit der Öffentlichkeit nötig, damit sich die Profis den Hals stopfen können. Diese fechten den Kampf vielmehr untereinander aus. Es ist auch nicht notwendig, dass irgendjemand seinen schlichten Glauben an die wahrhaft langfristige Gültigkeit der klassischen Bewertungsgrundlage bewahrt. Denn es ist gewissermaßen nur eine Partie Mau-Mau, Schwarzer Peter oder Reise nach Jerusalem – ein Zeitvertreib, bei dem derjenige der Gewinner ist, der im rechten Moment Mau ruft, der den Schwarzen Peter vor Spiel ende an seinen Nachbarn weiterreicht oder der sich einen Stuhl sichert, wenn die Musik aufhört. Solche Spiele lassen sich mit Spannung und Genuss spielen, obwohl alle Spieler wissen, dass der Schwarze Peter herumgeht oder dass manche Spieler ohne Stuhl dastehen, wenn die Musik stoppt.
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Um die Analogie etwas abzuwandeln, könnte man das professionelle Investment auch als einen dieser Wettbewerbe sehen, den manche Zeitungen veranstalten, bei denen die Teilnehmer die sechs hübschesten Gesichter aus hundert Fotos auswählen müssen und derjenige gewinnt, dessen Wahl am nächsten an der durchschnittlichen Auswahl aller Teilnehmer liegt. Jeder Teilnehmer muss also nicht die Gesichter auswählen, die er selbst am hübschesten findet, sondern die, die er für die wahrscheinlichste Wahl der anderen Teilnehmer hält, die aber alle das Problem vom selben Blickwinkel aus betrachten. Es handelt sich nicht darum, die nach eigenem Urteil wirklich hübschesten auszuwählen, ja nicht einmal darum, welche dem Durchschnittsgeschmack nach die hübschesten sind. Wir haben vielmehr eine dritte Ebene erreicht, wo wir unseren Verstand darauf verwenden vorherzusagen, welches die durchschnittliche Meinung über die voraussichtliche durchschnittliche Meinung ist. Und meiner Vermutung nach gibt es Leute, die auch auf einer vierten, fünften oder noch höheren Ebene agieren. Nun mag der Leser einwenden, dass doch gewiss auf lange Sicht ein erfahrener Anleger, der unbeirrt durch die verbreitete Spielerei weiterhin Investitionen gemäß seiner bestmöglichen langfristigen Erwartungen erwirbt, enorme Gewinne von anderen Spielern einheimsen kann. Darauf lautet jedoch die Antwort, dass es erstens durchaus solche ernsthaften Personen gibt und dass es für den Investmentmarkt einen großen Unterschied ausmacht, ob ihr Einfluss überwiegt oder der der Spieler. Wir müssen jedoch zweitens hinzufügen, dass in modernen Investmentmärkten die Vormachtstellung dieser Personen durch diverse Faktoren gefährdet ist. Investitionen anhand wirklicher langfristiger Erwartungen vorzunehmen ist heutzutage so schwierig, dass es kaum noch praktikabel ist. Wer es dennoch versucht, muss gewiss viel längere Arbeitstage und größere Risiken hinnehmen als jemand, der besser als die Masse zu raten versucht, wie sich die Masse verhalten wird, und bei gleicher Intelligenz macht er womöglich auch schlimmere Fehler. Die Erfahrung bietet keine eindeutigen Belege, dass eine für die Gesellschaft vorteilhafte Investmentstrategie zugleich auch die profitabelste ist. Es gehört mehr Intelligenz dazu, die Kräfte der Zeit und unserer Unwissenheit über die Zukunft zu überwinden, als nur den Markt zu schlagen. Das Leben ist außerdem nicht lang genug; die Natur des Menschen verlangt nach schnellen Ergebnissen. Es existiert eine eigentümliche Lust daran, schnelles Geld zu machen, und in ferner Zukunft gelegene Gewinne werden von den meisten Menschen zu einem sehr hohen Satz abgezinst. Das professionelle Investmentspiel ist für jeden, der vom Spieltrieb frei ist, unerträglich langweilig und anstrengend. Die anderen müssen für ihre Neigung einen entsprechenden Tribut zahlen. Überdies benötigt ein Investor, der kurzfristige Marktschwankungen lieber ignoriert, höhere Rücklagen, und er darf, wenn überhaupt, nur in geringerem Umfang mit geliehe-
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nem Geld operieren. Dies ist ein weiterer Grund für die höheren Gewinne, die dieser Zeitvertreib bei gleicher Intelligenz und gleichen Finanzmitteln abwirft. Und schließlich ist in der Praxis ausgerechnet der langfristige Investor, dessen Vorgehen am ehesten im öffentlichen Interesse ist, der heftigsten Kritik ausgesetzt, sobald Investmentfonds von Ausschüssen, Aufsichtsräten oder Banken kontrolliert werden.5 Denn im Kern gilt sein Verhalten nach durchschnittlicher Meinung als exzentrisch, unkonventionell und unbesonnen. Sollte er Erfolg haben, wird das den verbreiteten Glauben an seine Unbesonnenheit nur verstärken. Und wenn er auf kurze Sicht keinen Erfolg hat, was sehr wahrscheinlich ist, wird ihm nicht viel Gnade gewährt. Die Lebenserfahrung lehrt, dass es besser für den Ruf ist, auf konventionelle Weise zu scheitern als auf unkonventionelle Weise Erfolg zu haben. 5. Bislang haben wir vor allem den Stand des Vertrauens aus Sicht des Spekulanten oder spekulativen Investors betrachtet. Stillschweigend schienen wir vorauszusetzen, dass er, wenn er denn die Chancen für zufriedenstellend erachtet, über unbegrenzte Finanzmittel zum Marktzinssatz verfügt. Das ist natürlich nicht der Fall. Wir müssen also auch den anderen Aspekt des Standes des Vertrauens beachten, und zwar das Vertrauen der Kreditinstitute in diejenigen, die bei ihnen einen Kredit aufnehmen wollen, was man auch als Vertrauen in deren Kreditwürdigkeit bezeichnen kann. Ein Kurssturz bei den Aktien mit katastrophalen Rückwirkungen auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals kann entweder auf eine Abschwächung der Zuversicht der Spekulanten oder des Vertrauens der Banken in die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden zurückzuführen sein. Während jedoch die Abschwächung eines der beiden genügt, um einen Crash auszulösen, ist für einen Aufschwung eine Erholung beider nötig. Denn während eine Verschlechterung des Vertrauens in die Kreditwürdigkeit für einen Börsensturz ausreicht, ist seine Verbesserung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Erholung. VI. Diese Überlegungen liegen wohl nicht außerhalb des von Ökonomen behandelten Themenfelds, aber sie müssen ins rechte Licht gerückt werden. Wenn ich mir den Begriff Spekulation für die Tätigkeit, die Marktpsycho5 Das gemeinhin als vorsichtig angesehene Verfahren, nach dem ein Investmentfonds oder eine Versicherungsgesellschaft nicht nur das Einkommen aus ihrem Investmentportfolio, sondern auch ihre Kapitalbewertung am Markt in die Berechnung einbezieht, lenkt tendenziell ebenfalls die Aufmerksamkeit zu sehr auf die kurzfristigen Marktschwankungen.
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logie vorherzusagen, zu eigen machen darf und den Begriff Unternehmertum für die Tätigkeit, den künftigen Ertrag von Vermögensgütern über ihre gesamte Lebensdauer hinweg vorherzusagen, dann ist es keineswegs sicher, dass stets Spekulation gegenüber dem Unternehmertum überwiegt. Mit besserer Organisation der Investmentmärkte steigt jedoch das Risiko, dass die Spekulation die Oberhand gewinnt. Auf einem der größten Investmentmärkte der Welt, nämlich New York, ist der Einfluss der Spekulation (im obigen Sinne) enorm. Selbst außerhalb des Finanzsektors haben Amerikaner ein übertriebenes Interesse daran herauszufinden, wie die Durchschnittsmeinung über die Durchschnittsmeinung lautet, und diese nationale Schwäche findet ihre schlimmste Ausprägung auf den Aktienmärkten. Man sagt, anders als viele Engländer investiere ein Amerikaner selten, um ein laufendes Einkommen zu erzielen. Er werde ohne die Erwartung eines Wertzuwachses kaum eine Investition tätigen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Amerikaner ihre Hoffnung weniger auf den künftigen Ertrag richten als vielmehr auf eine günstige Entwicklung der klassischen Bewertungsgrundlage – d. h. sie sind im oben genannten Sinne Spekulanten. Als Luftblasen in einem stetigen Strom des Unternehmertums richten Spekulanten kaum einen Schaden an. Die Lage wird jedoch ernst, wenn das Unternehmertum nur noch ein Bläschen im Strudel der Spekulation ist. Wenn die Kapitalbildung in einem Land ein Nebenprodukt der Aktivitäten eines Spielkasinos wird, dann wird diese Aufgabe alles andere als gut erledigt. Bedenkt man, dass die Wall Street eine Institution ist, deren eigentlicher gesellschaftlicher Zweck die Lenkung neuer Investitionen in die gemessen am zukünftigen Ertrag lukrativsten Kanäle ist, kann ihre Entwicklung nicht gerade als herausragender Triumph des Laissez-faire-Kapitalismus gelten. Das ist nicht überraschend, wenn es stimmt, dass sich die schlausten Köpfe der Wall Street in der Tat anderen Zielen verschrieben haben. Diese Tendenzen sind das so gut wie unvermeidbare Resultat der erfolgreichen Schaffung „liquider“ Investmentmärkte. Es herrscht zumeist Einigkeit darüber, dass es im öffentlichen Interesse ist, Spielkasinos schwer zugänglich und teuer zu machen. Das gleiche gilt vermutlich auch für Wertpapierbörsen. Dass die Sünden der Londoner Börse geringer als die der Wall Street sein mögen, ist möglicherweise weniger auf Mentalitätsunterschiede zurückzuführen als vielmehr darauf, dass für einen durchschnitt lichen Engländer die Throgmorton Street6 schwerer zugänglich und viel teurer ist als die Wall Street für einen durchschnittlichen Amerikaner. Die Margen der Aktienhändler, die hohen Maklergebühren und die hohe Börsenumsatzsteuer, die bei allen Geschäften an der London Stock Exchange an den Finanzminister fließt, reduzieren die Liquidität des Marktes hinreichend 6 Früher
Sitz der Londoner Börse. (A. d. Ü.)
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
(auch wenn die übliche vierzehntätige Abrechnung dem entgegenwirkt), um einen großen Teil der für die Wall Street typischen Geschäfte zu verhindern.7 Die Einführung einer deftigen Umsatzsteuer auf alle Transaktionen durch die Regierung könnte sich als die sinnvollste aller möglichen Reformen erweisen, um das Übergewicht des Spekulantentums über das Unternehmertum in den Vereinigten Staaten abzumildern. Das Spektakel moderner Investmentmärkte hat mich gelegentlich zu der Schlussfolgerung verleitet, ein nützliches Gegenmittel gegen die Übel unserer Zeit könnte es sein, den Erwerb eines Investments ähnlich wie eine Eheschließung dauerhaft und unauflösbar zu machen, von Todesfällen und anderen schwerwiegenden Gründen abgesehen. Denn dadurch würde die Aufmerksamkeit des Investors ausschließlich auf die langfristigen Aussichten gelenkt. Aber nach kurzem Nachdenken über dieses Hilfsmittel erkennen wir ein Dilemma und begreifen, wie die Liquidität von Investmentmärkten neue Investitionen zwar manchmal behindert, aber oft auch erleichtert. Denn jeder einzelne Investor redet sich ein, sein Einsatz sei „liquide“ (obwohl das für alle Investoren zusammengenommen nicht gelten kann), was seine Nerven beruhigt und seine Risikobereitschaft steigert. Würde der individuelle Erwerb von Investments illiquide gemacht, könnte das neue Investitionen ernsthaft behindern, solange dem Einzelnen alternative Möglichkeiten zur Anlage seiner Ersparnisse zur Verfügung stehen. Das ist das Dilemma. Solange es jedem freisteht, sein Vermögen zu horten oder als Geld zu verleihen, ist alternativ dazu der Erwerb von tatsächlichen Kapitalanlagen nur dann hinreichend attraktiv (besonders für alle, die ihre Vermögensanlage nicht selbst verwalten und wenig darüber wissen), wenn Märkte eingerichtet werden, in denen diese Vermögensgüter leicht in Geld umgewandelt werden können. Das einzig wirksame Mittel gegen die Vertrauenskrisen, die die modernen Volkswirtschaften heimsuchen, bestünde darin, dem Einzelnen keine andere Wahl zu lassen als sein Einkommen für Konsumzwecke zu auszugeben oder einen Auftrag zur Herstellung derjenigen Kapitalanlage zu erteilen, die ihm – wenn auch vielleicht auf Basis unsicherer Informationen – als die verheißungsvollste ihm zur Verfügung stehende Investitionsmöglichkeit erscheint. Würde er von außergewöhnlich starken Zweifeln über die Zukunft geplagt, könnte es durchaus sein, dass er in seiner Ratlosigkeit eher zu Konsum als zu neuen Investitionen neigte. Dies würde jedoch die katastrophalen, sich verstärkenden und weitreichenden Auswirkungen vermeiden, 7 Es heißt, dass während der Handelszeiten an der Wall Street mindestens die Hälfte aller Investmentkäufe und -verkäufe von Spekulanten mit der Absicht vorgenommen wird, sie noch am selben Tag wieder rückabzuwickeln. Das trifft häufig auch auf die Warenbörsen zu.
Kap. 12: Die langfristige Erwartungshaltung141
die durch die Wahlfreiheit entstehen, bei starken Zweifeln das Einkommen weder für das eine noch das andere auszugeben. Diejenigen, die auf die gesellschaftlichen Gefahren des Hortens von Geld hingewiesen haben, dachten gewiss an etwas in dieser Art. Sie übersahen jedoch die Möglichkeiten, dass das beschriebene Phänomen auch ohne jegliche oder zumindest ohne nennenswerte Veränderung der Geldhortung auftreten kann. VII. Auch wenn man die Instabilität infolge von Spekulation einmal beiseite lässt, bleibt noch die Instabilität infolge der Eigenheiten der menschlichen Natur, aufgrund derer ein beträchtlicher Teil unser Aktivitäten eher auf spontanem Optimismus beruht denn auf einer mathematischen Erwartung, sei sie eine moralische oder hedonistische oder ökonomische. Höchstwahrscheinlich lassen sich die meisten unserer Entscheidungen, deren vollständige Auswirkungen erst über lange Zeit zum Tragen kommen, nur als Ergebnis des Wirkens von Lebensgeistern (animal spirits) begreifen – als eines spontanen Dranges, lieber etwas zu tun als untätig zu bleiben – und nicht als das Ergebnis eines gewichteten Durchschnitts quantitativer Vorteile multipliziert mit quantitativen Wahrscheinlichkeiten. Das Unternehmertum gaukelt sich selbst nur vor, hauptsächlich durch die Angaben in seinen eigenen Wertpapierprospekten motiviert zu sein, wie offen und ehrlich diese auch sein mögen. Dabei stützten sie sich auf eine Berechnung künftigen Nutzens, die kaum genauer ist als bei einer Expedition zum Südpol. Wenn die Lebensgeister erlahmen und die spontane Zuversicht ins Wanken kommt, so dass wir uns nur mehr auf die mathematische Erwartung stützen können, wird das Unternehmertum verblassen und absterben – auch wenn die Angst vor Verlusten nicht besser begründet sein mag als es zuvor die Hoffnung auf Gewinne war. Unbestritten kommt ein Unternehmertum, das sich auf weit in die Zukunft reichende Hoffnungen stützt, der gesamten Gesellschaft zugute. Eigeninitiative wird jedoch nur ausreichen, wenn die vernunftgesteuerte Berechnung durch die Lebensgeister ergänzt und unterstützt wird. Auf diese Weise lässt sich der auf Erfahrungen beruhende Gedanke an letztendliche Verluste, der Pioniere oft plagt, genauso überwinden, wie ein gesunder Mensch den Gedanken an den Tod beiseiteschiebt. Unglücklicherweise verstärkt dieser Effekt nicht nur Rezessionen und Depressionen, sondern erhöht die Abhängigkeit der Konjunktur von einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld, das dem normalen Geschäftsmann als zuträglich erscheint. Wenn die Angst vor einer Labour-Regierung
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
oder einem New Deal das Unternehmertum bedrückt, ist das meist weder Ergebnis einer vernünftigen Kalkulation noch eines politischen Komplotts – es ist lediglich die Folge einer Störung des empfindlichen Gleichgewichts in der spontanen Zuversicht. Um die Erfolgsaussichten einer Investition einschätzen zu können, müssen wir darum auch das Nervenkostüm und die Hysterie, ja sogar die Verdauung und die Wetterfühligkeit derjenigen berücksichtigen, deren spontane Aktivitäten diese Aussichten weitgehend determinieren. Wir dürfen hieraus nicht den Schluss ziehen, dass alles auf Wellen irrationaler Psychologie beruht. Im Gegenteil, die langfristige Erwartungshaltung ist oft konstant, und selbst wenn nicht, üben die anderen Faktoren eine kompensierende Wirkung aus. Es muss uns nur bewusst sein, dass Entscheidungen, die die persönliche, politische oder wirtschaftliche Zukunft betreffen, nicht allein auf streng mathematischen Erwartungen beruhen können, da es keine Grundlage für derartige Berechnungen gibt, und dass die treibende Kraft vielmehr unser angeborener Tätigkeitsdrang ist. Unser rationales Ich wählt nach besten Kräften zwischen verschiedenen Alternativen und stellt, wo dies möglich ist, Berechnungen an, aber es greift dabei oft genug auf Launen, Gefühle oder Zufälle als Antriebskraft zurück. VIII. Es gibt zudem einige wichtige Faktoren, die in der Praxis die Folgen unserer Unkenntnis der Zukunft etwas abmildern. Durch den Zinseszins effekt in Verbindung mit der im Lauf der Zeit wahrscheinlichen Abnutzung sind bei vielen Einzelinvestitionen zu Recht die Erträge in der relativ nahen Zukunft für den voraussichtlichen Ertrag entscheidend. Im Fall der wichtigsten Kategorie sehr langfristiger Investitionen, nämlich Immobilien, lässt sich häufig das Risiko mithilfe langfristiger Verträge vom Investor auf den Nutzer übertragen oder wenigstens zwischen den beiden aufteilen, wobei das Risiko für den Nutzer durch den Vorteil eines dauerhaften und sicheren Mietverhältnisses aufgewogen wird. Im Fall einer anderen wichtigen Kategorie von langfristigen Investitionen, nämlich öffentlichen Versorgungsunternehmen, ist ein Großteil der künftigen Erträge durch Monopolrechte verbunden mit dem Recht zu einer Preisgestaltung, die eine bestimme Gewinnspanne gewährleistet, so gut wie garantiert. Und schließlich ist da noch die wachsende Kategorie von Investitionen durch die öffentliche Hand bzw. auf deren Risiko, die sich ganz offen von der allgemeinen Annahme leiten lassen, dass die Investition gesellschaftliche Vorteile bringe, unabhängig vom möglichen kaufmännischen Ertrag über einen längeren Zeitabschnitt und ohne die Gewähr, dass die mathematische Erwartung des Ertrags mindestens gleich dem aktuellen Zinssatz ist. Gleichwohl dürfte der von den
Kap. 12: Die langfristige Erwartungshaltung143
staatlichen Stellen zu zahlende Zinssatz eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung spielen, welchen Umfang an Investitionen sie sich leisten können. Nachdem wir also der Bedeutung des Einflusses kurzfristiger Veränderungen der langfristigen Erwartungshaltung – in Abgrenzung zu den Veränderungen des Zinssatzes – Rechnung getragen haben, dürfen wir letzteren zumindest unter normalen Umständen immer noch einen großen, wenn auch nicht entscheidenden, Einfluss auf das Investitionsvolumen zuschreiben. Nur die Erfahrung wird jedoch zeigen, inwieweit die Steuerung des Zinssatzes imstande ist, dauerhaft für ein angemessenes Investitionsvolumen zu sorgen. Ich für meinen Teil bin inzwischen einigermaßen skeptisch in Bezug auf bloße geldpolitische Maßnahmen zur Steuerung des Zinssatzes. Meiner Erwartung nach wird ein Staat, der die Grenzleistungsfähigkeit des Anlagekapitals auf lange Sicht und in Hinblick auf den allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen zu berechnen vermag, immer stärker die Verantwortung für die direkte Organisation der Investitionen übernehmen. Denn es kann wohl davon ausgegangen werden, dass die nach oben beschriebenen Prinzipien vorgenommene Marktbewertung der Grenzleistungsfähigkeit verschiedener Kapitalarten zu starke Schwankungen aufweist, um durch realistisch zu erreichende Veränderungen des Zinssatzes ausgeglichen werden zu können.
Kapitel 13
Die allgemeine Theorie des Zinssatzes I. Wie in Kapitel 11 gezeigt, gibt es zwar Kräfte, welche die Investitionen so steigen oder fallen lassen, dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gleich dem Zinssatz bleibt. Doch die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals an sich ist etwas anderes als der herrschende Zinssatz. Man kann sagen, die Funktion der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals definiert die Bedingungen für die Nachfrage nach Kreditmitteln für zusätzliche Investitionen, während der Zinssatz die Bedingungen definiert, zu denen Mittel aktuell bereitgestellt werden. Zur Vervollständigung unserer Theorie müssen wir daher wissen, durch was der Zinssatz bestimmt wird. In Kapitel 14 samt Anhang werden wir die bisherigen Antworten auf diese Frage näher betrachten. Grob ausgedrückt besagen sie, dass der Zinssatz von der Wechselbeziehung zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der psychologischen Sparneigung abhängt. Demnach wäre der Zinssatz der ausgleichende Faktor, der die Nachfrage nach Ersparnissen in Form von bei einem bestimmten Zinssatz geplanten zusätzlichen Investitionen mit dem Angebot an Ersparnissen in Einklang bringt, das sich bei diesem Zinssatz aus der psychologischen Sparneigung der Bevölkerung ergibt. Aber diese Vorstellung fällt in sich zusammen, sobald wir uns klarmachen, dass es unmöglich ist, den Zinssatz allein aus der Kenntnis dieser beiden Faktoren abzuleiten. Wie lautet also unsere eigene Antwort auf die Frage? II. Für die vollständige Umsetzung der psychologischen Zeitpräferenzen einer Person sind zwei verschiedene Arten von Entscheidungen erforderlich. Bei der einen geht es um den Aspekt der Zeitpräferenz, den ich Konsumneigung genannt habe. Diese bestimmt unter dem Einfluss der verschiedenen in Buch III aufgeführten Motive, welchen Anteil seines Einkommens jeder Einzelne für Konsum ausgibt und wieviel er in irgendeiner Form von Verfügungsrecht über zukünftigen Konsum zurücklegt.
Kap. 13: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes145
Nach dieser Entscheidung muss er jedoch noch eine weitere Entscheidung treffen, und zwar in welcher Form er das Verfügungsrecht über zukünftigen Konsum halten will, das er aus seinem laufenden Einkommen oder aus früheren Ersparnissen zurückbehalten hat. Will er es in Form sofort verfügbarer, liquider Mittel (d. h. Geld oder etwas Vergleichbares)? Oder will er für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit auf die unmittelbare Verfügbarkeit verzichten und künftigen Marktbedingungen die Entscheidung überlassen, unter welchen Konditionen er bei Bedarf die aufgeschobene Verfügbarkeit über bestimmte Güter in die sofortige Verfügbarkeit von Gütern im Allgemeinen umwandeln kann? Anders gefragt, wie groß ist seine Liquiditätspräferenz – wobei sich die Präferenz jedes Einzelnen aus einer Kurve ergibt, die seine in Geld oder Lohneinheiten gemessenen Mittel, die er in Form von Geld halten will, unter verschiedenen Umständen darstellt? Wie sich zeigen wird, besteht der Fehler der allgemeinen Theorien des Zinssatzes darin, dass sie den Zinssatz aus dem ersten dieser beiden Bestandteile der psychologischen Zeitpräferenz abzuleiten versuchen und dabei den zweiten übersehen. Diese Missachtung gilt es zu berichtigen. Es leuchtet ein, dass der Zinssatz keine durch Sparen oder Warten an sich erzielte Rendite ist. Denn wenn jemand seine Ersparnisse in Form von Barmitteln hortet, nimmt er keine Zinsen ein, obwohl er genauso viel spart wie zuvor. Ganz im Gegenteil, die schiere Definition von Zinssatz drückt wortreich aus, dass der Zins die Belohnung für den Verzicht auf Liquidität in einer bestimmten Zeitspanne ist. Der Zinssatz an sich ist nichts anderes als das umgekehrte Verhältnis zwischen einer Summe Geld und dem, was für den Verzicht auf die Kontrolle über das Geld im Tausch für Schuldverschreibungen1 über einen festgelegten Zeitraum zu bekommen ist.2
1 Unbeschadet dieser Definition können wir die Grenze zwischen „Geld“ und „Schuldverschreibungen“ einfach an dem Punkt ziehen, der für den Umgang mit einem spezifischen Problem am praktischsten ist. Zum Beispiel können wir jedes Verfügungsrecht über allgemeine Kaufkraft, das ihr Besitzer nicht für mehr als drei Monate aufgegeben hat, als Geld bezeichnen und alles, was während eines längeren Zeitraums als drei Monate nicht zurückverlangt werden kann, als Schuldverschreibungen. Wir können „drei Monate“ auch durch einen Monat oder drei Tage oder drei Stunden oder irgendeinen anderen Zeitabschnitt ersetzen; oder wir können von Geld alles ausschließen, was hier und jetzt kein gesetzliches Zahlungsmittel ist. In der Praxis ist es meist zweckmäßig, in Geld Termineinlagen bei Banken einzuschließen und gelegentlich sogar Instrumente wie (z. B.) Schatzwechsel. In der Regel werde ich, wie schon in Vom Gelde, davon ausgehen, dass Geld Bankeinlagen einschließt. 2 In der allgemeinen Diskussion ist es – im Gegensatz zu speziellen Problemen, wenn die Laufzeit eines Darlehens ausdrücklich spezifiziert ist – zweckmäßig, unter Zinssatz den Komplex verschiedener Zinssätze für verschiedene Zeiträume, d. h. für Schuldverschreibungen mit verschiedenen Laufzeiten, zu verstehen.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Der Zinssatz als Belohnung für den Verzicht auf Liquidität ist also stets ein Maß für den Widerwillen der Geldbesitzer, ihre liquide Verfügung über das Geld aufzugeben. Der Zinssatz ist nicht der „Preis“, der die Nachfrage nach Investitionsmitteln mit der Bereitschaft zum Verzicht auf aktuellen Konsum ins Gleichgewicht bringt. Er ist vielmehr der „Preis“, der den Wunsch, Vermögen in Form von Barmitteln zu halten, mit der vorhandenen Bargeldmenge ins Gleichgewicht bringt. Dies impliziert, dass bei einem niedrigeren Zinssatz, d. h. bei einer geringeren Belohnung für den Verzicht auf Barmittel, die Gesamtsumme Bargeld, die die Bevölkerung halten möchte, das vorhandene Angebot übersteigen würde. Bei einem höheren Zinssatz hingegen käme es zu einem Überschuss an Barmitteln, die niemand zu halten wünscht. Wenn diese Erklärung zutrifft, ist die Geldmenge der andere Faktor, der zusammen mit der Liquiditätspräferenz den tatsächlichen Zinssatz unter gegebenen Umständen determiniert. Die Liquiditätspräferenz stellt eine latente Größe oder eine funktionale Tendenz dar, durch die die Geldmenge bestimmt wird, welche die Bevölkerung bei einem bestimmten Zinssatz halten will. Wenn r der Zinssatz ist, M die Geldmenge und L die Funktion der Liquiditätspräferenz, erhalten wir somit M = L(r). An diesem Punkt und auf diese Weise kommt im Wirtschaftssystem die Geldmenge ins Spiel. An dieser Stelle sollten wir jedoch einen Schritt zurück machen und überlegen, warum so etwas wie Liquiditätspräferenz überhaupt existiert. In diesem Zusammenhang können wir sinnvollerweise auf die alte Unterscheidung zwischen der Verwendung von Geld für die Durchführung aktueller Geschäfte und seiner Verwendung als Aufbewahrungsmittel von Vermögen zurückgreifen. Hinsichtlich der ersten Verwendung ist klar, dass es sich bis zu einem gewissen Punkt lohnt, eine gewisse Menge an Zinserträgen für die Annehmlichkeit der Liquidität zu opfern. Warum sollte aber jemand angesichts der Tatsache, dass der Zinssatz niemals negativ ist, sein Vermögen lieber in einer Form halten, die wenige oder keine Zinsen abwirft, als in einer zinstragenden Form (jedenfalls unter der Annahme, dass das Ausfallrisiko bei Bankguthaben und Anleihen gleich ist)? Eine vollständige Erklärung dafür ist komplex und muss deshalb bis Kapitel 15 warten. Es existiert jedoch eine notwendige Bedingung, ohne die es keine Liquiditätspräferenz für Geld als Aufbewahrungsmittel für Vermögen gäbe. Diese notwendige Bedingung besteht in der Unsicherheit über den künftigen Zinssatz, d. h. über den Komplex an Zinssätzen für unterschiedliche Laufzeiten, die zu verschiedenen Zeitpunkten in der Zukunft gelten. Denn könnten die Zinssätze für alle künftigen Zeiträume mit Sicherheit vorhergesagt werden, ließen sich alle zukünftigen Zinssätze aus den gegenwärtigen Zinssätzen für Darlehen mit verschiedenen Laufzeiten ableiten, die wiederum der Kenntnis der künftigen Sätze angepasst würden. Wenn beispielsweise 1dr im aktuellen Jahr 1 dem Wert von 1 £ entspricht, das in r Jahren
Kap. 13: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes147
fällig ist, und des Weiteren bekannt ist, dass ndr dem Wert von 1 £ im Jahr n entspricht, das in r Jahren ab diesem Zeitpunkt gerechnet fällig ist, so ergibt sich daraus, dass
n
dr =
1 dn + r 1 dn
.
Daraus folgt, dass in n Jahren die Umwandlung einer Schuldverschreibung in Bargeld durch zwei der Zinssätze aus dem ganzen Komplex von aktuellen Zinssätzen bestimmt ist. Ist der aktuelle Zinssatz für ein Darlehen jedweder Laufzeit positiv, dann ist es immer vorteilhafter, eine Schuldverschreibung zu kaufen statt Barmittel zur Vermögensaufbewahrung zu halten. Wenn der künftige Zinssatz hingegen ungewiss ist, können wir nicht mit 1 dn + r Sicherheit folgern, dass ndr tatsächlich zu gegebener Zeit gleich 1 dn sein wird. Entsteht womöglich vor Ablauf von n Jahren ein Bedarf an liquiden Mitteln, bergen der Erwerb langfristiger Schuldverschreibungen und die anschließende Umwandlung in Bargeld im Vergleich zum Halten von Barbeständen die Gefahr eines Verlusts. Der rechnerische Gewinn oder die mathematische, den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten entsprechend berechnete Gewinnerwartung – falls sich diese, was zweifelhaft erscheint, überhaupt berechnen lässt – muss hoch genug sein, um das Risiko einer Enttäuschung auszugleichen. Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die Liquiditätspräferenz, der sich aus der Unsicherheit über die Zukunft des Zinssatzes ergibt, sofern ein organisierter Markt für den Handel mit Schuldverschreibungen gibt. Denn unterschiedliche Personen dürften die Aussichten unterschiedlich einschätzen, und wer von der vorherrschenden Meinung abweicht, ist mit Barmitteln gut beraten. Er macht Gewinne, wenn er Recht behält und wenn sich irgendwann herausstellt, dass die verschiedenen 1dr in einem falschen Verhältnis zueinander standen.3 Das entspricht weitgehend dem, was wir schon ausführlich in Zusammenhang mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erörtert haben. So wie sich herausgestellt hat, dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals nicht durch die „beste“ Einschätzung, sondern durch die von der Massenpsychologie bestimmten Marktbewertung festgelegt wird, so wirken sich auch die durch die Massenpsychologie bestimmten Erwartungen über den zukünftigen Zinssatz auf die Liquiditätspräferenz aus – allerdings mit folgendem Zusatz: Wer an künftige Zinssätze oberhalb der vom Markt erwarteten 3 Dies entspricht dem, was ich in Vom Gelde unter den Stichworten „geteilte Meinung“ und „Hausse- / Baisse-Position“ erläutert habe.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Sätze glaubt, hat gute Gründe, sein Geld tatsächlich in liquider Form zu halten,4 während jemand, dessen Meinung in die Gegenrichtung von der des Marktes abweicht, ein Motiv für die Aufnahme kurzfristiger Kredite hat, um damit langfristige Schuldverschreibungen zu erwerben. Der Marktpreis wird an dem Punkt gebildet, an dem sich die Verkäufe der „Bären“ und die Käufe der „Bullen“ die Waage halten. Die drei oben dargestellten Untergruppen der Liquiditätspräferenz beruhen unserer Definition nach 1. auf dem Transaktionsmotiv, d. h. dem Bedarf an Barmitteln für die Abwicklung laufender privater oder geschäftlicher Transaktionen, 2. auf dem Vorsichtsmotiv, d. h. dem Bedürfnis nach Sicherheit über den künftigen Barwert eines gewissen Teils des Gesamtvermögens, und 3. auf dem Spekulationsmotiv, d. h. dem Versuch, Gewinne zu erzielen, indem man die zukünftige Entwicklung besser als der Markt voraussagt. Wie schon bei der Erörterung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals stellt uns auch hier die Frage der Wünschbarkeit eines hoch organisierten Wertpapierhandels vor ein Dilemma. Denn ohne einen organisierten Markt wäre die Liquiditätspräferenz aufgrund des Vorsichtsmotivs viel stärker. Die Existenz eines organisierten Markts gibt hingegen wegen des Spekulationsmotivs Anlass für starke Schwankungen der Liquiditätspräferenz. Zur Illustration dieser These lässt sich Folgendes anführen: Nehmen wir an, die Liquiditätspräferenz aufgrund des Transaktions- und des Vorsichtsmotivs bindet einen Geldbetrag, der nicht besonders elastisch auf Zinssatzänderungen reagiert – von deren Auswirkungen auf die Höhe des Einkommens abgesehen –, so dass die gesamte Geldmenge abzüglich dieses Betrags zur Befriedigung der Liquiditätspräferenz aufgrund des Spekula tionsmotivs zur Verfügung steht. Dann müssen sich der Zinssatz und der Kurs der Schuldverschreibungen auf der Höhe bilden, auf der der Wunsch einiger Personen nach Barmitteln (weil sie an diesem Punkt einen Kursrückgang bei den Anleihen erwarten) genau gleich der Summe der für das Spekulationsmotiv vorhandenen Barmittel ist. Jede Erhöhung der Geldmenge muss daher zu einer Kurssteigerung der Anleihen führen, die so weit über den Erwartungen einiger „Bullen“ liegt, dass diese dazu gebracht werden, ihre Anleihen in Bargeld umzuwandeln und sich der „Bären“Mannschaft anzuschließen. Ist jedoch die Nachfrage nach Barmitteln aus dem Spekulationsmotiv heraus von einer kurzen Übergangsperiode abgese4 Man könnte meinen, dass genauso jemand, der glaubt, der Ertrag einer Investition bleibe unterhalb der Erwartung des Marktes, genügend Gründe für Barmittelhaltung hätte. Aber das ist nicht der Fall. Derjenige hat einen hinreichenden Grund, den Besitz von Bargeld oder Schuldverschreibungen dem Besitz von Aktien vorzuziehen. Aber der Kauf von Schuldverschreibungen ist dem Besitz von Bargeld vorzuziehen, sofern er nicht gleichzeitig glaubt, der zukünftige Zinssatz werde höher als vom Markt angenommen sein.
Kap. 13: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes149
hen minimal, dann muss durch eine Erhöhung der Geldmenge der Zinssatz praktisch unverzüglich so weit sinken, wie für eine Erhöhung der Beschäftigung und der Lohneinheit nötig ist. Diese muss hinreichend sein, um dafür zu sorgen, dass die zusätzlichen Barmittel durch das Transaktions- und das Vorsichtsmotiv gebunden werden. In der Regel können wir davon ausgehen, dass die Kurve der Liquiditätspräferenz, die die Geldmenge zum Zinssatz in Beziehung setzt, durch eine gleichmäßige Kurve gegeben ist, die einen mit wachsender Geldmenge sinkenden Zinssatz zeigt. Es gibt mehrere unterschiedliche Gründe, durch die man zu diesem Ergebnis gelangt. Erstens ist es bei sinkenden Zinsen wahrscheinlich, dass unter sonst gleichen Bedingungen mehr Geld wegen der durch das Transaktionsmotiv bedingten Liquiditätspräferenz gebunden wird. Denn wenn der sinkende Zinssatz das Nationaleinkommen erhöht, wird mehr oder weniger parallel dazu auch der Geldbetrag erhöht, der für den Zahlungsverkehr gebraucht wird. Gleichzeitig sinken die Kosten in Form entgangener Zinsen, die mit dem Vorteil größerer Barbestände einhergehen. Sofern wir die Liquiditätspräferenz nicht in Lohneinheiten statt in Geld messen (was in manchen Zusammenhängen durchaus sinnvoll sein kann), ist das Ergebnis ähnlich, wenn die zunehmende Beschäftigung infolge einer Zinssenkung zu Lohnerhöhungen führt, d. h. zu einer Erhöhung des Geldwerts der Lohneinheit. Zweitens kann, wie wir eben gesehen haben, eine Zinssenkung zu einer Erhöhung der Bar beträge führen, die einige Leute halten möchten, weil ihre Einschätzung der Entwicklung des Zinssatzes von der des Marktes abweicht. Gleichwohl können sich Umstände ergeben, in denen sogar ein starker Zuwachs der Geldmenge einen vergleichsweise kleinen Einfluss auf den Zinssatz hat. Denn ein kräftiges Geldmengenwachstum kann für so viel Unsicherheit über die Zukunft sorgen, dass sich die Liquiditätspräferenz aus dem Sicherheitsmotiv verstärkt, während die Einschätzungen über den zukünftigen Zinssatz womöglich so einheitlich sind, dass schon eine kleine Veränderung des aktuellen Satzes eine Massenbewegung hin zum Bargeld auslöst. Es ist bemerkenswert, dass die Stabilität des Systems und seine Empfindlichkeit gegenüber Veränderungen der Geldmenge derart abhängig ist von der Existenz unterschiedlicher Einschätzungen darüber, woraus die Unsicherheit besteht. Am besten wäre natürlich, wir würden die Zukunft kennen. Aber wenn nicht, ist es für eine Steuerung der Funktion des Wirtschaftssystems mittels Veränderungen der Geldmenge entscheidend, dass es unterschiedliche Einschätzungen gibt. Daher ist diese Art der Steuerung in den Vereinigten Staaten, wo alle dazu neigen, zur selben Zeit dieselbe Meinung zu haben, riskanter als in England, wo Meinungsunterschiede nicht unüblich sind.
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III. Wir haben nun erstmals Geld in unsere Argumentationskette eingefügt und einen ersten Eindruck davon bekommen, wie Veränderungen der Geldmenge auf das Wirtschaftssystem einwirken. Sollten wir nun jedoch die Vermutung hegen, es sei das Geld, das die Wirtschaft in Schwung bringt, so müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, dass zwischen Theorie und Praxis oft Welten liegen. Denn man kann zwar normalerweise davon ausgehen, dass unter sonst gleichen Bedingungen Geldmengenwachstum zu niedrigeren Zinsen führt, doch trifft dies nicht zu, wenn die Liquiditätspräferenz der Bevölkerung schneller wächst als die Geldmenge. Man kann des Weiteren auch davon ausgehen, dass unter sonst gleichen Bedingungen durch eine Zinssenkung das Investitionsvolumen erhöht wird, aber das trifft nicht zu, wenn die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals schneller sinkt als der Zinssatz. Überdies kann man davon ausgehen, dass ein höheres Investitionsvolumen unter sonst gleichen Bedingungen zu mehr Beschäftigung führt, doch dies trifft womöglich nicht zu, wenn zugleich die Konsumneigung rückläufig ist. Und schließlich werden bei zunehmender Beschäftigung die Preise um einen Faktor steigen, der teils durch die Kurven des physischen Angebots bestimmt wird und teils durch den tendenziellen Anstieg der in Geld ausgedrückten Lohneinheit. Kommt es nun zu einer Erhöhung der Produktion und der Preise, wirkt sich das so auf die Liquiditätspräferenz aus, dass eine höhere Geldmenge nötig ist, um den Zinssatz auf einem bestimmten Niveau zu stabilisieren. IV. Obwohl sich Liquiditätspräferenz aus dem Spekulationsmotiv heraus oft mit dem deckt, was ich in Vom Gelde als „Baissestimmung“ bezeichnet habe, handelt es sich dabei keineswegs um das gleiche. Denn die „Baissestimmung“ war dort nicht als funktionale Beziehung zwischen Zinssatz (oder dem Preis der Darlehen) und Geldmenge definiert, sondern zwischen dem Preis von Vermögensgütern und Darlehen zusammengenommen sowie der Geldmenge. Bei diesem Verfahren bestand jedoch eine Verwechslungsgefahr zwischen den Effekten einer Zinssatzänderung und denen einer Veränderung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Diese hoffe ich hier vermieden zu haben. V. Der Begriff Horten kann als eine erste Annäherung an das Konzept der Liquiditätspräferenz betrachtet werden. In der Tat wären die beiden nahezu
Kap. 13: Die allgemeine Theorie des Zinssatzes151
deckungsgleich, wenn wir „Horten“ durch „Hortungsneigung“ ersetzen. Wenn wir unter „Horten“ jedoch einen tatsächlichen Zuwachs der Barbestände verstehen, wäre dies eine unvollständige Vorstellung – ja sogar eine irreführende, wenn wir dadurch zu der Annahme verleitet werden, bei „Horten“ und „Nicht-Horten“ handele es sich einfach um zwei Alternativen. Denn die Entscheidung zu horten trifft man nicht als etwas Absolutes oder ohne zu überlegen, welche Vorteile die Aufgabe von Liquidität hätte. Sie resultiert aus einer Abwägung der Vorteile, und wir müssen deshalb wissen, was sich in der anderen Waagschale befindet. Solange wir unter „Horten“ den wirklichen Besitz von Barmitteln verstehen, kann zudem die Veränderung des tatsächlich gehorteten Betrags unmöglich die Folge von Entscheidungen der Öffentlichkeit sein. Denn der gehortete Betrag muss gleich der Geldmenge sein (oder gemäß manchen Definitionen der Geldmenge minus des zur Befriedigung der Transaktionsmotivs nötigen Summe) – und die Geldmenge wird nicht von der Öffentlichkeit festgelegt. Durch die Neigung der Bevölkerung zu horten kann lediglich der Zinssatz bestimmt werden, zu dem das kollektive Bedürfnis zu horten gleich den zur Verfügung stehenden Barmiteln ist. Dass gewöhnlich die Relation zwischen Zinssatz und Horten übersehen wird, dürfte zumindest zum Teil erklären, warum Zinsen üblicherweise als Belohnung für das Nicht-Ausgeben angesehen werden, obwohl sie doch in Wirklichkeit die Belohnung für Nicht-Horten sind.
Kapitel 14
Die klassische Theorie des Zinssatzes I. Was ist die klassische Theorie des Zinssatzes? Es handelt sich um eine Theorie, mit der wir alle aufgewachsen sind und die wir bis vor kurzem ohne große Vorbehalte hingenommen haben. Dennoch fällt es mir schwer, sie genau zu erklären oder eine explizite Beschreibung in den wichtigsten Abhandlungen der heutigen klassischen Schule zu finden.1 Recht eindeutig ist, dass diese Tradition den Zinssatz als denjenigen Faktor ansieht, der die Nachfrage nach Investitionen und die Bereitschaft zu sparen miteinander ins Gleichgewicht bringt. Investitionen verkörpern die Nachfrage nach investierbaren Mitteln und Ersparnisse das Angebot, während der Zinssatz der „Preis“ der investierbaren Mittel ist, zu dem diese beiden miteinander in Übereinstimmung gebracht werden. So wie der Preis einer Ware stets an dem Punkt festgesetzt ist, an dem die Nachfrage danach gleich ihrem Angebot ist, so pendelt sich der Zinssatz durch das Spiel der Marktkräfte zwingend auf dem Punkt ein, wo die Summe der Investitionen zu diesem Zinssatz gleich der Summe der Ersparnisse zum selben Satz ist. Das eben Gesagte findet sich nicht ausdrücklich in Marshalls Principles of Economics. Gleichwohl scheint genau das seine Theorie zu sein. Es ist das, womit ich aufgewachsen bin und was ich viele Jahre lang andere gelehrt habe. Nehmen wir beispielsweise folgende Stelle aus seinen Principles: „Der Zins, der ja auf jedem Markt der für die Nutzung von Kapital bezahlte Preis ist, tendiert zu einem Gleichgewicht, bei dem auf dem Markt die Gesamtnachfrage nach Kapital zu diesem Zinssatz gleich dem gesamten Kapitalstock ist, der zu diesem Zinssatz angeboten wird.“2 In Cassels Nature and Necessity of Interest wiederum wird erklärt, dass Investitionen die „Nachfrage nach Warten“ darstellt und Ersparnisse das „Angebot an Warten“, während der Zinssatz folgerichtig ein „Preis“ ist, der anscheinend dazu dient, die beiden ins Gleichgewicht zu bringen. Allerdings konnte ich auch hier kein Zitat 1 Eine Zusammenfassung dessen, was ich dazu finden konnte, wird im Anhang zu diesem Kapitel gegeben. 2 Eine weitere Erörterung dieser Textstelle ist auf S. 160 zu finden.
Kap. 14: Die klassische Theorie des Zinssatzes153
finden, das dies explizit ausdrückt. Kapitel 6 von Carvers Distribution of Wealth zielt eindeutig auf den Zins als denjenigen Faktor, der das Grenzleid des Wartens mit der Grenzproduktivität des Kapitals ins Gleichgewicht bringt.3 Alfred Flux (Economic Principles, S. 95) schreibt: „Wenn die Grundsätze unserer allgemeinen Erörterung richtig sind, muss man zugeben, dass sich ein automatischer Ausgleich zwischen Ersparnissen und den Gelegenheiten, Kapital gewinnbringend einzusetzen, vollzieht … Ersparnisse werden stets nützliche Anwendungsmöglichkeiten finden …, solange der Nettozinssatz über null liegt.“ Taussig (Principles, Band II, S. 29) zeichnet eine Ersparnisangebotskurve und eine Nachfragekurve, die „die abnehmende Produktivität mehrerer Steigerungen des Kapitaleinsatzes“ darstellt, nachdem er zuvor (S. 20) anführte, dass „sich der Zinssatz auf einem Punkt einpendelt, an dem die Grenzproduktivität des Kapitals ausreicht, um den marginalen Anstieg der Ersparnisse hervorzubringen“.4 In Anhang I (III) der Éléments d’économie pure von Walras, wo es um „den Tausch von Ersparnissen gegen neues Kapital“ geht, weist dieser ausdrücklich darauf hin, dass es bei jedem möglichen Zinssatz eine Summe gibt, die die Menschen sparen, und auch eine Summe, die sie in neue Kapitalanlagen investieren, dass diese zwei Aggregate sich einander anzugleichen tendieren und dass der Zinssatz die Variable ist, die diese Gleichheit herstellt. Somit wird der Zinssatz an dem Punkt festgesetzt, an dem die Ersparnisse, die das Angebot an neuem Kapital darstellen, gleich der Nachfrage danach sind. Walras steht also streng in der klassischen Tradition. Viele Menschen, die mit der traditionellen Theorie aufgewachsen sind – Bankiers, Beamte oder Politiker etwa –, haben ebenso wie ausgebildete Ökonomen sicherlich eine Reihe von Vorstellungen mitgenommen: Jeder Akt des Sparens eines Einzelnen führe automatisch zu einer Senkung des Zinssatzes, was wiederum automatisch die Produktion von Kapital ankurbele. Die Zinsen würden genau so weit fallen wie nötig, um die Erzeugung von Kapital in einer Höhe zu bewirken, die gleich dem Zuwachs an Ersparnissen ist. Und sie gehen des Weiteren davon aus, es handele sich dabei um 3 Es ist schwierig, Carvers Darstellung zu folgen, weil erstens unklar bleibt, ob er unter „Grenzproduktivität des Kapitals“ die Menge oder den Wert des Grenzprodukts versteht, und weil er zweitens nicht versucht, die Kapitalmenge zu definieren. 4 In einer neueren Abhandlung über diese Fragen (F. H. Knight, „Capital, Time and the Interest Rate“, Economica, Aug. 1934), die viele bemerkenswerte, tiefgehende Betrachtungen über die Natur des Kapitals enthält und die Richtigkeit der marshallschen Tradition in Bezug auf die Nutzlosigkeit von Böhm-Bawerks Analyse bestätigt, wird die Theorie des Zinses genau in der überlieferten klassischen Form wiedergegeben. Gleichgewicht auf dem Gebiet der Kapitalerzeugung bedeutet nach Knight „einen solchen Zinssatz, dass die Ersparnisse in genau der gleichen Zeit oder Geschwindigkeit in den Markt wie in Investitionen fließen und dabei die gleiche Nettorendite erzeugen wie die, welche den Sparern für ihre Nutzung bezahlt wird“.
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einen Prozess der Selbstregulierung, der sich ohne spezielles Eingreifen oder großmütterliche Fürsorge seitens der Währungsbehörden vollzieht. Ebenso lautet ein bis heute noch weiter verbreiteter Glaube, dass sich durch jede zusätzliche Investition zwangsläufig auch der Zinssatz erhöhe, sofern sie nicht durch eine Veränderung der Bereitschaft zu sparen ausgeglichen wird. Nun sollte die Auswertung der vorangegangenen Kapitel deutlich gemacht haben, dass diese Darstellung falsch ist. Bei der Rückverfolgung der Gründe für die Meinungsunterschiede wollen wir zunächst jedoch mit den Fragen beginnen, bei denen Einigkeit besteht. Anders als die neoklassische Schule, der zufolge Ersparnisse und Investi tionen durchaus voneinander abweichen können, hat sich die eigentliche klassische Schule die Auffassung zu eigen gemacht, dass beide gleich seien. Marshall etwa glaubte offenbar, obwohl er dies nicht ausdrücklich so formulierte, die Gesamtersparnisse und die Gesamtinvestitionen seien zwingend gleich. Die meisten Vertreter der klassischen Schule übertrieben es in der Tat mit dieser Überzeugung, wenn sie meinten, dass jeder Akt zusätzlichen Sparens einer Einzelperson zwangsläufig einen entsprechenden Akt zusätzlicher Investitionen bewirken würde. Es besteht zudem auch kein großer Unterschied, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung wäre, zwischen meiner Funktion der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bzw. der Investitionsnachfragefunktion auf der einen Seite und der von einigen der oben genannten klassischen Autoren betrachteten Kapitalnachfragekurve auf der anderen Seite. Wenn wir uns nun der Konsumneigung und ihrem Gegenstück, der Sparneigung, zuwenden, kommen wir den Differenzen schon näher, da die klassischen Autoren so ein großes Gewicht auf den Einfluss des Zinssatzes auf die Sparneigung legen. Aber sie würden vermutlich nicht abstreiten, dass das Einkommensniveau ebenfalls einen starken Einfluss auf die Höhe der Ersparnisse hat. Ich wiederum würde nicht abstreiten, dass der Zinssatz womöglich einen Einfluss (wenn auch vielleicht nicht in der von ihnen angenommenen Art) auf die Höhe der aus einem gegebenen Einkommen angesparten Summen hat. All diese konsensfähigen Punkte lassen sich in einer These zusammenfassen, die die klassische Schule akzeptieren würde und die auch ich nicht in Abrede stellen würde: Bei einem gegebenen Einkommensniveau können wir davon ausgehen, dass der aktuelle Zinssatz an der Schnittstelle liegt zwischen der Kapitalnachfragekurve, die verschiedenen Zinssätzen entspricht, und der unterschiedlichen Zinssätzen entsprechenden Kurve der aus dem gegebenen Einkommen ersparten Summen. Dies aber ist der Punkt, an dem sich ein ganz eindeutiger Fehler in die klassische Theorie einschleicht. Wenn die klassische Schule aus dieser These nur folgern würde, dass angesichts der Kapitalnachfragekurve und des
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Einflusses von Zinsänderungen auf die Bereitschaft, aus den gegebenen Einkommen Ersparnisse zurückzulegen, das Einkommensniveau und der Zinssatz in einer eindeutigen Korrelation zueinander stehen, gäbe es daran nichts auszusetzen. Überdies würde diese These ganz natürlich zu folgender weiteren Überlegung führen, in der viel Wahres steckt: Wenn der Zinssatz, die Kapitalnachfragekurve und der Einfluss des Zinssatzes auf die Bereitschaft, aus den gegebenen Einkommen Ersparnisse zurückzulegen, gegeben sind, dann muss das Einkommensniveau der Faktor sein, der die Summe der Ersparnisse mit der Summe der Investitionen in Übereinstimmung bringt. Tatsächlich aber vernachlässigt die klassische Theorie nicht nur den Einfluss von Veränderungen des Einkommensniveaus, sondern sie enthält auch einen formalen Fehler. Denn die wie aus den oben aufgeführten Zitaten hervorgeht, glaubt die klassische Theorie nun einfach den Effekt (z. B.) einer Verschiebung der Kapitalnachfragekurve auf den Zinssatz messen zu können, ohne ihre Annahmen über die Höhe des gegebenen Einkommens, aus dem die Ersparnisse zurückgelegt werden, einzuschränken oder zu modifizieren. Die unabhängigen Variablen der klassischen Theorie des Zinssatzes sind die Kapitalnachfragekurve und der Einfluss des Zinssatzes auf die aus einem gegebenen Einkommen ersparte Summe. Wenn (z. B.) sich die Kapitalnachfragekurve verschiebt, bildet sich dieser Theorie zufolge der neue Zinssatz am Schnittpunkt der neuen Kapitalnachfragekurve und der Kurve, die den Zinssatz zu den aus dem gegebenen Einkommen ersparten Beträgen ins Verhältnis setzt. Die klassische Theorie des Zinssatzes geht anscheinend davon aus, dass bei einer Verschiebung der Kapitalnachfragekurve oder der Kurve, die den Zinssatz zu den aus dem gegebenen Einkommen ersparten Beträgen ins Verhältnis setzt, oder auch bei der Verschiebung beider Kurven der neue Zinssatz am Schnittpunkt der neuen Positionen der beiden Kurven gebildet wird. Aber das ist eine unsinnige Theorie. Denn die Annahme eines konstanten Einkommens ist unvereinbar mit der Annahme, dass sich diese beiden Kurven unabhängig voneinander verschieben könnten. Wenn sich eine von ihnen verschiebt, wird sich im Allgemeinen das Einkommen verändern – mit dem Ergebnis, dass die ganze auf der Annahme eines gegebenen Einkommens basierende Vorstellung in sich zusammenfällt. Die Lage könnte nur gerettet werden durch die höchst komplizierte Prämisse einer automatischen Veränderung der Lohneinheit um einen Betrag, dessen Wirkung auf die Liquiditätspräferenz gerade ausreicht, um für einen Zinssatz zu sorgen, der die angenommene Verschiebung aufwiegt und so die Produktion auf unverändertem Niveau belässt. Allerdings findet sich bei den genannten Autoren kein Hinweis auf die Notwendigkeit einer solchen Prämisse. Sie wäre bestenfalls in Hinblick auf das langfristige Gleichgewicht plausibel, könnte aber keine Grundlage für eine kurzfristige Theorie darstellen – und
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es gibt keine Gründe für die Annahme, dass sie selbst auf lange Sicht tragfähig ist. In Wahrheit ist sich die klassische Theorie der Bedeutung von Veränderungen des Einkommensniveaus genauso wenig bewusst wie der Möglichkeit, dass das Einkommensniveau in Wirklichkeit vom Investitionsvolumen abhängig ist. Das eben Gesagte kann durch folgendes Diagramm5 erläutert werden:
In diesem Diagramm sind die Investitionen (bzw. Ersparnisse) I auf der y-Achse eingetragen und der Zinssatz r auf der x-Achse. X1X1' ist die erste Position der Investitionsnachfragekurve und X2X2' die zweite. Die Kurve Y1 setzt die aus einem Einkommen Y1 angesparten Beträge in Beziehung zu verschiedenen Zinsniveaus; die Kurven Y2, Y3, etc. sind die entsprechenden Kurven für die Einkommensniveaus Y2, Y3, etc. Angenommen, die Kurve Y1 ist diejenige Y-Kurve, die mit der Investitionsnachfragekurve X1X1' und einem Zinssatz r1 in Einklang steht. Wenn sich nun die Investitionsnachfragekurve von X1X1' nach X2X2' verschiebt, wird sich im Allgemeinen auch das Einkommen verschieben. Aber das hier dargestellte Diagramm enthält nicht genügend Angaben, um uns den neuen Wert anzeigen zu können. Ohne zu wissen, welches die richtige Y-Kurve ist, können wir auch nicht den Punkt bestimmen, an dem die neue Investitionsnachfragekurve sie schneidet. Wenn wir jedoch den Stand der Liquiditätspräferenz und die Geldmenge dazu nehmen und dadurch erfahren, dass der Zinssatz r2 beträgt, lässt sich die ganze Position bestimmen. Die passende Kurve ist diejenige Y-Kurve, die X2X2' an dem oberhalb von r2 gelegenen Punkt schneidet, also 5 Die Idee für dieses Diagramm stammt von R. F. Harrod. Vgl. auch den teilweise ähnlichen Ansatz von D. H. Robertson in Economic Journal, Dez. 1934, S. 652.
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die Kurve Y2. Die X- und die Y-Kurven sagen also gar nichts über den Zinssatz aus. Wir erfahren aus ihnen nur dann die Höhe des Einkommens, wenn wir aus einer anderen Quelle Informationen über den Zinssatz erhalten. Bleiben der Stand der Liquiditätspräferenz und die Geldmenge gleich, so dass auch der Zinssatz unverändert ist, dann ist die Kurve Y2', die die neue Investitionsnachfragekurve unterhalb des Punktes, an dem die Kurve Y1 die alte Investitionsnachfragekurve schnitt, die passende Y-Kurve, und Y2' ist das neue Einkommensniveau. Die von der klassischen Theorie verwendeten Funktionen, nämlich die Reaktion von Investitionen und die Reaktion des aus einem gegebenen Einkommen ersparten Betrags auf Zinsänderungen, liefern somit nicht genügend Material für eine Theorie des Zinssatzes. Sie könnten jedoch Informationen über das Einkommensniveau geben, sofern (aus einer anderen Quelle) der Zinssatz bekannt ist, oder umgekehrt über den Zinssatz, sofern das Einkommen auf einer bestimmten Höhe gehalten wird (z. B. auf dem mit Vollbeschäftigung übereinstimmenden Niveau). Der Fehler rührt daher, dass Zinsen als Belohnung für das Warten an sich gesehen werden statt als Belohnung für das Nicht-Horten. Dabei werden die Renditen von Darlehen oder Investitionen unterschiedlicher Risikoklassen durchaus korrekt als Belohnung für das Eingehen eines Risikos und nicht fürs Warten an sich angesehen. Es lässt sich in Wahrheit keine scharfe Grenze ziehen zwischen diesen Renditen und dem so genannten „reinen“ Zinssatz, da sie alle die Belohnung dafür darstellen, das Risiko der Unsicherheit in der ein oder anderen Form einzugehen. Nur in dem Fall, dass Geld ausschließlich für Zahlungen und niemals zur Wertaufbewahrung genutzt würde, wäre eine andere Theorie angebracht.6 Es gibt jedoch zwei wohlbekannte Argumente, die der klassischen Schule vielleicht eine Warnung hätten sein sollen, dass etwas nicht stimmt. Erstens herrscht Einigkeit, zumindest seit der Veröffentlichung von Cassels Nature and Necessity of Interest, dass ein Zuwachs der aus einem gegebenen Einkommen ersparten Beträge angesichts einer Zinserhöhung keineswegs sicher ist, während niemand bezweifelt, dass bei steigenden Zinsen die Investi tionsnachfrage sinkt. Aber wenn sowohl die Y- als auch die X-Kurven bei einer Erhöhung des Zinssatzes zurückgehen, gibt es keine Garantie, dass eine bestimmte Y-Kurve eine bestimmte X-Kurve überhaupt irgendwo schneidet. Dies deutet darauf hin, dass der Zinssatz nicht allein durch die Y- und die X-Kurve bestimmt werden kann. Zweitens ist die Annahme verbreitet, dass eine Zunahme der Geldmenge tendenziell den Zinssatz sinken lässt, zumindest auf Anhieb und auf kurze 6 Vgl.
Kap. 17.
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Sicht. Jedoch wurde nie ein Grund genannt, warum sich eine Veränderung der Geldmenge auf die Investitionsnachfragekurve auswirken sollte oder auf die Bereitschaft, Ersparnisse aus einem gegebenen Einkommen zurückzulegen. Somit vertrat die klassische Schule im ersten Teil, in dem es um die Werttheorie geht, eine ganz andere Theorie des Zinssatzes als im zweiten Teil, in dem es um die Geldtheorie geht. Ihre Anhänger scheinen sich jedoch von dem Widerspruch nicht stören zu lassen und haben meines Wissens keinerlei Versuch unternommen, eine Brücke zwischen den beiden Theorien zu bauen. Dies gilt jedenfalls für die klassische Schule im engeren Sinne. Denn der Versuch seitens der neoklassischen Schule, eine solche Brücke zu errichten, hat zu einem noch viel schlimmeren Durcheinander geführt. Sie hat nämlich den Schluss gezogen, es müsse zwei Angebotsquellen geben, um der Investitionsnachfrage zu entsprechen, und zwar die eigentlichen Ersparnisse, mit denen sich auch die klassische Schule befasste, plus der durch eine beliebige Erhöhung er Geldmenge verfügbar gewordene Betrag (was durch irgendeine Art von Abschöpfung ausgeglichen wird, die als „erzwungene Ersparnis“ oder Ähnliches bezeichnet wird). Das führt dann weiter zu der Idee, es gebe so etwas wie einen „natürlichen“ oder „neutralen“7 oder „Gleichgewichts“-Zinssatz, also den Zinssatz, der Investitionen und klassische Ersparnisse im eigentlichen Sinne in Übereinstimmung bringt, ohne Ergänzung durch „erzwungene Ersparnisse“. Und schließlich führt es – unter der Annahme, dass die neoklassische Schule von Anfang an auf der richtigen Spur war – zu der offensichtlichsten aller Lösungen: Wenn es nur möglich wäre, die Geldmenge unter allen Umständen konstant zu halten, ergäben sich all diese Probleme gar nicht erst, da sämtliche Übel, die sich aus dem vermeintlichen Überhang der Investitionen über die eigentlichen Ersparnisse ergeben, dann nicht mehr möglich wären. An diesem Punkt aber stecken wir fest. „Die Wildente ist auf den Grund hinuntergetaucht, so tief sie gelangen kann, und hat sich festgebissen am Unkraut, Tang und all dem Abfall dort unten, und es brauchte einen außerordentlich geschickten Hund, um ihr hinterher zu tauchen und sie wieder herauszufischen.“8 Die traditionelle Analyse ist also falsch, weil es ihr nicht gelingt, die unabhängigen Systemvariablen richtig zu isolieren. Ersparnisse und Investitionen werden durch das System determiniert und sind nicht seine Determinanten. Sie sind vielmehr beide das Ergebnis der Systemdeterminanten, und zwar der Konsumneigung, der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und des Zinssatzes. Diese Determinanten sind ihrerseits für sich genom7 Der „neutrale“ Zinssatz zeitgenössischer Ökonomen unterscheidet sich sowohl vom „natürlichen“ Satz Böhm-Bawerks als auch vom „natürlichen“ Satz Wicksells. 8 Aus dem Theaterstück Die Wildente von Henrik Ibsen. (A. d. Ü.)
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men komplex, und jede von ihnen kann durch mögliche Veränderungen der anderen beeinflusst werden. Gleichwohl bleiben sie unabhängig in dem Sinne, dass ihre Werte nicht voneinander abgeleitet werden können. Die traditionelle Analyse ist sich darüber bewusst, dass die Ersparnisse vom Einkommen abhängen. Sie übersieht jedoch, dass das Einkommen dergestalt von den Investitionen abhängt, dass sich das Einkommen bei Veränderungen der Investitionen zwingend gerade so stark verändert, dass die Veränderungen der Ersparnisse gleich den Veränderungen der Investitionen sind. Genauso wenig Erfolg ist den Theorien beschieden, die den Zinssatz als von der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ abhängig begreifen. Es stimmt zwar, dass in einer Gleichgewichtssituation der Zinssatz gleich der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist, da es sich lohnt, das aktuelle Investitionsvolumen zu erhöhen (bzw. zu senken), bis beide gleich sind. Aber daraus eine Theorie des Zinssatzes zu konstruieren oder den Zinssatz abzuleiten führt zu einem Zirkelschluss – wie Marshall auf halbem Weg entdeckte, als er den Zinssatz auf diese Weise zu erklären versuchte.9 Denn die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ hängt teilweise vom aktuellen Investitionsvolumen ab, und wir müssen den Zinssatz schon kennen, ehe wir dieses Volumen berechnen können. Die entscheidende Folgerung daraus ist, dass die Neuinvestitionen bis zu dem Punkt vorangetrieben werden, an dem die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gleich dem Zinssatz wird. Durch die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erfahren wir nicht die Höhe des Zinssatzes, sondern bis zu welchem Punkt bei einem gegebenen Zinssatz Neuinvestitionen durchgeführt werden. Der Leser wird mit mir übereinstimmen, dass das hier dargestellte Problem eine Angelegenheit von grundlegender theoretischer Bedeutung und von überwältigender praktischer Relevanz ist. Denn das ökonomische Prinzip, auf dem bisher der praktische Rat der Ökonomen fast ausnahmslos basiert, geht letztlich davon aus, dass unter sonst gleichen Umständen rückläufige Ausgaben zu tendenziell niedrigeren Zinsen führen und zunehmende Investitionen zu höheren. Wenn aber das, was diese beiden Größen determiniert, nicht der Zinssatz ist, sondern die Höhe der Gesamtbeschäftigung, dann wird dadurch unsere Sicht der Funktionsweise des Wirtschaftssystems grundlegend verändert. Eine geringere Ausgabenbereitschaft erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn sie nicht als Faktor betrachtet wird, der unter sonst gleichen Bedingungen eine Erhöhung der Investitionen bewirkt, sondern als Faktor, der unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Verringerung der Beschäftigung führt.
9 Vgl.
den Anhang zu diesem Kapitel.
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Anhang zu Kapitel 14 Anhang über den Zinssatz in Marshalls Principles of Economics, in Ricardos Principles of Political Economy und an anderen Stellen I.
Es gibt in den Werken Marschalls, Edgeworths oder Pigous keine zusammenhängende Diskussion des Zinssatzes, sondern nur einige beiläufige Bemerkungen. Abgesehen von der oben bereits zitierten Textstelle (S. 124), findet sich der einzige wichtige Hinweis auf Marshalls Einstellung zum Zinssatz in seinen Principles of Economics (6. Auflage), Buch VI, S. 534 und S. 593, dessen Kernaussage durch die folgenden Zitate wiedergegeben wird: „Zinsen, also der auf einem beliebigen Markt für die Kapitalnutzung gezahlte Preis, tendieren zu einem solchen Gleichgewichtsniveau, dass auf diesem Markt die Gesamtnachfrage nach Kapital zu diesem Zinssatz gleich dem gesamten zu diesem Satz angebotenen Kapitalstock10 ist. Wenn besagter Markt klein ist – sagen wir, eine einzelne Stadt oder ein einzelner Geschäftszweig in einem entwickelten Land – wird eine höhere Nachfrage nach Kapital umgehend durch ein aus benachbarten Gegenden oder Geschäftszweigen stammendes Angebot befriedigt. Wenn wir jedoch die ganze Welt oder auch nur ein ganzes großes Land als einen einzigen Kapitalmarkt betrachten, können wir das gesamte Kapitalangebot nicht als etwas begreifen, das durch eine Zinssatzänderung schnell und in erheblichem Ausmaß verändert würde. Denn der allgemeine Kapitalfonds ist das Produkt aus Arbeitsleistung11 und Warten, und die zusätzliche Arbeit und das zusätz10 Man beachte, dass Marshall das Wort „Kapital“ und nicht „Geld“ und das Wort „Kapitalstock“ und nicht „Darlehen“ verwendet; und doch sind Zinsen eine Zahlung für das Borgen von Geld, und „Nachfrage nach Kapital“ sollte in diesem Zusammenhang die „Nachfrage nach Gelddarlehen zum Zweck des Kaufes eines Bestandes an Kapitalgütern“ bedeuten. Aber die Übereinstimmung der Menge angebotener und nachgefragter Kapitalgüter wird durch die Preise der Kapitalgüter und nicht durch den Zinssatz hergestellt. Was der Zinssatz herstellt, ist die Gleichheit zwischen Nachfrage und Angebot von Gelddarlehen, d. h. Schuldverschreibungen. 11 Dies setzt voraus, dass das Einkommen nicht konstant ist. Aber es ist nicht offensichtlich, wie eine Erhöhung des Zinssatzes zu „zusätzlicher Arbeitsleistung“ führen soll. Steht dahinter die Annahme, dass eine Zinserhöhung Arbeit attraktiver macht, um mehr Ersparnisse zurücklegen zu können, und somit eine Art Reallohnerhöhung darstellt, weswegen die Arbeitnehmer auch für einen geringeren Lohn zu arbeiten bereit sind? Ich vermute, das schwebte D. H. Robertson in einem ähnlichen Zusammenhang vor. Dies würde sicherlich „auf kurze Sicht keinen großen Unterschied machen“, und der Versuch, die tatsächlichen Fluktuationen des Investitionsvolumens durch diesen Faktor zu erklären, wäre äußerst unplausibel, ja geradezu absurd. Ich würde den zweite Teil des obigen Satzes so umformulieren: „und wenn eine erhebliche Zunahme der Nachfrage nach Kapital im Allgemeinen, die infolge
Kap. 14: Die klassische Theorie des Zinssatzes161 liche Warten, die durch eine Zinserhöhung ausgelöst würden, machen auf kurze Sicht keinen großen Unterschied verglichen mit all der Arbeit und dem Warten, das den bestehenden Gesamtkapitalstock geschaffen hat. Eine erhebliche Zunahme der Nachfrage nach Kapital im Allgemeinen wird darum eine Zeitlang weniger durch eine Erhöhung des Angebots befriedigt als vielmehr durch einen Anstieg des Zinssatzes.12 Dies führt dazu, dass sich das Kapital teilweise aus den Bereichen zurückzieht, in denen sein Grenznutzen am geringsten ist. Indes wird die Zinserhöhung erst langsam und allmählich den Gesamtkapitalstock vergrößern.“ (S. 534) „Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass der Ausdruck ‚der Zinssatz‘ auf bestehende Kapitalinvestitionen nur sehr bedingt anwendbar ist.13 Wir können beispielsweise schätzen, dass ein Handelskapital von rund 7000 Millionen zu rund 3 % in die verschiedenen Geschäftszweige des Landes investiert wurde. Eine solche Darstellung mag zwar praktisch und für viele Zwecke gerechtfertigt sein, sie ist jedoch nicht korrekt. Richtiger wäre folgende Formulierung: Bei einem Nettozinssatz von etwa 3 % für Investitionen neuen Kapitals in all diese Geschäftszweige (d. h. für Grenzinvestitionen) ist das gesamte Nettoeinkommen aus dem gesamten in die verschiedenen Geschäftszweigen investierten Geschäftskapital so hoch, dass es auf 33 Jahre kapitalisiert (d. h. auf Basis eines Zinssatzes von 3 %) rund 7000 Millionen Pfund betragen würde. Denn der Wert des bereits in die Bodenverbesserung, in den Haus-, Eisenbahn- oder Maschinenbau investierten Kapitals ist der gesamte diskontierte Wert seiner geschätzten zukünftigen Nettoerträge (oder Quasi-Renten); und falls sich seine voraussichtliche Ertragskraft verringern sollte, würde sein Wert entsprechend sinken und dem kapitalisierten Wert dieses geringeren Ertrags nach Berücksichtigung der Abschreibung entsprechen.“ (S. 593)
einer zunehmenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auftritt, nicht durch einen Zinsanstieg ausgeglichen wird, dann werden die zusätzliche Beschäftigung und das höhere Einkommensniveau, die aus der vermehrten Erzeugung von Kapitalgütern resultieren, zu einem zusätzlichem Quantum ‚Warten‘ führen, das, in Geld gemessen, genau gleich dem Wert des aktuellen Zuwachses von Kapitalgütern ist und daher auch genau dafür sorgen wird“. 12 Warum nicht durch eine Erhöhung des Angebotspreises von Kapitalgütern? Nehmen wir zum Beispiel an, dass die „erhebliche Zunahme der Nachfrage nach Kapital im Allgemeinen“ auf eine Senkung des Zinssatzes zurückzuführen ist. Ich würde dann vorschlagen, den Satz wie folgt umzuschreiben: „Insofern als die erhebliche Zunahme der Nachfrage nach Kapitalgütern daher nicht sofort durch eine Zunahme des ganzen Kapitalstocks befriedigt werden kann, muss sie zeitweilig durch eine ausreichend hohe Zunahme des Angebotspreises von Kapitalgütern eingeschränkt werden, um die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals mit dem Zinssatz im Gleichgewicht zu halten, ohne dass damit irgendwelche materiellen Änderungen des Investitionsvolumens verbunden wären; unterdessen werden die für die Produktion von Kapitalgütern geeigneten Produktionsfaktoren wie immer für die Produk tion derjenigen Kapitalgüter verwendet werden, deren Grenzleistungsfähigkeit unter den neuen Bedingungen am größten ist.“ 13 Eigentlich kann man davon überhaupt nicht sprechen. Es lässt sich genaugenommen nur vom Zinssatz auf Geld sprechen, das zum Kauf von Kapitalgütern, neuen oder alten (oder für irgendeinen anderen Zweck), geliehen wird.
