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German Pages 315 [316] Year 2013
Aliscans
De Gruyter Texte
Aliscans
Das altfranzösische Heldenepos nach der venezianischen Fassung M
Eingeleitet und übersetzt von Fritz Peter Knapp
Umschlagabbildung: Bibliothèque nationale de France, Ms 24369, 107r.
ISBN 978-3-11-028852-0 e-ISBN 978-3-11-028883-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung 1 ‚Aliscans‘ als literarisches Vermächtnis 1 Historische Grundlagen 3 Der epische Wilhelmszyklus 4 ‚Aliscans‘ – Inhaltsskizze 6 Ansätze zu einem Verständnis der Sinngebung des Textes Die Stellung der Fassung M in der Überlieferung 11 Die Sprache von M 23 Zur Übersetzung 28 Literaturverzeichnis 31
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Übersetzung 35 Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans 35 Guillelmes und Viviens Abwehrkampf (I–XXI) 35 Viviens Tod (XXII–XXIX) 64 Guillelmes Flucht (XXX–LV) 74 Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten 119 Guillelmes Weg nach Laon (LVI–LX) 119 Guillelme am Königshof (LXI–LXXVI) 125 Rückkehr nach Orange, Entsatz von Orange (LXXVII–XCII) 168 Aufbruch von Orange und Vorbereitungen zur Schlacht (XCIII–CI) 200 Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans 216 Renoarts Triumph (CII–CXXI) 216 Deramés Flucht und der Zweikampf Renoarts mit Baudin (CXXII–CXXXI) 257 Renoarts Zorn, Versöhnung, Taufe und Ritterweihe (CXXXII–CXLVIII) 277
Einleitung ‚Aliscans‘ als literarisches Vermächtnis Die altfranzösische Heldenepik hat schon im Hochmittelalter kein sehr großes Aufsehen im deutschen Sprachraum erregt. In der modernen germanistischen Mediävistik war dies ebensowenig der Fall, wenn man das große Interesse für den romanischen Minnesang und Artusroman danebenhält. Erst in jüngerer Zeit sind zwei große Studien zur mittelalterlichen Rezeptionsgeschichte der Chanson de geste erschienen.¹ Ins Deutsche übersetzt hat man aber nur die frühesten Zeugnisse der Gattung, ‚Chanson de Roland‘, ‚Pélerinage de Charlemagne‘, ‚Couronnement de Louis‘, ‚Le Charroi de Nîmes‘, ‚La Prise d’Orange‘. Und es ist in der Tat nicht einfach, bei deutschsprachigen Lesern der Gegenwart ein mehr als literarund kultur-historisches Interesse an dieser doch sehr holzschnittartigen Epik zu erwecken. Während man etwa beim ‚Löwenritter‘ von Chrétien de Troyes oder beim ‚Prosa-Lancelot‘ nicht zweifeln kann, daß sie bis heute zur Weltliteratur gehören, steht schon das afrz. ‚Rolandslied‘ unter dem leisen Verdacht, nur noch als französisches Nationalheiligtum ‚weitergereicht‘ zu werden, in seiner ästhetischen Gestalt aber den Leser außerhalb Frankreichs nur noch schwer unmittelbar ansprechen zu können. Das gilt erst recht für die anderen Chansons de geste, die bereits genannten ebenso wie für spätere Spitzenwerke, allen voran ‚Aliscans‘. Dieses Epos schildert die Belagerung und Befreiung einer Stadt im Rahmen einer welthistorischen kriegerischen Auseinandersetzung, ist also inhaltlich durchaus der homerischen ‚Ilias‘ vergleichbar. Gleichwohl wird man sich scheuen, die beiden Werke in einem Atemzug zu nennen. Gewiß hat die ‚Ilias‘ eine ganz andere, außergewöhnlich glückliche Rezeptionsgeschichte sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit erlebt, getragen von einer nie erlahmenden humanistischen, im späteren 18. Jh. von der ‚Aeneis‘ auf den ‚Vater der abendländischen Dichtung‘ umgelenkten Begeisterung. Daß die romantische Wiederentdeckung des Mittelalters den Vorsprung der Antike im Bildungshorizont der neueren Zeit nie ausgleichen konnte, wird man aber nicht allein für die unausgeglichene Bilanz verantwortlich machen können, welche am Ende jedes Qualitätsvergleichs von ‚Aliscans‘ und ‚Ilias‘ stehen muß. Jenes altfranzösische Epos ist bei allen beachtlichen Vorzügen doch im ganzen zu simpel
1 Thordis Hennings, Französische Heldenepik im deutschen Sprachraum. Die Rezeption der Chansons de Geste im 12. und 13. Jahrhundert. Überblick und Fallstudien, Heidelberg 2008; Bernd Bastert, Helden als Heilige. Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum, Tübingen/Basel 2010.
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Einleitung
gestrickt, zu eindimensional, zu wenig ‚welthaltig‘, als daß es jemals die faszinierende Wirkung ausüben könnte, die eine öffentliche Lesung vieler Partien der ‚Ilias‘ selbst in deutscher Übersetzung auch heute noch auszuüben vermag. Dennoch sollte uns ‚Aliscans‘ lieb und teuer sein, denn es hat Wolfram von Eschenbach zum Vorbild für seinen ‚Willehalm‘ gedient. Daß der ‚Willehalm‘ im angesprochenen Bildungshorizont keine Rolle spielt, gehört nun in der Tat zu den größten bildungsgeschichtlichen ‚Ungerechtigkeiten‘ der Gegenwart. Sie zumindest ansatzweise zu beseitigen, ist wahrhaft allen Eifer und Schweiß der germanistischen Mediävistik wert. Die Größe dieses Werkes wird aber nicht zuletzt im Vergleich mit der Vorlage deutlich. Nun ist dieser Vergleich von vornherein ungerecht, wie der mit der ‚Ilias‘ auch, aber aus ganz anderen Gründen. Denn die Gattung des altfranzösischen Epos verfolgt ganz andere ästhetische Ziele als der Versroman, den Wolfram daraus gemacht hat. Diese Ziele sind für uns allesamt nicht leicht zu würdigen. Dazu gehört u. a. eine extreme ideologische Einseitigkeit. Selbst wenn wir nicht unpassende Maßstäbe einer modernen ‚political correctness‘ anlegen, ist für uns die ständige Verunglimpfung aller Andersgläubigen als Verbrecher und Satansjünger kaum erträglich. Zum Vergleich innerhalb derselben Gattung und derselben Zeit bietet sich das mittelhochdeutsche ‚Nibelungenlied‘ an. Auch hierin gibt es gegen die heidnischen Hunnen massive Vorurteile, die aber kaum religiös geprägt sind, sondern sich gegen die angebliche körperliche und kämpferische Unterlegenheit richten. Eine archaische und uns daher fremde grenzenlose Bewunderung für das Heldentum des adeligen Kriegers haben griechische, lateinische, romanische und germanische Heldenepen ja gemeinsam. Doch nur die Chansons de geste rechtfertigen den Sarazenenkrieg von einem unerschütterlichen Standpunkt der weltanschaulichen Überlegenheit aus in solcher Schwarz-Weiß-Manier. Es handelt sich eben zugleich um Kreuzzugsdichtung (mit deutlichen Zügen der christlichen Legende), im speziellen um die dichterische Glorifizierung des Abwehrkampfes des christlichen Abendlandes gegen die Invasion der Araber im 8./9. Jh. und der spanischen Reconquista. Die großen Helden dieser Kriege gelten dem Mittelalter unzweifelhaft sowohl als historische Gestalten als auch als Heilige, allen voran Roland und Karl der Große, dann aber, ihnen kaum nachstehend, Guillaume und Rainouart. Dante versammelt sie denn auch in seinem Paradiso (Canto XVIII). Heldendichtung dieser Art behauptet in jener Zeit im christlichen Abendland einen namhaften Rang zur Befestigung des adelig-kriegerischen Selbstwertgefühls. Dies tritt zu den genannten Gründen für den enormen Abstand der großen zeitgenössischen und der eher geringen heutigen Wertschätzung dieser Texte hinzu. Wolfram ist von alledem nicht weit entfernt, auch wenn er den Tod der Andersgläubigen nicht mehr mit Befriedigung quittiert, sondern aus christlichem
Historische Grundlagen
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Mitleid mit den Verdammten betrauert. Und er hält sich auch inhaltlich recht getreu an seine altfranzösische Vorlage, lebt also durchaus weithin von deren Erfindungsgabe, motiviert nur vieles neu und deutet vieles um.
Historische Grundlagen Die konkreten historischen Grundlagen der romanischen Heldensagen verlieren sich für uns in einem von wenigen zuverlässigen Zeugnissen erhellten dichten Nebel. Kaiser Karl und seine Vorfahren und Nachkommen auf dem fränkischen Thron lassen sich zwar halbwegs zureichend ausmachen, doch seine großen Vasallen, die meist im Mittelpunkt der Epen stehen, weit weniger. Roland hat immerhin schon in Einhards ‚Vita Karoli Magni‘ von ca. 830 Eingang gefunden. Bei Guillaume/Wilhelm sind wir schon auf trübere Quellen angewiesen. Sechzehn Träger des Namens könnten zu seinem Bild in der Sage beigetragen haben, an der Spitze Graf Wilhelm von Toulouse, Sohn einer Tochter Karl Martells (?) und Erzieher des 13jährigen Ludwig, des späteren Kaisers. Er dürfte 793 den Arabern, die in Septimanien bis Narbonne vorgedrungen waren, am Fluß Orbieu (?) zumindest soviel Widerstand entgegengesetzt haben, daß sie sich wieder hinter die Pyrenäen zurückzogen, dann aber selbst 803 einen Gegenschlag geführt, Barcelona erobert und die von Karl dem Großen etablierte Spanische Mark des Frankenreichs gefestigt haben. 804 stirbt Wilhelms Frau Witburgis (im Epos: Guiborc), worauf er in das Kloster Aniane eintritt, dann ein eigenes Kloster Gellone gründet und dort beim Kloster als Einsiedler 812 stirbt. Er wird 1066 kanonisiert (‚Vita Sancti Willelmi‘ von ca. 1130?) und sein Kloster später in Saint-Guilhem-le-Désert umbenannt. Dessen Kirche ist heute noch zu bewundern. Markgraf Wilhelm von Orange, Titelheld der ‚Chanson de Guillaume‘, des ältesten Wilhelmsepos (s. u.), eine Gestalt geringer historischer Prominenz, wird erst sekundär mit Wilhelm von Toulouse identifiziert. Auch die Kirche bemächtigt sich des Helden und propagiert einen Pilgerweg längs seiner Gedenkstätten nach Santiago de Compostela. Daß sie aber die Wilhelmssage im 12. Jh. erst initiiert habe, wie Joseph Bédier behauptet hat, ist auszuschließen. Vom historischen Vivien, dem noch halbwüchsigen, doch tollkühnen Neffen Wilhelms, wissen wir nur aus der Chronik Reginos von Prüm (906), wo er als Laienabt von Saint-Martin in Tours und als Krieger Karls des Kahlen gegen die Bretonen erscheint, sowie aus einem Bild einer Prachtbibel der Abtei, auf dem er und die Kanoniker Karl dem Kahlen das ihm gewidmete Buch überreichen. Rainouart ist noch weit schlechter und erst spät historisch bezeugt. Die ersten sicheren Reflexe der an all diese Gestalten anknüpfenden Sagentraditionen sind im ‚Haager Fragment‘ (zwischen 980 und 1030) und den ‚Nota Emi-
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Einleitung
lianense‘ (1065/75) greifbar. Wie und wann diese Traditionen zustande kamen, ist unsicher und umstritten. Wenn wir ihre freie dichterische Erfindung ab ca. 1100 (J. Bedier) nicht nur wegen der eben genannten älteren Zeugnisse hinaufdatieren, sondern überhaupt als ganz unwahrscheinlich ausscheiden, werden wir für die ältesten mündlichen Sagen in Form von Liedern und Kurzepen (?) nahe an die historischen Ereignisse heran, ja wohl noch ins 9. Jh. zurückgehen müssen.
Der epische Wilhelmszyklus Schattenhaft greifbar sind erst die frühesten mündlichen Kurzepen des 11. Jh. Eines davon bot die Grundlage der (nur in einer Handschrift von ca. 1225, London, British Museum Add. 38663, überlieferten) ‚Chanson de Guillaume‘ (ChG) von ca. 1140 (?). Der darin erzählte Kern der Wilhelmssage besteht in der mehrteiligen Abwehrschlacht gegen den Heidenkönig Desramé/Deramé (Abdarrahman I. † 788 oder Abdarrahman II., 796–822, Herrscher von al-Andalus, dem muslimischen Spanien) in Südfrankreich. Der Neffe Guillaumes d’Orange, Vivien, der geschworen hat, nie vor den Heiden zu fliehen, erleidet den Heldentod. Guillaume/ Wilhelm kommt zu spät zu Hilfe, verliert alle seine Leute und muß fliehen. Seine Frau Guiborc hat mittlerweile selbständig ein neues Heer aufgeboten. Zudem holt Wilhelm Hilfe bei König Ludwig. Mit Gottes und des riesenhaften heidnischen Helden Rainouart Hilfe erringen die Christen nun den Sieg, töten oder vertreiben die Heiden. Das Verhältnis der ChG zu den späteren Wilhelmsepen, die in den zyklischen Sammelhandschriften erscheinen, ist unklar. Das Schlachtfeld Larchamp = l’Archamp lag wohl ganz im Westen Südfrankreichs an der Gironde (oder im Südosten bei Barcelona?), wird aber in späteren Epen in die Nähe von Arles gerückt (Elysii Campi > Alyscamps/Alischans/Aliscans). Vielleicht waren es zwei verschiedene Kurzepen, ein Viviens- und ein Wilhelmslied, die hier im ersten Teil von ChG I (V. 1–1980) kombiniert wurden.² Jedenfalls schließt sich danach in ChG noch ein weiterer Teil (ChdG II) an, der sicher etwas jünger ist, Rainouart zum Haupthelden hat und teilweise burleskheroische Züge trägt.³ Auch in dieser Form mit ihren insgesamt 3554 Versen (Zehnsilbern) steht die ChG formal den mündlichen Kurzepen noch sehr nahe,
2 So die Mehrheit der Forscher, u. a. Alois Wolf, Heldensage und Epos. Zur Konstituierung einer mittelalterlichen volkssprachlichen Gattung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1995, S. 220–232. 3 Vgl. u. a. Frappier (1955), S. 131.
Der epische Wilhelmszyklus
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ist wohl selbst noch ein solches zumindest in der primären Überlieferung (s. u.), wenn nicht in der Produktion selbst. Dasselbe gilt höchstwahrscheinlich – trotz der anderslautenden, insbesondere in der Romanistik gegenwärtig noch dominierenden Forschungsmeinung – auch noch für die großepische Umarbeitung des zweiten Teils der ChG auf den mehrfachen Umfang in einem anderen Epos, ‚Aliscans‘ (Al), vom ausgehenden 12. Jh. Was hier u. a. der Schriftlichkeitsthese reiche Nahrung gegeben hat, ist die Überlieferung in Sammelhandschriften. Darin erscheint dann Al umgeben von einem Kranz weiterer, älterer und jüngerer Epen, z. B. in A4 (olim T) = Mailand, Trivulziano 1025 (Mitte oder 2. H. 13. Jh.). A4 enthält: ‚Enfances Guillaume‘ (EG) – ‚Couronnement Louis‘ (CL) – ‚Charroi de Nîmes‘ (ChN) – ‚Prise d’Orange‘ (PO) – ‚Enfances Vivien‘ (EV) – ‚Chevalerie Vivien‘ (ChV) – ‚Aliscans‘ (Al) – ‚Bataille Loquifer‘ (BL) – ‚Moniage Rainouart‘ (MR) – ‚Moniage Guillaume‘ (MG II). Von den zwölf mehr oder minder vollständigen Handschriften enthält nur M (Venedig, Bibl. Marciana, fr. VIII, 1. H. 14. Jh.) ‚Aliscans‘ allein. Jener kürzere Zyklus weitet sich dann im 13. Jh. zum großen Zyklus aus, wie er sich z. B. in B1 (olim L) = London, British Museum, Royal 20 D XI (1. H. 14. Jh.) präsentiert: ‚Garin de Monglane‘, ‚Girart de Vienne‘, ‚Aymeri de Narbonne‘, ‚Les Narbonnais‘, ‚Enfances Guillaume‘, ‚Couronnement Louis‘, ‚Charroi de Nîmes‘, ‚Prise d’Orange‘, ‚Enfances Vivien‘, ‚Chevalerie Vivien‘, ‚Aliscans‘, ‚Bataille Loquifer‘, ‚Moniage Rainouart‘, ‚Moniage Guillaume II‘, ‚Siège de Barbastre‘, ‚Guibert d’Andrenas‘, ‚Mort Aymeri‘, ‚Foucon de Candie‘. Zahl und Wortlaut der Epen wechseln von Handschrift zu Handschrift. Insgesamt gibt es 23 Epen. Im kleineren Zyklus werden die erfolgreiche Werbung Wilhelms aus der Ferne um die Heidin Orable und der Entsatz des belagerten Narbonne erzählt (EG), hierauf die Krönung Ludwigs mit Hilfe Wilhelms, Italienfeldzüge, der Kampf gegen den Riesen Corsolt (CL), die mangelnde Dankbarkeit Ludwigs, die Eroberung des heidnischen Nîmes mit ‚trojanischer‘ List (ChN), der heimliche Aufenthalt des verkleideten Wilhelm im heidnischen Orange, Entdeckung und Gefangennahme, Befreiung mit Hilfe Orables, Sieg über die Heiden und Hochzeit mit der auf den Namen Guiborc getauften Orable (PO), Vivien als Geisel und Sklave bei den Heiden (EV), Viviens Ritterweihe, Schwur, erste Heidenkämpfe, Herausforderung der Rache Deramés, Invasion und Beginn der Schlacht von Aliscans (ChV), Tod Viviens, Niederlage Wilhelms auf Aliscans, Ritt an den Königshof, Entsatz Oranges, Sieg über die Heiden mit Hilfe des Heiden Rainouart (Al), Entführung von Rainouarts Sohn, siegreicher Kampf Rainouarts gegen den Riesen Loquifer von Loquiferne (BL), Eintritt Rainouarts ins Kloster Brioude, neue Heidenkämpfe, Tod im Kloster (MR), Eintritt Wilhelms ins Kloster Aniane, Streit mit den Mönchen, Rückzug nach Gellone, neue Heidenkämpfe, Tod in der Klause (MG II). Als zentraler Ausgangspunkt der Handlung muß die Eroberung
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Einleitung
von Orange (PO) gelten, um die sich die übrigen Ereignisse (zuerst die von CL, ChN und Al) gruppiert haben.
‚Aliscans‘ – Inhaltsskizze ‚Aliscans‘ kann, eingebettet in diesen dem Publikum schon zuvor bekannten Handlungszusammenhang, am Beginn ganz unvermittelt medias in res, also in die Mitte der ersten Schlacht, einsteigen und macht die Mittelstellung der geschilderten Ereignisse auch durch ständige epische Vor- und Rückverweise deutlich. Gleichwohl entfaltet das Epos ein Eigenleben in der Fülle seiner einprägsamen Szenen, die mehr als die meisten anderen beim Publikum Furore gemacht haben. Es ragt aus dem Zyklus heraus und hat so auch den größten Erfolg in der Überlieferung erzielt. Der Vergleich, welchen Robert Barroux ihm angedeihen ließ, ist dennoch wohl zu hoch gegriffen. Er meint, es verhalte sich wie eine gotische Kathedrale zu dem schlichten, rigiden, romanischen Bau der ‚Chanson de Guillaume‘.⁴ Der Vergleich führt auch deshalb in die Irre, weil die Gattung des afrz. Heldenepos insgesamt gegenüber den höfischen Romanen und Liedern bis ins späte Mittelalter einen vergleichsweise archaischen, ‚romanischen‘ Charakter behält. Der folgende Handlungsüberblick folgt weitgehend dem Handbuch Germania litteraria mediaevalis francigena IV:⁵ Vorgeschichte (‚Chevalerie Vivien’), nur aus Rückblicken schattenhaft zu erschließen: Gemäß seinem Eid, niemals vor den Heiden zu fliehen, fordert Vivien brutal und tollkühn den Heidenfürsten Desramé von Cordes (Cordoba) heraus, weigert sich dann trotz der gewaltigen Übermacht der ins Land eingefallenen rachebegierigen Heiden, die Hilfe Guillaumes anzufordern, muß dies dann doch angesichts immenser Verluste seines Heeres tun. Mit Guibourcs Unterstützung bietet Guillaume ein Heer von 20.000 Mann auf und eilt herbei. Erster Teil: Die erste Schlacht auf Aliscans (Laisse I–LV) Guillaumes und Viviens Abwehrkampf (Laisse I–XXI): Die Erzählung tritt medias in res ein. Vivien kämpft, schwer verwundet, heldenhaft, sein nahes Ende bereits ahnend. Guillaume
4 Robert Barroux, Aliscans, in: Dictionnaire des lettres françaises. Le Moyen Age, Paris 21992, S. 50f. 5 Fritz Peter Knapp, B 3: Wilhelmsepen, in: Germania Litteraria Mediaevalis Francigena IV: Historische und religiöse Erzählungen, Berlin/New York 2013 [im Druck]. Ich benutze dankbar die Inhaltsangabe von Thordis Hennings (2008), S. 72f.
‚Aliscans‘ – Inhaltsskizze
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verbindet ihm den Leib, aus dem die Gedärme quellen. Beim Anblick der monströsen Truppen Gorhants wendet Vivien einen Augenblick lang sein Pferd, erinnert sich dann aber seines Eides und stellt sich dem Angriff. Bei dem Kampf gegen die Truppen unter der Führung Haucebiers geraten Bertran, Guischart, Gerart, Guielin, Huon de Melant, Gaudin le brun und Gautier de Termes in heidnische Gefangenschaft, und Vivien erhält von Haucebier eine tödliche Wunde. Er begibt sich, geleitet durch einen Engel, zu einer Quelle, wo er sein Ende erwartet. Guillaume erleidet eine totale Niederlage, kämpft zuletzt allein gegen die heidnische Übermacht, gibt den aussichtslosen Kampf auf und flieht. Viviens Tod und Guillaumes Flucht (XXII–LV): Guillaume findet auf seiner Flucht vor den Heiden seinen sterbenden Neffen Vivien – gerade noch rechtzeitig, um ihm die Beichte abzunehmen und ihm, der fürchtet, einen kurzen Moment gegen seinen Eid verstoßen zu haben, die Kommunion zu geben. Vivien stirbt den Märtyrertod. Sein Oheim Guillaume hält die Totenwache, muß dann den Leichnam notgedrungen auf dem Schlachtfeld zurücklassen, um auf dem Rückweg nach Orange weitere Angriffe der Heiden zu bestehen, bis er sich der Rüstung, des Pferdes und der Waffen des Heidenkönigs Aerofle bemächtigt, den er zuvor in einem harten und grausamen Kampf getötet hat. Die Tarnung als Heide gelingt, dann verrät ihn aber sein eigenes Pferd, das er noch mitführt. Mit knapper Not kann er seinen Verfolgern entkommen, wird dann aber, vor dem von Heiden belagerten Orange angekommen, selbst von Guibourc für einen Heiden gehalten und erst durch einen Angriff auf eine Gruppe von 300 Heiden und nach Öffnung seines Visiers an seiner verstümmelten Nase als Guillaume au cort nez erkannt. Obwohl die heidnischen Invasoren Orange weiterhin belagern, beschließt Guillaume mit Guibourcs Zustimmung (Askesegelübde), heimlich in heidnischer Rüstung den französischen König Louis in Laon (in manchen Fassungen: Saint-Denis) aufzusuchen und ihn um ein Ersatzheer zu bitten. Guibourc bleibt unterdessen mit 700 Damen in dem belagerten Orange zurück und verteidigt die Burg eigenhändig gegen nachfolgende heidnische Angriffe. Die Verkleidung ermöglicht wieder den Ritt durch die feindlichen Linien. Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten (LVI–CI) Guillaumes Ritt nach Laon (LVI-LX): Auf seinem weiteren Ritt nach Norden macht Guillaume schlechte Erfahrungen mit den Bürgern von Orléans und schlägt sie zusammen. Der zu Hilfe gerufene Hernaut von Gironde unterliegt dem unerkannten Bruder Guillaume. Dieser erfährt von ihm, daß sich der König in Laon aufhält, wo er anläßlich der Krönung der Königin zu einem großen Hoffest geladen hat. Am Königshof (LXI–LXXVI): Als Guillaume schließlich am franz. Königshof eintrifft, bleibt er angesichts seiner unhöfischen Kleidung und der sichtbaren Kampfspuren zunächst unerkannt und muß eine schmachvolle Behandlung erdulden. Als er über die Kriegsverluste klagt, erkennt ihn König Louis und weist ihn ab. Freundliche Bewirtung erhält er nur im Hause eines Bürgers (Guimar). Louis verweigert abermals die Hilfe nach der Intervention der Königin, der Schwester Guillaumes, der ihr dafür beinahe den Kopf abgeschlagen hätte, wenn die Mutter nicht eingegriffen hätte. Ihre Tochter Aelis bittet für sie. Obwohl Guillaume Louis nachdrücklich an seine Rolle als Königsmacher erinnert, kann er nur mit Hilfe seiner anwesenden vier Brüder, seines Vaters Aimeri und seiner Mutter Hermengart den immer wieder zögernden König dazu bewegen, ihm das Reichsheer (mit 100.000 Kriegern) zur Ver-
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Einleitung
fügung zu stellen. Ein Fest besiegelt die Versöhnung. Am Königshof trifft Guillaume auf den heidnischen Riesen Rainouart, Desramés Sohn, der, einst entführt und von Sklavenhändlern an den franz. König verkauft, seitdem Dienst in der königlichen Küche verrichtet, da seine Abkunft unerkannt und ihm die ersehnte Taufe verwehrt bleibt. Rainouart bittet Guillaume, mit seiner Stange (tinel, einem Tragbaum zum Eimerschleppen), auf franz. Seite am Kampf teilnehmen zu dürfen. Auch des Küchendienstes enthoben, bleibt er, ungehobelt, unmäßig und vergeßlich, wie er ist, Gegenstand des Spottes der Dienerschaft und nimmt dafür stets blutig Rache, insbesondere wenn man ihm die Stange entwendet. Weg nach Orange, Entsatz der Burg, Vorbereitungen und Aufbruch zur Schlacht (LXXVII-CI): Aufbruch nach Orange. Rainoart muß ihn wegen seiner vergessenen Stange zweimal machen. König Louis begleitet das Heer bis Orléans. Aelis zeigt erst jetzt ihre Liebe zu Rainouart und bittet ihn beim Abschied um Verzeihung. Ankunft in Orange, das teilweise in Flammen steht. Freudiges Wiedersehen der Ehegatten. Errichtung des Lagers. Gastmahl. Rennewarts Trunkenheit. Küchenszene. Guiborc vermutet in Rainouart ihren Bruder, gibt ihm ritterliche Waffen. Ein Pferd lehnt er aber ab. Rainouart vergißt wieder seine Stange. Die Feiglinge des Heeres, die sich zurückziehen, prügelt er in die Schlacht zurück. Die Heeresaufgebote werden beschrieben. Dritter Teil: Die zweite Schlacht (CII-CXLVIII) Rainouarts Triumph (CII-CXX) Die Schlacht beginnt. Rainouart wird wegen seiner unbändigen Kraft zum zentralen Helden. Durch Rainouart werden die Gefangenen befreit, die Heiden mit seinem tinel zu Tausenden, darunter mehrere seiner Blutsverwandten, erschlagen und sein Vater Desramé verwundet. So endet der Kampf mit dem Sieg der Christen. Desramé gelingt die Flucht, aber mit der Tötung Haucebiers rächt Rainouart den Tod Viviens. Er kämpft, nachdem sein tinel zerbrochen ist, mit dem Schwert, das ihm Guibourc umgehängt hat, weiter. Nach der Schlacht (CXXI-CXLVIII) Nach der Flucht Desramés kehren die Franzosen nach Orange zurück. Noch aber ist Rainouarts riesenhafter Cousin Baudin auf dem Schlachtfeld übriggeblieben. Rainouart kann auch noch diesen gleich starken Gegner mit der Hilfe Gottes erledigen und zum Versprechen der Bekehrung bewegen. Nachdem Guillaume Rainouart versehentlich nicht zu dem anläßlich des Sieges stattfindenden Festessen eingeladen hat, droht der zornige Riese damit, auf die Seite der Heiden überzuwechseln. Schließlich gelingt es aber Guibourc, Rainouart, in dem sie ihren verlorenen Bruder erkannt hat, mit Guillaume zu versöhnen. Rainouart erhält die Taufe und Ritterweihe. Schließlich kommt noch Baudin mit 20.000 Heiden, um sich auch taufen zu lassen.
Im dritten Teil des Epos, genauer ab Laisse M CXIX (WHR 121a), zerfällt die Überlieferung viel deutlicher als zuvor in divergierende Fassungen. Zuerst folgt hier in der Mehrzahl der Hss. (so in ACE, wohl auch in der – hier allerdings verstümmelten – Hs. Ars, nicht aber in BDF) statt der drei Laissen M CXIX-CXXI (WHR 121a– 121c) eine weit längere Partie von über vierzig Laissen, welche mehrere groteske Kämpfe Rainoarts mit heidnischen Monsterrittern, zuletzt aber auch den Kampf
Ansätze zu einem Verständnis der Sinngebung des Textes
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mit Haucebier, wo die Stange zerbricht, schildern (Laissen WHR 122–165). Aber auch im weiteren haben viele ‚gleiche‘ Laissen in verschiedenen Hss. nur Teile, oft nur einzelne Verse gemeinsam. Ganze Laissen fehlen gegenüber anderen Fassungen oder werden zugesetzt. Am Ende des Epos müssen wir mindestens drei Fassungen unterscheiden. Wir begnügen uns jedoch mit der Sichtung der zur Gänze gedruckten Varianten. M bietet eine Kurzfassung. Ars, A (und andere Hss.) erzählen die erfolgreiche Werbung um die Hand von Aelis für Rainoart durch Wilhelms Brüder Ernaut und Bernart und die Hochzeitsfeierlichkeiten in Orange. Nur in Ars folgen aber dann die Vorausschau auf den heidnischen Rachezug, den Rainoart zurückschlagen wird, hierauf der Abschied des Großteils der Sippe Wilhelms, dessen Trauer um die Gefallenen, die Trostworte Guiborcs, der Wiederaufbau Oranges. Gemeinsam berichten Ars und A zuletzt in aller Kürze, wie Wilhelm Rainouart und Aelis in die ihnen als Lehen übergebenen spanischen Ländern, Tortelose und Portpaillart, begleitet und wieder nach Orange heimkehrt, wie die jungen Eheleute die Hochzeitsnacht begehen und Maillefer zeugen, wie bei der Geburt des riesigen Kindes die Mutter stirbt und Rainouart vor Kummer nur noch sieben Jahre zu leben hat. Ein Ausblick, in Ars ausführlicher als in A, verheißt eine neue Chanson de geste von Rainouarts Sieg über Loquifer und Isabras/Isembart, sowie Maillefers Schicksal und Heldentaten. Nichts davon in M. Hier wird sogar am Ende die früher im Text kurz angedeutete Vermählung (M 7580) mit Ermentrut ‚vergessen‘. Der Text endet abrupt, auch ohne jede Ankündigung einer Fortsetzung. Eine solche Ankündigung findet sich gleichwohl an früheren Stellen, am ausführlichsten etwa in der Mitte des Textes (3218–35).
Ansätze zu einem Verständnis der Sinngebung des Textes Die romanistischen Gesamtbetrachtungen des Textes gehen zumeist vom Vergleich mit dem zweiten Teil der ‚Chanson de Guillaume‘ (ChG II) aus. In unserem Rahmen muß es genügen, darauf hinzuweisen, daß gegenüber dem alten Kurzepos von Anfang an der längere Atem und die Tendenz zu epischer Breite spürbar werden. Die Zahl der illustrativen Züge, der verschiedenen Aspekte, Handlungsstränge und prominenten Handlungsträger steigt erheblich. Die Aristie des jugendlichen Helden Vivien endet in einem prächtig ausgeschmückten Märtyrertod, wohl nach dem Vorbild Rolands in der ‚Chanson de Roland‘, wie vieles andere in Al. Wilhelm führt endlose Klagen um Vivien und die anderen Gefallenen, ja über das harte Geschick überhaupt. In Laon steht er dann als leidgeprüfter Haudegen einem verständnislosen, weil verweichlichten und überfeinerten Hof gegenüber. Seine symbolisch herausfordernde Geste mit dem Schwert auf den
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Einleitung
Knien vor dem Palas in Laon kündet ausdrucksvoll den Ausbruch seines maßloser Zornes gegenüber König und Königin an, der von der höfisch-zuchtvollen Königstochter und seiner Mutter beruhigt wird. Am üppigsten sind die Auftritte des schönen und kraftstrotzenden, aber ungeschliffenen Riesen Rainouart gegenüber ChdG II ausgestaltet. Jean Frappier hat eine Ausweitung von ca. 900 auf ca. 5400 Verse gezählt und vom ästhetischen Standpunkt kritisiert. Was er als letztlich langweilig einstuft,⁶ ist es aber wahrscheinlich nur für den gebildeten Leser jener Zeit (und späterer Zeiten) gewesen. Die rauhe, kampferfahrene, adelige Kriegergemeinde wird sich dagegen über die mehrfach wiederholten drastischen Effekte schenkelklopfend amüsiert haben: Rainouarts kindlich inniges Verhältnis zu seiner Stange, die er gleichwohl mehrfach vergißt; seine übermenschlichen Heldentaten, die, übers Ziel hinausschießend, auch komische Effekte erzielen; die verbale und kämpferische Auseinandersetzung Rainouarts mit seinem Vater Desramé; die Besänftigung des wütenden Riesen durch die kniende Schwester Guiborc. Den Erfolg der Darstellung können wir an den Zusätzen jüngerer Versionen ablesen, welche noch weitere monströse Gegner unter Rainouarts kapitalen Schlägen ihre verdammte Seele aushauchen lassen. Beliebig steigern lassen sich diese Züge freilich nicht. So wird denn als Abschluß ein Zweikampf mit einem körperlich gleichwertigen Gegner, Rainouarts Cousin Baudin, erfunden. Dieser Kampf kann dann nur noch durch göttliches Eingreifen zugunsten des Christen entschieden werden und hat zuletzt auch noch in die Bekehrung des Heiden zur Folge. Die Fassung M hat diese nach der Taufe und Ritterweihe Rainouarts als Abschluß des Epos gewählt, weil sie – aus welchen Gründen immer – die Heirat mit Aelis nicht enthält. Diese ist aber nach uraltem epischem Gesetz, wonach der kampfstärkste Held die schönste Frau bekommen muß, so notwendig zu erwarten, daß M fast verstümmelt wirkt. Aber auch der Schluß in den anderen Fassungen macht bei weitem nicht den Effekt anderer großer Szenen, so daß auch hier das Epos allmählich verflacht – vielleicht schon im Hinblick auf die geplante Fortsetzung des Zyklus. Wahrhaft einprägsame Szenen zeigten zuvor etwa Wilhelm, wie er seine treulose Schwester an den Haaren vom Thron zerrt und zu erschlagen droht, oder Wilhelm und Guiborc, wie sie von der Mauer der Burg von Orange die ersehnten Hilfstruppen herankommen sehen, oder Rainouart, wie er den fürwitzig spottenden Koch ins Herdfeuer wirft und glühende Kohlen auf ihn häuft. Das Gesamtgebäude ist weniger sorgfältig gefügt, weniger selbstverständlich als im Höfischen Roman, weniger aber auch als in der ‚Chanson de Roland‘. Dies konstatiert auch Alois Wolf:
6 Frappier 1955, S. 264.
Die Stellung der Fassung M in der Überlieferung
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Was aber im Rolandslied zu einem hochorganisierten großepischen Gefüge wird, bleibt in der Gestaltung der Vivien-Wilhelmhandlung selbst noch im Großepos ‚Aliscans‘ stärker dem vorgegebenen Stoff verhaftet und verändert diesen durch die neue Strukturierung auf schriftlicher Basis ungleich weniger.⁷
Wenn Wolf jedoch mehrfach von einem „literarisch konzipierten Epos unter bewußter Wahrung des Mündlichkeitscharakters der Diktion“⁸ spricht, so trägt er damit zur Festigung eines Forschungsdogmas von der fingierten Mündlichkeit bei, welches m. E. dem komplizierten Ineinander von schriftlicher Komposition und mündlicher Tradition dieser Vortragsepen nicht gerecht wird (s. u.). Was in dem großepischen Werk gegenüber der ‚Chanson de Guillaume‘ ebenfalls vehement erweitert erscheint, ist die Artikulation der Frömmigkeit. Ununterbrochen werden Gott, Jesus, Maria und die Heiligen (Dionysius, Petrus, Paulus, Jakobus, Simon, Thomas, Clemens, Markus, Nikolaus, Vinzenz u. a.) angerufen und lange Gebete gesprochen. Rainouart stellt, noch ehe er getauft ist, vor dem entscheidenden Schlag gegen seinen im Kampf ebenbürtigen Cousin Baudin in 46 Versen Gott seine Heilstaten von der Schöpfung bis zur Erlösung vor Augen, um ihn – letztlich erfolgreich – um Hilfe gegen den verstockten Heiden zu bitten (M 6566–6611). Es ist – ganz gattungsgemäß – eine durchaus kirchlich-rituelle Frömmigkeit, welche problemlos mit einer Moral des Heiligen Krieges verbunden wird, die weit mehr an das Alte als das Neue Testament erinnert.⁹
Die Stellung der Fassung M in der Überlieferung Die Textkritik befindet sich bei ‚Aliscans‘, soweit ich sehe, noch immer auf dem Stand des Buches von Madelaine Tyssens 1967, auf welches (bes. S. 247–264) sich auch Holtus 1985 bei der Edition der Hs. M bezieht. Tyssens hat auch neue Handschriftensiglen eingeführt, die die ohnehin nicht geringe Verwirrung in der Überlieferungsforschung nicht verringert haben, da die älteren Ausgaben andere Siglen verwenden. Die mehr oder minder vollständigen Codices sind (nach Hennings 2008, S. 71f.) Ars (olim a) = Paris, Bibliothèque de l’Arsenal 6562, Ende 12.-Anf. 13. Jh. A1 (olim A) = Paris, B. N. fr. 774, Mitte oder 2. H. 13. Jh. A2 (olim b) = Paris, B. N. fr. 1449, Mitte oder 2. H. 13. Jh.
7 Wolf 1995, S. 219f. 8 Wolf 1995, S. 244, ähnlich öfter. 9 Dazu vergleiche auch Guidot, Übers. 1993, S. 12.
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Einleitung
A3 (olim B) = Paris, B. N. fr. 368, 1. H. 14. Jh. A4 (olim T) = Mailand, Trivulziano 1025, Mitte oder 2. H. 13. Jh. B1 (olim L) = London, British Museum Royal 20 D XI, 1. H. 14. Jh. B2 (olim V) = Paris, B. N. fr. 24369–24370, 1. H. 14. Jh. C (olim m) = Boulogne-sur-mer, Bibliothèque Municipale 192, 16. April 1295 D (olim e) = Paris, B. N. fr. 1448, Mitte oder 2. H. 13. Jh. E (olim C) = Bern, Burgerbibliothek 296, Mitte oder 2. H. 13. Jh. F (olim d) = Paris, B. N. fr. 2494, Ende 12. Jh.–1. Viertel 13. Jh. M (olim M) = Venedig, Biblioteca Marciana fr. VIII CIV, 5, 1. H. 14. Jh. S = Oxford, Bodleian Library, French E 32 Phillips 25074, ehemals ms. Savile [A5], 1. H. 13. Jh. [Inv. Nr. 4013].
Nur M enthält allein ‚Aliscans‘. Die anderen Hss. überliefern mehrere Teile des Wilhelmszyklus. Ars ist die älteste Hs., bietet aber bereits eine erweiterte Version des Textes, M dagegen eine ältere, obwohl der Codex zu den jüngsten gehört. Während sich dergleichen in der Überlieferung aller Genres findet, sind die Textunterschiede zwischen den Hss. viel, viel größer als beim Höfischen Roman. Wie man für beide Gattungen dieselbe überlieferungskritische Methode anwenden konnte, läßt sich schwer begreifen. Wenn man von einer rein schriftlichen Tradition ausgeht, muß man dem einzelnen Schreiber einen völlig eigenwilligen, ja mitunter willkürlichen Umgang mit der jeweiligen Vorlage zutrauen. Ebenso willkürlich fällt dann auch die Erstellung von Handschriftenstemmata in der Forschung aus. Ich greife zur Demonstration irgendeine kurze Partie heraus, wo die Überlieferung nicht extrem, aber doch beträchtlich auseinandergeht.
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Fassung der Handschriftengruppe A (Ausg. Régnier),¹⁰ Anfang Laisse 175, V. 7558– 7580: 7558 Defors Orenge est Renoart tornez. Mout a grant duel, forment s’est dementez; 7560 Forment menace dan Guillelme au cort nes. Vers Aleschans est plorant retornez, Des chevaliers a encontrez assez, Qui tuit li dïent: «Renoart, dont venez? Correciez estes, ne sai que vos avez.» 7565 «Seignor, dist il, mout doi estre desvez. Li quens Guillelmes m’a mout en grant viltez; Comme ribaut m’a lessié es fossez, Ne fui par lui huichiez ne apelez; Et s’est mes peres li forz rois Desramez, 7570 Qui soz lui a .XXX. rois coronez; De haut parage sui toz estrez et nez. Or me tient vil Guillelmes au cort nes, Cui j’ai aidié, or en ai les mausgrez. Se ge ne fusse, tot fust desheritez; 7575 Ja de ses homes n’en fust uns eschapez. Mes par Mahom, mar i fui oublïez! Se ne m’en venge, dont aie ge dahez! Or m’en irai en la terre ou fui nez, Et manderai et rois et amirez, 7580 Tant qu’en avrai .C.M. conreez.
Außerhalb von Orange ist Renoart umgekehrt. Großen Schmerz empfand und heftig jammerte er. Heftig drohte er Herrn Guillelme Kurznase. Weinend kehrte er auf Aliscans zurück. Er begegnete einer Menge Ritter, die alle zu ihm sagten: „Renoart, woher kommt Ihr?“ Aufgebracht seid Ihr. Ich weiß nicht, was Ihr habt.“ „Meine Herren“, sagte er, „ganz rasend muß ich sein. Der Graf Guillelme schätzt mich sehr gering ein. Wie einen Banditen hat er mich im Graben zurückgelassen; ich wurde von ihm nicht gerufen und angeredet. Und mein Vater ist der mächtige König Desramé, der dreißig gekrönte Könige unter sich hat. Aus hohem Geschlecht bin ich hervorgegangen und geboren. Jetzt schätzt mich Guillelme Kurznase gering ein, dem ich geholfen habe. Jetzt erhalte ich schlechten Dank. Wie wenn ich nicht existierte, bin ich ganz enterbt. Von seinen Leuten wäre keiner entronnen. Bei Mahomet, zu seinem Unglück bin ich da vergessen worden. Wenn ich mich nicht räche, soll ich verflucht sein! Nun werde ich weggehen in das Land, wo ich geboren wurde, und Könige und Emire entbieten, bis ich hunderttausend Bewaffnete haben werde.
10 Régnier folgt grundsätzlich der Hs. A2 und ergänzt Lücken aus A1 und A3. Schon der erste Herausgeber, Jonckbloet 1854, folgte in erster Linie zwei Handschriften der A-Gruppe, jedoch mit vielen Inkonsequenzen und Ungenauigkeiten, so daß wir diese Ausgabe ganz außer Betracht lassen, ebenso wie die sehr eigenwillige Edition von Rolin 1894.
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Einleitung
Fassung der Handschrift Ars (Ausg. Guessard/Montaiglon), Anfang Laisse 181, V. 7522–7558:¹¹ 7522 Defors Orenge est Rainouars remés; Molt a grant duel, forment s’est dementés, Et molt manace le marcis au cort nes. 7525 Vers Aliscans est plourans retornés, Des chevaliers a encontré assez, Qui tout li dïent: «Rainouars, d’ont venés? Corechiés estes, ne sai que vous avés.» «Signer, » dist il, «molt puis estre dervés. 7530 Li quens Guillames me tient en grans vieltés, Ki m’a laissié comme fuisse trovés, N’a son mangier ne fui par lui mandés. Comme ribaut m’a laissié es fossés, N’i fui par lui huchiés ni apelés; 7535 Si est mes peres li fors rois Desramés, Qui sous lui a .XXX. rois corounés; De haut parage sui tos estrais et nes. Plus sui haus hom ke il ne soit, d’asés. Par mon cors seul est estours afinés; 7540 Ocis i ai mon riche parentés, Si ai mes freres et mes amis tués Et ses neveus de prison jetés Ke Sarrasin eurent pris en leur nés. Rendu m’en a li quens males bontés; 7545 Or sui du tout arire deboutés.
Außerhalb von Orange ist Rainoart zurückgeblieben. Großen Schmerz empfand und heftig jammerte er und drohte heftig dem Markgrafen mit der kurzen Nase. Weinend kehrte er auf Aliscans zurück. Er begegnete einer Menge Ritter, die alle zu ihm sagten: „Rainoart, woher kommt Ihr?“ Aufgebracht seid Ihr. Ich weiß nicht, was Ihr habt.“ „Meine Herren“, sagte er, „ganz rasend muß ich sein. Der Graf Guillelme schätzt mich sehr gering ein, der mich zurückgelassen hat, als wäre ich ein Findelkind. Ich bin von ihm nicht zu seinem Essen eingeladen worden. Wie einen Banditen hat er mich im Graben zurückgelassen; ich wurde von ihm nicht hingerufen. Und mein Vater ist der mächtige König Desramé, der dreißig gekrönte Könige unter sich hat. Aus hohem Geschlecht bin ich hervorgegangen und geboren. Ich bin ein bei weitem höher gestellter Mann als er. Beinahe allein durch mich wurde der Kampf siegreich beendet. Erschlagen habe ich meine mächtigen Verwandten, meine Brüder und meine Freunde getötet und seine Neffen aus dem Gefängnis befreit, welche die Sarazenen in ihren Schiffen festhielten. Der Graf hat mir schlechte Wohltaten erwiesen. Nun wurde ich ganz zurückgestoßen.
11 Zählung nach WHR. Ausg. Guessard/Montaiglon weicht hier um einen Vers ab.
Die Stellung der Fassung M in der Überlieferung
Oï l’ai dire, et si est verités: Puis que leres est de forches racatés, Ja puis ses sire nen iert de lui amez. Por dant Guillame l’ai jo dit au cort nés 7550 Qui j’ai aidié, or en ai grans maugrés. Ne crerai mais el roi de maiestés, Mais en Mahon ki est d’or tresjetés; Si le ferai dolans et aïrés. Par Mahomet, mar i fu oubliës! 7555 Se ne m’en venge, dont aie mal dehés! Or m’en irai el paiis dont sui nés, Si manderai Sarrasins et Esclers, Tant k’en avrai .C.M. assanlés.
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Sagen habe ich es gehört, und es ist die Wahrheit: Nachdem der Dieb vom Galgen losgekauft ist, wird bereits sein Herr von ihm nicht mehr geliebt. Um Herrn Guillaume Kurznase willen sage ich es, dem ich geholfen habe. Jetzt erhalte ich sehr schlechten Dank. Ich werde nicht mehr an den König der Herrlichkeiten glauben, sondern an Mahomet, der aus Gold gegossen ist. So werde ich ihn in Schmerz und Kummer versetzen. Bei Mahomet, zu Unrecht bin ich vergessen worden! Wenn ich mich nicht räche, soll ich verflucht sein! Nun werde ich weggehen in das Reich, wo er geboren wurde, und Sarazenen und Slaven entbieten, bis ich hunderttausend von ihnen versammelt haben werde.
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Fassung der Handschrift M (Ausg. Holtus), Anfang Laisse 137, V. 7119–7135: 7119 Defors Orençe est Renoars remeç; Mult a grant dol, forment s’est dementeç; En Alischans plorant est retornez. Des civalers a encontré aseç, Qe tuit li dïent: «Renoars, dont venez?» «Barons, dit il, mult puis estre desvez. 7125 Li cons Guillelmes me tint a grant viuteç; Sol m’a lasié cum si fuisse encaytivez, N’a son mangier fu por lui mandez; Et si fu filz au fort roy Desrameç. Oncois li ai plus de doa .M. Escleç; 7130 Por poi tot sols est li camp afineç. Or sui de tot ariere boteç Por Macon, mar i sui oublïeç! Or m’en iray en regne dont fui neç, Puis manderai Sarracin et Escleç, 7135 Si.y amendray tot droit en cest regnez.
Außerhalb von Orange ist Renoart zurückgeblieben. Großen Schmerz empfand und heftig jammerte er. Weinend kehrte er auf Aliscans zurück. Er begegnete einer Menge Ritter, die alle zu ihm sagten: „Renoart, woher kommt Ihr?“ „Barone“, sagte er, „ich kann völlig von Sinnen kommen. Der Graf Guillelme schätzt mich sehr gering ein. Er hat mich allein zurückgelassen, als wäre ich ein Gefangener, und mich nicht persönlich zu seinem Essen entboten. Und ich bin doch der Sohn des mächtigen Königs Desramé. Erschlagen habe ich für ihn mehr als zweitausend Slaven und beinahe ganz allen den Kampf siegreich beendet. Nun wurde ich ganz zurückgestoßen. Bei Mahomet, zu seinem Unglück bin ich da vergessen worden. Nun werde ich weggehen in das Reich, wo ich geboren wurde, und dann Sarazenen und Slaven entbieten und hierherführen geradewegs in dieses Reich.
Als Ausgangspunkt wähle ich, ohne damit irgendeine stemmatische Aussage zu treffen, die Handschriftengruppe A, als Zielpunkt die Handschrift M. In A habe ich die Verse unterstrichen, welche in M fehlen, in Ars und M die Verse, welche gegenüber A überzählig sind, kursiviert, in M überdies die mit Ars gemeinsamen Pluswörter fettgedruckt. Dieselbe Partie hat in A 23, in Ars 37, in M 17 Verse, ist also in Ars mehr als doppelt so lang wie in M. Ars hat nur Plusverse, M sowohl Minus- als auch Plusverse. Die Plusverse stimmen zum geringeren Teil mit Ars überein, gehen überwiegend aber eigene Wege. A und Ars könnten also zueinander im Verhältnis von Kurz- und Langversion desselben Textes stehen. M läßt dagegen ein solches Urteil nicht zu. Es gibt offenbar eine allen Hss. gemeinsame Grundsubstanz. So sind die ersten sechs Zeilen der Partie weitgehend gleichlau-
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tend, dann aber wird frei variiert. Dabei bedienen sich die Erweiterungen teilweise des Materials früherer Partien, z. B. Ars (= WHR) 7539–7542 ~ Ars (= WHR) 7516–7518 (vgl. M 7129–7130). Einheitliche Bearbeitungstendenzen zeichnen sich nicht ab. Hier sind ohne Zweifel nicht bloß Schreiber, sondern ‚Redaktoren‘ am Werk gewesen, die die Erstellung eines einzigen Grundtextes von vornherein illusorisch erscheinen lassen. Deshalb war das Bemühen der ‚kritischen‘ Ausgabe von 1903 zum Scheitern verurteilt. Aber die gesamte ‚bédieristische‘ Betrachtungsweise führt hier in die Irre. Joseph Bédier wies nicht nur mit seiner Entstehungstheorie der Chanson de geste einen falschen Weg, sondern schon mit der Übertragung seiner an Dichtungen der französischen Neuzeit abgelesenen Werkvorstellung auf die einzelnen Chansons. Hier hat kein Corneille oder La Fontaine einen unveränderbaren Text niedergeschrieben und dem Druck zur getreuen Bewahrung überantwortet, sondern ein Jongleur schriftlich oder mündlich (oder sowohl als auch) ein Konzept entworfen, das im Detail wohl noch weiter ausgearbeitet werden konnte, auf jeden Fall aber vorläufig überwiegend oder ausschließlich mündlich tradiert wurde, wobei sich Gedächtnisfehler und deren mehr oder minder geglückte Reparaturen einstellen mußten. Die erhaltenen Handschriften gehen auf mündliche Vorträge zurück, kaum je aber direkt, sondern als erste oder weitere Abschriften solcher Erstniederschriften. Sie enthalten also typische Kopistenfehler, spiegeln daneben aber auch Fehler, die sich weder als Verlesen/Verschreiben noch als bewußte Redaktoreneingriffe erklären lassen. Statt aller weiteren theoretischen Erörterungen sollen hier Beispiele aus der Hs. M, einer späten Handschrift, welche auf eine lange mündliche und schriftliche Tradition zurückgeht, geliefert werden. Für die üblichen zahlreichen Kopistenfehler genügt ein besonders typisches Beispiel: Nach M 5162, der mit dem Namen Benvoysin (= Biauveisin) endet, sind, da danach der sechste Vers wieder diesen Namen als Reimwort enthält, durch Zeilensprung in M sechs Zeilen ausgefallen, nicht aber in den anderen Hss. Kopisten lassen überhaupt gerne Zeichen, Zeichengruppen, Wörter und ganze Verse aus oder vertauschen sie, dies alles aber nur auf engem Raum. Was sie aber niemals tun (können), ist die Vorwegnahme entfernter Textteile oder der sinnlose nochmalige Einschub von Wörtern oder Versen aus früheren entfernten Partien. Es kann also nur ein Gedächtnisfehler eines Sängers sein, wenn M in Laisse CLXXI von dem Kampf Renoarts mit Baudin, die beide mit Stöcken oder Keulen fechten, erzählt, jedoch den V. 6503 Seschuns tenoit en sa main un baston „Jeder von ihnen hielt in seiner Hand einen Stock“ schon 6499, also vier Verse vorher, vorwegnimmt, wodurch Guillelme und seine Brüder, die zu Hilfe eilen, plötzlich auch schon Stöcke, typisch unritterliche Waffen, in die Hand bekommen. Umgekehrt schickt in Laisse LXIII Loois Sanson zu Guillelme und Sanson antwortet:
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Einleitung
2585f. „Sire“, dit Sansons, „si cum comandez.“ / Cil s’en torna s’avala lo degreç. „‚Herr‘, sagte Sanson, ‚ganz wie Ihr befehlt‘. Er ging weg und schritt die Stufen hinab.“ Siebzehn Verse später schickt auch Guillelme Sanson zurück und ruft ihn auf, sich zu beeilen. Obwohl er ihm erst hierauf seinen Auftrag nennen wird, schiebt der Sänger voreilig die höfliche, floskelhafte Antwort, welche Sanson zuvor dem König gab, auch hier ein, fügt aber den folgenden – für ihn damit im Kopf fest verbundenen – Satz auch nochmals an (V. 2602f.). So läßt er Sanson die Treppe, die er gerade herabgekommen war, nochmals herabsteigen, obwohl er tatsächlich noch vor Guillelme steht und hernach die Treppe wieder hinaufsteigen muß (V. 2613). Die Stange, welche Renoart ursprünglich im Kampf trug, war riesig und quarré „vierkantig, vierschrötig“. Sie wird so auch M 5033 genannt. In der weiteren Beschreibung werden auch die Eisenbänder erwähnt, womit sie an einem Ende meisterlich verstärkt wird. Die überwiegende Überlieferung hat hier V. 5036 das Reimwort ferré „mit Eisen versehen“. Unserem Sänger ist aber wiederum nur quarré eingefallen, was hier keinen Sinn ergibt, ihn zudem aber auch noch verleitet (ähnlich dem zuvor erwähnten Fehler), unnötiger- und störenderweise den Vers 5034 und den Anfang von V. 5035 auch noch zu wiederholen (V. 5037f.). Ein „errore di copista“, wie Holtus im Apparat zur Stelle annimmt? Warum hätte ein Kopist auf seiner Vorlage mit dem Auge zurückspringen sollen, wenn gar nichts Gleiches davor dastand? Wäre er grundlos mit den Augen verrutscht und hätte er zwei Zeilen doppelt geschrieben, wäre ihm dies zudem gewiß aufgefallen. In solchen Fällen pflegen Schreiber die falschen Zeilen durchzustreichen oder zu unterpungieren. Gegen Ende des Textes soll Renoart/Rainouart auch noch aus dem Stand höfisch-ritterliche Kampfesart demonstrieren. Er spornt zum Lanzenstoß sein Pferd (M 7709), wie sich’s gehört. Nach dem erfolgreichen Stoß kehrt er in geschickter Wendung zurück. Hierbei darf er natürlich nicht im gestreckten Galopp reiten. Dennoch fällt dem Sänger der formelhafte Vers zehn Verse später zur Unzeit nochmals ein („Und Renoart spornte sein Streitroß“) und fügt ihn unbekümmert als M 7719 ein. Solchen Unsinn macht kein schriftlicher Redaktor, auch kein schlechter. Im freien Vortrag eines Sängers ergeben sich solche Fehlleistungen aber wie selbstverständlich. In seinem Gedächtnis sind die Verse zwar grundsätzlich im Wortlaut und korrekter Abfolge gespeichert. Doch hier kann es Ausfälle geben. Besonders fest sitzen stereotype Wortverbindungen und Reimwörter. Doch sie können an die falsche Stelle geraten oder falsch kombiniert werden. Zudem muß er bei Gedächtnislücken auch improvisieren, d. h. Versatzstücke, die ihm von anderswoher in Erinnerung geblieben waren, heranziehen. Einige Beispiele: In Laisse M LXX beteuert Aayliz/Aelis, sie werde sich von ihrem Kniefall nicht erheben, „ehe mir die Versöhnung gewährt und Euer (Guillelmes) Zorn besänftigt
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werden.“ So steht es jedenfalls in WHR, Ars, A (dusque m’ert otroïe Li acordance et vostre ire apaïe). M hat jedoch statt dessen qe m’ert otreïe E l’acordance otrïee et juree M3140f. Durch Gedächtnisfehler wird der zweite Halbvers ersetzt durch eine Wiederholung von otrïee (nicht mehr in der pikardischen Variante) und Ergänzung durch juree, das die Assonanz stört. M 6003 lautet De la ventrayle se romp la coree „aus dem Bauch brachen die Eingeweide hervor“. Das ist eine stehende Wendung, die jedoch hier überhaupt nicht in den Zusammenhang paßt. Denn hier ist von einem Schwertstreich auf das Antlitz die Rede. Und so heißt denn der Vers bei WHR auch De la ventaille li rompi la joiere „brach ihm das Wangenstück des Visiers“. Die schwache Erinnerung an den Wortlaut erzeugte etwas im Klange Ähnliches, das im Gedächtnis als Formel besser verankert war. V. 3254 setzt der Sänger die geläufige Formel „Vasallen und Barone“ gedankenlos dort ein, wo „Knappen und Küchenjungen“ hingehören, an deren Stelle jene nun die Tischtücher wegräumen müssen. V. 6136f. lauten in M Frose les aumes eascartelez E les eschuç fraiç eescantelez. Holtus nimmt Verschreibungen der Reimwörter für ascartelez¹²/escartelez an. Doch die Wiederholung des Reimworts kann nur Fehler eines Sängers sein. Der V. 6136 hat auch nur acht Silben, ist also sicher falsch. Bei WHR steht andeus les a froës statt eescantelez. Danach habe ich übersetzt. Falsche Vorwegnahme eines Reimwortes gehört zu den häufigsten Auswirkungen der Gedächtnisschwäche. Diese kann sich aber auch auf inhaltliches richten. M 6364 behauptet Renoart: „Zuvor getauft, wurde ich Renoart genannt“ (Einz batisté sui Renoars clameç). Das ist ebenso unsinnig wie En droit baptesme in A („in der rechtmäßigen Taufe“), denn Renoart hieß schon vor der Taufe so und ist zu diesem Zeitpunkt der Handlung, wo er dies angeblich sagt, eindeutig nicht getauft, was er auch einige Verse später (M 6391) selbst feststellt. Daß er von den Franzosen so genannt wurde, wie stattdessen in den Fassungen von WHR, Ars formuliert wird, befriedigt zwar auch nicht ganz, weil Renoart gewiß schon bei den Heiden so hieß, mag aber noch hingehen. Diese Beispiele mögen genügen. Ich habe nur die eindeutigsten ausgewählt. Oft kann ein Fehler ja keiner Kategorie eindeutig zugeordnet werden. Etwa nach M 5493 sind 28 Verse (WHR 5496–5524 ~ Ars, A) ausgefallen, welche zwei weitere Hiebe Renoarts schildern, welche ganz ähnlich wie der zuvor ablaufen. Der Ausfall könnte auf Zeilensprung des Schreibers, aber auch auf Gedächtnisausfall beim Sänger, schließlich auch auf bewußte Kürzung der endlosen Reihe der Wiederholungen zurückgehen.
12 ascartelez italianisierte Form.
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Auf diese Weise erhält das Epos eine geradezu proteische Gestalt, an der alle textkritischen Methoden scheitern. Tyssens versucht denn auch nicht, ein neues Handschriftenstemma aufzustellen, ermittelt aber eine Reihe von Einzelverwandtschaften von Handschriften. Danach sind von den älteren Versionen B und F eng verwandt, sowie M und D. Aus den beiden Gruppen gehen M und B nach Tyssens unmittelbarer auf die verlorene Originalversion von ‚Aliscans‘ zurück, welche die vielen zusätzlichen Kämpfe Rainouarts mit besonders schrecklichen Heidenkriegern noch nicht enthielt. In B sind die redaktionellen Eingriffe zahlreicher als in M. Damit rückt M auch bei Tyssens in eine herausragende Stellung, die ihr mit abweichenden Argumenten schon Paul Lorenz zugeteilt hatte. Nichtsdestoweniger zeigt M deutliche Spuren einer Mischung zweier Versionen, die am deutlichsten bei Rainouarts Eheschließung zutage tritt. Freilich läßt sich das Verhältnis zur entsprechenden Aussage in der ‚Chanson de Guillaume‘, welche an sich eine ältere Sagenversion repräsentiert, nur hypothetisch bestimmen. Am Schluß dieser Chanson, wie sie überliefert ist, geben Wilhelm und Guiborc Rainouart als Taufgeschenke Geld, Pferde, Burgen, Ländereien und schließlich Ermentrude zur Frau (V. 3496–3501). Wer das ist, wird nicht gesagt, denn sie kommt im ganzen Gedicht sonst nicht vor, sondern erst in ‚Aliscans‘, jedoch ausschließlich in M. In allen anderen Hss. ist Aelis die Gattin Rainouarts. Selbst in M will Rainouart die Tochter des Königs zur standesgemäßen Gattin, und Wilhelm unterstützt das. Doch der König verweigert seine Zustimmung, und so macht Ermengarde, Wilhelms Mutter, „ihre schöne Nichte Ermentrut mit dem leuchtenden Antlitz“ zur Königin von Spanien an Rainouarts Seite (M 3879–86). Schon zuvor hatte es geheißen, Rainouart habe Aelis zur Gattin begehrt, „aber Loois wollte sie ihm nicht geben“ (M 3214). Das steht im krassen Gegensatz zu der in M wie in den anderen Hss. angesponnenen Liebesgeschichte zwischen Aelis und Rainouart, die unbedingt ein glückliches Ende erwarten läßt. Die Fassung in M enttäuscht also die Publikumserwartungen massiv. Tyssens beurteilt Ermentrut somit in M (im Anschluß an Jean Frappier) als sekundär, jedoch nicht einfach als isolierte Interpolation, denn Hss. des Überlieferungszweiges A, der nicht mit M verwandt ist, kennen den Widerstand des Königs ebenfalls. M 3214 steht so ganz ähnlich auch in A (A 2 3386). Doch hier wird der Widerstand als nur anfänglich vorhanden und schließlich gebrochen dargestellt, in M dagegen als offenbar unüberwindlich, denn die ausführliche Erzählung von der Brautwerbung und der Verbindung von Aelis und Rainouart gegen Ende des Epos fehlt in M. Stattdessen scheint die andere Heiratsversion bekräftigt zu werden: „Später gab ihm Ermengard ihre Nichte mit der kräftigen Statur“ (M 7580). Allerdings ist „Nichte“ (niece), wie Tyssens vermerkt (S. 262), im Afrz. ein vieldeutiger Ausdruck, der fast jede Verwandtschaft ausdrücken kann.
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Daraus zimmert Tyssens 1967, S. 263, die folgende Hypothese: Im zweiten (jüngeren) Teil der ‚Chanson de Guillaume‘ (ChdG II) war Rainouarts Gattin sowohl Tochter des Königs als auch Verwandte Ermengarts, welche diese Heirat initiierte, obwohl Loois anfangs dagegen war. Sie hieß Ermentrude. Der Schluß der uns überlieferten ‚Chanson de Guillaume‘ behielt von dieser Konstruktion einzig den Namen. Die erste Fassung von ‚Aliscans‘ machte aus Ermentrude Aelis und wertete deren Rolle beträchtlich auf, ließ aber da und dort Reste der alten Version (den Widerstand des Königs und die Initiative Ermengarts) stehen, obwohl sie dem neuen ‚Liebesroman‘ nicht entsprachen. Die meisten Handschriften tilgten diese Spuren ganz oder teilweise, manche aber nicht, darunter v. a. M., die als einzige auch den alten Namen bewahrte. So könnte es gewesen sein, muß es aber keineswegs. Wenn man die rein skripturale Überlieferungsgeschichte der Chansons de geste aufgibt, kommen auch andere Möglichkeiten in den Blick. Auf jeden Fall aber enthält M eine seltsame Sagenmischung. Sie war so in Wolframs Vorlage gewiß nicht vorhanden. Diese stand also wohl B etwas näher,¹³ vielleicht D am nächsten (vgl. die Eigennamen M 120, M 6250). Für unsere Zwecke wäre also eine Übersetzung der Boder D-Fassung noch zweckdienlicher gewesen. Leider gibt es davon aber keine Ausgabe, so daß doch nur M – trotz des enorm verderbten Wortlautes dieser Handschrift – in Frage kommt, da die beiden anderen vorhandenen brauchbaren Editionen die Ars-Version bzw. die A-Version wiedergeben, die insgesamt noch bedeutend weiter von Wolframs Vorlage entfernt sind. Schon Gustav Rolin hatte 1894 M einen hohen Stellenwert in der Überlieferung zugesprochen. Er war vom ‚Willehalm‘ ausgegangen und hatte geglaubt, aus dem durchaus verwirrenden Überlieferungsbefund die Berechtigung ableiten zu können, einfach freihändig eine eigene Fassung zu rekonstruieren, die dem Inhalt des ‚Willehalm‘ in etwa entsprach. Zu diesem Zweck schnitt er den afrz. Text willkürlich ab und wählte als Schluß die Darstellung der Flucht Desramés (M 6185ff.) in Hs. C (abgedruckt Rolin, S. 162f., dann auch WHR, S. 355f.) aus, welche als einzige in eine Aufforderung der Brüder Wilhelms an diesen, Renoart die Krone von Spanien zu übertragen, mündet. In der Tat könnte mit diesem Ausblick die Geschichte schließen. Gleichwohl ist hier auch C keineswegs zu Ende, sondern schließt unmittelbar die Werbung um Aelis für Renoart an (WHR 8157, Laisse 190 – M endet davor). Abgesehen davon, daß auch diese rekonstruierte Fassung immer noch stark vom ‚Willehalm‘ abwich, beruhte diese Lösung auf einem doppelten Irrtum, denn die erhaltenen Handschriften geben einen ganz
13 Ulrich von Türheims ‚Rennewart‘ scheint jedenfalls der Redaktion B am nächsten gestanden zu haben. Vgl. Hennings 2008, S. 305.
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Einleitung
unvollkommenen Eindruck von der tatsächlichen Tradition, und der ‚Willehalm‘ ist eindeutig ein Fragment, keine abgeschlossene Dichtung, wie Rolin postulierte. Die proteische Gestalt, in welcher sich das Werk präsentiert, läßt auch alle Versuche scheitern, das Werk nach Einzelstellen zu datieren, da sich diese immer nur einer bestimmten, aber keineswegs notwendig der ‚ursprünglichen‘ Fassung zuschreiben lassen. Die Forschung hat sich hier seit Guessard 1870¹⁴ und Becker 1939¹⁵ v. a. auf die Erwähnung des Landes Vermandois gestützt. Frappier hat dies aufgegriffen und bekräftigt, daß das Werk bald nach 1185 entstanden sein müsse, da sich einige Verse (M 2765–70) nur auf den Anfall des Vermandois an die französische Krone beziehen können.¹⁶ Der bürgerliche Gastgeber Wilhelms berichtet hier, daß an jenem Tage dieses als Lehen vergeben (bzw. nach der Fassung Ars der Königin, der Schwester Wilhelms, zu ihrer feierlichen Krönung dieses Land zur Apanage gegeben) werden solle, das beste, das man sich denken könne, das jedoch bisher nichts als Krieg erfahren habe. In der Tat scheint ein Bezug auf die jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen (1182–1185) zwischen Graf Philipp von Flandern und König Philipp II. August von Frankreich um den Besitz von Vermandois naheliegend. Doch welcher Vortragsfassung soll man die Stelle zuschreiben? So fehlen die Verse M 2765–2777 z. B. in der Fassung A. Wir können nur sagen, daß jene Vortragsfassung wahrscheinlich für Zuhörer aus dieser Grafschaft, die so hoch gepriesen wird, bestimmt gewesen ist. Es kann aber eine ältere gegeben haben, die die Verse nicht enthielt. Dasselbe gilt grundsätzlich für die nicht seltenen pikardischen Reime, welche sich allerdings vielfach quer durch die Überlieferung durchhalten, so daß sie doch auf eine sehr alte Schicht verweisen. Die vorliegende Übersetzung folgt grundsätzlich der Ausgabe von Günter Holtus nach der Hs. M, ist aber schon von vornherein nicht einzig an M orientiert. Aber Holtus konnte sich immerhin dort getreulich an die Handschrift halten, wo der Wortlaut zumindest innerhalb der Satzgrenzen halbwegs einen Sinn ergab. Textsemantische kontextuelle Widersprüche konnte er vernachlässigen. Der Übersetzer muß dagegen einen im Zusammenhang einigermaßen stimmigen Text vermitteln, ohne die Eigenart dieser einen Fassung anzutasten. Alle größeren Einfügungen oder Tilgungen nach anderen Hss. sind durch die Zeichen oder […] vermerkt, alle anderen Abweichungen von Holtus‘ Text durch Zitate der abweichenden übersetzten Lesarten in den Anmerkungen. Diese sollen auch die sonst unbedingt nötigen sprachlichen und inhaltlichen Erläuterungen liefern,
14 Alscans, hg. v. F. Guessard u. A. de Montaiglon, Paris 1870, S. LXXVIIf. 15 Philipp August Becker, Das Werden der Wilhelm- und Aimerigeste, Leipzig 1939, S. 90f. 16 Frappier 1955, S. 241.
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keineswegs aber einen textkritischen Apparat ersetzen. Dergleichen gehört nur in die Ausgabe des Originaltextes. Die Angaben in den Anmerkungen zur Parallelüberlieferung können die verwirrende Vielfalt der Varianten gerade nur andeuten. Um einen Vergleich mit anderen Ausgaben zu erleichtern, habe ich nicht nur aus der Ausgabe von Holtus die Numerierung der Laissen von M mit römischen Ziffern und die von WHR mit arabischen übernommen, sondern ebenfalls mit arabischen Ziffern noch die Numerierung der Ausgaben von Ars und A hinzugefügt. Im übrigen habe ich noch eigene Zwischenüberschriften zur groben Gliederung des Textes eingeschoben, für welche es keine Anhaltspunkte in der Überlieferung gab.
Die Sprache von M Wienbeck/Hartnacke/Rasch 1903 haben M nur eingeschränkt für ihre ‚kritische‘ Ausgabe herangezogen gemäß ihrer Einschätzung der Handschrift: Im übrigen ist M eine Hs., deren Schreiber nicht einmal des Französischen mächtig war. Er muß Italiener gewesen sein und hat geradezu Wortmonstra ohne jedes Verständnis hingeschrieben. Daß eine solche Hs. wohl dem Text nach, keinesfalls aber den Formen nach brauchbar ist, sollte selbstverständlich sein.¹⁷
Damit ist aber nur ein Aspekt des Problems angesprochen, denn es existiert eine ganze breite franko-italienische Literatur des 13. bis 15. Jh.,¹⁸ welche in drei Kategorien zerfällt: (1) reine Abschriften afrz. Texte, (2) Bearbeitungen und Fortsetzungen solcher Texte, (3) Originaldichtungen (wie ‚L’Entrée d’Espagne‘ und ‚La Prise de Pampelune‘). In der dritten Kategorie haben norditalienische Autoren offenkundig bewußt versucht, systematisch in einer Mischsprache zu schreiben (wobei es mitunter beim wenig erfolgreichen Versuch geblieben ist). In der ersten Kategorie wird die Mischsprache eher unbewußt entstanden sein; in der zweiten erscheint beides denkbar, so grundsätzlich auch in M. Wenn wir von der unbeweisbaren, aber wahrscheinlichsten Annahme ausgehen, daß es sich um eine italienische Kopie einer schon fertigen, eigenständigen, rein afrz. Version des Epos handelt, kann die nur oberflächlich und daher inkonsequent vorgenommene
17 WHR, S. XXVII. 18 Zum Folgenden vgl. Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters (GRLMA), Bd. III: Les épopées romanes, tome 1/2, fascicule 10: Günter Holtus u. Peter Wunderli, Franco-italien et épopée franco-italienne, Heidelberg 2005.
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Einleitung
Italianisierung unbewußt¹⁹ oder bewußt erfolgt sein. Günter Holtus, der in der Einleitung zur Edition 1985 die wichtigsten Merkmale der Sprache von M zusammengefaßt hat, entscheidet sich zuletzt 2005 für die zweite Möglichkeit, die dem Schreiber zugleich unterstellt, er habe für ein des Französischen durchaus mächtiges italienisches Publikum kopiert.²⁰ Die vorliegende Übersetzung zielt ausschließlich auf die Vermittlung des Inhalts des afrz. Epos. Die sprachliche und ästhetische Form des Originals (einschließlich der in M arg mitgenommenen Versgestalt) liegt ganz außerhalb ihres Gesichtskreises. Wenn wir dennoch ein paar Charakteristika der Sprache benennen, so nur, um die Schwierigkeiten und Unsicherheiten jeder Übersetzung anzudeuten. Gerade die deutlichsten Italizimen wie die Bewahrung des nebentonigen a (z. B. barba) oder das Fehlen des e-Vorschlags vor dem s impurum (z. B. Spagna) tragen in der Regel am wenigsten dazu bei, viel mehr die zahlreichen morphologischen Synkretismen. Dabei ist es aber häufig nicht auszumachen, ob ein phonologischer, morphologischer oder syntaktischer Wandel vorliegt. Ein typischer Fall ist der epidemische Wechsel von i und e: qi ~ qe (selten chi ~ che), ci ~ ce, li ~ le (aber auch li ~ il), il ~ el (< en + le), ni ~ ne, in ~ en (aber auch ne ~ en). Mitunter steckt da ein Rektionswechsel dahinter. Der Zusatz eines –i bei der 2. Person Präsens kann italienisch sein, aber auch Vermischung mit der 1. Person, wo sonst in M häufig das –i abgefallen ist (z. B. irai ~ ira). Um das Chaos wenigstens anzudeuten, welches bei häufig verwendeten Flexionsformen eintreten kann, seien die Beispiele von afrz. aler und voloir herausgegriffen. voi, voy kann sowohl für vois „ich gehe“ als auch für vueil „ich will“ eintreten. Die 3. Person Präsens von aler lautet in M statt vait, va auch veoit, vot, voet; von voloir statt vuelt auch veaut, vialt, vot, vuet, veit, voit. vot kann aber auch eine Form von veoir sein. Ähnliche Verhältnisse herrschen bei vielen Verben, aber auch bei Nominen. Die Auslaute sind insgesamt instabil. Das Zweikasussystem ist im Afrz. um 1300 ja an sich schon zusammengebrochen, wird aber in M vielfach künstlich bewahrt, mitunter aber auch hyperkorrekt restituiert. Die Zahl der tatsächlichen oder scheinbaren Homonyme und überhaupt der unentscheidbaren Zweifelsfälle steigt auf diese Weise bedenklich. cor etwa kann „läuft“ (cort), „kurz“ (cort), „Hof“ (cort), „Körper“ (cors), „Herz“ (cuer, cor) bedeuten. Im Anlaut und im Inneren der Wörter schwankt insbesondere die Graphie der Vokale, auch zwischen Diphthong und Monophtong (poys für pais, nasse für noise, dau für dou etc.), der Nasalierung und Mouillierung, des h und des s. Doppelschreibungen von Konsonanten scheinen arbiträr.
19 So Tyssens 1967, S. 248. 20 So Holtus, in GRLMA III, 1/2, 10, 2005, S. 83.
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Die größte Variationsbreite weisen in der Überlieferung die Eigennamen auf, da sich hier den Gedächtnis-, Hör- und Lesefehlern kein kontextuelles Korrektiv in den Weg stellt. Einfach die verwirrende Vielfalt der Formen der Überlieferung zu belassen, wie es Holtus in seiner Ausgabe tut, wäre eine Zumutung für den Leser einer Übersetzung. Die vom Dichter intendierte Form läßt sich jedoch in der Regel aus den differierenden Formen nur herausfinden, wenn der Name zumindest zum Teil etymologisch oder morphologisch durchsichtig ist. So wird etwa die Form Rabie neben Arabie – beides Varianten (auch) in M –schwerlich richtig sein. Eine Konjektur von Rabie zu Arabie scheint somit berechtigt. Meist wird man sie aber ohne Gewähr nur nach der am häufigsten verwendeten Variante vornehmen können. Zweifeln kann man, wieweit man Varianten anderer Hss. heranziehen soll. Sofern dem Namenverzeichnis von Rasch 1909 zu trauen ist, heißt die Königstochter in den meisten Hss. Aelis, in einigen jedoch Aeliz, Aaliz, Aalis, in M Aayliz. Da in M nach dem Namenverzeichnis in der Ausg. v. Holtus aber auch Aelis, Aeliz vorkommen, darf man vielleicht ay für e als eine der typischen Vokalveränderungen des Schreibers ansehen, und durchgehend Aelis einsetzen. Der Hauptheld des Epos kommt in M jedoch nie mit der in den meisten Hss. üblichen Verdumpfung des el zu au oder a vor. Man muß also Guillelme in den Text von M setzen. Das hier wie bei den meisten männlichen (und auch einigen weiblichen) Namen noch übliche Nominativ-s würde in einer Übersetzung jedoch nur Verwirrung stiften. An der Schreibung Gu- hält der Schreiber hier getreulich fest, anders als bei Guielin, Guion, Guibert und Guiborc, wo das u fälschlich gelegentlich oder sogar durchgehend fehlt, was die Aussprache des g zu [dž/ž] verändern müßte. Am meisten befremdet das bei Guiborc, die in M ständig Giborg heißt (neben seltenem Gibors, Giborge, Giborga, auch Tiborg mit Verlesung des G zu T). Die fehlende Auslautverhärtung ist auch sonst in M häufig. Soll man aber annehmen, daß der Name mit Zischlaut gesprochen werden sollte? Ich bleibe bei Guiborc. Ein Muster totaler Verwirrung stellen die Namen Baudu(s)/Bauduc/Baudin(s)/ Baudun(s) etc. in der gesamten Überlieferung dar. Nach Rasch handelt es sich um zwei verschiedene Personen: 1. Baudus von Aumarie, Sohn des Aiquin, Heerführer der Heiden, verwandt mit Tibaut und Ariofle, erschlagen von Aimer/Aimeri li chaitis; 2. Baudus von Valfondee, heidnischer König, Neffe Deramés, Cousin Rainouarts, am Ende zum Christentum bekehrt. Nr. 1 heißt in der Ausgabe von Régnier (nach A) zumeist (in allen Kasus) Baudus, Nr. 2 (in allen Kasus) Bauduc. Daneben gibt es für Nr. 2 die Formen Baudin und Baudus. Wenn Holtus in seiner Ausgabe im Namensregister von nur einer Person, dem Cousin Renoarts ausgeht, nimmt er offenbar an, der Jongleur habe vergessen, daß er ihn M 5194 sterben ließ. Solche Irrtümer kommen in der Chanson de geste in der Tat mitunter vor. Doch hier spricht nur wenig für einen solchen Irrtum. Die Verwechslung der beiden
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Namen in den Hss. dürfte durch Laisse CII ausgelöst worden sein, wo beide Personen auftreten, aber vielleicht nicht schon in der Erstfassung. Jedenfalls fehlen die Verse M 5104–5113 in D und E (in D auch noch die bis 5116). In diesem leicht entbehrlichen, vielleicht sekundären Einschub wird Nr. 2 erstmals genannt, um auf den Zweikampf mit Renoart/Rainouart vorauszuweisen. Dann aber ist wieder wie zuvor von Nr. 1 die Rede, der den Beinamen de Valfondee M 5146 (nur Hs. E Val Penee) erhält, obwohl er M 5089 Baudus d’Amerie (Varianten in den Hss. Aumarie, Aimeri, Alorie), Nr. 2 jedoch de Valfondee (Vausegree M 5104!) hieß. Das läßt sich wohl nur als dem Reimzwang geschuldeter Irrtum einstufen. In der letzten Laisse von M, die nur in dieser Hs. vorkommt, wird Nr. 2 jedenfalls Baudin de Valfondee genannt. Nr. 2 heißt denn auch in M fast regelmäßig Baudin(s), Nr. 1 dagegen Baudus. Verwechslungen kommen zwar vor, sind aber sehr selten: M 1644 und 1732 steht Baudin(s) fälschlich für Baudus (Nr. 1). Einmal ist Baudor für Baudin verschrieben (M 5112). Baudus (Nr.1) heißt aber nie fälschlich Baudin(s). Man darf also von einer konsequenten Trennung zweier Personen ausgehen. Baudins läßt sich leicht als Baudius oder Bauduis verlesen. Daraus scheinen bei Wolfram Poidjus und Poidwiz (mit rätselhafter Veränderung des Vortondiphthongs) geworden zu sein.²¹ Obwohl also vermutlich nur aus einer einzigen afrz. Form abgeleitet, gibt es hier offenbar sogar drei Personen: die Heidenkönige 1. Poidwîz, Sohn des Ankî (Wh. 36,24), 2. Poidwîz, Sohn des Oukîn, Herrscher von Raabs, von Heimrich dem schêtis erschlagen (350,12 u. ö.); 2. Poidjus, Herrscher von Griffâne, Oriende, Tasmê, Triande, Koukesas, Enkel Terramers, gegen Ende der Schlacht von Rennewart verfolgt (36,8 u. ö.). Beide Namen sind im Reim belegt, ebenso die Vaternamen Ankî und Oukîn, welche gleichwohl auch nur auf eine einzige Person in ‚Aliscans‘ zurückgehen, deren Bezeichnung aber auch schwankt: Achin(s), Aqin, Auchin, Ayqis in M, in anderen Hss. auch Aquin, Ainquin, Aichin etc. Es ist natürlich nicht möglich, hier die anderen Namen in derselben Weise zu verfolgen. Zu den wichtigsten finden sich Anmerkungen zum Übersetzungstext. Nicht selten habe ich stillschweigend eine nicht wirklich philologisch begründete Entscheidung getroffen, insbesondere wenn der Name in ‚Aliscans‘ ganz selten und/oder bei Wolfram gar nicht vorkommt. Bisweilen habe ich die Namen auch ‚übersetzt‘, wenn die Gleichung mit einem realen Ort oder Heiligen einigermaßen klar schien: Cordoba – Cordes, Donis/Denis – Dionysius etc. Mitunter wäre da vielleicht noch größere Vorsicht angebracht gewesen. Zweifel hegen kann man auch in vielen Fällen, ob das auslautende –s/-z eine Nominativendung darstellt oder zum Stamm gehört. Auch Wolfram bietet
21 Vgl. Knapp 1974, S. 210f.
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da keine Hilfe, da er diesen Auslaut meist, aber nicht immer so übernimmt, als sei er kein Kasuszeichen. Ich habe es im Zweifelsfall als solches gewertet und nach dem neufranzösischen Vorbild in der Übersetzung weggelassen, also z. B. stets Guillelme, nie Guillelmes hingeschrieben (s. o.). Die im Afrz. obligatorische Auslauverhärtung habe ich dagegen stets beibehalten, auch wo dies in der nfrz. Schreibung nicht der Fall ist (wie bei Rolant – Roland). Nicht nur bei der Lautung/Schreibung der Namen können Probleme auftauchen, sondern auch bei der Bedeutung. Dafür sei das Beispiel France/Franc/ François herausgegriffen.²² Nach Wathelet-Willem²³ bedeutet France in ‚Aliscans‘ weder das Reich Karls des Großen noch allein die Ile de France, sondern das Land Frankreich des 11. und 12. Jh. So einfach ist die Sache aber nicht, da die nominelle Lehenshoheit des Königs von Frankreich ja bis ins ausgehende Mittelalter mit der tatsächlichen Macht der Krone nie übereinstimmte. Die Grenze der Lehenshoheit war die Reichsgrenze. Das Herzogtum Lothringen und das Königreich Burgund gehörten zum Imperium Romanum. Aber innerhalb des Lehensverbandes von Frankreich lagen alle Gebiete von Flandern im Norden bis zur Grafschaft Toulouse in Süden. Tatsächlich könnte France an einigen Stellen des Werks in diesem weiten Sinne gemeint sein. Aber daneben gibt es das „eigentliche Frankreich“, la droite France, wie es M 4818 ausdrücklich heißt. Die anderen Hss. haben zwar auch hier douce France. Aber ein schlichter Fehler kann das in M kaum sein, denn die geflüchteten Feiglinge wollen da wirklich in den Norden des Landes. Sie selbst sprechen dann alternativ von France (M 4832) und Borgogne (M 4834). Renoart sagt, daß ihm als dem Gatten von Aelis Franzosen und Burgunder dienen würden (M 6525). Und bei den Truppen Guillelmes/Guillaumes werden die Südfranzosen, die Narbonneser, die von der Gironde (M 4940), die Toulosaner (M 6, 20, 2889) und andere offenbar fein säuberlich von den François unterschieden. France scheint also abwechselnd die Krondomäne oder Frankreich nördlich der Loire oder ‚ganz‘ Frankreich zu bezeichnen, ohne daß sich immer der genaue Wert bestimmen ließe.
