Thomas Hobbes und die Person des Staates: Aus dem Englischen übersetzt von Christian Neumeier [1 ed.] 9783428552955, 9783428152957

Was bezeichnet der Begriff Staat und brauchen wir ihn heute noch als einen Ordnungsbegriff der politischen Theorie? Quen

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Thomas Hobbes und die Person des Staates: Aus dem Englischen übersetzt von Christian Neumeier [1 ed.]
 9783428552955, 9783428152957

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Carl-Schmitt-Vorlesungen · Band 2

Thomas Hobbes und die Person des Staates Von Quentin Skinner

Duncker & Humblot · Berlin

QUENTIN SKINNER

Thomas Hobbes und die Person des Staates

Carl-Schmitt-Vorlesungen Band 2 Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.

Thomas Hobbes und die Person des Staates Von

Quentin Skinner

Aus dem Englischen übersetzt von Christian Neumeier

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die zweite Carl-Schmitt-Vorlesung „Thomas Hobbes and the Person of the State“ wurde von Quentin Skinner am 21. Oktober 2015 im Tieranatomischen Theater der Charité in Berlin gehalten. Das Motiv auf dem Umschlag zeigt die Allegorie der „Concordia“ aus Lorenzettis Rathausfresko der guten Regierung in Siena. Das Seil in ihrer rechten Hand, das bis zum Herrscher reicht, wird von den Bürgern gehalten.

Alle Rechte für die deutsche Übersetzung vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISSN 2367-1149 ISBN 978-3-428-15295-7 (Print) ISBN 978-3-428-55295-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85295-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorbemerkung Der folgende Text ist eine wesentlich erweiterte Fassung der 2. Carl-Schmitt-Vorlesung, die ich am 21.  Oktober 2015 im Tier­ anatomischen Theater der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten habe. Er führt in Teilen Überlegungen zusammen, die ich an anderer Stelle veröffentlicht habe (Die drei Körper des Staates, Göttingen 2012; Hobbes on Representation, in: European Journal of Philosophy 2005, 155–184). Ich danke der Carl-Schmitt-Gesellschaft für die Einladung, besonders aber Christian Neumeier für die umsichtige und sorgfältige Übersetzung. Juli 2017 

Quentin Skinner

Hinweis zur Übersetzung Bis auf wenige Ausnahmen werden alle im Rahmen der Vorlesung zitierten Quellen, allen voran Hobbes, Parker, Pufendorf, Blackstone und Vattel, in den Fußnoten im Original der jeweils von Quentin Skinner benutzten Ausgabe oder der von ihm herangezogenen zeitgenössischen englischen Übersetzung wiedergegeben. Sie wurden für den Fließtext der Vorlesung neu und möglichst quellenah ins Deutsche übersetzt, um die Wiederaufnahme einzelner Quellenbegriffe im Text der Vorlesung deutlich werden zu lassen. Davon wurde in zwei Fällen abgewichen. Anstelle einer eigenen Neuübersetzung der von Skinner zitierten englischen Pufendorf Übersetzung von Basil Kennet aus dem Jahr 1717 wird im Fließtext die wenige Jahre zuvor erschienene zeitgenössische deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1711 verwendet. Für Vattel wurde ebenso verfahren. Hier ist die englische Übersetzung aus dem Jahr 1760 mit der deutschen Übersetzung von Johann Philip Schulin aus demselben Jahr wiedergegeben. Entsprechend dem allgemeinen Verfahren wird in beiden Fällen in den Fußnoten zusätzlich das Original der in der Vorlesung zitierten Übersetzung wiedergegeben. Im Fall der wichtigsten Quelle der Vorlesung, Hobbes’ englischem Leviathan, ist in den Fußnoten zusätzlich mit „vgl.“ auf die jeweilige Stelle in der gängigen deutschen, von Walter Euchner herausgegebenen und von Iring Fetscher übersetzten Ausgabe von 1984 verwiesen, um es dem Leser zu erleichtern, den Kontext nachzulesen.

Inhaltsverzeichnis 1. Zur Unterscheidung von Staat und Regierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit  . . . . . . . . . . . . 10 3. Die Theorie der Staatsperson bei Thomas Hobbes  . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation  . . . . . . . . . 17 5. Hobbes über politische Repräsentation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6. Samuel Pufendorf liest Hobbes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 7. Völkerrechtliche Implikationen: Emer de Vattel  . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 8. Rückkehr ins Common Law: William Blackstone   . . . . . . . . . . . . . . 54 9. Der utilitaristische Angriff auf die Person des Staates   . . . . . . . . . . . 55 10. Noch einmal: Zur kategorialen Unterscheidung von Staat und ­Regierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Bibliographie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

1. Zur Unterscheidung von Staat und Regierung Ich möchte im Folgenden zwei theoretischen Annahmen nachgehen, die gegenwärtig in Diskussionen über den Staat nahezu einhellig geteilt werden, besonders innerhalb der englischsprachigen politischen Philosophie. Die eine besagt, dass wir, wenn wir uns auf den Staat beziehen, von nichts anderem sprechen als von den Institutionen der Regierung und ihrem Zwangsapparat. Diese Entwicklung lässt sich innerhalb des englischsprachigen politischen Denkens, wie ich versuchen werde zu zeigen, bis auf den Angriff utilitaristischer Rechtstheoretiker auf die Idee juristischer Fiktionen am Ende des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Zwar ist es richtig, dass ein Jahrhundert später von T. H. Green, Bernard Bosanquet und anderen entschieden versucht wurde, ein hegelianisches Verständnisses des Begriffs des Staates als einer eigenen Person in die englischsprachige Diskussion einzuführen.1 Aber das wesentliche Ergebnis dieses Versuches bestand doch nur darin, die bewusst alltagspsychologische Reformulierung eines nichts als empirischen Verständnisses vom Staat hervorzurufen. Wie L. T. Hobhouse in seinem zuerst 1918 erschienenen Buch The Metaphysical Theory of the State ganz im Sinne dieses Common-sense entgegnete: „Mit Staat meinen wir für gewöhnlich entweder die Regierung oder, vielleicht etwas genauer, diejenige Organisation, die hinter dem Recht und der Regierung steht“.2 Ein Jahr später eröffnete Harold Laski in seiner Abhandlung Authority in the Modern State einen ähnlichen Angriff. Er zieh Green und Bosanquet des gefährlichen Irrtums, Staat für den Namen einer „kollektiven moralischen Person“3 zu halten und beharrte darauf, dass eine „realistische Untersuchung“ uns zeige, „dass dasje-

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Dazu Nicholson 1990, S. 198–230; Boucher / Vincent 2000, S. 87–126. Hobhouse 1918, S. 75. Zur Diskussion von Hobhouse mit Bosanquet siehe Panagakou 2005. 3  Laski 1919, S. 26, 66. 2 

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2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit

nige, was wir Handlungen des Staates nennen, tatsächlich Handlungen der Regierung seien“ und nichts weiter.4 Es ist nun bald ein Jahrhundert vergangen, seit Hobhouse und Laski ihre Abhandlungen veröffentlichten, aber es wäre kaum übertrieben, ihre Grundansicht als die fortwährende Orthodoxie innerhalb der englischsprachigen politischen Philosophie zu bezeichnen. Wie viele gegenwärtige Beobachter bemerkt haben, besteht hier noch immer eine „auffällige Tendenz“, den Staat „in einer sehr viel eingeschränkteren und stärker instrumentellen Art und Weise zu definieren als in der klassischen politische Theorie“. Der Begriff des Staates reduziert sich damit auf den „Herrschaftsapparat, ein Apparat, der sich vor allem dadurch auszeichnet, über ein Zwangsmonopol zu verfügen oder, mit den Worten Max Webers, ‚ein Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit‘“.5

2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit Die zweite, ebenfalls weit verbreitete Annahme, der ich nach­ gehen möchte, lautet dahin, dass eine Reihe ökonomischer und politischer Entwicklungen die Macht des Staates, wie man uns gern versichert, faktisch untergraben und zugleich moralisch diskreditiert habe. Die vielleicht augenfälligste dieser Entwicklungen ist das Entstehen multinationaler Konzerne und anderer ökonomischer Organisationen mit internationalem Aktionsradius. Ihre Verfügungsmacht über Investitionen und Arbeitsplätze versetzt sie ersichtlich in die Lage, einzelne Staaten dazu zu zwingen, ihren Forderungen nachzugeben, selbst dann, wenn sie den ökonomischen und sozialen Präferenzen des betroffenen Staates möglicherweise widersprechen.6 Gleichzeitig beobachten wir seit etwa einer Generation den fortschreitenden Aufstieg internationaler Organisationen, die mit der Befugnis ausgestattet sind, korrigierend in den Zuständigkeitsbereich 4 

Laski 1919, S. 29, 37. Forsyth 1991, S. 504. 6  Für Beispiele siehe Strange 1996, S. 91–109, 122–79; Hertz 2001, S. 40–61, 170–84. 5 



2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit 11

einzelner Staaten einzugreifen; eine Entwicklung, die durch die zunehmende Akzeptanz eines grenzüberschreitenden Ideals universeller Menschenrechte noch verstärkt wird. Einige einflussreiche Strömungen im gegenwärtigen politischen Denken haben ihrerseits mit einer Serie moralischer Denunziationen seiner vermeintlichen Schwächen weiter dazu beigetragen, die Macht des Staates in Zweifel zu ziehen. In konservativen Kreisen wurde in der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die zunehmende Intensität wohlfahrtsstaatlicher Kontrolle mit Feindseligkeit, ja Schrecken betrachtet, und wir wurden nachdrücklich daran erinnert, dass auch demokratische Staaten totalitären Charakter annehmen können. Innerhalb der marxistischen Kritik wird häufig noch immer der Einwand vorgebracht, dass Staaten letztlich wenig mehr seien als der Exekutivarm ihrer herrschenden Klassen; ein Einwand, der angesichts unserer zunehmenden Bereitschaft, auch ein extremes Maß an sozialer Ungleichheit hinzunehmen, viel an Plausibilität gewonnen hat. Unterdessen bezweifelt niemand, dass auch vorgeblich demokratische Staaten sich zu Handlangern von Leid und Unrecht gemacht haben und noch immer machen. In letzter Zeit hat ein wachsender neoliberaler Konsens an die Stelle dieses Unbehagens gegenüber dem Staat offene Verachtung treten lassen. Man lädt uns ein, demokratische Staaten nicht so sehr als Quell der Unterdrückung denn als Agenten bürokratischer Ineffizienz und ökonomischer Verschwendung zu begreifen. Statt von der Macht der Regierungen Gebrauch zu machen, um unsere Gesellschaften zu gestalten, fordert man uns auf, Systeme der „Governance“ heranzuzüchten. Die Wiederkehr dieser mittelalterlichen Terminologie  – mit ihren Untertönen weiser Leitung im Unterschied zum bloßen Befehl  – scheint der Rhetorik der Weltbank der 80er Jahre und ihrem Wunsch entsprungen zu sein, den Entwicklungsländern eine größere Offenheit für Dezentralisierung und das freie Spiel der Marktkräfte einzuschärfen. „Regierung“ (government) war etwas Schlechtes geworden: der monopolistische Feind des Wettbewerbs und der freien Unternehmung. „Governance“ hingegen galt als gut: der helfende Freund von Innovation und Initiative.7 7 

Zu dieser terminologischen Verschiebung siehe Williams / Young 1994.

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2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit

Diese und andere Veränderungen haben eine ganze Reihe von Beobachtern überzeugt, dass die Macht nicht weniger als das Ansehen des Staates in einem unaufhaltsamen Siechtum begriffen sind. Die Institutionen des Staates, so wird uns erklärt, schwinden, sind auf dem Rückzug, „verblassen zu einem Schatten“.8 Als Ergebnis dieser Entwicklungen wird dem Konzept des Staates jede theoretische Relevanz abgesprochen.9 Foucault hat daraus den Schluss gezogen, dass es an der Zeit sei, „das Haupt des König“ auch in der politischen Theorie „abzuschlagen“, um uns selbst von der Illusion zu befreien, es könne auch in Zukunft noch sinnvoll sein, vom ‚souveränen Staat’ zu sprechen.10 Frank Ankersmit ist jüngst so weit gegangen, zu beschließen, dass „jetzt zum ersten Mal seit einem halben Jahrtausend der Staat obsolet geworden ist“.11 Was ist von diesen beiden Urteilen über den Staat zu halten? Keines der beiden scheint mir in irgendeiner Weise zufriedenstellend und ich möchte den Rest meiner Bemerkungen dem Versuch widmen, meine Zweifel näher zu erläutern. Besonders auffällig scheint mir an der These, dass Staaten obsolet geworden seien, wie wenig diese Behauptung unserer Alltagserfahrung entspricht. Es ist selbstverständlich unbestreitbar, dass Staaten eine ganze Reihe der traditionellen Attribute ihrer Souveränität eingebüßt haben, und dass der Begriff der Souveränität sich von seiner früheren Verbindung mit den Rechten einzelner Staaten gelöst hat.12 Die Feststellung, dass Staaten nicht länger souverän sind, ist jedoch in keiner Weise gleichbedeutend (pace Foucault) mit der Dekonstruktion des Konzepts des Staates als solchem. Weltweit bleiben die führenden Staaten die primären Akteure auf der internationalen Bühne und das Ideal humanitärer Intervention harrt noch immer einer Anwendung, die die 8 

Strange 1996, S. 82–7; Creveld 1999, S. 420–1. Diskussion und Kritik dieser These bei Trainor 1998; Creveld 1999; Hertz 2001, besonders S. 18–37; Bartelson 2001, S. 1, 148–91; Ryan 2008; Krasner 2010; Delwaide 2011. 10  Foucault 1980, S. 121. 11  Ankersmit 2007, S. 36. 12  Zur Vertiefung siehe Bellamy 2003; Prokhovnik 2007, S. 183–246; MacCormick 2010; Lipping 2010. Zum „post-souveränen“ Staat siehe Praet 2010. 9 



2. Die neoliberale Legende vom Ende der Staatlichkeit 13

Souveränität eines bedeutenderen Staates in Frage gestellt hätte.13 Darüber hinaus bleiben diese Staaten auch im Inneren die bei weitem bedeutendsten politischen Akteure.14 Ihr Vorgehen hat in den letzten Jahren sogar noch an Schärfe zugenommen: Mit wachsender Aufmerksamkeit kontrollieren sie ihre Grenzen und pflegen ihre eigenen Bürger in einem beispiellosen und noch weiter steigenden Maße zu überwachen. Sie sind interventionistisch geworden, und angesichts ihrer kollabierenden Bankensysteme haben sie sich sogar angeschickt, als Geldgeber letzter Instanz einzuspringen.15 Unterdessen fahren sie fort, Geld zu drucken (und zwar mehr und mehr davon), Steuern zu erheben, Verträge zu vollstrecken, irregehende Bürger zu bestrafen, die Kultur zu subventionieren, Gesundheitsfürsorge und andere wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, und Gesetze mit einem nie dagewesenen Grad an Komplexität zu erlassen. In größerem Ausmaß, als man zur Zeit für gemeinhin geneigt ist zuzugeben, ermöglichen und befördern sie Märkte und treten als Unternehmer auf eigene Rechnung in Erscheinung.16 Trotz der Bestrebungen des Neoliberalismus, die Bedeutung des Staates letztwillig hinwegzuverfügen, ist es doch ganz offensichtlich, dass die meisten von uns in Nationalstaaten leben, dass dies wahrscheinlich auch noch für eine erhebliche Zeit so bleiben wird und dass Staatenlosigkeit für jedermann auch weiterhin eine beängstigende Vorstellung ist. Unter diesen Umständen davon zu sprechen, der Staat und seine Institutionen „verblassten zu einem Schatten“, erscheint einseitig bis hin zur Ignoranz. Es ist offensichtlich, oder sollte es doch sein, dass die politische Theorie sich mit dem Staat befassen und nach der Rolle staatlicher Macht fragen muss. Wie verhält es sich mit der zweiten Annahme, der ich nachgehen möchte  – dass wir, wenn wir vom Staat sprechen, uns auf nichts anderes beziehen als auf einen Regierungsapparat? Bemerkenswert 13 

Für Beispiele siehe Tesón 1997, S. 175–266 und Wheeler 2000. Darauf stützen sich Morris 1998; Troper 2010. 15  Zu den Implikationen der These, dass Staaten obsolet geworden seien, siehe Altman 2009. 16  Zu Einzelheiten siehe Mazzucato 2011. 14 

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3. Die Theorie der Staatsperson bei Thomas Hobbes

scheint mir hier der augenfällige Kontrast zwischen dieser Sichtweise auf den Staat und der Art und Weise, in der der Begriff zu der Zeit verstanden wurde, als er im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erstmals zum Grundbegriff des politischen Diskurses wurde. Der wesentliche Grund für die politischen Schriftsteller dieser Zeit, dem Konzept des Staates theoretischen Vorrang einzuräumen, war es, eine kategoriale Differenz zwischen Staat und Regierung zu bezeichnen. Wenn diese Theoretiker vom Staat sprechen, gehen sie durchweg davon aus, sich auf eine distinkte Person zu beziehen, die sich zugleich von Herrschern wie Beherrschten unterscheidet.