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In seinen Economics of Welfare (3. Aufl.) S. 163 schreibt Pigou: „Das Wesen der Leistung ‚Warten‘ ist häufig missverstanden worden. Mitunter wird davon ausgegangen, diese bestehe aus der Bereitstellung von Geld oder manchmal auch von Zeit, und in beiden Fällen wird geltend gemacht, dass sie keinerlei Beitrag zum Gewinn leiste. Keine dieser Annahmen ist richtig. ‚Warten‘ bedeutet einfach einen Aufschub des Konsum, den ein Mensch auch sofort genießen könnte, so dass Ressourcen, die sonst verbraucht worden wären, die Form von Produktionsmitteln annehmen14 … Die Einheit ‚Warten‘ ist daher die Nutzung einer bestimmten Menge Ressourcen15, z. B. Arbeit oder Maschinen, während eines bestimmten Zeitraums … Ganz allgemein können wir sagen, dass die Einheit Warten eine Jahreswerteinheit ist oder in den einfacheren, wenngleich ungenaueren Worten Cassels ein Jahr-Pfund … Es sei hier vor der verbreiteten Ansicht gewarnt, das in irgendeinem Jahr akkumulierte Kapital sei zwangsläufig gleich den im selben Zeitraum zurückgelegten ‚Ersparnissen‘. Dem ist nicht so, selbst wenn Ersparnisse als Nettoersparnisse ausgelegt werden, so dass die von einer Person an eine andere zwecks Steigerung von deren Konsum verliehenen Ersparnisse abgezogen werden, und wenn vorübergehende Anhäufungen ungenutzter Leistungsansprüche in Form von Buchgeld unberücksichtigt bleiben. Denn viele Ersparnisse, aus denen Kapital werden sollte, verfehlen ihren Zweck, da sie in unrentable Bahnen umgeleitet werden.“16
Pigous einziger wesentlicher Hinweis auf das, wodurch sich der Zinssatz bestimmt, findet sich meines Erachtens in seinen Industrial Fluctuations (1. Aufl.) S. 251–253. Er widerspricht darin der Auffassung, der Zinssatz werde durch die allgemeinen Nachfrage- und Angebotsbedingungen des Realkapitals bestimmt und liege somit außerhalb der Kontrolle der Zentralbank oder anderer Banken. Sein Argument gegen diese Sichtweise lautet: „Wenn Bankiers zusätzliche Kredite für Geschäftsleute schöpfen, erheben sie damit in ihrem eigenen Interesse – gemäß den Erläuterungen von Teil 1, Kapitel XIII17 – 14 Es ist nicht eindeutig, ob wir aus dieser Formulierung folgern sollen, dass der Aufschub des Konsum zwangsläufig diesen Effekt hat oder ob er nur Ressourcen freisetzt, die je nach Umständen dann entweder ungenutzt bleiben oder für Investitionen genutzt werden. 15 Nicht, so sei angemerkt, des Geldbetrags, den der Einkommensbezieher verbrauchen könnte, aber nicht verbraucht, so dass die Belohnung für Warten nicht der Zins, sondern die Quasi-Rente ist. Dieser Satz scheint zu bedingen, dass die freigewordenen Ressourcen zwangsläufig genutzt werden. Denn welche Belohnung gibt es für Warten, wenn die freigewordenen Ressourcen ungenutzt bleiben? 16 Wir können aus dieser Textstelle nicht entnehmen, ob die Nettoersparnisse gleich dem Zuwachs des Kapitals wären oder nicht, wenn wir fehlgeleitete Investitionen unberücksichtigt lassen, aber „vorübergehende Anhäufungen ungenutzter Leistungsansprüche in Form von Buchgeld“ einbeziehen würden. In den Industrial Fluctuations (S. 22) macht Pigou aber klar, dass solche Anhäufungen keine Wirkung auf das haben, was er „Realersparnisse“ nennt. 17 Diese Angabe (op. cit. S. 129–134) verweist auf Pigous Vorstellungen über den Betrag, um den eine Kreditschöpfung den Zustrom von Realkapital an Unternehmer
Kap. 14: Die klassische Theorie des Zinssatzes163 von der Bevölkerung eine erzwungene Abgabe realer Dinge, wodurch sie ihnen Realkapital zuströmen lassen und einen Rückgang des Realzinssatzes für lang- wie auch für kurzfristige Darlehen bewirken. Kurzum, es stimmt, dass der Geldzins der Bankiers durch einen Mechanismus mit dem Realzinssatz für langfristige Darlehen verknüpft ist. Aber es stimmt nicht, dass dieser Realzins durch Umstände bestimmt wird, die gänzlich außerhalb der Kontrolle der Bankiers liegen.“
Meine fortlaufenden Kommentare zu diesen Auszügen habe ich in Fußnoten abgegeben. Dass mir Marshalls Darstellungen dieses Sachverhalts so verworren erscheinen, liegt wohl an der Einführung des Konzepts des „Zinses“, das in die Geldwirtschaft gehört, in eine Abhandlung, die Geld gar nicht behandelt. „Zinsen“ haben nichts in Marshalls Principles of Economics zu suchen, sie gehören in einen ganz anderen Themenbereich. Passend zu seinen anderen stillschweigenden Voraussetzungen verleitet uns Pigou (in seinen Economics of Welfare) wiederum zu der Annahme, dass eine Einheit Warten das gleiche sei wie eine Einheit aktueller Investitionen und dass die Belohnung für das Warten eine Quasi-Rente sei. Er erwähnt Zinsen so gut wie nie, wie es auch sein sollte. Nichtsdestotrotz behandeln diese Autoren keine nicht-monetäre Wirtschaft (sofern es so etwas überhaupt gibt). Sie setzen eindeutig die Verwendung von Geld und das Vorhandensein eines Bankensystems voraus. Kaum eine größere Rolle als in seinen Economics of Welfare spielt der Zinssatz überdies in Pigous Industrial Fluctuations (welches hauptsächlich eine Untersuchung der Schwankungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist) oder in seiner Theory of Unemployment (worin er hauptsächlich die Gründe für die Veränderungen des Beschäftigungsvolumens untersucht, unter der Annahme, es gebe keine unfreiwillige Beschäftigung).
erhöht. Letztlich versucht er, „vom flüssigen Kredit, der durch die Kreditschöpfung Geschäftsleuten zur Verfügung gestellt wird, das flüssige Kapital abzuziehen, das auf andere Weise bereitgestellt worden wäre, wenn es die Banken nicht gäbe“. Nachdem er diesen Abzug vorgenommen hat, ist seine Argumentation jedoch äußerst obskur. Zunächst haben die Rentiers ein Einkommen von 1500, wovon sie 500 verbrauchen und 1000 sparen. Der Akt der Kreditschöpfung vermindert ihr Einkommen auf 1300, wovon sie 500 – x verbrauchen und 800 + x sparen; und x, so Pigous Schlussfolgerung, stellt die Nettozunahme des Kapitals dar, das durch den Akt der Kreditschöpfung verfügbar wurde. Soll nun das Einkommen der Unternehmer um den Betrag angeschwollen sein, den sie von den Banken (nach dem o. g. Abzug) leihen? Oder erhöht es sich um den Betrag, d. h. 200, um den das Einkommen der Rentiers vermindert wurde? Werden sie dann jeweils den ganzen Betrag sparen? Sind die zusätzlichen Investitionen gleich der Kreditschöpfung minus der Abzüge? Oder sind sie gleich x? Die Erörterung scheint just da aufzuhören, wo sie beginnen sollte.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition II.
Der Kern von Ricardos Theorie des Zinssatzes geht aus dem folgenden Auszug aus seinen Principles of Political Economy (S. 511) hervor: „Der Geldzinssatz wird nicht durch den Satz gebildet, zu dem die Bank Kredite vergibt, seien es 5 %, 3 % oder 2 %, sondern durch die Profitrate, die sich durch den Einsatz von Kapital erzielen lässt und die vollkommen unabhängig von der Menge oder dem Wert des Geldes ist. Ob die Bank eine Million, zehn oder hundert Millionen verleiht, würde den Marktzins nicht dauerhaft ändern. Verändern würde sich nur der Wert des so in Umlauf gebrachten Geldes. In einigen Fällen kann für ein und dasselbe Geschäft zehn- oder zwanzigmal mehr Geld nötig sein als in anderen. Die Kreditanträge bei der Bank hängen also vom Vergleich ab zwischen der Profitrate, die sich mit dem geliehenen Geld erzielen lässt, und dem Zinssatz, zu dem die Bank es verleiht. Wenn sie weniger als den Marktzins verlangt, kann sie jede Summe verleihen; verlangt sie mehr als diesen Zinssatz, wären nur Verschwender und Prasser bereit, von ihr einen Kredit aufzunehmen.“
Dies ist so eindeutig, dass es eine bessere Diskussionsgrundlage bietet als die Formulierungen späterer Autoren, die zwar nicht wirklich von den zentralen Aussagen der ricardianischen Doktrin abweichen, sich aber doch damit so unwohl fühlen, dass sie Zuflucht in einer vagen Darstellungsweise suchen. Das obige Zitat ist natürlich, wie immer bei Ricardo, als langfristige Betrachtung zu werten, mit Betonung auf dem Wort „dauerhaft“ etwa in der Mitte des Zitats. Es ist interessant, die Voraussetzungen näher zu betrachten, die zu ihrer Validierung nötig sind. Abermals ist die notwendige Prämisse die übliche klassische Annahme, es bestehe stets Vollbeschäftigung. Vorausgesetzt, die in Produkteinheiten gemessene Arbeitsangebotskurve bleibt unverändert, kann es demzufolge im langfristigen Gleichgewicht nur ein mögliches Beschäftigungsniveau geben. Laut dieser Annahme unter, wie immer, sonst gleichen Bedingungen – d. h. keine Veränderung der psychologischen Neigungen und Erwartungen abgesehen von denen, die von einer Veränderung der Geldmenge herrühren – sind Ricardos Theorien zutreffend in dem Sinne, dass es unter diesen Voraussetzungen nur einen Zinssatz gibt, der auf lange Sicht mit Vollbeschäftigung vereinbar ist. Ricardo und seine Nachfolger übersehen dabei, dass es selbst auf lange Sicht nicht unbedingt Vollbeschäftigung gibt, sondern dass das Beschäftigungsniveau Änderungen unterliegen kann und jeder Geldpolitik ein anderes langfristiges Niveau entspricht. Folglich gibt es eine Vielzahl langfristiger Gleichgewichte, die verschiedenen denkbaren zinspolitischen Strategien seitens der Währungsbehörden entsprechen. Hätte sich Ricardo mit der Anwendung seiner These lediglich auf eine bestimmte von der Währungsbehörde geschaffene Geldmenge beschränkt, wäre sie unter der Annahme flexibler Nominallöhne durchaus zutreffend. Hätte Ricardo also behauptet, dass es für den Zinssatz keinen bleibenden Unterschied
Kap. 14: Die klassische Theorie des Zinssatzes165
macht, ob die Währungsbehörde die Geldmenge bei zehn Millionen oder hundert Millionen festsetzt, hätten seine Schlussfolgerungen Bestand. Wenn wir aber unter der Politik der Währungsbehörde die Konditionen verstehen, zu denen sie die Geldmenge erhöht oder senkt, d. h. den Zinssatz, zu dem sie durch Diskont- oder Offenmarktpolitik ihre Aktiva vermehrt oder vermindert – worauf Ricardo in der o. g. Textstelle ausdrücklich Bezug nimmt –, dann trifft es weder zu, dass die Politik der Währungsbehörde wirkungslos ist, noch dass nur eine einzige Politik mit dem langfristigen Gleichgewicht vereinbar ist. Allerdings gibt es im Extremfall, in dem die Nominallöhne angesichts unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge eines vergeblichen Wettbewerbs der Arbeitslosen um Beschäftigung ins Bodenlose fallen, zugegebenermaßen nur zwei mögliche langfristige Gleichgewichtspositionen: Vollbeschäftigung und das Beschäftigungsniveau, das mit dem Zinssatz korrespondiert, zu dem die Liquiditätspräferenz absolut wird (falls dieses dann unterhalb von Vollbeschäftigung liegt). Unter der Annahme flexibler Nominallöhne ist die Geldmenge für sich genommen langfristig tatsächlich ohne Belang. Aber die Bedingungen, unter denen die Währungsbehörde die Geldmenge ändert, stellen einen entscheidenden Einflussfaktor für das Wirtschaftssystem dar. Die Schlusssätze des Zitats, so sollte angemerkt werden, sind ein Hinweis darauf, dass Ricardo offenbar die mit verschiedenen Anlagesummen verbundenen Veränderungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals übersah. Allerdings kann dies als ein weiterer Beleg dafür interpretiert werden, dass seine Argumente größere Konsistenz aufweisen als die seiner Nachfolger. Denn wenn die Beschäftigungsmenge und die psychologischen Neigungen der Bevölkerung als gegeben betrachtet werden, gibt es tatsächlich nur eine mögliche Zuwachsrate der Kapitalakkumulation und folglich nur einen möglichen Wert der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Ricardos herausragende, durch weniger helle Köpfe unerreichbare, intellektuelle Leistung war es, eine hypothetische, auf keinerlei realer Erfahrung basierende Welt zu errichten, als ob es sich um eine real erfahrbare Welt handelte, und anschließend konsequent in ihr zu leben. Bei den meisten seiner Nachfolger drang jedoch der gesunde Menschenverstand in ihr Gedankengebäude ein und zerstörte ihre logische Konsistenz. III.
Eine eigentümliche Theorie des Zinssatzes wurde durch Mises entwickelt und dann von Hayek und meines Wissens auch Robbins übernommen. Sie besagt, dass Veränderungen des Zinssatzes mit Veränderungen der relativen Preisniveaus von Konsum- und Kapitalgütern gleichgesetzt werden können.18 18 The
Theory of Money and Credit, S. 339 u. a., insbesondere auch S. 363.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Es ist nicht klar, wie es zu dieser Schlussfolgerung kam. Aber die Argumentation scheint mittels einer recht drastischen Vereinfachung auf der Annahme zu beruhen, dass sich die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als Verhältnis des Angebotspreises neuer Konsumgüter zum Angebotspreis neuer Produktionsgüter ausdrücken lässt.19 Dies wird dann dem Zinssatz gleichgesetzt. Dabei wird hervorgehoben, dass sich eine Zinssenkung positiv auf Investitionen auswirkt. Ergo sei ein Rückgang der Preise von Konsumgütern relativ zu denen von Produktionsgütern günstig für Investitionen. Auf diese Weise wird eine Verbindung hergestellt zwischen den höheren Ersparnissen eines Individuums und höheren Gesamtinvestitionen. Denn es ist allgemein bekannt, dass höhere private Ersparnisse einen Preisrückgang bei den Konsumgütern verursachen, möglicherweise durchaus einen stärkeren Rückgang als bei den Produktionsgütern. Daher bewirken sie gemäß den o. g. Überlegungen eine Senkung des Zinssatzes, durch die die Investitionen angeregt werden. Der Effekt einer Senkung der Grenzleistungsfähigkeit bestimmter Kapitalanlagen – und damit eine Senkung der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Allgemeinen – ist jedoch natürlich genau das Gegenteil dessen, worauf diese Überlegungen basieren. Denn Investitionen werden entweder durch eine Erhöhung der Grenzleistungsfähigkeit angeregt oder durch eine Senkung des Zinssatzes. Aufgrund der Verwechslung von Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und Zinssatz haben Mises und seine Schüler genau die falschen Schlüsse gezogen. Ein gutes Beispiel einer ähnlichen Verwirrung bietet folgende Textstelle von Alvin Hansen20: „Einige Ökonomen vertreten die Ansicht, dass der Nettoeffekt einer Ausgabensenkung ein niedrigerer Konsumgüterpreis sei, als es sonst der Fall gewesen wäre, und dass infolgedessen die Anreize, in fixes Kapital zu investieren, tendenziell gemindert würden. Diese Ansicht ist jedoch falsch. Sie beruht auf einer Verwechslung der Auswirkungen von 1. höheren oder niedrigeren Konsumgüterpreisen und 2. einer Zinssatzänderung auf die Kapitalbildung. Es stimmt, dass die Konsumgüterpreise in Folge der verminderten Ausgaben und der erhöhten Ersparnisse relativ zu den Produktionsgüterpreisen niedrig wären. Aber dies bedeutet in Wirklichkeit, dass der Zinssatz niedriger ist, was wiederum eine Ausweitung der Kapitalinvesti tionen in Bereiche fördert, die bei höheren Zinsen nicht profitabel wären. 19 In einem langfristigen Gleichgewicht kann man sich besondere Voraussetzungen ausdenken, unter denen dies gerechtfertigt sein könnte. Aber wenn es sich bei den fraglichen Preisen um die handelt, die in Rezessionszeiten vorherrschen, ist die Vereinfachung sicher irreführend, der Unternehmer werde bei der Bildung seiner Erwartungen diese Preise als dauerhaft voraussetzen. Sollte er dies tun, würden die Preise der vorhandenen Bestände an Produktionsgütern überdies im gleichen Verhältnis wie die Konsumgüterpreise fallen. 20 Economic Reconstruction, S. 233.
Kapitel 15
Die psychologischen und wirtschaftlichen Liquiditätsanreize I. Als Nächstes müssen wir eine genauere Analyse der Gründe für eine Liquiditätspräferenz entwickeln, die in vorläufiger Form bereits in Kapitel 13 behandelt wurden. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die gleichen Fragen, die mitunter unter dem Stichwort Geldnachfrage diskutiert werden. Sie stehen auch in engem Zusammenhang mit der sogenannten Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes, denn diese misst lediglich, welchen Teil ihres Einkommens die Bevölkerung in Form von Barmitteln hält. Eine erhöhte Umlaufgeschwindigkeit kann daher als Anzeichen einer verringerten Liquiditätspräferenz gelten. Es ist jedoch nicht dasselbe, da ein Individuum die Wahl zwischen Liquidität und Illiquidität eher auf seine akkumulierten Ersparnisse als auf sein Einkommen anwenden kann. Und ohnehin deutet der Begriff „Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes“ irreführenderweise an, die Gesamtnachfrage nach Geld stehe in einem festen Verhältnis oder einer bestimmten Beziehung zum Einkommen. Dabei ist diese Annahme, wie wir noch sehen werden, nur auf einen Teil der Barbestände der Bevölkerung anwendbar. Folglich wird bei diesem Begriff die Rolle des Zinssatzes ausgeblendet. In meiner Abhandlung Vom Gelde habe ich die Gesamtnachfrage nach Geld unter den Stichworten Einkommensdepositen, Geschäftsdepositen und Spardepositen behandelt, und ich brauche hier die Analyse aus Kapitel 3 jenes Buches nicht zu wiederholen. In jedem Fall bildet das für alle drei Zwecke zurückgelegte Geld einen einzigen Pool, den der Besitzer nicht in drei wasserdichte Becken zu unterteilen braucht. Selbst für ihn müssen die Zwecke nicht klar voneinander getrennt sein; ein und dieselbe Summe kann in erster Linie für einen Verwendungszweck und in zweiter Linie für einen anderen vorgehalten werden. Die Gesamtnachfrage einer Person nach Geld in einer bestimmten Situation lässt sich also ebenso gut, ja vielleicht sogar besser als eine einzige Entscheidung begreifen, wenn auch als Ergebnis verschiedener Beweggründe.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Bei der Analyse der Beweggründe ist es gleichwohl sinnvoll, sie in bestimmte Rubriken zu gruppieren. Deren erste entspricht in etwa den früheren Rubriken Einkommens- und Geschäftsguthaben, während die nächsten beiden mit den Sparguthaben übereinstimmen. Diese habe ich bereits kurz in Kapitel 13 eingeführt unter den Stichworten Transaktionsmotiv, welches weiter in Einkommens- und Geschäftsmotiv unterteilt werden kann, sowie Vorsichts- und Spekulationsmotiv. 1. Das Einkommensmotiv: Ein Grund für die Haltung von Barmitteln ist, den Zeitraum zwischen dem Bezug eines Einkommens und der Ausgabe des Geldes zu überbrücken. Wie stark dieses Motiv zur Entscheidung beiträgt, eine bestimmte Barsumme zu halten, hängt hauptsächlich von der Höhe des Einkommens und der normalen Länge des Zeitraums zwischen Bezug und Ausgabe des Einkommens ab. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der Einkommensumlaufgeschwindigkeit genau zutreffend. 2. Das Geschäftsmotiv: In ähnlicher Weise werden Barmittel zur Überbrückung des Zeitraums gehalten, der zwischen dem Punkt, an dem Geschäftskosten entstehen, und dem Erhalt der Verkaufserlöse liegt. Barmittel, die Händler zur Überbrückung des Zeitraums zwischen Kauf und Verkauf halten, werden ebenfalls unter dieser Rubrik erfasst. Die Stärke dieser Nachfrage hängt hauptsächlich vom Wert des aktuellen Outputs (und folglich des aktuellen Einkommens) ab sowie von der Zahl der Hände, durch die Produkte gehen. 3. Das Vorsichtsmotiv: Die Vorsorge für Eventualitäten, die plötzliche Ausgaben notwendig werden lassen, unvorhergesehene und vorteilhafte Kaufgelegenheiten und das Halten eines in Geld bemessenen Vermögensguts zwecks späterer Erfüllung einer ebenfalls in Geld bemessenen Zahlungsverpflichtung sind weitere Motive für die Barmittelhaltung. Wie stark diese drei Motive jeweils zum Tragen kommen, hängt teils davon ab, wie günstig und zuverlässig die Methoden sind, mittels derer sich Barmittel bei Bedarf zeitweilig leihen lassen, insbesondere durch Überziehungskredite oder Vergleichbares. Schließlich ist es nicht nötig, zur Überbrückung bestimmter Zeiträume nicht genutztes Bargeld vorzuhalten, wenn es problemlos erhältlich ist, sobald es wirklich benötigt wird. Die Stärke der Motive hängt überdies von den sogenannten Opportunitätskosten der Bargeldhaltung ab. Wenn Barmittel nur gehalten werden können, indem auf den Kauf einer profitablen Geldanlage verzichtet wird, erhöht das die Kosten und schwächt dadurch den Anreiz, gewisse Barbeträge zurückzuhalten. Wenn sich mit Sichteinlagen Zinsen verdienen lassen oder wenn durch die Bargeldhaltung Bankgebühren vermieden werden können, verringert das umgekehrt die Kosten und verstärkt die Neigung zur Bargeldhaltung. Mög-
Kap. 15: Die psychologischen und wirtschaftlichen Liquiditätsanreize169
licherweise ist dies jedoch von untergeordneter Bedeutung, außer wenn sich die Kosten des Haltens von Bargeld sehr stark verändern. 4. Es bleibt noch das Spekulationsmotiv: Dieses erfordert eine detailliertere Untersuchung als die anderen Motive, weil darüber einerseits weniger bekannt ist und weil es anderseits eine entscheidende Funktion als Transmissionsriemen der Effekte einer Veränderung der Geldmenge ausübt. Normalerweise ist die für die Befriedigung des Transaktions- und des Vorsichtsmotivs nötige Geldmenge im Wesentlichen das Ergebnis der allgemeinen Wirtschaftsaktivität und der Höhe des Geldeinkommens. Durch das Spekulationsmotiv aber wirkt sich die monetäre Steuerung (oder, in Abwesenheit einer solchen, eine zufällige Geldmengenveränderung) direkt auf das Wirtschaftssystem aus. Die zur Befriedigung der erstgenannten Beweggründe nötige Geldnachfrage reagiert im Allgemeinen auf keine äußeren Einflüsse mit Ausnahme tatsächlicher Veränderungen der Konjunktur und der Einkommen. Demgegenüber lehrt die Erfahrung, dass normalerweise die Gesamtnachfrage nach Geld zur Befriedigung des Spekulationsmotivs kontinuierlich auf allmähliche Änderungen des Zinssatzes reagiert. Es gibt also eine stetige Kurve, die Veränderungen der Geldnachfrage zur Befriedigung des Spekulationsmotivs und Zinsänderungen, die sich in Preisänderungen von Anleihen und sonstigen Forderungen unterschiedlicher Laufzeiten ausdrücken, zueinander ins Verhältnis setzt. Wäre dem nicht so, könnten „Offenmarktgeschäfte“ auch gar nicht durchgeführt werden. Wie gesagt ist die Erfahrung ein Beleg für diese kontinuierliche Relation, weil die Banken normalerweise immer Anleihen im Tausch gegen Bargeld kaufen (bzw. verkaufen) können, indem sie auf dem Markt für Anleihen einen leicht erhöhten (bzw. niedrigeren) Preis bieten. Je höher die Bargeldmenge, die sie schaffen (bzw. vernichten) wollen, indem sie Anleihen und Darlehen kaufen (bzw. verkaufen), desto stärker wird der Zinssatz fallen (bzw. steigen). Wo aber die Offenmarktgeschäfte (wie in den Vereinigten Staaten 1933 und 1934) auf den Kauf von Wertpapieren mit extrem kurzer Laufzeit begrenzt wurden, dürften sich die Folgen natürlich im Wesentlichen auf die extrem kurzfristigen Zinssätze beschränken und sich kaum auf die viel wichtigeren langfristigen Zinsen auswirken. Bei der Analyse des Spekulationsmotivs muss allerdings unterschieden werden zwischen den Zinsänderungen, die aus Veränderungen des Geldangebots zur Befriedigung des Spekulationsmotivs ohne eine damit einhergehende Veränderung der Liquiditätsfunktion resultieren, und denen, die vor allem eine Folge von Erwartungsänderungen in Bezug auf die Liquiditätsfunktion selbst sind. Offenmarktgeschäfte können in der Tat den Zinssatz über beide Wege beeinflussen, da sie nicht nur Veränderungen der Geldmenge, sondern auch der Erwartungen über die künftige Politik der Zen
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
tralbank oder der Regierung bewirken können. Veränderungen der Liquiditätsfunktion selbst aufgrund einer veränderten Nachrichtenlage, durch die die Erwartungen revidiert werden, sind häufig diskontinuierlich und haben darum eine entsprechend diskontinuierliche Veränderung des Zinssatzes zur Folge. Nur soweit die veränderte Nachrichtenlage von unterschiedlichen Personen unterschiedlich bewertet wird oder sich unterschiedlich auf individuelle Interessen auswirkt, gibt es Spielraum für erhöhte Aktivitäten auf den Anleihemärkten. Wenn die geänderte Nachrichtenlage die Einschätzungen und Bedürfnisse eines jeden auf genau dieselbe Weise tangiert, wird der Zinssatz (der sich in den Preisen von Anleihen und anderen Forderungen reflektiert) umgehend der neuen Lage angepasst, ohne dass dafür irgendwelche Transaktionen auf den Finanzmärkten nötig wären. Im einfachsten Fall also, in dem alle Marktteilnehmer einander ähnlich und in einer ähnlichen Lage sind, wird eine Veränderung der Umstände oder Erwartungen keinerlei Umschichtung von Geld bewirken können. Vielmehr verändert sich der Zinssatz so weit wie nötig, damit der beim alten Zinssatz verspürte Wunsch jedes Einzelnen, seine Barbestände an die neuen Umstände oder Erwartungen anzupassen, aufgewogen wird. Und da alle ihre Vorstellung des Zinssatzes, der sie zu einer Veränderung ihrer Barbestände bewegen würde, im selben Maße modifizieren, erfolgen daraus keine Transaktionen. Für jede Art von Umständen und Erwartungen gibt es einen dazu passenden Zinssatz, und es wird nie vorkommen, dass jemand seine üblichen Barbestände ändert. Normalerweise wird allerdings eine Veränderung der Umstände oder Erwartungen eine gewisse Neuausrichtung der individuellen Geldbestände verursachen. Denn jede Veränderung beeinflusst die Vorstellung unterschiedlicher Personen auf unterschiedliche Weise, teils aufgrund von Unterschieden des Umfelds und der Gründe für das Halten von Geld und teils aufgrund unterschiedlicher Kenntnisse und Einschätzungen der neuen Situation. Der neue Gleichgewichtszinssatz wird somit mit einer Neuverteilung der Geldbestände einhergehen. Dennoch verdient vor allem die Zinssatzänderung unsere Beachtung und nicht die Neuverteilung von Bargeld. Letztere ist ein Nebeneffekt individueller Unterschiede, während das wesentliche Phänomen das ist, was im einfachsten Fall passiert. Überdies ist selbst im Normalfall die Veränderung des Zinssatzes gemeinhin der markanteste Aspekt der Reaktionen auf eine veränderte Nachrichtenlage. Die Kursbewegungen bei den Anleihepreisen stehen, wie es gerne in den Zeitungen heißt, „in keinem Verhältnis zum Handelsvolumen“. Dies ist ganz normal angesichts der Tatsache, dass sich die Menschen in ihrer Reaktion auf Nachrichten eher ähnlich als unähnlich sind.
Kap. 15: Die psychologischen und wirtschaftlichen Liquiditätsanreize171
II. Auch wenn die Barbeträge, die jemand zur Befriedigung des Transaktions- und des Vorsichtsmotivs hält, nicht gänzlich unabhängig sind vom Betrag zur Befriedigung des Spekulationsmotivs, so ist doch als erste Annäherung davon auszugehen, dass diese beiden Barbestände weitgehend unabhängig voneinander sind. Für die weitere Untersuchung können wir daher das Problem auf diese Weise entflechten. Es sei M1 der Bargeldbetrag, der zur Befriedigung des Transaktions- und des Vorsichtsmotivs gehalten wird, und M2 der zur Befriedigung des Spekulationsmotivs gehaltene Betrag. Diesen zwei Bargeldbeträgen entsprechen zwei Liquiditätsfunktionen L1 und L2. L1 hängt im Wesentlichen von der Einkommenshöhe ab und L2 hauptsächlich von der Relation zwischen dem aktuellen Zinssatz und dem Stand der Erwartungen. Somit ist M = M1 + M2 = L1(Y) + L2(r),
wobei L1 die Liquiditätsfunktion ist, die einem Einkommen Y entspricht, welches wiederum M1 bestimmt, und L2 die Liquiditätsfunktion des Zinssatzes r, durch den M2 bestimmt ist. Daraus ergeben sich drei Dinge, die es sich zu untersuchen lohnt: 1. das Verhältnis der Veränderungen von M zu Y und r, 2. der Bestimmungsfaktor der Form von L1 und 3. der Bestimmungsfaktor der Form von L2. Ad 1) Das Verhältnis der Veränderungen von M zu Y und r hängt in erster Linie von der Art und Weise ab, in der sich M verändert. Angenommen, M besteht aus Goldmünzen und kann sich nur infolge höherer Erträge der Goldgräber im betrachteten Wirtschaftssystem verändern. In diesem Fall stehen Veränderungen von M vor allem in direktem Zusammenhang mit Veränderungen von Y, da das zusätzliche Gold irgendjemandem als Einkommen zufließt. Genau die gleichen Bedingungen sind erfüllt, wenn die Veränderungen von M daraus resultieren, dass die Regierung zur Deckung ihrer laufenden Ausgaben neues Geld druckt. Auch in diesem Fall fließt das neue Geld jemandem als Einkommen zu. Das neue Einkommen wird jedoch nicht auf einem ausreichend hohen Niveau verharren, als dass M1 die gesamte Steigerung von M absorbieren könnte. Ein Teil des Geldes wird deshalb in den Kauf von Wertpapieren oder anderen Vermögensgütern abfließen, bis r weit genug gesunken ist, um eine Erhöhung von M2 und gleichzeitig einen Anstieg von Y zu bewirken, und zwar so lange, bis das neue Geld entweder in M2 aufgenommen ist oder in das M1, das dem durch die Senkung von r verursachten Zuwachs von Y entspricht. Dieser Fall läuft also beinahe auf das Gleiche hinaus wie der alternative Fall, in dem das neue Geld zunächst einmal nur durch eine Lockerung der Kreditbedingungen durch das Banken-
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
system geschaffen wird, um jemanden zu veranlassen, den Banken eine Schuldverschreibung oder eine Anleihe im Tausch für neu geschaffenes Bargeld zu verkaufen. Wir können daher letzteren Fall als typisch annehmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Veränderung von M durch eine Änderung von r herbeigeführt wird und dass eine Veränderung von r durch eine Änderung teils von M2 und teils von Y und damit von M1 zu einem neuen Gleichgewicht führt. Wie das zusätzliche Bargeld in der neuen Gleichgewichtsposition zwischen M1 und M2 aufgeteilt wird, hängt von den Reak tionen der Investitionen auf eine Zinssenkung und des Einkommens auf eine Steigerung der Investitionen ab.1 Da Y zum Teil von r abhängig ist, muss folglich eine bestimmte Änderung von M eine ausreichende Veränderung von r bewirken, damit die daraus resultierenden Veränderungen von M1 und M2 zusammen die jeweilige Veränderung von M ergeben. Ad 2) Es wird nicht immer deutlich, ob die Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes als das Verhältnis zwischen Y und M oder zwischen Y und M1 definiert ist. Ich schlage vor, letztere Definition zu verwenden. Wenn also V die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist, so ist
L1 (Y ) = Y = M 1 . V
Es besteht natürlich kein Grund zur Annahme, dass V konstant ist. Ihr Wert hängt von der Beschaffenheit des Bankensystems und der Unternehmensstruktur ab, von gesellschaftlichen Gewohnheiten, der Einkommensverteilung zwischen verschiedenen Klassen und den tatsächlichen Kosten, die mit dem Halten ungenutzter Barbestände einhergehen. Dessen ungeachtet können wir auf kurze Sicht und unter der Annahme, dass sich bei keinem dieser Faktoren wesentliche Änderungen ergeben, V als nahezu konstant ansehen. Ad 3) Schließlich ist da noch die Frage des Verhältnisses zwischen M2 und r. Wie wir in Kapitel 13 gesehen haben, ist Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des Zinssatzes die einzig vernünftige Erklärung für die Art Liquiditätspräferenz L2, die zum Halten der Barbestände M2 führt. Daraus folgt, dass eine gegebene Menge M2 in keiner bestimmten quantitativen Beziehung zu einem gegebenen Zinssatz r steht. Entscheidend ist nicht die absolute Höhe von r, sondern der Grad der Abweichung von dem, was unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeitsrechnungen, auf die man sich stützt, als einigermaßen sichere Höhe von r gilt. Gleichwohl gibt 1 Wir müssen die Frage, wodurch die Art des neuen Gleichgewichts bestimmt wird, bis Buch V aufschieben.
Kap. 15: Die psychologischen und wirtschaftlichen Liquiditätsanreize173
es zwei Gründe für die Annahme, dass, wie immer die Erwartung sein mag, eine Senkung von r mit einer Erhöhung von M2 einhergehen wird. Zum einen verursacht bei einer unveränderten Einschätzung dessen, was als sichere Höhe von r gelten kann, jede Senkung von r einen Rückgang des Marktzinses relativ zum „sicheren“ Zinssatz und erhöht damit das mit der Aufgabe von Liquidität verbundene Risiko. Zum anderen vermindert jede Senkung von r die laufenden Zinseinnahmen aus der Aufgabe von Liquidität. Diese stellen eine Art Versicherungsprämie als Ausgleich für das Risiko von Vermögensverlusten dar, und zwar um eine Summe, die gleich der Differenz zwischen den Quadraten des alten und des neuen Zinssatzes ist. Beträgt der Zinssatz für langfristige Darlehen beispielsweise 4 %, ist der Verzicht auf Liquidität günstiger, außer es besteht Anlass zur Sorge, dass der langfristige Zinssatz um jährlich mehr als 4 % seiner selbst steigt, d. h. um einen Betrag, der größer als 0,16 % pro Jahr ist. Bei einem Zinssatz von gerade einmal 2 % gleicht der laufende Ertrag dagegen nur eine Erhöhung des Zinssatzes um 0,04 % pro Jahr aus. Dies ist womöglich das größte Hindernis für einen Rückgang der Zinsen auf ein sehr niedriges Niveau. Sofern es keine Gründe gibt, warum sich die künftigen Erfahrungen stark von den jetzigen unterscheiden sollten, gibt ein langfristiger Zinssatz von (sagen wir) 2 % mehr Anlass zur Sorge denn zur Hoffnung. Dabei ist dann der laufende Ertrag nur geeignet, ein sehr geringes Maß an Sorgen zu kompensieren Es liegt somit auf der Hand, dass der Zinssatz ein im höchsten Maß psychologisches Phänomen ist. Wir werden in der Tat noch in Buch V sehen, dass er auf einem Niveau unterhalb des Satzes, der Vollbeschäftigung entspricht, nicht im Gleichgewicht sein kann. Denn auf einem solchen Niveau entsteht ein Zustand wahrer Inflation mit dem Ergebnis, dass M1 immer mehr Barmittel aufsaugt. Jedoch hängt auf einem Niveau oberhalb des Vollbeschäftigung entsprechenden Zinssatzes der langfristige Marktzins nicht nur von der aktuellen Politik der Währungsbehörde ab, sondern auch von den Erwartungen der Marktteilnehmer über deren künftige Geldpolitik. Der kurzfristige Zinssatz lässt sich einfach durch die Währungsbehörde kontrollieren, weil sie einerseits unschwer glaubhaft machen kann, dass die Geldpolitik in naher Zukunft nahezu unverändert bleibt, und weil anderseits die möglichen Verluste gering sind verglichen mit den laufenden Zinserträgen (sofern diese nicht gegen Null gehen). Der langfristige Zinssatz kann sich jedoch als hartnäckiger erweisen, wenn er erst einmal auf ein Niveau gefallen ist, das auf der Grundlage früherer Erfahrungen und aktueller Erwartungen über die künftige Geldpolitik von einer Mehrheit als „unsicher“ eingeschätzt wird. Zum Beispiel wird in einem Land, das sich einem internationalen Goldstandard angeschlossen hat, ein Zinssatz, der unter den anderswo geltenden Sätzen liegt, mit Misstrauen betrachtet werden. Dennoch
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könnte der inländische Zinssatz, wenn er an den höchsten in einem Mitgliedsland des Währungssystems herrschenden Satz (nach Abzug von Risiken) angeglichen wird, viel höher sein, als mit inländischer Vollbeschäftigung vereinbar wäre. Daher verfehlt eine Geldpolitik, die in der öffentlichen Meinung als experimentell oder allzu veränderlich gilt, leicht ihr Ziel, den langfristigen Zinssatz spürbar zu senken, weil M2 als Reaktion auf eine Senkung von r unter ein bestimmtes Niveau tendenziell unbegrenzt wächst. Andererseits kann die gleiche Politik ohne Weiteres Erfolg haben, solange sie in der öffentlichen Meinung Anklang findet als vernünftig und praktikabel, dem öffentlichen Interesse dienlich, auf festen Überzeugungen beruhend und durch Verantwortliche umgesetzt, deren Ablösung eher unwahrscheinlich ist. Es wäre vielleicht treffender, den Zinssatz eher als auf Konventionen begründetes denn als psychologisches Phänomen zu begreifen. Seine tatsächliche Höhe wird schließlich größtenteils durch die vorherrschenden Erwartungen über seine künftige Höhe bestimmt. Jedes Zinsniveau, das mit hinreichender Überzeugung als wahrscheinlich dauerhaft akzeptiert ist, wird dauerhaft sein – natürlich vorbehaltlich der in einer sich wandelnden Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen möglichen Schwankungen um den erwarteten Normalwert. Insbesondere wird der Zinssatz steigen, wenn M1 schneller zunimmt als M und vice versa. Er kann sich jedoch über Jahrzehnte hinweg um ein Niveau bewegen, das chronisch überhöht ist, um Vollbeschäftigung herzustellen – besonders, wenn die Auffassung vorherrscht, der Zinssatz sei selbstregulierend, so dass für seine auf Konventionen basierende Höhe objektive, die Konventionen überwiegende Gründe maßgeblich erscheinen. Dass ein optimales Beschäftigungsniveau dauerhaft verfehlt wird, scheint in den Augen der Öffentlichkeit wie auch der Währungsbehörde in keiner Weise damit verbunden zu sein, dass die herrschenden Zins sätze unangemessen sind. Den Lesern dürften inzwischen die Schwierigkeiten deutlich geworden sein, die sich aus dem Zusammenspiel eines konventionellen, relativ stabilen langfristigen Zinssatzes mit einer unbeständigen und höchst instabilen Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ergeben, wenn es darum geht, die effektive Nachfrage auf einem für Vollbeschäftigung ausreichend hohen Niveau zu halten. Eben weil die Konvention nicht auf sicherem Wissen basiert, können wir einen gewissen Trost aus der Hoffnung schöpfen, dass sie einer maßvollen Beharrlichkeit und Konsequenz seitens der Währungsbehörde keinen übermäßigen Widerstand entgegensetzen wird. Die öffentliche Meinung kann sich recht schnell an eine mäßige Zinssenkung gewöhnen, und die konventionellen Erwartungen über die künftigen Entwicklungen werden dann daran
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angeglichen, was den Boden für weitere Zinsschritte bereitet – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Die rückläufigen langfristigen Zinsen in Großbritannien nach der Abkehr des Landes vom Goldstandard bieten ein interessantes Beispiel dafür: Die größeren Bewegungen stellten sich als Aufeinanderfolge unregelmäßiger Sprünge dar, nämlich immer dann, wenn sich die Bevölkerung an eine Zinssenkung gewöhnt hatte und ihre Liquiditätsfunktion daher bereit war, auf neue Anreize in den Nachrichten oder der Regierungspolitik zu reagieren. III. Wir können all das dahingehend zusammenfassen, dass die Bevölkerung bei jedem Stand der Erwartungen eine gewisse Neigung aufweist, Bargeld über die für das Transaktions- oder das Vorsichtsmotiv erforderliche Menge hinaus zu halten, die sich in Abhängigkeit von der Bereitschaft der Währungsbehörde, Geld zu schöpfen, in tatsächlichen Bargeldbeständen ausdrückt. Diese Neigung ist in der Liquiditätsfunktion L2 zusammengefasst. Es gibt deshalb unter sonst gleichen Bedingungen stets einen der von der Währungsbehörde geschöpften Geldmenge entsprechenden Zinssatz – genauer gesagt, einen ganz bestimmten Komplex von Zinssätzen für Schuldverschreibungen mit unterschiedlichen Laufzeiten. Dasselbe würde allerdings auch auf jeden anderen Faktor im Wirtschaftssystem für sich genommen zutreffen. Diese spezielle Analyse ist also nur so weit sinnvoll und aussagekräftig, wie es einen besonders direkten oder zielgerichteten Zusammenhang zwischen Veränderungen der Geldmenge und Veränderungen des Zinssatzes gibt. Unsere Annahme eines solchen speziellen Zusammenhangs ist grob gesagt in der Tatsache begründet, dass das Bankensystem wie auch die Notenbank mit Geld und Schuldverschreibungen handelt und nicht mit Vermögensgütern oder Konsumgütern. Wäre die Währungsbehörde bereit, zu bestimmten Bedingungen in beide Richtungen mit Schuldverschreibungen aller Laufzeiten zu handeln, und würde sie darüber hinaus sogar noch mit Papieren unterschiedlicher Risikoklassen handeln, bestünde ein direktes Verhältnis zwischen dem Komplex der Zinssätze und der Geldmenge. Der Komplex der Zinssätze wäre dann einfach ein Ausdruck der Bedingungen, zu denen die Zentralbank bereit ist, Schuldverschreibungen zu erwerben oder abzustoßen. Und die Geldmenge wäre der Betrag, der unter dem Dach von Individuen unterkommt, die nach Maßgabe der Umstände lieber über liquide Mittel verfügen wollen als diese gegen Schuldverschreibungen zu den durch den Marktzins gekennzeichneten Bedingungen einzutauschen. Ein vielschichtiges Angebot der Zentralbank, zu festgelegten Preisen erstklassige festverzinsliche Wertpapiere aller Laufzeiten zu kaufen und verkaufen, anstelle des einheitlichen Diskontsatzes
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für kurzfristige Wechsel, wäre vielleicht die wichtigste konkrete Verbesserung, die im geldpolitischen Management denkbar ist. Wie weit der durch die Zentralbank festgesetzte Preis für Schuldverschreibungen auf dem Markt in dem Sinne „wirksam“ ist, dass er den tatsächlich Markpreis bestimmt, unterscheidet sich in der Praxis jedoch je nach der aktuellen Politik der jeweiligen Zentralbank. Mitunter ist die Preisfestsetzung in die eine Richtung wirksamer als in die andere, d. h. die Zentralbank geht vielleicht eine Verpflichtung zum Kauf von Schuldverschreibungen zu einem bestimmten Preis ein, ohne sie aber zwingend für eine Summe zu verkaufen, die mehr als den Händleraufschlag auf den Kaufpreis ergibt. Dabei gibt es keinen Grund, warum der Preis nicht mithilfe von Offenmarktgeschäften in beide Richtungen wirksam werden sollte. Es gibt noch eine wichtigere Einschränkung infolge der Tatsache, dass die Währungsbehörde im Allgemeinen nicht gleichermaßen bereitwillig mit Schuldverschreibungen aller Laufzeiten handelt. Sie tendiert in der Praxis oft dazu, sich auf kurzfristige Papiere zu konzentrieren. Den Preis langfristiger Schuldverschreibungen lässt sie sich als nachträgliche und unvollkommene Auswirkung des Preises der kurzfristigen Anleihen bilden – obwohl es auch hier keinen Grund gibt, warum das so sein sollte. Wo diese beiden Einschränkungen bestehen, ist das Verhältnis zwischen Zinssatz und Geldmenge entsprechend weniger direkt. In Großbritannien scheint sich der Bereich, in dem bewusste Kontrolle ausgeübt wird, immerhin zu verbreitern. Aber um diese Theorie auf den konkreten Fall anzuwenden, muss man die besonderen Eigenschaften der tatsächlich von der Währungsbehörde angewandten Methoden berücksichtigen. Wenn die Behörde nur mit kurzfristigen Schuldverschreibungen handelt, müssen wir den Einfluss des tatsächlichen und des voraussichtlichen Preises von Kurzläufern auf Schuldverschreibungen mit längeren Laufzeiten beachten. Die Möglichkeiten der Währungsbehörde, einen bestimmten Komplex von Zinssätzen für Schuldverschreibungen unterschiedlicher Konditionen und Risiken festzulegen, unterliegen also gewissen Einschränkungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: 1. Bestimmte Einschränkungen sind eine Folge der Vorgehensweise der Währungsbehörde, die ihre Bereitschaft zum Handel mit Schuldverschreibungen auf bestimmte Arten begrenzt. 2. Es besteht aus den oben genannten Gründen die Möglichkeit, dass die Liquiditätspräferenz bei einem Rückgang des Zinssatzes auf ein bestimmtes Niveau so gut wie absolut wird in dem Sinne, dass fast jeder Bargeld den derart gering verzinsten Schuldverschreibungen vorzieht. In diesem Fall hätte die Währungsbehörde die effektive Kontrolle über den Zinssatz verloren. Zwar könnte diese Einschränkung künftig durchaus praktische Relevanz
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gewinnen, aber bisher ist mir kein Beispiel davon bekannt. Aufgrund des fehlenden Mutes der meisten Währungsbehörden, mit langfristigen Schuldverschreibungen zu handeln, gab es nicht viele Gelegenheiten, dies auszuprobieren. Sollte diese Situation jedoch eintreten, hieße das, die öffentliche Verwaltung könnte über das Bankensystem unbegrenzt Kredit zu einem äußerst geringen Zinssatz aufnehmen. 3. Die auffälligsten Beispiele eines vollständigen Zusammenbruchs der Stabilität des Zinssatzes infolge eines Abflachens der Liquiditätsfunktion in die eine oder andere Richtung traten unter sehr ungewöhnlichen Umständen auf. Russland und Zentraleuropa erlebten nach dem Krieg eine Währungskrise bzw. Flucht aus der Währung, nachdem niemand mehr dazu gebracht werden konnte, Geld oder Schuldverschreibungen unter welchen Bedingungen auch immer zu halten. Wegen der Erwartung eines immer weiteren Verfalls des Geldwerts konnte nicht einmal mehr ein hoher und weiter steigender Zinssatz mit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (besonders von Beständen an liquiden Gütern) Schritt halten. In den Vereinigten Staaten dagegen kam es 1932 zeitweilig zu einer Krise der umgekehrten Art: einer Finanz- oder Liquidationskrise, während der niemand veranlasst werden konnte, sich zu vernünftigen Bedingungen von Geldbeständen zu trennen. 4. Schließlich gibt es noch die in Kapitel 11, Abschnitt IV (S. 128) diskutierten Probleme, die beim Versuch auftreten, den effektiven Zinssatz unter eine bestimmte Schwelle zu drücken – was sich in einer Zeit niedriger Zinsen als durchaus wichtig erweisen kann –, nämlich die Trans aktionskosten für die Vermittlung des Kreditnehmer an den letztlichen Kreditgeber sowie den Risikoaufschlag, insbesondere für durch menschliches Verhalten bedingte Risiken, den der Kreditgeber zum reinen Zinssatz hinzuaddiert. Bloß weil die Zinsen sinken, folgt daraus nicht unbedingt, dass auch die Transaktions- und Risikokosten entsprechend abnehmen. Daher sinkt der Zinssatz, den der gewöhnliche Kreditnehmer zahlt, wahrscheinlich langsamer als der reine Zinssatz. Und es dürfte unmöglich sein, ihn mit den Instrumenten der Organisation des Banken- und Finanzwesens unter einen bestimmten Mindestsatz zu drücken. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn die durch menschliches Verhalten bedingten Risiken als erheblich einzuschätzen sind. Denn wenn das Risiko die Form von Zweifeln des Kreditgebers an der Ehrlichkeit des Kreditnehmers annimmt, hat auch ein Kreditnehmer, dem Unehrlichkeit fernliegt, keine Möglichkeit, die daraus resultierenden höheren Kosten zu vermeiden. Wichtig ist dieser Punkt auch im Fall von kurzfristigen Darlehen (z. B. Bankkrediten), bei denen die Kosten besonders hoch sind. Es kann sein, dass eine Bank ihren Kunden 1,5 % bis 2 % in Rechnung stellt, selbst wenn für den Kreditgeber der reine Zinssatz null ist.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
IV. Es dürfte an dieser Stelle von Interesse sein, kurz auf die Beziehung des oben Gesagten zur Quantitätstheorie des Geldes einzugehen, auch wenn dies eine Vorwegnahme von Kapitel 21 darstellt. In einer statischen Gesellschaft oder in einer Gesellschaft, in der aus anderen Gründen niemand Ungewißheit über den künftigen Zinssatz empfindet, ist die Liquiditätsfunktion L2 bzw. die Hortungsneigung (wie man sie auch nennen könnte) im Gleichgewicht immer null. Somit gilt im Gleichgewicht M2 = 0 und M = M1, so dass jede Veränderung von M den Zinssatz fluktuieren lässt, bis das Einkommen ein Niveau erreicht, auf dem die Veränderung von M1 gleich der angenommen Veränderung von M ist. Nun ist M1V = Y, wobei V die oben definierte Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist und Y das Gesamteinkommen. Wenn es also möglich ist, die Menge O und den Preis P der laufenden Produktion zu messen, so haben wir OP und daher MV = OP, was ziemlich genau der Quantitätstheorie des Geldes in ihrer herkömmlichen Form entspricht.2 Für die Anwendung auf die reale Welt leidet die Quantitätstheorie jedoch an einem großen Manko, da sie keinen Unterschied macht zwischen Preisveränderungen als Folge eines geänderten Outputs und solchen, die eine Folge von Veränderungen der Lohneinheit sind.3 Die Erklärung für diese Unterlassung dürfte in den Prämissen zu finden sein, denen zufolge es keine Hortungsneigung gibt und stets Vollbeschäftigung besteht. Denn in diesem Fall, wenn O konstant und M2 null ist, folgt unter der Voraussetzung, dass V ebenfalls konstant ist, dass sowohl die Lohneinheit als auch das Preisniveau direkt proportional zur Geldmenge sind.
wir V nicht als Y , sondern als Y definiert, wäre die Quantitätstheorie M1 M natürlich ein Gemeinplatz, der unter allen Umständen gültig, allerdings ohne Bedeutung wäre. 3 Diese Frage wird in Kap. 21 noch eingehender behandelt. 2 Hätten
Kapitel 16
Verschiedene Betrachtungen über das Wesen des Kapitals I. Ein Akt individueller Ersparnis bedeutet sozusagen einen Entschluss, heute kein Abendessen zu haben. Aber er erfordert keinen Entschluss, nach einer Woche oder einem Jahr ein Abendessen zu haben oder ein Paar Schuhe zu kaufen oder irgendeine bestimmte Sache an irgendeinem bestimmten Zeitpunkt zu verbrauchen. Er verschlechtert somit das Geschäft, heute ein Abendessen zuzubereiten, ohne das Geschäft der Vorsorge für einen zukünftigen Verbrauchsakt anzuregen. Er ist kein Ersatz in der Form einer zukünftigen Verbrauchsnachfrage für die verminderte gegenwärtige Verbrauchsnachfrage, – er stellt eine Nettoverminderung dieser Nachfrage dar. Überdies stützt sich die Erwartung zukünftigen Verbrauches so stark auf die laufende Erfahrung gegenwärtigen Verbrauches, dass eine Verminderung des letzteren voraussichtlich die erstere vermindern wird, mit der Folge, dass der Akt der Ersparnis nicht nur den Preis der Verbrauchsgüter vermindern und die Grenzleistungsfähigkeit des bestehenden Kapitals unberührt lassen wird, sondern tatsächlich dazu tendieren kann, auch diese zu vermindern. In diesem Fall kann er sowohl die gegenwärtige Investitionsnachfrage wie auch die gegenwärtige Verbrauchsnachfrage vermindern. Bestünde das Sparen nicht nur aus dem Verzicht auf jetzigen Konsum, sondern auch aus der gleichzeitigen Vergabe eines Auftrags für zukünftigen Konsum, dann wäre der Effekt tatsächlich ein anderer. Unter diesen Umständen würde sich die Erwartung der zukünftigen Investitionserträge verbessern, und die aktuell für die Konsumgüterproduktion nicht benötigten Ressourcen könnten für die Vorbereitung des künftigen Konsums verwendet werden. Dies fände allerdings nicht einmal in diesem Fall in gleicher Größenordnung wie die Menge der freigesetzten Ressourcen statt. Denn der gewünschte Zeitaufschub könnte so umständliche „Produktionsumwege“ erforderlich machen, dass die Leistungsfähigkeit der Produktion deutlich unter dem aktuellen Zinssatz liegen dürfte. Dadurch würde der günstige Beschäftigungseffekt, den die Vorbestellung von Konsumgütern hätte, nicht sofort eintreten, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Der unmittelbare
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Effekt des Sparens auf die Beschäftigung wäre nach wie vor negativ. In Wirklichkeit bedingt jedenfalls der individuelle Entschluss zu sparen nicht die Erteilung eines Auftrags für spätere Konsumzwecke, sondern lediglich die Annullierung eines gegenwärtigen Auftrags. Da aber die Erwartung von Konsum der einzige Daseinsgrund der Beschäftigung ist, sollte das Fazit, dass sich eine verminderte Konsumneigung unter sonst gleichen Bedingungen negativ auf die Beschäftigung auswirkt, niemanden verwundern. Die Probleme ergeben sich, weil der Akt des Sparens nicht gleichbedeutend ist mit dem Austausch gegenwärtigen Konsums gegen einen bestimmten zusätzlichen Konsum, für dessen Bereitstellung genauso viel unmittelbare wirtschaftliche Aktivität nötig ist, wie es für den gegenwärtigen, aber eingesparten Konsum der Fall gewesen wäre. Vielmehr impliziert das Sparen den Wunsch nach „Vermögen“ an sich, d. h. nach der Möglichkeit, eine nicht spezifizierte Ware zu einem nicht spezifizierten Zeitpunkt zu konsumieren. Die absurde, obgleich in aller Welt verbreitete Annahme, dass ein Akt individuellen Sparens genauso gut für die effektive Nachfrage sei wie ein Akt individuellen Konsums, wurde durch den Trugschluss (der noch fadenscheiniger ist als die daraus abgeleitete Folgerung) genährt, ein verstärktes Verlangen nach Reichtum, das weitgehend dem Verlangen nach Besitz von Kapitalanlagen entspricht, stelle auch schon einen Anreiz zu deren Produktion dar. Somit würden laufende Investitionen durch individuelles Sparen im gleichen Maße gefördert, in dem der laufende Konsum vermindert wird. Dieser Trugschluss ist besonders schwer aus den Köpfen der Menschen zu bekommen. Er rührt aus der Annahme her, dass ein Vermögensbesitzer eine Kapitalanlage (capital-asset) als solche zu erwerben wünscht. Was er allerdings in Wirklichkeit begehrt, sind deren künftige Erträge. Diese hängen jedoch vollständig von den Erwartungen über die künftige effektive Nachfrage in Relation zu den künftigen Angebotsbedingungen ab. Wenn daher ein Akt des Sparens die künftigen Erträge nicht verbessert, so trägt er auch nichts zur Förderung der Investitionen bei. Zur Befriedigung des Wunsches eines einzelnen Sparers, Vermögen zu besitzen, ist es zudem nicht nötig, eigens neue Kapitalanlagen zu produzieren. Der bloße Akt des Sparens durch eine Privatperson ist, wie wir gezeigt haben, eine zweiseitige Angelegenheit und macht es darum erforderlich, dass eine andere Person dem Sparer einen alten oder neuen Vermögenswert überträgt. Jeder Akt des Sparens geht unausweichlich mit einer „erzwungenen“ Übertragung an den Sparer einher, wobei dieser wiederum durch die Ersparnisse Dritter leiden mag. Für diese Vermögensübertragungen bedarf es nicht der Schaffung neuen Vermögens. Tatsächlich können sie, wie wir gesehen haben, diese sogar verhindern. Die Schaffung neuen Vermögens ist ganz und gar davon abhängig, ob die künftigen Erträge an den durch den aktuellen Zinssatz gesetzten Standard heranreichen. Der künftige Ertrag einer zusätzlichen
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Neuinvestition wird nicht dadurch gesteigert, dass jemand sein Vermögen zu mehren wünscht, vielmehr hängt er ab von der Erwartung einer Nachfrage nach einem bestimmten Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wir können diese Schlussfolgerung auch nicht durch das Argument umgehen, der Vermögensbesitzer strebe gar nicht den gegebenen, sondern den bestmöglichen künftigen Ertrag an, so dass ein zunehmendes Verlangen nach Vermögensbesitz den künftigen Ertrag mindere, mit dem sich die Hersteller neuer Investitionen begnügen müssen. Denn dies blendet die Tatsache aus, dass es immer eine Alternative zum Besitz von Realkapital gibt, nämlich den Besitz von Geld und Schuldverschreibungen, so dass der künftige Ertrag, mit dem die Hersteller neuer Investitionen zufrieden sein müssen, nicht unter den durch den aktuellen Zinssatz gesetzten Standard fallen kann. Und der aktuelle Zinssatz hängt, wie gezeigt, nicht von der Stärke des Wunsches ab, Vermögen zu besitzen, sondern von der Stärke des jeweiligen Wunsches, es in liquider oder illiquider Form zu halten, verbunden mit der Höhe des Vermögensangebots in der einen Form relativ zum Angebot in der der anderen Form. Wenn der Leser das immer noch merkwürdig findet, möge er sich fragen, warum bei unveränderter Geldmenge ein zusätzlicher Akt des Sparens den angesichts des bestehenden Zinssatzes in liquider Form gewünschten Betrag verringern sollte. Gewisse weitere Komplikationen, die sich bei tiefergehender Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen ergeben, werden im nächsten Kapitel dargestellt. II. Statt Kapital als produktiv zu bezeichnen, sollte man besser sagen, dass es während seiner Lebensdauer einen über seinen ursprünglichen Kosten liegenden Ertrag abwirft. Denn der einzige Grund, warum ein Vermögenswert die Aussicht bietet, während seiner Lebensdauer Dienste zu erbringen, deren Wert über seinem ursprünglichen Angebotspreis liegt, ist seine Knappheit. Und er bleibt knapp wegen der Konkurrenz mit dem Zinssatz für Geld. Wird Kapital weniger knapp, schrumpft der zusätzliche Ertrag, obwohl es zumindest im physischen Sinn nicht weniger produktiv geworden ist. Ich sympathisiere daher mit der vorklassischen Lehre, der zufolge alles durch Arbeit erzeugt ist mit Unterstützung durch das, was früher Handwerkskunst hieß und jetzt als Technik bezeichnet wird, durch frei verfügbare oder je nach ihrer Knappheit bzw. Fülle zu vergütende Rohstoffe sowie durch die Ergebnisse früherer, in Kapitalgütern verkörperter Arbeit, deren Preise ebenfalls durch ihre Knappheit oder Fülle bestimmt sind. Es ist vorzuziehen, Arbeit – natürlich inklusive der Eigenleistungen des Unternehmers
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
und seiner Mitarbeiter – als den einzigen Produktionsfaktor anzusehen, der in einem bestimmten Umfeld von Technik, Rohstoffen, Kapitalausstattung und effektiver Nachfrage operiert. Dies erklärt zum Teil, warum wir die Arbeitseinheit als einzige physische Einheit wählen konnten, die wir in unserer Betrachtung des wirtschaftlichen Geschehens abgesehen von Geld und Zeit benötigen. Es stimmt, dass einige langwierige oder mit Produktionsumwegen verbundene Verfahren physisch effizient sind, aber das trifft auch auf diverse weniger umwegige Verfahren zu. Langwierige Verfahren sind nicht deswegen physisch leistungsfähig, weil wie langwierig sind. Manche, ja die meisten langwierigen Verfahren wären physisch höchst ineffizient, weil Dinge mit der Zeit verderben oder sich abnutzen.1 Mit einer gegebenen Arbeitsmenge sind der Arbeitsmenge, die sich in umwegigen Produktionsprozessen gewinnbringend einsetzen lässt, eindeutige Grenzen gesetzt. Abgesehen von allem anderen muss die Relation zwischen der für die Herstellung von Maschinen und der für ihre Nutzung eingesetzten Arbeitskraft angemessen sein. Die endgültige Höhe des Werts relativ zur eingesetzten Arbeitsmenge wird nicht unbegrenzt steigen, wenn die Produktionsprozesse immer umwegiger werden, selbst wenn deren physische Leistungsfähigkeit noch zunimmt. Nur wenn durch ein übermäßiges Bedürfnis, Konsum aufzuschieben, eine Situation entstünde, in der zur Herstellung von Vollbeschäftigung ein so hohes Investitionsvolumen nötig wäre, dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals negativ würde, wäre ein Produktionsprozess bloß wegen seiner langen Dauer vorteilhaft. In diesem Fall sollten wir physisch ineffiziente Verfahren anwenden, sofern sie langwierig genug sind, dass die mangelnde Leistungsfähigkeit durch den Nutzen des Aufschubs aufgewogen wird. Tatsächlich sollten wir in eine Situation kommen, in der kurze Verfahren hinreichend verknappt werden müssten, damit ihre physische Leistungsfähigkeit den Nachteil der frühen Fertigstellung ihres Produkts aufwiegt. Eine korrekte Theorie muss also umkehrbar sein, damit sie die Fälle abdeckt, in denen sich die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals entweder mit einem positivem oder einem negativen Zinssatz übereinstimmt. Meiner Ansicht nach gelingt dies nur mit der oben dargestellten Theorie der Knappheit. Überdies gibt es alle möglichen Gründe, aus denen verschiedene Arten von Diensten und Einrichtungen knapp und deshalb relativ zur eingesetzten Arbeitsmenge teuer sind. So erfordern beispielsweise mit Geruchsbelästigung einhergehende Verfahren eine höhere Entlohnung, weil sonst niemand dazu bereit wäre. Das gleiche gilt für gefährliche Verfahren. Wir arbeiten jedoch nicht an einer Theorie übelriechender oder gefährlicher Produktionsprozesse an sich. Kurz gesagt wird nicht jede Art von Tätigkeit unter glei1 Vgl.
die Anmerkung von Marshall über Böhm-Bawerk in Principles, S. 583.