22 Langlois 1904 übersetzt franc und françois gleicherweise mit „les Français“. Es gibt in der Tat keine Anzeichen dafür, daß man da einen Unterschied gemacht hätte, erst recht nicht dafür, daß man überhaupt in den Helden der Chansons de geste (germanische) Franken gesehen hätte. Anders Gerhard Rohlfs im Namenregister seiner Ausgabe des afrz. Rolandsliedes 1974, der zwischen franc und françois unterscheidet. Wolf Steinsieck gibt in seiner Übersetzung desselben Epos 1999 sogar beides mit „Franken“ wieder. 23 Jeanne Wathelet-Willem, Recherches sur la Chanson de Guillaume, Paris 1975, S. 597.
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Zur Übersetzung Einer Übersetzung des vorliegenden Textes stellen sich neben den speziellen Problemen, welche aus der oben kurz skizzierten sprachlichen Fassung resultieren,²⁴ noch eine Menge anderer entgegen, die sich dem Gattungsstil der Chanson de geste verdanken. Irgendeinen Versuch, die äußere Form des afrz. Epos nachzuahmen, habe ich nicht unternommen. Die Anordnung der Übersetzung nach den Versen des Originals wird zwar nur verlassen, wo die deutsche Syntax beim besten Willen die Beibehaltung nicht mehr erlaubt hat. Doch geschieht dies nur, um Kennern des Originals die Überprüfung zu erleichtern. Die afrz. Assonanz, die sich stark dem Reim nähert, wird im Deutschen nirgends auch nur angedeutet. Dabei steuert der Reim doch die poetische Praxis des Jongleurs schon bei der Produktion in hohem Maße. Die Länge und Häufigkeit bestimmter Laissen hängt erkennbar von der Zahl der verfügbaren Reimwörter ab. Die Reime auf –é, -ez, -ee, -ant, -anz/-ans, -er sind im Afrz. am leichtesten zu finden. Um sie zu erzeugen, greift der Sänger aber übermäßig oft zu synthetischen Verbalformen mit Partizipien und Infinitiven, die den Übersetzer vor unlösbare Probleme stellen. So ergeben sich ständig Inchoativa, Durativa, Plusquamperfekta, Futura Exakta etc. Ich habe sie im Deutschen nur nachgeahmt, wo es stilistisch halbwegs möglich schien, meist jedoch die einfachen Formen gewählt. Vielleicht hätte man hier sogar noch konsequenter verfahren sollen. Einen Bedeutungsunterschied zwischen Passé simple, Passé composé und Präsens historicum konnte ich kaum je feststellen. Bisweilen wechseln sie in ein und demselben Satz. Ich habe meist deutsches Präteritum, selten dagegen Perfektum eingesetzt, wenn ich perfektive Aktionsart aus dem Zusammenhang (nicht aus der afrz. Form!) erschlossen habe. Doch gelegentlich auch das historische Präsens zu verwenden, wie es die neufranzösischen Übersetzungen mehr oder minder häufig tun, schien mir dagegen zu spekulativ. Eine Ausnahme mache ich nur dort, wo der Sänger danach auch noch einen Ausblick im Futur macht, das sich im Deutschen nicht gut an ein Präteritum anschließen läßt. Man müßte Konjunktiv II verwenden, wodurch aber der Eindruck erlebter Rede entstünde. Noch schwieriger stellen sich die Verhältnisse beim Duzen und Ihrzen dar. Während im Höfischen Roman in diesem Punkt offenbar bisweilen gesellschaftliche Regeln sprachlich abgebildet werden, legt ‚Aliscans‘ hier eine schwerverständliche Nonchalance an den Tag. Renoart und sein Cousin Baudin zum Beispiel reden einander unterschiedslos mit Du und Ihr an. Und dies ist der Regelfall
24 Die für mich schwierigsten Stellen habe ich meinem Pariser Kollegen René Pérennec vorgelegt und reichlich von seinem Rat profitiert. Es sei ihm herzlich dafür gedankt.
Zur Übersetzung
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in allen Reden. Guidot/Subrenat übernehmen dies zwar beim Redewechsel, vereinheitlichen es jedoch innerhalb derselben Rede. Da ich aber beim besten Willen kein Argument finde, in welche Richtung ich vereinheitlichen sollte, habe ich die Inkonsequenz konsequent beibehalten, auch wo sie den deutschen Leser verwirren könnte. Die sprachliche Form der Chanson de geste ist insgesamt von einem hohen Grad der Stereotypie gekennzeichnet. Dieselben Ausdrücke kehren unzählige Male wieder. Ich habe dies weder aufzulockern noch als stilistisches Markenzeichen herauszustellen gesucht, sondern unbekümmert alles zugelassen, was mir semantisch erträglich schien. So kehrt z. B. presse ständig wieder. Es bedeutet „Gewühl, Gedränge, Getümmel, Knäuel“, hier im speziellen Fall „Kampfgewühl“ etc. Ich habe die Synonyme wahlweise nach Gutdünken verwendet, so wie in anderen Fällen umgekehrt zwei verschiedene afrz. Ausdrücke in einem deutschen zusammenfallen lassen, wo ich im Deutschen nicht mehr als einen gefunden habe. Grundsätzlich beibehalten habe ich die häufige stilistische Figur des Hysteron proteron. So werden z. B. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang meist erst ‚nachgeliefert‘, wenn der Anbruch des Tages bzw. der Nacht schon festgestellt worden war. Nicht anders bin ich bei den alten, schon in der Antike üblichen epischen ecce- und cernas-Formeln verfahren. Bei den Wendungen vom Typus „Hier hättet Ihr sehen können, wie etc.“ war dies auch kaum anders möglich. Statt „Siehe da etc.“ hätten aber wohl auch ein „Da kam etc.“, „Da waren etc.“ oder dergleichen ausgereicht. Mir schien dies aber den speziellen epischen Charakter nicht genügend herauszukehren. Schwierig auch der Umgang mit den beliebten Einzigartigkeitshyperbeln. Immer wieder beteuert der Epiker, diese oder jene Person sei die schönste, größte, kräftigste, wildeste, scheußlichste in Frankreich, der Welt etc. Das kann in unmittelbar sprachlich einleuchtender Form geschehen wie z. B. M 6076 Hanc plus fers hom ne fu de mere neç „Nie wurde ein wilderer Mann von einer Mutter geboren“ (wörtlich Plusquamperfekt). Meist lautet die Formulierung aber wie M 6048 „Hanc si fort home ne fu de mere neç „Nie wurde ein so starker Mann von einer Mutter geboren.“ Hier liegt eine Ellipse vor. Vollständig müßte der Satz lauten „Nie wurde (nochmals/anderswo) ein so starker Mann von einer Mutter geboren (wie Baudin).“ Aus dem Zusammenhang ist die Sache aber wohl klar, so daß ich diese Ellipsen in der Übersetzung belassen habe. Zu den Eigenarten des Altfranzösischen überhaupt, des heldenepischen Stils aber in besonderem Maße gehört schließlich die spärliche Verwendung von Konjunktionen zur eindeutigen Markierung von Parataxe und Hypotaxe. Sie werden in der Übersetzung weit häufiger gebraucht als im Original, auch wo die
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intendierte syntaktische Beziehung nicht sicher anzugeben ist. Nur bei et „und“ habe ich ebenso Streichungen wie Zusätze vorgenommen ohne jeden Versuch, Asyndeton und Polysyndeton als stilistische Phänomene zu bewahren, da sie im Deutschen einen ganz anderen Effekt ergeben. Die von Holtus in seiner Ausgabe vorgeschlagene Interpunktion habe ich sehr häufig nicht in die Übersetzung übernommen. Die bisher unternommenen Übersetzungen von ‚Aliscans‘ sind natürlich mit allen diesen Phänomenen durchaus verschieden umgegangen. Sie konnten sämtlich nur bedingt zur Hilfe herangezogen werden, denn sie haben alle ja eine andere afrz. Fassung zugrundegelegt, Chacornac 1933, Newth 1992, Boutet 1996 die Version Ars, Guidot/Subrenat 1993 die Version A. Die einzige englische Übersetzung von Newth 1992 ist zudem in Versen abgefaßt, damit allerdings immer noch weniger frei als die Prosaversion von Chacornac 1933, die nur als Nacherzählung gelten kann. Boutet 1996 gibt nur eine schmale Auswahl aus dem Text. Am meisten habe ich von Guidot/Subrenat 1993 profitiert, doch anders als diese habe ich die alte, gute Faustregel jeder Übersetzung „So getreu wie möglich, so frei wie nötig!“ im Zweifelsfall grundsätzlich zugunsten der wörtlichen Treue ausgelegt – bis zur Grenze des im Deutschen Erträglichen. Dies alles am leichtesten überprüfen könnte man in einer zweisprachigen Ausgabe. Der Verlag hat sich aus Kostengründen dagegen entschieden. Der Benutzer muß gegebenenfalls daneben die Ausgabe von Holtus heranziehen, die als E-Book wieder zugänglich gemacht wurde. Allerdings weicht die Übersetzung ja, wie gesagt, an unzähligen Stellen von M ab, die in den Anmerkungen angeführt werden. Der praktische Vorteil einer zweisprachigen Ausgabe würde so doch einigermaßen beeinträchtigt, weit mehr aber noch durch die ‚Unlesbarkeit‘ dieser Fassung M. In den Anmerkungen konnte ja nur ein Bruchteil ihrer sprachlichen Eigenarten vermerkt werden. Einiges wird in dieser Einleitung genannt, weit mehr, aber auch keineswegs alles Wesentliche, in der Einleitung zur Ausgabe von Holtus. Etliche notwendige Zusätze zu dem verstümmelten M-Text hat auch schon Holtus aus anderen Handschriften in Kursivdruck eingefügt. Ich habe diese sowie weitere eigene Zusätze in spitze Klammern, Verse dagegen, welche ich für sekundäre und sinnstörende Interpolationen halte, in eckige Klammern gesetzt. Kein Buch sollte ohne Blick auf den potentiellen Leser (geschlechtsneutral verstanden) geschrieben werden. Als solcher kommt im vorliegenden Falle in allererster Linie der Germanistikstudent in Frage, der die Vorlage von Wolframs ‚Willehalm‘ kennenlernen will. Wenn die Kenntnis des Altfranzösischen schon bei den Romanistikstudenten immer mehr zurückgeht, so ist sie bei kaum einem Germanistikstudenten überhaupt vorhanden, wenn aber doch, so schwerlich in so ausgedehntem Maße, daß er mit diesem ‚unlesbaren‘ Text etwas anfangen könnte. Und dafür hätte er einen doppelt so hohen Buchpreis wie für die Ausgabe
Literaturverzeichnis
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der alleinstehenden Übersetzung bezahlen müssen. Unter diesen Umständen ist es dem Übersetzer nicht schwergefallen, dem Verlagskalkül zuzustimmen.
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Übersetzung Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans Guillelmes und Viviens Abwehrkampf¹ I. (WHR 1, Ars 1, A 1) An jenem Tag, an dem das Leid groß war und die Schlacht auf Aliscans² stattfand, erlitt Graf Guillelme³ sehr große Drangsal. Gut kämpfte dort der Paladin Bertram,⁴ 5 Gaudin der Braune und der streitbare Guichart,⁵ Girart von Blaye,⁶ Gautier von Toulouse, Ernaut⁷ von Saintes, Huon⁸ von Mailand.⁹
1 Sämtliche Titel der Textgliederung stammen vom Übersetzer. – Die Nummerierung der Laissen stammt von den Herausgebern, nur bei Ars vom Übersetzer. 2 Name des Schlachtfelds mit reichen lautlichen Varianten in M und in der restlichen Überlieferung. Ob er als Singular (vgl. die Formen auf -ant) oder Plural verstanden wurde, läßt sich nicht sichern. Es wird jedenfalls kein Artikel gebraucht (nfrz. les Aliscans). 3 Dies (bzw. im Casus rectus Guillelmes) ist die fast durchgehende Form in Hs. M. Die überwiegende Form in der Überlieferung insgesamt lautet Guillaume. Wolfram verwendet die vermutlich (aus mhd. Willehelm) halb romanisierte Form Willehalm (die allerdings gelegentlich auch im Ahd. belegt ist), zitiert aber auch einmal die ausländische, französische Form Wh. 3, 11 als Gwillams. Sie entspricht der Form Guillame(s), die u. a. in Ars häufig neben Guillelme(s) auftaucht – ein erster Hinweis darauf, daß Wolfram keinesfalls eine frankoitalienische Vorlage benutzt hat. 4 Bertram, ein Neffe Guillelmes, wird siebenmal im Text palatin oder palasin (je nach Hs.) genannt, ansonsten nur noch Guillelme selbst conte palatin/palasin. Das Wort bedeutet „zum palatium, der Königspfalz, gehörig“, es konnte im mittelalterlichen Frankreich einen königsnahen Magnaten, aber auch einen Amtsträger des Königs oder schlicht einen Höfling bezeichnen. Ich übersetze behelfsmäßig mit „Paladin“, obwohl in ‚Aliscans‘ die Paladine Karls des Großen unbekannt scheinen. 5 So statt der italienisierten Form in M: Guiçard. Wolfram hat die nordöstliche Form Witschart. 6 Girard de Blais M. Der Beiname bezieht sich ohne Zweifel auf Blaye (oktitanisch Blaia) an der Gironde. In anderen Hss. heißt er jedoch Blaives oder Blave(s). Danach Wolfram Gêr(h)art von Blavî. 7 Der Name in M meist mit hyperkorrektem H- wie auch sonst im Afrz. Es ist der fränkische Name Arnald, Arnold < Arnwald. Wolfram hat im Wh. dafür Arnalt. 8 Ich setze die im Afrz. seltene, im Nfrz. übliche Obliquusform für die in den Hss. meist verwendete Rectusform Hues, M Heues. 9 Identifikation des Namens Meleanç, Mielanç, Melans etc. fraglich.
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Übersetzung
Am besten von allen kämpfte dort Vivien. An dreißig Stellen war sein Kettenpanzer durchlöchert, 10 sein Schild zerbrochen und sein strahlender Helm. Sieben Wunden hatte er mitten auf beiden Seiten, an der geringsten davon wäre ein Deutscher¹⁰ gestorben. Viele Türken und Perser¹¹ hat er getötet, aber das galt ihm nicht soviel wie die Hälfte von zwei Hellern;¹² 15 denn hundert kamen aus den Schiffen und den Lastkähnen und den Dromonen¹³ und den Schnellbooten. Niemals hat ein lebender Mensch so viele gesehen. Von Schilden und Waffen war das Archant¹⁴ bedeckt. Groß war der Lärm der verräterischen Schurken, 20 und wild war die Schlacht und der Kampf schwer; auf der Erde floß in Strömen das Blut. II. (WHR 2, Ars 2, A 2) Graf Guillelme stürmte durch das Schlachtgetümmel, sein Schwert war gefärbt vom Blut und vom Schweiß. Mitten auf dem Weg begegnete er einem Emir; 25 so heftig schlug er mitten auf dessen blumenverzierten Helm, daß er ihm sein leuchtendes Schwert bis in die Brust stieß.
10 Der abwertende Vergleich mit einem Deutschen ist in diesem Zusammenhang verwunderlich. A und Ars haben hier amirans ‚Emir, heidnischer Anführer‘. Vgl. aber 815. 11 Die Heiden heißen entweder, sofern sie nicht mit Schimpfwörtern belegt werden, paien(s), Saracin(s) oder Tur(s)/Turc/Turz, Persan(s)/Persant/Persanz, Esclavon(s)/Esclé/Escler/Esclez (vgl. V. 376), ohne daß ein Bedeutungsunterschied erkennbar wäre. 12 Eine der Metaphern für Kleinigkeit, Nichtigkeit. Ich versuche, solche Metaphern, wo es nur irgend geht, so wörtlich wie möglich wiederzugeben. Die meisten Übersetzer schreiben „gar nichts“ oder dergleichen, was ich auch nicht immer vermeiden kann. – In diesem speziellen Fall verwende ich für afrz. denier deutsch „Heller“, da damit am besten der geringe Wert zum Ausdruck kommt. In der Realität entspricht allerdings der mittelalterliche denarius, afrz. denier, seit dem 10. Jh. dem deutschen Pfennig. Wo die reale Münze gemeint ist, ‚übersetze‘ ich mit „Denar“. 13 Aus Byzanz stammender Typ des Kriegsschiffs. 14 Variante des Namens Aliscans oder (eher) Teil dieses Schlachtfeldes, meist im Singular, oft aber auch im Plural gebraucht (li Archant/Archans, einmal auch, vermutlich versehentlich, im Femininum: M 52 Totes les Archanç), fast immer mit dem Artikel, daher hier in der Übersetzung „das Archant“ gemäß der vermutlichen Herkunft aus l’Archamp (so in der ‚Chanson de Guillaume‘) „das trockene Feld“(?). Vgl. Rolin, Ausg., S. XLVI–LIV. Wolfram hat den Artikel als Teil eines Namens für einen Fluß auf dem Schlachtfeld Alischanz aufgefaßt: daz wazzer Larkant.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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Darauf tötete er Pinel, den Sohn Cadors. Der Graf schlug ihn mit Kraft und Stärke, doch es waren dort so viele von dem Heidenvolk, ¹⁵ 30 Jetzt siehe da, wie Deramé,¹⁶ ihr Herr, sehr kraftvoll auf seinem Wallach herangaloppierte. Die Leute des Kaisers von Indien waren bei ihm, die von Palermo und die von Straenor;¹⁷ das ist ein Volk, das keine Liebe zu Gott hat. 35 Er trug eine Lanze mit sehr roher Wildheit. An jenem Tag hat er viele Söhne von Vasallen getötet und dem Guillelme den Sohn seiner Schwester. Oft hat er das große Kampfgetümmel durchstreift. Laut schrie er: „Ihr werdet alle qualvoll sterben! 40 Heute wird Guillelme sein Ansehen verlieren, denn keiner seiner Leute wird diesen Tag überstehen.“ Der Graf hörte es, er war darüber sehr zornig; Er sah recht gut, daß er der Unterlegene war. Oft rief er Jesus, den Schöpfer, an. III. (WHR 3, Ars 3, A 3) 45 Graf Guillelme sah seine Leute sterben; Es lastete schwer auf ihm, daß er sie nicht schützen konnte. Er suchte Vivien, konnte ihn aber nicht sehen. Als er ihn nicht fand, glaubte er den Verstand zu verlieren. Aus Zorn griff er einen Heiden an, 50 bis zu den Schultern ließ er ihn das Schwert spüren. Nun begannen die Sarazenen dreinzuschlagen. Das ganze Archant hättet ihr von ihnen bedeckt sehen können;¹⁸ sie machten einen solchen Lärm, daß sie die Erde erbeben ließen. Kühn griffen sie unsere Leute an. 55 Da hättet ihr einen wilden Kampf toben sehen können,
15 Einschub von WHR 27. Diesen und die weiteren Einschübe hat schon Holtus vorgenommen. Ausnahmen werden vermerkt. 16 Dies die in M häufigere Form neben Desramé, das in den anderen Hss. dominiert. 17 cil de Straenor M, li Estraneor WHR. Vielleicht ein Latinismus wie afrz. Francor < Francorum. Dann wäre die Lesart in M nicht zu halten. 18 Beliebte Stilfigur, entsprechend der antiken cernas-Formel.
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so viele Lanzen zersplittern und so viele Schilde zerbersten, und so viele Halsbergen¹⁹ zerbrechen und zerreißen, so viele Fäuste, so viele Füße, so viele Köpfe abschlagen, den einen tot auf den anderen fallen und sterben. 60 Mehr als Zehntausend hättet ihr fallen sehen können; die Schreie konnte man fünf Meilen weit hören. Und Vivien focht voll Kampfeseifer²⁰ auf dem Archant, aber er war dem Tod nahe; aus seinen Wunden sah er seine Gedärme herausquellen. IV. (WHR 4, Ars 4, A 4) 65 Vivien befand sich mitten auf dem Archant,
und seine Gedärme fielen ihm aus dem Körper heraus. Und er nahm den Wimpel von seiner schneidenden Lanze.²¹ Mitten an den Seiten hielt er das Austreten sorgfältig zurück.²² Dann setzte er sich wieder auf sein Streitroß.²³ 70 Unter die Heiden stürzte er sich, mit dem stählernen Schwert tötete er viele. Der Kühnste ergriff vor ihm die Flucht; direkt zum Meer trieb er sie mit seinen Schlägen.
19 Ich verwende diesen mittelalterlichen, im 18. Jh. wiederbelebten Ausdruck (mhd. halsberge fem., halsberc mask., afrz. halberc, hauberc mask.), der ursprünglich nur den Halsschutz, dann aber das ganze Panzerhemd aus Eisenringen bezeichnet, das unten bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, oben jedoch auch Kopf und Hals bedeckte. Dieser oberste Teil wurde dann aber meist abgetrennt und als Helmbrünne unter dem Helm und über den Schultern des Panzerhemds getragen. Die Helmbrünne heißt im Afrz. meist coife, coiffe, so wohl auch in unserem Text. Damit bezeichnet man allerdings seit dem 12. Jh. auch eine lederne Bundhaube, die unter der Helmbrünne getragen wurde. 20 aïr „Eifer“ nach TL 1, 251 zu trennen von ire und seinen Ableitungen irer, iré etc., welche ihrerseits semantisch über den Bereich des Zornes auch auf Furcht, Gram, Kummer, Trauer ausgreifen – vgl. TL 4, 1440–44. 21 esplé M, espil WHR, Ars, espié A. Im Franko-Italienischen fallen afrz. espee „Schwert“ und espie(t) „Lanze, Spieß“ lautlich oft in esple/esplee zusammen. Nicht immer ist die Entscheidung inhaltlich so eindeutig wie hier. 22 par mi ses flains se vait bien estagnant M, Parmi les flans le vait fort estraigant Ars ~ A „Um den Leib schnürte er ihn (den Wimpel) fest“. In M scheint die Vorstellung vom Blutstillen auf den Austritt der Gedärme übertragen zu sein. 23 auf(f)erant < alferant eine offenbar aus dem Arabischen übernommene Bezeichnung für ein Streitroß.
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75 Aus einem Tal kam die Truppe Gorhants²⁴ heraus,
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das sind Leute von sehr wildem Aussehen, sie sind alle von vorne und von hinten hornhäutig,²⁵ jeder trug einen schweren Streitkolben, ganz aus Blei und ebenso aus Eisen; mit diesen Bleikolben trieben sie ihre Tiere an. Zehntausend waren es von diesen verräterischen Schurken. So laut heulten sie alle miteinander, daß die Küste davon völlig erzitterte. Als Vivien Gorhants Leute von dieser Art und mit diesem Aussehen wahrnahm, und den Lärm, den sie machten, erschrak er darüber, was mich nicht erstaunt; er wendete den Hals des Kampfrosses zurück. Er ist noch nicht eine Lanzenlänge weit geflohen, als er vor sich einen Wasserlauf erblickte; nun wußte er wohl, daß er seinen Schwur gebrochen hat. Der edle Mann hielt jetzt an, zum Herrgott rief er sein Schuldbekenntnis und schlug sich mit seiner rechten Hand an seine Brust: „Gott, mea culpa, daß ich so geflohen bin, Ich bin noch nie in meinem ganzen Leben geflohen! Die Heiden werden gleich dafür, und allein deswegen, bezahlen.“ In Richtung auf einen Vachier²⁶ gab er die Sporen; Gott kümmere sich um die Seele, sein Ende rückt nahe!
24 Varianten des Namens in M Gorhant, Gorant, Gorher, Gorier. Auch Hs. D Gorier, daher wohl auch Wolfram Grohier/Crohier. 25 Tuit sont cornuç e dariere e davant ~ cod. cet. „Avec des cornes derrière et devant“ (Boutet), „Their skin is spiked both at the front and rear!“ (Newth), daz volc was vorn und hinden horn Willehalm 35,13. Die Auffassung Wolframs scheint mir den Vorzug zu verdienen, auch wenn „hürnen“ im Afrz. normalerweise cornin oder corné heißt. Vgl. den Suffixtausch in fondu/fondé M 714. 26 Régnier, Glossar, s. n., vermutet dahinter den Namen eines Heidenvolkes (von vachier „Kuhhirt“?), der Leute Gorhants. M hat hier stattdessen un archier „einen Bogenschützen“ (ebenso V. 100, 119). Da aber auch in M 138 vacher steht, wird dieses das Ursprüngliche und archier verderbt aus Vachier sein.
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V. (WHR 5, Ars 5, A 5) Vivien, der nie mehr fliehen wollte, kehrte um zu den Vachiers, die Gott verfluchen möge. Mit den ersten Schlägen hat er sie zerteilt, bis zum Gehirn ließ er sie das Schwert spüren. Und diese schlugen auf ihn voll Eifer mit den Streitkolben ein, mitten aus seiner Halsberge ließen sie ihm das Blut herausspritzen, und durch den Helm das Hirn herausquellen. Gott kümmere sich um den Grafen; er ist dem Tod sehr nahe! Aber Gott gefiel es nicht, daß er schon dahinscheiden sollte, noch ehe Guillelme käme, ihn zu beerdigen, der voller Eifer auf dem Archant kämpfte. Siehe da Bertram, den Gott segnen möge, der hundert Türken von einer Truppe in die Flucht geschlagen hatte. Den Schild haben sie ihm durchlöchert und zertrümmert und seine Halsberge zerbrochen und zerrissen; sein Schwert war ganz ruiniert²⁷ vom Austeilen der Schläge. Graf Bertram war voller Eifer. Als er die Pferde in Massen kommen sah, fürchtete er sie sehr – ich möchte euch hierüber nicht belügen. Er wußte nicht, was er tun sollte; zu ihnen wagte er sich nicht zu wenden.
VI. (WHR 6, Ars 6, A 6) Graf Bertram sah viele Vachiers 120 von der Truppe des Sarazenen Gorhant herankommen; in vier Scharen waren²⁸ es gut zehntausend. Alle waren sie hürnen und schwarz wie Teufel. Graf Bertram wagte nicht, ihnen näher zu kommen, das ist kein Wunder, keiner darf sich hierüber wundern, 125 denn so viele Dämonen muß man sehr fürchten. Als er sich zurückziehen mußte, sah er Vivien unter ihnen kämpfen,
27 eschiez M, torciés Ars, osciés WHR. Holtus verzeichnet die Bedeutung „intaccare, scheggiare“ für *eschier mit Fragezeichen. Vgl. TL 6, 1325f. oschier „einkerben, schartig machen“; 10, 409f. torchier „abwischen, einreiben, Streiche geben, schlagen“. 28 Ich übersetze furent WHR, A, nicht fussent M (Konjunktiv).
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wo dieser schrie: „Monjoie,²⁹ Ritter! Onkel Guillelme, so kommt mir doch zu Hilfe. Und Bertram, welch tödliche Gefahr! Madame Guiborc, Ihr werdet mich nicht mehr wohlbehalten sehen! Mein Tod ist nah, ich sehe³⁰ hier keine Rettung.“ Bertram hörte ihn, er glaubte den Verstand zu verlieren. Er rief Gott an, den wahren Richter: „Herr Vivien, nun handle ich mehr als feige, da ich Euch nicht mit meinem Schwert zu Hilfe komme!“ Bei diesen Worten hat er seinem Pferd die Sporen gegeben. Wer ihn diese Vachiers in Stücke schlagen gesehen hätte, den einen über den anderen tot zu Fall bringen, der müßte ihn deshalb sehr wohl loben und preisen. Jeder von beiden hatte den Wert von Rolant³¹ und Olivier. So sehr schlug Bertram nach vorne und hinten, daß er die große Menge sehr lichtete. Er sah Vivien und eilte zu ihm, um ihn zu umarmen; einen ganz Blutigen küssen hättet ihr ihn sehen können. Graf Bertram sah, wie an ihm das Blut überall hinunter rann und auf die Erde floß. Wenn es ihn schmerzte, darf sich keiner darüber wundern. „Herr Vivien“, dies sprach der Timonier,³² „bei der Liebe zu Gott, der über alles herrscht, so legt Euch an diesem Tümpel nieder, unter diesen Baum, den ich dort Schatten spenden sehe. Ich werde bleiben, um Euch zu bewachen. Eure Wunden sind groß, sie hören nicht auf zu bluten.“ Vivien hörte es; er konnte den Kopf nicht heben, zweimal fiel er ohnmächtig auf den Hals des Pferdes. Ohne seine Steigbügel wäre er hinuntergefallen.
29 Schlachtruf der Christen schon im ‚Rolandslied‘, ursprünglich von Pilgern und Kreuzfahrern benutzt. Vermutlich < Mont Joie „Berg der Freude“ = das himmlische Jerusalem. 30 n’i voil M, n’i a WHR, Ars, n’i ai A. voil „ich will“ wird von Holtus nicht registriert oder erklärt und muß wohl für voi verschrieben sein. 31 Ich gebrauche hier die nfrz. Form für den berühmten Helden der ‚Chanson de Roland‘, allerdings mit Auslautverhärtung. 32 Unerklärter Beiname Bertrams. Afrz./nfrz. timonier heißt an sich „Deichselpferd“.
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Siehe da den starken König Auceber;³³ in seinem Gefolge waren zehntausend Heiden. VII. (WHR 7, Ars 7, A 7) 160 Graf Bertram sah Auceber herannahen,
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In seinem Gefolge waren zehntausend Ritter. „Gott“, sprach Bertram, „der du über alles herrschst, rette uns, Herr, wenn es dir gefallen sollte! Cousin Vivien, nun werde ich Euch sterben sehen, und ich selbst werde dabei keinen Schutz bieten können.“ Vivien hörte ihn und begann zu beben; er sagte zu Bertram: „Wir haben keine Wahl. Solange wir leben, laßt uns Heiden erschlagen; Ihr werdet mich diesen Tag nicht überleben sehen. Rettet Euch,³⁴ mir bleibt nur noch zu sterben. Aber ich sehe noch Heiden anrennen.“ Mit diesen Worten haben sie den Angriff wiederaufgenommen, Köpfe und Arme hieben sie von den Körpern ab, und die Hirne ließen sie nach oben spritzen. Keinen Heiden sah man, der sie anzugreifen gewagt hätte.³⁵ Wild warfen sie aus der Ferne die Lanzen, sie brachten Bertrams Pferd unter ihm zu Fall. Mehr als fünfzig wollten ihn ergreifen, als Vivien zu ihnen kam, um ihn ihnen zu entreißen. Aber großen Schmerz mußte er dabei erleiden, denn mitten aus seinen Wunden sah er seine Gedärme austreten. Der edle Mann war voll großen Eifers. Einen besseren Vasallen konnte kein Mensch sehen. Mit ganzer Kraft drängte er die Heiden zurück, ließ sie mehr als einen Lanzenwurf weit zurückfliehen. Vivien nahm sich ein gutes Pferd, hieb dann einen Heiden in Stücke.
33 Auceber M, in den übrigen Hss. überwiegend Haucebier, danach Wolfram Halzebier. 34 Ich übersetze Garisiés vos WHR, Ars, A, nicht Gariseç moy M. 35 Paians en voyt qi les out envairir M, Paiens nel voit, qui les ost envaïr WHR, Ars, A. „To see this done each Moor stops in his stride“ (Newth), „À ce spectacle, aucun Païen n’ose plus les attaquer“ (Boutet); „Pas un paien, qui ose se jeter sur eux” (Guidot/Subrenat). Weder en noch nel scheinen einen befriedigenden Sinn zu ergeben. Die Übersetzung ist eine unbeweisbare Notlösung.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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Bertram gab er es,³⁶ der danach verlangte. Vivien sprach: „Denkt daran, Euch zu retten! 190 Seht, wie sich die ganze Erde mit Heiden bedeckt, wenn Ihr mit jedem Schlag hundert von ihnen tötetet, würdet Ihr sehen, wie ein Monat vergeht, ehe sie (alle) tot wären. Gott möge sie verfluchen! Ach, daß ich meinen teuren Onkel nicht kommen sehe,³⁷ 195 den die Sarazenen niemals lieben konnten. Wenn er tot ist, dann müssen wir sterben; denn es gibt keinen anderen Menschen mehr, der Euch retten könnte außer Gott, der Herr, der über alles herrscht.“ Bertram, der danach verlangte, hörte es.³⁸ VIII. (WHR 8; Ars 8; A 8) 200 „Herr Vivien“, sagte Graf Bertram,
„wenn ich Euch alleine lasse und von hier fliehe, werde ich für alle Zeit Scham und Qual empfinden.“ „Nein, Herr“, sagte der edle Vivien, „sucht meinen Onkel auf, dort auf Aliscans, 205 in der großen Schlacht, wo er mitkämpft; schicke ihn um Gottes willen, damit er mir beistehe.“ „Ich werde dies bestimmt nicht tun“, sagte der Graf Bertram, „ich werde Euch nicht im Stich lassen, solange ich am Leben bin, solange ich Euch noch so von Nutzen bin 210 und in meiner Faust das Schwert halten kann, werde ich Euch, wenn es Gott gefällt, ein guter Beschützer sein.“ Dann schlugen sie beide auf die Ungläubigen ein und zertrennten ihnen Rippen und Hüften. Köpfe und Hände ließen sie übers Feld fliegen. 215 Kein Heide sah sie, ohne Angst zu bekommen. Siehe da, wie fünf Grafen heransprengen!
36 Ich übersetze Bertram le rent A, nicht Bertram l’entend M oder Bertram le tent Ars. 37 Ich übersetze ke ne voi mon chier oncle venir WHR, Ars, nicht come voi mon cher oncle venir M, quant ne voi mon chier oncle venir A. 38 Gleichlautender Vers in M wie 188, hier zwar möglich, aber auch nicht sehr sinnvoll. Die anderen Hss. weichen ab.
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Übersetzung
Es waren ihre Cousins aus dem Land der Franken; ³⁹ und Guielin, der weiße Haare hatte, Gaudin der Braune, Huon von Mailand, 220 Gautier von Comarchis,⁴⁰ der Tolosaner. Sie erkannten einander gut an den Kampfrufen. Viele edle Männer verloren hier ihr Leben.
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IX. (WHR 9; Ars 9; A 9) Groß war der Lärm, ich sage es euch fürwahr. Tapfer sind die Grafen, mutig und kühn. Sie werden einander nicht im Stich lassen, solange sie leben. Aber Vivien halte ich für den Kühnsten; vor den anderen hat er den Sarazenenfürsten getötet, der ihn sehr verwundet und übel zugerichtet hatte mitten durch den Leib mit seiner polierten Lanze. Das war die Wunde, die ihm am allermeisten zusetzte. Aber Vivien hat ihn nicht verfehlt, so schlug er ihm mit dem Schwert aus blankem Eisen mitten auf seinen Helm aus strahlendem Gold, daß er ihn bis zu den Zähnen spaltete und zerteilte. Tot stürzte er ihn von dem arabischen Schlachtroß. Die Grafen sagten: „Was für ein Ritter ist das hier! Schütze ihn, Herr, in deiner Gnade!“ Da zogen sich die Heiden, die Feinde Gottes, zurück, und sie sagten alle: „Böse werden wir verhöhnt! Die leibhaftigen Dämonen haben diesen wiedererweckt, denn war er nicht⁴¹ tot seit gestern Mittag? Viel Unheil hat uns der Sohn des Herrn Aymeri⁴² angetan,
39 Einschub von WHR 210. 40 Commercy an der Maas in Lothringen? Paßt nicht zum zweiten Beinamen. Varianten der Hss.: Cormarchi(s), Commarci(s), Commarchi(s) etc. Wolfram: Komarzî. 41 Die Negation ne nur in M, vielleicht fehlerhaft, da keine Fragestruktur des Satzes erkennbar. 42 Dieser Name in M fast immer mit y geschrieben, in den anderen Hss. selten. Wolfram ‚deutscht‘ ihn als Heimrich nur halb ein. – M 4364 trägt Aymeris den Titel dan „Herr“, M 242, 2146, 4284, 7623 aber in der okzitanischen Kurzform n‘ vor dem Namen. Die Hs. schreibt dies allerdings zusammen, also Naymeri(s). Die Namensform bleibt damit aber dieselbe – siehe M 4267.
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Guillelme hat den König Tibaut seiner Ehre beraubt, als er ihm Orable,⁴³ seine Frau, weggenommen und ihn seines Landes ganz beraubt hat. Wenn uns diese Schurken so entkommen, wird uns Mahomet⁴⁴ deswegen sehr zürnen. Zu sehr werden wir ihrem Hochmut nachgegeben haben. Aber noch bevor die Nacht hereingebrochen ist, wird sich Guillelme für sehr geschmäht halten und für schlecht und feige unterlegen. „Fürwahr“, sagte Bertram, „Ihr habt nicht gelogen!“ Da griffen sie ihn wieder wie einen Todfeind an. Da hättet ihr einen wilden Kampf entflammen sehen können, so viele starke Schilde zerspalten und zerstückt, so viele Helme geborsten, zerschlagen und zerstückt. Einen solchen Lärm machten sie, ein solches Gejohle und ein solches Geschrei, daß man sie zwei Große Meilen entfernt gut gehört hat. Diesen Kampf haben die Franzosen gewonnen. Aber bald schon werden sie betrübt und bestürzt sein, wenn Gott nicht an sie⁴⁵ in seiner Gnade gedacht hat.
X. (WHR 10; Ars 10; A 10) Groß waren der Lärm und das Geschrei und das Geheul. Diese Leute wurden dort sehr in Bedrängnis gebracht, als Ariofle⁴⁶ ihnen aus einem Tal heraus entgegenkam 265 mit allen zehntausend ungläubigen⁴⁷ Männern. Die Fliehenden sind zu ihm zurückgekehrt; da wird es einen schmerzhaften Kampf geben. Die unseren haben noch nie einen schlimmeren Tag erlebt, denn solchen Leuten werden sie keinen dauerhaften Widerstand leisten können. 270 Die Streitmacht wendete sich gegen die sieben Grafen,
43 Sarazenischer Name Guiborcs, von Wolfram ‚volksetymologisch‘ zu Arabel umgetauft. 44 Dies die übliche Namensform in den Hss. (daneben Kurzformen Mahon etc.), in M aber meist mit c statt h. 45 Se dé non pensa M, Se dex n’en pense WHR, Ars, A. non muß aus nen verlesen sein. 46 Dies die Namensform in M, in den anderen Hss. überwiegend Aerofle. Wolfram hat Arofel. 47 desfaé wird von Régnier, Glossar, mit „qui n’a pas la foi, infidèle“ wiedergegeben. TL 2, 1577f. setzt diese Bedeutung nicht an, da das Epitheton auch auf christliche Feinde angewendet wird. Überdies wird es gelegentlich mit molt gesteigert (z. B. M 6044), was bei „ungläubig“ problematisch erscheint. Dennoch paßt diese Bezeichnung an vielen Stellen, wie hier, am besten.
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sie warfen ihre Wurfspieße und Wurfsicheln durch die Luft, Es gab niemand, dessen Schild nicht zuschanden gemacht, dessen Halsberge nicht zerfetzt, dessen Leib nicht verletzt worden wäre. Diese verteidigten sich wie grimmige Leute. Jeder hielt sein Schwert ganz entblößt, den Heiden durchstachen sie so manche Brust und so manche Eingeweide,⁴⁸ vielen ließen sie die Gedärme herausfallen. Aber was tut’s? Sie werden hier nicht mehr durchhalten, weil es von den Heiden eine riesige Zusammenrottung gab; viele Pfeile haben sie auf sie abgeschossen. Siehe da, wie Ariofle mit Wucht heransprengte, ein ganz berühmter heidnischer König. Es gab bis zum Lebermeer⁴⁹ keinen solchen Schurken. Er hielt eine Streitaxt von gutem Stahl. Er kam zu Guichart und gab ihm einen solchen Schlag, daß er bis nach hinten seinen Schild zerhieb und sein Pferd mitten durch das Rückgrat; bis zum Boden ging die Axt hinunter, mehr als zwei Fuß tief hinein, meiner Treu. Guichart fiel nach rechts mitten auf die Wiese. Als Ariofle den Sattel geräumt sah –⁵⁰ er war groß und schwarz und hatte mächtige Arme, es gab bis zum salzigen Meer keinen, der so stark war, außer Renoart,⁵¹ der Sohn seiner älteren Schwester, und Auceber von den Hügeln de Valfondée; da wurde die Kraft der Stange auf die Probe gestellt.
48 As paiens colpent maint piç, mainte colee M, As paiens caupent maint poing, mainte corée WHR, Ars. piç könnte pis = pies ‚Füße‘ sein, aber auch piz ‚Brust‘; colee fehlt im Glossar bei Holtus. Es heißt sonst ‚(Nacken)Schlag‘, auch in M, vgl. TL 2 (1956) 558, was hier ausfällt. Ist es hier mit col bedeutungsgleich oder (eher) so viel wie coree ‚Eingeweide‘? 49 mer batee (richtig betee), das sagenhafte geronnene Meer, mare concretum, wo die Schiffe feststecken. 50 Hier liegt in allen Hss. ein Anakoluth vor. Es folgt eine Personenbeschreibung mit einer epischen Vorausdeutung. Erst die erste Zeile der nächsten Laisse nimmt den quant-Satz variierend wieder auf und setzt die Aussage syntaktisch fort. 51 Dies die Namensform in M (dort allerdings ohne Auslautverhärtung) und in anderen Hss., nicht jedoch in Ars. Die Form dieser und anderer Handschriften Rainouart hat sich in der Forschung eingebürgert. Sie steht der fränkischen Vorform Reinwart näher. Wolfram hat eine halbe Eindeutschung: Rennewart.
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XI. (WHR 11; Ars 11; A 11) Als Ariofle Guichart niedergeschlagen hatte, – er war sehr wild und seine Stärke groß –, ergriff er Guichart an der Halsberge, die er trug, und hob ihn wie einen Holunderzweig auf den Hals des Schlachtrosses mit der langen Mähne. Und Guichart rief: „Lieber Onkel, wo bist du? Rettet mich, Herr, Vater, Jesus!⁵² Denn der Mann des Teufels führt mich fort; ich werde von niemandem mehr gerettet werden. Onkel Guillelme, nun habt Ihr mich verloren! Meiner Familie geschah (noch) kein solcher Schaden. Ach, Guillelme, haben Euch die Türken besiegt?“ „Schweig“, sagte der Türke, „ich werde dich vernichten oder ganz töten für meinen großen Gott Cahu.“⁵³ Hierauf entfernte sich der ungläubige Heide. Guichart, der vom Weinen müde war, nahm er mit, und der Heide nahm ihn mit großer Stärke mit, mit ganzer Kraft hat er ihm das Schwert genommen. Dieser schrie: „Herr Bertram, wo bist du? Onkel Guillelme, nun habt Ihr mich verloren!“ Bertram hörte ihn. Gott, solche Schmerzen empfand er noch nicht! Alle sechs Grafen kamen herbeigeeilt, drei von ihnen schlugen dem Heiden auf den Schild – verflucht sei, wer ihn da weggebracht hätte. Oft schlug ihn jeder mit dem scharfen Schwert mitten auf seinen Helm, aber es schadete ihm nicht ein bißchen. Die anderen drei führten einen wilden Kampf, da wurden fünfzig Ungläubige getötet. ⁵⁴ Denn das ganze Feld war von Heiden bedeckt. Sehr großer Schaden wurde ihnen dort zugefügt; denn alle zusammen wurden gefangengenommen und festgehalten
52 V. 303–316 fehlen in Ars, WHR. 53 Dies die übliche Form in den Hss., Chaü in M, Kahun bei Wolfram. Martin 1993, S. 126, vermutet, der Name könne aus einer Kreuzung von Caïn und Chaos entstanden sein. Vgl. auch Heinzle, Komm. zu Wh. 358,13. 54 Ergänzt aus WHR 308.
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außer Vivïen, den sie tödlich verletzt, mit ihren Lanzen durch den Schild hindurch verwundet haben; 330 aber er fällt nicht, da es Jesus nicht gefällt. Bevor er stirbt, wird er sich teuer verkaufen. Gott, welch Verlust! Einen solch kühnen Mann hat es nicht gegeben.
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XII. (WHR 12; Ars 12; A 12) Auf Aliscans gab es ein beeindruckendes Kampfgetümmel. Die heidnischen Sarazenen haben Bertram gefangengenommen, den jungen Guichart, Girart und Guïelin, den tapferen Huon und den angesehenen Gaudin, Gautier von Termes haben sie mit einem Strick gefesselt. Vivien sprach: „Bertram, Herr Cousin, nun führt Euch die Kainssippe davon. Ach, nun wird Guillelme seinen ganzen Stolz verlieren. Gott, warum lebe ich? Daß ich nicht zugrunde gehen kann!⁵⁵ Ich habe zwanzig solche Wunden am Körper unter dem Hermelin, daß an der geringsten ein Barbar gestorben wäre. Aber, bei dem Apostel, den die Pilger anrufen, da ich sehe, daß Gott mir nahe ist, werden mich die Schurken⁵⁶ aus dem üblen Geschlecht nicht wegführen, bevor sie nicht mein gutes, stählernes Schwert spüren.“ Er hatte keinen Schild außer der doppelten Halsberge und seinen grünglänzenden⁵⁷ Helm mit einem Reif aus feinem Gold. Aber alles hatten sie ihm am Morgen zerhauen. Dann rief er den edlen heiligen Dionysius, die heiligen Nikolaus, Paul und Faustin an⁵⁸ und die hohen Engel, die man Seraphim nennt, damit sie ihn vor den Hurensöhnen beschützen, und Herrn Guillelme, den Pfalzgrafen, den besten Grafen, der jemals Wein getrunken hat.
55 Die Satzeinleitung quant statt que erschwert das Verständnis. Sie findet sich nur in M und Ars. 56 cu(l)vert im wörtlichen Sinn meint einen Knecht. Es wird aber in der Heldenepik meist als Schimpfwort mit nicht näher festlegbarer Bedeutung verwendet (vgl. TL 2, 1151f.). 57 Vgl. TL 11, 328 (mit Lit.). Die Behauptung von Schmolke-Hasselmann in ihrer Übersetzung der ChdG zu V. 134, vert sei bei Helmen als vair zu verstehen, trifft wohl nicht zu. 58 Die Heiligen wechseln nach Handschrift.
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XIII. (WHR 13; Ars 13; A 13) Nachdem Vivien sein Gebet beendet hatte, war er wilder als ein Tiger oder Löwe. Mit blankem Schwert besiegte er die Heiden mit Macht. Er erschlug einen Neffen des Barons Ariofle, Weder Schild noch Brustpanzer konnten ihm helfen, er spaltete ihn völlig bis zum Kinn, und warf ihn tot mit den Füßen nach oben auf den Sand nieder. Daraufhin tötete er seinen Bruder Clarïon und Galafrere,⁵⁹ seinen Bruder Glorïon,⁶⁰ und Fausabré, Morant⁶¹ und Rubïon. Weder Türken noch Heiden konnten sich vor ihm retten, sie fürchteten ihn mehr als die Lerche den Falken. So viele tötete er von ihnen, daß man sich nur wundern kann. Aber was tut’s? Von ihnen gibt es eine große Menge. Siehe da⁶² Auceber von jenseits von Kapharnaum – auf der ganzen Welt gab es keinen so schrecklichen Heiden. Er war der Neffe Tibauts und Onkel Sinagons;⁶³ dieser hatte Guillelme viele Tage lang in seinem Gefängnis; unter den Heiden sprach man überall davon. Er hatte mehr Kraft als vierzehn Slawen.⁶⁴ Wollt ihr etwas über sein Aussehen hören? Er war eine halbe Lanze breit im Nacken⁶⁵ und er hatte einen Leibesumfang von einem Klafter, breite Schultern – er sah nicht aus wie ein Junge –
59 In anderen Hss. Agalafre, Agolafre, Galafer, Galafres (D), bei Wolfram Galafre. 60 In M wohl falsche Assimilation zu Grorion. 61 Morant M, A, Murgant WHR, Ars, Morgant Hs. C, Morhant Wolfram. Kein Bruder Renoarts (gegen Holtus). 62 Ich übersetze Ez WHR, Ars, A, nicht Et M. 63 Wolfram: Sinagûn. Zum Lautstand vgl. Knapp 1974, S. 206. 64 Esclavon (Sclavon M), Obliquus zu Esclé, Escler „Slawe“, so auch hier übersetzt. Die ‚Slawen‘ werden als (ehemalige) Heiden mit den Sarazenen faktisch gleichgesetzt. Vgl. Martin 1993. Dennoch folge ich dem üblichen Brauch der Übersetzer, dafür einfach „Heiden“ oder „Sarazenen“ einzusetzen, nicht, da ich dies dann auch bei den „Persern“ und „Türken“ tun müßte. Wolfram kennt die Bezeichnung „Slawen“ für Heiden nicht, dafür seltsamerweise heidnische Skandinavier. 65 a poon M, el caon WHR, au penon Ars, A. Alle Ausdrücke sind unklar. Vgl. TL 2 (1965) 233: chaon „Nacken“, 7 (1969) penon 654–657 „Lanzenwimpel, Pfeilgefieder“, ebd. peon, paon, poon „Fußgänger, Bauer im Schach“.
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und starke Arme, eine mächtige Brust.⁶⁶ Einen halben Fuß standen die Augen im Gesicht voneinander ab, Er hatte einen gedrungenen Schädel und üppiges Haar, Augen hatte er rote, so als ob es (glühende) Kohle wäre. Er hätte sehr wohl eine Fuhre Blei tragen können. Es gab nie einen so starken Mann, abgesehen von Renoart, der ihn später tötete, wie es in der Chanson heißt. Auceber sagte: „Überlaßt mir doch diesen Schurken! Seine Kraft ist keinen Knopf wert. Wenn ich mir damit keinen Vorwurf von Mahomet einhandeln würde, hätte ich ihn mit einem Stockschlag getötet.“ Er hielt in seiner Hand den Stumpf einer Lanze, mit solchem Eifer warf er ihn auf den Krieger, zerschnitt ihm ganz seine glänzende Halsberge und durchtrennte sie über seinem Wams, so daß er durch den roten Seidenstoff hindurch in den Körper bis zur Lunge eindrang. Vivien fiel, ob er es wollte oder nicht. Auceber sagte: „Von diesem haben wir Frieden. Laßt uns Guillelme auf Aliscans suchen, führen wir die Gefangenen auf unser Schiff, übergeben wir sie ihrem Feind Tibaut. Auf seinen Befehl werde ich an ihnen Rache üben⁶⁷ und an Guillelme, den wir ihm schicken werden.“ Nun begaben sie sich mit Einsatz der Sporen weg. Vivien ließen sie auf dem Sand liegen. Der Edle, der aus der Ohnmacht erwachte, richtete sich auf, er blickte vor sich hin, sah ein gascognisches Schlachtroß, er ergriff es ohne zu Zögern, mit sehr großer Mühe stieg er in den Sattel. Er kam auf das Archant unter einen runden Baum, bei einem Teich, worin viel Wasser war.
66 le piç qaré en son M, les poins carrés en son WHR, Ars, A. Hier gibt das en son „am Ende“ vielleicht noch einen Sinn, im M nicht. 67 Nur in M ist hier nicht nur von einem, sondern von mehreren Gefangenen die Rede. Doch fällt auch M in 402 in die Einzahl zurück und setzt li (= le) statt les, was ich korrigiert habe. Man muß aber überhaupt mit Verwechslung von le, li, les in M rechnen.
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Dort stieg er ab, sprach alsdann ein Gebet, daß Gott seiner Seele wahre Vergebung zuteil werden lassen möge. XIV. (WHR 14; Ars 14; A 14) 415 Vivien war unter dem Baum auf dem Archant,
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nahe dem Meer, am Fuße eines Abhanges, an der Quelle, von der die Bäche⁶⁸ ihren Lauf nahmen. Seine Augen verdrehten sich, das Gesicht verlor die Farbe, sein ganzer Körper und seine Halsberge waren voll Blut, sein Blut sprudelte und lief ihm vom Körper herunter. Dem Herrgott reichte er sein Unterpfand,⁶⁹ und sanftmütig bat er mit aufrichtigem Herzen: „Gott“, sagte er, „Herr, lieber Vater, Erlöser, durch dich ist jedes Geschöpf am Leben, du kannst, lieber Herr, dein Ebenbild schaffen,⁷⁰ so wahrhaftig wie Ihr in Betlehem von dem jungfräulichen Mädchen geboren wurdet und die Taufe im Flusse Jordan erhieltet; so wie dies wahr ist, lieber Gott, und ich gläubig bin, so habet Mitleid mit diesem leidenden Armen da, lieber Herrgott, und willigt darin ein, daß, bevor mein Körper vollends zugrundegeht, ich Guillelme sehe und er mit mir spricht. Wenn ich dann sterbe, wird meine Seele singen.“ Dann schlug er sein Mea culpa an die Brust, streckte sich in Kreuzesform auf die Erde aus, das Hirn fiel ihm vorne in die Augen, ein heiliger Engel tröstete ihn, und sagte ihm: „Guillelme kommt dahergesprengt, aber du wirst ihn nicht sehen und großen Schmerz empfinden, denn es haben ihn fünfzehntausend Perser umzingelt.“ Er sagte ihm nicht mehr, sondern ging sogleich wieder weg, und Vivien blieb dort liegend zurück.
68 il droiç sicher verhört oder verschrieben für doiz, was andere Hss. haben. Vgl. TL 2, 1990 s. v. doit „Bach, Flußbett“. 69 vait son gaie tendant M, ähnlich Hss. CF. Viel leichter verständlich vet sa coupe rendant WHR, Ars, „bekannte seine Schuld“ (ähnlich A). 70 V. 425–466 entsprechen in Ars den Versen 404–410. Ars vertritt hier eine Kurzfassung.
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Geradewegs hin zum Meer sah er die Heiden reiten, die den Paladin Bertram mit sich wegführten, und Guielin und den tapferen Guichart, Gaudin den Braunen, den Kämpfer Girart. Zu ihren Schiffen kamen sie, die vor dem Archant lagen, gefangengesetzt haben sie sie in einem Lastkahn. Nicht zusammen, vielmehr waren sie getrennt, jeder für sich, um den Hals einen Eisenring. Mit großen Peitschen⁷¹ schlugen sie sie häufig. Gott verfluche sie! Sie behandelten sie sehr gemein. Lassen wir diese jetzt bis auf weiteres. Jesus in seiner Glorie sei ihnen nun ein guter Beschützer! Sie werden da niemals wieder lebend herauskommen, wenn Renoart sie nicht mit seiner Stange herausholt. ⁷² den die verräterischen Schurken umringt haben am Fuße eines Hügels, auf abschüssigem Gelände. Von allen seinen Männern sind nur vierzehn lebend entkommen, die keinen Schutz mehr davor hatten, in Stücke geschlagen und am ganzen Körper blutig zu sein. Guillelmes Schläge sind nicht die eines Jungen, denn keinen Heiden schlug er so mit seinem Schwert, daß nicht dieser oder das Schlachtroß gefallen wäre. Gegen seinen Schlag gab es keine schützende Waffe, Seine Kraft war nichts mehr wert,⁷³ aber je mehr er kämpfte, desto mehr wuchs sie ihm an. Wenn er Angst hatte, so wundert mich das nicht,⁷⁴ Gott und alle Heiligen rief er oft an.
71 corges M, corgiees WHR, A. Vgl. TL 2, 824f. s. v. coorge (corge, courge) „Stange zum Eimertragen“; TL 2, 860, s. v. corgiee „Riemenpeitsche, Hieb, Schlag“. Vielleicht ist in M auch corgiees gemeint. 72 Eingeschoben nach WHR S. 27, V. 35. Fierebrace „Starkarm(e)“ ist hier und öfter Übername für Guillelme. 73 La soe force non vaut mie un gant M, La soie force ne va mie faillant WHR „Seine Kraft versagte nicht”. Diese Lesart ist im Zusammenhang mit der folgenden Zeile wesentlich sinnvoller. 74 ne m’en vas merveillant M, Konjektur von Holtus nach ne m’en vois merveillant WHR, A.
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XV. (WHR 15; Ars 15; A 15) Auf Aliscans war das Leid sehr groß. Graf Guillelme hielt sein blitzendes Schwert. So sehr hatte er auf die Heiden eingeschlagen, daß sein Körper gefärbt war von Blut und Schweiß.⁷⁵ Von den zwanzigtausend Männern, die er in die Schlacht geführt hatte, hatte er nur noch vierzehn, und diese hatten keine Kraft mehr, denn die allermeisten von ihnen waren tödlich verwundet. Graf Guillelme sagte aus Liebe zu ihnen: „Bei Gott, dem Herrn, dem wahren Schöpfer, solange wir leben, laßt uns den Kampf gut führen. Das Herz sagt mir, wir werden diesen Tag nicht überleben, denn alle unsere besten Ritter sind gefallen. Ich kann keinen Großen oder Geringeren mehr sehen und höre unseren französischen Schlachtruf nicht mehr. Bertram ist tot, worüber ich sehr großen Schmerz verspüre, von meiner Sippe habe ich die Blüte verloren. Nun sehe ich wohl, daß ich unterliegen werde in der Schlacht; aber beim heiligen Heiland, solange ich lebe, werden die Heiden keine Ruhe finden. Meine Vorfahren werden keine Schande erleiden, die Spielleute werden nicht schlecht davon singen, daß ich in meinem Leben eine Handbreit Land verliere.“⁷⁶
XVI. (WHR 16; Ars 16; A 16) Graf Guillelme hatte viel Mut im Leib,⁷⁷ und der Herrgott stand ihm bei. 495 Von den zwanzigtausend Männern, die er unter sich hatte, hatte er nur noch vierzehn in seiner Begleitung. Diese sind verletzt, sehr kurz wird ihr Leben sein. Aber so lange dienten sie in ihrer Abteilung,
75 Li cors ot tint e sanglent de suor M, offenbar verderbt; lies mit WHR Le cors ot taint de sanc et de suour. 76 terre plain dor M, WHR, de terre un dor A „une pouce de terrain” (Guidot/Subrenat), de terre […] plain .i. tor Ars „d’un seul arpent” (Boutet). Die Auflösung bei Holtus zu d’or ist offenbar falsch. Zu dor vgl. TL 2, 2028. 77 ot molt la qere ardie M, ot molt la char hardie WHR, Ars, A. Holtus erklärt qere mit ‚natura, carattere‘. Es könnte aber eine Form von char = charn ‚Fleisch, Leib‘ sein.
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bis eine Türkenschar⁷⁸ aufgerieben war. Nun glaubten sie, in Sicherheit zu gelangen, in Richtung Orange⁷⁹ hatten sie ihren Weg eingeschlagen,⁸⁰ als ihnen von links die verhaßten Leute entgegenkamen, die gerade zuvor ihre Flotte verlassen hatten. Zehntausend waren in einer Schar angeordnet, König Baufemet⁸¹ kommandierte und führte sie. Zahlreiche Flaggen, zahlreiche Feldzeichen flatterten dort und zahlreiche grünglänzende Helme leuchteten dort und warfen das Licht zurück. So sehr schmetterten dort die widerhallenden Trompeten, Hörner und Posaunen machten solch einen Krach, daß man den Lärm eineinhalb Meilen hörte. „Gott“, sagte Guillelme, „Herrin, heilige Maria, nun sehe ich wohl, mein Leben ist sehr kurz. Madame Guiborc, süße Schwester,⁸² süße Freundin, unsere Liebe wird heute zu Ende gehen. Aber bevor ich sterbe, werde ich einen Angriff unternehmen, damit der Spielmann, wenn er davon singt, nicht sagt, daß ich feige im Kampf sei, meinen Herrn verrate oder betrüge. In keinem Lied, das man über mich hören wird, wird im geringsten von gemeiner Gesinnung die Rede sein.“ Mit diesen Worten hat er seinen Schild ergriffen, an den Schildriemen hat er ihn an sich gezogen; er sagte zu seinen Männern; „Hier gibt es jetzt keine Feigheit. Seht, wie unser Weg von Heiden bedeckt ist.
78 baile M, bataile WHR, Ars, A. Holtus zur Stelle: „Cfr. TL 1, 800, 7 baile; bataile.“ Die Anmerkung ist mir unverständlich. An der zitierten Stelle wird baile nur in der Bedeutung „Schutzwehr, Wall, Vorburg, Schranke“ registriert und keine Beziehung zu bataille ‚Schlacht, Schlachthaufe‘ hergestellt. In M muß also eine Verschreibung vorliegen. 79 In M erscheint fast nie die originale Fom mit -g-, sondern fast immer die seltsame Italianisierung mit -ç-. 80 acolee M steht offenbar für acoillie (TL 1, 91). 81 Formen in M Baufemet, Baufemeç, Baufomeç, in anderen Hss. Baufumé, Bafumé, bei Wolfram Poufameiz (nach der Rectusform). 82 Hier Koseform, keine Verwandtschaftsbezeichnung! Dieselbe Verwendungsweise ist bei „Bruder“ üblich.
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Schilde zersplittert und der Brustpanzer durchtrennt und viele Pferdesättel geleert sind. Ich befehle Euch alle dem Sohn der heiligen Maria. Ich werde davon einen erschlagen, wer auch immer darüber trauert oder lacht.“ ⁸⁴ Mit diesen Worten hat er das Feldzeichen gesenkt, und seinem Pferd die Sporen gegeben und die Zügel locker gelassen, und jeder der vierzehn rief „Monjoie!“. Da kam es mit den Schwertern zu einem großen Gemetzel, vom Blut der Körper wurde der Boden bedeckt. Aber die Erde war von Heiden bekleidet. Zu viele gab es dort, der Herrgott verfluche sie. Graf Guillelme stieß⁸⁵ sein Schwert in einen Heiden, der Herr über Urgalie war, daß ihm weder Schild noch Helm irgendetwas nützten. Auf der Stelle trennte er Seele und Körper, so ohne Umstände starb er, daß er nicht heulte oder schrie. Dann zog er das Schwert, das mit Gold verziert war,⁸⁶ und es war Joiose, auf das er sich voll und ganz verließ.⁸⁷ Damit spaltete er einen Türken ganz bis zum Ohr. Dann tötete er Elpin von Val Termie sowie Arfulant und Nubant von Rußland.⁸⁸ Der Graf kämpfte gut, denn Wut machte ihn wild,⁸⁹
83 Ich übersetze N’i passerons, s’il n’a lance croisie WHR, A, nicht N’en passeront s’i iert lance brisie M. Warum sollte es für die gewaltige Übermacht der Heiden ein Problem sein, die Reihe der vierzehn Christen zu durchbrechen? 84 J’en ferai un qi q’en poist ni q’en rie M, Je i ferrai, ki k’en plort ne qui rie WHR, Je i ferrai, qui qu’en poit ne qui rie A „Et je vais frapper, que cela plaise ou non.“ Vgl. TL 7 (1969) 828–838 s. v. peser ‚wägen, aufwägen, erwägen, schwer sein, lästig sein, leid sein‘, TL 7, 1332 s. v. poirre „furzen“. Der Vers bleibt dunkel. 85 embie M, emplie WHR, Ars, A. Vgl. TL 3 (1954) 55, 5 emboiier, embiier „einschlagen, zerschlagen“. 86 enaudie M, enheudie WHR, Ars, A. heut, heute, heude ist das Stichblatt, das aber, wenn ganz aus Gold, nichts schneiden könnte. 87 Zieht Guillelme dasselbe Schwert wieder aus dem Toten heraus, oder zieht er ein zweites, Joiose? 88 Beide Namen nur in M. Statt Nubant de Rosie haben BDF Turbant d’Urconie – danach Wolfram Turkant/Torkant. 89 Ich übersetze aigrie WHR, A, Ars. l’estrie M verstehe ich nicht. Lies vielleicht otrie ‚gewährt(e)‘.
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mit dem stählernen Schwert strafte er sie grausam.⁹⁰ Kein Heide sah ihn, der nicht zum anderen sagte: 550 „Das ist ein Teufel, er setzt uns grausam zu; Wer ihn erwartet, der wird keinen Schutz mehr haben, daß ihn dieses Schwert nicht sofort tötet.“ Zur Flucht wendeten sie sich und räumten das Feld. Der Kühnste hätte im Heidenland sein mögen. 555 Guillelme überstand mehr als ein großes Gemetzel, aber alle seine Männer kamen grausam ums Leben;⁹¹ bevor sie gut einen Pfeilschuß weit gekommen waren, wurde ihr Leib völlig in Stücke geschnitten. Nun hat Guillelme weder Beistand noch Hilfe, 560 außer Gott, den Sohn der heiligen Maria. XVII. (WHR 17; A 17) Graf Guillelme hat die Sarazenen vertrieben. Geradewegs auf Orange zu hat er seinen Weg eingeschlagen. Er dachte, sich durchaus in Sicherheit zu bringen, als vor ihm Josüé⁹² auftauchte, 565 der von Mautiste, der Sohn des Matusalé.⁹³ Mit ihm waren Corsué, Buuré⁹⁴ und der Sohn Tibauts, von Odierne Esmeré.⁹⁵ Zehntausend waren es mit grünglänzenden, edelsteinbesetzten Helmen, mit geraden Lanzen und daran gebundenen Fahnen, 570 mit neuen Schilden, mit schnellen Pferden. Eben jetzt waren sie aus Schiffen herausgekommen. „Gott“, sagte Guillelme, „der du am Kreuz gequält wurdest,
90 Die folgenden Verse 549–622, WHR 474–548, fehlen in Ars. Guessard/Montaiglon fügen aber – wie in der Regel auch sonst – die fehlenden Verse in ihrer Ausgabe von 1870 hinzu, so daß dadurch keine neue Vers- und Laissenzählung entsteht. 91 sont mort a grant eschie M, furent mort a hachie WHR, A. Vgl. TL 4, 814, 45. 92 Nur M hat hier die Sonderform Rosüeç. Es ist aber sicher Josüé wie 1159, 2006 gemeint. Wolfram: Josweiz, Joswê. 93 Cil de Mautiste, li fils Matusalez WHR, A, Filç Damalthiqe, li filç Matafuleç M (offenbar verlesen). Das doppelte filç ist unsinnig. Wolfram: Josweiz von Amatiste; Matusales, sîn vater (33,2f.; 9). 94 Andere, aber ähnliche Formen in anderen Hss.; fehlen bei Wolfram. 95 d’Odierne Esmereç M, WHR, A (Rectus). Wolfram übernimmt das Rectus–z/-s, hat aber den Herkunftsnamen offenbar verhört: Ehmereiz von Todjerne. Vgl. Knapp 1974, S. 212.
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welche hundert Teufel haben so viele davon hergeführt? Ich glaube, die Welt besteht nur noch aus Türken, denn ich sehe kein Stück Land, das nicht vollständig von ihnen gefüllt wäre, noch Ebene noch Strand, die nicht vollständig von ihnen bedeckt wären. Unheil über die Huren, so viele haben sie davon auf die Welt gebracht, noch größeres Unheil über die Schurken, die sie gezeugt haben! Lieber Herrgott, kümmert Euch um meine Seele! Madame Guiborc, Ihr werdet mich nie mehr sehen! (Mein) Pferd“, sagte er, „Ihr seid sehr ermüdet,⁹⁶ wenn Ihr vier Tage ausgeruht hättet, ⁹⁷ und ich hätte mich gerächt, denn zu Tode bin ich verletzt. Aber nun sehe ich wohl, Ihr könnt mir nicht helfen. So wahr mir Gott helfe, sollt Ihr nicht getadelt werden, denn den ganzen Tag habt Ihr mir sehr gut gedient. Kaum kam es heute vor, daß Ihr einmal nicht galoppiert wäret. Für Euren Dienst danke ich Euch innig. Wenn Ihr nach Orange geführt werden könntet, würdet Ihr zwei Monate lang nicht gesattelt und nur fein geschwungene, zwei- und dreimal im Trog gereinigte Gerste essen, und das Futter wäre⁹⁸ feines Heu von der Wiese, von ganz ausgesuchter Qualität und zur rechten Jahreszeit geschnitten. Ihr würdet nur aus goldenen Gefäßen trinken, Ihr würdet viermal am Tag gestriegelt werden,⁹⁹ und mit Pfelleldecken¹⁰⁰ sehr gut zugedeckt werden. Wenn du von den Heiden nach Spanien geführt wirst, so wäre ich, so wahr mir Gott helfe, deshalb sehr niedergeschlagen.“ ¹⁰¹ Baucent¹⁰² hörte es und schnaubte mit den Nüstern, es hörte es so, als ob es ein verständiger Mensch wäre.
96 Guillelme spricht sein Pferd fast durchgängig mit „Ihr“ an. 97 Eingefügt aus WHR 505. 98 Der plötzliche Zeitenwechsel in M (iert statt fust) ist unverständlich. 99 coreez = conreez (Holtus) – vgl. TL 2, 715, 47. 100 Afrz. paille, lat. pallium, mhd. pfellel bezeichnet einen kostbaren Stoff (meist wohl Seide) und daraus gefertigte Decken und Gewänder. 101 Afrz. ire und seine Ableitungen irer, iré etc. greifen semantisch über den Bereich des Zornes auch auf Furcht, Gram, Kümmernis, Trauer aus – vgl. Anm. zu V. 62. 102 Der Pferdename ist erstaunlich einheitlich überliefert, weshalb die starke Abweichung
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Übersetzung
Den Kopf richtete es auf und scharrte mit den Hufen, holte Luft und war wieder vollständig hergestellt. Es wieherte so, als ob es gerade aus dem Stall 605 herausgetrieben und neu beschlagen worden wäre. Als Guillelme sah, daß es wieder zu Kräften gekommen war, wäre er über vierzehn Städte nicht so froh gewesen.
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XVIII. (WHR 18; Ars 18 (ab 623); A 18) Graf Guillelme spürte, daß sein Pferd frisch war, geradewegs auf Orange zu durch das ganze Tal entwich er. Ihm folgten auf den Fersen tausend untreue Heiden. Von rechts kam ihm Brodoal entgegen, mit ihm waren zehntausend der verbrecherischen Leute; es gab da keinen, der keine sehr gute Zindeldecke gehabt hätte. Sie versperrten Guillelme Hügel und Tal, in Richtung Orange gab es keine gute Verteidigungsstellung¹⁰³ mehr. Als Guillelme sah, daß er nichts anderes tun konnte, wendete er sich nach dem Archant nahe einem kleinen Wald auf einem Weg¹⁰⁴ unter einem großen Felsen. Die Heiden verfolgten ihn und machten großen Lärm. „Gott“, sagte Guillelme, „guter Geist-Vater, der Ihr in der Jungfrau Herberge nahmt, von der Ihr am heiligen Weihnachtstag geboren wurdet, und der Ihr für uns die Todesstrafe erlitten habt, die Pforten der scheußlichen Hölle aufgebrochen habt, diejenigen befreit habt, die niemals hernach Übel erfahren haben¹⁰⁵ und alle in der Glorie, im ewigen Leben sind – so wie dies wahr ist, helft Eurem Vasall, damit ich noch einmal Guiborc mit dem treuen Herzen sehe,
Wolframs verwundert: Puzzât. Ein Nasalstrich konnte leicht übersehen werden. Aber u für au verlesen oder verhört? 103 Holtus setzt offenbar jostal „posizione (di difesa)“ mit estal „Stellung (zum Widerstand)“ WHR, ostal A gleich. 104 canan M. Holtus verweist auf chanel, chanal s. TL 2 (1956) 215 „Bett eines Gewässers“ und setzt hinzu „per infl. di chemin.“ Nur dieses, das in anderen Hss. steht, kann hier aber gemeint sein. 105 qi unc pois n’orent mal M, ki ains puis n’eurent mal WHR, ki en puis n’eurent mal Ars, qui ainz puis n’orent mal A. Ich deute unc pois M als afrz. onc puis.
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und Loois,¹⁰⁶ den Kaiser,¹⁰⁷ 630 und Aymeri, meinen leiblichen Vater, und Ermengart¹⁰⁸ mit dem edlen Herzen voll Ehre, und meine guten kaiserlichen Brüder. Eine solche Schlacht hatten sie nicht in Roncesval. Wenn Gott mich rettet und aus diesem Tag befreit, 635 wie werde ich, ehe Weihnachten ist, auf jene Leute einhauen, denen Gott großes Leid gewähren möge!“¹⁰⁹ XIX. (WHR 20; Ars 20; A 20)¹¹⁰ Graf Guillelme hat sich wieder zurück gewandt,¹¹¹ ganz hinunter durch ein Heideland. Die Riemen des bayerischen Helmes waren ihm zerrissen, 640 sein Schild zerbrochen, er hatte keinen Fußbreit mehr vom ganzen,¹¹² und seine Halsberge, deren Kettenringe aus reinem Gold sind. Und er sah Heiden vorne und hinten, mehr als zehntausend, jeder hatte eine Fahne oder ein Erkennungszeichen oder eine Helmfeder oder eine Pferdedecke.¹¹³ 645 Graf Guillelme hat ein stolzes Wort gesprochen: „Bei der Treue, die ich Guiborc schulde, die ich sehr liebe, lieber möchte ich sterben, als einmal nicht dreinzuschlagen.“ Einen Steinwurf weit vor den anderen
106 Looïs (< Hlûdwîcus) die übliche Form in M und den übrigen Hss. neben Loeïs, Loiis, Lois, Loei (auch mit y statt i). Wolfram behält offenbar bewußt den afrz. Namen Loîs (Lawîs) bei und meidet die germanische Form. 107 l’empereor natural (Holtus schlägt als Konjektur natal? vor), roial WHR, vassal A „vaillant“ (Régnier, Glossar). Das scheint alles problematisch. In M ist das Reimwort offenbar fälschlich aus 630 vorweggenommen. 108 Der Name ist in M in den Formen Armengard, Ermengart, Ermencard, Ermençard (jeweils auch mit hyperkorrektem H-), in den Hss. DF auch mit j statt g überliefert. Danach Wolfram mit halber ‚Eindeutschung‘ Irmenschart/Irmschart/Iremschart. 109 Die folgende Laisse WHR, Ars, A 19 fehlt in M. 110 Holtus hat der großen Differenzen wegen diese Laisse nicht als Parallele zu WHR 20 verzeichnet. 111 Ich übersetze ari(e)re WHR, Ars, A, nicht a terre M, das auch den Reim stört. 112 Ich übersetze n’en ot plain pié d’entiere WHR, Ars, A, nicht n’en ot plen pié de riere M, da de riere offensichtlich aus 642 vorweggenommen ist. 113 Die Fachausdrücke sind nicht ganz eindeutig, scheinen aber alle Erkennungsstücke zur Identifizierung des Einzelnen oder der Einheit zu meinen.
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kam Thalamon¹¹⁴ auf Marcepiere¹¹⁵ im Anlauf daher. „Guillelme“, schrie er, „du wirst nicht am Leben bleiben, Lump! Zuvor wirst du durch meine gewaltige Lanze sterben.“ „Gott“, sagte der Graf, „hier ist kein Gebet vonnöten.“ Er ging auf ihn los, mitten über eine Heide. Der Heide verfehlte ihn, denn die Sonne blendete ihn, und der Markgraf traf ihn auf eine solche Weise, daß weder Halsberge noch Helm irgendetwas wert waren, noch der Schild den Zweig eines Farnkrauts.¹¹⁶ So spaltete er ihn wie den Ast eines Olivenbaumes. Tot warf er ihn auf einen vorbeilaufenden Weg.¹¹⁷ Graf Guillelme hat die Spur verlassen, sofort hat er Marcepiere ergriffen, aber die verfluchten Leute nahten so rasch, daß sie es ihm mitten in einem Binsenland wegnahmen. Dem Graf folgten sie durch eine Heide, im Galopp nur über Sand. Auf dem Feld wirbelten sie solchen Staub auf, ¹¹⁸ Der Graf ritt auf einem engen Weg weg. Er erklomm den Abhang eines Berges; eine Jagdhündin hätte hier sehr Mühe gehabt. Als der Graf den Felsen erstiegen hatte, sah er eine wilde Schar¹¹⁹ von Heiden. Er rief Gott und den edlen heiligen Petrus an, damit sie ihn hier vor den verfluchten Leuten retten mögen.
114 Hier steht Wolfram (Talimon) ausnahmsweise der Form in M näher als der der meisten anderen Hss. (außer B1). Die ursprüngliche Form ist gleichwohl vermutlich Telamon. 115 Der Pferdename ist ziemlich einheitlich überliefert. Wolfram hat offenbar das Suffix ausgewechselt (Marschibiez). 116 lo raç d’une fosschere M, le rein d’une flechiere WHR, le reim d’une fouchiere A, alles in der Bedeutung einer Nichtigkeit, auch der entsprechende nicht sicher deutbare Vergleichsausdruck in der vorhergehenden Zeile. 117 au passer d’une orniere M. Holtus vergleicht TL 6, 1196f. ordiere, orniere „Wagengeleise, Spur, Weg“; aber auch TL 6,1293 ormiere „Ulmenwald“. Die Zeile fehlt in den übrigen Hss. 118 Einschub von WHR 612 . 119 une campagne fere M, mainte compaigne fiere WHR, Ars, A. Holtus übersetzt im Glossar „campagna”. Es muß aber eine Verschreibung für compagne vorliegen.
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XX. (WHR 21; Ars 21; A 21) Graf Guillelme war voller Kampfeifer; er war überaus klug, denn er verstand es wohl, gut dreinzuschlagen, nach Bedarf zu verfolgen und auszuweichen. „Großen Mut beweist es“, sagte er, „davonzukommen.“¹²⁰ Eine schlechte Wendung¹²¹ tötet so manchen Mann, wofern er¹²² einsieht, daß er von hier nicht weiterkommen und ihm seine Kraft nicht helfen kann, wenn er für einen Schlag hundert bekommen wird.¹²³ Ich kann euch sehr wohl und, ohne zu lügen, die Wahrheit sagen, daß niemand jemals solche Waffentaten aushalten kann, wie Guillelme es tat – Gott möge ihn segnen. Er gab sich immer sehr viel Mühe, Gott zu dienen und sein Gesetz zu erhöhen und zu bewahren. So hatte er keinen Ruhetag gegenüber den Heiden. Wenn er einen gefaßt hatte, ließ er ihn nicht dahinsiechen, sondern sofort die Seele den Leib verlassen; er ließ ihn nie in seinem Gefängnis liegen, noch ließ er einen gegen Lösegeld freikommen. Deswegen konnten ihn die Sarazenen niemals lieben. Aber unser Herr wollte ihn so erhalten, bis er ihm in seinem Sterben seinen Engel sandte.¹²⁴ Deswegen ist es gut, das Lied zu hören, da er ein Heiliger ist – Gott möge ihn segnen und seiner Seele einen Platz in seiner Glorie geben, zu Verehrung und Kult zusammen mit seinen Engeln. Seine Vortrefflichkeit ist nie zu verschweigen, vielmehr soll man sie sehr gerne hören, an allen Höfen Hochgefühl und Freude empfinden. Viele gute Exempel kann man hieraus gewinnen.
120 „Mult grant proece“, ce dit, „de lui garir“ M. Ich folge den anderen Hss., die C’est statt Mult haben. 121 tornier M, torner A, tornois WHR, Ars. Nicht klar. Die Bedeutung „Turnier“ (Holtus) kommt schwerlich in Frage. 122 Ich übersetze il WHR, Ars, A, nicht l’en M „man“. 123 Ich ziehe die Zeilen 679–681 zwar zum vorherigen Satz (gegen Holtus), aber auch nicht zur Rede Guillelmes (gegen WHR, Régnier), sondern halte 678–684 für einen Exkurs des Erzählers. 124 Die folgenden Schlußverse der Laisse zum Preis des Helden fehlen in Ars.
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Übersetzung
Wer Guillelme zu besingen und zu verehren versteht, sollte dafür gut und gern so viel 705 Pferde und Waffen und Bliauts¹²⁵ zum Anziehen bekommen, wie er will.
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XXI. (WHR 22; Ars 22; A 22) Guillelme war nun auf den Hügel gestiegen. Er sah all diese Hügel¹²⁶ von Heiden bedeckt, das ganze Land war hier von ihnen bevölkert, so daß es weder einen Durchgang, noch eine Furt gab, wo nicht tausend bewaffnete Sarazenen gewesen wären, alles, damit Guillelme nicht flüchten konnte. Nun möge ihm Jesus¹²⁷ in seiner Majestät helfen! Übel wird er behandelt werden, wenn er gefangen werden kann. Auch würde ihn all das Gold, welches je geschmolzen wurde,¹²⁸ nicht davor bewahren, daß sein Leib in Stücke gehauen würde. „Gott“, sagte Guillelme, „der du am Kreuz gepeinigt wurdest, niemals sah ich wegen eines Mannes so viele versammelt. Heilige Maria, so rettet mich doch! Guter Herrgott, erbarme dich unser!“ Dann stieg Guillelme Kurznase ab, seinem Pferd rieb er die Flanken und Seiten, danach küßte er es aus sehr großer Freundschaft, und Guillelme sagte: „Baucent, was werdet Ihr da machen? Ich sehe Eure Flanken sehr blutend und voll Schweiß. Es ist kein Wunder, wenn Ihr müde seid, denn zu sehr wurdet Ihr geschunden und geplagt. Es bedrückt mich schwer, wenn Ihr so verletzt seid.
125 Bliaut „ursprünglich Bezeichnung für einen golddurchwirkten Stoff […] wird im 12. Jh. im englischen und französischen Gebiet auf ein von beiden Geschlechtern getragenes Obergewand übertragen“ (Kühnel 1992, S. 34). 126 tertres „Hügel“ ist wohl fälschliche Wiederholung aus 706. Lies mit den übrigen Hss. vals „Täler“. 127 rois WHR, Ars, A, Yesu M aus dieus verlesen (WHR)? Vgl. aber 1165. 128 Regnier, Glossar, übersetzt fondé mit „fondu“. Ich kann die Form nicht nachweisen. fonder (TL 3, 2029f. „gründen, aufschütten, befestigen, anfertigen“ und fondre (TL 3, 2032 „schmelzen“) sind verschiedene Verben. Es müßte Suffixtausch vorliegen, und zwar keine spezielle Eigenheit von M. Die Form begegnet M 714, 2019, 6731, davon zweimal auch in anderen Hss.
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Wenn du aufgibst, bin (auch) ich meinem Ende nahe.“ Baucent hörte es und verstand genug, es spitzte die Ohren und blähte seine Nüstern, es richtete den Kopf auf und kam wieder zu Kräften. Als Guillelme sah, daß es wieder zu Kräften gekommen war, ist er schnell wieder in den Sattel gestiegen. Graf Guillelme war sehr klug und besonnen, ein kleines Tal entlang hat er sich nach dem Archant gewandt, ganz vorsichtig, ohne aus der Ruhe zu kommen. Baucent wurde weder gespornt noch im Galopp geritten. Sein edelsteinbesetzter Helm hing herab, die Riemen waren zerrissen; er hat sie wieder zusammengeknotet, sein Schild war an dreißig Stellen durchlöchert, nach allen Richtungen gebrochen und zerstückelt, an fünfzehn Stellen war der Leib verletzt. Unter der Halsberge hatte sich eine Blutkruste gebildet, in seinen Kopf war sein Helm hineingeschlagen, sein stählernes Schwert ganz blutig. Die ganzen Arme und Fäuste waren arg geschwollen. Man merkte es ihm wohl an, er kam vom Kampf. Ein Nebel und ein Wetter sind aufgezogen, und vom Staub wurde es ganz finster.¹²⁹ Graf Guillelme befand sich nicht in der gewünschten Lage; er war wütend und erzürnt auf dem Archant. Er sah das Schlachtfeld mit toten Heiden bedeckt, erblickte den Schild von Vivien, dem Ruhmreichen, und erkannte ihn wohl; da kam er von Sinnen. Nach rechts schaute der Graf und sah Vivien an einer Furt liegen, unter einem Baum mit Geäst und Blättern. Am Körper hatte er fünfzehn solche Wunden, daß an der geringsten ein Emir gestorben wäre. Die Arme und die Seiten waren ihm ganz zerfleischt. Guillelme sah ihn; deswegen war er sehr betrübt. Er gab seinem Pferd wie ein Wahnsinniger die Sporen, mitten durch die Toten hindurch ist er dorthin gelangt,
129 M schreibt hier gewiß fehlerhaft in zwei Zeilen hintereinander tens bzw. temps „Wetter, Unwetter“. 748 ist es wohl aus venz/vens „Wind“ verlesen, das die anderen Hss. haben.
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Übersetzung
vor dem Kind hat der Graf angehalten; 765 er konnte kein Wort sagen, so sehr war er vom Schmerz ergriffen.