3. Die Theorie der Staatsperson bei Thomas Hobbes Den frühesten Ausdruck innerhalb der englischsprachigen politischen Theorie findet diese Ansicht in Thomas Hobbes’ Leviathan aus dem Jahr 1651, in dem uns Hobbes gleich zu Beginn darüber unterrichtet, er werde, wenn er seine Theorie öffentlicher Gewalt vorstelle, „nicht vom Menschen“, sondern „im Abstrakten“ vom Wesen des „Common-Wealth, oder Staates“ sprechen.17 Obschon Hobbes ein Verfechter der Theorie absoluter Souveränität ist, spricht er niemals in der Art der Theoretiker des divine right of kings von der Ehrerbietung, die dem König als Gesalbtem des Herrn oder Stellvertreter Gottes auf Erden geschuldet werde. Er hält immer daran fest, dass auch der Status selbst des absoluten Monarchen nie höher als derjenige eines autorisierten Repräsentanten sein kann. Darüber hinaus beschreibt er präzise den Katalog der Pflichten, die ein solcher Repräsentant zu erfüllen hat. Hobbes nimmt an, dass von uns nicht erwartet werden kann, uns einer souveränen Gewalt zu unterwerfen, solange wir nicht glauben, dass das Ergebnis ein friedlicheres und gesicherteres Leben sein wird, als wir es im Naturzustand zu gewärtigen hätten. Wenn es sich aber so verhält, muss der Souverän, dem wir uns unterwerfen, eine entsprechende Verpflichtung eingehen, „für den Frieden und die Sicherheit der Bevölkerung 17  Hobbes 2008, Epistle Dedicatory, S. 3; Introduction, S. 9; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 3, 5.



3. Die Theorie der Staatsperson bei Thomas Hobbes 15

zu sorgen“.18 Zwar sind Souveräne per definitionem absolut und können deshalb weder bestraft noch aus dem Amt entfernt werden, wenn sie sich unrechtmäßig verhalten.19 Tun sie dies aber, verletzen sie eindeutig ihre Pflicht, die von ihnen verlangt, jederzeit danach zu streben, „das Gemeininteresse zu verfolgen“, indem sie „in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl“ regieren.20 Wenn Souveräne nur Repräsentanten sind, wen repräsentieren sie dann? Um Hobbes’ Antwort auf diese Frage zu verstehen, müssen wir uns zunächst der charakteristischen Beschreibung zuwenden, die Hobbes im 17. Kapitel des Leviathan vom politischen Vertrag (covenant) gibt.21 Demnach sei es, wenn solche Verträge geschlossen werden, als ob jeder mit jedermann darin übereinkomme, dass eine bestimmte Person – ein Mensch oder eine Versammlung – das Recht haben soll, in ihrer aller Namen zu sprechen und zu handeln. Die Formel, in der der politische Vertrag zum Ausdruck kommt, laute dementsprechend: „Ich autorisiere und gebe mein Recht, mich selbst zu regieren, auf, zugunsten dieses Menschen, oder dieser Versammlung von Menschen, unter der Bedingung, dass Du Dein Recht ihm zugunsten aufgibst, und all seine Handlungen in der gleichen Weise autorisierst.“22 Hobbes hat uns schon im 16. Kapitel mitgeteilt, was es bedeutet, einen Repräsentanten zu autorisieren. Er betrachtet Repräsentanten 18  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 131: ‘to produce the Peace, and Security of the people’; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 146. 19  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 124; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 139. 20  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 131: ‘to procure the common interest’; Kap. 24, S. 171: ‘agreeable to Equity, and the Common Good’; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 146, 191. 21  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 121 spricht von zwei Arten, auf denen politische Autorität etabliert werden könne: kraft Einrichtung (institution) oder kraft Erwerb (acquisition). Er arbeitet seine Theorie der Autorisation und Repräsentation dann allerdings nur in Bezug auf den ersten Fall aus. Ich werde mich darum im Folgenden auf die Regierung kraft Einrichtung konzentrieren. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 135. 22  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘I Authorise and give up my Right of Governing my selfe, to this Man, or to this Assembly of men, on this condition, that thou give up thy Right to him, and Authorise all his Actions in like manner’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134.

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3. Die Theorie der Staatsperson bei Thomas Hobbes

als künstliche Personen23 und erläutert, dass „unter den künstlichen Personen bei einigen ihre Worte und Handlungen denjenigen zugehören, die sie repräsentieren. Die [künstliche] Person ist dann der Akteur, und derjenige, dem ihre Worte und Handlungen zugehören, der Autor: in welchem Fall der Akteur kraft Autorität agiert.“24 Wenn wir, mit anderen Worten, unsere eigene Repräsentation autorisieren, müssen wir willens sein, uns selbst als die „Urheber“ (owner) all dessen zu betrachten, was nachfolgend von unseren Repräsentanten gesagt oder getan wird. Der Grund dafür liegt darin, dass wir ihnen, durch unseren Akt der Autorisation, die Autorität zugestanden haben, in unserem Namen zu agieren. Wir müssen daher bereit sein, für ihre Taten als für unsere eigenen Verantwortung zu übernehmen und sie uns als Handlungen zuschreiben zu lassen, die wir selbst begangen haben.25 Mit dieser Analyse gelangt Hobbes zu seiner zentralen Behauptung über die Implikationen des politischen Vertragsschlusses. Wenn wir übereinkommen, unsere Repräsentation durch die künstliche Person eines Souveräns zu autorisieren, wandeln wir uns von einer bloßen Vielzahl in einen einheitlichen Verband. Wir sind nun vereint durch unser gemeinsames Übereinkommen, unter der Herrschaft des Rechts zu leben, und durch die Tatsache, dass wir einen einzelnen bestimmenden Willen haben, denjenigen unseres souveränen Repräsentanten nämlich, dessen Worte und Taten als unser aller Worte und Taten gelten. Das aber bedeutet, dass wir nun imstande sind, als eine Person zu wollen und zu handeln. Wie Hobbes zusammenfasst: „eine Vielzahl von Menschen wird zu einer Person, wenn sie durch einen Menschen oder eine Person repräsentiert werden“.26 23  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 111: ‘Artificiall person’; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. 24  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112: ‘Of Persons Artificiall, some have their words and actions Owned by those whom they represent. And then the Person is the Actor; and he that owneth his words and actions, is the AUTHOR: In which case the Actor acteth by Authority’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. 25  Zu Hobbes Theorie der Autorisation siehe Gauthier 1969, S. 120–77; Baumgold 1988, S. 36–55; Skinner 2007. 26  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 114: ‘A Multitude of men, are made One Person, when they are by one man, or one Person, Represented’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 125.



4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation 17

Die Wirkung besteht darin, „eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, geschaffen durch den politischen Vertrag eines jeden mit einem jedem“ herzustellen.27 Der Akt des Vertragsschlusses kann daher so beschrieben werden, dass er zwei Personen erzeugt, die zuvor im Naturzustand nicht existierten. Die eine ist die künstliche Person, der wir die Autorität zugestanden haben, in unserem Namen zu sprechen und zu handeln. Der Name dieser Person, wir wissen es bereits, ist der Souverän. Die andere ist die Person, die wir hervorbringen, wenn wir einen einzigen Willen und eine einzige Stimme erlangen, indem wir einen Menschen oder eine Versammlung autorisieren, als unser Repräsentant zu fungieren. Der Name dieser weiteren Person, erklärt Hobbes sodann in einem epochalen Moment, ist der Staat.28 „Die auf diese Weise vereinigte Vielzahl ist eine Person, sie wird ein CommonWealth genannt“,29 und ein anderer Name für Commonwealth ist civitas oder Staat.30

4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation So löst sich das Rätsel, das Hobbes anfängliche Behauptung aufgab, alle rechtmäßigen Souveräne seien bloße Repräsentanten. Wen repräsentieren sie? Für Hobbes repräsentieren sie die Person des Staates.31 In seiner Zusammenfassung am Ende des 17. Kapitels schließt er dementsprechend, dass das Commonwealth oder der Staat definiert werden kann als „eine Person, deren Handlungen sich eine große Vielzahl durch wechselseitige Verträge des einen mit dem 27  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘a reall Unitie of them all, in one and the same Person, made by Covenant of every man with every man’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 28  Zur Vertiefung siehe Tukiainen 1994; Skinner 1999, Brito Vieira 2009, S. 158–76. 29  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘the Multitude so united in one Person, is called a COMMON-WEALTH’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 30  Hobbes 2008, Introduction, S. 9 und Kap. 17, S. 120. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 5, 134. 31  Jaume 1983; Skinner 1999; Loughlin 2003, S. 58–64.

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4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation

anderen als Autoren zu eigen macht“, während der Souverän der Name des Menschen oder der Versammlung ist, die die Person des Staates „verkörpert“.32 Mit dieser Analyse politischer Repräsentation weist Hobbes die Theorie ‚virtueller‘ Repräsentation zurück, die Henry Parker und andere Protagonisten der parlamentarischen Sache vertraten. Sie hatten argumentiert, dass der angemessene Vorstellungsraum, um über Akte der Repräsentation nachzudenken, aus den bildenden Künste stammen müsse. Jemanden zu repräsentieren hieß demnach, ihn abzubilden oder zu porträtieren, eine erkennbare Darstellung oder ein Ebenbild zu bieten. Hobbes zufolge stammt der angemessene Vorstellungsraum jedoch aus dem Theater. Er erinnert uns, dass ‚Persona im Lateinischen die Maske oder äußere Erscheinung eines Menschen bedeutet“, die „auf der Bühne verfertigt“ werde und er fügt hinzu, dass der Begriff „von der Bühne auf jeden Repräsentanten einer Rede oder Handlung übertragen wurde, im Gerichtssaal sowohl als im Theater“. Im Ergebnis sei in der modernen Begriffsverwendung „eine Person dasselbe, was ein Akteur ist, sowohl auf der Bühne als auch in der gewöhnlichen Unterhaltung; und personifizieren bedeutet, zu handeln, oder sich selbst zu repräsentieren, oder einen anderen; und von demjenigen, der für einen anderen handelt, sagt man, er verkörpere dessen Person oder handele in dessen Namen“.33 Eine andere Person zu repräsentieren bedeutet demnach einfach ihren Part zu übernehmen, ihre Rolle zu spielen, ihren Text aufzusagen.

32  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 121: ‘One Person, of whose Acts a great Multitude, by mutuall Covenants one with another, have made themselves every one the Author’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 135. 33  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112: ‘Persona in latine signifies the disguise, or outward appearance of a man, counterfeited on the Stage’, ‘hath been translated to any Representer of speech and action, as well in Tribunalls, as Theaters’, ‘a Person, is the same that an Actor is, both on the Stage and in common Conversation; and to Personate, is to Act, or Represent himselfe, or an other; and he that acteth another, is said to beare his Person, or act in his name’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. Als Person aufzutreten bedeutet daher einfach, in der Lage zu sein, an anerkannten sozialen Handlungen teilzunehmen. Siehe List / Pettit 2011, S. 171–6, die dies die performative Sicht der Personalität nennen.



4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation 19

Dieses konkurrierende Verständnis repräsentativer Akte hatte weit zurückreichende historische Wurzeln. Die Grundlagen für diese Art des Nachdenkens über Repräsentation waren bereits im 13. Jahrhundert mit der Behauptung gelegt worden, dass jedes collegium von Menschen, wenn es als Einheit oder universitas betrachtet werde, als eine einzige persona angesehen werden könne und dass diese persona zugleich von einer einzigen Person oder einer Gruppe von Personen repräsentiert werden könne, vorausgesetzt, dass sie beauftragt oder autorisiert wurden, im Namen des gesamten collegium zu sprechen und zu handeln. Mit Beginn der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wurde dieses Argument dann innerhalb des englischsprachigen politischen Diskurses auf die Person des Commonwealth oder Staates übertragen. Eine Reihe katholischer Apologeten, ängstlich darauf bedacht festzuhalten, dass Petrus der souveräne Repräsentant der Person der Kirche war, trugen ihr Argument in der Form einer Analogie zur Theorie des Staates vor. Nicholas Sander etwa behauptete, dass die Subjekte eines Souveräns als eine „allgemeine Person“ betrachtet werden sollten, die der Souverän zu repräsentieren autorisiert sei, und dass der Name dieser allgemeinen Person Commonwealth sei. Ähnlich argumentierte Thomas Fitzherbert, dass Staaten oder commonwealths Personen seien, die volle Autorität und Jurisdiktion besäßen, während den Souveränen, die die „Person und Figur des Commonwealth verkörpern“, ein Recht zur Repräsentation des Staates eingeräumt worden sei und sie darum berechtigt seien, alle staatlichen Befugnisse auszuüben. Grotius, der sich auf dieselben Quellen im weltlichen und kanonischen Recht stützte, entwickelte ein ähnliches Argument im Kapitel über die höchste Gewalt (summum imperium)34 im ersten seiner Bücher De iure belli ac pacis.35 Obschon Grotius von der civitas oder vom Staat nicht als Grotius 1625, I. III, S. 53 ist überschrieben Summi imperii explicatio. Wie sowohl Hofmann 1974 als auch v. Friedeburg 2016, S. 333–6 anmerken. Beide argumentieren, dass Grotius als erster diesen Gedankengang entwickelt und damit, in v. Friedeburgs Worten, die Staatstheorie ‚radikal transformiert‘ habe. Dies scheint mir die Bedeutung von Grotius Beitrag zu überschätzen. Wie ich bereits angedeutet habe, wurde schon in den englischsprachigen Debatten um Kirche und Staat der elisabethanischen und jakobinischen Zeit der Staat als eine juristische Person angesehen, die allein von einem obersten Magistrat repräsentiert werde. 34 

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4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation

Personen spricht, betrachtet er das Gemeinwesen doch gleichermaßen als eine selbständige rechtliche Entität und als das „gemeinsame Subjekt“ der Souveränität, die die Figur des Souveräns in Namen des Gemeinwesens auszuüben berechtigt sei.36 Während die theologischen Debatten, die ich hier nicht einmal andeuten kann, von einer weit größeren Bedeutung für die Theorie rechtlicher und politischer Repräsentation waren, als dies bisweilen angenommen wird, bleibt es doch zweifellos zutreffend, dass der primäre Kontext, in dem diese Konzepte zuerst in englischer Sprache diskutiert wurden, die Stellung des Parlaments betraf. In diesem Zusammenhang wurde zudem niemals auf die entsprechende Semantik „eine Person tragen“ bzw. „verkörpern“ (bearing the person) und ‚den Part von jemanden anderen übernehmen’ zurückgriffen. Vielmehr nahmen die frühesten Autoren, die das Parlament als repräsentative Versammlung verstanden, vorweg, was später als Theorie virtueller Repräsentation bekannt werden sollte. Sie bringen die Behauptung vor, das Parlament sei nicht nur ein Vertreter der Bevölkerung, ausgestattet mit der Autorität, in ihrem Namen zu sprechen und zu handeln, sondern sie behaupten, dass es diese Autorität der Tatsache verdankt, dass es zur selben Zeit eine Repräsentation – eine erkennbare Darstellung oder ein Ebenbild  – des ganzen Volkes sei. Eine der frühesten Andeutungen dieser Doktrin findet sich in Christopher Saint Germans Dialogue zwischen einem Doktor der Theologie und einem Studenten des Common Law, der 1528 zunächst auf Latein veröffentlichet und 1532 mit einigen Zusätzen ins Englische übersetzt wurde. Mit Blick auf das Gesetzesrecht erklärt der angehende Jurist, „es wird kein Gesetz erlassen in diesem Königreich, es sei denn durch die Zustimmung der geistlichen und weltlichen Lords und aller Gemeinden“. Mit „alle Gemeinden“, erklärt er, meine er „alle Knights of the Shire [die Vertreter der Grafschaften], Bürger und Gemeindevertreter, die durch Zustimmung der Gemeinden ausgewählt werden und die im Parlament den Stand aller Gemeinden vertreten“. Als Ergebnis dieses repräsentativen Aktes sei „jedes dort erlassene Gesetz von solch starker Wirkung auf das 36  Grotius 1625, I. III. VII, S. 67: ‘summae potestati subiectum commune est civitas’.