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chermaßen angenehmen Umständen ausgeführt. Die Gleichgewichtsbedingungen machen es erforderlich, dass unter weniger angenehmen (etwa durch Geruchsbelästigung, Gefahren oder Zeitbedarf gekennzeichneten) Bedingungen erzeugte Waren knapp genug gehalten werden müssen, um einen höheren Preis erzielen zu können. Wird jedoch der Zeitbedarf zu einem als angenehm empfundenen Umstand, was durchaus möglich ist und für viele Menschen bereits zutrifft, dann sind es wie gesagt die kurzen Verfahren, die ausreichend knapp gehalten werden müssen. Bei einem vorgegebenen Optimum der Umwegigkeit von Produktionsprozessen werden wir natürlich bis zum Erreichen der nötigen Gesamtmenge die effizientesten Verfahren wählen, die wie finden können. Das Optimum ist gegeben, wenn der Teil der Nachfrage, den die Verbraucher aufschieben wollen, zum entsprechenden Zeitpunkt befriedigt werden kann. Unter optimalen Bedingungen sollte der Produktionsprozess also so organisiert sein, dass die Produktion auf effizienteste Weise für die Auslieferung zu den Zeitpunkten erfolgt, an denen die Nachfrage der Verbraucher wirksam wird. Eine Produktion für die Auslieferung zu anderen Zeiten ist nutzlos, selbst wenn sich der physische Output durch eine Änderung der Lieferfrist erhöhen ließe – es sei denn, die Aussicht auf eine gewissermaßen reichlichere Mahlzeit könnte den Verbraucher veranlassen, die Essenzeit nach vorne oder hinten zu verschieben. Angenommen, der Verbraucher entscheidet sich, nachdem er über alle Einzelheiten des Mahls informiert wurde, das er durch die Verlegung seines Abendessens bekommen könnte, für 8 Uhr. Es ist dann die Aufgabe des Kochs, das bestmögliche Essen zu diesem Zeitpunkt bereitzustellen, unabhängig davon, ob ihm 7.30, 8 oder 8.30 Uhr am besten passen würde, wenn Zeit keine Rolle spielte und es seine einzige Aufgabe wäre, das in jeder Hinsicht beste Essen zu kochen. Zu manchen Zeiten könnte man womöglich besseres Essen bekommen, wenn man später als üblich essen würde. Es ist aber genauso gut vorstellbar, dass man bei früheren Essenzeiten besseres Essen bekäme. Unsere Theorie muss, wie gesagt, auf beide Eventualitäten anwendbar sein. Bei einem Zinssatz von null gäbe es für jede Ware eine optimale Zeitspanne zwischen dem durchschnittlichen Beginn der Produktion und dem Zeitpunkt des Verbrauchs, in der die Arbeitskosten am niedrigsten sind. Ein kürzerer Produktionsprozess wäre technisch weniger effizient, und auch ein längerer Prozess wäre wegen Lagerkosten und verderbenden Waren weniger effizient. Liegt der Zinssatz jedoch über null, kommt ein neuer, mit der Dauer des Produktionsprozesses zunehmender Kostenfaktor hinzu, durch den sich die Produktionsdauer verkürzt, die als optimal gelten kann. Der laufende Input, der für die spätere Bereitstellung der Ware nötig ist, muss dann verringert werden, bis der zu erzielende Preis so weit gestiegen ist, dass er die höheren Kosten deckt. Es handelt sich dabei um Kosten, die
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
sowohl durch den Zinsaufwand als auch durch die verminderte Leistungsfähigkeit des kürzeren Produktionsverfahrens entstehen. Fällt der Zinssatz indes unter null (sofern das technisch möglich ist), ist das Gegenteil der Fall. Angesichts der voraussichtlichen Verbrauchernachfrage muss dann heute der laufende Input sozusagen mit der Alternative eines späteren Produktionsbeginns konkurrieren. Folglich lohnt sich der aktuelle Input nur, wenn die niedrigeren Kosten einer späteren Produktion – etwa aufgrund technischer Effizienzgewinne oder potenzieller Preisänderungen – nicht ausreichen, um die wegen der negativen Zinsen geringeren Erträge aufzuwiegen. Bei den meisten Waren wäre es mit großer technischer Ineffizienz verbunden, wollte man die Produktion mehr als nur eine kurze Zeitspanne vor dem voraussichtlichen Verbrauch der Waren starten. Selbst wenn der Zinssatz bei null liegt, ist der Anteil der künftigen Verbrauchernachfrage, für deren Befriedigung sich auf profitable Weise frühzeitig vorsorgen lässt, sehr begrenzt. Und in dem Maße, in dem der Zinssatz steigt, schrumpft der Anteil der Verbrauchernachfrage, für deren Befriedigung es sich schon heute zu produzieren lohnt. III. Wie wir gesehen haben, muss Kapital auf lange Sicht knapp genug gehalten werden, damit die Grenzleistungsfähigkeit während seiner Lebensdauer mindestens gleich dem durch psychologische und institutionelle Umstände bestimmten Zinssatz ist. Was würde das für eine Gesellschaft bedeuten, die so gut mit Kapital ausgestattet ist, dass dessen Grenzleistungsfähigkeit bei null liegt und mit jeder zusätzlichen Investition negativ würde – eine Gesellschaft, die dennoch über ein Geldsystem verfügt, in dem Geld „sich hält“, d. h. lagerfähig ist, und vernachlässigbare Kosten für eine sichere Aufbewahrung verursacht, mit dem Ergebnis, dass in der Praxis der Zinssatz nicht negativ sein kann; eine Gesellschaft überdies, die bei Vollbeschäftigung zum Sparen neigt? Wenn wir unter solchen Bedingungen mit einem Zustand der Vollbeschäftigung beginnen, werden Unternehmer zwangsläufig Verluste machen, wenn sie weiter Beschäftigung in einem Umfang anbieten, bei dem der gesamte Kapitalbestand zum Einsatz kommt. Daher müssen der Kapitalbestand und das Beschäftigungsvolumen schrumpfen, bis die Bevölkerung so verarmt ist, dass die Gesamtersparnisse auf null fallen (wobei die positiven Ersparnisse mancher Leute durch die negativen Ersparnisse anderer ausgeglichen werden). In einer wie von uns beschriebenen Gesellschaft unter Bedingungen des Laissez-faire wird der Gleichgewichtszustand nur erreicht, wenn die Beschäftigung gering genug und der Lebensstandard elend genug ist, damit sich die Ersparnisse auf null belaufen. Wahrscheinlicher ist, dass es zykli-
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sche Schwankungen um diese Gleichgewichtsposition gibt. Denn solange noch ein Spielraum für Ungewissheit über die künftige Entwicklung existiert, wird die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gelegentlich über null steigen und zu einem „Boom“ führen. Und im darauffolgenden „Abschwung“ kann der Kapitalstock eine Zeitlang unter das Niveau fallen, welches dauerhaft eine Grenzleistungsfähigkeit von null ergibt. Unter der Annahme korrekter Voraussicht wird der Gleichgewichtsbestand an Kapital mit einer Grenzleistungsfähigkeit von exakt null natürlich kleiner sein als der Kapitalstock bei Vollbeschäftigung der verfügbaren Arbeit, denn es wird der Bestand an Kapital sein, der zu dem Ausmaß an Arbeitslosigkeit passt, das Ersparnisse in Höhe von Null sicherstellt. Der einzige andere mögliche Gleichgewichtszustand wäre eine Situation, in der ein Kapitalstock, der hinreichend groß ist für eine Grenzleistungsfähigkeit von null, zugleich ein hinreichend großes Vermögen darstellt, um die gesamten Bedürfnisse der Bevölkerung nach Zukunftsvorsorge zu befriedigen, und zwar auch bei Vollbeschäftigung und unter Umständen, unter denen keine Zulage in Form von Zinsen erhältlich ist. Es wäre allerdings ein arger Zufall, wenn die Sparneigung bei Vollbeschäftigung just an dem Punkt gesättigt wäre, an dem der Kapitalstock ein Niveau mit einer Grenzleistungsfähigkeit von null erreicht. Wenn uns diese vorteilhaftere Möglichkeit zu Hilfe kommt, wird sie daher wahrscheinlich nicht gerade an dem Punkt wirksam, an dem der Zinssatz gegen null geht, sondern zu irgend einem früheren Zeitpunkt im Laufe des allmählichen Zinsrückgangs. Wir sind bislang von einem institutionellen Faktor ausgegangen, der ein Absinken des Zinssatzes in den negativen Bereich verhindert, und zwar in Form von Geld, dessen Haltekosten vernachlässigbar sind. In Wirklich sind jedoch institutionelle und psychologische Faktoren am Werk, die den praktisch durchführbaren Zinssenkungen weit oberhalb von null eine Grenze setzen. Insbesondere setzen die von uns bereits untersuchten Vermittlungskosten zwischen Kreditgebern und ‑nehmern und die Ungewissheit des zukünftigen Zinssatzes eine Untergrenze, die unter den gegenwärtigen Umständen langfristig bei bis zu 2 % oder 2,5 % liegen dürfte. Sollte sich dies als korrekt erweisen, könnten, wenn in einem Umfeld des Laissez-faire die Zinsen nicht weiter fallen können, die potenziellen misslichen Auswirkungen eines wachsenden Vermögensbestands schon bald Realität werden. Liegt darüber hinaus die Untergrenze, bis zu der sich der Zinssatz senken lässt, deutlich über null, so ist es weniger wahrscheinlich, dass sämtliche Wünsche nach Vermögensbildung gesättigt werden können, bevor der Zinssatz auf seine Untergrenze gefallen ist. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten bieten die Nachkriegserfahrungen in der Tat gute Beispiele hierfür: Unter den gegebenen Voraus-
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setzungen des Laissez-faire kann eine so starke Anhäufung von Vermögen, dass seine Grenzleistungsfähigkeit schneller sinkt als der Zinssatz angesichts der gegebenen institutionellen und psychologischen Faktoren, einem angemessenen Beschäftigungsniveau und einem Lebensstandard im Weg stehen, die mit den vorhanden technischen Produktionsbedingungen möglich gewesen wären. Daraus lässt sich das Fazit ziehen, dass bei zwei Gesellschaften mit gleicher technischer Ausstattung, aber unterschiedlichen Kapitalbeständen die Gesellschaft mit dem kleineren Kapitalstock einstweilen einen höheren Lebensstandard genießt als die mit dem größeren. Wenn aber die ärmere Gesellschaft die reichere eingeholt hat, wie sie das wohl mit der Zeit tun wird, werden beide gleichermaßen das Schicksal des Midas erleiden. Dieses verstörende Ergebnis beruht natürlich auf der Annahme, dass die Konsumneigung und die Investitionsrate nicht im Interesse der Allgemeinheit gesteuert, sondern im Großen und Ganzen den Einflüssen des Laissez-faire überlassen werden. Wenn der Zinssatz aus welchen Gründen auch immer nicht so rasch fallen kann wie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bei einer Akkumulationsrate, die dem gleichkommt, was die Bevölkerung angesichts eines der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bei Vollbeschäftigung entsprechenden Zinssatzes sparen möchte, so würde selbst dann der Wohlstand zunehmen, wenn die Menschen ihr Streben nach Vermögen auf Anlageformen lenkten, die keinerlei Ertrag abwerfen. Solange Millionäre Befriedigung darin finden, herrschaftliche Wohnsitze für die Beherbergung ihrer Leiber zu Lebzeiten zu errichten und Pyramiden für deren Aufbewahrung nach dem Tod bzw. in Reue für ihre Sünden Kathedralen errichten oder Stiftungen für Klöster oder Missionen tätigen, kann der Moment hinausgezögert werden, an dem der Überfluss an Kapital eine Produktion in Hülle und Fülle behindert. „Löcher in den Erdboden zu graben“, finanziert aus den Ersparnissen, erhöht nicht nur die Beschäftigung, sondern auch das reale Nationalprodukt an nützlichen Waren und Dienstleistungen. Es wäre demgegenüber unvernünftig, gäbe sich eine Gesellschaft mit der Abhängigkeit von zufälligen und oft unwirtschaftlichen Maßnahmen zur Problembekämpfung zufrieden, wenn sie erst einmal die Faktoren durchschaut hat, von denen die effektive Nachfrage abhängt. IV. Nehmen wir einmal an, es würden geeignete Maßnahmen ergriffen, damit der Zinssatz ein Investitionsvolumen begünstigt, das zu Vollbeschäftigung führt. Nehmen wir weiter an, die staatliche Politik würde als ausgleichender Faktor dienen und sicherstellen, dass sich das Sachkapital in einer Geschwindigkeit auf den Sättigungspunkt zu entwickelt, die keine übermäßige Belastung für den Lebensstandard der heutigen Generation darstellt.
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Unter solchen Voraussetzungen müsste meines Erachtens eine gut verwaltete, mit modernen technischen Produktionsmitteln ausgerüstete Gesellschaft mit nicht allzu hohem Bevölkerungswachstum in der Lage sein, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals im Gleichgewicht innerhalb einer einzigen Generation auf etwa null zu bringen. Wir würden so in den Zustand einer quasi-stationären Gesellschaft gelangten, in der Veränderungen und Fortschritte nur von Veränderungen in Hinblick auf Technik, Geschmack, Bevölkerung und Institutionen herrühren würden. Die mit dem Sachkapital produzierten Waren würden zu einem Preis verkauft entsprechend der in ihnen verkörperten Arbeit usw., und zwar nach den gleichen Prinzipien, die für Konsumgüterpreise gelten, in die Kapitalkosten nur in unwesentlicher Höhe einfließen. Wenn ich mit meiner Annahme Recht habe, dass sich Kapitalgüter relativ einfach in solchen Mengen produzieren lassen, dass die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bei null liegt, so wäre das die vernünftigste Art und Weise, allmählich viele der unerwünschten Wesenszüge des Kapitalismus zu überwinden. Ein wenig Nachdenken wird zeigen, welche enormen sozialen Veränderungen sich durch das allmähliche Verschwinden einer Rendite auf akkumulierten Reichtum ergeben würden. Es würde einem jeden immer noch freistehen, sein Einkommen anzuhäufen mit dem Ziel, es zu einem späteren Zeitpunkt auszugeben. Aber die angehäuften Beträge würden nicht wachsen. Die Person wäre dann in der gleichen Lage wie Popes2 Vater. Als dieser sich aus dem Geschäftsleben zurückzog, nahm er eine Kiste voller Goldstücke mit in sein Landhaus in Twickenham, aus der er nach Bedarf seine Haushaltskosten bestritt. Auch wenn die Rentiers verschwinden würden, bliebe trotzdem noch Raum für Unternehmertum und die Fähigkeit, künftige Erträge abzuschätzen, über welche die Meinungen auseinandergehen. Denn das hier Dargestellte bezieht sich im Wesentlichen nur auf den reinen Zinssatz ohne irgendwelche Risikoaufschläge und dergleichen und nicht auf den Bruttoertrag von Kapitalanlagen inklusive Risikoprämien. Außer bei einem reinen Zinssatz unter null gäbe es somit nach wie vor positive Erträge für geschickte Investitionen in einzelne Vermögensgüter, deren künftige Erträge ungewiss sind. Solange ein spürbarer Widerwillen gegen das Eingehen von Risiken existiert, gäbe es für eine gewisse Zeit auch einen positiven Ertrag für die Gesamtheit derartiger Vermögensgüter. Es kann jedoch gut sein, dass unter solchen Umständen ein derartiges Bedürfnis besteht, einen Ertrag mit unsicheren Investitionen zu erzielen, dass sie in ihrer Gesamtheit einen negativen Nettoertrag aufweisen würden. 2 Alexander
Pope (1688–1744), englischer Dichter und Satiriker. (A. d. Ü.)
Kapitel 17
Die wesentlichen Eigenschaften des Zinses und des Geldes I. Es scheint also, als spiele der Zinssatz auf Geld eine ganz besondere Rolle bei der Begrenzung des Beschäftigungsvolumens, denn er setzt einen Mindeststandard, den die Grenzleistungsfähigkeit von Kapitalanlagen erreichen muss, damit davon mehr produziert wird. Auf den ersten Blick wirkt das verblüffend. Es ist nur natürlich zu fragen, worin denn die Besonderheit des Geldes im Vergleich zu anderen Vermögensgütern besteht, ob nur Geld Zinsen trägt und was in einer nicht-monetären Wirtschaft passieren würde. Solange wir keine Antworten auf diese Fragen geben, bleibt unsere Theorie unklar. Der Leser sei daran erinnert, dass der Geldzins nichts anderes ist als die prozentuale Differenz zwischen einem für spätere Lieferung (z. B. in einem Jahr) vereinbarten Geldbetrag und dem sogenannten „Spot‑“ oder Kassa preis ebendieses Betrags. Es ist also plausibel, dass es für jede Art Kapitalanlage ein Gegenstück zum Geldzinssatz gibt. Denn es gibt eine bestimmte Menge von (z. B.) in einem Jahr zu liefernden Weizen, die heute den gleichen Tauschwert hat wie 100 Viertelzentner Weizen bei sofortiger Auslieferung. Wenn die in einem Jahr zu liefernde Menge 105 Viertelzentner ist, können wir sagen, dass der Weizenzinssatz 5 % pro Jahr beträgt. Wenn die Liefermenge 95 Viertelzentner ist, beträgt der Satz minus 5 % pro Jahr. Für jede lagerfähige Ware gibt es somit einen Zinssatz, der sich in Einheiten dieser Ware ausdrücken lässt – einen Weizenzinssatz, einen Kupferzinssatz, einen Häuserzinssatz und sogar einen Stahlwerkzinssatz. Die Differenz zwischen am Markt notierten „Termin‑“ und „Spotkontrakten“ für Waren wie etwa Weizen steht in einem ganz bestimmten Verhältnis zum Weizenzinssatz. Da aber der Terminkontrakt in Geld für die künftige Lieferung notiert ist und nicht in Weizen für sofortige Lieferung, kommt an dieser Stelle der Geldzinssatz ins Spiel. Das genaue Verhältnis stellt sich wie folgt dar: Angenommen, der Spotpreis von Weizen beläuft sich auf 100 £ für 100 Viertelzentner, der „Terminkontrakt“ auf die gleiche in einem Jahr zu lie-
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fernde Weizenmenge kostet 107 £ und der Geldzinssatz beträgt 5 % – wie hoch ist dann der Weizenzinssatz? Mit 100 £ auf dem Spotmarkt lassen sich Waren im Wert von 105 £ für spätere Lieferung kaufen. Mit 105 £ für spätere Lieferung lassen sich 105 / 107 · 100 (= 98) Viertelzentner Weizen für spätere Auslieferung erwerben. Alternativ dazu kann man 100 £ auf dem Spotmarkt 100 Viertelzentner Weizen für die sofortige Lieferung kaufen. Somit erhält man für 100 Viertelzentner sofort zu liefernden Weizen 98 Viertelzentner später zu liefernden Weizen. Daraus ergibt sich ein Weizenzinssatz von minus 2 % pro Jahr.1 Es gibt folglich keinen Grund, warum der Zinssatz für unterschiedliche Waren gleich sein sollte – warum etwa der Weizenzinssatz gleich dem Kupferzinssatz sein sollte. Das Verhältnis zwischen den auf dem Markt notierten „Spot-“ und „Terminkontrakten“ ist notorisch unterschiedlich für unterschiedliche Waren. Genau das bringt uns, wie wir noch sehen werden, auf die richtige Spur. Es kann nämlich sein, dass der höchste dieser, nennen wir sie einmal: Eigenzinssätze das Geschehen dominiert (weil die Grenzleistungsfähigkeit einer Kapitalanlage den höchsten Satz erreichen muss, damit davon mehr produziert wird). Es könnte darüber hinaus Gründe dafür geben, warum der Geldzinssatz oft der höchste ist (weil, wie wir sehen werden, bestimmte Faktoren, die die Eigenzinssätze anderer Vermögensgüter senken, im Fall des Geldes nicht greifen). So wie zur jeder Zeit unterschiedliche Warenzinssätze bestehen, lässt sich überdies anmerken, so sind auch Devisenhändler mit der Tatsache vertraut, dass nicht einmal für zwei unterschiedliche Währungen, z. B. Pfund Sterling und Dollar, der gleiche Zinssatz gilt. Auch hier ist die Spanne zwischen „Spot‑“ und „Terminkontrakten“ für in Pfund Sterling notierte Devisen in der Regel nicht dieselbe für verschiedene ausländische Währungen. Nun bietet uns jeder dieser Warenstandards genauso gut wie Geld die Möglichkeit, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zu messen. Wir können eine beliebige Ware nehmen, z. B. Weizen, und den Weizenwert des voraussichtlichen Ertrags irgendeiner Kapitalanlage berechnen. Der Diskontsatz, durch den der Gegenwartswert dieser Reihe jährlicher WeizenQuasirenten gleich dem gegenwärtigen, in Weizen ausgedrückten Angebots preis der Kapitalanlage gemacht wird, ergibt die in Weizen angegebene Grenzleistungsfähigkeit der Kapitalanlage. Ist keine Veränderung der relativen Werte zweier alternativer Maßstäbe zu erwarten, so ist die Grenzleistungsfähigkeit einer Kapitalanlage, egal mit welchem der zwei Maßstäbe gemessen wird, die gleiche, da Zähler und Nenner des Bruchs, durch den die Grenzleistungsfähigkeit erfasst wird, im gleichen Verhältnis verändert 1 Dieser Zusammenhang wurde zuerst von Sraffa, Economic Journal, März 1932, S. 50, hervorgehoben.
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werden. Wenn aber bei einem der unterschiedlichen Maßstäbe eine Wertveränderung relativ zum anderen erwartet wird, wird sich die Grenzleistungsfähigkeit um denselben Prozentsatz verändern, je nach dem verwendeten Maßstab. Zur Illustration dieser These mag der einfachste Fall dienen, in dem für Weizen, einen der zur Verfügung stehenden Maßstäbe, von einer gleichmäßigen in Geld ausgedrückten Preissteigerung von a % Prozent pro Jahr ausgegangen werden kann. Die Grenzleistungsfähigkeit einer Kapitalanlage, die in Geld ausgedrückt x beträgt, ist dann in Weizen ausgedrückt gleich x – a %. Da sich die Grenzleistungsfähigkeiten aller Kapitalgüter um denselben Betrag verändern, lässt sich folgern, dass ihre Größenordnung unabhängig vom gewählten Maßstab gleich ist. Gäbe es einen Warenkorb, der streng genommen als repräsentativ gelten kann, könnten wir jeweils den in Einheiten dieses Warenkorbs ausgedrückten Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gewissermaßen als den Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals betrachten. Dem stehen allerdings natürlich die gleichen Hindernisse im Weg wie dem Versuch, einen einheitlichen Wertmaßstab festzulegen. Soweit hat der Geldzinssatz verglichen mit anderen Zinssätzen nichts Einzigartiges an sich, sondern ist diesen genau gleichgestellt. Woraus besteht also dann die Besonderheit des Geldzinses, die ihm die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene überragende praktische Bedeutung verleiht? Warum sollte das Produktions- und Beschäftigungsvolumen in einem engeren Zusammenhang mit dem Geldzinssatz stehen als mit dem Weizenoder dem Hauszinssatz? II. Wenden wir uns der Frage zu, was die diversen Warenzinssätze über den Zeitraum (sagen wir) eines Jahres für unterschiedliche Arten von Vermögensgütern sein werden. Da wir der Reihe nach jede Ware als Maßstab nehmen, werden die Erträge für jede dieser Waren in diesem Zusammenhang in Einheiten dieser Ware selbst ausgedrückt. Es gibt drei Eigenschaften, die unterschiedliche Arten von Vermögensgütern in unterschiedlichem Maß aufweisen, nämlich: 1. Einige Vermögensgüter erwirtschaften einen Ertrag oder einen Output q, der in Einheiten ihrer selbst ausgedrückt werden kann, indem sie zu einem Produktionsprozess beitragen oder Dienstleistungen für Verbraucher erbringen. 2. Die meisten Vermögensgüter, mit Ausnahme von Geld, unterliegen einer gewissen Abnutzung oder verursachen allein durch das Verstreichen von Zeit gewisse Kosten (von Veränderungen ihres relativen Werts abgese-
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hen), auch wenn sie gar nicht zur Erzeugung eines Ertrags genutzt werden. D. h. sie sind mit Lagerhaltungskosten c verbunden, die sich in Einheiten ihrer selbst ausdrücken lassen. Es spielt keine Rolle für unser Vorhaben, wo genau wir die Grenze ziehen zwischen den Kosten, die wir vor der Kalkulation von q abziehen, und denen, die wir zu c zählen, denn im Folgenden befassen wir uns ausschließlich mit q – c. 3. Schließlich bietet die zeitweilige Verfügungsgewalt über einen Vermögenswert potenzielle Annehmlichkeiten oder Sicherheiten, die bei verschiedenen Vermögensgütern nicht gleich sind, auch wenn diese den gleichen Anfangswert haben. Es gibt sozusagen am Ende des Zeitraums nichts vorzuweisen in Form von Output, und doch handelt es sich um etwas, für das Leute etwas zu zahlen bereit sind. Den (durch Einheiten des Vermögenswerts gemessenen) Betrag, den sie für die aus dieser Verfügungsgewalt resultierenden potenziellen Annehmlichkeiten oder Sicherheiten zu zahlen bereit sind (abzüglich der Erträge oder Lagerhaltungskosten des Vermögenswerts), wollen wir als Liquiditätsprämie l bezeichnen. Somit ist der Gesamtertrag, den man aus dem Besitz eines Vermögenswerts erwarten kann, gleich seinem Ertrag minus seinen Lagerhaltungskosten plus seiner Liquiditätsprämie, also q – c + l. Soll heißen, q – c + l ist der Eigenzinssatz einer jeden Ware, wobei für die Messung von q, c und l jeweils Einheiten ihrer selbst als Maßstab dienen. Typischerweise dürfte bei im Einsatz befindlichem Produktionskapital (z. B. einer Maschine) oder Gebrauchskapital (z. B. einem Gebäude) der Ertrag über den Lagerhaltungskosten liegen, während die Liquiditätsprämie wahrscheinlich vernachlässigbar ist. Bei Beständen unverkaufter Waren oder bei überflüssigem, stillgelegtem Produktions- oder Gebrauchskapital wiederum dürften in Einheiten dieser Güter gemessene Lagerhaltungskosten anfallen, die durch keinerlei Ertrag ausgeglichen werden. In diesem Fall ist die Liquiditätsprämie normalerweise ebenfalls vernachlässigbar, sobald die Bestände ein sehr geringes Niveau übersteigen, obwohl sie unter besonderen Umständen durchaus erheblich sein kann. Und bei Geld schließlich dürften der Ertrag null, die Lagerhaltungskosten vernachlässigbar, aber die Liquiditätsprämie erheblich sein. Unterschiedliche Waren können in der Tat untereinander verschieden hohe Liquiditätsprämien aufweisen, und Geld kann mit gewissen Lagerhaltungskosten einhergehen, z. B. für die sichere Verwahrung. Der entscheidende Unterschied zwischen Geld und allen (oder den meisten) anderen Vermögensgütern ist allerdings, dass im Fall von Geld die Liquiditätsprämie weit über den Lagerhaltungskosten liegt, während es bei den sonstigen Waren andersherum ist. Nehmen wir zu Illustrationszwecken an, dass der Ertrag von Gebäuden q1 ist und Lagerhaltungskosten und Liquiditätsprämie minimal sind, dass sich die Lagerhaltungskosten von Weizen
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auf c2 belaufen bei minimalen Erträgen und Liquiditätsprämien und dass die Liquiditätsprämie von Geld l3 beträgt bei minimalen Erträgen und Lagerhaltungskosten. Dann ist q1 der Gebäudezinssatz, –c2 der Weizenzinssatz und l3 der Geldzinssatz. Zur Berechnung der Relationen zwischen den erwarteten, mit dem Gleichgewicht vereinbaren Renditen verschiedenartiger Vermögensgüter müssen wir zudem wissen, welche Veränderungen der relativen Werte innerhalb des Jahres zu erwarten sind. Nehmen wir hierfür Geld (was hier nur als Recheneinheit dient; wir könnten genauso gut Weizen nehmen) als unsere Maßeinheit und bezeichnen die erwartete prozentuale Wertzunahme (oder ‑abnahme) von Gebäuden als a1 und die von Weizen als a2. q1, –c2 sowie l3 haben wir bereits als die in Einheiten ihrer selbst gemessenen Eigenzinssätze von Gebäuden, Weizen und Geld identifiziert, d. h. q1 ist der in Gebäuden gemessene Zinssatz auf Gebäude, –c2 der in Weizen gemessene Zinssatz auf Weizen und l3 der in Geld gemessene Zinssatz auf Geld. Es ist auch hilfreich, a1 + q1, a2 – c2 sowie l3, die für die gleichen, in Geld als Wertmaßstab gemessenen Beträge stehen, jeweils als den in Geld ausgedrückten Zinssatz auf Gebäude (house-rate of money-interest), den in Geld ausgedrückten Zinssatz auf Weizen (wheat-rate of money-interest) und den in Geld ausgedrückten Zinssatz auf Geld (money-rate of money-interest) zu bezeichnen. Durch diese Darstellung lässt sich leicht erkennen, dass sich die Nachfrage der Vermögensbesitzer auf Gebäude, Weizen oder Geld richtet, je nachdem, ob a1 + q1 oder a2 – c2 oder l3 am höchsten ist. Im Gleichgewicht werden also die in Geld ausgedrückten Nachfragepreise von Gebäuden und Weizen so sein, dass keine der Alternativen vorteilhafter als die andere ist, d. h. a1 + q1, a2 – c2 und l3 sind gleich. Die Wahl des Wertmaßstabs macht keinen Unterschied für das Ergebnis, weil ein Wechsel von einem Maßstab zum anderen alle Größen gleichermaßen verändert, d. h. um einen Betrag, der gleich der erwarteten Wertzunahme (oder ‑abnahme) des neuen Maßstabs, in Einheiten des alten gemessen, ist. Nun werden diejenigen Kapitalanlagen, deren normaler Angebotspreis geringer als der Nachfragepreis ist, neu produziert. Dies sind dann die Kapitalanlagen, deren Grenzleistungsfähigkeit (auf Basis ihres normalen Angebotspreises) größer ist als der Zinssatz (wobei beide im selben Wertmaßstab gemessen werden, gleichgültig, welcher das ist). Nehmen die Bestände an Kapitalanlagen, die anfangs eine Grenzleistungsfähigkeit gleich oder über dem Zinssatz aufweisen, immer weiter zu, sinkt tendenziell ihre Grenzleistungsfähigkeit (aus offensichtlichen, bereits dargestellten Gründen). Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem sich ihre Produktion nicht mehr lohnt, außer der Zinssatz sinkt parallel dazu. Gibt es keinen Vermögenswert, dessen Grenzleistungsfähigkeit an den Zinssatz heranreicht, so kommt die Produktion von Kapitalgütern zum Stillstand.
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Nehmen wir an (zum gegenwärtigen Stand der Analyse als bloße Hypothese), es gebe einen Vermögenswert (z. B. Geld), dessen Zinssatz fix ist bzw. bei zunehmender Produktion langsamer sinkt als die Zinssätze anderer Waren – wie regelt sich die Lage dann? Da a1 + q1, a2 – c2 und l3 notwendigerweise gleich sind und da l3 gemäß unserer Hypothese entweder fix ist oder langsamer sinkt als q1 oder –c2, müssen folglich a1 und a2 steigen. Anders gesagt sinkt tendenziell der gegenwärtige Geldpreis jeder Ware mit Ausnahme von Geld relativ zu ihrem erwarteten zukünftigen Preis. Sinken daher q1 und –c2 weiter, rentiert es sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, irgendeine Ware zu produzieren, außer es werden um einen solch hohen Betrag über den aktuellen Kosten liegende zukünftige Produktionskosten erwartet, dass die Lagerhaltungskosten eines jetzt produzierten Warenbestands bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Preise voraussichtlich höher liegen, niedriger sind. Daraus wird deutlich, dass unsere frühere Feststellung, wonach der Geldzinssatz den begrenzenden Faktor für das Produktionsvolumen darstellt, streng genommen nicht korrekt ist. Vielmehr hätte die Formulierung so lauten müssen: Der Zinssatz desjenigen Vermögensguts, der bei insgesamt steigendem Bestand an Vermögensgütern am langsamsten sinkt, macht irgendwann eine profitable Produktion aller anderen unmöglich. Ausgenommen ist lediglich der eben erwähnte Fall einer besonderen Relation zwischen gegenwärtigen und künftigen Produktionskosten. Mit wachsender Produk tion fallen die Eigenzinssätze so weit, dass ein Vermögenswert nach den anderen unter das Niveau fällt, auf dem sich seine Produktion noch lohnt, bis letztlich ein Eigenzinssatz oder einige Eigenzinssätze auf einem Niveau oberhalb der Grenzleistungsfähigkeit irgendeines Vermögenswerts bleibt. Wenn wir unter Geld den Wertmaßstab verstehen, wird deutlich, dass die Probleme nicht unbedingt durch den Geldzinssatz verursacht werden. Wir können den Schwierigkeiten nicht entgehen (wie das einige versuchten), indem wir einfach beschließen, dass Weizen oder Gebäude als Wertmaßstab anstelle von Gold oder Pfund Sterling dienen sollen. Denn es hat sich gezeigt, dass die Probleme fortdauern, solange irgendein Vermögenswert existiert, dessen Eigenzinssatz mit wachsender Produktion nicht einfach sinkt. Es kann beispielsweise sein, dass Gold in einem Land, das zu einem nicht konvertierbaren Papiergeldstandard übergegangen ist, diese Rolle weiter spielt. III. Wenn wir dem Geldzinssatz also besondere Bedeutung beimessen, setzen wir stillschweigend voraus, dass unser gewohntes Geld eine besondere Eigenschaft besitzt, durch die sein in Einheiten seiner selbst gemessener Ei-
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genzinssatz bei einem steigenden Bestand an Vermögensgütern weniger stark sinkt als die Eigenzinssätze aller anderen, wiederum in Einheiten ihrer selbst gemessenen Vermögensgüter. Ist diese Annahme begründet? Ich glaube, eine nähere Betrachtung zeigt, dass die im Folgenden aufgeführten Eigenarten des Geldes, wie wir es kennen, sie rechtfertigen. Solange der bestehende Wertmaßstab diese Eigenart aufweist, ist die summarische Behauptung zutreffend, dass der Geldzinssatz der ausschlaggebende Zinssatz ist. 1. Die erste Eigenschaft, die einen zu dieser Schlussfolgerung bringt, ist die Tatsache, dass Geld in der langen wie in der kurzen Frist eine Produk tionselastizität von null oder nur knapp darüber aufweist, soweit es sich um die Möglichkeiten von Privatunternehmen handelt (im Gegensatz zur Währungsbehörde). Produktionselastizität2 bedeutet in diesem Kontext die Reaktion der für die Produktion des Geldes nötigen Arbeitsmenge auf einen Anstieg der Arbeitsmenge, die für eine Geldeinheit erhältlich ist. Soll heißen, Geld lässt sich nicht ohne weiteres produzieren. Arbeit kann von Unternehmern nicht beliebig eingesetzt werden, um Geld in größeren Mengen zu produzieren, wenn sein in Lohneinheiten ausgedrückter Preis steigt. Im Fall einer nicht konvertierbaren Währung mit festen Wechselkursen ist diese Bedingung voll erfüllt. Aber auch im Fall einer Goldwährung trifft sie noch weitgehend zu, insofern als die höchste proportionale Erhöhung der Arbeitsmenge, die dafür eingesetzt werden kann, sehr klein ist – außer natürlich in einem Land, in dem der Goldbergbau der größte Industriezweig ist. Bei Vermögensgütern mit einer positiven Produktionselastizität war der Grund für unsere Annahme eines rückläufigen Eigenzinssatzes, dass wir mit steigender Produktion von einem höheren Bestand an Vermögensgütern ausgingen. Im Fall von Geld ist jedoch das Angebot gegeben – jedenfalls, wenn wir einstweilen unsere Überlegungen über die Effekte einer Senkung der Lohneinheit oder einer bewussten Erhöhung des Geldangebots durch die Währungsbehörde hintanstellen. Die Eigenschaft, dass Geld nicht ohne weiteres durch Arbeit produziert werden kann, legt prima facie die Vermutung nahe, dass sein Eigenzinssatz kaum sinkt. Ließe sich Geld hingegen wie Getreide anbauen oder wie ein Automobil herstellen, könnten Depressionen verhindert oder zumindest abgemildert werden, weil dann einfach mehr Arbeit für die Produktion von Geld eingesetzt würde, wenn der in Geld ausgedrückte Preis anderer Vermögensgüter im Fallen begriffen ist. Dies lässt sich in goldproduzierenden Ländern studieren, doch für die Welt als Ganze ist eine derartige Umlenkung der Produktion eine praktisch vernachlässigbare Größe. 2 Vgl.
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2. Diese Voraussetzungen werden jedoch offensichtlich nicht nur von Geld erfüllt, sondern von allen Gütern, die ein Renteneinkommen erzielen und deren Produktion absolut unelastisch ist. Es ist deshalb eine zweite Bedingung nötig, um Geld von anderen derartigen Produkten zu unterscheiden. Die zweite Besonderheit des Geldes ist eine Substitutionselastizität von null oder beinahe null. Das bedeutet, dass bei einem steigenden Tauschwert von Geld keine Neigung besteht, es durch ein anderes Gut zu ersetzen. Eine Ausnahme gilt vielleicht in unbedeutendem Umfang da, wo das für Geld verwendete Material auch in Handwerk und Industrie genutzt wird. Es ergibt sich aus der Eigenart des Geldes, dass sich sein Nutzen einzig aus seinem Tauschwert ergibt, so dass die beiden stets parallel zueinander steigen und fallen. Wenn der Tauschwert des Geldes steigt, besteht folglich, anders als bei anderen Gütern, die ein Renteneinkommen erzielen, kein Motiv und keine Bereitschaft, es durch ein anderes Produkt zu ersetzen. Es ist somit nicht nur unmöglich, mehr Arbeit auf die Produktion von Geld zu lenken, wenn sein Wert, ausgedrückt in Arbeitseinheiten, steigt, sondern bei steigender Nachfrage nach Geldhaltung ist Geld zudem für die Kaufkraft ein Fass ohne Boden, weil es keinen Wert erreichen kann, bei dem sich die Nachfrage – so wie im Fall anderer Güter, die ein Renteneinkommen erzielen – auf andere Dinge richten würde. Die einzige Einschränkung ergibt sich, wenn Unsicherheit besteht, ob der Wertzuwachs des Geldes von Dauer ist. In diesem Fall steigen a1 und a2, was gleichbedeutend ist mit einer Erhöhung des Warensatzes des Geldzinses und deswegen mit einer Ankurbelung der Produktion anderer Vermögensgüter. 3. Drittens müssen wir in Betracht ziehen, ob diese Folgerungen durch folgende Tatsache umgestoßen werden: Auch wenn die Menge des Geldes nicht durch den Einsatz von mehr Arbeit für seine Produktion erhöht werden kann, wäre die Annahme, sein effektives Angebot sei starr, gleichwohl ungenau. Insbesondere führt eine Senkung der Lohneinheit dazu, dass Bargeld von anderen Verwendungszwecken abgezogen und zur Befriedigung des Liquiditätsmotivs verwendet wird – während darüber hinaus bei einer Verringerung aller in Geld ausgedrückten Werte der Geldbestand einen größeren Teil des Gesamtvermögens der Bevölkerung ausmachen wird. Es lässt sich auf rein theoretischer Grundlage nicht bestreiten, dass diese Auswirkungen eine ausreichende Senkung des Geldzinssatzes ermöglichen könnten. Es gibt jedoch mehrere, in ihrer Gesamtheit höchst überzeugende Gründe, warum es in der uns vertrauten Wirtschaft sehr wahrscheinlich ist, dass der Geldzinssatz oft nicht ausreichend sinken wird:
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a) Als erstes müssen wir die Auswirkungen eines Rückgangs der Lohneinheit auf die in Geld gemessene Grenzleistungsfähigkeit anderer Vermögensgüter beachten, denn uns interessiert der Unterschied zwischen dieser und dem Geldzinssatz. Wenn die Senkung der Lohneinheit eine Erwartung hervorruft, dass sie danach wieder ansteigen wird, hat das durchweg positive Folgen. Bildet sich hingegen die Erwartung eines weiteren Rückgangs, können die Auswirkungen auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals die Zinssenkung aufwiegen.3 b) Dass sich die in Geld gemessenen Löhne nur langsam verändern, da der Nominallohn stabiler ist als der Reallohn, begrenzt tendenziell den Rückgang der in Geld gemessenen Lohneinheit. Wäre dem nicht so, dann wäre die Situation eher schlechter als besser. Denn würden Nominallöhne ohne Umstände fallen, könnte dies allzu oft die Erwartung weiterer Rückgange hervorrufen, was sich negativ auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auswirken würde. Bei einer festen Bindung der Löhne an irgendeine andere Ware, z. B. Weizen, würden sie außerdem wohl kaum beständig bleiben. Dass Löhne, wenn sie in Geld bemessen sind, schwer veränderbar sind, liegt an den anderen Eigenschaften des Geldes, vor allem an denen, die es liquide machen.4 c) Kommen wir nun, drittens, zu den in diesem Zusammenhang wohl grundlegendsten Überlegungen, nämlich den Eigenschaften des Geldes, die die Liquiditätspräferenz befriedigen. Unter gewissen, keineswegs seltenen Bedingungen sorgen diese dafür, dass der Zinssatz, vor allem unterhalb eines bestimmten Niveaus5, selbst auf massive Erhöhungen der Geldmenge relativ zu anderen Vermögensarten kaum noch reagiert. Anders gesagt, ab einem gewissen Punkt lässt eine Geldmengenerhöhung den aus der Liquidität des Geldes herrührenden Ertrag längst nicht in dem Ausmaß sinken, in dem der Ertrag anderer Vermögensgüter infolge einer vergleichbaren Mengenerhöhung sinkt. In diesem Zusammenhang spielen die niedrigen (oder vernachlässigbaren) Lagerhaltungskosten des Geldes eine entscheidende Rolle. Würde es sich hierbei um erhebliche Kosten handeln, würden sie den Effekt der Erwartungen über den zukünftigen Geldwert aufwiegen. Die Bevölkerung ist bereit, auf einen vergleichsweise kleinen Anreiz hin ihren Geldbestand zu erhöhen, weil die (tatsächlichen oder angenommenen) Vorteile der Liquidität nicht 3 Dies
ist ein Thema, das in Kap. 19 noch ausführlicher behandelt wird. Löhne (und Kreditverträge) in Weizeneinheiten gemessen würden, würde wahrscheinlich der Weizen einen Teil der Liquiditätsprämie des Geldes übernehmen. Wir werden auf diese Frage in Abschnitt IV zurückkommen. 5 Vgl. S. 149. 4 Wenn
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durch mit der Zeit steil ansteigende Lagerhaltungskosten eingeschränkt werden. Im Falle einer anderen Ware als Geld kann ein kleiner Vorrat den Benutzern dieser Ware durchaus einige Vorteile bringen. Aber auch wenn ein größerer Bestand als wertbeständige Vermögensaufbewahrung einen gewissen Reiz haben mag, würde dieser durch die Lagerhaltungskosten in Form von Lagerkosten, Schwund usw. aufgewogen. Ab einem bestimmten Punkt gehen größere Bestände zwangsläufig mit Verlusten einher. Bei Geld ist das jedoch anders, wie wir gesehen haben, und zwar aus einer Reihe von Gründen – nämlich jenen, die Geld in den Augen der Leute zu einem „liquiden“ Mittel par excellence machen. Deshalb sind die Reformer auf der richtigen Spur, die zur Problemlösung Geld mit künst lichen Lagerhaltungskosten versehen wollen, etwa indem die gesetzlichen Zahlungsmittel nur ihren Wert behalten, wenn in regelmäßigen Abständen eine kostenpflichtige Marke aufgeklebt wird. Der praktische Wert ihrer Vorschläge verdient durchaus unsere Aufmerksamkeit. Die Bedeutung des Geldzinssatzes ergibt sich also aus der Kombination folgender Eigenschaften: Durch die Wirkungsweise des Liquiditätsmotivs reagiert dieser Zinssatz kaum auf Veränderungen des Verhältnisses der Geldmenge zu anderen in Geld gemessenen Vermögensarten. Die Produk tionselastizität des Geld ist null (oder vernachlässigbar) oder kann es sein, und dasselbe gilt für auch seine Substitutionselastizität. Die erste der genannten Bedingungen bedeutet, dass sich die Nachfrage hauptsächlich auf Geld richten dürfte; die zweite, dass sich in dieser Situation Arbeit nicht für die Produktion von mehr Geld einsetzen lässt. Und der dritten zufolge lassen sich die Probleme nicht dadurch lindern, dass ein anderer Faktor, auch wenn er billig genug ist, die Aufgaben des Geldes zu übernehmen imstande ist. Die einzige Abhilfe neben einer Änderung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals kann (solange die Liquiditätspräferenz unverändert bleibt) eine Erhöhung der Geldmenge schaffen oder – was formal dasselbe ist – eine Erhöhung des Geldwerts, durch die eine gegebene Menge an Geld mehr Gelddienste leistet. Eine Erhöhung des Geldzinssatzes verzögert somit die Herstellung all der Dinge, deren Produktion elastisch ist, ohne jedoch die Herstellung von Geld in Gang setzen zu können (dessen Produktion gemäß unserer Hypothese vollkommen unelastisch ist). Indem der Geldzinssatz allen anderen Warenzinssätzen die Gangart vorgibt, bremst er Investitionen in die Produktion der anderen Waren, vermag jedoch nicht, Investitionen in die Produktion von Geld anzuregen, das ja der Hypothese zufolge nicht produziert werden kann. Aufgrund der Elastizität der Nachfrage nach liquiden Mitteln im Verhältnis zu Schuldverschreibungen dürften zudem kleinere Veränderungen der Bedingungen, die diese Nachfrage steuern, den Geldzinssatz kaum än-
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dern. Aufgrund der unelastischen Geldproduktion gelingt es (von staatlichen Maßnahmen abgesehen) natürlichen Kräften des Marktes zugleich nicht, den Geldzinssatz durch eine Beeinflussung der Angebotsseite zu senken. Bei gewöhnlichen Waren würde die unelastische Nachfrage nach liquiden Beständen dieser Güter dafür sorgen, dass kleine Veränderungen der Nachfrage ihre jeweiligen Zinssätze mit Schwung nach oben oder unten bewegen. Zugleich würde die Angebotselastizität bei diesen Waren tendenziell auch einen hohen Aufschlag für sofortige gegenüber einer späteren Lieferung verhindern. Blieben die anderen Waren also sich selbst überlassen, würden „natürliche Kräfte“, d. h. die gewöhnlichen Marktkräfte, deren Zinssätze so weit senken, bis Vollbeschäftigung erreicht wäre, wodurch das Angebot an Waren generell so unelastisch würde, wie wir das als normale Eigenschaft des Geldes postuliert haben. Ohne Geld und – wovon wir auch ausgehen müssen – ohne irgendwelche anderen Waren, die die vermuteten Eigenschaften von Geld aufweisen, würden die Zinssätze nur bei Vollbeschäftigung ein Gleichgewicht erreichen. Das bedeutet: Arbeitslosigkeit entsteht, weil Menschen nach dem Mond greifen wollen. Menschen finden keine Beschäftigung, wenn das Objekt der Begierde (d. h. Geld) nicht produziert werden kann und wenn sich die Nachfrage danach nicht einfach abwürgen lässt. Die einzige Lösung wäre, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass grüner Käse genauso gut wie der Mond ist6 und dass man deshalb eine öffentlicher Aufsicht unterliegende Fabrik für grünen Käse (in anderen Worten: eine Zentralbank) braucht. Bemerkenswerterweise stellt sich heraus, dass ausgerechnet die Eigenschaft, die Gold als besonders für die Verwendung als Wertmaßstab geeignet erscheinen lässt, nämlich die Unelastizität des Angebots, die Wurzel aller Probleme ist. Unsere Schlussfolgerung kann in ihrer allgemeinsten Form wie folgt dargestellt werden (wobei wir die Konsumneigung als gegeben nehmen): Eine weitere Steigerung des Investitionsvolumens ist unmöglich, wenn der größte der Eigenzinssätze aller verfügbaren Vermögensgüter gleich der höchsten Grenzleistungsfähigkeit aller Vermögensgüter ist, gemessen in Einheiten des Vermögenswerts mit dem höchsten Eigensatz des Eigenzinses. Bei Vollbeschäftigung ist diese Bedingung automatisch erfüllt. Sie kann allerdings auch erfüllt werden, bevor Vollbeschäftigung erreicht wurde, wenn es ein Vermögensgut mit null (oder sehr geringer) Elastizität der Pro6 Keynes bezieht sich auf die englische Redewendung „Der Mond ist aus grünem Käse“ (gemeint ist junger Käse), die als Metapher für Leichtgläubigkeit dient. (A. d. Ü.)
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duktion und der Substitution7 gibt, dessen Zinssatz bei zunehmender Produktion langsamer sinkt als die in Einheiten ihrer selbst gemessene Grenzleistungsfähigkeit anderer Kapitalgüter. IV. Damit eine Ware als Wertmaßstab dient, ist es, wie gezeigt, keine hinreichende Bedingung, dass ihr Zinssatz der maßgebliche Zinssatz ist. Es ist jedoch interessant zu überlegen, inwieweit die Eigenschaften des uns bekannten Geldes, die den Geldzins zum maßgeblichen Zinssatz machen, damit zusammenhängen, dass Geld der Wertmaßstab ist, in dem Darlehen und Löhne üblicherweise ausgemacht werden. Diese Angelegenheit sollte unter zwei Gesichtspunkten näher beleuchtet werden. Zum einen hat die Tatsache, dass Kreditverträge in Geld festgesetzt werden und Löhne in Geld gemessen einigermaßen stabil sind, unzweifelhaft einen wesentlichen Anteil an der hohen Liquiditätsprämie des Geldes. Es ist eindeutig von großem Vorteil, über Vermögensbestände in dem Wertmaßstab zu verfügen, in dem womöglich zu einem späteren Zeitpunkt Verbindlichkeiten fällig werden und in dem die künftigen Lebenshaltungskosten einigermaßen stabil sein dürften. Gleichzeitig könnte man kein großes Vertrauen haben, dass die künftigen Geldkosten der Produktion relativ stabil bleiben, wenn der Wertmaßstab eine Ware mit hoher Produktionselastizität wäre. Überdies spielen die geringen Lagerhaltungskosten des Geldes, wie wir es kennen, eine ebenso wichtige Rolle dabei, den Geldzinssatz zum maßgeblichen Satz zu machen, wie eine hohe Liquiditätsprämie. Denn entscheidend ist die Differenz zwischen Liquiditätsprämie und Lagerhaltungskosten; und bei den meisten Waren mit Ausnahme solcher Vermögensgüter wie Gold, Silber und Banknoten sind die Lagerhaltungskosten mindestens so hoch wie die Liquiditätsprämie des Wertmaßstabs, in dem Kreditverträge und Löhne vereinbart werden. Selbst wenn die Liquiditätsprämie, die jetzt z. B. dem Pfund Sterling eigen ist, auf z. B. Weizen übertragen würde, wäre es folglich unwahrscheinlich, dass der Weizenzinssatz über null steigen würde. Auch wenn die Tatsache, dass Kreditverträge und Löhne in Geld bemessen sind, die Bedeutung des Geldzinssatzes deutlich erhöht, bleibt es also dabei, dass dieser Umstand wohl dennoch für sich genommen unzureichend ist, um die beschriebenen Eigenschaften des Geldzinssatzes zu erzeugen. Der zweite beachtenswerte Punkt ist subtiler. Die übliche Erwartung, wonach der Wert des Outputs in Geld gemessen stabiler ist als in irgendei7 Eine
lich.
Elastizität von null ist eine strengere Anforderung als unbedingt erforder-
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ner anderen Ware gemessen, hängt nicht etwa davon ab, dass Löhne in Geld vereinbart werden, sondern vielmehr davon, dass sich in Geld gemessen die Löhne nur relativ langsam verändern. Wie sähe dann aber die Sache aus, wenn es die Erwartung gäbe, dass sich in irgendeiner anderen Ware gemessene Löhne langsamer verändern würden (d. h. stabiler wären), als wenn sie in Geld vereinbart worden wären? Solch eine Erwartung setzt zum einen voraus, dass die in Lohneinheiten gemessenen Kosten der fraglichen Ware für höhere und niedrigere Produktionsniveaus sowohl in der kurzen als auch in der langen Frist als relativ konstant angesehen werden. Zum anderen müsste jedweder Überschuss über die zum Kostenpreis herrschende even tuelle Nachfrage ohne Kosten auf Lager genommen werden können, d. h. ihre Liquiditätsprämie muss höher als ihre Lagerhaltungskosten sein (denn andernfalls ginge Lagerhaltung zwangsläufig mit Verlusten einher, da kein Gewinn durch höhere Preise in Aussicht steht). Sollte sich herausstellen, dass eine Ware diese Bedingungen erfüllt, dann könnte sie sich gewiss als Konkurrent für Geld etablieren. Die Existenz einer Ware, die als Maßeinheit für den Wert von Produkten genommen mehr Stabilität verspricht als Geld, ist also nicht logisch unmöglich. Aber die Existenz einer solchen Ware ist nicht sehr wahrscheinlich. Ich schließe aus, dass, wenn bei einem als Wertmaßstab dienenden Gut die Erwartung vorherrscht, in diesem Gut gemessene Löhne würden sich am trägsten verändern, seine Produktionselastizität und der Betrag, um den seine Lagerhaltungskosten über seiner Liquiditätsprämie liegen, am geringsten sein müssen. Die Erwartung, dass in Geld vereinbarte Löhne sich nur relativ träge verändern, ist mit anderen Worten die logische Konsequenz daraus, dass bei Geld der Betrag, um den die Liquiditätsprämie über den Lagerhaltungskosten liegt, größer ist als bei allen anderen Vermögensgütern. Wir können daraus erkennen, dass die verschiedenen Eigenschaften, die gemeinsam den Geldzinssatz wesentlich werden lassen, kumulativ zusammenwirken. Die Tatsache, dass Geld eine geringe Produktions- und Substitutionselastizität aufweist und mit niedrigen Lagerhaltungskosten verbunden ist, verstärkt tendenziell die Erwartung relativer Stabilität der Nominallöhne, und diese Erwartung wiederum erhöht die Liquiditätsprämie des Geldes und unterbindet die Wechselbeziehung zwischen dem Geldzins und der Grenzleistungsfähigkeit anderer Vermögensgüter, die – wenn sie sie überhaupt gäbe – dem Geldzinssatz seinen Einfluss nehmen würde. Pigou nimmt (wie auch andere Autoren) gewohnheitsmäßig an, Reallöhne seien stabiler als Nominallöhne. Dies ist jedoch nur möglich, wenn es zugleich Grund zur Annahme gäbe, die Beschäftigung sei stabil. Hinzu kommt das Problem, dass Lohngüter mit hohen Lagerhaltungskosten verbunden sind. Würde man Reallöhne zu stabilisieren versuchen, indem man Löhne
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in Lohngütern bemisst, wäre der einzige Effekt eine heftige Schwankung der Geldpreise. Denn dann würde jede kleine Schwankung bei Konsumneigung und Investitionsanreiz die Geldpreise heftig zwischen null und unendlich fluktuieren lassen. Dass Nominallöhne stabiler als Reallöhne sind, ist eine Voraussetzung für ein in sich stabiles System. Reallöhnen eine relative Stabilität zuschreiben ist daher nicht nur aufgrund der Tatsachen und Erfahrungen falsch. Es ist auch ein logischer Fehler, wenn wir voraussetzen, dass das fragliche System stabil ist in dem Sinne, dass kleine Änderungen der Konsumneigung und Investitionsanreize ohne heftige Auswirkungen auf die Preise bleiben. V. Als Randnotiz sollte noch einmal betont werden, dass es sich sowohl bei „Liquidität“ als auch bei „Lagerhaltungskosten“ um eine Frage der Größenordnung handelt. Die Besonderheit von „Geld“ besteht allein in der relativen Höhe der Liquidität im Vergleich zu den Lagerhaltungskosten. Nehmen wir als Beispiel eine Volkswirtschaft, in der es keinen Vermögenswert gibt, dessen Liquiditätsprämie stets höher ist als die Lagerhaltungskosten; besser kann ich eine so genannte „nicht-monetäre“ Wirtschaft nicht definieren. Das heißt, es gibt dort lediglich bestimmte Konsumgüter und bestimmte Kapitalgüter, die sich je nach den Eigenschaften der von ihnen früher oder später zu produzierenden Konsumgüter mehr oder weniger unterscheiden. Anders als Bargeld sind sie alle verderblich oder, wenn sie auf Lager gehalten werden, mit Kosten verbunden, die über jegliche Liquiditätsprämie hinausgehen, die mit ihnen verbunden sein mag. In einer solchen Volkswirtschaft unterscheiden sich die Kapitalgüter voneinander a) durch die Art der Konsumgüter, zu deren Herstellung sie beitragen können, b) durch die Wertbeständigkeit ihres Outputs (in dem Sinne, in dem der Wert von Brot auf Dauer stabiler ist als der Wert von modischen Neuheiten) und c) durch die Geschwindigkeit, mit der in ihnen manifestierte Reichtum „liquide“ gemacht werden kann, im Sinne einer Produktion, deren Erlöse, wenn gewünscht, anschließend in ganz anderer Form wieder manifestiert werden können. Die Vermögensbesitzer werden dann den Mangel an „Liquidität“ bei den verschiedenen Kapitalgütern – im genannten Sinne als ein Speichermedium für Vermögen – gegen die bestmögliche mathematische Schätzung ihrer zukünftigen Erträge nach Abzug der Risiken abwägen. Es zeigt sich, dass die Liquiditätsprämie teilweise Ähnlichkeiten mit der Risikoprämie aufweist, teilweise aber auch Unterschiede, wobei diese der Differenz zwischen unseren bestmöglichen Schätzungen von Wahrscheinlichkeiten und dem
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Vertrauen in diese Schätzungen entsprechen.8 Als wir uns in vorangegangenen Kapiteln mit der Schätzung künftiger Erträge befassten, sind wir nicht auf die Details eingegangen, wie diese Schätzungen vorgenommen werden, und um die Darstellung nicht unnötig zu verkomplizieren, haben wir auch nicht zwischen Unterschieden in der Liquidität und Unterschieden der eigentlichen Risiken unterschieden. Klar ist aber, dass wir zur Berechnung des Eigenzinssatzes beide berücksichtigen müssen. Es gibt eindeutig kein absolutes Maß der „Liquidität“, sondern lediglich Größenordnungen: eine wechselnde Prämie, die zusätzlich zu den Nutzungsund Lagerhaltungskosten in die Schätzung der relativen Reize unterschied licher Arten der Vermögenshaltung einbezogen werden muss. Die Vorstellung dessen, was „Liquidität“ ausmacht, ist in gewisser Weise vage, sie ändert sich von Zeit zu Zeit, und sie ist abhängig von gesellschaftlichen Praktiken und Institutionen. Für die Vermögensbesitzer ist jedoch die Rangordnung der Präferenzen, die sie für Liquidität hegen, eindeutig, und mehr brauchen wir nicht für die Analyse der Funktionsweise des Wirtschaftssystems. Es mag sein, dass sich für die Vermögensbesitzer unter bestimmten historischen Umständen der Besitz von Land durch hohe Liquiditätsprämien auszeichnete. Da Land in Hinblick auf seine sehr geringe Produktions- und Substitutionselastizität9 dem Geld ähnelt, sind durchaus historische Situationen denkbar, in denen der Wunsch nach Landbesitz genauso dazu beigetragen hat, den Zinssatz auf einem zu hohen Niveau zu halten, wie es in jüngerer Zeit das Geld tat. In Ermangelung eines in Einheiten seiner selbst gemessenen Terminkurses für Land, der dem Zinssatz einer Geldschuld exakt vergleichbar wäre, lässt sich jedoch dieser Einfluss kaum quantitativ erfassen. Es gibt allerdings etwas, was zeitweise eine enge Entsprechung war, und zwar in Form hoher Zinssätze auf Immobiliendarlehen.10 Die ho8 Vgl.
Fußnote S. 130. Merkmal „Liquidität“ ist keineswegs unabhängig vom Vorhandensein dieser zwei Merkmale. Denn es ist unwahrscheinlich, dass ein Vermögenswert, dessen Angebot leicht erhöht werden kann oder auf den das Verlangen durch eine Änderung des relativen Preises leicht umzulenken ist, in den Augen der Vermögensbesitzer über die Eigenschaft „Liquidität“ verfügt. Selbst Geld verliert rasch die Eigenschaft „Liquidität“, wenn die Annahme herrscht, sein zukünftiges Angebot werde starken Veränderungen unterworfen sein. 10 Eine Hypothek und die Zinsen darauf werden in der Tat in Geld bemessen. Aber die Tatsache, dass der Hypothekenschuldner die Wahl hat, das Stück Land selbst zur Begleichung der Schulden abzugeben – und es abgeben muss, wenn er das Geld nicht auf Verlangen auftreiben kann – sorgte mitunter dafür, dass das Hypothekensystem einem Terminkontrakt über die spätere Lieferung von Grundstücken im Gegensatz zu sofortiger Lieferung ähnelte. Es gibt mitunter Landverkäufe an Pächter gegen von ihnen aufgenommene Hypotheken, die in der Tat derartigen Transaktionen sehr nahe kommen. 9 Das
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hen Hypothekenzinsen für Land, die oft den wahrscheinlichen Nettoertrag aus der Bestellung des Landes überstiegen, waren eine vertraute Erscheinung in landwirtschaftlich geprägten Volkswirtschaften. Wuchergesetze waren vor allem gegen derartige Belastungen gerichtet, und das mit Recht. Denn in früheren Gesellschaftsformen, in denen es keine langfristigen Anleihen im heutigen Sinne gab, dürfte die Konkurrenz eines hohen Zinssatzes auf Hypotheken den gleichen Effekt gehabt haben, das Wachstum des Vermögens aus laufenden Investitionen in neue Kapitalanlagen zu verlangsamen, wie in jüngerer Zeit die hohen Zinssätze auf langfriste Schuldverschreibungen. Dass die Welt nach Jahrtausenden des Sparens immer noch so arm an akkumulierten Kapitalanlagen ist, lässt sich meiner Ansicht nach nicht durch die fehlende Neigung der Menschen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu haushalten, und auch nicht durch die Zerstörungen durch Kriege erklären, sondern durch die hohen Liquiditätsprämien, die früher mit Landbesitz einhergingen und es heute mit Geld tun. In dieser Hinsicht weiche ich von den älteren Ansichten ab, wie sie etwa von Marshall in seinen Principles of Economics, S. 581, mit ungewöhnlichem dogmatischem Nachdruck formuliert wurden: Jedermann ist sich bewusst, dass die Vorliebe, die die große Masse der Menschheit für sofortige statt für hinausgeschobene Befriedigung hat, oder mit anderen Worten, ihre Unwilligkeit zu „warten“, der Akkumulation von Reichtum entgegenwirkt und den Zinssatz auf hohem Niveau hält.
VI. In Vom Gelde habe ich einen vermeintlich eindeutigen Zinssatz definiert, den ich den natürlichen Zinssatz genannt habe: den Zinssatz nämlich, der in der Terminologie meiner Abhandlung die Gleichheit zwischen der (daselbst definierten) Sparquote und dem Investitionsvolumen sicherte. Ich hielt dies für eine Weiterentwicklung und Verdeutlichung von Wicksells „natürlichem Zinssatz“, der ihm zufolge der Satz ist, welcher ein nicht ganz klar bezeichnetes Preisniveau stabil hält. Ich hatte dabei jedoch übersehen, dass dieser Definition nach in jeder Gesellschaft ein unterschiedlicher natürlicher Zinssatz für jedes hypothetische Beschäftigungsniveau existiert. Und ebenso entspricht jedem Zinssatz ein Beschäftigungsniveau, für das genau dieser Satz der „natürliche“ ist, in dem Sinne, dass das System bei diesem Zinssatz und auf diesem Beschäftigungsniveau im Gleichgewicht ist. Es war daher ein Fehler, von dem natürlichen Zinssatz zu sprechen oder anzudeuten, dass die genannte Defini tion einen einzigen Wert für den Zinssatz ergeben würde, unabhängig vom
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Beschäftigungsniveau. Ich hatte damals nicht verstanden, dass unter bestimmten Bedingungen sich das System auch mit weniger als Vollbeschäftigung im Gleichgewicht befinden kann. Inzwischen bin ich nicht mehr der Meinung, dass das Konzept eines „natürlichen“ Zinssatzes, das mir früher als vielversprechender Ansatz erschienen war, irgendeinen hilfreichen oder bedeutenden Beitrag zu unserer Analyse leisten kann. Es handelt sich lediglich um den Zinssatz, der den Status quo erhält – und der Status quo an sich ist für uns im Allgemeinen von wenig Interesse. Wenn es irgendeinen Zinssatz gibt, der einzigartig und signifikant ist, muss es der Satz sein, den wir als neutralen Zinssatz11 bezeichnen können, also der natürliche Zinssatz im vorgenannten Sinne, der bei ansonsten gegebenen Parametern des Systems mit Vollbeschäftigung einhergeht. Besser noch könnte dies als der optimale Zinssatz bezeichnet werden. Der neutrale Zinssatz kann exakt definiert werden als der Zinssatz, der im Gleichgewicht herrscht, wenn Produktion und Beschäftigung so beschaffen sind, dass die Beschäftigungselastizität im Ganzen null ist.12 Diese hier Beschriebene gibt noch einmal Antwort auf die Frage, welche stillschweigende Annahme notwendig ist, um sich auf die klassische Theorie des Zinssatzes einen Reim machen zu können. Diese Theorie geht entweder davon aus, dass das der tatsächliche Zinssatz immer gleich dem wie eben definierten neutralen Zinssatz ist, oder alternativ dazu, dass der tatsächliche Zinssatz immer gleich dem Zinssatz ist, der die Beschäftigung auf einem irgendwie festgelegten gleichbleibenden Niveau hält. Bei einer derartigen Interpretation der traditionellen Theorie müssten wir an ihren praktischen Folgerungen keinen oder wenig Anstoß nehmen. Nach Annahme der klassischen Theorie sorgen die Währungsbehörde oder natürliche Marktkräfte dafür, dass der Marktzinssatz eine dieser beiden Bedingungen erfüllt. Sie untersucht, welche Gesetze die Nutzung und die Erträge der produktiven Ressourcen einer Gesellschaft basierend auf dieser Annahme beherrschen. Mit diesen Einschränkungen hängt das Produktionsvolumen dann ausschließlich von dem unterstellten konstanten Beschäftigungsvolumen bei einem vorhandenen Bestand an Ausrüstungsgütern und Technik ab. Und so können wir es uns problemlos in einer ricardianischen Welt bequem machen.
11 Diese Definition entspricht keiner der diversen Definitionen von neutralem Geld, die Autoren in jüngerer Zeit gaben; obwohl sie womöglich in einem Zusammenhang mit den Zielen steht, die die Verfasser dieser Definitionen im Sinn hatten. 12 Vgl. Kap. 20.
Kapitel 18
Eine Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung I. Wir sind nun an dem Punkt angekommen, an dem wir die verschiedenen Fäden unserer Erörterung zusammenbringen können. Zunächst einmal dürfte eine Klarstellung hilfreich sein, welche Elemente eines Wirtschaftssystems üblicherweise als gegeben betrachtet werden, welches die unabhängigen und welches die abhängigen Variablen sind. Als gegeben setzen wir die die verfügbare Arbeitsmenge und die Qualifikationen der Arbeitskräfte voraus, die Qualität und Quantität der verfügbaren Ausrüstungsgüter, die vorhandene Technik, das Ausmaß des Wettbewerbs, den Geschmack und die Gewohnheiten der Verbraucher, das Arbeitsleid verschiedener Grade von Arbeitsintensität, der Überwachung und Arbeitsorganisation sowie die gesellschaftlichen Strukturen inklusive der (über die unten aufgeführten Variablen hinausgehenden) Kräfte, die die Verteilung des Nationaleinkommens bestimmen. Das heißt nicht, dass wir diese Faktoren als konstant betrachten, sondern nur, dass wir an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang die Wirkung und Folgen von Veränderungen unberücksichtigt lassen. Unsere unabhängigen Variablen sind in erster Linie die Konsumneigung, die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz, auch wenn diese, wie wir gesehen haben, noch weiterer Analyse bedürfen. Unsere abhängigen Variablen sind das Beschäftigungsvolumen und das in Lohneinheiten gemessene Nationaleinkommen (oder Sozialprodukt). Die Faktoren, die wir als gegeben vorausgesetzt haben, beeinflussen die unabhängigen Variablen, ohne sie vollständig zu bestimmen. So hängt beispielsweise die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals teils von der vorhandenen Menge an Ausrüstungsgütern ab, die zu den gegebenen Faktoren gehört, teils aber auch von der langfristigen Erwartungshaltung, die nicht aus den gegebenen Faktoren abzuleiten ist. Es gibt jedoch andere Dinge, die die gegebenen Faktoren so vollständig determinieren, dass wir diese abgeleiteten Werte ihrerseits als gegeben betrachten können. Zum
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Beispiel können wir durch die gegebenen Faktoren Rückschlüsse auf die jeweilige in Lohneinheiten gemessene Höhe des Nationaleinkommens ziehen, die einem bestimmten Beschäftigungsniveau entspricht; innerhalb der als gegeben vorausgesetzten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hängt damit das Nationaleinkommen vom Beschäftigungsvolumen ab, d. h. von der Höhe des gerade in die Produktion fließenden Arbeitsaufwands, in dem Sinne, dass eine eindeutige Korrelation zwischen den beiden besteht.1 Des Weiteren lassen sie uns Schlüsse über die Form der Gesamtangebotskurven ziehen, die die physischen Angebotsbedingungen für unterschiedliche Arten von Produkten verkörpern – also die Beschäftigungsmenge, die für die Produktion entsprechend jedweder in Lohneinheiten gemessenen effektiven Nachfrage eingesetzt wird. Und schließlich liefern sie uns die Angebotskurve der Arbeit (oder des Arbeitsaufwands), so dass wir daraus unter anderem ablesen können, ab welchem Punkt die Beschäftigungskurve2 für die gesamte Arbeitnehmerschaft nicht mehr elastisch ist. Die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals beruht allerdings teils auf den vorgegebenen Faktoren und teils auf dem erwarteten Ertrag verschiedenartiger Kapitalanlagen, während der Zinssatz teils auf dem Stand der Liquiditätspräferenz (d. h. auf der Liquiditätsfunktion) und teils auf der Geldmenge, in Lohneinheiten ausgedrückt, beruht. Wir können daher bisweilen davon ausgehen, dass unsere letztendlich unabhängigen Variablen 1. die drei grundlegenden psychologischen Faktoren sind, nämlich die Konsumneigung, die Liquiditätspräferenz und die Erwartung künftiger Erträge aus Kapitalanlagen, 2. die durch Lohnabschlüsse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgelegte Lohneinheit und 3. die durch die Tätigkeit der Zentralbank bestimmte Geldmenge. Wenn wir also die oben genannten Faktoren als gegeben nehmen, determinieren diese Variablen folglich das Natio naleinkommen (oder Sozialprodukt) und das Beschäftigungsvolumen. Aber auch diese könnte man noch einer weiteren Analyse unterwerfen. Sie sind nämlich sozusagen nicht die letztendlichen, elementaren unabhängigen Elemente. Die Unterteilung dieser Determinanten in vorgegebene Faktoren und unabhängige Faktoren ist natürlich von einem absoluten Standpunkt aus betrachtet recht willkürlich. Sie kann nur auf der Grundlage von Erfahrungen vorgenommen werden, so dass sie einerseits mit den Faktoren übereinstimmt, bei denen die Veränderungen so langsam und wenig relevant er1 Wir sehen zu diesem Zeitpunkt über gewisse Komplikationen hinweg, die sich ergeben, wenn die Beschäftigungskurven verschiedener Erzeugnisse innerhalb der relevanten Spanne der Beschäftigungsmenge unterschiedliche Krümmungen aufweisen. Siehe dazu Kap. 20. 2 Definition in Kap. 20.