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XXII. (WHR 23; Ars 23; A 23) Graf Guillelme hatte sein Herz gar voll Gram, er war sehr zornig und voll Mißmut. Zerrissen waren ihm die Riemen seines leuchtenden Helms, so daß er nach unten zum Boden herabhing. Mit seinen beiden Händen knotete er ihn wieder fest. Er sah Vivien an einem Teich liegen, unter einem belaubten und grünenden Baum bei der Quelle mit dem fließenden Wasser. Graf Guillelme ist mit Einsatz der Sporen¹³⁰ dorthin gekommen, mit großer Liebe betrachtete er das Kind, da, wo es lag, unter dem Baum auf dem Archant, seine Hände vorne über seiner Brust gekreuzt. Sein ganzer Leib und seine Halsberge waren blutverschmiert und das Gesicht unter dem grünleuchtenden Helm, und sein Hirn lag ihm vorne auf den Augen. Sein Schwert hatte er neben sich hingelegt, seinen Kopf nach Osten gewendet. Hin und wieder schluchzte er sehr und rief in seinem Herzen Gott an, daß ihm seine Fehler verziehen würden und er Gnade fände gemäß seinem Willen. Der Tod machte ihm Angst und quälte ihn sehr. Es ist ein großes Wunder, wie er es so lange ausgehalten hat, denn an ihm war kein Glied mehr heil. „Gott“, sagte Guillelme, „wie sehr schmerzt mein Herz! Einen sehr großen Verlust habe ich erfahren. Er wird mich nun schmerzen, solange ich lebe. Neffe Vivien, von Eurer Kühnheit
130 pungant = poignant, hier und an den meisten anderen Stellen sicher zu poindre TL 7 (1969) 2090–95 „stechen, stacheln, spornen, spornend reiten, rennen“, nicht zu poignier TL 7, 2082f, „kämpfen, sich bemühen“.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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war nie ein Mann, ich sage es euch wahrlich. 795 Nun haben Euch Sarazenen und Perser getötet. Erde, so öffne dich doch und verschlinge mich und empfange diesen Unglücklichen und Schmerzerfüllten! Madame Guiborc, vergebens werdet Ihr auf mich warten. Nach Orange werde ich nie wieder zurückkehren!“ 800 Graf Guillelme weinte bitterlich und seine beiden Fäuste verschlang er fest ineinander, über dem Fleisch zerkratzte er den Körper, und das helle Blut tropfte herab. Er betrauerte Vivien mit Zärtlichkeit. 805 Keiner wird je an seinem Schmerz zweifeln, denn er ließ ihn als schrecklich und drückend erkennen. Beim Schmerz, den er zeigte, stürzte er von Baucent. Oft fiel er in Ohnmacht zu Boden. XXIII. (WHR 24; Ars 24; A 24) Graf Guillelme war gram- und schmerzerfüllt, 810 Vivien sah er ganz blutig daliegen. Er duftete süßer als Myrrhe oder Weihrauch. Auf der Brust hielt er seine Hände gefaltet. Das Blut trat ihm aus zwei Stellen aus beiden Seiten aus. An seinem Körper hatte er fünfzehn große Wunden, 815 an der kleinsten wäre ein Deutscher¹³¹ gestorben. „Neffe Vivien“, sagte der edle Guillelme, ¹³² Eure Tapferkeit und Eure Kühnheit und Eure Schönheit,¹³³ welche so wohlgefiel! Neffe, nie war ein Arm so kämpferisch!¹³⁴
131 Elemans M, Ars, amirans WHR, A. Vgl. V. 15. 132 Einschub von WHR 729 Mar fu vos cors, ke tant par ert vaillans (~ Ars, A). Der Satz hat sonst kein Prädikat. Holtus schiebt nichts ein. – Der übliche Ausdruck des traurigen Bedauerns (oder Triumphes) mar fu besagt, daß etwas zum Unglück, Verderben etc. begonnen und/oder dementsprechend ausgegangen ist. Als Fluch wird es auf die Zukunft gerichtet. In M steht dafür meist, aber nicht immer mai oder mal. 133 Ich übersetze biauté WHR, Ars, A, da M hier cors nachträgt, welches er zuvor ausgelassen hatte. 134 Dieser Vers weicht von allen Hss. ab, die einen Vergleich mit einem Löwen bringen. Abge-
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Übersetzung
820 Ihr wart weder stolz noch fordernd
noch gegenüber Euresgleichen hochmütig und anmaßend, noch habt Ihr mit Eurer Tapferkeit geprahlt, sondern Ihr wart sanft und demütig und gegenüber den Heiden kühn und kriegerisch. 825 Weder Könige noch Emire fürchtetet Ihr jemals. Ihr habt mehr Sarazenen und Perser getötet, als je ein Mann zu Eurer Zeit es tat. Neffe, wie übel bist du zugrunde gegangen! Niemals flohst du, noch zogst du dich auch nur einen Fußbreit vor den Heiden zurück. 830 Noch niemals gab es einen kampfstärkeren Mann. Nun sehe ich Euch tot, umso mehr bin ich von Schmerzen erfüllt. Ach, daß ich nicht kam, als er noch lebte! Vom Brot, welches ich bei mir habe, hätte er die Kommunion nehmen können;¹³⁵ immerdar wäre ich darüber glücklicher gewesen. 835 Gott, empfange die Seele durch deinen würdigen Ratschluß, denn in deinem Dienst ist er auf Aliscans gestorben!“ XXIV. (WHR 25; Ars 25; A 25) Den Grafen Guillelme überkam erneut sein großer Schmerz, er weinte bitterlich, seine Hand auf seiner Brust: „Neffe Vivien, wie übel zugrundegegangen ist die schöne jugendliche Gestalt,¹³⁶ 840 deine große Tapferkeit, die jeden Tag neu ist, kühnster Mann, der je in den Sattel gestiegen ist! Ach, Guiborc, meine süße, schöne Freundin! Wenn Ihr diese traurige Nachricht erfahrt, werdet Ihr von einem heißen Funken verbrannt werden. 845 wenn Euch nicht das Herz unterm Arm¹³⁷ bricht. Es schirme Euch die heilige Jungfrau, heilige Maria, die der Sünder anruft!“ Graf Guillelme taumelte wegen seines Schmerzes
sehen davon scheint die Lesart li braç nicht sinnvoll. Der indirekte Vergleich verlangt den unbestimmten Artikel. 135 Holtus vermutet, daß convenians M soviel wie acumunians WHR, Ars, A, bedeutet. 136 jovente et belle M. Das nur in M zugesetzte et muß ein Irrtum sein. 137 Die unpassende Angabe in M, Ars statt sos la mamele WHR „unter der Brust“ ist wohl irrtümlich aus der Assonanz 852 vorausgenommen.
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und er stieß sich die Stirn an einem Ast.¹³⁸ 850 Unter dem Helm, der in Tudela gemacht wurde, strömte ihm aus der Nase eine ganze Schale voll Blut. Er hat das Kind sanft unter den Arm genommen. „Herr Vivien, sprecht zu mir, wohlan!“ Weinend küßte er ihm die Brust 855 und seine beiden Hände, die er auf der Brust hielt. Er spürte das Leben, das ihm im Leibe pochte. XXV. (WHR 26; Ars 26)¹³⁹ „Neffe Vivien“, sagte Graf Guillelme, „als ich dich zum Ritter schlug in meinem Palas¹⁴⁰ in Termes,¹⁴¹ übergab ich aus Liebe zu dir Helme an hundert Männer 860 und hundert Schwerter und hundert neue Schilde. Diesen Schmerz solltet Ihr gewiß zurückhalten,¹⁴² denn viele Nächte habe ich an Eurer Brust geschlafen. Herr Vivien, sprecht zu mir, wohlan!“ Graf Guillelme umarmte ihn um die Achseln, 865 er küßte ihm die ganz blutigen Wangen. XXVI. (WHR 27; Ars 27; A 26)¹⁴³ Guillelme, der das Herz voll Gram hatte, weinte; um die Mitte hielt er das Kind in den Armen. Sehr innig hat er es beklagt und betrauert:
138 einç el front d’une estelle M, ens el front d’une astele WHR, A. Übersetzung nach Guidot/ Subrenat, jedoch trotzdem fraglich. Vgl. TL 1, 610f. s. v. astele, estele „Spahn, Scheit, Schaft; ein Minimalwert“. Regnier (Glossar) denkt an einen Lanzenschaft. Soll er dort gelegen haben? Oder soll ein Rest einer Lanze im Helm steckengeblieben sein? Es scheint eher eine Kleinigkeit gemeint zu sein, auch wenn eine Menge Blut aus der Nase kommt. 139 Die Laisse fehlt in A und anderen Hss. und ist auch, wo sie auftaucht, teilweise verderbt. 140 Ich übersetze afrz. palais nicht mit „Palast“, sondern mit mhd. palas, denn nur dieses Lehnwort entspricht inhaltlich genau dem afrz. Äquivalent. palais/palas meint entweder das Hauptgebäude einer Burg, das einen großen Saal enthält, oder diesen selbst. 141 Wolfram kennt diese Burg als Termis. Heinzle, Ausg. Wh., erwägt Identifikation mit einem Ort bei Narbonne. Man würde allerdings einen Ort nahe Orange erwarten. 142 Das Wort rectrar ist rätselhaft. Holtus registriert es, gibt aber keine Übersetzung. Ist es afrz. retraire? In WHR 774 steht tenir a certes „für sicher halten“. Doch ist hier von Guiborc die Rede, die im vorigen Vers, der in M fehlt, erwähnt wird. 143 Diese Laisse mit dem ‚Dutzendreim‘ auf é ist extrem variantenreich überliefert. A hat stark gekürzt.
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„Ach, lieber Neffe, schade um Eure großen Vorzüge. Deine große Tapferkeit, die dir Gott gegeben hatte, könnte von niemand geschildert werden! Übel ergangen ist es deinem Leib, da er so früh dahinging. Ich habe Euch mit sehr großer Zuneigung aufgezogen, und meine Frau mit der anmutigen Gestalt hat dich in Ehren gehalten. Lieber Herr Neffe, so sehr habe ich Euch geliebt, sieben volle Jahre lagt Ihr an meiner Seite, viel Gutes tat ich Euch in meiner Jugend. Als ich Euch in Termes Waffen gegeben habe, Euch zuliebe wurden dort hundert Ritter geweiht und mit Waffen ausgestattet. Nun haben Euch die ungläubigen Sarazenen getötet, die Hurensöhne, die Gott nicht geliebt haben. Nun sehe ich deinen Leib bleich, blutüberströmt, an dreißig Stellen verwundet und verletzt. Der Gott, der überall Macht hat, möge Eurer Seele Mitleid und Gnade schenken, und den Seelen dieser anderen, die für ihn gestorben sind und auf diesem Schlachtfeld liegen, tot oder ohnmächtig. Lieber Herr Neffe, mein Herz ist voller Gram! Ein Versprechen gabst du Gott, daß du nicht vom Schlachtfeld fliehen würdest vor Sarazenen auch nur eine volle Lanzenlänge weit.¹⁴⁴ Meiner Treu, Ihr habt es gut eingelöst, Eure Schwüre wurden nie gebrochen. Lieber Herr Neffe, kurz seid Ihr bei mir geblieben. Die Sarazenen werden nun ihre Ruhe haben, ihnen wird ihr ganzes Leben lang kein Übel mehr geschehen, niemals werden sie einen Fuß Erbland hier verlieren. Sie haben die Franzosen niedergeworfen, und sie sind aufgestiegen. Ach, süßes Frankreich,¹⁴⁵ wie bist du in Schande gefallen! Lieber Neffe, nun werden die Heiden das Maß verlieren,
144 plaine lance d’esté M, WHR (vermerkt „das schwerverständliche deste“), A, ester Ars. Vgl. TL 3 (1954) 1368 s. v. este „aufrechte Stellung, ein bestimmtes Maß, Manneshöhe, Würde“. Vermutlich ist eine Lanze von Normalmaß gemeint. Vgl. 87 une lance tenant. Oder lies desté „entfernt“ – zu dem schwach belegten dester TL 2, 1765. 145 Zu diesem Landnamen vgl. die Einleitung.
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da sie sich meiner und Euer entledigt haben sowie Bertrams, meines stahlharten¹⁴⁶ Cousins. Sie werden auch noch Orange, meine Stadt, mein ganzes Land der Länge und Breite nach in Besitz nehmen. Von niemand werden sie jemals zur Umkehr gezwungen werden, in ganz Frankreich werden sie tun, was sie wollen, und die heilige Christenheit zerstören. Es wird weder eine Messe noch eine Matutin gesungen werden. Ach, Guillelme, so sterbe doch, zu lange hast du schon ausgehalten, denn von meiner Sippe habe ich den Glanz verloren, von ganz Frankreich den Preis und den Wert! Gott, der König in seiner Majestät, möge nicht wollen, daß ich so lange lebe; bis es Abend ist, sollte doch mein Herz in meinem Leib zerborsten sein.“¹⁴⁷ Der Graf fiel in Ohnmacht, so große Schmerzen empfand er. Als er sich wieder aufrichtete, war er (= Vivien) so erwacht, daß er das Haupt ein wenig gehoben hatte. Wohl hatte er seinen Onkel gehört, sowohl seine Worte als auch seine Rede verstanden.¹⁴⁸ Aus Mitleid mit ihm seufzte er. „Gott“, sagte Guillelme, „nun hat sich mein Wunsch erfüllt!“ Er umarmte das Kind, dann fragte er es: „Lieber Neffe, lebst du, bei der heiligen Barmherzigkeit?“¹⁴⁹ „Ja, lieber Onkel, aber ich habe wenig Lebenskraft; das ist kein Wunder, denn ich habe ein gebrochenes Herz.“ „Neffe“, sagte Guillelme, „nun sage mir die Wahrheit, ob du am Sonntag gesegnetes Brot genossen hast, das ein Priester geweiht hat.“ Vivien sagte: „Ich habe davon nicht gekostet. Doch werde ich deswegen nicht in Sorge sein,
146 aduré „hart gemacht, (ab)gehärtet” ein beliebtes Reimwort, bei Menschen fast nur für Renoart gebraucht, aber auch hier wenig passend, hier mit „stahlhart“ mehr schlecht als recht wiedergegeben. 147 Ich übersetze S’aie le cuer en mon ventre crevé WHR, nicht S’aie mon chef a mon ventre crevé M. 148 e son dit arimé M. Holtus: arimer „capire?“ Mit nfrz. arrimer kann es nichts zu tun haben. 149 viz tu en saincta charité M, vis tu, por sainte carité WHR, Ars, A. por scheint wesentlich klarer, ebenso en nom de 940 M et al.
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Übersetzung
denn Gott ist voller Barmherzigkeit.¹⁵⁰ Er sieht sehr wohl das Herz mit den Gedanken des Menschen, der seinen Sinn auf ihn gerichtet hat.“ 935 „Neffe“, sagte Guillelme, „Ihr sagt die Wahrheit. Aber Brot habe ich mitgenommen in meiner Gürteltasche, vor vierzehn Tagen; ich habe es bei Gott von einem Abt erbeten.¹⁵¹ Er gab mir davon bei Gott in seiner Majestät. 940 Eßt davon, Neffe, im Namen der Barmherzigkeit und im Namen Jesu, des Königs in seiner Majestät.“ Vivien sagte: „Heftig habe ich danach verlangt. Nun weiß ich sehr gut, Gott ist zu Euch¹⁵² gekommen.“ Hierauf sprach er sein Mea culpa. 945 Guillelme sah es, zu Gott betete er deswegen, und rief den Herrgott aus wahrem Herzen an. XXVII. (WHR 28; Ars 28; A 27) Guillelme faßte mit seiner Hand in seine Gürteltasche und holte daraus etwas von seinem geweihten Brot hervor, das gesegnet worden war dort beim seligen Germanus.¹⁵³ 950 Und Guillelme sagte: „Nun nehme ich dir gewiß sogleich die wahre Beichte deiner Sünden ab. Ich bin dein Onkel, du hast nun keinen, der dir näher stünde, abgesehen vom Herrgott, unserem heiligen Vater. An seiner Stelle werde ich nun dein Pate sein, 955 bei dieser Taufe wirst du mich zum Kaplan haben.“ Vivien sagte: „Onkel, ich möchte sehr gerne, daß Ihr mein Haupt auf Eure Brust legt! Um der Ehre Gottes willen gebt mir von diesem Brot, dann werde ich nun sofort auf der Stelle sterben. 960 Beeilt Euch, Onkel, mein Herz ist sehr schwach.“ „Unglücklicher“, sagte Guillelme, „welch schmerzensvolle Bitte!
150 Die Lesart von M humilité gegenüber pitié WHR, A, ist gänzlich sinnlos, ein typische gedankenlose Vortragsvariante, keine Verschreibung. 151 Der Abt erscheint nur in dieser Hs. und im Wh. 68,9. 152 Wohl falsch vos statt richtigem me der anderen Hss. 153 de ce beneit Gaimain M, sor l’autel saint Germain WHR, Ars, A „auf dem Altar von St. Germanus“. Der Text in M ist unklar, vermutlich verderbt. Vgl. Wh. 68,10f. dâ vor (var. dor vor, da von, der von) sancte Germân / ze Pâris daz ampt was getân.
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Von meiner Sippe habe ich das gute Korn verloren, dann gibt es nichts mehr außer dem Stroh und der Spreu. Ach, Orange, wie verlassen du nun bist, 965 du wirst die Hilfe keines Kastellans mehr haben! Guiborc, Königin, halte Gott Euch in seiner Hand! Es gab seit Adam und Eva keine solche Herrin.“
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XXVIII. (WHR 29; Ars 29; A 28) Guillelme weinte, er konnte sich nicht zurückhalten.¹⁵⁴ Sehr sanft umfing er seinen Hals, auf die Brust legte er sein Haupt zur Ruhe. Sehr liebevoll trauerte er um ihn. Dann begann das Kind zu beichten, alles sagte es ihm, es unterließ nichts zu erzählen, was es sagen oder wessen es sich erinnern konnte. Vivien sagte: „Es beunruhigt mich sehr, daß ich an dem Tag, da ich zum ersten Mal Waffen tragen sollte, Gott versprach, so daß es meine Standesgenossen¹⁵⁵ hörten, daß ich vor keinem Türken oder Slawen flüchten würde die Länge einer Lanze, soweit ich es abschätzen kann.¹⁵⁶ Ich fürchte, daß sie mich mein Versprechen¹⁵⁷ brechen ließen.“ „Neffe“, sagte Guillelme, „Ihr braucht keine Sorge zu haben.“ Mit diesen Worten ließ er ihn sein Brot essen beim wahren¹⁵⁸ Gott und in den Hals hinab schlucken. Dann schlug er sein Mea culpa und ließ sein Reden. Er bat ihn nur noch, Guiborc zu grüßen.
154 atenir M, saoler WHR, Ars, A „satt werden“. atenir wird soviel wie astenir sein, kann aber des fehlenden –er-Reims wegen kaum richtig sein. 155 Vgl. TL 7 (1969) 701–705 s. v. per „Genosse, Standesgenosse, Partner, adeliger Herr, Gemahl/Gemahlin, Geliebte/r“. 156 A tant lo pois esmer M, a tant le puis esmer WHR, A „c’est ce que j’avais estimé“ (Guidot/ Subrenat), a tant le vuel esmer Ars „je l’avais estimé ainsi“ (Boutet). Sowohl die relative oder demonstrative Verwendung von a tant als auch die Zugehörigkeit zum Vorhergehenden oder Nachfolgenden ist fraglich. Im M sind danach durch Zeilensprung fünf Zeilen ausgefallen, die die ‚Flucht‘ näher beschreiben. 157 comant wohl fälschlich in M für covent/convent/covenant – vgl. 90 u. ö. Die anderen Hss. haben hier das Synonym veu. 158 Die italianisierte Form ver für afrz. verai, vrai, voir, die in M mehrfach begegnet, z. B. 422, 1344, fehlt in Holtus‘ Glossar.
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Seine Augen trübten sich und begannen sich zu verdrehen. Den edlen Grafen nahm er in den Blick, weil er ihm mit seinem Haupt zunicken wollte. Die Seele schied dahin, sie konnte nicht länger bleiben, ins Paradies ließ Gott sie aufnehmen, zu seinen Engeln stellen und verehren. Guillelme sah es und begann zu weinen. Nun sah er sehr wohl, nichts könnte ihn wiederherstellen. Er legte das Kind auf einen Buckelschild, denn er erkannte wohl, daß er ihn nicht würde tragen können. Mit einem anderen Schild bedeckte er ihn. Als er auf sein Pferd steigen sollte, versagte sein Herz, und er begann zu weinen. Als er sich aufrichtete, klagte er sich an: „Bei Gott, Guillelme, man pflegte Euch zu loben und durchs Land Fierebrace zu nennen. Aber nun muß ich mich als feige erweisen, denn als Feigheit kann ich es mir anrechnen, wenn ich diesen Elenden zurücklasse, den ich wegtragen müßte, um ihn in Orange beerdigen zu lassen; mit allem, was in meiner Macht steht, müßte ich ihn ehren, eher müßte ich mich sehr beschweren und meinen Körper verwunden und verletzen lassen.“ Dann rannte er, um das Kind von den Schilden zu nehmen; schnell stieg er auf seinen Baucent, das Kind ergriff er an einem Schoß der hell glänzenden Halsberge, so daß er es vor sich hinsetzen konnte, in wahrem Eifer brachte er seine Stirne zum Schwitzen. Aber bevor er den Sonnenuntergang sieht, wird er von einem anderen Märtyrer singen müssen.¹⁵⁹
159 D’altre martir il convenra canter M, D’autre Martin il convendra canter WHR, A. Diese verbreitete Redensrat dürfte so etwas bedeuten wie „er wird etwas erleben, er wird Schwereres auf sich nehmen müssen“. In M liegt wahrscheinlich ein verderbter Text vor.
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XXIX. (WHR 30; Ars 30; A 29)¹⁶⁰ Graf Guillelme saß ohne Störung auf, Vivien hob er auf den Hals seines Rosses und beabsichtigte, sich zurückzuziehen. Aber zuvor wird er auf ein tödliches Hindernis treffen, denn er fand dort keinen Weg oder Pfad, der nicht von den feindlichen Leuten bedeckt wäre. Als sie den Markgrafen mit dem wilden Antlitz¹⁶¹ bemerkten, neben dem Archant, wo er auftauchen mußte,¹⁶² fielen mehr als fünfzehntausend über ihn her. „Gott“, sagt Guillelme, „wie kann mich das jetzt in Rage bringen! Nun habe ich keine Schande, wenn ich aufgeben muß.“ Die Heiden schrieen ihn an und brüllten: „Werfen wir ihn nieder, den Schurken, bei Mahomet!“ „Gott“, sagte Guillelme, „wie kann mich das jetzt in Rage bringen!“ Sein Pferd spornte er mit Sporen aus reinem Gold. Schnell kam er wieder zurück. Unter den Baum ist er getreten, um ihn hinzulegen, und hat ihn bedeckt mit einem Kreuzschild,¹⁶³ um seinen Hals hing er einen weiteren, goldgestreiften,¹⁶⁴ den er auf dem Archant herrenlos herumliegen sah. Dann begann er, einen gewaltigen¹⁶⁵ Schmerz zu äußern. „Lieber Neffe“, sagte er, „ich hielt Euch sehr wert. Wenn ich Euch zurücklasse, so soll sich keiner darüber wundern. Mir darf daraus keine Schmach noch ein Vorwurf erwachsen, denn es gibt niemanden, der es zu unternehmen wagte.“ Sodann wendete er sich um und begann zu schreien,¹⁶⁶ und die Türken kamen, denen Gott Verdruß bereiten möge.
160 Von dieser Laisse sind in Ars einer Lücke wegen nur 10 Verse vorhanden. Die Hs. geht erst in Laisse 33 = M 32, V. 1088 (WHR 1012) weiter. 161 au vis fier ein weiterer stehender Beiname Guillelmes. 162 asaiçer M, essavier A, repairier WHR, Ars. Holtus verweist für asaiçer auf TL 3, 1303 s. v. essever, essevier „aus dem Wasser, ans Ufer kommen, auftauchen, ankommen, abfließen“. 163 Typische Schildform mit Einteilung in vier Felder durch ein Kreuz. 164 Vgl. TL 11 (1989) 263–265 s. v. vergié, vergiet, vergier „mit Reifen geschmückt; gestreift, voller Striemen“. 165 premer M, plenier WHR, A. Dieses muß richtig sein. 166 huchier M, soi […] seignier WHR, A „sich bekreuzigen“. Es ist natürlich in dieser Situation ziemlich unsinnig, daß Guillelme die Sarazenen durch Schreien auf sich aufmerksam macht.
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Übersetzung
„Gott“, sagte Guillelme, „nun habe ich Euch nötig! Kommt zu Hilfe, Herr, Eurem Ritter!“ 1045 Dann sprengte er einen Felsen entlang. Die Heiden schrieen: „Ihr werdet nicht entkommen, Schurke! Euer Gott wird Euch gar nichts nützen. Er wird Euch nicht retten oder Euch helfen können.“ Der Graf schwieg, er kümmerte sich nicht darum, Reden zu führen; 1050 er dachte an Flucht und jene, ihn zu verfolgen. Die Sonne senkte sich, es begann, Nacht zu werden. Dem Abend begann es sich zu nähern, und die Sarazenen lassen die Wege bewachen; der Markgraf mit dem wilden Antlitz wird dort nicht durchkommen, 1055 wenn er sich nicht völlig in Stücke hauen lassen will. Zu Vivien ist er zurückgekommen, die Nacht bewachte ihn der Markgraf im Liegen.¹⁶⁷
Guillelmes Flucht XXX. (WHR 31, A 30)¹⁶⁸ Graf Guillelme begab sich unter den Baum; die ganze Nacht wachte er bei seinem Neffen 1060 bis am Morgen der Tag hell wurde. Der Graf saß wieder auf, als dort das Morgengrauen aufleuchtete. Er empfahl seinen Neffen Gott. Auf Baucent wurde er viermal ohnmächtig. Oft schaute er zurück. 1065 Die Nacht war ruhig und der Mond ging auf, und der Tag wurde etwas stärker, das Morgenrot brach durch, und der Tag wurde hell.¹⁶⁹ Und die Sarazenen jagten Guillelme schon, dann schrien sie ihm zu: „Herr Schurke,¹⁷⁰ jetzt wird sich herausstellen,
167 lo marchis a chochier M, de ci a l’esclairier WHR, A „bis zum Hellwerden“. Die Lesart in M ist problematisch. 168 Die Laisse XXX ist in M mehr als um die Hälfte kürzer als bei WHR. 169 Die Beschreibung der Lichtverhältnisse ist in allen Hss. sprunghaft, in M aber besonders unbefriedigend. 170 Auch dem als Schurken beschimpften Feind wird der Adelstitel „Herr“ zuerkannt. Vgl. M 1395.
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1070 wie Euer Gott Euch helfen wird!“
Graf Guillelme ritt weg mit Einsatz der Sporen. In einem Tal begegnete er fünfzehn Königen. Er legt sich ins Zeug, er wird durch sie mitten hindurch wegreiten. Dem Grafen wurde ganz und gar nicht bange, 1075 die fünfzehn Könige fürchtete er überhaupt nicht. XXXI. (WHR 32, A 31)¹⁷¹ Graf Guillelme war voll Kampfeseifer, er sah aber sehr wohl, daß es keinen Sinn hatte zu kämpfen, denn er sah das Gelände von Heiden bedeckt. „Gott“, sagte Guillelme, „der du dich 1080 ans heilige Kreuz nageln und für uns alle töten ließest, so wahr du dies erleiden wolltest, so verteidige ich mich nun an diesem Tag des Unterganges. Baucent“, sagte er, „wenn Ihr nun vorwärtsgehen könnt, denke ich sehr wohl Euch diesen Dienst zu lohnen. 1085 Aber ich muß gegen diese fünfzehn fechten.“ XXXII. (WHR 33, Ars 33, A 32) Graf Guillelme ließ Baucent galoppieren; die fünfzehn Könige haben sich geteilt und getrennt; acht kamen auf ihn zu, sieben sind zurückgeblieben. Diejenigen, die zuerst Guillelme begegneten, 1090 das sind Maustamar¹⁷² und der König Gastablé, und Arios¹⁷³ und der König Tempesté, und Baufemet – dieser war der Neffe Deramés; mit ihnen waren Corsaus und Huré;¹⁷⁴ der Achte war der starke König Coldroé.¹⁷⁵ 1095 All diese schlugen auf Herrn Guillelme Kurznase ein; und an hundert Stellen haben sie seine Halsberge ruiniert;
171 Auch diese Laisse ist in M viel kürzer als bei WHR. 172 Maustamars M, Matamars WHR, Matemars A. 173 Arios M, Agians WHR, Ajaüs A. 174 Avoc els fu Corsanç et Huré M, et Aerans et ses fils Aerné WHR ~ Ars, A. Corsanç = Corsaus M 2002. 175 Cadoié M, Coldoé WHR, Codroé A. Derselbe König muß M 1103 gemeint sein, wo er aber Coldroé heißt. Vermutlich eine Erinnerung an die persischen Könige Chosroes I. (531–578), Chosroes II. (588–627). Vgl. Cosdroé im Eracle von Gautier d’Arras.
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am Körper haben sie ihn verletzt und verwundet, aber den Helden¹⁷⁶ haben sie keineswegs niedergestreckt noch aus dem Sattel des Pferdes geworfen, so als wären sie gegen einen Turm angerannt. Graf Guillelme hatte ein zornentbranntes Herz, im vollen Lauf hat er einen König aufs Korn genommen, das ist Maustamar, der Bruder des Coldroé; all seine Waffen haben ihm nur sehr kurze Zeit standgehalten. Den Körper hat er ihm gespalten und zerschlagen, mit den Beinen nach oben schlug er ihn herab und zu Stücken. Die eiserne Lanze hat er ihm wieder herausgezogen.¹⁷⁷ Er nahm den Ritt wieder auf, mit einem anderen führte er einen Zweikampf, den Schild zerhieb er ihm, die Halsberge zerschlug er ihm, mitten durch den Körper ließ er ihm das Eisen gehen, tot stieß er ihn rücklings vom ausgeruhten Pferd; die Lanze brach, die lange gehalten hat.¹⁷⁸ Graf Guillelme schrie „Monjoie!“, die Heilige Maria rief er oft an. „Lieber Herrgott, bringe mich in Sicherheit nach Orange, der wunderbaren Stadt, zu der Gräfin, die sich sehr nach mir gesehnt hat, gemeinsam haben wir so viel Schlimmes ertragen, um die heilige Christenheit zu erhöhen.“ Mit diesen Worten trieb er sein Pferd mächtig an, dann zog er sein Schwert mit dem Griff aus Gold und Email. In voller Wut führte er einen Schlag gegen Tempesté, oben auf den Helm mit Gold und Edelsteinen, und schlug Steine und Blumen hinunter – der Helmreif war keinen geprägten Heller wert. Bis zur Brust hieb er ihm sein Schwert hinein, von dem guten Pferd hat er ihn tot heruntergeschlagen. Einen anderen König machte er sogleich einen Kopf kürzer.
176 baron (Casus rectus ber) bezeichnet ganz allgemein auf ehrende Weise den Mann, v. a. als kämpferisch hervorragend, speziell dann auch in rechtlicher Hinsicht den Lehensmann im Gegensatz zum Lehensherrn (TL 1, 847). Ich übersetze jeweils der Situation entsprechend. 177 Ich übersetze a a lui retiré WHR ~ A, nicht ha [a] lui ateré M „hat er zu ihm hinabgeworfen“. Denn die Lanze findet weiterhin Verwendung. 178 Ich übersetze qui molt li a duré WHR, A, nicht qui mult a poi duré M, das offenbar gegen den Kontext den Schluß von 1104 wiederholt.
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Der fünfte kam mit erhobenem Schwert, im vollen Galopp, mit verhängten Zügeln und gezogenem Schwert, den Schild nach vorne gewendet. Der Graf sah dies, zuerst hat er einen Streich geführt, den Kopf mit dem Helm vom Rumpf getrennt, so glatt, daß da weder Ruf noch Schrei zu hören war. Graf Guillelme holte zu einem weiteren Hieb aus, den sechsten König beeilte er sich zu schlagen, mitten auf seinen Helm hatte er es sehr gut abgesehen; Gott, der seinen Hieb lenkte, liebte ihn sehr, bis zu seinen Schultern hinab hat er den Schwerthieb geführt. Er ritt weiter, Baucent galoppierte. Dem siebenten König ist der Graf begegnet, so hart rammte er ihn mit dem Schild, fast hätte er ihm den Hals geknickt. Beide Augen sind ihm aus dem Kopf geflogen, von dem guten Pferd hat er ihn rücklings heruntergeschlagen. Graf Guillelme ergriff seinen Schild und nahm ihn an den Schildriemen ihm vom Hals weg. Für tausend Mark schweren Goldes hätte er ihn nicht verschenkt; den seinen hat er abgenommen, jenen um den Hals gehängt, und er begab sich mit Einsatz der Sporen mitten über eine Wiese, das Schwert in der Faust rot von Blut. Der achte König hat sich so erschrocken, daß er nicht für einen Scheffel voll Gold auf ihn gewartet hätte; er wendete sich zur Flucht; das Blut stockte ihm völlig.¹⁷⁹ Der Graf wäre vor ihm in Sicherheit gewesen, als wiederum die sieben Könige ihn anriefen; einer von ihnen war Corsuble, der andere war Carbonclé, der dritte Orible¹⁸⁰ und der vierte Aristé,¹⁸¹
179 tot ha le sanc mué – vgl. TL 6 (1965) 407f. Die Wendung bezeichnet allgemein eine Änderung im Säftehaushalt infolge einer Gemütsbewegung. Sie kann je nach Kontext Angst, Wut etc. ausdrücken. 180 Rasch hält das auslautende s (wie bei Corsuble – Wolfram Corsublê) in den Hss. für zum Stamm gehörig. Wolfram hat es nicht. Allerdings gestaltet er den Namen auch sonst ein wenig um, zu Urabel. Das vortonige o ist schon in den meisten afrz. Dialekten der Zeit ein u (später geschrieben ou). 181 Bei diesem Namen hat Wolfram das Nominativ-s bewahrt (Arestemeiz). Außerdem muß er eine nicht erhaltene Lesart benutzt haben.
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der fünfte Embrons, der sechste Josüé, der siebte hieß Esmeré von Odierne; er war ein Sohn Guiborcs, in ihrem Leib hatte sie ihn getragen, und war also ein Stiefsohn des berühmten Guillelme. Diese haben den Grafen umstellt, von allen Seiten sehr gut eingekreist. Nun möge ihm Jesus in seiner Majestät helfen. Wenn er hier herauskommt, wird er gute Arbeit getan haben. „Herr Stiefvater“, sprach der König Esmeré, „weshalb hast du mich zu Unrecht enterbt und mich durch Verrat aus Orange hinausgeworfen, und hältst meine Mutter gegen meinen Willen fest? Und meinen beiden Brüdern hast du zu Unrecht die Kehlen durchgeschnitten, sie so erschlagen vor den Augen deiner ganzen Sippe, daß große Bäche ihres Blutes flossen; dann hängtest du sie an einen astreichen Baum. Herr Guillelme, ich habe es nicht vergessen! Bei Mahomet, das ist eine große Schmach für mich! Ehrlos möge ich sein, wenn das Unrecht nicht bezahlt wird. Mit diesem Kopf wird mir Wiedergutmachung geleistet werden. Von einer anderen Bezahlung wird kein Wort verlauten.“ Und Guillelme sagte: „Grausame Reden führt Ihr. Wenn der Mensch die Christenheit nicht liebt, und er Gott haßt und die Barmherzigkeit verachtet, hat er kein Recht auf Leben, ich sage dies als Wahrheit; und wer ihn tötet, hat einen Bösewicht vernichtet, er hat Gott gerächt, und man weiß ihm viel Dank dafür. Ihr werdet alle mit Recht Hunde genannt, weil Ihr weder Glaube noch Barmherzigkeit habt.“ Esmeré hörte es, fast hätte er den Verstand verloren. Der König schrie: „Zu lange habt Ihr verweilt!¹⁸² Bei Mahomet, dem ich mein Haupt geweiht habe, übel wird er hinweggehen, wenn wir ihn zu Stücken gehauen haben!¹⁸³ Wenn er Euch entkommt, sind wir zu unserem Unglück verhext worden
182 Trop aveç demoré M schwer verständlich. Lies wohl trop avons demoré M, A „wir zögerten zu lange“. 183 Mai en ira si l’aurons desmembré M, Mar s’en ira si l’aurons desmembré WHR, A „nous l’aurons massacré avant qu’il ne s’en aille“ (Guidot/Subrenat).
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und werden für immer geschmäht werden.“ Mit diesen Worten gaben alle sieben die Sporen und senkten die Lanzen, deren Eisen vierkantig waren; in vollem Galopp kamen sie ihm mit Wucht entgegen, sie schlugen Guillelme auf den goldumrandeten Schild. Er sah die sieben Könige, gemeinsam fochten sie, die Lanzen barsten, die Schäfte brachen. Fast hätten sie Guillelme zu Boden geworfen,¹⁸⁴ aber der Herrgott hat den Helden aufrecht erhalten. Die beiden haben hinten Baucent arg verletzt, der eine an der Kruppe, der andere an der Flanke, so daß beinahe die Gedärme herausgequollen wären. Es ist ein großes Wunder, daß sie es nicht tot niedergeworfen haben. Aber Gott, der König in seiner Majestät, fand daran keinen Gefallen. Graf Guillelme machte sie mit seinem Schwert bekannt,¹⁸⁵ sehr wild kämpfte der Markgraf, seine ganze Kraft legte er in das Schwert; zum guten Schlag spornte er sein Herz an. Wen er ausholend mit vollem Streich trifft, wird vergebens einen Arzt aufsuchen, auch wenn er ihn rasch behandeln wird. Eine kräftige Waffe nützt ihm überhaupt nichts. Die zwölf Könige hat er so übel zugerichtet, daß ihm nur drei von ihnen lebend entkommen sind. Mehr als hundert Türken hat er mit dem schriftverzierten¹⁸⁶ Schwert getötet. Aber man findet es historisch bezeugt, daß es zuvor nie einen Mann von seinem Wert gegeben hat.
XXXIII. (WHR 34, Ars 34, A 33) Mit diesen Schlägen hat Guillelme gute Arbeit getan. 1220 Der König Corsuble machte sich mit Einsatz der Sporen davon. Esmeré hat es eine ganze Schußweite weit geschafft.¹⁸⁷ Vom raschen Laufen waren ihre Pferde erschöpft.
184 atendé M, adenté WHR, Ars, verssé A. 185 lor fait son brant privé fast in allen Hss., aber unklar. Regnier (Glossar): „faire tâter de l’épée“. Danach Guidot/Subrenat. Vgl. TL 7, 1905 s. v. privé „eigen, heimlich, vertraut“. 186 Waffen, v. a. Schwerter, werden im Mittelalter oft zu religiösen und/oder magischen Zwecken mit Schrift versehen. 187 a fait tot un trait fraglich. Vgl. TL 10 (1976) 510–512 trait „Zug, Schluck, Schuß(weite), Tat“.
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Als Guillelme sah, daß er sie nicht ohne weiteres erreichen würde, wandte er sich um und hielt sein blankes Schwert gezückt. Die Gnade Gottes kam ihm trefflich zustatten, da die fünfzehn Könige ihm nichts Böses getan hatten.¹⁸⁸ Er machte sich sofort geradewegs auf den Weg nach Orange, da sprangen¹⁸⁹ vor ihm aus einem Hinterhalt zwei Könige von übler Art,¹⁹⁰ die da waren; es waren Ariofle und Danabru,¹⁹¹ der brüllte; niemals auf der Welt gab es einen Mann, in dem so viel Böses war. „Gott“, sagte Guillelme, „was für ein übler Streit ist das jetzt hier? Es ist kein Wunder, wenn es mich nun betrübt. Aber nichtsdestoweniger geht es für mich gut aus; wenn ich vor diesen beiden fliehe, wäre dies ganz abscheulich; immer wird es meinen Erben vorgeworfen werden. Gott, verzeiht mir, was ich an Euch gesündigt habe; lieber möchte ich sterben, als daß ich mich dort nicht versuche.¹⁹² Baucent“, sagte er, „Ihr habt für mich sehr gute Leistungen erbracht; ich habe Euch alle Tage in meinem Dienst erschöpft;¹⁹³ noch seid Ihr, Gott sei Dank, guten Mutes. Hier sehe ich zwei Könige übers ganze Feld¹⁹⁴ kommen. Es kann nicht fehlen, daß es zu einem großen Kampf kommt.“
188 Ich übersetze WHR 1084 Quant .XV. roi ne li ont rien forfait. Auch Holtus kann M keinen Sinn abgewinnen: Qant voit Guillelmes, .XV. roy rien forfait. Hier ist der Anfang von 1223 drei Zeilen später fälschlich wiederholt worden. 189 sali M Singular mit einem Subjekt im Plural wie häufig – vgl. Holtus, S. LXVII. 190 atrait „Charakter“ TL 1, 655,9 (?). 191 Danebrus M, Daneburs WHR, Ars, Danebron A, Danebruns Hs. B1, Wolfram Tenebruns/ Tenabruns (von Rasch falsch zugeordnet). 192 Ich übersetze mi cors ne s’i essait WHR ~ A (fehlt Ars), qe me cors ne se hait M „als daß ich mich nicht hasse”. 193 entrait M, en hait WHR, A, entait Ars, fraglich. Vgl. TL 3, 619 s. v. entraire „verschlingen“, entrait „hingerissen“, entrait „Wundpflaster“; TL 3, 550 s. v. entait „unberührt, vollkommen, ganz, frisch, eifrig, bedacht auf“. Die Lesart WHR De moi servir vos voi tos jors en hait „Ich sehe euch immer begierig, mir zu dienen“ wäre vielleicht vorzuziehen. Holtus verzeichnet entrait M im Glossar nur mit Fragezeichen. Vielleicht ist es soviel wie estrait 1222 mit Präfixwechsel wie entrachier für estracier oder ensir für essir/issir. 194 tot un garait M, WHR, tout cest agait Ars „from their hiding-place” (Newth), de mal estrait A „de la race immonde” (Guidot/Subrenat). Vgl. TL 4 (1960) 99 s. v. garait „Brachfeld“.
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XXXIV. (WHR 35, Ars 35, A 34) Als die beiden Könige Guillelme sahen, erkannten sie ihn wohl und griffen ihn an. Sie riefen Guillelme und hielten an: „Hochmütiger Schurke, jetzt sind Eure letzten Tage gekommen! Wir haben Euch ausgiebig gejagt und verfolgt; von keinem werdet Ihr mehr gerettet werden, von Eurem Gott Jesus werdet Ihr keine Hilfe bekommen, damit Ihr den Kopf auf dem Rumpf nicht verliert. Viele edle Männer hast du getötet und erschlagen; nun wird es dir heimgezahlt werden; wir werden dich nicht um einen Scheffel geschmolzenen Goldes frei lassen bis zu der Stunde, da du das Haupt verloren haben wirst.“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „noch nie gab es eine solche Schmach! Wenig werden Heiden jemals meinen Schild preisen, wenn Ihr gegen mich gekämpft habt, beide zusammen oder jeder für sich.¹⁹⁵ Wenn Ihr es so macht, wird es Euch zur Ehre angerechnet werden. Laßt mich gehen, ich habe Euch nichts weggenommen; nie habe ich den Wert eines Schildes gestohlen. Und wenn ich Euch mit irgendetwas erzürnt habe, werde ich Genugtuung leisten mit der bloßen Hand, sei es im Gottesgericht oder im Wasser oder im Feuer, denn auf Aliscans habe ich mehr als Ihr verloren.“ Danabru sagte: „Das nützt¹⁹⁶ Euch keinen Strohhalm. Meinen Bruder hast du getötet, den König Marchepalu, tausend Heiden sind durch dich getötet und besiegt worden; diese Schäden werden nie mehr wiedergutgemacht werden. Aber wenn meine Seele von Mahomet das Heil erhalten sollte, werde ich nichts essen und trinken, bis ich Euch getötet und besiegt¹⁹⁷
195 Die Verse 1257–59 sind in M teilweise rettungslos verderbt. Der „Schild“ (escu) dürfte aus 1262 fälschlich vorweggenommen sein. Auch die von Holtus (Glossar) angesetzte Form seü M 1259 für soi „sich“ scheint problematisch. Ursprünglich lautetet der Text wohl ähnlich wie in WHR: „Wenig werden die Heiden jemals Eure Tapferkeit preisen, wenn ihr zusammen gegen mich gekämpft habt.“ Dann paßt aber das Folgende in M nicht mehr dazu. 196 Ich übersetze vaut WHR, Ars, A, nicht cut M (= cuide?). 197 Ein Blick auf V. 1275 zeigt, daß in M V. 1272–73 unsinnig geändert wurden. Ich übersetze daher nicht Ne manierai si t’aurai recreü E par mon cors morç e confondu M „Ich werde nicht
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und am Hals an einem Baum aufgehängt habe.“ „Wahrhaftig“, sagte Guillelme, „Ihr werdet nie mehr so viel trinken.“¹⁹⁸ Der Sarazene gab seinem Roß mit langer Mähne die Sporen und schlug Guillelme vorne auf seinen Schild, auf den Schildbuckel hat er ihn gehauen und ihn gespalten und seine Halsberge zerrissen und zerfetzt; neben seine Flanke hat er sein nacktes Schwert hineingestoßen; Gott hat ihn bewahrt, so daß er es nicht ins Fleisch bohrte. Denn wenn er ihn voll getroffen hätte, hätte er das Schwert mitten durch den Leib geführt.¹⁹⁹ „Gott“, sagte Guillelme, „was für einen Schlag hat mir dieser versetzt! Ich bekam noch keinen so heftigen von einem Ungläubigen. Sein Schwert habe ich nahe meinem Fleisch gespürt; aber wenn es Gott gefällt, wird es ihm teuer heimgezahlt.“ Schnell hob er sein schneidendes Schwert; mit solchem Eifer hieb Guillelme auf ihn ein, auf seinen mit Gold beschlagenen Helm, daß er ihn ganz spaltete wie einen Holunderzweig. Die Helmhaube war keinen geprägten Heller wert, so daß das Hirn unten herausquoll; tot warf hat er ihn mitten auf eine grasreiche Wiese. „Schurke“, sagte Guillelme, „nun habt Ihr zu lange gelebt! Deinen Schwur hast du sehr schlecht erfüllt. Meiner Treu, Ihr habt einen üblen Plan vorgehabt. Deinem Dienst gemäß hast du deine Belohnung bekommen, du wirst in die Hände der Hölle zu Beelzebub gelangen.“ Ariofle sprach: „Genug habt Ihr gelebt; Ich werde Euch einen schmerzhaften Empfang bereiten.“
essen und dich besiegen und eigenhändig töten und vernichten“, sondern Ne mangerai ne nen avrai beü Tres ke je t’ai ou mort ou recreü WHR, Ars. In A steht ein ähnlicher Unsinn wie in M, den Guidot/Subrenat in ihrer Übersetzung mühselig zurechtzubiegen versuchen. 198 Ich übersetze ja n’avrés tant beü WHR, A (fehlt Ars), nicht ainc tant n’eüs beü M. Nach dem Vorhergehenden ist unbedingt eine Aussage über die Zukunft zu erwarten. Futur exakt steht wie üblich für einfaches Futur. Wie Guidot/Subrenat zu ihrer Übersetzung von A „vous êtes complètement ivre“ kommen, ist mir rätselhaft. 199 Die beiden Verse 1282f. fehlen WHR, Ars. Sicher unrichtig ist die Wiederholung des Reimworts conseü. A hat an der zweiten Stelle cosu, was ich hier übersetze. Überdies muß man si 1282 in M als se „wenn“ auffassen.
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XXXV. (WHR 36, Ars 36, A 35) Als Ariofle Danabru sterben sah, hatte er solchen Schmerz darüber, daß er glaubte, den Verstand zu verlieren.²⁰⁰ Er sagte zu Guillelme: „Ihr werdet nicht mehr entfliehen können; alles Gold der Welt könnte Euch nicht davor bewahren, einen üblen Tod sterben zu müssen. Nun gebührt es dir, mein starkes Schwert zu spüren, mit dem ich bereits zahlreiche Christen in den Tod geschickt habe. Nach Orange werdet Ihr nicht mehr zurückkehren können, zu der Hure, die ich tief hassen muß, die meinen Neffen Tibaut in Schande brachte, einzig deinetwegen, und aus dem Land übers Meer zu fliehen und Orange aufzugeben zwang [und von seinem Land zu jagen und zu ergreifen]. ²⁰¹ Bei Mahomet, zu deinem Unglück wolltest du es ihm rauben. Wenn ich Euch die Untat nicht bereuen lasse,²⁰² sollte ich nie wieder ein Königreich besitzen. Aber wenn du deinem Gott abschwören wolltest und Mahomet ehren und ihm dienen, könntest du noch, wenn es denn geschieht,²⁰³ gut davonkommen.“ „Gott“, sagte Guillelme, „was kann aus mir werden? Ich sehe diesen Sarazenen in so großem Kampfeseifer. Ich konnte noch nie einen von seiner Statur sehen. So ist er bewaffnet, daß er keine Angst hat, sich zu schlagen und von meinem Schwert sogleich den Stahl zu brechen. Ich sehe, wie bei meinem Pferd das Blut heraustritt,
200 Ich übersetze le sens quida marir WHR bzw. del sens quida issir Ars oder del sanc cuide partir A, nicht de sen cuida marir M, wo offenbar eine Mischung der Konstruktionen eingetreten ist. 201 Der – in der von fait 1311 abhängigen Konstruktion nicht mehr sinnvoll unterzubringende – Vers steht nur in M, A1 und A2, ist also wohl interpoliert. Er wird auch nicht verständlicher, wenn man mit A1 und A2 desaisir (= dessaisir) „enteignen, wegnehmen“ statt saisir M „ergreifen, in Besitz nehmen“ liest. Die Übersetzung von Guidot/Subrenat „perdre et abandonner ses terres“ scheint nicht möglich. 202 Ich übersetze Se dou tort fait ne vos fas repentir WHR, Ars ~ A, nicht Se del forfait ne vos poez garir M. Vgl. TL 4 (1960) 158–168 s. v. garir reflexiv „sich retten, sich erhalten, entrinnen, sich erwehren“. Das will alles nicht passen. Vermutlich ist das Reimwort irrtümlich aus 1320 vorweggenommen worden. 203 se devien M, seurement WHR, A. Die Lesart in M ist auch für Holtus „non chiaro“.
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ich spüre es wohl, sehr bald wird es unter mir sterben. Und von Heiden sehe ich die Erde sich bedecken. Hilf, Gott, der du dich ans Kreuz nageln ließest! 1330 Nun sehe ich wohl, daß ich dem Sterben nahe bin. Bewahre mich, Herr, wenn es deinem Willen entspricht!“ ²⁰⁴
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XXXVI. (WHR 38, Ars 38, A 37) Ariofle sagte: „Guillelme, nun höre zu! Ich kämpfe mit dir, und weißt du, aus welchem Grunde? Weil das Christentum nichts wert ist. Jeder nimmt es zu Unrecht an, der es und ebenso die Taufe auf sich lädt,²⁰⁵ da sie nicht mehr wert ist als ein Windhauch. All Eure Messen und jedes Sakrament, Eure Ehen und Eure Vermählungen, Eure Gebete und Eure Hochzeitsfeste,²⁰⁶ und dieses Gesetz, das Eure Leute einhalten, (das alles) besteht nicht zu Recht, vielmehr ist es Betrug. Ein solcher Glaube lebt durch Zauberei. So wie ich gesagt habe, beschwöre ich die Wahrheit davon. Ich weiß es wahrhaftig und zweifle gar nicht daran: Gott ist dort oben über seinem Firmament und hat hier unten von der Erde kein ganzes Joch. Vielmehr gehört sie Mahomet zu seiner Verfügung;²⁰⁷ und dieser gibt Ihr Gewitter und Wind, die Frucht der Bäume, den Wein und das Getreide.
204 In M fehlt hier die folgende Laisse WHR 37, Ars 37, A 36, worin Ariofle als schwerbewaffneter Riese beschrieben wird (in Ars stark verkürzt) und der Heide von Guillelme vergeblich die Bekehrung zum Heidentum und die Herausgabe Guiborcs fordert. 205 1335 Qi sor son chief la met, a tort la prent M ~ WHR, Ars, A, 1336 E lo batisme i met ausivement M, Et le bautesme desdi jou ensement WHR, A, Et le bautesme i met jou ensement Ars. M 1336 ist problematisch. Das i met scheint die Phrase der Zeile davor verkürzt zu wiederholen. In etlichen Hss. wechselt allerdings das Subjekt zur 1. Person. Ist ausivement soviel wie aussiment TL 1, 684, 45 (= aussi)? 206 Die dreimalige Erwähnung des Sakraments der Ehe geht sogar über die übliche epische Breite hinaus. Soll sie die theologische Unkenntnis des Heiden kennzeichnen? 207 Ich übersetze Ains est Mahom a son commendemant WHR, Ars, A, nicht Einç est Macons e son comandament M ~ Hs. B1. – Dies ist die einzige Stelle, an der der angebliche Polytheismus dem tatsächlichen islamischen Glauben durch die Unterordnung Mahomets unter den einen Gott ein wenig angenähert wird.
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An ihn soll man glauben und seinem Willen folgen.“ „Schurke“, sagte Guillelme, „all das streite ich Euch ab!“ Der Graf bückte sich und streckte sich zur Erde hinab; er sah eine Lanze und nahm sie vom Pferd aus. 1355 Dann teilten sie beide gegenseitig sehr heftig aus. Aber das Pferd Guillelmes ging sehr langsam, das des Heiden stürzte wie der Blitz herab. Beide stachen sehr hochmütig²⁰⁸ aufeinander ein, so daß die Schilde wahrhaft zerstückelt wurden. 1360 Nahe den Körperflanken waren jetzt die Eisen. Gott beschütze Guillelme mit seinem Gebot! So stießen beide so heftig aufeinander, daß jeder von ihnen den anderen auf die Erde hinstreckte. Beide fielen sehr heftig.²⁰⁹ 1365 Keinen gab es, dessen Leib nicht blutete. XXXVII. (WHR 39, Ars 39, A 38) Graf Guillelme ritt mit der Lanze gegen den Sarazenen an. Den Schild zerbrach er ihm und die Halsberge ruinierte er ihm; am Leib verletzte er ihn so schwer, daß das Blut zu Boden strömte. 1370 Voll Kampfeseifer stieß²¹⁰ ihn der Heide, daß die Gurte rissen und der Pferdepanzer sich löste,²¹¹ Guillelme stürzte mit den Beinen nach oben, und der Heide fiel auf der anderen Seite herunter. Jeder von beiden rammte seinen Helm so in die Erde, 1375 daß die Helmreifen und der Nasenschutz barsten und aus dem Mund das rote Blut rann. Beinahe wären ihre Herzen gebrochen. Doch von den Pferden rührte sich keines von der Stelle; das des Heiden wieherte laut;
208 argoilosement M (= orgoillosement nach Holtus, S. LII), angoiseusement WHR, A „angstvoll, eifrig”, durement Ars „hart, heftig”. 209 valoierement eine sonst unbekannte Ableitung von valoir. Der Vers fehlt in den übrigen Hss. 210 boicha = bota? vgl. TL 1, 1092. 211 li poitrals laysca M, li protrail quassa WHR ~ Ars, A. Übersetzung von laissier fraglich.
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Übersetzung
1380 einen Sattel hatte es auf dem Rücken, und sehr festgeschnürt,²¹²
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daß er sehr gut hielt und nie aufging.²¹³ Der Sarazene erhob sich als erster, er war groß und kräftig, doch nie liebte er Gott; er richtete sich auf, wie ein Eber schnaubte er. Er zog das Schwert, das glänzte und leuchtete, reckte seinen Hals, schritt auf den Grafen zu. Nun beschütze ihn Gott, der die Welt erschaffen hat.²¹⁴ Sobald Guillelme sich aufrichtete, schlug ihm der Heide mitten auf seinen Helm,²¹⁵ und glitt, als er ihn traf, abwärts ab. Der Graf wäre tot gewesen, doch er wendete sich weg,²¹⁶ auch weil unser Herr seinen Mann beschützte. Bis zum Boden glitt das stählerne Schwert. „Gott“, sagt Guillelme, „was für ein Schwert!“²¹⁷ Ariofle sagte: „Herr Schurke, nun wird sich hier erweisen, wie Euer Gott Euch helfen wird! Euer Kampfesmut wird bald zu Ende sein.“ Schnell holte er zu einem neuen Schlag aus. Er hätte ihn jetzt getroffen, doch der Graf beeilte sich, mit dem stählernen Schwert gab er ihm einen gewaltigen Hieb mitten auf seinen Helm, der leuchtete und strahlte; so hart war er, daß er ihm keinen Schaden zufügte. Der Schlag rutschte ab, mit Wucht ging er hinunter, so daß er ihm seinen ganzen Schild mit Wucht abschlug.
212 mult forment sorcengla M, molt fort le sorchaingla WHR, où molt fort caingle a Ars, fehlt A. Dem Ursprünglichen dürfte Ars am nächsten kommen. M u. WHR setzen einen abrupten Subjektwechsel voraus. Nur der Reiter kann den Sattel festgezogen haben. In der Übersetzung kann man das nicht nachmachen. 213 Ich übersetze deboucla WHR, Ars, A, nicht descocha M. Vgl. TL 2, 1509f. s. v. descochier „abschießen, abgeschossen werden, losstürzen“. 214 Or li garda (= gart?) dex qi li monde ostera (= estora?) M, or le garisse cil qui le mont forma A, fehlt WHR, Ars. 215 sena M = assena WHR, Ars 216 mais de fors se torna M. Die Übersetzung ist eine bloße Notlösung, denn ursprünglich ergab sich aus der vorhergehenden Zeile, die in M fehlt, das Schwert als Subjekt. Es verfehlt den Helden knapp. 217 cele spee M für quel espee sprachliche Variante oder Verlesung?
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1405 Der Heide schrie böse.²¹⁸
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Guillelme sah es, er war darüber sehr unwillig, sich und sein Schwert klagte er heftig an: „Bei Gott, Joiose, recht hatte, der Euch schmähte! Als Euch Charlemagne in Aachen übergab, in Anwesenheit der Franzosen, lobte er Euch sehr, daß es auf der Welt kein so gutes gebe außer Durendal.²¹⁹ Verflucht sei, wer jemals Euch noch loben wird oder für wert halten einen Tag seines Lebens!“ Fast hätte es der Graf auf den Boden geschleudert. Der Heide sagte: „Schlechte Arbeit hat es getan!“ Er hielt das seinige, das leuchtete und strahlte, mit großer Wucht hielt er es erhoben; schon hätte er ihn getroffen, doch der Graf setzte ihm so hart zu,²²⁰ daß er ihm seinen ganzen Schild spaltete und abschlug,²²¹ ihm einen der Schöße der Halsberge abriß, ihm den Panzerkragen zerbrach und durchtrennte und, was er vom Fleisch erreichte, abschnitt. Mehr als sechs Fuß wankte der Heide. Guillelme sah es, er lobte den Herrgott dafür, Ihm und seiner Mutter dankte er sehr für solche Ehre, die er ihm hier bereitet hatte. Aber der Heide holte wieder mit Macht zum Schlag aus.
XXXVIII. (WHR 40, Ars 40, A 39) Graf Guillelme sah den Heiden, der das Schwert hielt und seinen Schild umfaßte. 1430 Er sah, wie groß, häßlich und kräftig er gebaut und wie groß sein Kopf mit dem spitzen Helm war. Großen Respekt hatte er vor seinem Schwert aus schneidendem Stahl. Der Held rief da den hohen Namen Jesu an und hielt Joiose fest, das Charlemagne gehörte.
218 mauvasement le païn ecrïa M, offenbar zersungen, wie das Folgende zeigt. Mauvaisement le paien assena WHR, A „Schlecht hat er auf den Heiden gezielt“. 219 Das berühmte Schwert Rolands. Es stört hier den Reim auf –a und wird daher in M zu Durindra verändert. 220 haster transitiv in der Bedeutung „bedrängen, hart zusetzen“ TL 4 (1960) 970f. 221 Der Vers wiederholt fast wörtlich 1404 und gibt also kaum einen Sinn. Dennoch ist er (nach WHR) nur in Hs. C ersetzt worden.
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1435 Mit solchem Wucht traf er den Heiden
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links zwischen Hals und Schild, daß er ihm die Halsberge auftrennte, den Panzerkragen zerriß. Mit großer Wucht ließ er das Schwert niedersausen. Den ganzen Oberschenkel trennte er vom Rumpf.²²² Graf Guillelme drang auf ihn ein, warf ihn rücklings nieder. Wisset wahrlich, große Freude empfand er darüber! Er sagte zu Joiose: „Gesegnet seist du! Meiner Treu, es gab es nie ein besseres!“ Der Sarazene schrie mit Macht. „Schurke“, sagte Guillelme, „Ihr habt einen schurkischen Plan vorgehabt! Für deine Dienste hast du deinen Lohn erhalten. Mit diesem Schwert werde ich Euch einen solchen Gruß sagen, daß Ihr das Herz voll Kummer habt. Nun ist es mit Eurer großen Kraft zu Ende. Was sie auch gewann, Ihr habt es verloren. Macht ein Holzbein aus Eiche oder Holunder.²²³ Dann wird man es zukünftig sehr wohl sehen, daß Ihr Bekanntschaft mit Guillelme gemacht habt, dem mit der kurzen Nase, der viel Übles erfahren hat. Ein wenig habe ich Euch mein Schwert fühlen lassen. Böser Heide, nun ist es deutlich geworden, daß Gott mehr wert ist als Apollo und Cahu. Zum Pfuhl der Hölle, zu Beelzebub wirst du gehen.“ Dann nahm er das gute Streitroß mit der langen Mähne. Der Graf stieg auf mit Hilfe des Steigbügels aus gehämmertem Gold, ²²⁴ daß weder Zicklein noch geweihtragender Hirsch hätten mithalten können. „Nun nehme ich mich vor keinem ungläubigen Heiden mehr in acht!“ Sogleich brach er auf, den Türken ließ er bekümmert zurück. Ariofle sagte: „Guillelme, wohin gehst du? Sprich zu mir, wenn deine Seele je ihr Heil finden soll.“
222 Das stimmt mit Wolframs Darstellung überein, der jedoch die Vorgeschichte dieses Schlages ganz anders schildert. 223 Ich übersetze de seü WHR, Ars, A, denn de schu M ist wohl soviel wie d’escu. 224 Einschub von WHR 1315.
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XXXIX. (WHR 41, Ars 41, A 40) Ariofle sagte: „Guillelme Kurznase, sprich zu mir, edler ehrenvoller Graf! Ich sehe sehr wohl, daß ich übel zugerichtet wurde und mich von hier nicht erheben werde, wenn ich nicht auf dem Karren geführt werde, da ich den Oberschenkel und die ganze Seite verloren habe. Doch, bei Mahomet, gebt mir mein Pferd zurück! Sehr teuer wird es Euch abgekauft werden, mit Gold aus Arabien wird es dreifach aufgewogen werden, und Ihr werdet selbst²²⁵ dafür freibekommen diejenigen, welche wir in unseren Schiffen gefangenhalten.“ Guillelme dachte, er sage die Unwahrheit und habe sich das ausgedacht, um ihn zu überlisten. Er sagte zu dem Heiden: „Unsinn redet Ihr. Vielmehr werde ich weggehen, und Ihr werdet auf mich warten, bis ich aus Frankreich zurückgekehrt sein werde. Wenn es Euch verdrießt, dreht Euch auf die Seite. Bösartiger Heide, sei verflucht. Von dem Pferd bekommt Ihr nichts mehr, sondern ich werde es wegführen, auch wenn Ihr darüber böse seid.“ Der Türke hörte dies, beinahe hätte er den Verstand verloren. Ein lautes Geschrei erhob der Türke: „O weh, Guillelme, was für ein Pferd habt Ihr! Bei Mahomet, führt nicht das beste weg, welches je gesehen oder erblickt wurde! Gar so schnell läuft es und ist so voller Elan, daß kein gefiederter Vogel sich mit ihm messen könnte. Bergauf und bergab kann es nicht müde werden. Schneller würde es ein Gewässer durchschwimmen als ein Fisch es bewältigen könnte.²²⁶ Nie kann es im Lauf müde werden. Hufe hat es harte, wie gehämmerter Stahl. Mit ihm habe ich meine Erbländer erobert und bin im Krieg sehr gefürchtet und respektiert
225 meesmes wohl verlesen aus neveus „Neffen“ (M, Ars. A). 226 Ich übersetze Que uns poissons n’i seroit tresnoés WHR, A, nicht Qi uns peisons ne seroit retorneç M. Holtus setzt auch que als richtig an. Aber auch das Verb in M scheint kaum sinnvoll.
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1500 von den Pässen von Aspre²²⁷ bis nach Balaguer.²²⁸
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Seitdem ich auf ihm zum Ritter gemacht wurde und mein stählernes Schwert in der Hand hielt, fürchtete ich weder König noch Emir noch irgendeinen sterblichen Mann. Durch meine Leibeskraft allein habe ich tausend Männer besiegt, keiner mehr ist je entronnen – du ausgenommen. Ach, Volatile,²²⁹ so viele Tage habe ich dich gehütet. Jetzt hast du mich dahin geführt, wo ich übel zugerichtet wurde! Aber nichtsdestoweniger bin ich deinetwegen sehr bekümmert, bei Mahomet, dem mein Leben geweiht ist, um Euch tut es mir viel mehr leid als um mich. Nun gib es mir zurück, Guillelme Kurznase! Trefflich habt Ihr es gemacht, jetzt bringt es mir zurück! Ich werde dir dafür alle deine Wünsche erfüllen, und dreifach wird es mit feinem Gold aufgewogen, und zwar mit dem feinsten, das man finden wird. „Schurke“, sagte Guillelme, „ich glaube, Ihr spottet meiner! Beim heiligen Dionysius, wenn Ihr von mir scheidet, werdet Ihr weder meiner noch sonst jemandes je mehr spotten! Es hätte keinen Wert, wenn Ihr mir entkämet.“ Und der Heide ist vor Schmerz ohnmächtig geworden, kein Wunder, denn er ist auf den Tod verwundet. Von seinem Pferd beugte sich der Graf herunter, das Schwert von Stahl entgürtete er ihm von der Seite. Mit eben demselben wurde ihm der Kopf abgeschlagen. Da war der Graf ein wenig in Sicherheit. Von dem guten Pferd stieg er zur Erde
227 Holtus vermutet, de Pie in M sei verschrieben für d’Epre. Vgl. d’Apre A. Régnier (Glossar) identifiziert dieses nach Bédier mit Aspre/Aspe in den Pyrenäen. 228 Stadt in Katalonien, einer der Vorposten der islamischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel. In allen Hss. in der Form Balesguez oder sehr ähnlich. Wolfram macht daraus Belestigweiz. 229 Eine ‚authentische‘ Form des Pferdenamens ist nicht zu ermitteln, da die Überlieferung verwirrend ist und die Assonanz keine eindeutige Auskunft gibt. In M begegnen die Formen Volatil(l)e und Volatin, diese nur 1611 in in-Assonanz, wo auch die anderen Hss. den Auslaut anpassen. Zweimal, 1649, 1664, steht Volatile in –ise-Assonanz, wo die meisten Hss. (nicht aber M!) denn auch Volatise/Folatise schreiben. Wolfram kennt nur Volatîn (gesichert durch den reinen Reim!).
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und nahm dem verfluchten Heiden die Rüstung ab. In Eile rüstete sich der Graf damit. Nachdem der edelsteinbesetzte Helm aufgebunden war, hängte er Joiose daneben an seinen Sattelbogen. In Eile stieg der Graf wieder auf. An seinen Hals hängte er seinen festen eingravierten Schild.²³⁰ Einem Türken sah er eher gleich als jedem (anderen) lebenden Manne. Er kam zu Baucent, das sehr ermüdet war, nahm ihm den Zügel ab und die Panzerung von den Flanken. Deshalb tat es der edle ruhmreiche Graf, damit es nicht von einem Türken oder Slawen gefangen würde und besser laufen könnte und schneller sein würde. Dann brach er auf und befahl sich Gott. Seine Zunge änderte er, seine Sprache hat er aufgegeben. Griechisch sprach er, denn er war gut gebildet.²³¹ Sarazenisch verstand er wiederum genug. Guillelme begab sich fort, der Graf mit der kurzen Nase. Mit einer heidnischen Rüstung war er sehr gut bewaffnet worden. Erstaunlich groß war seine Kraft. Baucent folgte ihm ohne Zügel und Sattel. Hilf, Gott in der heiligen Majestät! Seinetwegen²³² kam der Graf später in solche Schwierigkeiten und wurde von den Heiden wahrgenommen und erkannt.
XL. (WHR 42/Teil 1, Ars 42/Teil 1, A 41/Teil1) Guillelme begab sich weg mitten durch fremdes Land, das ist Goriant, dem alles mangeln möge.²³³ „Gott“, sagte der Graf, „welch schmerzliches Unternehmen! Auf Aliscans habe ich meine Heerschar verloren; 1555 es wird keinen Tag mehr geben, an dem ich es nicht beklage.
230 Das Epitheton letrez gehört weit eher zu einem Schwert – vgl. V. 1216, 1940, 7644. Es ist wohl vom Sänger vertauscht worden. 231 Auch die in den Augen des katholischen Europa nicht rechtgläubigen Griechen werden einfach den Heiden zugeschlagen – vgl. Martin 1993, S. 123. 232 Des Pferdes wegen. 233 C’est Gorïant cui tote rien sofragne M, C’est Gloriainne, qui tote anors sofraigne WHR, C’est Urïene qui tot anors sofraigne A „Uriene – Puisse-t-elle être privée de tout honneur“ (Guidot/Subrenat). Régnier hält Uriene für ein unbekanntes ödes Land. Rasch identifiziert Gloriainne mit einer Landschaft bei Arles. Langlois kennt den Namen unter keiner der Formen.
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Übersetzung
Um meiner Neffen willen empfinde ich großes, außergewöhnliches Leid, weil die Sarazenen aus Spanien sie gefangenhalten oberhalb vom Archant im Meer in einer Barke. Gott stehe ihnen bei und die Heiligen der Bretagne. XLI. (WHR 42/Teil 2, Ars 42/Teil 2, A 41/Teil 2)²³⁴ 1560 Guillelme ritt im Galopp längs des Gebirges weg. Baucent folgte ihm sehr heftig blutend.²³⁵ Als Guillelme auf eine Ebene kam, begegneten ihm ein Türke aus der Boraine und Männer aus Palermo und welche aus Apulien,²³⁶ 1565 und Desiré²³⁷ von Golaine²³⁸ führte sie und der schurkische Baudus²³⁹ mit dem wilden Antlitz. So einen Schurken gab es nicht bis zum Hafen der Bretagne, so daß²⁴⁰ auf seinem Land weder Flachs noch Wald wuchsen. Ein gutes Pferd hatte er und einen Wimpel an seiner Lanze, 1570 und Desiré hatte an seiner Lanze auch einen.²⁴¹ Guillelme suchten sie, auf den sie einen großen Anschlag vorhatten. Als sie ihn sahen, gab der eine dem anderen ein Signal: „Wer ist jetzt der dort, der über dieses Gefilde kommt?
234 Die Laisse ist trotz derselben Assonanz in M zweigeteilt. Zwischen den beiden Teilen fehlen gegenüber den meisten anderen Hss. vier Verse. 235 qi mult duremant se hagne M, ki molt durement saigne WHR, Ars, A. Holtus vermutet zurecht Verderbnis von sehagne aus sagne. 236 Teile Unteritaliens und Sizilien gehörten im Frühmittelalter tatsächlich zum islamischen Machtbereich. 237 Desireç (= Desirez) die sonst in M verwendete Namensform (im Nominativ), vgl. 1570, 1576, 1636, eine Kennmarke von M, die auch im Wh. als Tesereiz wiederkehrt. In 1565 steht allerdings ausnahmsweise in M Defreeç, verlesen aus Desreeç. Diese Form ist die häufigste in der übrigen Überlieferung. 238 Unbekanntes Land (Golan in Syrien?). In der Handschriftengruppe A steht dafür Aquitanien, was kaum stimmen kann. 239 Zu diesem vgl. die Einleitung. 240 Die Konjunktion que ist hier wenig sinnvoll und fehlt auch in der übrigen Überlieferung. 241 E Desireç ot en sa lance une faine M, Et Desreés chevacoit une alfaigne WHR, Ars, A „und D. ritt ein arabisches Roß.“ une faine nicht nachweisbar, vgl. jedoch fanon, mhd. van[e]. Oder ist die ganze Zeile in M verderbt?
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Er hat Waffen, kostbar und von sehr teurer Arbeit.²⁴² 1575 Ihm entgegen ohne jeden Verzug!“
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XLII. (WHR 43, Ars 43, A 42) Desiré sagte: „Baudus, Sohn des Aquin, siehst du jenen dort unten auf diesem Weg? Ein rotgelb geschecktes Pferd folgt ihm auf der Spur. In den Waffen gleicht er meinem Cousin Ariofle, dem besten König, der je Wein trank.²⁴³ Niemals auf der Welt gab es einen so stolzen Sarazenen. Ich glaube, den Pfalzgrafen hat er getötet,²⁴⁴ den mit der kurzen Nase, den Schurken aus der widerwärtigen Sippe. Wohl erkenne ich sein rotgelb geschecktes Pferd, das Ariofle im Galopp hinten nachfolgt.“ Da sagte Baudus: „Bei meinem Gott Apollo! Im Reiten ähnelt er schlecht einem Berber.“²⁴⁵ Bei diesen Worten ließen die Cousins die Zügel locker. Guillelme kamen sie neben einer Tanne entgegen. Baudus, der ein elendes Herz hatte, nahm das Wort und sprach zu Guillelme: „Woher kommt Ihr so früh? Wohin werdet Ihr reiten, sagt, Herr Cousin?“ Der Graf antwortete und sagte in ihrer Sprache²⁴⁶ und redete mit großer Klugheit zu dem Sarazenen: „Ich habe den König Alepantin²⁴⁷ zurückgelassen, unterhalb des Archant, neben einer Tanne, dort habe ich auch Guillelme tot auf dem Rücken liegend zurückgelassen.
242 Armes ha riches et de mult chere ovragne gegenüber M, wo l’ovragne steht, von Holtus richtig hergestellt. Zu ovraigne „Arbeit, Handwerk“ TL 6 (1965) 1450f. 243 Dieser Vergleich in M und A zeigt einmal mehr die totale Unkenntnis der muslimischen Lebensweise. 244 Es fehlt hier in M gegenüber anderen Hss. das Verb a. Vgl. auch Holtus. 245 barbarin nach Régnier, Glossar, Bezeichnung der Berber, der afrikanischen im Gegensatz zu den europäischen Sarazenen. TL verzeichnet nichts dergleichen. 246 en son latin M, A, en leur latin WHR, Ars. Es ist auf jeden Fall die heidnische Sprache gemeint. son muß sich daher auf Baudus beziehen, was sich im Deutschen aber nur umständlich ausdrücken läßt. Oder steht son für leur – vgl. 1614? 247 Autipantin M (5159 Alepantin). Hsl. Varianten Anpatrin, Alampatin, Alipatin, Alepantin; Wolfram Aropatin.
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Getötet habe ich ihn mit meinem stählernen Schwert. Dort habe ich ihm seine doppellagige Halsberge ausgezogen und habe mich davongemacht und werde auf den Weg führen Danabru und seinen Bruder Kain und Baufomet und den König Florentin, Ami²⁴⁸ von Cordoba²⁴⁹ und den König Vacarin und Auceber, den Bruder des Oltremarin. Denn in Orange wäre ich gerne am Abend. Ich werde mich Guiborcs und des Palas aus Marmor bemächtigen. Gut könnt Ihr²⁵⁰ dort Unterkunft finden am Morgen. Dann werde ich sie an Tibaut, Euren Cousin, übergeben.“ Dann ritt er weiter und hielt den Kopf gebeugt. Jene empfahlen ihn ihrem Gott Apollo. Wohl wäre der Graf auf Volatile davongekommen, aber die Heiden sahen seinen Hermelinpelz und die beiden Eisenhosen, die voll Blut waren. Daran erkannten sie, daß er nicht ihr²⁵¹ Nachbar war. Auf einmal stießen sie gemeinsam einen lauten Schrei aus: „Bei Mahomet, Ihr werdet so nicht wegkommen! List wird Euch keinen Heller nützen! O weh, Guillelme, tückischer, verräterischer Hund! Soviel habt Ihr Euch ausgedacht an Betrug und List.“ XLIII. (WHR 44, Ars 44, A 43)
1620 Die Sarazenen waren von widerwärtiger Art.
Den Grafen betrachteten sie von vorne und hinten, sahen den Hermelinpelz über das Streitroß hängen und die Riemen der Eisenhose zerfetzt, der aus Eisen, deren Ringgeflecht aus reinem Gold war,²⁵² 1625 über die Sporen hinten herabgerissen. Die Eisenhose, die nicht leicht war, erschien blutrot.²⁵³
248 Hier verschrieben als Anim, vgl. aber M 2006 u. die anderen Hss. 249 Cordes, durchgängige Form für die spanisch-muslimische Metropole Cordoba. 250 poreç M, porrai WHR, Ars, A. Beides erscheint sinnvoll. 251 Wieder son für leur? Vgl. 1593. 252 dont la mayle est d’or mere M. Die Überlieferung ist hier ganz uneinheitlich. M ist auf jeden Fall Ergebnis des Zersingens, da reines Gold zum Schutz wirkungslos wäre. 253 La cauce roye pert qi n’iert pas legere M, La cauce pert, ki n’estoit pas entire WHR, Ars, A „les chausses endommagées sont visible” (Guidot/Subrenat). Vgl. 2949.
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Baucent sahen sie hinten nachfolgen.²⁵⁴ Da wußten sie wohl: Dies ist Graf Fierebrace.²⁵⁵ „Ihr werdet dort weder am Hügel noch am Fluß überleben.“ Guillelme hörte es und sprach stolze Worte: „Bei Gott, Ihr Schurken von übler Art, Euch werte ich nicht einmal so hoch wie eine gemeine Magd! Aber wenn es Gott gefällt und meinem Herrn, dem heiligen Petrus, werde ich aus einem von Euch eine Leiche machen.“ Er spornte Volatile, das rascher als ein Windhund lief, traf Desiré vorne beim Zusammentreffen. Sein Helm war für ihn nicht soviel wie eine Birne wert, der Kettenpanzer nicht soviel wie ein Farnkraut. Mitten durchs Herz rannte er ihm die mächtige Lanze, tot warf er ihn gerade mitten auf die Wiese. Ehe der König den Steigbügel geräumt hatte, ergriff Guillelme die Lanze und den Wimpel und war schneller weg als eine kleine Lerche. Baudus jagte ihm nach durch ein Binsenfeld und gut und gern zehntausend von dem Teufelsvolk. Baucent hielten sie fest vorne und hinten; diese verbrecherischen Leute rissen es in Stücke und verletzten den Markgrafen im Gesicht.
XLIV. (WHR 45, Ars 45, A 44) Graf Guillelme begab sich auf Volatile fort, 1650 seinem guten Streitroß – es gab kein besseres bis Friesland. Baudus, der viel auf sich hielt, jagte ihm nach, ein Sarazene, welcher voll sehr großer Wut war;²⁵⁶ einen solchen Schurken gab es nicht bis zum friesischen Meer. Gott verdamme ihn und der heilige Dionysius ihr Herz.²⁵⁷
254 Ich übersetze ki le sieut par derire WHR, Ars, nicht qi no fuit la pesdriere M oder qui le suit la poudriere A „qui le suivait dans un nuage de poussière”. M ist offenbar verlesen. Aber auch A erscheint nicht unbedenklich. 255 Nach 1628 ist wohl ein Vers mit der Redeeinleitung, der in den anderen Hss. steht, versehentlich ausgefallen. 256 q’ert de mult grant atisse M, ki son ceval atise WHR, Ars. Vgl. TL 1, 643 s. v. atisier „entflammen“; Holtus, Glossar, s. v. atisse „stizza“. Das Wort fehlt bei TL. 257 e lor cor san Donise M unklar. Die anderen Hss. haben in dieser Laisse zum Großteil einen ganz anderen Text.
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Übersetzung
1655 Bei ihm waren Heiden von vielerlei Art
sowohl die von Persien als auch die von Maelgise und die von Syrien und die in Richtung Larise.²⁵⁸ ²⁵⁹ Baudus, der Schurke, den der Herrgott verdammen möge, auf seinem Streitroß, das ohne Ermüdung lief.²⁶⁰ 1660 Mit den Sporen stachelte er seine Flanken an, und jener ritt weg, der zum Schutz den König in der Glorie hatte, der die ganze Welt richtet. Graf Guillelme war in keiner Weise in Sorge, wenn unter ihm Volatile nicht stürzte.
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XLV. (WHR 46, Ars 46, A 45) Fort begab sich Guillelme, der Markgraf mit der kurzen Nase, auf Volatile, dem kräftigen Streitroß. Alle seine Männer sind getötet und zu Stücken gehauen. Seine Neffen sind alle gefangen in einem Lastkahn, wohin sie geführt worden waren. Dort werden sie nie in ihrem Leben mehr herauskommen, bis sie nicht von Renoart befreit werden, dem mit der Stange, der soviel Trefflichkeit besaß, der (aber) noch in der Stadt Laon²⁶¹ war in der Küche, wo er sich aufhielt. Durch ihn werden²⁶² die Barone befreit werden. Hinter dem Grafen setzten sich die Heiden in Bewegung und sprengten und galoppierten über Anhöhen und Hügel, mehr als 20.000, die sehr böse waren. Aber da sprengte und ritt der Graf so, daß er vor den Heiden eine große Meile Vorsprung bekam.
258 Vielleicht die griechische Stadt Larissa – vgl. Martin 1993, S. 123. 259 Einschub von WHR 1478. 260 Sor son destrier qi lo cort saint fatisse M, Sor son destrier qui li cort de ravine Hs. E. Rolin, Ausg., S. 47 Anm. 4, hält fatis(s)e für Reimanpassung von fatine, das ich aber auch nicht nachweisen kann. Vgl. jedoch Godefroy, s. v. fatinier „lâche, paresseux“. saint setzt Rolin sicher richtig mit sans gleich. lo = li? 261 Die nordfranzösische Stadt Laon heißt in den Hss. Loon, Leon, Lion oder mit vorangestelltem mont Monloon, Monleon, Monlion. Wolframs Munleun entspricht gewiß Monleon – vgl. Knapp 1974, S. 206 (u für o). 262 Einer der vielen Fälle, in denen in M die Singular- für die Pluralform des Verbs erscheint.
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Er spornte Volatile, das so vorzüglich war. Deshalb meinte er, er sei in Sicherheit. Ganz schonend hat er sein Pferd geführt. Um das seine, Baucent, tat es ihm sehr leid:²⁶³ „Ach, Baucent, wie habe ich Euch liebgehabt! Niemals werde ich ein besseres bekommen. Ich bin Euretwegen sehr betrübt und verwirrt.“²⁶⁴ Alsbald hielt er unter einem verzweigten Baum, damit sein Pferd sich ausruhen konnte. Noch ehe er den Rastplatz hergerichtet hatte, sah er das gesamte Land voll von Heiden. Vor den übrigen ein abgemessenes Joch kam Baudus mit verhängten Zügeln, seine Lanze geradeaus gerichtet, die Fahne erhoben. Mit lauter Stimme rief er Guillelme an: „Herr Guillelme, man hat Euch so gepriesen, es gebe niemand von Euren Vorzügen. Kehrt Euch mir allein für einen Zweikampf zu.“ „Gott“, sagte Guillelme, „bei Eurer Güte, jener verdammte Schurke hat mich heute so beschimpft! Seine Verfolgung hat mich hart bedrängt. Heftig hat er mich heute beschwert und gequält. Denn auf seine Veranlassung haben die Heiden Baucent getötet. Aber bei meinem Haupt, teuer wird es bezahlt werden!“ Gegen den Heiden wandte er sein Pferd, dann ließ er es laufen mit verhängten Zügeln. Und der Heide hatte keinen Respekt vor ihm. Mit voller Wucht trafen sie aufeinander. Ihre Schilde wurden durchbrochen und durchlöchert, doch das Maschenwerk der Halsbergen nahm keinen Schaden. Die Lanzen brachen, ihre Holzschäfte gingen entzwei. Mehr als sechs Fuß weit flogen die Splitter. Der Graf besaß große Angriffslust, mit solchem Eifer rannte er den Heiden an, daß beide Füße aus den Steigbügeln kippten. Den hinteren Sattelbogen brach er mitten durch.