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Recht, als seien alle Gemeinden persönlich dort anwesend“, es könne darum als „durch ihre Autorität erlassen“ gelten.37 Die bekannteste dieser frühen Beschreibungen des Parlaments als einer repräsentativen Versammlung findet sich in Sir Thomas Smiths De republica Anglorum, geschrieben in den frühen 1560er Jahren während seiner Zeit als Botschafter in Frankreich und zuerst 1583 veröffentlicht. Smiths Kapitel ‚Vom Parlament und der Autorität desselbigen’ beginnt mit der Versicherung, dass sich „die höchste und absolute Macht des Königreichs England im Parlament befindet“. Das Oberhaus berate und handele „für die Notabeln und Lords“, während das Unterhaus „für den unteren Teil des Gemeinwesens“ berate und handele. Infolgedessen sei, was immer sie entscheiden, „des Prinzen und des ganzen Königreichs Handlung: woraufhin sich gerechterweise niemand beklagen kann, sondern sich anschicken muss, es für gut zu befinden und zu gehorchen“. Dies deswegen, weil das Parlament „das gesamte Königreich repräsentiert, sowohl das Haupt wie den Körper, und über all dessen Kraft verfügt“. Wenn das Parlament handelt, ist es, als ob das gesamte Volk handele, da „jeder Engländer bestrebt ist, dort anwesend zu sein, entweder in Person oder durch Vertreter und Bevollmächtigte“. Dieser Repräsentation des Volkes verdanke das Parlament die Macht, in dessen Namen zu handeln „und die Zustimmung des Parlaments gilt als jedermanns Zustimmung“.38 37  Saint German 1532, fo. 115v: ‘there is no statute made in this realme but by the assent of ye lordes spirituall & temporall & of all the comons’, ‘all the comons’, ‘by the knightes of the shyre Cytizens & Burgeses that be chosen by assente of the comons whiche in the parliament represente the estate of the hoole commons’, ‘every statute there made is of as stronge effecte in the lawe as if all the comons were there present personallie’, ‘made by theyr authoritie’. 38  Smith 1982, S. 78-9: ‘the most high and absolute power of the realme of Englande, is in the Parliament’, ‘for the nobilitie and lordes’, ‘for the lower part of the common wealth’, ‘is the Princes and the whole realmes deede: whereupon justlie no man can complaine, but must accommodate himselfe to finde it good and obey it’, ‘representeth and hath the power of the whole realme both the head and the bodie’, ‘for everie Englishman is entended to bee there present, either in person or by procuration and attornies’, ‘and the consent of the Parliament is taken to be everie mans consent’.

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4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation

Auch unter der Herrschaft von James I. und Charles I. zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden diese Ansprüche weiterhin erhoben, aber sie erfuhren eine dramatische Entwicklung, nachdem Charles I. nach seinem gescheiterten Versuch der Alleinherrschaft gezwungen war, das Parlament zurückzuberufen. Eine feindselige Gruppe von Parlamentariern begann, die Idee einer gemischten Verfassung in der Form einer radikalen Theorie der Repräsentation zu reformulieren, gegründet auf die Souveränität des Volkes. In der zweiten Hälfte des Jahres 1642 begann eine Reihe von Juristen in diesem fast schon republikanischen Tonfall zu schreiben, allen voran Henry Parker und William Prynne, ebenso ein großer Kreis von Theologen, einschließlich John Goodwin, Charles Herle, Philip Hunton und William Bridge. Ich werde mich im Folgenden vor allem auf den originellsten und eindringlichsten dieser Theoretiker, Henry Parker, konzentrieren, dessen wichtigste Abhandlung Beobachtungen zu einigen Ihrer Majestät jüngsten Antworten und Äußerungen zuerst im Juli des Jahres 1642 veröffentlicht wurde.39 „Die Lords und Gemeinden“, proklamiert er darin, „repräsentieren das gesamte Königreich“. Sie seien nicht nur mit „einem Recht ausgestattet, zu beraten und zu beschließen“, sondern „im Rechte des gesamten Königreichs zu erscheinen“.40 Der anonyme Autor, der Die unbegrenzten Prärogativen des Königs zu Fall gebracht wissen wollte, stimmte in seinem wie gewöhnlich emphatischen Stil zu: „Das Königreich steht über dem König, und so auch der repräsentative Körper desselben, die ganze Macht des gesamten Körpers der Einwohner des Landes, die durch allgemeine Übereinstimmung auf es übertragen wurde“.41 In gleicher Weise äußerte sich wenig später auch Philip Hunton in seiner Abhandlung über die Monarchie. Wenn wir sagen, dass „das Haus der Gemeinden 39  Zu Parker siehe Zaller 1991; Mendle 1995; Sabbadini 2016, S. 166– 75; für einen anderen Ansatz siehe Cromartie 2016. 40  [Parker] 1642, S. 9–10: ‘The Lords and Commons represent the whole Kingdome’, ‘vested with a right both to counsell and consent’, ‘appeare in the right of the whole Kingdome’. 41  The unlimited prerogative of kings subverted 1642, Sig. A, 2r: ‘the Kingdome is above the King, and so consequently the representative body therof, the whole power of all the body of the people of the Land, being by generall consent transmitted over unto it’.



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vom Volk gewählt wird und sie das Volk repräsentieren“, behaupten wir, dass die Mitglieder des House of Commons mit derselben „Macht“ ausgestattet wurden, eine „Handlung auszuführen“, wie sie ursprünglich „im Volk“ lag, das die Mitglieder ausgesucht und gewählt hat, ganz so wie „eine jede Korporation, die Vertreter wählt und sie autorisiert, an die Stelle der gesamten Gemeinschaft zu treten, ihnen hierdurch die Macht überträgt und es ihnen anvertraut, Gesetze zu erlassen, um sie zu verpflichten“.42 Mitunter unterstreichen die parlamentarischen Autoren diese Behauptungen, indem sie die einzelnen Mitglieder des Parlaments als Akteure von besonderer Art beschreiben. Sie beginnen, sie als „Repräsentierende“ (representers) zu bezeichnen, ein Begriff, den sie so als erste in die englische politische Sprache eingeführt zu haben scheinen. Charles Herle etwa bezeichnet die Mitglieder des House of Commons mehrfach als „Repräsentierende“ (Representers), die mit der Rolle betraut wurden, „alle Gemeinden von England zu repräsentieren“.43 Ähnlich spricht Matthew Newcomen in seiner Predigt vor den beiden Häusern im Jahr 1644 von der Notwendigkeit anzuerkennen, dass „Ihr, die Ihr für England seid, was die Vorväter für Israel waren, die Regierenden und Repräsentierenden der ganzen Nation „euch“ in einer Weise betragen müsst, wie sie sich für „Repräsentierende“ der „Nation, die Ihr repräsentiert“ geziemt.44 Von royalistischer Seite greift Dudley Digges in seiner Erwiderung auf Parkers Observations die neue Terminologie auf, wenn er einmal mehr von „Repräsentierenden“ spricht, während er gegen Parker einwendet, dessen Auffassung von Repräsentation verfehle die Tatsache, dass die Repräsentanten „gleich und verhältnismäßig bestimmt werden“ müssten.45 42  [Hunton] 1643, S. 47: ‘the house of Commons is chosen by the people and they represent the people’, ‘power to doe an act’, ‘in the people’, ‘every Corporation electing Deputies, and authorizing them to be vice totius Communitatis, do thereby grant them power, and entrust them to make laws to bind them’. 43  [Herle] 1643b, S. 30: ‘representing all the Commons of England’. 44  Newcomen 1644, S. 6: ‘You who are to England as the Elders were to Israel, the Governours and Representers of the whole Nation’, ‘representers’, ‘the Nation whom you represent’. 45  [Digges] 1643a, S. 20: ‘equally and proportionably ordained’.

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4. Die parlamentarische Theorie virtueller Repräsentation

Die Autorität der beiden Häuser, als Repräsentanten der Nation zu handeln, wird dabei auf die Tatsache zurückgeführt, dass der souveräne Körper des Volkes, als er dem Parlament ursprünglich Autorität einräumte, übereinkam, eine Repräsentation seiner selbst zu autorisieren, eine erkennbare Darstellung, ein Ebenbild der Bevölkerung als ganzer.46 Parker spricht vom Parlament als einer „Repräsentation“ auf kleinerer Ebene des „wirklichen Körpers des Volkes“ und des „ganzen Körpers des Staates“.47 Ganz ähnlich bezeichnet John Goodwin das Parlament als „jene Versammlung, die durch Repräsentation, wenn man so will, die ganze Nation ist“.48 Darin folgt ihm der Autor von A Soveraigne Salve auf dem Fuße, der ebenso davon spricht, dass das Parlament „das gesamten Königreich“ sei, das im Parlament „ursprünglich und grundlegend durch Repräsentation“ existiere.49 Dies wird von einer Reihe weiterer parlamentarischer Autoren, unter ihnen Goodwin, Hunton und Herle, aufgegriffen, die alle auf der Bedeutung der Tatsache insistieren, dass die beiden Häuser ein Bild konstituierten, eine Aufnahme oder eine Repräsentation des Königreichs, der Nation oder des Staatskörpers.50 Eine ganze Reihe dieser Autoren nimmt die visuellen Implikationen ihrer Metaphorik sehr ernst. Parker geht so weit, das Englische Parlament als ein Kunstwerk anzupreisen,51 die „Reinheit seiner Komposition“ zu loben, seine „Kunst und Ordnung“ und wie „bewunderungswürdig es gebildet“ sei.52 Er vertieft diesen Gedanken im Folgenden weiter und gibt zu verstehen, dass er zwei visuelle Ideen im Sinn habe, die beide jeweils eine starke politische Resonanz mit sich bringen. Die erste entsteht aus der Annahme, dass der „wirkli46 

Siehe Sabbadini 2016, S. 169–70. [Parker] 1642, S. 15, 45: ‘representation’, ‘reall body of the people’, ‘the whole body of the State’. 48  Goodwin ( John) 1642, S. 2: ‘that Assembly·which is by interpretation, or representation (which you will) the whole Nation’. 49  A Soveraigne Salve 1643, S. 8: ‘being the whole kingdome (in which it is radically and fundamentally) by representation’. 50  Goodwin ( John) 1642, S. 2; [Herle] 1643b, S. 12; [Hunton] 1643, S. 47. 51  [Parker] 1642, S. 15. 52  [Parker] 1642, S. 15, 23: ‘purity of composition’, ‘Art and order’, ‘admirably composed’. 47 



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che Körper des Volkes“ zu schwerfällig und unregelmäßig in seinen Bewegungen sei, um für sich selbst handeln zu können.53 Diese Überlegung führt Parker zu dem Argument, dass eine effektive Repräsentation die Form eines Portraits von beträchtlich kleinerer Größe annehmen müsse. Wie er später in seinem Ius populi von 1644 erklärt, besteht ein Grund, warum das Englische Parlament eine solch gute „Repräsentation“ des Volkes darbiete, darin, dass der Vorgang der Wahl es ermögliche, „die rohe Masse der Gesamtheit“ auf eben diesem „künstlichen“ oder kunstvollen Wege zu einer handhabbareren Größe zu „reduzieren“.54 Parkers zweite visuelle Ausdeutung seines Grundgedankens legt nahe, dass eine kunstvolle Repräsentation des Volkes, wie jedes andere zufriedenstellende Portrait, ein Abbild sein müsse, in dem keine Eigenheit des Portraitierten über ihr gebührliches Maß hinaus ausgestellt wird. Er drückt seine Zuversicht aus, dass im Falle des Englischen Parlaments diese Proportionalität in formvollendeter Weise erreicht worden sei. Nicht nur stammten die Mitglieder des House of Commons „aus allen Teilen“ des Landes, sondern sie kommen in einem Körper zusammen, der „ebenmäßig und geometrisch proportional“ sei. Die Menschen in ihren verschiedenen Status oder Ständen „tragen geordnet ihren fälligen Teil  bei“, so dass in der hieraus entstehenden Repräsentation des Volkes „niemand von äußerstem Übergewicht sein kann“.55 Das Ergebnis, fügt er später in Ius populi hinzu, sei eine so „umfassende Repräsentation“, wie sie vom „realen“ Körper überhaupt nur gegeben werden könne.56 Die Frage des Stimmrechts hingegen spielt für Parker keine Rolle und er diskutiert sie an keiner Stelle. Was allein zählt, ist, ob die Gewählten wohl platziert sind, um zu deliberieren und Urteile darüber zu fällen, welche Politik den Interessen des Volkes dienen wird. Wie Parker zu Beginn seiner Observations erklärt, müsse das erste 53 

[Parker] 1642, S. 14–15: ‘reall body of the people’. [Parker] 1644, S. 18: ‘representation’, ‘the rude bulk of the universality’, ‘reduced’, ‘artificial’. 55  [Parker] 1642, S. 11, 23: ‘out of all parts’, ‘equally, and geometrically proportionable’, ‘doe so orderly contribute their due parts’, ‘no one can be of any extreame predominance’. 56  [Parker] 1644, S. 19: ‘full and neer representation’, ‘real’. 54 

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5. Hobbes über politische Repräsentation

Ziel, das „im Parlament angestrebt wird“, sein, dass „den Interessen des Volkes Genüge getan werde“.57 Er insistiert darauf, dass es für das Parlament unmöglich sei, die Repräsentation der Interessen des Volkes zu verfehlen, selbst dann, wenn der größere Teil  des Volkes bei der Auswahl seiner Repräsentanten gar nicht zum Zuge kommt. Die „repräsentative Versammlung“ des Parlaments, erklärt er im Ius populi, „kann keine Interessen haben, die sich vom repräsentierten Volk unterscheiden, oder jedenfalls sehr wenige, und die sind kaum beachtenswert“.58

5. Hobbes über politische Repräsentation Das sind die Argumentationsstränge, denen sich Hobbes gegenüber sieht, als er sich daran macht, seine eigene Theorie politischer Repräsentation auseinanderzusetzen. Unter den Gegnern der parlamentarischen Autoren setzte sich niemand beharrlicher mit ihren Argumenten auseinander, reagierte niemand mit unerbittlicherer Feindseligkeit als Hobbes im Leviathan. Bevor wir uns seiner Antwort zuwenden, ist es jedoch wichtig, festzuhalten, dass es nicht vor seiner Auseinandersetzung im Leviathan war, dass er sich mit den parlamentarischen Propagandisten befasste, die er später im Behemoth als „demokratische Ehrenmänner“ (democratic Gentleman) verspotten sollte.59 Zwar begegnet uns Hobbes’ zentrales Argument bereits im 27. Kapitel von The Elements of Law im Zuge seiner Kritik dessen, was er als den „Irrtum betreffend die Mischverfassung (mixed government)“ beschreibt. Dieser Irrtum rühre von einem „Mangel an Verständnis“ her, „was mit diesem Wort body politic gemeint ist, und wie es nicht die Übereinstimmung, sondern die Einheit der vielen bedeutet“. „Obwohl in den Satzungen untergeordneter Korporationen“, fügt Hobbes hinzu, „die Körperschaft zu einer Rechtsperson erklärt wird, wurde doch dasselbe für den Körper des 57  [Parker] 1642, S. 5: ‘aymed at in Parliaments’, ‘the interest of the people might be satisfied’. 58  [Parker] 1644, S. 19: ‘representative convention’, ‘can have no interests different from the people represented, or at least very few, and those not considerable’. 59  Hobbes 2010, S. 158: ‘Democraticall Gentlemen’; vgl. S. 133, 141, 373.



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Commonwealth oder einer Stadt nicht bemerkt, noch hat irgendeiner jener unzähligen politischen Schriftsteller von einer solchen Einheit Notiz genommen“.60 Selbst für Hobbes’ Maßstäbe handelt es sich bei dieser Passage um eine bemerkenswerte Unverfrorenheit. Wie wir gerade gesehen haben, war der Körper des Commonwealth nicht nur bereits von Grotius als eine selbständige rechtliche Entität beschrieben worden, sondern auch von einer Reihe englischsprachiger Autoren ekklesiologischer Texte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es besteht indes kein Zweifel, dass erst Hobbes’ Weiterentwicklung dieses Arguments im Leviathan zur klassischen Formulierung der Behauptung geführt hat, dass der Staat der Name einer rechtlichen Person sei, die zugleich von Herrschern wie Beherrschten unterschieden werden kann. Es gab jedoch zu dem Zeitpunkt, als er 1640 die Elements of Law in Umlauf brachte, schlicht kein Korpus parlamentarischer Theorie, das er hätte kritisieren können und das ihm Anlass gegeben hätte, eine eigene Theorie politischer Repräsentation zu formulieren; noch gab es ein solches wenig später, als er zu Beginn des Jahres 1642 De cive veröffentlichte. Umgekehrt wäre es kaum übertrieben, zu behaupten, dass Hobbes’ gesamte Theorie repräsentativer Regierung, wie er sie im Leviathan formuliert, die Form eines kritischen Kommentars der parlamentarischen Vorstellung virtueller Repräsentation annimmt, die ich soeben umrissen habe. Hobbes’ rhetorische Strategie im Leviathan beruht darauf, die Vertreter der parlamentarischen Sache zu diskreditieren, indem er zu zeigen versucht, dass sich die basale Struktur ihrer Argumentation durchaus übernehmen lässt, ohne sich zugleich irgendeine der radikalen Schlussfolgerungen zu eigen machen zu müssen, die sie selbst daraus gezogen hatten. Dieser Versuch führt Hobbes schließlich dazu, eine vollständig individualistische Theorie politischer Repräsentation zu entwickeln. 60  Hobbes 1969, Teil 2, Kap. 8, S. 173-4: ‘from want of understanding of what is meant by this word body politic, and how it signifieth not the concord, but the union of many men’, ‘though in the charters of subordinate corporations, a corporation be declared to be one person in law, yet the same hath not been taken notice of in the body of a commonwealth or city, nor have any of those innumerable writers of politics observed any such union’.