Kap. 18: Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung207
scheinen, dass ihr kurzfristiger Einfluss auf unseren Untersuchungsgegenstand einigermaßen vernachlässigbar ist, andererseits aber auch mit den Faktoren, deren Veränderungen in der Praxis einen starken Einfluss darauf ausüben. Unser gegenwärtiges Ziel ist herauszufinden, wodurch zu jeder Zeit das Nationaleinkommen einer Volkswirtschaft und (was beinahe das gleiche ist) die entsprechende Beschäftigungsmenge bestimmt wird. In einem so komplexen Fach wie der Volkswirtschaftslehre, in dem keine vollkommen zutreffenden Verallgemeinerungen möglich sind, läuft das auf die Faktoren hinaus, deren Veränderungen die wesentlichen Determinanten unseres Untersuchungsgegenstands darstellen. Unsere schlussendliche Aufgabe könnte es sein, diejenigen Variablen auszuwählen, die in dem System, in dem wir tatsächlich leben, durch die jeweiligen staatlichen Stellen bewusst kontrolliert oder gelenkt werden können. II. Wir wollen nun versuchen, die Argumente der vorangegangenen Kapitel zusammenzufassen, wobei wir die Faktoren in der umgekehrten Reihenfolge betrachten, in der sie eingeführt wurden. Es bestehen Anreize, das Volumen der Neuinvestitionen so weit zu steigern, bis der Angebotspreis jeder Art von Kapitalanlagen auf ein Niveau gehoben wird, auf dem in Kombination mit den erwarteten Erträgen aus diesen Anlagen die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ungefähr gleich dem Zinssatz wird. Das heißt, die physischen Angebotsbedingungen in der Kapitalgüterbranche, der Stand des Vertrauens in Hinblick auf den künftigen Ertrag, die psychologische Einstellung zu Liquidität und die Geldmenge (vorzugsweise in Lohneinheiten gemessen) determinieren zusammengenommen das Volumen der Neuinvestitionen. Eine Zunahme (bzw. Abnahme) des Investitionsvolumen muss jedoch mit einer Zu- (bzw. Abnahme) des Konsums einhergehen, weil die Bevölkerung im Allgemeinen nur bereit ist, den Abstand zwischen ihrem Einkommen und dem Konsum zu vergrößern (bzw. zu verkleinern), wenn sich ihr Einkommen erhöht (bzw. verringert). Das heißt, Veränderungen des Konsums erfolgen im Allgemeinen in die gleiche Richtung (wenngleich in geringerem Umfang) wie Veränderungen des Einkommens. Das Verhältnis zwischen dem Zuwachs an Konsum, der einen bestimmten Zuwachs an Ersparnissen begleiten muss, wird durch die marginale Konsumneigung gegeben. Die so ermittelte Relation zwischen einem Zuwachs an Investitionen und dem entsprechenden Zuwachs des Gesamteinkommens (beide in Lohneinheiten gemessen) wird durch den Investitionsmultiplikator ausgedrückt.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
Wenn wir schließlich (als eine erste Annäherung) davon ausgehen, dass der Beschäftigungsmultiplikator gleich dem Investitionsmultiplikator ist, können wir den Beschäftigungszuwachs ableiten, indem wir den Multiplikator auf den durch die zuvor beschriebenen Faktoren verursachten Zuwachs (bzw. die Abnahme) der Investitionen anwenden. Ein Beschäftigungszuwachs (bzw. eine ‑abnahme) hat jedoch die Tendenz, die Kurve der Liquiditätspräferenz nach oben (bzw. nach unten) zu verschieben, wobei es drei Möglichkeiten gibt, wie dadurch die Nachfrage nach Geld erhöht wird: So steigt der Wert des Outputs bei zunehmender Beschäftigung, selbst wenn die Lohneinheit und die (in Lohneinheiten gemessenen) Preise unverändert bleiben. Zusätzlich steigt bei einer verbesserten Beschäftigungslage tendenziell auch die Lohneinheit selbst. Und das Produktionswachstum geht wegen der kurzfristig steigenden Kosten mit einem Preisanstieg (wiederum in Loheinheiten gemessen) einher. Die Gleichgewichtslage wird von diesen Auswirkungen beeinflusst, und es gibt noch weitere Auswirkungen. Überdies können sich alle genannten Faktoren ohne Vorwarnung schnell verändern, und das teilweise in beträchtlichem Umfang. Die außerordentliche Komplexität der tatsächlichen Entwicklungen rührt daher. Dessen ungeachtet scheint es sich hierbei um die Faktoren zu handeln, deren Isolierung nützlich und praktisch ist. Wenn wir irgendeines der aktuellen Probleme gemäß dem oben dargestellten Schema analysieren, wird sich zeigen, dass es dadurch leichter handhabbar wir. Und unsere Intuition in praktischen Dingen (die auch komplexere Sachverhalte erfassen kann, als nach allgemeinen Grundsätzen behandelt werden können) braucht sich mit weniger hartnäckigen Fragen zu beschäftigen. III. Das hier Aufgeführte ist eine Zusammenfassung der Allgemeinen Theorie. Aber in die tatsächlichen Phänomene des Wirtschaftsgeschehens fließen auch bestimmte Merkmale der Konsumneigung, der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und des Zinssatzes ein, die wir aus der Erfahrung heraus problemlos verallgemeinern können, die aber logisch nicht unbedingt notwendig sind. Ein hervorstechendes Merkmal unseres Wirtschaftssystems ist insbesondere, dass es trotz starker Schwankungen von Produktion und Beschäftigung nicht über die Maßen instabil ist. Es scheint in der Tat über lange Phasen hinweg in dauerhaftem Zustand suboptimaler Aktivität verharren zu können, ohne erkennbare Tendenz zu einer Erholung oder einem vollständigen Zusammenbruch. Überdies spricht vieles dafür, dass Vollbeschäftigung oder auch nur annähernde Vollbeschäftigung eine seltene und kurzlebige Erschei-
Kap. 18: Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung209
nung ist. Schwankungen vollziehen sich anfangs oft in einem kräftigen Tempo, scheinen aber abzuflauen, bevor sie Extremwerte erreichen, so dass der Normalzustand ein Zwischending, weder hoffnungslos noch zufriedenstellend, zu sein scheint. Die Theorie, wonach Konjunkturzyklen regelmäßig verlaufen, basiert darauf, dass sich Schwankungsbewegungen vor dem Erreichen von Extremen erschöpfen und schließlich die Richtung wechseln. Das gleiche gilt für Preise, die auf eine anfängliche Störung hin offenbar ein Niveau finden können, auf dem sie einigermaßen stabil bleiben. Da diese Erfahrungen nicht logisch zwangsläufig sind, ist anzunehmen, dass das Umfeld und die psychologischen Neigungen in der modernen Welt so geartet sind, dass sie diese Ergebnisse produzieren. Daher lohnt es sich, der Frage nachzugehen, welche hypothetischen psychologischen Neigungen zu einem stabilen System führen würden und ob, basierend auf unserer Kenntnis des derzeitigen menschlichen Wesens, diese Neigungen der Welt, in der wir leben, zugeschrieben werden können. Die Bedingungen für Stabilität, die der vorstehenden Analyse gemäß die beobachteten Ergebnisse zu erklären vermögen, sind die folgenden: 1. Für die marginale Konsumneigung gilt: Wenn die Produktion in einer bestimmten Gesellschaft wächst (bzw. schrumpft), weil mehr (bzw. weniger) Arbeit für die Nutzung des Sachkapitals eingesetzt wird, ist der Multiplikator, der die beiden miteinander in Verbindung setzt, größer als eins, wenn auch nicht viel größer. 2. Für die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gilt: Bei einer Änderung der erwarteten Kapitalerträge oder des Zinssatzes verändert sich das Volumen der Neuinvestitionen in einer ähnlichen Größenordnung, d. h. mäßige Veränderungen von erwarteten Kapitalertrag oder Zinssatz bewirken keine großen Veränderungen der Investitionen. 3. Bei Änderungen der Beschäftigung verändern sich die Nominallöhne tendenziell in die gleiche Richtung und in einem ähnlichen Verhältnis wie diese, d. h. mäßige Veränderungen des Beschäftigungsvolumens gehen nicht mit größeren Veränderungen der Nominallöhne einher. Dies ist eher eine Voraussetzung für die Stabilität der Preise denn der Beschäftigung. 4. Eine vierte Bedingung lässt sich hinzufügen, die allerdings weniger für die Stabilität des Systems sorgt als vielmehr für die Tendenz von Schwankungen in die eine Richtung, im Lauf der Zeit von ihre Richtung umzukehren: Ist das Investitionsvolumen höher (bzw. niedriger) als zuvor, wirkt sich dies negativ (bzw. positiv) auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals aus, wenn dieser Zustand über einen Zeitraum von nur wenigen Jahren andauert. Ad 1) Unsere erste Bedingung für Stabilität, nämlich dass der Multiplikator zwar größer als eins, aber nicht sehr hoch ist, ist als ein psycholo-
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
gisches Merkmal der menschlichen Natur höchst plausibel. Bei einem steigenden Realeinkommen lässt der Druck zur Befriedigung der aktuellen Bedürfnisse nach, während zugleich der Spielraum für eine Anhebung des bisherigen Lebensstandards wächst – und umgekehrt bei sinkendem Realeinkommen. Es ist also zumindest im Durchschnitt der Bevölkerung ganz normal, dass der laufende Konsum bei zunehmender Beschäftigung gesteigert wird, wenngleich um einen Betrag, der unter dem Anstieg des Realeinkommens liegt, und dass er bei rückläufiger Beschäftigung reduziert wird, wenn auch um weniger als das Realeinkommen sinkt. Was für den durchschnittlichen Privathaushalt gilt, dürfte überdies auch auf Regierungen zutreffen, insbesondere in einem Zeitalter, in dem die fortschreitende Zunahme der Arbeitslosigkeit den Staat meist zu einer kreditfinanzierten Arbeitslosenunterstützung zwingt. Aber unabhängig davon, ob dieses psychologische Gesetz den Lesern a priori plausibel erscheint, ist doch sicher, dass unsere Erfahrungen ganz andere wären, wenn dieses Gesetz nicht zuträfe. In diesem Fall würde auch eine noch so kleine Steigerung der Investitionen so lange ein kumulatives Wachstum der effektiven Nachfrage auslösen, bis Vollbeschäftigung erreicht wäre, während ein Rückgang der Investitionen ein kumulatives Schrumpfen der effektiven Nachfrage in Gang setzen würde, bis gar niemand mehr beschäftigt wäre. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass wir uns im Allgemeinen in einer Lage zwischen diesen beiden Extremen befinden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Lage innerhalb einer gewissen Spanne tatsächlich in stabil ist. Aber selbst wenn das so sein sollte, würde es wohl eine kleine Spanne. Ober- und unterhalb davon muss unser psychologisches Gesetz zweifellos Geltung besitzen. Es ist zudem auch offensichtlich, dass der Multiplikator, auch wenn er größer als eins ist, unter normalen Bedingungen nicht extrem groß sein kann. Denn wenn er es wäre, würde eine bestimmte Veränderung des Investitionsvolumens eine große Veränderung der Konsumquote bewirken, der nur durch Vollbeschäftigung oder gar keine Beschäftigung Grenzen gesetzt würden. Ad 2) Während unsere erste Bedingung lautet, dass eine mäßige Veränderung des Investitionsvolumens nicht mit einer unendlich großen Veränderung der Nachfrage nach Konsumgütern verbunden ist, lautet die zweite, dass eine mäßige Veränderung der erwarteten Erträge von Kapitalanlagen oder des Zinssatzes nicht mit einer unendlich großen Veränderung der Investitionen einhergeht. Dies ist das wahrscheinliche Resultat der höheren Kosten einer stark ausgeweiteten Produktion mit den vorhandenen Sachkapital. Ausgehend von einer Situation, in der es große Ressourcenüberschüsse für die Produktion von Ausrüstungsgütern gibt, kann es in einer bestimmten Spanne zu erheblicher Instabilität kommen. Dies aber trifft nicht mehr zu, sobald der Überschuss größtenteils ausgelastet ist. Überdies wird durch
Kap. 18: Neuformulierung der allgemeinen Theorie der Beschäftigung211
diese Bedingung die Instabilität begrenzt, die aus plötzlichen Veränderungen der voraussichtlichen Kapitalerträge infolge heftiger Schwankungen des Geschäftsklimas oder epochaler Erfindungen resultiert – obgleich vermutlich eher nach oben als nach unten. Ad 3) Unsere dritte Bedingung passt zu unseren Erfahrungen mit der menschlichen Natur. Denn auch wenn Arbeitskämpfe um Nominallöhne, wie bereits erwähnt, vor allem ein Kampf um den Erhalt eines hohen relativen Lohns ist, so dürften sich diese Konflikte bei steigender Beschäftigung doch in jedem einzelnen Fall verschärfen, da sich einerseits die Verhandlungsposition der Arbeiter verbessert und da andererseits der sinkende Grenznutzen ihrer Löhne und ihr größerer finanzieller Spielraum auch ihre Risikobereitschaft erhöhen. Dessen ungeachtet sind diese Beweggründe nur innerhalb gewisser Grenzen wirksam, und die Arbeiter werden bei einer Verbesserung der Beschäftigungssituation keine wesentlich höheren Nominallöhne fordern, ebenso wenig wie sie große Lohnsenkungen hinnehmen, wenn sie mit Arbeitslosigkeit bedroht sind. Unabhängig davon, ob diese Aussage a priori plausibel ist, zeigt auch hier die Erfahrung, dass ein solches psychologisches Gesetz tatsächlich Geltung besitzen muss. Denn würde die Konkurrenz unter arbeitslosen Arbeitern immer zu einer sehr deutlichen Senkung der Nominallöhne führen, wäre das Preisniveau extrem instabil. Außerdem könnte dann außer in Situationen, die mit Vollbeschäftigung vereinbar sind, keine stabile Gleichgewichtslage bestehen, weil die Lohneinheit ungehindert sinken müsste, und zwar bis zu einem Punkt, an dem die Auswirkungen des überreichlich vorhandenen Geldes (in Lohneinheiten gemessen) auf den Zinssatz zur Wiederherstellung von Vollbeschäftigung ausreichen. Eine Ruhelage wäre an keinem anderen Punkt möglich.3 Ad 4) Unsere vierte Bedingung ist weniger eine Voraussetzung für Stabilität als vielmehr für den Wechsel zwischen Rezession und Erholung. Sie beruht allein auf der Annahme, dass Kapitalanlagen unterschiedlich alt sind, sich mit der Zeit abnutzen und zum Teil nicht sehr langlebig sind. Daher ist es bei einem Sinken der Investitionen unter eine gewisse Grenze nur eine Frage der Zeit (jedenfalls solange es nicht zu großen Schwankungen bei anderen Faktoren kommt), bis die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hoch genug steigt, um eine Erholung der Investitionen über diese Untergrenze zu bewirken. Und umgekehrt ist es natürlich bei einem Anstieg der Investitionen auf eine höheres als das bisherige Niveau nur eine Frage der Zeit, bis die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals tief genug fällt, um in einer Rezes3 Die Folgen von Veränderungen der Lohneinheit werden in Kap. 19 ausführlicher behandelt.
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Buch IV: Der Anreiz zur Investition
sion zu enden, sofern Veränderungen anderer Faktoren nicht für einen Ausgleich sorgen. Selbst die nur innerhalb der Grenzen unserer Stabilitätsbedingungen stattfindenden Erholungen und Rezessionen dürften aus diesem Grund, wenn sie lang genug anhalten und nicht durch Veränderungen anderer Faktoren beeinträchtigt werden, eine Gegenbewegung in die umgekehrte Richtung auslösen, bis dieselben Kräfte wie zuvor eine erneute Richtungsänderung einleiten. Unsere vier Bedingungen zusammengenommen sind somit ausreichend, um die auffälligen Charakteristiken unserer realen Erfahrungen zu erklären: Unter Vermeidung der schlimmsten Beschäftigungs- und Preisausschläge in beide Richtungen kommt es zu Schwankungen um eine mittlere Position, die deutlich unter Vollbeschäftigung und deutlich über der Minimalbeschäftigung liegt, unterhalb derer der Lebenserhalt kaum noch möglich wäre. Wir sollte daraus jedoch nicht schließen, dass die auf diese Weise durch „natürliche“ Tendenzen bestimmte mittlere Position – also durch Tendenzen, die ohne spezielle Maßnahmen zu ihrer Korrektur andauern würden – darum durch eine gesetzmäßige Notwendigkeit festgesetzt ist. Die uneingeschränkte Gültigkeit der genannten Bedingungen ist eine zu beobachtende Eigenschaft der Welt, wie sie ist oder war. Sie ist jedoch kein zwingendes Prinzip, das nicht verändert werden könnte.
BUCH V
Nominallöhne und Preise
Kapitel 19
Änderungen der Nominallöhne I. Es wäre von Vorteil gewesen, wenn die Effekte einer Nominallohnänderung in einem der vorangegangenen Kapitel hätten erörtert werden können. Denn in der klassischen Theorie beruht das vermeintlich selbstregulierende Wesen des Wirtschaftssystems gewöhnlich auf der Annahme flexibler Nominallöhne. Bei inflexiblen Löhnen wird die Schuld an Fehlanpassungen dieser mangelnden Flexibilität zugeschrieben. Die umfassende Erörterung dieser Frage war jedoch nicht möglich, bevor nicht unsere eigene Theorie vollständig ausgearbeitet war. Denn die Auswirkungen einer Nominallohnänderung sind kompliziert. Eine Nominallohnsenkung ist unter bestimmten Umständen durchaus imstande, die Produktion zu steigern, ganz wie es die klassische Theorie vorsieht. Wenn ich von dieser Theorie abweiche, so handelt es sich im Wesentlichen um eine Abweichung in der Analyse, die nicht klar herausgearbeitet werden konnte, solange der Leser nicht mit meiner eigenen Methode vertraut war. Die allgemein akzeptierte Erklärung, so wie ich sie verstehe, ist recht einfach. Sie stützt sich nicht auf solch komplexe Wechselwirkungen, wie wir sie im Folgenden darstellen werden. Das Argument lautet einfach, dass eine Senkung der Nominallöhne den Preis des fertigen Produkts senkt und so unter sonst gleichen Bedingungen die Nachfrage stärkt. Dadurch erhöhen sich Produktion und Beschäftigung bis zu dem Punkt, an dem die von der Arbeitnehmerschaft hingenommene Lohnsenkung gerade durch die Verminderung der Grenzleistungsfähigkeit der Arbeit aufgewogen wird, die mit einer Zunahme der Produktion (bei gleichbleibenden Ausrüstungsgütern) einhergeht. In seiner krudesten Form kommt dies der Annahme gleich, die Reallohnsenkung bliebe ohne Auswirkungen auf die Nachfrage. Einige Ökonomen mögen an der Behauptung festhalten, es gebe keinen Grund, warum die Nachfrage betroffen sein sollte. Ihnen zufolge hängt die Gesamtnachfrage von der Geldmenge multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ab, und es sei kein Grund erkennbar, warum eine Reallohnsenkung die Menge des Geldes oder seine Umlaufgeschwindigkeit verringern sollte.
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Einige argumentieren sogar, dass die Gewinne zwangsläufig steigen, wenn die Löhne sinken. Meines Erachtens herrscht jedoch eher die Einschätzung vor, dass die Reallohnsenkung, indem sie die Kaufkraft einiger Arbeiter senkt, eine gewisse Auswirkung auf die Gesamtnachfrage haben werde, dass aber die reale Nachfrage anderer Produktionsfaktoren, deren Geldeinkommen ja nicht verringert wurde, durch den Preisrückgang gestärkt würde, während zugleich auch die Gesamtnachfrage der Arbeiterschaft infolge des erhöhten Beschäftigungsvolumens ansteigen würde (sofern die Elastizität der Nachfrage nach Arbeitskräften als Reaktion auf Reallohnveränderungen nicht kleiner als eins ist). In einem neuen Gleichgewicht gäbe es demnach mehr Beschäftigung, als zuvor, vielleicht mit Ausnahme einiger Grenzfälle, die in der Realität ohne Relevanz bleiben. Dies ist die Art von Analyse, von der ich in grundlegender Weise abweiche – oder vielmehr von der Analyse, die solchen Beobachtungen zu Grunde zu liegen scheint. Denn auch wenn das hier Dargestellte meiner Ansicht nach die Äußerungen vieler Ökonomen angemessen wiedergibt, so wurde die zu Grunde liegende Analyse kaum je detailliert niedergeschrieben. Es scheint jedoch, dass diese Denkweise das Ergebnis folgender Über legungen ist: In jeder Branche gibt es eine Nachfragekurve nach dem jeweiligen Produkt, die dessen Absatz mit den dafür geforderten Preisen in Beziehung setzt. Es gibt zudem eine Reihe von Angebotskurven, die die Preise zueinander in Beziehung setzen, die für den Verkauf unterschiedlicher Mengen auf verschiedenen Kostengrundlagen fällig werden. Und diese Kurven ergeben (unter der Annahme, dass alle anderen Kosten, außer infolge einer veränderten Produktionsmenge, unverändert bleiben) zusammen eine weitere Kurve, nämlich die Arbeitsnachfragekurve der jeweiligen Branche, die das Beschäftigungsvolumen mit verschiedenen Lohnhöhen in Beziehung setzt. Dabei zeigt die Form der Kurve an jedem Punkt die Elastizität der Nachfrage nach Arbeitskräften an. Dieses Konzept wird anschließend praktisch unverändert auf die gesamte Wirtschaft übertragen. Durch eine simple Gleichsetzung wird nun der Schluss gezogen, es gebe eine gesamtwirtschaftliche Arbeitsnachfragekurve, die das Beschäftigungsvolumen zu unterschiedlichen Lohnniveaus in Beziehung setzt. Dieser Auffassung nach macht es dabei keinen wesentlichen Unterschied, ob es sich um Nominal- oder Reallöhne handelt. Gehen wir von Nominallöhnen aus, müssen wir natürlich eventuelle Geldwertveränderungen berücksichtigen. Die Argumentationskette wird dadurch jedoch nicht verändert, da sich die Preise gewiss nicht in genau dem gleichen Verhältnis ändern wie die Nominallöhne. Wenn dies die Grundlage der Argumentation ist (und wenn nicht, dann weiß ich nicht, welche Grundlage es sonst geben sollte), so ist sie mit Sicherheit falsch. Denn die Nachfragekurven für bestimmte Branchen können
Kap. 19: Änderungen der Nominallöhne217
nur auf Annahmen über die gegebene Beschaffenheit der Nachfrage- und Angebotskurven in anderen Branchen sowie über die gegebene Höhe der effektiven Gesamtnachfrage aufgebaut werden. Es ist deshalb unzulässig, diese Argumentationsweise auf die Gesamtwirtschaft zu übertragen, solange wir nicht auch die Annahme einer feststehenden effektiven Gesamtnachfrage mit übertragen. Durch diese Annahme aber wird die Argumentation zu einer bloßen ignoratio elenchi1. Denn es würde zwar niemand bestreiten, dass eine mit einer unveränderten effektiven Gesamtnachfrage einhergehende Reallohnsenkung zu einer Beschäftigungszunahme führt, aber die eigentliche Frage ist doch, ob die Reallohnsenkung mit einer (in Geld gemessen) unveränderten effektiven Gesamtnachfrage einhergeht oder wenigstens mit einer effektiven Gesamtnachfrage, die nicht ganz proportional zur Senkung der Nominallöhne schrumpft (die in Lohneinheiten gemessen also etwas größer ist). Wenn aber die klassische Theorie ihre Feststellungen bezüglich einer bestimmten Branche nicht mehr per Analogieschluss auf die Gesamtwirtschaft übertragen kann, ist sie völlig außerstande, die Frage nach den Folgen einer Reallohnsenkung zu beantworten. Sie verfügt nämlich über keine Analysemethode, mit der sie das Problem angehen kann. Pigous Theory of Unemployment scheint mir alles aus der klassischen Theorie herausgeholt zu haben, was sich herausholen lässt. Im Ergebnis ist das Buch ein schlagender Beweis dafür geworden, dass diese Theorie nichts zur Lösung des Problems, wodurch sich das Gesamtbeschäftigungsvolumen bestimmt, beizutragen hat.2 II. Im nächsten Schritt wollen wir unsere eigene Analysemethode zur Lösung der Frage verwenden. Diese besteht aus zwei Teilen: 1. Tendiert eine Reallohnsenkung unter sonst gleichen Bedingungen dazu, unmittelbar die Beschäftigung zu erhöhen (wobei mit „unter sonst gleichen Bedingungen“ gemeint ist, dass die Konsumneigung, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz für die gesamte Bevölkerung unverändert bleiben)? 2. Tendiert eine Reallohnsenkung mit Sicherheit oder mit gewisser Wahrscheinlichkeit dazu, durch die sicheren oder wahrscheinlichen Rückwirkungen auf besagte drei Faktoren die Beschäftigung in eine bestimmte Richtung zu verändern? 1 Eine Fehlargumentation, bei der zwar ein formal korrekter Beweis geliefert wird, der sich jedoch statt auf die zu beweisende Behauptung auf eine andere These bezieht. (A. d. Ü.) 2 Im Anhang zu diesem Kapitel wird Pigous Theory of Unemployment einer detaillierten Kritik unterzogen.
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Die erste Frage haben wir bereits in den vorhergehenden Kapiteln verneinend beantwortet. Wir konnten zeigen, dass das Beschäftigungsvolumen in einer eindeutigen Korrelation zum in Lohneinheiten gemessenen Volumen der effektiven Nachfrage steht. Die effektive Nachfrage wiederum, die ja nichts anders als die Summe des erwarteten Konsums und der erwarteten Investitionen ist, kann sich nicht verändern, solange die Konsumneigung, die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und der Zinssatz allesamt unverändert sind. Würden die Unternehmer ohne irgendeine Veränderung dieser Faktoren die Gesamtbeschäftigung erhöhen, dann blieben ihre Erlöse zwangsläufig hinter ihren Angebotspreisen zurück. Um die allzu schlichte Feststellung zu widerlegen, eine Nominallohnsenkung erhöhe die Beschäftigung, „weil sie die Produktionskosten senkt“, ist es vielleicht hilfreich, den Gang der Ereignisse entlang der für diese Sichtweise günstigsten Hypothese zu verfolgen, nämlich dass die Unternehmer von vorneherein diesen Effekt einer Nominallohnsenkung erwarten. Es ist tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass der einzelne Unternehmer nur sieht, dass seine eigenen Kosten sinken, und dabei die Rückwirkungen auf die Nachfrage nach seinen Produkten übersieht. Er wird somit davon ausgehen, mehr Produkte als zuvor mit Gewinn veräußern zu können. Wenn nun aber alle Unternehmer dieser Erwartung entsprechend vorgehen, werden sie dann wirklich ihre Gewinne steigern? Das ist nur möglich, wenn die marginale Konsumneigung der Bevölkerung gleich eins ist, so dass kein Unterschied zwischen Einkommenszuwachs und Konsumzuwachs besteht, oder wenn die Investitionen in einem genau diesem Abstand entsprechenden Maß zunehmen, was nur möglich ist, wenn die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals relativ zum Zinssatz steigt. Die durch die höhere Produktion erzielten Gewinne werden deshalb die Unternehmer enttäuschen, und die Beschäftigung wird wieder auf ihr vorheriges Niveau zurückfallen, jedenfalls sofern die marginale Konsumneigung nicht gleich eins ist oder die Nominallohnsenkung zu einer Erhöhung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals relativ zum Zinssatz und folglich auch des Investitionsvolumens führt. Denn wenn Unternehmer ihre Produkte zum erwarteten Preis verkaufen können und daher so viel Beschäftigung anbieten, dass die Menschen Einkünfte erzielen, von denen sie eine höhere Summe als die laufenden Investitionen sparen, dann machen die Unternehmer zwangsläufig Verluste in Höhe der Differenz. Dies wird vollkommen unabhängig von der Höhe der Nominallöhne der Fall sein. Bestenfalls kann der Zeitpunkt, zu dem sie die Enttäuschung erleiden, so lange hinausgeschoben werden, wie ihre eigenen Investitionen in zusätzliche Betriebsmittel die Lücke schließen. Eine Senkung der Nominallöhne wird somit nicht dauerhaft zu einer Erhöhung der Beschäftigung führen, außer wenn sie sich auf die Konsumnei-
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gung der gesamten Bevölkerung oder auf die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals oder auf den Zinssatz auswirkt. Es ist nur möglich, den Effekt einer Nominallohnsenkung zu analysieren, indem man ihre möglichen Auswirkungen auf diese drei Faktoren einzeln betrachtet. Die wichtigsten Auswirkungen auf diese Faktoren dürften in der Realität wohl folgende sein: 1. Eine Senkung der Nominallöhne führt zu einem gewissen Preisrückgang. Sie geht deshalb einher mit einer gewissen Umverteilung des Realeinkommens von a) Lohnempfängern zu anderen Produktionsfaktoren, die in die Grenzkosten eingehen und deren Entlohnung nicht gesenkt wurde, und b) von Unternehmern zu Kapitalgebern, denen ein festes Geldeinkommen zugesichert wurde. Wie wird sich nun diese Umverteilung auf die Konsumneigung der gesamten Bevölkerung auswirken? Der Transfer von Lohnempfängern zu anderen Produktionsfaktoren dürfte wohl die Konsumneigung verringern. Der Effekt des Transfers von Unternehmern zu Kapitalgebern ist schwerer abschätzbar. Aber wenn die Kapitalgeber im Schnitt den reicheren Teil der Bevölkerung darstellen und wenn ihr Lebensstandard eher unflexibel ist, dann wird auch hier der Effekt ungünstig sein. Was unter dem Strich das Ergebnis ist, lässt sich nur erahnen. Es ist wahrscheinlich eher ungünstig denn günstig. 2. Wenn wir es nicht mit einer geschlossenen Volkswirtschaft zu tun haben und wenn die Nominallöhne relativ zu den Nominallöhnen im Ausland gesenkt werden, ist offensichtlich, dass die Veränderungen für Investitionen günstig sind, weil dadurch die Handelsbilanz tendenziell verbessert wird – vorausgesetzt natürlich, der Vorteil wird nicht durch Veränderungen bei Zöllen, Importbeschränkungen etc. wettgemacht. Dass der traditionelle Glaube an Nominallohnsenkungen als wirksames Mittel zur Beschäftigungsförderung in Großbritannien weiter verbreitet ist als in den Vereinigten Staaten, liegt wahrscheinlich daran, dass letztere verglichen mit Großbritannien eine relativ geschlossene Wirtschaft sind. 3. Im Fall einer offenen Volkswirtschaft dürfte eine Nominallohnsenkung zwar die Handelsbilanz verbessern, nicht aber die Terms of Trade3. Dadurch werden sich die Realeinkommen verringern – außer im Falle neu eingestellter Arbeiter, wodurch sich möglicherweise die Konsumneigung erhöht. 3 Das reale Austauschverhältnis zwischen exportierten und importierten Gütern. Bei einer Verschlechterung der Terms of Trade etwa muss ein Land größere Mengen exportieren, um mit den Erlösen eine gleichbleibende Menge an Importen finanzieren zu können. (A. d. Ü.)
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4. Ist davon auszugehen, dass es sich bei der Nominallohnsenkung um eine Senkung relativ zu den künftigen Nominallöhnen handelt, wird sich diese Veränderung positiv auf die Investitionen auswirken. Denn, wie oben gezeigt, erhöht sich dadurch die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, während zugleich aus dem gleichen Grund der Konsum angeregt wird. Gibt hingen die Lohnsenkung Anlass zu der Erwartung – oder besteht auch nur die Möglichkeit – einer weiteren Senkung, wird die Wirkung genau entgegengesetzt sein. Denn dadurch wird die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals verringert, und sowohl Investitionen als auch Konsum werden zurückgestellt. 5. Die mit einer gewissen Senkung der Preise und des allgemeinen Geldeinkommens einhergehende Verringerung der Lohnsumme wird den Bedarf an Bargeld für Transaktionszwecke reduzieren und damit auch entsprechend die Liquiditätspräferenz der gesamten Bevölkerung. Dies wiederum wird unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Zinssenkung führen und sich dadurch positiv auf die Investitionen auswirken. In diesem Fall wird jedoch der Effekt von Zukunftserwartungen entgegengesetzt zu dem unter 4. betrach teten Effekt sein. Wird nämlich eine Erhöhung von Löhnen und Preisen zu einem späteren Zeitpunkt erwartet, werden die positiven Auswirkungen im Fall von langfristigen Darlehen viel geringer ausfallen als bei kurzfristigen. Wenn darüber hinaus die Lohnsenkung zu verbreiteter Unzufriedenheit führt und so das Vertrauen in die Politik beschädigt, dürfte die aus diesem Grund zunehmende Liquiditätspräferenz die Freisetzung von Bargeld aus dem aktiven Umlauf mehr als wettmachen. 6. Da eine gesonderte Kürzung der Nominallöhne für einen einzelnen Unternehmer oder eine einzelne Branche stets vorteilhaft ist, kann eine generelle Kürzung (auch wenn ihre tatsächlichen Auswirkungen ganz andere sind) durchaus für eine positive Stimmung in der Unternehmerschaft sorgen. Dies kann einen Teufelskreis übertrieben pessimistischer Einschätzungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals durchbrechen und dadurch die Konjunktur auf Basis normalerer Erwartungen wieder ankurbeln. Wenn jedoch auf der anderen Seite die Arbeiter in Bezug auf die Auswirkungen einer allgemeinen Lohnkürzung den gleichen Fehler machen wie ihre Arbeitgeber, können Auseinandersetzungen mit der Arbeiterschaft diesen positiven Effekt zunichtemachen. Da gleichzeitige und gleiche Lohnsenkungen in allen Branchen in der Regel unmöglich sind, ist es ohnehin im Interesse aller Arbeiter, sich einer Kürzung in ihrem speziellen Fall zu widersetzen. Tatsächlich gibt es viel mehr Widerstand gegen Versuche der Arbeitgeber, Lohnabschlüsse nach unten zu revidieren, als gegen eine allmähliche und automatische Senkung der Reallöhne infolge steigender Preise. 7. Andererseits können die nachteiligen Auswirkungen der größeren Schuldenlast auf die Unternehmer die positiven Folgen einer Lohnsenkung
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kompensieren. Wenn die Löhne und Preise weit genug fallen, dann können die finanziellen Probleme der hoch verschuldeten Unternehmer sogar bis hin zur Zahlungsunfähigkeit reichen – mit ernsten Folgen für die Investitionstätigkeit. Zudem dürften sich die Auswirkungen des niedrigeren Preisniveaus auf die reale Staatsverschuldung und folglich auf die Steuern äußerst negativ auf das Geschäftsvertrauen auswirken. Dies ist keine vollständige Aufzählung aller denkbaren Auswirkungen von Lohnsenkungen in der komplexen realen Welt. Aber die genannten Punkte decken meiner Ansicht nach die wichtigsten Folgen ab. Wenn wir daher unsere Argumentation auf eine geschlossene Volkswirtschaft beschränken, können wir davon ausgehen, dass man sich von den Auswirkungen einer Umverteilung des Realkommens auf die Ausgabe neigung der Bevölkerung nichts zu erhoffen braucht – eher im Gegenteil. Unsere Hoffnung, eine Nominallohnsenkung möge sich positiv auswirken, müssen wir folglich vor allem auf eine Verbesserung der Investitionstätigkeit setzten, entweder dank einer höheren Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals wie unter Punkt 4 oder eines niedrigeren Zinssatzes wie unter Punkt 5. Betrachten wir diese beiden Möglichkeiten etwas eingehender: Der für eine Erhöhung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals günstigste Fall ist, wenn die Überzeugung vorherrscht, die Nominallöhne hätten ihren Tiefpunkt erreicht, so dass alle weiteren Änderungen nach oben gehen dürften. Der ungünstigste Fall sind langsam nachgebende Nominallöhne, wobei jede kleine Lohnsenkung das Vertrauen in die Stabilität der Löhne weiter untergräbt. In einer Phase nachlassender effektiver Nachfrage wäre die für die Stärkung der effektiven Nachfrage günstigste Entwicklung eine plötzliche, kräftige Senkung der Nominallöhne auf ein so niedriges Niveau sein, dass niemand davon ausgeht, diese Situation könnte von Dauer sein. Dies aber könnte nur per Erlass durchgesetzt werden und ist darum in einem System freier Lohnverhandlungen kaum praktikabel. Starre Löhne, bei denen größere Veränderung nicht zu erwarten sind, wären andererseits viel besser als eine allmählich rückläufige Nominallohnentwicklung in Rezes sionszeiten, so dass bei jedem Anstieg der Arbeitslosigkeit um beispielsweise ein Prozent eine weitere moderate Lohnsenkung erwartet wird. So hat zum Beispiel die Erwartung eines Lohnrückgangs um, sagen wir, zwei Prozentpunkte im Lauf des nächsten Jahres ungefähr den gleichen Effekt wie eine Zinserhöhung um zwei Prozentpunkte im gleichen Zeitraum. Das Gleiche gilt umgekehrt für einen Aufschwung. Daraus folgt, dass angesichts der tatsächlichen Gepflogenheiten und Institutionen der heutigen Welt eine Politik starrer Nominallöhne sinnvoller ist als eine Politik flexibler Löhne, die in schnellen Schritten auf Veränderungen der Arbeitslosenquote reagiert; das gilt zumindest in Hinblick auf die
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Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Hält dieses Ergebnis jedoch auch stand, wenn es um den Zinssatz geht? Diejenigen, die an die selbstregulierende Kraft des Wirtschaftssystems glauben, müssen ihre Argumentation also auf die Auswirkungen eines rückläufigen Lohn- und Preisniveaus auf die Geldnachfrage stützen – allerdings ist mir nicht bekannt, dass sie das getan haben. Wenn die Geldmenge selbst eine Funktion des Lohn- und Preisniveaus ist, besteht diesbezüglich tatsächlich keine Hoffnung. Wenn aber die Geldmenge faktisch unveränderlich ist, liegt auf der Hand, dass die Menge in Lohneinheiten gemessen durch eine ausreichende Nominallohnsenkung unbeschränkt wachsen kann. Und im Verhältnis zu den Einkommen kann die Geldmenge im Allgemeinen kräftig erhöht werden, wobei dieser Erhöhung Grenzen gesetzt sind durch das Verhältnis von Lohnkosten zu Grenzkosten sowie durch die Reaktion anderer Bestandteile der Grenzkosten auf das Sinken der Lohneinheit. Wir können also zumindest theoretisch durch eine Lohnsenkung bei unveränderter Geldmenge den gleichen Effekt auf den Zinssatz hervorrufen wie durch eine Geldmengenerhöhung bei unveränderter Lohnhöhe. Folglich unterliegen Lohnsenkungen als Mittel zur Herstellung von Vollbeschäftigung denselben Einschränkungen wie das Mittel der Geldmengenerhöhung. Die gleichen oben genannten Gründe, die die Wirksamkeit einer Geldmengenerhöhung zur Steigerung des Investitionsvolumens auf die optimale Höhe begrenzen, treffen entsprechend auch auf Lohnsenkungen zu. So wie durch eine mäßige Geldmengenerhöhung der langfristige Zinssatz nur unzureichend beeinflusst wird und durch eine übermäßige Erhöhung die ansonsten positiven Effekte durch die negativen Auswirkungen auf das Vertrauen zunichtegemacht werden, so kann sich auch eine mäßige Nominallohnsenkung als unzureichend erweisen, während eine übermäßige Senkung, selbst wenn sie durchführbar wäre, das Vertrauen zerrütten könnte. Es besteht deshalb genauso wenig Grund zur Annahme, dass eine Politik flexibler Löhne für anhaltende Vollbeschäftigung zu sorgen vermag, wie geldpolitische Offenmarktgeschäfte für sich genommen dazu im Stande wären. Das Wirtschaftssystem kann jedenfalls auf diese Weise nicht zu einer Selbstregulierung gebracht werden. Wären die Arbeitnehmer tatsächlich immer in der Lage (und auch bereit dazu), bei weniger als Vollbeschäftigung sogleich ihre Geldlohnforderungen durch konzertierte Aktion auf ein Niveau zu senken, auf dem Geld im Verhältnis zur Lohneinheit so reichlich vorhanden ist, dass der Zinssatz auf ein mit Vollbeschäftigung vereinbares Niveau fallen würde, dann wären wir in der Tat bei einer von den Gewerkschaften statt von der Zentralbank geführten Geldpolitik angelangt.
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Während eine Politik der flexiblen Löhne und eine flexible Geldpolitik analytisch gesprochen auf dasselbe hinauslaufen, insofern als sie alternative Methoden zur Veränderung der in Lohneinheiten ausgedrückten Geldmenge sind, bestehen gleichwohl natürlich in anderen Hinsichten enorme Unterschiede zwischen ihnen. Ich möchte den Lesern hier kurz die vier wichtigsten Punkte ins Gedächtnis rufen: 1. Außer in sozialistischen Gesellschaften, in denen die Löhne per Erlass festgelegt werden, gibt es kein Mittel zur Durchsetzung gleichmäßiger Lohnsenkungen für alle Arbeitnehmergruppen. Das Ergebnis kann vielmehr nur durch mehrere kleine, unregelmäßige Änderungen erreicht werden, die weder unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit noch der ökonomischen Vernunft zu rechtfertigen sind. Überdies wäre eine Umsetzung erst nach verheerenden Auseinandersetzungen wahrscheinlich, bei denen diejenigen mit der schwächsten Verhandlungsposition die größten Verlierer sein werden. Auf der anderen Seite liegt eine Veränderung der Geldmenge durch Offenmarktpolitik oder vergleichbare Maßnahmen schon jetzt in der Macht der meisten Regierungen. Mit Blick auf die menschliche Natur und unsere Institutionen würde nur ein Narr eine Politik der flexiblen Löhne einer flexiblen Geldpolitik vorziehen – es sei denn, er könnte auf Vorteile ersterer verweisen, die letztere nicht hätte. Darüber hinaus ist wohl eine relativ leicht umzusetzende Maßnahme unter ansonsten gleichen Umständen Methoden vorzuziehen, die so schwierig sein dürften, dass sie als undurchführbar gelten können. 2. Bei unflexiblen Nominallöhnen entsprechen die üblicherweise vorkommenden Preisveränderungen (d. h. abgesehen von administrierten Preisen oder Monopolpreisen, die auch durch andere Faktoren neben den Grenzkosten bestimmt werden) im Wesentlichen der mit wachsender Produktion abnehmenden Grenzproduktivität der vorhandenen Ausrüstungsgüter. So wird die größtmögliche Gerechtigkeit gewährleistet zwischen Arbeitnehmern und den Produktionsfaktoren mit vertraglich festgesetzten Geldbezügen – insbesondere der Rentiersklasse und den mit festem Gehalt bei Unternehmen, Organisationen oder dem Staat angestellten Personen. Wenn die Entlohnung wichtiger gesellschaftlicher Klassen ohnehin in Geld festgesetzt ist, dann ist der sozialen Gerechtigkeit und dem gesellschaftlichen Nutzen am besten gedient, wenn die Bezüge aller Produktionsfaktoren in Geld gemessen einigermaßen unflexibel sind. Angesichts der großen Gruppen von Einkommen, die in Geld ausgedrückt relativ unflexibel sind, müsste jemand schon sehr ungerecht sein, um eine Politik flexibler Löhne einer der unflexiblen Löhne vorziehen – wiederum unter dem Vorbehalt, er könnte auf Vorteile ersterer verweisen, die letztere nicht hätte. 3. Durch die Methode, die in Lohneinheiten ausgedrückte Geldmenge durch eine Senkung der Lohneinheit zu erhöhen, wächst proportional dazu
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Buch V: Nominallöhne und Preise
die Schuldenlast. Erreicht man dasselbe Ergebnis durch eine Erhöhung der Geldmenge ohne Veränderung der Lohneinheit, tritt der umgekehrte Effekt ein. Angesichts der übermäßigen Belastung durch verschiedenartige Schulden, würde allenfalls eine unerfahrene Person erstere Methode vorziehen. 4. Muss der Zinssatz mittels einer Absenkung des Lohnniveaus gesenkt werden, stellt dies aus den genannten Gründen ein zweifaches Hemmnis für die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals dar und bietet einen zweifachen Grund, Investitionen aufzuschieben und die Erholung zu verzögern. III. Würden nun die Arbeiter auf ein allmählich abnehmendes Beschäftigungsangebot reagieren, indem sie ihre Dienste für einen allmählich abnehmenden Nominallohn anbieten, hätte das in der Regel nicht zur Folge, dass auch die Reallöhne abnehmen. Vielmehr könnten sie durch den negativen Einfluss auf das Produktionsvolumen sogar steigen. Das wesentliche Ergebnis einer solchen Politik wäre eine Instabilität der Preise, die womöglich so heftig wäre, dass betriebliche Kalkulationen in einem Wirtschaftssystem wie dem unsrigen zwecklos würden. Die Behauptung, eine Politik flexibler Löhne sei ein richtiger und angemessener Bestandteil eines im Großen und Ganzen auf Laissez-faire beruhenden Systems, ist alles andere als die Wahrheit. Eine solche Politik könnte nur in einer äußerst autoritären Gesellschaft erfolgreich umgesetzt werden, in der plötzliche, massive und allumfassende Veränderungen einfach verordnet werden können. Es ist vorstellbar, dass sie in Italien, Deutschland oder Russland4 funktioniert, nicht aber in Frankreich, den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien. Würde man versuchen, die Reallöhne wie in Australien per Gesetz zu fixieren, gäbe es ein bestimmtes, diesem Reallohnniveau entsprechendes Beschäftigungsniveau. In einer geschlossenen Volkswirtschaft würde die tatsächliche Beschäftigung heftig zwischen diesem Niveau und gar keiner Arbeit hin und her schwanken, je nachdem, ob die Investitionen unterhalb des mit diesem Niveau kompatiblen Volumens lägen oder nicht. Die Preise wiederum wären in einem instabilen Gleichgewicht, solange die Investitionen auf dem kritischen Niveau liegen. Sie würden jedoch auf null stürzen, wenn das Investitionsvolumen darunter liegt, und ins Unendliche steigen, wenn es darüber liegt. Stabilisiert werden könnte die Lage – wenn überhaupt – nur, indem die die Geldmenge kontrollierenden Faktoren so eingestellt werden, dass es stets ein gewisses Nominallohnniveau gibt, auf dem die Geldmenge für ein Verhältnis zwischen Zinssatz und Grenzleistungsfähigkeit des Kapi4 D. h.
in Diktaturen wie denen von Mussolini, Hitler oder Stalin. (A. d. Ü.)
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tals sorgt, bei dem die Investitionen auf dem kritischen Niveau gehalten werden. In diesem Fall wäre die Beschäftigung konstant (nämlich auf dem Niveau, das dem Reallohnniveau entspricht), während die Nominallöhne und Preise schnell so weit hin und her schwanken würden, wie gerade nötig wäre, um das Investitionsvolumen auf dem nötigen Niveau zu halten. Im Fall von Australien ergab sich ein Ausweg zum Teil natürlich durch die unvermeidliche Erfolglosigkeit des Gesetzgebers, sein Vorhaben umzusetzen, und zum Teil durch die Tatsache, dass Australien keine geschlossene Volkswirtschaft ist. Daher war das Nominallohnniveau selbst ein bestimmender Faktor für die Auslandsinvestitionen und damit für die Gesamtinvestitionen, während die Reallöhne wesentlich durch die Terms of Trade beeinflusst wurden. Im Lichte dieser Erwägung bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Aufrechterhalten eines stabilen Nominallohnniveaus alles in allem die empfehlenswerteste Politik in einer geschlossenen Volkswirtschaft ist. Das Gleiche trifft auf eine offene Volkswirtschaft zu, sofern durch flexible Wechselkurse ein Gleichgewicht mit der der übrigen Welt gesichert werden kann. In manchen Branchen ist eine gewisse Lohnflexibilität vorteilhaft, um eine Umschichtung von relativ absteigenden zu expandierenden Industriezweigen zu beschleunigen. Dennoch sollte insgesamt das Nominallohnniveau jedenfalls in der kurzen Frist so stabil wie möglich gehalten werden. Diese Politik führt zu einer recht guten Preisstabilität – jedenfalls einer größeren Stabilität als eine Politik flexibler Löhne. Außer im Fall von administrierten Preisen oder Monopolpreisen wird sich das Preisniveau dann in der kurzen Frist nur in dem Maße verändern, wie sich Veränderungen des Beschäftigungsvolumens auf die Grenzkosten auswirken. In der langen Frist werden sich die Preise lediglich durch Veränderungen der Produktionskosten infolge neuer Techniken und neuer oder zusätzlicher Ausrüstungsgüter ändern. Es stimmt, dass trotz allem noch auftretende starke Schwankungen des Beschäftigungsvolumens mit kräftigen Schwankungen des Preisniveaus einhergehen. Aber diese werden wie gesagt weniger stark ausfallen als mit einer Politik flexibler Löhne. Mit einer Politik starrer Löhne wird die Preisstabilität in der kurzen Frist damit verbunden sein, dass Schwankungen des Beschäftigungsvolumens vermieden werden. Andererseits müssen wir uns auf lange Sicht immer noch entscheiden zwischen einer Politik, die mit Fortschritten bei Technik und Ausrüstungsgütern bei stabilen Löhnen einen langsamen Preisverfall zulässt, und einer, die einen langsamen Lohnanstieg zulässt und dabei die Preise stabil hält. Alles in allem neige ich zur zweiten Variante. Es ist nämlich einfacher, das tatsächliche Beschäftigungsniveau innerhalb einer gewissen Spanne der Vollbeschäftigung zu halten, wenn höhere Löhne in der Zukunft erwartet werden, als wenn die Erwartung niedrigerer Löhne besteht.
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Weitere Argumente dafür sind die sozialen Vorteile, die sich aus einem langsamen Schuldenabbau ergeben, die leichtere Umstrukturierung von Industrien im Niedergang zu Wachstumsbranchen sowie die psychologische Ermunterung angesichts eines tendenziell moderaten Lohnanstiegs. Es handelt sich hierbei jedoch um keine grundsätzliche Frage, und es würde den Rahmen meiner aktuellen Ausführungen sprengen, detailliert die Argumente für beide Seiten darzulegen. Anhang zu Kapitel 19 Pigous Theory of Unemployment In seiner Theory of Unemployment macht Pigou das Beschäftigungsvolumen abhängig von zwei grundlegenden Faktoren, nämlich 1. den von Arbeitern geforderten Reallohnsätzen und 2. der Form der realen Arbeitsnachfragekurve. In den zentralen Abschnitten seines Buches geht es darum, die Form dieser Funktion zu bestimmen. Dass Arbeiter im wirklichen Leben ihre Forderungen nicht auf Reallohnsätze, sondern auf nominale Sätze ausrichten, wird zwar in dem Buch nicht ignoriert. Doch wird letztlich davon ausgegangen, dass der tatsächliche Nominallohnsatz dividiert durch den Preis der Lohngüter als Maß für den geforderten Reallohnsatz taugt. Die Gleichungen, die ihm zufolge „den Ausgangspunkt der Untersuchung“ der realen Arbeitsnachfragekurve bilden, finden sich in seiner Theory of Unemployment auf S. 90. Da die stillschweigenden Annahmen, auf der die praktische Anwendung seiner Analyse basiert, gleich zu Beginn in seine Argumentation einfließen, will ich hier seine Betrachtungen bis zum entscheidenden Punkt zusammenfassen. Pigou unterteilt Branchen in diejenigen, die „die Herstellung von Lohngütern im Inland und von Exportwaren, durch deren Verkauf Ansprüche auf ausländische Lohngüter erworben werden, betreiben“, und in „sonstige“ Branchen. Diese lassen sich am einfachsten als Lohngüterbranchen und Nichtlohngüterbranchen bezeichnen. Er setzt voraus, dass x Personen in ersterer und y Personen in der letzterer beschäftigt sind. Den Wert des von x Personen produzierten Outputs an Lohngütern bezeichnet er als F(x) und den allgemeinen Lohnsatz als F'(x). Auch wenn er das nicht eigens erwähnt, ist dies gleichbedeutend mit der Annahme, die Grenzlohnkosten seien gleich den Grenzkosten.5 Des Weiteren geht er davon aus, dass x + y = φ(x), d. h. 5 Die irreführende Angewohnheit, Grenzlohnkosten mit Grenzkosten gleichzusetzen, hat womöglich ihren Ursprung in der Zweideutigkeit des Begriffs Grenzlohnkosten. Darunter lassen sich die Kosten einer zusätzlichen Produktionseinheit verstehen, wenn außer den zusätzlichen Lohnkosten keine weiteren Extrakosten anfallen;
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dass die Zahl der in den Lohngüterbranchen Beschäftigen eine Funktion der Gesamtbeschäftigung sei. Anschließend erklärt er, dass die Elastizität der realen Gesamtnachfrage nach Arbeitskräften (durch die wir die Form der von uns gesuchten realen Arbeitsnachfragekurve erhalten) folgendermaßen dargestellt werden könne:
Er =
ϕ '(x) F '(x) · . ϕ (x) F ''(x)
In Hinblick auf die mathematische Darstellung besteht kaum ein Unterschied zwischen seiner und meiner Interpretation. Wenn wir Pigous Lohngüter mit meinen Konsumgütern und seine „sonstigen Güter“ mit meinen F (x) Investitionsgütern gleichsetzen, folgt daraus, dass sein , das den in F '(x) Lohneinheiten ausgedrückten Wert des Outputs der Lohngüterbranchen darstellt, dasselbe ist wie mein Cw. Überdies ist seine Gleichung (sofern Lohnund Konsumgüter gleichgesetzt werden) eine Funktion dessen, was ich als Beschäftigungsmultiplikator k' bezeichnet habe. Denn
so dass
Dx = k ' Dy ,
ϕ '(x) = 1 + 1 . k¢
Pigous „Elastizität der realen Gesamtnachfrage nach Arbeitskräften“ ist also eine Erfindung, die einigen von meinen ähnelt. Sie beruht teils auf den physischen und technischen Bedingungen in der jeweiligen Branche (wie durch seine Funktion F bezeichnet) und teils auf der Bereitschaft, Lohngüter zu konsumieren (durch die Funktion φ bezeichnet) – immer unter der oder aber die zusätzlichen Lohnkosten, die mit der Erzeugung einer zusätzlichen Einheit Output in der wirtschaftlichsten Weise und mit Hilfe der vorhandenen Ausrüstungsgüter und anderer ungenutzter Faktoren verbunden sind. Im ersteren Fall dürfen wir mit der zusätzlichen Arbeit keine zusätzliche Unternehmerleistung oder Ausrüstungsgüter oder irgendetwas anderes neben der Arbeit verbinden, was die Kosten erhöhen könnte. Und wir dürfen nicht einmal zulassen, dass durch die zusätzlichen Arbeitskräfte die Ausrüstungsgüter schneller abgenutzt werden, als das bei einer kleineren Belegschaft der Fall gewesen wäre. Da wir also in diesem Fall keinen anderen Kostenfaktor in die Grenzkosten einbeziehen als die Arbeit, sind logischerweise die Grenzlohnkosten und die Grenzkosten gleich. Die Ergebnisse einer auf dieser Basis durchgeführten Analyse sind aber kaum verallgemeinerbar, da die Voraussetzungen, auf die sie sich stützt, in Wirklichkeit sehr selten zutreffen. Denn in der Praxis sind wir sind nicht so naiv, uns zu weigern, mit der zusätzlichen Arbeit andere Faktoren, sofern verfügbar, in angemessenem Umfang zusätzlich einzusetzen. Diese Prämisse dürfte daher nur unter der Bedingung zutreffen, dass mit Ausnahme der Arbeit alle anderen Faktoren bereits maximal genutzt werden.
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Voraussetzung, dass wir uns auf den Sonderfall beschränken, in dem die Grenzarbeitskosten gleich den Grenzkosten sind. Zur Bestimmung des Beschäftigungsvolumens kombiniert Pigou anschließend seine „reale Arbeitsnachfrage“ mit einer Arbeitsangebotsfunktion. Er geht davon aus, diese sei eine Funktion allein des Reallohns. Da er aber auch davon ausgeht, dass der Reallohn eine Funktion der Anzahl x der in den Lohngüterbranchen Beschäftigten ist, läuft dies auf die Behauptung hinaus, das Gesamtangebot an Arbeitskräften zum gegebenen Reallohn sei eine Funktion von x allein. Das hieße, n = χ(x), wobei n das für einen Reallohn F'(x) verfügbare Arbeitskräfteangebot ist. Reduziert man Pigous Analyse auf das Wesentliche, stellt sie den Versuch dar, das tatsächliche Beschäftigungsvolumen aus den folgenden zwei Gleichungen abzuleiten: x + y = φ(x)
und
n = χ(x).
Wir haben es hier jedoch mit drei Unbekannten und nur zwei Gleichungen zu tun. Anscheinend umgeht er dieses Problem durch die Annahme, dass n = x + y. Jedoch läuft dies natürlich auf die Behauptung hinaus, es gebe keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit im engeren Sinne, d. h. alle zum aktuellen Reallohn verfügbare Arbeitskraft werde tatsächlich beschäftigt. In diesem Fall nimmt χ einen Wert an, der der Gleichung
φ(x) = χ(x)
entspricht; und wenn wir auf diese Weise herausfinden, dass der Wert von x beispielsweise gleich n1 ist, dann muss y gleich χ(n1) – n1 und die Gesamtbeschäftigung gleich χ(n1) sein. Es lohnt sich, einen Moment darüber nachzudenken, was das bedeutet: Bei einer dahingehenden Veränderung der Arbeitsangebotsfunktion, dass mehr Arbeitskraft zu einem gegebenen Reallohn verfügbar ist (so dass nunmehr n1 + dn1 der Wert von x ist, der die Gleichung φ(x) = χ(x) erfüllt), ist demnach die Nachfrage nach Produkten der Nichtlohngüterbranchen so hoch, dass die Beschäftigung in diesen Branchen um genau den Betrag zunehmen muss, durch den φ(n1 + dn1) und χ(n1 + dn1) gleich bleiben. Die einzige andere Möglichkeit, wie es zu einer Veränderung der Gesamtbeschäftigung kommen kann, besteht durch eine Veränderung der Neigung, Lohngüter respektive Nichtlohngüter zu kaufen, so dass es zu einem Zuwachs von y bei zugleich stärkerer Abnahme von x kommt.
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Die Annahme, dass n = x + y, bedeutet natürlich nichts anderes, als dass die Arbeitnehmer stets in der Lage sind, ihren eigenen Reallohn zu bestimmen. Diese Annahme wiederum bedeutet, dass die Nachfrage nach den Produkten der Nichtlohngüterbranchen dem oben genannten Gesetz folgt. Mit anderen Worten wird vorausgesetzt, dass sich der Zinssatz stets so an die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals anpasst, dass Vollbeschäftigung gewährleistet ist. Angesichts dieser Behauptung fällt Pigous Analyse in sich zusammen. Sie bietet keinerlei Mittel zur Bestimmung des Beschäftigungsvolumens. Es ist tatsächlich merkwürdig, dass Pigou davon ausging, er könne eine Theorie der Arbeitslosigkeit aufstellen ohne jede Bezugnahme auf Veränderungen des Investitionsvolumens (d. h. auf Veränderungen des Beschäftigungsvolumens in den Nichtlohngüterbranchen), nicht etwa bedingt durch eine Veränderung der Arbeitskräfteangebotsfunk tion, sondern durch Veränderungen (z. B.) des Zinssatzes oder des Standes des Vertrauens. Der von ihm gewählte Titel „Theorie der Arbeitslosigkeit“ ist deshalb eine eher unzutreffende Bezeichnung. Sein Buch befasst sich eigentlich gar nicht mit diesem Thema. Es ist vielmehr eine Erörterung der Frage, wie viel Beschäftigung es bei einer gegebenen Arbeitsangebotsfunktion geben wird, wenn die Bedingungen für Vollbeschäftigung erfüllt sind. Das Konzept der Elastizität der realen Gesamtnachfrage nach Arbeitskräften hat den Zweck zu zeigen, um wie viel die Vollbeschäftigung bei einer gegebenen Verschiebung der Arbeitskräfteangebotskurve wachsen oder schrumpfen wird. Anders und vielleicht besser gesagt können wir sein Buch als eine nichtkausale Untersuchung der funktionalen Beziehungen interpretieren, durch die sich entscheidet, welches Reallohnniveau mit welchem Beschäftigungsniveau einhergeht. Es kann uns jedoch nicht vermitteln, wodurch sich das tatsächliche Beschäftigungsniveau bestimmt. Auch für das Problem der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit ist es ohne Belang. Sollte Pigou die Möglichkeit einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit in dem von mir definierten Sinne verneinen, was ich mir durchaus vorstellen kann, ist eine praktische Anwendung seiner Analyse immer noch kaum zu erkennen. Denn es bleibt das schwerwiegende Problem, dass er es unterlassen hat zu erklären, wodurch sich der Zusammenhang zwischen x und y, d. h. zwischen der jeweiligen Beschäftigung in den Lohngüter- und den Nichtlohngüterbranchen, bestimmt. Er stimmt überdies zu, dass bis zu einem gewissen Grad die Arbeitnehmer meist nicht einen bestimmten Real-, sondern Nominallohn fordern. Aber in diesem Fall ist die Arbeitsangebotsfunktion nicht allein eine Funktion von F'(x), sondern auch der Nominalpreise von Lohngütern. Im Ergebnis fällt die vorstehende Analyse in sich zusammen, und ein zusätzlicher
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Faktor kommt ins Spiel, ohne dass es eine zusätzliche Gleichung gäbe, die diese weitere Unbekannte definiert. Es gibt kaum eine bessere Illustration der Fallstricke einer pseudomathematischen Methode, die sich nur anwenden lässt, indem man alles zur Funktion einer einzigen Variablen erklärt und annimmt, dass sämtliche partiellen Ableitungen verschwinden. Es hat schließlich keinen Sinn, später die Existenz weiterer Variablen einzuräumen, aber dennoch fortzufahren, ohne alles bisher Geschriebene umzuschreiben. Wenn also die Arbeiter (in Grenzen) auf einen Nominallohn bestehen, haben wir immer noch keine ausreichenden Informationen, selbst wenn wir von n = x + y ausgehen, außer wir wissen, wodurch sich der Nominalpreis der Lohngüter bestimmt. Dieser ist nämlich abhängig vom Gesamtbeschäftigungsvolumen. Es lässt sich daher nicht sagen, wie hoch die Gesamtbeschäftigung sein wird, solange wir den Nominalpreis der Lohngüter nicht kennen; und der Nominalpreis der Lohngüter lässt sich nicht bestimmen, solange wir nicht das Gesamtbeschäftigungsvolumen kennen. Dazu fehlt uns, wie gesagt, eine Gleichung. Die vorläufige Annahme starrer Nominallöhne – anstelle von Reallöhnen – könnte jedoch unsere Theorie den Tatsachen am nächsten bringen. In Großbritannien waren so zum Beispiel im unruhigen Jahrzehnt zwischen 1924 und 1934 mit seiner Unsicherheit und den starken Preisschwankungen die Nominallöhne innerhalb einer Spanne von 6 % relativ stabil, während die Reallöhne Schwankungen um mehr als 20 % aufwiesen. Eine Theorie kann nicht den Anspruch erheben, eine allgemeine Theorie zu sein, solange sie nicht genauso gut auf den Fall fester (oder innerhalb eines gewissen Intervalls verharrender) Nominallöhne anwendbar ist wie auf alle anderen Fälle. Politiker dürfen reklamieren, dass Nominallöhne gänzlich flexibel sein sollten, aber Theoretiker müssen bereit sein, jeden dieser Fälle neutral in Betracht zu ziehen. Eine wissenschaftliche Theorie kann nicht voraussetzen, dass sich die Fakten an ihre Vorgaben halten. Wenn Pigou als Nächstes ausdrücklich auf den Effekt einer Nominallohnsenkung zu sprechen kommt, präsentiert er (meines Erachtens) eindeutig wieder zu wenige Daten, um eindeutige Antworten erhalten zu können. Zunächst (op. cit. S. 101) weist er das Argument zurück, unter der Prämisse einer Gleichheit von Grenzkosten und Grenzlohnkosten würden sich bei einer Nominallohnsenkung die Einkommen von Nichtlohnempfängern proportional zu denen der Lohnempfänger verändern. Die Begründung dafür lautet, dies treffe nur zu, wenn das Beschäftigungsvolumen unverändert bleibt – was aber ja gerade die zu klärende Frage sei. Auf der nächsten Seite (op. cit. S. 102) macht er jedoch selbst den gleichen Fehler, indem er von der Annahme ausgeht, dass „zu Beginn mit dem Nominaleinkommen der Nichtlohnempfänger nichts geschehen ist“. Wie er selbst gerade darlegte, ist dies nur zutreffend, wenn das Beschäftigungsvolumen nicht unverän-
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dert bleibt – was doch genau die Frage ist. Es ist in der Tat keine Antwort darauf möglich, solange nicht weitere Faktoren in unsere Datengrundlage einbezogen werden. Die Art und Weise des Eingeständnisses, dass die Arbeitnehmer in Wirklichkeit einen bestimmten Nominallohn und nicht einen bestimmten Reallohn fordern (jedenfalls solange der Reallohn nicht unter eine gewisse Grenze fällt), beeinflusst die Analyse. Dies zeigt sich allein schon durch den Hinweis, dass in diesem Fall die für weite Teile der These grundlegende Annahme, mehr Arbeitskraft sei nur zu einem höheren Reallohn verfügbar, in sich zusammenfällt. So lehnt Pigou (op. cit. S. 75) beispielsweise die Theorie des Multiplikators ab, indem er die Reallohnhöhe als gesetzt nimmt, d. h. bei bereits erreichter Vollbeschäftigung würde keine zusätzliche Arbeitskraft zu einem niedrigeren Reallohn angeboten. Unter dieser Annahme ist die These natürlich richtig. An dieser Stelle kritisiert Pigou jedoch einen Vorschlag zur praktischen Politik. In einer Zeit, zu der die statistisch erfasste Arbeitslosigkeit in Großbritannien die Marke von 2 Mio. überstieg (d. h. als mehr als 2 Mio. Menschen zum bestehenden Nominallohn zu arbeiten bereit waren), ist die Annahme, jeder noch so bescheidene Anstieg der Lebenshaltungskosten relativ zum Nominallohn würde mehr als das Äquivalent dieser 2 Mio. Menschen zum Rückzug vom Arbeitsmarkt bringen, geradezu phantastisch realitätsfremd. Man kann es nicht genug betonen, dass Pigous gesamtes Buch auf der Annahme aufbaut, jeder noch so kleine Anstieg der Lebenshaltungskosten relativ zum Nominallohn bewirke den Rückzug einer Anzahl von Arbeitern vom Arbeitsmarkt, die größer ist als die Zahl aller Arbeitslosen. Darüber hinaus merkt Pigou an dieser Stelle (op. cit. S. 75) gar nicht, dass sein Argument gegen „sekundäre“ Beschäftigungseffekte infolge staatlicher Projekte ebendiesen Annahmen zufolge ebenso problematisch für die direkt aus denselben Maßnahmen resultierende „primäre“ Beschäftigung ist. Denn wäre der in den Lohngüterbranchen vorherrschende Reallohnsatz gegeben, dann wäre überhaupt keine Beschäftigungserhöhung mehr möglich – außer natürlich infolge eines verminderten Lohngüterkonsums durch die Nichtlohnempfänger. Denn all diejenigen, die im Primärbeschäftigungssektor neu eingestellt wurden, dürften vermutlich ihren Konsum an Lohngütern erhöhen. Dies lässt den Reallohn schrumpfen und führt somit (wiederum seinen Annahmen zufolge) zu einem Rückzug von Arbeitskräften, die bislang anderswo beschäftigt waren. Gleichwohl akzeptiert Pigou offenbar die Möglichkeit, dass sich die Primärbeschäftigung erhöht. Die Abgrenzung zwischen primärer und sekundärer Beschäftigung scheint der kritische psychologische Punkt zu sein, an dem sein gesunder Menschenverstand nicht länger die Oberhand über seine schlechte Theorie behält.
232
Buch V: Nominallöhne und Preise
Zu welch unterschiedlichen Schlussfolgerungen die genannten Unterschiede bei den Annahmen und der Analyse führen, lässt sich durch folgende wichtige Textstelle zeigen, in der Pigou seine Ansichten zusammenfasst: „Bei vollkommen freiem Wettbewerb zwischen Arbeitern und vollkommener Arbeitskräftemobilität, ist das Verhältnis (gemeint ist: zwischen dem geforderten Reallohn und der Arbeitsnachfragefunktion) ganz einfach. Die Lohnsätze werden immer eine starke Tendenz haben, sich so zur Nachfrage zu verhalten, dass jeder beschäftigt ist. Unter stabilen Bedingungen wird also tatsächlich jeder Beschäftigung haben. Dies bedeutet, die immer vorhandene Arbeitslosigkeit ist ganz und gar darauf zurückzuführen, dass ständige Veränderungen der Nachfragebedingungen stattfinden und dass Reibungswiderstände die umgehende Umsetzung der notwendigen Lohnanpassungen verhindern.“6 Er folgert (op. cit. S. 253), dass Arbeitslosigkeit vor allem auf eine Lohnpolitik zurückzuführen ist, der keine hinreichende Anpassung an Veränderungen der realen Arbeitsnachfragefunktion gelingt. Pigou glaubt also, dass auf lange Sicht Arbeitslosigkeit durch Lohnanpassungen behoben werden kann.7 Dagegen behaupte ich, dass der Reallohn (jedenfalls bis auf eine durch das Grenzleid der Beschäftigung gesetzte Untergrenze) nicht in erster Linie durch „Lohnanpassungen“ determiniert wird (auch wenn diese meist nicht folgenlos sein dürften), sondern durch andere Kräfte im Wirtschaftssystem. Einige dieser Kräfte (insbesondere das Verhältnis zwischen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und dem Zinssatz) hat Pigou anscheinend in seinem formalen System unberücksichtigt gelassen. Wenn Pigou schließlich zu den „Ursachen der Arbeitslosigkeit“ kommt, geht er zugegebenermaßen genauso wie ich auf Schwankungen der Nachfrage ein. Er setzt die Nachfragesituation jedoch mit der realen Arbeitsnachfragefunktion gleich und vergisst dabei, wie eng er diese selbst definiert hat. Diese Funktion hängt, wie oben gesehen, definitionsgemäß ausschließlich von zwei Faktoren ab, nämlich 1. von der Relation in jedem beliebigem Umfeld zwischen der Gesamtzahl der Beschäftigten und der Zahl derer, die in den Lohngüterbranchen beschäftigt sein müssen, um die Waren für deren Konsum bereitzustellen, und 2. vom Stand der Grenzproduktivität in den Lohngüterbranchen. Gleichwohl wird den Schwankungen der „realen Nachfrage nach Arbeitskräften“ in Teil V seiner Theory of Unemployment große Bedeutung beigemessen. Die „reale Nachfrage nach Arbeitskräften“ wird als Faktor betrachtet, der starken kurzfristigen Schwankungen unterliegt (op. cit. Teil V, Kap. 6–12), und es wird nahegelegt, dass diese Ausschläge zu6 Op.
cit. S. 252. gibt keinerlei Hinweis oder Andeutung, dass dies durch Rückwirkungen auf den Zinssatz geschieht. 7 Es
Kap. 19: Änderungen der Nominallöhne233
sammen mit der ausbleibenden Anpassung der Lohnpolitik an derartige Veränderungen weitestgehend verantwortlich sind für die Konjunkturzyklen. Dem Leser dürfte all dies auf den ersten Blick vernünftig und vertraut erscheinen. Denn solange er sich nicht noch einmal die Definition vornimmt, werden die „Schwankungen der realen Nachfrage nach Arbeitskräften“ bei ihm dieselbe Vorstellung auslösen wie das, was ich mit „Schwankungen der Gesamtnachfrage“ auszudrücken versuche. Wenn wir uns jedoch die Definition der „realen Nachfrage nach Arbeitskräften“ noch einmal ansehen, geht jede Plausibilität verloren. Denn es stellt sich heraus, dass die Wahrscheinlichkeit kurzfristiger starker Schwankungen nirgendwo so gering ist wie bei diesem Faktor. Pigous „reale Nachfrage nach Arbeitskräften“ hängt definitionsgemäß lediglich von F(x) ab, das für die physischen Produktionsbedingungen in den Lohngüterbranchen steht, sowie von φ(x), welches das funktionale Verhältnis zwischen der Beschäftigung in den Lohngüterbranchen und der Gesamtbeschäftigung bei jedem beliebigen Beschäftigungsniveau wiedergibt. Es ist kaum einzusehen, warum sich diese Funktionen anders als allmählich und über einen langen Zeitraum verändern sollten. Es besteht gewiss kein Grund für die Annahme, dass sie innerhalb eines Konjunkturzyklus schwanken. Denn F(x) kann sich nur langsam verändern und, jedenfalls in einer Gesellschaft mit beständigen technischen Fortschritten, auch nur in eine Richtung, nämlich vorwärts. φ(x) hingegen bleibt stabil, sofern wir nicht einen plötzlichen Ausbruch von Sparsamkeit in der arbeitenden Klasse unterstellen oder, allgemeiner ausgedrückt, eine plötzliche Veränderung der Konsumneigung. Ich würde deshalb davon ausgehen, dass die reale Nachfrage nach Arbeitskräften während des ganzen Konjunkturzyklus praktisch unverändert bleibt. Ich wiederhole noch einmal, dass Pigou bei seiner Analyse den instabilen Faktor völlig ignoriert hat, nämlich die Schwankungen des Investitionsvolumens, die am häufigsten dem Phänomen der Beschäftigungsschwankungen zu Grunde liegen. Ich habe Pigous Theorie der Arbeitslosigkeit nicht deshalb ausführlich kritisiert, weil er mir als einer Kritik aufgeschlossener erscheint als andere Ökonomen der klassischen Schule, sondern weil er, soweit mir bekannt, als einziger den Versuch unternommen hat, die klassische Theorie der Arbeitslosigkeit präzise zu formulieren. Daher hielt ich es für unerlässlich, meine Einwände gegen diese Theorie in ihrer anspruchsvollsten Version zu erheben.
Kapitel 20
Die Beschäftigungsfunktion1 I. In Kapitel 3 (S. 35) haben wir die aggregierte Angebotsfunktion Z = φ(N) definiert, die die Beschäftigung N mit dem aggregierten Angebotspreis des entsprechenden Outputs in Beziehung setzt. Die Beschäftigungsfunk tion unterscheidet sich nur dadurch von der aggregierten Angebotsfunk tion, dass sie im Prinzip deren Umkehrfunktion ist und mittels der Lohneinheit definiert wird. Der Zweck der Beschäftigungsfunktion ist dabei, das Volumen der in Lohneinheiten gemessenen, auf eine bestimmte Firma, Branche oder die ganze Wirtschaft gerichteten effektiven Nachfrage in Relation zu setzen mit dem Beschäftigungsvolumen, bei dem der Angebotspreis des damit erzeugten Outputs ebendieser Menge effektiver Nachfrage entspricht. Wenn somit eine in Lohneinheiten gemessene, auf eine Firma oder Branche gerichtete Menge an effektiver Nachfrage Dwr eine Menge an Beschäftigung Nr in dieser Firma oder Branche bewirkt, lässt sich die Beschäftigungsfunktion als Nr = Fr (Dwr) darstellen. Oder allgemeiner ausgedrückt, wenn wir annehmen können, dass Dwr eine eindeutige Funktion der gesamten effektiven Nachfrage Dw ist, dann kann die Beschäftigungsfunktion als Nr = Fr(Dw) dargestellt werden. Das heißt, bei einer effektiven Nachfrage Dw werden Nr Personen in der Branche r beschäftigt. In diesem Kapitel werden wir gewisse Eigenheiten der Beschäftigungsfunktion herausarbeiten. Ganz abgesehen von deren Bedeutung gibt es zwei weitere Gründe, warum es in Einklang mit den Methoden und Zielen dieses Buches steht, die gewöhnliche Angebotskurve durch die Beschäftigungsfunktion zu ersetzen. Zum einen stellt sie die relevanten Faktoren in Einheiten dar, auf die zu beschränken wir uns entschieden haben, ohne auf irgendwelche Einheiten von zweifelhafter quantitativer Art zurückgreifen zu müssen. Zum anderen lässt sie sich aus nachstehenden Gründen besser als die gewöhnliche Angebotskurve auf die Probleme der gesamten Wirtschaft 1 Wer gegen Algebra (verständlicherweise) eine Abneigung hat, verpasst wenig, wenn er den ersten Teil dieses Kapitels überspringt.