263 Die folgende Rede an das Pferd nur in M. 264 Vgl. Holtus, Glossar, s. v. bosiner „imbrogliare“. Fehlt in TL.
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Mit den Beinen nach oben warf er ihn herunter. Dann streckte er die Hand aus und nahm das Pferd. Schon hätte er es, meiner Treu, weggeführt, doch waren Sarazenen ganz in der Nähe,²⁶⁵ mehr als sechzig, bereit zuzuschlagen.²⁶⁶ Guillelme sah sie, sein ganzes Blut geriet in Wallung. Er zog das Schwert mit dem Knauf aus reinem Gold. Dem guten Pferd schlug er sogleich den Kopf ab, denn er wollte nicht, daß Sarazenen oder Slawen es besäßen. Mit Hilfe der französischen Wendung²⁶⁷ schlug er zwei Türken nieder. Im Galopp wendete er – er verweilte nicht weiter – mit Volatile, dem feurigen Streitroß. Mit den Sporen bearbeitete er es heftig. Geradewegs nach Orange wendete er seinen Weg. Nun möge ihn Jesus in Sicherheit bringen! Und die Sarazenen machten Baudus wieder beritten. Aus allen Richtungen versammelten sich²⁶⁸ die Sarazenen, und Deramé kam dorthin mit seinen Kriegern. Bei ihm waren zwanzig gekrönte Könige. Gemeinsam erklärten, beschlossen und schworen alle Könige bei Mahomet, daß sie keinen Übergang und keine Furt freigeben würden, bis sie ihn in Orange eingeschlossen hätten. Alsdann würden sie ihn mit ganzer Kraft ergreifen und dem Neffen Deramés ausliefern, Tibaut von Arabien, der ihn so gern haben wollte, weil er an seiner Frau entehrt und geschändet wurde. Aber wenn es Gott gefällt, werden sie alle ihren Eid brechen und nicht vor Ablauf eines Monats dorthin gelangen,
265 Ich übersetze Mais Sarrasin li sont pres de costé WHR, Ars, A, statt Li Saracin pres de lui sont costé M „Die Sarazenen ritten ihm nahe zur Seite.“ 266 Ich übersetze de ferir apresté A (de ferir entesé WHR, Ars) statt ne fierent apresté M, das ich nicht verstehe. 267 Der tor français (TL 10, 391) ist die Umkehr mit dem Pferd in vollem Lauf, ein aus Frankreich kommendes besonderes reiterisches Kunststück. In M ist cor offenbar für tor verlesen oder verschrieben. 268 Ich übersetze assemblé WHR, Ars, nicht passé M „ritten vorbei“.
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ohne dabei in eine solche Bedrängnis zu kommen,²⁶⁹ daß es keinen so Verwegenen geben wird, weder König noch Emir, weder Scheich noch Slawe, dem vor Angst nicht das ganze Blut stockte,²⁷⁰ 1750 wenn Gott den stahlharten Renoart schützt und seine große und vierkantige Stange. Von ihm werden die Heiden dem Tod überliefert.
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XLVI. (WHR 47, Ars 47, A 46) Guillelme begab sich weg, der Markgraf mit dem wilden Antlitz, mit Einsatz der Sporen; er hatte keine Lust zu zaudern. Mehr als 30.000 Heiden verfolgten ihn, doch der Markgraf saß auf seinem so guten Streitroß, daß er sie, wenn es nicht unter ihm stürzen sollte, keineswegs fürchtete. So lange wie man zu Fuß für zwei große Meilen braucht,²⁷¹ war er dem Volk des Teufels voraus.²⁷² Er kam in ein Tal, erklomm einen Felsen und sah von Orange die Mauer und den Glockenturm, die Gloriette, seinen guten, großen Palas, und die Mauern aus Marmor, welche er hatte bauen lassen. „Gott“, sagte Guillelme, der du alles in deiner Gewalt hast, mit welch großer Freude bin ich neulich von dort geschieden! Dann habe ich viele kampfeskräftige Ritter verloren, von denen ich nie mehr Hilfe erlangen werde. Ach, Guiborc, edle, weise Gattin, wenn Ihr diesen tödlichen Kummer erfahren werdet von meinen Neffen, welche ich so wert gehalten habe, der Schmerz wird Euch, glaube ich, rasend machen!“ Der Graf sank in Ohnmacht auf den Hals seines Streitrosses und wäre schon hinuntergefallen, wenn die Steigbügel nicht dagewesen wären.
269 Ich folge hier in der Deutung der Konjunktion que der Übersetzung von Guidot/Subrenat, jedoch nicht ohne erhebliche Zweifel, da man eigentlich eine Negation erwarten würde. Der Text von V. 1745f. ist uneinheitlich überliefert und ganz unsicher. 270 1747–49 fehlen in den meisten Hss., nicht aber in M, A u. a. 271 Dous grant legues do trait au poonier M, .ii. lieues grans de plein a poonier WHR, .ii. lieues grans de pas à penoier Ars, .ii. liues granz a passé auerssiers A. Holtus hält den Vers in M für unklar. Doch dürfte hier legue/lieue als Zeitmaß gebraucht sein (vgl. TL 5, 433) und trait soviel wie „Zeitdauer“ bedeuten (vgl. TL 10,512). 272 Holtus hat gegenüber M die Reihenfolge der Verse 1759–62 vertauscht. Ich folge ihm.
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Übersetzung
Wissen sollt Ihr es: In ihm war nichts als Gram. Dann wandte er sich mit Einsatz der Sporen auf einen Saumpfad, kam zum Tor und rief den Türhüter. Mit lauter Stimme begann er zu brüllen: „Öffne das Tor, laß die Zugbrücke herunter, beeile dich, Bruder, ich habe es bitter nötig!“ Als der Türhüter ihn so reden hörte, stieg er auf das Tortürmchen, erkannte aber den Markgrafen mit dem wilden Antlitz nicht, noch das feurige²⁷³ Streitroß unter ihm noch den Wimpel, welchen er ihn tragen sah, noch den grünglänzenden Helm, noch den vierteiligen Schild. Er glaubte, er sei von dem teuflischen Volk, welches ihn verraten und täuschen wollte. Er sprach zu Guillelme: „Weicht doch zurück, denn bei dem heiligen Jakob, zu dem ich beten muß, wenn ich Euch nur ein bißchen näherkommen sehe, werde ich Euch eins auf den grünglänzenden Helm geben, daß ich Euch zum Sturz vom Pferd bringe! Schert Euch fort, trügerischer Verräter! Guillelme muß vom Archant heimkehren. Denkt Ihr da, wir seien Einfaltspinsel? Und der Graf sagte: „Freund, beunruhige dich nicht, ich bin Guillelme – ich will dir nichts zuleide tun –,²⁷⁴ der auf dem Archant ausritt, seinen Schmerz zu rächen und Vivien zu Hilfe zu kommen. Empfangen habe ich tödlichen Kummer. Tot sind meine Männer; von ihnen habe ich keine Hilfe. Ich selbst bin an meinem Leib nicht mehr heil.“ Der Türhüter hörte es und wunderte sich. Er begann sich beim Gott in der Glorie zu bekreuzigen.
273 aufferant hier und an anderer Stelle als Adjektiv. Ich übersetze nach dem Glossar von Régnier. TL 1, 667 gibt nur „eine Art Roß“ an. 274 ne te·l qier anoier M. Die anderen Hss. weichen gänzlich ab. anoier ist wohl wie auch sonst in M eine Form von enoiier/enuiier. Aber das tel oder te·l, wie es Holtus auflöst, bleibt fraglich. Rolin, Ausg., S. 50, konjiziert noier. Doch was ist hier mit „schwimmen“ oder „knüpfen“ anzufangen?
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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XLVII. (WHR 48, Ars 48, A 47) Graf Guillelme hatte es sehr eilig und sagte zum Türhüter: „Freund, öffnet das Tor! Ich bin Guillelme, zu Eurem Unglück werdet Ihr jetzt daran zweifeln!“²⁷⁵ ²⁷⁶ Ich werde hier hinaufgehen; jetzt sogleich werdet Ihr Auskunft erhalten.“ Von dem Tortürmchen stieg er hinab, trat in den Palas auf der Gloriette, kam zu Guiborc und schrie laut: „Edle Gräfin“, sagte er, „nun beeilt Euch! Da draußen ist ein bewaffneter Ritter auf einem Pferd, so eines wurde noch nicht gesehen. Mit heidnischer Bewaffnung ist er sehr gut ausgestattet. Seltsam mutet seine große Wildheit an. Wohl gleicht er einem Manne, der aus dem Gefecht kommt, denn seine Arme sah ich ganz voll Blut. Sehr groß sitzt er bewaffnet auf seinem Pferd und sagt, er sei Guillelme Kurznase. Kommt hin, Madame, bei Gott, und Ihr werdet ihn sehen!“ Guiborc vernahm es, ihr Blut geriet in Wallung. Sie stieg hinab von dem Fürstenpalas, kam zur Kriegerschar oben über den Wällen und sprach zu Guillelme: „Vasall, was wünscht Ihr?“ Und der Graf sagte: „Madame, öffnet das Tor schnell und laßt mir die Zugbrücke herunter, denn mich jagen hier Baudus und Deramé; es kommen tausend Heiden mit grünglänzenden, edelsteinbesetzten Helmen. Wenn sie mich antreffen,²⁷⁷ bin ich tot und in Stücke gehauen. Edle Gräfin, bei Gott, öffnet das Tor schnell und beeilt Euch damit.“ Und Guiborc sagte: „Vasall, hier kommt Ihr nicht herein! Ganz allein bin ich, ich habe bei mir keinen lebenden Menschen außer diesen Türhüter und einen ordinierten Kleriker
275 ja mais en dotarez M (ebenso 1849), ja mar le mescrerés WHR, Ars, A. Sonst steht zwar nur mal, ma oder mai für mar (s. 816a). Es kann hier aber sicher nichts anderes gemeint sein, sonst würde eine Negation fehlen. 276 Einschub von WHR 1600. 277 tangent M. Besser wohl ataignent WHR, Ars, A „erreichen, einholen“. Ebenso 1864.
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Übersetzung
und ein Kind, noch nicht einmal fünfzehn Jahre alt, und außer unseren Damen, die ein bekümmertes Herz haben wegen ihrer Gatten, welche mein Herr geführt hat nach Aliscans gegen die verfluchten Heiden. Bis Guillelme endlich zurückgekehrt ist, wird hier weder Tor noch Türlein²⁷⁸ geöffnet werden, der edle Graf, der meinetwegen bekümmert ist. Gott bewahre ihn, der König in seiner Majestät!“ Der Graf hörte es und wendete sich zur Erde. Tränen flossen in Strömen über seine Nase. Guiborc rief er an, als er sich aufgerichtet hatte: „Ich bin es doch, Madame, zu Eurem Unglück werdet Ihr daran zweifeln! Es wundert mich sehr, daß Ihr mich feindlich anredet. Ich bin Guillelme, zu Eurem Unglück werdet Ihr daran zweifeln!“²⁷⁹ Und Guiborc sagte: „Sarazene, Ihr lügt! Beim heiligen Dionysius, der mein Anwalt ist, zuvor werde ich den Höcker auf Eurer Nase sehen, welchen Isoré Guillelme vor Rom beigebracht hat – das ist ein Zeichen, welches ich gut kenne, ²⁸⁰ welche Tibaut, der Slawe, ihm in der Schlacht beigebracht hat –, ehe Euch Tor oder Türlein geöffnet werden.
XLVIII. (WHR 48, Ars 49 [nur Anfang], A 48) Graf Guillelme hatte es eilig einzutreten – kein Wunder, denn er konnte sehr dadurch beunruhigt sein, daß er in seiner Nähe den Weg widerhallen hörte 1860 von jenem Volk, dem Gott keine Zuneigung schenken kann.²⁸¹ „Edle Gräfin“, sagte Guillelme, der Held, Zu lange laßt Ihr mich warten! Seht, wie Heiden die ganze Erde bedecken, wenn sie mich antreffen, das sage ich Euch ohne Falschheit,
278 Kleine Tür, eingelassen in das großen Burgtor. 279 Die Gleichheit mit V. 1849 ist wohl ein Irrtum des Sängers. Die anderen Hss. weichen in diesem Teil der Laisse insgesamt stark ab. 280 Einschub von Et une plaie, qui est par de delez WHR 1643c, A 2036. Fehlt bei Holtus. 281 pot M entspricht hier wohl dem puet der andern Hss. und nicht der Vergangenheitsform pot.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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1865 könnte mich das ganze Gold der Welt nicht davor schützen,
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daß ich vor Euren Augen in Stücke geschlagen werde. „Wahrlich“, sagte Guiborc, „wohl entnehme ich Euren Worten, daß Ihr wenig Anspruch habt, Guillelme zu gleichen. Denn zuvor habe ich ihn nie ängstlich vor Türken gesehen. Vielmehr werde ich beim heiligen Petrus, den ich verehren will, weder Tor oder Türlein öffnen lassen, bis ich sehe, wie Ihr den Helm vom Kopf nehmt und ich auf Eurer Nase den Höcker mit eigenen Augen sehe. Denn etliche Menschen ähneln einander in der Sprechweise. Und ich bin allein, wofür man mich nicht schmähen darf.“ Guillelme hörte es; in ihm war nichts als Gram. Den Helm band er ab und machte das Visier auf. „Madame“, sagte er, „jetzt könnte Ihr sehen!“ Als nun Guiborc ihn in den Blick genommen hatte, sah sie mitten übers Schlachtfeld tausend Heiden kommen. Aus der Gegend von Toledo kamen sie von einem Raubzug zurück, Corsu²⁸² von Averse²⁸³ hatte sie vom Heer abgesondert, und der Emir hatte sie kommen lassen. Von ihnen ließ er dem Deramé dreißig Gefangene vorführen, alles Edelknechte, und dreißig Damen von hell leuchtendem Antlitz. Mit dicken Schnüren²⁸⁴ hatten sie sie zusammengebunden, Die Heiden, denen Gott Übles schenken möge, schlugen sie. Übers Gesicht ließen sie ihnen das Blut strömen. Madame Guiborc hörte sie schreien²⁸⁵ und laut den Herrgott anrufen. Zu Guillelme sagte sie: „Nun kann ich es gut erproben: Wenn Ihr Herr Guillelme, der Held, wäret, Fierebrace, den man so sehr zu preisen pflegt, würdet Ihr jetzt die Heiden unsere Leute nicht wegführen lassen.“
282 Vielleicht mit Corsu 3755 identisch. Auch mit Corsué 566? 283 Averse könnte das Land der Avers, der Avaren, sein – vgl. Martin 1993, S. 123. 284 Ich übersetze seïns WHR, A, chaienes Ars, nicht soies M. Seide ist natürlich für Fesseln ungeeignet. 285 Ab diesem Vers in Ars wieder eine Lücke bis Ende der Laisse 50, die von Guessard/ Montaiglon aber ebenfalls mitgezählt wird.
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Übersetzung
„Gott“, sagte Guillelme: „Nun will ich mich daran beweisen!²⁸⁶ Aber bei dem, der über alles Heil bestimmt, ich würde mir eher den Kopf abschlagen lassen, selbst wenn man²⁸⁷ mich bei lebendigem Leibe in Stücke reißen müßte, ehe ich vor ihr (Guiborc) nicht ‚Monjoie!‘ rufen wollte.²⁸⁸ Aus Liebe zu ihr muß ich sehr auf der Hut sein.²⁸⁹ Um das Gesetz Gottes zu erhöhen und hochzuhalten, muß ich mich abmühen und quälen.“ Den Helm band er wieder fest und ließ sein Pferd rennen, und so sehr, wie es konnte, unter sich vorwärtsstürmen und schickte sich an, die Heiden zu schlagen und anzugreifen. Dem ersten schlug er ein Loch in den Schild, zerfetzte seine Halsberge und brach den Goldschmuck davon ab. Mitten durch den Leib ließ er ihm Holz und Eisen gehen. Auf der anderen Seite ließ er ihm den Wimpel heraustreten und ihn mit den Beinen nach oben tot herabfallen. Dann zog er das Schwert, welches er dem Slawen genommen hatte, und ließ einem Heiden den Kopf wegfliegen, den anderen durchhieb er bis zur Helmhaube,²⁹⁰ und dann den dritten bis zum Kiefer.²⁹¹ Den vierten traf er so, daß ihm kein Wort mehr erlaubt war.²⁹² Die Heiden sahen ihn; nichts als Furcht breitete sich aus, so daß der eine zum andern sagte: „Dies ist Ariofle, der Onkel des Codoer, der Orange zu bestürmen und zu plündern kommt.
286 or m’en voil esprover M, or me velt esprover WHR, com me velt esprover A. Die 3. Person (Gott) ist hier mit Blick auf das Folgende sinnvoller. 287 Das Subjekt ist in M ausgefallen. 288 Am Anfang von 1900 scheint gegenüber der übrigen Überlieferung que ausgefallen zu sein – falls nicht der ganze Satz verderbt ist. 289 me garder M, sinnvoller me grever WHR, A „mich abmühen“. 290 Ich übersetze cerveler WHR, A, da ich canteler M nicht nachweisen kann. 291 glandeler M. Die anderen Hss. weichen völlig ab, sprechen von keiner solchen Wunde. Holtus verweist für glandeler auf TL 4, 359, doch können glande, glandele, glander, glandre „Drüse“ schwerlich gemeint sein. Godefroy, s. v. glander, findet nur einen Beleg in einem Kreuzzugsepos, wo ein Schlag parmi l’os del glander erwähnt wird, und erwägt die Bedeutung „mâchoire“. 292 Ich übersetze si, qu’ainz ne li lut parler WHR, A. Die Lesart in M si com no li volsist parler „so als ob er zu ihm nicht hätte sprechen wollen“, kann schon aus metrischen Gründen nicht stimmen. Der Vers hat 13 Silben.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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Wutentbrannt ist er. Wir haben ihn sehr erzürnt, weil wir nicht auf Aliscans am Meer waren. Ich denke, er will es (uns) jetzt teuer bezahlen lassen.“ Zur Flucht wandten sie sich, um ihr Leben zu retten. 1925 Alle ihre Gefangenen ließen sie ruhig stehen. Der wackere Guillelme kam wieder, um sie zu bekämpfen, und sie flohen vor ihm und wagten nicht zu verweilen. Guiborc sah es und begann zu weinen. Mit lauter Stimme rief sie: 1930 „Kommt her, Herr, nun könnt Ihr eintreten!“ Guillelme hörte es und machte sich auf zurückzukehren, begann auf die Gefangenen zuzugaloppieren, einen nach dem anderen loszubinden. Dann befahl er ihnen, nach Orange zu gehen, 1935 und sie kamen dorthin, konnten aber nicht hinein. XLIX. (WHR 50, A 49) Als Guillelme die Gefangenen befreit und sie nach Orange auf den Weg gebracht hatte, wandte er sich wieder sehr rasch der Verfolgung der Heiden zu. Das feurige Pferd erreichte sie rasch. 1940 In seiner Faust hielt er das Schwert, welches Schriftgravuren hatte. Mit vier Streichen hat er damit sechs erschlagen. In heidnischer Sprache schrie der Graf: „Hurensöhne, Ihr werdet mir die Pferde überlassen, und mein Onkel Deramé wird sie haben! 1945 Jeder von Euch wird in den Kerker geworfen werden. Sehr heftig ist er gegen Euch²⁹³ erzürnt, weil Ihr ihn im Kampf im Stich gelassen habt.“ Die Heiden schrieen: „Wie Ihr befehlt! Handelt, lieber Herr, wie es Euch beliebt!“ 1950 Sie stiegen ab, siehe da, sie sind schon auf dem Boden, kein einziger ist auf seinem Pferd geblieben. Je zwei und zwei banden sich gegenseitig am Handgelenk zusammen.
293 Da im folgenden Vers das Verb in der 2. Person Plural steht, muß diese auch hier angesprochen sein. M setzt hier fälschlich die 3. Person (els). Guillelmes Rede kann also erst 1947 enden. Anders Holtus.
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Übersetzung
Nur vier blieben ungefesselt,²⁹⁴ welche die andern vor sich auf den Weg brachten und die Pferde führten und trieben. Siehe da, sie sind auf dem Weg geradewegs nach Orange. „Gott“, sagte Guiborc, „ist Guillelme ein Zauberer, der aus eigener Kraft soviele gefangen hat? Großes Mitleid erregt er, wenn er sich damit belastet hat.²⁹⁵ Heilige Maria, nun steht ihm doch bei! Von Heiden voll sehe ich alle Hügel. Arme, Leidende, Bejammernswerte, was werdet Ihr tun?²⁹⁶ Wenn er stirbt, wird das infolge meiner Torheit geschehen.“ Sie schrie ihm zu: „Herr, kommt doch herbei! Ach, Guillelme, edler Mann, zu lange säumt Ihr! Bei der Liebe Gottes, der am Kreuz gemartert wurde, edler Mann, nun beeilt Euch sehr, laßt jene Türken gehen, zu weit habt Ihr sie geführt. Überantwortet sie alle den leibhaftigen Teufeln. Seht, wie Sarazenen und Slawen herbeikommen!“ Guillelme sagte: „Wie Ihr befehlt.“ Siehe da, der Graf ist zu den Burggräben gekommen, in voller Rüstung vor das Tor gekommen, mit der großen Beute, von der er genug erworben hat, und fünfzehn Saumtiere, beladen mit Nahrungsmitteln. Alle Heiden hat er zusammengebunden, vor dem Tor zwischen Brücke und Furt. Dort hat er sie alle getötet und in Stücke gehauen. Daran tat er wie ein Kluger und Einsichtiger, daß er sich nach Orange hineinbegab. Da wurden das Tor und das Türlein aufgemacht
294 Ich ergänze den Text von M: Ainc n’en i ot quatre delivreç, obwohl Holtus die Konjektur nur im Apparat vorschlägt. 295 Grant pieté fait qant s’en est encombreç M, Grant pechiez faz, quant s’en est encombrez WHR „Großes Unrecht tue ich, da er sich damit belastet hat”, Granz pechiez fet, quant s’en est encombrés A „Il a bien tort de s’en être embarrassée” (Guidot/Subrenat). Alle drei Lesarten machen Schwierigkeiten. Schon Guessard/Montaiglon haben eine andere (aus den Hss. A1A2E) aufgenommen: Granz pechiez fet, qu’il ne soit encombrés, was Boutet (zu frei) übersetzt: „Puisse-t-il ne pas être victime de cette démesure!“ Nur entfernt ähnlich Newth: „If he should be o’erwhelmed, what sinful faste!“ 296 Guiborc spricht sich selbst an.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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1990
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2000
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und die große Zugbrücke rasch herabgelassen. Es kamen dort hinein der Graf, elend und mitgenommen, und die Gefangenen, die er befreit hatte, und die Rüstungen der ungläubigen Heiden, und die Nahrungsmittel, der Wein und der Claret.²⁹⁷ Dann wurden die Brücke hochgezogen und die großen Tore und die Türlein verbarrikadiert. Mit großen Eichen wurden die Eingänge verrammelt. Noch bevor Guillelme ein Bein auf die Erde gesetzt hatte, war das ganze Feld mit Heiden bevölkert und die Mauern von Orange rundum eingeschlossen. Wären sie eingedrungen,²⁹⁸ wäre er sehr schlecht untergekommen. Aber das gefiel Gott, dem König in seiner Majestät, nicht.²⁹⁹ Siehe da, wie die Heiden, eingetroffen und versammelt, vor Orange rundum auf allen Seiten, ihre Quartiere, große und kleine Zelte aufspannten. Aber in keiner Weise wird die hervorragende Festung³⁰⁰ fallen, außer wenn jene darin ausgehungert werden. Vor dem Tor hatten sich auf der Wiese einquartiert Tibaut von Arabie und der König Deramé, auf der anderen Seite Corsaus und Hüerté, auf der dritten Fabur und Buchuré, auf der vierten Borel³⁰¹ und Martebiez,³⁰²
297 Mhd. Lehnwort nach afrz. claret, claré, eine Art Würzwein. 298 S’il atraysent M, Si le tenissent WHR. Die Lesart in M wird von Holtus mit einem Fragezeichen versehen. Vermutlich ist atraysent aus entrassent entstanden. a- ersetzt auch sonst öfter en-. 299 Ich übersetzte Mais deu ne plot, le roi de maiestez WHR, nicht Mais ce ne poit li roy de maiestez M „Aber das kann/konnte der König in seiner Majestät nicht“. 300 la vestre fremetéç M wohl eine bloße Verlesung aus la mestre fermetez WHR, A. Warum sollten plötzlich die Belagerten angesprochen sein. 301 Hier der Nominativ Boriaus verschrieben als Bociaus. Richtige Nominativform Boreaus 2088, Obliquus Borel 5951 u. ö., so auch sonst in der Überlieferung. Wolfram: Purrel. Zum Lautstand Knapp 1974, S. 199f.; 206f. 302 Dies die Form in M. WHR, A haben Mautriblez (Lücke in Ars). WHR 6364 taucht Maltriblès in A2A3A4CDEF nochmals auf, und zwar als Bruder Rainouarts. Bei Wolfram spielt am Ende seines Fragments König Matribleiz von Scandinavia eine wichtige Rolle, aber nicht als Bruder Rennewarts.
108
Übersetzung
2005 auf der fünften Aquin, der wild gewordene,³⁰³
Ami von Cordoba und König Josüé, und auf der sechsten Auceber, der Emir, der von Mautiste, der Sohn des Matusalé.³⁰⁴ Dreißig Könige waren es, sowohl Perser als auch Slawen. 2010 Bis zu einem Jahr wurde die Belagerung geschworen: Sie würden sie bei Wind und Wetter nicht aufheben und Orange einnehmen und die Mauern niederbrechen. Renoart jedoch wird sie ihren Eid brechen lassen. Wenn Gott ihm seine große viereckige Stange erhält, 2015 sind die Heiden zu ihrem Unglück in dieses Reich gekommen. Ehe man im Monat August das Korn schneidet,³⁰⁵ wollte dort der Beste lieber nicht angekommen sein, nicht um all das Gold, welches je geschmolzen wurde. L. (WHR 51, Ars 51, A 50) Nun haben die Heiden Orange eingekreist, 2020 das Land rundherum niedergebrannt und verwüstet. Guillelme legte von seinem Haupt die Rüstung ab. Madame Guiborc entgürtete ihm das Schwert. Den Helm löste sie ihm, leid- und kummervoll, zog ihm danach seinen großen vergoldeten Brustpanzer ab. 2025 Unter der Halsberge war sein Leib voll Wunden, an fünfzehn Stellen lädiert und verletzt. Seine ganzen Arme hatte er blutig. Die Tränen stiegen vom Herzen zu den Augen empor und liefen ihm das Gesicht herunter. 2030 Guiborc sah es, sie wurde blaß. „Herr“, sagte sie, „ich bin Eure Frau, die zur Ehre Gottes gesetzlich angetraute.
303 Seltsamer Vers, der nur in M steht. tempesteç „in stürmische Bewegung versetzt“ wirkt wie ein ‚Notreim‘. 304 Der Vers stimmt wörtlich mit Vers 565 (dort allerdings in M verschrieben) überein. Er bezieht sich dort auf Josüé, daher ursprünglich wohl auch hier. Die Verse 2007 und 2008 wären dann in der gesamten Überlieferung vertauscht. 305 Ich übersetze Anchois c’on soist el mois d’aoust les blez WHR, nicht Ançois qe soit un moys d’aost les blez M. Holtus vermutet für M: „Contaminanzione di vari versi?“ Wahrscheinlicher ist es schlichte Verlesung. A weicht ab: Ainz que il soient le mois d’aost passez.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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Für Euch habe ich mich zum Christentum bekannt, in dem heiligen Brunnen das Bad der Taufe genommen und mit Öl und Chrisam die Wiedergeburt in Gott erlangt. Mir darf meine Rede nicht untersagt werden.³⁰⁶ Aber aus einem Grund glaube ich dumm gehandelt zu haben, daß ich Euch das Tor aufgeschlossen habe.³⁰⁷ Wenn Guillelme meine Truppe geführt hätte,³⁰⁸ Bertram, den Grafen mit dem klugen Antlitz, das Kind Guichart, das gerne mit dem Schwert ficht, und Guielin, Gaudin von Petelee, und Vivien, von dem ich mich getrennt habe, und die Kämpferschar des ruhmreichen Landes, hätten³⁰⁹ die Spielleute sich hier versammelt, viele Geigen wären da gestimmt worden;³¹⁰ rundum hätte hier große Freude geherrscht. Doch um Guillelme habe ich große Angst.“³¹¹ „Gott“, sagte der Graf, „heilige, verehrte Jungfrau, was sie sagt, ist die erwiesene Wahrheit. Mit Schmerz wird inskünftig mein Leben verbracht werden! Edle Gräfin, es nützt nichts, es zu verheimlichen: Meine Schar wurde vollständig dem Tode überliefert. Auf Aliscans, dort wurde sie vernichtet. Keinen gibt es, dem nicht der Kopf abgeschlagen worden wäre. Geflohen bin ich. Länger habe ich nicht standhalten können,
306 Ne me doit estre ma parole veé(e) M. Besser wohl Ne me doit estre vo parole veee WHR, Ars, A „Vous ne devez pas refuser de me repondre.” 307 Die Interpretation folgt Rolin, Ausg., S. 56, Anm. 2, allerdings zögernd, da die Ausdrucksweise mehrdeutig ist und die Handschriften hier stark abweichen, teils 2038 gar nicht enthalten. 308 S’eust Guillelmes ma compagne menee M, Si eusiés vo compaigne amenee WHR, S’eust Guillelmes sa compaigne amenee A (Ars hier lückenhaft). Gemäß 2053 müßte ma in M falsch sein, nicht aber gemäß 2078. 309 furent M zu ersetzen durch den Konjunktiv fuissent WHR. 310 Der Vers ist zu lang. Statt a l’atenbree ist nach den anderen Hss. nur atenbree zu lesen (vgl. auch Holtus). 311 Meis per Guillelme mult en su esfracee M, N’est pas Guillames! toute en sui effraee! WHR, Ars (n’es), A (n’es). Rolin, Ausg., S. 56 Anm. 4, meint, Guiborc sei hier zur Überzeugung gelangt, dies sei nicht Guillelme, weshalb „sie zum Schluß von ihrem Gatten als von einer abwesenden Person spricht.“ Doch auch Guillelme spricht gleich darauf von Guiborc in der dritten Person. Die Lesart in M ist jedenfalls schwer in diesem Sinn zu deuten.
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Übersetzung
so sehr haben sie mich beinahe einen Tag lang gejagt!“ Guiborc hörte es, wurde blaß und stürzte vor Schmerz ohnmächtig zu Boden. 2060 Als sie sich aufgerichtet hatte, war sie ganz verzweifelt. „O weh“, sagte sie, „ich Arme, Unglückliche, nun kann ich mit Recht sagen, daß ich sehr elend bin. Soviel junge Männer haben meinetwegen ihr Ende gefunden!³¹² Zu welcher schlimmen Stunde wurde ich von meiner Mutter geboren! 2065 Heilige Maria, gekrönte Königin, wäre ich doch jetzt tot und begraben! Mein großer Jammer wird nie mehr aufhören, bis ich in die Erde gestoßen werde.“ Da wurden viele Tränen vergossen. LI. (WHR 52, Ars 52, A 51) 2070 Schwer wog das Leid in Orange.
Guiborc weinte; wieviel der anderen, weiß ich nicht. „Herr“, sagte sie, „wo sind Bertram und Guielin und der kampfstarke Guichart, Gaudin der Braune, Girart, Guimant³¹³ 2075 und Vivien, der kühne Krieger, den ich bei mir aufzog mehr als sieben Jahre, geblieben, und die Kriegsmannschaft, die so kampfstark war, die ich Euch übergab, da Ihr von hier fortgingt?³¹⁴ Gebt sie mir zurück – gesund, munter und am Leben.“ 2080 „Madame“, sagte er, „gefallen sind sie auf Aliscans, nahe dem Meer neben dem Archant. Wir fanden Türken, Sarazenen und Perser, Meder³¹⁵ und Bewohner von Zaragoza, jene von Palermo und alle von Golgotha,³¹⁶
312 Ich wähle hier die Zeitform der Vergangenheit gemäß WHR, Ars, nicht das Futur in M. 313 Guimanz M, Guinemans WHR, Ars, Guinement A, Gwigrimanz Wolfram – vgl. Knapp 1974, S. 204 u. 209. 314 M setzt hier im Gegensatz zur übrigen Überlieferung fälschlich 1. Person des Verbs (fui für fustes). 315 Medians M, sonst in den Hss. Mediens. Vgl. Flutre 1952, s. n. 316 Gorgotanç M, WHR ~ A. Vgl. Martin 1993, S. 126. Weniger wahrscheinlich die Identifikation mit der iranischen Provinz Chorasan (vgl. Heinzle, Komm. z. Wh.).
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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2085 jene von Sutre³¹⁷ und alle Agolaner,³¹⁸
2090
2095
2100
2105
die Micereller³¹⁹ und alle Afrikaner, die von Maustiste, die Söhne Matusalés.³²⁰ Borrel war dort mit allen vierzehn Söhnen und Deramé und der große Auceber, und es gab gut und gerne dreißig Könige und Emire und 100.000 Türken und 100.000 Publikaner.³²¹ Wir schlugen da drein mit unseren schneidenden Schwertern. Sehr großes vollbrachten der Paladin Bertram, der große Girart von Comarchis, mein Neffe, der tapfere Guichart, Gaudin und Elimant. Vor allen anderen wehrte sich Vivien, denn nie war er auf der Flucht vor den Sarazenen, und wich vor keiner Gewalt nur einen Fuß.³²² Aber die Menge der Heiden war da so groß, und man sah von ihnen so viele Schiffe und Lastkähne, Dromonen und schnelle Koggen, wie nie jemand Lebender sie je gesehen hat. Mit Schilden und Waffen war das Archant bedeckt. Gegen einen von uns standen dort dreißig Perser. Gefallen sind meine Männer, keiner von ihnen ist noch da, und ich selbst bin an den Seiten verwundet. So lange habe ich standgehalten – keine Lüge sage ich –, daß mein Panzerhemd an dreißig Stellen zerrissen war und von meinem Schild nur noch zwei Ecken übrig waren.
317 Turte M, Sutre WHR, Ars, A, Sotters Wolfram „Syrien” (Heinzle, Komm.). Turte vermutlich verlesen. 318 Agolans so oder ganz ähnlich in allen Hss. Ein Zusammenhang mit dem Land des Desiré, Golaine (M 1565), scheint nicht ausgeschlossen, da dieses in WHR, Ars als Argolaigne erscheint. 319 Miceraus M, Micenaus WHR, Mincenax A. Vielleicht von griech. Mykene? 320 Cels de Mastice, les fils Matusalanç M, Ciaus de Matiste, les fiex Matusalans WHR, Ars, Cels de Mautiste, les filz Matusalant A. Der Vers ist eine leichte Variation von 565, 2008, wo er nur einen einzigen Heiden, Josué, näher bestimmt, hier dagegen ein heidnisches Volk. Matusalans könnte trotzdem reimbedingte Variante von Matusalé (= Methusalem) sein (so Rasch 2009), aber auch ein davon abgeleitetes Adjektiv. 321 Popilanç M, vermutlich falsch für Popelicans (Popeliquant A), aus lat. publicani, die Zöllner des Neuen Testaments – vgl. Martin 1993, S. 126. 322 Par nulle force sor pié reculanç M, Par nule force un plain pié reculans WHR, Ars, Ne par nule home un sol pié reculant A. In M ist sicher sor aus sol verderbt.
112
Übersetzung
2110 Ganz zerhauen war mein grünleuchtender Helm
und hing über die Schultern an den Riemen herab. Tadelt mich nicht, wenn ich geflohen bin.“ „Das tue ich nicht, Herr, Jesus möge Euch beschützen!“
2115
2120
2125
2130
2135
LII. (WHR 53, Ars 53, A 52) Groß war das Leid im Fürstenpalas. Die edlen Damen weinten um ihre Gatten, und die jungen Frauen betrauerten ihre Geliebten. Das Leid, der Jammer, das Schreien schwollen an. Frau Guiborc sagte: „Ist Herr Bertram erschlagen, Gaudin der Braune, Guichart und Guielin?“ „Nein, Madame, wahrlich, jeder ist noch am Leben. In einem Schiff halten die Heiden sie gefangen. Doch tot ist der kühne Vivien. Ich bin noch hingekommen, bevor es mit ihm zu Ende ging. Gut hat er gebeichtet, dank der Gnade des Herrgotts, und das geweihte Brot empfangen. An einem Wasser ließ ich ihn leblos³²³ zurück, unter einem Baum, der ganz belaubt war. Er hat Grüße an Euch aufgetragen, die ich ausrichten will.“ Und Guiborc sagte: „Herrgott, Jesus Christus, nimm seine Seele in dein heiliges Paradies auf! Gar groß ist der Schmerz, wenn er so früh sein Ende fand.“ Das Wasser lief ihr aus den Augen das Antlitz hinab. Dann sprach sie wie eine Kaiserin: „Herr Guillelme, Markgraf mit der kurzen Nase, Seid weder unedel noch kopflos,³²⁴ wider die Heiden weder untätig noch verstört!
323 Das in mehreren Hss. wie in M überlieferte maris scheint auf eine ungeschickte Anpassung der Assonanz zurückzugehen. Denn marrir heißt „schädigen, aus der Fassung bringen, betrüben“, was hier kaum paßt. Es scheint fälschlich als Reimwort aus 2136 vorweggenommen zu sein. Doch die von WHR, Ars, A aufgenommene Lesart hui matin stört den Reim. Meine Übersetzung ist ohne jede Gewähr. 324 Ich übersetze esbahis WHR, Ars, A, nicht esbaudis M. Esbaudir kann „jemand/sich erheitern, ermutigen“ heißen, so auch meist in ‚Aliscans‘. Daneben bezeichnet es M 55, 254 das Toben, Entflammen, Verschärfen des Kampfes. Das kommt hier alles nicht in Frage. Hier ersetzt es ohne Rücksicht auf den Zusammenhang esba(h)ir – ein Fall, wo Verlesung oder Verschreibung unwahrscheinlich sind.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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Euch gehört kein Land zwischen Orléans und Paris, sondern Euch gehört Orange unter den Arabern. Ihr werdet in Orange keine zwei Wochen mehr Zeit haben, 2140 bis Tibaut sich seiner bemächtigt hat. Aber das wird nimmer geschehen bis zum Tag des Gerichts, wenn alle deine zehn Neffen noch am Leben sind – so sagst du ja – und du auch noch Verwandte und Freunde hast. Hole Hilfe in Frankreich, in Saint-Denis, 2145 bei deinem Schwager, dem wackeren König Loois. Und es wird dein Vater, Herr Aymeri, kommen und in seiner Schar alle seine Söhne mitbringen und seine Sippe, die so mächtig ist. So komme denen zu Hilfe, welche von den Sarazenen gefangen wurden, 2150 damit sie sie nicht übers Meer als Sklaven mitnehmen.“ „Gott“, sagte Guillelme, „der du ans Kreuz geheftet wurdest, gab es je eine Herrin, welche so klug gesprochen hätte! Nun möge mir Jesus vom Paradies helfen.“³²⁵ LIII. (WHR 54, Ars 54, A 53) „Herr Guillelme, seid nicht mutlos, 2155 geht nach Frankreich um Hilfe und Unterstützung! Wenn Ermengart von Pavia davon erfährt, Eure Mutter, welche Jesus segne, und Aymeri mit dem blütenweißen Bart, werden sie alle für den ritterlichen Kampf aufbieten 2160 und im Land die mächtige Vasallenschar. Deine stolze Sippe, welche so reich ist, wird uns in dem verhaßten Land zu Hilfe kommen.“ „Gott“ sagte Guillelme, „heilige Herrin Maria, so oft habe ich ihr Heer aufgeboten, 2165 die Männer von Frankreich belästigt und gepeinigt, daß sie keinem Boten mehr glauben werden, der ihnen sagt, ³²⁶ daß meine Schar tot und aufgerieben ist. Madame Guiborc, liebe Schwester, süße Geliebte,
325 Ich übersetze consaut WHR, Ars, A, statt consent M „willigt ein“. 326 Ich übersetze Ja ne creront message qui leur die WHR ~ A, „il ne croiront un messager qui apporte cette nouvelle“ (Guidot/Subrenat), nicht Ja n’en auront mesager qi lor die M „werden sie keinen Boten mehr haben, der ihnen sagt“.
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Übersetzung
diese Worte wird man in Frankreich jetzt nicht hören 2170 von einem Boten, ohne sie für Torheit zu halten. In keiner Weise wird er sie zu dieser Ritterschaft bewegen.³²⁷ Wenn ich nicht gehe, nützt es gar nichts. Anders wird diese Sache in keiner Weise erledigt. Aber ich würde nicht um alles Gold von Pavia weggehen, 2175 beim Apostel, welchen man in der Provinz von Rom anfleht. Nichtsnutzig und voll niederer Gesinnung wäre ich, wollte ich Euch in Orange im Stich lassen.“
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LIV. (WHR 55, Ars 55, A 54) „Herr Guillelme“, sagte Guiborc weinend, „geht doch dorthin nach Eurem Wunsche. Ich werde in dem großen Orange bleiben, mit den Edelfrauen, deren es hier drinnen so viele gibt. Jede von ihnen wird eine Halsberge aus Kettenwerk bekommen, auf ihrem Haupt einen kostbaren, leuchtenden Helm, an der Seite eine jede ihr Schwert, am Hals den Schild, in der Faust die schneidende Lanze.³²⁸ Und es sind auch hier drinnen Ritter, ich weiß nicht, wieviele, welche Ihr aus den Händen des ungläubigen Volks befreit habt. Sie werden auf diese Mauern vorne hinaufsteigen und gute Abwehr leisten, wenn die Türken angreifen. Ich werde mich rüsten nach Kriegerbrauch. Beim heiligen Dionysius, den ich zum Schutz nehme, es wird keinen so kampfkräftigen Türken oder Heiden geben, welcher, wenn ich ihn mit einem geschleuderten Stein erreiche, nicht von seinem Streitroß fallen müßte.“ Guillelme hörte es und umarmte sie; sie küßten einander in großer Liebe. Eins vergoß um das andere heiße Tränen. So sehr bedrängte Guiborc Guillelme mit Bitten,
327 movrai M, movra WHR, A. Es kann im Kontext nur die 3. Person gemeint sein. Üblich in M sind aber sonst nur –a für –ai und –ai für –as (Holtus, S. LXV). M ist hier also verderbt. 328 l’espee M, l’espil WHR, Ars, A. In M werden Schwert (espee, espe, spee, spie) und Lanze (espié, spié, espiez, espé neben Formen mit l nach dem p) in mannigfaltigen Formen gebraucht, die sich offenbar auch überschneiden können. Eine doppelte Nennung des Schwerts wäre jedoch an dieser Stelle widersinnig.
Erster Teil: Die Niederlage auf Aliscans
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er möge sich, wie er es ihr versprochen hat,³²⁹ nach Frankreich begeben, 2200 um die Hilfe zu holen, die sie so dringend wünschten.
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LV. (WHR 56, Ars 56, A 55) „Herr Guillelme“, sagte die einsichtige Guiborc, „nun wirst du ins gepriesene Frankreich reisen und mich in Leid und Einsamkeit zurücklassen, drinnen in Orange eingeschlossen und eingesperrt, unter einem solchen Volk, welches mich nicht liebt. Du wirst in ein außerordentliches Land gehen, nämlich nach Frankreich, in das gepriesene Land. Viele herausgeputzte junge Frauen wirst du dort sehen und viele Damen in nobler Aufmachung. Da weiß ich sehr wohl, ganz wirst du mich vergessen; dorthin wird mir dann deine Liebe ausgerichtet werden; hintan werde ich gesetzt und gestoßen, und ganz werdet Ihr dies Land vergessen. Was werdet Ihr in diesem Land (noch) suchen, da Ihr solche Qual ausgehalten habt, soviel Hunger, soviel Durst und soviel Entbehrung? Guillelme hörte und sah sie an. Wasser stieg ihm aus dem Herzen zum Antlitz empor, lief übers Gesicht herunter, rann am Kinn vorbei bis auf den Bliaut und benetzte den Schwertgurt. Er umarmte Guiborc und munterte sie auf, viele Male küßte und umhalste er sie. Der Graf sagte:³³⁰ „Madame, seid nicht in Sorge! Nehmt meinen Treueschwur, jetzt wird er Euch geleistet, daß ich mein Hemd nicht wechsle noch Hose noch Schuhe, noch mein Haupt wasche, noch Fleisch oder Pfeffersoße esse, noch Wein trinke, noch Gewürztrank weder im Holz- noch im Goldbecher,
329 cum lïal convenant M (verlesen aus cum li a convenant?), ce li a convenant WHR, Ars, ce li a en convent A „il le lui a promis” (Guidot/Subrenat). 330 Ich übersetze dist WHR, Ars, A, nicht vint M „kam“.
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sondern nur Wasser – dies wird mir vertraut sein.³³¹ Ich werde keine feinmehligen Kuchen essen,³³² sondern das grobe Brot, worin sich Spreu finden wird. Ich werde nicht auf Daunendecken liegen, keine Bettdecke auf mir; keinen gewebten Bettvorhang werde ich haben, sondern nur die Decke meines goldverzierten Sattels³³³ und diese Kleidung, die ich trage. Auch wird mein Mund dort in keiner Weise angerührt werden, bis er von Eurem geküßt wird.“ Da wurden viele Tränen vergossen. Auf Volatile war der Sattel gelegt worden und die Zügel befestigt, der Kopfschutz umgebunden. Die Kruppe wurde ganz in Eisen gelegt. Gut gerüstet wurden der Kopf und der Rücken; Sie zurrten ihm den breiten Leibgurt fest. Unterhalb des Palas am Eingang hielt man es bereit. Der Graf rüstete sich ohne alles Säumen. Über seinen Rücken warf er eine Brünne, die von dem Heiden, welchen er auf der Wiese getötet hatte. Sehr prächtig war sie und verziert mit feinem Gold. Als der Graf sie angezogen und angelegt hatte, schnürte er den Helm über die doppelte Helmbrünne mit zwanzig Schnüren aus gesprenkelter Seide –³³⁴ eine so kostbare gab es nicht bis zum Lebermeer. Er gehörte Ariofle von den Hügeln von Valfondee, dem der Graf den Kopf abgeschlagen hatte. Groß³³⁵ war Guillelme, und er hatte mächtige Arme. Madame Guiborc gürtet ihm das Schwert um.
331 Ich übersetze icele m’ert privee WHR, Ars, A, nicht ecelle n’ert privee M. 332 füace buratee M, fouace buletee WHR, Ars, A. Vgl. TL, 3, 1961 s. v. foace „eine Art Brot oder Kuchen“, TL 1, 1205 s. v. bureter, buleter „(Mehl) beuteln“. 333 fors la süire de ma selle doree M, Fors la suaire de ma sele afeutree WHR, Ars, A. Vermutlich ist die Schweißdecke des Pferdes, TL 9, 1067 s. v. suiere, gemeint, welche unter dem Sattel liegt. Das in seiner Bedeutung schwer festzulegende afeutrer meint hier vermutlich nur „auflegen“ (vgl. TL 1, 181). 334 d’une soie garee M, d’une soie goutee WHR, Ars, d’une saie goutee A. garee in TL nicht nachweisbar. Zu soie vgl. 1887. saie bezeichnet einen groben, dunklen Wollstoff – vgl. TL 9, 53. goté TL 4, 469 „betropft, gesprenkelt“. 335 Ich übersetze Grans fu G. WHR, Ars, A, nicht Gent fu G. M.
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Der Kleriker Étienne brachte ihm seinen Schild. Der Graf nahm ihn und hängte sich den Tragriemen um den Hals, dann stieg er von dem steinverfliesten Saal hinab und kam zum Trittstein unter³³⁶ dem weitverzweigten Olivenbaum. Alle seine Leute waren ihnen³³⁷ gefolgt. Er stieg aufs Pferd mit der rotbraunen Kruppe. Dann ergriff er die Lanze, woran der Wimpel befestigt war. Da war Guiborc voll Schmerz und hilflos. „Herr“, sagte sie, „Ihr habt mich zu Ehe genommen; (ich wurde) zur Ehre Gottes gesegnet und geheiligt, Euretwegen bin ich Christin genannt worden und im heiligen Brunnen getauft und wieder herausgehoben und mit Öl und Chrisam in Gott neugeboren worden. All mein Land wurde Euch überantwortet. So wie ich weiß, daß ich dir die Treue entgegengebracht habe, kümmere dich um diese arme Sterbliche!“ Mit diesen Worten brach sie ohnmächtig zusammen. Von seinem Pferd aus richtete sie der Graf wieder auf, küßte sie dann und gab ihr viele Zusicherungen; sehr liebreich hat sie der Graf gestärkt und seine Leute Gott empfohlen. Für Guiborc betete er, sie möge sehr gut behütet und seine Stadt vor den Heiden bewacht werden. Dann wurde das Tor aufgetan und entriegelt. Der Graf ritt ein wenig vor Morgengrauen hinaus. Nach ihm schlossen sie das Tor wieder zu und verrammelten es auf beiden Seiten wohl mit großen Ketten. Der Graf ritt vorsichtig im Verborgenen. Vor Tagesanbruch erhellte sich das Morgengrauen.³³⁸ Sobald die Morgenröte erschien und sich erhoben hatte, sah er eine bewaffnete Heidenschar.
336 Ich übersetze sous WHR, A, nicht sor M. 337 Sind Guillelme, Guiborc und Stephan gemeint? Besser wäre die Einzahl, die auch in den anderen Hss. steht. 338 espeite la jornee M, espessa l’ajornee Ars, espessa la nuëe WHR, A. Vgl. M 1066 E la jornee un petit espessa. TL 3, 1235f. s. v. espoissier, espessier „dick werden, sich verdichten, trübe werden, stärker werden, wachsen“. ajornee „das Tagen“ hat viel mehr für sich als jornee „Dauer eines Tages, Tagesreise, Tagewerk“ etc. oder nuëe „Wolke“. espeite scheint aus espesse verlesen.
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Übersetzung
2290 Graf Guillelme mied die Straße
und wandte sich nach rechts in ein Tal. Jene fragten ihn mit sehr lauter Stimme: „Wer seid Ihr? Hütet Euch, etwas zu verheimlichen!“ Der Graf antwortete mit verstellter Sprache 2295 und wandelte seine Worte ins Sarazenische um: „Ich bin Ariofle von den Hügeln von Valfondee, nach Orange hin überwache³³⁹ ich das Land, damit nicht Guillelme heimlich entkommt.“ Als die Heiden das hörten, verneigten sie sich vor ihm, 2300 sogleich brachen sie auf und verweilten nicht länger. Zwischen zwei Bergen in ein großes Tal hat der Graf gut seinen Weg genommen und sich um Guiborc viele Sorgen gemacht.
339 Ich übersetze vois gaitant la contree WHR, Ars, A, nicht vos garde la contree M „bewache ich euch das Land“.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten Guillelmes Weg nach Laon LVI. (WHR 57, Ars 57, A 56) Guillelme, der Markgraf Fierebrace, ritt weg 2305 auf Volatile, seinem guten Pferd aus Aragon.¹ Oft verfiel er in Sorgen um Guiborc mit dem leuchtenden Antlitz. Schwer drückte ihn am Hals der gute Schild. Der Graf, dem Gott seine ritterliche Kraft erhöhen möge, ritt dahin. Heftig drohte das böse wilde Volk. 2310 So rasch ritt der Graf durch Wald und Heide,² daß er keine Nacht ein Lager aufschlug. Er glaubte sich damit zu lange aufzuhalten. Er scheute weder Wetter noch Sturm,³ sondern hielt weder an einem Paß noch an einer Furt. 2315 Er kam nach Orléans und überquerte die Loire mit der Fähre. LVII. (WHR 58, Ars 58, A 57) Guillelme, dem Gott zur Seite stehen möge, ritt weg, schlug keine Nacht ein Lager auf und kam nach Orléans. Die Loire überquerte er zu Schiff. Dann stieg er wieder auf (sein) Streitroß aus Ungarn.⁴ 2320 Mitten durch die Stadt nahm er seinen Weg. Die Bürger sahen ihn nicht, ohne zueinander zu sagen: „Und wohin reitet dieser Bewaffnete ohne Begleitung?“ Der Kastellan hörte die Neuigkeit, sprengte Guillelme mitten auf der Straße nach 2325 und fragte ihn mit großem Hochmut: „Wer seid Ihr, Vasall? Verhehlt es mir nicht! Bewaffnet habt Ihr unsere Stadt heimgesucht.
1 Oraie M, Arage WHR, A, Arabe Ars. Es dürfte sich um eine Anpassung von Aragon an die -age-Assonanz handeln. 2 erbaie M, boscage WHR, Ars, A. 3 Il ne redote ni·l temps ne l’oraye M. Der Vers ist offenbar zu kurz. Eine Erweiterung wie mal tens A ist unabdingbar. 4 d’Ungarie M, de Persie WHR, Ars, de Sulie (= Surie) A. Volatile stammt schwerlich aus Ungarn. Mit weit mehr Recht wird es 2554 aragonesisch (d. h. wohl soviel wie arabischspanisch) genannt.
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Ich weiß nicht, ob Ihr ein Räuber oder Spion seid. Aber bei dem Glauben, welchen ich der heiligen Maria schulde und dem Heiligen Kreuz, welches man anfleht und anbetet, werdet Ihr, wenn Ihr keine sehr gute Verteidigung habt, von hier nicht fortkommen und es für eine Tollheit halten!“⁵ Dann sprengte er voran und griff nach seinem Schild, und hätte ihn um ein Haar ihm vom Halse gerissen. „Schurke“, sagte Guillelme, „Jesus verfluche dich! Ohne jede Rechtfertigung forderst du mich jetzt heraus. Laß meinen Schild los und zeige höfisches Benehmen! Lange habe ich ihn getragen und mich hart abgemüht. Ein Ritter bin ich, und Ihr handelt unhöfisch. Gott möge mir beistehen, auf Scherze habe ich keine Lust.“ Der Kastellan war voll unedler Gesinnung. Je mehr sich der Graf vor ihm demütigte, desto mehr strotzte seine Rede von Hochmut und Dummheit. „Gott“, sagte der Graf, „der du alles in deiner Gewalt hast, vor 100.000 Türken habt Ihr mein Leben gerettet! Dieser böse Mann schmäht und tadelt mich, entehrt und besudelt⁶ mich mit seiner Rede und verfolgt und greift mich an mit so unedler Gesinnung, daß ich lieber sterben als ihn dafür nicht strafen will.“ Dann zog er das Schwert, auf das er fest vertraute, und hieb auf den Kastellan neben dem Ohr, so daß er das Schwert bis in die Brust fahren ließ. Tot warf er ihn herab. Die Stadt geriet in Aufruhr. Man rief zu den Waffen, und die Sturmglocke ertönte. Guillelme wandte sich zu einer Abtei. Viele Pfeile sausten auf ihn zu und hefteten sich in seine Halsberge und seinen Schild und in sein Pferd, aber Schutz gewährte ihm die Schutzdecke, welche aus Eisenringen geflochten war.
5 si·n tenrez a folie M, sel tenrés a folie WHR, Ars, A „et vous regrettrez votre folie“ (Guidot/ Subrenat). Sofern hier dieselbe Phrase vorliegt wie 2170, so ist ·n als en, nicht als Negation zu verstehen, so daß die Lesarten so gut wie gleichbedeutend wären. Im M steht des öfteren n‘ oder ·n für en (z. B. 7038), nicht für ne, vielleicht noch öfter, als ich erkannt habe. 6 Ich übersetze conchie WHR, Ars, A, nicht moïe M, da die für moiier TL 6, 128f. angegebenen Bedeutungen hier nicht in Frage kommen.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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2360 „Gott“, sagte der Graf, „Herrin, heilige Maria,
die Ihr mir heute beistehen möget, nun sehe ich wohl, daß der Wahnwitz sich erhoben hat. Ich werde rascher tot sein als im Heidenland. Wenn ich sie verschone,⁷ werden sie mich nicht schonen. 2365 Denn Stadtbürger regen sich zu rasch auf. Sie kennen kein Maß, wenn sie in Aufruhr sind. ⁸ Bei diesem Wort machte er einen Ausfall. Mit dem stählernen Schwert hieb er sie in Stücke. Feigheit half Guillelme da nichts. 2370 Die Bürger flohen und gaben ihre Stadt preis, nahmen ihren Weg direkt zur Brücke und begegneten einer sehr großen Ritterschar. ⁹ der von der Gironde; eine Menge Begleitung hatte er. Ein Bruder Guillelmes mit dem kühnen Antlitz war es, 2375 und Ermengart von Pavia hatte ihn getragen, die edle Dame, welche Jesus segnen möge. LVIII. (WHR 59, Ars 59, A 58) Groß war der Lärm, und das Geschrei wuchs an. Graf Guillelme wurde furchtbar wütend, keinen einzigen von den Bürgern verschonte er. 2380 Mehr als fünfzig hieb er mit dem Schwert in Stücke und zog sich schnell zurück. Sogleich verließ er Orléans, um dort nicht mehr zu verweilen, und begab sich weg auf den breiten Weg nach Etampes. Siehe da Ernaut, der in Orléans einritt;¹⁰ 2385 ein großes Geleit von Rittern führte er. Die Leute von Orléans umringten ihn. „Herr“, sagten sie, „mit uns steht es schlecht. Ein bewaffneter Ritter, der hier durchkam,
7 Ich übersetze deport WHR, Ars, A, nicht depart M. 8 N’i a mestere puis q’il est inruïe M, N’a mesure, puis k’ele est estormie WHR, Ars. mestere scheint aus mesure verlesen. inruïe könnte zu enrohir „anmaßend werden“? (TL 3, 500) gehören. Vgl. Holtus, Apparat. 9 Einschub von WHR 2140. 10 Ich übersetze entra WHR, Ars, A, nicht s’en va M, das eine plumpe Wiederholung der letzten Worte des vorhergehenden Verses darstellt.
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hat uns, lieber Herr, den Kastellan erschlagen und so viele Bürger, daß man sie nicht zählen kann, einzig deshalb, weil man ihn gefragt hatte, warum er bewaffnet durchreite.“ Und Ernaut sagte: „Wißt Ihr, in welche Richtung er reitet?“ „Ja, lieber Herr, nach Paris ritt er auf einem Pferd, größer, als man je eines sah.“ Ernaut hörte es, verlangte seine Waffen, legte die Halsberge an und schnürte den Helm wieder fest. Schnell bestieg er sein Pferd. Einen Schild ergriff er, eine Lanze nahm er in die Faust. Mit sich führte er zehn Ritter. Orléans verließ er und ritt mit Einsatz der Sporen hinaus. Er erreichte Guillelme, welcher sanft ritt und eine Lanze¹¹ trug, die er einem Bürger entrissen hatte. Ernaut sah ihn und rief laut: „Bei Gott, Vasall, übel sieht es für Euch aus! Ihr müßt jetzt zur Stadt kommen. Die Leute des Königs werden Euch dort festhalten.“¹² Und Guillelme sagte: „Verflucht sei, wer Euch folgen wird.“¹³ Er spornte Volatile, die Zügel ließ er ihm locker. Ernaut, sein Bruder, spornte auf ihn zu, so schnell, wie das Pferd unter ihm vorwärtsstürmte. Sie wollten einander treffen, keiner wollte den anderen schonen. Ihre Lanzen brachen, auch die stärkste ging entzwei. Graf Guillelme rannte seinen Bruder so an, daß er ihn hinten vom Pferd herabstieß. Der Graf sah dies und schalt ihn heftig: „Bei Gott, Vasall, sehr wenig liebte Euch, wer Euch mit Guillelme zu tjostieren schickte, dem von Orange, der keine Ruhe haben wird. Nie aß oder trank ein Mann unter größerem Schmerz.¹⁴
11 branche M, lance WHR, Ars, A. Hier muß eine Waffe gemeint sein. 12 aura M, jugera WHR, Ars, A. Die Lesart von M scheint gerade noch möglich. 13 Dait qi por vos ira M ~ Hs. F, Dehait por vos ira WHR (nach Hs. C), Mal ait por vos ira A „Ce pour vous que les choses vont mal tourner!” (Guidot/Subrenat). Alle Lesarten und ihr Verständnis sind schwierig. 14 Guidot/Subrenat übersetzen: „Aucun homme au monde n’a davantage souffert de l’adversité.“ Sie lösen also die Metapher „essen und trinken“ für „existieren“ auf.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
Nun wird Euch der Markgraf nicht mehr anrühren.“ Sein Pferd nahm er und führte es zurück. Ernaut sah das und sogleich wurde er ganz aufgeregt. An der großen Statur und dem Gesicht erkannte er ihn 2425 und staunte sehr, daß es sein lieber Bruder war. Er sprang auf und umfaßte ihn am Steigbügel; mehr als hundertmal küßte er das Bein. Guillelme sah es und vergoß aus seines Hauptes Augen Tränen. Er bedauerte heftig, was er getan hatte. 2430 Doch er hatte ihn als seinen Bruder nicht erkannt. Sein Pferd hielt er und übergab es ihm und bat ihn in großer Liebe aufzusteigen.
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LIX. (WHR 60, Ars 60, A 59) Als Ernaut Guillelme erkannt hatte, da war er so froh, wie er noch nie gewesen war. Er rief: „Lieber Bruder, woher kommst du? Ich bin Ernaut, den du niedergeworfen hast. Sehr froh bin ich, nachdem ich deinen Schlag verspürt habe. Das weiß ich wohl, daß du sehr große Kraft besitzt. Beinahe wäre dein Stich mir mitten durch den Leib gegangen. Doch dank dem König Jesus bin ich heil.“ Guillelme hörte es, freute sich sehr darüber und stieg von seinem Pferd mit der langen Mähne. Jeder von ihnen nahm seinen spitzen Helm vom Kopf. Ernaut küßte ihm oftmals und immer aufs neue Augen, Antlitz, Hals und Nacken; doch vor seinen Mund hielt Guillelme seinen Schild, so daß ihn Ernaut nicht Mund zu Mund berührte. Die Ritter sind im Galopp angekommen. Als sie ihn erkannten, hieß ihn ein jeder willkommen, und sie stiegen gemeinsam ab. Außerhalb der Stadt gab es eine grasreiche Wiese. Dort setzten sie sich unter einen belaubten Baum. Graf Guillelme erzählte ihnen alles, den großen Verlust, den er erlitten hatte, auf Aliscans, wo die Schlacht stattgefunden hatte: „Tod sind meine Männer; meinen Besitz habe ich verloren. Bertram haben die ungläubigen Schurken gefangen genommen, den tapferen Gaudin und den körperstarken Guichart,
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Übersetzung
und fünf andere, worüber ich sehr betrübt bin. 2460 Vor Orange sind sie zur Belagerung gekommen. Dort habe ich weder Jüngling noch Greis zurückgelassen außer einem Wachtposten und einem hochwürdigen Kleriker; und dreißig Gefangene sind mit ihnen zurückgeblieben, welche ich von dem ungläubigen König befreit habe. 2465 Aber sie sind so schwach, daß sie gar keine Kraft mehr haben. Alle Damen haben sich eine Halsberge angelegt, ein Schwert umgegürtet und den spitzen Helm aufgebunden,¹⁵ die Lanze in der Faust und den Schild um den Hals. Wenig Nahrung, Wein und gemahlenes Korn haben sie. 2470 Wenn ihnen nicht in kurzer Frist Hilfe kommt, wird Orange eingenommen, niedergebrannt und zerstört mit Feuer.“ Ernaut hörte es, und sein Blut geriet ganz in Wallung. LX. (WHR 61, Ars 61, A 60) Als Guillelme sah, daß Ernaut nicht antwortete, konnte er sich nicht enthalten, zu ihm unter Tränen zu sprechen 2475 und ihn aus großer Liebe innig zu bitten: „Sagt, lieber Bruder, bringt Ihr mir Hilfe?“ „Ja, gewiß, Herr, ich werde nicht unterlassen, es Euch zu sagen, solange ich in meinem Körper das Leben habe.“¹⁶ Und Guillelme sagte: „Zögert nicht, 2480 gebt Ermengart von Pavia Nachricht, Eurer Mutter, welche Jesus segnen möge, und Aymeri mit dem blütenweißen Bart, daß er mir zu Hilfe komme gegen das Heidenvolk und sie mir welche von ihrer Ritterschaft schicken, 2485 von den Franzosen, von der großen Adelskriegerschaft. Aber ich fürchte sehr, daß er mich abweist.“¹⁷ Und Ernaut sagte: „Seid unbesorgt.
15 Ich übersetze e lacié l’elme agu WHR, A, nicht e lance e l’elme augu M, wo lance offenbar aus lacié entstellt ist. 16 Ich übersetze Tant com jou aie dedans le cors la vie WHR, Ars, A, nicht Tant cum je ai de denç mon cor s’aïe M, da s’aïe (in Anlehnung an das Reimwort aïe 2476) aus la vie verlesen scheint. 17 me stordie M, m’escondie WHR, Ars, A. estordir „betäuben, verwirren“ (TL 3, 1416) paßt hier gar nicht.
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Ich werde zu Loois nach Frankreich, nach Saint-Denis gehen¹⁸ und ihn um Gottes, des Sohnes Marias, willen bitten, daß er mir zu Hilfe komme mit seinem großen Heeresaufgebot und mir welche von seiner Ritterschaft übergebe. Aus Vermandois soll man dort auch teilnehmen. Mein Vater wird dort mit einer sehr stattlichen Gefolgschaft sein. Geht dorthin, Herr, mehr kann ich Euch nicht sagen. Gold, Silber und Denare aus Syrien werde ich Euch übergeben und eine stattliche Gefolgschaft.“ Graf Guillelme dankte ihm herzlich, aber er nahm überhaupt gar nichts mit. Er küßte Ernaut, wendete aber den Mund ab. Weinend schieden sie auf der Wiese. Bevor Ernaut nach Saint-Saine in Brie¹⁹ kam, hatte Graf Guillelme seinen Weg aufgenommen und bis Etampes die Zügel nicht angezogen. Die Nacht kam, und er nahm Herberge. Dann stieg er wieder auf sein syrisches Streitroß. Seinen Schild setzte er zum Pfand. Bevor er zurückkehrt, wird jener verbrannt und geröstet sein, denn dort brach ein Feuer aus, welches die Abtei zerstörte.
Guillelme am Königshof LXI. (WHR 62, Ars 62, A 61) Graf Guillelme dachte an den raschen Abschluß seiner Unternehmung.²⁰
18 Hier liegt in M eine Verstümmelung des Wortlauts vor. In der sonstigen Überlieferung kündet Guillelme selbst an, er wolle nach Saint-Denis zum König gehen. Sein Bruder klärt ihn auf, daß Loois einen Hoftag in Laon abhalte und dort auch Aymeri mit Gefolge sein werde. Daß M hier fehlerhaft ist, geht schon daraus hervor, daß Ernaut verkündet, er wolle für sich selbst Hilfe holen. Das waren aber ursprünglich die Worte Guillelmes, auf den allein sie passen. Die (in M fehlende) Ankündigung des Hoffestes in Laon findet sich auch im Wh. 121,16ff. M weicht hier von allen Hss. ab und kann nicht Wolframs Quelle repräsentieren. 19 Seint Saine em Brie M, Saint Cruis en Brie D, Saint Auignon en Brie Hs. C, fehlt sonst. Brie ist die Landschaft östlich von Paris. Durch den Einschub dieses Verses hätte das Tempus im folgenden Vers korrigiert werden müssen. 20 Der Vers Li cons Guillelmes pensa de l’esploter M ist in den Hss. ziemlich einheitlich überliefert. Für esploitier verzeichnet TL 3, 1223–1226 die Bedeutungen „handeln, verfahren,
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2510 Seinen Helm lud er auf und seine doppellagige Halsberge.
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So sehr hatte er sein feuriges Streitroß laufen lassen, daß eines Sonntags vor der rechten Essenszeit, gerade als die Leute aus dem Münster kamen, Guillelme mit dem wilden Antlitz in Laon ankam. Mitten durch die Stadt begann er zu reiten. Durchaus glich er einem Mann, der aus dem Krieg kam. Eifrig betrachteten ihn Knappen und Pagen wegen des Pferdes, dessen Größe sie sahen, und einer sagte zum andern: „Wohl sieht er wie ein Jagdfalke²¹ aus. Nie zuvor hat ein Mensch ein so großes Saumtier²² gesehen. Teufel haben ihn so hoch hinaufgesetzt. Seht, wie groß er ist und aussieht wie ein Mann aus Berry.“ Der Graf schwieg, hatte keine Absicht, sich zu verteidigen, ritt weiter vorbei und wollte mit keinem reden. Vor dem Saal gab es einen Ölbaum. Da stieg er von seinem schnellen Streitroß ab. Seine Ausrüstung war keineswegs vollständig, sondern vorne und hinten beschädigt. Umgegürtet hatte er das Schwert, dessen Knauf aus reinem Gold war. Die Franzosen sahen ihn, und es gab nichts als Empörung. Oben auf den Palas kam ein Bote zu berichten, er habe da draußen einen Schildträger gesehen; noch nie habe jemand einen so großen Ritter gesehen;
etwas mit Eifer betreiben, reisen, fahren, reiten; etwas abtun, vollziehen, fördern, mehren, ausrichten, gewinnen; refl. sich anstrengen, befleißigen“. Régnier, Glossar, nimmt für zwei spätere Stellen die Bedeutungen „mener l’affaire“ und „action de se hâter“ an. An dieser zweiten Stelle (4491 M) wird das Wort in derselben Konstruktion wie hier 2509 verwendet. Régnier registriert das nicht. Ganz im selben Sinne übersetzt jedoch Newth: „William the Count does not waste any time“. Ganz ähnlich Guidot/Subrenat. 21 landier M, lanier WHR, Ars, A „un faucon lanier“ (Guidot/Subrenat). lanier bezeichnet den Wollhändler, aber auch eine Falkenart, die als eher minderwertig galt, den Blaufußfalken, der seinerseits bildlich auch für einen schwächlichen Menschen stehen kann (TL 5, 154f.). Dementsprechend übersetzt Newth hier „coward“. Aber vom Zusammenhang her liegt ein Vergleich mit einem bedrohlichen Raubvogel viel näher. Dann kann aber nicht das Pferd, sondern nur der Reiter gemeint sein. Vgl. 2548. 22 somer M, somier WHR (nach M!), destrier Ars, A. WHR behaupten, destrier würde zu 2521 schlecht passen, was nicht ganz einzusehen ist. Daß es sich um ein destrier handelt, geht nicht nur aus 2526 hervor. Doch könnten die Franzosen es als Lasttier geschmäht haben.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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wäre er gerüstet, gliche²³ er durchaus einem Söldner. 2535 „Ich denke, er kommt, um Frankreich herauszufordern. Aber es gibt keinen Fürsten, der sich gegen ihn aufzulehnen wagen würde. Seine gewaltige Statur macht große Angst.“ Loois hörte es, begann sich zu wundern und sich beim Herrgott zu bekreuzigen. 2540 Über das, was er hörte, begann er sich zu wundern. Oben aus den Fenstern lehnten sich die Franzosen, um den Markgrafen mit dem wilden Antlitz zu beobachten.
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LXII. (WHR 63, Ars 63, A 62) Graf Guillelme stieg auf dem Trittstein ab, aber fand dort keinen Knappen oder Pagen, der ihm sein gaskognisches²⁴ Schlachtroß gehalten hätte. Der Held band es an den runden Olivenbaum. Diejenigen, welche es sahen, waren deshalb ganz entsetzt und fürchteten ihn mehr als die Lerche den Lerchenfalken. Zu Loois sagte man auf dem Palas, daß da unten am Trittstein ein Vasall sei. „In ganz Frankreich gibt es keinen von seiner Gestalt. Groß sind seine Statur, sein Antlitz und sein Kinn, sein Blick noch viel wilder als der eines Löwen. Mitgeführt hat er ein aragonesisches Schlachtroß, das hat einen großen Kopf und eine massive Kruppe; gut und gerne mag es bis zur Spitze des Olivenbaums reichen. Sehr gute Zügel hat es, darauf viele Taler²⁵ aus Gold, und der Sattel ist von der Machart Salomos.²⁶ Ein Helm hängt vorne an seinem Sattelbogen, hinten hat er seine glänzende Halsberge darauf gepackt, aber rundum gibt es keine Ausfütterung oder Auspolsterung. Viel weißer sind seine Panzerkettenringe als Alqueton, ²⁷
23 Das Imperfekt in M muß durch den Konj. Perf. der anderen Hss. ersetzt werden. 24 Entsprechend 2554 wäre „aragonesisch“ richtig, was die anderen Hss. auch bieten. 25 mangon M, boton WHR, Ars, A. Bis ins 13. Jh. diente der Knopf nur zur Verzierung, nicht zum Verschluß. Zur Verzierung konnten auch Münzen dienen. 26 Die Herkunft des Ausdrucks l’œuvre Salemon ist unbekannt. Er bezeichnet eine orientalische Art der Bearbeitung von Gold, Elfenbein und Marmor (Boutet zu Ars 2335). 27 auqeton M, A, auketon WHR, Ars, „Baumwollstoff“ (< arabisch al-qutun) oder daraus gefertigtes Wams unter dem Kettenpanzer.
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und doch gibt es darunter welche schwärzer²⁸ als Kohle. Sehr groß sind seine beiden Steigbügel, 2565 denn ihre Aufhängung umfaßt etwa zehn Spannen.²⁹ Angezogen hat er einen schäbigen Mantel und darüber einen Hermelinpelz. Hoch hat er die Nase über dem Kinn,³⁰ starke Arme und am Ende mächtige Fäuste,³¹ 2570 weite Nasenflügel und üppig wuchernde Haare. Er gleicht einem wackeren Mann von gar wunderbarer Art.“ Die Franzosen hörten dies und sind deshalb ganz entsetzt. Keinen gab’s, der nicht das Kinn gesenkt hätte. Loois sagte: „So geht doch hin, Sanson, 2575 und kommt dann, mir seine Absicht zu künden. Fragt genau, wer er ist und welcher sein Name und woher er ist und aus welcher Gegend.³² Er kann einer sein, dessen Nähe uns schadet.“ LXIII. (WHR 64, Ars 64, A 63) Loois sagte: „Sanson, geht doch dorthin, 2580 aber hütet Euch wohl, ihn hereinzubringen, ehe Ihr wißt, aus welchem Land er stammt. Er könnte einer sein – das sage ich Euch wahrheitsgemäß –, dessen Ankunft in diesem Königreich wir zu unserem Unglück gesehen haben. Geht, Freund, gebt acht und säumt nicht.“ 2585 „Herr“, sagte Sanson, „ganz wie Ihr befehlt.“ Er ging weg und schritt die Stufen hinab, kam zu Guillelme unter den verzweigten Olivenbaum, erkannte ihn aber nicht, grüßte ihn und fragte ihn hierauf: „Herr, woher stammt Ihr? 2590 Wie heißt Ihr? Sagt, was Ihr begehrt und sagt mir, aus welcher Richtung Ihr kommt.“ „Wahrlich“, sagte der Graf, „Ihr werdet es gleich durch mich erfahren.
28 plus noyr M, rouge WHR, Ars (Vers fehlt A). 29 pome M unverständlich. Ich übersetze pans WHR, Ars. 30 Das Kinn in M wohl ein ungeschickter Ersatz für den Schnurrbart (so WHR, Ars, A). 31 Hier hat M fälschlich die Brust (lo piç) für die Fäuste (les poins), wodurch sich en son nicht mehr unterbringen läßt. Auch die Form car M für quarrés, welche von Holtus nicht korrigiert wird, obwohl der Vers zu kurz ist, kann schwerlich richtig sein. 32 M wiederholt hier irrtümlich das Reimwort von 2575. Ich übersetze region WHR, Ars, A.
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Ich heiße Guillelme Kurznase, komme aus Orange und bin völlig erschöpft. Seid so gut und bewahrt mir dieses Pferd, bis ich von jenem Palas zurückgekehrt bin. Mein Anliegen wird Loois vorgetragen werden.“ „Herr“, sagte Sanson, „geduldet Euch ein wenig! Bei Gott bitte ich Euch, seid nicht ungehalten! Er hat mich hergeschickt, zu Unrecht werdet Ihr daran zweifeln.“ Und Guillelme sagte: „Freund, nun beeilt Euch!“ [„Herr“, sagte Sanson, „ganz wie Ihr befehlt.“ Er ging weg und schritt die Stufen hinab.]³³ „Sagt dem König – es wäre ein Übel, wolltet Ihr es ihm verheimlichen –,³⁴ daß ich arm und hilflos hierhergekommen bin. Nun werde ich sehen, ob er je mein Freund war. Zu mir mögen er und seine mächtige Ritterschaft herauskommen. Dann werde ich erfahren, wie ich geliebt werde. In der Not wird der Freund erprobt. Wenn er einem dann fehlt, dann gibt es keine Verläßlichkeit.“ „Herr“, sagte Sanson, „ich werde ihm genau Bericht erstatten. Wenn es nach mir ginge, würde der König Euren Wunsch erfüllen.“ Er begab sich weg, stieg zum Palas hinauf und sprach zum König: „Herr, Ihr wißt es nicht? Dies ist Guillelme, der so gefürchtete, durch mich trägt er Euch auf, Ihr möget ihm entgegengehen.“ Loois hörte es und blickte zu Boden. Er sagte zu Sanson: „Geht und setzt Euch nieder, denn von mir wird er jetzt keinen Besuch bekommen. In den Dienst der leibhaftigen Teufel hat er sich begeben, so sehr wird er uns malträtiert und gepeinigt haben. Dies ist kein Mann, sondern ein leibhaftiger Dämon. Fluch über dessen Hals und Nase, dem seine Ankunft willkommen ist!“
33 Die beiden Verse M 2602f. sind irrtümlich hier nochmals eingeschoben worden. Sie haben aber nur 2585f. ihren rechten Ort, wie auch die anderen Hss. zeigen. Die Wiederholung ist durch die hier und dort vorausgehende Aufforderung, sich zu beeilen, hervorgerufen – ein typischer Gedächtnisfehler eines Sängers. 34 Ich übersetze ja mar li celerés WHR, Ars, A. Hs. M wiederholt hier fälschlich die Phrase aus 2600 ja mal en doterez.
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2625 Der König setzte sich betrübt und ergrimmt.
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Die Edelfräulein stiegen die Stufen hinab und Ritter, von denen es da genug gab, welchen der Graf ihre Ausstattung gegeben hatte, die Marderpelze, die hermelinverbrämten Gewänder, die Halsbergen und die edelsteinbesetzten Helme, die Schwerter und die Buckelschilde, das Gold und das Silber, die geprägten Denare, die Zelter und die kräftigen Streitrösser. Als sie ihn sahen, wie abgerissen er gekleidet war, wurde er dort kein einziges Mal geküßt oder umarmt. Schlecht war der Graf begrüßt worden, vom einen oder anderen geschmäht und verhöhnt. Etliche Male wurde der Graf verspottet. So ergeht es dem Mann, der in Armut fällt. Man verweigert ihm Dienste, Wertschätzung und Liebe. Und Guillelme sagte: „Meine Herrschaften, Ihr tut großes Unrecht. Ich habe Euch große Dienstfertigkeit und Liebe entgegengebracht, Euch viele Male mein Hab und Gut gegeben, Denare, Gewänder und Pferde geschenkt. Wenn ich Euch jetzt nichts gebe, verdiene ich nicht gescholten zu werden, denn ich bin auf dem Archant völlig vernichtet worden. Tot sind meine Männer, nicht einer ist entkommen. Erschlagen wurde Vivien, der hochgelobte, und ich selbst bin an sieben Stellen verwundet. Ich weiß nicht, wozu ich lügen sollte:³⁵ Ich bin geflohen. Voll Schmerz bin ich über meinen großen Verlust. Rund um Orange sind 100.000 Slawen; belagert hält es der starke König Deramé, mit ihm zusammen dreißig gekrönte Könige. Bis zu einem Jahr haben sie die Belagerung geschworen. Madame Guiborc, die Euch so sehr geliebt hat, trägt Euch durch mich auf, ihr zu helfen. Um Gottes willen, Barone, erbarmt Euch! Gebt mir Unterstützung, Herren – Ihr werdet viel Gutes tun.“ Als sie das gehört hatten, ließ keiner ein Wort verlauten. Guillelme verließen sie. Siehe da, sie kehrten zurück,
35 Ich übersetze Ne sai k’en mente WHR, Ars, A, nicht Ne sai qe monte M. Vgl. 3471.
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stiegen zum Palas hinauf über die breiten Stufen. Der edle Graf ist zurückgeblieben. Nun wird Guillelme Kurznase erfahren, 2665 wie ein armer von einem reichen Mann angeredet wird, wenn er hinten und vorne zurückgestoßen wird. Der Bauer sagt darüber die Wahrheit: „Wer seinen Besitz verliert, ist der Verachtung verfallen.“
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LXIV. (WHR 65, Ars 65, A 64) Nun war Guillelme unter dem Olivenbaum.³⁶ Alle ließen ihn im Stich und allein. Kein Diener oder Knappe blieben zurück. Nun wird Guillelme Kurznase³⁷ erfahren, wie ein armer Mann mit einem reichen einen Streit führt. „Gott“, sagte der Graf, „der du über alles zu richten hast, Wie wird derjenige entehrt, welcher bitten muß! Brächte ich Silber und reines Gold, würden diese mich ehren und wertschätzen. Da sie aber sehen, daß ich Hilfe benötige, verachten sie mich wie einen anderen Hergelaufenen. Nicht einmal mein Streitroß wollen sie unterbringen.“ Der Graf setzte sich, nur Zorn im Innern. Auf seine Knie legte er sein stählernes Schwert.³⁸ Viele Male dachte er bekümmert an seine Gattin. In den Palas traten die Ritter, und König Loois sagte zu ihnen: „Wo ist Guillelme, der Markgraf mit dem wilden Antlitz, der uns so sehr gepeinigt und malträtiert hat?“ „Herr“, sagten sie, „dort unten unter dem Olivenbaum.“
36 Vermutlich tos seus „ganz allein“ nach WHR, Ars zu ergänzen. Vgl. 2715. 37 Nur M hat hier anstatt au vis fier „mit dem wilden Antlitz“ in der Laisse mit –ier-Assonanz au cor nier. Der Auslaut wird hier (wie auch sonst) nicht mehr gesprochen. Meist steht in M né für nes. 38 M hat hier wie fast alle Hss. diese signifikante Droh- und Empörergeste bewahrt. Nur Ars ändert Sor ses genols in Sor son ceval – eine offenkundige Verlesung. Selbst Boutet übersetzt hier nicht den Text von Ars. Anders Chacornac. Allein dieser elementare Unterschied läßt die durch Ars repräsentierte Fassung als Vorlage Wolframs ausscheiden.
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Loois ergriff einen Stock von Elsbeerholz,³⁹ ging und lehnte sich ins Fenster und sah Guillelme weinen und klagen. Er sprach und schrie ihn an: „Herr Guillelme, sucht Euch eine Herberge! macht es Eurem Pferd recht angenehm, dann kommt zurück an meinen Hof zum Essen. Gar zu ärmlich kommt Ihr, um am Hofleben teilzunehmen. Habt Ihr denn weder Diener noch Knappen, die Euch beim Stiefelausziehen bedienen könnten?“ „Gott“, sagte der Graf, „wie kann mich das jetzt in Rage bringen, ⁴⁰ der mich loben und preisen sollte und vor allen Männern lieben und wert halten! Aber bei demjenigen, der die Welt richten soll, wenn ich zu diesem Palas hinaufsteigen kann, werde ich es morgen nicht eher Nacht werden sehen, ehe ich mit diesem Schwert, das den Griff aus reinem Gold hat, ihm glatt den Kopf abzuschlagen gedenke und den Leib von vielen anderen zu durchstoßen. Zu ihrem Unglück haben sie mir Stolz und Drohung gezeigt. Bevor ich scheide, will ich ein Wörtlein mit ihnen reden in einer Weise, daß ich, wenn ich es schaffe, dort meinen Mut demonstrieren will.“ Da begann er die Augen zu rollen, mit den Zähnen zu knirschen und den Kopf zu schütteln. Im Unmut, den er hatte, versuchte er sich zu beruhigen.⁴¹
LXV. (WHR 66, Ars 66, A 65) 2715 Nun war Guillelme ganz allein unter dem Olivenbaum.
39 allïer M, aliier Ars, pomier A. aliier vermutlich ältere Form für alisier „Mehl-, Elsbeerbaum“ (vgl. TL 1, 303f. ohne Übers.). 40 Einschub von WHR 2480. 41 Au mal telent qu’il ot prist soi a baisler M. Das Reimwort ist sonst nicht nachzuweisen. Holtus schlägt eine Verbindung zu abaiier „bellen“ (TL, 35) vor, doch steht dem die reflexive Verwendung entgegen. Könnte es aus abaissier verlesen sein, welches reflexiv „sich bücken, sich erniedrigen, sich legen, sich beruhigen, sich niederlassen“ heißt? Die anderen Hss. weichen völlig ab.
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Genug gab es dort an Entehrung und Schmähung.⁴² Sehr verdroß es ihn, aber er konnte nichts dagegen machen. Und Loois ließ seine Türen bewachen, damit niemand aus- oder eingehen konnte, alles Guillelmes wegen, der solchen Schrecken verbreitete. Der Graf sah es und glaubte, den Verstand zu verlieren. Vor Unmut begann er zu schwitzen. Nur ein Stadtbürger – Guimar⁴³ hörte er ihn nennen – geleitete ihn zu sich und beherbergte ihn und versorgte auch sein Pferd reichlich im Stall. Am Tisch des Hausherren ließ er ihn zur Nacht speisen, doch der Graf wollte nicht vom Wein⁴⁴ kosten und vom Weißbrot keine Krume anrühren. Grobes Roggenbrot ließ der Graf bringen, davon aß er, und zum Essen trank er Wasser. Der freie Bürger begann ihn zu fragen: „Edler Guillelme, adeliger Herr und Baron, so schönes Essen wollt Ihr nicht zu Euch nehmen? Wenn es Euch mißfällt, werde ich besseres schaffen.“ „Wahrhaftig nicht, Herr, vielmehr muß man es sehr loben. Doch in Orange habe ich, als ich weggehen mußte, meiner Herrin, Guiborc mit dem leuchtenden Antlitz, geschworen, nichts davon zu kosten – das wollte ich ihr geloben –, bis ich wiederum zurückgekehrt wäre. Seid, bitte, deshalb nicht ungehalten!“ Der Gastgeber hörte es und wurde nachdenklich. Für diesmal rührte er nicht mehr daran. Nach dem Essen ließ man die Tischtücher wegräumen und dem edlen Grafen sein Bett bereiten aus prächtigem Bettzeug und orientalischen Decken. Doch Guillelme wollte so nicht schlafen gehen, sondern der Graf ließ sich frisches Gras und Binsen bringen, und der Held ging schlafen auf seiner Pferdedecke,
42 Asez i fu laites e ramponier M, Assés s’oï laidir et ramposner WHR, Ars, A „Er hörte genug, wie man ihn entehrte und schmähte“. Die Version ist vorzuziehen. Ob der Verweis von Holtus auf laide „Schimpf, Schmach“ (TL 5, 96) weiterführt, scheint fraglich. 43 Oder Guimart. Wolfram: Wîmâr. 44 In anderen Hss. erscheint hier statt des Weins das Fleisch.