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5. Hobbes über politische Repräsentation

Diese Strategie bedeutete eine wesentliche Revision von Hobbes’ früherer Analyse in The Elements und in De cive. Er führt jetzt genau jenes politische Vokabular ins Feld, das die parlamentarischen Autoren im Laufe der 1640er Jahre entwickelt hatten, und macht es sich zu eigen. Er beginnt, indem er ihre Erklärung wiederholt, dass die Menschen die Autoren und Urheber aller rechtmäßigen Gewalt seien. Er gesteht bereitwillig zu, dass wir, wenn wir vertraglich übereinkommen, ein Gemeinwesen einzurichten, „durch diese Einrichtung Autor aller Handlungen und Urteile des institutionalisierten Souveräns werden“.61 Solange wir nicht Autoren derjenigen Gewalten sind, denen wir uns unterwerfen, werden die entstehenden Gewalten nicht rechtmäßig sein. Der Grund besteht darin, dass „kein Mensch durch einen Vertrag verpflichtet wird, dessen Autor er nicht ist, und folglich auch nicht durch einen Vertrag, der gegen oder abseits der Vollmachten geschlossen wurde, die er erteilt hat“.62 Weder in The Elements noch in De cive hatte Hobbes eine solche Terminologie gebraucht: dort hatte er weder Autoren noch Autorisation, weder Repräsentation noch Repräsentanten erwähnt.63 Die Kommentatoren, die diese Veränderung bemerkt haben, sind deswegen im Allgemeinen davon ausgegangen, dass Hobbes eine Schwäche oder gar einen Widerspruch in seinem ursprünglichen Argumentationsgang entdeckt und sich für eine Reformulierung seines Arguments entschieden haben müsse, um ihnen beizukommen.64 Im Unterschied zu diesen eher spekulativen Hypothesen möchte ich eine andere Art von Erklärung für die ausführlichen Veränderungen vorschlagen, die Hobbes im Leviathan eingeführt hat. Was mir ausschlaggebend zu sein scheint, ist der ausführliche 61  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 124: ‘by this Institution Author of all the Actions, and Judgments of the Soveraigne Instituted’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 139. 62  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112–3: ‘no man is obliged by a Covenant, whereof he is not Author; nor consequently by a Covenant made against, or beside the Authority he gave’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 124. 63  Tuck 2016, S. 105–6 dagegen argumentiert, man könne annehmen, dass Hobbes in diesen früheren Texten bereits nach jenem Vokabular getastet habe. 64  Siehe z. B. Gauthier 1969, S. 99, 120, 126; Zarka 1999, S. 325, 333.



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Gebrauch, den er in der revidierten Version seiner Theorie von dem distinkten politischen Vokabular macht, das in der Zwischenzeit von seinen parlamentarischen Gegnern entwickelt wurde. Um zu verstehen, wie Hobbes seine Strategie verfolgt, müssen wir uns auf denjenigen Moment konzentrieren, in dem sich seine Wege von den demokratischen Gentleman trennen. Sie alle hatten angenommen, dass bürgerliche Assoziationen ursprünglich aus freien und natürlichen Gemeinschaften entstanden waren, in denen die Vereinigung der Menschen (body of the people) die souveräne Macht besaß. Dies ist, Hobbes zufolge, ein eklatanter Irrtum, und es ist eines seiner wesentlichen Ziele bei seiner melodramatischen Beschreibung des Naturzustandes, diesen Irrtum aufzudecken. Es gibt, versetzt Hobbes, schlechterdings keine Vereinigung der Menschen: „die Vielzahl ist natürlicherweise nicht Eines, sondern Viele“.65 Wenn wir über die Grenzen bürgerlicher Assoziationen hinausschauen, finden wir keine Vereinigung von Menschen, sondern lediglich eine Menge oder Vielzahl von „einzelnen Menschen“.66 Es die Vielzahl, in der wir, auf Grund der Gleichartigkeit unseres Begehrens und unserer Macht, voneinander „dissoziiert“ sind und „jeder Mann jedes Mannes Feind ist“.67 Im Ergebnis ist der natürliche Zustand der Menschheit nicht nur ein Zustand der Menschen „in Vereinzelung“, ein Zustand, in dem es „keine Gesellschaft“ und „weder Eigentum noch Gemeinschaft“ gibt; es ist „ein Zustand des Krieges eines gegen den anderen“, ein dauerhafter Krieg „eines jeden Menschen gegen jeden Menschen“.68 Die entscheidende Bedeutung des Versäumnisses, die furchterregende Wahrheit über unseren natürlichen Zustand anzuerkennen, besteht nach Hobbes darin, dass es die demokratischen Gentleman dazu verleitet, eine irreführende Erklärung des politischen Vertrages 65  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 114: ‘the Multitude naturally is not One, but Many’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126. 66  Hobbes 2008, Kap. 13, S. 90: ‘particular men’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 67. 67  Hobbes 2008, Kap. 13, S. 89: ‘dissociate’, ‘every man is Enemy to every man’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 69. 68  Hobbes 2008, Kap. 13, S. 88–90, 171: ‘in Solitude’, ‘no Society’, ‘neither Propriety nor Community’, ‘a condition of warre one against another’, ‘of every man, against every man’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 96–8, 191.

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und damit der Eigenart rechtmäßiger Herrschaft zu geben. Sie hatten argumentiert, dass der vereinigte Körper des Volkes, indem er in der Art einer Person agiert, mit einem zuvor bestimmten Herrscher einen Vertrag schließt und zustimmt, sich ihm unter den vereinbarten Bedingungen zu unterwerfen. Hobbes ist nun in der Lage, diesen Teil  ihrer Analyse kurzer Hand zu verabschieden. Es macht keinen Sinn, entgegnet er, in dieser Weise über die „Einheit der Repräsentierten“ zu sprechen.69 Vor der Unterwerfung unter eine souveräne Macht sind die Menschen „nicht eine Person“; sie sind nicht mehr als die getrennten und einander feindseligen Mitglieder einer „uneinigen Vielzahl“.70 Daraus folge, dass die parlamentarische Vision der „ganzen Vielzahl, als einer Partei des Vertrages“, wie er ungerührt schlussfolgert, „unmöglich“ sei.71 Es mag jedoch den Anschein haben, als habe Hobbes sich mit diesem vollmundige Angriff auf die korporativen Prämissen der demokratischen Gentleman übernommen. Wenn es keinerlei Vereinigung von Menschen gibt, die der Repräsentation bedarf, wie können wir dann sinnvollerweise von repräsentativer Regierung sprechen? Hobbes antwortet darauf, indem er eine konkurrierende und vollständig individualistische Theorie der Repräsentation entwirft, innerhalb derer sich zwei distinkte, aber zusammengehörige Elemente unterscheiden lassen. Das eine ist die Behauptung, dass eine Repräsentationsbeziehung so verstanden werden muss, dass sie zwischen einem Souverän und jedem einzelnen seiner individuellen Subjekte besteht. Einzelne Interpreten haben mitunter bestritten, dass Hobbes für die Beschreibung der Beziehung von Souverän und Subjekt auf die Sprache der Repräsentation zurückgreift.72 Aber tatsächlich greift er auf diese Sprache in mehreren Textpassagen zurück, in denen eines der charakteristischen Argumente anklingt, das von der Theologie des Bundes vorgetragen worden war: dass eine 69  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 114: ‘the Unity of the Represented’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126. 70  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 122: ‘are not one Person’, ‘a disunited Multitude’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 136–7. 71  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 266: ‘impossible’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 137. 72  Siehe z. B. Runciman 2009, S. 19.



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Art, wirksam eine große Anzahl von Individuen zu repräsentieren, darin bestehen kann, über eine besondere Eigenschaft der Repräsentativität zu verfügen. Diese Theologen hatten behauptet, dass Christus sich infolge der Teilhabe an unseren individuellen Attributen repräsentativ verhalten, eines jeden Person verkörpern und in unser aller Namen handeln konnte. In gleicher Weise bezieht sich Hobbes auf den Souverän als „eine Repräsentanten Person“73, die als „die für alle und für jeden einzelnen der Vielzahl repräsentative Person“ betrachtet werden kann.74 Er behauptet weiter, dass jeder Souverän, weil er über diese wesentliche Eigenschaft verfüge, „repräsentativ für die ganze Anzahl“ zu sein, in der Folge darauf hoffen kann, als ein „gemeinsamer Repräsentierender“ (Common representer) oder „gemeinsamer Repräsentant“ (common Representative) eines jeden zu sprechen und zu handeln.75 Ein Souverän ist jemand, der kraft der Übereinkunft, „einen jeden zu repräsentieren“, in den Stand versetzt wird, als „Repräsentant all seiner eigenen Subjekte“ zu dienen.76 Hobbes’ zweite Antwort erwächst aus der anti-korporativen Analyse des politischen Vertragsschlusses, die er entwickelt. Vorausgesetzt, dass „die Vielzahl natürlicherweise nicht Eines ist, sondern Viele“, kann eine solche Übereinkunft überhaupt nur die Form eines „Vertrages eines jeden Menschen mit einem jedem Menschen“ annehmen. Jedermann muss übereinkommen, ein jeder mit einem jedem, „all seine Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen zu übertragen“.77 Sie alle müssen „ihre 73  Hobbes 2008, Kap. 29, S. 228: ‘one Representative Person’; vgl. Hobbes 2008, Kap. 25, S. 179. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 252, 198–9. 74  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 129: ‘the Person representative of all and every one of the Multitude’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 145. 75  Hobbes 2008, Kap. 22, S. 155; Kap. 16, S. 114; Kap. 26, S. 185: ‘Representative of the whole number’, ‘Common representer’, ‘common Representative’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126, 173, 205. 76  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 130: ‘to represent them every one’ und Kap. 35, S. 285: ‘Representative of all his own Subjects’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 145, 317. 77  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘to conferre all their power and strength upon one Man, or upon one Assembly of men’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134.

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5. Hobbes über politische Repräsentation

Willen unterwerfen, ihren Willen seinem Willen, und ihre Urteile seinem Urteil“, um so den Souverän in den Stand zu versetzen, seine Autorität von der einzigen möglichen Quelle zu empfangen, dem Willen „eines jeden besonderen Menschen im Common-Wealth“.78 Aus diesem Akt des wechselseitigen Vertragsschlusses, erklärt uns Hobbes weiter, ergeben sich zwei entscheidende und unmittelbar politische Konsequenzen. Einmal bewirkt er, dass die individuellen Mitglieder der Vielzahl in eine einzige Person verwandelt werden. Wenn sie einen Vertrag schließen, stimmen sie zu, „ihrer aller Willen durch eine Mehrheit der Stimmen, auf einen Willen zurückzuführen“.79 Infolgedessen sind sie in der Lage, mit einem einzigen Willen und einer einzigen Stimme zu handeln, derjenigen ihres souveränen Repräsentanten, den sie autorisiert haben, in ihrer aller Namen zu sprechen und zu handeln. Anzuerkennen, dass sie nun mit einem Willen handeln können, bedeutet zugleich, dass sie nicht länger eine bloße Vielzahl sind. Die Wirkung ihrer wechselseitigen Übereinkunft besteht, wie wir gesehen hatten, darin, „eine wirkliche Einheit aller“ herzustellen, so dass sie in „in einer Person vereint“ sind.80 „Eine Vielzahl von Menschen wird“, wie Hobbes zusammenfasst, „zu einer Person gemacht, wenn sie durch einen Menschen oder eine Person repräsentiert werden“.81 Die zweite Konsequenz besteht darin, dass der durch die Mitglieder der Vielzahl autorisierte Souverän der Repräsentant derjenigen Person wird, die sie hervorzaubern, indem sie übereinkommen, repräsentiert zu werden. Der Souverän wird, mit anderen Worten, der Repräsentant der Vereinigung der Menschen im Ganzen. Diese Behauptung bildet den Kern der Hobbes’schen Theorie politischer Repräsentation. Es scheint daher von besonderer Wichtigkeit, zu versuchen, Hobbes’ Ar78  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘submit their Will, every one to his Will, and their Judgements, to his Judgement’, ‘every particular man in the Common-Wealth’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 79  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘reduce all their Wills, by plurality of voices, unto one Will’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 80  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘a real Unity of them all’, ‘united in one Person’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 81  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 114: ‘the Unity of the Represented’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126.



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gumentationsgang an dieser Stelle etwas eingehender zu erklären, zumal einige Kommentatoren über diese zentrale Eigenheit seiner Argumentation hinweggegangen sind; wobei einige unter ihnen gar so weit gegangen sind, zu behaupten, dass der Souverän Hobbes zufolge nur „die Bürger als Individuen betrachtet repräsentiert oder für sie handelt“. Dies sei der „grundlegende Hobbesianische Gedanke“.82 Zweifellos, der Souverän agiert als Agent eines jeden einzelnen Subjekts kraft seiner repräsentativen Qualität, aber wenn sich von Hobbes sagen lässt, er habe einen grundlegenden Gedanken politischer Repräsentation entwickelt, dann ist es der, dass der Souverän auch als Repräsentant der Vielzahl „vereint in einer Person“ handelt, und wir müssen als nächstes verstehen, wie genau dies zu Stande kommt. Hobbes beginnt seine Erklärung, indem er eine Analyse des Konzepts der Repräsentation im Allgemeinen offeriert. Der entscheidende Schachzug besteht darin, zu der klassischen Behauptung zurückzukehren, ein Repräsentant sei einfach ein Akteur, jemand, der die Rolle eines anderen spielt und dessen Text aufsagt. Wie wir schon gesehen hatten, erklärt er in Kapitel 16 des Leviathan emphatisch, ein Repräsentant sei „dasselbe wie ein Akteur, sowohl auf der Bühne als auch in einer gewöhnlichen Unterhaltung“, so dass „zu personifizieren bedeutet, zu handeln oder sich selbst oder einen anderen zu repräsentieren“.83 Hobbes evoziert hier das Bild einer persona, der Maske, die von den Schauspielern im antiken Theater getragen wurde, um anzuzeigen, welche Rolle sie übernommen hatten. Wie er jedoch hervorhebt, sei dieser spezifische Gebrauch des Wortes seither ausgedehnt worden, um „jeden Repräsentanten einer Rede oder Handlung, im Gerichtssaal sowohl als im Theater“ einzuschließen, so dass von einem jeden, der einen anderen repräsentiert, „gesagt wird, er verkörpere dessen Person oder handle in dessen Namen“.84 82 

Tuck 2016, S. 105, 137. Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112: ‘the same that an Actor is, both on the Stage and in common Conversation’, ‘to Personate, is to Act, or Represent himselfe, or an other’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. Zu Hobbes’ Auffassung der Sprache als Mittel der Personifkation siehe Pettit 2008, S. 55–69. 84  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112: ‘any Representer of speech and action, as well in Tribunalls, as Theaters’, ‘said to beare his Person, or act in his name’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. 83 

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Dieses Vokabular war ursprünglich von Cicero in Umlauf gebracht worden und hatte zuerst über die theologisch-politischen Auseinandersetzungen der Englischen Reformation Eingang in den englischsprachigen Diskurs gefunden. Hobbes war sich dieser früheren Traditionen, rechtliche und politische Repräsentation nicht als Frage der Produktion von Bildern oder Ähnlichkeiten zu begreifen, sondern schlichtweg als Autorisierung von Akteuren, im Namen Dritter zu sprechen, zweifelsohne bewusst.85 Er merkt ausdrücklich an, dass Cicero die Idee der Repräsentation in diesem Sinne verstanden habe, als das Tragen der persona oder Verkörperung der Person eines anderen, und in Kapitel 16 zitiert er die vielgerühmte Passage, in der Cicero beschrieben hatte, wie er „drei Personen“ verkörpere: „meine eigene, die meiner Gegner und die der Richter“.86 Mit erstaunlicher Ähnlichkeit lässt Hobbes Thomas Goodwins Beschreibung von Christus als eines Repräsentanten anklingen, der „unsere Personen verkörpert“ ebenso wie Goodwins Definition des Repräsentanten als der, der „personifiziert, und den Part eines anderen übernimmt“.87 Hobbes wendet diese allgemeine Analyse sodann auf den Fall der Repräsentation einer Vielzahl an. Wenn die Mitglieder einer Vielzahl übereinkommen, jeder mit jedem, „all ihre Macht und Stärke auf einen Menschen zu übertragen, oder auf eine Versammlung von Menschen“, so hatte Hobbes dargelegt, hatte dies den Effekt, sie in eine Person zu verwandeln. Wenn sie sich aber auf einen Menschen oder eine Versammlung einigen, „ihrer aller Willen, durch eine Mehrheit der Stimmen, auf einen Willen zurückzuführen“, bedeutete dies „soviel wie zu sagen“, dass sie „diesen Mensch oder diese Versammlung von Menschen ernennen, um ihre Person zu verkörpern; und dass ein jeder sich als Autor all jener Handlungen bekennt, die derjenige ausführt oder verursacht, der auf diese Weise ihre Person verkörpert, in jenen Dingen, die den gemeinsamen Frieden und die Sicherheit 85  Der Katalog der Hardwick Bibliothek, der von Hobbes Ende der 1620er Jahre zusammengestellt wurde, beinhaltet Arbeiten sowohl von Nicholas Sander als auch Thomas Fitzherbert. Siehe Hobbes MSS (Chatsworth), MS E. 1. A, S. 17, 43. 86  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 112: ‘I beare three Persons; my own, my Adversaries, and the Judges’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. 87  Goodwin (Thomas) 1642, S. 47, 72.