Kap. 20: Die Beschäftigungsfunktion235
und Produktion anwenden, im Gegensatz zu den Problemen einer einzelnen Branche oder Firma in einem gegebenen Umfeld. Die normale Nachfragekurve für eine bestimmte Ware wird basierend auf Annahmen über die Einkommen der Bevölkerung gezeichnet. Sie muss neu gezogen werden, wenn sich die Einkommen ändern. Ebenso wird die normale Angebotskurve für eine bestimmte Ware basierend auf Annahmen über den Output der Gesamtwirtschaft gezeichnet, und sie verändert sich, wenn sich die Gesamtproduktion in der Wirtschaft ändert. Untersuchen wir die Reaktion einzelner Branchen auf Veränderungen der Gesamtbeschäftigung, haben wir es darum zwangsläufig nicht mit einer einzigen Nachfragekurve für jede Branche kombiniert mit einer einzigen Angebotskurve zu tun, sondern mit zwei Bündeln solcher Kurven, die verschiedenen Voraussetzungen in Bezug auf die Gesamtbeschäftigung entsprechen. Im Fall der Beschäftigungsfunk tion ist es jedoch sinnvoller, eine Funktion für die gesamte Wirtschaft zu entwickeln, die Veränderungen der Gesamtbeschäftigung wiedergibt. Nehmen wir fürs Erste einmal an, die Konsumneigung sei gegeben genauso wie die anderen Faktoren, die wir in Kapitel 18 als gegeben angenommen haben, und betrachten wir die Veränderungen der Beschäftigung als Folge von Veränderungen der Investitionshöhe. Unter dieser Voraussetzung entspricht jedem Niveau der in Lohneinheiten gemessenen effektiven Nachfrage eine bestimmte Gesamtbeschäftigung, und diese effektive Nachfrage verteilt sich in einem bestimmten Verhältnis auf Konsum und Investitionen. Zudem entspricht jedes Niveau der effektiven Nachfrage einer bestimmten Einkommensverteilung. Deshalb ist des Weiteren die Annahme vernünftig, dass jedem gegebenen Niveau der effektiven Gesamtnachfrage eine eindeutige Verteilung dieser Nachfrage auf verschiedene Branchen entspricht. Hieraus lässt sich für jede Branche ableiten, welche Beschäftigungsmenge dort einem bestimmten Gesamtbeschäftigungsniveau entspricht. Wir können damit also die jedem Niveau der in Lohneinheiten gemessenen effektiven Nachfrage entsprechende Beschäftigungsmenge in jeder einzelnen Branche bestimmen, so dass die Bedingungen der oben definierten zweiten Form der Beschäftigungsfunktion der Branche, nämlich Nr = Fr(Dw), erfüllt sind. Dies hat den Vorteil, dass sich die einzelnen Beschäftigungsfunktionen unter diesen Bedingungen addieren lassen, in dem Sinne, dass die einem bestimmten Niveau der effektiven Nachfrage entsprechende Beschäftigungsfunktion für die gesamte Wirtschaft gleich der Summe der Beschäftigungsfunktionen für jede einzeln Branche ist, d. h. F (Dw) = N = ΣNr = ΣFr (Dw).
236
Buch V: Nominallöhne und Preise
Definieren wir als Nächstes die Beschäftigungselastizität. Für eine bestimmte Branche ist diese eer =
dN r Dwr · , dDwr N r
da sie die Reaktion der Anzahl der in der Branche beschäftigten Arbeitseinheiten auf Veränderungen der Anzahl der Lohneinheiten misst, die voraussichtlich für den Kauf der Erzeugnisse dieser Branche ausgegeben werden. Die Beschäftigungselastizität der gesamten Wirtschaft können wir folgendermaßen darstellen: D ee = dN · w . dDw N
Vorausgesetzt, wir finden eine zufriedenstellende Methode zur Messung des Outputs, ist es außerdem auch sinnvoll, das zu definieren, was man als Elastizität des Outputs oder der Produktion bezeichnen könnte. Damit wird gemessen, mit welcher Geschwindigkeit die Produktion in einer Branche zunimmt, wenn es eine höhere in Lohneinheiten gemessene effektive Nachfrage nach deren Produkten gibt, und zwar eor =
dOr Dwr · . dDwr Or
Sofern wir annehmen können, dass der Preis gleich den Grenzkosten ist, folgt daraus, dass DDwr =
1 · DP , r 1 - eor
wobei Pr der erwartete Gewinn ist.2 Wenn folglich eor = 0, d. h. wenn die Produktion der Branche vollkommen unelastisch ist, dürfte die höhere effektive Nachfrage (in Lohneinheiten gemessen) vollständig dem Unterneh2 Denn wenn p der erwartete, in Lohneinheiten gemessene Preis einer Produktwr einheit ist, dann ist
DDwr = D ( pwr Or ) = pwr DOr + Or Dpwr
= so
dass
oder
Dwr ·DOr + Or Dpwr , Or
Or Dpwr = DDwr (1 - eor ) DDwr =
Or Dpwr . 1 - eor
Kap. 20: Die Beschäftigungsfunktion237
mer in Form von Gewinnen zufließen, d. h. ΔDwr = ΔPr. Wenn hingegen eor = 1, d. h. wenn die Elastizität des Outputs bei eins liegt, dürfte von der höheren effektiven Nachfrage nichts in Form von Gewinnen anfallen. Alles wird vielmehr durch die Bestandteile der Grenzkosten absorbiert. Wenn zudem der Output einer Branche eine Funktion φ(Nr) der in dieser Branche Beschäftigten ist, erhalten wir3 N r ϕ ''(N r ) 1 - eor , =eer pwr {ϕ '(N r )}2
wobei pwr der erwartete Preis einer in Lohneinheiten gemessenen Produkteinheit ist. Somit bedeutet die Bedingung eor = 1, dass φ''(Nr) = 0, d. h. dass es konstante Erträge als Folge erhöhter Beschäftigung gibt. Gemäß der klassischen Theorie sind Reallöhne immer gleich dem Grenzleid der Arbeit4, wobei letzteres bei zunehmender Beschäftigung größer wird, so dass das Angebot an Arbeitskraft bei sinkenden Reallöhnen unter sonst gleichbleibenden Bedingungen schrumpft. Dies aber ist gleichbedeutend mit der Annahme, dass in der Praxis eine Ausgabenerhöhung (in Lohneinheiten gemessen) unmöglich ist. Würde dies zutreffen, wäre das Konzept der Beschäftigungselastizität nirgends anwendbar. Zudem wäre in diesem Fall eine Steigerung der Beschäftigung durch eine Erhöhung der (in Geldeinheiten gemessen) Ausgaben unmöglich. Denn die Nominallöhne würden proportional zu den höheren nominalen Ausgaben steigen, so dass es in Lohneinheiten gemessen gar keine Ausgabenerhöhung gäbe und folglich auch keinen Beschäftigungsanstieg. Wenn die klassische These jedoch nicht stichhaltig ist, dann ist es möglich, die Beschäftigung durch eine Erhöhung der Geldausgaben zu steigern, bis die Reallöhne so weit gefallen sind, dass Aber
Or Dpwr = DDwr - pwr DOr = DDwr - (Grenzherstellkosten) DO = DP .
Daher DDwr = 1 DPr . 1 - eor 3 Denn weil D = p O , folgt daraus wr wr r
4 S. Fußnote
dpwr dOr + Or dDwr dDwr N ϕ ''(N r )eer = eor - r . {ϕ '(N r )}2 pwr
1 = pwr
3 auf S. 21. (A. d. Ü.)
238
Buch V: Nominallöhne und Preise
sie gleich dem Grenzleid der Arbeit sind. An diesem Punkt aber besteht per definitionem Vollbeschäftigung. Für gewöhnlich wird eor natürlich einen Wert zwischen null und eins annehmen. In welchem Umfang die Preise (in Lohneinheiten gemessen) steigen – d. h. in welchem Umfang die Reallöhne fallen – hängt deshalb von der Produktionselastizität in Bezug auf die Ausgaben (ebenfalls in Lohneinheiten) ab. Die Elastizität des erwarteten Preises pwr in Hinblick auf Verändpwr Dwr · derungen der effektiven Nachfrage Dwr, nämlich , sei als e'pr dD wr p wr bezeichnet. Da Or ∙ pwr = Dwr, folgt daraus, dass
dp D dOr Dwr · + wr · wr = 1 dDwr Or dDwr pwr
oder e'pr + eor = 1. Das heißt, die Preis- und die Produktionselastizität in Bezug auf Veränderungen der (in Lohneinheiten gemessenen) effektiven Nachfrage summieren sich auf eins. Die effektive Nachfrage erschöpft sich gemäß diesem Gesetz, indem sie teils die Produktion und teils die Preise beeinflusst. Wenn wir uns mit der Gesamtwirtschaft befassen und uns die Annahme erlauben, dass uns eine Einheit zur Messung des gesamten Outputs zur Verfügung steht, lässt sich in der gleichen Weise argumentieren, so dass e'p + eo = 1, wobei sich die Elastizitäten ohne das nachgestellte r auf die Gesamtwirtschaft beziehen. Messen wir nun Werte in Geld statt in Lohneinheiten und wenden wir unsere Aussagen über die Gesamtwirtschaft auf diesen Fall an. Wenn W den Nominallohn einer Arbeitseinheit bezeichnet und p den erwarteten nominalen, also in Geld gemessenen Preis einer Einheit des gesamtwirtschaftlichen Outputs, können wir die Elastizität der Geldpreise in Bezug auf Veränderungen der in Geld gemessenen effektiven Nachfrage als æ Ddp ÷ö e p çç= ÷ darstellen und die Elastizität der Nominallöhne in Hinblick auf è pdD÷ø Veränderungen der nominalen effektiven Nachfrage als ew = DdW . Daraus WdD lässt sich leicht ableiten, dass
(
)
Kap. 20: Die Beschäftigungsfunktion239
ep = 1 – eo(1 – ew).5
Diese Gleichung ist, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ein erster Schritt zu einer verallgemeinerten Quantitätstheorie des Geldes. Wenn eo = 0 oder wenn ew = 1, bleibt die Produktion unverändert, und die Preise werden im gleichen Maße wie die nominale effektive Nachfrage steigen. Ansonsten fällt ihr Anstieg geringer aus. II. Kehren wir nun zur Beschäftigungsfunktion zurück. Wir sind bislang davon ausgegangen, dass jedem Niveau der effektiven Gesamtnachfrage eine eindeutige Verteilung der effektiven Nachfrage auf die Erzeugnisse der einzelnen Branchen entspricht. Bei einer Veränderung der Gesamtausgaben werden sich jedoch die entsprechenden Ausgaben für die Produkte einer einzelnen Branche in der Regel nicht im gleichen Verhältnis verändern. Teils liegt das daran, dass die Haushalte bei steigendem Einkommen die Käufe der von ihnen konsumierten Erzeugnisse der einzelnen Branchen nicht gleich stark erhöhen, und teils daran, dass die Preise unterschiedlicher Waren unterschiedlich stark auf vermehrte Ausgaben für diese Waren reagieren. Aus all dem folgt, dass unsere bisherige Hypothese, wonach Veränderungen der Beschäftigung ausschließlich von Veränderungen der effektiven Gesamtnachfrage (in Lohneinheiten gemessen) abhängen, allenfalls eine erste Annäherung ist – jedenfalls wenn wir zugeben, dass ein Einkommenszuwachs auf mehr als eine Weise ausgegeben werden kann. Die Art und 5 Denn
so
da p = pw ∙ W und D = Dw ∙ W, folgt daraus p Dp = W Dpw + DW W p p = W ·e p¢ w DDw + DW Dw W p p DD - D DW + DW = e p¢ D W W p p = e p¢ DD + DW (1 - e p¢ ) , D W
(
dass
)
DDp DW · p = e p¢ + D · (1 - e p¢ ) pDD pDD W = e p¢ + ew (1 - e p¢ )
ep =
= 1 - eo (1 - ew ) .
240
Buch V: Nominallöhne und Preise
Weise, wie sich ein Anstieg der Gesamtnachfrage voraussichtlich auf verschiedene Waren aufteilt, dürfte erhebliche Auswirkungen auf das Beschäftigungsvolumen haben. Wenn sich beispielsweise die zusätzliche Nachfrage hauptsächlich auf Produkte mit hoher Beschäftigungselastizität richtet, wird die Zunahme der Beschäftigung insgesamt höher ausfallen als bei Produkten mit geringer Beschäftigungselastizität. Ebenso kann die Beschäftigung auch ohne jede Veränderung der Gesamtnachfrage sinken, wenn sich die Nachfrage vorzugsweise auf Produkte mit vergleichsweise geringer Beschäftigungselastizität richtet. Diese Überlegungen sind besonders wichtig im Fall von kurzfristigen Phänomenen wie etwa Veränderungen der Höhe oder der Verteilung der Nachfrage, die sich nicht rechtzeitig vorhersehen lassen. Bei einigen Produkten ist die Produktion zeitaufwendig, so dass eine schnelle Erhöhung des Angebots so gut wie unmöglich ist. Wenn es nun überraschend eine zusätzliche Nachfrage nach diesen Produkten gibt, wird deren Beschäftigungselastizität gering sein, obwohl diese durchaus den Wert von eins erreichen könnte, wenn die Nachfrageveränderungen rechtzeitig absehbar wären. Vor allem in diesem Zusammenhang erscheint mir das Konzept der Produktionsperiode sinnvoll. Besser gesagt hat ein Produkt eine Produk tionsperiode n, wenn sich Veränderungen der Nachfrage n Zeiteinheiten vorher abzeichnen müssen, damit die maximale Beschäftigungselastizität erreicht wird.6 Es ist offensichtlich, dass Konsumgüter im Schnitt die längsten Produktionszeiträume aufweisen, weil sie die letzte Stufe jedes Produktionsprozesses darstellen. Wenn also der erste Impuls für einen Anstieg der effektiven Nachfrage von einem höheren Konsum herrührt, wird die anfängliche Beschäftigungselastizität weiter unter ihrem späteren Gleichgewichtsniveau liegen, als wenn der Impuls von einer Investitionssteigerung stammt. Wenn sich darüber hinaus die höhere Nachfrage auf Produkte mit relativ geringer Beschäftigungselastizität richtet, wird der größere Teil davon in die Taschen der Unternehmer fließen und der kleinere Teil in die der Lohnempfänger und der anderen Faktoren, die die variablen Kosten ausmachen. Im Ergebnis dürften die Auswirkungen auf die Ausgabenhöhe etwas weniger günstig sein, weil Unternehmer tendenziell einen größeren Teil ihrer Einkommenszuwächse sparen als Lohnempfänger. Dessen ungeachtet sollten die Unterschiede zwischen diesen beiden Fällen nicht überbewertet werden, da ein Großteil der Auswirkungen bei beiden recht ähnlich sein wird.7 6 Dies stimmt zwar nicht mit der üblichen Definition überein, aber es scheint mir am ehesten auszudrücken, was das Entscheidende an dieser Idee ist. 7 Eine weitere Erörterung dieser Frage findet sich in Vom Gelde, Buch IV.
Kap. 20: Die Beschäftigungsfunktion241
Unabhängig davon, wie lange im Voraus die Unternehmer von einer bevorstehenden Nachfrageänderung erfahren, kann die Beschäftigungselastizität auf eine gegebene Investitionssteigerung hin anfänglich nicht so hoch sein wie ihr späterer Gleichgewichtswert, es sei denn, es gäbe auf jeder Produktionsstufe überschüssige Lagerbestände und Kapazitäten. Andererseits würde dann der Abbau der Bestände den Betrag verringern, um den die Investitionen zunehmen. Unter der Annahme, dass zu Beginn überall einige Überschüsse vorhanden sind, dürfte die anfängliche Beschäftigungselastizität annähernd eins betragen. Nachdem die Überschüsse aufgebraucht sind, aber bevor aus vorgelagerten Produktionsstufen ein zusätzliches Angebot in ausreichendem Umfang angeliefert wird, wird die Elastizität zurückgehen, um dann mit der Annäherung an die neue Gleichgewichtslage wieder in Richtung eins anzusteigen. Dies unterliegt allerdings gewissen Einschränkungen, sofern es bestimmte Produktionsfaktoren gibt, die bei steigender Beschäftigung einen höheren Teil der Ausgaben absorbieren, oder wenn der Zinssatz steigt. Aus diesen Gründen ist eine perfekte Preisstabilität in einer Wirtschaft, die Veränderungen unterworfen ist, unmöglich – außer natürlich, es gäbe einen besonderen Mechanismus, der vorübergehend für Schwankungen der Konsumneigung in just dem richtigen Ausmaß sorgt. Aber eine auf diese Weise entstehende Instabilität der Preise führt nicht zu der Art von Gewinnanreizen, die überschüssige Kapazitäten hervorzurufen imstande sind. Denn die Zufallsgewinne werden in Gänze den Unternehmern zufließen, die gerade im Besitz von Gütern auf einer relativ fortgeschrittenen Produktionsstufe sind. Es gibt nichts, was ein Unternehmer, der nicht über die genau richtigen Produktionsmittel verfügt, tun könnte, um diese Gewinne in seine Taschen zu lenken. Somit kann die infolge von Veränderungen unvermeidliche Preisinstabilität das Handeln der Unternehmer nicht beeinflussen. Sie lenkt lediglich einen Gewinn, der de facto nur zufällig ist, in die Taschen der Glücklichen (oder umgekehrt, wenn die Änderungen in die Gegenrichtung verlaufen). Diese Tatsache wurde meines Erachtens in einigen Debatten der jüngeren Zeit über konkrete Maßnahmen zur Stabilisierung der Preise übersehen. Es stimmt, dass in einer Gesellschaft, die Änderungen unterworfen ist, solche Maßnahmen nicht immer gänzlich erfolgreich sein können. Aber daraus folgt nicht, dass jede vorübergehende kleine Abkehr von der Preisstabilität gleich kumulative Ungleichgewichte hervorruft. III. Wie gezeigt ist unter Bedingungen unzureichender effektiver Nachfrage die vorhandene Arbeitskraft unterbeschäftigt in dem Sinne, dass Menschen arbeitslos bleiben, die durchaus bereit wären, für weniger als den aktuellen Reallohn zu arbeiten. Mit zunehmender effektiver Nachfrage wächst folglich
242
Buch V: Nominallöhne und Preise
die Beschäftigung zu einem Reallohn, der gleich oder unter dem bisherigen Lohn ist, und zwar bis zu dem Punkt, an dem keine Arbeitskräfte mehr zum aktuellen Reallohn zur Verfügung stehen – d. h. es sind keine zusätzlichen Arbeitskräfte (oder Arbeitsstunden) mehr verfügbar, es sei denn, die Nominallöhne steigen (ab diesem Punkt) schneller als die Preise. Die nächste zu beachtende Frage ist, was geschieht, wenn die Ausgaben weiter steigen, nachdem dieser Punkt erreicht wurde. Bis zu diesem Punkt wurden die abnehmenden Erträge, die sich aus dem Einsatz von mehr Arbeitskraft bei gleichbleibendem Sachkapital ergeben, dadurch ausgeglichen, dass sich die Arbeiter mit geringeren Reallöhnen zufrieden gaben. Danach aber erfordert der Einsatz einer weiteren Arbeitseinheit als Anreiz das Äquivalent einer größeren Produktmenge, während aber der Ertrag aus dem Einsatz einer weiteren Einheit einer geringeren Produktmenge entspricht. Die Bedingungen für ein exaktes Gleichgewicht sind daher, dass Löhne und Preise – und folglich auch Gewinne – alle im gleichen Verhältnis steigen wie die Ausgaben, wenn die „reale“ Position inklusive des Produktions- und Beschäftigungsvolumens in jeder Beziehung unverändert bleiben soll. Wir haben also eine Situation erreicht, in der der einfachen Quantitätstheorie des Geldes (bei der „Umlaufgeschwindigkeit“ als „Einkommensumlaufgeschwindigkeit“ interpretiert wird) vollständig Genüge getan wird, denn der Output bleibt unverändert und die Preise steigen genau proportional zu MV. Gleichwohl unterliegt diese Schlussfolgerung gewissen praktischen Einschränkungen, die bei ihrer Anwendung auf einen konkreten Fall zu berücksichtigen sind: 1. Steigende Preise können Unternehmer zumindest eine Zeitlang dazu verleiten, die Beschäftigung über das Niveau hinaus aufzustocken, auf dem sie maximale Gewinne, in Produkteinheiten gemessen, erzielen. Denn sie haben sich so daran gewöhnt, steigende Verkaufserlöse (in Geld gemessen) als Signal zur Produktionsausweitung zu sehen, dass sie womöglich damit fortfahren, wenn diese Strategie für sie längst nicht mehr vorteilhaft ist, d. h. sie unterschätzen womöglich ihre Grenznutzungskosten in dem neuen Preisumfeld. 2. Da der Teil seines Gewinns, den ein Unternehmer an den Kapitalgeber weiterreichen muss, in Geld festgelegt ist, führt ein Preisanstieg auch ohne Veränderung des Produktionsvolumens zu einer Umverteilung des Einkommens zugunsten des Unternehmers und zulasten des Kapitalgebers. Dies wiederum kann sich auf die Konsumneigung auswirken. Allerdings handelt es sich dabei um keinen Prozess, der erst beim Erreichen von Vollbeschäftigung in Gang kommt, sondern der kontinuierlich verläuft, solange die Ausgaben steigen. Wenn der Rentier, dem auf diese Weise Realeinkommen
Kap. 20: Die Beschäftigungsfunktion243
allmählich entzogen wird, weniger zu Ausgaben neigt als der Unternehmer, bedeutet das, dass Vollbeschäftigung schon mit einem schwächeren Geldmengenwachstum und einer geringeren Zinssenkung erreicht wird als im umgekehrten Fall. Sobald Vollbeschäftigung erreicht ist, bedeutet eine weitere Preiserhöhung gemäß der ersten Hypothese, dass der Zinssatz etwas ansteigen muss, um einen unbegrenzten Preisanstieg zu verhindern, und dass das Geldmengenwachstum unterproportional zum Ausgabenzuwachs ausfällt. Trifft hingegen die zweite Hypothese zu, ist das Gegenteil der Fall. Wenn sich das Einkommen des Rentiers verringert, wird möglicherweise irgendwann ein Punkt erreicht, an dem wegen seiner relativen Verarmung die erste Hypothese durch die zweite abgelöst wird. Dieser Punkt kann erreicht werden, bevor oder nachdem Vollbeschäftigung eintritt. IV. Die offenkundige Asymmetrie zwischen Expansion und Kontraktion mag ein wenig verwirrend erscheinen. Denn während durch eine Schrumpfung der effektiven Nachfrage unter das für Vollbeschäftigung erforderliche Niveau sowohl Beschäftigung als auch Preise zurückgehen, wirkt sich ihre Ausweitung über dieses Niveau nur auf die Preise aus. Diese Asymmetrie spiegelt jedoch lediglich die Tatsache wider, dass die Arbeitnehmer sich zwar weigern können, in einem Umfang zu arbeiten, der mit einem Reallohn unterhalb des Grenzleids dieser Menge Arbeit verbunden ist. Aber sie sind außerstande, ein Arbeitsangebot in einem Umfang einzufordern, der mit einem das Grenzleid dieser Arbeitsmenge nicht übersteigenden Reallohn einhergeht.
Kapitel 21
Die Theorie der Preise I. Seit sich Ökonomen mit der sogenannten Werttheorie beschäftigen, lehren sie für gewöhnlich, dass Preise durch die Angebots- und Nachfragebedingungen bestimmt werden; insbesondere spielten auch Veränderungen der Grenzkosten und die Elastizität des kurzfristigen Angebots eine wichtige Rolle. Wenn sie aber anschließend in Teil II ihres Buches oder, noch häufiger, in einer eigenständigen Abhandlung auf die Theorie des Geldes und der Preise zu sprechen kommen, ist von diesen schlichten, aber verständlichen Konzepten nicht mehr die Rede. Wir treten nun in eine Welt ein, in der Preise durch die Menge und die Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes bestimmt werden, durch die Umlaufgeschwindigkeit relativ zu den Transaktionsvolumina, durch Horten, durch erzwungene Ersparnisse, durch Inflation und Deflation und dergleichen mehr – und es wird zumeist nicht einmal versucht, einen Zusammenhang zwischen diese schwammigeren Ausdrücken und den früheren Vorstellungen von Angebots- und Nachfrageelastizität herzustellen. Suchen wir eine vernünftige Erklärung für das uns Gelehrte, erscheint es in den einfacheren Darstellungen so, als sei die Angebotselastizität null und die Nachfrage proportional zur Geldmenge, während wir uns in den komplexeren Erklärungen in einem Nebel verlieren, wo nichts eindeutig und alles möglich ist. Wir haben uns alle daran gewöhnt, uns mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des Mondes zu befinden, ohne zu wissen, welche Verbindungen zwischen beiden Seiten bestehen, die auf ähnliche Weise zusammenzuhängen scheinen wie unser reales Dasein und unser Traumleben. Eines der Ziele der vorhergehenden Kapitel war es, einen Ausweg aus diesem Doppelleben zu weisen und die gesamte Theorie der Preise wieder in eine enge Beziehung zur Werttheorie zu bringen. Die Trennung der Volkswirtschaftslehre in die Wert- und Verteilungstheorie auf der einen Seite und die Geldtheorie auf der anderen basiert meiner Ansicht nach auf einer verkehrten Zuordnung. Für eine korrekte Einteilung schlage ich vor, die Trennlinie zwischen der Theorie der einzelnen Branchen oder Unternehmen, der Vergütung und der Verteilung zwischen verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten einer gegebenen Menge von Beschäftigten auf der einen
Kap. 21: Die Theorie der Preise245
Seite und der Theorie der gesamten Produktion und Beschäftigung auf der anderen zu ziehen. Solange wir uns auf die Untersuchung einer einzelnen Branche oder Firma beschränken unter der Annahme, dass die Gesamtmenge der Beschäftigung konstant ist und dass die Lage in anderen Branchen oder Unternehmen einstweilen unverändert bleibt, stimmt es, dass wir uns um die spezifischen Merkmale des Geldes nicht zu kümmern brauchen. Sobald wir uns aber dem Problem zuwenden, wodurch sich die Gesamtproduktion und ‑beschäftigung bestimmen, benötigen wir eine vollständige Theorie einer Geldwirtschaft. Vielleicht aber sollten wir unsere Trennlinie zwischen der Theorie eines stationären Gleichgewichts und der Theorie eines veränderlichen Gleichgewichts (shifting equilibrium) ziehen. Mit letzterem ist die Theorie eines Systems gemeint, in dem wechselnde Einschätzungen der künftigen Entwicklung die gegenwärtige Situation beeinflussen können. Denn die Bedeutung des Geldes rührt im Wesentlichen von seiner Eigenschaft als Bindeglied zwischen der Gegenwart und der Zukunft her. Wir können untersuchen, bei welcher Aufteilung der Ressourcen auf verschiedene Verwendungszwecke sich unter dem Einfluss normaler wirtschaftlicher Motive und in einer Welt, in der unsere Zukunftserwartungen sich nicht verändern und in jeder Hinsicht verlässlich sind, ein Gleichgewicht einstellt. Vielleicht lässt sich noch eine weitere Unterteilung vornehmen zwischen einer unveränderlichen Wirtschaft und einer sich verändernden, in der jedoch alles von Anfang an vorhersehbar ist. Oder wir können von dieser vereinfachten Einführung zu den Problemen der realen Welt übergehen, in der wir mit unseren anfänglichen Erwartungen Schiffbruch erleiden können und in der die Zukunftserwartungen unser aktuelles Handeln beeinflussen. Sobald wir diesen Schritt gemacht haben, müssen die Besonderheiten des Geldes als Bindeglied zwischen Gegenwart und Zukunft in unsere Berechnungen einbezogen werden. Doch obwohl die Theorie eines veränderlichen Gleichgewichts unter den Bedingungen einer Geldwirtschaft unbedingt weiterzuverfolgen ist, bleibt sie doch eine Wert- und Verteilungstheorie und keine eigenständige „Theorie des Geldes“. Die Eigenart des Geldes besteht vor allem darin, dass es eine raffinierte Methode ist, die Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden. Und ohne monetäre Größen wäre es gar nicht möglich, die Auswirkungen geänderter Erwartungen auf aktuelle Aktivitäten zu analysieren. Wir können uns vom Geld nicht befreien, selbst wenn wir Gold, Silber und die gesetzlichen Zahlungsmittel abschafften. Solange es irgendein langlebiges Gut gibt, kann es die Eigenschaften von Geld annehmen1 und damit die typischen Probleme einer Geldwirtschaft zur Folge haben.
1 Vgl.
Kap. 17.
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Buch V: Nominallöhne und Preise
II. Das spezifische Preisniveau in einer einzelnen Branche hängt teils von der Höhe der Entlohnung des Faktors Arbeit ab, die in die jeweiligen Grenzkosten einfließt, und teils vom Produktionsvolumen. Es besteht kein Grund zu einer Abänderung dieser Feststellung, wenn wir die Gesamtwirtschaft betrachten. Das allgemeine Preisniveau hängt teils von der Höhe der Entlohnung des Faktors Arbeit ab, die in die Grenzkosten einfließt, und teils vom Volumen der Gesamtproduktion, d. h. vom Beschäftigungsvolumen (wenn man Ausrüstungsgüter und Technik als gegeben nimmt). Es stimmt, dass in der Gesamtwirtschaft die Produktionskosten in den einzelnen Branchen teilweise vom Output anderer Branchen abhängig sind. Doch der wesentlichere Unterschied, den wir beachten müssen, ist der Effekt von Veränderungen der Nachfrage sowohl auf die Kosten als auch auf das Produktionsvolumen. Es ist unabdingbar, für die Nachfrageseite neue Ansätze zu entwickeln, wenn wir uns mit der Gesamtnachfrage beschäftigen statt mit der Nachfrage nach einem einzelnen Produkt für sich genommen, wobei die Gesamtnachfrage als unverändert gilt. III. Erlauben wir uns die vereinfachende Annahme, die Höhe der Vergütung der verschiedenen, in die Grenzkosten einfließenden Produktionsfaktoren verändere sich für alle im gleichen Verhältnis, d. h. im gleichen Verhältnis wie die Lohneinheit, so folgt daraus, dass das allgemeine Preisniveau (wenn man Ausrüstungsgüter und Technik als gegeben nimmt) teils von der Lohneinheit und teils vom Beschäftigungsvolumen abhängt. Daher lassen sich die Auswirkungen von Veränderungen der Geldmenge auf das Preisniveau als eine Mischung der Auswirkungen auf die Lohneinheit und der Auswirkungen auf die Beschäftigung begreifen. Zur Erläuterung der dahinterstehenden Überlegungen wollen wir unsere Annahmen noch weiter vereinfachen und annehmen, dass 1. alle unbeschäftigten Arbeitskräfte eine homogene Gruppe darstellen und in Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit zur Erzeugung des gewünschten Produkts untereinander austauschbar sind und 2. dass sich alle in die Grenzkosten eingehenden Beschäftigten mit einem unveränderten Nominallohn zufrieden geben, solange es einen Überschuss an unbeschäftigten Arbeitskräften gibt. In diesem Fall haben wir, sofern noch Menschen arbeitslos sind, konstante Erträge und eine starre Lohneinheit. Solange die Arbeitslosigkeit anhält, hat eine Geldmengenerhöhung mithin keinerlei Effekt auf die Preise, und die Beschäftigung steigt exakt proportional zur Zunahme der effektiven Nachfrage infolge der Geldmengenehrhöhung. Ist hingegen Vollbeschäftigung
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erreicht, werden von nun an Lohneinheit und Preise exakt proportional zur Zunahme der effektiven Nachfrage steigen. Wenn das Angebot vollkommen elastisch ist, solange noch Arbeitslosigkeit herrscht, und vollkommen unelastisch, sobald Vollbeschäftigung erreicht ist, und wenn sich darüber hinaus die effektive Nachfrage proportional zur Geldmenge ändert, dann lässt sich die Quantitätstheorie des Geldes folgendermaßen formulieren: „Solange Arbeitslosigkeit herrscht, verändert sich die Beschäftigung im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge. Und wenn Vollbeschäftigung erreicht ist, verändern sich die Preise im gleichen Verhältnis wie die Geldmenge.“ Nachdem wir der Tradition durch die Einführung hinreichend vieler vereinfachender Annahmen Genüge getan haben, um eine Quantitätstheorie des Geldes aufstellen zu können, sollten wir nun die möglichen Komplikationen in Betracht ziehen, die in der Realität den Gang der Ereignisse beeinflussen: 1. Die effektive Nachfrage ändert sich nicht im exakten Verhältnis zur Geldmenge. 2. Da die Arbeitnehmer keine homogene Gruppe darstellen, geht allmählich zunehmende Beschäftigung mit abnehmenden und nicht mit konstanten Erträgen einher. 3. Da die Beschäftigten nicht untereinander austauschbar sind, wird bei einigen Waren das Angebot bereits unelastisch, während für die Produktion anderer Waren noch unbeschäftigte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. 4. Die Lohneinheit tendiert dazu, schon vor dem Erreichen von Vollbeschäftigung zu steigen. 5. Die Vergütung der in die Grenzkosten eingehenden Beschäftigten verändern sich nicht alle im gleichen Ausmaß. Wir müssen uns also zunächst mit den Auswirkungen von Veränderungen der Geldmenge auf die Höhe der effektiven Nachfrage befassen. Die höhere effektive Nachfrage wiederum wird sich, allgemein gesprochen, teils in Form einer höheren Beschäftigung und teils in Form eines höheren Preis niveaus auswirken. Anstelle von konstanten Preisen bei Arbeitslosigkeit und proportional zur Geldmenge steigenden Preisen bei Vollbeschäftigung haben wir es in Wirklichkeit mit einer Situation zu tun, in der Preise mit zunehmender Beschäftigung allmählich ansteigen. Die Theorie der Preise – d. h. die Analyse des Verhältnisses zwischen Veränderungen der Geldmenge und des Preisniveaus mit dem Ziel, die Preiselastizität in Reaktion auf Veränderungen der Geldmenge zu bestimmen – muss deshalb diese fünf genannten erschwerenden Faktoren ins Visier nehmen. Wir werden sie uns der Reihe nach vornehmen. Aber dieses Vorgehen darf uns nicht zu der Annahme verleiten, sie seien im engeren Sinne unabhängig voneinander. So kann zum Beispiel das Verhältnis, in dem sich die
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Auswirkungen einer zunehmenden effektiven Nachfrage auf eine Produk tionssteigerung und eine Preiserhöhung aufteilen, Konsequenzen für den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Höhe der effektiven Nachfrage haben. Auch die unterschiedlichen Proportionen, in denen sich die Verdienste der diversen Produktionsfaktoren verändern, können das Verhältnis zwischen Geldmenge und Höhe der effektiven Nachfrage beeinflussen. Das Ziel unserer Analyse ist nicht, eine blind anzuwendende Maschine oder Methode zu liefern, die eine unfehlbare Antwort liefert, sondern uns eine Methode an die Hand zu geben, mit der wir bestimmte Probleme auf eine wohlorganisierte und ordentliche Weise durchdenken können. Sobald wir die komplizierenden Faktoren einen nach dem anderen abgearbeitet haben und so zu einem vorläufigen Ergebnis gelangt sind, müssen wir uns rückbesinnen und, so gut wir können, die wahrscheinlichen Wechselbeziehungen der Faktoren untereinander berücksichtigen. Das ist das Wesen ökonomischen Denkens. Alle anderen Arten, die formalen Prinzipien unseres Denkens (ohne die wir die Orientierung verlieren würden) praktisch anzuwenden, führen in die Irre. Es ist ein großer Fehler der formelhaften pseudomathematischen Methoden zur Formalisierung eines Systems ökonomischer Analyse, wie wir sie in Abschnitt VI dieses Kapitels darlegen, dass sie explizit von der strikten Unabhängigkeit aller betrachteten Faktoren ausgehen. Wird diese Annahme verworfen, ist es um ihre Stichhaltigkeit und Aussagekraft geschehen. In einem gewöhnlichen Diskurs hingegen, in dem wir nicht blindlings eine Methode abarbeiten, sondern die ganze Zeit wissen, was wir tun und was unsere Worte bedeuten, können wir die notwendigen Vorbehalte, Einschränkungen und Anpassungen, die wir noch vornehmen müssen, im Hinterkopf behalten – anders, als wir das mit über mehrere Seiten Algebra gehenden, komplizierten partiellen Ableitungen könnten, die voraussetzen, dass sie alle verschwinden. Bei einem allzu großen Teil der zeitgenössischen „mathematischen“ Volkswirtschaftslehre handelt es sich lediglich um Erfindungen, die so ungenau sind wie die Prämissen, auf denen sie beruhen, durch die die Autoren die Komplexität und die Interdependenzen der realen Welt in einem Wust von anmaßenden und nutzlosen Formeln aus den Augen verlieren. IV. Ad 1) Eine Veränderung der Geldmenge wirkt sich auf die Höhe der effektiven Nachfrage primär durch ihren Einfluss auf den Zinssatz aus. Wäre das die einzige Auswirkung, könnte der quantitative Effekt aus drei Elementen abgeleitet werden: a) der Kurve der Liquiditätspräferenz, die anzeigt, wie weit der Zinssatz fallen muss, damit das neue Geld bereitwillig gehalten wird, b) der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit, die angibt, um wie
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viel die Investitionen infolge einer Zinssenkung zunehmen werden, und c) dem Investitionsmultiplikator, der ausdrückt, wie stark die effektive Gesamtnachfrage infolge eines bestimmten Anstiegs der Investitionen zunimmt. Auch wenn diese Analyse nützlich ist, um Ordnung und Methode in unsere Untersuchung zu bringen, so ist sie doch von trügerischer Einfachheit, wenn wir darüber vergessen, dass die drei Elemente a, b und c ihrerseits teilweise von den erschwerenden Faktoren 2 bis 5 abhängen, die wir noch nicht in Betracht gezogen haben. Denn die Kurve der Liquiditätspräferenz hängt ihrerseits davon ab, wie viel des neuen Geldes für Einkommen und wirtschaftliche Transaktionen absorbiert wird, was wiederum davon abhängig ist, wie stark die effektive Nachfrage zunimmt und wie sich die Zunahme auf Preiserhöhungen, Lohnerhöhungen sowie das Produktions- und Beschäftigungsvolumen verteilt. Überdies hängt die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit zum Teil davon ab, wie sich die Begleitumstände des Geldmengenwachstums auf die Erwartungen über die monetäre Entwicklung auswirken. Und schließlich wird der Multiplikator von der Art beeinflusst, wie sich das aus der höheren effektiven Nachfrage resultierende zusätzliche Einkommen auf verschiedene Verbrauchergruppen verteilt. Und damit ist die Liste möglicher Wechselwirkungen noch lange nicht vollständig. Wenn uns alle Fakten vorliegen, haben wir gleichwohl genügend simultane Gleichungen, um ein eindeutiges Ergebnis zu erhalten. Es wird einen eindeutigen Betrag geben, um den die effektive Nachfrage zunimmt, der unter Berücksichtigung aller Umstände der Zunahme der Geldmenge entspricht und der mit ihr im Gleichgewicht ist. Und nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen wird eine Erhöhung der Geldmenge mit einem Rückgang der effektiven Nachfrage einhergehen. Das Verhältnis zwischen dem Umfang der effektiven Nachfrage und der Geldmenge steht in engem Zusammenhang mit dem, was häufig als „Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes“ bezeichnet wird – nur, dass die effektive Nachfrage dem erwarteten Einkommen entspricht, aufgrund dessen die Produktion in Gang gesetzt wird, und nicht dem tatsächlich erzielten Einkommen. Aber die „Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes“ ist nur ein Begriff, der für sich genommen noch nichts erklärt. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sie konstant bleibt. Sie hängt nämlich, wie der vorstehende Diskurs gezeigt hat, von vielen komplexen und veränderlichen Faktoren ab. Die Verwendung dieses Begriffs verschleiert meines Erachtens das wahre Wesen des Kausalzusammenhangs und führt nur zu Verwirrung. Ad 2) Wie oben gezeigt (S. 48 f.), beruht der Unterschied zwischen abnehmenden und konstanten Erträgen teilweise darauf, ob die Arbeiter streng nach Leistung entlohnt werden. Wenn ja, haben wir bei zunehmender Be-
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Buch V: Nominallöhne und Preise
schäftigung konstante Arbeitskosten (in Lohneinheiten gemessen). Wenn aber der Lohn einer bestimmten Kategorie von Arbeitern unabhängig von den Leistungen des Einzelnen einheitlich ist, werden die Arbeitskosten unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Sachkapitals steigen. Wenn zudem das Sachkapital nicht homogen ist, so dass ein Teil höhere variable Kosten pro Produkteinheit involviert, haben wir es mit steigenden Grenzkosten zu tun, die über den durch höhere Arbeitskosten bewirkten Anstieg hinausgehen. Aus diesem Grund steigt im Allgemeinen der Angebotspreis, wenn die Produktion bei gegebenem Sachkapital gesteigert wird. Eine Produk tionssteigerung ist also mit steigenden Preisen verbunden, abgesehen von etwaigen Veränderungen der Lohneinheit. Ad 3) Unter Punkt 2 haben wir die Möglichkeit einer unvollkommenen Elastizität des Angebots erwogen. Wenn die jeweiligen Anzahlen spezialisierter unbeschäftigter Arbeitskräfte perfekt ausgewogen sind, wird Vollbeschäftigung für alle gleichzeitig erreicht. Im Allgemeinen jedoch wird die Nachfrage nach einigen Dienstleistungen und Waren ein Niveau erreichen, über dem ihr Angebot einstweilen völlig unelastisch ist, während es zugleich anderswo noch einen beträchtlichen Überschuss an unbeschäftigten Arbeitskräften gibt. Bei einer Produktionsausweitung wird daher nach und nach eine Reihe von Engpässen erreicht. An diesem Punkt ist das Angebot bestimmter Waren nicht mehr elastisch, und ihre Preise müssen hoch genug steigen, um die Nachfrage in andere Bereiche umzuleiten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird das allgemeine Preisniveau mit wachsender Produktion nicht sehr stark ansteigen, solange ausreichend leistungsfähige unbeschäftigte Arbeitskräfte jedweder Art verfügbar sind. Sobald aber die Produktion stark genug gewachsen ist, um zu Engpässen zu kommen, ziehen wahrscheinlich die Preise bestimmter Waren stark an. Im hier betrachteten Fall ist, wie bereits unter Punkt 2, die Angebotselastizität jedoch teilweise abhängig von der verstrichenen Zeit. Wenn wir von einem ausreichend langen Zeitraum ausgehen, damit sich die Menge der Ausrüstungsgüter ändern kann, wird die Angebotselastizität schließlich deutlich größer sein. Eine mäßige Veränderung der effektiven Nachfrage in einer Situation mit hoher Arbeitslosigkeit wird sich kaum durch höhere Preise bemerkbar machen, sondern hauptsächlich durch höhere Beschäftigung. Eine stärkere Veränderung, die unvorhergesehen ist und daher zu zeitweiligen Engpässen führt, schlägt sich – zu Beginn mehr als im späteren Verlauf – in steigenden Preisen statt in höherer Beschäftigung nieder. Ad 4) Der tendenzielle Anstieg der Lohneinheit schon vor dem Erreichen von Vollbeschäftigung erfordert kaum eine Anmerkung oder Erklärung. Da für jede Gruppe von Arbeitern unter sonst gleichen Bedingungen eine Er-
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höhung der eigenen Löhne vorteilhaft ist, wird natürlich von allen Gruppen ein Druck in diese Richtung ausgehen, dem die Unternehmer eher nachzugeben bereit sind, wenn ihre Geschäfte gut laufen. Aus diesem Grund dürfte ein Teil jedes Zuwachses an effektiver Nachfrage durch die Tendenz zu höheren Löhnen absorbiert werden. Zu beachten ist daher nicht nur am Ende der kritische Moment der Vollbeschäftigung, an dem die Nominallöhne als Reaktion auf eine in Geld gemessen zunehmende Nachfrage vollständig proportional zur Preiserhöhung der Lohngüter steigen müssen. Darüber hinaus gab es zuvor schon eine Folge von semikritischen Punkten, an denen eine zunehmende effektive Nachfrage zu einem Anstieg der Nominallöhne führen kann, wenn auch nicht ganz proportional zum Preisanstieg der Lohngüter. Entsprechendes gilt für den Fall einer nachlassenden effektiven Nachfrage. In Wirklichkeit verändert die Lohneinheit nicht beständig ihren nominalen Wert als Reaktion auf jede kleine Veränderung der effektiven Nachfrage, sondern die Veränderung ist unstetig. Wo diese Unstetigkeitsstellen auftreten, wird durch die Psychologie der Arbeiter und die Politik der Arbeitgeber und Gewerkschaften bestimmt. Sie sind von erheblicher praktischer Bedeutung in einer offenen Volkswirtschaft, in dem sie seine Veränderung relativ zu den Lohnkosten im Ausland bedeuten, und in einem Konjunkturzyklus, in dem sie selbst in einer geschlossenen Volkswirtschaft Veränderungen relativ zu den erwarteten künftigen Lohnkosten darstellen. Diese Stellen, an denen ein weiterer Anstieg der nominalen effektiven Nachfrage einen sprunghaften Anstieg der Lohneinheit verursachen kann, könnten von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet für Momente der Semi-Inflation gehalten werden, da sie eine gewisse (wenn auch eine sehr unvollkommene) Analogie mit absoluter Inflation aufweisen (vgl. S. 252), welche die Folge eine Erhöhung der effektiven Nachfrage unter Bedingungen der Vollbeschäftigung ist. Sie sind zudem von einiger historischer Bedeutung. Allerdings eignen sie sich schlecht für theoretische Verallgemeinerungen. Ad 5) Unsere erste Vereinfachung bestand in der Annahme, dass sich die Entlohnung der verschiedenen in die Grenzkosten einfließenden Arbeitskräfte im gleichen Verhältnis verändern. Tatsächlich aber ist die Entlohnung verschiedener Produktionsfaktoren, in Geld gemessen, unterschiedlich starr. Auch ihre Angebotselastizität auf Änderungen der angebotenen Geldentlohnung hin kann sich unterscheiden. Wäre dem nicht so, könnten wir sagen, das Preisniveau sei aus zwei Faktoren zusammengesetzt, der Lohneinheit und dem Beschäftigungsniveau. Das vielleicht wichtigste Element der Grenzkosten, das sich in einem anderen Verhältnis verändern dürfte als die Lohneinheit und das zudem viel größere Schwankungsbreiten aufweist, sind die Grenznutzungskosten. Denn
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Buch V: Nominallöhne und Preise
diese können bei einer Verbesserung der Beschäftigungssituation stark ansteigen, wenn (wie dies wahrscheinlich der Fall sein wird) die zunehmende effektive Nachfrage für eine Änderung der vorherrschenden Erwartungen über den Zeitpunkt sorgt, an dem die Ausrüstungsgüter ersetzt werden müssen. Die Annahme, dass sich die Entlohnung aller in die Grenzkosten einfließenden Produktionsfaktoren proportional zur Lohneinheit verändert, dient zwar für viele Zwecke als nützliche erste Näherung. Doch ist es vielleicht sinnvoller, einen gewichteten Durchschnitt der Vergütung dieser Produktionsfaktoren zu nehmen, den man als Kosteneinheit bezeichnen kann. Diese Kosteneinheit – oder, entsprechend der obigen Näherung, die Lohneinheit – kann also als wesentlicher Wertstandard gelten. Das Preisniveau bei einem gegebenen Stand der Technik und Ausrüstung hängt teils von der Kosteneinheit und teils vom Produktionsvolumen ab. Es steigt bei zunehmender Produktion überproportional zur Kosteneinheit, gemäß dem Prinzip der in der kurzen Frist abnehmenden Erträge. Wir erreichen Vollbeschäftigung, wenn die Produktion auf ein Niveau gestiegen ist, auf dem der Grenzertrag eines typischen Beschäftigten auf den niedrigsten Betrag gefallen ist, zu dem noch eine für die Erzeugung dieses Outputs ausreichende Zahl von Arbeitskräften verfügbar ist. V. Wenn ein weiterer Zuwachs der effektiven Nachfrage nicht mehr zu einer höheren Produktion führt, sondern sich vollständig und im genauen Verhältnis zur Zunahme der effektiven Nachfrage in steigenden Kosteneinheiten niederschlägt, haben wir eine Situation erreicht, die zutreffend als Zustand wahrer Inflation beschrieben werden kann. Bis zu diesem Punkt ist die Wirkung einer Geldmengenexpansion nur eine Frage des Ausmaßes. Es gibt bis dahin keinen Punkt, an dem wir eine klare Linie ziehen und vom Beginn von Inflation sprechen können. Jede vorherige Zunahme der Geldmenge, soweit sich dadurch die effektive Nachfrage erhöht, dürfte sich teils in Form einer höheren Kosteneinheit und teils in Form einer höheren Produktion auswirken. Zwischen den beiden Seiten der Grenze, über der wahre Inflation einsetzt, scheint eine Art Asymmetrie zu bestehen. Denn durch einen Rückgang der effektiven Nachfrage unter diese Grenze verringert sich in Kosteneinheiten gemessen die Güterproduktion, während eine Zunahme der effektiven Nachfrage über diese Grenze hinaus im Allgemeinen nicht zu einer Erhöhung ihres in Kosteneinheiten gemessenen Umfangs führt. Dies folgt aus der Annahme, dass die Produktionsfaktoren, insbesondere die Arbeiter, dazu neigen, sich einer Senkung ihrer nominalen Entlohnung zu widersetzen, wohingegen es umgekehrt keine Veranlassung gibt, sich gegen eine Erhöhung zu wehren. Es handelt sich hierbei allerdings um eine gut belegbare
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Annahme, weil eine Veränderung, sofern sie nicht allumfassend ist, für die betroffenen Produktionsfaktoren günstig ist, wenn sie nach oben geht, und schädlich, wenn es sich um eine Abwärtsentwicklung handelt. Würden hingegen die Nominallöhne ins Bodenlose fallen, sobald es eine Tendenz zu weniger als Vollbeschäftigung gibt, würde die Asymmetrie in der Tat verschwinden. In diesem Fall aber gäbe es so lange keinen Ruhepunkt unterhalb von Vollbeschäftigung, bis entweder der Zinssatz nicht mehr weiter fallen könnte oder bis die Löhne auf null gesunken wären. Wir benötigen also tatsächlich irgendeinen Faktor, dessen Geldwert, wenn nicht fest, so doch zumindest halbwegs stabil ist, um in einem monetären System zu einer gewissen Wertbeständigkeit zu kommen. Die Auffassung, dass jede Zunahme der Geldmenge zu Inflation führt (sofern wir mit Inflation nicht bloß steigende Preise meinen), hängt mit der zugrunde liegenden Annahme der klassischen Theorie zusammen, wonach wir uns immer in einer Situation befinden, in der eine Senkung der realen Vergütung des Faktors Arbeit zu einer Verknappung von dessen Angebot führt. VI. Mithilfe der in Kapitel 20 entwickelten Gleichungen können wir, wenn wir wollen, den Kern des Vorstehenden in Formeln ausdrücken. Wir beginnen mit MV = D, wobei M die Geldmenge ist, V die Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes (deren Definition, wie oben erwähnt, in kleineren Details von der üblichen Definition abweicht) und D die effektive Nachfrage. Wenn nun V konstant ist, verändern sich die Preise æ Ddp ÷ö proportional zur Geldmenge, sofern e p çç= ÷ gleich eins ist. Diese Beè pdD÷ø dingung ist erfüllt (s. S. 239), wenn eo = 0 oder ew = 1. Die Bedingung ew = 1 bedeutet, dass die nominale Lohneinheit im gleichen Verhältnis wie die effektive Nachfrage steigt, weil ew = DdW . Die Bedingung eo = 0 wieWdD derum bedeutet, dass die Produktion auf eine weitere Zunahme der effektiven Nachfrage nicht mehr reagiert, weil eo = DdO . In beiden Fällen verOdD ändert sich die Produktion nicht. Als nächstes können wir uns den Fall einer nicht konstanten Umlaufgeschwindigkeit vornehmen, indem wir noch eine weitere Elastizität einführen, nämlich die Elastizität der effektiven Nachfrage in Reaktion auf Veränderungen der Geldmenge, ed = MdD . DdM
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Buch V: Nominallöhne und Preise
Dies ergibt
so dass
Mdp = e p · ed , wobei e p = 1 - ee · eo (1 - ew ), pdM e = ed - (1 - ew ) ed · ee · eo = ed (1 - ee · eo + ee · eo · ew ), æ Mdp ö
wobei das e ohne Suffix ççè pdM ÷÷÷ø die Spitze dieser Pyramide darstellt und die Reaktion der Geldpreise auf Veränderungen der Geldmenge misst. Da die letzte Gleichung die proportionale Preisveränderung infolge einer Veränderung der Geldmenge darstellt, kann sie als verallgemeinerte Darstellung der Quantitätstheorie des Geldes gelten. Ich selbst messe solcherlei Kunstgriffen keine allzu große Bedeutung bei und möchte hier noch einmal die Warnung wiederholen, dass sie auch nicht weniger stillschweigende Annahmen darüber beinhalten, welche Variablen als unabhängig vorausgesetzt werden (wobei partielle Ableitungen ohnehin durchweg ignoriert werden), als der übliche Diskurs. Dabei bezweifle ich, dass sie uns weiter bringen als ein solcher. Am ehesten erfüllen die Gleichungen womöglich noch den Zweck aufzuzeigen, wie außerordentlich komplex das Verhältnis von Preisen und Geldmenge ist, sobald man es in einer formalen Art darzustellen versucht. Jedoch sollten die vier Ausdrücke ed, ew, ee und eo, von denen der Effekt von Veränderungen der Geldmenge auf die Preise abhängt, durchaus Beachtung finden, denn ed steht für die Liquiditätsfaktoren, die die Nachfrage nach Geld in jeder Situation determinieren, ew für die Arbeitsfaktoren (genau genommen, die in die variablen Kosten einfließenden Faktoren), die bestimmen, wie weit die Nominallöhne bei zunehmender Beschäftigung steigen, und ee sowie eo für die physischen Faktoren, von denen abhängt, in welchem Maß die Erträge abnehmen, wenn mehr Beschäftigung mit gleichbleibendem Sachkapital eingesetzt wird. Wenn die Bevölkerung einen konstanten Anteil ihres Einkommens in Form von Geld hält, ist ed = 1. Wenn die Nominallöhne konstant sind, ist ew = 0. Wenn die Erträge durchgehend konstant sind, so dass der Grenzertrag gleich dem Durchschnittsertrag ist, ist ee eo = 1. Und wenn Vollbeschäftigung von Arbeitskräften oder Ausrüstungsgütern besteht, dann ist ee eo = 0. Nun ist e = 1, wenn ed = 1 und ew = 1; oder wenn ed = 1, ew = 0 und ee · eo = 0; oder wenn ed = 1 und eo = 0. Und offensichtlich gibt es eine ganze Reihe weiterer spezieller Fälle, in denen e = 1 ist. Aber im Allgemeinen ist e nicht gleich eins. Daher kann man wohl pauschalisierend festhalten, dass unter plausiblen Annahmen über die reale Welt und unter Ausschluss des Falls einer „Flucht aus der Währung“, in dem ed und ew sehr groß würden, e wohl in der Regel kleiner als eins ist.
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VII. Bislang haben wir uns hauptsächlich damit beschäftigt, in welcher Weise sich Veränderungen der Geldmenge in der kurzen Frist auf die Preise auswirken. Aber ist die Beziehung zwischen diesen beiden in der langen Frist nicht vielleicht einfacher? Dies ist weniger eine rein theoretische Frage als eine der historischen Generalisierung. Wenn die Liquiditätspräferenz in der langen Frist zu einer gewissen Konstanz neigt, kann es im Durchschnitt der von Pessimismus und Optimismus geprägten Phasen durchaus eine grobe Beziehung zwischen dem Nationaleinkommen und der für die Befriedigung der Liquiditätspräferenz nötigen Geldmenge geben. So kann zum Beispiel der Anteil des Nationaleinkommens recht stabil sein, über den hinaus Menschen nur ungern ungenutzte Geldbestände über längere Zeit halten, jedenfalls solange der Zinssatz über einem psychologisch definierten Minimum liegt. Ist die über den Bedarf für den aktiven Geldumlauf hinausgehende Geldmenge größer als jener Anteil des Nationaleinkommens, dann wird daher früher oder später der Zinssatz in die Nähe dieses Minimums fallen. Durch den rückläufigen Zinssatz steigt unter sonst gleichen Bedingungen die effektive Nachfrage. Diese wird dann einen oder mehrere der semikritischen Punkte erreichen, an denen die Lohneinheit zu sprunghaften Anstiegen neigt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Preise. Die umgekehrte Bewegung setzt ein, wenn die Menge des überschüssigen Geldes einen ungewöhnlich geringen Teil des Nationaleinkommens ausmacht. Der Nettoeffekt von Schwankungen über einen längeren Zeitraum hinweg ist also die Schaffung eines Durchschnittswerts entsprechend dem festen Verhältnis zwischen Nationaleinkommen und Geldmenge, zu dem die Psychologie der Bevölkerung früher oder später zurückzukehren tendiert. Diese Tendenzen funktionieren wahrscheinlich reibungsloser in Aufwärtsals in Abwärtsrichtung. Wenn aber die Geldmenge lange Zeit sehr unzureichend ist, besteht der Ausweg normalerweise in einem Wechsel des Geldstandards oder des Währungssystems und nicht in einer Senkung der Lohneinheit, wodurch die Schuldenlast steigen würde. Aus diesem Grund verlief die sehr langfristige Preisentwicklung fast immer aufwärts. Denn wenn Geld vergleichsweise reichlich ist, steigt die Lohneinheit; und ist das Geld relativ knapp, wird irgendein Mittel zur Erhöhung der effektiven Geldmenge gefunden. Während des 19. Jahrhunderts scheinen Bevölkerungswachstum, Erfindungen, Erschließung neuen Landes, Stand des Vertrauens und Häufigkeit von Kriegen im Durchschnitt z. B. jedes Jahrzehnts zusammen mit der gegebenen Konsumneigung eine ausreichende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals möglich gemacht zu haben, um ein einigermaßen zufriedenstellendes durch-
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Buch V: Nominallöhne und Preise
schnittliches Beschäftigungsniveau zu gewährleisten bei einem Zinssatz, der hoch genug war, um für die Vermögensbesitzer psychologisch akzeptabel zu sein. Es gibt Hinweise darauf, dass über einen Zeitraum von fast 150 Jahren der übliche langfristige Zinssatz in den führenden Finanzzentren bei rund 5 % lag und für erstklassige Wertpapiere zwischen 3 % und 3,5 %. Diese Zinssätze waren offenbar hinreichend niedrig, um für eine Investitionsrate zu sorgen, die mit einer passablen Durchschnittsbeschäftigung einherging. Mitunter wurde die Lohneinheit angepasst, häufiger aber der Geldstandard oder das Währungssystem (insbesondere durch die Entwicklung des Giralgelds), damit die in Lohneinheiten ausgedrückte Geldmenge ausreichte, um die normale Liquiditätspräferenz zu Zinssätzen zu decken, die selten weit unter den oben genannten Standardsätzen lagen. Die Lohneinheit tendierte im Großen und Ganzen wie üblich beständig aufwärts, aber ebenso nahm die Arbeitsproduktivität zu. Das Kräftegleichgewicht ermöglichte also eine beträchtliche Preisstabilität: Zwischen 1820 und l914 lag das höchste Fünfjahresmittel der Sauerbeckschen Indexzahl nur 50 % über dem niedrigsten. Das war kein Zufall. Es wurde vielmehr zu Recht einem Gleichgewicht der Kräfte in einem Zeitalter zugeschrieben, in dem einzelne Unternehmergruppen stark genug waren, um zu verhindern, dass die Lohneinheit viel schneller als die Produktivität stieg, und in dem Währungssysteme zugleich ausreichend flexibel und zurückhaltend genug waren, um ein in Lohneinheiten gemessenes durchschnittliches Geldangebot bereitzuhalten, das die Aufrechterhaltung des niedrigsten für die Vermögensbesitzer im Lichte ihrer Liquiditätspräferenz noch akzeptablen Zinssatzes ermöglichte. Das durchschnittliche Beschäftigungsniveau lag selbstverständlich deutlich unterhalb von Vollbeschäftigung, jedoch nicht so weit darunter, als dass revolutionäre Veränderungen die Folge gewesen wären. Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist heute und vermutlich auch künftig aus verschiedenen Gründen viel niedriger als im 19. Jahrhundert. Die Dringlichkeit und die Besonderheit unseres gegenwärtigen Problems ergibt sich also daraus, dass möglicherweise der durchschnittliche Zinssatz, der ein vernünftiges durchschnittliches Beschäftigungsniveau ermöglichen würde, für die Vermögensbesitzer so inakzeptabel ist, dass er sich nicht einfach durch eine Steuerung der Geldmenge herstellen lässt. Solange ein erträgliches Beschäftigungsniveau im Durchschnitt zweier oder dreier Jahrzehnte allein durch die Bereitstellung eines ausreichenden Geldangebots (in Lohneinheiten ausgedrückt) erreicht werden konnte, fand man selbst im 19. Jahrhundert eine Lösung. Wenn das jetzt unser einziges Problem wäre, wenn eine ausreichend kräftige Abwertung alles wäre, was wir brauchen, könnten wir auch heute eine Lösung finden. Aber das stabilste und am wenigsten leicht veränderliche Element unserer gegenwärtigen Wirtschaft ist bislang – und wird es womöglich auch künftig
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sein – der Mindestzinssatz, der für das Gros der Vermögensbesitzer annehmbar ist.2 Wenn es für ein erträgliches Beschäftigungsniveau eines deutlich unter den im 19. Jahrhundert vorherrschenden Durchschnittssätzen liegenden Zinssatzes bedarf, darf bezweifelt werden, ob sich dieser allein durch eine Steuerung der Geldmenge einstellen lässt. Von dem prozentualen Gewinn, denn der Darlehensnehmer angesichts der Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erwarten kann, muss Folgendes abgezogen werden: 1. die Kosten der Vermittlung von Darlehensnehmern und ‑gebern, 2. Einkommensteuer und Steuerzuschläge sowie 3. der Aufschlag, den der Darlehensgeber zur Abdeckung von Risiken und Unsicherheiten verlangt. Erst dann erhalten wir den verfügbaren Nettoertrag, mit dem der Vermögensbesitzer zur Aufgabe seiner Liquidität verleitet werden kann. Sollte dieser Nettoertrag in Zeiten erträglicher Durchschnittsbeschäftigung unendlich klein sein, könnten sich althergebrachte Methoden als nutzlos erweisen. Zurück zu unserem eigentlichen Thema: Die langfristige Beziehung zwischen dem Nationaleinkommen und der Geldmenge hängt von den Liquiditätspräferenzen ab. Und die langfristige Preisstabilität bzw. ‑instabilität ist davon abhängig, wie stark der Aufwärtstrend der Lohneinheit (oder genauer gesagt, der Kosteneinheit) relativ zur Wachstumsrate der Leistungsfähigkeit des Produktionssystems ist.
2 Vgl. dazu die von Bagehot zitierte Redensart aus dem 19. Jahrhundert: „John Bull kann vieles ertragen, aber was er nicht ertragen kann, sind zwei Prozent.“ (John Bull ist eine Personifikation Großbritanniens. A. d. Ü.)
BUCH VI
Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
Kapitel 22
Anmerkungen zum Konjunkturzyklus In den vorangegangenen Kapiteln hoffen wir gezeigt zu haben, wodurch sich das Beschäftigungsvolumen zu jeder Zeit bestimmt. Wenn wir damit Recht haben, folgt daraus, dass unsere Theorie imstande sein muss, die Phänomene des Konjunkturzyklus zu erklären. Wenn wir einen tatsächlichen Konjunkturzyklus im Detail untersuchen, wird er sich als so hochkomplex erweisen, dass jedes Element unserer Analyse zu seiner vollständigen Erklärung vonnöten ist. Es stellt sich insbesondere heraus, dass Schwankungen der Konsumneigung, der Liquiditätspräferenz und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals allesamt eine Rolle spielen. Ich meine jedoch, dass der wesentliche Charakter des Konjunkturzyklus – vor allem die Regelmäßigkeit der Zeitabfolge und Dauer, die es rechtfertigt, von einem Zyklus zu sprechen – auf der Art und Weise, wie die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals schwankt, beruht. Der Konjunkturzyklus lässt sich meiner Ansicht nach am ehesten als etwas begreifen, das durch zyklische Veränderungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ausgelöst, aber verkompliziert und oft auch verschärft wird durch damit einhergehende Veränderungen der anderen wichtigen kurzfristigen Variablen des Wirtschaftssystems. Die Ausarbeitung dieser These würde ein Buch und nicht nur ein Kapitel füllen und eine eingehendere Analyse der Tatsachen erfordern. Doch die folgenden kurzen Anmerkungen sollten genügen, um die Richtung der Untersuchung aufzuzeigen, die unsere vorstehende Theorie nahelegt. I. Unter einer zyklischen Bewegung verstehen wir Folgendes: Wenn das System sich z. B. aufwärts entwickelt, gewinnen die Kräfte, die die Entwicklung vorantreiben, zunächst an Stärke. Sie haben einen sich gegenseitig verstärkenden Einfluss aufeinander, aber allmählich verlieren sie ihre Dynamik, bis sie an einem bestimmten Punkt durch Kräfte mit entgegengesetzter Wirkung ersetzt werden. Nun gewinnen diese eine Zeitlang an Kraft und verstärken sich gegenseitig, bis auch sie ihre maximale Entfaltung erreicht haben, sich abschwächen und ihrem Gegenstück Platz machen. Unter zyklischer Bewegung verstehen wir indes nicht nur, dass sich einmal in Gang
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gekommene Aufwärts- oder Abwärtstrends nicht dauerhaft in die gleiche Richtung fortentwickeln, sondern sich irgendwann umkehren. Wir meinen damit auch, dass es ein erkennbares Maß an Regelmäßigkeit im Zeitablauf und in der Dauer der Auf- und Abwärtsbewegungen gibt. Was wir als Konjunkturzyklus bezeichnen verfügt jedoch noch über ein weiteres Merkmal, das unsere Erklärung abdecken muss, wenn sie Anspruch auf Vollständigkeit hat, nämlich das Phänomen der Krise: die Tatsache, dass der Wechsel von einer Aufwärts- zu einer Abwärtsbewegung oft plötzlich und heftig stattfindet, während in der Regel keine vergleichbar scharfe Wende stattfindet, wenn ein Abwärts- durch einen Aufwärtstrend ersetzt wird. Jegliche Schwankung der Investitionstätigkeit, die nicht durch eine entsprechende Veränderung der Konsumneigung ausgeglichen wird, hat natürlich Schwankungen der Beschäftigung zur Folge. Da das Investitionsvolumen hochkomplexen Einflüssen unterliegt, ist es daher äußerst unwahrscheinlich, dass alle Schwankungen der Investitionstätigkeit selbst oder aber der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals einen zyklischen Charakter aufweisen. Ein Sonderfall, der mit Schwankungen in der Agrarproduktion zusammenhängt, wird später in diesem Kapitel behandelt. Meines Erachtens gibt es jedoch eindeutige Gründe, warum im Fall eines typischen industriellen Konjunkturzyklus im 19. Jahrhundert die Schwankungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zyklische Merkmale aufwiesen. Diese Gründe sind weder an sich noch als Erklärungen für Konjunkturzyklen unvertraut. Mein einziges Anliegen an dieser Stelle ist es, eine Verbindung zwischen ihnen und der vorstehenden Theorie herzustellen. II. Was ich zu sagen habe, lässt sich am ehesten darstellen, indem man mit den späteren Phasen des Aufschwungs und dem Ausbruch der „Krise“ beginnt. Wie oben gezeigt, hängt die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals1 nicht nur von der Fülle oder Knappheit von Kapitalgütern und von deren laufenden Produktionskosten ab, sondern auch von aktuellen Erwartungen über die künftigen Erträge der Kapitalgüter. Im Fall langlebiger Güter ist es daher nur natürlich und vernünftig, dass die Zukunftserwartungen eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um die Bestimmung des als ratsam erscheinenden Volumens an Neuinvestitionen geht. Aber wie bereits gezeigt 1 Wo es im Kontext keine Missverständnisse geben kann, ist es oft einfacher, von der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ zu sprechen, wenn eigentlich die „Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“ gemeint ist.
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ist die Basis für dergleichen Erwartungen sehr unsicher. Da sie sich auf veränderliche und unzuverlässige Anhaltspunkte stützen, sind sie plötzlichen und heftigen Veränderungen unterworfen. Wir sind bei der Erklärung von „Krisen“ daran gewöhnt, den tendenziellen Anstieg des Zinssatzes unter dem Einfluss der steigenden Nachfrage nach Geld sowohl für Handel als auch für spekulative Zwecke hervorzuheben. Zuweilen mag dieser Faktor durchaus das Problem verschärfen und gelegentlich vielleicht auch den Anstoß geben. Aber ich meine, dass eine typischere und oft die wesentliche Erklärung für Krisen weniger ein Zinsanstieg als vielmehr ein plötzlicher Einbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist. Die späten Phasen des Aufschwungs sind durch optimistische Erwartungen über die künftigen Erträge von Kapitalgütern gekennzeichnet, die stark genug sind, um deren wachsende Menge und ihre steigende Produktionskosten sowie wohl auch einen Zinsanstieg zu kompensieren. Auf den organisierten Investmentmärkten agieren Käufer, die kaum etwas über das wissen, was sie da kaufen, und Spekulanten, die sich mehr mit Vorhersagen bevorstehender Stimmungswechsel auf dem Markt befassen als mit vernünftigen Prognosen über die künftigen Erträge von Kapitalanlagen. Wenn in solchen von Überoptimismus beherrschten und überkauften Märkten auf einmal Ernüchterung einkehrt, wird dies mit plötzlicher und sogar verheerender Wucht geschehen.2 Der Schreck und die Ungewissheit über die Zukunft, die den Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals begleiten, führen überdies natürlich zu einer massiven Zunahme der Liquiditätspräferenz – und damit zu einem Anstieg des Zinssatzes. Dass ein Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zumeist mit einem Zinsanstieg einhergeht, dürfte den Investitionsrückgang noch deutlich verschlimmern. Dessen ungeachtet ist der Kern des Problems der Sturz der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, ganz besonders bei den Kapitalanlagen, die am stärksten zur vorangegangenen Phase großer Neuinvestitionen beigetragen haben. Die Liquiditätspräferenz wächst – mit Ausnahme der Art, die mit zunehmendem Handel und verstärkter Spekulation verbunden ist – erst nach dem Einbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Aufgrund eben dieses Umstandes ist ein Konjunkturabschwung so schwer bekämpfen. Später werden rückläufige Zinsen den Aufschwung unterstützen; sie sind wahrscheinlich sogar eine notwendige Voraussetzung 2 Wie ich bereits in Kap. 12 gezeigt habe, sind private Financiers zwar selten für neue Investitionen direkt verantwortlich, aber die direkt verantwortlichen Unternehmer werden es jedoch finanziell vorteilhaft und oft unvermeidlich finden, den Überzeugungen des Marktes zu folgen, selbst wenn sie selbst besser informiert sind.