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denn er wollte gegenüber seiner Frau nicht meineidig werden. Überhaupt nicht schlafen und ruhen konnte er bis zum Morgen, da es Tag werden mußte. Graf Guillelme sputete sich beim Aufstehen, vom Gastgeber ließ er sich seine Halsberge bringen, in ein Zimmer ging er, sie überzuwerfen; sein Schwert aus Stahl wollte er nicht vergessen. „Herr“, sagte der Gastgeber, „wohin müßt Ihr gehen?“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „durchaus schulde ich Euch die Auskunft. Ich werde dort hinaufgehen, um mit Loois zu sprechen, um ihn um Beistand anzugehen und zu bitten. Doch bei dem, der über alles Heil bestimmt, wenn einer es mir verwehren oder verbieten, meine Worte und meine Argumente schlecht machen⁴⁵ und dem König gegenüber von der Hilfe für mich abraten sollte, werde ich ihn teuer dafür bezahlen lassen.“ ⁴⁶ Groß ist der Stolz, welchen Ihr dort sich versammeln sehen werdet. Der König soll dort Blancheflor krönen, Eure Schwester, die Euch große Liebe schuldet. Vermandois soll er einem Grafen zu Lehen geben,⁴⁷ das beste Land, von dem sich reden läßt. Doch konnte es nie frei von Krieg sein. Nie gab es ein Land, das so viel hätte aushalten können. Wer es besitzen wird, wird sich dessen rühmen können, denn es ist so groß, daß es seinesgleichen auf der Welt nicht gibt.“ ⁴⁸ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „ich werde bei der Vergabe dabeisein.
45 In M wird hier das Reimwort veer der vorangehenden Zeile irrtümlich wiederholt. Lies mit WHR, Ars, A blasmer. 46 Einschub von WHR 2546 „Sire“, dist l’ostes, „diex vos laist bien aler!“ Holtus zitiert ihn nur im Apparat. Ohne ihn ist der Redeeinsatz in M aber schwer verständlich. In A fehlen die Worte Guimars und der Anfang der folgenden Rede Guillelmes M 2765–77. So entfällt hier auch die Rolle Guillelmes als des Trägers der Oriflamme. 47 Das Subjekt ist nicht genannt. Es könnte auch die Königin sein. In Ars ist diese auch weiterhin das Objekt. Der König übergibt ihr hier Vermandois als douaire, als eigene Erbdomäne. 48 Die Verse 2771–73 fehlen nicht nur in A (s. o.), sondern auch in Ars. Sie verstärken die Eloge auf Vermandois ins Hyperbolische. Diese Fassung kann ursprünglich nur für ein Publikum im Vermandois bestimmt gewesen sein. Vgl. die Einleitung.
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2775 Ganz und gar ist es nötig, daß es nach meinem Willen vor sich geht,⁴⁹
denn das süße Frankreich muß ich sehr gut hüten und in der Schlacht die Oriflamme⁵⁰ tragen. Und wenn unsere Leute sich gegen mich stellen wollen, wodurch sie mich gegen sie aufbringen, 2780 habe ich die Absicht, den König von Frankreich völlig in Stücke zu hauen⁵¹ und von seinem Haupt die Krone zu reißen.“ Als der Bürger ihn so reden hörte, begann er vor Furcht zu zittern. Und der Graf wollte nicht mehr dort verweilen, 2785 ging aus der Unterkunft und machte sich auf den Weg. Bevor er zurückkehrt, wird er den König in Rage bringen. LXVI. (WHR 67, Ars 67, A 66) Graf Guillelme hat die Unterkunft verlassen. Unter seinem Bliaut hat er die Halsberge angezogen⁵² und das Schwert unter den zerschlissenen Mantel genommen.⁵³ 2790 Hinauf auf den Palas ist der Markgraf gekommen. Kein Tor gab es, das ihm verstellt geblieben wäre. Vielmehr kam der Graf wutentbrannt in den Saal, fand dort Fürsten, Grafen und Herzöge,⁵⁴ Ritter, junge und ergraute, 2795 und anmutige Damen, bekleidet mit kostbaren Stoffen, Gewändern aus Seide und golddurchwirktem Pfellel. Graf Guillelme wurde sehr wohl wiedererkannt, fand aber unter ihnen eine sehr schlechte Aufnahme.
49 De tot en tot le stuit por moy paser M, De tout en tout l’estuet par moi aler WHR, Ars „Ma présence est absolument indispensable” (Boutet), „For this exchange needs me there to take place” (Newth), „Il faut que tout passe par mes mains” (Chacornac). 50 Ursprünglich die Fahne der Äbte von Saint-Denis, dann der fränkischen Könige. 51 Eine spielmännische Steigerung in M. In WHR, Ars, A ist nur von der Absetzung des Königs die Rede. 52 Sor li blïaut fu li auberg vestuz M, Sous son blïaut fu ses haubers vestus WHR, Ars, A. Der Bliaut war zwar von verschiedenem (aber immer kostbarem) Material und Schnitt, jedoch stets ein Obergewand. sor in M kann daher nicht stimmen. 53 E prent li brant soç son mantel rompuz M, Et tient son branc sous son mantel repus WHR, Ars, A. Die Lesart von M scheint nicht ganz unmöglich. repus „verborgen“ gibt aber viel mehr Sinn. 54 M setzt hier für dus sinnloses druz „Geliebter“ (Pl.).
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Da er so ärmlich gekleidet war, 2800 war kein einziger dort, der ihn gegrüßt hätte,⁵⁵ auch nicht die Königin, die ihn sehr wohl sah, die seine Schwester war und ihm mehr Liebe geschuldet hätte. Ihm fehlte hier jegliche Anerkennung. Guillelme sah es und war darüber sehr ergrimmt. 2805 Er setzte sich wortlos auf eine Bank. Wenig fehlte, und er hätte sich auf sie gestürzt. Doch ehe der Graf sich von dort in Bewegung setzen hätte können, stieg Aymeri auf dem Trittstein ab. In seiner Begleitung waren siebenundzwanzig Schildknappen. 2810 Groß waren der Lärm, das Schreien und Rufen. Die Franzosen gerieten in Aufregung. Siehe da, wie sie aufsprangen! Aymeri entgegen ging der König hinaus. Da wachsen Guillelme seine Kraft und seine Stärke. Er wird, wenn Ernaut⁵⁶ es vermag, gut verteidigt werden. LXVII. (WHR 68, Ars 68, A 67) 2815 Auf dem Trittstein ist Aymeri abgestiegen
sowie Ermengart, die edle Gräfin. Bei ihm waren vier seiner Söhne, der tapfere Ernaut, Bovon⁵⁷ von Comarchis, und Guibert⁵⁸ und Bernart mit dem blütenweißen Bart waren da. 2820 Nicht dort war allerdings Aymeri der Elende⁵⁹,
55 Ich übersetze desist WHR, Ars, A, nicht deüst M. 56 Ernaut M, Ermengart WHR, A, Aymeris Ars. Alle drei sind Mitglieder derselben Sippe. Ernaut hat aber die geringste Prominenz. 57 Dazu der Nominativ Bove(s). In den anderen Hss. meist diphtongiert: Bovon(s)/Buevon, danach Wolfram: Buove/Buovun. 58 In M hier wie meist, aber nicht immer fälschlich Gibert. Selbe Schreibung bei Wolfram, welche jedoch gerade die andere Lautung (wie afrz. Guibert) wiedergibt. 59 Aymeris li caitis M, Aimers li caitis WHR, Ars, A. Nur hier bei der ersten Erwähnung steht in M die Namensform Aymeri, sonst immer Naymeri(s) oder Naymer. Holtus setzt daher diese Namensform für den Sohn des Grafen Aymeri an, ohne wie bei diesem zu erwägen, daß es sich auch beim Sohn um die mit dem Namen zusammengeschriebene okzitanische Form des Titels handeln könnte (s. Anm. zu M 242). In den anderen Hss. heißt der Sohn allerdings in aller Regel Aimer(s), das in M seltener vorkommt als N’Aymeri(s). Ich halte die Form Aymeri also in der Übersetzung für beide Personen durch, auch deshalb, weil Wolfram beide Heimrich nennt. Seine Vorlage wird also in diesem Punkt der Redaktion, welche M vertritt, nahegestanden haben. – Abweichend von ‚Aliscans‘ hat Heinrich der Alte bei Wolfram nicht fünf, sondern sechs
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denn er war in Spanien beim Hl. Markus von Venedig⁶⁰ und hatte keine Ruhe weder bei Tag noch bei Nacht. Ehe Aymeri noch im gewölbten Palas war, kam ihm sein Schwiegersohn Loois entgegen, sowie die Königin mit der edlen, vornehmen Gestalt.⁶¹ Der Graf wurde oft geküßt und liebevoll begrüßt, ebenso Ermengart, die Gräfin mit dem leuchtenden Antlitz, die hochherzige Dame, die soviel Übles erduldet hatte. Auf einem Faltstuhl ließ man Aymeri Platz nehmen, neben ihm den König von Saint-Denis, und die Gräfin saß neben der Kaiserin.⁶² Die Ritter nahmen ihre Sitze ein mitten im Saal – nach Teppichen hielten sie gar nicht Ausschau.⁶³ Süß dufteten dort Rosen und Lilien. Die Spielleute nahmen ihre Instrumente. Viele Leute waren im fürstlichen Palas. Viel gab es da an buntem und grauem Pelzwerk. Doch vor dem Abend am Ende des Tages wird sogar der Kühnste Angst haben; selbst der Kaiser würde nicht dort sitzen bleiben wollen
Söhne. Der sechste heißt Bertram wie der gefangengenommene Neffe Willehalms, und ihm wird Berbester (Barbastro) als Herrschaft zugeteilt, welches in ‚Aliscans‘ der Schlachtruf Bovons ist. 60 a saint March de Vinis M, A, entre les Sarrasins WHR, Ars. Handelt es sich um venezianische Truppen im spanischen Heidenkrieg, oder hat M Venedig nach Spanien versetzt (so Bernhardt, 1900, S. 42)? Jedenfalls war angeblich dieser Bruder Guillelmes bei der Eroberung von Venedig dabei (M 4191 ~ WHR, Ars, A). Venice als Aimer(i)s Schlachtruf findet sich WHR 5132a (fehlt Ars) = 5138 M. Nach Wh. 240,26–241,15 ist Heimrich der schetis venezianischer Söldner gewesen, ehe er sich, nachdem er von Terramers Rachefeldzug gehört hatte, dem Heidenkampf der Franzosen angeschlossen hat. 61 Ich übersetze au gent cors segnoris A, nicht au grant cors segnuris M. Daß Blancheflor groß gewesen sei, wird sonst nirgends angedeutet. Ganz abweichend ki molt ot cler le vis WHR, Ars. 62 Ein Unterschied zwischen König- und Kaisertum wird offenbar nicht gemacht. 63 D. h. sie mußten nicht auf den Teppichen auf dem Boden sitzen, weil außergewöhnlich viele Sitzgelegenheiten vorhanden waren, jedoch in gebührendem Abstand von den Sitzen der Fürsten. Deutlicher wird dies in WHR, Ars, A, wo A val la sale statt En mi la sale M steht. Jenes heißt wohl nicht „dans toute la salle“, wie Boutet übersetzt, sondern „weiter unten im Saal“, was zwar nicht unbedingt einen Höhenunterschied bedeuten muß, hier aber wohl bedeutet – vgl. 3205.
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noch die Königin, um der Ehre von Paris willen.⁶⁴ Denn Herr Guillelme ⁶⁵ „nun bin ich allzu versteckt, wenn ich hier meinen Vater Aymeri sehe, meine hochherzige Mutter, von der ich zärtlich aufgezogen wurde, die ich volle sieben Jahre nicht mehr gesehen habe. Zu viel habe ich erduldet, ich bin ganz erniedrigt und geschmäht. Wenn ich mich nicht räche, werde ich leibhaftig verrückt.“ Mit diesen Worten ist der Graf aufgesprungen. Der Schwertgriff kam nicht aus seiner Hand. In die Mitte des Saals kam er vor Loois und sprach laut, so daß er von allen vernommen wurde. „Jesus in seiner Majestät, der König des Paradieses, schütze denjenigen, von dem ich gezeugt wurde, und alle meine Brüder und meine anderen Freunde, und vernichte diesen üblen König Loois und meine Schwester, die Hure, die Dirne, von denen ich schändlich aufgenommen wurde und an deren Hof ich so verspottet und geschmäht wurde. Als ich abstieg unter dem blühenden Olivenbaum, gab es von seinen Männern keinen, weder groß noch klein, der mir mein arabisches Streitroß versorgt hätte. Wäre es nicht⁶⁶ um meines Vaters willen, der neben ihm sitzt, würde ich ihn bis zum Nacken spalten.“
64 Hier setzte offenbar das Gedächtnis des Sängers teilweise aus. Im weiteren fehlen gleich drei Verse (s. u.). Doch auch hier verdrehte er den Sinn. WHR, Ars, A haben: „Selbst der Kaiser wäre lieber in Paris gewesen und die Königin in ihrem Gemach in Senlis.“ Paris war dem Sänger allerdings noch im Gedächtnis geblieben und wurde in einer sinnleeren Floskel nachgeschoben. 65 Ergänzung von WHR 2625–28 au cort nes, li marchis, Tous seus se siet corechiés et marris, Iriés et fiers et tous mautalentis. „Diex“, dist li quens. Auch Holtus hält hier eine Lücke in M für wahrscheinlich, setzt die aus WHR ergänzten Verse aber nur in den Apparat. In M lautet 2842 Qar dan Guillelmes: „Or m’en sui trop tapis.“ Nach der Nennung des Sprechenden beginnt also ohne Redeeinleitung die Rede, was nicht ganz unmöglich, aber doch sehr abrupt wäre. Ein Augensprung kann nicht vorliegen, da Anführungszeichen nicht üblich und keine Wortgleichungen für eine Verwechslung vorhanden sind. 66 Ich übersetze N’iert WHR, A statt Mes M.
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Der König hörte es, und sein Blut geriet in Wallung, 2865 und die Königin wäre lieber in Paris gewesen oder in Etampes oder in der Stadt Saint-Denis. Keinen Franzosen gab es, der hier nicht völlig in Panik geraten wäre. Der eine sagte zum anderen: „Guillelme ist in übler Stimmung, zu unserem Unglück haben wir ihn in dieses Land kommen sehen.“ LXVIII. (WHR 69, Ars 69, A 68) 2870 Als Ermengart ihr Kind sah
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und auch Aymeri, so waren sie hocherfreut. Von ihren Faltstühlen sprangen sie sogleich auf und schlossen Guillelme ganz innig in die Arme. Auch seine vier Brüder kamen, ihn heftig zu umarmen, und wollten ihn küssen, doch er wandte sich ab; sein Mund mied den ihren. Im ganzen Palas erhob sich Jubel, die einen empfanden Freude, doch die anderen Schmerz. Graf Guillelme schilderte seinem Vater die schwere Niederlage, welche er auf Aliscans erlitten hatte, welche ihm die Sarazenen und Perser bereitet hatten, und genauso, wie er die Flucht ergriffen,⁶⁷ keinen von seinen Männern lebend weggeführt und Vivien tot an dem Teich zurückgelassen hatte, an der Quelle, woraus ein rauschender Bach entspringt, und wie die Heiden ihn gesehen und gejagt und wie jene den Paladin Bertram und Guielin und den kräftigen Guichart, Girart von Blaies, den Tolosaner Gautier, Huon von Saintes und Gaudin den Deutschen⁶⁸ weggeführt hatten. „Guiborc ließ ich weinend in Orange zurück, dort haben die verräterischen Heiden sie belagert; fünf Könige sind es und vierzehn Emire.
67 Ich übersetze vint A, nicht vont M. Vgl. Holtus, Apparat. 68 Hernaud de Santes e Guidin l’Alemant M, Huon de Saintes et Garnier l’Alemant WHR, Ars, Hunaut de Saintes et Fouques de Melant A. Die beiden begegnen (ohne Beinamen) schon M 336, heißen dort aber Huon und Guidin in M, Huon und Gaudin in WHR, Ars, A. Ein Gaudin begegnet auch mehrfach in M, hat aber, wenn überhaupt, andere Beinamen: li brun; de Petelee (wohl falsch für Pierrelee, so in den anderen Hss.). Es wird dennoch dieselbe Person sein. Wolfram: Hu(w)es von Meilanz, Gaudin(s) der brûne.
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Die Nahrung geht ihnen drinnen in Orange aus, sie erdulden einen schweren Lebensmittelmangel. In dieses Land kam ich auf der Suche nach Loois, diesem untätigen Schwächling. Aber ich sehe sehr wohl, daß es ihm an Mut gebricht und an seinem Hof mir das Bild eines gemeinen Mannes bietet. Aber beim Apostel, den der Büßer anfleht, ich werde manch einem, ehe ich scheide, Schmerz bereiten⁶⁹ und meiner Schwester, der treulosen Hure.“ Loois hörte es, und davon verfinsterte sich seine Miene. Da wäre er lieber in Huy oder Dinant⁷⁰ gewesen. Und die Franzosen waren still, stumm und schweigend; ihm zu helfen machte sich kein einziger anheischig. Immer wieder sagte einer zum andern: „Welcher leibhaftige Dämon könnte so viel ertragen? Dort sind keine Ritter hingegangen, wie kampfstark auch immer, die danach auch wieder nach Frankreich zurückgekehrt wären. Zu unserem Unheil haben wir mit Guillelme und seinem Gebaren⁷¹ Bekanntschaft gemacht. Fluch über Orange! Dem Teufel möge er es überantworten! Vermandois möge er haben von hier bis zum Hafen von Wissant!“⁷² Im ganzen Palas waren alle stumm und schweigend, keinen gab es dort, der sich ein Herz gefaßt hätte, daß er vorgetreten wäre, um ihm zu helfen. Alle waren stumm, die Kleinen und die Großen. Um Bertram weinten Herr Bernart von Brubant⁷³ und Bovon um Girart, sein Kind. Madame Ermengart stand aufrecht und rief sehr laut mit ihrer hellen Stimme: „Bei Gott, Franzosen, Ihr seid alle treulos! Herr Aymeri, nun verlierst (auch) du den Mut!
69 en ferai mant dolant M, le ferai tot dolant WHR, Ars, en feré un dolant A. Der Bezug auf Loois statt auf viele ist bei weitem wahrscheinlicher, da sich nur so die Schwester sinnvoll anschließt. 70 Zwei Städte an der Maas außerhalb der Grenzen Frankreichs. 71 son scemblant M, son beubant WHR, Ars, A „Übermut”. 72 Hafenstadt bei Calais, nicht zu Vermandois gehörig. 73 In anderen Hss. auch Brebant, Braibant, was sonst als Nebenform von Brabant vorkommt. Auch Wolfram hält aber Brubant von Brabant getrennt.
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Lieber Sohn Guillelme, werde nicht mutlos, denn beim Apostel, welchen die Büßer anflehen, noch habe ich einen Schatz, und zwar einen so großen, daß ihn zwanzig Ochsen nicht ziehen könnten. Vollständig gebe ich ihn dir, so daß keine Byzantinermünze übrig bleiben wird, für die Söldner, die kämpfen werden, und ich selbst werde zu Pferde kommen, angetan mit einer Halsberge und das Schwert an der Seite, die Lanze in der Faust, vorne ganz an der Spitze. Deshalb ist, mag ich auch eisengraues Haar⁷⁴ haben, doch mein Herz voll Mut und Freude, und so werde ich meinem Kind helfen, wenn es Gott gefällt. Wenn ich bewaffnet hoch zu Roß sein werde, wird es keinen Heiden, Sarazenen oder Perser geben, der, wenn ich ihn mit meinem schneidenden Schwert erreiche, nicht von seinem Streitroß fallen muß.“ Aymeri hörte es, lächelte gütig und seufzte in seinem Herzen aus Mitleid, und alle seine Söhne waren vor Schmerz in Tränen. Aymeri faßte größeren Mut. ⁷⁵ er wird in Kürze reden, daß man es hört; zu den Franzosen wird er reden, ihnen zum Verdruß.
LXIX. (WHR 70, Ars 70, 69 A) Nun war Guillelme im Saal mit dem Steinfußboden, unter seinem Mantel hielt er am Griff das Schwert fest. Sein Gewand war zerrissen und zerfetzt. Schmutzige⁷⁶ Hosen hatte er und ein verwaschenes Hemd. 2950 Mit Stroh hatte er den Bart durchsetzt und einen struppigen Kopf, ein breites Antlitz, eine hohe Nase, eine stolze Haltung,
74 Hier kann pel M nicht, wie üblich, „Haut“ bedeuten, sondern muß dasselbe Wort wie poil in den anderen Hss. sein. 75 Einschub von WHR 2733 Li quens Guillames ne se va demorant. Der Vers ist kaum entbehrlich, obwohl Holtus ihn nur in den Apparat aufnimmt. Denn sonst wird der Subjektwechsel nicht erkennbar. 76 Ich übersetze noires WHR, Ars, neres A in der Deutung von Guidot/Subrenat „noires de crasse“, nicht royes M „rote“. Vielleicht ist aber royes auch für rotes „zerrissen“ verschrieben.
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die Fäuste⁷⁷ massiv und die Arme gewaltig, einen langen Körper und eine breite Brust, die Füße gewölbt und das Bein muskulös. Zwischen den Augen hatte er einen breiten Abstand im Ausmaß von mehr als einer Handfläche. Einen so wilden Mann gab es nicht bis zum Lebermeer. Auf seine Schwester blickte er wild, die das Haupt mit Gold gekrönt trug. Sie saß neben dem König mit der besonnenen Miene.⁷⁸ Der Graf blickte sie mit übergroßer Wut an, von Unmut flammte sein Antlitz, die Barthaare stellte er auf, den Kopf schüttelte er.⁷⁹ „Herr Loois, hier wird schlecht bezahlt! Als in Paris die große Versammlung war, da Charlemagne sein Leben beendet hatte, da hielten dich die Landherren alle für ungeeignet. Dir wäre Frankreich als Erbe ganz⁸⁰ verlorengegangen und dir die Krone keineswegs verliehen worden, als ich für dich so großes Handgemenge durchstand, damit dir gegen ihren Willen auf dein Haupt die große Krone gesetzt würde, die mit Gold geschmückt war. So sehr hatten sie vor mir Respekt, daß niemand sie zu verweigern wagte. Schlechte Liebe habt Ihr mir heute dafür erwiesen!“ „Wahrlich“, sagte der König, „das ist die sichere Wahrheit! Nun aber wird Euch die Ehrung vergolten werden, sogleich erfolgt dafür die doppelte Wiedergutmachung.“⁸¹
77 In M wohl falsch lo piz für les poinz WHR, Ars, A, da die Brust gleich im folgenden Vers wiederkehrt. 78 a la chiere membree M, ki l’avoit esposee WHR, Ars, A „der sie zur Gattin hatte“. M steht hier ganz allein und bietet auch nichts wirklich Sinnvolles, gleichgültig, ob man es auf die Königin oder den König bezieht, die beide im Augenblick wenig verständig wirken (vgl. TL 5, 1373). 79 Ich übersetze s’a la teste crollee WHR, A, nicht s’a la teste acolee M. acoler „umhalsen, umfassen“ (TL 1, 96f.) scheint völlig sinnlos. – Die Beschreibung des Helden differiert hier in der Überlieferung stark; in Ars ist sie gekürzt. Dafür fehlt in M die hier anschließende Redeeinleitung. Die Wutgeste des Kopfschüttelns findet sich schon 2713. 80 Auch Holtus schlägt hier vor, tote nach WHR zu lesen statt tost M. 81 Apormein en ert l’amendise doplee M, que tote France vos iert abandonee WHR, A „daß ganz Frankreich euch überliefert werden wird“. Nach Boutet, Übers., Anm. z. St., macht nur dieser in Ars und anderen Hss. fehlende Vers die folgende Reaktion der Königin verständlich.
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Blancheflor hörte das und schrie laut: „Wahrlich“, sagte sie, „so wird mir mein Erbe genommen! Nun haben Dämonen diese Übereinkunft geschlossen.“ Guillelme hörte es und nahm sie daraufhin in den Blick. „Schweig, Hure“, sagte er, „wahrhaftige Hündin!⁸² Tibaut von Arabien hat dich gepflegt⁸³ und mehrfach wie eine Hure auf den Rücken gelegt. Deine Worte verdienen keinerlei Gehör. Wenn Ihr Eure heiße Pfefferbrühe eßt und Wein trinkt aus Eurem vergoldeten Becher, Getränke, klar oder mit gefilterten Gewürzen, und ganz feinmehligen Kuchen eßt, wenn Ihr den Deckelkelch haltet neben dem Feuer am Kamin, wenn Ihr Euch gut durchgewärmt habt und Euch die Völlerei rasch aufgeheizt hat, wenn die Hitze Euch so heiß gemacht und Loois Euch so um- und umgedreht und Euch in Wollust wohl befriedigt hat und Ihr vom Essen gut gesättigt seid, dann denkt Ihr weder an Schnee noch an Eis noch an große Schlachten oder an die Entbehrungen, welche wir im fremden Land erleiden und innerhalb von Orange, von dem ungläubigen Volk.⁸⁴ Wenig kümmert es Euch, ob das Korn einen guten Wert hat. Schmutzige Schlampe, schmutzige, wahrhaftige Hündin, sehr habt Ihr heute meine Worte geschmäht und dem König die Unterstützung für mich widerraten. Die leibhaftigen Teufel haben Euch die Krone aufgesetzt.“ Er ging hindurch nach vorne und riß sie ihr vom Kopf, warf sie vor den Augen der Franzosen zu Boden und legte rasch die Hand ans Schwert. Der Markgraf faßte sie an den Zöpfen und hätte ihr sogleich den Kopf abgeschlagen,
82 Chacornac hat in seiner Bearbeitung hier und später alles Sexuelle ausgelassen. 83 sojornee M, asoignantee WHR, Ars, ensoinantee A „zur Konkubine gemacht“. Die Lesart in M ist bestenfalls ironisch zu verstehen, die andere Variante dagegen eindeutig. 84 WHR u. Holtus halten den Satz für einen Fragesatz.
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ohne daß es ihm von jemand verwehrt worden wäre, als Ermengart es ihm aus der Faust nahm und Guillelme, die Faust und das Schwert umfing und die Königin sich mit aufgelösten Haaren entfernte, völlig verstört; sie sah ganz wie von Sinnen aus. Sie wandte sich zur Flucht in ihr Gemach; (dort) fiel sie aus Furcht ohnmächtig zu Boden. Ihre schöne Tochter hob sie auf, das war Aelis,⁸⁵ die höfische, verständige, eine junge Frau, schöner als eine Fee. Leuchtende Augen hatte sie und einen frischen Teint. Eine so schöne gab es nicht bis zum Lebermeer. „Madame“, sagte sie, „wohin seid Ihr gegangen? Gar wundersam verschreckt sehe ich Euch.“ „Meiner Treu, meine Tochter, ich verdiene Mißhandlung! Graf Guillelme ist in diesem Land; ich habe ihn in dem Saal mit dem Steinfußboden vorgefunden und meinen lieben Vater mit dem graumelierten Bart und meine hochherzige Mutter, die Gott hergeführt hat. Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre ich in Stücke gehauen worden, denn Graf Guillelme hätte mich übel zugerichtet. Vom König hatte er Hilfe verlangt. Allein deshalb, weil ich sie ihm verweigert habe, hatte er Grund, mir jetzt den Kopf abzuschlagen. Gebt acht, meine Tochter, daß das Gemach verschlossen bleibt, mit einem großen Balken verbarrikadiert und versperrt, denn, wenn er eindringt, bin ich der Schande⁸⁶ ausgeliefert.“ Aelis sagte: „Allzu wagemutig seid Ihr gewesen, da Ihr Schmähworte gegen meinen Onkel gebraucht habt, den besten Mann, der je ein Schwert umgegürtet hat. Durch ihn wurdet Ihr zur Königin gekrönt von ganz Frankreich und als Herrin anerkannt. Zu dieser Höhe hat er Euch erhoben. Wenn Ihr etwas gesagt habt, was ihm mißfiel,
85 Häufiger afrz. Frauenname in vielen handschriftlichen Varianten, nicht nur ‚Aliscans‘ (Aalis, Aaylis, Aelis, -iç, -iz, -ix etc.), Kurzform von germ. Adelheid. Wolfram: Alîs(e)/Alîze. 86 a hunte M, a mort WHR, Ars, A „dem Tode“. Ob man die (hier übersetzte) Lesart von M akzeptieren kann, ist fraglich.
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hatten Euch leibhaftige Dämonen angetrieben.“ Die Königin sagte: „Tochter, du bist sehr vernünftig! Gesegnet sei die Stunde, als mein Leib dich getragen hat! Was du sagst, ist die gewisse Wahrheit. Durch ihn wurde ich erhoben und erhöht zur Königin und Herrin des gepriesenen Landes. Nun gewähre mir Gott das Geschick, daß ich mit meinem Bruder versöhnt werden könnte.“ Sogleich setzte sich die verweinte Königin nieder; vielmals hieß sie sich elend und unglücklich. Und Aelis hat sich das sehr zu Herzen genommen und ging ohne jeden Aufputz⁸⁷ aus dem Zimmer. Der Rose am Maienmorgen glich sie. Weißer war sie als überfrorener Schnee und so schön mit Farbe übergossen, daß niemals in ganz Frankreich, so lang und breit es ist, je eine so schöne Dame erblickt wurde, meiner Treu, noch im (ganzen) Jahrhundert gefunden.⁸⁸ Bekleidet war sie in Purpur mit Goldbesatz, das gekräuselte Haar hatte sie mit feinen Goldbändern durchzogen.⁸⁹ In kleinen Schritten ging sie und hielt das Haupt gesenkt. Großen Lärm hörte sie in dem Palas mit dem Steinfußboden. Die Franzosen sagten heimlich einer zum andern: „Guillelme hat die Königin an der Ehre verletzt. Hätte man es ihm gestattet, so hätte⁹⁰ er ihr übel mitgespielt. Schlecht hat Loois sie beschützt. Teuer muß er Orange bezahlen. Verflucht, daß es je gegründet wurde. So viele junge Männer werden seinetwegen ums Leben kommen. Seht den Teufel, was für einen breiten Schädel er hat! Ein böser Geist ist in seinen Körper gekommen. Seht, wie diese Miene entflammt ist!
87 Sachlicher Widerspruch (in allen Hss) zu 3065. 88 Ich übersetze Si bele dame ne fu onc esgardee, Mien escient ne el siecle trovee WHR, A, nicht Si belle dame non fu unqes trovee, Mon esïant e sigle retornee M. Da sind in der Überlieferung offenbar mühselig aus einem Vers zwei gemacht worden. In Ars gibt es nur einen. Die Ergänzung in M ist teilweise sinnlos. 89 Daß hier nicht von einem einzigen Goldband die Rede ist, legt Wh. 154,15–19 nahe. 90 Das Futur ara[i] M für den Konditional scheint unsinnig. WHR, A haben eüst.
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Ehe der Hof heute auseinandergegangen sein wird, wird das Schwert, das er hält, voll Blut und von unseren Leibern beschmutzt und befleckt sein.⁹¹ Wenn es aber Gott gefiele, der Himmel und Tau schuf, daß er jetzt jenseits des Lebermeeres wäre oder in Ägypten in der Wüste oder auf hoher See mitten im Salzmeer, einen Stein um den Hals gebunden, so wäre die Erde von ihm befreit.“ Jetzt siehe da, wie der verständigen Aelis sich der ganze Hof zugewandt hat. Die Franzosen sahen sie und jeder begrüßte sie. Graf Aymeri schloß sie in seine Arme, und ihre vier Onkel umhalsten sie innig. Durch die junge Frau kam Ruhe in den Saal. Madame Ermengart, die verehrte Gräfin, warf sich Guillelme zu Füßen und bat ihn für die Königin um Gnade. Der Graf beugte sich nieder und hob sie auf. „Madame“, sagte er, „gesegnet sei Eure Geburt!“⁹² Bei der Treue, welche ich Guiborc geschworen habe, werde ich, noch ehe ich heute den Abend sehe, den Hochmut des törichten Königs gebeugt haben.“⁹³
LXX. (WHR 71, Ars 71, A 70) Nun war Guillelme in dem gewölbten Saal und hatte das Antlitz von Zorn gerötet. Und er hielt das Schwert ganz bloß und gezückt. 3105 Oben hatte er es fest in der Faust.
91 3080f. Ert de l’espee, qu il tint, ensanglentee, E de noç cors solé e malentee M, Ert cele espee, je cui, chier comparee Et de nos chairs tainte et ensanglantee WHR. Ars steht WHR näher, A eher M, ohne identisch zu sein. Sicher fehlerhaft muß de l’espee sein, denn die Reimwörter verlangen espee als Subjekt. 92 Ich übersetze buer fussiés onques nee WHR, Ars, A, nicht bien fustes vos nee M, denn bien ne(e) heißt „ehelich geboren“. 93 In M ist fälschlich der zweite Verbteil, das Partizip abatu ausgefallen und so der Vers viel zu kurz und unverständlich.
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Auf diese Worte gab niemand eine Widerrede,⁹⁴ und Loois hielt das Antlitz gesenkt. Der ganze Saal war still und ruhig, so als hätte man die Messe begonnen. Graf Guillelme gebärdete sich sehr wild – doch siehe da die junge vortreffliche Frau! Bekleidet war sie mit einem Pfellel⁹⁵ von Almeria.⁹⁶ Leuchtende Augen hatte sie und einen frischen Teint. Es gab keine so Schöne von hier bis Pavia. Sie stammte aus der mächtigen Sippe,⁹⁷ der stolzesten, die je lebte. Das Edelfräulein war sehr wohlerzogen. Es kam zu Guillelme – es wollte keine Begleitung –, und die Schöne kniete vor ihm nieder. Sie umschlang seinen Fuß und sein Bein.⁹⁸ Gnade, lieber Onkel, bei Gott, dem Sohne Mariens! Seht, hier bin ich. Tue mit mir nach deinem Gutdünken. Wenn es dir gefällt, magst du das Haupt abschlagen, oder ich möge in einem flammenden Feuer verbrannt werden oder aus ganz Frankreich, wenn es dir gefällt, verbannt sein. Ich begehre davon auch nicht das Geringste zu besitzen, sondern werde auswandern wie eine arme Bettlerin. Doch meinem Vater sei Friede gewährt und meiner Mutter, die durch Euch verstört worden ist. Nie mehr wird sie, denke ich, einen Tag fröhlich⁹⁹ sein. Als sie Euch widersprach, hat sie sehr töricht gehandelt. Verzeiht Ihr, lieber Herr, dieses eine Mal!
94 In M fehlen im folgenden vier Verse, die das Schweigen der Ritter aus Angst vor Guillelmes Schwert schildern. 95 Vgl. 597. 96 Südspanische Hafenstadt. Hsl. Varianten in ‚Aliscans‘: Almeria, Aumarie, Aimerie, Alorie, Formasie. 97 Ich übersetze Dou parage est de la geste enforcie WHR, Ars, A, denn De beauté saie, de parole enforcie M „mit Schönheit versehen (?), mit kräftiger Rede“ ist mit dem folgenden Vers kaum zu verbinden. 98 Ich übersetze Le pié li a et la gambe enbrachie WHR, Ars, A, nicht Lo pié li a la brace embracie M, weil selbst durch Ergänzung eines e (Holtus, Apparat) kein sinnvoller Satz entsteht. Aelis kann nicht Bein und Arme umfassen. 99 lie (in Assonanz auf folie, prie etc.) für liée ist pikardisch, ebenso otreïe 3128, 3140.
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Wenn sie so kühn ist, Euch jemals noch zu widersprechen, laßt mich in einem siedenden Kessel verbrennen.“ Guillelme hörte es, und es rührte sein Herz, und er sagte zu ihr freundlich ohne Hintergedanken: „Stehet auf, zu sehr habt Ihr Euch gequält!“ „Ich tue es nicht, wahrlich, lieber möchte ich begraben sein, wenn die Seele vom Leib getrennt sein sollte, als daß ich mich erhebe, ehe mir die Versöhnung gewährt und beschworen wird.“¹⁰⁰ Madame Ermengart bat ihn sehr liebevoll: „Lieber Sohn Guillelme, bei Gott, dem Sohn Mariens, handle an dem König an seinem Hofe nicht unedel – allein um deiner Nichte willen, die so wohlgesittet ist.¹⁰¹ Sie ist die Schönste des ganzen Geschlechts.“ Und Aymeri, sein Vater, tadelte ihn: „Lieber Sohn Guillelme, lasse die Torheit! Dein Wunsch wird vollständig erfüllt.“ Der König sah dies und beugte sich ihm: „Wahrlich, Herr, alles geschehe nach deinem Wunsch.“ Guillelme hörte, daß der gute König es beschwor, beruhigte sich, richtete die junge Frau auf und gewährte ihr gnädig, was sie begehrte. Das Fräulein dankte ihm dafür mit Anstand. Nun war sein Zorn in ihm ganz erkaltet, und seine Äußerungen milderten sich beträchtlich. Sein Schwert barg er in seiner Scheide. Ernaut gab er es, und dieser empfing es. Sehr froh war darüber Ermengart von Pavia und sandte sehr rasch¹⁰² nach der Königin zwei Ritter, die aus Pontarlier¹⁰³ waren.
100 E l’acordance otrïee et juree M, Li acordance et vostre ire apaïe WHR, Ars, A. Durch Gedächtnisfehler wird der zweite Halbvers „und Eure Wut besänftigt“ ersetzt durch eine Wiederholung von otrïee (mit Suffixwechsel) und Ergänzung durch juree, das die Assonanz stört. 101 Ich übersetze ensegnie WHR statt eschivie M. Vgl. TL 3, 92f. s. v. eschivir „ausweichen, meiden, aus dem Weg gehen“. 102 Ich übersetze a molt tost envoïe WHR, Ars, A, nicht mult a prist envoïe M. Die Phrase prendre envoïe kann ich nicht nachweisen und schätze M daher als verderbt ein. 103 In M Port Aylie verlesen aus Pontarlie (Pontarlier, Stadt in der Freigrafschaft Burgund).
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Und so ging dorthin der Herzog von Ungarn, mit ihm Garin¹⁰⁴ von der Lombardei. Diese führten sie in den gewölbten Saal. Sie kam und zeigte große Freude. Graf Guillelme nahm sie bei der Hand und sagte hierauf zu ihr: „Liebe Schwester, süße Freundin, es tut mir sehr leid, daß ich Euch beschimpft habe. Doch soweit kommt es mit einem Mann, den der Unmut verbittert, daß er in Wort und Tat rasch über die Stränge geschlagen hat. Vor den Augen des Hofes will ich Genugtuung leisten. „Herr“, sagte sie, „es hat mich nicht aus der Bahn geworfen, Ich werde weder Schande noch Erniedrigung davon erleiden. Mein Bruder seid Ihr, und sehr habe ich es bereut, wenn ich Dinge gesagt habe, derentwegen Ihr mich gehaßt habt. Lieber wäre ich aus Frankreich gejagt worden. Ich werde, wenn es Euch gefällt, die Strafe tragen und aus diesem Palas ohne Oberkleidung gehen, ganz nackt, nur in ein Büßerhemd gekleidet, bis zum Münster der Abtei von Saint-Vincent.“ Dann fiel sie auf die Knie und erniedrigte sich zu seinen Füßen. Den Fuß und das Bein umschlang sie ihm. Graf Guillelme umarmte sie sehr rasch und küßte sie viermal aufs Gesicht. Gott, wie war da die schöne Aelis glücklich! Die Versöhnung wurde geschlossen und der Groll beigelegt. Da freute sich der Hof gar sehr. Die Leute und das Gefolge zeigten große Freude. Das Fest für Guillelme steigerte sich mächtig. Der König befahl die Tafel aufzustellen, diejenige, welche mit feinem Gold eingelegt war. Dies hat Guillelme mit seiner Gewalttat erreicht. So ergeht es einem Manne, der den Hochmütigen züchtigt. Er wird mit ihm nicht fertig werden, wenn er ihn nicht ordentlich mißhandelt. Nun brach bei Hofe der Jubel aus, und die Ritterschar präsentierte sich überaus prächtig.
104 Der Plural o eus statt dem Singular in M ist ebenso unsinnig wie Guillelmes für Garins.
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LXXI. (WHR 72, Ars 72, A 71) Großer Lärm herrschte oben im ganzen Palas. Der König ließ seine große Tafel aufstellen, diejenige, welche schachbrettartig gemustert war. Man blies auf einem kleinen Horn zum Händewaschen.¹⁰⁵ Als die ritterlichen Barone sich die Hände gewaschen hatten, setzten sie sich entlang der Tische zum Essen. Aymeri saß neben seiner Gattin an dem vornehmsten Tisch auf einer mächtigen Estrade.¹⁰⁶ Und es waren der Kaiser, der die Regentschaft von Frankreich hatte, neben ihm, weil er Anlaß hatte, ihn auszuzeichnen, und die Königin an seiner linken Seite; und der Markgraf Guillelme mit dem wilden Antlitz saß bei seinen Brüdern, die er sehr liebte und hochhielt, neben ihm seine Nichte, welche sehr zu preisen war, das war Aelis, die keine Anstandslehre mehr benötigte,¹⁰⁷ und welche später Renoart zu seiner Frau erbat, aber Loois ihm nicht geben wollte.¹⁰⁸ Mit seiner Stange tötete er später Auceber auf Aliscans in dem großen, gewaltigen Kampf und tausend andere des teuflischen Volkes. – Jetzt beginnt die Chanson sich zu steigern,¹⁰⁹ denn so etwas gab es seit der Zeit von Desiderius¹¹⁰ nicht, wie Ihr hören werdet, wenn es nicht an Geld mangelt,
105 Zur Ankündigung des Händewaschens durch Hornblasen vor dem Essen vgl. Schulz 1889, I, S. 415. 106 Ich übersetze Au mestre dois en estage plenier A ~ WHR, Ars, nicht A un altre dois en l’estage plenier M. Der Tisch des Kaisers ist nicht einfach ein anderer Tisch. 107 o il n’a que ensigner M ~ WHR, Ars, A „the wisest of all maids“ (Newth), „à la parfaite éducation” (Guidot/Subrenat). Vgl. Godefroy online, s. v. enseignier; TL 3,518. 108 Hier wird eine Liebesbeziehung angedeutet, deren Mündung in die Ehe aber verhindert wird; ob auf Dauer, wird hier nicht klar, sondern erst aus 3880–84. 109 Hier scheint nicht nur eine neue Chanson angekündigt zu werden, sondern schon einzusetzen. Manche Hss. (nicht M) haben hier auch einen graphischen Gliederungseinschnitt wie bei einer neuen Laisse. Doch 3236 kehrt die Erzählung wieder in die alten Bahnen zurück, auf welchen freilich bald ein neuer Held erscheinen wird. Rolin und Chacornac lassen den Einschub aus. 110 Desirer M, Desiier WHR (Hss. B1E), Macabier Ars, Olivier A. Vermutlich der langobardische König Desiderius 757–774.
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von Rainoart, der Loquifer¹¹¹ tötete, den größten Mann, der ein Streitroß bestieg, und dort eine Stahlkeule eroberte, welche er für tausend Pfund reinen Goldes nicht hergegeben hätte. Tausend Sarazenen ließ er später damit die Seele aushauchen.¹¹² Von Loquifer¹¹³ zerstörte er den Glockenturm, welchen die Sarazenen hatten errichten lassen, und nahm die Türme ein, von denen es tausend gab, und den großen Saal und den mächtigen Palas, und errichtete ein fürstliches Münster. Bis Kairo¹¹⁴ ließ er nichts als Zerstörung übrig, um das Gesetz Gottes zu erhöhen und zu erheben. Viele Heiden ließ er im heiligen Brunnen taufen. Gott schenkte ihm dafür einen äußerst glorreichen Lohn; von den Engeln ließ er seine Seele tragen. –¹¹⁵ Zu der Chanson¹¹⁶ möchte ich zurückkehren – gesegnet sei die Seele dessen, der sie beginnen ließ! Groß war die Freude oben im mächtigen Palas. An den Tafeln saßen die ritterlichen Barone. Hundert Fräulein waren dort Mundschenken, und ebenso viele warteten beim Essen auf. Über die üppigen Gerichte ist es überflüssig zu reden, denn mehr gab es davon, als ich rühmen kann. Graf Guillelme, der Markgraf mit dem wilden Antlitz, ließ seinen Gastgeber Guimar und seine Frau einladen und setzte sie neben sich beim Essen. Der Markgraf ehrte sie sehr und hielt sie wert.
111 Ein heidnischer Riese. Gehört der Name zu Lucifer (so Holtus mit Fragezeichen)? Wohl eher zu locus inferni. 112 balaer M = baaillier „gähnen (im Todeskampf)“ (TL 2, 787f.). 113 Reich des Loquifer, in anderen Hss. Loqiferne. 114 Gayre M, Egypte WHR, A. 115 Avez les angles en fait sa arme porter M, Aveuc ses angles fist s’ame herbergier WHR, Ars ~ A. In M sind zwei Konstruktionen vermengt, nämlich der Anfang der Zeile belassen, aber das Verb ausgetauscht, das jedoch par statt avec verlangt hätte. 116 A la cançon M, besser A no canchon WHR, Ars, A nostre conte A.
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LXXII. (WHR 73, Ars 73, A 72) Groß war der Hof in dem Saal zu Laon. Auf den Tafeln gab es viel Geflügel und Wildbret. Was immer man an Fleisch und Fisch essen mochte, Guillelme ließ nichts über seine Lippen kommen, sondern aß grobes Brot und trank Wasser in Menge. Darüber wunderten sich die ritterlichen Barone sehr. Knappen und Pagen nahmen die Tischtücher weg.¹¹⁷ Graf Guillelme richtete das Wort an den König: „Was hast du im Sinn“, sagte er, „Sohn Karls? Kommst du mir zu Hilfe gegen die Sippe Mahomets? Das Heer müßte schon in Chalon¹¹⁸ sein.“ Loois sagte: „Und wir werden darüber reden und am Morgen es Euch¹¹⁹ wissen lassen, meinen Wunsch, ob ich gehen werde oder nicht.“ Guillelme hörte es und wurde rot wie (glühende) Kohle. Vor Unmut stellte er den Schnurrbart auf. „Wie?“ sagte er, „Beim Satan! Wir werden darüber reden? Ist das die Fabel von Stier und Kobold?¹²⁰ Nun sehe ich es sehr wohl, Ihr haltet mich zum Narren.“ Er beugte sich hinunter, nahm einen Stab und sagte zum König: „Euer Lehen kündige ich Euch auf!¹²¹ Ich werde davon nichts behalten, was (auch nur) den Wert eines Sporns hätte.¹²² Weder Euer Freund noch Euer Lehnsmann werde ich sein, und Ihr werdet (doch) dorthin kommen, ob Ihr wollt oder nicht!“
117 Ich übersetze Les napes traient escuier et garçon WHR, Ars, A, nicht Les napes traiont e vaselz e baron M – ein besonders grober Schnitzer des Sängers, der sinnloserweise die Vasallen und Barone selbst ihre Tischtücher entfernen läßt. 118 Carlion M, Chaalon WHR, A, Carrion A, nach Rasch Châlons-sur-Marne, nach Holtus Carlion. Ich plädiere trotz der lautlichen Schwierigkeiten aus geographischen Erwägungen für Chalon-sur-Saône. 119 les M fälschlich für le vos WHR, Ars, A. 120 Eine Fabel mit diesen Protagonisten ist nicht bekannt. Andere Hss. haben statt tor auch coc oder louf, statt nuiton auch luiton oder mouton. Rolin konjiziert corf und bringt die Fabel von Krähe und Schaf ins Spiel (vgl. Grubmüller-Dicke Nr. 359), die aber auch kaum paßt. 121 Ich übersetze Vostre fief vous rendon WHR, Ars, A, nicht Nostre foy vos rendorn M. Das Reimwort ist in M auf jeden Fall verderbt. Daß eine Lehensaufsage vorliegt, ist klar. Auch 3275 spricht eindeutig dafür, daß ursprünglich fief statt foi dastand. Auch „unsere Treue“ ist beim Subjekt „ich“ als Objekt schwer denkbar. 122 Einer der metaphorischen Ausdrücke für etwas Wertloses.
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Ernaut mit dem roten Schnurrbart richtete sich auf und sagte zu Guillelme: „Regt Euch nicht auf! Der König wird sagen, was ihm wünschenswert und gut erscheint. Behalte dein Lehen, und wir werden dir alle helfen, ich und meine Brüder werden zusammen mit dir gehen.“¹²³ Aymeri sagte: „Wir reden nicht mit genug Engagement darüber. Wir schulden ihm alle Hilfe nach unserem Vermögen. Frankreich sollte füglich ganz ihm überantwortet werden. Sie müssen ihm helfen mit großer Umsicht, und wer es ihm verwehrt, soll Schaden¹²⁴ davon haben! Mit Nachsicht wird man keinen Schurken bessern.¹²⁵ Um verspottet zu werden, ist mein Sohn ein viel zu hochgestellter Mann.¹²⁶ Aber beim Apostel, den man anfleht im Garten Neros,¹²⁷ wenn dafür meine Erben keinen Vorwurf bekämen und man es nicht für einen tödlichen Verrat hielte, würde ich von den höchsten Fürsten des Königreichs Frankreich siebenundzwanzig in meinen Kerker werfen lassen. So ist jetzt ein Herr, der kein Schurke scheinen wollte.¹²⁸ Vernichten¹²⁹ muß man den Hochmütigen und Verräter.“ Aelis hörte es und antwortete ihrem Großvater:¹³⁰ „Herr Aymeri, gesegnet sei nun eine solche Rede. Wer hier nicht mitmachen wird, soll nie mehr davor verschont bleiben, hoch aufgehängt zu werden wie ein Räuber.“ Die Königin mit dem anmutigen Antlitz sprach: „Herr Aymeri, beim Leib des heiligen Simon,
123 In WHR, Ars folgen noch zwei Verse, in welchen Ernaut 2000 bzw. 20000 Mann verspricht. 124 gagneson M nach Holtus, Glossar, „(cattivo) guadagno, danno“; scheint fraglich; vengison WHR, Ars, A „Rache“ 125 Übersetzung fraglich. Ja por menayde n’aura hom bon bricon M, WHR, fehlt Ars, A. Vgl. bricon TL 1, 1142f. „Narr, Schurke“, aber auch „Schlinge, Falle“; manaie, manaide TL 5, 1007 „Gewalt, Macht, Schutz, Gnade, Nachsicht“. 126 Ich übersetze Trop est mes fiex a escharnir haus hom WHR, Ars, A. Völlig verderbt (schon der Assonanz wegen) Trop est mielz filz a eschernir aucun M. 127 Gemeint ist Petrus, der der Legende gemäß in den Gärten Neros gestorben und begraben ist. Dort wurde der Petersdom erbaut. 128 Der Vers ist sowohl in dieser wie in abweichenden Lesarten schwierig und mehrdeutig. 129 Ich übersetze plaisier (=plaissier) WHR, A statt prosoier (=prisier, proisier) M, das man höchstens ironisch verstehen könnte. 130 aion M, WHR, A, fehlt Ars. Ich kann das Wort nicht nachweisen. Guidot/Subrenat übersetzen mit „grand-père“.
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Übersetzung
Nichts vom Wert eines Sporns werde ich in Frankreich haben, was nicht Guillelme gänzlich überantwortet würde. Doch möge es ihnen an Nase oder Schnurrbart recht lästig sein.“¹³¹ 3300 Loois hört es und richtet sein Kinn empor. Gleich wird er sprechen, so daß man ihn gut versteht. LXXIII. (WHR 74, Ars 74, A 73) Als Loois Aymeri sprechen gehört hatte, wagte er nicht zu widersprechen, obwohl er es wollte,¹³² denn er fürchtete, ihn über seinen Nutzen hinaus zu beschweren.¹³³ 3305 Er blickte Guillelme an und begann zu weinen. Er sah sein Antlitz sich entzünden und entflammen. Ob er Angst hatte, brauchte man ihn nicht zu fragen. Weil er seine (= G.s) Sippe rund um ihn stehen sah, hatte er solche Angst, daß er kein Wort herausbrachte. 3310 Dies sah Guillelme und glaubte, gleich den Verstand zu verlieren. Aus Unmut redete er ihn an: „Herr Loois“, sagte Guillelme, der Held, „als man dich gänzlich enterben und dich aus Frankreich jagen und werfen wollte, 3315 da stützte ich dich und ließ dich krönen. Solchen Respekt hatten sie vor mir, daß sie es nicht zu verweigern wagten, und meinen Vater veranlaßte ich, dir meine Schwester zu geben. Höher konnte ich sie nicht verheiraten, und ich kann nicht sehen, an welcher Stelle ¹³⁴
131 Rätselhafte sprichwörtliche Wendung. Mes ben lor peist o nes o el grignon M, Mais bien lor poist ou nes et el menton WHR, Ars, Mes bien lor poit el nés et el gernon A. Newth: „Whoever’s nose or whiskers I may tweak.“ Chacornac: „que le nez et le menton des lâches en rougissent.“ Boutet: „Mais qu’ils aillent à tous les diables!“ Guidot/Subrenat: „mais je souhaite qu’ils ne l’emportent pas en Paradis.“ Diese Übersetzer geben selbst im Kommentar zu, wie unsicher die Deutung ist. Ich verstehe sie gar nicht. 132 Bien qe il voye M, Riens ke il vuelle WHR, Ars, A. Hier kommt das Widerstreben des Königs schwächer zum Ausdruck als in M. 133 Übersetzung fraglich. Vielleicht ein verderbter Text: Qar il lo crient sore son bien grever M, Car il le crient si veut son bon graer WHR, Car il le crient sel velt mout agreer A „car il en avait peur et ne voulait pas le mécontenter“ (Guidot/Subrenat). Da bleiben auch Fragezeichen. In Ars fehlt die Zeile. grever könnte aus greer verlesen sein, aber sore aus si velt? 134 Einschub von WHR 3110.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
3320 Als du gesehen hattest, daß ich deinen Aufstieg bewirkt hatte,
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daß du mit rechtmäßiger Gewalt die Krone trugst und alle Barone vor dir die Knie beugten, so daß es keinen so Kühnen gab, der den Widerspruch gewagt hätte, da wolltest du mir Frankreich zur Verfügung stellen und mir die Hälfte ganz und gar schenken. Aber ich wollte gegen dich keine Verfehlung begehen; lieber hätte ich mir alle Gliedmaßen abhacken lassen. Du hast mir geschworen, so daß es meine Standesgenossen hörten, daß du mir, wenn ich mich in Orange in die Schlacht würfe, Hilfe nicht versagen würdest, solange du lebst. Jetzt sehe ich Euch aber mir gegenüber meineidig.“ Loois hörte das und begann zu weinen. Aus großer Zuneigung redete er ihn so an: „Herr Guillelme, Ihr seid sehr zu loben. Euch zuliebe werde ich sogleich mein Heer aufbieten, aus meinem ganzen Land kommen und sich versammeln lassen. 100.000 Mann könnt Ihr mit Euch führen. Ich kann dieses Mal nicht (selbst) hingehen, denn es ist meine große Pflicht, mein Land zu schützen. Es soll Euch, mit Verlaub, nicht stören.“ Und Guillelme sagte: „Dies ist dankenswert. Herr Loois, ich will Euch hier nicht vertreiben. Durchaus werde ich es verstehen, das Heer zu führen und zu leiten.“ Der König von Frankreich wollte dort nicht mehr verweilen, sondern ließ sein Heer einberufen und aufbieten, Zelte und Unterkünfte aufrichten und aufstellen, die Feuer entzünden, die Küchen heizen, das Wildbret in die Küche schaffen, die Hörner und Trompeten blasen. Erstaunlich schön war es, sie zu hören. Man hätte 100.000 Mann zählen können, alle wehrfähig durch die Ausstattung mit ihren Waffen. Groß war das Heer und äußerst respektgebietend. Im Palas war Guillelme, der Held, durch den Saal ließ er seinen Blick schweifen und sah aus der Küche Renoart kommen und durch eine Tür in den Palas eintreten. Ganz nackte Füße, weder Schuhe noch Sandalen hatte er. Eine große Statur hatte er und das Aussehen eines jungen Helden.
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Übersetzung
¹³⁵ noch einen so starken, um ein großes Gewicht zu tragen; noch hätte einer besser einen Stein werfen können. Ein so großes Stück Holz trug er – ohne Lüge –, daß ein Wagen daran eine Menge zu befördern gehabt hätte.¹³⁶ Er war so schnell, daß keiner in Frankreich es ihm gleich tat.¹³⁷ Der Küchenmeister hatte ihn diese Nacht kahl scheren, von der Pfanne schwarz werden,¹³⁸ das Antlitz vollständig kohlschwarz färben lassen. Die Knappen machten sich daran, ihren Spaß mit ihm zu treiben, ihn mit großen Lanzentrümmern¹³⁹ zu bewerfen und ihn zwischen sich hin und her zu stoßen.¹⁴⁰ Renoart sagte: „Laßt mich hier doch zufrieden! Denn bei dem Glauben, den ich Gott schuldig bin, ich werde es jeden, wer er auch sei, büßen lassen. Bin ich denn ein Narr, den man verspotten darf? Ihr seid (nur) zu einem unhöfischen¹⁴¹ Spiel fähig. Verflucht sei, wer sich dazu bereit findet, mit Euch zu spielen! Laßt mich in Frieden! Ich will mit Euch nichts zu tun haben.“ Und der eine sprach: „Du hast geredet wie ein Baron. Bruder Renoart, lehre du mich jetzt, mich (richtig) zu vergnügen!“ Mit diesen Worten holte er mit der Hand aus und schlug Renoart auf seine Backe,
135 Einschub von WHR 3151. 136 una charete i eüst qe mener M, Une carete i a molt a mener WHR ~ A, C’une carete i a molt a mener Ars. Sogar wenn man in M eine Negation ergänzte, bliebe das Verständnis schwierig. 137 Die folgende Zeile mit dem Preis seiner Kampfesstärke fehlt in M. 138 A la paletre venir macherer M, A la palete noircir et mascurer WHR, A, bzw. A la paele noircir et carboner Ars. M ist nur zu verstehen, wenn man mit Holtus venir mit ital. divenire gleichsetzt. 139 troncons M „Bruchstücke, insbesondere von Baumstämmen und Lanzen“, torchas WHR, Ars, torchons A „Lappen, Strohwische“. In der zweiten Szene dieser Art steht in M 3747 troncas in der Assonanz. Dazu Holtus, Glossar, s. v. troncas „bastone (?)“. Wolfram läßt die Knappen zu Fuß und zu Pferd mit Lanzen in einem Scheinturnier auf Rennewart eindringen. 140 spandre M, espandre WHR, Ars, empaindre A. Das Verb espandre „ausbreiten, ausstreuen, ausschütten“ (TL 3, 1141f.) kann hier nicht gemeint sein, sondern nur espeindre, espaindre „stoßen“. 141 Daß das Adjektiv hier ständisch gemeint ist (vgl. TL 11, 468–76), zeigt die Antwort 3378.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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daß der Saal davon widerhallte.¹⁴² Renoart sagte: „Nun habe ich zuviel zu ertragen!“ Um die Arme packte er ihn mit den Fäusten,¹⁴³ schwang ihn zweimal herum und ließ ihn dann los. So brutal schleuderte er ihn gegen einen Pfeiler, daß er ihm die Rippen brach, das Herz versagen, die Augen aus dem Kopf fliegen und das Hirn verspritzen und ausfließen ließ. Da hättet ihr die Knappen in Wut sehen können. Mehr als fünfzig liefen herbei, um ihn zu töten, weil er alle gegen sich aufgebracht hatte. Mit großen Keulen wollten sie ihn massakrieren, als Loois¹⁴⁴ zu schwören begann: „Beim heiligen Nikolaus, den man verehren soll, wer auch immer so kühn sein und ihn anrühren wollte, dem lasse ich beide Augen ausstechen!“ Damit ließen ihn alle in Ruhe. Graf Guillelme stellte eine Frage an den König: „Herr“, sagte er, „wer ist dieser Jüngling, den ich auf die Knappen so böse werden sah? Eben sah ich ihn einen an diesen Pfeiler schleudern, so daß er ihm die Glieder brach.¹⁴⁵ Beim heiligen Dionysius, er ist sehr zu fürchten!“ Loois sagte: „Ich habe ihn am Meer gekauft von Kaufleuten. Hundert Mark ließ ich dafür geben und ihn mit mir zusammen herbringen. Aber sie haben mir gesagt, er sei der Sohn eines Slawen. Sehr oft ließ ich ihn fragen, wer sein Vater sei, doch nie wollte er ihn nennen. Seiner Größe wegen kann ich ihn gar nicht leiden und habe dann seinen Aufenthalt in meiner Küche angeordnet.
142 Si qe la sale n’a feit rescenter M, Si ke la sale fist toute resoner WHR, Ars, A. Holtus, App.: „[e]n a f.; rescenter: resoner × retenir?“. 143 as breinz M, as poins Hss. CF. Holtus vermutet für breinz Kontamination von braz × poins. WHR, Ars, A weichen ganz ab. 144 Die anderen Hss. haben hier Aymeri. Bei Wolfram sind da schon alle Knappen geflohen. 145 Ich übersetze fait…froer WHR, Ars, A. feit trayner M verstehe ich nicht. Vgl. Holtus, Glossar, s. v. trayner „trainare“. Sollte der Sänger wirklich gemeint haben, der Verletzte habe seine Glieder geschleppt?
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Übersetzung
Eine andere Aufgabe will ich ihm nie geben, noch ihn ins Taufbecken steigen und herausheben lassen. 3415 Vier Rieseneimer¹⁴⁶ Wasser habe ich ihn tragen gesehen und mit¹⁴⁷ einem Tragebalken auf seinen Nacken heben. Einen Mann, der ihm an Kraft gleicht, sah ich nie.“
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LXXIV. (WHR 75, Ars 75, A 74) Guillelme betrachtete Renoart und nahm seine enorme Größe, seine Muskelkraft und Vierschrötigkeit wahr. Seine Füße waren ganz nackt, sein Gewand rauchgefärbt, von der Küche befleckt und verschlissen.¹⁴⁸ Der Küchenmeister hatte ihn diese Nacht kahl geschoren, an der Pfanne geschwärzt und mit Ruß befleckt, das Gesicht gefärbt und völlig beschmutzt. Die Barthaare sprossen ihm seinem Alter gemäß.¹⁴⁹ Sehr schön war er, doch hatte man ihn stumpfsinnig gemacht. In ganz Frankreich gab es keinen von seinen Vorzügen noch einen so Kühnen, Wackeren oder Wagemutigen. Doch eine Eigenheit wirkte sich bei ihm sehr nachteilig aus, nämlich daß er, kaum hatte er sich etwas gemerkt, ehe man noch eine Bogenschußweite gegangen wäre, es sofort vergessen hatte. Wenn das nicht gewesen wäre – ich sage es euch wahrheitsgetreu –, hätte es einen solchen Mann in der Christenheit nicht gegeben. Die Knappen stachen und stießen ihn, stießen und bewarfen ihn mit großen Lanzentrümmern. Jeder trug einen großen viereckigen Stock. Wenn sie es gewagt hätten, hätten sie ihn getötet. Doch Loois hat es ihnen geradewegs verboten. Sie haben ihn alle gemeinsam verlacht und verspottet, mit Stacheln gestochen und gestoßen. Renoart sagte: „Nun habe ich zu viel erduldet.
146 Qatre moys M, .iiii. muis WHR, Ars, A. mui, muid ein Hohlmaß von fast 300 Liter. 147 M ersetzt en un oder a un fälsch durch e un. Vgl. 3484. 148 cisoné M, Bedeutung fraglich, zu cisor „Schere“ (TL 2, 447) oder = tisoné „schwarzfleckig“ (Holtus), vgl. jedoch TL 10, 332 tisoner nur „(das Feuer) schüren; reizen“; mascuré WHR „beschmutzt“, desciré A „zerrissen“, fehlt Ars. 149 Die im Vers davor ursprünglich (s. Hss.) gelieferte Altersangabe – unter 20 Jahren – fehlt in M, so daß 3425 inhaltsleer bleibt.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Wenn ich mehr hinnehme,¹⁵⁰ bin ich verflucht. Beim heiligen Dionysius, übel habt Ihr mich da verletzt. Die Stacheln werden gleich heimgezahlt.“ Um die Taille ergriff er sie zu viert und warf sie so heftig einen auf den anderen, daß ihnen beinahe das Herz gebrochen wäre. Zwei davon packte er und hätte sie schon erschlagen, doch Loois schrie den Franzosen zu: „Nun rasch“, sagte er, „jagt diesen Teufel hinaus!“ Renoart hörte es und, weil er den König fürchtete, wandte er sich zur Flucht, und die Franzosen pfiffen ihn aus. In die Küche ging er weg, voll Wut im Herzen, und schloß und verriegelte hinter sich die Tür. An der Mauer fand er seine Tragestange. „Heilige Maria!“ schwor Renoart, „wenn sie kommen, werden sie alle niedergeschlagen. Keiner, weder hoch oder niedrig, wird geschont.“ Seitdem gab es keinen noch so ruhmreichen Franzosen, der ihm begegnen wollte oder ihn angegriffen hätte, so große Angst hatten sie vor Renoart. Guillelme fragte Loois, was für ein Mann das sei und wo er ihn gefunden habe. Der König antwortete, er habe ihn gekauft von Kaufleuten um hundert Mark gewogenen Silbers, unterhalb von Palermo, wo sie gelandet waren. „Aber sie sagten mir, er sei der Sohn eines Slawen. Zusammen mit mir habe ich ihn hergebracht. Infolge des Anblicks seiner riesigen Größe habe ich wahr und wahrhaftig¹⁵¹ einen Abscheu gegen ihn entwickelt. Ich könnte ihn nicht lieben, ganz ehrlich. In meiner Küche hat er sich lange aufgehalten, schon mehr als sieben volle Jahre sind vergangen. Sehr oft haben wir ihn gefragt,
150 Ich halte sovre M für gleichwertig mit suefre/sofre. Holtus leitet es von lat. superare ab, was aber einen unpassenden Sinn ergäbe. 151 Ich übersetze Ne sai k’en mente WHR, Ars „je ne crois pas mentir“ (Boutet), „I will not lie“ (Newth), nicht Ne sai c’o[n] mente M oder Ne sai que monte A „mais est-ce bien pour cela?“ (Guidot/Subrenat), obwohl mir alle Varianten Schwierigkeiten machen. Vgl. 2650.
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Übersetzung
wer er und aus welcher Familie er sei. Doch er wollte nie darüber die Wahrheit sagen. Oft sagte er mir und vielfach bat er, er wolle das heilige Christentum empfangen. Aber ich habe es ihm bis jetzt untersagt. Von hoher Geburt ist er, und ich weiß es gewiß. In meiner Küche hat man ihn ganz stumpfsinnig gemacht. Vier Rieseneimer Wasser trug er oftmals an einer Tragestange, allein von ihm emporgehoben. Soviel ißt er wie zwei bärtige Bauern. Doch von seiner Kraft gibt es keinen Menschen unter dem Himmel, weder im Heidentum noch in der Christenheit. Sehr jähzornig ist er und voll von Gewalttätigkeit. Ich bin jederzeit dessen gewärtig, daß er mir den Schädel einschlägt.“ Guillelme hörte es und brach darüber in Lachen aus. Den König redete er mit diesen Worten an: „Herr Loois, seid so gut und schenkt ihn mir. Ich werde Euch Dank wissen! Bei der Treue, die ich Euch geleistet habe, werde ich ihm reichlich zu essen geben.“ Und der König sagte: „Wie Ihr wünscht! Ich schenke ihn Euch, Herr, aus Freundschaft.“ Graf Guillelme dankte ihm sehr dafür und wäre über eine große Stadt nicht so froh gewesen. Den König umarmte er dafür aus Zuneigung.¹⁵² Renoart betrachtete seine Tragestange, und es schmerzte ihn sehr, daß er sie angekohlt sah. Aus Unmut warf er sie zur Erde, so heftig, daß er sie in der Mitte zerbrach, in zwei Hälften zertrümmerte und zerschmetterte. Ganz heftig schwor Renoart, er wolle eine viel größere und massivere verfertigen und sie alle Tage seines Lebens bewahren. Gut sieben Jahre hatte er sich das schon gewünscht.
152 Lo roy en a por amor apellé M. Das Verb appeller „anreden, anrufen“ ist hier unsinnig. Es muß durch acolé nach WHR, Ars, A ersetzt werden.
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LXXV. (WHR 76, Ars 76, A 75) König Loois wollte nicht untätig sein und befahl, das Heer aus seinem ganzen Land möge sich versammeln und die Zusammenkunft unterhalb von Laon veranstalten. 100.000 Mann hätte man dort zählen können, alle wehrfähig durch die Ausstattung mit ihren Waffen. Groß war das Heer und äußerst angsteinflößend. In der Küche war Renoart, der Held. Durch ganz Laon hörte er die Trompeten ertönen, und in dem Saal die Ritter Spiele treiben und untereinander über den Kriegszug reden. Oftmals hörte er Guillelme nennen, der das Heer von Frankreich nach dem Archant führen sollte. Aus den Augen seines Hauptes begannen Tränen zu kommen, und er unternahm es, über sich selbst zu klagen:¹⁵³ „O weh“, sagte er, „Es ist zum Verrücktwerden! 100.000 Mann eines Heeres hätte ich führen können, König von Spanien¹⁵⁴ sein und eine Krone tragen, und bin jetzt gezwungen, die Küche zu hüten, Feuer zu machen und Fleisch abzuschäumen. Nie sah ich, wie man einen Königssohn so erniedrigt! Aber, bei meinem Haupt, wenn ich so lange leben sollte, hat König Loois zu seinem Unglück gewagt, sich es je auszudenken. Vom Thron ganz Frankreichs werde ich ihn stoßen und von seinem Haupt die Krone reißen!“ Dann setzte er sich und begann zu grübeln. Als er hörte, daß das Heer aufbrechen sollte, kam er und stellte sich vor Guillelme hin, mit nackten Füßen, im Wollgewand, ohne Schuhe oder Sandalen. Vor ihm warf er sich auf die Knie: „Herr Guillelme, höfischer Edler und Held, um der Liebe Gottes willen, laßt mich mit Euch gehen, und ich werde mich sputen, um die Rüstung zu bewachen, mich gut darauf verstehen, Essen zu bereiten, sowohl eine Pfeffersoße zu machen als auch einen Vogel am Spieß zu drehen.
153 Ich übersetze dementer WHR, Ars, A, nicht demander M „fragen“. 154 Spanien gilt in dem Epos durchaus als Machtbereich der Sarazenen, und zwar als herausgehobener.
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Übersetzung
In ganz Frankreich gibt es darin nicht meinesgleichen. Ich stehe hinter keinem zurück beim Abschäumen des Fleisches, und wenn es nottut, derbe Schläge auszuteilen, könntet Ihr, beim Glauben, den ich Gott schulde, einen Schlechteren als mich mitführen.“ Und Guillelme sagte: „Freund, laßt es gut sein! Ihr könnt die großen Entbehrungen dabei nicht ertragen, die Nächte durchwachen und die langen Tage hungern. In der Küche hast du dich zu wärmen gelernt, häufig zu essen und deine Glieder zu drehen¹⁵⁵ und Kraftbrühe aus den Kesseln zu schlürfen, das Brot hineinzustopfen¹⁵⁶ und am Morgen zu speisen und Wein zu trinken, zu schlürfen und zu schlappern und den ganzen Tag zu schlafen und zu ruhen. Wenn du auf all das verzichten müßtest, würdest du keinen einzigen Monat überleben. Wenn ein Mensch einmal ein Parasitenleben aufgenommen hat, kann er sich dann dessen schlecht entwöhnen.“ Renoart sagte: „Nun laßt mich in Ruhe! Herr Guillelme, ich will mich bewähren. Zu lange habe ich mich schon verdummen lassen. Wenn Gott mir beisteht – ich kann es nicht mehr ertragen. In der Küche will ich mich nicht mehr aufhalten und jetzt, wenn es Gott gefällt, etwas Besseres aus mir machen. Fluch über die Frucht, die nicht reifen kann! Wenn Ihr mir die Erlaubnis nicht geben wollt, werde ich, beim heiligen Dionysius, den ich verehren soll, ganz allein dorthin gehen,¹⁵⁷ mag es auch wen immer stören, nach Aliscans, das am Meer liegen soll. Dort werde ich weder Schuhe noch Sandalen tragen,
155 les membres torner M wenig sinnvoll. Lies eher ces mustiaus toster WHR, Ars, oder tes mustiaus toster A „deine Waden zu rösten“. 156 Le pain repondre M, WHR, Ars, A. Guidot/Subrenat: „engloutir le pain“. Die auch von Régnier im Glossar (nur für diese Stelle!) verzeichnete Bedeutung „avaler“ ist bei TL 8, 907–913 s.v. repondre nicht nachzuweisen, sondern nur „verbergen, hineinstoßen“. 157 Ich übersetze Tous seus irai WHR, A ~ Ars, nicht Tot i irai M. Ohne das Wort seus „allein“ bleibt die Aussage unverständlich.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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nur eine Tragestange, welche ich behauen werde.¹⁵⁸ So viele Sarazenen werdet Ihr mich töten sehen, daß Ihr nicht wagen werdet, sie anzuschauen oder zu betrachten.“ Guillelme hörte es und umarmte ihn, dann gab er ihm die Erlaubnis zur Reise, und Renoart dankte ihm. Er begab sich fort, denn er wollte nicht länger säumen. Seine Aufgabe wollte er nicht vernachlässigen. Er richtete seine Gedanken auf große Heldentaten, durch welche später tausend Türken und tausend Slawen starben. In einen Garten ging er, um eine Tanne zu fällen. Sehr groß war sie, nicht ihresgleichen gab es in Frankreich. Es war keine andere vorhanden, um eine Stange daraus zu zimmern. Siebeneckig ließ er sie sehr gut zuhauen. Drei große Klafter konnte man an ihr messen. Ein großes Feuer machte er, um die Seiten durch Brand zu härten. Er kam zu einem Schmied und ließ sie (vorne) mit Eisen versehen und mit großen Bändern rundum gut einfassen. Am Griff ließ er sie gut abrunden und zur Glättung sehr gut mit Wachs einschmieren, damit sie ihm nicht aus den Händen gleiten oder beim Austeilen großer Schläge versagen könnte. Als er sie gut zusammenbinden und einfassen hatte lassen, hatte er hundert Sous, um sie ihm zu geben. In der Schmiede wollte er nicht mehr bleiben, sondern nahm seine Stange und machte sich auf den Rückweg. Alle, die sahen, wie er sie trug, bekreuzigten sich.¹⁵⁹ LXXVI. (WHR 77, Ars 77, A 76) Als die Stange Renoarts mit Eisen versehen war, legte er sie auf seinen Nacken und kehrte zurück. Alle bekreuzigten sich, denen er begegnete.
158 quarrer an sich „vierkantig behauen“, doch gemäß 3587 soll die Stange sieben Ecken haben. 159 Für die Verse 3585–3600 bieten, abgesehen von kleineren Abweichungen, M, WHR und A ungefähr den gleichen Text. Hs. Ars schmückt dagegen die Gewinnung des Baumes, aus dem die Stange geformt wird, beträchtlich aus. Andere Hss. weichen noch weit stärker ab. Ab hier führt die Ausschmückung der Renoart-Partien zu einer starken umfangmäßigen Differenzierung der Fassungen.
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Übersetzung
Keinen einzigen gab es, der sich davor nicht gefürchtet hätte; selbst der Kühnste ergriff die Flucht. Und Renoart stieg in den Palas hinauf und trug seine Stange, die ihm gar nicht schwer wurde. Dick und lang war sie und fein behauen¹⁶⁰ und vorne sehr gut mit Eisen umwunden. Nie lebte ein wilderer Mann. Mit großem Staunen wurde er von allen betrachtet. Sie sagten untereinander: „Wohin wird dieser Dämon gehen? Wahrhaftig, es ist Renoart mit der Stange.“ Niemals mehr wurde dieser sein Name geändert: Renoart mit der Stange wurde er genannt. Die Franzosen betrachteten ihn rundum und an der Seite.¹⁶¹ Keinen einzigen gab es, der nicht in großen Schrecken versetzt worden wäre. Der eine sagte zum andern: „Bei Gott, seht doch! Nie gab es einen so riesigen Mann. Heilige Maria, wo wurde ein solches Stück Holz gefunden? Man muß ihn unglaublich fürchten. Fliehen wir, oder er wird uns töten.“ Renoart sagte: „Habt keine Furcht! Doch bitte ich Euch, mich nicht zu verspotten, auf meine Stange achtzugeben und mich nicht zu schmähen, denn Ihr werdet es, bei meinem Haupt, sehr rasch büßen. Ich bin noch nicht hinter Euch zurückgeblieben.¹⁶² Wenn Gott mir hilft, werdet Ihr keine so gute Waffe haben.“ Dann umarmte und küßte er sie heftig. Er rief Herrn Guillelme Kurznase: „Herr Guillelme, hört mir zu! Ich bin sehr begierig, Euch zu dienen!
160 longement qareç M, gentement quarrez WHR, par devant quarrez Ars, jentement ovrez A. Eine ursprüngliche Fassung läßt sich da nicht rekonstruieren. Die doppelte Benennung der Länge in M scheint aber jedenfalls unsinnig. 161 et en lez M vermutlich irrtümlich für de tos les WHR, Ars, A „von allen Seiten“, ebenso 3681. 162 Je non sui mie ancor a vos remez M, WHR, Je ne sui mie dou tout à vos remés Ars, fehlt A. Sinn fraglich, vielleicht: „Ich bin euch noch nichts (bzw. nie etwas) schuldig geblieben.“ Boutet: „Vous m’avez rendu furieux contre vous.“ Ich verstehe diese Übersetzung nicht. Vgl. TL 8, 704–713 s. v. remanoir „zurückbleiben, verweilen, fortbestehen, standhalten, zufallen, übrig bleiben, aufhören, unterbleiben, zaudern“.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Laßt uns aufbrechen, wahrlich, Ihr säumt zu lange! Bei dem Apostel, den man anfleht im Garten des Nero, ich denke Euch die Schlüssel von ganz Spanien auszuhändigen. In mir steckt mehr, als Ihr hoffen könnt. Weder Tibaut noch Deramé werden dort am Leben bleiben. Edler Mann, Herr, nun kommt doch von hier weg! In Orange werdet Ihr heiß ersehnt!“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „Ihr sprecht die Wahrheit. Jetzt sorge jeder dafür, morgen aufbruchsbereit zu sein und zur Reise gerüstet und ausgestattet.“ Die Franzosen antworteten: „Wie Ihr befehlt!“ Durch das gesamte Heer erhob sich der Ruf. Da hättet ihr die eingerollten¹⁶³ Halsberge sehen können. In die Helmtaschen legten sie die Helme, reparierten die Gurte der Schwerter, befestigten die Feldzeichen, versahen¹⁶⁴ die Schilde mit Gurten, machten wieder die Riemen an den grünglänzenden Helmen fest, rieben ihre Pferde ab, tränkten sie und gaben ihnen Heu und Hafer in Menge.¹⁶⁵ In dem Palas war eine sehr große Adelsversammlung. Fünfzig Kerzen hatte man angezündet und mehr als zwanzig Fackeln in Brand gesteckt. Das Licht strahlte ganz hell. Ein üppiges Mahl war vorbereitet. Die Edelleute setzten sich an die besten Tische. Da saß Guillelme, der Markgraf mit der kurzen Nase, der Herrn Guimar und seine Söhne eingeladen hatte
163 roelez M, enforrés WHR, A „que l’on dissimulait“ (Guidot/Subrenat), desforrés Ars. Nach TL 8, 1378 heißt röeler trans. „hinabrollen, fallen lassen“, was nicht paßt. Die aus Kettenpanzerringen bestehenden Halsbergen mußten zum Tansport zusammengerollt werden. Vermutlich hat man sie auch verpackt, aber nicht versteckt, wie Guidot/Subrenat suggerieren, denn die goldverzierten Halsbergen sind 3686 deutlich sichtbar. Doch auch TL 5, 356 übersetzt enforrer an just dieser Stelle mit „verdecken, zudecken, verstecken“. desforrer würde allerdings das Gegenteil bedeuten. 164 In M falscher Singular des Verbs. 165 Ich übersetze Fuerre et avaine leur donnent a plentés WHR, Ars, A, nicht Per ventre et vene lor donerent aseç M. Der Schreiber von M verstand offenbar das erste Wort falsch und ersetzte es durch per ventre „für den Bauch“, dann scheint es aber in der alten Bahn weiterzugehen, was einen Anakoluth erzeugt.
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Übersetzung
3660 mit seiner Frau von edlem¹⁶⁶ und ehrbarem Äußeren.
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Neben ihm saßen sie Seite an Seite. Seine Gastfreundschaft wurde gut vergolten, denn diese Nacht schenkte er ihm zweihundert Mark und zwei Streitrösser und zwei wohlgenährte Maultiere, und gute Bliauts und verbrämte Mäntel. Der Bürger sagte: „Herr, Dank und Anerkennung! Gott gebe mir so lange das Leben, daß ich Euch genug dienen kann.“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „Ihr habt meine Zuneigung.“ Groß war die Freude im fürstlichen Palas. Ihnen wurde gut mit Wein und Claret¹⁶⁷ aufgewartet. Diese Nacht bekam Renoart einen Rausch, schlief auf dem Rücken in der Küche liegend, und von seiner Seite wurde ihm seine Stange gestohlen. Vier Knappen von höherer Abkunft hatten ihre Rösser vor die Stange gespannt und sie in einen Stall gezogen und gelegt, hierauf mit Mist sehr gut zugedeckt. Doch zu ihrem Unglück haben sie es getan und werden es teuer bezahlen. Der Hof ging auseinander und man suchte die Unterkünfte auf. Noch vor Tag, ehe es hell geworden war, rückte das Heer ab, rundum und auf der Seite. Sie legten ihre Sättel auf, packten ihre Halsbergen auf und bestiegen ihre schnellfüßigen und ungestümen Pferde. Die Knappen hielten viele von ihnen am Zügel. Da hättet ihr so viele gute Buckelschilde sehen können, so viele grünglänzende Helme und goldverzierte Halsbergen, so viele an den Lanzen befestigte Wimpel, so viele schneidende und geschärfte Spieße, so viele Lanzen¹⁶⁸ und stählerne Schwerter, so viele Streitrösser, Schecken und Apfelschimmel.
166 M hat wieder wie 2825 falsches grant für gent. 167 Vgl. V. 1986. 168 Die hier verwendeten Ausdrücke lance, espié, glaive sind mehrdeutig. Sie können sowohl eine Stich- als auch eine Wurfwaffe meinen, glaive zudem auch das Schwert oder die Lanzenspitze. Ich gehe hier im Gegensatz zu anderen Übersetzern davon aus, daß die Christen im Zweikampf und Krieg (anders als die alten Germanen) keine Wurflanzen benutzt haben, vermeide daher das Wort Speer, das jetzt im wesentlichen nur noch als Sportgerät beim Speerwurf bekannt ist, obwohl es früher auch eine Stoßwaffe meinen konnte.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Sie bliesen die Posaunen, ließen die Trompeten erschallen und die Elfenbeinhörner gemeinsam erschallen.¹⁶⁹ Groß war der Lärm unterhalb¹⁷⁰ von Laon auf einer Wiese. Das Heer setzte sich in Bewegung. Siehe, wie sich aufgemacht haben Graf Aymeri, der graubärtige Alte, und Ermengart, die ihn sehr liebte, und Loois mit Guillelme Kurznase, und die Königin, die er sehr liebte – sie alle ritten gemeinsam Seite an Seite. Und Aelis begleitete sie eine gute Weile und küßte und umhalste ihre Onkel. Schön war der Tag, und die Sonne war aufgegangen.¹⁷¹ In der Küche war Renoart geblieben, er schlief sich aus, weil er sich voll betrunken hatte. Er hörte den Lärm und sprang voll Erregung auf. Von dem großen Trubel war er so sehr aufgeregt,¹⁷² daß er er dort seine Stange völlig vergaß. Nach dem Heer machte er sich barfüßig auf den Weg. Als allererster kam er im Lauf an eine Furt, sehr genau untersuchte und prüfte er sie und stieg bis zum Bauch ins Wasser. Das Wasser war kalt und er erhitzt, davon wurde Renoart erst wieder nüchtern und erinnerte sich gut an seine Stange. Da zeigte er solchen Schmerz, wie noch niemand es tat,¹⁷³ zerriß seine Kleidung, riß sich die Haare aus und nannte sich oft arm und elend.