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betreffen“.88 Der Name des Menschen oder der Versammlung, die von der Vielzahl eingesetzt wird, um ihre Person zu tragen, ist der Souverän, dem die Mitglieder der Vielzahl „das Recht“ übertragen, „die Person zu präsentieren“, das heißt, „ihr Repräsentant zu sein“.89 Der Souverän empfängt seine Autorisation weiterhin von jedem einzelnen seiner Subjekte. „Weil die Vielzahl natürlicherweise nicht Eines ist, sondern Viele, können sie nicht als ein Autor gelten, sondern als viele Autoren all derjenigen Dinge, die ihr Repräsentant sagt oder in ihrem Namen tut“.90 Aber sobald sie ihren Souverän autorisiert haben, besteht seine grundlegende Pflicht hernach darin, als ihr „gemeinsamer Repräsentierender“ zu handeln, der Repräsentant ihrer Person im Ganzen.91 Mit einem derart eingesetzten Souverän fühlt sich Hobbes schlussendlich in der Lage, statt von einer bloßen Vielzahl von einem Volk zu sprechen. Jeder Souverän kann nun, schließt er, als „der absolute Repräsentant des Volkes“ beschrieben werden.92 Nachdem er sich selbst mit dieser distinkten Erklärung der Entstehung einer rechtmäßigen Regierung versehen hat, macht Hobbes sich als nächstes daran, das Feuer auf seine parlamentarischen Gegner zu eröffnen, indem er seine Analyse politischer Repräsentation verwendet, um die gesamte Kette radikaler Schlussfolgerungen in 88  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘that may reduce all their Wills, by plurality of voices, unto one Will’, ‘as much as to say’, ‘appoint one Man, or Assembly of men, to beare their Person; and every one to owne, and acknowledge himselfe to be Author of whatsoever he that so beareth their Person shall Act, or cause to be Acted, in those things which concerne the Common Peace and Safetie’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 89  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 121: ‘to be their Representative’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 136. 90  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 114: ‘because the Multitude naturally is not One, but Many; they cannot be understood for one; but many Authors, of every thing their Representative saith, or doth in their name’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126. 91  Hobbes 2008, Kap. 16, p. 114: ‘their common Representer’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 126. 92  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 130: ‘the absolute Representative of the people’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 146. Zu Hobbes Unterscheidung zwischen der Vielzahl und dem Volk siehe Astorga 2011.

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Frage zu stellen und zu unterlaufen, die sie aus ihrer konkurrierenden Erklärung politischer Repräsentation gezogen hatten. Sie hatten zunächst argumentiert, aus der Tatsache, dass das Volk ursprünglich im Besitz der souveränen Gewalt gewesen sei, folge, dass die Einheit (universitas) des Volkes, wenn es mit einem König einen Vertrag schließe, maior oder in einer höheren Stellung als der König selbst verbleiben müsse. Hobbes lässt dieses Argument sowohl in The Elements als auch in De cive unkommentiert, im Leviathan bietet er jedoch sogleich seine individualistische Analyse des Vertrages auf, um es beiseite zu wischen. „Es gibt wenig Grund“, erwidert er verächtlich, „für ihre Annahme, die souveränen Könige seien, obschon sie singulis majores  – von größerer Macht als jedes ihrer Subjekte  – sind, doch Universis minores, von geringerer Macht als sie alle zusammen“.93 Es gibt darum wenig Gründe für diese Annahme, weil wir uns auf diese Ansicht, wenn es doch schlechterdings keine universitas oder korporative Vereinigung des Volkes gibt, nur auf zwei gleichermaßen unbefriedigende Weisen einen Reim machen können. Einmal, indem wir annehmen, dass die parlamentarischen Autoren, wenn sie von „alle gemeinsam“ im Gegensatz zu „jeder einzelne“ sprechen, sich nicht auf die Person beziehen, in die sich die Vielzahl transformiert, sobald sie einen souveränen Repräsentanten autorisiert, sondern einfach auf die Vielzahl selbst. „Denn wenn sie mit alle zusammen nicht den kollektiven Körper als eine Person meinen, dann bedeutet alle zusammen und jeder einzelne dasselbe; und die Redeweise ist absurd“. Die einzige Alternative besteht darin, anzunehmen, dass die parlamentarischen Autoren, wenn sie „alle gemeinsam“ sagen, sich in der Tat auf die Person beziehen, in die sich die Vielzahl verwandelt, indem sie einen souveränen Repräsentanten autorisiert. Wenn dem aber so sein sollte, lässt sich ihre Argumentation um nichts weniger leicht von der Hand weisen. Denn „wenn sie alle zusammen als eine Person verstehen (welche Person der Souverän verkörpert), dann ist

93  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 128: ‘there is little ground for the opinion of them, that say of Soveraign Kings, though they be singulis majores, of greater Power than every one of their Subjects, yet they be Universis minores, of lesse power than them all together’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 143.



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die Macht aller zusammen dieselbe wie die Macht des Souveräns; und wiederum ist die Redeweise absurd“.94 Eine zweite Folgerung, die die parlamentarischen Autoren gezogen hatten, war, dass es dem Volk überlassen bleibt, wenn es einen Souverän autorisiert, die Geschäftsbedingungen seiner Herrschaft zu verhandeln und, wie Hobbes es ausdrückt, ihm diese Bedingungen „von vornherein“ aufzuerlegen.95 Wenn Hobbes sich diesem Argument in Kapitel 18 zuwendet, versucht er nachzuweisen, dass es sich in noch offensichtlicherer Weise in Absurditäten verwickelt. Angenommen, die Mitglieder einer Vielzahl schließen einen Vertrag mit einem designierten Herrscher, der nach seiner Einsetzung in einer Weise handelt, die „einen Bruch des Vertrages“ zur Folge hat, dem er ursprünglich zugestimmt hat. Zu diesem Zeitpunkt wird der Herrscher bereits in seine souveränen Rechte eingetreten sein, so dass in der Folge jedes seiner Subjekte verpflichtet sein wird, sich jede Handlung „zu eigen zu machen“, die ihm in ihrem Namen auszuführen beliebt, weil er sie „in der Person und durch das Recht eines jedes einzelnen“ ausführen wird. Das aber bedeutet, dass solche Vereinbarungen, welche Beschränkungen seiner Handlungen auch immer ein Herrscher darin zuvor akzeptiert haben mag, null und nichtig sein werden, denn „welcher Akt auch immer durch einen von ihnen für eine Verletzung erklärt werden mag, doch zugleich seine eigene Handlung und die Handlung aller übrigen ist“.96 Jedes Subjekt, das sich nun über das Verhalten seines Souveräns beklagt, wird, aberwitzig genug, Klage gegen sich selbst erheben. Wie Hobbes in seinem Kapitel über die Freiheit der Subjekte bekräftigt, könne „nichts, was der Souverän einem Subjekt anzutun 94  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 128: ‘For if they by all together, they mean not the collective body as one person, then all together, and every one, signifie the same; and the speech is absurd’, ‘if by all together, they understand them as one Person (which person the Soveraign bears,) then the power of all together, is the same with the Soveraigns power; and so again the speech is absurd’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 143. 95  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 122: ‘before-hand’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 137. 96  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 123: ‘a breach of the Covenant’, ‘own’, ‘in the person, and by Right of every one of them in particular’, ‘what act soever can be pretended by any one of them for breach thereof, is the act both of himselfe, and of all the rest’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 137.

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vermag, gestützt auf welchen Rechtstitel auch immer, billigerweise Unrecht oder eine Rechtsverletzung genannt werden; denn jedes Subjekt ist der Autor eines jedes Aktes, den der Souverän unternimmt, so dass es ihm niemals am Recht zu irgendeiner Sache gebricht“.97 Eine weitere Schlussfolgerung, die von den parlamentarischen Autoren gezogen worden war, bestand darin, dass, einem König, sollte er es verabsäumen, die Geschäftsbedingungen seiner Herrschaft einzuhalten, von seinen eigenen Subjekten Widerstand geleistet und er nötigenfalls von der Macht vertrieben werden durfte. Hobbes greift ein weiteres Mal auf seine konkurrierende Analyse der Autorisation zurück, um darzutun, dass dies die größte aller Absurditäten sei. Er prüft das Argument sowohl für den Fall der Vertreibung eines regierenden Monarchen als auch für den Fall seiner Bestrafung oder Tötung. Es ist in sich widersprüchlich, erwidert Hobbes, für ein Volk, anzunehmen, dass sie „ihre Person von demjenigen, der sie verkörpert, auf einen anderen Menschen oder eine andere Versammlung von Menschen übertragen können“. Sie haben sich bereits gebunden, „jeder Mensch gegenüber jedem Menschen, sich alles zu eigen zu machen, was derjenige, der ihr Souverän ist, tut und zu tun für nötig befindet, und sich als seine Autoren zu bekennen“.98 Ihn zu vertreiben würde darum bedeuten, der Konfusion zu verfallen, seine Handlungen zur selben Zeit zu autorisieren und zu verleugnen. Es ist gleichermaßen in sich widersprüchlich, für das Volk auf die Bestrafung oder Tötung eines regierenden Monarchen zu verfallen. Bedenkt man, dass „jedes Subjekt Autor der Handlungen seines Souveräns“ ist, führt dies nur zur gleichen Konfusion wie zuvor. Jedes Subjekt, das seinen Souverän zu bestrafen sucht, wird ihn für „Handlungen, die es selbst begangen hat“, verurteilen.99 97  Hobbes 2008, Kap. 21, S. 148: ‘nothing the Soveraign Representative can doe to a Subject, on what pretence soever, can properly be called Injustice, or Injury; because every Subject is Author of every act the Soveraign doth; so that he never wanteth Right to any thing’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 165. 98  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 122: ‘transferre their Person from him that beareth it, to another Man, or other Assembly of men’, ‘every man to every man, to Own, and be reputed Author of all, that he that already is their Soveraigne, shall do, and judge fit to be done’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 136. 99  Hobbes 2008, Kap. 18, S. 124: ‘every Subject is Author of the actions of his Soveraign’, ‘actions committed by himselfe’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 139.



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Die Pointe der Theorie „virtueller“ Repräsentation, die sich die parlamentarischen Autoren zu eigen gemacht hatten, hatte darin bestanden, dass keinerlei politische Repräsentation mehr Legitimität beanspruchen konnte, die nicht die Form eines erkennbaren Bildes oder Ebenbildes des gesamten Volkes annahm. Gegen Ende der 1640er Jahre war diese Annahme bereits so tief verankert, dass wir die Protagonisten der parlamentarischen Sache jedes Gremium von Menschen mit dem Recht, im Namen einer größeren Vereinigung zu handeln, – in einem heute obsoleten Sinn – als „einen Repräsentanten“ bezeichnen sehen.100 Ganz offensichtlich handelt es sich dabei um eine für die Monarchie tödliche Festlegung und Hobbes weist sie in schärfstem Ton zurück. Da es nichts gibt, kontert er, was repräsentiert werden kann außer den individuellen Körpern „aller und jedes einzelnen der Vielzahl“, gibt es keinen Grund, warum dieser Akt der Repräsentation nicht gleichermaßen gut  – und vielleicht sehr viel besser  – durch einen individuellen Körper als durch eine Körperschaft von Menschen vorgenommen werden könnte.101 Hobbes zieht diese gegensätzliche Schlussfolgerung mit besonderem Nachdruck, wenn er sich in Kapitel 19 daran macht, die verschiedenen Formen rechtmäßiger Regierung auseinanderzusetzen: „Es ist manifest, dass Menschen in absoluter Freiheit, wenn es ihnen gefällt, einem Mann die Autorität einräumen können, jeden einzelnen von ihnen zu repräsentieren; ebenso gut, wie sie solche Autorität irgendeiner Versammlung von Männern einräumen können; und sich folglich, wenn es sie gut dünkt, einem Monarchen ebenso absolut unterwerfen können wie jedem anderen Repräsentanten“.102

100  Siehe z. B. das Gesetz zur Abschaffung des Amtes des Königs (Act Abolishing the Office of King) in Gardiner 1906, S. 386, das von dem Recht des Volkes spricht, „von seinen eigenen Repräsentanten oder der nationalen Versammlung im Rat regiert zu werden“ und das verkündet, dass die „höchste Autorität“ nun in „dieser und den nachfolgenden Repräsentanten des Volkes“ wohne (S. 387). 101  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 129: ‘of all and every one of the Multitude’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 145. 102  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 130: ‘It is manifest that men who are in absolute liberty, may, if they please, give Authority to One man, to represent them every one; as well as give such Authority to any Assembly of men whatsoever; and consequently may subject themselves, if they think good, to

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Hobbes spricht davon, einem Mann die Autorität einzuräumen, aber er ist sorgsam darauf bedacht, hinzuzufügen, dass eine Frau gleichermaßen als Person dafür stehen kann, uns alle zu repräsentieren.103 Er deutet sogar an, dass Frauen, weil sie mitunter umsichtiger seien als Männer, und Umsichtigkeit augenscheinlich ein für einen Repräsentanten wünschenswertes Attribut ist, in manchen Fällen besser geeignet sein könnten als Männer, um Herrschaft über andere auszuüben.104 Mit dieser emphatischen und inklusiven Rechtfertigung der Monarchie ist der parlamentarischen Behauptung, dass eine genügende Repräsentation der Vereinigung des Volkes selbst eine Vereinigung des Volkes sein müsse, kurzer Hand eine Absage erteilt. Der Inhaber der souveränen Gewalt ist, wie Hobbes im Folgenden betont, eine von den Herrschern wie von den Beherrschten verschiedene Person. Er gibt dieser Person einen eigenen Namen, indem er verkündet, was er bisher beschrieben habe, sei die „Erschaffung jenes großen Leviathan“.105 Sodann erklärt er, wie der Staat ein sicheres und gesundes Leben zu führen hoffen kann,106 und er widmet ein ganzes Kapitel der Untersuchung der spezifischen Krankheiten des Staates und der Gefahren, die bei seinem Tode lauern.107 Er unterscheidet den Staat kategorial nicht nur von der Figur des Souveräns, sondern auch von der Einheit der Vielheit, über die der Souverän jeweils herrscht. Während Souveräne kommen und gehen, und während die Einheit der Vielheit sich kontinuierlich durch Geburt und Tod ihrer Mitglieder ändert, besteht die Person des Staates fort, sie geht Verpflichtungen ein und setzt Rechte durch weit über die Lebensspanne eines jeden ihrer Untertanen hinaus. Hobbes gesteht zu, dass kein Staat unsterblich sein a Monarch, as absolutely, as to any other Representative’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 145–6. 103  Hobbes 2008, Kap. 20, S. 140 verweist auf souveräne Königinnen und in Kap. 47, S. 479 wird ausdrücklich Königin Elisabeth von England erwähnt. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 157, 530. 104  Hobbes 2008, Kap. 20, S. 139–40; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 156. 105  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120: ‘the Generation of that great LEVIATHAN’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 106  Hobbes 2008, Kap. 29, S. 221; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 245. 107  Hobbes 2008, Kap. 29, S. 221–30; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 245–254.