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dafür. Aber zunächst einmal ist der Einbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals oft so vollständig, dass die Zinsen gar nicht weit genug gesenkt werden können. Würde eine Zinssenkung für sich genommen schon als effektives Mittel wirken, wäre eine Erholung auch ohne erheblichen Zeitverlust und durch Maßnahmen möglich, die sich von der Währungsbehörde durchführen lassen. Üblicherweise ist dies jedoch nicht der Fall. Es ist nicht so leicht, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals neu zu beleben, wird diese doch durch die unkontrollierbare und unbotmäßige Psychologie der Geschäftswelt bestimmt. Es ist, im Klartext gesprochen, die Rückkehr des Vertrauens, die sich in einem Wirtschaftssystem des individualistischen Kapitalismus der Kontrolle entzieht. Bankiers und Geschäftsleute haben diesen Aspekt der Rezession zu Recht hervorgehoben, wohingegen Ökonomen, die ihren Glauben in ein „rein monetäres“ Gegenmittel setzen, ihn unterschätzen. Und damit komme ich zu meinem zentralen Punkt: Das Zeitelement eines Konjunkturzyklus, also die Tatsache, dass vor dem Beginn einer Erholung stets ein Zeitraum einer bestimmten Größenordnung vergeht, kann nur durch die Faktoren erklärt werden, von denen die Erholung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals abhängt. Die Lebensdauer langlebiger Kapitalanlagen relativ zur in einer gegebenen Epoche normalen Wachstumsrate zum einen und die Lagerhaltungskosten überschüssiger Vorräte zum anderen sind die Gründe dafür, warum die Dauer der Abwärtsbewegung keineswegs zufällig ist. Die Schwankungen dauern eben nicht, sagen wir, mal ein Jahr und mal zehn Jahre, sondern zeigen eine gewisse Regelmäßigkeit von, sagen wir, drei bis fünf Jahren. Kommen wir darauf zurück, was bei Ausbruch der Krise geschieht. Solange der Aufschwung anhielt, erzielte ein beträchtlicher Anteil der Neuinvestitionen nur einen unbefriedigenden laufenden Ertrag. Die Ernüchterung setzt ein, weil plötzlich Zweifel über die Zuverlässigkeit der Prognosen über zukünftige Erträge aufkommen – vielleicht, weil die laufenden Erträge angesichts zunehmender Bestände an neuen, langlebigen Gütern Anzeichen der Schwäche aufweisen. Wenn die aktuellen Produktionskosten für höher gehalten werden, als sie später sind, so stellt dies einen weiteren Grund für den Rückgang der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals dar. Sind Zweifel einmal aufgekommen, breiten sie sich schnell aus. So gibt es zu Beginn des Abschwungs große Mengen Kapital, dessen Grenzleistungsfähigkeit minimal oder sogar negativ geworden ist. Aber die Zeitspanne, die verstreichen muss, bis die durch Gebrauch, Verderben und Abnutzung entstehende Kapitalknappheit so offensichtlich wird, dass die Grenzleistungsfähigkeit wieder zunimmt, dürfte eine einigermaßen stabile Ableitung der durchschnittlichen Lebensdauer des Sachkapitals in einer gegebenen Epoche sein. Wandeln sich die typischen Kennzeichen der Epoche, verändert sich auch besagte
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Zeitspanne. Wenn wir zum Beispiel von einer Ära wachsender Bevölkerung zu einer mit Bevölkerungsrückgang wechseln, wird sich der Zyklus verlängern. Aber es ergibt sich aus dem Vorstehenden ein gewichtiger Grund, warum die Dauer eines Konjunkturabschwungs in einem bestimmten Verhältnis zur Lebensdauer langlebiger Vermögensgüter und zur normalen Wachstumsrate in einer gegebenen Epoche steht. Der zweite stabile Zeitfaktor ist auf die Lagerhaltungskosten zurückzuführen, die den Abbau überschüssiger Vorräte innerhalb eines weder allzu langen und noch allzu kurzen Zeitraums erfordern. Dass nach Ausbruch der Krise plötzlich alle Neuinvestitionen eingestellt werden, dürfte zu einer Anhäufung von Überschüssen unfertiger Waren führen, deren Lagerhaltungskosten kaum unter 10 % pro Jahr liegen. Deshalb muss ihr Preis ausreichend schnell fallen, um eine Produktionsdrosselung herbeizuführen, die für ihren Abbau innerhalb von höchstens drei bis fünf Jahren gewährleistet. Der Abbau der Vorräte stellt eine negative Investition dar, die ein weiteres Hindernis für die Beschäftigung ist. Ist er erst einmal abgeschlossen, wird sich die Lage fühlbar entspannen. Zudem stellt der Abbau von Betriebsmitteln, der zwangsläufig mit dem Produktionsrückgang in der Abwärtsphase einhergeht, ebenfalls eine Desinvestition dar, die sogar recht umfangreich sein kann. Hat die Rezession erst einmal begonnen, geht hiervon eine kumulative Wirkung in Abwärtsrichtung aus. Ganz zu Beginn einer typischen Rezession dürfte es noch Investitionen geben, mit denen Vorräte aufgebaut werden, wodurch der Rückgang der Betriebsmittel noch ausgeglichen wird. In der darauffolgenden Phase kann es während eines kurzen Zeitraums zu Desinvestitionen sowohl bei den Vorräten als auch beim Umlaufvermögen kommen. Ist der Tiefpunkt überschritten, finden wahrscheinlich weitere Desinvestitionen bei den Vorräten statt, die teilweise die Reinvestitionen ins Umlaufvermögen wettmachen. Und schließlich, wenn eine Erholung bereits auf gutem Wege ist, werden beide Faktoren positiv für die Investitionen sein. Die zusätzlichen und sich überlagernden Auswirkungen von Schwankungen der Investitionen in langlebige Güter müssen vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Wenn ein Rückgang solcher Investitionen eine zyklische Schwankung in Gang gesetzt hat, wird es kaum Impulse für Erholung dieser Investitionen geben, bis der Zyklus zumindest teilweise seinen Lauf genommen hat.3 Unglücklicherweise hat ein gravierender Rückgang der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auch negative Folgen für die Konsumneigung, da er mit einer starken Abnahme des Marktwerts von Börsenpapieren einhergeht. Nun hat dies einen äußerst bedrückenden Effekt auf die Bevölkerungs3 Ein
Teil meiner Erörterungen in Vom Gelde beziehen sich auf diese Fragen.
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schicht, die ein besonderes Interesse an ihren Börseninvestments hat, vor allem wenn sie sich dafür Mittel leiht. Die Bereitschaft dieser Menschen, Geld auszugeben, wird womöglich stärker durch das Auf und Ab des Werts ihrer Investments beeinflusst als durch ihre Einkommenshöhe. Bei einer „börsenorientierten“ Bevölkerung wie heutzutage in den Vereinigten Staaten, können steigende Börsenkurse eine nachgerade wesentliche Voraussetzung für eine ausreichend große Konsumneigung sein. Dieser bis vor kurzem übersehene Umstand trägt offensichtlich zu einer weiteren Verschlimmerung des negativen Effekts einer abnehmenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals bei. Ist der Aufschwung erst in Gang gekommen, ist klar, wie er sich aus sich selbst nährt und verstärkt. Doch während der Abwärtsphase – wenn zeitweilig sowohl Anlagevermögen als auch Warenvorräte im Überschuss vorhanden sind, während das Umlaufvermögen abgebaut wird – kann die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so stark fallen, dass eine ausreichende Zinssenkung, die eine befriedigende Höhe der Neuinvestitionen gewährleisten würde, nicht möglich ist. Angesichts der gegenwärtigen Organisation der Märkte und der auf sie wirkenden Einflüsse, können die Einschätzungen der Marktteilnehmer über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals so starken Schwankungen unterworfen sein, dass sie sich durch entsprechende Veränderungen des Zinssatzes nicht hinreichend ausgleichen lassen. Zudem dürften die damit einhergehenden Bewegungen auf den Wertpapiermärkten wie erwähnt die Konsumneigung belasten, gerade wenn sie am dringendsten gebraucht wird. Unter den Bedingungen des Laissez-faire kann es sich daher als unmöglich erweisen, große Schwankungen der Beschäftigung zu verhindern, ohne weitreichende Veränderungen der Psychologie der Investmentmärkte, die allerdings nicht zu erwarten sind. Daraus schließe ich, dass die Aufgabe, das laufende Investitionsvolumen zu regeln, nicht einfach der privaten Hand überlassen werden kann. III. Es mag den Anschein haben, dass diese Analyse in Einklang steht mit den Auffassungen derer, die glauben, dass Überinvestitionen kennzeichnend für einen Boom seien, dass die Verhinderung von Überinvestitionen das einzige Mittel gegen die folgende Rezession sei und dass, wenn schon diese aus den genannten Gründen nicht durch niedrige Zinsen vermieden werden können, so doch immerhin der Boom durch hohe Zinsen verhindert werden könne. Es liegt in der Tat eine gewisse Überzeugungskraft in dem Argument, ein hoher Zinssatz sei gegen einen Boom wirkungsvoller, als es ein niedriger Zinssatz gegen Konjunkturrückgang ist.
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Dies aus dem oben Dargelegten abzuleiten wäre jedoch eine Fehlinterpretation meiner Analyse und zöge gemäß meiner Überzeugung nach schwerwiegende Irrtümer nach sich. Der Begriff Überinvestitionen nämlich ist zweideutig. Er kann sich auf Investitionen beziehen, die die Erwartungen, auf Grund derer sie gemacht wurden, zwangsläufig enttäuschen oder für die in einer Situation massiver Arbeitslosigkeit keine Verwendung mehr besteht. Oder aber er bezeichnet einen Zustand, in dem jegliche Art von Kapitalgütern derart reichlich vorhanden ist, dass selbst bei Vollbeschäftigung keine Investition im Laufe ihrer Nutzungsdauer einen Ertrag erbringen dürfte, der ihren Wiederbeschaffungswert übersteigt. Nur beim letzteren Fall handelt es sich streng genommen um Überinvestitionen in dem Sinne, dass jede weitere Investition eine reine Ressourcenverschwendung wäre.4 Selbst wenn so verstandene Überinvestitionen kennzeichnend für Aufschwünge wären, bestünde die Lösung außerdem nicht aus Zinserhöhungen, durch die wohl einige nützliche Investitionen verhindert und die Konsumneigung weiter verringert würde. Stattdessen müssen drastische Maßnahmen ergriffen werden, etwa durch Einkommensumverteilung oder anderes, um die Konsumneigung anzuregen. Meiner Analyse zufolge sind für einen Boom jedoch nur Überinvestitionen in ersterem Sinne kennzeichnend. Die von mir als typisch bezeichnete Situation ist nicht die, in der Kapital so überreichlich ist, dass die Bevölkerung keine Verwendung für noch mehr hat. Typisch ist vielmehr, dass Investitionen unter Bedingungen getätigt werden, die instabil und nicht von Dauer sind, weil die ihnen zugrunde liegenden Erwartungen enttäuscht zu werden drohen. Es ist natürlich möglich und nicht einmal unwahrscheinlich, dass infolge der in Boomzeiten grassierenden Illusionen bestimmte Kapitalgüter in solch übermäßigen Mengen produziert werden, dass ein Teil der Produktion in jedem Fall ein Verschwendung von Ressourcen darstellt – was im Übrigen auch ohne Boom mitunter passiert. Es kommt also zu fehlgeleiteten Investitionen. Darüber hinaus ist es jedoch ein zentrales Merkmal von Booms, dass Investitionen, die bei Vollbeschäftigung tatsächlich vielleicht 2 % Ertrag bringen, in der Erwartung eines Ertrags von 6 % getätigt und entsprechend bewertet werden. Wenn die Desillusionierung einsetzt, tritt an die Stelle dieser Erwartung der umgekehrte „Irrtum des Pessimismus“. In der Folge wird Investitionen, die in tatsächlich bei Vollbeschäftigung 2 % abwerfen würden, ein Ertrag von weniger als gar nichts zugetraut. Der daraus 4 Unter bestimmten Annahmen über die zeitliche Verteilung der Konsumneigung könnte jedoch eine Investition, die einen negativen Ertrag erzielt, vorteilhaft sein in dem Sinne, dass sie für die Bevölkerung als Ganzes den Nutzen maximieren würde.
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resultierende Einbruch bei den Neuinvestitionen führt wiederum zu einer so hohen Arbeitslosigkeit, dass Investitionen, deren Ertrag unter Bedingungen der Vollbeschäftigung bei 2 % gelegen hätte, auch wirklich nichts mehr abwerfen. Wir geraten gleichsam in eine Situation, in der Häuser zwar knapp sind, in der es sich aber zugleich niemand leisten kann, in den vorhandenen Häusern zu wohnen. Bei einem Boom ist das Mittel der Wahl nicht ein höherer Zinssatz, sondern ein niedrigerer!5 Denn durch diesen kann der so genannte Boom andauern. Das richtige Mittel gegen Konjunkturschwankungen ist nicht, Booms abzuschaffen und dauerhaft in einem Zustand der Semi-Rezession zu verharren, sondern Konjunkturabschwünge abzuschaffen und uns dauerhaft in einem Quasi-Boom zu halten. Auslöser von Booms, die früher oder später in einen Abschwung münden, ist also die Kombination eines Zinssatzes, der bei einer realistischen Erwartungshaltung zu hoch für Vollbeschäftigung wäre, mit irrigen Erwartungen, die, solange sie anhalten, dafür sorgen, dass dieser Zinssatz de facto nicht als Abschreckung dient. Ein Boom ist eine Situation, in der übertriebener Optimismus über einen Zinssatz triumphiert, der nüchtern betrachtet exzessiv erscheinen würde. Dass wir in jüngerer Zeit, außer während des Krieges, die Erfahrung eines so starken Aufschwungs machten, dass er zu Vollbeschäftigung führte, bezweifle ich. In den Vereinigten Staaten war die Beschäftigungslage nach normalen Maßstäben 1928 / 29 sehr zufriedenstellend, aber ich konnte keine Anzeichen eines Arbeitskräftemangels erkennen, vielleicht mit Ausnahme bestimmter hochspezialisierter Arbeiter. An einigen Stellen mögen sich Engpässe ergeben haben, aber insgesamt wäre eine Produktionsausweitung noch möglich gewesen. Auch kam es nicht zu Überinvestitionen in dem Sinn, dass Qualität und Ausrüstung von Wohnungen so gut gewesen wären, um bei Vollbeschäftigung jeglichen Bedarf zu decken zu einem Preis, der während der Lebensdauer der Häuser nicht mehr als die Wiederbeschaffungskosten unter Abzug von Zinsen deckte; und auch nicht in dem Sinne, dass Transport, öffentliche Dienste und Strukturverbesserungen in der Landwirtschaft schon bis zu einem Punkt vorangetrieben worden wären, an dem weitere Verbesserungen nicht einmal mehr einen Ertrag in Höhe ihrer Wiederbeschaffungskosten erwarten ließen. Ganz im Gegenteil. Die Behauptung, es hätten 1929 in den Vereinigten Staaten Überinvesti tionen im engeren Sinne bestanden, wäre absurd. Die wirkliche Lage war 5 Siehe S. 272 für einige Argumente, die für die Gegenseite vorgebracht werden könnten. Denn solange bei unseren gegenwärtigen Methoden umfassende Veränderungen ausgeschlossen sind, würde ich zustimmen, dass eine Zinserhöhung während eines Booms unter den denkbaren Umständen das kleinere Übel sein kann.
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eine ganz andere. Die Neuinvestitionen waren in den vorangegangenen fünf Jahren insgesamt von solch gewaltigen Ausmaßen gewesen, dass die voraussichtlichen Erträge zusätzlicher Erweiterungen aus kühler Distanz betrachtet rapide zurückgingen. Korrekte Voraussicht hätte die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf einen nie dagewesenen Tiefstand gedrückt. Auf solider Grundlage hätte der „Boom“ somit nur mithilfe sehr niedriger langfristiger Zinsen andauern können sowie unter Vermeidung fehlgeleiteter Investitionen in die Bereiche, die ohnehin bereits überstrapaziert zu sein drohten. Tatsächlich war der Zinssatz damals schon hoch genug, um Neuinvestitionen zu verhindern, mit Ausnahme der Bereiche, in denen ein Spekulationsfieber grassierte und auf die sich daher alle zu stürzen drohten. Ein Zinssatz, der hoch genug gewesen wäre, um dem Spekulationsfieber Einhalt zu gebieten, hätte gleichzeitig auch jede Art von vernünftigen Investitionen blockiert. Eine Zinserhöhung als Mittel gegen den Zustand, der aus einer anhaltenden Phase außergewöhnlich hoher Neuinvestitionen resultiert, gehört zu der Sorte Medizin, die die Krankheit besiegt, indem sie den Patienten tötet. Vollbeschäftigung über einen Zeitraum von mehreren Jahren aufrechtzuerhalten würde in der Tat in wohlhabenden Ländern wie Großbritannien oder den Vereinigten Staaten möglicherweise Neuinvestitionen in einem so großen Umfang erfordern, dass bei gegebener Konsumneigung schließlich ein Zustand der Vollinvestition eintritt. Damit ist gemeint, dass man auf einer vernünftigen Berechnungsgrundlage nicht mehr davon ausgehen kann, dass der Gesamtbruttoertrag zusätzlich produzierter dauerhafter Güter gleich welcher Art über den Wiederherstellungskosten liegt. Diese Situation könnte zudem relativ schnell eintreten, innerhalb von vielleicht 25 Jahren oder weniger. Man kann mir nicht unterstellen, dass ich dies bestreiten würde, wenn ich behaupte, dass ein Zustand der Vollinvestition im engeren Sinne bislang nie, und sei es auch nur vorübergehend, eingetreten ist. Selbst wenn wir von der Annahme ausgingen, dass heutige Boomphasen zeitweilig zu einem Zustand der Voll- oder Überinvestition führten, wäre es außerdem immer noch absurd, höhere Zinsen für ein geeignetes Gegenmittel zu halten. Denn in diesem Fall wäre das Argument derer, die die Probleme der Unterkonsumtion zuschreiben, vollkommen bestätigt. Abhilfe ließe sich dann mit diversen Maßnahmen zur Hebung der Konsumneigung schaffen, etwa durch Einkommensumverteilung, so dass zur Aufrechterhaltung eines bestimmten Beschäftigungsniveaus ein geringeres Volumen an laufenden Investitionen nötig wäre.
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IV. Es dürfte an dieser Stelle sinnvoll sein, ein Wort über die bedeutenden Denkschulen zu verlieren, die unter verschiedenen Gesichtspunkten die Meinung vertreten, die tendenziell chronische Unterbeschäftigung moderner Gesellschaften sei auf Unterkonsumtion zurückzuführen, d. h. auf gesellschaftliche Praktiken und eine Reichtumsverteilung, die zu einer übertrieben niedrigen Konsumneigung führen. Gegenwärtig – oder zumindest galt das bis vor kurzem – wird das Investitionsvolumen weder geplant noch kontrolliert und ist stattdessen von den Launen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals abhängig, die durch die persönlichen Meinungen von uninformierten Individuen oder Spekulanten bestimmt wird, sowie von einem langfristigen Zinssatz, der selten oder nie unter das übliche Niveau fällt. Unter diesen Bedingungen sind diese Denkschulen unzweifelhaft im Recht, weil dann kein anderes Mittel zur Steigerung der Durchschnittsbeschäftigung auf ein befriedigenderes Niveau existiert. Wenn es aus technischen Gründen unmöglich ist, die Investitionen zu steigern, gibt es offensichtlich keine andere Methode, die Beschäftigung zu steigern, als eine Steigerung des Konsums. Praktisch besteht der Unterschied zwischen meinen Überlegungen und dieser Denkrichtung lediglich darin, dass ihre Anhänger zu großen Nachdruck auf die Steigerung des Konsums zu einem Zeitpunkt legen, zu dem noch ein hoher gesellschaftlicher Nutzen aus höheren Investitionen zu ziehen wäre. Theoretisch aber ist an dieser Ansicht die Missachtung der Tatsache kritikwürdig, dass es zwei Methoden zur Erhöhung der Produktion gibt. Selbst wenn wir beschließen würden, es sei besser die Kapitalausstattung langsamer zu mehren und alle Anstrengungen auf die Steigerung des Konsums zu richten, müssen wir doch diese Entscheidung bewusst und nach Abwägung aller Alternativen treffen. Ich selbst bin durchaus beeindruckt von den großen sozialen Vorteilen, die eine Erhöhung des Kapitalstocks hat, bis Kapital nicht mehr knapp ist. Aber dies ist eine praktische Erwägungen und kein theoretischer Imperativ. Ich würde überdies jederzeit einräumen, dass es am klügsten wäre, an beiden Fronten gleichzeitig vorzurücken. Während ich in Hinblick auf eine fortschreitende Abnahme der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals eine gesellschaftlich gesteuerte Höhe der Investitionen anstreben würde, befürworte ich zugleich auch alle möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Konsumneigung. Denn unabhängig davon, was wir hinsichtlich der Investitionen unternehmen, ist die Aufrechterhaltung von Vollbeschäftigung unwahrscheinlich angesichts der bestehenden Konsumneigung. Daher gibt es Spielraum für die Kombination beider Maßnahmen, Investitionsförderung und
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zugleich Konsumförderung, und zwar nicht nur bis zu dem Niveau, das bei gegebener Konsumneigung mit den höheren Investitionen verträglich wäre, sondern auf ein noch höheres Niveau. Nehmen wir zur Veranschaulichung einmal runde Zahlen: Nehmen wir an, das durchschnittliche Produktionsvolumen liege aktuell um 15 % unter dem, was bei dauerhafter Vollbeschäftigung möglich wäre, und 10 % des Outputs flössen in Nettoinvestitionen und 90 % in Konsum. Nehmen wir weiter an, die Nettoinvestitionen müssten um 50 % zunehmen, um angesichts der bestehenden Konsumneigung Vollbeschäftigung zu erreichen, so dass bei Vollbeschäftigung die Produktion von 100 auf 115 stiege, der Konsum von 90 auf 100 und das Nettoinvestitionsvolumen von 10 auf 15. Dann könnten wir womöglich auch die Konsumneigung so zu fördern versuchen, dass bei Vollbeschäftigung der Konsum von 90 auf 103 und die Nettoinvestitionen von 10 auf 12 steigen. V. Eine weitere Denkschule sieht die Lösung für die Konjunkturschwankungen nicht in der Steigerung von Konsum oder Investitionen, sondern in der Verringerung des Beschäftigung suchenden Angebots an Arbeitskräften, d. h. in der Umverteilung des vorhandenen Beschäftigungsvolumens, ohne dabei Beschäftigung oder Produktion zu erhöhen. Dies aber scheint mir eine vorschnelle Maßnahme zu sein – viel eindeutiger als der Plan, den Konsum zu steigern. Es kommt ein Punkt, an dem jeder Einzelne die Vorteile von mehr Freizeit gegen ein höheres Einkommen abwägt. Aber derzeit gibt es meines Erachtens deutliche Hinweise darauf, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Einkommen mehr Freizeit vorziehen würde. Und ich kann keinen Grund erkennen, warum man diejenigen, die ein höheres Einkommen bevorzugen würden, zu mehr Freizeit zwingen sollte. VI. Die Existenz einer Denkschule, die die Lösung für Konjunkturschwankungen schon gleich zu Beginn des Aufschwungs in dessen Beschränkung mittels höherer Zinsen sieht, wirkt ungewöhnlich. Das einzige Argument, um diese Politik gerechtfertigt erscheinen zu lassen, wurde von D. H. Robertson vorgebracht. Ihm zufolge ist Vollbeschäftigung ein de facto unerreichbares Ideal. Man kann demnach allenfalls auf ein Beschäftigungsniveau hoffen, das konstanter als derzeit und im Schnitt vielleicht ein wenig höher ist.
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Wenn wir größere Änderungen von politischen Eingriffen in Bezug auf die Steuerung von Investitionen oder auf die Konsumneigung ausschließen und ganz allgemein von einer Fortsetzung der bestehenden Verhältnisse ausgehen, ist es meiner Meinung nach fraglich, ob sich eine vorteilhaftere Erwartungshaltung entwickelt durch eine Geldpolitik, die jeden beginnenden Aufschwung durch so hohe Zinsen, dass selbst unverbesserliche Optimisten abgeschreckt werden, bereits im Keim erstickt. Enttäuschte Erwartungen, wie sie für Konjunkturabschwünge typisch sind, bedeuten oft so hohe Verluste und so viel Vergeudung, dass der durchschnittliche Umfang sinnvoller Investitionen möglicherweise höher wäre, wenn ein Abschreckungsmittel zum Einsatz kommt. Es ist schwer zu sagen, ob diese Ansicht unter den ihr zugrunde liegenden Annahmen korrekt ist oder nicht. Wo detaillierte Anhaltspunkte fehlen, ist dies eine Frage praktischen Ermessens. Möglicherweise übersieht sie die sozialen Vorteile, die sich aus einem höheren Konsum ergeben, welcher sogar mit solchen Investitionen einhergeht, die sich als völlig fehlgeleitet erweisen. Selbst solche Investitionen können nützlicher sein als gar keine Investitionen. Ohnehin kann auch die aufgeklärteste Geldpolitik in Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit einem Boom wie 1929 in Amerika konfrontiert ist und keine anderen Waffen zur Verfügung hat als die, über die das Federal Reserve System damals verfügte. Keine in ihrer Macht stehenden Alternativen dürfte dann viel am Ergebnis ändern. Wie auch immer, derartige Ansichten scheinen mir gefährlich und unnötig defätistisch zu sein. Ihre Vertreter empfehlen zumindest, zu viele der Fehler unseres bestehenden Wirtschaftssystems dauerhaft hinzunehmen. Der strenge Standpunkt, jedes Mal umgehend durch einen höheren Zinssatz gegen einen spürbaren Anstieg des Beschäftigungsniveaus über das Niveau etwa des vorangegangenen Jahrzehnts vorzugehen, stützt sich jedoch zumeist auf Argumente, die auf bloßen Trugschlüssen basieren. Er entspringt teilweise dem Glauben, dass während eines Aufschwungs die Investitionen tendenziell die Ersparnisse übersteigen und dass ein höherer Zinssatz das Gleichgewicht wiederherstellt, indem er einerseits die Investitionen bremst und andererseits einen Anreiz zum Sparen liefert. Dies impliziert, dass Ersparnisse und Investitionen ungleich sein können, und ist somit bedeutungslos, solange diese Begriffe nicht in einem besonderen Sinn definiert sind. Mitunter wird auch angedeutet, die höheren Ersparnisse, die die höheren Investitionen begleiten, seien weder wünschenswert noch gerecht, weil sie mit einem Preisanstieg einhergehen. Wäre dem aber so, müsste jede Veränderung des bestehenden Produktions- und Beschäftigungsniveaus nach oben missbilligt werden. Denn der Preisanstieg ist im Wesentlichen nicht durch eine Zunahme der Investitionen bedingt. Er ist vielmehr auf die Tatsache zurückzuführen, dass auf kurze Sicht mit zunehmender Produktion üblicherweise auch der Angebotspreis zunimmt, entwe-
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der infolge des Gesetzes des abnehmenden Ertrags oder aufgrund des tendenziellen Anstiegs der in Geld ausgedrückten Kosteneinheit, wenn es zu einem Produktionsanstieg kommt. Unter Bedingungen, zu denen der An gebotspreis konstant bleibt, käme es selbstverständlich nicht zu einem Preisanstieg. Und dennoch würden höhere Ersparnisse mit den höheren Investitionen einhergehen. Verantwortlich für die zunehmenden Ersparnisse ist die wachsende Produktion. Der Preisanstieg ist lediglich ein Nebenprodukt des Produktionswachstums. Er stellt sich auch dann ein, wenn es gar keine höheren Ersparnisse gibt, sondern stattdessen eine höhere Konsumneigung. Niemand hat einen Anspruch darauf, Waren zu Preisen erwerben zu können, die nur deswegen niedrig sind, weil die Produktion auf einem niedrigen Niveau ist. Einer anderen Sichtweise zufolge schleicht sich das Übel ein, wenn die höheren Investitionen das Ergebnis einer Zinssenkung sind, die durch eine Erhöhung der Geldmenge zustande kam. Dabei liegt im ursprünglichen Zinssatz kein besonderer Wert, und das neue Geld wird auch niemandem „aufgezwungen“. Es wird nur zur Befriedigung der zunehmenden Liquiditätspräferenz geschaffen, die mit dem niedrigeren Zinssatz oder dem höheren Transaktionsvolumen einhergeht. Und es wird von Personen gehalten, die es vorziehen, Geld zu halten, statt es zum niedrigeren Zinssatz zu verleihen. Eine weitere Erklärung wiederum lautet, ein Boom sei durch „Kapitalaufzehrung“ gekennzeichnet, womit vermutlich negative Investitionen gemeint sind, d. h. durch eine exzessive Konsumneigung. Womöglich wurden hier die Erscheinungen des Konjunkturzyklus mit denen einer Kapitalflucht verwechselt, wie es sie während der Währungskrisen im Europa der Nachkriegszeit gab. Denn ansonsten deuten alle Anhaltspunkte auf das Gegenteil hin. Aber selbst wenn die Behauptung korrekt wäre, wäre eine Zinssenkung immer noch ein vernünftigeres Mittel zur Bekämpfung eines Zustands der Unterinvestition als eine Erhöhung des Zinssatzes. Diese Denkschulen ergeben für mich allesamt keinen Sinn, außer vielleicht, dass sie stillschweigend voraussetzen, die Gesamtproduktion lasse sich nicht ändern. Aber eine Theorie, die von einem konstanten Output ausgeht, ist für die Erklärung des Konjunkturzyklus eindeutig nicht sonderlich brauchbar. VII. In früheren Untersuchungen der Konjunkturzyklen, namentlich von Jevons, wurden diese durch landwirtschaftliche Schwankungen infolge des Wechsels der Jahreszeiten erklärt statt durch Entwicklungen in der Industrie. Im Lichte der eben darstellten Theorie erscheint dies als äußerst plausibler Ansatz. Denn auch heute noch gehören Fluktuationen bei den Vorräten an Agrarprodukten, etwa von einem Jahr zum nächsten, zu den größten Einzel-
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posten unter den diversen Faktoren, die Veränderungen der aktuellen Investitionsquote bewirken. Zu der Zeit, zu der Jevons seine Beobachtungen aufschrieb – und mehr noch im Zeitraum, auf den sich seine statistischen Daten größtenteils bezogen – dürfte diese Faktor alle anderen bei weitem überwogen haben. Jevons Theorie, wonach der Konjunkturzyklus vor allem auf schwankende Ernteerträge zurückzuführen ist, lässt sich wie folgt wiedergeben: Wird eine besonders große Ernte eingebracht, wird üblicherweise auch deutlich mehr für die kommenden Jahre eingelagert. Die Erlöse aus diesen zusätz lichen Lagerbeständen fließen den Bauern als zusätzliches Einkommen zu und werden von diesen auch wie Einkommen behandelt. Die erhöhte Vorratsbildung verringert aber nicht die Ausgaben, die andere Teile der Bevölkerung aus ihren Einnahmen tätigen, sondern wird aus Ersparnissen finanziert. Das bedeutet, die Aufstockung der Lagerbestände stellt eine Erhöhung der laufenden Investitionen dar. Dieses Ergebnis behält auch dann seine Gültigkeit, wenn die Preise stark fallen. Umgekehrt werden nach einer schlechten Ernte die Lagerbestände für den laufenden Konsum in Anspruch genommen, so dass der entsprechende Teil der Ausgaben der Verbraucher für die Bauern kein laufendes Einkommen schafft. Das heißt, was immer aus den Lagern entnommen wird, bedingt eine entsprechende Verminderung der laufenden Investitionen. Geht man von konstanten Investitionen in anderen Bereichen aus, so können sich bei den Gesamtinvestitionen große Differenzen ergeben zwischen einem Jahr, in dem eine beträchtliche Vorratsaufstockung erfolgt, und einem Jahr, in dem es zu einem erheblichen Bestandsabbau kommt. In einer Gesellschaft, in der die Landwirtschaft der größte Wirtschaftssektor ist, wird dieser Effekt verglichen mit anderen Ursachen von Schwankungen des Investitionsvolumens überwältigend sein. Es ist daher nur natürlich, dass der untere Wendepunkt von reichlichen Ernten gekennzeichnet ist und der obere Wendepunkt von Missernten. Die weitergehende Theorie, wonach es naturgesetzliche Gründe für regelmäßige Zyklen guter und schlechter Ernten gebe, ist selbstverständlich eine andere Frage, mit der wir uns hier nicht zu befassen brauchen. Neuerdings wird auch die Theorie vertreten, Missernten und nicht etwa reichliche Ernten seien gut fürs Geschäft, weil schlechte Ernten entweder bei der Bevölkerung die Bereitschaft wecken, für eine niedrigere reale Entlohnung zu arbeiten, oder weil man annimmt, die resultierende Kaufkraftumverteilung sei günstig für den Konsum. Natürlich habe ich dergleichen Theorien nicht im Sinn, wenn ich Wechselfälle bei den Ernten als eine Erklärung für den Konjunkturzyklus darstelle. Die landwirtschaftlichen Ursachen für Schwankungen sind jedoch in der heutigen Welt aus zwei Gründen längst nicht mehr so wichtig: Erstens
Kap. 22: Anmerkungen zum Konjunkturzyklus275
macht die Agrarproduktion einen viel geringeren Anteil der Gesamtproduktion aus. Und zweitens führt die Entstehung eines Weltmarkts für die meisten Agrarprodukte, der aus beiden Welthalbkugeln seine Waren bezieht, zur Bildung eines Durchschnitts guter und schlechter Jahre, da die prozentualen Mengenschwankungen der gesamten Welternte weit geringer sind als die prozentualen Schwankungen bei den Ernten in einzelnen Ländern. Aber in früheren Zeiten, als ein Land größtenteils von seiner eigenen Ernte abhängig war, kann man sich neben Kriegen kaum eine andere bedeutendere Ursache für Investitionsschwankungen vorstellen als die Veränderungen bei der Agrarvorratshaltung. Selbst heute sollte man noch der Rolle Aufmerksamkeit schenken, die Bestandsveränderungen von landwirtschaftlichen wie auch mineralischen Rohstoffen bei der Bestimmung der Höhe der laufenden Investitionen spielen. Ich würde das langsame Tempo der Erholung von einem Abschwung, nachdem der Tiefpunkt bereits durchschritten wurde, vor allem auf die deflationäre Wirkung des Abbaus überschüssiger Vorräte auf ein normales Niveau zurückführen. Zunächst bremst die steigende Lagerhaltung, zu der es nach dem Ende des Aufschwungs kommt, den Wirtschaftseinbruch, aber wir müssen später für diese Entlastung bezahlen in Form einer Verlangsamung der anschließenden Erholung. Mitunter muss tatsächlich der Abbau der Lagerbestände praktisch abgeschlossen sein, bevor eine spürbare Erholung eintritt. Denn auch Investitionen in anderen Bereichen, die einen Aufwärtstrend in Gang setzen könnten, wenn sie nicht gerade durch einen Vorratsabbau konterkariert werden, dürften sich als unzureichend erweisen, solange solche Desinvestitionen an anderer Stelle noch anhalten. Die frühen Phasen des amerikanischen „New Deal“ bieten meiner Meinung nach ein bezeichnendes Beispiel dafür. Zu Beginn von Präsident Roosevelts gewaltigem kreditfinanzierten Ausgabenprogramm befanden sich alle möglichen Vorräte – insbesondere die an Agrarprodukten – auf einem sehr hohen Niveau. Der „New Deal“ bestand zum Teil aus dem energischen Versuch, diese Vorräte abzubauen, unter anderem durch die Drosselung der laufenden Produktion. Der Abbau der Lagerbestände auf ein normales Niveau war ein notwendiger Prozess – eine Phase, die ausgehalten werden musste. Doch in den rund zwei Jahren, die sie andauerte, wog sie in erheblichem Umfang das in anderen Bereichen angelaufene Ausgabenprogramm auf. Erst nach ihrem Ende war der Weg frei für eine anhaltende Erholung. Die amerikanischen Erfahrungen der letzten Zeit liefern auch gute Beispiele für den Anteil, den schwankende Bestände fertiger und unfertiger Güter (Warenvorräte [inventories], wie man sie inzwischen oft nennt) daran haben, kleinere Abweichungen von der generellen Bewegung des Konjunkturzyklus zu verursachen. Wenn Hersteller ihren Produktionsapparat in Gang
276 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
setzen, um damit den in einigem Monaten erwarteten Bedarf abzudecken, dürften ihnen dabei kleinere Fehlkalkulationen unterlaufen; meist liegen ihre Schätzungen ein wenig über den tatsächlichen Werten. Wenn sie ihren Fehler bemerken, müssen sie ihre Produktion für kurze Zeit auf ein Niveau unterhalb des aktuellen Verbrauchs drosseln, damit die überschüssigen Warenbestände aufgebraucht werden. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Phase der Überproduktion und der anschließenden Drosselung üben einen hinreichend starke Wirkung auf die Höhe der laufenden Investitionen aus, dass sie sich erkennbar in den sehr vollständigen Statistiken niederschlagen, die heutzutage in den Vereinigten Staaten verfügbar sind.
Kapitel 23
Anmerkungen zu Merkantilismus, Wuchergesetzen, Freigeld und Unterkonsumtionstheorien I. Über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren hegten weder Wirtschaftstheoretiker noch Praktiker irgendeinen Zweifel daran, dass eine positive Handelsbilanz von besonderem Vorteil für ein Land sei und eine negative Bilanz äußerst gefährlich, insbesondere wenn diese zu einem Abfluss von Edelmetallen führt. In den vergangenen 100 Jahren aber kam es zu erstaunlichen Meinungsverschiedenheiten darüber. In den meisten Ländern ist jedoch die Mehrheit der Personen aus Politik und Praxis der alten Doktrin treu geblieben – und sogar noch rund die Hälfte in Großbritannien, wo die gegenteilige Auffassung ihren Ursprung hat. Demgegenüber sind fast alle Wirtschaftstheoretiker der Überzeugung, diesbezügliche Befürchtungen seien vollkommen grundlos, außer auf extrem kurze Sicht, denn die Mechanik des Außenhandels sei selbstregulierend. Alle Versuche, in diesen Mechanismus einzugreifen, seien nicht nur vergeblich, sondern ließen auch jene Nationen verarmen, die diese Politik verfolgen, weil sie dadurch der Vorteile der internationalen Arbeitsteilung verlustig gingen. Es dürfte sinnvoll sein, der Tradition gemäß die ältere Auffassung als Merkantilismus zu bezeichnen und die jüngere als Freihandel, obgleich diese Begriffe im Kontext gesehen werden müssen, weil sie jeweils in einem weiteren und einem engeren Sinne interpretiert werden können. Moderne Ökonomen vertreten im Allgemeinen die Ansicht, dass normalerweise die Gewinne aus der internationalen Arbeitsteilung unter dem Strich nicht nur größer seien als die Vorteile, die die merkantilistische Praxis billigerweise für sich reklamieren kann, sondern dass zudem die merkantilistische Argumentation von Anfang bis Ende auf Trugschlüssen basiere. So hatte Marshall1, auch wenn er den Merkantilismus durchaus mit einem gewissen Wohlwollen erwähnt, kein Verständnis für dessen zentrale Theorie. 1 s. seine Schriften Industry and Trade, Anhang D, Money, Credit and Commerce, S. 130, sowie Principles of Economics, Anhang I.
278 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
Er erwähnt nicht einmal die Punkte, die einen wahren Kern enthalten und die ich unten näher untersuchen will.2 Ebenso wenig geht es bei den theoretischen Zugeständnissen, die Freihandelsökonomen in zeitgenössischen Auseinandersetzung zu machen bereit waren, etwa in Hinblick auf die Förderung junger Industriezweige oder die Verbesserung der Terms of Trade3, um den wahren Kern der merkantilistischen Lehre. Ich kann mich nicht erinnern, dass Wirtschaftswissenschaftler während des Schutzzollstreits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts die Behauptung, durch Protektionismus erhöhe sich die inländische Beschäftigung, auch nur im Geringsten als gerechtfertigt sahen. Am besten zitiere ich als Beispiel meine eigenen Schriften. Noch 1923 schrieb ich als treuer Schüler der klassischen Schule, der damals keinesfalls anzweifelte, was man ihn gelehrt hatte, und in dieser Angelegenheit keinerlei Vorbehalte hatte: „Wenn es etwas gibt, das Protektionismus nicht erreichen kann, dann ist es die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit … Für Protektionismus sprechen gewisse Argumente, auf die es keine einfache Erwiderung gibt, denen zufolge er mögliche, wenngleich unwahrscheinliche Vorteile zu sichern vermag. Aber die Behauptung, er könne die Arbeitslosigkeit bekämpfen, beruht auf den Trugschlüssen der Protektionisten in ihrer plumpsten und simpelsten Form.“4 Was die ältere merkantilistische Theorie anbelangt, so war gar keine verständliche Darstellung verfügbar, und wir wurden im Glauben erzogen, dass sie nicht viel mehr als Unsinn war. So absolut überwältigend und umfassend beherrschte die klassische Schule die Debatte. II. Ich möchte zunächst einmal in meinen eigenen Worten umreißen, was mir als der wahre wissenschaftliche Kern der merkantilistischen Doktrin erscheint. Dies werden wir anschließend mit den tatsächlichen Argumenten der Merkantilisten vergleichen. Es sollte klar sein, dass die hier geltend gemachten Vorteile zugegebenermaßen nationale Vorteile sind, von denen kaum die ganze Welt profitieren dürfte. 2 Seine Meinung dazu ist in einer Fußnote in der ersten Auflage seiner Principles, S. 51, gut zusammengefasst: „Viele Untersuchungen wurden in England und in Deutschland den mittelalterlichen Ansichten über die Beziehung des Geldes zum nationalen Wohlstand gewidmet. Diese müssen insgesamt eher als verworren infolge des fehlenden klaren Verständnisses der Funktion des Geldes gesehen werden denn als falsch infolge der bewussten Unterstellung, dass die Zunahme des Nettovermögens einer Nation nur durch Zunahme ihres Edelmetallvorrats möglich sei.“ 3 s. Fußnote S. 219. 4 The Nation and the Athenaeum, 24. November 1923.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus279
Wenn der Reichtum eines Landes relativ schnell anwächst, bricht unter den Bedingungen des Laissez-faire die Fortsetzung dieses glücklichen Zustands aufgrund unzureichender Anreize für Neuinvestitionen allzu leicht ab. Angesichts eines bestimmten sozialen und politischen Umfelds und der nationalen Besonderheiten, die die Konsumbereitschaft bestimmen, hängt die positive Entwicklung eines fortschrittlichen Staates aus den oben bereits erläuterten Gründen davon ab, dass solche Anreize ausreichend vorhanden sind. Sie ergeben sich sowohl aus Inlands- als auch Auslandsinvestitionen (in letztem Fall inklusive der Akkumulation von Edelmetallen), die zusammen die Gesamtinvestitionen ausmachen. Hängt das Gesamtinvestitions volumen allein vom Gewinnmotiv ab, werden die inländischen Investitionsgelegenheiten langfristig von den inländischen Zinsen bestimmt und die Auslandsinvestitionen zwingend von der Höhe des Handelsbilanzüberschusses. In einer Gesellschaft, in der Investitionen unter unmittelbarer Kontrolle der öffentlichen Hand nicht in Betracht kommen, sind somit die wirtschaftspolitischen Fragen, denen sich die Regierung vernünftigerweise widmen sollte, der inländische Zinssatz und die Außenhandelsbilanz. Wenn nun die Lohneinheit einigermaßen konstant ist und nicht plötzlich zu erheblichen Veränderungen neigt (eine Voraussetzung, die fast immer erfüllt ist), wenn die Liquiditätspräferenz abgesehen von kurzfristigen Schwankungen einigermaßen beständig ist und auch die Banken zu gleichbleibenden Bedingungen Darlehen vergeben, bestimmt sich der Zinssatz tendenziell durch die zur Befriedigung des Liquiditätswunschs der Bevölkerung verfügbare Menge an Edelmetallen (in Lohneinheiten gemessen). In einem Zeitalter, in dem umfangreiche Auslandsdarlehen und der direkte Besitz von Vermögen im Ausland kaum möglich waren, hing die Zu- und Abnahme von Edelmetallbeständen hauptsächlich davon ab, ob die Handelsbilanz positiv oder negativ war. Dass sich der Staat so sehr um eine positive Handelsbilanz bemühte, diente also in der Tat beiden Zwecken – und es war ohnehin das einzig verfügbare Mittel zu ihrer Förderung. Zu einer Zeit, zu der die staatlichen Stellen keinen direkten Einfluss auf den inländischen Zinssatz oder sonstige Anreize für inländische Investitionen hatten, standen ihnen Maßnahmen zur Verbesserung der Handelsbilanz als einziges direktes Instrument zur Verfügung, um Auslandsinvestitionen zu fördern, und gleichzeitig war der Zufluss an Edelmetall infolge einer positiven Handelsbilanz ihr einziges indirektes Instrument, um die inländischen Zinsen zu senken und dadurch die Anreize für Investitionen im Inland zu erhöhen. Allerdings dürfen bei dieser Politik zwei begrenzende Faktoren nicht übersehen werden. Wenn bei einem sehr niedrigen inländischen Zinsniveau das Investitionsvolumen so weit angeregt wird, dass die Beschäftigung den kriti-
280 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
schen Punkt übersteigt, an dem die Lohneinheit zu steigen beginnt, dann wird sich dieser Anstieg des inländischen Kostenniveaus früher oder später negativ auf die Außenhandelsbilanz auswirken. In diesem Fall sind die Bemühungen zur Verbesserung der Handelsbilanz über ihr Ziel hinausgeschossen und verfehlen ihren Zweck. Wenn wiederum die inländischen Zinsen relativ zum Zinsniveau in anderen Ländern sehr niedrig sind und einen Anreiz zur Ver gabe von Auslandsdarlehen in einem Umfang geben, der in einem Missverhältnis zum Handelsbilanzüberschuss steht, dann kann sich ein so hoher Abfluss von Edelmetallen ergeben, dass die zuvor erzielten Vorteile zunichtegemacht werden. Bei großen Ländern, die international eine wichtige Rolle spielen, besteht ein erhöhtes Risiko, dass der eine oder der andere begrenzende Faktor eintritt. Wird aus den Minen aktuell relativ wenig Edelmetall gewonnen, ist der Geldzufluss in ein Land nämlich gleichbedeutend mit dem Abfluss aus einem anderen, und folglich werden die negativen Auswirkungen der zunehmenden Kosten und rückläufigen Zinsen im Inland womöglich (wenn die merkantilistische Politik zu weit getrieben wird) durch sinkende Kosten und steigende Zinsen im Ausland verschlimmert. Die spanische Wirtschaftsgeschichte des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts stellt das Beispiel eines Landes dar, dessen Außenhandel durch die Auswirkungen des enormen Überflusses an Edelmetallen auf die Lohneinheit kollabierte. Großbritannien hat in der Vorkriegszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Beispiel für ein Land abgegeben, in dem die übermäßigen Gelegenheiten zur Darlehensvergabe ins Ausland und zum Erwerb ausländischer Immobilien einem Rückgang des inländischen Zinssatzes im Weg stand, der zum Erreichen von Vollbeschäftigung im Inland nötig gewesen wäre. Die Geschichte Indiens wiederum hat zu jeder Zeit das Beispiel eines Landes dargestellt, das durch eine derart leidenschaftlich verfolgte Liquiditätspräferenz verarmte, dass nicht einmal ein gewaltiger und dauerhafter Zufluss von Edelmetallen ausreichte, um den Zinssatz auf ein mit dem Wachstum des realen Reichtums kompatibles Niveau zu senken. Haben wir es indes mit einer Gesellschaft mit halbwegs stabiler Lohneinheit zu tun, mit nationalen Besonderheiten, die die Konsumbereitschaft und die Liquiditätspräferenz festlegen, und mit einem Währungssystem, in dem die Geldmenge fest an die Edelmetallreserven gebunden ist, so ist es für den Erhalt des Wohlstands entscheidend, dass der Staat sein besonderes Augenmerk auf die Handelsbilanz richtet. Denn eine positive Handelsbilanz vermag, sofern der Überschuss nicht zu groß ist, die Konjunktur kräftig anzuregen, während ein Handelsbilanzdefizit schnell in einem Zustand anhaltender Depression münden kann. Daraus folgt allerdings nicht, dass maximale Importbeschränkungen für einen maximalen Handelsbilanzüberschuss sorgen. Die frühen Merkantilis-
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus281
ten haben darauf mit großem Nachdruck hingewiesen. Sie haben sich häufig gegen Handelsbeschränkungen gestellt, weil sich diese langfristig negativ auf die Handelsbilanz auszuwirken drohen. Es lässt sich in der Tat die Ansicht vertreten, dass unter den besonderen Voraussetzungen in Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhunderts Freihandel die Politik war, die einer positiven Handelsbilanz am zuträglichsten war. Aktuelle Erfahrungen mit Handelsbeschränkungen im Nachkriegseuropa belegen auf vielfache Weise, wie schlecht durchdachte Einschränkungen des Freihandels zur Verbesserung der Handelsbilanz in Wirklichkeit oft den gegenteiligen Effekt hatten. Aus diesen und anderen Gründen sollte der Leser keine voreiligen Schlüsse über die praktische Politik ziehen, die sich aus unserer Darstellung ergibt. Starke Argumente allgemeiner Art sprechen gegen Handelsbeschränkungen, sofern sie nicht aus ganz konkreten Gründen gerechtfertigt sind. Die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sind real und beträchtlich, auch wenn die klassische Schule sie stark überbetont hat. Aus der Tatsache, dass ein Vorteil, den unser eigenes Land aus einer positiven Handelsbilanz zieht, mit einem entsprechenden Nachteil für ein anderes Land verbunden sein dürfte (ein Aspekt, dessen sich die Merkantilisten vollkommen bewusst waren), lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Es ist nicht nur eine starke Mäßigung vonnöten, so dass sich ein Land jeweils nur einen angemessenen und vernünftigen Teil der gesamten Edelmetallbestände verschafft. Eine maßlose Handelspolitik führt überdies auch zu einem sinnlosen internationalen Wettbewerb um Handelsbilanzüberschüsse, der letztlich allen gleichermaßen schadet.5 Und schließlich ist eine Politik der Handelsbeschränkungen ein trügerisches Mittel, selbst wenn es darum geht, ihre vordergründigen Ziele zu erreichen, denn Privatinteressen, behördliche Inkompetenz und die spezifischen Schwierigkeiten bei der Durchführung können dazu führen, dass genau das Gegenteil des angestrebten Ziels erreicht wird. Meine Kritik zielt vor allem auf die Unzulänglichkeit der theoretischen Grundlagen der Laissez-faire-Doktrin, mit der ich groß geworden bin und die ich selbst jahrelang lehrte. Sie richtet sich gegen die Vorstellung, der Zinssatz und das Investitionsvolumen würden sich selbst automatisch auf dem optimalen Niveau einpendeln, so dass jede Beschäftigung mit der Handelsbilanz bloße Zeitverschwendung wäre. Wir, die Zunft der Ökonomen, haben den anmaßenden Irrtum begangen, das, was jahrhundertelang ein wesentliches Element praktischer Staatskunst war, als kindische Obsession abzutun. 5 Die Methode, die Lohneinheit flexibel zu halten, so dass Rezessionen durch Lohnkürzungen bekämpft werden können, ist aus dem gleichen Grund nichts anderes als ein Instrument, uns auf Kosten unserer Nachbarn einen Vorteil zu verschaffen.
282 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
Unter dem Einfluss dieser fehlerhaften Theorie hat das Londoner Finanzzentrum allmählich die gefährlichste Technik zur Erhaltung des Gleichgewichts entwickelt, die man sich vorstellen kann, nämlich eine Diskontsatzpolitik gepaart mit einer starren Wechselkursparität. Denn dies bedeutet, dass das Ziel eines mit Vollbeschäftigung vereinbaren inländischen Zinssatzes vollkommen unerreichbar wurde. Da es in der Praxis unmöglich ist, die Zahlungsbilanz zu ignorieren, wurde ein Mittel zu ihrer Steuerung entwickelt, das den inländischen Zinssatz nicht absichert, sondern dem Wirken blinder Kräfte überlässt. In letzter Zeit haben Londoner Bankiers allerdings viel dazugelernt, und man darf hoffen, dass die Diskontsatzpolitik in Großbritannien nie mehr zum Schutz der Außenhandelsbilanz genutzt wird, wenn es dadurch unter den bestehenden Bedingungen zu hoher Arbeitslosigkeit im Inland zu kommen droht. Als Theorie des einzelnen Unternehmens und der Verteilung der Produkte, die mit einer bestimmten Ressourcenmenge erzeugt werden, hat die klassische Theorie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu den Wirtschaftswissenschaften geleistet. Ohne sie ist es nicht möglich, einen klaren Gedanken über diese Probleme zu fassen. Ich möchte dies keineswegs in Frage stellen, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass ihre Anhänger vieles von dem nicht beachtet haben, was ihren Vorgängern wichtig war. Als ein Beitrag zu einer Politik, die sich mit dem gesamten Wirtschaftssystem und mit dem optimalen Einsatz der gesamten im System vorhandenen Ressourcen befasst, haben die Methoden der wirtschaftswissenschaftlichen Pioniere des 16. und 17. Jahrhunderts schließlich konkrete, wenn auch oft nur fragmentarische, Einsichten geschaffen, die durch die unrealistischen Abstraktion Ricardos erst in Vergessenheit gerieten und anschließend aus den Wirtschaftswissenschaften getilgt wurden. Doch es lag einige Weisheit darin, dass sie sich so sehr um die Bekämpfung hoher Zinsen sorgten, sei es mithilfe von Wuchergesetzen (worauf wir in diesem Kapitel noch zurückkommen werden), einer konstanten inländischen Geldmenge oder dem Bemühen, einen Anstieg der Lohneinheit zu verhindern. Und als Ultima Ratio waren sie stets bereit, den Geldbestand durch Abwertung wiederherzustellen, wenn er infolge von Abflüssen ins Ausland, eines Anstiegs der Lohneinheit6 oder aus anderen Gründen offensichtlich unzulänglich geworden war.
6 Wenigstens seit dem Zeitalter von Solon und, wenn wir entsprechende Statistiken hätten, wahrscheinlich während vieler Jahrhunderte davor, besagt die Erfahrung genau das, was man bei guter Kenntnis der menschlichen Natur auch erwarten würde, nämlich dass die Lohneinheit tendenziell über lange Zeitabschnitte hinweg steigt und nur inmitten des Niedergangs und der Auflösung einer Volkswirtschaft zurückgeht. Von technischem Fortschritt und zunehmender Bevölkerung ganz abgesehen, hat sich daher ein stetig zunehmender Geldbestand als unbedingt notwendig erwiesen.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus283
III. Die Pioniere des ökonomischen Denkens sind wahrscheinlich auf ihre klugen praktischen Einsichten ohne genauere Kenntnis der theoretischen Hintergründe gestoßen. Wir sollten daher kurz auf die von ihnen genannten Gründe und ihre konkreten Empfehlungen eingehen. Vereinfacht wird dies durch Heckschers großes Werk Der Merkantilismus, durch das die wichtigsten Aspekte des ökonomischen Denkens über einen Zeitraum von 200 Jahren erstmals einer wirtschaftlich interessierten Leserschaft zugänglich gemacht wurden. Die folgenden Zitate stammen größtenteils aus diesem Buch.7 1. Die Merkantilisten gingen bei ihren Annahmen nie von einer Tendenz zur Selbstregulierung aus, durch die der Zinssatz sich auf dem passenden Niveau einpendeln würde. Im Gegenteil, sie betonten stets, dass übermäßig hohe Zinsen das größte Hindernis für eine Zunahme des Wohlstands darstellten. Sie waren sich sogar darüber bewusst, dass der Zinssatz von der Liquiditätspräferenz und der Geldmenge abhängig ist. Sie beschäftigten sich mit der Abnahme der Liquiditätspräferenz und der Steigerung der Geldmenge, und einige von ihnen stellten klar, dass ihre ständige Beschäftigung mit einer Zunahme der Geldmenge auf ihren Wunsch nach niedrigen Zinsen zurückzuführen war. Heckscher fasst diesen Aspekt ihrer Theorie wie folgt zusammen: Der Standpunkt der weitsichtigeren Merkantilisten war in dieser Hinsicht – wie auch in vielen anderen – innerhalb gewisser Grenzen vollkommen klar. Für sie war Geld, um es mit modernen Worten zu sagen, ein Produktionsfaktor genau wie Land, der mitunter als „künstlicher“ Reichtum im Unterschied zum „natürlichem“ Reichtum angesehen wurde; der Kapitalzins war demnach die Zahlung für das Anmieten von Geld, ähnlich wie der Pachtzins für Land. Die Merkantilisten waren im Laufe der Zeit immer stärker auf der Suche nach objektiven Gründen für die spezifische Höhe des Zinssatzes und machten schließlich als Hauptgrund die Gesamtgeldmenge aus. Anhand des reichlich vorhandenen Materials werden hier nur die typischsten Beispiele ausgewählt, um damit vor allem zu zeigen, wie langlebig diese Vorstellung war, wie tiefverwurzelt und dabei unabhängig von allen praktischen Erwägungen. Beide Protagonisten der Auseinandersetzung über Geldpolitik und den Ostindienhandel im England der frühen 1620er-Jahre waren sich in diesem Punkt vollkommen einig. Gerard Malynes lieferte detaillierte Begründungen für seine These, dass „eine reichliche Menge Geldes den Preis- oder Zinswucher verringert“ (Lex 7 Sie sind umso mehr für meinen Zweck geeignet, als Heckscher im Großen und Ganzen selbst ein Anhänger der klassischen Theorie ist und den merkantilistischen Theorien viel weniger zugeneigt ist, als ich es bin. Es besteht somit keine Gefahr, dass seine Darstellungsweise in irgendeiner Form voreingenommen ist durch den Versuch, ihre tiefere Weisheit zu belegen.
284 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen Mercatoria sowie Maintenance of Free Trade, 1622). Sein harter und ziemlich skrupelloser Widersacher, Edward Misselden, antwortete, dass „das Mittel gegen Wucher eine reichliche Menge Geldes sein kann“ (Free Trade or the Meanes to make Trade Florish, gleiches Jahr). Ein halbes Jahrhundert später war einer der führenden Autoren Child, der allgewaltige Leiter der East India Company und ihr geschicktester Vertreter, der 1668 die Frage erörterte, inwieweit der von ihm nachdrücklich geforderte gesetzlich festgelegte Höchstzinssatz dazu führen würde, „das Geld“ der Holländer aus England abzuziehen. Er fand ein Mittel gegen diesen befürchteten Schaden, das aus der erleichterten Übertragung von Schuldscheinen bestand, sofern diese als Währung benutzt wurden. Denn, wie er erklärte, „dies wird gewiss den Fehlbetrag an verfügbarem Geld im Land um die Hälfte auffüllen“. Der andere Autor, Petty, der von diese Interessenkollision völlig unberührt war, war sich mit allen anderen einig, als er den „natürlichen“ Rückgang des Zinssatzes von 10 % auf 6 % mit einer Zunahme der Geldmenge erklärte (Political Arithmetick, 1676). Er empfahl den Geldverleih gegen Zinsen als geeignetes Gegenmittel, wenn ein Land zu viel „Münzgeld“ habe (Quantulumcunque concerning Money, 1682). Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Diskurs keineswegs auf England beschränkt war. So beklagten sich einige Jahre später (1701 und 1706) französische Händler und Politiker über die aktuelle Knappheit an Münzgeld (disette des espèces), die sie als Grund für die hohen Zinsen ausmachten. Sie bemühten sich, den Wucherzins durch eine Erhöhung des Geldumlaufs zu senken.8
Der große Locke war womöglich der erste, der in seinem Disput mit Petty die Beziehung zwischen Zinssatz und Geldmenge abstrakt auf den Punkt brachte.9 Er lehnte Pettys Vorschlag eines Höchstzinssatzes mit der Begründung ab, dies sei genauso undurchführbar wie eine Pachtobergrenze für Land, denn „da das Geld durch den Zins ein solches jährliches Einkommen erbringt, ist der natürliche Wert des Geldes abhängig von der gesamten zum entsprechenden Zeitpunkt im Königreich umlaufenden Menge Geldes im Verhältnis zum gesamten Handel im Königreich (d. h. dem allgemeinen Absatz aller Waren)“.10 Locke zufolge hat Geld zwei Arten von Wert: 1. den Gebrauchswert, der durch den Zinssatz bestimmt wird, „und in dieser Hinsicht gleicht sein Wesen dem des Landes, wobei das Einkommen aus dem einen Pacht und aus dem anderen Nutzungsentgelt (use11) genannt wird“, und 2. den Tauschwert, „und in dieser Hinsicht hat es das Wesen einer Ware“, insofern als sein Tauschwert „allein von Überfluss oder Knappheit des Geldes im Verhältnis zu Überfluss oder Knappheit dieser Dinge abhängt und nicht vom erwarteten Zinssatz“. Locke war also der Schöpfer einer gekürzte Auszüge aus Heckscher, Mercantilism, Band II, S. 200 f. Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest and Raising the Value of Money, 1692 (aber einige Jahre zuvor niedergeschrieben). 10 Er fügt hinzu: „nicht nur von der Menge des Geldes, sondern auch von der Geschwindigkeit seines Umlaufs“. 11 Wobei „use“ ist nichts anders als der altenglische Ausdruck für Zins ist. 8 Leicht 9 Some
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus285
doppelten Quantitätstheorie. Zum einen war er der Auffassung, der Zinssatz hänge vom Verhältnis der Geldmenge (unter Berücksichtigung der Umlaufgeschwindigkeit) zum gesamten Wert des Handels ab. Zum anderen meinte er, der Tauschwert des Geldes hänge vom Verhältnis der Geldmenge zur Menge aller Güter auf dem Markt ab. Da er mit einem Fuß noch in der merkantilistischen, mit dem anderen aber in der klassischen Welt stand12, war er verwirrt über die Beziehung dieser zwei Relationen, und die Möglichkeit von Schwankungen der Liquiditätspräferenz übersah er vollständig. Es war ihm jedoch sehr daran gelegen zu erklären, dass eine Senkung des Zinssatzes keine direkten Auswirkungen auf das Preisniveau habe und sich lediglich insofern auf Preise auswirke, „als im Handel eine Zinsänderung zur Einfuhr oder Ausfuhr von Geld oder Waren führt, wodurch sich das Verhältnis zwischen den beiden hier in England mit der Zeit gegenüber dem vorherigen Verhältnis verändert“, d. h. wenn eine Zinssenkung zur Ausfuhr von Geld oder einer Erhöhung der Produktion führt. Aber meines Wissens gelangte er nie zu einer echten Synthese.13 Wie einfach die merkantilistische Denkweise zwischen Zinssatz und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals unterschied, belegt eine (1621 in Druck erschienene) Textstelle, die Locke aus A letter to a friend concerning usury14 zitiert: „Hohe Zinsen schädigen den Handel. Der aus Zinsen zu ziehende Vorteil ist größer als der Gewinn aus Handel, weshalb reiche Kaufleute ihr Geschäft aufgeben und ihr Kapital verzinslich anlegen, während kleine12 Hume stand dann ein wenig später mit anderthalb Füßen in der klassischen Welt. Denn Hume begann damit, wie es unter Ökonomen üblich wurde, die Bedeutung der Gleichgewichtslage hervorzuheben im Gegensatz zur beständigen Veränderungen unterliegenden Entwicklung zu einem Gleichgewicht hin. Dabei war er noch Merkantilist genug, um nicht zu übersehen, dass es der Übergang ist, in dem sich unser wirkliches Dasein abspielt: „Nur in diesem Zeitraum oder Zwischenzustand, zwischen dem Erwerb des Geldes und einer Erhöhung der Preise, ist die wachsende Menge an Gold und Silber günstig für die Wirtschaft … Es spielt in Bezug auf das Wohlergehen eines Staates im Inland keine Rolle, ob Geld in größerer oder kleinerer Menge vorhanden ist. Eine gute Regierungspolitik besteht darin, dafür zu sorgen, es möglichst zu vermehren; denn dadurch hält sie einen Geist der Betriebsamkeit in der Nation wach und erhöht den Stand der Beschäftigung, aus denen allein echte Kraft und Reichtum bestehen. Eine Nation, deren Geldbestand abnimmt, ist zu diesem Zeitpunkt tatsächlich schwächer und elender als eine andere Nation, deren Geldbestand nicht größer ist, sich aber im Anstieg befindet“ (Essay on Money, 1752). 13 Wie vollständig die merkantilistischen Sichtweise, wonach mit Zins wirklich Geldzins gemeint ist (eine Auffassung, die mir inzwischen als unzweifelhaft richtig erscheint), verschwunden ist, wird dadurch illustriert, dass Heckscher als guter klassischer Ökonom seine Darstellung von Lockes Theorie mit dem Kommentar zusammenfasst: „Lockes Argument wäre unabweisbar, … wenn der Zins tatsächlich gleichbedeutend mit dem Preis für das Leihen von Geld wäre; da dies nicht der Fall ist, ist sie vollständig irrelevant“ (Heckscher, op. cit. Band II, S. 204). 14 „Brief an einen Freund über den Wucher“ von Thomas Culpeper. (A. d. Ü.)
286 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
re Kaufleute Pleite machen.“ Fortrey liefert (in England’s Interest and Improvement, 1663) ein weiteres Beispiel für die Betonung niedriger Zinsen als Mittel zur Mehrung des Wohlstands. Die Merkantilisten übersahen keineswegs die Tatsache, dass die Vorteile von Zinsen verloren gingen, wenn der Zufluss von Edelmetallen infolge einer übermäßigen Liquiditätspräferenz in die Schatztruhen umgeleitet würde. Das Ziel, dem Staat mehr Macht zu geben, veranlasste manche von ihnen (so etwa Mun) dennoch, die Anhäufung eines Staatsschatzes zu propagieren. Andere hingegen lehnten diese Politik offen ab: Schrötter etwa bemühte die üblichen merkantilistischen Argumente, indem er in schillernden Farben ausmalte, wie der Wirtschaftskreislauf durch einen stark anwachsenden Staatsschatz all seines Geldes beraubt würde … Er zog auch eine vollkommen logische Parallele zwischen dem Anhäufen von Schätzen durch die Klöster und dem Ausfuhrüberschuss der Edelmetalle, was in der Tat das Schlimmste war, das er sich vorstellen konnte. Davenant erklärte die extreme Armut vieler Länder des Ostens – von denen man doch annahm, dass sie mehr Gold und Silber besäßen als alle anderen Länder der Welt – durch die Tatsache, dass man die Reichtümer „in den Schatztruhen der Fürsten versauern lässt“ … Wenn schon staatliches Horten als bestenfalls zweifelhafter Segen und oft als große Gefahr betrachtet wurde, braucht man kaum zu erwähnen, dass privates Horten wie die Pest zu meiden war. Dies war einer der Trends, gegen den unzählige merkantilistische Autoren wetterten, und ich glaube nicht, dass sich auch nur eine einzige abweichende Stimme finden lässt.15
2. Die Merkantilisten erkannten das Problem niedriger Preise und die Gefahr, dass sich durch übermäßigen Wettbewerb die Terms of Trade eines Landes zum Schlechten wenden können. So schrieb Malynes in seiner Lex Mercatoria (1622): „Trachte nicht danach, zum Schaden der Gemeinschaft der Nationen andere zu unterbieten unter dem Vorwand, den Handel auszuweiten; denn der Handel nimmt nicht zu, wenn Waren sehr billig sind, weil die Billigkeit von der geringen Nachfrage und der Geldknappheit herrührt, welche die Dinge billig macht; so dass das Gegenteil den Handel vermehrt, wenn es reichlich Geld gibt und die Waren gefragt sind und deshalb teurer werden.“16 Heckscher fasst diese merkantilistische Denkrichtung folgendermaßen zusammen: Im Laufe von anderthalb Jahrhunderten wurde dieser Standpunkt ein ums andere Mal so dargestellt, dass ein Land, das über weniger Geld als andere verfügt, „billig verkaufen und teuer verkaufen“ muss … Selbst in der Originalausgabe des Discourse of the Common Weal, d. h. in der Mitte des 16. Jahrhunderts, war diese Einstellung bereits deutlich ausgeprägt. 15 Heckscher, 16 Ibid.
op. cit. Band II, S. 210 f. S. 228.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus287 Tatsächlich meinte Hales: „Und dennoch, wenn Fremde bereit sind, nur unsere Waren für die ihren zu nehmen, was sollte sie veranlassen, den Preis anderer Dinge zu erhöhen (womit u. a. auch das gemeint ist, was wir von ihnen kaufen), obgleich doch die unsrigen für sie sehr billig waren? Und dann werden immer noch wir die Verlierer sein und sie die Oberhand behalten, weil sie teuer an uns verkaufen und gleichwohl unsere Waren billig kaufen, und folglich werden sie reicher und lassen uns verarmen. Doch würde ich eher den Preis unserer Waren erhöhen, wie sie ihren erhöhen, so wie wir es jetzt auch tun; allerdings werden dabei einige die Verlierer sein, aber nicht so viele wie im umgekehrten Fall.“ In dieser Frage genoss er mehrere Jahrzehnte darauf (1581) die uneingeschränkte Zustimmung seines Verlegers. So glaubte Malynes, dass diese missliche Lage das Ergebnis dessen sei, was er am meisten fürchtete: eine Unterbewertung der englischen Währung im Ausland … Die gleiche Vorstellung tauchte dann immer wieder auf. In seinem Verbum Sapienti (geschrieben im Jahr 1665, veröffentlicht 1691) nahm Petty an, dass die heftigen Bemühungen zur Erhöhung der Geldmenge erst dann eingestellt werden dürften, „wenn wir mit Sicherheit mehr Geld haben als alle unsere benachbarten Staaten (und nie so wenig), sowohl im arithmetischen als auch im geometrischen Verhältnis“. Im Zeitraum zwischen dem Verfassen und dem Erscheinen des Werks, erklärte Coke: „Solange unser Staatsschatz größer ist als der unserer Nachbarländer, wäre es mir gleichgültig, wenn wir nur ein Fünftel des Schatzes hätten, den wir heute besitzen“ (1675).17
3. Die Merkantilisten waren diejenigen, die ursprünglich die „Furcht vor Waren“ und die Geldknappheit als Ursachen der Arbeitslosigkeit ausgemacht haben, was dann zwei Jahrhunderte später von den Klassikern als absurd abgetan wurde. Eine der ersten Gelegenheiten, bei der Arbeitslosigkeit als Argument zur Begründung von Einfuhrverboten herangezogen wurde, war im Jahr 1426 in Florenz … Die Englische Gesetzgebung in dieser Sache geht mindestens bis 1455 zurück … Ein beinahe zur gleichen Zeit in Frankreich erlassenes Dekret von 1466, das die Grundlage für die später so berühmte Seidenindustrie von Lyon bildete, war zwar insofern von weniger Interesse, als es sich nicht explizit gegen ausländische Waren richtete. Aber auch dieses erwähnte die Möglichkeit, zehntausenden arbeitslosen Männern und Frauen Beschäftigung zu geben. Daran sieht man, wie sehr dieses Argument damals in der Luft lag … Die erste umfangreiche Erörterung dieses Themas, wie fast aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme, fand in England Mitte des 16. Jahrhunderts oder etwas früher, während der Regierungszeit von Heinrich VIII. und von Eduard VI, statt. In diesem Zusammenhang kommen wir nicht umhin, eine Reihe von Schriften zu erwähnen, die offenbar spätestens in den 1530ern verfasst worden waren, von denen jedenfalls zwei Clement Armstrong zugeschrieben werden … Er drückt es beispielsweise mit folgenden Worten aus: „Die große Fülle an fremden Handelsgütern und Waren, die jedes Jahr nach England eingeführt werden, hat nicht nur eine Knappheit an Geld verursacht, sondern auch alles Handwerk zerstört, 17 Ibid.