169 Die plumpe Wiederholung ist ein Mißgeschick des Sängers, das in anderen Hss. nicht erscheint. 170 Daß die Wiese oberhalb von Laon gelegen habe, wie allein M und Hs. F behaupten, ist sehr unwahrscheinlich. 171 Typischer Fall eines epischen Hysteron proteron. Die Wendung kehrt wieder. Ebenso wird meist der Einbruch der Nacht dem Sonnenuntergang vorangestellt. 172 Ich übersetze fort trespensés WHR, Ars, A, nicht tost trespasez M, denn was sollte R. hier rasch überschritten haben. 173 Die folgenden Verse 3716–35 dieser Laisse sind in Ars durch andere ersetzt, die den Anfang einer burlesken Klosterszene (Renoart im Kloster des hl. Vinzenz) schildern. Die Szene wird in Ars in weiteren Laissen fortgesetzt (s. u. zu LXXVII). Sie erinnert stark an ‚Moniage Renoart‘, gehört also sicher einer späteren Erweiterungsstufe an.
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Übersetzung
Zurück wandte er sich voll Schmerz und Ingrimm. Guillelme sah ihn, galoppierte zu ihm und fragte ihn: „Vasall, wohin wendet Ihr Euch? Bruder Renoart, ich wußte es wohl, daß Ihr rasch erschöpft sein und aufgeben werdet.“ „Das bin ich wirklich nicht, Herr, zu Unrecht würdet Ihr das denken. In der Küche ist mein Stock zurückgeblieben. Wenn ich ihn zurücklasse, wird diese Kriegerschar wenig nützen, und Ihr werdet in der Schlacht aufgerieben werden.“ Und Guillelme sagte: „Unnötigerweise werdet Ihr deshalb weggehen! Ihr werdet ihn wiederhaben, denn ich sende danach meinen Knappen, der dazu bereit ist.“ Renoart sagte. „Herr, das werdet Ihr nicht tun! Auch nicht durch vier solche könnte er bewegt werden, meiner Treu, sondern würde zurückbleiben. Und Guillelme sagte: „Freund, dann¹⁷⁴ beeilt Euch! Ich bewege mich nicht weiter, bis Ihr zurückkommt.“ Renoart sagte: „Tausend Dank und Anerkennung!“
Rückkehr nach Orange, Entsatz von Orange LXXVII. (WHR 81, Ars 81, A 77)¹⁷⁵ Seiner Stange wegen kehrte Renoart um und erreichte rasch Laon. Er kam wütend und niedergeschlagen in die Küche.¹⁷⁶ Seine Stange suchte er, fand sie aber nicht. 3740 Als er sie nicht fand, beklagte er heftig sein Unglück, riß sich seine Haare aus und zerriß seine Kleidung. Die Knappen machten sich einen Spaß daraus. Renoart sprach zu einem: „Du hast sie mir gestohlen. Gib sie mir rasch zurück, oder du wirst dafür büßen.“
174 Ich übersetze donc WHR, A, nicht tot M. 175 Die Differenz in der Zählung erklärt sich hier daraus, daß Ars die Klosterszene (s. zu 3715) in drei Laissen fortsetzt (LXXVIII-LXXX), welche bei WHR zwar in den Apparat verbannt, aber mitgezählt werden. Auch Chacornac läßt sie in seiner Bearbeitung aus. 176 Die Reihenfolge der Verse 3738–40 ist in M genau umgekehrt, was keinen Sinn ergibt. Die richtige Reihenfolge steht in WHR und Ars, auch in A, wo allerdings ein Vers davon fehlt. Ob einem Schreiber ein solcher Fehler zuzutrauen ist, scheint fraglich.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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3745 Und dieser schwor beim heiligen Paulus und beim heiligen Thomas,
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daß er nichts davon wisse, und lachte dann im Geheimen, und die drei anderen bewarfen ihn mit Holzstücken.¹⁷⁷ Renoart sprach: „Ihr macht Euch einen Spaß daraus. Beim heiligen Dionysius, hier ist nicht der Ort für Spitzbüberei. Hurensöhne! Gemeine Räuber! Judasse!¹⁷⁸ Ihr seid alle vom Volke des Goliat! Aber bei dem Glauben, den ich dem hl. Thomas schulde, Besser wäre es für Euch, Ihr wäret in Damaskus oder in Arabien, das jenseits von Haifa¹⁷⁹ ist, in dem Gefängnis des Corsu von Belinas.“¹⁸⁰ Er umfaßte sie alle vier mit den Armen und behandelte sie wie die Katze die Maus. Drei davon warf er auf einmal zu Boden,¹⁸¹ so heftig, daß beinahe ihre Glieder gebrochen hätten. Der Vierte schrie: „Gnade, beim hl. Thomas! Herr Renoart, deine Stange sollst du zurückhaben. Ich werde sie holen gehen, und du sollst auf mich warten.“ „Schweig, Schurke“, sagte er, „du kannst sie gar nicht bewegen. Aber, bei meinem Haupt, du kommst mit mir dorthin und diese drei anderen, hier ist nicht der Ort für Spitzbüberei. Wo sie sich befindet, dorthin wirst du mich sofort führen, wenn nicht, bei meinem Haupt, stirbst du hier einen schlimmeren Tod, als ihn Caiphas erlitt, welcher den Kalifen¹⁸² von Bagdad¹⁸³ in Stücke hieb.“
177 troncas M, torchas WHR, Ars, A. Vgl. 3369. 178 Alle Herausgeber bis auf Régnier zeigen durch ihre Interpunktion, daß sie vilen laron Judas als Einheit auffassen. Ob es aber tatsächlich „you thieving Judas folk“ (Newth) heißen kann, scheint mir nicht gewiß. 179 de Chayfas M „des Chaiphas”, dela Caïphas WHR, Ars, A „jenseits von Haifa” (vgl. Rasch). In M wird dieser Ortsname mit dem Personennamen in 3768 (in M Chifas) verwechselt. 180 Corfu de Belinas M, Corsu de Belinas WHR, Ars, Corssouz de Belias A. Vielleicht mit Corsus/Corsuë d’Averse M 1882 (s. d.), vielleicht auch mit Coldroë M 1103 identisch. 181 Vgl. TL 3, 1913 s. v. flat. 182 Rasch u. Holtus halten C(h)alife(s) für einen Eigennamen. Es ist jedoch in den Kreuzzugsepen auch als Appellativ belegt – vgl. TL 2,17; Langlois, s. n. Califfe. 183 Baudras M (M 4332 Bausdas), sonst in den Hss. meist Baudas. Wolfram: Baldac. Wolfram kennt diese Anspielung auf die Tötung des Kalifen nicht. Sie scheint sonst nirgends belegt – vgl. Langlois, s. n. (2) Caifas.
170
Übersetzung
3770 Über seinen Nacken warf er sie¹⁸⁴ wie Ratten,
sie aber schlugen immer wieder auf ihn ein. Sie kamen zum Stall und er warf sie auf einen Haufen, und sie durchsuchten den Mist und den Dreck.¹⁸⁵ Die Stange fanden sie, die versteckt gewesen war. 3775 Aber sie hätten sie nicht bewegen können, auch wenn man ihnen Arras dafür gegeben hätte.
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3895
LXXVIII. (WHR 82, Ars 82, A 78) Renoart sah, wie der Mist durchsucht wurde.¹⁸⁶ „Hurensöhne, zu sehr haltet Ihr mich auf. Rasch, bringt mir meine Stange! Strengt Euch an, bemüht Euch, Euch zu sputen! Wenn Ihr es nicht rasch¹⁸⁷ tut, könnt Ihr es hier gleich büßen. Bei dem Herrn, der die Welt zu retten vermag – wenn Ihr mich (nur) ein klein wenig erzürnt, wird keiner von Euch noch den andern verspotten können, bevor ich Euch mit meinen zwei Händen erwürge.“ Als diese Renoart so reden hörten, brach ihnen der Angstschweiß aus. Sie ergriffen die Stange, weil sie sie zu heben gedachten. Aber sie konnten sie auch alle gemeinsam nicht bewegen. Da begannen sie Renoart zu rufen: „Kommt her, Herr, wir können sie nicht drehen.“ Zwischen den Zähnen fingen sie zu murren an: „Verflucht sei, wer dieses Stück Holz zu tragen verpflichtet ist!“ Rainourt lief voll Begierde und hob es so leicht wie einen Olivenzweig. Er hatte eine solche Freude, daß er zu singen anfing. Er ging aus dem Stall und machte sich auf den Rückweg. Der Küchenmeister kam und stellte sich vor ihn hin.
184 Ich übersetze les WHR, Ars, nicht lo M, A. Es muß wohl einheitlich in 3770 und 3771 Plural oder Singular stehen, was aber nur in Ars (Plural) der Fall ist. Die anderen Hss. wechseln den Numerus. 185 mendas M (und zwei weitere Hss.), merdas WHR, A, marcas Ars. 186 Renoard [voit] lo tinel reverser M. Man muß lo tinel durch le fumier WHR, Ars, A, ersetzen, da sonst das Verb zum Objekt nicht paßt. 187 toç M hier wohl eher ausnahmsweise Schreibung nicht für toz, tot, tuit, sondern für tost (so WHR) wie 3800 und 3833 veniç für venist.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Zur Schmähung redete er ihn an: „Einfaltspinsel“, sagte er, „wo wollt Ihr hin? Eher wäre es Euch zugekommen, die Bratspieße zu drehen, Euch in der Küche am guten Feuer zu wärmen und die Suppe aus den Kesseln zu schlürfen – wenn Ihr wollt, könnt Ihr gut speisen – statt in fremdem Land Unbill zu ertragen.“ Renoart sagte: „Was habt Ihr dazu zu reden? Was geht es Euch an, Vasall, wohin ich gehe? Denkt Ihr, ich sollte eher das Fleisch abschäumen? Eher ließe ich Euch beide Augen auskratzen.“ Und der Meister sagte: „Zu Eurem Unglück habt Ihr solches zu denken gewagt! Ich will dir jetzt bei deinem Augenlicht befehlen, diese Stange ganz zu zerkleinern, und ich werde uns damit Feuer machen und unsere Pfannen mit diesem Eisen ausbessern¹⁸⁸ und unsere Scheunen damit stützen. Hurensohn, man sollte dich töten!“ Als Renoart sich Bastard nennen, sich mehrfach spöttisch beleidigen und seine Stange schlecht machen und verwünschen hörte, empfand er solchen Schmerz, daß er den Verstand zu verlieren dachte. Vor Unmut begann er zu schwitzen. Seine Stange hob er nach Art eines Jünglings mit solcher Wucht, daß er sie ganz zum Schwingen brachte. Mit dem vorderen Ende ging er auf seinen Meister los, so daß er ihm beide Augen herausfliegen ließ und das Gehirn austreten und verspritzen. Vor seine Füße streckte er ihn tot nieder. „Schweig, Schurke“, sagte er, laß deine Schmähungen! Ich habe jetzt anderes zu tun, als die Küche zu versorgen. Vielmehr werde ich Orable mit dem leuchtenden Antlitz zu Hilfe kommen – sie ist meine Schwester und hat so Anrecht auf meine große Liebe – und Herrn Guillelme, um sein Land zu befreien. Sehr große Torheit hat Euch die Worte in den Mund gelegt. Eher wäre es Euch zugekommen, Euch nicht einzumischen.“
188 e noç pales de cel fer resoster M, Et nos paeles de cel fer estouper WHR, Ars, Et nos chaudieres de cel fer bander A. Holtus hält wohl mit Recht resoster für verderbt aus restorer.
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Übersetzung
Dann machte er kehrt und sich wieder auf den Weg. Die Knappen gingen und stiegen auf, ¹⁸⁹ daß er sie in Laon jetzt töten wollte: „Dem Küchenmeister ließ er die Augen herausfliegen, schlug ihn nieder und ließ sein Herz brechen.“ Und Guillelme sagte: „So laßt ihn in Ruhe! Ihr dürft ihn nicht so gemein behandeln.¹⁹⁰ Vor einem Tollen und einem Betrunkenen soll man sich wohl hüten! Es ist nicht Eure Sache, den Knappen toll zu machen. Das könnte rasch für Euch sehr unglücklich ausgehen. Ich werde ihn deshalb nicht zurückschicken.“ Er begann ihm entgegen zu galoppieren, und Renoart fing an, ihm zuzurufen: „Herr Guillelme, wollt Ihr einen Buhurt ausfechten und versuchen, ob ich gut tjostieren kann?“ „Nein, Bruder, denkt vielmehr nur an den Marsch. Ich habe große Bedenken, daß Ihr weiterkönnt, denn dieses Stück Holz ist schwer für Euch. Ich lasse es für Euch transportieren.“ „Nein, wahrlich, Herr, das kann ich gut aushalten.“ Dann begann er vor dem Heer vorauszutraben. Wer ihn springen und hüpfen gesehen hätte und seine Stange küssen und umarmen, hätte sich an etwas höchst Wunderbares erinnern können. Beschmutzt sah er sie und brach in Tränen aus. Er kam an ein Wasser und lief hin, sie zu waschen, zog seinen Waffenrock aus und begann sie abzutrocknen, Dann wollte er ihn nicht wieder anziehen und überwerfen, sondern ging, ihn ins noch tiefere Wasser zu werfen. Da begann das ganze Heer sich lustig zu machen. Den Grafen Guillelme packte der große Zorn; beim heiligen Julian begann er zu schwören,
189 Einschub von WHR 3825–28. 190 In Ars fehlen die Verse 3840–3911, also das Ende dieser und der Anfang der nächsten Laisse.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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3865 er werde, wenn Renoart sie nicht mit dem Holzstück erschlägt,
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kein Brot bei seinem Abendessen verzehren. Die Tochter des Königs wurde davon auf ihn aufmerksam und faßte in ihrem Herzen Zuneigung zu ihm. Sie sagte zu ihrer Mutter: „Seht, welch ein schöner Jüngling! Ich glaube nicht, daß er in einem Heer seinesgleichen hat. Gut steht es ihm, wie er die Stange trägt. Ich möchte ihn Gott in seiner Majestät empfehlen. Ich werde ihn nicht mehr sehen; umso mehr muß mich das betrüben. Schlecht handelt mein Vater, wenn er ihn dorthin gehen läßt.“ Die Königin sagte: „Tochter, hört auf damit! Mir steht nicht der Sinn danach, daß er in dieses Land kommt.“¹⁹¹ Doch bald kam er, wie ihr erzählen hören werdet, mit so vielen Leuten, daß man sie nicht zählen konnte. Die Tochter des Königs wollte er zur standesgemäßen Gattin, und Graf Guillelme wollte die Heirat zustandebringen. Er dachte es sei gut, sie mit ihm zu vermählen. Aber Loois konnte es nicht ertragen.¹⁹² Doch Ermengart arrangierte es, daß er später damit die Ehre ihrer schönen Nichte Ermentrut mit dem leuchtenden Antlitz erwies.¹⁹³ Er ließ sie später die goldene Krone tragen und im Palas von Cordoba krönen
191 Je ne cuit mes en ceste terre entrer M, Je ne quier mes en cest païs entrer WHR „Ich wünsche nicht mehr in dieses Land zu kommen“, Je nel ruis mes en cest païs entrer A „Je ne souhaite pas, qu’il revienne jamais en ce pays“ (Guidot/Subrenat) , fehlt Ars (wie die gesamte Partie). Holtus hält die Zeile offenbar nicht für verbesserungsbedürftig. Ich vermag aber mit den Lesarten in M u. WHR nichts anzufangen. 192 Diese Fassung versucht offenbar, eine ältere und eine neuere Sagenversion zu verbinden. Wie schon 3213f. bahnt sich eine Liebesbeziehung von Renoart und Aelis an. Sogar Guillelme unterstützt die Vermählung, der französische König verweigert dem Sarazenen aber letztlich doch seine Tochter. Die folgenden Verse schwenken dann in die ältere Tradition ein, nach der Renoart Ermentrude zur Frau nimmt (vgl. ‚Chanson de Guillelme‘ 3500). Diese ist hier Ermengarts Nichte. Für Rolin, Ausg., S. 108, ist diese Eheschließung ein wichtiger Beweis für das Alter der von M repräsentierten Überlieferung. Siehe dazu die Einleitung. 193 TL 6, 1139–42 s. v. onorer „ehren, Ehre erweisen, zu Ehren bringen, als Besitzer (eines Lehens) einsetzen“. Godefroy online s. v. honorer verzeichnet onorer q. de qc. „gratifier“. Es kann also wohl nur eine AcI-Konstruktion vorliegen, wie auch Rolin, Ausg., Anm. z. St. paraphrasiert: „E. veranstaltete, daß R. ihre Nichte dadurch beehrte, daß er sie heiratete.“ Die Ausdrucksweise ist allerdings seltsam.
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Übersetzung
und sie zur Herrin von ganz Spanien ausrufen.¹⁹⁴ Gefällt es euch, eine wahre Chanson¹⁹⁵ zu hören? Wenn ihr soviel dafür tut, daß ich sie singen möchte, 3890 wird kein Jongleur euch je eine erzählen, die wahrer ist.
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LXXIX. (WHR 83, Ars 83, A 79) Schön war der Tag, die Sonne ging auf. Graf Guillelme ritt dem Heer voran,¹⁹⁶ und Renoart lief ganz in seiner Nähe. Seine Stange trug er, welche er sehr liebte. Beschmutzt sah er sie und hatte deshalb schweren Kummer, lief zum Wasser und wusch sie gründlich, zog seinen Waffenrock aus und trocknete sie hierauf damit ab. Er zog ihn nicht wieder an, sondern warf ihn ins Wasser, nahm seine Stange und küßte sie viermal, und hob sie gleich auf seinen Nacken. Sofort brüllte das ganze Heer ihm nach. Guillelme hörte das und war darüber wahrlich sehr bekümmert. Mit seiner klaren Stimme rief er ihnen laut zu: „Gewiß“, sagte er, „wird er Euch strafen! Wenn er von Euch einen schlägt, wird dieser sich zu Unrecht darüber beklagen. Verflucht sei, wer diesem dafür Genugtuung geben wird!“ Die Franzosen sagten: „Was für eine widerwärtige Ordre, wenn er uns einem einzigen ausliefern wird, einem Teufel, welcher uns schädigen wird! Verflucht sei der König, der ihn herschenkte und dem es gefällt, daß er mit ihm weggeht.“ Guillelme hörte es, rief Renoart und gab ihm einen graubraunen Waffenrock. Sehr breit war er, mehr als einen großen Klafter. Dann wies er ihn an, er werde ihm nicht mehr gut sein, falls er nicht jeden strafen sollte, der ihm irgendetwas zu Leide tat. Renoart schwor, daß er sie dort zähmen werde und mit seiner Stange so züchtigen,
194 In den Hss. ist teils unklar, teil unterschiedlich, ob hier von der Krönung Renoarts oder Ermentruts/Aelis‘ die Rede ist. 195 M hat hier wohl irrtümlich Plural. 196 Ich übersetze devant l’ost WHR, A, nicht davant lui M.
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daß selbst der Kühnste seinen Willen tun werde. Graf Guillelme gab ihm die Erlaubnis dazu. Die Tochter des Königs, Aelis, winkte ihm. Renoart ging sogleich hin, da er bereitwillig in ihre Dienste trat. Das Fräulein legte ihre beiden Arme um seinen Hals: „Bruder Renoart“, sagte sie, „hört dies: An unserem Hof wart Ihr lange. Aber ich sehe nun wohl, daß mein Onkel dich wegführen wird. Wenn ich dir etwas angetan habe, was dich bekümmert hat, bitte ich dich dafür um Verzeihung.“ Damit umhalste sie ihn, und Renoart vergab ihr alles. Sogleich begab er sich fort und trennte sich von ihr, doch sein ganzes Herz ließ er ihr aus Liebe zurück.¹⁹⁷ Die Trompeten erschollen, und das Heer setzte sich in Bewegung. Just zur vollen None schlug es sein Lager auf und saß am nächsten Tag früh wieder auf. Guillelme begab sich wieder zu der Abtei, fand jedoch nichts¹⁹⁸ mehr von seinem Schild, denn die Abtei war schon lange verbrannt.¹⁹⁹ Um sie²⁰⁰ wiederaufzubauen, spendete er hundert Pfund. Loois überließ ihr fünfzig und Aymeri spendete vierzig. Für den heiligen Guillelme²⁰¹ baute man die Abtei wieder auf. Soweit kam das Heer, bis es Orléans erreichte und außerhalb und drinnen Unterkunft fand. Graf Guillelme entschädigte die Bürger dort für den Kastellan, den er ihnen getötet hatte,
197 Damit wird ein epischer Erwartungshorizont aufgebaut, der nur in einer endgültigen Verbindung enden konnte. Dasselbe trifft für Wolfram zu. Daß M die Erwartung enttäuscht, widerspricht diametral der Intention der Fassung, die diese Passage eingeführt hat. Wolfram hat also gewiß die seltsame Mischung der Traditionen in M nicht gekannt. 198 M hat hier für ne fälschlich en. 199 Ich übersetze Car l’abeïe fu arse pieç’a WHR ~ Ars, A, nicht Q’en l’abaïe fu arse et breça M, da sich die folgende Zeile eindeutig auf die Abtei bezieht. 200 lo M, le WHR, Ars, la A. Gemeint ist die Abtei, also ein Femininum. Alle genannten Formen können jedoch dafür stehen. 201 Por Guillelme M, Por saint Guillelme WHR, A (Vers fehlt Ars). Der Vers ist in M metrisch und inhaltlich defizitär.
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und für die (getöteten) Bürger nach seinem Gutdünken. Und am Morgen, als die Morgenröte erschien, brach er im guten Einvernehmen aus der Stadt auf, und Loois begleitete ihn nicht weiter, trennte sich von ihm und befahl ihn Gott, und die Königin weinte sehr heftig. Sie und ihre Tochter fielen beim Abschied in Ohnmacht. Graf Aymeri begab sich nach Narbonne und nahm Madame Ermengart mit. Jeder seiner vier Söhne kehrte heim. Beim Abschied küßte Guillelme sie auf das Gesicht, sparte aber den Mund aus, so daß er ihn mit dem seinen nicht unmittelbar berührte. Jeder der Brüder sicherte ihm fest zu, er werde so viele Leute, wie er zusammenbekommen könnte, bei sich sehen, so daß sie dort nicht fehlen und sich in den Tälern von Orange bei ihm versammeln werden. Die Wahrheit sprachen sie, und keiner wird an ihm Falschheit üben. Wer eine schön verfertigte Chanson hören möchte, gebe Ruhe und komme näher hierher. Nie hat ein Jongleur eine schönere darüber gesungen, wie Guillelme Vivien rächen wird und Renoart die Stange trug, den Paladin Bertram aus der Gefangenschaft holte und Guielin und Guichart befreite, wie er mit dem Teufel Auceber fechten wird und an dessen Waffen seine Stange dort zerbrach.²⁰² Doch trotz allem schlug er ihm ganz das Hirn heraus. Wenn das Schwert nicht gewesen wäre, welches Guiborc ihm schenkte und er sich umgegürtet hatte und dessen er sich erinnerte und womit er mit einem Streich Golias²⁰³ auseinanderhieb,
202 Ich ahme den ständigen Wechsel von Futur und Präteritum nach, obwohl das im Deutschen sehr seltsam wirkt. 203 Golias M, WHR, Ars. Dies die Form der Vulgata (neben Goliath) für den Philister Goliat, immer wieder gerne als Name für Gottesfeinde aller Art benutzt. Hier wohl ein einzelner heidnischer König, derselbe wie 4234, 6164. Bei Jesus Sirach wird der Name lat. flektiert (Sir 47, 5), so daß Golliam Wh. 432, 22 vermutlich die Akkusativform ist.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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wäre er an jenem Tag tot gewesen. Doch so trieb er sie zu Paaren, daß nie mehr ein Sarazene zu ihm zurückkehrte.²⁰⁴ LXXX. (WHR 84, Ars 84, A 80) 3980 Graf Guillelme beschleunigte seinen Marsch
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und begab sich geradewegs nach Orange. So weit machten sie ihren Tagesmarsch jeden Tag, daß sie wegen eines Unwetters²⁰⁵ nie langsamer wurden und wegen Schnee oder Eis nicht anhielten. Sie nahmen den Rauch aus den Tälern von Orange wahr und sahen das Land, welches die Heiden verwüstet hatten, und die Stadt, welche sie niedergebrannt und eingeäschert hatten. Diesen Morgen hatten sie einen Sturmlauf unternommen. In dem großen Palas mit dem steingepflasterten Saal hatte Madame Guiborc sich die Brünne übergeworfen, den Helm festgeschnürt und das Schwert umgegürtet. Es gab dort keine Dame, die nicht sehr gut bewaffnet gewesen wäre, oben an den Fenstern des großen viereckigen Turms. Die Ritter bewachten die Pforte. Der Sturmlauf war schwer und schwer das Gefecht gewesen, die Damen hatten viele Steine geworfen und vielen Heiden den Schädel eingeschlagen, so daß sie alle dalagen mit offenem Mund. Der Turm von Orange war an solchem Ort errichtet, daß er einen Sturmlauf nicht im geringsten fürchtete. Die Heiden ließen einen langen Trompetenstoß ertönen,²⁰⁶ verließen Orange und zündeten die Stadt an. Sie machten sich auf, zu ihren Schiffen auf dem Archant zurückzukehren²⁰⁷ und Maschinen herzustellen, mit denen der Turm gebrochen werden könnte,
204 li restorna M, li trestorna WHR, A „se retourna … contre lui“ (Guidot/Subrenat). Unklar. restorner fehlt TL. Holtus, Glossar: „dare molestia“. Zu trestorna vgl. TL 10, 633–636 s. v. trestorner „trans. umkehren, umwerfen, abwenden, verbergen; intr. umkehren, ausweichen, sich vergehen“. 205 Ich übersetze Que por orage A, Ainc por orage WHR, Ars. In M ist daraus tant por Orençe geworden. 206 Ich übersetze la menee WHR, Ars, A, Régnier, Glossar: „sonnerie prolongée de trompettes“. la meslee M. Da wird also zum Gefecht geblasen, was zum Rückzug nicht paßt. 207 Die Schiffe werden nur in M erwähnt, sind aber schwerlich an Land gezogen worden, also nicht en l’Archant. Man müßte also auch hier konjizieren.
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Übersetzung
4005 sowie große Belagerungstürme und einen eisenbeschlagenen Rammbock.²⁰⁸
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²⁰⁹ und der große Turm zu Boden geworfen werden. König Deramé hat bei seinem Bart geschworen, daß Guiborc von Pferden geschleift und ins Meer versenkt und ersäuft werden sollte.²¹⁰ Aber ich glaube wohl, er wird seinen Bart durch den Schwur verlieren. Graf Guillelme hat den Rauch gesehen. Er sagte zu seinen Männern: „Orange ist belagert! Heilige Maria, gekrönte Königin, das böse, rasende Volk führt Guiborc fort! Nun rasch zu den Waffen, edle, ruhmvolle Männer!“ Eine Trompete erscholl, und das Heer machte sich auf den Weg. Graf Guillelme schloß sein Visier und sprang auf ein Streitroß in den vergoldeten Sattel. An seiner linken Seite saß sehr gut das Schwert. Am Hals den Schild, die Reichsfahne aufgerichtet, kam er nach Orange im Galopp herbeigesprengt. Und Renoart hielt seine kantige Stange fest und folgte ihm zu Fuß mit ganz langem Atem. Das Heer schwärmte aus über das Land. Madame Guiborc hatte den Turm erklommen und ihr Antlitz nach links gewendet, sah so viele Feldzeichen gegen Himmel flattern, so viele grünglänzende Helme, so viele vergoldete Schilde, so viele Lanzen, so viele angelegte Brünnen und so viele Feldzeichen aus Pfellel²¹¹ mit Quasten. Die großen Schlachtrösser machten großen Lärm. Es erschollen sehr lange Stöße der Trompeten.²¹²
208 Der Vers ist sehr uneinheitlich überliefert. In Ars (u. den Hss. DE) fehlt er. fercape M, WHR ist unklar. Holtus, Glossar, hält es für einen Rammbock, ebenso WHR. Die handschriftliche Variante periere A deutet auf eine Wurfmaschine. 209 Einschub von WHR 3992b. 210 Im Original wieder ein Hysteron proteron, das sich im Deutschen aber kaum nachahmen läßt. 211 Vgl. 597. 212 Sonent cil graylle a mult grant alenee M, Ars, Sonent cil cor par molt grant aïree WHR, A. Der Vers schließt mit jeweils einer anderen Formel. Die Formel a mult grant alenee „mit sehr langem Atem“ war aber bereits 4023 in anderem Zusammenhang gebraucht worden. Diese
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[Das Heer schwärmte aus über das Land. Guiborc hatte den Turm erklommen und ihr Anlitz nach links gewendet.] Das Land funkelte von Waffen. In Reihen ritten sie geordnet zur Schlacht. Madame Guiborc war darüber erschrocken, denn sie glaubte, sie hätten sich vom Archant zurückgewendet.²¹³ Die edle Dame war ganz außer sich. „Heilige Maria“, rief sie mehrmals, „ach, Guillelme, wie habt Ihr mich vergessen! Edler Herr Graf, zu lange dehnt Ihr Euren Aufenthalt aus. Eine große Schuld begingst du, wenn du mich so preisgegeben hast. Nun weiß ich sehr wohl, daß ich zum Tode bestimmt bin. Nie mehr wirst du deine angetraute Gattin sehen, wegen meiner Liebe zu Euch wird mir der Kopf abgeschlagen, mein Leib verbrannt und meine Asche in den Wind gestreut, oder ich werde im Meer versenkt. Wie es auch ausgehen mag, entgehen kann ich dem nicht, schmerzhaft gefoltert zu werden.“ Mit diesen Worten fiel sie ohnmächtig zu Boden. Der Kleriker Étienne hob sie auf. Da hat sie viele Tränen vergossen. LXXXI. (WHR 85, Ars 85, A 81)
4055 Madame Guiborc stand wieder auf
und wischte sich ihre Augen mit ihrem Bliaut ab. Sie sah Guillelme auf seinem Streitroß und Renoart zu Fuß mit seiner Stange, die er von einer Hand zur anderen warf.²¹⁴ 4060 Die edle Dame bekam einen Schrecken von Renoart, den sie in seiner Riesengröße sah. Keinen gab es da, der sich nicht beunruhigt hätte.
Wiederholung bedingte nun auch die fälschliche Wiederholung der folgenden drei Verse in M entweder durch Zeilensprung des Schreibers oder Gedächtnisfehler des Sängers. Bei einem Zeilensprung würde man aber nachträgliche Tilgung durch den Schreiber erwarten. 213 In M ist durch Ausfall zweier Halbverse das Subjekt (die Heiden) verschleiert. 214 Ich übersetze paumoiant WHR, Ars, A, da deruant M „werfend nach“ (vgl. Holtus, Glossar, „sparpagliare“) sinnlos erscheint.
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Übersetzung
„Meiner Treu“, sagte sie, „jetzt werden wir keinen Schutz mehr haben. Das ist ein Teufel, der dort diese²¹⁵ Keule hält.“ Graf Guillelme auf seinem Streitroß hielt dort²¹⁶ vor dem Tor – Renoart war zu Fuß neben ihm – und sah Orange, das noch immer in Flammen stand. Der Graf weinte darüber und vergoß viele Tränen. Am Fenster sah er Guiborc, die tapfere, die sich mit einem Kettenpanzer bewaffnen mußte. Graf Guillelme rief sie aus voller Kehle an: „Edle Gräfin, habt nun keine Furcht! Ich bin Guillelme, den Ihr so sehr ersehnt, und dies ist das Heer von Frankreich, das hierhergeritten kommt. Öffnet das Tor und nehmt Eure Leute auf!“ Madame Guiborc antwortete ihm auf der Stelle: „Herr“, sagte sie, „lüftet Euren leuchtenden Helm, denn ich fürchte mich sehr vor dem verräterischen Volk. Daher will ich dein Antlitz und dein Aussehen wahrnehmen. Denn viele Männer ähneln einander stark und gleichen einander an der Stimme.“ „Wahrlich“, sagt Guillelme, „ganz wie Ihr wollt! Gesprochen habt Ihr wie eine verständige Dame.“ Den Helm löste er und nahm die Helmbrünne ab. Madame Guiborc erblickte ihn unbedeckt und erkannte auf seiner Nase den Höcker, den ihm Isoré mit seinem Schwert zugefügt hatte just vor Rom in der großen Schlacht. Der Graf tötete ihn. Etliche haben das gesehen. „Gott“, sagte Guiborc, „zu lange säume ich.“ Sie kam schnell zum Tor gelaufen und öffnete es rasch und ließ die Brücke herunter. Der Graf ritt hinein, weinend vor Rührung,
215 Hier scheint ausnahmsweise qe, welches in M sonst nur für que und qui steht, afrz. cel, cest zu meinen (vgl. qer = cer = chier etc.), welches andere Hss. haben. 216 Las s’arestuit von Holtus hergestellt aus lassa testuit M, aber immer noch korrekturbedürftig (lies la für las). G. soll hier schwerlich als müde oder elend gekennzeichnet werden.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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4095 und Renoart, der seine Stange nachzog²¹⁷
zur Bedrohung der Sarazenen und Heiden. Der Graf stieg ab, trat zu Giburg und umarmte sie. „Madame, seht nun den Euch geschworenen Eid erfüllt!“ Da küßte er sie zwanzigmal in einem Augenblick 4100 und sie ihn, gar bitterlich weinend. Guillelme befahl, daß das Heer Unterkunft nehmen solle, und sie taten es, und alle nahmen ihre Rüstung ab, in der Stadt und etliche außerhalb davor. Sie schlugen ein sehr schönes Lager auf. 4105 Ihr hättet da viele Zelte verschiedener Art sehen können und viele solche aus persischem Pfellel. Lebensmittel besaßen sie im Überfluß, die ihnen auf Wagen nachgekommen waren. Keinen so Armen gab es da, der nicht im Überfluß davon gehabt hätte.
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LXXXII. (WHR 86, Ars 86, A 82) Graf Guillelme stieg zum Palas hinauf, er und Guiborc setzten sich Seite an Seite. Sein Pferd war in den Stall geführt worden. Er hatte zu essen, nachdem er zu trinken bekommen hatte. In die Küche ist Renoart eingetreten und hat an der schönsten Stelle seine Stange hingelegt. Madame Guiborc betrachtete ihn genau und seine für sein geringes Alter enorme Größe.²¹⁸ „Herr“, sagte sie, „wer ist der Jüngling, der auf seinem Nacken dieses kantige Holzstück trägt? Damit wäre ein Pferd völlig überladen. Erstaunlich gut ist es kantig behauen und hinten am Griff abgerundet. Heilige Maria, wo wurde eine solches Stück Holz gefunden? Noch nie hat ein sterblicher Mensch ein solches gesehen. Derjenige, welcher es trägt, ist mehr als verrückt.²¹⁹
217 Ich übersetze traïnant WHR, Ars, A, nicht travaiant M – vgl. TL 10, 540f. s. v. travallier „quälen, bedrängen, ermüden, bearbeiten“. 218 Die folgende Präzisierung (jünger als 20 Jahre) in dem folgenden Vers ist in M ausgefallen. 219 forseneç M, Ars, fors assés WHR, A, „sehr kräftig“. Die erste Lesart will zu G.s Anerkennung nicht passen.
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Übersetzung
Was für ein Mann ist er? Er hat ein treffliches Aussehen. Wo habt Ihr ihn gefunden, den Ihr da bei Euch habt?“ „Madame, in Frankreich wurde er mir vom König geschenkt.“ „Herr“, sagte sie, „bei Gott, haltet ihn hoch in Ehren! Ich denke, er ist aus sehr hohem Geschlecht, aus stolzem Geschlecht, er und seine Eltern. Ich weiß (aber) nicht, ob er getauft und aus der Taufe gehoben worden ist.“ „Nein, Madame, er wurde nicht zum Christen gemacht. Nach Laon war er aus Spanien gebracht worden und mehr als sieben Jahre ist er in der Küche geblieben, als kleines Kind, und rasch²²⁰ stumpfsinnig gemacht worden. Doch nehmt ihn nun unter Eure Fittiche, wie es Eure Pflicht ist.“ „Herr“, sagte sie, „wie Ihr es wünscht.“ Auf die Gloriette stieg Guillelme hinauf. Noch war das Mahl nicht bereitet. Am Fenster ließ sich der Graf nieder, neben ihm Guiborc, die ihn sehr liebte. In die Richtung von Termes richtete der Graf den Blick und sah viertausend bewaffnete Ritter mit festen Lanzen mit daran befestigten Fahnen, mit guten Schilden und Panieren aus Zindeltaffet.²²¹ Schön war der Tag, denn es war Hochsommer, und von ihren Waffen ging großer Glanz aus. Ernaut war dort, der hochgeehrte. Graf Guillelme erkannte ihn gut, denn er hatte sie²²² an ihren großen Bannern genau wiedererkannt. „Madame Guiborc“, sagte der ruhmvolle Graf, seht da Ernaut und seine mächtige Ritterschaft. Tibaut und Deramé werden nicht mit dem Leben davonkommen. Morgen wird Bertram befreit werden.“ „Herr“, sagte sie, „ jetzt werden wir sehen, was Ihr tun und wie Ihr Vivien, meinen Freund, rächen werdet.“
220 Vermutlich wieder Verschreibung in M tost für tos/tot. 221 cendez M = cendé = cendel. Da es sich aber bei den Panieren um eine sachliche Wiederholung handelt, ist vermutlich nach anderen Hss. zu konjizieren, wo stattdessen die Pferde genannt werden. 222 Gemeint sind natürlich Ernauts Männer. Guidot/Subrenat übersetzten daher auch „ses hommes“. Vermutlich waren sie in einer älteren Fassung auch zuvor genannt.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
Ehe Guiborc noch ihre Rede beendet hatte, stiegen jene auf der Wiese unterhalb von Orange ab. 4160 Da kam²²³ die Streitmacht Herrn Guillelmes mit der kurzen Nase.
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LXXXIII. (WHR 87, Ars 87, A 83) Während ihre Zelte aufgebaut wurden, richtete Guillelme seinen Blick mitten auf einen alten Wald und sah Bovon von Comarchis kommen und viertausend Eisengepanzerte²²⁴ in seiner Schar mit festen Lanzen und wertvollen Fahnen, mit neuen Schilden und arabischen Streitrössern. Und nach ihnen kam sein Vater Aymeri mit viertausend mit grünglänzenden blankgeputzten Helmen, Narbonnesern mit kühnem Mute. Graf Guillelme hat sie genau erkannt und zeigte sie Madame Guiborc, wie ich meine:²²⁵ „Seht, Gräfin, dort oben auf dem Brachfeld eine riesige Schar mit graubraunen Panieren. Das ist mein Vater Aymeri, der weißbärtige, und auf der anderen Seite Bovon von Comarchis, dessen beide Söhne gefangen sind auf Aliscans, wo die Heiden sie festgesetzt haben zusammen mit Bertram, worüber mein Herz bestürzt ist. Doch wenn Gott es gefällt, der ans Kreuz gehängt wurde, werden wir (ihn) befreien, ehe der dritte Tag vergeht.²²⁶ Dort werden weder Tibaut noch seine Freunde am Leben bleiben noch Deramé, wenn er nicht die Flucht ergreifen wird.“ „Gott“, sagte Guiborc, „dafür sage ich Euch Dank.“ Sie nahm Guillelme in die Arme, den Markgrafen mit der kurzen Nase, und küßte ihm Augen, Mund und Antlitz. Und jene stiegen ab auf dem Brachfeld unterhalb von Orange, spannten ihre Planen auf und errichteten ihre Zelte.
223 vient M, croist WHR, Ars ~ A, „wuchs“. Dieses sicher sinnvoller. Vgl. auch 4188. 224 fervestis, nur in M mit einem vorangestellten au, das keinen Sinn ergibt. 225 M hat hier c’est vis, was vermutlich als ce m’est vis zu lesen ist. Diese Phrase hat auch A, allerdings in einem sonst geänderten Vers, so daß sie dort nicht als inhaltsleere Erzählerbemerkung erscheint. WHR, Ars haben li gentis. 226 Ich übersetze past WHR, Ars, statt soit M.
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Übersetzung
Nun wuchs die Streitmacht Guillelmes, des Markgrafen. Aber in Kürze wird er noch mehr Freude empfinden, 4190 wenn Aymeri der Elende gekommen sein wird. Dieser hatte das Land des heiligen Markus von Venedig erobert. Nie hielten die Heiden ihm stand.²²⁷
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LXXXIV. (WHR 88, Ars 88, A 84) Während jene in ihre Unterkunft gingen und ihre Saumtiere und Pferde im Stall unterbrachten, blickte Guillelme nach rechts auf einen Abhang und sah Herrn Bernart von Brubant kommen und in seiner Begleitung viele wackere Ritter. Dreihundert²²⁸ waren es, alle hatten Kettenhemden, einen guten Schild und einen guten leuchtenden Helm.²²⁹ Keinen gab es, der nicht das Schwert an der Seite hatte. „Madame Guiborc“, sagte der Graf lachend, „seht dort Bernart, wo sie heranreiten. Wohl kenne ich ihn an seinem gescheckten Streitroß; Er hat eine viel größerer Statur als die anderen. Das ist der Vater des Paladins Bertram. Zu ihrem Unglück sind Sarazenen und Perser hier eingedrungen! Ich denke, ihnen den Tod Viviens teuer zu verkaufen, den ich tot auf der Wiese auf dem Archant zurückgelassen habe. Seit ich ihn verlassen habe, tut mir mein Herz gar weh.“ Guiborc hörte es und brach in bittere Tränen aus. „Herr“, sagte sie, „sie mögen Euch Schutz sein.“²³⁰ Graf Bernart ist nun abgestiegen auf einer grünen Wiese unterhalb von Orange. Die Ritter waren alle im Begriff, vom Pferd zu steigen,
227 Onqe païn n’orent a lui roys M, Onques paien n’orent vers lui raïs WHR, Onc en sa vie n’ama paiens nul dis A. Ein Lexem roïs/raïs kann ich in keiner passenden Bedeutung nachweisen. Meine Übersetzung ist reine Spekulation. 228 Wohl ein Irrtum von M gegenüber dreitausend in WHR, Ars, A. 229 A bon escuç et a bon eus luisant M, Et bon escu et bon elme luisant WHR, Et bon escu et vert elme luisant A, Et bon escu et bon destrier corant Ars. Die Fassung in M scheint syntaktisch kaum möglich. Die von Holtus im Glossar angesetzte Nebenform eus für eumes, elmes dünkt auch nicht sehr wahrscheinlich. 230 vos en soient garant M. Wer soll Subjekt sein? Die ankommenden Hilfstruppen? Besser wohl Jhesus vos soit aidant WHR, Ars „Jesus möge euch unterstützen“.
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4215 sowie Schildknechte, Kuriere und Waffenträger.
Sie beeilten sich sehr wohl, ihre Zelte aufzuspannen. Nun ist die Streitmacht Guillelmes im Wachsen. Wenn die Sarazenen sich nicht zur Flucht wenden, ²³¹ denn Renoart wird manchem von ihnen Leid bringen. LXXXV. (WHR 89, Ars 89, A 85) 4220 Seit die Franzosen mit Schnüren ihre Zelte aufspannten
und Seile befestigten und handliche Zeltpflöcke einschlugen, sah Graf Guillelme hinunter von der Gloriette, seinem Fürstenpalas,²³² nahe den Bergen in Richtung Constantinans,²³³ 4225 und sah Guibert, der König von Andernas²³⁴ war und Ritter in sehr großer Menge herbeiführte. Elfhundert²³⁵ waren es, mit Waffen und Adjustierung, neuen Schilden und guten, stämmigen Pferden. Guillelme hielt Guiborc in den Armen. 4230 „Madame“, sagte er, „mit diesem Heer ist nicht zu spaßen, vielmehr – beim Leib des edlen heiligen Thomas – zu ihrem Unheil sind die Heiden von Bagdad hier eingedrungen und Deramé, der Onkel des Ferabras, Auceber und König Golias, 4235 Baudus, der Schurke, und Aquin und Atenas, Butor von Averse,²³⁶ der dem Satan gleicht.“ Der Graf wünschte es, wußte es aber nicht,
231 Einschub von WHR 4207. 232 Ich übersetze palais principas WHR, Ars, A, nicht palais primerans M. Dies stört auch den Reim. 233 In den anderen Hss. auf –as endend. Nach Holtus soll Konstantinopel gemeint sein (das aber sonst im Afrz. nie so heißt), nach Rasch ein (unbekannter) Ort nahe Orange. 234 Dinas M, Andernas WHR, Ars, A. Derselbe Name heißt sonst in M auch Andrenas oder ähnlich (anders Holtus, Glossar). So wie der Schreiber von M an einer Stelle die erste Silbe irrtümlich unterdrückt hat, so fügt Wolfram die Präposition d‘ hinzu und macht Tandarnas daraus. Holtus hält Andernas für eine Region Frankreichs, Rasch für eine Stadt in Spanien. Sollte eine Erinnerung an die Landschaft Bardenas im Königreich Navarra dahinterstecken? 235 WHR, A haben hier 7.000, Ars 5.000. 236 Buroys d’Averse M, Butor d’Averse WHR, Ars, A. Zu Averse vgl. M 1882. Holtus hält dagegen Buroys für eine Nebenform von Borel.
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Übersetzung
denn so viele der Leute des Judas kamen hin, daß alle Berge und Täler voll davon waren. 4240 Jeder Franzose hätte sich da für schwächlich gehalten, wenn es nicht Renoart mit der Stange gegeben hätte.
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LXXXVI. (WHR 90, Ars 90, A 86) Graf Guillelme hielt Ausschau und sah Aymeri den Elenden kommen. Er hatte nur dreihundert – auf soviel kann man sie veranschlagen –²³⁷ an Rittern, die alle junge Männer waren. Sie hatten die Heiden am Meer geschlagen, eine große Truppe, die von einem Raubzug kam. Von ihnen hatten sie alle ohne Ausnahme in Stücke gehauen. Von dort ließ er sehr große Beute mitführen, von dort Pferde und Waffen verschaffen²³⁸ und mit Lebensmitteln dreihundert Saumtiere beladen und hundert Gefangene, die er befreit hatte, (mitführen).²³⁹ Graf Guillelme nahm ihn in den Blick und begann ihn der Dame Guiborc zu zeigen: „Edle Gräfin, nun gibt es für Euch etwas zu schauen. Seht dort Aymeri den Elenden kommen, den Mann auf der Welt – das kann ich wahrheitsgetreu erzählen –, welchen die Sarazenen am meisten zu fürchten haben. Es gehört sich für mich, ihm entgegenzugehen, um ihm vor allen Dienst und Verehrung zukommen zu lassen, denn er ließ die Heiden nie in Ruhe.“ Auf Volatile stieg Guillelme und dachte, auf Aymeri zuzusprengen.
237 N’ot mes .III.C., a tant les poyt esmer M, N’ot qe .vii.xx., a tant les puis esmer WHR, N’ot qe .viic., à tant les puis nombrer Ars, O tot .CCC., a tant les puis esmer A. Die ‚richtige‘ Lesart ist kaum festzustellen. Die Zahlen fluktuieren ohnehin von Hs. zu Hs. Im zweiten Halbvers wird eher eine Erzählerbemerkung in der 1. Pers. vorliegen. Ich ergänze in M zur 3. Pers. „man“, was auch sonst gelegentlich erforderlich ist. 238 Civaus et armes en fasoit adester M, Cevaux et armes ki molt font a loer WHR, Ars, A. Holtus, Glossar, übersetzt adester mit „procurare“. Vgl. TL 1, 141f. s. v. adestrer „führen, begleiten“. 239 Der syntaktische Zusammenhang dieser Partie ist sehr locker, gleichgültig, ob man hinter 4249 mit Holtus einen Punkt setzen will oder nicht. 4252 muß jedenfalls direkt an 4249 angeschlossen werden.
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Er erhob beide Arme und umarmte seinen Bruder, wollte ihn mit sich nach Orange hineinführen und auf der Gloriette, seinem Palas, aufnehmen. Aber Aymeri wollte das nicht gestatten, sondern ließ seine Leute getrennt von den anderen ihr Lager aufschlagen. Graf Aymeri ließ seine Söhne sich versammeln. Große Freude herrschte, als er²⁴⁰ zu der Versammlung kam. Und Guillelme sagte: „Eine Gunst möchte ich von Euch erbitten, nämlich, daß Ihr dieses erste Abendessen mit mir einnehmt.“ Sie sagten es ihm zu und wagten es ihm nicht abzuschlagen, brachten aber Aymeri (den Elenden) nur mit Zwang dahin. Auf der Gloriette ließ man das Waschwasser reichen, denn diese Ritter wuschen sich alle zusammen die Hände. Madame Guiborc wollte dabei nicht versäumen, Aymeri das Handtuch zu bringen und seinen Söhnen, um sie höher auszuzeichnen. Zu sehr früher Stunde²⁴¹ setzten sie sich zum Abendessen. Aus der Küche trat Renoart, der Held, und trug seine Stange – die wollte er nicht vergessen –, um die Adelsgesellschaft zu sehen und zu mustern. Herr Aymeri begann Guillelme zu fragen: „Herr Guillelme, Ihr dürft es mir nicht verheimlichen, was für ein Mann das ist, den ich dort stehen sehe im Saal neben jener Säule. Einen Balken sehe ich ihn auf dem Nacken tragen. Fünf Bauern hätten²⁴² daran viel zu tragen. Ist das ein Dämon, der uns töten will? Ich denke, Guiborc möchte uns alle verhexen.“ Und Guillelme sagte: „Vielmehr ist dies ein junger Mann, den König Loois mir überlassen hat. Nie sah ein Mensch seinesgleichen an Stärke. Aber er schätzt es sehr, sich in der Küche zu wärmen,
240 In M und Ars wird das Subjekt nicht genannt, muß also logischerweise aus dem Vordersatz ergänzt werden. Sehr sinnvoll wirkt das aber nicht. In WHR, A versammelt Aymeri 4269 statt den Söhnen seine Leute (sa gent), die folglich 4270 zusammenkommen. 4271 spricht Guillelme jedoch seine Verwandten an. 241 Zweifelhaft – vgl. 4745. 242 Ich übersetze avroient WHR, Ars, A, nicht avoient M.
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Übersetzung
Feuer zu machen, das Fleisch abzuschäumen. Mir tut das sehr leid, wenn ich sehe, wie lieb ihm das ist, denn die auf ihn aufpassen,²⁴³ lassen ihn verdummen.“ Aymeri hörte es und ließ ihn rufen, 4300 und Renoart ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern setzte sich neben ihn zum Essen. Hinter seinen Rücken legte er seine Stange hin. Die jungen Herren kamen zusammen, um sie zu entwenden. Renoart sagte: „Laßt mein Holzstück liegen! 4305 Denn bei dem Glauben, welchen ich Gott entgegenbringen soll, es gibt keinen so Kühnen, den ich, wenn ich sehe, daß er es anrührt, es nicht schwer bezahlen und dem ich nicht beide Augen aus dem Kopf fliegen lasse.“ Die Ritter begannen ihn zu verspotten 4310 und ihm häufig starken Wein zu trinken zu geben. Soviel gaben sie ihm davon, daß sie ihn betrunken machten. LXXXVII. (WHR 91, Ars 91, A 87) Neben Aymeri nahm Renoart Platz und legte hinter seinem Rücken seine Stange nieder. Aymeri gab ihm zu essen, was er wollte, 4315 und den starken Wein in großen Zügen zu schlürfen. Soviel gaben sie ihm davon, daß sie ihn ganz betäubten. Nach dem Essen ließen sie die Tischtücher abräumen. Renoart nahmen sie in die Mitte, um Spott mit ihm zu treiben. Die Schildknappen begannen, ihn zu belästigen, 4320 mit großen Lanzentrümmern²⁴⁴ zu stoßen und zu schlagen, und Renoart lief, seine Stange zu ergreifen. „Banditen“, sagte er, „zu viel gestatte ich Euch.“ Er hob seine Stange ungestüm auf seinen Nacken. Als sie es sahen, ergriffen sie die Flucht, 4325 und Renoart konnte keinen von ihnen erreichen und traf einen Marmorstein,²⁴⁵ welchen er bersten
243 Cil qi lo gardent M, Cil keu le gabent WHR, Ars, A „Die Köche verspotten ihn“. M wahrscheinlich verderbt. 244 Vgl. Anm. zu 3369. 245 Es wird hier nur allgemein ein marbre genannt. Vermutlich ist eine Säule gemeint. So deuten es auch Chacornac und schon Wolfram (Wh. 276,25 ein sûl von marmel blâ).
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und dessen Teile er den Saal hinunter fliegen ließ. „Welcher leibhaftige Teufel könnte diese Schläge aushalten! Freund Guillelme, den müßt Ihr wert halten. 4330 Laßt ihn mit uns auf Aliscans kommen. Wenn die Heiden sich mit ihm einlassen wollten, würde er mit seiner Stange tausend von ihnen sterben lassen.“ Renoart sagte: „Meiner Treu, das wünsche ich mir sehr! Und ich schätze mich sehr glücklich, mit Euch zu kommen!“²⁴⁶ LXXXVIII. (WHR 92, Ars 92, A 88) 4335 Groß war die Freude im Fürstenpalas.
Als sie eine Menge gegessen und getrunken hatten, nahmen sie die Tischtücher fort, und alle erhoben sich. Doch Renoart war stark betrunken.²⁴⁷ Aus Ärger war die Stange gehoben worden. 4340 Keiner sah es, ohne von Furcht gepackt zu werden; selbst der Kühnste wandte sich zur Flucht, und der Schlag Renoarts sauste nieder und traf einen Marmorstein, der mitten durchbrach. Renoart sagte: „Meine Herren, so wartet doch auf mich! 4345 Wenn Euch dieses kantige Holzstück jetzt erreicht hätte, hätte es Euch gleich übel zugerichtet.“ „Herr Guillelme, bei Gott“, sagte Aymeri,²⁴⁸ „was auch immer er will, laßt ihm seinen Willen, da es keinen solchen Mann bis Balaguer gibt. 4350 Führt ihn mit Euch nach Aliscans. Kann er den Heiden nahekommen, werdet Ihr sehen, wie er tausend von ihnen mit dieser Stange tötet.“ Renoart sagte: „Wenn ich den Kampf aufgenommen habe,²⁴⁹ sind die Heiden tot, so wie Ihr es sehen werdet.“
246 E mult joious me tegne d’ou vos venir M, Et moi et aus lassiés moi convenir Ars, Et moi et aus metés el convenir WHR, A „Bringt mich und sie zusammen!“. Holtus zögert, ob er das dou in M als d’ou oder dou deuten soll. Die substantivische Übersetzung „von Eurem Kommen“ (dou vos venir) gäbe aber wenig Sinn. ou vos muß hier für au vos stehen wie z. B. 6788. 247 Danach fehlen in M zwei Verse, welche die Streiche der Knappen aus LXXXVII wiederholen. Solche Wiederholungen konnten in jede Fassung ad libitum eingefügt werden. 248 M hat hier ausnahmsweise die dem Reim angepaßte Sonderform Naymeç. 249 Ich übersetze Se je sui ajostez A, nicht Se je fui arestez M „wenn ich aufgehalten (worden) war“. WHR, Ars haben: Se je sui assemblés.
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Übersetzung
4355 Aymeri hörte es und lachte gewaltig darüber
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sowie auch der Markgraf mit der kurzen Nase. Keinen Franzosen gab es da, der nicht darüber gelacht und gescherzt hätte. Doch ehe sie vier Tage²⁵⁰ vorbeigehen sehen, werden sie Renoart nicht mehr geringachten, sondern er wird vor allen gefürchtet und respektiert sein.²⁵¹ Die Ritter betraten die Stufen. Der Hof ging auseinander. Die Franzosen gingen zu ihren Zelten und etliche auf die Burg zu ihren Unterkünften. Für Herrn Aymeri wurde sein Bett gemacht in einem Gemach, wo es viel Schönes gab, und die ganze Nacht massierte ihn Guiborc. In die Küche ist Renoart eingetreten. Neben dem Feuer hat er sich niedergelegt, ganz erschöpft.²⁵² Neben ihm war seine Stange abgelegt. Sein Haupt legte er darauf, nachdem er sie oft geküßt hatte. Alsbald schlief er ein, denn er war sehr betrunken. Da handelte der Küchenmeister wie ein ausgewiesener Dummkopf, indem er ihm den Schnurrbart mit Feuer versengte, mit einem Feuerbrand entflammte und anzündete. Als Renoart spürte, daß es ihm heiß wurde, bekam er einen großen Schrecken und sprang in hellem Zorne auf, ergriff den Koch an beiden Seiten, hob ihn so auf, als ob er ein Neugeborenes wäre, und warf ihn ins Feuer, welches gut entfacht war, so daß er gut mit Kohlen zugedeckt war. In Kürze war er verbrannt und eingeäschert. Renaort sagte: „Genau hier sitzt Ihr gut, zu Eurem Unglück habt Ihr mir meinen schönen Schnurrbart versengt. Hurensohn, erwiesener übler Feigling!²⁵³ [Ihr werdet, denke ich, bereits übel niedergeworfen sein.]²⁵⁴ Meint Ihr denn, ich hätte es nicht gewagt,
250 M ersetzt hier gegen den Handlungsverlauf „Tage“ durch „Monate“. 251 Ich übersetze das von Holtus nur im Apparat nach den anderen Hss. eingefügte finite Verb [ert]. 252 Ich übersetze tos lassés WHR, Ars, A, nicht et layseç M. 253 Ich folge der Konjektur von Holtus: mauveç coard proveç < mau mi aveç coard proveç M. 254 Dieser seltsame überflüssige Vers steht sonst nur noch in D, nicht in WHR, Ars, A.
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Guillelme Kurznase zuliebe Euch anzurühren? Wahrhaftig hätte ich es getan, selbst wenn Ihr ein Emir gewesen wärt. Ist denn nicht mein Vater der tapfere König Deramé, 4390 welcher zwanzig gekrönte Könige unter sich hat sowie 200.000 Perser und Slawen? Da ist mein Cousin Tibaut, der schöne Bewaffnete, der beste Mann, der gefunden werden könnte, und meine Brüder Jambu²⁵⁵ und Persagué,²⁵⁶ 4395 Clariel,²⁵⁷ Aurias²⁵⁸ und Otré²⁵⁹ und Malatras,²⁶⁰ Malart²⁶¹ und Maüné,²⁶² Mirabeus²⁶³ und Morgant,²⁶⁴ der Magier, der schwärzer ist als aufgeschwemmte Tinte. Ich habe fünfzehn Brüder,²⁶⁵ alles gekrönte Könige, 4400 keinen gibt es (davon), der nicht vier Königreiche hätte,
255 Dies die übliche Form in den meisten Handschriften, in M Saburs 4394, Gambu 5790, 7504, Jambu 6243. Holtus trennt – schwerlich zurecht – die drei Personen. Allerdings hat wohl auch Wolfram aus Saburs Fabors verlesen und daraus eine eigene Person gemacht. Denn der Bruder, den Renoart M 6240–43 tötet (Jambu in B1B2DM), heißt bei ihm Kanliun, was sich wohl aus keiner der Formen ableiten läßt. Es erinnert am ehesten an den Völkernamen Caneliu „Kananeer“ (Chanson de Roland 3238, sonst meist Cheneliu – Martin 1993, S. 126) – vgl. Knapp 1974, S. 215 Anm. 148. Oder ist vielleicht Canliun/Kanliun doch aus Jambu/Giambu verlesen? 256 So (aber mit –s) die übliche Form in den Hss., jedoch (nach Rasch) WHR 4392 Passeguez Hs. B1, 5844 Passegue Hs. D, 7324 Pas(s)gues Hss. DE. Danach Wolfram Passigweiz. 257 Clariaus, die hier ziemlich übereinstimmend überlieferte Rectusform. Wolfram macht daraus Gloriax mit Mißverständnis der afrz. Kürzel –x für –us und Anpassung an lat. gloria. 258 Sonst in den Hss. zumeist Quarr(i)aus, danach Wolfram Karriax mit demselben Irrtum wie beim vorhergehenden Namen. 259 Otreç M, Outrés WHR, Ars, Wolfram Utreiz. 260 Dies die Form in mehreren Hss. und auch bei Wolfram, abweichend WHR, Ars, A. 261 Einheitlich überliefert, nur bisweilen mit –s/-z, so auch Wolfram. 262 Maüneç M, Maurés WHR, Ars, Marmez F, Marbez B1, und andere Varianten, von denen keine mit Wolframs Matreiz übereinstimmt. 263 Miradaus WHR, A, Miraidiaus Ars, Mirabaus F, Miradus C, Mirabias D, danach wohl Wolfram Wh. 32,16 Merabias, jedoch 288,17 Marabiax. 264 Morgans/Morganz in allen Hss. bis auf B1F. Wolfram Margoanz, Morgwanz, Morgowanz vgl. Knapp 1974, S. 216. 265 Die Aufzählung der Namen scheint in allen Hss. unvollständig, in M aber besonders. Es werden nur zehn genannt, ebenso wie bei Wolfram (Wh 288, 10–17 Fabors, Utreiz, Malarz, Malatras, Gloriax, Passigweiz, Karriax, Matreiz, Marabiax, Margoanz). Im Zusatzvers WHR 4393a, der in Ars, M und D fehlt, finden sich noch Moriaus/Morion/Borreax et Brubans/ Bresbaus/Bruians et Malgrés. Davon kennt Wolfram einen Bruanz, aber nicht als Rennewarts Bruder.
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Übersetzung
nur mich ausgenommen, der ich davon der Jüngste²⁶⁶ war. Es bekümmert mich, daß ich zum Narren wurde. Für dumm halten sie mich, und wie ein Verrückter werde ich mich aufführen. Ihr bezahlt Eure Torheit, welche Ihr begangen habt! Beim heiligen Dionysius, sehr viel habt Ihr gewagt, daß Ihr meinen Schnurrbart und meine Nase berührt habt!“ Dann legte er sich nieder und wärmte sich am guten Feuer. [und wurde bis zum Hintern am Feuer geröstet].²⁶⁷ Er und sein Holz hatten sich Seite an Seite ausgestreckt,²⁶⁸ denn so sehr liebte er es – das ist die reine Wahrheit –, daß er es für vierzehn Städte nicht hergeschenkt hätte. Ehe die Helligkeit des Tages erschienen war, sahen die anderen Köche, deren es genug gab, ihren Meister, der ins Feuer geworfen worden war. Zur Flucht wandten sie sich, so daß keiner zurückblieb. [Selbst der Kühnste wäre gerne scharf gemacht worden.]²⁶⁹ Guillelme sagte, das Essen solle rasch bereitet werden. Die Köche sagten: „Sehr schlecht ist es bereitet worden, denn Renoart hat unseren Meister verbrannt. Weil er seit gestern ins Feuer geworfen worden war, konnte er seit Mitternacht verbrannt sein. Das Essen wird von uns nicht mehr zubereitet werden, denn bei uns ist da drinnen der leibhaftige Dämon. Den leibhaftigen Teufeln sei er ganz überantwortet. Jeden Augenblick kann er uns angreifen mit seiner Stange, die vorne von Eisen ist. Wenn es doch Gott gefiele, daß er verbrannt und geröstet und selbst ins Meer versenkt würde.
266 Ich übersetze li meins nes WHR, Ars, A, nicht li enz neç M. 267 De ci as nages est do feus tapïes M. Ich halte diesen Vers für sekundär zugesetzt. Stattdessen steht in Ars Se grans mustaus et rostis et tostés „röstete und briet sich seine großen Waden“. WHR und A haben beide Verse, diesen (den auch Holtus aus WHR einschiebt) und M 4408. Beide Verse scheinen jedoch problematisch. Warum sollte R. das Verbrennen freiwillig ertragen haben? Zudem bleibt tapïes M 4408, WHR, detapïes A rätselhaft. In den Wörterbüchern ist nur taper „schlagen, treffen“ zu finden. Régnier schlägt im Glossar „rôti“ mit Fragezeichen vor. 268 Ich übersetze se jurent WHR, Ars, A, nicht sirent M. 269 Der seltsame Vers fehlt WHR, Ars, A und in den meisten andern Hss. Er ist wohl zu streichen. Zu aguisier vgl. TL 1, 218.
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Wenn er lange lebt, wird er eine Menge Übles tun, denn ein solcher Teufel wurde noch nie geboren. Es behüte uns vor ihm Gott, der ans Kreuz gehängt wurde.“ Guillelme hörte es, lachte heftig darüber und sagte zu den Köchen: „Hütet Euch künftighin davor, ihn zu verspotten und zu verhöhnen. Ich sage Euch aufrichtig, daß Ihr es bald teuer bezahlt. Teufel auch! Ich bin nicht so wagemutig, es ihm zu untersagen, und Ihr beleidigt ihn!“ Zu Guiborc sagte er: „ Madame, geht doch hin und nehmt ihn mit Euch in Euer Gemach mit!“ Die Gräfin sagte: „Wie Ihr befehlt.“ Durch den Palas erhob sich darüber ein Geschrei, daß Renoart, der so außer sich geraten war, Marescot verbrannt hatte, der so geschickt war, den Küchenmeister Guillelmes mit der kurzen Nase. Als die Franzosen das hörten, packte sie große Furcht. Keinen so mächtigen gab es, der keine Angst gehabt hätte.
LXXXIX. (WHR 93, Ars 93, A 89) Madame Guiborc begab sich in die Küche und fand Renoart ausgestreckt, den Bauch nach oben. Seine Stange hatte er neben sein Rückgrat gelegt, 4450 welche er mehr liebte als der Kranke die Medizin. Madame Guiborc war von sehr edler Abkunft, setzte sich neben ihn und gab ihm guten Rat: „Kommt, Freund, in mein steingefliestes Gemach! Ich werde Euch einen Hermelinpelz geben 4455 und einen Mantel mit einer Bordüre aus Zobel, und Ihr werdet mir ein wenig von Eurer Lage erzählen.“²⁷⁰ „Wahrlich gerne, Pfalzgräfin! Diese Schufte sind von so übler Art, daß ich jeden Moment drauf und dran bin, sie zu züchtigen.“ 4460 In ihr Gemach führte ihn die Königin weg, und Renoart schleifte seine Stange mit. Die Franzosen beobachteten ihn vom steingefliesten Saal aus. Der eine sagte zum anderen: „Schau, bei der heiligen Maria,
270 Ich übersetze auques de vo covine WHR, Ars ~ A, nicht de vestre bone covine M.
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wie gleicht doch Renoart einem üblen Stamm! Gleich würde er zwei Pfauen und einen Schwan essen.“ „Schweigt“, sagte der andere, „denn er fletscht die Zähne.²⁷¹ Sofort wird er Euch ganz rasch in den untersten Schiffsraum²⁷² setzen.“ Renoart hielt seine Stange aus Tannenholz und betrat zusammen mit der Königin das Gemach. Beide setzten sich unter den Baldachin.²⁷³ Reich ausgestattet war das Gemach und mit Marmor gefliest. Die Sonne leuchtete da durch die Glasscheibe herein. Guiborc war bewandert in der sarazenischen Sitte. „Renoart“, sagte sie, „Bruder, nun frage ich mich, ob du je Schwester, Bruder oder Cousin hattest.“²⁷⁴ „Ja“, sagte er, „dort in Richtung des Meeres²⁷⁵ habe ich einen Bruder, einen König, und eine Schwester, eine Königin. Nie gab es eine so kluge bis zum Hafen von Messina, und sie ist weißer als die Blüte am Dornenstrauch.“²⁷⁶ Dann schwieg er und hielt das Haupt gesenkt, und Guiborc öffnete ihren Purpurmantel und hüllte ihn ein, weil ihr Herz ihr sagte, daß das ihr Bruder sei. Doch sie zeigte es nicht.
XC. (WHR 94, Ars 94, A 90) Graf Guillelme ließ sein Mahl rasch bereiten. 4485 Der Tag war schön und begann hell zu werden. Da erhoben sich die Ritter überall im Heer, einer wie der andere, sowie Waffenträger und Knappen.
271 qe il se rachine M, car se il se reschine WHR, que il ne nos rechine A, fehlt Ars. TL 8, 417 s. v. rechignier „die Zähne fletschen, knurren (gegen jem.)”, verzeichnet keine reflexive Verwendungsweise. 272 Die sentine scheint ein besonders unangenehmer, dunkler und schmutziger Ort, gleich einem Gefängnis, zu sein. Vgl. TL 9, 477f. 273 Gemeint ist der Himmel eines Ruhebettes. 274 Ich übersetze S’onques eüs suer, frere ne cosine WHR, Ars, A, nicht Si unqes eüs frere o cugine M, da die Frage nach der Schwester nicht fehlen kann. 275 la envers la marine M, vers la marine WHR, Ars, A. Man erwartet dela la marine, welches Guidot/Subrenat auch übersetzen: „au-delà des mers“, was aber nicht dasteht. 276 E s’est plus blance qe ne est flors en espine M, Et s’est plus bele que fee ne serine WHR, Ars, A „und sie ist schöner als eine Fee oder Sirene“. Bei Wolfram nennt R. sie ob aller klârheit den lobes kranz, / ein maget, die nam der sunn ir glanz (Wh. 292,11f.).
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Die meisten hörten die Messe im Münster, dann stiegen sie hinauf in den großartigen Palas. Graf Guillelme ließ im Heer ausrufen, daß sie nach dem Essen auf Eile bedacht sein möchten, da er auf das Archant zurückkehren wolle. Da hättet ihr die Franzosen ihre Anstalten treffen sehen können, die Sättel auflegen und viele Saumtiere beladen.²⁷⁷ Guiborc mit dem leuchtenden Antlitz weilte auf der Gloriette, in einem Gemach, das hoch zu preisen war. Sie begann Renoart sehr liebreich zu behandeln und machte Miene, als wolle sie ihn küssen. Sehr freundlich begann sie ihn anzureden: „Freund, woher seid Ihr? Ihr sollt es mir nicht verbergen!“ „Madame“, sagte er, „ich will es Euch nicht anvertrauen bis zu dem Augenblick meiner Heimkehr aus der Schlacht und dem gewaltigen Gefecht. Denn wenn es Gott gefällt, dem wahrhaftigen Richter, der uns alle behüten und umsorgen kann, möchte ich dort Guillelme sehr kräftig beistehen.“ Madame Guiborc wollte ihn nicht weiter belästigen, sondern ging ganz rasch, um eine Truhe zu entriegeln, und zog eine weißglänzende doppellagige Halsberge heraus. Ihre Bestandteile waren vergoldet und versilbert. Auf solche Art hatte man sie schmieden lassen, daß sie einen Hieb nicht im geringsten fürchtete. Wer sie übergezogen hatte, brauchte keine Angst davor zu haben. Dann zog sie einen festen Stahlhut hervor. Niemand konnte ihm unter dieser Rüstung schaden. Dann nahm sie ein Schwert, dessen Knauf aus reinem Gold war; man mochte da eineinhalb Klafter mit den Armen messen; es hatte die Breite der vollen Handfläche eines Ochsentreibers. Eisen zerschnitt es besser als eine Sichel das Gras. Ihm gegenüber versagte jede Waffe ihren Dienst, und es gehörte Corsuble, dem Neffen Aucebers,
277 Ich übersetze torser maint somier WHR, Ars, A, nicht torser mainte eschüer M, da hier das Objekt fehlt.
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der es dann Tibaut, dem Krieger, schenkte²⁷⁸ für einen Friedensschluß.²⁷⁹ Sonst erhielt er dafür keine Bezahlung. Orable besaß es, nachdem sie ihn²⁸⁰ heiraten mußte. Ihm und niemand anderem wollte sie es noch überlassen. Nun wird er es besitzen. Sehr liebte und schätzte er es, nämlich Renoart, aus vollem und ganzem Herzen. Madame Guiborc war hoch zu preisen. Höflich begann sie zu ihm zu sprechen: „Freund“, sagte sie, „versteht Ihr Waffen zu führen? Gürte dieses Schwert an deine linke Seite, denn es wird nur nützen, wenn du dich seiner bedienen kannst.“ Renoart nahm das blankgeputzte, stählerne Schwert, zog es aus der Scheide, steckte es wieder hinein²⁸¹ und sagte, es sei nichts wert, da es ihm viel zu leicht erschien. „Madame“, sagte er, „das da brauche ich nicht. Für vierzig solche würde ich keinen Heller geben. Beim hl. Dionysius, zu dem ich beten soll, sobald ich mit beiden Händen meine Stange halte, wird es keinen Heiden geben, so kühn und wild, den ich nicht herabwerfe, wenn ich ihn erreiche. Wenn ich ihn nicht töte samt seinem Streitroß, wird mir Guillelme zu Unrecht jemals noch zu essen geben.“²⁸² Guiborc hörte es und lief ihn zu umarmen, beim Gott in seiner Glorie begann sie ihn zu segnen. XCI. (WHR 95, Ars 95, A 91) Madame Guiborc war hoch zu preisen.
278 In Ars schenkt Corsuble das Schwert direkt Guiborc für eine plaie, eine Verwundung (s. V. 4523). Diese ist rätselhaft. Im übrigen steht diese Variante aber Wolfram näher. Allerdings ist es hier Sinagun, der Schwestersohn Halzebiers, der seine ganze Rüstung bei Orable gelassen hat (Wh. 294,23–27). 279 Ich übersetze Por une paie WHR bzw. Por une pés A, nicht Por une plate M „für einen Metallbarren“ oder Por une plaie Ars „für eine Wunde“. 280 „ihn“ = Tibaut. 281 In den anderen Fassungen steckt er es nicht zurück, sondern wirft es verächtlich zu Boden. Dies hat Wolfram übernommen (Wh. 295,23) 282 Ich folge in 4542f. A ~ WHR, Ars, wo die Zeilen eine Konditionalperiode bilden. In M 4542 ist die Konditionalkonjunktion se durch e ersetzt, so daß sich 4543 nicht mehr sinnvoll anschließen läßt.
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Sie begann Renoart genau zu betrachten. Er erschien ihr sehr stattlich, groß und jugendlich. In ganz Frankreich gab es nicht seinesgleichen. Ihr Herz sagte ihr, und sie fing an zu vermuten, daß dies ihr Bruder sei. Doch wollte sie ihn nicht fragen. Rührung ergriff sie daher, und sie brach in Tränen aus. Renoart sagte: „Madame, hört auf damit! Beim Glauben, den ich Gott schulde, Ihr braucht Euch keine Sorgen um Guillelme zu machen. Solange ich mein Holzstück unter ihnen tragen könnte, gibt es keinen Heiden, mag er noch so Lobenswertes leisten, dem ich nicht den Todesstoß gebe, wenn ich ihn erreiche. „Freund“, sagte sie, „Jesus möge²⁸³ dich bewahren! Kein Mann kann überhaupt ohne Waffen standhalten, wenn er ins dichteste Kampfgewühl kommt, denn mit ganz armseliger Bewaffnung kann man ihn erschlagen. Doch ich will Euch aus Liebe gebieten, Euren Leib rüsten zu lassen. Für alle Zukunft möchte ich Euch mehr dafür lieben.“ Renoart sagte: „Ich will Euch nicht widersprechen.“ Guiborc wollte ihm die Halsberge überwerfen. Sie war sehr gut; nie sah einer ihresgleichen. In ihre Breite gingen zwei Männer hinein. Weder Pfeil noch Lanze konnten einen Panzerring beschädigen. Sie veranlaßte ihn, sie sich unter dem Waffenrock überzuwerfen,²⁸⁴ damit niemand außen die Panzerung wahrnehmen konnte. Sie band die Helmbrünne fest und setzte den Helm auf;²⁸⁵ mit fünfzehn Schnüren machte sie ihn sehr gut fest. Danach hüllt sie ihn so gut ein und bedeckte ihn mit einer guten Pelzmütze. Aber sie unterließ es, ihm das Visier zu befestigen,
283 Ich übersetze puist WHR, Ars, A, nicht puet M. 284 endoser M, enforrer WHR, Ars, A „verbergen“. Dieses ist wesentlich sinnvoller. In M liegt wohl sinnwidrige Wiederholung des Reimworts von 4567 vor. 285 La coyfle lace si prist lo capeler M, La coife lace, puist mist le capeler WHR, Ars, A. Chapelier ist an sich nur ein anderer Ausdruck für die unter dem Helm getragene Helmbrünne, die Coiffe. Vielleicht soll chapelier hier aber den Helm selbst bedeuten, sonst läge in beiden Varianten ein Hysteron proteron vor. mist „setzte“ ist aber sinnvoller als prist „nahm“.
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um ihm, falls nötig, mehr frische Luft zu geben,²⁸⁶ damit der Held sich frei bewegen könnte. Sie gürtete ihm das Schwert um, welches hoch zu preisen war,²⁸⁷ befestigte mit einer Seidenschlinge das Stichblatt an der Scheide, um das Schwert ziehen zu können.²⁸⁸ Hierauf begann sie, ihn sehr gut zu unterrichten, daß er, falls er seine Stange einmal brechen sehen sollte,²⁸⁹ gut und gerne sein stählernes Schwert zu Hilfe nehmen könnte, und ein solches Gut nicht dem Vergessen übergeben sollte.²⁹⁰ Doch nie konnte er sich hierauf daran erinnern bis zu dem Augenblick, da er großes Unglück erleiden mußte und seine Stange zerbrechen sah in der Schlacht auf Aliscans am Meer. Die Leute Guillelmes hätten dort nicht durchhalten können, ²⁹¹ Vielmehr setzte er allein dem Kampf ein Ende, wie ihr hören und vernehmen könnt. Als Renoart sich da so gut rüsten sah, führte er sich wilder²⁹² als Löwe oder Eber auf. Er nahm seine Stange und wollte nicht mehr verweilen. „Madame“, sagte er, „nun laßt mich gehen.“ Sie ging und öffnete ihm die Tür. Renoart wollte mitten durch den Saal gehen und nahm seinen Weg zur Küche. Das Schwert an der Seite, ging er, um die Bratspieße zu drehen. Seine Stange lehnte er neben sich an einen Pfeiler. Ernaut zeigte ihn seinem Bruder Aymeri: „Außergewöhnlich zu fürchten ist dieser Mann.
286 Ich übersetze essoufler WHR, Ars. A, nicht resnoier M „wieder festknüpfen“. 287 Zwei weitere Verse anderer Handschriften zum Lobe des Schwertes fehlen in M. 288 Diese Vorrichtung wird von Wolfram nicht erwähnt. 289 Ich übersetze veoit WHR, A, nicht vout M. 290 Im folgenden fehlt in M ein Vers mit Renoarts Versicherung, sich an das Schwert zu erinnern. Im weiteren gehen die Hss. stark auseinander. Ars läßt die folgenden Verse 4587–93 mit der Vorschau aus. In WHR und A sind dagegen noch weitere 33 Verse zugesetzt, die sich den Bedürfnissen der Jongleurs und dem Geiz des Publikums widmen. 291 Einschub von WHR 4579g Se diex ne fust et Rainouars li ber, bei Holtus nur im Apparat, jedoch kaum verzichtbar. 292 felz (=fel) M wohl andere Form oder Verschreibung für fers = fier (so WHR, Ars, A).
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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4605 Schlecht gleicht er einem, welcher das Fleisch abschäumen muß.
Sehr gut steht es ihm, wenn er dieses Schwert trägt.“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „gerade kam man sich darüber zu beklagen, daß er meinen Koch nach dem Abendessen verbrennen ließ.“ Schön war der Tag, und die Sonne schien hell. 4610 Auf der Gloriette ließ man zum Händewaschen blasen. Die Ritter gingen, um sich gemeinsam zu waschen, und setzten sich längst der Tische zum Abendessen. Gut wurden sie bedient, da bedarf es keines Wortes. Und Renoart ging, sich am Feuer zu wärmen 4615 in der Küche, das stählerne Schwert an der Seite. Seine Stange lehnte er neben sich an einen Pfeiler. Als die Köche den Jüngling kommen sahen, wandten sie sich zur Flucht und wagten nicht zu verweilen. Sie überließen ihm das Feld ganz. 4620 Weh dem, der es gewagt hätte, stehen zu bleiben! XCII. (WHR 96, Ars 96, A 92)²⁹³ In der Küche war Renoart ganz allein und sah dort eine Menge Kraniche und Wildenten. Er nahm davon die fettesten zum Essen und trank zwei Becher Würzsoße.²⁹⁴ 4625 Den Hals eines Schwans nahm er, der gefüllt war mit Eiern und Pfeffer, Fisch und Fleisch.²⁹⁵ Seine Stange nahm er unter seinen rechten Arm, kam zu Tisch, ohne Scheu zu haben, und setzte sich vor Guillelme auf den Boden nieder. 4630 Die Franzosen sahen ihn und machten über ihn ihre Späße. Von fünfzehn Seiten reichten sie ihm ihre Becher. Mitten in dem nach dem Zirkelmaß gebauten Saal legte er seine Stange ab, da er vom Trinken müde war. Von der Tafel entfernten sich Aymeri und Bernart, 4635 Ernaut der Rote und Guibert von Andernas. Zur Stange kamen sie und erprobten ihre Arme,
293 Die Laisse ist im Detail ziemlich uneinheitlich überliefert. 294 dos enas M, plain un vas WHR, Ars, A „ein Gefäß voll“. Dies ist wohl vorzuziehen. 295 Ich übersetze cars WHR, Ars, A, nicht dras M. Es wechseln auch weiter in der Laisse die Assonanzen –as/-ars.
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Übersetzung
hätten sie aber nicht heben können, selbst wenn man ihnen hundert Mark gegeben hätte, noch irgendein anderer für alles Gold von Damaskus. Die Franzosen sagten: „Das ist ein Satan! 4640 Nun sei gesegnet, wer einen so starken Arm hat! Wenn du nur willst, wirst du die ganze Welt erobern.“ „Beim heiligen Dionysius“, sagte Renoart, ich weiß nicht, ob Ihr aus Paris oder Arras seid, doch bei der Treue, die ich dem heiligen Thomas schulde, 4645 denke ich, wenn Gott mir meine Stange und meine Arme bewahrt, für Euch die Sarazenen alle zu besiegen. Ich werde sie töten zuhauf und in Masse.“
Aufbruch von Orange und Vorbereitungen zur Schlacht XCIII. (WHR 97, Ars 97, A 93) Graf Guillelme erhob sich vom Mahl und gab dem Heer Befehl, sich sehr rasch bereitzumachen. 4650 Zu der Stange liefen die adeligen Ritter, hätten sie jedoch für das Gold von Montpellier nicht heben können. Graf Guillelme vergnügte sich daran, es zu versuchen. Er konnte sie bis zur Brust, aber nicht höher heben,²⁹⁶ badete aber vor Anstrengung seine Stirn in Schweiß. 4655 Renoart sagte: „Ich komme Euch zu Hilfe.“ Dann ging er hindurch nach vorn; das stählerne Schwert hatte er umgegürtet. Wer ihn doch gesehen hätte, wie er seine Stange handhabte, sie von einer Hand in die andere schwang, emporhob und senkte!²⁹⁷ 4660 Er ging damit um wie der Sperber mit der Lerche. Er trat zu einem Pfeiler, um sie daran zu lehnen. „Wahrhaftig“, sagte Guillelme, „Euch kommt es wohl zu, Brot zu essen. Gesegnet sei der Arm, der einen solchen Hebebaum trägt!“
296 Die anderen Handschriften begrenzen die Leistung auf einen Fuß (eine Hs.: zwei Fuß) und stehen damit Wolfram wohl näher, der Willehalm die Stange bis über die Knie heben läßt (Wh. 311,25). 297 In M (und in Hs. E) fehlt ausgerechnet der von Wolfram aufgegriffene Vers, worin R. die Stange um seinen Kopf schwingt (WHR 4656 – Wh. 311,28f.).
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Renoart sagte: „Wir können hier zu lange herumstehen. Die Heiden entfliehen. Nun rasch ans Werk! Wenn ich meine Stange gebrauchen und die große Kraft meiner Arme erproben könnte, würde ich keinen Heller für 100.000 geben. In sehr kurzer Zeit werde ich das Feld leerfegen.“ Guillelme hörte es und lief, ihn zu umarmen. Dann ließ er sein Horn blasen und tönen. Das Heer machte sich auf den Weg ohne Aufschub. Sowohl Last- als auch Saumtiere, alle wurden beladen. Ihr hättet sie sich auf dem Felde aufreihen sehen können. Graf Guillelme trat heran, um aufs Roß zu steigen, und Renoart kam, ihm den Steigbügel zu halten. Seine Schildknappen trugen alle seine Waffen. Beim Abschied gab er Guiborc einen Kuß, dann empfahl er sie dem wahren Richter, auf daß sie ihn noch heil und ganz wiedersehen möge. Sogleich brach der Markgraf mit dem wilden Antlitz auf sowie Renoart, der so hoch zu preisen war. Madame Guiborc ging zum Ausguck auf die Gloriette, ihren rechtmäßigen Palas. Auf dem Felde²⁹⁸ sah sie die Truppen sich ordnen, so viele Banner flattern und tanzen, so viele grünglänzende Helme leuchten und flammen, so viele Tartschen, so viele Schilde mit reinem Golde, so viele Streitpferde und so viele schnelle Streitrösser unter den Kriegern wiehern und schnauben.²⁹⁹ Sie begann sie im Namen Gottes des Herrn zu segnen. Doch ein Dämon brachte Renoart dazu,³⁰⁰ daß er aus großer Übereilung seinen Hebebaum vergaß. Von Guillelme wollte er sich keineswegs entfernen. Sowie man dazu gekommen war, einen Hügel zu erklimmen, betrachtete ihn Guillelme und unternahm es, ihn anzureden: „Bruder Renoart, wo ist Euer Hebebaum?