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kann,108 und er nimmt an, zu seiner Zeit den Tod des englischen Staates mit eigenen Augen beobachtet zu haben.109 Trotzdem beharrt er darauf, dass es immer das wesentliche Ziel derjenigen sein wird, die einen Staat gründen, ihn „so lang wie die Menschheit“ selbst am Leben zu erhalten, und so ein System „immerwährender Sicherheit“ einzurichten, von dem sie hoffen können, dass sie es noch ihren Kindes-Kindern vermachen werden.110 Der Anspruch müsse sein, eine Institution „mit einem künstlich ewigen Leben“ zu schaffen.111 Hobbes scheint daher einer Sicht auf die Realität von Gruppenakteuren wie Unternehmen oder Staaten zu vertreten, die man in der jüngeren analytischen Diskussion ‚eliminativ‘ genannt hat.112 Es ist, Hobbes zufolge, zutreffend, dass wir nur dann sinnvoll davon sprechen können, ein Staat habe ein eigenes Bewusstsein oder eine eigene Stimme, wenn wir uns auf einen Souverän beziehen können, der autorisiert wurde, den Staat zu repräsentieren. Das bedeutet indes nicht, dass Hobbes der eliminativen Behauptung beipflichten würde, dass die einzigen handlungsfähigen Agenten individuelle Menschen seien und dass keine neuen Agenten entstünden, wenn Individuen sich entscheiden, mit einander zu kooperieren. Für Hobbes ist der Staat nicht nur der Name eines Akteurs mit seinen eigenen Einstellungen, die durch jede beliebige Person oder Gruppe zum Ausdruck gebracht werden kann, der die Autorität übertragen wurde, in seinem Namen zu sprechen und zu handeln; der Staat ist auch der Name einer Person mit distinkten Verpflichtungen, weil die Eigenart seiner Handlungen  – zu ihnen autorisiert worden zu sein  – ihn verantwortlich gegenüber jenen macht, die ihn autorisiert haben. Dieser Gesichtspunkt wird mit besonderem Nachdruck in der lateinischen Ausgabe des Leviathan betont, in der Hobbes seine frühere 108 

Hobbes 2008, Kap. 21, S. 153; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 171. Hobbes 2008, Kap. 29, S. 230; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 254. 110  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 135: ‘perpetuall security’; Kap. 29, S. 221: ‘as long as Mankind’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 151, 245. 111  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 135: ‘an Artificiall Eternity of life’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 151. 112  Zu dieser eliminativen Sicht auf Gruppenakteure siehe List  / Pettit 2011, S. 2–7, 73–4. 109 

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Behauptung aus Kapitel 16 reformuliert, dass „es wenige Dinge gibt, die nicht imstande sind, kraft einer Fiktion repräsentiert zu werden“.113 Er erklärt nun, dass es „wenige Dinge gibt, die nicht imstande sind, Personen zu sein“.114 „Kraft einer Fiktion repräsentiert zu werden“, ist einfach eine Art, eine Person zu sein. Der Staat ist zugegebenermaßen also nicht mehr als eine Person „kraft Fiktion“, eine rein rechtliche Entität115, aber es wäre nichtsdes­ totrotz ein gravierender Fehler anzunehmen, diese Person könne nicht als eine reale Kraft in der Welt agieren. Das hieße zu vergessen, dass die Handlungen des Repräsentanten der repräsentierten Person zugerechnet werden, sofern ein autorisierter Repräsentant im Namen eines anderen handelt.116 Sobald wir einmal diese Vorstellung einer attribuierten Handlung begriffen haben, ist es nach Hobbes leicht einzusehen, wie die Person des Staates trotz ihres fiktiven Charakters eine Erscheinung von unwiderstehlicher Kraft und Macht sein kann. Wenn die Mitglieder einer Vielzahl vertraglich übereinkommen, einen Souverän einzusetzen, statten sie ihn mit den größtmöglichen Machtbefugnissen aus, für das gemeine Wohl zu handeln.117 Der Souverän aber, auf den diese Gewalt übertragen wird, ist nur die Personifikation des Staates: Welche Handlungen auch immer er in seiner offiziellen Funktion ausführt, sie werden dem Staat zugerechnet und zählen als Handlungen des Staates. Folglich muss die Person des Staates als der wahre Inhaber der Souveränität betrachtet werden. „Das Common-wealth allein schreibt vor und befiehlt die Beachtung jener Regeln, die wir Recht nennen“, so dass „der Name der befehlenden Person … Persona Civitatis“, Person des Staates ist.118 113  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 113: ‘There are few things, that are uncapable of being represented by Fiction’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 124. 114  Hobbes 2012, Bd. II, Kap. 16, S. 247: ‘Paucae res sunt, quarum non possunt esse Personae’. 115  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 113: ‘by fiction’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 124. 116  Hobbes 2008, Kap. 16, S. 111; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 123. 117  Hobbes 2008, Kap. 17, S. 120; dt. vgl. Hobbes 1984, S. 134. 118  Hobbes 2008, Kap. 26, S. 183–4: ‘the Common-wealth only, praescribes, and commandeth the observation of those rules, which we call Law’, ‘the name of the person Commanding … is Persona Civitatis’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 203, 204.



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6. Samuel Pufendorf liest Hobbes Hobbes’ Theorie der Staatsperson hatte nur wenig unmittelbaren Einfluss auf die englische politische Debatte.119 Aber sie erregte schnell die Aufmerksamkeit der kontinentaleuropäischen Kommentatoren des ius gentium und des Naturrechts. Dabei müssen wir zwischen zwei verschiedenen Rezeptionssträngen unterscheiden. Einige der europäischen Kommentatoren konzentrierten sich vor allem auf die frühe Version der Hobbes’schen Theorie, wie sie in De cive formuliert wurde. Dort hatte Hobbes in Kapitel VII argumentiert, dass „wenn eine Anzahl von Menschen zusammenkommt, um eine civitas zu gründen“, dies „aufgrund der Tatsache, dass sie sich freiwillig versammelt haben“ so aufgefasst werden müsse, „dass sie als zu all dem verpflichtet betrachtet werden können, was durch Konsens der Mehrheit entschieden wird“.120 Dies bedeutet, wie Hobbes hervorhebt, anzuerkennen, dass diejenigen, die sich versammelt haben, bereits eine wichtige politische Entscheidung getroffen haben, nämlich zugunsten der Mehrheitsherrschaft. Wir könnten darum sagen, schlussfolgert er, dass sie „beinahe durch die bloße Tatsache ihrer Versammlung eine Demokratie“ sind.121 Richard Tuck hat jüngst argumentiert, Hobbes’ Argument in diesem Abschnitt führe uns zum „Herzstück seiner politischen Theorie“.122 Tuck behauptet weiter, dass in Kontinentaleuropa De cive ‚immer der Text der Wahl“ für Studenten der Hobbes’schen Theorie gewesen sei.123 Diese Annahmen haben ihn zu der Schlussfolgerung geführt, dass Hobbes’ staatsbürgerliche Philosophie im Europa der Aufklärung vor allem für Theoretiker der Volkssouverä119  Parkin 2007, S. 334–44, 361–77 berichtet von einer im wesentlichen feindlichen Rezeption ohne besondere Auseinandersetzungen mit der Hobbes’schen Theorie des Staates. 120  Hobbes 1983, VII. V, S. 152: ‘Qui coierunt ad civitatem erigendam, … ex eo quod volentes convenerunt, intelliguntur obligati ad id quod consensu maioris partis decernetur.’ 121  Hobbes 1983, VII. V, S. 152: ‘pene eo ipso quod coierunt, Democratia sunt’. 122  Tuck 2016, S. 86. 123  Tuck 2016, S. 109.

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6. Samuel Pufendorf liest Hobbes

nität attraktiv gewesen sei. Wie Tuck gezeigt hat, war das gewiss eine Lesart der Hobbes’schen Theorie. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass manch einer der europäischen Theoretiker wenigstens ebenso sehr am Leviathan interessiert war wie an De cive und dass einige der einflussreichsten unter diesen Hobbes Lesern in besonderem Maße von seiner Diskussion der Autorisierung des Souveräns und der Repräsentation des Staates im Leviathan angezogen waren. Diese Terminologie begegnet uns in De cive noch nicht, aber im Leviathan versieht sie Hobbes mit einem vollständigen Bezugssystem für seine Theorie der rechtmäßigen Regierung. Während er seine Argumentation aus De cive reformuliert, tilgt er jeden Bezug auf die grundlegende Rolle der Demokratie, indem er seine neue Analyse des Vertrages an ihre Stelle setzt als des Aktes, durch den die Mitglieder einer Vielzahl übereinkommen  – nicht als eine korporative Vereinigung, sondern ein jeder mit einem jedem  – einen Menschen oder eine Versammlung zu autorisieren, den Staat zu repräsentieren. Dies ist die Behauptung, die das Herzstück des Leviathan bildet und dies ist die Analyse, die Hobbes noch einmal bekräftigt, wenn er im lateinischen Leviathan von der civitas als einer persona spricht. Autor ihrer Handlungen ist jedes Subjekt, indem jedermann einem Souverän die Autorität überträgt, von dem sich dann sagen lässt, dass er Civitatis Personam gerit, dass er die „Person“ des Staates „verkörpert“ oder repräsentiert.124 Tuck hat weiter argumentiert, dass dieser Hobbes’sche Schachzug „von den Zeitgenossen häufig nicht bemerkt wurde“.125 Doch es war genau diese Version der Hobbes’schen Theorie, die die Aufmerksamkeit von Samuel Pufendorf erregen sollte. In seinen acht Büchern De iure naturae et gentium aus dem Jahr 1672 war Pufendorf der erste namhafte Philosoph, der sich stark auf Hobbes’ Theorie stützen sollte. Im Wesentlichen durch Pufendorfs Einfluss begannen ähnliche Diskussionen in Werken wie Johann Becmanns Meditationes 124  Hobbes 2012, Bd. II, Kap. 17, S. 261, 263: Zu Hobbes’ Übersetzung des Leviathan siehe Malcolm 2002, S. 459–60. Sie war von Johan Blaeu in Auftrag gegeben worden, der sie erstmals 1668 in seiner Sammlung von Hobbes Opera Philosophica veröffentlichte. Anschließend legte er sie 1670 als gesonderten Band neu auf. 125  Tuck 2016, S. 108.



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politicae aus dem Jahr 1674126 und Ulrich Hubers De iure civitatis von 1684.127 Wenn Becmann zu Beginn seiner Meditationes die führenden politischen Autoren auflistet, hebt er drei „unvergleichliche Männer“ besonders hervor: Grotius, Hobbes und Pufendorf.128 Im Folgenden bezieht er sich sowohl auf Hobbes wie auf Pufendorf, wenn er argumentiert, dass das „Subjekt“ der Souveränität die persona des Staates sei,129 und dass die Figur des Princeps „die Allgemeinheit des Volkes oder Staates repräsentiert“.130 Huber, der sowohl De cive als auch Leviathan zitiert,131 bietet eine ähnliche, aber genauere Analyse, wie der Staat zum Subjekt der Souveränität wird. Die Notwendigkeit diktiere, „dass der Wille jedes Individuums ein Wille werden sollte“, so dass im Ergebnis „die Vielzahl als eine Civitas gilt“, in der „dieser einzelne Wille nichts anderes ist als die Souveränität des Staates“.132 Kurze Zeit später wurde Pufendorfs Weiterentwicklung der Hobbes’schen Theorie in Frankreich durch das Werk Jean Barbeyracs bekannt, dessen kommentierte Ausgabe von Pufendorfs De iure naturae 1706 erschien.133 Obwohl Barbeyrac sowohl Hobbes als auch Pufendorf kritisiert, brachte seine Übersetzung Hobbes’ Sicht auf den Staat als den Namen einer Vielheit, die durch das vertragli126  Zu Becmann siehe Malcolm 2002, S. 525–7. Ich zitiere aus der dritten überarbeiteten Auflage (1679), zu dieser siehe Malcolm 2002, S. 525 Fn. 257. 127  Huber veröffentlichte seine Abhandlung erstmals 1673. In der überarbeiteten Auflage von 1684, aus der ich zitiere, zeigt er eine deutlich größere Bereitschaft anzuerkennen, wieviel er Hobbes verdankt, wie Malcolm 2002, S. 525–7 anmerkt. 128  Siehe Becmann 1679, I. 6, S. 7 zu diesen ‘Incomparabiles Viri’. 129  Becmann 1679, XII. 7, S. 172: ‘Subiectum Maiestatis est tum Respublica seu persona Moralis’. Becmann konzentriert sich auf Hobbes’ Leviathan in VI. 8, S. 85–6. 130  Becmann 1679, 12. VII, S. 174: ‘Princeps universos seu Rempublicam repraesentat’. 131  Siehe Huber 1684, I. 3, S. 14 über ‘tract.de cive & Leviathan vernaculo’. 132  Huber I. 7, S. 39: ‘Necessaria fuit … omnium voluntas una fieret … Et multitudo hoc modo unita Civitas dicitur … Voluntas autem una ista nihil aliud quam Imperium Civitatis.’ 133  Zu Barbeyracs Übersetzung siehe Othmer 1970, S. 124–34.

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6. Samuel Pufendorf liest Hobbes

che Übereinkommen, unter einem souveränen Repräsentanten zu leben, zu einer Person vereint wird, weiter in Umlauf.134 Wir finden diese Konzeption in Frankreich bei Juristen wie François Richer d’Aube in seinen Essais aus dem Jahr 1743135 und Martin Hubner in seinem Essai sur l’histoire du droit naturel, der zuerst in London im Jahr 1747 erschien.136 Von all diesen Reformulierungen des Hobbes’schen Theorems war jedoch die bei weitem einflussreichste diejenige Emer de Vattels in seinem Le droit des Gens aus dem Jahr 1758. Obwohl Vattel sich durchaus kritisch zu den von ihm als paradox beschriebenen Hobbes’schen Annahmen verhält, sieht er in Hobbes doch den unzweifelhaften Kenner137 und entwickelt eine im wesentlichen hobbesianische Sicht auf die Person des Staates, die ihrerseits wiederum eine große Rolle bei der Rezeption der Idee im englischsprachigen politischen Denken spielte.138 Dieser Rezeptionsvorgang begann vermutlich mit der Veröffentlichung von White Kennets Übersetzung von Barbeyracs PufendorfAusgabe im Jahr 1717.139 Pufendorf weist uns ausdrücklich darauf hin, dass „Hobbes die Bürgerliche Gesellschaft gar artig vorgestellet [hat] als einen durch Kunst gebildeten Menschen“.140 Pufendorf beginnt seine Ausführungen mit einer deutlich genaueren Beschreibung der beiden unterschiedlichen Welten, die wir gleichzeitig bewohnen, als sie Hobbes unternommen hatte. Die eine ist die Welt der natürlichen Entitäten, die andere die Welt moralischer Entitäten, die durch uns der Welt der Natur „nach seynd zugeleget werden“, 134  Pufendorf 1706, S. 206: ‘cette union & cette soûmission de volontez, qui acheve de former l’Etat, & en fait un Corps, qu l’on regarde comme une seule Personne’. 135  Zu Richer d’Aube siehe Glaziou 1993, S. 62–3. 136  Zu Hubner siehe Glaziou 1993, S. 65–7. 137  Vattel 1760b, Vorrede; Vattel 1760a, Preface. 138  Jouannet 1998; Beaulac 2003, besonders S. 254–60. Kritisch dazu Hunter 2010. 139  Womöglich auch, wie Saunders  / Hunter 2003 annehmen, mit der Veröffentlichung von Andrew Tookes Übersetzung von Pufendorfs Kurzfassung von De iure naturae im Jahr 1691. 140  Pufendorf 1711, VII. II. XIII., S. 479, r. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XIII., S. 475, r. Sp.: ‘Mr Hobbes hath given us a very ingenious Draught of a Civil State, conceiv’d as an Artificial Man’.