S. 235.
288 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen durch das eine große Zahl gemeinen Volks Beschäftigung gefunden hätte. So hätten einfache Leute Geld verdient, um ihr Essen und Trinken zu bezahlen, die nun aus schierer Notwendigkeit untätig sind und betteln und stehlen müssen.“18 Das beste mir bekannte Beispiel einer typisch merkantilistischen Auseinandersetzung über eine derartige Lage sind die Debatten im englischen Unterhaus über die Geldknappheit, zu der es 1621 während einer schweren Rezession vor allem in der Tuchindustrie kam. Die Bedingungen wurden durch einen der einflussreichsten Abgeordneten, Sir Edwin Sandys, sehr klar beschrieben. Er stellte fest, dass die Landwirte und Handwerker fast überall zu leiden hätten, dass Webstühle wegen des Mangels an Geldes im Land stillstehen würden und dass Kleinbauern gezwungen seien, ihre Pachtverträge aufzulösen, „nicht (Gott sei’s gedankt) aus Mangel an Ackerfrüchten, sondern aus Mangel an Geld“. Die Situation führte zu detaillierten Untersuchungen darüber, wo das Geld, dessen Mangel dem Land so schwer zu schaffen machte, abgeblieben sein mochte. Es kam zu zahlreichen Angriffen gegen Personen, die verdächtigt wurden, entweder zu einer Ausfuhr (einem Ausfuhrüberschuss) von Edelmetallen beigetragen zu haben oder zu ihrem Verschwinden aufgrund entsprechender inländischer Aktivitäten.19
Die Merkantilisten waren sich darüber bewusst, dass ihre Politik, wie Heckscher das ausdrückt, „zwei Fliegen mit einer Klappe schlug“. „Auf der einen Seite war das Land einen unerwünschten Warenüberschuss los, von dem man annahm, dass er zu Arbeitslosigkeit führe, während auf der anderen Seite die Gesamtgeldmenge im Land zunahm“20, mit den sich daraus ergebenden Vorteilen rückläufiger Zinsen. Man kann die Ideen, zu denen die Merkantilisten durch ihre tatsächlichen Erfahrungen gelangten, nicht studieren, ohne dabei eine chronische Tendenz in der Geschichte der Menschheit zu erkennen, dass die Sparneigung größer ist als die Investitionsbereitschaft. Die Schwäche der Investitionsanreize war zu allen Zeiten der Schlüssel zu den Problemen einer Volkswirtschaft. Heutzutage dürfte die wichtigste Erklärung für die Schwäche dieser Anreize aus dem Ausmaß der bestehenden Kapitalakkumulation bestehen, während früher alle möglichen Risiken und Gefahren eine größere Rolle gespielt haben dürften. Das Ergebnis ist jedoch das gleiche. Das Bestreben jedes einzelnen, seinen persönlichen Reichtum durch Konsumverzicht zu mehren, ist üblicherweise stärker als der Anreiz für den Unternehmer, den nationalen Wohlstand zu mehren, indem er Arbeiter für die Herstellung langlebiger Kapitalgüter beschäftigt. 4. Die Merkantilisten waren sich völlig im Klaren über die nationalistische Natur ihrer Politik und ihre Tendenz, Kriegen Vorschub zu leisten. Sie 18 Ibid.
S. 122. S. 223. 20 Ibid. S. 178. 19 Ibid.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus289
machten keinen Hehl daraus, dass sie auf einen nationalen Vorteil und relative Stärke abzielten.21 Wir mögen sie für ihre offensichtliche Gleichgültigkeit kritisierten, mit der sie die unvermeidlichen Konsequenzen eines solchen internationalen Währungssystems hinnahmen. Aber auf der intellektuellen Ebene ist ihr Realismus der verworrenen Denkweise der zeitgenössischen Verfechter eines internationalen festen Goldstandards und eines Laisser-faire im internationalen Kreditverkehr bei weitem vorzuziehen, die auch noch glauben, dass genau diese Politik den Frieden am meisten fördert. Denn in einer Volkswirtschaft, in der Kreditverträge und Zölle über erhebliche Zeiträume mehr oder weniger fix sind und in der das Volumen des inländischen Geldumlaufs und der inländische Zinssatz im Wesentlichen durch die Zahlungsbilanz determiniert werden, so wie es in Großbritannien vor dem Krieg war, steht der Regierung kein anderes orthodoxes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Inland zur Verfügung, als sich um einen Ausfuhrüberschuss und eine Einfuhr von Währungsmetall auf Kosten ihrer Nachbarn zu bemühen. Nie zuvor in der Geschichte war eine derart effektive Methode entwickelt worden, den Vorteil eines Landes zum Nachteil seiner Nachbarn zu erreichen, wie der internationale Goldstandard (bzw. früher Silberstandard). Denn dadurch wurde der Wohlstand des Landes direkt abhängig von einer Konkurrenz um Märkte und dem Wetteifer um Edelmetalle. Wenn es durch einen glücklichen Zufall gerade relativ reichlich neue Gold- und Silbervorkommen gab, schwächte sich der Kampf vielleicht etwas ab. Aber mit wachsendem Wohlstand und mit einer abnehmenden marginalen Konsumneigung wurde er tendenziell immer mörderischer. Orthodoxe Ökonomen, denen es an gesundem Menschenverstand als Gegengewicht für ihre fehlerhafte Logik mangelt, spielten dabei bis zum letzten Akt eine verhängnisvolle Rolle. Denn wenn einige Länder in ihrer fieberhaften Suche nach einem Ausweg aus den Problemen die Zwänge abstreiften, die sie bislang daran hinderten, selbst über ihren Zinssatz zu bestimmen, wurden sie von diesen Ökonomen belehrt, dass sie als notwendigen ersten Schritt zu einer Erholung die alten Fesseln wieder anlegen müssten. In Wahrheit trifft das Gegenteil zu. Eine Politik, die auf einem autonomen Zinssatzes basiert, der sich ungehindert von internationalen Ambitionen 21 „Innerhalb des Staates verfolgte der Merkantilismus durchgehend dynamische Zwecke. Wichtig ist aber, dass diese mit einer statischen Vorstellung von den gesamten wirtschaftlichen Ressourcen der Welt verbunden waren; und ebendies schuf jene grundlegende Disharmonie, die die endlosen Handelskriege nährte … Dies war die Tragödie des Merkantilismus. Sowohl das Mittelalter mit seinem weltumspannenden statischen Ideal als auch das Laissez-faire mit seinem weltumspannenden dynamischen Ideal vermieden diese Konsequenzen.“ (Ibid. S. 25 f.).
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entwickelt, und auf einem nationalen Investitionsprogramm, das an einem optimalen inländischen Beschäftigungsniveau ausgerichtet ist, ist doppelt gesegnet insofern, als es gleichzeitig uns und unseren Nachbarn hilft. Und wenn alle Länder zusammen diese Politik gleichermaßen verfolgen, so könnten dadurch international wirtschaftliche Gesundung und Stärkung bewirkt werden, gleichgültig, ob wir dies am inländischen Beschäftigungsniveau oder am Volumen des internationalen Handels messen.22 IV. Die Merkantilisten nahmen die Existenz des Problems immerhin wahr, ohne aber in ihrer Analyse weit genug voranzukommen, um es lösen zu können. Die klassische Schule aber ignorierte das Problem, denn sie geht von Bedingungen aus, die seine Nicht-Existenz voraussetzen. Das Ergebnis ist, dass sich eine Kluft zwischen den Folgerungen der ökonomischen Theorie und denen des gesunden Menschenverstandes auftut. Die außerordentliche Leistung der klassischen Theorie war es, die Vorstellungen der „normalen Menschen“ hinter sich zu lassen und dabei zugleich falsch zu liegen. Oder wie Heckscher es formuliert: Wenn nun die grundlegende Einstellung zum Geld und dem Stoff, aus dem Geld geschaffen wurde, im Zeitraum zwischen den Kreuzzügen und dem 18. Jahrhundert unverändert blieb, folgt daraus, dass wir es mit tiefverwurzelten Vorstellungen zu tun haben. Vielleicht bestanden dieselben Ideen auch schon in den 500 Jahren vor diesem Zeitraum, obschon nicht annähernd im selben Ausmaß wie die „Furcht vor Waren“. Mit Ausnahme des Zeitalters des Laissez-faire war keine Epoche ganz frei von diesen Ideen. Nur durch die intellektuelle Beharrlichkeit des Laissezfaire wurden die Vorstellungen des „normalen Menschen“ über diese Frage für einige Zeit überwunden.23 Es erforderte den uneingeschränkten Glauben des doktrinären Laissez-faire, um die „Furcht vor Waren“ auszulöschen …, [die] in einer Geldwirtschaft die normalste Haltung des „normalen Menschen“ ist. Der Freihandel negierte die Existenz von Faktoren, die offensichtlich erschienen, und war dazu verdammt, beim Mann von der Straße in Misskredit zu geraten, sobald das Laissez-faire den Geist der Menschen nicht mehr in seiner Ideologie gefangen halten konnte.24
Ich kann mich noch an die Mischung aus Wut und Ratlosigkeit erinnern, mit der Bonar Law25 auf die Ökonomen reagierte, weil sie das Offensicht22 Die konsequente Würdigung dieser Einsicht durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), zuerst unter Albert Thomas und dann unter H. B. Butler, stach unter den Proklamationen der zahlreichen internationalen Einrichtungen der Nachkriegszeit positiv hervor. 23 Heckscher, op. cit. Band II, S. 176 f. 24 Ibid. S. 335. 25 Britischer Premierminister 1922–23. (A. d. Ü.)
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus291
liche leugneten. Verzweifelt suchte er nach einer Erklärung. Es kommen einem dabei Parallelen zwischen dem Einfluss der klassischen Schule der Wirtschaftstheorie und dem gewisser Religionen in den Sinn. Es spricht schließlich viel eher für die Stärke einer Idee, wenn sie etwas eindeutig Klares aus dem Denken der Menschen verdrängen kann, als wenn sie darin etwas Abstruses und Abwegiges verankert. V. Bleibt noch ein verwandtes, aber doch eigenes Thema: Über Jahrhunderte, ja eher einige Jahrtausende erachtete jeder aufgeklärte Geist eine Doktrin für zweifelsfrei und offensichtlich zutreffend, welche die klassische Schule als kindisch verwarf, die aber eine Rehabilitierung und alle Ehre verdient. Ich meinte damit die Doktrin, wonach der Zinssatz sich nicht von selbst auf dem für die ganze Gesellschaft vorteilhaftesten Niveau einpendelt, sondern ständig zu hoch zu werden droht. Eine weise Regierung ist daher bemüht, ihn durch Gepflogenheiten und gesetzliche Maßnahmen oder sogar durch Sanktionen gemäß dem Sittengesetz zu drosseln. Vorkehrungen gegen Wucher gehören zu den ältesten ökonomischen Maßnahmen, über die wir Aufzeichnungen besitzen. In der antiken und mittelalterlichen Welt war die Auslöschung der Investitionsanreize durch übermäßige Liquiditätspräferenz das Grundübel und ein Haupthindernis für Wachstum und Wohlstand. Dies ist nur natürlich, da doch zahlreiche Risiken und Gefahren des Wirtschaftslebens die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals vermindern, während andere die Liquiditätspräferenz ansteigen lassen. In einer Welt, in der sich niemand sicher fühlen konnte, war es beinahe unvermeidbar, dass der Zinssatz zu hoch steigen würde, um noch ausreichende Investitionsanreize zu gestatten, sofern er nicht mit jedem zur Verfügung stehenden Instrument eingedämmt wurde. Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass die Einstellung der mittelalterlichen Kirche zu Zinsen von Grund auf absurd sei und dass der feinsinnige Diskurs, wie zwischen den Erträgen von Gelddarlehen und den Erträgen aktiver Investitionen zu unterscheiden sei, nichts anderes als jesuitische Versuche waren, einen praktischen Ausweg aus einer törichten Theorie zu finden. Jetzt aber interpretiere ich diese Diskurse als ehrliche intellektuelle Bemühung auseinanderzuhalten, was die klassische Theorie unentwirrbar vermischt hat, nämlich den Zinssatz und die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Denn mittlerweile scheint klar, dass die Abhandlungen der Scholastiker auf die Entdeckung einer Formel abzielten, mittels derer die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals hoch und zugleich der Zinssatz mithilfe von Gesetz und Brauch und Sittengesetz niedrig zu halten wäre.
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Selbst Adam Smiths Haltung zu den Wuchergesetzen war ausgesprochen moderat. Es war ihm durchaus bewusst, dass die privaten Ersparnisse entweder durch Investitionen oder durch die Anlage in Schuldscheinen absorbiert werden müssen, wobei keinerlei Gewähr besteht, dass sie alle in erstere fließen können. Aus diesem Grund präferierte er einen niedrigen Zinssatz, da dadurch die Ersparnisse eher in Neuinvestitionen als in Schuldscheine fließen. Und er verteidigte in einer Textstelle, für die er sich einen strengen Tadel von Bentham einhandelte26, die gemäßigte Anwendung von Wuchergesetzen.27 Benthams Kritik bezog sich vor allem darauf, dass Adam Smith in seiner schottischen Vorsicht zu streng gegenüber Unternehmensgründern sei und dass eine Begrenzung des Zinssatzes nach oben zu wenig Belohnung für das Eingehen legitimer und gesellschaftlich sinnvoller Risiken biete. Denn für Bentham waren Gründer „all jene Leute, die auf der Jagd nach Reichtum oder auch etwas anderem versuchen, mithilfe von Reichtum eine Richtung von Erfindungen zu verfolgen …, vor allem solche Personen, die bei ihrem Streben auf etwas zielen, das Fortschritt genannt werden kann … Kurzum, es geht um jede Anwendung der menschlichen Kräfte, bei der Erfindungsgabe zu ihrer Unterstützung auf Reichtum angewiesen ist.“ Selbstverständlich hat Bentham Recht, wenn er gegen Gesetze Protest einlegt, die dem Eingehen gerechtfertigter Risiken entgegenstehen. „Ein umsichtiger Mensch“, so Bentham weiter, „wird unter diesen Umständen nicht die guten von den schlechten Vorhaben scheiden, sondern er wird sich auf überhaupt keine Vorhaben einlassen.“28 Es erscheint zweifelhaft, ob Adam Smith das mit seiner Erklärung meinte. Hören wir vielleicht durch Bentham (auch wenn dieser im März 1787 aus „Krytschau in Weißrussland“ schrieb) die Stimme Englands des 19. Jahrhunderts, mit der dieses zum England des 18. Jahrhunderts spricht? Denn nur durch den Überschwang des großen Zeitalters der Investitionsanreize war es möglich, die theoretisch bestehende Möglichkeit dieser Unzulänglichkeit aus den Augen zu verlieren. einem Brief an Adam Smith, der seiner Defence of Usury beigefügt ist. of Nations, Buch II, Kap. 4. 28 Da ich nun schon einmal damit begonnen habe, Bentham in diesem Zusammenhang zu zitieren, möchte ich dem Leser seine schönste Textstelle nicht vorenthalten: „Die Geschichte der Kunstfertigkeit, der große Weg, auf welchem die Gründer ihre Fußstapfen hinterlassen, kann als durch weite und womöglich grenzenlose Ebene führend betrachtet werden, die von Abgründen durchzogen ist, wie sie Curtius verschlungen haben. In jeden dieser Abgründe muss ein menschliches Opfer stürzen, bevor er sich schließen kann, aber wenn er sich einmal schließt, schließt er sich, um sich nie mehr zu öffnen, und so weit ist der Weg sicher für alle, die ihn beschreiten.“ (Der römische Soldat Marcus Curtius opferte sich der Legende nach, indem er in einen auf dem Forum Romanum klaffenden Spalt sprang, welcher sich daraufhin schloss. A. d. Ü.) 26 In
27 Wealth
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus293
VI. An dieser Stelle ist es angebracht, den eigenartigen, zu Unrecht vernachlässigten Propheten Silvio Gesell (1862–1930) zu erwähnen, dessen Werk erstaunliche Geistesblitze aufweist und der nur knapp daran scheiterte, bis zum Kern der Sache vorzudringen. Seine Anhänger bombardierten mich in den Nachkriegsjahren geradezu mit Exemplaren seiner Werke, aber dennoch übersah ich deren Meriten vollständig aufgrund gewisser offen zutage liegender Argumentationsfehler. Wie so oft bei unvollkommen überprüften Erkenntnissen wurde ihre Bedeutung erst klar, nachdem ich auf meine eigene Art zu meinen eigenen Schlussfolgerungen gelangt war. Bis dahin hatte ich in seinen ungemein innovativen Anstrengungen genau wie die anderen Wirtschaftswissenschaftler kaum mehr als die Ergüsse eines Spinners gesehen. Da nur wenige Leser dieses Buches mit der Bedeutung Gesells sonderlich vertraut sein dürften, räume ich ihm hier einen Raum ein, der ansonsten unverhältnismäßig erscheinen würde. Gesell war ein erfolgreicher deutscher29 Kaufmann in Buenos Aires, den die Krise Ende der 1880er Jahre, die Argentinien besonders schlimm erfasste, dazu brachte, sich mit geld- und währungspolitischen Problemen zu befassen. Sein erstes Buch, Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat, wurde 1891 in Buenos Aires veröffentlicht. Im selben Jahr erschienen ebenfalls in Buenos Aires seine grundlegenden Ideen über das Geld unter dem Titel Nervus rerum. Es sollten noch viele Bücher und Streitschriften folgen, bis er sich 1906 als wohlhabender Mann in der Schweiz zur Ruhe setzte, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens den beiden reizvollsten Tätigkeiten widmete, die denen offenstehen, die sich ihren Lebensunterhalt nicht verdienen müssen, dem Schreiben und der Versuchslandwirtschaft. Der erste Teil seines Standardwerks wurde 1906 im schweizerischen Les Hauts-Geneveys unter dem Titel Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag veröffentlicht und der zweite Teil 1911 in Berlin unter dem Titel Die neue Lehre vom Zins. Zusammen erschienen die beiden in Berlin und in der Schweiz während des Kriegs (1916) und erreichten noch zu seinen Lebzeiten eine sechste Auflage unter dem Titel Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld. Die englische Ausgabe (übersetzt von Philip Pye) erschien unter dem Titel The Natural Economic Order. Im April 1919 diente Gesell als Finanzminister der kurzlebigen Münchner Räterepublik und wurde anschließend vor ein Kriegsgericht gestellt. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens, das er in Berlin und in der 29 Als Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter nahe der luxemburgischen Grenze geboren.
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Schweiz verbrachte, widmete er der Verbreitung seiner Ideen. Gesell zog eine quasireligiöse Verehrung auf sich, die sich zuvor auf Henry George konzentriert hatte, und wurde der verehrte Prophet eines Kults mit Tausenden von Anhängern in der ganzen Welt. Die erste internationale Zusammenkunft des schweizerischen und deutschen Freiland-Freigeld-Bundes und vergleichbarer Organisationen aus vielen Ländern fand 1923 in Basel statt. Nach seinem Tod 1930 richtete sich diese spezifische Art von Leidenschaft, die derartige Lehren hervorzurufen vermögen, hauptsächlich auf andere (meiner Ansicht nach weniger bedeutende) Propheten. Büchi ist der Anführer der Bewegung in England, aber deren Schriften scheinen von San Antonio, Texas, aus verbreitet zu werden, da sie heutzutage vor allem in den Vereinigten Staaten verbreitet ist. Irving Fisher hat dort als einziger Wirtschaftswissenschaftler ihre Bedeutung anerkannt. Anders, als es das Ornat des Propheten, mit dem seine Verehrer ihn ausgestattet haben, vermuten ließe, ist Gesells Hauptwerk in trockener wissenschaftlicher Sprache verfasst, auch wenn es durchweg von einem leidenschaftlicheren, emotionaleren Eintreten für soziale Gerechtigkeit durchdrungen ist, als manche für einen Wissenschaftler schicklich finden. Die von Henry George übernommenen Ideen30 sind zwar zweifellos eine wichtige Kraftquelle für die Bewegung, aber dennoch von zweitrangigem Interesse. Das Ziel des Buchs als Ganzes kann man als Schaffung eines antimarxistischen Sozialismus bezeichnen. Es lässt sich als Gegenreaktion auf Laissezfaire begreifen auf einer theoretischen Grundlage, die insofern von Marx grundverschieden ist, als sie auf der Ablehnung der klassischen Hypothesen statt ihrer Anerkennung beruht und auf freiem Wettbewerb statt auf seiner Abschaffung. Ich vermute, dass sich für die Zukunft mehr von den Ideen Gesells lernen lässt als von Marx. Wenn der Leser das Vorwort zu Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld nachschlägt, wird er die moralischen Qualitäten Gesells erkennen. Die Antwort auf den Marxismus dürfte meiner Ansicht nach etwas in der Art dieses Vorworts sein. Gesells konkreter Beitrag zur Theorie des Geldes und des Zinses lautet so: Zunächst einmal trifft er eine klare Unterscheidung zwischen dem Zinssatz und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, und ihm zufolge ist es der Zinssatz, der das Wachstum des Realkapitals begrenzt. Als Nächstes legt er dar, dass der Zinssatz ein rein monetäres Phänomen sei. Die Besonderheit des Geldes wiederum, aus der sich die Bedeutung des Geldzinssatzes ergebe, bestehe demnach aus der Tatsache, dass der Besitz von Geld als Wertaufbewahrungsmittel für seinen Besitzer mit vernachlässigbaren Aufbewah30 Gesell wich insofern von George ab, als er bei der Verstaatlichung von Land die Zahlung von Entschädigungen empfahl.
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rungskosten verbunden sei und dass andere Formen von Reichtum wie zum Beispiel Warenbestände, die mit Lagerhaltungskosten verbunden sind, in Wirklichkeit wegen des durch Geld gesetzten Standards einen Ertrag abwürfen. Er führt die relative Konstanz des Zinssatzes über die Jahrhunderte hinweg als Beleg dafür an, dass dieser allein schon deswegen nicht bloß auf physischen Eigenschaften beruhen könne, weil die Veränderungen letzterer von einem Zeitalter zum nächsten ungleich größer sein müssten als die tatsächlich beobachteten Veränderungen des Zinssatzes. In meiner Terminologie hieße das, der Zinssatz, der auf konstanten psychologischen Eigenschaften beruht, bleibt stabil. Hingegen bestimmen die stark schwankenden Eigenschaften, die vor allem die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals determinieren, nicht den Zinssatz, sondern die Wachstumsrate des Bestands an Realkapital, die ein (mehr oder weniger) fester Zinssatz zulässt. Gesells Theorie weist jedoch einen großen Fehler auf. Er zeigt, dass es nur dank der Existenz eines Geldzinssatzes möglich ist, einen Ertrag durch das Verleihen von Warenbeständen zu erzielen. Sein Zwiegespräch zwischen Robinson Crusoe und einem Fremden31 ist eine großartige ökonomische Parabel – so gut wie nur irgendetwas, das darüber geschrieben wurde – zur Veranschaulichung dieses Arguments. Doch nachdem er begründete, warum der Geldzinssatz im Gegensatz zu den meisten Warenzinssätzen nicht negativ sein kann, übersah er völlig, dass es zu erklären gilt, warum der Geldzinssatz positiv ist. Und er erklärt auch nicht, warum der Geldzins nicht durch den Standard bestimmt wird, den der Ertrag des produktiven Kapitals setzt (wie die klassische Schule behauptet). Der Grund dafür ist, dass ihm das Phänomen der Liquiditätspräferenz entging. Und so entwickelte nur eine halbe Theorie des Zinssatzes. Die Unvollständigkeit seiner Theorie liefert zweifellos die Erklärung dafür, warum sein Werk von der akademischen Welt so vernachlässigt wurde. Gleichwohl hatte er seine Theorie weit genug vorangetrieben, um zu einer praktischen Empfehlung zu gelangen, die im Kern das enthält, was geboten wäre, auch wenn sie in der von ihm vorgeschlagenen Form nicht umsetzbar ist. Seiner Auffassung nach wird das Wachstum des Realkapitals durch den Geldzinssatz gebremst. Würde diese Bremse gelöst, wäre das Wachstum des Realkapitals in der modernen Welt so rasant, dass es einen Geldzinssatz von null Prozent wenn schon nicht sofort, so doch innerhalb von recht kurzer Zeit rechtfertigen würde. Vordringlich sei daher eine Senkung des Geldzinssatzes, und dies, so Gesell weiter, könne erreicht werden, indem man Geld mit Lagerhaltungskosten versieht, so wie sie bei allen anderen unproduktiven Waren anfallen. Dies brachte ihn zu seiner berühmten Verschreibung von Freigeld, mit dem sein Name vor allem in Verbindung gebracht wird 31 Die
natürliche Wirtschaftsordnung, S. 241 ff.
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und das den Segen Irving Fishers erhalten hat. Gemäß diesem Vorschlag würden Banknoten (obwohl gewiss auch wenigstens einige Formen von Giralgeld eingeschlossen sein müssten) ihren Wert nur dann bewahren, wenn sie jeden Monat mit einer auf dem Postamt gekauften Marke beklebt werden, ähnlich wie eine Versicherungskarte. Der Preis dieser Marken könnte natürlich auf jeder angemessen erscheinenden Höhe festgesetzt werden. Meiner Theorie entsprechend müsste er ungefähr gleich dem Betrag sein, um den der Geldzinssatz (abzüglich der Marken) über der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals liegt, welche einem für Vollbeschäftigung nötigen Neuinvestitionsvolumen entspricht. Die von Gesell tatsächlich vorgeschlagene Gebühr lag bei 1 Promille pro Woche, was 5,2 % pro Jahr wären. Dies wäre unter derzeitigen Bedingungen zu hoch, doch der korrekte Betrag, der von Zeit zu Zeit verändert werden sollte, könnte nur durch Versuch und Irrtum herausgefunden werden. Der Grundgedanke des Freigelds ist vernünftig. Es ist tatsächlich möglich, einen Weg zu finden, ihn in bescheidenem Maßstab in die Praxis umzusetzen. Es treten dabei jedoch zahlreiche Schwierigkeiten auf, die Gesell nicht wahrhaben wollte. So war es sich insbesondere nicht darüber bewusst, dass dem Geld anhaftende Liquiditätsprämie kein Alleinstellungsmerkmal von Geld ist. Der Unterschied zu vielen anderen Gegenständen ist ein gradueller, wobei die Bedeutung des Geldes darauf beruht, dass seine Liquiditätsprämie größer ist als die jedes anderen Gegenstands. Würden also die Banknoten durch das Bekleben mit Marken ihre Liquiditätsprämie verlieren, dann träte eine lange Reihe von Ersatzartikeln an ihre Stelle: Giralgeld, Sichteinlagen, ausländische Währungen, Schmuck und überhaupt Edelmetalle und so weiter. Es gab Zeiten, wie schon erwähnt, zu denen es das Verlangen nach Landbesitz an sich war, unabhängig von dessen Erträgen, durch das der Zinssatz hoch blieb – wenngleich in Gesells System diese Möglichkeit durch die Verstaatlichung von Land ausgeschlossen wäre. VII. Die hier untersuchten Theorien zielen im Kern auf den Teil der effektiven Nachfrage, der davon abhängig, dass die Investitionsanreize ausreichend hoch sind. Es ist allerdings nichts Neues, das Übel der Arbeitslosigkeit der Unzulänglichkeit des anderen Teils der effektiven Nachfrage zuzuschreiben, nämlich einer unzureichenden Konsumneigung. Doch diese alternative Erklärung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme, die bei den klassischen Ökonomen genauso unpopulär ist, spielte in den Theorien des 16. und 17. Jahrhunderts eine viel geringere Rolle und wurde erst in vergleichsweise jüngerer Zeit populär.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus297
Auch wenn die Klagen über Unterkonsumtion ein sehr nachrangiger Aspekt der merkantilistischen Überlegungen waren, nennt Heckscher doch einige Beispiele für das, was er „den tiefverwurzelten Glauben an den Nutzen des Überflusses und das Übel der Sparsamkeit nennt. Sparsamkeit wurde tatsächlich als Ursache für Arbeitslosigkeit angesehen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens nahm man an, dass sich das Realeinkommen um die Summe Geldes verringere, die nicht in den Tauschverkehr einfließt, und zweitens ging man davon aus, dass Sparen dem Umlauf Geld entzieht“.32 Laffemas (Les trésors et richesses pour mettre l’Estat en splendeur33) kritisierte 1598 all diejenigen, die sich dem Konsum französischer Seiden waren verweigerten, mit der Begründung, dass alle Käufer französischer Luxusgüter ein Auskommen für die Armen schüfen, während der Geizhals sie im Elend sterben ließe.34 1662 rechtfertigte Petty „Vergnügungen, prunkvolle Veranstaltungen, Triumphbögen etc.“ mit der Begründung, dass die Ausgaben dafür in die Taschen der Brauer, Bäcker, Schneider, Schuhmacher und so fort zurückflössen. Fortrey verteidigte „übertriebenen modischen Aufwand“. Schrötter wiederum missbilligte 1686 Aufwandgesetze35 und erklärte, er wünschte sich eine noch stärkere Zurschaustellung von Kleidern und Ähnlichem. Barbon schrieb 1690: „Verschwendung ist ein Laster, das für den Menschen abträglich ist, nicht aber für den Handel … Habgier ist ein Laster, das sowohl für den Menschen als auch den Handel schädlich ist.“36 Würde jeder mehr ausgeben, argumentierte Cary 1695, erzielten alle höhere Einkommen und „könnten in mehr Wohlstand leben“.37 Barbons Überlegungen wurden jedoch erst durch Bernard Mandevilles Bienenfabel breiteren Kreisen zugänglich gemacht. Das Buch, das die Staatsanwaltschaft von Middlesex 1723 als anstößig verdammte, nimmt wegen seines skandalösen Rufs einen Sonderplatz in der Geschichte der Geisteswissenschaften ein. Nur von einem Mann ist bekannt, dass er ein gutes Wort dafür einlegte, nämlich Johnson, der erklärte, das Buch habe ihn nicht verwundert, sondern „seine Augen weit für das reale Leben geöffnet“. Die Boshaftigkeit des Buchs kann am ehesten durch Leslie Stephens Zusammenfassung im Dictionary of National Biography aufzeigt werden: 32 Heckscher,
op. cit. Band II, S. 208. „Schätze und Reichtümer, um dem Staat Glanz zu verleihen“. (A. d. Ü.) 34 Ibid. S. 290. 35 Solche Gesetze setzten dem Aufwand Grenzen, den die verschiedenen Stände betreiben durften, z. B. bei Kleidungsstücken in Hinblick auf Farben oder Knöpfe. (A. d. Ü.) 36 Ibid. S. 291. 37 Ibid. S. 209. 33 Etwa:
298 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen Mandeville erweckte großes Ärgernis mit seinem Buch, in dem er ein zynisches Moralsystem durch raffinierte Paradoxa attraktiv erscheinen lässt … Seine Dok trin, wonach Wohlstand durch Ausgaben statt durch Sparen erhöht wird, passte zu vielerlei geläufigen, nach wie vor nicht ausgerotteten ökonomischen Trugschlüssen.38 Indem er in Übereinstimmung mit den Asketen davon ausging, dass die menschlichen Begehrlichkeiten im Wesentlichen böse seien und daher zu „privaten Lastern“ führen, und in Übereinstimmung mit der verbreiteten Ansicht unterstellte, dass Reichtum von „öffentlichem Nutzen“ sei, konnte er mühelos zeigen, dass jede Zivilisation die Entwicklung lasterhafter Neigungen einschließt …
Der Text der Bienenfabel ist ein allegorisches Gedicht, dessen voller Titel „Der unzufriedene Bienenstock oder die ehrlich gewordenen Schurken“ lautet, in dem die schreckliche Notlage eines wohlhabenden Gemeinwesens dargestellt werden, dessen Bürger es sich plötzlich allesamt in den Kopf setzen, dem Leben im Luxus abzuschwören, und in dem der Staat die Militärausgaben kürzt, alles um der Ersparnis willen: Nicht mehr gilt’s jetzt als Ehrensache für einen, dass er Schulden mache. Ins Leihamt wandern die Livreen, spottbillig zum Verkaufe stehen jetzt Villen, dazu Pferd und Wagen, denn man wünscht Schulden abzutragen. Gespart wird tüchtig jetzt; nicht mehr hält man in Feindesland ein Heer. Man lacht der Achtung fremder Staaten, des eitlen Ruhms durch Waffentaten, und wagt allein des Kriegs Gefahren, um Freiheit oder Recht zu wahren.
Die hochmütige Chloe, sie schränkt sich in der Küche ein und trägt ein Kleid aus grobem Lein.
Was ist das Ergebnis? Wie das Gewerbe nun gedeiht bei unsrer Bienen Ehrlichkeit, drauf achte man: Fort ist die Pracht, verändert alles über Nacht. Denn nicht bloß, die das Geld in Massen ausgaben, hatten bald verlassen 38 In seiner History of English Thought in the Eighteenth Century schreibt Stephen (S. 297) in Zusammenhang mit dem „von Mandeville berühmt gemachten Trugschluss“, „dass dessen vollständige Widerlegung aus der Lehre besteht – die so wenig verstanden wird, dass ihr vollständiges Verständnis vielleicht der beste Test für einen Ökonomen wäre –, dass die Nachfrage nach Waren keine Nachfrage nach Arbeit ist“.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus299 den Stock; auch jene gehen in Scharen, die auf sie angewiesen waren; Da alles überfüllt, ist’s ihnen unmöglich, etwas zu verdienen. Der Preis von Land und Häusern fiel. Die Prachtpaläste, die beim Spiel man aufgebaut, gleich Thebens Mauern, sind zu vermieten … Der Baubetrieb ist ganz gestört, jedwede Kunst hat aufgehört. Nicht Maler werden mehr bekannt, Steinschneider, Schnitzer nicht genannt.
Und „die Moral von der Geschicht’?“ Mit Tugend bloß kommt man nicht weit; wer wünscht, dass eine gold’ne Zeit zurückkehrt, sollte nicht vergessen: Man musste damals Eicheln essen.39
Zwei Auszüge aus dem Kommentar, der sich an die Allegorie anschließt, zeigen, dass das Vorstehende nicht ohne theoretische Grundlage war: Da dieses umsichtige Wirtschaften, das manche Leute als Sparen bezeichnen, in Privathaushalten die sicherste Methode zur Mehrung des Besitzes ist, glaubt so mancher, dass die Anwendung derselben Methode (was sie für durchführbar erachten) auf ein Land, ob öde oder fruchtbar, dieselben Folgen für die ganze Nation hätten. Sie glauben, dass zum Beispiel die Engländer viel reicher sein könnten, als sie sind, wenn sie nur so sparsam wie einige ihrer Nachbarn wären. Ich halte dies für einen Irrtum.40
Ganz im Gegenteil, schließt Mandeville: Die hohe Kunst, eine Nation glücklich zu machen und, wie wir das nennen, florieren zu lassen, besteht daraus, jedem eine Beschäftigungsmöglichkeit zu geben. Um dies zu erreichen, sollte es die erste Sorge der Regierung sein, die größtmögliche Vielfalt an Gewerben, Künsten und Handwerken zu fördern, die der menschliche Geist sich ausdenken kann, und die zweite Sorge, alle Zweige der Landwirtschaft und Fischerei zu fördern, auf dass die ganze Erde genau wie die Menschen gezwungen sei, sich anzustrengen. Nur durch diese Politik und nicht durch die kleinlichen Vorschriften über Verschwendung und Sparsamkeit sind Größe und Glück der Nationen zu erwarten. Denn ob der Wert von Gold und Silber steigt oder fällt – der Genuss aller Gesellschaften hängt immer nur von den Früchten der Erde und der Arbeit der Bevölkerung ab. Beide zusammengenommen sind ein 39 Übersetzung entnommen aus Otto Bobertag (Hg.), Mandevilles Bienenfabel, Bibliothek der Philosophen, Bd. 15, München 1914. (A. d. Ü.) 40 Vgl. Adam Smith, den Vorläufer der klassischen Schule, der schrieb: „Was Klugheit im Verhalten jeder privaten Familie ist, kann kaum Torheit im Verhalten eines großen Königreichs sein“ – wahrscheinlich in Bezug auf diese Textstelle von Mandeville.
300 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen sichererer, ein unerschöpflicherer und ein wirklicherer Schatz als das Gold Brasiliens oder das Silber von Potosí.
Kein Wunder, dass derart verruchte Gedanken den Zorn der Moralisten und Ökonomen zweier Jahrhunderte heraufbeschworen haben, die sich mit ihrer strengen Doktrin weit tugendhafter fühlten, der zufolge kein anderes sicheres Mittel gefunden werden kann als äußerste Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit seitens des Einzelnen wie auch des Staates. Pettys „Vergnügungen, prunkvolle Veranstaltungen, Triumphbögen etc.“ machten der Pfennigfuchserei Gladstonescher Finanzpolitik und einem Staatssystem Platz, das sich Krankenhäuser, Parks, vornehme Bauwerke, ja selbst den Erhalt seiner Denkmäler „nicht leisten konnte“, ganz zu schweigen vom Glanz der Musik und des Theaters, die alle der privaten Wohltätigkeit oder der Großzügigkeit unwirtschaftlich handelnder Individuen überlassen wurden. Die Lehrmeinung tauchte in seriösen Kreisen ein weiteres Jahrhundert lang nicht mehr auf, bis in Malthus’ Spätzeit die Vorstellung einer unzureichenden effektiven Nachfrage einen festen Platz unter den wissenschaftlichen Erklärungen der Arbeitslosigkeit einnahm. Da ich dies bereits einigermaßen erschöpfend in meinem Essay über Malthus41 abgehandelt habe, genügt es hier, einige der charakteristischen Textstellen wiederzugeben, die ich bereits in meinem Essay zitiert habe: Wir finden in beinahe jedem Teil der Welt gewaltige Produktivkräfte, die ungenutzt bleiben, und ich erkläre dieses Phänomen dadurch, dass in Ermangelung einer vernünftigen Verteilung der tatsächlichen Produkte keine angemessenen Motive für eine weitere Produktion vorhanden sind … Ich bin entschieden der Auffassung, dass der Versuch einer sehr raschen Akkumulation zwangsläufig eine beträchtliche Verminderung des unproduktiven Konsums bedingt und, indem er die üblichen Gründe, etwas zu produzieren, abschwächt, die Schaffung von Reichtum hemmen muss … Wenn es aber wahr ist, dass ein Versuch sehr rascher Akkumulation eine derartige Verteilung zwischen Arbeit und Gewinnen verursacht, dass dadurch sowohl der Grund als auch die Möglichkeit einer weiteren Akkumulation zunichtegemacht werden und infolgedessen auch die Möglichkeit, einer wachsenden Bevölkerung Unterhalt und Beschäftigung zu bieten – sollte man dann nicht zugeben, dass solch ein Versuch der Akkumulation oder dass zu viel Sparen in Wirklichkeit schädlich für ein Land sind?42 Die Frage ist, ob diese Stagnation der Kapitalbildung und die sich daran anschließende Stagnation der Nachfrage nach Arbeitskräften, die aus einer Steigerung der Produktion ohne einen angemessenen Anteil unproduktiven Konsums seitens der Grundbesitzer und Kapitalisten resultiert, möglich wäre, ohne dem Land zu schaden, ohne ein geringeres Maß Glück und Wohlstand zu schaffen, als es der Fall gewesen wäre, wenn der unproduktive Konsum der Grundbesitzer und Kapitalisten in einem solchen Verhältnis zum natürlichen Überschuss in der Gesellschaft 41 Essays 42 Brief
on Biography, S. 139–147. von Malthus an Ricardo vom 7. Juli 1821.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus301 stattgefunden hätte, dass die Anreize zur Produktion kontinuierlich angedauert hätten und dass eine zunächst unnatürlich hohe Nachfrage nach Arbeitskräften und eine danach notwendige und plötzliche Verminderung dieser Nachfrage verhindert worden wären. Wenn dem aber so ist, wie kann man dann wahrheitsgemäß behaupten, dass Sparsamkeit, obwohl sie doch schädlich für die Erzeuger sein kann, nicht auch schädlich für den Staat sein kann? Oder dass eine Erhöhung des unproduktiven Konsums unter Grundbesitzern und Kapitalisten nicht manchmal das geeignete Mittel gegen einen Zustand sein kann, in dem die Gründe, etwas zu produzieren, weggefallen sind?43 Adam Smith hat behauptet, dass sich Kapitalvermögen durch Sparsamkeit vermehrten, dass jeder sparsame Mensch ein öffentlicher Wohltäter sei und dass die Zunahme des Reichtums davon abhänge, dass mehr produziert als konsumiert wird. Dass diese Aussagen in hohem Maße wahr sind, steht außer Frage … Ganz offensichtlich sind sie jedoch nicht unbegrenzt zutreffend. Die Grundsätze der Sparsamkeit würden, wenn sie bis zum Äußersten getrieben werden, die Anreize zur Produktion zunichtemachen. Wäre jeder mit dem einfachsten Essen zufrieden, mit der armseligsten Kleidung und den bescheidensten Häusern, dann würden mit Sicherheit keine anderen Arten von Nahrung, Kleidung und Unterkunft existieren … Die zwei Extreme sind deutlich. Es muss folglich einen Punkt dazwischen geben, auch wenn die Wirtschaftswissenschaften vielleicht nicht über die Mittel verfügen festzustellen, wo genau die Anreize zur Mehrung des Reichtums in Anbetracht der vorhandenen Produktionsmöglichkeiten und der Konsumbereitschaft am größten sind.44 Unter all den von fähigen und erfinderischen Menschen vorgebrachten Ansichten, auf die je ich gestoßen bin, erscheint mir Says Ansicht, demzufolge „un produit consommé ou détruit est un débouché fermé“ (I. i. Kap. 15)45, als diejenige, die der richtigen Theorie am direktesten entgegengesetzt ist und die der Erfahrung am durchgängigsten zuwiderläuft. Dennoch folgt aus der neuen Lehre unmittelbar, dass Waren lediglich in ihrer Beziehung zueinander zu betrachten sind – und nicht in Beziehung zum Verbraucher. Was, möchte ich fragen, würde mit der Nachfrage nach Waren geschehen, wenn jeglicher Konsum außer Brot und Wasser während des nächsten halben Jahres ausgesetzt würde? Welch eine Anhäufung von Waren! Quels débouchés!46 Welch ein großartiger Markt durch diesen Vorgang geschaffen würde!
Ricardo war jedoch stocktaub für das, was Malthus zu sagen hatte. Der letzte Widerhall der Kontroverse findet sich in John Stuart Mills Darstellung seiner Lohnfondstheorie47, die nach seiner eigenen Ansicht ein we43 Brief
von Malthus an Ricardo vom 16. Juli 1821. zu Malthus’ Principles of Political Economy, S. 8 f. 45 „Ein verbrauchtes oder zerstörtes Erzeugnis ist ein verschlossener Absatzmarkt.“ Malthus’ Quellenangabe bezieht sich auf Jean-Baptiste Says 1803 erschienenen Traité d’économie politique, Buch I, Kap. 15. (A. d. Ü.) 46 „Was für Absatzmärkte!“ (A. d. Ü.) 47 J. S. Mill, Political Economy, Buch I, Kap. V. In Mummery und Hobson, Physiology of Industry, S. 38 ff., findet sich eine sehr wichtige und äußerst durch44 Vorwort
302 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
sentlicher Grund für seine Ablehnung von Malthus’ späten Theorien war, mit deren Erörterung er ja groß geworden war. Mills Nachfolger verwarfen seine Lohnfondstheorie, übersahen jedoch die Tatsache, dass Mills Widerlegung von Malthus darauf basierte. Ihre Methode, das Problem aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bestand herauszunehmen, bestand nicht daraus, es zu lösen, sondern es nicht mehr zu erwähnen. Es verschwand einfach aus der Diskussion. Als Cairncross unlängst bei den unbedeutenderen Ökonomen der viktorianischen Zeit nach Spuren davon suchte48, fand er womöglich noch weniger, als man hätte erwarten können.49 Unterkonsum tionstheorien überwinterten bis zum Erscheinen von The Physiology of Industry von J. A. Hobson und A. F. Mummery 1889, des ersten und bedeu tendsten von vielen Bänden, in denen Hobson fast 50 Jahre lang mit unermüdlichem, aber so gut wie vergeblichem Eifer und Mut gegen die Stellungen der Orthodoxie anrannte. Obwohl es heute vollständig vergessen ist, markiert die Veröffentlichung dieses Buchs in gewisser Weise eine Epoche wirtschaftlichen Denkens.50 Die Physiology of Industry wurde in Zusammenarbeit mit A. F. Mummery verfasst. Hobson hat folgendermaßen beschrieben, wie es zu dem Buch kam:51 Meine Heterodoxie in ökonomischen Fragen begann erst Mitte der achtziger Jahre Gestalt anzunehmen. Obwohl Henry Georges Kampagne gegen hohe Bodenpreise und die frühe Agitation diverser sozialistischer Gruppierungen gegen die offenkundige Unterdrückung der Arbeiterklasse zusammen mit den Enthüllungen der beiden Booths über die Armut in London bei mir einen tiefen Eindruck hinterließen, zerstörten sie doch nicht meinen Glauben an die Volkswirtschaftslehre. Dies war erst das Ergebnis von etwas, das man als zufälligen Kontakt bezeichnen könnte. Als ich an einer Schule in Exeter unterrichtete, kam ich in näheren Kontakt mit einem Geschäftsmann namens Mummery, der damals und seither als großer Bergsteiger bekannt war, der einen alternativen Aufstieg aufs Matterhorn entdeckt hatte und der 1895 im Himalaya beim Versuch einer Besteigung des berühmten dringende Erörterung dieses Aspekts von Mills Theorie und insbesondere seiner Doktrin (die Marshall in seiner sehr unbefriedigenden Darstellung der Lohnfondstheorie wegzuerklären versuchte), dass „eine Nachfrage nach Waren keine Nachfrage nach Arbeit ist“. 48 The Victorians and Investment, Economic History, 1936. 49 Fullartons Abhandlung On the Regulation of Currencies (1844) ist die interessanteste seiner Quellen. 50 J. M. Robertsons The Fallacy of Saving von 1892 unterstützte die Ketzerei von Mummery und Hobson. Aber es ist kein Buch von großem Wert oder Bedeutung, da ihm die tiefgehenden Einsichten von The Physiology of Industry völlig abgehen. 51 In einer Ansprache, die er am Sonntag, d. 14. Juli 1935, vor der Londoner Conway Hall Ethical Society unter dem Titel „Confessions of an Economic Heretic“ hielt. Ich gebe sie hier mit Mr. Hobsons freundlicher Genehmigung wieder.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus303 Nanga Parbat ums Leben kam. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass unser Kontakt nicht auf dieser physischen Ebene bestand. Er war jedoch auch in geistiger Hinsicht ein Höhenbezwinger mit einem guten Auge für selbst entdeckte Wege und einer großartigen Missachtung wissenschaftlicher Instanzen. Dieser Mann verwickelte mich in eine Kontroverse über übermäßiges Sparen, das er für verantwortlich hielt für die Unterbeschäftigung von Kapital und Arbeitskräften in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Lange versuchte ich, seine Argumente mithilfe der orthodoxen ökonomischen Waffen zu widerlegen. Aber nach einiger Zeit überzeugte er mich, und ich machte mich mit ihm daran, das Argument der Überersparnis in einem Buch mit dem Titel The Physiology of Industry auszuarbeiten, das 1889 erschien. Dies war der erste öffentliche Schritt in meiner Laufbahn als Ketzer, wobei ich mir der bedeutsamen Folgen nicht im Geringsten bewusst war. Denn just zu jener Zeit hatte ich meine Stelle an der Schule aufgegeben und begann eine neue Tätigkeit als Dozent für Wirtschaft und Literatur an der Volkshochschule. Der erste Schock war, als die Londoner Volkshochschulbehörde mir nicht erlaubte, Kurse in Volkswirtschaftslehre anzubieten. Dies war, wie ich erfuhr, auf den Einspruch eines Wirtschaftsprofessors zurückzuführen, der mein Buch gelesen hatte und es für ebenso rational hielt wie den Versuch eines Nachweises, dass die Erde eine Scheibe sei. Wie könne die Menge nützlicher Ersparnisse denn begrenzt sein, wenn jede Ersparnis einen Beitrag zur Verbesserung der Kapitalstruktur und zur Erhöhung der Mittel zur Zahlung von Löhnen leistet? Vernünftige Ökonomen können gar nicht anders, als angesichts eines Vorschlags, der auf das Austrocknen des Quells allen industriellen Fortschritts zielt, von Grauen erfüllt zu sein.52 Eine weitere interessante persönliche Erfahrung trug dazu bei, mir die Bedeutung meines Frevels klarzumachen. Obwohl man mich daran hinderte, Wirtschaft in London zu unterrichten, erlaubte man mir dank der größeren Freizügigkeit der Volkshochschulbewegung in Oxford, Vorträge in der Provinz zu halten, solange ich mich auf praktische Fragen des Lebens der Arbeiterklasse beschränkte. Nun plante zu dieser Zeit die Charity Organisation Society53 eine Vortragsreihe über Wirtschaftsfragen und lud mich ein, einen Kurs vorzubereiten. Ich hatte mich zu dieser neuen Lehrtätigkeit schon bereiterklärt, als die Einladung plötzlich und ohne Erklärung zurückgenommen wurde. Selbst dann wurde mir kaum bewusst, dass ich, indem ich die Tugend unbegrenzter Sparsamkeit offensichtlich in Frage gestellt hatte, eine unverzeihliche Sünde begangen hatte.
In diesem frühen Werk äußerten sich Hobson und sein Mitarbeiter unter stärkerer direkter Bezugnahme auf die klassische Ökonomie (in der er unterrichtet worden war) als in seinen späteren Arbeiten. Aus diesem Grund 52 Hobson schrieb in The Physiology of Industry, S. 26, respektlos: „Ersparnis ist eine Quelle nationalen Reichtums, und je sparsamer eine Nation ist, desto reicher wird sie. So lehren es durch die Bank fast alle Ökonomen; viele von ihnen nehmen einen Ton moralischer Erhabenheit an, wenn sie den unendlich großen Nutzen der Sparsamkeit predigen; dies ist der einzige Ton in ihrem ganzen langweiligen Lied, das beim Publikum Gehör gefunden hat.“ 53 Ein 1869 in England gegründeter Wohlfahrtsverband, der u. a. Bedürftige registrierte, ihre Lebensverhältnisse untersuchte und die Arbeit privater Wohlfahrts organisationen zu koordinieren versuchte. (A. d. Ü.)
304 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
und weil es die erste Darstellung seiner Theorie ist, zitiere ich daraus, um aufzuzeigen, wie bedeutend und wohlbegründet die Kritik und die Einsichten der Autoren waren. Sie beschreiben in ihrem Vorwort die Art der Feststellungen, gegen die sie sich wenden, wie folgt: Ersparnisse bereichern das Gemeinwesen ebenso wie jeden Einzelnen und Ausgaben lassen sie verarmen, und es wird definitorisch behauptet, dass die bewährte Liebe zum Geld die Wurzel alles wirtschaftlichen Wohlergehens ist. Nicht nur bereichert sich so das sparsame Individuum selbst, sondern es erhöhen sich dadurch auch die Löhne, Arbeitslose finden eine Beschäftigung, und allerorten verbreitet sich ihr Segen. Von den Tageszeitungen bis zu den neusten wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen, von der Kanzel bis zum Parlament wird diese Schlussfolgerung wiederholt und weitererzählt, bis es definitiv ketzerisch erscheint, sie in Frage zu stellen. Gleichwohl wurde diese Doktrin unter Gebildeten, die die Mehrzahl der ökonomischen Denker hinter sich hatten, bis zur Veröffentlichung von Ricardos Werken energisch bestritten. Dass sie letztendlich akzeptiert wurde, ist ausschließlich darauf zurückzuführen, dass sie der inzwischen gründlich widerlegten Lohnfondstheorie nichts entgegenzusetzen hatte. Dass die Schlussfolgerung das Argument überlebte, auf dem sie logisch aufbaute, lässt sich nur durch die allesbeherrschende Autorität ihrer berühmten Verfechter erklären. Kritische Ökonomen haben den Versuch unternommen, die Theorie im Detail anzugreifen, doch sie schreckten davor zurück, ihre zentralen Schlussfolgerungen auch nur anzurühren. Unser Ziel ist es zu zeigen, dass diese Folgerungen nicht haltbar sind, dass ein Überstrapazieren der Spargewohnheiten durchaus möglich ist und dass solch übermäßiges Tun das Gemeinwesen verarmen lässt, Arbeiter auf die Straße setzt, Löhne drückt und just die gedrückte Stimmung und Niedergeschlagenheit in der Geschäftswelt verbreitet, die als Wirtschaftsdepression bekannt ist … Das Ziel von Produktion ist die Versorgung der Verbraucher mit „nützlichen und annehmlichen Dingen“. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess von der ersten Bearbeitung des Rohstoffs bis zu dem Moment, an dem er schließlich als nützliche oder annehmliche Ware konsumiert wird. Da der Nutzen des Kapitals allein daraus besteht, die Herstellung dieser Waren zu unterstützen, schwankt die verwendete Gesamtmenge zwangsläufig parallel zur Gesamtmenge der Waren, die pro Woche oder Monat konsumiert werden. Während Ersparnisse das vorhandene Gesamtkapital erhöhen, vermindern sie zugleich die Menge der konsumierten nützlichen und angenehmen Dinge. Jedwede übertriebene Ausübung dieser Gepflogenheit muss daher zu einer Kapitalakkumulation führen, die über der für den Gebrauch nötigen Menge liegt, und dieser Überschuss nimmt die Form allgemeiner Überproduktion an.54
Im letzten Satz dieses Zitats tritt der Ursprung von Hobsons Fehler klar zu Tage, nämlich seine Annahme, dass die Leichtigkeit, mit der es zu übermäßigem Sparen kommt, für die tatsächliche Kapitalakkumulation über die notwendige Menge hinaus verantwortlich ist, was in Wirklichkeit nur ein untergeordnetes Problem ist, das durch fehlerhafte Erwartungen entsteht. 54 Hobson
und Mummery, Physiology of Industry, S. III–V.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus305
Das primäre Problem ist jedoch eine Sparneigung bei Vollbeschäftigung, die größer ist als das entsprechende dafür nötige Kapital. Die Folge ist, dass Vollbeschäftigung dadurch verhindert wird, außer wenn die Prognosen falsch sind. Einige Seiten weiter erklärt er jedoch die Hälfte des Problems mit absoluter Genauigkeit, wie mir scheint, obwohl er immer noch die mögliche Rolle von Änderungen des Zinssatzes und des Geschäftsvertrauens ignoriert, da er diese Faktoren vermutlich als gegeben voraussetzt: Wir gelangen also zu dem Schluss, dass die Grundlage aller ökonomischen Lehren seit Adam Smith, nämlich dass die jährlich produzierte Warenmenge durch die Gesamtheit an verfügbaren Naturkräften, Kapital und Arbeit bestimmt wird, falsch ist. Im Gegenteil, die produzierte Menge kann zwar die durch diese Faktoren gesetzten Grenzen nicht überschreiten, aber sie kann – und wird – weit unter ihrem Höchstmaß bleiben, weil übermäßiges Sparen und die daraus folgende Bildung eines Überangebots die Produktion hemmen. Das heißt, unter den Normalbedingungen moderner Industriegesellschaften begrenzt der Konsum die Produktion und nicht die Produktion den Konsum.55
Schließlich erkennt er die Bedeutung seiner Theorie für die Gültigkeit der orthodoxen Argumente für den Freihandel: Die von orthodoxen Ökonomen gegen unsere amerikanischen Vettern und gegen andere protektionistische Länder erhobenen Vorwürfe kaufmännischer Dummheit können sich, wie wir auch feststellen, nicht mehr auf irgendeines der bislang angeführten Freihandelsargumente stützen. Denn diese basieren allesamt auf die Annahme, dass ein Überangebot unmöglich ist.56
Die sich daran anschließende Erörterung ist freilich unvollständig. Es handelt sich gleichwohl um die erste ausdrückliche Darstellung des Sachverhalts, dass Kapital nicht durch die Sparneigung geschaffen wird, sondern als Reaktion auf die durch tatsächlichen und voraussichtlichen Konsum entstehende Nachfrage. Die folgende Sammlung von Zitaten lässt den Gedankengang gut erkennen: Es sollte klar sein, dass sich das Kapital eines Landes nicht zum Nutzen aller erhöhen lässt ohne anschließende Steigerung des Warenkonsums … Um wirksam zu sein, erfordert jede Erhöhung von Ersparnissen und Kapital eine entsprechende Erhöhung des unmittelbar bevorstehenden Konsums …57 Und wenn wir von künftigem Konsum sprechen, meinen wir nicht eine zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre entfernte Zukunft, sondern eine Zukunft, die von der Gegenwart nur ein kleines Stück weit weg ist … Wenn erhöhte Sparsamkeit oder Vorsicht die Menschen veranlasst, zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr zu sparen, müssen sie bereit sein, künftig mehr zu konsumieren …58 Es wäre wirtschaftlich nicht vertretbar, wenn 55 Ibid.
S. VI. S. IX. 57 Ibid. S. 27. 58 Ibid. S. 50 f. 56 Ibid.
306 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen an irgendeinem Punkt des Produktionsprozesses mehr Kapital vorhanden wäre, als zur Bereitstellung von Waren in Anbetracht der aktuellen Verbrauchsrate nötig ist … 59 Es liegt auf der Hand, dass meine Sparsamkeit in keiner Weise die Gesamtersparnisse der Bevölkerung beeinflusst, sondern nur festlegt, ob ein bestimmter Teil der Gesamtersparnisse durch mich oder durch jemand anderen geleistet wird. Wir werden zeigen, wie die Sparsamkeit eines Teils der Bevölkerung andere Bevölkerungsteile dazu zu zwingen vermag, über ihre Verhältnisse zu leben … 60 Die meisten modernen Ökonomen bestreiten, dass der Konsum in irgendeiner Weise unzureichend sein könnte. Lässt sich irgendeine wirtschaftliche Kraft finden, die die Bevölkerung doch zu solch exzessivem Sparen veranlassen könnte; und falls solche Kräfte am Werk sind, stellt der Marktmechanismus dann keine wirkungsvollen Gegengewichte bereit? Es soll hier aufgezeigt werden, dass erstens in jeder hoch organisierten Industriegesellschaft ständig eine Kraft am Werk ist, die für eine exzessive Sparsamkeit sorgt, und dass zweitens die Gegenmittel, die der Marktmechanismus angeblich bereitstellt, entweder gänzlich unwirksam oder unzureichend sind, um schwerwiegende wirtschaftliche Probleme zu verhindern zu können … 61 Die knappe Antwort, die Ricardo auf die Thesen von Malthus und Chalmers gab, scheint von den meisten späteren Ökonomen als ausreichend hingenommen worden zu sein: „Erzeugnisse werden immer durch Erzeugnisse oder Dienstleistungen erworben; Geld ist lediglich das Mittel, durch das Tausch bewerkstelligt wird. Da eine höhere Produktion stets mit einer entsprechend erhöhten Fähigkeit zu erwerben und zu verbrauchen einhergeht, besteht keine Möglichkeit einer Überproduktion“ (Ricardo, Principles of Political Economy, S. 362).62
Hobson und Mummery waren sich der Tatsache bewusst, dass Zinsen weiter nichts als eine Bezahlung für die Nutzung von Geld sind.63 Sie waren auch der Behauptung ihrer Gegner gewärtig, es komme zu „einem solchen Rückgang des Zinssatzes (oder Gewinns), dass die Ersparnisse dadurch begrenzt werden und das richtige Verhältnis zwischen Produktion und Konsum wiederhergestellt wird“.64 Ihre Antwort darauf lautete: „Wenn ein Gewinnrückgang die Leute veranlasst, weniger zu sparen, muss dies auf eine von zwei Arten geschehen, nämlich entweder, indem er sie veranlasst, mehr auszugeben, oder indem er sie veranlasst, weniger zu produzieren“.65 In Bezug auf erstere Möglichkeit verweisen sie darauf, dass bei sinkenden Gewinnen das Gesamteinkommen der Bevölkerung zurückgeht, und „wir können nicht davon ausgehen, dass sich die Menschen angesichts eines sinkenden Durchschnittseinkommens veranlasst sehen, ihre Verbrauchsrate zu erhöhen, weil die Prämie für Sparsamkeit entsprechend verringert wird“. 59 Ibid. 60 Ibid. 61 Ibid. 62 Ibid. 63 Ibid. 64 Ibid. 65 Ibid.
S. 69. S. 113. S. 100. S. 101. S. 79. S. 117. S. 130.
Kap. 23: Anmerkungen zu Merkantilismus307
Hinsichtlich der zweiten Möglichkeit „liegt es uns fern zu leugnen, dass ein Gewinnrückgang infolge eines Überangebots die Produktion einschränkt – denn immerhin bildet die Anerkennung der Existenz einer solchen Einschränkung den Mittelpunkt unserer Argumentation“.66 Gleichwohl war ihre Theorie nicht vollständig, hauptsächlich weil sie keine unabhängige Zinstheorie hatten. Infolgedessen legte Hobson (vor allem in seinen späteren Büchern) zu viel Gewicht darauf, dass Unterkonsumtion zu Überinvestitionen (im Sinne unprofitabler Investitionen) führe. Er hätte stattdessen erklären sollen, dass eine vergleichsweise schwache Konsumneigung Arbeitslosigkeit mit verursacht, da sie zum Ausgleich ein bestimmtes Volumen an Neuinvestitionen erfordert, das aber nicht stattfindet. Auch wenn dies mitunter infolge von unangebrachtem Optimismus vorübergehend vorkommt, so wird es doch im Allgemeinen nicht so weit kommen, weil der voraussichtliche Gewinn unter das durch den Zinssatz gesetzte Niveau fällt. Seit dem Krieg gab es eine ganze Serie ketzerischer Unterkonsumtionstheorien, unter denen die von Major Douglas die bekanntesten sein dürften. Gewiss ergab sich der Erfolg von Douglas’ Fürsprache insbesondere daraus, dass die orthodoxe Schule auf weite Teile seiner vernichtenden Kritik keine stichhaltige Antwort geben konnte. Andererseits beinhaltet seine Diagnose im Detail viel Irreführendes, vor allem das so genannte „A+B-Theorem“. Hätte Douglas seine B-Posten auf die finanziellen Rückstellungen von Unternehmern begrenzt, denen keine laufenden Ausgaben für Ersatz- und Erneuerungsinvestitionen gegenüberstehen, wäre er der Wahrheit näher gekommen. Aber selbst in diesem Fall muss man die Möglichkeit einkalkulieren, dass diese Rückstellungen durch Neuinvestitionen in anderen Bereichen sowie durch höhere Konsumausgaben ausgeglichen werden. Douglas kann im Gegensatz zu einigen seiner orthodoxen Gegner für sich in Anspruch nehmen, dass er wenigstens das hervorstechendste Problem unseres Wirtschaftssystems nicht übersah. Dennoch kann er allenfalls einen Rang als gemeiner Soldat, aber nicht als Major in der tapferen Armee der Ketzer beanspruchen und sich nicht auf eine Stufe stellen mit Mandeville, Malthus, Gesell und Hobson, die ihrem Gespür folgend die Wahrheit lieber unscharf und unvollständig erkennen wollten, als an einem Irrtum festzuhalten, zu dem man mit Klarheit, Konsequenz und einfacher Logik gelangte, der jedoch auf den Tatsachen zuwiderlaufenden Hypothesen beruhte.