298 Ich übersetze En la campaigne WHR, Ars, A, nicht En la compagne M – vgl. 4674. 299 Die Übersetzung der Synonymenpaare sind Notlösungen ohne semantische Präzision. 300 fist engignier kann entweder reine Umschreibung von engignier „betrügen, schädigen“ sein oder „ließ ersinnen (daß er vergaß)“ bedeuten.
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Wollt Ihr denn Eure Stange zurücklassen?“ Renoart hörte es und war nichts als ergrimmt. Wer ihn gesehen hätte, wie er sich die Haare raufte und um seine Stange weinte und klagte und die Fäuste aufeinander schlug und klopfte! Er sagte zu Guillelme: „Ihr schätzt mich gar nicht hoch, wenn Ihr mich meine Stange vergessen laßt. Wenn sie dort zurückbleibt – ich will Euch nicht lästig fallen –,³⁰¹ so werden beim heiligen Dionysius, zu dem ich beten soll, weder Eure Schwerter Euch nützen noch diese Lanzen noch dieses stählerne Schwert.³⁰² Durchaus willst du deine Leute betrügen und täuschen, wenn du meine Stange zurücklassen willst.“ Und Guillelme sagte: „Ihr müßt Euch nicht beeilen. Ich werde dafür diesen meinen Knappen aufbieten, damit man sie Euch nachführen läßt. Dafür werdet Ihr jetzt nicht umkehren.“ Er schickte Guion hin, den Sohn Foquiers. Guiborc fand er, die Gräfin mit dem leuchtenden Antlitz, die wegen der Stange großen Kummer zeigte. „Madame“, sagte er, „man hat mich zurückgeschickt, die Stange zu holen – Feuer hätte sie rösten sollen!“ „Nicht doch, Freund, es ist sehr mißlich, wovon du sprichst. Für die Rückkehr wirst du ein gutes Streitroß bekommen.“³⁰³ Er kam zur Stange, welche in einem Raum mit einer Feuerstelle lag,³⁰⁴ und Guiborc sagte: „Ich komme Euch zu Hilfe.“ Sie kam zur Stange und nahm sie mit den Armen; sie konnten sie aber überhaupt nicht heben. Sie hießen einen Wagen bereitstellen.
301 engriger nach Holtus soviel wie engregier TL 3, 404 „schwer sein, lästig fallen“. Besser sicher noier WHR, Ars, A „leugnen“. 302 Die anderen Hss. haben hier stattdessen espiel „Spieß, Lanze“, also eine Wiederholung wie in M, aber eine noch weniger sinnvolle. 303 In den anderen Hss. schenkt ihm Guiborc bereits das Pferd, und Guion bedankt sich. Dadurch wird klar, daß er im folgenden Satz Subjekt ist. 304 Ich übersetze en un foier A ~ ens el foyer WHR, Ars, nicht en un graver M. Die Stelle ist aber nirgends ganz klar. Zuvor hat R. die Stange an einen Pfeiler des großen Saales gelehnt. Ganz rätselhaft aber der Ausdruck graver, der mit gravier „Kies“ wohl nichts zu tun haben kann.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Doch nicht einmal sieben Männer waren hier von Nutzen;³⁰⁵ vierzehn waren es, um die Stange aufzuladen. Ein Streitroß machte Guiborc zum Deichselpferd, und zwei Lastpferde gab es dort und ein Saumtier, damit es schnell ginge und besser bewerkstelligt würde. Man schickte sie Guillelme nach, der das ganze Heer hatte warten lassen. Und Renoart war nur froh darüber, als er sah, wie man seine Stange ihm nachbrachte. Er lief einen Bogenschuß weit entgegen, um sie vom Wagen zu reißen so ungestüm, daß er ihn rasch zum Zusammenbruch brachte. Dem Deichselpferd brach er so den Hals. Längs des ganzen Weges kam er Guillelme nach, und sie beschwerte ihn nicht mehr als ein Olivenzweig. So rasch war er unterwegs, daß ein Jagdhund nicht hätte mithalten können. Mit bloßen Füßen stand er da; er hatte weder Schuhe noch Sandalen. Alle, die ihn sahen, unternahmen es, sich zu bekreuzigen. Sehr früh³⁰⁶ ließ man das Heer sich lagern an einem Sumpf neben einem Obsthain. Schnell machten sie sich an das Einschlagen der Zeltstangen. Als sie gegessen hatten, begann es Nacht zu werden. In die Küche ging Renoart, um sich schlafen zu legen am Feuer neben einem großen Gluthaufen. Seine Stange verwendete er als Kopfkissen.
XCIV. (WHR 98, Ars 98, A 94) Neben dem Obsthain hatte sich das Heer gelagert an einem Sumpf in einem großen Tal. Der Graf Ernaut hielt diese Nacht die Wacht 4755 mit seiner Schar bis zum Morgen. Die Franzosen aus dem ruhmvollen Land rüsteten sich.
305 Mes anz .VII. home ne orent mester M, .VII. serjanz fait apeler e hucher WHR, Ars ~ A „Sieben Diener ließ sie rufen mit lauter Stimme.“ 306 De mult grant hore seltsamer Ausdruck in M für de mult haute ore, das hier und an anderer Stelle in den anderen Handschriften dafür zu stehen pflegt. Die Bedeutung ist nicht ganz sicher. Vermutlich meint „hoch“ hier den Stand der Sonne, was am Morgen auf „spät“, am Abend auf „früh“ hinausliefe – vgl. TL 4, 1012.
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Da hättet ihr so viele angelegte Brünnen sehen können, das Festbinden so vieler Helme, das Umgürten so vieler Schwerter, so viele gute Streitrösser mit rotbrauner Kruppe! Sie ritten, ehe die Morgenröte erstrahlte. Die Trompeten erklangen mit sehr langen Stößen. Schön war der Tag, leuchtend der Morgen. Die Erde blitzte von Waffen. Renoart schlief am Feuer, den Bauch nach oben. Erst als das Heer schon eine halbe Meile zurückgelegt hatte, erwachte er neben dem Kamin, und das Zelt stand über seinem Haupte in Flammen. Er sprang auf, als er den Rauch roch. Als er das Zelt angezündet und angebrannt sah, lief er dem Heer nach, das aufgebrochen war. Er war mehr als als eine große Meile gelaufen, als ihm seine Stange wieder ins Gedächtnis kam. Ihretwegen³⁰⁷ kehrte er mit sehr langem Atem zurück. Aus dem Feuer zog er sie. Keine Seite war verbrannt, jede nur ein wenig angekohlt. Nun war sie fester als ein stählerner Amboß. Dem Heer rannte er nach in gestrecktem Lauf. Ehe er es einholte, war sein Leib in Schweiß gebadet, denn er war fast eine Meile gelaufen. Er lief ein Tal hinunter und einen Hügel hinauf.³⁰⁸ Sie sahen Aliscans und die ganze Gegend und ein so großes versammeltes Heer der Heiden, daß das Land über sechs Meilen damit bevölkert war. Der Schrecken unserer Leute war groß. Graf Guillelme sah sein Heer in Panik. Er kannte Herz und Hirn der Feiglinge. Er zeigte ihnen in seiner Rede stolzen Sinn: „Meine Herren, ganz nahe seid Ihr dem Schlachtgewühl, einem solchen Kampf, der sehr hartnäckig werden wird. Nie wurde ein so schrecklicher beobachtet. Im Verlauf des Tages heißt es, wacker durchhalten. Wem Feigheit ins Herz gedrungen ist,
307 Ich übersetze Pro lui WHR, A, bzw. Por chou Ars, nicht por eus M. 308 M setzt hier das geläufige, bei einem Hügel aber sinnlose Reimwort entree für montee.
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möge sich zurückziehen ohne jeden Aufschub. Ich gebe ihm die Erlaubnis, sich in seine Heimat zu begeben.“ 4795 Diese Rede kam den Feiglingen sehr zupaß. Von den Mutigen trennten sie ihre Truppe. Mehr als 10.000 machten sich auf den Rückmarsch. Verflucht sei die Stunde, da diese Leute geboren wurden! Sehr rasch machten sie sich mit heftigem Einsatz der Sporen auf den Weg. 4800 Doch sie werden noch am selben Tag³⁰⁹ üblen Lohn bekommen, denn Renoart begegnete diesen Leuten in einem Engpaß eines ausgehöhlten Felsens vor einem Wasser auf einer aus Zweigen geknüpften Brücke. Er dachte, es handle sich um irrgläubige Leute, 4805 welche sich in übler Weise vom Kampf abgewendet hatten. Da dachte er, eine volle Geldbörse gefunden zu haben. XCV. [WHR 99, Ars 99, A 95]³¹⁰ Graf Guillelme hieß die Feiglinge fortgehen und die Tapferen die andere Richtung nehmen. Die Feiglinge machten sich auf, die Abschiedserlaubnis einzuholen, 4810 sowie die Frevler,³¹¹ die nicht zu bleiben wagten, und die Schwächlinge, die nicht auf Kampf erpicht waren. Diese kamen gemeinsam, die Abschiedserlaubnis einzuholen. Graf Guillelme gewährte sie ihnen, denn er wagte es nicht, sie ihnen zu versagen, infolge des Versprechens, von dem ihr mich erzählen gehört habt. 4815 Für ihr ganzes Leben lang gab er ihnen allen den Namen von schwächlichen Feiglingen – so sollte man sie nennen. Auf 10.000 Mann kann man sie schätzen. Ins eigentliche³¹² Frankreich dachten sie sich wegzubegeben. Doch ehe sie das Tal³¹³ durchreiten könnten, 4820 werden sie von einem anderen Märtyrer reden müssen,³¹⁴ denn sie begegneten Renoart mit der Stange mitten im Tal beim Überqueren eines Brückensteges.
309 Ich füge anqui aus WHR 4802 ein. 310 M 4807–20 fehlen in Ars. 311 Ich halte malfé M „Teufel“ für verderbt aus malvé. Vgl. mauvais WHR, mauvés A. 312 droite M, douce WHR, A. Vgl. Einleitung. 313 Ich übersetze la valee WHR, A, nicht lo vespre M „den Abend“. 314 Text wie 1015 bis auf parler statt chanter. Siehe die Anmerkung dort.
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Übersetzung
Als Renoart sie alle auf ihrem Weg sah, dachte er, es seien Sarazenen und Slawen. So froh wäre³¹⁵ er nicht über das Gold des heiligen Audomar³¹⁶ gewesen. Er kam auf den Gedanken, ihre Waffen zu betrachten. Da wußte Renoart wohl, ohne sich zu täuschen, ³¹⁷ Er dachte, sie wollten sich aus dem Heer davonstehlen. Seine Stange hob er und stellte sich vor ihnen auf. Besser wäre es für sie gewesen, wenn sie dem Teufel begegnet wären! Renoart sagte: „Wohin beabsichtigt Ihr zu gehen?“ Und diese sagten: „Nach Frankreich, um uns zu erholen! Uns allen ließ der Graf die Abschiedserlaubnis geben, und so können wir nach Burgund zurückkehren. Dort werden wir uns zur Ader und schröpfen lassen, werden gute Weine bekommen und gute Meeresfische. Nie hat Guillelme den Leuten anderes als Leid zugefügt und viele Männer in großer Qual enden lassen. Komm doch mit uns, und du wirst durchaus wie ein Mann handeln. Wir werden für dich die Beförderung dieser großen Stange übernehmen.“ Renoart sagte: „Euer Gerede geziemt sich nicht. Graf Guillelme hat mir das Kommando über dieses Heer übertragen und ich muß es nach meinen Möglichkeiten bewahren. Euch gebührt es, den Tribut zu leisten. Glaubt Ihr mir zu entfliehen wie ein Hase? Beim heiligen Dionysius, Ihr könnt nicht weg. Eher werde ich von Euch vierzehn oder zwanzig das Bewußtsein rauben und sie ihre Seelen aus dem Munde aushauchen lassen. Hurensöhne, die Ihr nicht zu verweilen wagt!“ Er hob seine Stange, trat vor sie hin, Er hielt sie nicht für wert, vor ihnen die geringste Scheu zu haben, mitten auf ihre Köpfe teilte er große Schläge aus. Mit dem ersten Schlag vernichtete er hundert von ihnen, mit dem zweiten schlug er zweihundert von ihnen das Hirn heraus, und mehr als fünfzig ließ er tot umfallen.
315 Ich übersetze fust WHR, Ars, A, nicht fut M. 316 Die Abtei von Saint-Omer war die wohlhabendste im ganzen flämisch-niederländischen Raum. 317 Einschub von WHR 4817.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Die Feiglinge flohen und wagten nicht, dort zu bleiben. Sie fürchteten ihn mehr als Löwen und Eber. Die Tapfersten ließ er vor Furcht erzittern. Sie begannen laut zu schreien: „Herr Renoart, wir werden mit Euch in den Kampf gehen in der Schlacht auf Aliscans am Meer. Wir werden dich nicht im Stich lassen, solange wir das Leben behalten können. Nach deinem Willen kannst du uns durch Dick und Dünn führen.“ Renoart sagte: „Nun höre ich Eure Worte. Ein Königssohn bin ich und habe wohl das Recht zu kommandieren und meinen Stolz und meine Kraft zu demonstrieren.“ Da begann er, seine Stange zu schwingen, und brachte die Übeltäter auf den Weg. Mit rechter Gewalt hieß er sie umkehren. Bis zur Ankunft beim Heer wollte er nicht anhalten. Er kam zu Guillelme, um von ihm eine Gabe zu erbitten, nämlich daß er ihn die Feiglinge im Heer führen ließe. Ein jeder werde kühn wie ein Eber handeln und seine Tüchtigkeit zeigen, ob er wolle oder nicht. „Wahrlich“, sagte Guillelme, „durchaus will ich es dir gewähren. Herr Renoart, ich wage Euch nichts zu verweigern.“ Im Heer begannen sie über die Feiglinge zu spotten. Renoart sagte: „Laßt meine Leute in Ruhe! Denn bei der Treue, welche ich Gott schulde und Guiborc mit dem leuchtenden Antlitz, welche mich zur Bewaffnung in ihr Gemach führte, wenn Ihr mich gegen Euch aufbringt, werde ich Euch etwas mit meiner Stange geben. Selbst den Kühnsten denke ich gut zu prügeln,³¹⁸ daß ihm beim Abschied nicht zum Singen zumute sein wird. Ein Königssohn bin ich, mit Recht soll ich Leute führen. Nun aber möchte ich meine Tüchtigkeit vorführen. Zu lange hat man mich verdummen lassen.
318 Ich übersetze Tout le plus cointe cuit je bien chastier A, nicht Tout le plus cointe ke j’oi si haut vanter WHR ~ Ars „selbst den Kühnsten, den ich so laut prahlen höre“ oder Tot li plus conte irai si avanter M. Dies erscheint wie eine wenig sinnvolle Kombination aus anderen Lesarten, es sei denn, avanter ist nicht Nebenform von vanter, sondern Schreibung für avancier „übertreffen, zuvorkommen“.
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Übersetzung
Verflucht sei die Frucht, welche nicht reifen will, und der Mann, der nicht besser werden will. Ein Königssohn bin ich, ich soll mich durchaus daran erinnern. Der Gute besteht die Probe, hörte ich sagen und erzählen.“³¹⁹ Als die Franzosen Renoart so reden hörten, unternahm es einer zum andern zu sprechen: „Hört von dem Teufel, wie er zu predigen versteht!“ Graf Guillelme ließ seine Leute in Reihen antreten und seine Kampftruppen ordnen und einteilen. Sehr schön ließ er seine Einheit tjostieren. Ebenso machten es die Sarazenen und Slawen, so daß sie sich von beiden Seiten gut ausnehmen konnten. Da hättet ihr sehen können, wie man vielen Pferden die Sättel festzog, wie eines übers andere wieherte und schnaubte, wie viele Feldzeichen zum Himmel wehten, wie eines übers andere tanzte und flatterte, wie da die Posaunen und Hörner dröhnten, wie die Heiden wie Hündchen bellten und jaulten, wie diese Beduinen über die Küste brüllten! Wer nun eine wilde Schlacht hören wollte, gebe Ruhe und lasse das Lärmen sein. Eine bessere werdet ihr keinen Jongleur singen hören.
XCVI. (WHR 100, Ars 100, A 96) Seine Leute ordnete Guillelme, der Markgraf, und stellte planmäßig alle seine Scharen auf. Renoart hat die Übeltäter, die Schwächlinge bekommen; aber es gab da nur noch Tapfere und Kühne. 4915 10.000 waren es, so viele gab es an Ausgewählten, darunter kein einziger, der nicht bereit gewesen wäre. Bei Guillelme war sein Vater Aymeri; in seiner Schar hatte er 10.000 Krieger. Die dritte führte Bovon von Comarchis. 4920 Es waren 7.000, ausgestattet mit hellglänzenden Halsbergen, guten Waffen und lobenswerten, guten Pferden. ³²⁰ aber sie trugen nur beschädigte und zerbrochene Schilde. Ihre Halsberge waren verrostet und angegriffen, ihre Helme eingedrückt, ihre Schwerter nicht blankgeputzt, 4925 sondern jedes mit Blut verschmiert und verschmutzt. Denn vielmals waren sie feindlich mit Heiden zusammengestoßen in Spanien beim heiligen Markus von Venedig.³²¹ Bernart mit dem blütenweißen Bart hatte die fünfte Schar, der von Brubant, welcher so stattlich war, 4930 Vater Bertrams, der von hohem Ruhme war, welchen die Heiden in einem Lastkahn gefangen hielten zusammen mit den anderen, von denen es zehn gab. Doch wenn Gott Renoart mit dem wilden Antlitz bewahrt und seine Stange, welche ganz massiv war, 4935 so wird dieser jene retten und aus den Gefahren holen. Bei Bernart waren die Leute aus seinem Land, 10.000 waren es, darunter kein Schwächling.³²² XCVII. (WHR 101, Ars 101, A 97) Die sechste Schar übertrug Guillelme seinem Bruder Ernaut, der sie sehr gut führte, 4940 dem von der Gironde, welchen er innig liebte. 5.000 waren es, die der Graf führte. Viele Banner flatterten darüber im Wind. Jeder schwor, vor den Heiden nicht zu fliehen. Die siebente Schar gab Guillelme wiederum 4945 Guibert, seinem Bruder, den Aymeri gezeugt hatte und der König war und eine Krone trug. 7.000 waren es, so wie man sie schätzte.³²³ Bei Gott, was für Brüder! Wie bewährte sich ein jeder! Schön war der Tag und es wurde hell; 4950 der Nebel senkte sich, und die Sonne stieg auf.
320 Einschub von WHR 4914f. 321 Vgl. 2821. 322 In WHR, A ~ Ars schließt sich hier noch ein Vers in der Laisse an: Devant les guie li timoniers Landris „Vorne führte sie L. der Timonier.“ Denselben Beinamen trägt Bertram. Vgl. 149. Wolfram muß den in M fehlenden Vers gekannt haben, denn er nennt Wh. 329,11 u. 373,1 Landris als Fahnenträger der Truppe Bernarts. 323 Ich übersetze esma WHR, Ars, A, nicht noma M.
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Übersetzung
Im Tageslicht flammten viele Helme auf. Der eine Ritter rief dem anderen zu. Viele Hörner erschollen von hier und dort. Groß war der Lärm – es soll euch keineswegs wundern! 4955 Graf Guillelme ritt an der Spitze auf Volatile, von dem der Heide herabgestürzt war. Er sagte zu seinen Männern: „Barone, nun wird sich hier zeigen, wer heute an diesem Tag Vivien³²⁴ rächen und kühn auf die Heiden draufschlagen wird. 4960 Froh wird er sein können, der dabei den Preis erhalten wird. Aber ich denke durchaus, daß Renoart es sein wird. Er wird vor allen anderen den Preis davontragen.
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XCVIII. (WHR 102, Ars 102, A 98) Schön war der Tag, und die Sonne war aufgegangen. Aus seinem Zelt ist Deramé getreten, gemeinsam mit ihm fünfzehn gekrönte Könige. In die Richtung von Orange blickte der König und sah die Franzosen geordnet und versammelt. Dort leuchteten die Helme mit den vergoldeten Reifen und die Feldzeichen aus Pfellel und Zindelstoff. Er sah die Banner und die Buckelschilde und die Spieße und die goldverzierten Halsbergen. Vom Gold der Waffen leuchtete das Land. Er verwunderte sich; zu sehr war er darüber erschrocken.³²⁵ Siehe da, ein Kundschafter, der sehr eilig herbeikam. Am ganzen Leib war er verwundet und verletzt. So schnell war sein Schlachtroß mit der hohen Mähne³²⁶ gelaufen, daß diesem aus beiden Flanken das Blut herausquoll. Mit ganzem Elan kam er sehr eilig vor den König und rief ganz laut: „Herr Deramé, weshalb sputet Ihr Euch nicht?
324 païn M vermutlich verlesen aus Vivien, so WHR, Ars, A. 325 trop … esmaieç, ein eher unpassender Ausdruck an dieser Stelle. Vorzuziehen tos en est trespensés WHR, Ars, A „ganz versank er darüber in Gedanken“. 326 Beiwort unklar: sois começ M (Holtus: sois = sot = sor oder sus?), sejornés WHR, Ars „ausgeruht“ (A fehlt).
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Bei Mahomet, zu lange bleibst du gelassen.³²⁷ Gesehen habe ich Guillelme, den Markgrafen mit der kurzen Nase, der seinen Vater und seine Freunde aufgeboten hat. Bei ihm ist seine mächtige Verwandtschaft; 4985 so viele Leute von Frankreich sind da beisammen, daß ich nicht einmal die Hälfte³²⁸ hätte zählen können.“ Deramé hörte es und erregte sich sehr darüber, von Unmut wurde er ergriffen und entflammt. Er rollte die Augen und hob die Augenbrauen. 4990 Niemand kann schildern, wie groß seine Wildheit war. Keiner sah ihn, der nicht sehr erschrocken gewesen wäre. Nach geringer Zeit gab es da so viele Bewaffnete, daß kein kluger und gebildeter Kleriker es hätte sagen können. Wohl wage ich es euch zu sagen, und es ist die Wahrheit: 4995 So viele Heiden³²⁹ sah nie ein Sterblicher, wie viel Volk da an jenem Tag versammelt war. Von ihnen stammte der stahlharte Renoart, der mit der Stange, die so gefürchtet war. Alsbald tötete er sie, wie ihr hören werdet. XCIX. (WHR 103, Ars 103, A 99) 5000 Deramé, den Unmut gepackt hat, rüstete sich. Seine Panzerringe³³⁰ waren wunderbar gearbeitet. Der Kettenpanzer war mit dem feinsten Gold Spaniens verziert. Seine Sporen schnallte ihm Putepeigne³³¹ um, das war ein Heide – der Herrgott suche ihn heim! 5005 Dann legte er die Halsberge an, welche dem König Alfaigne gehörte. Wer die Halsberge anhatte, war nicht in Gefahr, verletzt zu werden. Den Helm banden sie ihm auf das schreckenerregende Haupt mit dreißig Riemen, wovon keiner ihn einschnürte.³³²
327 Ich übersetze trop es aseürez Ars, nicht mult est aseürez M, wo das Subjekt unklar bleibt. WHR, A haben trop vos aseürés. 328 Besser wohl les milliers WHR, Ars, A „die Tausender“. 329 Ich übersetze Tant de paiens WHR, Ars, nicht Si grant paiens M. 330 claveus M; cauces WHR, Ars, A „Eisenhosen“. Dies vermutlich richtig. Vgl. 5005. 331 Puteçaigne WHR, Ars, Putefaigne A, daneben in anderen Formen mit –c-, -ch-, welche am ehesten für Wolframs Putegan verantwortlich sein könnten. 332 Höchstwahrscheinlich ist in M versehentlich die doppelte Negation ausgefallen, welche in WHR, Ars, A vorhanden ist. Dann heißt der Nebensatz: „wovon jeder ihn fest schnürte“.
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Übersetzung
Sein Schwert trug Maufoés³³³ von Aquitaigne.³³⁴ 5010 Der König gürtete es um, der keinen dessen für wert hielt.³³⁵ Dann bestieg er den Wallach.³³⁶ Ein solches Pferd gab es weder in Frankreich noch in Deutschland. Es würde weder auf einer Höhe noch im Gebirge verschnaufen. Den Schild hielt ihm der König von Golgotha³³⁷ 5015 und den türkischen Bogen³³⁸ der Emir von Spanien. Er hatte eine harte und feste Lanze und ein langes Feldzeichen. Vor den Augen der Heiden ritt er auf die Ebene hinaus. Laut schrie er: „Reitet, meine Heerschar! ³³⁹ sei ich ein Schwächling, wenn ich ihn nicht mit einem Schlag verstümmle. 5020 Niemals traf er auf einen so üblen Handel.³⁴⁰ Er hob seine Hand, in Mahomets Namen segnete er sich. Dann gab er den Befehl, daß sein Hauptvolk kommen solle.³⁴¹ C. (WHR 104, Ars 104, A 100) Als die Heiden das Kommando Deramés gehört hatten, rüsteten sie sich alle zusammen in großer Eile. 5025 Groß war der Lärm, als sie bewaffnet wurden und vor den König von Cordoba kamen. Siehe da, wie ein Türke in panischem Schrecken heransprengte
333 Marados WHR, A, Maradés Ars, anders andere Hss. Ein Marados wird WHR 6786e von Rainouart erschlagen. Derselbe heißt M 6255 Malachin. Danach Wolframs Malokîn? 334 In M vermutlich de Qitagne falsch für d’Aquitaigne. So WHR, Ars, A. 335 qi nulle home non dagne M (non fälschlich für n’en?), ki nul homme n’adaigne WHR, Ars, A. adaignier „ne pas faire cas de quelqu’un“ (Régnier, Glossar; danach Guidot/Subrenat). TL 1, 133 keine klare Bedeutungsangabe. 336 l’afauce breagne M, l’aufage brahaigne WHR, Ars ~ A. aufage „eine Art Roß“ TL 1, 667; breagne s. TL 1, 829 s. v. braing, baraigne (nfrz. bréhaigne) „unfruchtbar“. 337 Gorgotagne M, Gorgataigne A, Gorcataigne WHR, Gorcacaigne Ars, Gorgozane Wolfram. Vgl. Anm. zu 2084. 338 Turcois nach Rasch ein Personenname, aber eher Appellativ. 339 Einschub von WHR 5014 S’or truis Guillaume delivre en la campaigne. Wenn man ihn wie Holtus wegläßt, bleibt in 5019 das Objekt rätselhaft. 340 Anc n’abouta si mauvese breagne M, Ainc n’acointa si mavaise bargaigne WHR, Ars A. breagne = bargaigne (TL 1, 840f. „Handel“); abouter „rincontrare; voltarsi (rapidamente)“ (Holtus, Glossar). 341 sa jent demayne vaygne M, monter sa gent demaigne WHR, A „daß sein Hauptvolk aufsitzen solle“. Diese Variante ist wohl vorzuziehen.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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und mit seiner lauten Stimme zum König rief: „Herr Deramés, böse sind wir verhext!³⁴² Die Franzosen kommen voll Eifer, uns zu erschlagen. Guillelme hat einen Vasallen mitgebracht; einen so starken Mann gibt es nicht in der Christenheit. Auf seinem Nacken trägt er eine große, kantige Keule, so daß zwei Saumtiere sie auf ihrem Sattel nicht tragen könnten. Das Ende hat sie vorne mit Eisen beringt, mit großen Eisenbändern ganz meisterhaft beschlagen,³⁴³ [so daß zwei Saumtiere sie auf ihrem Sattel nicht tragen könnten.] Wer damit³⁴⁴ schlagen wird, wird Tod bringen. Er zeigt sich so wild, daß er keinen Sterblichen fürchtet. Wohl habe ich seinen Namen gehört und verstanden: Renoart nannten sie ihn, das ist meine Meinung. Alle Feiglinge sind ihm zugesellt worden. Aber nie sah ich einen Mann von solcher Wildheit. Bei Mahomet, er scheint durchaus ganz von Sinnen zu sein! Noch nicht hat er vierundzwanzig Jahre überschritten. Das Herz sagt mir, und wohl kommt mir der Gedanke, daß wir durch ihn getötet und außer Gefecht gesetzt werden.“ Deramé hörte es und wäre beinahe von Sinnen gekommen.³⁴⁵ „Hinweg, Schurke“, sagte er, „zu lange bist du hier geblieben! Wenn sich fünfhundert solche versammelt hätten, Würde ich bei Mahomet, dem ich mich ergeben habe, keinen geprägten Heller dafür geben!“ Er rief Morgalé³⁴⁶ vor sich: „Jetzt sollen“, sagte er, „rasch meine Hörner ertönen!“ Morgalé sagte: „Wie Ihr wollt!“ Da hättet ihr eine solche Menge Hifthörner hören können,³⁴⁷
342 encanté M, engané WHR, Ars „getäuscht“, esgaré A „hilflos, bedrängt“. 343 Der Sänger ersetzt fälschlich das Reimwort ferré WHR, Ars, A, durch qaré M aus 5033, und schließt folgerichtig, aber unsinnig den Vers 5034, der auf dieses Reimwort folgte, hier nochmals an, desgleichen noch die ersten Worte von 5035. Um einen „errore di copista“ (Holtus, Anm. z. St.) kann es sich nicht handeln. 344 Ich übersetze Qui en WHR, Ars, nicht Lo bot M, das nur aus 5035 wiederholt ist. Siehe die vorige Anmerkung. 345 Ich übersetze por poi ne fust desvé A, nicht por poi fist desvé M. 346 Morgalé M, Murgalé WHR, Ars, Mugalé A. 347 Ich übersetze oïsies WHR, Ars, A, nicht oïez M.
214
Übersetzung
daß der Schall davon fünf Meilen weit reichte. Die Emire brachen auf und trennten sich, und Deramé ordnete seine Leute. 5060 Eine Truppe führte Auceber; 20.000 waren es, als sie sich versammelt hatten. Dieser Auceber hatte so große Wildheit, so große Stärke und so große Kraft, daß er damit keinen sterblichen Mann niederschlug, 5065 ohne ihn mit einem Schlag getötet zu haben. Gar wunderbar hatte er seinen Leib gewappnet. An seinem Leib waren zwei blanke, vergoldete Halsbergen und auf seinem Haupt zwei grünglänzende, edelsteinbesetzte Helme; und an seiner Seite hingen zwei Schwerter; 5070 und er trug eine kräftige viereckige Lanze. An diesem Tag hätte er viele der Unsrigen getötet, doch Renoart hat ihn sehr rasch aufs Haupt geschlagen. Mit diesem Schlag waren die Heiden außer Gefecht gesetzt. CI. (WHR 105, Ars 105, A 101) Deramé hat die andere Truppe aufgestellt 5075 aus 20.000 Heiden von Syrien, und Hector von Salorie befehligte sie. Einen solchen Bösewicht gab es nicht bis zum Roten Meer. Er hätte unter unseren Leuten ein großes Gemetzel angerichtet,³⁴⁸ doch Renoart, der die Übeltäter züchtigt, 5080 hieb ihm das Antlitz bis zum Ohr entzwei. Sinagon kommandierte die dritte Schar. Dieser hatte Guillelme viele Tage in seiner Gewalt innerhalb Palermos in seiner großen Festung in seinem großen Turm, dem alten und altertümlichen.³⁴⁹ 5085 20.000 Heiden hatte er in seiner Schar. Reveyler³⁵⁰ von Orquenie stellte die vierte Schar zusammen. Maudus von Rames³⁵¹ führte die fünfte Schar.
348 Ich übersetze feïst WHR, Ars, A, nicht fist M. 349 Die Gefangennahme Willehalms durch Sinagun kennt auch Wolfram (Wh. 220, 15–17). Doch befindet sich das Gefängnis nicht in Palermo, sondern in Arabien (Wh. 192,7). 350 Unerklärliche Variante für Mal(l)art oder ähnlich in den anderen Hss. Vgl. M 4396. 351 Nach Martin 1993, S. 122, Ram Allah in Palästina.
Zweiter Teil: Zwischen den Schlachten
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Dieser hatte 20.000 Mann aus der Gegend von Persien. Die sechste Schar stellte Baudus von Almeria zusammen, 5090 20.000 Mann gab es da aus der Gegend von Rußland. Die siebente bildeten Borel und seine Gefolgsleute, vierzehn Söhne hatte er von hohem adeligen Ansehen, Ritter, alle voll von ritterlicher Kampfeskraft. Einen Leib hatten sie schwärzer als Holzkohle. 5095 14.000 hatten sie in ihrer ritterlichen Mannschaft.³⁵²
352 Die Überlieferung läuft im zweiten Teil dieser Laisse weit auseinander. M kennt nur sieben Scharen der Heiden, WHR, A dagegen neun. Borel führt hier erst die neunte, Aenré die sechste (der Bulgaren), Aiquin, Baudus‘ Vater (vgl. aber M 5143 u. ö.), die achte (der Syrer). In Ars werden auch neun gezählt, Aenré aber versehentlich ausgelassen. Dieser – in Ars dementsprechend durch den Versausfall fälschlich Maudus – trägt einen todbringenden Morgenstern. Dessen Vernichtungskraft wird ähnlich wie M 5078 ausgedrückt, was den Sänger veranlaßt hat, danach auch die Verse über Renoart 5079f. wörtlich zu wiederholen, was in WHR, Ars, A erhalten ist. In M scheint der Versuch, die Wiederholung zu beseitigen, auch zusätzliche Verse irrtümlich unterdrückt zu haben. Wolfram übernimmt die neun Scharen, kennt aber Borel, Aenré und Aiquin als Kommandanten nicht. Seine Vorlage scheint an dieser Stelle auch unvollständig und/oder unklar gewesen zu sein.
216
Übersetzung
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans Renoarts Triumph
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CII. (WHR 106, Ars 106, A 102) Als Deramé seine Leute¹ geordnet hatte, stellte er seine Truppe sehr gut auf. 100.000 waren es, jeder hatte seinen Kopf gerüstet, und 20.000 waren aus einem schwarzen, bärtigen Volk. Ein König führte sie, Margot von Maufondee.² Dieser trug einen Kettenpanzer – er hatte weder Lanze noch Schwert –, von mehr als einer Wagenfuhre Eisen. ³ zerhieb ihn bis in ins Innere der Brust. Einen Emir gab es dort von Valfondee;⁴ im Heer gab es keinen Mann von so großem Ansehen; Baudin hieß er und war von sehr großem Hochmut, ein Neffe Renoarts, Sohn seiner älteren Schwester, welche zur Königin von Oriende ausgerufen wurde.⁵ Durch die beiden Verwandten wurde die Schlacht geordnet,⁶ und einen so großen Streit sah man nie mehr. Doch Renoart besiegte ihn mit dem Schwert. Von diesem Baudin war Cordoba erobert worden. Groß war der Lärm von dem ungläubigen Volk. Die Hörner erschollen dort so laut, daß der Lärm fünf Meilen weit reichte. Die Heiden ritten ohne jede Verzögerung.
1 Gemeint offenbar sein ganzes Heer. 2 Übrige Hss. Valfondee, was in den meisten Hss. als Beiname von Baudus kurz danach (M 5104 s. d.) wiederholt wird. 3 Einschub von WHR 5103a–5104. 4 Der Beiname schwankt noch stärker als der Personenname Baudin/Baudus in der Überlieferung: Vausegree M, Valfondee WHR, Ars, Val Betee A, etc. Sonst gibt es die Verbindung dieses Personennamens mit Valfondee nur noch M 7756 (fehlt in allen übrigen Hss.). Danach hier korrigiert. 5 Eine seltsame Verwandtschaftsbestimmung Baudins, die von der sonstigen als Cousin Renoarts abweicht. 6 Besser als ordinee M sicher aduree WHR, A „verbittert, verschärft“.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Groß war der Krach, und der Staub wurde aufgewirbelt. Auf Aliscans wurde das Gras niedergetrampelt. Dort trafen die Unsern auf die Heiden. Kein Wort wurde gesagt oder ausgesprochen. So rasch die Pferde im Galopp laufen konnten, begannen sie das Gefecht ohne jeden Verzug. Beim Zusammenprall war der Hörnerklang⁷ groß. Von dem Zersplittern der Waffen⁸ wurde die Erde erschüttert. Dort hättet ihr so viele gebrochene Lanzen sehen können, so viele gespaltene Helme, so viele zerfetzte Brustpanzer,⁹ so viele zerhauene Schilde, so viele abgehauene Beine, Hände und Köpfe, so viele Sarazenen daliegen mit offenem Rachen, aus deren Körper die Eingeweide austraten. Auf Aliscans wurde das Gras blutig. Von toten Heiden war die Erde bedeckt. Ein jeder hatte dort eine Heldentat verübt, und die sechs Brüder von dem ruhmreichen Land, so wie sie waren, kamen sie zu dem Treffen.¹⁰ Ein jeder rief seinen Kampfruf,¹¹ Bernart „Brubant“ mit sehr großem Nachdruck und Aymeri „Venedig“, den berühmten Ruf,¹² Ernaut „Gironde“, eine gefürchtete Parole, und „Andernas“ rief Giboer, Bovon „Barbastre“, welches am salzigen Meer liegt.¹³
7 Besser als cornee M sicher criee WHR, A „Geschrei“. Vgl. 5120. 8 De croïsez M, De froiseïs WHR, Ars „Zersplittern, Krachen”. Holtus verweist für croïsez mit Fragezeichen auf TL 2, 1081 s.v. croissier „zerschlagen“. 9 Diese werden im M in der folgenden Zeile fälschlich nochmals genannt. 10 Die Verse 5133–35 sind in M zugesetzt, durchaus entbehrlich und auch nicht durchwegs klar. 11 So nur in M. In WHR, Ars, A ruft als erstes Aymeri „Narbonne“. Dieser Kampfruf fehlt daher in M, desgleichen der wichtigste, „Monjoie“, den im folgenden Vers Guillelme ruft. Der Vers fehlt jedoch in M. Beide Kampfrufe kommen aber noch öfter vor. 12 gestee M, gastee WHR, Ars, A „zerstörte”. Das Wort steht wohl nur des Reimes wegen da. gastee gibt nur als Teil des Kampfrufes einen Sinn, obwohl WHR es nicht dazurechnet. Zu gestee könnte dagegen ensegne M 5136 zu ergänzen sein. 13 Ein typisches Beispiel für die geographische Unkenntnis des Epikers, der alte Namen aus der Sagenüberlieferung einfach irgendwo in der Ferne lokalisiert. Hier steht gewiß Barbastro im mittleren Aragon dahinter.
218
Übersetzung
Dort trennten sie viele Seelen vom Leib. Die Leute Aquins wurden dort außer Gefecht gesetzt. Mit Schlägen trieben sie sie mehr als einen Armbrustschuß weit. 5145 Von dieser Schar wäre gar nichts mehr übrig geblieben, wenn nicht sein Sohn gewesen wäre, Baudus von Valfondee.¹⁴ Dieser brachte seinen Vater und seine Leute zur Umkehr. Da begannen erneut das Geschrei und das Gebrüll. Dicht gedrängt kamen sie zum Kampfgewühl. 5150 Nunmehr werdet ihr von einer berühmten Schlacht hören und eine gute Chanson, falls man ihr gut lauscht. Von einem Spielmann wurde keine bessere gesungen. CIII. (WHR 107, Ars 107, A 103) Auf Aliscans gab es ein staunenswertes Gefecht. Siehe da Baudus, den Sohn Aquins, im Angriff! 5155 Nie sah man einen bösartigeren Sarazenen. In seiner Schar waren 10.000 Beduinen. Wohl gerüstet war er und saß auf seinem Pantin.¹⁵ Er hatte eine Lanze aus Eschenholz mit einem poitevinischen Eisen. Er trug das Feldzeichen von König Alepantin.¹⁶ 5160 Er sprengte über den feinen Sand.¹⁷ Auf dem Weg traf er auf Guion von Auvergne¹⁸ und gab ihm einen schweren Schlag auf seinen beauvaisinischen Schild.¹⁹
14 Der Beiname kann nicht stimmen, da hier nicht von Renoarts Cousin/Neffe die Rede ist, sondern von Baudus von Almeria (s. M 5089). Dieser Beiname paßt aber nicht in den Reim. So kam es wohl zur Verwechslung in fast allen Fassungen. Nur Hs. E hat hier einen anderen Beinamen (Val Penee). 15 Name seines Pferdes, in der Überlieferung stark schwankend. 16 Daraus hat offenbar Wolfram die Funktion dieses Königs als Truppenführer abgeleitet. Der König begegnet bereits M 1595. 17 Ich übersetze sablon porrin WHR (vgl. TL 7, 1667 s. v. poudrin), nicht sablon perrin M, A „steinernen Sand“. 18 Gion d’Averse M, Guion d’Auvergne WHR, Ars, A. Averse kann nicht stimmen, da es ein heidnisches Land bezeichnet. Vgl. M 1882. Wolfram: Kiun von Beaveis (Beiname nach dem folgenden Vers). 19 Durch Zeilensprung sind in M sechs Zeilen ausgefallen, die wiederum mit dem Namen Benvoysin/Biauveisin enden: „Er spaltete ihn unter dem Buckel aus reinem Gold, zerhieb ihm seine doppelte Halsberge völlig, rannte ihm das Eschenholz mitten in den Leib. Soweit die Lanze reichte, warf er den Toten rücklings herab. Den Spieß zog er mit der blutigen Fahne heraus. Er hat einen Ritter aus dem Beauvaisis getötet“ (WHR 5157–61).
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Er tötete Milon, der Mont Morentin beherrschte.²⁰ Noch ehe die Lanze Schaden genommen hätte oder unbrauchbar geworden wäre, 5165 tötete der Schurke aus dem üblen Geschlecht damit fünf Mann. Als Aymeri den Hund bemerkt hatte, gab er Florentin die Sporen. Er wurde wütend und zog sein stählernes Schwert, und es wartete nun Baudus, der Sohn Aquins, auf ihn. 5170 Zuvor machte er mit einem so schurkischen Nachbarn noch nie Bekanntschaft.
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CIV. (WHR 108, Ars 108, A 104) Als Aymeri den Teufel bemerkte, der unseren Leuten so großen Schaden zufügte, spornte er Florentin mit den Sporen aus reinem Gold. Aus Unmut zog er das stählerne Schwert. Baudus, der einen wilden Mut besaß, erwartete ihn und wandte sein Schlachtroß ihm zu. Der eine wollte den anderen keineswegs schonen, sie kamen, um einander mit blank geputzten Schwertern die Panzerringe zu zerstören.²¹ Und Aymeri war ein sehr guter Ritter und verstand es wohl, sich mit dem blank geputzten Schwert zu helfen. Er schlug Baudus mitten auf den Reifenhelm und ließ Steine und Zierblumen herabfallen. Wenn die Helmbrünne der doppelten weißen Halsberge nicht gewesen wäre, wäre Baudus niemandem mehr von Nutzen gewesen. Das Schwert ließ er auf seinen gerippten²² Schild niedersausen und durchtrennte den Schildriemen, welcher mit hellem Stickwerk versehen war. Mit dem ganzen Arm ließ er ihn herabfallen. Als der Heide spürte, wie er dort verletzt wurde, so daß er sich mit seinem Arm nicht mehr helfen konnte, wandte er sich zur Flucht, nichts als Wut im Herzen, und begab sich in das große Kampfgetümmel.
20 Wolfram: Milûn von Nivers: Aus dem Nominativ desselben Namens Miles hat Wolfram eine zweite Person gewonnen, die in der ersten Schlacht fällt. Vgl. Knapp 1974, S. 203. 21 por desmayler M, entracointier WHR, Ars, A „(feindliche) Bekanntschaft machen.“ Die Lesart von M ist problematisch. 22 Wohl Wiederholung des Reimworts aus 5181. Besser l’escu de quartier WHR, Ars, A – vgl. 1785.
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Übersetzung
Doch Aymeri jagte ihm weiter nach, bis er ihn vor dem Zelt Gorhers²³ einholte. Den Kopf trennte er ihm ab mit dem ganzen Reifenhelm. 5195 Sich des guten Pferdes zu bemächtigen²⁴ kümmerte er sich nicht, denn er sah Heiden um sich, ein Tausend. Gott, der alles unter seinem Schutz hat, möge für den Grafen sorgen, denn ich sehe nicht, wie er zurückkehren könnte.
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CV. (WHR 109, Ars 109, A 105) Als Aymeri den heidnischen Schurken getötet hatte, wandte er sich mit gezogenem Schwert zurück. Doch er war eingeschlossen von 10.000 Arabern, welche Florentin unter ihm töteten. Als Aymeri merkte, daß er zur Erde befördert war, sprang er schnell auf die Füße, nahm den Schild an den Arm wie ein kühner Ritter und zerhieb ihnen mit dem stählernen Schwert Brust, Eingeweide, Leib und Gesicht. Gut verteidigte sich Aymeri der Elende. Doch ich sehe nicht, wie er überleben könnte, wenn Gott, der ans Kreuz gehängt wurde, nicht für ihn sorgt. Getötet wäre der Graf worden und nicht mehr lebend entflohen, wenn er nicht laut „Narbonne“ gerufen hätte. Aber sein Vater Aymeri hörte den Kampfruf und schrie „Narbonne“, er und seine edlen Söhne. Siehe da die vier,²⁵ die alle eilig hinsprengten. Dies waren Ernaut und Bernart mit dem blütenweißen Bart, König Guibert und Bovon von Comarchis. Meiner Treu, dort wäre Aymeri gefangen genommen worden, doch sie kamen ihm zu Hilfe mit allen ihren blankgeputzten Schwertern. Man drang massenweise auf Aymeri ein und schlug mit starken Schwertern²⁶ auf ihn ein. Nun war der Vater zusammen mit seinen fünf Söhnen;
23 Gorier M, Hs. D Gorhier, mehrere andere hsl. Varianten, vermutlich identisch mit M 120 Gorier (s. d.) und sicher mit M 5236 Gorher. 24 Ich übersetze manoier WHR, Ars, A, nicht espargnier M „schonen“. 25 Ich übersetze Es vos les .iiii. WHR, Ars, A, nicht Ovec les .IIII. M. 26 esplees M – vgl. die Anm. zu M 67.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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unter den Sarazenen wurde ein so großes Gemetzel angerichtet; doch zu viele von den verfluchten Schurken gab es da, so daß auf einen von uns gut und gerne sechs²⁷ kamen. Aymeri war in großer Bedrängnis. Siehe da Guillelme Kurznase, den Markgrafen, auf Volatile, welches dem Antichrist gehörte!²⁸ Unter den Männern entdeckte er seine Brüder und Aymeri, der sehr bedrängt wurde. Graf Guillelme war ein kühner Ritter, kräftig, stark und durchaus gewandt. Vor allen aus seinem Geschlecht genoß er Ruhm. Wen er erreichte, der war des Todes gewiß. Mit dem stählernen Schwert trieb er so die Türken²⁹ auseinander, ³⁰ bis zum Zelt Gorhers, des großen Emirs.³¹ Dort fand er Guacrant,³² das ungestüme³³ Streitroß. Graf Guillelme nahm es am Zügel; kein Heide untersagte es ihm. Er gab es ihm, der sein guter Freund war, und Aymeri sprang in den Sattel. Die Männer von Palermo schwangen³⁴ die Spieße.
27 Eine ungewöhnlich moderate Zahl, vermutlich durch Irrtum in M. WHR, Ars, A haben XXXVI. 28 qi fu a l’Antrecris M, ki fu a l’Antecris WHR, le destrier arabis Ars, qui tant iert de grant pris A. Die Zuweisung des Pferdes an den Antichrist, mit dem die Heiden gerne in Verbindung gebracht werden, hat offenbar schon manche Sänger irritiert. 29 or M wohl verlesen aus Turs (so WHR, Ars, A). 30 Einschub von WHR 5237 Tous li plus cointes est arire guenchis, von Holtus nicht vorgenommen, aber durch das si 5335 gefordert. 31 De [ci] au tres Goher a l’ampartis M, De ci k’au tref Gohir a l’Aupatris WHR, Ars, Disi qu’au tref Gohier a l’empatris A „jusqu’à la tente de Gohier, le puissant émir“ (Guidot/Subrenat); vgl. Régnier, Glossar, s. v. empatri „titre de fonction ou de dignité élevée chez les Sarrazins“. Die Präposition a wird aber nicht verständlich. WHR hat daher Großschreibung, als handle es sich um einen Namen (den aber Rasch nicht in sein Verzeichnis aufgenommen hat). So deutet auch Wolfram: Krohir von Oupatrîe (Wh. 359,4). Heinzle trennt diese Person von Grohier/Crohier – s. M 5193, weil jener Wh. 356,5 der Herrscher von Nomadjentesin genannt wird. 32 Völlig uneinheitliche handschriftliche Überlieferung. 33 ademis (zu ademetre) ist ein relativ beliebtes Reimwort mit eher unklarer Bedeutung im Einzelfall. Es kann sowohl „heruntergelassen, gesenkt“ wie „eifrig“ heißen. 34 rendis M („gaben her“) scheint verlesen aus brandis (so WHR, Ars, A).
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Übersetzung
König Sinagon war ihr Haupt und Führer. 10.000 waren es mit grünglänzenden, blitzenden Helmen. In Richtung auf das Archant verfolgten sie die Unseren. Da hob ein sehr großer Kampf an. So viele gute Schilde hättet ihr dort zerbrochen und so viele gute Halsbergen zerhauen und zerrissen sehen können. Renoart sagte: „ Ich bin sehr übel behandelt worden. Zuviel habe ich erduldet; ich glaube, entehrt zu sein. Meiner Treu, die Schlacht wird bald verloren sein. Heilige Maria, Gottesgebärerin, haltet die Schlacht auf, damit sie nicht verlorengeht, bis ich die Sarazenen besiegt habe mit meiner Stange, welche ich heftig liebe und preise. Wenn ich die Heiden nicht je zehn auf einmal töte, sollen mein Holzstück und ich durchaus entehrt sein! Monjoie!“ schrie er, „nun habe ich mich zu sehr verborgen. Wenn ich nicht Guillelme, den Markgrafen, räche,³⁵ mit Gottes Hilfe, werde ich darüber bei lebendigem Leibe verrückt.“ Er hob die Stange und hielt sie gesenkt,³⁶ und ein jeder der Versager wurde von Zorn ergriffen. Renoart trieb seine Leute nach vorne und hob seine Stange, die groß und massiv war.³⁷ Von nun an sollen sich die Leute des Antichrist in acht nehmen! Denn selbst wenn jeder von ihnen ganz aus Eisen wäre, müssen, wenn Renoart sie gut getroffen hat, die Araber fallen.
CVI. (WHR 110, Ars 110, A 106) Die Schlacht auf Aliscans war sehr groß. 5270 König Sinagon bereitete unseren Leuten große Pein. Er zog das Schwert, das hell glänzende und gut schneidende. Wen er erreichte, den konnte kein Kettenpanzer schützen. Er durchschlug ihn bis zu den Eingeweiden.
35 Ich übersetze venge WHR, Ars, A, nicht voi M „sehe“. Vermutlich ist auch nach A Guillelme durch Vivien zu ersetzen. 36 S. Anm. zu ademis 5237. 37 Wohl eine ungeschickte Versvariation zu 5261, obwohl sie auch bei WHR steht.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Renoart sah, wie sich die³⁸ Lage verschlechterte. 5275 Er hält sich³⁹ jetzt nicht für so wertvoll wie einen Heller, wenn er nicht mit seiner Stange das Kampfgetümmel zerteilen könnte.⁴⁰ Dennoch fürchtet er sehr, daß die Schlacht verloren gehen könnte.
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CVII. (WHR 111, Ars 111, A 107) Groß war die Schlacht und heftig und erbittert. Auf zweihundert Meilen hättet ihr die Hörner schallen hören können. Renoart rief die Versager. „Barone“, sagte er, „hört auf mich! Keiner von Euch ist nicht bei mir geblieben. Nun wisset wohl und gebt acht darauf, beim Herrn, der am Kreuz gemartert wurde: Dem ersten, der bei der Flucht ertappt wird, werde ich mit der Stange, die Ihr hier seht, die Seite und Weiche brechen.“ „Herr“, sagten sie, „zu Unrecht werdet Ihr so darüber reden, denn wir werden nur dorthin gehen, wo Ihr wollt, und mit den geschärften Spießen zustoßen. So viele von ihnen werden wir treffen, daß wir davon keine Schande haben werden.“ Renoart sagte: „Ihr werdet wie treffliche Männer handeln!“ Sogleich wandte er sich um und rief die Heiden an. Mit den Versagern hat er sich auf sie geworfen. Die Stange hob er, die groß und kantig war. Mit einem einzigen Schlag schlug er zwanzig nieder⁴¹ und mit einem zweiten danach weiteren dreißig das Hirn aus dem Kopf. Er behandelte sie so wie die Sichel die Wiese. Kein Heide sah es, der nicht in Bedrängnis gewesen wäre, und jeder der Versager bewährte sich und tötete mit den guten Spießen viele von jenen. Und Renoart ging als ihr Führer voran. Soweit er kam, schlug er den Heiden aufs Haupt.
38 sa M wohl verlesen aus la (so WHR, Ars, A). 39 Ich übersetze se WHR, Ars, A, nicht les M „sie (= die Heiden)“. 40 Ich übersetze S’a son tinel la presse ne parpaille WHR ~ Ars (frapaille) ~ A (eparpaille = esparpaille), nicht Prent son tinel, nela presa lo sparpayle M, was zwar italianisiert, aber trotzdem sinnlos ist. 41 creenteç M ist wohl soviel wie craventés (Holtus).
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Übersetzung
Mit Gefallenen wurde das Schlachtfeld bedeckt.⁴² Renoart sagte: „Barone, jetzt schlagt zu! Beim heiligen Dionysius, zu Unrecht werdet Ihr sie verschonen! Heute wird Vivien, der gerühmte, gerächt werden. Zu seinem Unglück hat sich der starke Deramé hier eingemischt. Wenn ich ihn erreiche, wird er rasch dem Tode überliefert.“ Als die Heiden das hörten, trieben sie ihre Pferde an. Sie hätten nicht für das Gold von zehn Städten gewartet. Selbst der Kühnste wandte sich zur Flucht. Ein Bote kam zum König von Cordoba und rief laut mit seiner hellen Stimme: „Herr Deramé, böse seid Ihr verhext!⁴³ Guillelme Kurznase hat einen Gefolgsmann, dessen Kraft nie ein sterblicher Mann besaß. Er wird Renoart mit der Stange genannt. Ein solches Holzstück trägt er – zu Eurem Unglück werdet Ihr es nicht glauben –,⁴⁴ womit ein Pferd überlastet wäre.⁴⁵ 20.000 Heiden hat er so außer Gefecht gesetzt mit seiner Stange, die vorne mit Eisen beschlagen ist. Mit einem Schlag erschlug er zehn bewaffnete Sarazenen. Bei Mahomet, lieber Herr, nun hütet Euch! Flieht, damit Ihr ihm nicht begegnet!“ Und Baudin sagte: „Schweig, verrückter Narr! Bei Mahomet, dem ich mich geweiht habe, wenn ich Guillelme Kurznase⁴⁶ erreiche, werde ich ihn tot oder gefangen Deramé ausliefern. Dann wird er mit ihm machen, was er will. Wenn ich eine Keule hätte, welche kantig⁴⁷ wäre,
42 e[n]tanchez M, arestés WHR, A „festgehalten, belegt”, aroutés „ in Bewegung gesetzt” Ars. Holtus verweist mit Fragezeichen auf entachier „beflecken“ TL 3, 544. Vgl. auch estanchier „trocken legen“ TL 3.1354. Übersetzung fraglich. 43 Derselbe Fall wie 5029. S. die Anm. dort. 44 Ich übersetze ja mar le mescrerés WHR, Ars, A, nicht ja mal hom esqereç M, das ich nicht verstehe. Holtus verweist mit Fragezeichen auf esquerre TL 3, 1272 „erforschen, durchsuchen, erproben“. 45 feroit M sicher verlesen aus seroit (so WHR, Ars, A). 46 In anderen Handschriften bilden Renoart und Guillelme das Objekt. Nur der Plural entspricht den „sie“ 5332. 47 Besser als qareç M sicher ferrés WHR, A „mit Eisen beschlagen“.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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würde ich sie mit einem einzigen Schlag töten.“ Da konnte Baudin reden, wie er wollte, doch noch vor dem Abend, wenn die Sonne sich geneigt hat, wird sich Renoart gegen ihn bewähren. Ein Kampf wird geliefert werden, daß ihr einen besseren nicht sehen werdet. Renoart hat sich aus dem Kampfgewühl abgesondert. Sarazenen und Slawen trieb er zu Paaren und hörte damit nicht auf, bis er zu ihren Schiffen kam. Dort war die Schlacht sehr heftig und erbittert, doch Renoart unterließ es nicht, ihre Masten zu zerhauen und ihre Schiffe zu zerstören, und ihre Lastkähne zu zertrümmern und zu zerschlagen. Im Meer stützte er seine Stange auf, benutzte sie zum Aufsteigen und kam damit sehr gut ans Ziel. Renoart war leichtfüßig und voll Energie; ganze fünfundzwanzig Fuß – wohlgemessen – sprang er hoch. In einem Lastkahn, dessen Mast gebrochen war,⁴⁸ waren Graf Bertram gefangen und Guielin und der schöne, bewaffnete Guichart.⁴⁹ Auf diesen Lastkahn gelangte Renoart. Da drinnen fand er fünfzig Türken. Mit seiner Stange nahm er ihnen so die Beichte ab, daß selbst der Kräftigste so übel zugerichtet wurde, daß er seinen ganzen Leib und die Glieder zerschmetterte. Er stieg zu einem Gitterverschlag auf dem Oberdeck hinauf.⁵⁰ Bertram fand er dort, der in Ketten lag und angekettet mit Eisen an den Füßen. Er hatte die Hände eng gefesselt
48 Ich übersetze quassés WHR, Ars, A, nicht dorez M „vergoldet“. 49 In M fehlen drei Verse mit den restlichen Gefangenen Gaudin, Hunaus, Gautier und Gerart. Diesen hat der Sänger offenbar mit Guichart 5350 gleichgesetzt und ihm deshalb den Beinamen „der schöne, bewaffnete“, den Gerart drei Zeilen später trug, beigelegt und den Text dazwischen ausgelassen. Eventuell ist der Fehler auch einem Schreiber passiert, obwohl der Name mitten in der Zeile steht. 50 Sor un cler est Renoars montez M (nach andern Hss. korrigiert von Holtus). un cloier ist nach Régnier (Glossar) ein Bestandteil der Schiffsbrücke aus Gittern, nach Guidot/Subrenat das mit einem Gitter abgesperrte Zwischendeck. Allerdings hätte Renoart da hinunter, nicht hinaufsteigen müssen. Bei Wolfram sind die Gefangenen im Kielraum (sentîn Wh. 415,9) eingesperrt. Doch ist die ganze Szene umgestaltet.
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Übersetzung
5360 und beide Augen verbunden.
Vor ihm tauchte Renoart auf, zum Schlag bereit. Schon hätte er ihn getötet, doch er überlegte, daß doch kein Gefangener von ihm angerührt werden sollte. Vor Bertram stand der Held still 5365 und fragte ihn: „Freund, woher stammst du?“ Bertram, der ganz erschrocken war, antwortete: „Herr, aus Frankreich; ich bin ein Neffe von Guillelme Kurznase. Die Heiden haben mich gefangen, vier Monate ist es her. So wenig bekam ich zu essen, daß ich vom Hunger ganz aufgebläht bin. 5370 Nun soll ich nach Ägypten⁵¹ geführt werden, dort werde ich in den Kerker geworfen werden. O Gott, daß ich festgesetzt und eingesperrt sein werde!⁵² Von dort werde ich keinen Tag in meinem Leben mehr herauskommen! Hilfe werde ich von keiner Macht erhalten, 5375 sondern sterben in Leid und Erniedrigung. Gott kümmere sich um die Seele, wenn der Leib ein Ende gefunden hat! Ein Edelmann bin ich, habt Mitleid mit mir!“ Renoart sagte: „Ihr werdet gleich befreit sein, nur um Guillelmes willen, auf den Ihr Euch berufen habt.“ CVIII. (WHR 112, Ars 112, A 108) 5380 Als Renoart Bertram sagen gehört hatte,
daß er ein Neffe des kampftüchtigen Guillelme sei, begab er sich rasch nach vorn, machte von seinem Hals das Eisen ab, nahm die Schlösser der Fußeisen weg, 5385 band die beiden Hände hinter dem Rücken los und löste rasch die Binde von seinen schönen Augen. Der Paladin sprang auf die Beine. Vor sich hatte er Waffen nach seinem Verlangen. Schnell zog er einen Kettenpanzer an, 5390 gürtete ein Schwert um, das er neben sich hängen sah.⁵³
51 Aietre M (sonst in M Aierte, Ariete), Arrabe WHR, Ars, A, Hs. B1 Egipte. Siehe M 7186. 52 Besser wohl der Konditionalsatz, verbunden mit dem Folgenden, in WHR, Ars. 53 Der Text ist hier ganz unklar. WHR, Ars haben statt dieses Verses drei andere, die Helm und Schwert erwähnen. Beide werden in A, wo auch nur 1 Vers statt der beiden erscheint, nicht genannt. In allen drei Versionen sieht Bertram aber etwas (in A den Kettenpanzer) vor
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Renoart sagte, „Wohl zeigt es sich, daß Ihr aus einer kampfstarken Familie hervorgegangen seid.“ Bertram sagte: „Wenn ich jetzt ein Streitroß hätte, wäre ich begierig, meinen Onkel zu sehen.⁵⁴ Euch sei Dank, große Liebe habt Ihr an mir geübt. Wenn nun die Jünglinge befreit würden, welche zu ihrem Leidwesen neben dem⁵⁵ Mast gefangen sind, würde ich Euch nie mehr in meinem Leben verlassen.“ Er hörte es und lief sogleich. Die Jünglinge fand er bitterlich weinend. Der eine klagte heftig dem anderen sein Leid.⁵⁶ Fünfzig Nubier bewachten sie jetzt – Gott verfluche sie – und mißhandelten⁵⁷ sie. Mit großen Riemen schlugen sie sie oft, daß das Blut ihnen aus dem Leibe rann. Kein Wort richtete Renoart an sie,⁵⁸ sondern schlug sie mit seiner Stange alle aufs Haupt und schleuderte sie alle ins Meer. Renoart sagte: „Nehmt ein angenehmes Bad! Und wären doch dort gleich alle Erben Tervagants!“⁵⁹ Die Jünglinge befreite er ganz rasch. Alle zusammen setze er aus einem Lastkahn ans Land.
sich hängen. Das habe ich hier übernommen, da ich mit Ceint une spee qe lez lui vint pendant M nichts anfangen kann. Holtus (Glossar) erwägt mit Fragezeichen venir mitunter auch mit „diventare“ zu übersetzen. Ich möchte aber die folgende Wiedergabe nicht riskieren: „Er gürtete ein Schwert um, das ab nun an ihm hing (= hängend wurde).“ 54 5393f. gehen die Hss. stark auseinander. Mit M stimmt nur WHR halbwegs überein, hat aber D’aidier „zu helfen“ statt De veoir. Diese beiden Verse gehören offenbar erst an spätere Stelle, wo sie in WHR 5429f. auch wörtlich, in M aber nur sinngemäß in einem Vers 5425 wiederholt werden. 55 Ich übersetze cel WHR, A, nicht ses M. 56 Ich übersetze dementant WHR, Ars ~ A, nicht delosant M. delosant verschrieben aus desolant? Doch auch dieses erscheint in TL nicht, sondern nur desolé „vereinsamt, trostlos“ (2, 1662). 57 Ich übersetze vont WHR, Ars, nicht voient M, lasse aber die Umschreibung mit aller wie meist in der Übersetzung unbeachtet. 58 Ich füge die in M gegenüber den anderen Hss. ausgefallene Negation wieder ein. 59 Tervegnant M, übrige Hss. Tervagant. Nach Holtus ein Sarazene, nach Rasch ein heidnischer Gott, als den ihn auch Wolfram auffaßt. Vgl. Heinzle, Komm. z. Wh. 11,16. In Laisse 130 in den Hss. ACDEF werden WHR 6115 die Götter Mahon et Tervagant angerufen.
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Übersetzung
An dem Ufer⁶⁰ fand er so viele Heiden, daß von ihnen die Hügel und Hänge, der Strand und das ganze Archant bedeckt waren. Auf ihn stürzten sich Sarazenen und Perser, und Renoart erschlug sie alle mit seiner Stange, die ein Gewicht hatte, daß niemand es sagen kann, auch kein Spielmann in seinem Gesang. An Erschlagenen lagen so viele herum, daß man zwischen ihnen nicht vorwärtskommen konnte. Renoart sagte: „Wappnet Euch, liebe Jünglinge! Seht hier Waffen, nehmt davon nach Wunsch!“ Girart rüstete sich und alle anderen auf der Stelle. Und Bertram sagte: „ Wenn wir doch beritten wären!“ Renoart sagte: „Nun wartet einen Augenblick! Meiner Treu, Ihr werdet gleich ein schnelles (Pferd)⁶¹ haben und alle anderen, ein jeder nach seinem Wunsch!“ Vor ihm tauchte ein Heide auf, der schnell ritt. Gut gerüstet war er mit einer Halsberge aus Panzerringen. Auf seinem Kopf hatte er einen leuchtenden Helm und an seinem Hals einen elfenbeinverzierten Schild. In seiner Hand trug er ein schneidendes Schwert. Er ließ das Pferd laufen und wollte Elimant⁶² erschlagen. Alle Waffen nutzten diesem gar nichts. Tot warf er ihn von dem Streitroß. Renoart hob die starke, schwere Stange und traf ihn im Vorüberreiten mitten auf seinen Helm. Von keiner Waffe konnte er da irgendeinen Schutz bekommen. Bis zum Sattel schlug er ihn ganz nieder und brach das ganze Rückgrat⁶³ des Pferdes. Alles vernichtete er auf einen Streich. Mit dem zweiten Schlag tötete er hier Macudant,
60 Ich übersetze la rive WHR, Ars, A, nicht la mere M. Oder ist mere nach italienisch mare umgeformt, wie offenbar Holtus (Glossar) annimmt? 61 ja n’aurez un corant M. Die Setzung des Apostrophs stammt vom Herausgeber. Es ist aber gewiß die von WHR und A (gegen Ars) ja’n aurez vorzuziehen. Das fehlende Substantivobjekt hatte sich im ursprünglichen Text aus dem Zusammenhang ergeben, denn hier stand einmal 5393f. (s. dort). 62 Elmant M, Ars, Elinant WHR, A. Vermutlich dieselbe Person wie M 2095. 63 l’escrie M wohl verschrieben für l’eschine (so WHR, Ars, A).
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Samuel, Saumul und Samuant.⁶⁴ Die Pferde kamen nicht mit dem Leben davon. „Wahrlich“, sagte Bertram, „wenn Ihr so weiter schlagt, werden wir in unserem ganzen Leben keine Pferde bekommen.“ Renoart sagte: „Ihr habt es sehr eilig. Anders vermag ich es nicht, bei Gott, Herr Bertram. Die Stange ist schwer und das Holzstück⁶⁵ sehr groß. Gleich werdet Ihr eines bekommen. Jetzt habt Geduld. Hier sehe ich einen von den Türken auf einem Schecken. Sehr schnell reitet er, seht, mit welchem Lärm er kommt!“ Siehe da, wie in diesem Augenblick ein Türke heransprengte und mit seinem Spieß Milon⁶⁶ aufschlitzte. Renoart sagte: „Zu weit bist zu vorgedrungen. Du hast meine Leute getötet, wovon mir mein Herz wehtut.“ Seinen Stock hob er in sehr großem Unmut empor. Der Heide wandte sich nicht so rasch um, daß er ihn nicht zuvor mit der Stange getroffen hätte. Von keiner Waffe konnte er da irgendeinen Schutz bekommen.⁶⁷ Wie ein Blitz sauste die Stange laut herab; bis zur Erde ging der Schlag hinunter und vernichtete alles auf einen Streich. „Gott“, sagte Bertram, „ich halte mich zu sehr auf. Ich werde kein Pferd bekommen, auf das ich warte,⁶⁸ denn gegen deine Schläge bietet keine Waffe Schutz.“
64 Macudant E Samuel et Saumul et Samuant M, Malquidant Et Samuel, Samul et Salmuant WHR, Ars, Malquidant Et Samuel, Banurs et Samiant A, Faburen und Samirant, Samuelen und Oukidant Wolfram; andere Hss. noch andere Formen. Wh. 413, 27f. Oukidant < *(M)auquidant ist wohl ein Hörfehler. Fabur entspricht genau der Lesart Fabur in Hs. F. 65 Besser wäre sicher cop „Schläge“ WHR, Ars, A, als fust M. 66 Ich halte das unverständliche Il in vait a son esplee trençant M für verlesen aus Milun vait etc. Vgl. Milon ocist a son espiel trechant WHR, Ars, A. Allerdings muß man auch Holtus’ Vorschlag Il l’invaït in Erwägung ziehen. Wolfram scheint an dieser Stelle Milon vorgefunden zu haben, wie der Zusammenhang Wh. 413,8–414,3 erweist. 67 Hier dürfte eine wörtliche Wiederholung von 5439 beabsichtigt gewesen sein. Die scheinbare Variation von mal arme statt nul arme = nule arme WHR, Ars, A ist daher eher eine Verlesung. 68 Der Text in M scheint durch den vermutlich fehlerhaften Ersatz der Reimwörter 5465f. verderbt: trop me vo[i]s delivrant; / N’auray cival, por qoi vo[i]s delaiant. Hier müßte vois einmal 2. P. Präs. („du lieferst mir zu viel“), einmal 1. P. Präs. von aler sein. Ich übersetze daher WHR, Ars, A trop me vois delaiant; / N’avrai ceval, por quoi vois atendant.
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Übersetzung
Renoart sagte: „Es ist mir sehr unangenehm, daß meine Schläge nicht viel schwächer werden. 5470 Herr Bertram, wundere dich nicht darüber! Groß ist das Holzstück und vorne sehr schwer. Wenn ich beim Heben zum Schlag maßgenommen habe, geht er mit großer Wucht abwärts, so daß ich ihn überhaupt nicht zurückhalten kann.“ 5475 Bertram sagte: „Herr, so schlagt, indem Ihr stoßt! So werdet Ihr Eure Schläge mehr abstimmen.“⁶⁹ Renoart sagte: „Nun werde ich besser werden. Von nun an werde ich meine Schläge sanfter machen.“
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CIX. (WHR 113, Ars 113, A 109) Bertram sagte: „Herr, nachdem du uns befreit hast, hilf uns, bis wir beritten sind. Graf Guillelme wird Euch großen Dank wissen.“ Renoart sagte: „Gerne, im Namen Gottes! Gleich werdet Ihr welche haben nach Eurem Wunsche und alle diese anderen. Die Absicht wird nicht mehr aufgegeben.“ Aus großem Unmut hob er seine Stange in die Höhe, nahm mit beiden Händen Maß und zielte einem König mitten auf den Helm.⁷⁰ Dieser hatte seinen Leib ganz ausnehmend gut bewaffnet, und Renoart traf ihn so mit dem Holzstück mitten auf den Helm, welchen er mit Gold verziert hatte, daß alle seine Waffen geringen Bestand hatten. Bis zum Sattel hieb er ihn in Stücke und das Pferd sofort mitten durch.⁷¹ „Wahrlich“, sagte Bertram, „nun weiß ich wahrhaftig, daß du, Herr Renoart, in Haß gegen uns entbrannt bist. Durch dich werden wir da weder geschützt noch verteidigt.“ Renoart sagte: „Ich tue es nicht mit Absicht,
69 asentant M, asantant A „spürend, treffend“ fraglich. Besser wohl alentant „verlangsamend“ WHR. 70 In anderen Hss. wird der Name des Königs genannt: Morinde. 71 In M fehlen die folgenden 28 Verse, WHR 5496–5524 ~ Ars, A, mit zwei ganz ähnlich gestalteten Hieben Renoarts. Der Ausfall könnte auf Zeilensprung des Schreibers, aber auch auf Gedächtnisausfall beim Sänger, aber auch auf bewußte Kürzung der endlosen Reihe der Wiederholungen zurückgehen.
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Herr Bertram, denn man hätte mich daran erinnern sollen. Ich bin das Stoßen nicht gewöhnt. Wer das vergißt, was er nicht geübt hat, muß mit gutem Recht Verzeihung erlangen. Nunmehr werde ich stoßen, daß es Euch zupaß kommt.“ Er nahm seine Stange, schüttelte sie ein wenig, stieß das dünnere Ende unter die Achsel und wendete das dickere nach vorne. Siehe da, wie in dem Augenblick der Emir Estelé⁷² uns einen Ritter zu Tode brachte, und dieser war ein Mann des stahlharten Renoart. Noch ehe er sein geflecktes Pferd herumgerissen hatte, stieß ihn Renoart mit seiner Stange, brach und spaltete ihm den Schild, zerriß und zerfetzte seine Halsberge, riß ihm die Seite auf, brach ihm das Herz und warf ihn tot von seinem guten Pferd herunter. Er nahm es am Zügel und übergab es Bertram. Renoart sagte: „Kommt dies Euch zupaß?“ „Ja, wahrlich, Herr, es ist gut und gern eine Stadt wert.“ Bertram, der es sich sehr gewünscht hatte, stieg auf, nahm dann dem wahnwitzigen Sarazenen den Schild sowie die Lanze, welche ein vierkantiges Eisen hatte. Mit einem Heiden ritt er sogleich eine Tjoste, spaltete ihm den Schild, ruinierte ihm die Halsberge, warf ihn tot herab, gewann das Pferd und übergab es seinem Cousin Girart. Und dieser stieg auf mit Hilfe eines emailierten Steigbügels. Rasch gewann er sich wieder ein Schwert und einen Schild, und Renoart bedrängte so viele Heiden, daß er mit einem Stoß drei Pferde eroberte. ⁷³ Noch waren zwei von jenen zu Fuß unterwegs. Aber Renoart vergaß keinen, sondern stieß einen Heiden so, daß er ihn am Kopf traf.
72 Estelé M, A, Estiflé WHR, Ars, F, B1, weitere Lesarten in anderen Hss. 73 Einschub von WHR 5564 Troi des enfans i sont molt tost monté. Läßt man ihn weg, wie Holtus, bleibt im Handlungsgang doch eine empfindliche Lücke.
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Übersetzung
Mit einem zweiten Stoß warf er drei zur Erde. Sie nahmen die Pferde, die Apfelschimmel waren. Nun werden froh und beruhigt.⁷⁴ 5535 Nun waren alle sieben Cousins vereint und dankten Renoart sehr innig, daß sie durch ihn aus dem Gefängnis entkommen waren. Nun werden es die ungläubigen Sarazenen erfahren, ob Kraft und Tapferkeit in ihnen ist. 5540 Sie ließen da die Zügel schießen, und die Heiden brüllten. Mehr als eine Bogenschußweite zogen sie sich zurück.⁷⁵ CX. (WHR 114, Ars 114, A 110) Auf Aliscans gab es eine sehr große Schlacht. Die Heiden jaulten und heulten wie junge Hunde, und Renoart rief mit lauter Stimme 5545 zu den sieben Jünglingen, welche er eben aus der Gefangenschaft geholt hatte: „Nun auf zu vortrefflichen Taten“, sagte er, „adelige Söhne! Sucht Guillelme und Girart, Bovons Sohn.⁷⁶ Wenn sie mich bei sich zum Gefährten hätten, würden sie zu Unrecht Türken oder Slawen fürchten.“⁷⁷ 5550 Auf dieses Wort hob er den Stock in die Höhe und prügelte damit wahllos auf das große Kämpferknäuel und richtete unter den Sarazenen so ein Gemetzel an, daß das Blut aus den Leibern bis zur Ferse austrat.⁷⁸
74 Ich ergänze Or en auront baut et aseüré M, das eine unmögliche syntaktische Konstruktion enthält, nach WHR 5569 und 5571Or en avront li enfant a plenté […] E cil monterent baut et aseüré (~ Ars, A). Der Vers 5570 dazwischen mit der Übergabe der Pferde scheint entbehrlich. Holtus weist zwar auf die Kompilation hin, ergänzt aber nichts. 75 Plus d’un arcie les unt areculé M, Plus d’une archee ont paiens reculé WHR, A. In M scheint areculer für reculer (wie abaloyer für baloyer – vgl. afrz. baillier) verwendet zu werden, hier allerdings ungewöhnlicherweise transitiv, so daß ich die andere Version vorziehe. 76 Girard, li Bovon M, Bernart e Buevon WHR, Ars, A. Da laut 2919 Girart der Sohn des Bovon ist, wird li hier wohl wie oft soviel wie le sein und fil vertreten. 77 Man muß wohl nach den anderen Hss. doteroient für doteront einsetzen, da der Vers zu kurz ist. Viel Sinn gibt der irreale Konditionalsatz aber nicht. 78 Ou sanc dou cors fierent jusqu’a talon M „Im Blut des Körpers hieben sie bis zur Ferse (?)“, Li sans des cors ist de chi au talon WHR „Das Blut trat aus den Körpern bis zur Ferse aus“, De san des cors vont dusqes au talon Ars „Sie (wer?) gingen bis zur Ferse im (?) Körperblut“; Vers fehlt A. Wenn talon „Ferse“ das ursprüngliche Reimwort gewesen sein soll, ist diese für die
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Und er tötete und warf sie nieder auf den Sand, wie ein Zimmermann Kleinholz macht. Mit jedem Schlag ließ er sieben oder acht aus Mahomets Volk die Sättel räumen. So viele von ihnen tötete er, daß man sich nur wundern kann. Die Heiden flohen ihn wie die Lerche den Falken. Laut schrien sie: „Helft, Herr Mahomet!“ Renoart sagte: „So ausgeführte Schläge sind sehr gut. Das Stoßen würde nie eine solche Menge erreichen und ich würde mit einem Schlag nur einen verräterischen Türken töten. Ich würde meiner Stange nicht den Wert eines Knopfs zusprechen, [und meiner Kraft den Wert des Viertels eines Sporns und meiner großen Nase nicht einmal, was ein Stück Schweinefleisch wert ist.]⁷⁹ Aber zumindest sechs auf einen Streich, das ist sehr gut, [und siebzehn und zehn, wenn wir uns anstrengen. Wenn es anders ist, preise ich meinen Stock keineswegs.“]⁸⁰ Bertram vernahm es und sprach zu Guion: „Habt Ihr Renoart, den Helden, gehört? Ein so geartetes Wort hat nie ein einzelner Mann gesprochen. Gott, der zu leiden kam,⁸¹ behüte ihn! Sucht Guillelme, und verkünden wir ihm, daß wir, wenn er stirbt, großen Schaden davon haben werden.“ Sogleich begaben sie sich mit Einsatz der Sporen weg. Wen sie erreichten, forderten sie nicht auf, Lösegeld zu zahlen, sondern hieben ihm den Kopf unter dem Kinn ab. Oft schrien sie den Schlachtruf Karls „Monjoie!“ und töteten die Heiden zuhauf und in Menge.
Höhe des Blutes kaum geeignet. Man würde „Knöchel“ erwarten. Somit erscheint die Fassung von WHR noch am ehesten möglich. Es wäre dann wohl gemeint: Das Blut trat aus dem ganzen Körper aus. 79 5565f. De ma force lo qarter d’un esperon / Ne mon granç né que un por de braon stehen nur in M, sind offenbar spät zugesetzt und teilweise verderbt. Die Übersetzung ist fraglich. Es scheint die hyperbolische Entwertung der Schläge fortgesetzt zu werden. Sowohl der Zierknopf als auch der Sporn sind Ausdrücke für wertlose Kleinigkeiten. De 5565 muß aber wohl in Ne oder Et geändert werden. 5566 bleibt aber unklar, auch wenn man de por(c) un braon konjiziert. 80 Auch 5568f. sind wieder unnötiger repetierender Zusatz in M. Der Vers davor, 5567, hat in den anderen Hss. eine vage Entsprechung. 81 Ich bessere vient in vint, denn vint statt vient begegnet in M häufig. Die anderen Hss. weichen stark ab.
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Übersetzung
Vor ihrem Schwert konnte sich keiner bewahren. Die Hörner erschollen und gaben einen sehr lauten Ton. Türken und Perser jaulten wie die jungen Hunde. Solchen Lärm und so großes Geheul machten sie 5585 und die Pferde ein so wildes Gewieher, daß das ganze Archant im Umkreis davon erklang. Man konnte es zwei gute Meilen weit hören.
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CXI. (WHR 115, Ars 115, A 111) Schön war der Tag, und die Sonne schien hell, und die Schlacht verbreitete großen Schrecken. An zweihundert Stellen⁸² hättet ihr den Kampf sehen⁸³ können, sehr lautes Rufen von Kampfparolen, Heulen und Brüllen des Heidenvolks – und diese waren nicht in der Lage, vor jenen auszuweichen.⁸⁴ Nun hättet ihr sehen können, wie sie sehr harte Schläge verteilten, mit den stählernen Schwertern hieben und stritten, dort Köpfe und Arme abtrennten, sie ihre Eingeweide am Boden schleifen ließen, einen Toten auf den anderen warfen und kippten, wie Pferde flohen und Zügel nachschleppten und auf der Erde das Blut aus den Körpern gerann. Wer dort fiel, konnte sich nie mehr erheben. Der Graf Bertram ließ das Pferd laufen, schwang die Lanze mit dem Eisen aus Übersee und traf Aquin⁸⁵ im Zweikampf. Er spaltete seinen Schild, ruinierte seine Halsberge,
82 Ich übersetze En .cc. lieus WHR, Ars, A, nicht En .CC. leues M „auf 200 Meilen“. Oder soll man eine solche Hyperbel für möglich halten? 83 Sinnvoller wäre angesichts des Folgenden oïssiez „hättet hören können“, wie es in A (und in Hs. D) steht. 84 E cil vers aus ne s’osent eschiver M, Et cil vers els nes deignent eschiuer WHR, A „Les chrétiens, por leur part, ne daignent pas les éviter“ (Guidot/Subrenat), Et cil vers els nes vuelent deporter Ars „Who are themselves in no mood to be meek“ (Newth). Die Übersetzung von M ist problematisch, denn M hat den Vers vorher ausgelassen, welcher das Gemetzel der Heiden unter den Christen beschreibt, so daß diese 5593 nicht gemeint sein können. Es ist ja weit sinnvoller, wenn sich dieser und die folgenden Verse auf die Christen als Akteure beziehen. oser hat hier dann wohl die seltene Bedeutung „imstande sein“ (TL 6, 1337). 85 Leyquin M – zu den Namensformen vgl. die Einleitung.
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ließ ihm Eisen und Holz durch den Körper gehen, warf ihn tot herab und erlaubte ihm kein Wort mehr. Die sieben Cousins sind wieder zum Zweikampf geritten und warfen sieben schwarze Heiden tot zu Boden. Sie benahmen sich durchaus wie gute Ritter und zwangen mit ihren stählernen Schwertern die Türken, sich zurückzuziehen.⁸⁶ Vor ihren Schlägen konnte keine Waffe bestehen. Das ganze Knäuel trieben sie auseinander und lösten es auf. So weit ritten die jungen Leute, um Guillelme zu suchen, daß sie ihn oberhalb des Meeres fanden. Wohl erkannten sie ihn am Austeilen harter Schläge, an der großen Statur und am wilden Aussehen. „Gott“, sagte der Graf Bertram, „nun sehe ich, was ich ersehnt habe. Onkel Guillelme, hier kommt, Euch aufzusuchen, einer, der nie müde werden kann, Euch zu dienen. Ich bin Bertram, der ich mich sehr abmühe, aus Liebe zu Euch den Heiden zuzusetzen. Uns alle, Herr, hat aus dem Gefängnis befreit der mit der Stange, der so lobenswert ist. Ich habe ihn einmal Renoart nennen hören. Ich habe einen Menschen von seiner Kraft⁸⁷ nie reden gehört. Kein Sarazene oder Slawe getraut sich, ihn zu erwarten, kein Türke oder Perser sich ihm zuzuwenden.“ Und Guillelme sagte: „Jesus möge⁸⁸ ihn retten! Lieber Neffe Bertram, jetzt ist keine Zeit zu reden. Seht, wie die Heiden ganz Aliscans bevölkern und diese Täler und Hügel auffüllen. Die leibhaftigen Teufel haben sie zusammengebracht. Wenn Gott sich nicht darum kümmert, können wir hier nicht bestehen.“ Bei diesem Wort griffen beide gemeinsam in den Kampf ein. Es tat not, und sie trugen Sorge, nicht zu säumen, denn die Sarazenen hörten nicht auf, sich zu versammeln. Deramé ließ dreißig Trompeten erschallen, dreißig Posaunen und dreißig Hörner erschallen,
86 Ich übersetze remüer WHR, Ars, nicht delivrer M „befreien; ledig werden“. 87 Gemeint ist „von einer solchen Kraft wie der seinigen“, eine Apposition zu „Mensch“. 88 Ich übersetze puist WHR, Ars, A, nicht puet M „kann“.