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um „so fort eine Ordnung und Wohlstand in dem menschlichen Leben dadurch zuwege zu bringen“.141 Die wichtigsten dieser moralischen Entitäten sind für Pufendorf die moralischen Personen. Sie bilden die Substanz der moralischen Welt und werden „nach der Ähnlichkeit“ zu den natürlichen Personen aufgefasst, von denen im Gegenzug gesagt wird, sie bildeten die rationale Substanz der natürlichen Welt.142 Die Verbindung zwischen natürlichen und moralischen Personen entsteht aus der Tatsache, dass innerhalb der staatsbürgerlichen Vereinigungen natürliche Personen eine Vielzahl von Rollen übernehmen, so dass in der Folge „ein Mensch … gar füglich gleichsam verschiedene Personen agieren“ kann, indem er als „HausVatter in seinem Hause; Rahts-Herr auff dem Raths-Hause, Advocat für einem andern [bei] Gericht, und denn ein Rathgeber bey Hoffe“ auftritt.143 Sobald Pufendorf sich der Person des Staates zuwendet, stimmt er mit Hobbes darin überein, dass sie ins Leben gerufen wird, sobald eine Anzahl natürlicher Personen „der Gestalt miteinander verknüpffet werden, daß, was sie Vermög und in Krafft solcher Verbindung wollen oder fürnehmen, dasselbe bloß vor einen Willen, und vor ein einziges Fürnehmen, nicht aber vor derer viele und unterschiedliche müsse geachtet werden“. Dieses Übereinkommen entstehe, „wann alle und jede dieser Leute ihren Willen dem Willen eines einzigen Menschen, oder auch einer Rhats-Versammlung oder Concilii der Gestalt unterwerfen, daß, was der oder dieselbe schliessen, oder thun würden, … sie dasselbige vor ihrer aller gemeinsamen Willen nicht nur für sich erkennen, sondern auch von andern erkannt wissen wollen“.144 Pufendorf stimmt gleichermaßen mit Hob141  Pufendorf 1711, I. I. III., S. 5, l. Sp. Pufendorf 1717, I. I. III., S. 3, l. Sp.: ‘impose … for the procuring of a decent Regularity in the Method of Life’. 142  Pufendorf 1711, I. I. XVII., S. 24, r. Sp. Pufendorf 1717, I. I. XVII., S. 10, r. Sp.: ‘conceiv’d with analogy’. 143  Pufendorf 1711, I. I. XIV., S. 20. Pufenforf 1717, I. I. XIV., S. 9, l.  Sp.: ‘one and the same Man’, ‘sustain several Persons together’, ‘a Householder, a Senator in Parliament, an Advocate in the Halls of Justice, and a Counsellor at Court’. Siehe dazu Hunter 2001, S. 163–8. 144  Pufendorf 1711, I. I. XIII., S. 19, l. Sp. Pufendorf 1717, I. I. XIII., S. 8, r. Sp.: ‘are so united together, that what they will or act by virtue of that

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bes überein, dass es unser Ziel sein sollte, wenn wir einen Staat gründen, um der Stabilität und Sicherheit willen eine Person mit einem künstlich ewigen Leben zu erschaffen. „Man kann nehmlich [nicht] glauben, daß die Urheber der bürgerlichen Gesellschaften diese nur auff ihre Lebens-Zeit haben auffrichten wollen; Vielmehr ist es gewiß, daß selbige haben einen immerwährenden, und auff ihre Nachkommen mit dero Erhaltung fortpflanzenden Nutzen für Augen gehabt. Daher muß man weiter schliessen, es seye solcher Urheber derer bürgerlichen Gesellschaften Willen und Meynung gewesen, daß ihre Nachkommen die daraus entspringende Vortheile … geniesen solten“.145 Pufendorf scheint auf den ersten Blick also Hobbes’ gelehriger Schüler zu sein und so wird er denn auch gemeinhin in der neueren Forschung dargestellt.146 Aber Pufendorf teilt Hobbes’ Analyse von Personalität nicht und stimmt infolgedessen auch nicht mit dessen Beschreibung der Person des Staates überein. Er weist Hobbes’ zentrale Behauptung zurück, dass der Staat eine Person kraft Fiktion sei, geschaffen durch eine bloße Vereinigung der Willen. Für Pufendorf ist der Staat sowohl aus den moralischen personae aller natürlichen Person zusammengesetzt, die ihn begründen, als auch aus dem Souverän, der den Staat repräsentiert. Richtigerweise sei daher der Staat selbst als eine genuine moralische Person anzuerkennen. Eine bürgerliche Gesellschaft wird, wie er erklärt „als eine mit eigenem Verstande und Willen versehene Person betrachtet […], deren Thun und ­ nion, is esteem’d a single Will, and a single Act’, ‘when the particular MemU bers submit their Wills to the Will of one Man, or of one Council, in such a manner as to acknowledge the common Act and Determination of them all’. 145  Pufendorf 1717, VII. II. XX., S. 495, r. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XX., S. 481, l. Sp.: ‘For they who were the Original Founders of Commonwealths, are not supposed to have Acted with this Design, that the State should Fall and be Dissolv’d upon the Decease of all those particular Men, who at first compos’d it; but they rather proceeded upon the Hope and Prospect of lasting and perpetual Advantages, to be derived from the present Establishment, upon their Children and their whole Posterity’. 146  So besonders Palladini 1990. Ich habe diese Ansicht früher selbst geteilt, siehe Skinner 2009, S. 350–2. Für Anregungen, meine Position zu überdenken, bin ich besonders Hans Baade und Benjamin Holland zu Dank verpflichtet.



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Lassen von dem Begönnen eines jeden Bürgers insonderheit allerdings unterschieden ist“. Daher kommen dem Staat „eigene besondere Rechte, Sachen und Güter“ zu, die sowohl moralischen als auch Zwangscharakter annehmen können.147 Die angemessenste Definition, um „die Bürgerliche Gesellschaft geschicklich zu beschreiben“ soll demzufolge lauten: „eine auß vielen Leuten zusammen-gesetzte Moral-Person, deren Wille, weil andere ihren Willen dahin vereiniget und unterworfen haben, für aller ihren Willen gehalten wird, damit sie nach selbigem eines jedweden Kraft [und] Vermögen zu Erhaltung gemeinen Friedens und gemeiner Wohlfahrt brauchen und ahndeden“.148 Was jedoch den Willen des Staates und seine Verkörperung betrifft, so finden wir Pufendorf in großer Übereinstimmung mit Hobbes. Auch für Pufendorf geschieht es durch eine „Vereinigung und Unterwerfung der Willen“, dass „die ganze Bürgerliche Gesellschaft das Ansehen und die Gestalt einer einzigen Person gewinnet“.149 Er folgt Hobbes darin, dass der Souverän diese Person verkörpert oder repräsentiert, und spricht ausdrücklich von „dem Amts-Willen“ des Monarchen, „durch welchen des ganzen Reiches Wille repraesentiret und vertretten wird“.150 Er stimmt folgerichtig auch Hobbes’ grundlegender Behauptung zu, dass die Person des Staates der wahre Sitz der Souveränität sei. „Ubrigens äussert sich der ganzen Bürgerlichen Ge147  Pufendorf 1711, VII. II. XIII., S. 479, l. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XIII., S. 475, l. Sp.: ‘A Civil State is conceiv’d to exist like one Person, endued with Understanding and Will, and performing other particular Acts, distinct from those of the private Members’, ‘hath peculiar Rights and separate Properties’. Dazu Boucher 1998, S. 236–8. 148  Pufendorf 1711, VII. II. XIII., S. 479, l. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XIII., S. 475, r. Sp.: ‘it is a compound Moral Person, whose will, united and tied together by those Covenants, which before pass’d among the Multitude, is deem’d the Will of all; to the End, that it may use and apply the Strength and Riches of private persons towards maintaining the common Peace and Security’. 149  Pufendorf 1711, VII. II. VIII., S. 465, l. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. VIII., S. 470, l. Sp.: ‘Submission and Union of Wills’, ‘we conceive a State to be but one Person’. 150  Pufendorf 1711, VII. II. XIV., S. 480, r. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XIV, S. 476, l. Sp.: ‘the publick Will of the Monarch, representing the Will of the State’.

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6. Samuel Pufendorf liest Hobbes

sellschafft Willen und Meynung entweder durch eine oder durch mehrere Persohnen, als ferne nehmlich einem oder mehrerm die höchste Gewalt aufgetragen worden ist“ und „Wo ein Mensch zu Regieren hat, da wird sein Wille, wenn er anders bey Vernunft ist, in denen das gemeine Wesen und seinen Zweck angehenden Sachen (sonst aber nicht) für aller Wille gehalten.“151 Pufendorf pflichtet Hobbes auch in dessen Erklärung bei, warum es für eine zufriedenstellende Analyse öffentlicher Gewalt zentral ist, den Staat nicht nur als eine von Herrschern wie Beherrschten gleichermaßen verschiedene Person zu denken, sondern auch als mit einem künstlich ewigen Leben ausgestattet. Pufendorf entwickelt diese Erklärung noch fort: Ein Grund besteht darin, dass wir eine gewisse Kontinuität der öffentlichen Ordnung über die Lebenszeit einer bestimmten Regierung hinaus sicherstellen müssen. Pufendorf führt als Beispiel die öffentlichen Schulden an und argumentiert, dass „die Zahlung desselbigen [Geldes] als eine billige, und der Eintracht vorträgte Sache“ anzuerkennen sei,152 auch wenn solche Schulden unter einer aus dem Amt geschiedenen Regierung aufgenommen worden sein mögen. Wie für Hobbes so besteht jedoch auch für Pufendorf der Hauptgrund, auf einer kategorialen Unterscheidung zwischen Staaten und Regierungen zu insistieren, darin, dass sie es uns erlaubt, die Legitimität der von der Regierung vorgenommenen Handlungen in Frage zu stellen. Weil der Staat der Name des vereinigten Willens und Urteilsvermögens einer Gesamtheit von Menschen sei, beharrt Pufendorf auf der besonderen Ver151  Pufendorf 1711, VII. II. XIV., S. 480 l. Sp. Pufendorf 1717, VII. II. XIV., S. 476, l. Sp.: ‘The State in exerting and exercising its Will, makes use either of a single Person, or of a Council, according as the Supreme Command has been confer’d’, ‘where the Sovereignty is lodg’d in one Man, there the State is supposed to chuse and desire whatever that one man (who is presumed to be Master of perfect Reason) shall judge convenient; in every Business or Affair, which regards the End of Civil Government’. Zu dieser kategorialen Unterscheidung von Staat und Regierung Tully 1991, S. xxxiii– xv; Hunter 2001, S. 186–91. 152  Pufendorf 1711, VIII. XII. II., S. 1013 l. Sp. Pufendorf 1717, VIII, XII. II., S. 128 (die Paginierung beginnt mit Buch VIII von neuem), l. Sp.: ‘Just, and for the peace of the State’, ‘yet the Debts it has contracted are still due’.



7. Völkerrechtliche Implikationen: Emer de Vattel 51

pflichtung derjenigen, die die Zügel der Macht in Händen halten, für das Wohl dieses Körpers in seiner Gesamtheit zu handeln. Das bedeutet keineswegs schon, dass wir einem Souverän, der es versäumt, zum Wohle des Staates zu handeln, rechtmäßig Widerstand leisten dürften.153 Aber es bedeutet doch ganz entschieden festzuhalten, dass ein solcher Souverän in seiner grundlegenden Pflicht gegenüber seinen Untergebenen versagt hat. Wie Pufendorf folgert, ist die „Haupt-Regul, nach welcher Regenten alle ihr Tun einzurichten haben […] die Wohlfahrt derer Unterthanen oder deß Volckes“.154

7. Völkerrechtliche Implikationen: Emer de Vattel Bedeutender noch für die Rezeptionsgeschichte der Hobbes’schen Theorie war die Veröffentlichung der englischen Ausgabe von Emer de Vattels Abhandlung über das Völkerrecht Le Droit des gens, die im Jahr 1760 in London erschien. Vattel definiert das Völkerrecht als das Recht, das die Beziehungen zwischen unabhängigen souveränen Staaten regelt, und beginnt folgerichtig seine Untersuchung mit einer Erörterung des Staatsbegriffs. Seine Analyse verhält sich zum Teil  durchaus kritisch gegenüber Hobbes’ Theorie der Staatspersönlichkeit. Er folgt Pufendorf in seiner Zurückweisung der Hobbes’ schen These, dass Staaten bloß Personen kraft Fiktion seien, und pflichtet ausdrücklich Pufendorfs Behauptung bei, dass Staaten aus dem Verstand (entendement) und dem Willen jedes einzelnen Untertanen zusammengesetzt seien. Der Staat ist demzufolge, in ­ Vattels Worten, „eine moralische Persohn, die ihren eigenen Verstand und Willen hat, und zu Rechten und Verbindlichkeiten fähig ist“.155 153  Pufendorf 1711, VII. II. XIV., S. 481. Pufendorf 1717, VII. II. XIV., S. 476, l. Sp. 154  Pufendorf 1711, VII. IX. III., S. 697 l. Sp. Pufendorf 1717, VII. IX. III., S. 569, l. Sp.: ‘the general Rule which Sovereigns are to proceed by’, ‘Let the Safety of the People be the Supreme Law’. 155  Vattel 1760b, Vorbereitung, § 2, S. 2; vgl. I. IV. 40., S. 66–7. Vattel 1760a, Preliminaries, § 2, S. 1; vgl. I. IV. 40, S. 20: ‘a moral person, having an understanding and a will peculiar to itself, and is susceptible of obligations and laws’.

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7. Völkerrechtliche Implikationen: Emer de Vattel

Vattels folgende Ausführungen sind dagegen ihrer Natur nach wesentlich hobbesianisch. Er stimmt mit Hobbes darin überein, dass Staaten ausschließlich dann imstande sind zu handeln, wenn sie durch Souveräne personifiziert werden, die autorisiert worden sind, in ihrem Namen zu handeln. Folgerichtig betont er, was er als den ­„Ursprung des vorstellenden Carackters, den man einem Souverän beyleget“ beschreibt, der „in seiner Persohn die ganze Majestät [vereinigt], die dem ganzen Cörper der Nation eigen ist“.156 Wenn souveräne Repräsentanten sprechen oder handeln, so müssen ihre Worte und Handlungen dem Staat zugerechnet werden, so dass die Person des Staates der wahre Sitz der Souveränität ist.157 Vor allem aber stimmt Vattel Hobbes darin zu, dass es die primäre Pflicht des Souveräns ist, zum Wohle des Staates zu handeln: „Ein guter Fürst, ein weiser Vorsteher muß jene wichtige Wahrheit wohl zu Herzen nehmen, daß ihm die unumschränkte Gewalt blos um der Wohlfahrt des Staats und der Glückseligkeit des ganzen Volkes willen anvertraut“.158 In Hobbes’scher Manier fährt Vattel fort, wenn er sich der Untersuchung der Beziehungen zwischen den Staaten zuwendet. Zu Beginn lobt er Hobbes als den ersten Autor, der die Theorie der internationalen Beziehungen159 richtig aufgefasst und so begriffen habe, dass die Beziehungen zwischen Regierungen ohne eine Theorie der Staatspersönlichkeit niemals angemessen zu regeln sein werden. Vattel hält fest, dass „jede Nation, die sich selbst regieret, unter was für eine Form es auch seyn mag“, „ein souveräner Staat“ sei und dass alle solchen Staaten anerkannt werden müssten als die „Moralischen Persohnen, die zusammen in einer natürlichen […] Gesellschaft leben“.160 Sie müssen 156  Vattel 1760b, I. IV. 40., S. 67. Vattel 1760a, I. IV. 40., S. 21: ‘the representative character attributed to the sovereign’, ‘unites in his own person all the majesty that belongs to the entire body’. 157  Vattel 1760b, I. IV. 40., S. 66–7; Vattel 1760a, I. IV. 40., S. 20–1. 158  Vattel 1760b, I. IV. 39., S. 63. Vattel 1760a, I. IV. 39., S. 20: ‘A wise conductor of society, ought to have his mind impressed with this great truth, that the sovereign power is solely intrusted with him for the safety of the state, and the happiness of all his people’. 159  Vattel 1760b Vorrede; Vattel 1760a, Preface. 160  Vattel 1760b, I. I. 4., S. 29. Vattel 1760a, I. I. 4., S. 10: ‘every nation that governs itself, under what form soever’, ‘a sovereign state’, ‘moral persons who live together in a natural society’.



7. Völkerrechtliche Implikationen: Emer de Vattel 53

deshalb „von fremden Nationen für ein Ganzes, für eine einzige Person angesehen werden“.161 Die Theorie der internationalen Beziehungen muss daher das angemessene Verhalten solcher moralischen Personen in ihren Beziehungen zueinander zum Gegenstand haben.162 Den Implikationen dieses Gedankengangs geht Vattel in seinem Kapitel über die völkerrechtlichen Verträge weiter nach, deren Abschluss er für die wichtigste Form zwischenstaatlichen Handelns hält. Wie er darlegt, entspricht es im Falle von ihm so genannter dinglicher Verträge (Traités réels) der Absicht der vertragsschließenden Parteien, dass die Vorschriften solcher Verträge von dauerhafter Wirksamkeit sein sollen. Ein „dingliches Bündnis klebt“, in Vattels Worten, „dem Staate selber an, und währt so lange als der Staat“.163 Der einzige Weg aber, auf dem diese Bedingung erfüllt werden kann, besteht darin, anzuerkennen, dass die Unterzeichner eines solchen Vertrages nicht die Regierungen sein können; es können nur die Staaten selbst sein. Diese moralischen Personen allein sind mit dem wesentlichen Attribut ausgestattet, über ein, in der Hobbes’schen Terminologie, künstlich ewiges Leben zu verfügen. Dies sei, so glaubt Vattel, besonders offensichtlich im Falle republikanischer Staaten. Wenn „ein freyes Volk“ einen Vertrag schließt, „so ist es der Staat selbst der da contrahiret; seine Verbindungen hängen keineswegs von dem Leben derjenigen ab, die blos die Werkzeuge dazu gewesen sind. Die Glieder des Volks oder der Regierung sind veränderlich, der Staat aber ist immer der nemliche“.164

161  Vattel 1760b, II. VII. 81., S. 98. Vattel 1760a, II. VII. 81., S. 147: ‘considered by foreign states, as making only one whole, one single person’. 162  Vattel 1760b, Vorbereitung, §§ 7–9, S. 6–9; Vattel 1760, Preliminaries, §§ 7–9, S. 2–3. 163  Vattel 1760b, II. XII. 183., S. 217. Vattel 1760a, II. XII, 183., S. 182: ‘real alliance’, ‘is affixed to the body of the state, and subsists as long as the state’. 164  Vattel 1760b, II. XII. 185., S. 218–19. Vattel 1760a, II. XII. 185., S. 182: ‘it is the state itself that contracts; and its engagements do not depend on the lives of those who were only the instruments: the members of the people or of the regency change and succeed one another; but the state is always the same’.