66 Ibid.
S. 131.
Kapitel 24
Abschließende Bemerkungen über eine aus der allgemeinen Theorie abzuleitende Sozialphilosophie I. Die auffälligsten Fehler unserer Volkswirtschaft sind ihre Unfähigkeit, für Vollbeschäftigung zu sorgen, und ihre willkürliche und ungerechte Verteilung von Vermögen und Einkommen. Die Bedeutung der hier dargelegten Theorie für den ersten Fehler ist offensichtlich. Doch in zweierlei Hinsicht ist sie auch für den zweiten höchst relevant. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden durch das Instrument der direkten Besteuerung – Einkommensteuer, Sondersteuern und Erbschaftsteuer – erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der größten Vermögens- und Einkommensungleichheiten erzielt, besonders in Großbritannien. Viele würden diesen Prozess gerne weiter vorantreiben, schrecken davor jedoch aus zwei Gründen zurück: zum einen wegen der Sorge, trickreiche Steuerhinterziehung allzu attraktiv zu machen und außerdem die Risikobereitschaft übermäßig einzuschränken, mehr aber wohl noch wegen der Annahme, dass die Kapitalbildung von der Stärke der individuellen Sparbereitschaft abhänge und dass wir für den Großteil dieses Wachstums die Ersparnisse brauchen, die die Reichen aus ihrem Überfluss anhäufen. Unser Argument berührt die erste dieser Erwägungen nicht, könnte aber unsere Einstellung zur zweiten erheblich verändern. Wie wir gesehen haben, beruht die Kapitalbildung bis zu dem Punkt, an dem Vollbeschäftigung herrscht, keineswegs auf einer geringen Konsumneigung, sondern wird durch diese vielmehr gehemmt. Lediglich bei Vollbeschäftigung ist eine niedrige Konsumneigung förderlich für die Kapitalbildung. Überdies lehrt die Erfahrung, dass unter den bestehenden Bedingungen die institutionellen Ersparnisse sowie die Ersparnisse aus Tilgungsfonds mehr als ausreichend sind und dass sich Maßnahmen zur Einkommensumverteilung, die die Konsumneigung aller Wahrscheinlichkeit nach erhöhen, eindeutig günstig für die Kapitalbildung sind. Dass in der Öffentlichkeit bislang Verwirrung über diese Frage herrscht, wird durch die gängige Meinung illustriert, der zufolge Erbschaftsteuern schuld seien an einer Verringerung des Kapitalreichtums eines Landes. So-
Kap. 24: Abschließende Bemerkungen309
fern der Staat die Steuereinnahmen für seine normalen Ausgaben verwendet, so dass Einkommen- und Verbrauchsteuern entsprechend vermindert oder vermieden werden, stimmt es natürlich, dass eine Fiskalpolitik, die auf hohe Erbschaftsteuern setzt, eine erhöhte Konsumneigung der Bevölkerung bewirkt. Aber insoweit als eine Erhöhung der gewohnheitsmäßigen Konsumneigung im Allgemeinen (d. h. außer bei Vollbeschäftigung) zugleich auch eine Erhöhung der Investitionsanreize bewirkt, läuft der normalerweise gezogene Schluss der Wahrheit diametral entgegen. Unsere Argumentation bringt uns also zu dem Schluss, dass das Wachstum des Wohlstandes unter derzeitigen Bedingungen weit davon entfernt ist, von der Enthaltsamkeit der Reichen abhängig zu sein, wie gemeinhin angenommen wird. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass es dadurch behindert wird. Eine der wesentlichen sozialen Rechtfertigungen für eine sehr ungleiche Vermögensverteilung ist somit beseitigt. Ich will damit nicht sagen, dass es keine anderen, nicht mit unserer Theorie in Zusammenhang stehenden Gründe geben kann, die unter bestimmten Umständen ein gewisses Maß an Ungleichheit rechtfertigen mögen. Aber unsere Theorie beseitigt den wesentlichen Grund dafür, dass man bislang ein vorsichtiges Vorgehen für ratsam hielt. Insbesondere wird unsere Haltung zu Erbschaftsteuern davon berührt: Es gibt nämlich gewisse Rechtfertigungen für eine Einkommensungleichheit, die nicht gleichermaßen auf Erbschaften zutreffen. Ich selbst glaube, dass sich signifikante Einkommens- und Vermögensungleichheiten sozial und psychologisch rechtfertigen lassen. Dies gilt jedoch nicht für derart große Ungleichheiten wie heutzutage. Es gibt durchaus wertvolle Aktivitäten, für deren volle Entfaltung das Motiv des Gelderwerbs wesentlich ist. Überdies lassen sich gefährliche Neigungen mancher Menschen durch die Gelegenheit, Geld zu verdienen und sich persönlich zu bereichern, in verhältnismäßig harmlose Kanäle umleiten. Denn würden sie nicht auf diese Weise Befriedigung finden, könnten Grausamkeit, rücksichtsloses Machtstreben und andere Formen der Selbsterhöhung als Ventil dienen. Es ist besser, dass jemand sein Bankkonto tyrannisiert als seine Mitbürger; und auch wenn mitunter Ersteres als bloßes Mittel für Letzteres gesehen wird, so stellt es doch zumindest manchmal eine Alternative dar. Um diese Aktivitäten und eine solche Befriedigung gewisser Neigungen zu fördern, ist es jedoch keineswegs nötig, um derartig hohe Einsätze zu spielen wie es heute üblich ist. Viel niedrigere Einsätze erfüllen ihren Zweck genauso gut, sobald sich die Spieler einmal daran gewöhnt haben. Man sollte die Aufgabe, die menschliche Natur zu verändern, nicht mit der Aufgabe verwechseln, sie zu steuern. Obwohl in einem idealen Gemeinwesen die Menschen durch Erziehung, Unterricht oder Inspiration dazu gebracht werden sollten, sich gar nicht erst am Glücksspiel zu beteiligen, so ist es doch kluge Staatskunst, das Spiel vorbehaltlich gewisser Regeln und Ein-
310 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
schränkungen zuzulassen, solange der Durchschnittsbürger, wenn nicht gar ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, der Leidenschaft des Gelderwerbs so verfallen ist. II. Es ergibt sich jedoch noch eine zweite und weit grundlegendere Folgerung aus unserer Argumentation, die von großer Bedeutung für die künftige Entwicklung der Vermögensungleichheit ist, und zwar unsere Zinstheorie. Als Begründung für einen mäßig hohen Zinssatz wurde bislang die Notwendigkeit genannt, ausreichende Anreize zum Sparen zu schaffen. Wie wir gezeigt haben, wird jedoch das Ausmaß der effektiven Ersparnis durch das Investitionsvolumen determiniert, welches wiederum durch einen niedrigen Zinssatz begünstigt wird – vorausgesetzt jedenfalls, dass wir die Investitionen nicht über den Punkt hinaus zu fördern versuchen, der sich mit Vollbeschäftigung deckt. Es ist daher nur zu unserem Vorteil, den Zinssatz relativ zur Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals soweit zu senken, dass Vollbeschäftigung besteht. Es besteht kein Zweifel, dass dieses Kriterium auf einen viel niedrigeren Zinssatz als dem bislang herrschenden hinausläuft. Und soweit man die den wachsenden Kapitalbeständen entsprechenden Kurven der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erahnen kann, dürfte der Zinssatz stetig sinken, sollte es gelingen, einen Zustand von mehr oder weniger Vollbeschäftigung aufrecht zu erhalten. Dies gilt nur dann nicht, wenn es zu einer massiven Veränderung der aggregierten Konsumneigung (inklusive der des Staates) kommt. Ich bin überzeugt, dass die Nachfrage nach Kapital begrenzt ist in dem Sinne, dass es problemlos möglich wäre, den Kapitalbestand so weit zu steigern, dass seine Grenzleistungsfähigkeit auf einen minimalen Wert fällt. Diese hieße nicht, dass der Gebrauch von Kapitalgütern so gut wie nichts kosten würde, sondern nur, dass ihr Ertrag kaum mehr als ihre Wertverminderung durch Abnutzung und Veraltung sowie einen gewissen Zuschlag für das Risiko und das unternehmerische Können abdeckt. Kurzum, der Gesamtertrag langlebiger Güter über ihre gesamte Lebensdauer hinweg würde genau wie bei kurzlebigen Gütern gerade einmal die Arbeitskosten bei ihrer Erzeugung plus einen Aufschlag für Risiko und die Kosten für unternehmerisches Wissen und der Beaufsichtigung abdecken. Obgleich nun dieser Zustand durchaus mit einem gewissen Maß an Individualismus vereinbar wäre, würde er doch für die Rentiers das langsame Aussterben bedeuten und folglich auch für die kummulative unterdrückerische Macht der Kapitalisten, den Knappheitswert des Kapitals auszunutzen. Heutzutage stellen Zinsen genauso wie Pachtzinsen für Land keine Belohnung für
Kap. 24: Abschließende Bemerkungen311
ein wirkliches Opfer dar. Die Kapitalbesitzer können Zinsen verlangen, weil Kapital knapp ist, ebenso wie der Landbesitzer einen Pachtzins erhält, weil Land knapp ist. Während aber für die Knappheit von Land inhärente Gründe bestehen dürften, gibt es doch keine inhärenten Gründe für Kapitalknappheit. Es kann auf Dauer keinen inhärenten Grund für eine solche Knappheit geben, in dem Sinne, dass es sich um ein wirkliches Opfer handeln würde, das nur erbracht wird, wenn jemand dafür eine Belohnung in Form von Zinsen anbietet. Die einzige Ausnahme bildet der Fall, in dem die individuelle Konsumneigung sich so gestaltet, dass bei Vollbeschäftigung die Nettoersparnis zur Neige geht, bevor das Kapital genügend angewachsen ist. Aber selbst dann ist es möglich, die gesellschaftlichen Ersparnisse mithilfe des Staates auf einem Niveau zu halten, das die Kapitalbildung bis zu dem Punkt ermöglicht, an dem Kapital nicht länger knapp ist. Mir erscheint daher die Existenz von Rentiers im Kapitalismus als eine vorübergehende Phase, die vorbei sein wird, sobald sie ihre Arbeit getan hat. Und mit dem Verschwinden des Rentiers werden auch in anderen Bereichen grundlegende Veränderungen stattfinden. Ein großer Vorteil der von mir befürworteten zeitlichen Abfolge ist darüber hinaus, dass das das Dahinscheiden des Rentiers, des Investors ohne Funktion, nichts Plötzliches ist, sondern lediglich eine anhaltende Fortsetzung dessen, was wir seit kurzem in Großbritannien sehen. Eine Revolution ist dafür gar nicht nötig. Praktisch sollten wir daher (und hier wird nichts Unerreichbares vorgeschlagen) zweierlei anstreben: eine Erhöhung des Bestandes an Kapital, so dass dieses nicht länger knapp ist und der funktionslose Investor keinen Bonus mehr erhält, sowie ein System der Direktbesteuerung, das die Intelligenz, die Entschlossenheit und die Leitungskompetenz der Finanziers, Unternehmer und ähnlicher Leute (die gewiss so begeistert über ihre eigene Kunstfertigkeit sind, dass ihre Arbeitskraft viel billiger als derzeit zu haben wäre) für eine angemessene Entlohnung in den Dienst der Allgemeinheit stellt. Zugleich müssen wir anerkennen, dass nur die Erfahrung zeigen wird, inwieweit der in der staatlichen Politik verkörperte gemeinschaftliche Wille auf die Steigerung und Unterstützung der Investitionsanreize ausgerichtet sein sollte und inwieweit eine Stimulierung der durchschnittlichen Konsumneigung gefahrlos möglich ist, ohne dabei unser Ziel aufzugeben, dem Kapital innerhalb von ein oder zwei Generationen seine Knappheit zu nehmen. Womöglich stellt sich heraus, dass die Konsumneigung so leicht durch einen Zinsrückgang gesteigert werden kann, dass Vollbeschäftigung schon mit einer Akkumulationsrate erzielt werden kann, die kaum über der heutigen liegt. In diesem Fall ließe sich gegen ein System starker Besteuerung von hohen Einkommen und Erbschaften einwenden, dass es mit einer deutlich unter dem aktuellen Niveau liegenden Akkumulationsrate zu Vollbe-
312 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
schäftigung führen würde. Ich würde niemals die Möglichkeit oder sogar die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falls bestreiten. In derartigen Angelegenheiten wäre jede Vorhersage, wie der Durchschnittsbürger auf solch ein verändertes Umfeld reagiert, voreilig. Sollte es sich jedoch als einfach umsetzbar erweisen, annähernde Vollbeschäftigung durch eine nur unwesentlich höhere Akkumulationsrate als derzeit zu erreichen, wäre zumindest ein gewichtiges Problem gelöst. Es sollte dann einer gesonderten Entscheidung überlassen werden, wie und in welchem Umfang die gegenwärtige Generation vernünftigerweise zu einer Einschränkung ihres Konsums aufgerufen werden sollte, damit im Lauf der Zeit für kommende Generationen ein Zustand der Vollinvestition hergestellt wird. III. In anderen Bereichen sind die Konsequenzen der hier vorgestellten Theorie gemäßigter. Denn auch wenn sie auf die überragende Bedeutung einer zentralen Steuerung bestimmter Angelegenheiten hinweist, die derzeit im Wesentlichen der individuellen Initiative überlassen sind, so lässt sie doch weite Tätigkeitsbereiche unberührt. Der Staat muss lenkend auf die Konsumneigung einwirken, teils durch sein Steuersystem, teils durch die Festlegung des Zinssatzes und vielleicht auch noch auf andere Weise. Es erscheint außerdem unwahrscheinlich, dass die Geldpolitik allein einen ausreichenden Einfluss auf den Zinssatz hat, um ein optimales Investitionsvolumen herbeizuführen. Ich könnte mir daher vorstellen, dass sich eine einigermaßen umfassende staatliche Investitionslenkung als einziges Mittel zur Erreichung annähernder Vollbeschäftigung erweisen wird, auch wenn dies alle möglichen Übereinkünfte und Partnerschaften zwischen staatlichen Behörden und dem Privatsektor nicht ausschließt. Aber über eine solche Lenkung hinaus wird hier selbstverständlich kein staatssozialistisches, weite Teile des Wirtschaftslebens eines Landes umfassendes System propagiert. Es ist nicht entscheidend, dass der Staat die Produktionsmittel in seinen Besitz nimmt. Wenn der Staat in der Lage ist, die Gesamtmenge an Ressourcen für die Mehrung der Produktionsmittel und den Basissatz der Entlohnung ihrer Besitzer zu bestimmen, hat er alles Nötige erreicht. Überdies können die notwendigen Maßnahmen zur staatlichen Lenkung schrittweise, ohne Bruch der allgemeinen gesellschaftlichen Traditionen eingeführt werden. Unsere Kritik an der allgemein anerkannten klassischen Wirtschaftstheorie bestand weniger daraus, logische Fehler in ihrer Analyse zu finden, als vielmehr aufzuzeigen, dass ihre stillschweigenden Voraussetzungen selten oder nie erfüllt sind, mit dem Ergebnis, dass sie die wirtschaftlichen Probleme der realen Welt nicht zu lösen vermag. Wenn jedoch unsere zentrale Lenkung erfolgreich für ein Gesamtproduktionsvolumen sorgt, das so weit
Kap. 24: Abschließende Bemerkungen313
wie möglich Vollbeschäftigung entspricht, dann kommt von diesem Punkt an die klassische Theorie wieder zum Tragen. Sehen wir das Produktionsniveau als gegeben an, d. h. als von Kräften außerhalb des klassischen Denkschemas bestimmt, dann lässt sich nichts gegen die klassische Analyse einwenden, auf welche Weise privates Eigeninteresse bestimmt, was im Einzelnen produziert wird, in welchem Verhältnis die Beschäftigten zu dessen Erzeugung zusammengestellt werden und wie der Wert des Endprodukts auf sie aufgeteilt wird. Sobald wir das Problem der Sparsamkeit auf andere Weise gelöst haben, ist wiederum nichts einzuwenden gegen die moderne klassische Theorie über die Übereinstimmung von privatem und öffent lichem Vorteil unter vollkommenen bzw. unter unvollkommenen Wettbewerbsbedingungen. Abgesehen von der Notwendigkeit einer zentralen Lenkung zur Schaffung eines Ausgleichs zwischen Konsumneigung und Investitionsanreiz gibt es keinen weiteren Grund dafür, dass der Staat stärker ins Wirtschafsleben eingreift als bisher. Konkret gesagt sehe ich keinen Grund für die Annahme einer gravierenden Fehlallokation des Faktors Arbeit im bestehenden System. Es kommt natürlich zu Prognosefehlern, doch ließen sich diese auch durch eine Zen tralisierung der Entscheidungen nicht vermeiden. Wenn 9 Mio. von 10 Mio. arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen beschäftigt sind, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Arbeit dieser 9 Mio. Menschen falsch eingesetzt wird. Die Kritik am gegenwärtigen System lautet nicht, dass diese 9 Mio. Menschen für andere Aufgaben eingesetzt werden sollten, sondern dass es auch für die übrigen 1 Mio. Menschen Arbeit geben sollte. Das bestehende System versagt, wenn es um die Menge der tatsächlichen Beschäftigung geht, und nicht bei der Frage, wofür diese eingesetzt wird. Füllt man die Lücken der klassischen Theorie – darin stimme ich mit Gesell überein –, ist das Ergebnis nicht die Abschaffung des „Manchester-Systems“. Vielmehr geht es darum, das Umfeld zu definieren, welches das freie Spiel der Wirtschaftskräfte zur Realisierung des vollen Produktionspotenzials benötigt. Die zur Herstellung von Vollbeschäftigung erforderliche zentrale Lenkung geht freilich mit einer gewaltigen Ausweitung der traditionellen Aufgaben der Regierungen einher. Die moderne klassische Theorie hat im Übrigen selbst auf diverse Umstände aufmerksam gemacht, unter denen das freie Spiel der Wirtschaftskräfte eingeschränkt oder gesteuert werden muss. Gleichwohl wird immer noch ein weites Feld für die Ausübung privater Initiative und Verantwortung bleiben. Auf diesem Feld werden die traditionellen Vorteile des Individualismus weiterhin Geltung besitzen. Halten wir einen Moment inne, um uns diese Vorteile noch einmal vor Augen zu führen. Es handelt sich zum Teil um Effizienzvorteile: Vorteile der Dezentralisierung und des Spiels des Eigeninteresses. Die Vorteile, die sich
314 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
für die Effizienz aus einer Dezentralisierung von Entscheidungen und von individueller Verantwortung ergeben, sind vielleicht sogar noch größer, als man im 19. Jahrhundert annahm, während die Gegenreaktion auf den Appell an Eigeninteresse womöglich zu weit ging. Aber vor allem ist der Individualismus, wenn er von seinen Makeln und Missbräuchen befreit werden kann, die beste Absicherung der persönlichen Freiheit, in dem Sinne, dass er verglichen mit allen anderen Systemen die weitest mögliche Ausübung persönlicher Wahlfreiheit vorsieht. Er ist auch der beste Schutz einer Vielfalt von Lebensweisen, die sich eben aus dem weiten Feld persönlicher Wahlfreiheit ergeben und deren Verlust der größte aller Verluste in einem homogenen oder totalitären Staat ist. Denn diese Vielfalt bewahrt die Traditionen, die die sichersten und erfolgreichsten Entscheidungen früherer Generationen verkörpern. Sie macht die Gegenwart durch die Mannigfaltigkeit ihrer Phantasie bunter, und als Dienerin von Experimenten ebenso wie von Tradition und Phantasie ist sie auch der beste Garant für eine bessere Zukunft. Die mit der Aufgabe, die Konsumneigung und die Investitionsanreize aufeinander abzustimmen, einhergehende Ausweitung der Aufgabenbereiche des Staates dürfte einem Publizisten des 19. Jahrhunderts oder einem zeitgenössischen amerikanischen Finanzier zwar als ein entsetzlicher Eingriff in die persönliche Freiheit erscheinen. Ich verteidige aber im Gegensatz eine solche Ausweitung, denn sie stellt die einzig durchführbare Methode zur Vermeidung der Zerstörung der bestehenden Wirtschaftsformen in ihrer Gesamtheit dar, und sie ist die Bedingung für die erfolgreiche Ausübung von Eigeninitiative. Bei einer mangelhaften effektiven Nachfrage stellen schließlich nicht nur die brachliegenden Ressourcen ein öffentliches Ärgernis dar. Auch der Unternehmer, der mit diesen Ressourcen arbeiten will, hat geringe Gewinnchancen. In dem Glücksspiel, bei dem er mitspielt, gibt es viele schlechte Karten, so dass die Spieler allesamt verlieren, wenn sie genügend Energie und Hoffnung haben, alle Karten auszuspielen. Bisher blieb der Zuwachs des globalen Reichtums hinter den positiven individuellen Gesamtersparnissen zurück. Die Differenz besteht aus den Verlusten all derer, deren Mut und Eigeninitiative nicht durch besondere Fähigkeiten oder ungewöhnlich viel Glück ergänzt wurden. Wenn aber die effektive Nachfrage ausreichend ist, dann genügen schon durchschnittliche Fähigkeiten und durchschnittliches Glück. Die heutigen autoritären Staatssysteme lösen anscheinend das Problem der Arbeitslosigkeit auf Kosten von Effizienz und Freiheit. Es steht fest, dass die Welt die Arbeitslosigkeit nicht mehr lange hinnehmen wird, die von kurzen Intervallen der Euphorie einmal abgesehen mit dem heutigen kapitalistischen Individualismus einhergeht – und meiner Ansicht nach unausweichlich einhergehend muss. Durch eine korrekte Analyse des Problems
Kap. 24: Abschließende Bemerkungen315
dürfte es jedoch möglich sein, das Leiden zu beheben und gleichzeitig Effizienz und Freiheit zu erhalten. IV. Wie bereits erwähnt, dürfte das neue System dem Frieden eher förderlich sein als das alte. Es lohnt sich, diesen Aspekt zu wiederholen und zu betonen. Kriege haben mehrere Ursachen. Diktatoren und andere, denen der Krieg, zumindest in ihrer Erwartung, ein reizvolles Vergnügen bietet, haben es leicht, die natürliche Kriegslust ihrer Völker auszunutzen. Aber darüber hinaus erleichtern es ihnen ökonomische Kriegsursachen, namentlich der Bevölkerungsdruck und der Wettstreit um Märkte, die Flamme der Gewalt anzufachen. Es ist wohl der zweite Faktor, welcher im 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle gespielt hat und sie auch in Zukunft wieder spielen könnte, der für diese Debatte besonders relevant ist. Wie ich im vorangegangenen Kapitel erläutert habe, stand in einem von inländischem Laissez-faire und einem internationalen Goldstandard geprägten System, wie es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Regel war, den Regierungen kein anderes Mittel zur Linderung wirtschaftlicher Not im eigenen Land zur Verfügung als der Kampf um Märkte. Denn alle zur Bekämpfung eines Zustands chronischer oder periodischer Unterbeschäftigung geeigneten Maßnahmen waren ausgeschlossen mit Ausnahme von Maßnahmen auf der Einnahmeseite durch eine Verbesserung der Handelsbilanz. Zwar haben Ökonomen gewöhnlich das vorherrschende internationale Wirtschaftssystem dafür gelobt, dass es die Früchte der internationalen Arbeitsteilung lieferte und zugleich für einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Nationen sorge, aber dahinter verbargen sich weniger harmlose Auswirkungen. Politiker, die um den Wohlstand eines reichen alten Landes fürchteten, das den Wettstreit um Märkte vernachlässigte, zeigten gesunden Menschenverstand und eine richtige Einschätzung des wahren Laufs der Dinge. Wenn aber Nationen erlernen können, durch innenpolitische Maßnahmen Vollbeschäftigung zu erzielen (und wir sollten hinzufügen, wenn sie auch bei der Bevölkerungsentwicklung ein Gleichgewicht erreichen), brauchen keine nennenswerten wirtschaftlichen Kräfte einkalkuliert zu werden, durch die die Interessen eines Landes in Konflikt mit denen seiner Nachbarn gerieten. Es gäbe immer noch Spielraum für die internationale Arbeitsteilung und den internationalen Kreditverkehr zu angemessenen Bedingungen. Hingegen bestünde kein zwingender Grund mehr, warum ein Land einem anderen seine Waren aufzwingen oder das Angebot seines Nachbarn zurückweisen müsste, und das nicht etwa, weil es das für die Bezahlung seiner Einkäufe nötig hätte, sondern mit dem ausdrücklichen
316 Buch VI: Durch die allgemeine Theorie nahegelegte kurze Anmerkungen
Ziel, das Zahlungsgleichgewicht zu stören, um die Handelsbilanz zu seinen eigenen Gunsten zu verbessern. Der Welthandel wäre nicht mehr das, was er ist, nämlich ein verzweifeltes Mittel, die Beschäftigung im Inland zu schützen, indem den Auslandsmärkten Güter aufgezwungen und Importe eingeschränkt werden, was im Erfolgsfall das Problem der Arbeitslosigkeit lediglich auf den im Kampf unterlegenen Nachbarn schiebt. Er wäre vielmehr ein freiwilliger und ungehinderter Austausch von Waren und Dienstleistungen zum beiderseitigen Vorteil. V. Ist die Umsetzung dieser Ideen ein Phantasma? Sind sie ungenügend in den Beweggründen verwurzelt, die die Entwicklung des politischen Lebens lenken? Sind die Interessen, die sie durchkreuzen, stärker und unübersehbarer als die, denen sie dienen? An dieser Stelle versuche ich nicht, eine Antwort darauf zu geben. Es wäre ein ganz anders geartetes Buch als das vorliegende nötig, um die praktischen Maßnahmen auch nur grob zu umreißen, deren Form die Ideen allmählich annehmen könnten. Wenn aber diese Ideen zutreffen – und die Äußerungen des Autors beruhen zwangsläufig auf dieser Annahme –, wäre es meiner Voraussage nach ein Fehler zu bestreiten, dass sie über einen längeren Zeitraum gewaltige Kräfte entfalten können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhoffen mehr Menschen als sonst eine grundlegendere Diagnose. Sie sind ungewöhnlich offen dafür, begierig, sie auszuprobieren, wenn sie auch nur einigermaßen plausibel ist. Aber von dieser gegenwärtigen Stimmungslage einmal abgesehen sind die Ideen der Ökonomen und politischen Philosophen unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch sind, weit mächtiger als gemeinhin vermutet. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes regiert. Praktiker, die sich ganz frei von allen intellektuellen Einflüssen wähnen, sind zumeist Sklaven irgendeines längst verstorbenen Ökonomen. Verrückte an der Macht, die von irgendwoher Stimmen hören, destillieren ihren Wahnsinn aus dem, was ein akademischer Schreiberling vor ein einigen Jahren zu Papier brachte. Ich bin sicher, dass die Macht von Interessengruppen gegenüber dem allmählichen Vordringen von Ideen stark übertrieben wird. Diese setzen sich nach einiger Zeit durch, wenn auch sicher nicht sofort. Denn im Bereich der Wirtschafts- und Staatstheorie lassen sich viele nicht mehr durch neue Ideen beeinflussen, nachdem sie einmal ein Alter von 25 oder 30 Jahren erreicht haben, so dass die Ideen, mit denen Beamte, Politiker und auch Agitatoren auf aktuelle Ereignisse reagieren, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die neuesten sind. Aber die Gefahr von Veränderungen geht früher oder später von den Ideen aus und nicht von den mächtigen Interessengruppen, sei es zum Guten oder zum Schlechten.
Symbolverzeichnis Symbol deutscher Begriff
englischer Begriff
a
erwartete prozentuale Wert steigerung
expected percentage appreciation
A
Output, Produkte
output
A1
Ausgaben für den Ankauf von Waren von anderen Unternehmen
sum for purchasing finished output from other entrepreneurs
B'
Optimale Ausgaben für die Verbesserung und Erhaltung ungenutzten Sachkapitals
optimum sum to spend on maintaining and improving unused capital equipment
c
Lagerhaltungskosten
carrying costs
C
Konsum
consumption
Cw
Konsum in Lohneinheiten gemessen
consumption in terms of wage-units
D
Erlös bzw. effektive Nachfrage
proceeds, effective demand
Dw
effektive Gesamtnachfrage
total effective demand
D1
Verhältnis von (erwartetem) Konsum zu Einkommen in der Gesamtwirtschaft
relationship between the (expected) consumption expenditure and the income of the community
D2
voraussichtlicher Investitionsbetrag der Gesamtwirtschaft
expected amount devoted to new investments by the community
dr
Gegenwartswert von einem im Jahr r fälligen Pfund Sterling
present value of £1 deferred r years
ee
Beschäftigungselastizität
elasticity of employment
ep
Elastizität der Geldpreise
elasticity of money-prices
ew
Elastizität der Nominallöhne
elasticity of money-wages
E
Lohn- (und Gehalts-)summe
wages (and salaries) bill
F
Faktorkosten
factor costs
G
Wert des Sachkapitals
value of capital equipment
318 Symbolverzeichnis Symbol deutscher Begriff
englischer Begriff
G'
durch Erhaltungsmaßnahmen erhöhter Wert ungenutzten Sach kapitals
value of unused capital equipment increased by spending on main tenance
I
Investitionen
investment
Iw
Investition in Lohneinheiten gemessen
investment in terms of wage-units
k
Investitionsmultiplikator
investment multiplier
k'
Beschäftigungsmultiplikator
employment multiplier
l
Liquiditätsprämie
liquidity premium
L
(Funktion der) Liquiditätspräferenz
(function of) liquidity preference
L1
einkommensabhängige Liquiditätspräferenz
liquidity function depending on income
L2
zins- und erwartungsabhängige Liquiditätspräferenz
liquidity function depending on the state of current income and of expectations
M
Geldmenge
quantity of money
M1
Geldhaltung aus Transaktions- und Vorsichtsmotiv
cash hold for transactions- und pre-caution-motives
M2
Geldhaltung aus Spekulationsmotiv
cash hold for speculative motives
N
Zahl der Beschäftigten
number of men employed
n
Arbeitskräfteangebot
supply of labour
N1
Beschäftigte in den Lohngüterbranchen
number of men employed in the wage-good industries
N2
Beschäftigte in der Investitions güterindustrie
employment in the investment industry
0
Menge der laufenden Produktion
quantity of current output
P
Preisniveau der laufenden Produktion
price of the current output
q
Ertrag oder Output von Kapital anlagen
yield or output of assets
Q 1, Q2 …
Quasirenten bzw. Mehrertrag durch den Einsatz einer zusätzlichen Kapitalmenge
annuities, increment of value obtainable by using an additional quantity of capital
Symbolverzeichnis319 Symbol deutscher Begriff
englischer Begriff
Qr
Voraussichtlicher Ertrag eines Vermögenswerts zum Zeitpunkt r
prospective yield from an asset at time r
r
Zinssatz
rate of interest
U
Nutzungskosten
user cost
V
Einkommensumlaufgeschwindigkeit income-velocity of money des Geldes
V
Zusatzkosten
supplementary cost
W
Lohneinheit bzw. Nominallohn einer Arbeitseinheit
wage-unit, money-wage of a unit of labour
x
Grenzleistungsfähigkeit einer Kapitalanlage, in Geld ausgedrückt
marginal efficiency of an asset in terms of money
Y
Einkommen
income
Yw
Einkommen in Lohneinheiten gemessen
income in terms of wage-units
Z
aggregierter Angebotspreis
aggregate supply price
Vokabularium Abnutzung, Verschleiß wastage, wear and tear Angebotselastizität elasticity of supply Angebotsfunktion, aggregierte aggregate supply function Angebotskurve supply curve, supply schedule Angebotspreis, aggregierter aggregate supply price Anlagevermögen fixed capital Anleihe bond Arbeitnehmervereinigungen combination (amongst workers) Arbeitseinheit labour unit Arbeitskraft, Arbeitskräfte labour Arbeitsnachfragekurve demand schedule for labour Auslandsinvestitionen foreign investment Austauschverhältnis terms of trade Baissestimmung state of bearishness Bargeld, Geld cash Bausparkasse building society Beschäftigungsfunktion employment function Beschäftigungsmultiplikator employment multiplier Betriebsmittel working capital Branche industry Desinvestition disinvestment – marginale Desinvestition – marginal disinvestment Diskontsatz rate of discount Doppelzählung duplication effektive Nachfrage effective demand Eigenzinssatz own-rate of interest Einkommensguthaben income-deposits Einkommensteuer income-tax Einkommensumlaufgeschwindigkeit income-velocity of money des Geldes Endprodukte finished goods Engpass bottle-neck Erbschaftsteuern death duties
Vokabularium321 Erlös proceeds erstklassig (Wertpapiere)
gilt-edged
Ertrag yield – voraussichtlicher od. erwarteter Ertrag – prospective yield – Ertrags-Kosten-Relation – rate of return over cost Ertragsbilanz
income account
erzwungenes Sparen
forced saving
Expansion (wirtschaftliche) – Kontraktion
inflation – deflation
Faktorkosten
factor cost
Freigeld
stamped money
Gebrauchskapital
consumption capital
Geldmenge
quantity of money
Gesamtangebotskurve
aggregate supply function
Gesamteinkommen
aggregate income, total income
Gesamtnachfragekurve
aggregate demand function
Geschäftsguthaben
business-deposits
Geschäftskapital trade-capital Geschäftsvertrauen
business confidence
Gewinn profit – Bruttogewinn – gross profit – Nettogewinn – net profit Giralgeld bank-money Grenzerlös
marginal proceeds
Grenzertrag
return at the margin of production
Grenzfaktorkosten
marginal factor cost
Grenzkosten
marginal prime cost
Grenzleid der Arbeit
marginal disutility of labour
Grenzleistungsfähigkeit
marginal efficiency
– Kurve der Grenzleistungsfähigkeit – schedule of the marginal des Kapitals efficiency of capital Grenznutzen
marginal utility
Grenznutzungskosten
marginal user cost
Grenzprodukt der Arbeit
marginal product of labour
Grenzproduktivität der Arbeit
marginal productivity of labour
Güter, die ein Renteneinkommen erzielen
rent-factors
Horten hoarding Interessengruppen
vested interests
Investitionsanreiz
inducement to invest
322 Vokabularium Investitionsgüter investment-goods – Investitionsgüterindustrie – investment industries – Investitionsgüterkauf – investor-purchase Investitionsmultiplikator investment multiplier Investitionsnachfragekurve investment demand-schedule Investitionsquote rate of (new) investment Kapitalanlage capital-asset Kapitalbildung growth of capital Kapitalgeber (Rentier) rentier Kapitalgesellschaft business corporation Kapitalgüter capital-goods Kapitalgüterindustrie capital-goods industries Kapitalreichtum (eines Landes) capital wealth (of a country) Kapitalstock stock of capital Kassenbestände working cash Kollektivverhandlungen collective bargaining Kommunalverwaltung local authorities Konjunkturzyklus trade cycle Konsumneigung propensity to consume – marginale Konsumneigung – marginal propensity to consume Kosteneinheit cost unit kreditfinanzierte Ausgaben loan expenditure Kreditwürdigkeit state of credit Kursrückgang / -steigerung depreciation / appreciation in the price of securities Lagerbestände, Lagerhaltung stock, inventories, carry-over Lagerhaltungskosten carrying cost langfristige Erwartungshaltung state of long-term expectation langfristige Gleichgewichtsposition long-period position langlebige Güter durable goods latente Größe potentiality Lebensgeister animal spirits liquides Vermögen liquid capital Liquiditätspräferenz liquidity-preference Liquiditätsprämie liquidity-premium Lohnabschluss wage bargain Lohneinheit wage-unit Lohngüter wage-goods Nachfrageelastizität elasticity of demand
Vokabularium323 Nachfragefunktion, aggregierte aggregate demand function Nachfragekurve demand curve, demand schedule Nachfragepreis, aggregierter aggregate demand price Nationaleinkommen national income Nationalprodukt national dividend negatives Sparen negative saving Nettoproduktion net output Neuinvestitionen new investment Nominallohn money-wage Notenbank: s. Zentralbank Nutzungskosten user cost Öffentliche Hand (od. staatliche Stellen) public authorities Öffentliche Versorgungsunternehmen public utilities Opportunistisches Fehlverhalten moral hazard Opportunitätskosten relative cost Primärbeschäftigung primary employment Produktionselastizität elasticity of production Produktionsfaktoren, hier oft: der factors of production Faktor Arbeit bzw. Beschäftigte Produktionsgüter producer’s goods Produktionsumfang scale of production Quasirenten annuities Rendite return Rezession slump, depression Sachkapital capital equipment Schulden debt Schuldverschreibungen debts sekundäre Beschäftigung(seffekte) secondary employment Sondersteuer surtax Sparer (Besitzer eines Sparkontos) depositor Sparguthaben savings-deposits Staat, staatliche Stellen authorities Staatliche Investitionslenkung socialisation of investment Stand des Vertrauens state of confidence Steuerbehörden inland revenue authorities Substitutionselastizität elasticity of substitution Tilgungsfonds sinking funds Überangebot, Überschüsse redundancy Unsicherheit uncertainty, precariousness
324 Vokabularium Unterbeschäftigung under-employment Unternehmertum, Unternehmungsgeist enterprise variable Kosten prime cost Veraltung obsolescence Vermögensbilanz capital account Vermögensgüter assets Vermögensverluste loss on capital account vertikal integriertes Unternehmen integrated firm Viertelzentnter quarter Volkshochschule university extension Vollbeschäftigung full employment Vorprodukte unfinished goods Währungsbehörde monetary authority Warenbestände inventories Warenkorb composite commodity Warenzinssatz commodity rate of interest Wendepunkt, oberer / unterer downward / upward turning-point Wertpapiere securities Wertrückgang, Entwertung depreciation Wertzuwachs appreciation Wiederbeschaffungskosten oder -wert replacement costs Zeitdiskontierung time-discounting Zentralbank central bank, mitunter auch: banking system Zufallsgewinn / -verlust windfall gain / loss Zusatzkosten supplementary cost
Namenregister Armstrong, Clement 287 Barbon, Nicholas 297 Bentham, Jeremy 80, 292 Böhm-Bawerk, Eugen von 153, 158, 182 Bonar Law, Andrew 290 Booth, Charles 302 Büchi, Henry 294 Butler, Harold 290 Cairncross, Alec 302 Carver, Thomas Nixon 153 Cary, J. 297 Cassel, Gustav 157, 162 Chalmers, Thomas 306 Child, Josiah 284 Culpeper, Thomas 285
Hayek, Friedrich August von 46, 63, 79, 80, 165 Heckscher, Eli 283–286, 288, 290, 297 Hobson, John Atkinson 31, 301–304, 306, 307 Hume, David 285 Jevons, William Stanley 273, 274 Johnson, Samuel 297 Kahn, Richard Ferdinand 10 Knight, Frank Hyneman 153 Kuznets, Simon 97, 98 Laffemas, Barthélemy de 297 Locke, John 284, 285
George, Henry 294, 302 Gesell, Silvio 41, 293, 294–296, 307, 313
Malthus, Thomas Robert 20, 41, 300, 301, 306, 307 Malynes, Gerard 283, 286, 287 Mandeville, Bernard 100, 297–299, 307 Marshall, Alfred 13, 19, 31–33, 41, 45, 60, 62, 73, 159, 160, 163, 182, 203, 277, 302 Marshall, Mary 32 Marx, Karl 19, 41, 294 Mill, John Stuart 19, 31, 32, 301 Mises, Ludwig von 165, 166 Misselden, Edward 284 Mummery, Albert Frederick 301, 302, 306 Mun, Thomas 286
Hales, John 287 Hansen, Alvin 166 Harrod, Roy Forbes 11, 156 Hawtrey, Ralph George 11, 56, 74, 76, 78
Petty, William 284, 287, 297, 300 Pigou, Arthur Cecil 19, 20, 22, 23, 26, 31, 41, 45, 46, 60, 63, 73, 74, 160, 162, 163, 200, 217, 226–233 Pye, Philip 293
Davenant, Charles 286 Douglas, Clifford Hugh 41, 307 Edgeworth, Francis Ysidro 19, 31, 41, 160 Fisher, Irving 294, 296 Flux, Alfred 153 Fortrey, Samuel 286, 297 Fullarton, John 302
326 Namenregister Ricardo, David 13, 19, 20, 31, 41, 164, 165, 300, 301, 306 Robbins, Lionel 32, 79, 165 Robertson, Dennis Holme 78, 127, 156, 160, 271 Robertson, John Mackinnon 302
Smith, Adam 292, 299, 301, 305 Sraffa, Piero 189 Stephen, Leslie 297, 298
Say, Jean-Baptiste 31, 301 Schrötter, Wilhelm von 286, 297
Walras, Leon 153 Wicksell, Johan Gustav Knut 14
Taussig, Frank William 153 Thomas, Albert 290
Sachregister Abnehmender Ertrag 49, 80, 82, 89, 105–106, 111, 242, 249, 252, 254, 273 Administrierte Preise 223, 225 Aggregierte Angebotsfunktion 35, 38, 51, 59 Fn., 87, 234 Aggregierte Angebotskurve 59, 60 Aggregierte Nachfragefunktion 35, 41, 47, 50, 59, 87, 92 – und Beschäftigung 208 – und Geldmenge 248 – und Liquiditätspräferenz 146, 148 – und Nominallöhne 219–221 – und Quantitätstheorie des Geldes 179 Aggregierte Nachfragekurve 59 Aggregierter Angebotspreis, Definition 35 – und Konsum 39, 93 – und Nutzungskosten 59 Fn., 68 Ägypten, Reichtum im alten 118 Aktienmarkt s. Wertpapierbörse Angebotselastizität 244, 51, 198, 250 Angebotskurve, gewöhnliche 51, 234 Angebotspreis von Investitionen 121, 131, 207 – Definition 121 – kurzfristiger 68–69, 272–273 – langfristiger 68–69 – normaler, und Gleichgewicht 192 – und Nutzungskosten 59 Fn., 68–69, 73 – von Kapitalanlagen 121 Arbeit – als einziger Produktionsfaktor 181 – Elastizität der Nachfrage nach Arbeitskräften 216
– Grenzleid der 21–25, 36, 116, 237, 243 – Grenzprodukt der 21, 82 – und Konjunkturschwankungen 271 – und Produktion von Geld 194–195 – und Zinsen in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 310 Arbeitseinheit 21, 48, 89, 105, 182, 195, 242 Arbeitskräfteangebot nicht nur eine Funktion des Reallohns 23 – und Nachfrage, sein Platz in der Wirtschaftslehre 244 Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten 24 – Definition 28 – friktionelle 21, 22, 28 – und Arbeitslosenunterstützung 210 – und autoritäre Staatssysteme 314 – und effektive Nachfrage 300–301 – und Goldstandard 289 – und Merkantilismus 287 – und negative Ersparnisse 102, 111 – und Produktion 278 – und Wesen des Geldes 197–198 – unfreiwillige 21, 22, 28, 33, 109, 165, 229 Arbeitsteilung, internationale 277, 281 Ausgaben, kreditfinanzierte 116–118, 275 Außenhandel – in der klassischen Wirtschaftslehre 277 – in einem zukünftigen Wirtschafts system 315 – und Merkantilismus 277–290 – und Multiplikator 110–111
328 Sachregister Australien, Lohnpolitik in 224–225 Autoritäre Systeme 314 Baissestimmung 150 Bankeinlagen 81, 145 Fn., 167–168 Bankensystem – seine Kreditbedingungen 171–172 – und Investitionen in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 318–19 – und Lohnpolitik 222 – und Schaffung von Kredit 80–83 – und Zinssatz 177 – vorgeschlagene Verbesserung im 175–176 – s. a. Geldpolitik, Geldmenge Bankgebühren 168 Bausparkassen 96 Beschäftigung – eine abhängige Variable 112–113 – heutiges Problem der 256 – ihre Beständigkeit 208–212 – ihre Mengeneinheiten 48 – im 19. Jahrhundert 256 – in armen und wohlhabenden Gemeinwesen 40–41, 298 – in der klassischen Theorie 20–22, 160, 215–216 – Theorie der 37–40, 205–212 – Umverteilung von 271 – und aggregierte Nachfragefunktion 88 – und Änderungen in den Erwartungen 53 – und Ersparnisse und Investitionen 77–78 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 180 – und Freihandel 279–280, 315 – und Funktion der Beschäftigung 88, 234, 239 – und Geldmenge 149 – und Investitionen 94 – und Konjunkturzyklus 93, 262–263, 265, 268, 270, 272
– und Multiplikator 105, 112 – und Nominallöhne 215–226 – und Preise 247, 249 – und starrer Nominallohn 224–226 – und Zinssatz 185–186, 189, 204, 289 Beschäftigung, Elastizität der 204, 235–236, 239–241 – Definition 236 – Funktion der 87, 206, 234–243 – zusätzliche 231 – s. a. Primärbeschäftigung, Unterbeschäftigung, Vollbeschäftigung Beschäftigungselastizität 204, 235–236, 239–241 Beschäftigungsmultiplikator 106, 208, 227 Betriebsmittel – und variable Kosten 226 Fn. Bevölkerung und Geldbestand 282 Fn. – und Konjunkturzyklus 265 – und Kriege 315 Bruttogewinn 60–62, 63 – Definition 60–61 – und Nutzungskosten 69–70 Bull, John, Redensart des 19. Jahrhunderts über 257 Fn. Bullen, Bären und der Zinssatz 148– 149 „Closed shop“ 29 Fn. Deflation 247, 275 Denkschulen in Bezug auf den Konjunkturzyklus 283–290 Desinvestition 59, 68, 99, 265, 275 Diskontsätze 175–176, 282 Edelmetalle 277–281, 286–289 Effektive Nachfrage 36–41, 50 – Definition 36, 38, 59 – Elastizität 255 – in der langen Frist 255 – in wohlhabenden Gemeinwesen 40–41, 298
Sachregister329 – und Beschäftigung 218–219 – und Beschäftigungsfunktion 234–243 – und Einkommen 59 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 179–181 – und Erwartung 130 – und klassische Theorie 36, 41–42 – und merkantilistisches Denken 297 – und Nutzungskosten 70 Fn. – und Preise 178, 246–254 – und Produktionsverfahren 182 – und Stabilität 209–211 – und umsichtige Finanzpolitik 94–95 – und Unternehmer 314 Eigenzinssatz 188–195, 197–199, 202 Eigenzinssatz des Goldes 193 Einkommen 34, 57–64 – Definition 34, 57 – eine abhängige Variable 205–206 – Einkommensverteilung 267, 308–310 – Statistiken und Multiplikator 115– 116 – und Beschäftigung 38, 216 – und Ersparnisse und Investitionen 65, 75 – und Geld 254–257 – und gewöhnliche Angebots- und Nachfragekurve 234–235 – und Konsumneigung 89–92, 207–208 – und Nutzungskosten 68 Einkommen und Investitionen 115, 156–158, 207–208 – der Unternehmer 57–59 – Definition 58 – in „Vom Gelde“ 63 – und Beschäftigungselastizität 240 – und klassische Zinstheorie 154–155 – und Liquidität 148–149, 168–169, 171 – und Quantitätstheorie des Geldes 178 – Wahl zwischen Freizeit und 271 – s. a. Nettoeinkommen der Unternehmer
– s. a. Realeinkommen, Nettoeinkommen Einkommensmotiv 167 Einkommensteuer und Konsumneigung 90 – und Liquidität 256 – und Vermögensungleichheit 308 Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes 167, 172–173, 178, 215, 242, 249, 257 Elastizität der Beschäftigung; s. Beschäftigungselastizität – der effektiven Nachfrage 254 – der Nachfrage nach Arbeitskräften: s. a. Nachfrageelastizität der Arbeit 216 – der Nominallöhne 238, 253 – der Preise, s. Preiselastizität – der Produktion, s. Produktionselastizität – der Schöpfung von Geld 194–195, 197–200 – der Substitution, s. Substitutionselastizität – des Angebots, s. Angebotselastizität – von anderen Vermögenswerten als Geld 194, 197, 200 Engpässe 250, 268 Erbschaftsteuer 91, 308–309 Erlös aus Beschäftigung 34–36, 59, 67–68, 77, 87, 242 – s. a. Grenzerlös Ersparnisse 64–67, 79, 103–104 – akkumulierte und Liquidität 167 – im merkantilistischen Denken 297 – in einem zukünftigen Wirtschafts system 308, 310–311 – in „Vom Gelde“ 63 – negative 33, 80, 103, s. a. negatives Sparen – und Beschäftigungselastizität 240 – und Investitionen 63–68, 75–83, 158–158, 272–273 – und klassische Theorie 152–155
330 Sachregister – und Konsum 183, 207–208 – und Nullzinssatz 184 – s. a. Nettoersparnisse, Sparneigung Erträge des Kapitals 180–181 – Erwartung 52–56, 130–143, 245 – kurzfristige 52–53, 55–56 – langfristige 52–53, 56, 130–143, 206 – und Änderungen des Geldwerts und der Produktion 126, 199–201 – und gegenwärtiger und zukünftiger Konsum 178 – und Geldmenge 248 – und Konjunkturzyklus 266, 266–267, 273 – und Liquidität 169–170, 172, 175 – und Nominallöhne 70 Fn., 200, 219–221, 250 – und Produktivität des Kapitals 123 – und Verhältnis von gegenwärtigem und zukünftigem Einkommen 91–92 – von Erträgen 121, 130, 206 – von Vermögenswerten 190 – voraussichtliche 125, 130 Ertrags-Kosten-Relation 125 Erzwungenes Sparen 79–80, 157–158, 244, 273 – und Genügsamkeit 69 Europa, Handelsbeschränkungen in 281 Faktorkosten 34, 58, 68, 70 – s. a. Grenzfaktorkosten Federal Reserve System 273 Finanzpolitik, umsichtige 94–95, 99, 116–117 Fiskalpolitik 309 Flucht aus der Währung 177, 254, 273 Freigeld 197, 296 Freihandel 277–278, 290 Freiwillige Arbeitslosigkeit 21–23, 28–29 Freizeit und Einkommen 271
Gebrauchskapital 191 Gefährliche Produktionsprozesse 182 Geld, Lagerhaltungskosten 191–192, 196–197, 200 – Angebotselastizität 193–194, 197–200 – Nachfrage nach 82–83, 167, 208, 220–221 – spezifische Eigenschaften 188–204, 245 – Stellung im wirtschaftlichen System 149 244–245 – Substitutionselastizität 195, 197, 200 – und Abgrenzung zu Schuldverschreibungen 145 Fn. – und Zinssatz 145–151 Geldmenge als letztendliche unabhängige Variable 206–207 – im merkantilistischen Denken 283–284, 286–287, 297 – und Beschäftigung 149–150 – und Ersparnisse u. Investitionen 79–83 – und Hortung 150–151 – und Kapitalgeber 242 – und Liquidität 168–170, 202 Fn. – und Nominallohn 215–216, 221–226 – und Preisniveau 150, 246–248, 256–262 – und Quantitätstheorie 178, 253–255 – und Wertpapierkäufe 148, 171 – und Zinssatz 146, 147–150, 175, 196 – s. a. Quantitätstheorie des Geldes Geldpolitik – eines zukünftigen Wirtschaftssystems 312–313 – und Ersparnisse und Investitionen 82 – und Geldschöpfung 194, 198 – und Handelsbilanz 279–280 – und Konjunkturzyklus 263–264 – und Liquidität 169–170 – und Löhne 222–224 – und Merkantilismus 283–284
Sachregister331 – und Zinssatz 142–143, 172–177 – und Zinssatz in der klassischen Theorie 203–204 Geldstandard im 19. Jahrhundert 256 – Risiko von Änderungen 128 – und Charakteristiken von Geld und Zins 189–190, 192–193, 199 – s. a. Goldstandard Gesamtwirtschaft 216–217, 234, 244 Geschäftsguthaben 167 Geschäftsmotiv 168 Geschlossene Volkswirtschaft 25, 221 – und Lohnpolitik 225 Geschmack der Verbraucher 130, 187, 205 Gewerkschaften 29, 222, 251 Gewerkschaftszwang 29 Gewinn – normaler, und lang- und kurzfristiger Angebotspreis 69, 77 – und Beschäftigungsfunktion 237, 242 – s. a. Nettogewinn Giralgeld im 19. Jahrhundert 256 Gleichgewicht – langfristiges, und Angebotspreis 69 – und Zinssatz 155, 164–165 – und Beschäftigung 208 – und Beschäftigungselastizität 240–241 – und Diskontsatz 282 – und flexible Wechselkurse 225 – und Preise 66 – und Vollbeschäftigung 242–243 – und Zinssatz 184–185, 203–204 – von Geld und Zins 170–172 – von Geld- und Vermögenswerten 192 Gleichgewichtszinssatz 158 Gold, Eignung als Wertmaßstab 198 Goldbergbau 117–118, 171, 194 Goldstandard und Geldschöpfung 194 – und Handelsbilanz 280–281, 289 – und Krieg 314–315
– und Merkantilismus 288–289 Grenzerlös 59–70 Grenzfaktorkosten 59, 68, 70–72 Grenzkosten 246–247, 251–252 Grenzkosten und Änderungen in Nominallöhnen 219–222 – und Beschäftigungsfunktion 234 – und Lohnkosten 226–227, 249, 251–252 – und Nutzungskosten 69 Grenzleid der Arbeit 21, 38, 116, 237 Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 37, 40, 121–143 – Definition 121–122 – eine unabhängige Variable 205–208 – ihre Bedeutung 128–129, 159 – im 19. Jahrhundert verglichen mit heute 256–257 – in der ökonomischen Theorie 124–125 – in einem zukünftigen Wirtschafts system 186–187, 210–311 – in Krisen 177 – und Aktienkurse 132–133, 133 Fn. – und Geld 150–151, 189–190, 197, 248 – und Geld- und Eigenzinssätze 188–189, 192 – und Investitionen 144, 310–311 – und klassische Theorie 154 – und Konjunkturzyklus 261–266, 268–269 – und Liquiditätspräferenz 148 – und Löhne 195–196, 217–222, 224–225 – und öffentliche Bauprojekte 110 – und Staat 143, 186 – und Stabilität 208–210, 211 – und Warenstandards 189–190 – und Wuchergesetze 291–292 – und Zinspolitik 310–311 Grenznutzen des Kapitals 122, 123 – des Lohns 212
332 Sachregister Grenznutzungskosten 59, 68, 72–73 – Änderungen der 251–252 – und Kapitalertrag 124–125 – und steigende Preise 242–243 Grenzprodukt 21–24, 82, 116 Großbritannien – Beschäftigung und Außenhandel vor dem Krieg 280, 289 – Freihandel im 19. Jahrhundert 281 – Investitionen 96–97 – Merkantilismus 277 – Multiplikator 111–112 – Real- und Nominallöhne 230 – Umverteilung des Einkommens 308 – und Diskontsatz 282 – und Zinssatz 185–186 – Vollbeschäftigung 269 Güter, die ein Renteneinkommen erzielen 194 – und Beschäftigungselastizität 238 Handelsbeschränkungen 281–283 Handelsbilanz 110–111, 218–219, 277, 278–281 – und Änderungen der Nominallöhne 218–219 – und Merkantilismus 277–278, 288–289 – und zukünftige Politik 315–316 Haushaltsdefizit 944, 116–118 Hausse-/Baisse-Position 147 Fn. Horten, die Merkantilisten über 285–286 – und Liquidität 140–141, 150–151 Hypotheken 202 Importbeschränkungen 281–283 Indien, Liquiditätspräferenz und Verarmung 280 Individualismus, Vorteil des 313–314 Inflation 173, 177, 244 – absolute 251 – Semi- 251
– wahre 109, 252 Instandhaltung und Nutzungskosten 67, 71–72 Interessengruppen 316 Internationale Arbeitsorganisation 289 Fn. Internationale Arbeitsteilung 277, 315 Investitionen 37–40, 59, 63–67, 207–211 – britische und amerikanische Statis tiken 97–98 – in einem zukünftigen Wirtschafts system 310–313 – und Beschäftigung 217–218, 235 – und Beschäftigungselastizität 240–241 – und Eigenzinssätze 198–199 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 179–180 – und Erwartung 132–133 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 122–123, 130 – und klassische Theorie 155–159 – und Konjunkturzyklus 261–276 – und Konsumneigung 87, 94–100, 104 – und Liquiditätsprämie von Land 202–203 – und Merkantilismus 277–283 – und Nominallöhne 217–222 – und Nutzungskosten 67 – und Risiko 128 – und Stabilität 208–211 Investitionen und Staat 100, 143, 186–187, 194, 279, 289, 311–312, 314 – ausländische 279, 282, 29, 315 – fehlgeleitete 266, 268, 273 – öffentliche 100, 142 – unerwartete Zunahme der 112–113 Investitionsanreiz 37, 122, 201, 279, 288, 291, 309, 313 Investitionsmultiplikator 106, 207 – in den Vereinigten Staaten 116 – und Geldmenge 248–249
Sachregister333 Investitionsnachfragekurve 122, 131, 156–158 Investmentmärkte 132–136, 139–140, 263, 266 – s. a. Aktienmarkt, Wertpapierbörse Investoren, professionelle 135–142 Italien, Lohnpolitik in 224 Kapital, abnehmender Ertrag 49, 80, 105–106, 242, 254 – Angebotspreis 121, 207 – fixes, und Nutzungskosten 72–73 – und Investitionen 76 – und Konjunkturzyklus 265 – Lebensdauer 264 – liquides 76 – liquides, und Erwartung 55 – Nachfragekurve in der klassischen Theorie 152–159 – nicht vorausgesehene Zunahme der Produktion 111–113 – Produktionskosten 262, 264 – Produktivität 180–183 – Reichlichkeit 187, 310–311 – Trennung von Eigentum und Management 132 – und Abnutzung 94–100 – und Einkommen 57–59, 60 – und Investitionen 65 – und Konjunkturzyklus 262–266 – und Nutzungskosten 67, 72, 73 – und voraussichtlicher Ertrag 130 – und Zinssatz 184–186 – s. a. Betriebsmittel, Produktionskapital Kapitalakkumulation in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 308, 310–311 – in reichen Gemeinwesen 40, 185–186, 279 – und Konsumneigung 104, 289 – und Liquiditätsprämie für Land 201–202 – und merkantilistisches Denken 288
Kapitalanlage 75, 81, 121, 130, 140, 153, 166, 180, 188–190, 203, 206, 210, 263 Kapitalaufzehrung 77, 273 Kapitalbildung in den Vereinigten Staaten 97–98 Kapitalertragsteuern 91 Kapitalgeber in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 187, 311 – und Nominallohnsenkungen 219 – und Vollbeschäftigung 243 Kapitalismus, zukünftige Entwicklung 187, 256, 308–316 Klassische Ökonomen 19 Fn., 29 Klassische Theorie – ihre Begrenztheit 312–313 – Postulate 20–33, 42, 253 – und Beschäftigung 19, 104, 237 – und effektive Nachfrage 41–42 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 125–125 – und Lohnsenkungen 215–217 – und Merkantilismus 277–278, 282, 288–289 – und Zinsen und Investitionen 90, 144–145, 152–166, 290–291, 294–295 Knappheit und Ertrag des Kapitals 181–183 – und Produktivität 182 Konjunkturzyklus 208, 261–276 – und Konsum 93 – und Löhne 251 – und Nullzinssatz 185–186 – und unvorausgesehene Änderungen 113 Konsum 37, 64, 207, 209–211 – Definition 64 – und Nominallohnänderungen 217– 219 Konsum und Ersparnisse und Investitionen 64–67, 75, 80 – und finanzielle Vorsorge 98–100 – und Konjunkturzyklus 273, 274, 275
334 Sachregister – und Konsumneigung 87, 89, 93, 94 – und New Deal 275 – und Sparen 33, 66–67, 179–181 – und Wesen des Kapitals 179–184 – und Zinssatz 145 – s. a. Konsumneigung Konsumneigung 37–40, 87, 205, 206, 208–209 – Definition 87 – die objektiven Faktoren 87–100 – die subjektiven Faktoren 101–104 – im 19. Jahrhundert 257 – Sparneigung 67 – und Akkumulation 279, 280, 308–309, 310 – und Beschäftigung 179–180 – und Beschäftigung in wohlhabenden Gemeinwesen 40, 185–186 – und Einkommensteuer 91, 309 – und klassische Zinstheorie 154–155 – und Nominallöhne 200–201, 218–219, 218–219 Konsumneigung und Konjunkturzyklus 261–262, 265–267, 270–273 – Hortungsneigung 178; s. a. Funktion der Liquidität – und unverhoffte Änderungen der Kapitalwerte 90 – und Zinssatz 90, 154–155, 159–160 – und zukünftige Politik 309, 310 Kosten, langfristige 68–69 – der Vermittlung von Kreditgebern und Kreditnehmern 177, 185, 257 – s. a. Lagerhaltungskosten, Zusatz kosten, Faktorkosten, Nutzungskosten, Grenzkosten, variable Kosten, Lohnkosten Kosten, normales Niveau 72–73 Kosteneinheit 252, 257, 273 Kreditwürdigkeit 138 Krieg, die Merkantilisten über 288 – und zukünftiges Wirtschaftssystem 315
Krise, finanzielle, in Europa und in den Vereinigten Staaten 177, 273 – und Konjunkturzyklus 261–266 Künftiger Ertrag, s. voraussichtlicher Ertrag Kurzfristige Anleihen und Verände rungen der Lohneinheit 219 – Beschäftigungselastizität 251–252 – Erwartungen 52–53, 55–56 – und Bankkosten 177 – Wechsel und Diskontsatz 175 Kurzfristiger Konsum und Zinssatz änderungen 90–91 Labour-Regierung und Unternehmertum 141–142 Lagerbestände 53, 71, 76, 98, 113, 241, 274, 275 Lagerhaltungskosten 191–192, 202 – und Geld 196–197, 199 – und Land 201–202 – und überschüssige Vorräte 263–264 Laissez-faire und Außenhandel 279, 282, 289 – und Beschäftigung 184–186 – und Geld 117, 198 – und Investitionen 139 – und Krieg 288–289, 315 – und Merkantilismus 288, 290 Land – und Akkumulation 34–36 – Verstaatlichung 294 Fn., 290 Landwirtschaft und Konjunkturzyklus 262, 273–276 Langfristige Erwartungen 52–53, 56, 130–143, 206 – Kosten und Nutzungskosten 68–69 – Schuldverschreibungen, Preisregulierung durch Zentralbank 175f. Langfristiger Angebotspreis 58–69 Lebenshaltungskosten und Konsum 93, 219 Leistungsfähigkeit und langwierige Produktionsprozesse 181–184
Sachregister335 Liquidität 72–83, 201–202, 207 – des Geldes und Geldmenge 202 Fn., 254 – des Geldes und Lagerhaltungskosten 196–197, 199 – in nichtmonetärer Wirtschaft 202 – Liquiditätspräferenz und Verarmung in Indien 280 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 180–181 – und Geldzinssatz 197 – und Konsumneigung 102 – und Land 201–202 – und Lohneinheit 195–196 – s. a. Funktion der Liquiditätspräferenz, Liquiditätspräferenz Liquiditätspräferenz, Definition 145–146 – Einkommensmotiv 168 – Geschäftsmotiv 168 – im 19. Jahrhundert verglichen mit heute 257 – in der langen Frist 255 – Spekulationsmotiv 148–150 – Transaktionsmotiv 147–148, 150, 168 – und Auslandsinvestitionen 279 – und Erwartungen 147 – und Hortung 150–151 – und Konjunkturzyklus 261, 263–264, 273 – und merkantilistisches Denken 283 – und öffentliche Bauprojekte 110–111 – und Reichtum im Mittelalter 291 – und Zinssatz 144–150, 155–157, 176 – Vorsichtsmotiv 147–148, 168 Liquiditätsprämie 191 – des Geldes 196 Fn. – des Geldes und anderer Vermögenswerte 192–194 – des Wertstandards 199–202 – von Land 201–202 Lohneinheit 47–51 – in der allgemeinen Theorie 205–208
– in Großbritannien vor dem Krieg 280 – und Auslandsinvestitionen 279–280 – und Beschäftigungsfunktion 234–239 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 125, 130 – und Konsumneigung 87–88, 91–92, 101 – und Liquiditätspräferenz 147–148, 155 – und marginale Konsumneigung 105–108 – und Preise 246–247, 248–253, 257–258 – und Quantitätstheorie des Geldes 178, 246–247, 248–253 – und Veränderungen der Geldmenge 80, 147–148, 150, 194, 195, 247, 248–253, 257–258 Lohnfondstheorie 301–302, 304 Lohngüter 22 – ihre Lagerhaltungskosten 200–201 Lohnkosten 226–227, 230, 249, 251–252 Lohnpolitik 222–226, 281 Fn. Lohnsumme und Nachfrage nach Geld 25, 219–220 London, Wertpapierbörse 139–140 Maklergebühren an den Wertpapier börsen 140 Manchester-System 313 Marginale Konsumneigung 105, 118 – in wohlhabenden Gemeinwesen 40, 196 – und Lohnsenkungen 218–219 – und Multiplikator 106–107 – und Stabilität 208–210 Maßeinheiten, Wahl von 45–51, 182 Massenpsychologie der Investoren 135–136, 139, 150, 263 Merkantilismus 277–291, 296–297 Midas 186 Monopolpreise 223, 225
336 Sachregister Moral hazard, s. opportunistisches Fehlverhalten Motiv – der Verbesserung 93 – der Vorsicht 93 – des Unternehmertums 93 Multiplikator 105–118 – Beschäftigungs- 106, 208, 227 – in armen und wohlhabenden Gesellschaften 114 – in den Vereinigten Staaten 111, 116 – in Großbritannien 111 – Investitions- 106, 115, 208 – und Geldmenge 248 – und Stabilität 208–210 Nachfrage, Gesamt- 99, 112, 215, 233 – der Arbeit in der klassischen Theorie 22 – effektive, s. effektive Nachfrage – nach Investitionen 122 Nachfrageelastizität der Arbeit 216 Nachfragekurve 216–217, 234–235 – und Erwartungen 130 – und Geldwert 126 – und klassische Zinstheorie 154–150, 157–159 – und Konsumneigung 103–104 – und Zinssatz 122–123 Nationalprodukt 20 Fn., 45–46 Natürlicher Zinssatz 158, 203–204 Negative Ersparnisse, s. a. negatives Sparen 33, 79, 111 Neoklassische Schule 154, 157 Nettoeinkommen 61–64 – Definition 60–61 – der Unternehmer 60–63, 89 – und Konsumneigung 89, 94 – und Nutzungskosten 68 Nettoersparnisse 63, 64, 66 Nettoinvestitionen 64–67 – Definition 65 – und Konsum 94–95, 271 – und Multiplikator 105
Neutraler Zinssatz 158, 203 New Deal 275 New York Investmentmarkt 139, 140, 140 Fn., Nicht-monetäre Wirtschaft 188, 201 Nicht-stationäre Wirtschaft 95, 245 Nominallöhne, starre 215, 222 – in Großbritannien 230 – und Vollbeschäftigung 242 – und Wesen des Geldes 195–196, 199–201 Nominallöhne, Veränderungen 22–28, 215–224, 237 – Beständigkeit und Veränderungen 209–212, 224–2, 252–253 Normaler Gewinn 72–73 – in „Vom Gelde“ 77 Nutzen des Geldes 195 – des Lohnes 21 – Grenz- des Lohns 212 – s. a. Grenzleid der Arbeit Nutzungskosten 34, 58–59, 60, 67–74 – Abnutzung 95 – Definition 58 – in statischem Zustand 129 – und Einkommen 60 – s. a. Grenznutzungskosten Offene Volkswirtschaft in der klassischen Theorie 25 – und Lohnpolitik 225, 251 – und Lohnsenkungen 218–219 – und Multiplikator 110–111 Offenmarktpolitik 168–170, 223 öffentliche Bauprojekte 108, 110, 115 Ökonomen, Meinungsverschiedenheiten der 244–245 – klassische 19 Fn., 29 Optimismus der klassischen Theorie 42 – und Konjunkturzyklus 34 – und wirtschaftliche Tätigkeit 141 Österreichische Schule 77, 273
Sachregister337 Preise, Theorie der 244–257 – und Konjunkturzyklus 273, 274 – und Nominallohnänderungen 23, 200–201, 211–212, 219–221, 222, 224–226, 255–257 – und öffentliche Bauprojekte 108 – und Quantitätstheorie des Geldes 178, 253–254 – und Veränderungen der Beschäftigung 150, 208, 212 – und Vollbeschäftigung 109, 242–243 Preiselastizität 24l, 247–248 Preisniveau 45, 47–50 – Stabilität 66, 200, 208–211, 225– 226, 241–242 Primärbeschäftigung 105–108, 231 Produktion 30, 50, 68, 245 – abnehmender Ertrag der 89, 249, 252, 273 – Angebotspreis der 250, 273 – durch den Zinssatz gesetzte Grenzen der 192 – und Änderungen in der Geldmenge 248 – und Ersparnisse und Investitionen 77–78 – und gewöhnliche Angebotskurve 234–235 – und Konjunkturzyklus 270–271, 273, 275–276 – und Liquidität 167–168 – und Lohneinheit 224 – und staatliche Lenkung 312–313 – und Vollbeschäftigung 242 Produktion und wahre Inflation 252 Produktionselastizität 193–194, 197–198, 200, 239–241 Produktionsfaktoren 20, 34, 58, 68, 181–184, 216, 219, 241, 248, 251, 283 Produktionskapital, Merkmale 191 Produktionsprozesse, umständliche 179, 181–182 Produktivität des Kapitals und Ertrag 181–184
– und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 123–125 Protektionismus 277 Psychologie der Investoren 135–136, 139, 150, 263 – der Unternehmer 132–133, 141–142 Psychologische Faktoren, grundlegende 206 – und Stabilität 208–211 Pyramiden 117, 186 Quantitätstheorie des Geldes 238, 246–247, 254–255 – und Liquidität 178 – und Vollbeschäftigung 242 Quasi-stationäreZustände 187 Rate der Zeitdiskontierung 89–90 Reale Nachfragefunktion nach Arbeit 226–228, 229, 133 Realeinkommen und Nominallohn änderungen 218–219 – und Beschäftigung 38, 105 – und Konsum 89, 209 Reallöhne, gesetzliche Festsetzung 224–225 – in der klassischen Theorie 21–31, 33, 216, 237 – in Großbritannien 230 – und Vollbeschäftigung 242–243 – Widerstand gegen Senkungen 221 Regierung s. Staat Reichtum, Ersparnisse und Verlangen nach 180–181, 289 – Goldbergbau und 117 – „natürlicher“ und „künstlicher“ in der merkantilistischen Theorie 284 – Steuerpolitik 91 Fn. – Ungleichheit 103, 308–310 Risiko, drei Arten von 128 – des Kreditgebers und Kreditnehmers 128–129 – Opportunistisches Fehlverhalten (moral hazard) 128–129, 176
338 Sachregister – und Ungleichheit von Vermögen und Einkommen 308 – und Zinssatz 177 – und zukünftiges Wirtschaftssystem 186, 310–311 – Unternehmer- 128 Risikoklassen von Schuldverschreibungen und Währungsbehörde 175 Risikokosten 69 Risikoprämie und Liquiditätspräferenz 202 Saysches Theorem 36–37 Schatzwechsel als Geld 145 Fn. Schuldenlast 220, 223–224, 255 Schuldverschreibungen und Geld – Preise von 171–172, 175 – Unterscheidung zwischen 145 Fn. Schwankungen 93, 208–211, 255; s. a. Konjunkturzyklus Solon 282 Fn. Sondersteuern 257, 308 Sozialistische Gesellschaft, Lohnpolitik 223 Spanien im 15. und 16. Jahrhundert 280 Sparen, negatives 91, 102, 111 Sparneigung und Konsumneigung 67 – und Zinssatz 144, 154, 158–159, 184–186 Sparsamkeit 297 Spekulanten 135–142, 263 Spekulation 135–142 – in den Vereinigten Staaten 139–140, 268 – in Großbritannien 139–140 – und Unternehmertum 139 Spekulationsmotiv 148–150 Spieler und ernsthafte Anleger an den Wertpapierbörsen 136–137 Spotpreis 189–190 Staat, Geld drucken und Liquidität 169 – und Investitionen 100, 135, 186–187, 266, 270, 279, 289, 291, 311–312, 314
Staatssozialistisches System 312 Stabilität – Bedingungen 66, 209–211 – und Lohnpolitik 224–225 – und Preise 66, 202, 209–211, 224–225, 242 Stand des Vertrauens 131, 138, 207 – im 19. Jahrhundert 256 – und Konjunkturzyklus 263 – und Lohnsenkungen 220 – und öffentliche Bauprojekte 110 Statischer Zustand und Abnutzung 95 – und Berechnung der Erträge 124, 129 Steuern 91–92, 221, 257, 308 Steuerpolitik und Konsumneigung 91 – und Lohnpolitik 219 Substitutionselastizität 195, 197–198, 200, 202 – des Geldes 219 Termineinlagen 145 Fn. Termin- und Spotpreise 188–189 Terms of Trade 219, 225, 277 Tilgungsfonds 92, 96 Transaktionsmotiv 147–148, 150, 168 Übereinkünfte und Bewertungen an den Börsen 133–134 Überinvestitionen 266–269, 307 Überziehungskredit 168 Umlaufvermögen und Konjunkturzyklus 265–266 Umsatzsteuer 140 Umverteilung von Beschäftigung 271 – und Konsumneigung 219, 267 – von Einkommen 79, 113, 219, 308 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit 22, 28, 33, 116, 242 Unsicherheit – und Erwartungen 130 – und Konsumneigung 91 – und Krisen 263
Sachregister339 – und Liquiditätspräferenz 146, 158, 172 – und Substitutionselastizität des Geldes 195 – und Zinssatz 129 Fn., 185 Unterbeschäftigung 242, 269, 308–309, 314 – s. a. Arbeitslosigkeit Unterkonsumption 269–271 – und Merkantilismus 297 Unternehmer und Beschäftigungs elastizität 215 – und Geldschöpfung 194–195 – und Lohnsenkungen 218–219, 220 – und Nullzinssatz 184–185 – und Vollbeschäftigung 242 – und Wertpapierbörse 132–1333, 263 Fn. – und zukünftige Politik 313 – s. a. Nettoeinkommen der Unter nehmer Unternehmereinkommen 57–59 Unternehmertum in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 187, 309 – Psychologie des 132–133, 141–142 – und Spekulation 138–139 Variable 205–207 Variable Kosten 58 – durchschnittliche 69 – und Nutzungskosten 69 – und Quantitätstheorie des Geldes 254 Veraltung 144 Vereinigte Staaten, Arbeitslosigkeit 24 – Aufschwung in den Jahren 1928 bis 1929 268, 273 – Beschäftigung und Zinssatz 185 – Finanzkrise 1932 177 – Konsumneigung und Wertpapierbörse 266 – Lohnpolitik 224 – Multiplikator 111–112, 116 – New Deal 275 – Offenmarktpolitik 169–170
– und Rezession in den Jahren 1924 bis 1929 96 – Wertpapierbörse 139–140 Vertrauen, s. Stand des Vertrauens Vollbeschäftigung 28–29, 209–211, 252 – Definition 28–29, 37, 252 – und Eigenzinssätze 199 – und erzwungenes Sparen 80 – und Gleichgewicht 211, 242–243 – und Hobsons Theorie 304 – und klassische Theorie 26, 164 – und Löhne 222–223, 225, 250–251 – und Quantitätstheorie des Geldes 178 – und Überinvestitionen 266–268 – und Unterkonsumtion 270–271 – und Zinssatz 104, 173–178, 273 – und zukünftige Politik 308, 310, 312–313, 314–315, 315 Vollinvestition, Zustand der 269 Voraussichtlicher oder künftiger Ertrag, Definition 121 – Beziehung zum laufenden Ertrag 125 – Schätzung in einem zukünftigen Wirtschaftssystem 187 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 179–180 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 121–123, 130, 205–207 – und Stabilität 209, 211 – Unkenntnis über 132 Vorräte 112–113 – Lagerhaltungskosten und Konjunkturzklus 264–266 – überschüssige 190 – und Beschäftigungselastizität 240–241 – und New Deal 275 – und Nutzungskosten 71–73 Wahrscheinlichkeit u. Liquidität 202 – und Unsicherheit 130 Fn. Wall Street 139–140, 140 Fn. Warenbestände 275
340 Sachregister Warenbörsen 140 Fn. Warenzinssatz s. Eigenzinssatz Warten 152, 157, 164 Wechselkurse 225, 282 Welthandel – in der klassischen Wirtschaftslehre 277 – in einem zukünftigen Wirtschafts system 315–316 – und Merkantilismus 277–291 – und Multiplikator 110–111 Wertpapierbörsen 75, 132–143, 170 – und Konjunkturzyklus 263, 266 Wertpapiere, ihre Bewertung an der Börse 133 Fn., 138, 266 – Kurse an der 91, 170, 175–176 Werttheorie 244 Wettbewerb, Ausmaß 205 Wettbewerb, übermäßiger 286 – und klassische Theorie 39, 313 – unvollkommener 21 Wiederbeschaffungskosten 121 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 121 – und Konjunkturzyklus 266–269 – und Nutzungskosten 72–73 Wohlhabende Gesellschaften – und Akkumulation 185–186 – und Beschäftigung 40 – und effektive Nachfrage 186 – und Lebenshaltungskosten 114–115 – und Multiplikator 114 Wuchergesetze 202, 283–284, 291–292 Zeitdauer in der Produktion 179–181, 240 Zeitdiskontierung 90 Zeitelement 262, 263–264 Zeitpräferenz 169–170 Zeitverzögerung 111–113 Zentralbank 175, 198 Zinssatz 144–150, 188–204 – Definition 146, 188
– eine psychologische oder auf Konventionen begründete Erscheinung 173–174 – eine unabhängige Variable 205–208 – Hindernisse gegen einen niedrigen 172–173, 176–177, 256–257 – im 19. Jahrhundert verglichen mit heute 256 – in der klassischen Theorie 90, 144, 155–166, 290–291 – in Krisen 177 – in reichen Gemeinwesen 40, 186–187 – Komplex von Zinssätzen 122 Fn., 127, 146–147, 145 Fn., 175–175 – und Akkumulation 186, 279–280, 289 – und Außenhandel 282, 288 – und Beschäftigung 240, 242 Zinssatz und Stabilität 209–211 – Eigen- 188–194, 197–199, 202 – Gleichgewichts- 158, 170 – kurzfristiger 173, 177 – langfristiger, und Geldpolitik 172– 174, 176 – natürlicher 158, 202–203 – neutraler 158, 202 – optimaler 203 – reiner 69, 128, 157, 177, 187 – und Ersparnisse von Einzelpersonen 179 – und Geldmenge 78, 146, 148–150, 170–178, 248, 255–257 – und Geldpolitik 175–177 – und Geldwert 125–127 – und Goldbergbau 117–118 – und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 121–123, 127, 128–129, 186–187 – und Horten 150–151 – und Konjunkturzyklus 263, 266–273 – und Konsumneigung 90–92, 103–105 – und Liquidität 170–178
Sachregister341 – und Lohnpolitik 222–223 – und Merkantilisten 283–285, 288 – und Nominallöhne 217–224, 224–225 – und Nutzungskosten 69, 71 – und öffentliche Bauprojekte 110 – und Produktionsverfahren 181–184 – und Vertrauen 132 – und Wuchergesetze 290–292 – und zukünftige Politik 311
Zufallsgewinn 61–62, 241 Zufallsverlust 61–62, 244 Zusatzkosten 60 – laufende 62, 71–72 – primäre 62 – und Einkommen 60, 61 – und Konsum 84–100, 102 – und Nutzungskosten 69–70, 73 Zwangssparen, s. erzwungenes Sparen