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8. Rückkehr ins Common Law: William Blackstone

8. Rückkehr ins Common Law: William Blackstone Zu diesem Zeitpunkt hatte die Hobbes’sche Theorie begonnen, die Aufmerksamkeit der Juristen und politischen Kommentatoren in England zu wecken. Unter ihnen genoss niemand größeres Ansehen als Sir William Blackstone, der 1765 im ersten Band  seiner Commentaries on the Laws of England die wesentlichen Grundsätze der Hobbes’schen Theorie in seinen einleitenden Aufsatz „Über die Natur der Gesetze im allgemeinen“ übernahm.165 Blackstone beginnt mit einem hobbesianischen Argument: „Insofern politische Gemeinschaften aus vielen natürlichen Personen gebildet werden, von denen jeder einzelne seinen besonderen Willen und seine besonderen Neigungen hat, werden diese verschiedenen Willen nicht durch irgendeine natürliche Vereinigung verbunden“, so dass hieraus „ein einheitlicher Wille des Ganzen“ entstünde.166 Die einzige Lösung bestehe darin, eine, wie Blackstone es nennt, „politische Vereinigung“ der Vielzahl einzurichten, und sie auf diese Weise in den Stand zu versetzen, als eine einzige Person zu handeln oder, wie Blackstone es vorzugsweise ausdrückt, zu handeln als seien sie „ein Mensch“ mit „einem einheitlichen Willen“.167 Diesem Argument fügt Blackstone in einer noch stärker hobbesianisch geprägten Passage hinzu, dass der Name dieser politischen Vereinigung der Staat sei.168 „Denn ein Staat ist ein kollektiver Körper, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Individuen, die sich um 165  Zu Blackstone über Recht und den Englischen Staat siehe Cairns 1984; Lieberman 1989, S. 31–67. 166  Blackstone 1765, S. 52: ‘inasmuch as political communities are made up of many natural persons, each of whom has his particular will and inclination, these several wills cannot by any natural union be joined together’, ‘one uniform will of the whole’. 167  Blackstone 1765, S. 52: ‘political union’, ‘one man’, ‘one uniform will’, Hervorhebung nicht im Original. 168  Obwohl es den Anschein haben mag, als zitiere Blackstone einfach stillschweigend Hobbes, ohne ihn beim Namen zu nennen, liegt der Rezeptionsvorgang doch komplizierter, wie Barker 1957, S. xliii anmerkt. Black­ stones Hauptquelle scheint Burlamaqui gewesen zu sein, der für seinen Teil  viel Pufendorf verdankt, dessen Anleihen bei Hobbes, wie wir gesehen haben, wiederum nicht weniger eindeutig sind.



9. Der utilitaristische Angriff auf die Person des Staates 55

ihrer Sicherheit und ihres Wohlbefindens willen zusammengeschlossen haben und beabsichtigen, zusammen zu handeln als ein einziger Mensch“.169 Das bestimmende Merkmal der Souveränität, über die Befugnis zur Gesetzgebung zu verfügen, kann von verschiedenen Regierungsformen gleichermaßen in Anspruch genommen werden. Aber diese Befugnis selbst ist immer Teil des „natürlichen inhärenten Rechts, das zur Souveränität des Staates gehört“,170 während alle Mitglieder der politischen Vereinigung „verpflichtet sind, sich dem Willen des Staates zu fügen“.171 Diese Konzeption des Staates als des Namens einer distinkten Person erlangte schließlich im Zuge der Aufklärung eine beinah vorherrschende Stellung und wurde in der Folgezeit im öffentlichen Recht einer ganzen Reihe großer europäischer Staaten verankert, allen voran in Deutschland und Frankreich. Hegels Theorie des Rechtsstaates knüpft daran ebenso an wie Gierkes Auffassung der realen Verbandspersönlichkeit, während in Frankreich das Bild des Staates als einer moralischen Person (personne morale) von zentraler Bedeutung für Rousseaus politische Theorie war und später zum Gegenstand einer ausgedehnten juristischen Literatur wurde.172 Es wäre kaum übertrieben, zu behaupten, dass das Konzept der Staatsperson eines der wichtigsten Vermächtnisse der Aufklärung für die politische Theorie Kontinentaleuropas im 19. Jahrhundert und darüber hinaus gewesen ist.

9. Der utilitaristische Angriff auf die Person des Staates Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann sich die englischsprachige Diskussion um den Staat jedoch in eine gänzlich andere Richtung 169  Blackstone 1765, S. 52: ‘For a state is a collective body, composed of a multitude of individuals, united for their safety and convenience and intending to act together as one man’. 170  Blackstone 1765, S. 49: ‘the natural, inherent right that belongs to the sovereignty of a state’. 171  Blackstone 1765, S. 52–3: ‘are bound to conform themselves to the will of the state’. 172  Dazu Maitland 2003, S. 71.

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9. Der utilitaristische Angriff auf die Person des Staates

zu bewegen.173 Es entstand eine Art und Weise des Nachdenkens über öffentliche Gewalt, in der der Begriff des Staates als einer distinkten rechtlichen Entität fast vollständig aus dem Blick geriet. Wie ich zu Beginn bemerkt habe, führte diese Entwicklung schluss­ endlich zu der weitverbreiteten Auffassung, dass wir recht eigentlich nur von einem Regierungsapparat sprechen können, wenn wir uns auf den Staat beziehen. Das Endergebnis dieser Entwicklung ist schließlich die gegenwärtige Neigung, Staat und Regierung als praktisch synonyme Termini zu behandeln. Ich möchte damit schließen, gegenüber dieser Entwicklungslinie zwei Fragen aufzuwerfen. Zunächst: Was hat die Diskreditierung der Idee der Staatspersönlichkeit in der englischsprachigen politischen Theorie bewirkt? Ein wichtiger Teil  der Erklärung scheint im Aufstieg des klassischen Utilitarismus und dem Einfluss zu liegen, den er auf das englischsprachige juristische und politische Denken ausüben sollte. Jeremy Benthams erstes veröffentlichtes Werk, sein Fragment on Government aus dem Jahr 1776, erschien in der Form einer höhnisch scharfzüngigen Kritik genau jener Abschnitte aus Blackstones Commentaries, auf die ich mich bezogen habe.174 Zu Beginn seiner Tirade verkündet Bentham „die Saison der Fiktion ist jetzt vorbei“.175 Die Zeit sei gekommen, rechtliche Argumente ganz und gar auf den Boden der Tatsachen zu stellen, die sich an realen Individuen beobachten lassen, insbesondere deren Vermögen, im Verhältnis zur politischen Gewalt den Schmerz der Beschränkung und den Genuss der Freiheit zu erfahren.176 Benthams Antwort auf Blackstones Beschreibung des Naturzustandes, die Vereinigung der Vielheit und die Gründung des Staates besteht dementsprechend einfach darin, diese Passagen für vollständig sinnlos zu erklären, eine bloße Aneinander-

173  Zu dieser Gegenentwicklung siehe Dyson 1980. Die Idee des Staates als eines nicht-leiblichen Körpers lässt sich auch im achtzehnten Jahrhundert noch finden, dazu Ihalainen 2009, besonders S. 34–5. Zum nachfolgenden Verlust des Begriffs Dow 2008. 174  Zu Benthams Auseinandersetzung mit Blackstone siehe Burns 1989; Schofield 2006, S. 51–7; McLean 2012, S. 19–20. 175  Bentham 1988, S. 53: ‘the season of Fiction is now over’. 176  Schofield 2006, S. 32–44.



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reihung von Fiktionen genau derjenigen Art, wie sie die Rechtstheorie lernen muss zu vermeiden.177 Nach seiner vorgeblichen Entmystifizierung lässt sich für Bentham indes über den Staat nichts mehr sagen, außer dass, wenn der Terminus überhaupt irgendeine Bedeutung haben soll, er sich nur auf irgendeinen tatsächlichen Kreis von Personen beziehen kann, die irgendeiner benennbaren Einrichtung innerhalb der Regierung vorstehen. Genau dies teilt er uns 1789 gegen Ende seiner Introduction to the Principles of Morals and Legislation mit, wenn er sich der Erörterung der „Vergehen gegen den Staat“ zuwendet. Hier hält er fest, dass Staat einfach bedeute, dass „bestimmte Personen mit Befugnissen ausgestattet werden, die zum Wohle aller übrigen ausgeübt werden sollen“. Wenn es keine solchen Personen mit derlei Befugnissen gäbe, dann „gäbe es nichts derartiges wie einen Staat“.178 Diese Absage an rechtliche Fiktionen übte einen überragenden Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung des utilitaristischen Denkens aus. Vergeblich suchen wir bei anderen frühen Utilitaristen  – William Paley, Wiliam Godwin, James Mill  – nach irgendeiner gründlichen Auseinandersetzung mit der Idee des Staates und sofern wir bei der späteren utilitaristischen Theorie fündig werden, klingt darin im Allgemeinen doch nur Benthams reduktionistischer Ansatz nach. Ein klassisches Beispiel bieten John Austins Vorlesungen über The Province of Jurisprudence Determined aus dem Jahr 1832.179 Wie Austin uns erklärt, besteht sein eigenes Verständnis des Staates darin, dass der Terminus lediglich „die individuelle Person, oder den Kreis individueller Personen“ bezeichnet, „der in einer unabhängigen politischen Gesellschaft Träger der obersten Gewalten ist“.180 Später finden wir diese Sichtweise wie so viele andere Artikel des utilitari177  Bentham 1988, S. 113. Zu Benthams Kritik der Fiktion siehe Schofield 2006, S. 14–27, 74–7. 178  Bentham 1996, 17.1.18, S. 292: ‘particular persons invested with powers to be exercised for the benefit of the rest’, ‘there would be no such thing as a state’. 179  Zu Austin und Bentham siehe Lobban 2007, S. 173–87. 180  Austin 1995, S. 190: ‘the individual person, or the body of individual persons, which bears the supreme powers in an independent political society’.

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stischen Glaubensbekenntnisses zusammengefasst in Henry Sidgwicks Elements of Politics aus dem Jahr 1891. Sidgwick bestreitet ausdrücklich, dass das einigende Band  eines Staates irgendetwas anderes sein könne als ein Übereinkommen einer Anzahl von Individuen, denselben Gesetzen zu gehorchen. In seiner Beschreibung ist der Staat dementsprechend nicht mehr als ein Regierungsapparat, der ermächtigt ist, über die ausschließliche Gefolgschaft derjenigen zu gebieten, die unter ihm leben.181 Mit dieser Behauptung schließt sich der Kreis, denn es wäre, wie ich zu Beginn bemerkt habe, kaum eine Übertreibung, zu sagen, dass dieses reduktionistische Verständnis des Staates seither die fortwährende Orthodoxie innerhalb der englischsprachigen politischen Theorie geblieben ist.

10. Noch einmal: Zur kategorialen Unterscheidung von Staat und Regierung Die zweite Frage, die ich abschließend stellen möchte, geht dahin, ob irgendetwas von Wert verlorengegangen sein könnte, nachdem die Ansicht weitgehend preisgegeben wurde, dass Staaten kategorial von Regierungen unterschieden und als eigenständige Personen anerkannt werden müssen, die von Herrschern wie Beherrschten gleichermaßen verschieden sind. Gibt es gute Gründe, über den Staat in diesen Hobbes’schen Begriffen nachzudenken? Eine wachsende Zahl juristischer und politischer Theoretiker beginnt, diese Frage zu bejahen.182 Zur Unterstützung ihres theoretischen Anliegens möchte ich damit schließen, die beiden wesentlichen Gründe in Erinnerung zu rufen, die von den ursprünglichen Protagonisten der Hobbes’schen Sicht dafür vorgebracht wurden, warum es lohnt, auf einer kategorialen Unterscheidung zwischen Staaten und Regierungen zu bestehen. Der eine Grund, der vorgebracht wurde, bestand darin, dass wir eine sinnvolle Erklärung dafür finden müssen, weshalb einige Regierungshandlungen ihrer beabsichtigten Wirkung nach nicht nur die 181 

Sidgwick 1897, S. 221. Runciman 1997, 2000, 2003; Morris 1998; Trainor 1998, 2005; McLean 2003, 2005, 2012; Jackson 2004; vgl. auch die Erörterung bei Bartelson 2001, S. 149–81. 182 



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gegenwärtige Bevölkerung, sondern auch noch deren entfernte Nachfahren binden können sollen. Wie wir gesehen haben, ist für Pufendorf und viele spätere Juristen ein offensichtliches Beispiel für eine solche Handlung die Entscheidung, große Verbindlichkeiten für die öffentlichen Haushalte einzugehen.183 Sofern das Ergebnis dieser Entscheidung nicht die Zahlungsunfähigkeit ist, müssen wir fragen, wer Schuldner dieser Verbindlichkeiten wird. Wir können hierauf kaum antworten, dass die Verbindlichkeiten von derjenigen Regierung geschuldet werden, die sie eingegangen ist. Selbst wenn die Regierung wechselt oder stürzt, bleibt die Schuld doch fällig. Der einzige Weg, so Pufendorfs Schlussfolgerung, diese Situation sinnvoll zu erklären, besteht darin, anzuerkennen, dass der Schuldner eine Person mit einem künstlich ewigen Leben und darum die Person des Staates sein muss.184 Wir müssen auch die analoge Möglichkeit beachten, dass Handlungen der Regierung in Bezug auf andere Regierungen noch unsere Nachkommen betreffen können. Hier galt als das offensichtlichste Beispiel der Abschluss internationaler Verträge. Jedes solche Bündnis „klebt“, wie Vattel es ausdrückt, „dem Staate selber an, und währt so lange als der Staat“.185 Um dies zu ermöglichen, müssen die Unterzeichner wiederum Personen mit einem künstlich ewigen Leben und daher Staaten sein. Schließlich gibt es, den hobbesianischen Theoretikern zufolge, noch einen zweiten, wichtigeren Grund, der eine kategoriale Unterscheidung zwischen Staaten und Regierungen wünschenswert erscheinen lässt. Es ist, in Hobbes’ Worten, die grundlegende Pflicht der Regierung „das Gemeininteresse zu verfolgen“, indem sie „in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl“ regiert.186 Die „Haupt-Regul, nach welcher Regenten alle ihr Tun einzurichten haben“, lautet auch für Pufendorf: „die Wohlfahrt derer 183  Für einen späteren Theoretiker, für den die öffentliche Verschuldung ebenfalls von exemplarischer Bedeutung war, siehe Maitland 2003, S. 39–45, 70–1. 184  Zur Vertiefung siehe McLean 2003, S. 175–6, 178–83. 185  Vattel 1760a, II. XII. 183., S. 217; Vattel 1760a, II. XII, 183., S. 182. 186  Hobbes 2008, Kap. 19, S. 131: ‘to procure the common interest’; Kap. 24, S. 171: ‘agreeable to Equity, and the Common Good’. Dt. vgl. Hobbes 1984, S. 146, 191.

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Unterthanen oder deß Volckes“.187 Für Hobbes und Pufendorf, nicht weniger als für andere Theoretiker des Staates, war der wesentliche Grund, der ihnen eine kategoriale Unterscheidung zwischen Staaten und Regierungen wünschenswert erschienen ließ, dass uns diese Unterscheidung einen dauerhaften Maßstab zur Verfügung stellt, der es uns erlaubt, die Legitimität der von der Regierung unternommenen Handlungen in Frage zu stellen. Die Handlungsweise der Regierung ist aus dieser Sicht dann und nur dann moralisch zu billigen, wenn sie der Sicherheit und Wohlfahrt der Person des Staates dient. Es wird bisweilen eingewendet, dass diese Denktradition die Staaten als entschieden sinistere Entitäten entlarve. Allerdings kommt in dieser Besorgnis ein fundamentales Missverständnis der Theorie zum Ausdruck, die ich gerade vorgestellt habe. Für die hobbesianische Lesart bedeutet die Rede vom Staat als einer distinkten Person nur, sich auf die Bevölkerung als die unter einer autorisierten Form der Regierung in Gleichheit verbundenen Staatsbürger zu beziehen. Wenn wir von den Interessen des Staates sprechen, ist dies gleichbedeutend damit, von den Interessen der Bevölkerung als Ganzes zu sprechen. Der Staat ist, zu guter Letzt, nichts anderes als wir selbst. Wenn wir Staaten gründen, fügen wir der Welt nichts hinzu; wir reorganisieren und individualisieren uns nur auf eine neue Weise. Darauf zu bestehen, dass Regierungen eine Verpflichtung haben, zum Wohle des Staates zu handeln, bedeutet einfach, auf ihrer Pflicht zu insistieren, in unser aller Interesse zu handeln. Es gibt, mit einem Wort, Gründe, die es nahelegen, dass es ein ernster Fehler gewesen sein könnte, diese Denktradition aufzugeben.

187  Pufendorf 1711, VII. IX. III., S. 697 l. Sp.; Pufendorf 1717, VII. IX. III, S. 569, l. Sp.

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