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Übersetzung
5640 tausend Tuben und tausend Trommeln erschallen.⁸⁹
(und dadurch) die Barken und Schiffe am Ufer schwanken.⁹⁰ Seit Gott⁹¹ Adam aus Erde formen wollte, hat man nie eine Schlacht gesehen, die so furchterregend gewesen wäre. Wenn derjenige sich nicht darum kümmert, welcher sich martern ließ 5645 am Kreuz, um sein Volk zu retten, so haben die Franzosen zu ihrem Unheil diesen Tag heraufkommen sehen. Meiner Treu, kein Fuß hätte mehr weggehen können,⁹² wenn Gott nicht wäre und Renoart, der Held. CXII. (WHR 116, Ars 116, A 112) Groß war der Lärm des Heidenvolkes. 5650 Graf Guillelme focht dort tapfer, sowie Aymeri und seine Söhne⁹³ ebenso. Sie griffen in immer neuem Anlauf die Heiden an und gaben ihnen Geschenke mit dem stählernen Schwert. Aber die Sarazenen kamen dicht gedrängt – 5655 nie sah ein Mensch ein so großes Volk. Siehe da einen König, Margot von Occident:⁹⁴ Einen solchen Schurken gab es bis in den Orient nicht. Er besaß das Territorium um die Türme von Orquase⁹⁵ über⁹⁶ dem Abgrund, wo die Winde verweilen. 5660 Dort, sagt man, steigt Luzifer hinab. Jenseits dieses Reiches wohnt niemand mehr
89 M hat hier dreimal soner, während die andern Hss. variieren. 90 Ich übersetze croller WHR für das unverständliche doler M. Es erscheint mir auch besser als voler Ars „fliegen“. Die Zeile fehlt in A, dafür die vorausgehende in M. 91 M läßt hier versehentlich das Subjekt aus. 92 Die seltsame Wendung steht nur in M: n’en poüst piez aller gegenüber n’en peüst uns torner WHR ~ Ars ~ A „keiner hätte mehr weggehen können“. 93 li fil M wohl verschrieben für et si fil. So WHR, Ars ~ A. 94 Morgot de Occident M, Margot de Bocident WHR, Ars, A; vermutlich identisch mit Margot de Maufondee 5100. Wolfram: Margot von Bozzidant. Die Identifikation mit der mazedonischen Festung Buc(h)inat/Bofinat ist fraglich (Heinzle, Komm. zum Wh.). 95 Orqase M, Arcaise WHR, Ars, Orcoise A, Orcaise Hs. D, nach Rasch Arkadien in Griechenland. Es ist aber eine Region am Ende der Welt gemeint. 96 Ich übersetze Desor WHR, obwohl M seine Lesart De soç „unterhalb“ mit Ars, A3, C teilt (Desc’a A), da Luzifer dort nur von oben hinabsteigen kann.
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außer den Sagetairs und ebenso den Nuitons⁹⁷. Nie gab es dort auch nur ein einziges Getreidekorn. Sie leben von Gewürzen, von Duft und Balsam. Von dort weg existiert der große Baum, der sich spaltet zweimal im Jahr, um sich zu erneuern. Margot kam dorthin voll großer Wut. Er hatte kein Streitroß, sondern er ritt ein Rind, welches er nicht für tausend Pfund Silber hergegeben hätte. Jener und dieses waren schwarz wie Tinte. Schneller lief das Rind⁹⁸ als ein Wagen, der herabrollt. Ganz war es bedeckt mit orientalischem Pfellel, weiß wie Schnee, kunstvoll durchbrochen. Elegant erschien das Schwarze zwischen dem Weißen.⁹⁹ Alle seine Hufschläge ließen Funken sprühen.¹⁰⁰ Er trug einen Morgenstern, dessen Kugel aus Auripigment¹⁰¹ war und der ganze Griff ebenso und die Kette, woran die Kugel hing. Einen ganzen Fuß war sie dick und festgeklopft.¹⁰² So war er bedeckt, daß er keine Waffe fürchtete, denn eingehüllt war er in eine Schlangenhaut.¹⁰³ Unter den Franzosen bewegte er sich voll Ingrimm und richtete unter Guillelmes Leuten ein großes Gemetzel an. Er tötete von ihnen so viele, wie es ihm in den Sinn kam. „Gott“, sagte Guillelme, „allmächtiger Vater, Wie böse bedrängt mich dieser Teufel!¹⁰⁴ Wenn er lange lebt, wird es unser Ende sein.“
97 Fernöstliche Völker vom Ende der Welt. Die Sagetairs (Saeters M) = Sagittarii „Bogenschützen“ sind eine mittelalterliche Bezeichnung der Kentauren. Die Nuitons, Noitons erscheinen auch als als Luitons, Luituns, Luntuns etc. (sonst eher bekannt als Hausgeister, Kobolde etc.). Ursprung wohl Neptunus. Vgl. Marin 1993, S. 126. 98 Ich übersetze l’ewe/l’ive WHR, A, nicht terre M. Holtus markiert die Phrase nicht. terre kann aber weder Subjekt noch innerer Akkusativ zu corre sein wie etwa voie. 99 M ersetzt es sinnwidrig durch Rot. Vgl. 5670. 100 Überlieferung einheitlich, Übersetzung fraglich. 101 Ein Arsenschwefelmetall. 102 dochee fermement M, lee durement WHR, unklar; andere Hss. stark abweichend. 103 Es fehlen hier nun in M zwei Verse, die Margots vergebliche Suche nach Renoart erzählen. 104 Cum est maufeç me meine malement M „Was für ein Teufel ist das, der mich übel traktiert (?)“, Com cis diables nous maine malement WHR, Ars.
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Übersetzung
Er spornte sein Pferd, kam zu ihm voll Ingrimm und schlug auf ihn sehr heftig mit seinem stählernen Schwert mitten auf seinen Helm. Doch es nützte ihm nichts, denn jener fürchtete keine Waffe auch nur ein bißchen. „Schurke“, sagte Margot, „dein Tod ist da. Von deinem Gott wird es keine Hilfe geben!“ Er hob den Morgenstern und streckte ihn empor. Graf Guillelme floh davor hundertzwanzig Fuß Landes weit. Kein Wunder, daß er nicht auf den Schlag wartete, denn der Morgenstern wog soviel wie ein Scheffel Getreide. Ihn hob Margot, der nicht langsam ritt – vielmehr ritt er schneller als ein Wagen, der herabrollt, denn das Rind lief kraftvoll, und er war voll kühnen Mutes.¹⁰⁵ Guillelme wäre es, glaube ich, sehr schlecht ergangen, wenn nicht Renoart zuvorgekommen wäre. Den Grafen sah er; es tat ihm im Herzen sehr weh, daß dieser Teufel ihn so schändlich bedrängte. Vor Schmerz wird er sterben, wenn er ihn nicht rächt. Laut schrie er: „Böser, stinkender Verräter! Zu deinem Unglück hast du ihn verfolgt, beim Leib des hl. Clemens!“ Seinen Stock hob er in sehr wildem Unmut.¹⁰⁶ Vom Hochheben badete er den ganzen Körper in Schweiß. Margot schlug er so schrecklich, daß er ihm den Helm, der aus Elefantenhaut war, zerschmetterte, Er war für ihn keine halbe Byzantinermünze wert. Zur Gänze brach, zerstörte und spaltete er ihn, daß das Hirn ihm ganz herausspritzte. Keine Waffe konnte ihm Schutz bieten. Der Schlag war brutal und bis unten durchdringend und zerschmetterte sowohl ihn als auch das Rind. Renoart sagte: „Nun hast du, was dir gebührt. Sehr töricht ist, wer es mit mir aufnimmt.“ „Wahrlich“, sagte Guillelme, „solche Schläge sind sehr hübsch. Herr Renoart, tausend Dank sage ich Euch, weil er, glaube ich, mich getötet hätte,
105 M geht in 5699–5701 eigene, wenig glückliche Wege. 5699 ist leichte Variation von 5671. 106 por mult mal fier talent M, par molt grant maltalent WHR, Ars, A.
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Gott und Ihr mich aber an ihm gerächt habt.“ 5725 Renoart sagte: „Kommt nur ungefährdet herbei! Tot sind die Heiden und der Qual überliefert. Ich werde weder Brüder noch Eltern schonen. Margot von Occident war mein Cousin.“ Er beugte sich zu dem Morgenstern hinunter und nahm ihn auf. 5730 Er gefiel ihm nicht,¹⁰⁷ und er warf ihn hundertzwanzig Fuß weit, ¹⁰⁸ denn der Morgenstern wog sehr schwer. Die Heiden sahen es und schrien heftig: „Herr Mahomet, kommt unserem Volk zu Hilfe!“ CXIII. (WHR 118, Ars 118, A 114)¹⁰⁹ Groß war die Schlacht, und lange dauerte sie an. 5735 Die Heiden brachten die Franzosen sehr in Bedrängnis. Doch die Franzosen haben so viele Heiden getötet, so viele erschlagen, daß man sie nicht zählen kann.¹¹⁰ Gleichwohl waren dort so viele versammelt, daß auf einen von uns noch zwanzig Teufel kamen. 5740 Alsbald wären alle so außer Gefecht gesetzt worden, doch Renoart hielt seine Stange in die Höhe. Mitten im Kampfgewühl hat er so große Schläge verteilt, daß er jeden, den er erreichte, rasch in ewigen Schlaf versetzte. Mit vier Schlägen hat er so viele von ihnen getötet, 5745 daß er sie niedermähte wie eine Sichel das Gras. Mehr als hundertzwanzig Fuß zogen sich die Heiden zurück. Keinen gab’s, der nicht gewichen und umgekehrt wäre.¹¹¹ Renoart hat sich kräftig abgeplagt, angestrengt und abgemüht, um Schläge auszuteilen.
107 Ich übersetze Ne li conteke WHR, Ars, Ne li agree A, nicht ne li fist pis M. pis = pais? 108 Einschub von WHR 5772. 109 Ab hier weicht die Laissenzählung auch von A ab, da in M gegenüber WHR, Ars, A eine kurze Laisse von rund einem Dutzend Versen fehlt, die den vergeblichen Versuch der Sarazenen, Margot zu rächen, schildert. 110 Ich übersetze ne pot estre nombré WHR, Ars, A, nicht ne puet estre membré W, da sich eine solche passivische Konstruktion von membrer nicht nachweisen läßt. Es handelt sich wohl um eine Verlesung. 111 Ich übersetze Ains n’i ot cel n’ait guenchi ou torné WHR, hergestellt aus den Hss. CDFM. Der Vers ist in M aber gänzlich entstellt: Hanc n’i a cel ganchi, n’et retorné.
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5750 Mehr als 7.000 Heiden hatte er getötet,
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als er aus dem Kampfgetümmel ganz grimmig herausgelaufen kam, seine Stange zu Boden stieß, und sich darauf stützte und sein Haupt daran lehnte, um seinem Herzen ein wenig Atempause zu verschaffen. Ein wenig schlief und ruhte er. Die Heiden sahen es und empfanden große Freude. Sie vermuteten dort keine Kampfeskraft mehr. Sie schnürten ihn wieder ein und umringten ihn.¹¹² Mehr als zehn aus der Ferne.¹¹³ An dreißig Stellen¹¹⁴ hätte er Wunden am Leib empfangen, wenn die Halsberge nicht gewesen wäre, die er übergeworfen hatte, und die Kopfbedeckung, die er auf dem Kopf festgemacht hatte.¹¹⁵ Diese beschützten und bewahrten ihn vor dem Tod. Gesegnet sei die Seele, die ihn so gerüstet hat.¹¹⁶ Aber von den Versagern gab es hundert Gefallene. Jetzt siehe da einen Heiden, Hurupé.¹¹⁷ Einen solchen Schurken gab es nicht bis Duresté.¹¹⁸ Viele Franzosen hat er verschlungen¹¹⁹ und erwürgt.¹²⁰ Er trug eine Stahlkeule an einem großen Stiel, damit massakrierte er wacker unsere Leute. Mehr als fünfzig hat er mit der Keule getötet. Renoart sagte: „Nun habe ich zu lange gewartet. Wenn ich es länger dulde, dann soll ich verflucht sein!“
112 Il relasent si l’ont agironé M, Il se ralient, si l’ont avironné WHR, Ars, A „Sie sammelten sich wieder und umzingelten ihn“. M scheint zwei Italianismen zu enthalten – s. Holtus, Glossar: relacer „allacciare di nuovo“; agironer „circondare“. 113 Zwei unvollständige Verse in M, von Holtus aufgefüllt aus WHR 5813f. 114 M setzt hier wieder fälschlich leues für leus. 115 Ich übersetze Et li capiaus k’il ait ou cief fermé WHR, Ars, nicht E li capeus q’ot en chief encontré M. 116 Ich übersetze adoubé WHR, A, nicht adesé M „berührt, getroffen“. 117 Estelé M, Aenré WHR, A, Enorré Ars. In keiner Hss. ist in diesem Vers Hurupé überliefert. Es muß aber derselbe Heide gemeint sein, welchen Renoart 5782 verspottet. Vermutlich ist er mit Huré 1093 identisch. 118 Ich übersetze des ci k’en Duresté WHR, Ars, A, nicht en la chrestienté M, da Hurupé/Estelé ja nicht zur Christenheit gehört. 119 Die übertragene Bedeutung „vernichten“ für mangier habe ich nicht nachweisen können. 120 Von 5769 bis 6280 (Laisse Ars 167 = M CXXII) hat Ars wieder eine, die größte Lücke.
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5775 Mitten im Kampfgewühl hielt er die Stange empor
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und lief so weit, bis er den Teufel erreichte. Wisset wahrlich, daß er ihn nicht grüßte, sondern ihm von hinten einen großen Schlag gab, erst anhielt,¹²¹ sehr genau auf ihn zielte, ihm dann mit seiner Stange das ganze Hirn herausschlug und sein Pferd in der Mitte durchhieb. Renoart sagte: „Auf, auf, Hurupé!¹²² Ihr saht mich schon, als ich noch klein war. Auf diese Weise habe ich Euch wiedererkannt. Zu Eurem Unheil saht Ihr, daß ich je von einer Mutter geboren wurde.“ „Monjoie“, schrie er, „Guillelme,¹²³ ich habe den Zweikampf ausgefochten! Auf zu anderen! Mit diesem bin ich fertig. Er war mein Cousin und aus meiner Verwandtschaft. Ich habe auch noch einen Bruder Tenebré und Clariel,¹²⁴ Jambu,¹²⁵ Persagué¹²⁶ und sieben überdies, die ich nicht genannt habe. Doch wegen des Wortes, welches ich Guiborc gegeben habe, wird, wenn ich sie mit diesem kantigen Holzstück erreiche, keine Bruderliebe beachtet werden noch Freundschaft oder Familie etwas zählen.“ Er schrie laut: „Ich bin der Sohn Deramés! Gerne möchte ich, daß man es hört, nicht will ich, daß es geheim bleibt! Doch wenn er nicht an Jesus in seiner Herrlichkeit glaubt, werde ich ihn töten mit diesem kantigen Holzstück.“ „Gott“, sagte Guillelme, „bei deiner heiligen Güte, beschützt, Herr, ihn und seine Stange. Ohne sie beide sind wir dem Tod geweiht.“
121 A l’arestal M „mit/beim Aufenthalt“ (TL 1, 516), El haterel WHR, A „auf den Nacken“. Ist M verderbt? 122 Holtus (Glossar) vermutet in dem Namen ein „appelativo per Francesi“. Es muß sich aber, wie das Folgende zeigt, um den getöteten Heiden handeln, der M 5767 Estelé (in anderen Hss. Aenré oder anders) genannt wurde. 123 Guillelme muß hier angeredet, nicht der Sprecher sein, wie die Interpunktion bei Holtus und WHR fälschlich nahelegt. Richtig A. 124 Gabriel M, Esclariax WHR, A, Esclariel Hs. F, Et clariel Hs. D, vermutlich identisch mit Clariel M 4395. 125 Gambu M – vgl. M 4394. 126 Persaié M – vgl. M 4394.
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Übersetzung
Die Heiden schrien: „Seht da einen leibhaftigen Teufel! Wer ihn erwartet, den wird er verschlingen. 5805 Herr Deramé, zu lange habt Ihr verweilt. Einen solchen Verlust hast du erlitten, daß er nie wiedergutgemacht wird. Denn fünfzehn gekrönte Könige sind tot und 20.000 sowohl Perser als auch Slawen. Zu deinem Unheil hast du dich mit Guillelme und seiner Ritterschaft eingelassen 5810 und seinem Teufel, den er uns mitgebracht hat, der einen so verzauberten Leib hat. Er fürchtet einen Waffenhieb keinen geprägten¹²⁷ Heller. Durch ihn werden wir getötet und außer Gefecht gesetzt werden. Wer sich rettet, wird sehr gut daran getan haben.“ 5815 Wenig fehlte, so hätten alle die Flucht ergriffen.
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CXIV. (WHR 119, A 115) ¹²⁸ Sehr lange hatte er dort gekämpft. Mit seiner Stange hat er tausend von ihnen hingestreckt. Mitten auf dem Schlachtfeld hielt der Held an. Eine ganz klein wenig stützte er sich auf sein Holzstück. Die Heiden meinten, er sei erschöpft. Sie fielen über ihn her; da erhob sich ein Geschrei. Mehr als 10.000 der ungläubigen Schurken schleuderten ihre Lanzen und scharfen Jagdspieße. Gott behüte ihn und seine Kampfeskraft, und die Halsberge, womit er angetan war. Renoart sagte: „Nunmehr habe ich mich genug erholt, beim heiligen Dionysius, von nun an werde ich nicht stillhalten, und Kampf und Krieg werden gewonnen werden!“ Er hob seine Stange, fiel über sie her und warf mehr als fünfzig tot nieder. Wen er erreichte, tötete und vernichtete er. Die Heiden riefen Mahomet und Cahu an. In diesem Augenblick kam Deramé, in seiner Schar zehn Könige und vierzehn Herzöge. So viele ungläubige Heiden gab es da,
127 monté M sicher verschrieben aus moneé (so WHR, A). 128 Einschub von WHR 5868.
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daß niemand unter dem Himmel die Schilde hätte zählen können. Da hättet ihr so viele Streitrösser mit langer Mähne sehen können und so viele Fahnen aus Pfellel und Brokat. Gott, der im Himmel seine Macht ausübt, möge sich um die Unsrigen kümmern! Die Heiden stürzten voran, die Franzosen empfingen sie. Beim Zusammenprall schlugen sie wacker auf sie ein, tauchten die Eisenspitzen und die Holzschäfte¹²⁹ in ihre Körper und zogen danach die Schwerter aus scharfem Stahl. Der Tümpel aus dem Blut ihrer Körper war sehr groß. Deramé kam ganz wütend herangesprengt auf dem Wallach, der das Blut in Bewegung brachte,¹³⁰ schüttelte die Lanze, die vorne scharf war, und traf Gaudin, der Guillelmes Freund war. Mitten durch den Leib ging ihm der Spieß, so daß er zwar nicht tot war, aber zu Boden fiel. Die Franzosen sagten: „Gaudin, welch Unglück für dich!“ Deramé war sehr groß und sehr kräftig gebaut, so daß es in ganz Spanien keinen so kampfkräftigen Mann gab. Gaudin ließ er liegen. Ich weiß nicht, daß da mehr geschehen wäre.¹³¹ Rasch war das Schwert blank gezogen. Gleich wird der König seine großen Kräfte beweisen. Da hat er fünfen von den Unseren den Kopf abgehauen. Er schrie laut: „Wo ist Guillelme versteckt? Der mit der kurzen Nase, der elende Schurke, der in der Schlacht meine Könige getötet und besiegt, meine Männer erschlagen und vernichtet und meinem Neffen sein Reich geraubt hat. Nun ist der Tag da, an dem ich ihn grüßen werde. Da wird er weder Junge noch Greise schützen.
129 Ich übersetze les fers et les fuz WHR, A, nicht lo fer et lo scuz M „das Eisen und den Schild“. Das unsinnige Reimwort scuz ist vermutlich aus dem übernächsten Vers versehentlich nach vorne genommen und dieser dafür ausgelassen worden. 130 Sor la bragne qi feit li sanc meüz M, Sor la brehaigne qui fait les saut menus WHR, A „auf dem Wallach, der rasche Sprünge machte“ (vermutlich die ursprüngliche Fassung). Bei M muß man zudem annehmen, daß wie oft die Kasusformen vertauscht wurden. 131 nen sai q’en fust pluz M, ne sai qu’en feist plus WHR „ich weiß nicht, was er ihm noch angetan hätte“ (?), et qu’en feist il plus A „qu’aurait-il pu lui faire de plus?“ Alle Fassungen scheinen problematisch.
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Übersetzung
5865 Wahrlich wird von Euch keiner entkommen,
und er selbst wird an den Galgen gehängt.“
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CXV. (WHR 120, A 116)¹³² Deramé sprengte mitten durch die Schlachtreihen¹³³ auf seinem Wallach, der stets wieherte. Mit seinem stählernen Schwert tötete er die Unsrigen. Gegen seinen Schlag schützte keine Bewaffnung. So viele tötete er von ihnen, wie er Lust dazu bekam. In der Schlacht suchte er Guillelme: „Holla, Guillelme, du fliehst zwecklos, denn heute werde ich dir eine völlige Niederlage beibringen. Verloren habt Ihr Vivien, den kampfstarken. Unter jenem Baum am Tümpel liegt er tot. Verräterischer Schurke, Ihr liebtet ihn ja doch so sehr! Komm und räche ihn mit deinem stählernen Schwert! Ich weiß es wahrhaftig, du willst dich verstecken. Kalt¹³⁴ sei das Herz, das treulos wird!“ Der Graf, der mit Einsatz der Sporen herankam, hat es mitbekommen und sagte¹³⁵ mit lauter Stimme, so daß man es hörte: „Wahrlich“, sagte Guillelme, „Ihr habt mir großes Leid gebracht. Ich bin jetzt ein Tor, wenn ich eine Übereinkunft suche.“¹³⁶ Er hielt Joiose am Griff aus flammendem Gold und gab ihm einen großen Schlag auf den Helm, daß er die Blumen und Steine herunterschlug, ihn ganz spaltete und die Helmreifen zerstörte, die Helmbrünne, die an der weißglänzenden Halsberge befestigt war, durchschnitt, ihm ein Stück so breit wie eine große Hand vom Kopf abhieb, daß es vom Ohr herabhing.
132 Diese Laisse ist in M stark gekürzt. 133 Ich übersetze Deramés va par mi l’estor poignant WHR, A, nicht Desrameç ist pormi le stors pongant M, da D. sich nicht hinaus, sondern hinein bewegt. 134 Froiz M, Fel WHR, A, Fauz Hs. F. Ist in M „tot“ gemeint? Oder steht froiz für fraiz „gebrochen“? Guidot/Subrenat übersetzen fel soit mit „honni soit“, was auch nicht unmittelbar einleuchtet. 135 Ich übersetze Et a parlé WHR, A, nicht Et a sa voiz M, da hier Ellipse des Verbs angenommen werden müßte. 136 Diese schwache Zeile faßt eine Haßrede des Helden zusammen, die in WHR, A mehrere Zeilen lang ist. Dann fehlen auch rund ein Dutzend Verse mit dem Angriff des Heiden.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Das Schwert drehte sich und glitt ab. Ganz hätte er ihn (sonst) gespalten, doch er blieb am Leben. Aber nichtsdestoweniger traf er ihn mit dem Schwert, so daß er ihn zugleich vom Pferd warf. Er ergriff ihn am Visier seines grünglänzenden, leuchtenden Helms und hätte ihm sogleich das Haupt abgeschlagen – doch da kamen tausend Perser zu Hilfe, von der anderen Seite die französischen Krieger und Aymeri und sein kampfstarker Sohn, seine Neffen und seine Angehörigen. Sie kamen, durchfurchten das Getümmel mit ihren stählernen Schwertern und verspritzten überall Blut und Hirn. Jedoch gab es da so viele von dem verräterischen Volk, daß niemand es sagen kann, auch kein singender Jongleur. Sie hoben Deramé auf ein Streitroß. Da hob wieder ein gewaltiger Kampf an. Hörner und Posaunen ließen sie gemeinsam erschallen, daß das Ufer völlig ins Schwanken geriet, Schiffe und Barken und das ganze Archant. Er hatte ein sehr kräftiges Herz, wem es da nicht in die Hose fiel.¹³⁷
CXVI. (WHR 120a)¹³⁸ Guillelme, der Held, ritt durch die Schlachtreihen, das stählerne, wohlschneidende Schwert gezückt. Wen er mit seinem Schlag erreichte, der hatte nichts zu lachen. 5915 Er hieb einen Heiden nieder und ließ seinen Kopf wegfliegen und den zweiten spaltete er bis zu den Backenzähnen. Den dritten ließ er zur Erde stürzen und den vierten vom Pferd herunterfallen. Den fünften spaltete¹³⁹ er bis zur Höhe des Gürtels.
137 Ich übersetze Molt ot bon cuer qui ne va trebuchant WHR, A, nicht Mult ot bon cuer cui il ne vet cantant M. Das Singen war wohl dem Sänger noch von 5905 im Ohr. Es ist hier aber gänzlich sinnlos. In WHR, A folgen noch drei Verse mit einem Ausblick auf Renoart. 138 Die Laissen CXVI und CXVII stehen nur in M und werden von WHR im Apparat als 120a und 120b untergebracht. Es fehlt daher die Überprüfung an anderen Fassungen, die sonst das Verständnis dieses problematischen Textes beträchtlich erleichtert. Inhaltlich bieten die beiden Laissen nur Variationen zu Aussagen anderer Laissen. 139 fet M „tut, tat“ – entweder Ersatzverb im Anschluß an 5916 oder zu konjizieren: fent. Holtus erwägt dagegen fert.
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Übersetzung
5920 „Monjoie“, rief er, „so muß man kämpfen!“
Nun siehe da: Aymeri der Elende nahm jetzt den Zweikampf mit einem Heiden auf, so rasch, wie sein Pferd unter ihm laufen konnte. Er schlug Chaenon auf seinen Buckelschild, 5925 daß er auf dem Buckel¹⁴⁰ einen Riß und ein Loch machte und die gute Halsberge zerfetzte und ihres Schmucks beraubte. Mitten in den Leib ließ er Eisen und Schaft gehen. Eine Lanzenlänge weit warf er ihn tot und schweigend zur Erde. Im selben Anlauf rannte er an 5930 gegen einen Türkenkönig – Auchin¹⁴¹ hörte er ihn nennen – und auf dem Buckel ließ er seinen Schild brechen, die weißglänzende Halsberge zerreißen und sich auftrennen, ihm das Herz im Leibe in der Mitte brechen und ihn vor Guillelme tot herabstürzen. 5935 Seine Lanze brach, die nicht länger halten konnte, und Aymeri zog das Schwert aus hellem Stahl und schlug wie ein Held mit großen Hieben Heiden¹⁴² in Stücke. Siehe da: Renoart ist gekommen, ohne Falschheit zu üben.¹⁴³ CXVII. (WHR 120b) Durch die Schlachtreihen lief Renoart – 5940 wenn man ihn genau betrachtete, ähnelte er sehr einem Leoparden. Drei Schläge führte er aus und dann wiederum den vierten. Mit vier Schlägen beseitigte er zwanzig. Die größte Schar schlug er mit seinem Stock nieder. Laut schrie er: „Deramé, dieser Bandit! 5945 Ich werde ihn mit einem Seil am Halse aufhängen! Wenn er nicht aufs Meer oder in den Faro¹⁴⁴ flieht, werden ihn nirgendwo die Heiden schützen können.
140 Ich verbessere De soç M nach 5924 und 5931 in De sor . 141 Dies eine Form, die sonst für Aquin vorkommt. Dieser ist aber M 5607 gefallen. 142 Vermutlich sind hier wie oft die Pluralzeichen (-s) ausgefallen. 143 senz fauser M. Diese Wendung ist in dieser Bedeutung an sich formelhaft (entspricht mhd. âne valsch), kann aber auch „ohne Schaden zu nehmen“ heißen. Beides paßt hier allerdings kaum. 144 el fart M. Holtus zieht fart „Schminke, Trug“ (TL 3, 1640) und Faro, den Namen der Meerenge von Messina in Betracht. Beides ist problematisch, dieses aus lautlichen Gründen, jenes aus semantischen.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Es betrübt mich zu sehr, wenn ich zu spät gekommen bin. Wenn Gott auf meiner Seite stünde, würde ich ihn viel lieber erschlagen,¹⁴⁵ 5950 als daß er noch weiter gutes Essen mit Speck verzehrt. CXVIII. (WHR 121, A 117) Siehe da: Borel sprengte durch die Schlachtreihen. Mit ihm waren seine vierzehn Welpen, alle Ritter neu gerüstet, schwarz wie Mohren – zauberhaft schön waren sie!¹⁴⁶ 5955 Keinen gab es da, der keinen Kriegsflegel trug. Alle waren von ziseliertem Kupfer. Sie hatten da weder Lanzen noch Wimpel. Borel, Ihr Vater, trug einen großen Hammer aus feinem Stahl, gut eingelegt mit Email. 5960 Brünne oder Halsberge aus Eisenringen hatte er nicht angezogen, sondern er war bedeckt mit dem Fell eines Nuitons¹⁴⁷ und hatte auf seinem Haupt eine Kopfbedeckung, die aus dem Fell eines kleinen Nuitons gemacht war.¹⁴⁸ Einen Waffenhieb fürchtete er gar nicht.¹⁴⁹ 5965 Unter unseren Leuten richtete er ein großes Gemetzel an. Gegen seinen Schlag nützte eine Rüstung nicht einmal soviel wie ein Mantel.
145 5949f. Plus volontiers i fert se dex ait en moy part Qe bons mangiers ne manuit puis au lart. Wenn Holtus im Apparat 5949f. als nicht ganz klar bezeichnet, ist dies stark untertrieben. Ohne Konjektur kann man hier schwerlich auskommen. Im Hauptsatz erwartet man ein Verb in der 1. Person, Präsens (Ind. oder Konj.), Konditional oder Futur, also statt fert etwa fer(e) = fier(e), ferroie, ferrai. Die Verbform im que-Satz manuit deutet Holtus (Glossar) mit Fragezeichen als 3. P. Passé simple manjut. Da der Komparativ des Hauptsatzes aber viel eher einen Vergleichsatz fordert, ist Präs. vorzuziehen: manjue(t). 146 Ich übersetze merveillos furent bel WHR ~ A, nicht merveyle s’il furent bel M, das ich für verlesen halte. Der Ausruf ist wohl ironisch zu verstehen. 147 Ich halte luytime M, das nur hier belegt ist (vgl. lutime TL 15, 723 ohne Bedeutungsangabe), für verlesen aus luitune. luiton (so auch WHR) ist eine übliche Variante von nuiton, die M schon 5662 als Name für ein fernöstliches Wunderwesen gebraucht hat. Wolfram macht daraus neitun (Wh. 425,30). 148 lioncel M „Löwchen“, luitonel WHR, A. Dieses sicher richtig; Verkleinerungsform von luiton. Bei Wolfram ist muntunzel daraus geworden (Wh. 426, 11). Er hält beide für drachenartige Tiere (würme). 149 valisant un cotel M „Kutte”, caudel WHR „warmes Getränk“, penoncel A „Wimpel” (siehe 5957). Alles wenig sinnvolle Ausdrücke für Wertloses. Ich löse daher wie die anderen Übersetzer hier die Metapher auf.
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Übersetzung
Er tötete uns Gion von Mont Mel.¹⁵⁰ Renoart kam ein ganzes Tal entlang gelaufen und hielt seine Stange, die keine Ähnlichkeit mit einer Spindel hatte. 5970 Einen solchen Schlag gab er ihm hinten auf den Nacken, daß er ihm das Hirn aus dem Kopf austreten ließ und Naht¹⁵¹ und Kopfbedeckung ganz zerstörte. Tot warf er ihn vor einen kleinen Tannenbaum. Renoart sagte: „Auf, auf, Borel! 5975 Wiedererkannt habe ich Euch wie der Wolf das Lamm. Mit meiner Stange habe ich Euch einen solchen Schlag gegeben und werde ich Euch den Eisenring von meinem Holzstück zeigen,¹⁵² welches ich von dem Schmied Lionel machen ließ. Ich würde es nicht für das Gold von Mirabel hergeben, 5980 sondern werde damit viele Hirne verspritzen jener Leute, die Israel besetzt halten.“¹⁵³ Mit lauter Stimme schrie er: „So ausgeführte Schläge sind sehr schön!“ CXIX. (WHR 121a)¹⁵⁴ Auf Aliscans tobte die Schlacht. An diesem Tag lieferte Renoart hier viele Leichen. 5985 Mit seiner Stange richtete er unter den Türken ein solches Gemetzel¹⁵⁵ an,
150 Mont Abel/Montabel WHR, A, Munsurel Wolfram. Die Lesart in M ist kaum richtig, da der Vers zu kurz ist. Aber eine Verlesung von Abel scheint schwer denkbar. – In den anderen Hss. folgen weitere Opfer des Gemetzels. 151 connoysure M „connessura“ (Holtus, Glossar), costure WHR „Naht”, vousure A „Wölbung”. Nichts davon paßt wirklich. Lies coverture „Bedeckung”? 152 Der Satz ist unsinnig, da Borrel schon tot ist. Er wird ein bißchen sinnvoller, wenn man mit anderen Hss. statt „euch“ „ihnen“ liest. In A fehlt die Zeile. 153 De celle jenz qi tient Israel M, De cele gent qui n’aiment Israel WHR, A. Der Vers in M ist metrisch unterfüllt. 154 Diese Strophe steht außer in M laut Angabe von WHR in weiteren vier Hss., nämlich B1, B 2, D, F, nicht aber in A und Ars. Ab hier gibt es überhaupt kaum noch einen gemeinsamen Text, sondern nur noch divergierende Fassungen. In der Mehrzahl der Hss. folgen statt der drei Laissen M CXIX-CXXI eine weit längere Partie, welche mehrere groteske Kämpfe Renoarts mit heidnischen Monsterrittern, zuletzt aber auch den Kampf mit Auceber/Haucebier, wo die Stange zerbricht, schildern (Laissen WHR 122–165, welche alle in die Handschriftenlücke von Ars fallen). 155 masere M, andere Hss. haben litiere oder chariere. Holtus verweist auf maisiere TL 5, 879 „Mauer“, und maschiere TL 5, 1226 „Braukessel“, was beides nicht paßt. TL 5, 881 wird aber eine Stelle aus ‚Gaydon‘ angeführt, wo maisiere für maisel „Gemetzel“ stehen könnte.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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daß das Blut flußweise über die Erde rann. Die Heiden flohen vor ihm vorne und hinten. Doch es gab so viele von den Feindesleuten, daß sie unsere Leute hundertzwanzig Fuß weit zurücktrieben. Sinagon kam mitten über ein Heideland und hatte bei sich Leute verschiedener Art, Kopf, Hals und Kruppe¹⁵⁶ des Pferdes bedeckt mit Pfellel.¹⁵⁷ Bertram schlug vorne auf einen Gegner ein und setzte ihm die Lanze voll in den Schild, so daß er ihm hundert Panzerringe der Halsberge zerriß. An der Flanke ließ er ihn so zur Ader, daß er keine ganze Woche mehr gesund blieb. Seine Lanze brach, welche nicht von einer Weide stammte. Gott und der wahrhaftige Leib des heiligen Petrus bewahrten ihn, so daß Bertram nie aus den Steigbügeln kippte. Der Graf traf ihn vorne mitten im Gesicht mit dem stählernen Schwert, welches in Guiere¹⁵⁸ gefertigt war, brach ihm das Wangenstück des Visiers¹⁵⁹ und spaltete ihm bis nach hinten das ganze Antlitz. Wäre es ihnen gestattet gewesen, hätte es eine wilde Schlacht gegeben. Aber zu stark waren Sonne und Staub. Der eine sah den anderen nicht, so groß war die Einnebelung. Renoart sagte: „Heilige Mutter Maria, haltet die Schlacht auf, bis ich genug dreinhauen kann!“
CXX. (WHR 121b)¹⁶⁰ ¹⁶¹ 6010 Die Heiden vereinigten sich und ließen die Hörner erschallen.
156 In allen Hss. steht hier statt crope „Kruppe“ offenbar durch Reimzwang cro(u)piere, was an sich schon die Decke über der Kruppe bedeutet. 157 Gegenüber den verwandten Hss. B1B2DF hat M hier eine Lücke: Es fehlen die Herkunft der Leute aus Palermo und der Name von Sinagons Pferd, Passelevriere, was Wolfram jedoch kennt. 158 Diese Form auch in Hs. F; in BD Baviere. 159 De la ventrayle se romp la coree M „aus dem Bauch brachen die Eingeweide hervor“ zerstört den Zusammenhang völlig (auch den Reim). Es ist ein typisches Versatzstück eines Sängers. Ich übersetze De la ventaille li rompi la joiere WHR. 160 Diese Laisse steht wie die vorangehende außer in M, laut Angabe von WHR, in weiteren vier Hss., nämlich B1, B 2, D, F, nicht aber in A und Ars. 161 Der Vers fehlt in M, steht nur in zwei Hss. und wird von Holtus nur im Apparat abgedruckt.
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Übersetzung
„Nun wohlauf zu trefflichen Taten, Ihr Herren,“ sagte Deramé,¹⁶² „damit Ihr sie fliehen seht vor diesem Reiterangriff. Keinen Franzosen gibt es, der nicht sehr ermüdet und von der Schlacht angestrengt und ermattet wäre. Gegen einen von ihnen werden wir zwanzig Bewaffnete haben. Wenn Ihr wacker tätig seid, werdet Ihr jetzt ihre Flucht sehen.“ Und Baudin sagte: „Herr, macht Euch keine Sorgen, denn, bei Mahomet, der Kampf ist beendet. Es wundert mich sehr, wo der Vasall hingekommen ist, der heute von unseren Leuten so viele übel zugerichtet hat. Bei Mahomet, dessen Verteidiger ich bin, ich werde ihn töten, wenn er gefunden werden kann, und Aymeri, diesen Alten mit dem ergrauten Bart. Kein Franzose wird jetzt mehr entkommen.“ „Lieber Neffe Baudin“, sagte König Deramé, „Sehr kräftig seid Ihr, das ist die Wahrheit, denn fünfzehn habt Ihr mit diesem Schlag getötet. Doch der Vasall überschreitet so alles Maß, daß er vor keinem Sterblichen Respekt hat. Ohne eine Keule¹⁶³ werdet Ihr ihm keinen Schaden zufügen, denn seine Stange ist weitaus länger. ¹⁶⁴ und sie ein wenig nach Maß zurechtgeschnitten wäre, meiner Treu, diese wäre dann viel mehr wert.“ Und Baudin sagte: „Wohlan, so bringt mir einen Tannenbalken, der groß und vierkantig sein soll!“ Fünfzig Türken sandte Deramé danach aus. Eine große Tragestange aus Tannenholz wurde ihm gebracht, vor Baudin gelegt und hingeschleift. Zur Spitze hin wurde sie ein wenig abgeschnitten und am Griff schön abgerundet, sowie am Griff eingewachst, damit man sie besser halten konnte.
162 Deramé gibt, obgleich schwerstens am Kopf verletzt, hier noch Befehle. 163 senç un male M, de cel mail WHR „mit dieser Keule”. Dieses angesichts des Komparativs 6031 sinnvoller. 164 Einschub aus den anderen Hss. der Gruppe, WHR S. 348, V. 26 (Holtus).
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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So groß war die Stange, dieser Teufel,¹⁶⁵ daß sie von zehn Mann nie bewegt wurde. Und dieser, welcher sehr tückisch war, nahm sie, denn ihm war sie nicht so schwer wie ein Busch mit Zweigen. Hört, wie der Heide aussah: Dreißig Fuß war er hoch, sehr groß und robust. Nie war ein so starker Mann von einer Mutter geboren worden. Sein Leib war schwärzer als zerstoßene Tinte. Kurze und gekräuselte Haare hatte er und Augen rot wie brennende Kohlen. Seine Stange hob er und brüllte laut. Und Baudin sagte: „Nun bin ich ganz bereit. Herr Deramé, wohlan, setzt Euch! Bei der Standarte, lieber Onkel, wartet auf mich! Ich werde Euch genug von diesen Leuten aus Frankreich bringen.“ Der König blieb da, Baudin begab sich fort und suchte eifrig in der Schlacht nach Renoart. Als er ihn nicht fand, war er sehr alarmiert. Von unseren Leuten hat er so viele erschlagen und getötet, daß die Furt vom Blut so breit war. Siehe da, die Heiden kamen gänzlich wieder zu Kräften und mißhandelten und erniedrigten unsere Leute sehr. Renoart hat sich von dem Kampfgewühl abgesondert hundertzwanzig ausgemessene Fuß weg von den anderen. Auf seiner Stange ruhte er ein wenig aus; eine kleine Weile stützte der Held sich auf.¹⁶⁶ Nach dem Archant hatte er seine Augen gerichtet. Er sah eine Schar bewaffneter Türken kommen, welche da eben die Schiffe verlassen hatte. Die Menge der Sarazenen war sehr groß. König Auceber führte sie vorne an. Ganz außerordentlich war er bewaffnet,
165 cest mauféç nur M, fraglicher Zusatz. Man würde possessiven Kasus obliquus erwarten. Liegt hier Kasusverfall vor oder Verteufelung des heidnischen Kampfgerätes.“ 166 acoeteç M, acostés WHR. acostés „sich nähern“ paßt schlecht, noch schlechter acoveter „bedecken“. Holtus bringt dieses ins Spiel sowie eine Verbindung zu italienisch acquietarsi. Diese scheint verlockend. Vielleicht ist aber einfach afrz. acoter „sich stützen“ gemeint. Dann müßte aber die Metrik der Zeile anderswo geheilt werden.
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denn auf seinen Rücken hatte er zwei grünglänzende, edelsteinbesetzte Helme und an seinen Hals zwei starke Schilde gebunden. Nie wurde ein wilderer Mann von einer Mutter geboren. Er war sehr bösartig und von großer Grausamkeit. Renoart sagte: „Sarazenen, woher kommt Ihr? Bleibt dort stehen! Sagt, was Ihr wollt! Ich bewache das Archant; dieses Geschenk habe ich bekommen. Wenn du Kampf willst, werdet Ihr zu Eurem Unglück weiter voranschreiten. Gegen dich habe ich mich deshalb fest aufgestellt. Komm und kämpfe mit mir auf diesen Wiesen!“ Auceber sagte: „Schweig, schäbiger Tor! Niemals wird ein Mann zu Fuß von mir angerührt werden. Deine Kleidung ist nicht zwei geprägte Heller wert. Einem Strauchdieb ähnelt Ihr, der Ihr ins Feuer hineingeht und so lange dort sitzenbleibt, bis Ihr ganz verbrannt seid. Wohl gleichst du einem Toren, und du warst König.“¹⁶⁷ Renoart sagte: „Nun schmäht mich nicht! Was geht es Euch an, wenn ich zerrissene Kleidung habe und wenn mein Gesicht schwarz und struppig ist. Mein Herz ist nicht in ein Gewand gewickelt, weder in ein buntes noch graues oder hermelinverbrämtes, sondern drinnen im Leib wohl eingesetzt. Dumm ist, wer einen Mann seiner Kleidung wegen für niedrig hält. So sieht ein Edelmann aus, der in Armut fällt. Ein reicher Bösewicht ist keine zwei geschälten Knoblauchzehen wert. Wenig preise ich ihn; von mir wird er Tor genannt. Wenn ich arm bin, wird mir Gott genug schenken. Ihm zuliebe glaube ich noch gekrönt zu werden als König und Vogt von ganz Spanien. Mahomet werde ich die Flanken brechen und Kirchen und Altäre bauen¹⁶⁸ lassen von dem großen Besitz, der dort aufgehäuft ist. Dort wird Jesus erhöht und erhoben werden und sein Leib gesegnet und geweiht. Hoch wird die heilige Christenheit erhöht werden.“
167 Die Form reç M, res WHR, hier für rois anzunehmen (so Holtus, Glossar, mit Fragezeichen), ist nicht ganz unbedenklich. 168 faire WHR, ist in in M versehentlich ausgefallen.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Auceber sagte: „Geh deines Weges, Verrückter! Ich würde dich töten, doch das¹⁶⁹ wäre eine unwürdige Tat. Zeige mir Guillaume Kurznase!“ Renoart sagte: „Gerade eben ist er zu Tode gefällt worden. Auf Aliscans hat ihn Agenté¹⁷⁰ getötet. Das betrübt mich sehr, denn er war mein vertrauter Freund.“ Auceber sagte: „Sehr groß ist Euer Gott! Ihm zuliebe wirst auch du getötet und mit diesem Spieß durch den Leib gestoßen werden.“ Renoart sagte: „Wenn es Gott gefällt,¹⁷¹ so lügt Ihr. Ihr werdet hier Eure Absicht nicht ausführen. In mir steckt etwas, was Ihr nicht erwartet. Beim heiligen Dionysius, wenn Ihr mir entkommt, werdet Ihr deshalb Guillelme (doch) niemals großen Schaden zufügen!“ Mit diesem Wort wurde die Stange gehoben, und er schlug Auceber auf seine edelsteinbesetzten Helme. Jeder davon war fest, gehärtet aus gutem Stahl. Er beschädigte sie nicht um den Wert zweier geprägter Heller. Die Stange schnellte wieder nach oben. Renoart sagte: „Da werde ich zum Narren, denn in mir sind keine Kraft und kein Stärke mehr. Wenn ich nicht mehr leiste, werde ich ein Schwächling genannt.“ Von Unmut wurde er erfaßt und brach in Schweiß aus.¹⁷² Mit großer Macht wurde die Stange gehoben. Sein ganzes Streben richtete sich auf einen guten Schlag. Solche Wucht legte er hinein, daß er ganz in Schweiß ausbrach. Er schlug nach Auceber, weil er sehr wütend war,¹⁷³ zertrümmerte die Helme und hieb beide auseinander,¹⁷⁴ brach und spaltete die Schilde,
169 Hier ist wohl in M te aus ce (so WHR) verlesen. 170 Name und Aktion von Renoart ad hoc erfunden. 171 Ich übersetze plest WHR, statt prist M, welches Holtus (mit Fragezeichen) für eine Mischung der Verben prisier und plaire hält. 172 Das Reimwort ist offenbar aus 6134 schon vorweggenommen und so ein Plusvers in M entstanden. 173 qe mult est aïreç M, WHR (Hss. DF). que mehrdeutig. Lies qui? 174 In M erscheint das Reimwort aus dem folgenden Vers, escartelez, auch schon fälschlich in diesem Vers (statt andeus les a froés WHR, was ich übersetze) – Folge der Gedächtnisschwäche des Sängers.
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Übersetzung
zerriß und zerfetzte die Halsbergen, schlug ihm das Haupt entzwei, die Flanken und Seiten und zerschmetterte den ganzen Leib und die Glieder. Bis zum guten Pferd ging der Schlag hinab¹⁷⁵ und brach und hieb es in zwei Hälften. Die Stange dröhnte wie Blitz und Gewitter. Und Renoart hatte sich trefflich bestätigt. Der Schlag war bis zur Erde hinabgegangen und mehr als sieben Fuß in die Erde gedrungen. Bei diesem Schlag¹⁷⁶ zerbrach die Stange. Das war ein großer Schaden, den man nicht wiedergutmachen konnte. Als die Heiden sahen, das das Holzstück zerborsten war, fielen mehr als 20.000 von den ungläubigen Schurken über ihn her mit wohlgefertigten Spießen, Krummsäbeln und gefiederten Wurfgeschoßen; aus so vielen Richtungen wurde der Held bedrängt. Die Heiden kamen von allen Seiten auf ihn zu, und er, der ganz unbewaffnet war, schlug dort drein. Er teilte ihnen mit seinen beiden Fäusten große Schläge aus. Wen er erreichte, der wurde übel zugerichtet. Mehr als fünfzig davon erschlug und tötete er und ebenso viele verwundete er und warf er nieder. Aber die Menge der Heiden war groß. Renoart wäre dort gleich in Stücke gehauen worden, doch der Held erinnerte sich seines Schwertes. Er zog es aus der Scheide. Ganz hell war sein Glanz. Er traf Golias, dem Balesgués gehörte. Bis zum Gürtel ging der Hieb hinab, so daß die eine Hälfte auf die Wiese fiel. Mit dem zweiten Hieb tötete er Gliboes. Am Leibe wurden beide verstümmelt. Renoart sagte: „Diese Waffe ist sehr angenehm. Gesegnet sei für die Waffe, wer sie mir um den Leib gegürtet hat.
175 Ich übersetze devalés WHR, statt desnoez M (zu desnoer „entknoten, aufknüpfen“). 176 Hier hat der Sänger wiederum eine beliebte Verseinleitung A ycest mot M – vgl. z. B. 6123 – benutzt, weil ihm das (in den anderen vier Hss. bezeugte) richtige A icest cop nicht fest im Gedächtnis geblieben war.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Gott schenke mir das Leben, daß ich ihn¹⁷⁷ noch lange sehe! Zu lange hatte ich sie vergessen.“ Bei diesem Hieb rief Renoart aus: „Herr Guillaume, so kommt mir doch zu Hilfe!“ Der Graf hörte das Wort, das er geschrieen hatte und schrie: „Monjoie! Ritter, nun kommt! Renoart ist von den Heiden gefangen.¹⁷⁸ Seine Stange ist ganz gebrochen und geborsten. Übel ist es mir ergangen, wenn er überwältigt wird.“ Mit diesen Worten sprengte er heran, alle seine Verwandten ihm nach und Aymeri und seine große Sippe und die Adelskrieger, die so berühmt waren. Mit diesem Angriff setzten sie sie außer Gefecht. Mit Einsatz der Sporen floh Deramé. Der Graf Guillaume setzte ihm heftig nach. Vor dem Meer hielt der König an. Siehe da: Sinagon sprengte ganz zornig heran und Malator und Malar und Otré und gut 100.000 Perser und Slawen. Da war die Schlacht sehr heftig und erbittert. Doch Renoart hat sich unter sie gemischt. Mit dem stählernen Schwert durchhieb er ihnen Nase, Brust, Flanke und Seite. Kein Heide sah ihn, der nicht vom Schrecken gepackt worden wäre. CXXI. (WHR 121c)¹⁷⁹ Groß war die Schlacht. Sie führten sie gut weiter, schlugen, fochten und machten großen Lärm.¹⁸⁰ Die Heiden riefen Mahomet, Cahu und Apollo an, daß sie nun ihre Macht beweisen sollten.
177 Das le (die Zeile steht nur in M, F und D) bezieht sich auf den vorhergehenden Relativsatz, der das Geschlecht der Person offenläßt. Es ist aber Guiborc gemeint. 178 Rolin, Ausg. S. X, hält diese Zeile für den Anlaß für Wolfram, Rennwart aus der Schlacht verschwinden und später als tot oder gefangen betrauern zu lassen. Der Zusammenhang läßt aber die Einkesselung des Helden als rasch vorübergehend erkennen. 179 Diese Laisse ist außer in M noch in drei Hss., nämlich B1, B 2, D, (stark unterschiedlich) überliefert (so WHR). 180 Hier hat M wie öfter den Singular des Verbs statt des korrekten Plurals.
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Übersetzung
6200 Renoart nahm seinen Vater wahr,
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kam vor ihn mit ausgestrecktem nacktem Schwert und schrie ihm zu: „Lieber Vater, woher kommst du? Ich bin dein¹⁸¹ Sohn, den du lange Zeit verloren hast, nämlich Renoart, der viel Leid erfahren hat. Ich schulde dir weder Freundschaft noch Gruß, außer wenn du an Gott und Jesus glaubst, Mahomet und Cahu verwirfst und deinen Glauben an den elenden Gott verläßt um des Herren willen, der im Himmel Macht hat. Einen solchen Hieb werde ich dir mit meinem scharfgeschliffenen Schwert geben, daß ich dir den Kopf vom Rumpf trennen werde.“ Deramé geriet das Blut ganz in Wallung und er sagte zu seinem Sohn: „Renoart, was tust du? Viele¹⁸² wirst du mir heute getötet oder vernichtet haben, denn durch dich haben die Franzosen das Feld behauptet. Ich bin dein Vater, sehr wirst du mich in Wut bringen. Dein Patengut hast du mir heute teuer verkauft. Sehr leid tut es mir, daß ich dich ungläubig sehe. Ich ließ dich suchen bis zu den Grenzen des Artus.“¹⁸³ Renoart sagte: „Dir werde ich gar nichts schenken. Steig in dein Schiff, denn zu lange hast du gewartet. Ich halte dich für töricht, daß du so lange geblieben bist. Doch ich würde, machte man es mir nicht zum Vorwurf, dir den Kopf vom Rumpf abtrennen.“ Deramé sagte: „Eine solche Schmach gab es noch nie! Hurensohn, eine solche Rede hast du geführt, daß ich, wenn Ihr mich erwartet, bei meinem ergrauten Haupte,¹⁸⁴ Euch Leid und Kummer bereiten werde.“ Er spornte den Wallach, der flink rannte, und schlug mit dem stählernen Schwert auf Renoart.
181 Ich halte tels M für verlesen oder verschrieben und übersetze tes WHR. 182 Mau M „in übler Weise“, „zum Unglück“, Molt Hs. D. Ich ziehe D vor, da in M die Verben absolut gebraucht wären. (In den zwei weiteren Hss. fehlt der Vers.) 183 Da Artus in der Chanson de geste nicht als historische Gestalt gilt, ist wohl gemeint: Bis zu den Grenzen der bekannten Welt. 184 Die Zeile steht nur in M und D.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Wenn da nicht die Helmbrünne gewesen wäre, mit welcher er den Kopf bedeckt hatte, hätte er ihn¹⁸⁵ bis zu den Zähnen ganz gespalten. Renoart sagte: „Nun habt Ihr zu lange gelebt. Wenn ich in der Hölle oder im Feuer weilen müßte, 6235 würde ich es nicht unterlassen, sondern Ihr werdet mein Schwert fühlen.“ Er rannte gegen ihn an, die Hand zum vollen Schlag erhoben. Deramé hatte eine solche Furcht noch nicht gehabt und hätte ihn um einen Scheffel blanken Goldes nicht erwartet. Zur Flucht wendete er sich und wartete nicht auf ihn. 6240 Einen seiner Brüder erkannte Renoart und ließ ihm den Kopf und den Helm vom Rumpf fliegen. „Monjoie!“ schrie er, „Guillelme, wo¹⁸⁶ bist du? Um deinetwillen habe ich meinen Bruder Jambu umgebracht.¹⁸⁷ Dasselbe werde ich mit dem ergrauten Deramé machen.“ 6245 Die Heiden sahen es und erhoben ein Gebrüll. Mehr als 20.000 kamen da in Eile, um Deramé beizustehen.
Deramés Flucht und der Zweikampf Renoarts mit Baudin CXXII. (WHR 166–167, A 167, A 162)¹⁸⁸ Groß war die Schlacht und dauerte lange. Renoart hielt sein gutes, scharfes Schwert. 6250 Nach vorne hielt er Ausschau und erblickte Gibbé,¹⁸⁹
185 Ich übersetze l’eust WHR. Ob les hust M dasselbe in der Sprache von M sein kann, wie Holtus offenbar meint, wage ich nicht zu beurteilen. 186 Ich übersetze ou WHR, nicht dont M „woher“. 187 Obwohl der getötete Bruder bei Wolfram anders heißt (siehe oben die Anm. zu M 4394), kann sich Wolfram bei seiner Nacherzählung dieses entscheidenden Ereignisses nur auf diese Stelle beziehen. Und gerade sie ist in der Laisse CXXI enthalten, die sich nur in vier Hss. findet: B1B2DM. 188 Ab hier bieten die drei Ausgaben wieder einen ähnlichen, im Detail aber doch sehr unterschiedlichen Text. Es erscheinen in den verschiedenen Hss. massenweise verschiedene halbe oder ganze Verse, auch Plus- und Minusverse. Die Differenzen können hier nur noch ausnahmsweise angezeigt werden. Die Laissenzählung von Newth weicht hier von Ars ab, da er aus unerfindlichen Gründen die Nummer 155 überspringt und mit 156 weiterzählt. 189 Gibbé M, Triboé WHR, Ars, A, Giboé Hs. D, Gibuê Wolfram.
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Übersetzung
spaltete ihn völlig bis zur Höhe seines Gürtels, so daß er das Schwert einen Fuß tief in die Wiese schlug. Einem anderen König hieb er da den Kopf ab, tötete hierauf Cador¹⁹⁰ und Tenebré¹⁹¹ und schlug Malachin mittendurch in Stücke. Renoart sagte: „Wunderbares sehe ich, bei Gott: eine so kleine Waffe, die eine solche Kraft besitzt. Keineswegs dürfte ein edler Mann, der etwas auf Tapferkeit hält, ohne fünf solche an seiner Seite auskommen, damit er, wenn eine versagt, die zweite ergreifen könnte. Die Heiden schrieen: „Wir sind ausgemachte Narren, daß wir uns von einem Teufel erschlagen lassen, einem Satan, der aus den Ketten der Hölle entkam! Bogen oder Pfeile haben ihm keinen Schaden zugefügt, weil die leibhaftigen Teufel der Hölle sie ihm abgehalten haben. Durch ihn werden wir getötet und außer Gefecht gesetzt werden. So laßt uns doch jetzt verschwinden. Wir haben zu lange ausgeharrt!“ Mit diesem Wort wandten sie sich zur Flucht, obwohl sie nachher nie aufgaben oder den Rücken wandten.¹⁹² Zu ihren Schiffen begaben sie sich, alle am Boden zerstört. Nun glaubten sie, alle in Sicherheit zu sein. Doch Renoart war schon¹⁹³ dort gewesen, der ihnen viel Übles bereitet, Schiffe und Lastkähne so hergerichtet, die Masten geknickt und die Taue¹⁹⁴ gekappt hatte. Keines gab es, dessen Schiffsleib nicht zerstört wäre, außer einem Dromon, den er vergessen hatte, welcher weit von den anderen nach hinten gestoßen war. In dieses eine (Schiff) stiegen Deramé
190 Cadoc M (jedoch M 27 Cador), Cador WHR, Kador/Kator Wolfram. 191 In M wohl fälschlich mit dem Bruder Renoarts (M 5789) gleichgesetzt. Tempesté WHR nach Hs. D, Tampastê Wolfram. 192 Dieser Einschränkung ist in diesem Zusammenhang kaum ein Sinn abzugewinnen, noch weniger, wenn die Verben im Singular stehen wie in Hs. D. In den anderen Hss. fehlt der Vers. 193 Ich übersetze ja WHR, A, nicht mult M „sehr“. 194 chasais M ungeklärt. Holtus verweist mit Fragezeichen auf chasel, chasal „Hütte“ (TL 2, 295). Sollen Kajüten gemeint sein? Dann müßte man chas(e)aus konjizieren. Ich schlage die Konjektur chaables „Taue“ (TL 2, 149) vor.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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6280 und Sinagon; mit ihm waren Persagué,¹⁹⁵
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der Sohn Borels, Bargis und Tempesté¹⁹⁶ und fünf Heiden und fünf gekrönte Könige. Sie lüfteten ihren Anker und setzten ihre Segel, stachen in See und legten vom Land ab. Die leibhaftigen Teufel gaben ihnen solchen Wind, daß sie mitten übers Meer ihren Weg nahmen. Bis zu den Gories¹⁹⁷ werden sie nicht anhalten. Diejenigen, welche zurückgeblieben waren, wandten sich zur Flucht. Die Franzosen töteten sie¹⁹⁸, denn sie liebten sie gar nicht. Bis zum Abend dauerte die Schlacht. Die Franzosen, die die Schlacht beendet hatten, kehrten heim, [bis zu den Schiffen hielten sie nicht an,]¹⁹⁹ und die Sarazenen flohen schleunigst, mehr als 20.000, die verwundet waren. Mitten auf ihrem Weg begegneten sie Baudin, der auf dem Nacken seine eisenbeschlagene Keule trug und Renoart suchte, aber nicht fand. Die Heiden sahen ihn und brüllten ihn an: „Ach, Baudin, habt Mitleid mit uns! Uns alle hat man erschlagen, getötet und verstümmelt. Der Graf Guillelme hat den Kampf beendet und Deramé in sein Schiff gejagt. Über das Meer floh er und ist jetzt in Sicherheit. Wir aber sind geflohen wie dem Unglück Ausgelieferte. Alle werden wir sterben, ehe es Abend wird.“ Baudin hörte es; beinahe wäre er von Sinnen gekommen. Er sagte zu den Heiden: „Seid unbesorgt!
195 Die Verse 6280–82 sind ganz unterschiedlich überliefert, in WHR, Ars auf einen Vers verkürzt. Hs. F nennt an Stelle von Persagué, dem Bruder Renoarts, Tenebrez. Wolfram hat offenbar so einen Text gekannt, daraus das Folgende auf Tenebré bezogen und Purrels sun […] Tenebreiz, Bruder von Bargis, daraus gemacht (Wh. 443, 18f.). Die Namen gehen hier in der Überlieferung völlig durcheinander. 196 Tempesté M, Charboucle Hs. D, Triboez Hs. F, fehlt in den anderen Hss. Vgl. Anm. zu M 6254. 197 Vermutlich Verschreibung für Cord(r)es (so WHR, A). 198 In M hier fälschlich Dativ statt Akkusativ (so in WHR, Ars). 199 Dieser nur in M und Hs. F überlieferte Vers wäre bestenfalls nach 6270 unterzubringen. Er paßt weder zu den Franzosen noch zu den auf dem Lande zurückgebliebenen Sarazenen.
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Übersetzung
Vor dem Morgen werde ich meine großen Schläge erprobt haben. Hier will ich meinen Onkel Deramé rächen.“ Sogleich machte er kehrt und führte die Heiden weg. Ein Bohnenfeld fand er vor sich liegen. Bohnen gab es da in Hülle und Fülle. Dort gingen die Heiden allesamt hinein. Diese Nacht haben sie dort²⁰⁰ ihr Lager aufgeschlagen. Mehr als ein Scheffel von den Bohnen enthülsten sie²⁰¹ und aßen davon. Brot kosteten sie aber keines. Zu ihrem Unglück aßen sie sie; teuer wird dafür bezahlt werden. Besser hätten sie sich in Sicherheit geflüchtet.²⁰² König Baudin schrie den Heiden zu: „Barone“, sagte er, „seht, die Sonne ist untergegangen. ²⁰³ Fürchtet nichts, bis der Tag angebrochen ist! Ich werde hier hinunter auf die Wiese gehen. Wenn ich Guillelme Kurznase sehe und den Vasall, den man so sehr gerühmt hat, werde ich, bei Mahomet, dem ich mein Haupt geweiht habe, kein Brot oder Getreide essen, bis ich den einen oder den anderen getötet habe.“ Alsdann brach er auf und sprang über einen Graben zurück, der gut fünfzehn Fuß Breite hatte. Die Heiden haben ihn Mahomet empfohlen.
CXXIII. (WHR 168, Ars 168, A 163) König Baudin kam aus dem Bohnenfeld heraus. Er hatte eine groß Statur und ein kühnes Antlitz. Er hielt den Balken, dessen Schaft gewaltig war. Fünf Bauern aus Bayern hätten ihn nicht tragen können, 6335 ihm aber war es nicht so schwer wie ein Tuch. Baudin lief in großen Sprüngen über den Sand,
200 Statt des erforderlichen iluec WHR, Ars, A wird in M das paien der vorangehenden Zeile wiederholt. 201 Ich übersetze encossé WHR, A (Vers fehlt Ars), nicht passé M. 202 Ich übersetze Miex leur venist füir a sauveté WHR, A ~ Ars, nicht das unverständliche Meuç en poüsent barginer aguisé M „Besser hätten sie Geschäfte machen können …“(?). Auch Holtus kann aguisé nicht erklären. 203 Ich übersetze le soleil cliné WHR, Ars, A, nicht lo sail levé M. Die folgende Zeile setzt den Sonnenuntergang voraus.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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längs dem Ufer, immer entlang der Küste. Ehe er zurückkehrt, wird er einen wilden Kampf ausfechten, denn Renoart kam einen Karrenweg heran. 6340 Vernichtet hatte er dieses widerliche Volk. Auf der Wiese lagen mehr als 20.000 von ihnen, welche er getötet hatte – Totenbahren gab es für sie keine.²⁰⁴ König Baudin kam ihm entgegen und schrie laut: „Ihr werdet nicht davonkommen, Lump!“ 6345 Renoart sagte: „Ihr lügt, Betrüger! Auf Gott vertraue ich und auf den erlauchten heiligen Petrus. Um deines Balkens willen werde ich mich nicht zurückziehen.“
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CXXIV. (WHR 169, Ars 169, A 164) König Baudin war über alle Maßen gewaltig und hielt den Balken, welcher groß und kantig war. Er schrie Renoart mit vier Worten an: „Sage mir, Vasall, wie heißt du? Wer ist dein Vater? In welchem Land bist du geboren? Lüg mich nicht an, sondern sage mir die Wahrheit! Du bist gar wunderbar gut gebaut und vierschrötig. Glaubst du an Mahomet und an seine heiligen Kräfte? Dann brauchst du keine Angst zu haben, denn du bist ganz in Sicherheit. Wenn du aber an Jesus in seiner Majestät glaubst, der gepeinigt wurde wie ein überführter Räuber, könnte dich alles Gold der Welt – das sage ich wahrheitsgemäß – nicht davor bewahren, getötet zu werden.“ Renoart sagte: „Geduldet Euch ein wenig! Mit Gottes Beistand werde ich dir die Wahrheit sagen. Euretwegen wird mein Name nicht verheimlicht werden. Zuvor getauft,²⁰⁵ werde ich Renoart gerufen und bin ein Sohn des Königs Deramé, und mein Schwager ist Guillelme Kurznase. Jetzt habe ich dir die Wahrheit gesagt und kein Wort verschwiegen.“
204 nunc n’i orent bienere M, ainc n’i ot faite biere WHR, Ars. Text in M ist unklar und scheint verderbt. 205 Einz batisté M, En droit baptesme A „in der rechtmäßgen Taufe“, De Francois WHR, Ars „von den Franzosen“. Renoart ist zu diesem Zeitpunkt eindeutig nicht getauft, was er auch einige Verse später (6391) selbst sagt. Sänger haben hier frei, aber unsinnig variiert.
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Übersetzung
Und Baudin sagte: „Ich kenne dich gut. Du bist mein Cousin und wurdest aus meinem Volk geboren, und mein Onkel ist dein Vater Deramé. Sehr lange Zeit ist es her, daß du in Cordoba geraubt wurdest. Bist du es also, der uns so malträtiert und uns Heiden heute erschlagen und getötet hat? Vor allen anderen bist du heute ein gefürchteter Vassall. Mitten in der Schlacht habe ich dich heute genug gesucht. Wo ist die Stange, die vorne mit Eisen versehen ist? Ich sehe nichts davon und bin umso wütender. Lauft, um sie zu holen, wenn Ihr Euch damit schlagen wollt!“ Renoart sagte: „Zerbrochen und geborsten ist sie. Ich habe jetzt keine Waffe außer diesem stählernen Schwert.“ Und Baudin sagte: „Das ist sehr ärmlich. Herr Renoart, lieber Cousin, hört zu! Graf Guillelme hält Euch in sehr niedriger Stellung. Nackt und bloßfüßig wie ein Bandit lauft Ihr daher. Handelt richtig und kommt fort mit mir. Mahomet wird davon erhöht und erhoben werden und ihr²⁰⁶ Gott verhöhnt und entehrt. Frankreich werden wir vernichten; Ihr werdet es mit eigenen Augen sehen.“ Renoart sagte: „Nie mehr werdet Ihr davon reden.²⁰⁷ Ich würde es nicht tun, selbst wenn ich in Stücke gehauen würde. Auch wenn ich nicht getauft und aus der Taufe gehoben wurde, glaube ich doch an Gott und seine heiligen Kräfte und an die Jungfrau, die ihn in ihrem Schoße trug. Solange ich lebe, wird mein Herz sich nicht davon abwenden. Denn Mahomet ist keine zwei geschälten Eier wert,²⁰⁸ ungeachtet des vielen Goldes, das dort aufgehäuft ist, und man kann ihn²⁰⁹ in die Gräben schütten wie einen Hund, wenn er erschlagen wäre.“ Und Baudin sagte: „Recht wie ein Narr hast du geredet.
206 „ihr“ = „der Franzosen“. Das geht aus den Versen hervor, welche davor in M ausgefallen sind. 207 Wohl besser Imperativ wie in andern Hss. 208 Ich übersetze ne vaut .ii. oes pelés WHR, Ars, A, nicht das vermutlich verlesene ne vaut mes d’us pelez M. 209 Ich übersetze Si le puet l’en WHR, A, nicht L’autre puet hom M „Den anderen/das andere kann man“.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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6400 Da ich sehe, daß Ihr an Mahomet nicht glaubt
und unser Gesetz mißachtet und haßt, werde ich Euch niederschlagen, wenn Ihr nicht auf der Hut seid.“ Renoart sagte: „Gott ist mein Hüter, und ich habe mich in seine Hände gegeben. 6405 Herr Cousin Baudin, Ihr habt völlig Unrecht. Ein Sohn meiner Tante²¹⁰ seid Ihr und wollt mich töten. Sollte da nicht Demut eine Rolle spielen oder Verwandtschaft oder Zuneigung?“ und Baudin sagte: „Wenn Ihr Euch gefangen gebt 6410 und an Mahomet glaubt und seine heiligen Kräfte, nur unter diesen Umständen wirst du begnadigt.“ Renoart sagte: „Du wirst in Schande kommen. Von all den Gütern, die du gewünscht hast,²¹¹ sollst du die Bürgschaft haben. Ich will ihretwegen keine Schmach erleiden.“ 6415 So forderten sie beide einander zum Kampf heraus. CXXV. (WHR 170, Ars 170, A 165) Die beiden Barone trennten sich und gingen auseinander. Sie sahen einander an, nachdem sie einander herausgefordert hatten.²¹² Tapfer begegneten sie einander. Renoart hielt sein gutes stählernes Schwert, 6420 und Baudin erhob sein großes Holzstück und gab Renoart einen brutalen Schlag. Der Held, der großen Respekt davor hatte, wich aus. Kein Wunder, wenn er sich sehr geduckt hat. Er hatte gekämpft, seit es Tag geworden war. 6425 Baudin schlug fehl und traf ihn nicht, erfaßte nur die Schöße seiner glänzenden, golddurchwirkten Halsberge, so als hätten sie sich beim Ausweichen im Wind bewegt. Wieviel auch immer er getroffen hatte, hieb er herunter. Bis zur Erde ging der Schlag nach unten.
210 Ich übersetze m’antain WHR, Ars. m’altein M ist entweder Verschreibung oder eine abweichende Form. 211 De toç li biens qe tu as deviseç M, De tous les dis que tu as devisés WHR, Ars. Verständnis schwierig. Guessard/Montaiglon ziehen den Satz zum vorigen. deviser vieldeutig – vgl. TL 2, 1879–83. 212 Ich übersetze, allerdings im Verhältnis der Vorzeitigkeit, quant se sont desfié WHR, Ars, A, nicht quant seront desfié M, wo offenbar ein Graphem verlesen wurde.
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Übersetzung
6430 Das Holzstück drang dort mehr als sieben Fuß ein.
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Renoart sprang auf und gab ihm einen Hieb auf den Kopf mitten auf den eisenbeschlagenen Helm. Wäre da nicht die Helmbrünne der golddurchwirkten Halsberge gewesen, so wäre der Kampf schon zu Ende gewesen. „Wahrhaftig“, sagte Baudin, „da hast du schlechte Arbeit geleistet.“ Er hob das dicke und kantige Holzstück, welches er hielt, und hob es mit großem Eifer in die Höhe. Nun möge Gott dem stahlharten Renoart helfen, denn wenn er ihn trifft, wird er ihn gleich niederschlagen. Renoart war von hohem adeligem Sinn. Er wich dem Schlag aus und sprang auf die Füße. Baudin verfehlte ihn, traf eine Marmorsteinplatte und spaltete und hieb sie geradewegs mitten entzwei. Der Schlag, den der Schurke führte, war gewaltig. Er zerbrach seinen Balken in zwei Hälften, gerade so genau, als wäre er abgemessen worden. Renoart sprang auf und beschaffte sich den Holzstumpf – dieser war wahrhaftig einen Klafter lang. Sein stählernes Schwert stieß er in die Scheide. Er streckte sich in die Höhe und sprach Baudin an: „Herr Cousin, ich habe Euch sehr geliebt.²¹³ Solange ich jung war und von geringem Alter – das weiß ich wahrhaftig, und man hat es so erzählt –, da wart Ihr der Stärkste aus meiner ganzen Verwandtschaft. Gar sehr hätte ich dich geliebt und wertgehalten, wenn du an den König in seiner Majestät geglaubt hättest. Da du aber kein Christ bist, habe ich von dem großen Holzstück, das du mitgebracht hast, die Hälfte genommen und weiß dir dafür keinen Dank. Wenn du Mahomet verwirfst, sollst du verschont bleiben.“ Und Baudin sagte: „Dann werden die Teufel dabeisein! Ich und du werden nicht auseinandergehen, bis²¹⁴ ich dich besiegt und überwunden habe. Meinst du, mir einen Schrecken eingejagt zu haben,
213 Ich übersetze amé WHR, Ars, A, nicht aydé M. Worin sollte Renoart Baudin geholfen haben? 214 Ich übersetze tant que WHR, A, nicht Si M, was auch einen zu kurzen Vers ergibt.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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6465 wenn du ein bißchen von meinem Holzstück erlangt hast?
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Bei Mahomet, dem ich mich übergeben habe, auch wenn ich nur meine mächtige Faust hätte und Ihr außerdem zu viert versammelt wäret, würde ich Euch überwunden haben, ehe es noch Abend wird.“ Mit diesem Wort machten sich beide bereit.²¹⁵ Einer trat gegenüber dem anderen vier Schritte zurück, und beide richteten ihre Absicht auf einen guten Schlag. Siehe, da kam ein bewaffneter Ritter. Er kam aus der Schlacht, woran er teilgenommen hatte. An fünfzehn Stellen am Leibe war er verwundet. Er sah Renoart und erkannte ihn sehr wohl, der mit dem ungläubigen Heiden stritt. Er sprengte davon, ohne ein Wort verlauten zu lassen, und zog die Zügel nicht an, bis er bei Guillelme war. Dieser trug Kummer um Renoart im Herzen, von dem er keine zuverlässigen Neuigkeiten erfahren hatte. Der Ritter schrie sehr laut: „Herr Guillelme, Ihr habt zu lange gesäumt! Renoart habe ich gesehen unter jener verzweigten Fichte,²¹⁶ jenseits dieses Berges über jene Furt hinüber, wo er mit einem so großen Teufel ficht, der einen großen Fuß größer²¹⁷ als er ist.“ Guillelme hörte dies und schrie: „Monjoie!“ Das Essen verweigerten sie, vielmehr rührten sie davon nichts an. Er und seine Brüder brachen sofort auf. Die Franzosen folgten ihnen und machten sich nach ihnen auf den Weg. Keinen gab es, der nicht heftig geschworen hätte, daß sie bis Spanien nicht anhalten und in ihrem Leben keine Rast mehr machen würden, bis sie Renoart wiedergewonnen haben.
215 Holtus vermutet, daß cesné M soviel wie acesmé (vgl. TL 1, 78) sei. Die anderen Hss. weichen stark ab. 216 Ich übersetze pin ramé WHR, Ars (arbre ramé A), nicht pui ramé M „astreicher Hügel“? 217 Ich übersetze graindres WHR. Ars, A, nicht grant M.
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Übersetzung
CXXVI. (WHR 171, Ars 171, A 166) Graf Guillelme ritt mit Einsatz der Sporen, und alle seine Brüder ritten mit großer Anstrengung. Um Renoart waren sie in sehr großer Angst. [Ein jeder hielt in seiner Hand einen Stock.]²¹⁸ „Bis nach Persien werden wir ihm nachreiten!“ Nun werde ich euch von Baudin, dem Aragonesen,²¹⁹ erzählen und von Renoart, der das Herz eines Helden hatte. Ein jeder hielt in seiner Hand einen Stock, der von dem Balken auf einem Felsen abgebrochen war. Und die Kämpfer,²²⁰ stolz und wild, griffen einander heftiger an als Leoparden oder Löwen. Cousins waren sie und aus ein und demselben Volk. Renoart schlug dem Heiden mit höchster Anstrengung auf seinen Helm, der dem König Clarion gehört hatte. So fest war er, daß es ihm kein bißchen schadete.
daß er ihn ganz betäubte bis ins Innerste.²²¹ Aus der Nase floß sein Blut massenweise heraus. Brust und Kinn hatte er blutig, das ganze Antlitz, den Mund und den Schnurrbart, den ganzen Schild und die glänzende Halsberge. Der Heide fiel auf die Knie mitten auf der Wiese, ob er wollte oder nicht. Renoart sagte: „So ausgeführte Hiebe sind sehr gut. Herr Cousin, nun widersagt doch Mahomet.
218 Der Vers ist zu streichen, obwohl er ähnlich auch in Hs. B1 steht. Der Sänger hat hier irrtümlich den Vers 6503 vorweggenommen, am rechten Ort dann aber wiederholt. 219 lo Ragnon M, lAragon Hs. F, l’Esclavon WHR, Ars, A. In M scheint Verschreibung vorzuliegen. 220 compagnon M ist vermutlich verlesen aus champion, welches zwei Hss. bieten. Vielleicht werden sie aber im Vorgriff auf 6505 schon als „Gefährten“ bezeichnet. 221 Der Sänger ist hier ganz aus dem Konzept gekommen (was Holtus nicht vermerkt). Er schließt an 6510 den Vers 6511 Tot l’escarta en deci q’au menton M „Ganz hieb er ihn bis zum Kinn in Stücke“ an, ein typisches Versatzstück des Kampfes, was hier aber gar nicht paßt, da der Helm ja ganz bleibt. Ich ersetze den Vers M 6511 durch WHR 7028 und schiebe, um den notwendigen Zusammenhang herzustellen, noch WHR 7027 davor ein: 7027f. Li cos fu grans, si descent de randon, / Tout l’estona de ci qu’ens el pomon. Ars und A haben so ziemlich denselben Text.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
267
6520 Jeder von Euren Göttern ist doch gar nichts wert.
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Aus Freundschaft werde ich deshalb Euer Lehensmann, dann begeben wir uns gemeinsam von hier nach Laon, und ich werde die Nichte Karls zur Frau nehmen, das ist Aelis mit dem schönen Antlitz. Es werden mir Franzosen und Burgunder dienen, und du wirst Cordoba besitzen und das Königreich, das ganze Land bis nach Avalon.²²² Tue es, Cousin, und du wirst wie ein Edelmann handeln. Oder wenn nicht,²²³ wirst du, beim Glauben, den ich Jesus schulde, und bei der Liebe zu Aelis mit dem schönen Antlitz gleich einen Schlag mit deinem Stab bekommen.“ Baudin hörte das, wurde rot wie glühende Kohle und antwortete aus großem Ingrimm: „Niederträchtiger Bastard, jetzt haltet Ihr mich zum Narren. Du hättest mir beinahe den Nacken gebrochen, und nun willst du²²⁴, daß ich Wiedergutmachung leiste. Doch bei dem Glauben, den ich Mahomet schulde, wird es zwischen mir und dir keine Versöhnung geben, solange ich dir dafür keine Belohnung gegeben habe!“ Dann sprang er nach vorn in Heldenmanier hob mit beiden Händen den Baumstumpf in die Höhe und schlug Renoart mit großem Ingrimm.²²⁵ Die glänzende Halsberge nützte ihm gar nichts. Er zerriß sie so wie ein Stück Wams. Unter der Lende zerhieb er ihm das Fleisch. Renoart knickte unter dem bösen Schlag ein und stützte sich mit den Händen²²⁶ auf den Sand. Beinahe wäre er auf die Knie gefallen.
222 Die übrigen Hss. haben hier Carfanaon. Während seine Macht hier bis ins Heilige Land reichen soll, denkt der Redaktor/Sänger von M an das Ende der realen Welt. 223 O sce ci non M, fraglich, fehlt in den anderen Hss. Vermutlich ist sc in sce soviel wie s – vgl. enscemble, rescemble etc. – und ci soviel wie ce, so daß dieselbe Wendung wie 6919 vorliegt. 224 veis M, offres WHR, Ars, roves A. Die nur hier belegte Form veis steht vermutlich für vas oder vuels/veus, nicht für vois. 225 aisteson M Verschreibung für airison – vgl. 6533? Die anderen Hss. weichen ab. 226 Si s’apuia des costés (oder costes) au sablon M, Si qu’il se met as paumes el sablon WHR, Ars ~ A. Mit den Flanken oder Rippen kann man sich schwerlich aufstützen.
268
6550
6555
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Übersetzung
Der Schlag ging hinunter bis zum Sand und riß ihm die Haut von der Ferse²²⁷ ganz herunter. Das Gras wurde davon rundum blutig. Baudin sah dies und schrie im lauten Ton: „Cousin, beinahe habe ich Euch verstümmelt,²²⁸ doch ich habe Euch der Ferse beraubt wie einen Banditen. Sogleich werdet Ihr ein schmerzhaftes Lied hören, dessen Töne²²⁹ böse wirken werden. Für dich werde ich daher kein Lösegeld mehr bekommen. Ich würde für dich nicht das ganze Gold von Neros Garten²³⁰ nehmen.“ Renoart sagte: „Nun habe ich die Worte eines Toren gehört. Denkt Ihr mir Fleisch genommen zu haben? Zum Kampf stehe ich dir zur Verfügung. Ebenso viel wie du habe ich, wenn nicht mehr, und vertraue auf Gott und den heiligen Simon.“ Mit diesem Wort hob er mit einem Gebet an aus ganz aufrichtigem Herzen in guter Gesinnung: „Gott“, sagte er, „Vater, bei deinem allerheiligsten Namen, der du Erde und Meer in Sorgfalt geschaffen hast und den heiligen Himmel nach Eurer Wahl,²³¹ und Adam aus Erde und Schlamm und sein Weib – Eva nennt man es – und Landtiere, Vögel und Fische,²³² der du dich in der Jungfrau angekündigt, dich in ihrem heiligen Leib verborgen hast und aus ihr geboren wurdest als ein Kind in Betlehem, wie man wahrhaftig weiß. Zweiunddreißig Jahre warst du wahrer Gott und Mensch und nahmst Unterkunft im Hause Simons. Als du Maria Vergebung schenktest,
227 Ich übersetze talon WHR, Ars, A „Ferse“, nicht milon M, entsprechend M 6554. Die Bedeutung von milon „polpaccio“ („Wade“) gibt Holtus im Glossar ohne Beleg an. 228 Ich übersetze fait moignon WHR, Ars, A, nicht don M, was eine leere Aussage wäre. 229 layron M wohl fälschlich aus 6554 wiederholt oder verlesen für li son WHR, Ars, welches ich übersetze. 230 Vgl. Anm. zu M 3284. 231 Ich übersetze election WHR, Ars, A, nicht lecion M. 232 Ich übersetze et poison WHR. M setzt statt dessen gedankenlos den Schluß von 6566 por devison nochmals hierher.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
6580
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6595
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6605
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beugte sich diese unter eine Ruhebank. Bereitwillig senkte sie ihre Augen über Deine Füße²³³ und trocknete sie mit ihren Haaren. Danach salbte sie sie ohne böse Absicht mit einer sehr kostbaren und guten Salbe, welche Euch heiligsten Duft schenkte. Deine Apostel weilten im Haus,²³⁴ und Judas sprach nach Art eines Schufts: ‚Warum hast du eine solche Verschwendung geduldet?‘ Du aber antwortetest auf überaus sanfte Weise: ‚Was sie tat, gefällt mir und tut mir Gutes.‘ Für diese Sünde schenktest du ihr wahrhaftige Vergebung. Gott, am Kreuz hast du die Passion erlitten und wurdest mit der Lanze heftig durchbohrt. Dies tat Longinus, der dafür ein Geschenk bekam: Zuvor hatte er nichts gesehen – denn das weiß²³⁵ man aus dem Glauben –, das Blut kam ihm mit Ungestüm bis zu den Händen; er wischte sich die Augen, und es wurde hell für ihn. Gott, ins Grab wurdest du zu einem Räuber²³⁶ gelegt bis zum dritten Tag, da du auferstanden bist. Die Hölle brachst du auf – da gab es keine Einkerkerung – und befreitest Noe und Aaron. Vom Tode erwecktest du Lazarus zum Leben und Susanna bewahrtest du vor der Verleumdung und Daniel vor der Löwengrube. In den Himmel stiegst du am Tag der Himmelfahrt. Deinen Freunden hast du verkündet, daß sie das Evangelium in der Welt predigen sollten und in die Welt deinen Namen hinaustragen. So wahrhaftig, wie wir dies glauben, beschütze mich, Herr, vor Tod und Gefangenschaft;
233 Die folgenden Zeilen, die von ihren Tränen und der Fußwaschung berichten, sind in M versehentlich ausgefallen. 234 Ich übersetze ierent an la maison Hss. DF, nicht aliren por lo mon M „gingen durch die Welt“. 235 Nur M hat hier die unpassende Präteritalform des Verbs. 236 Diese ‚Korrektur‘ des biblischen Berichts ist durch Verlust einer Zeile entstanden. Ursprünglich hieß es, er sei im Grab bewacht worden „nach Art eines Räubers“.
270
Übersetzung
6610 laß mich Baudin besiegen, diesen Slawen,
so daß ich ihn zu meinem Gesellen haben könnte.“
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CXXVII. (WHR 172, Ars 172, A 167) Als Renoart sein Gebet vollendet hatte, hob er den Stumpf der kantigen Stange und gab Baudin damit einen schweren Nackenschlag auf den Helm, daß die Stange brach, barst und splitterte. Bis zu den Fäusten war sie ganz in Stücke gebrochen. Doch nichtsdestoweniger hatte er ihm so einen Schlag versetzt, daß er seinen ganzen Körper und seinen Kopf betäubte.²³⁷ Beinahe wäre er rücklings mitten auf die Wiese gefallen. Renoart sagte: „Einen Schlag habt Ihr davongetragen.²³⁸ Jetzt wurde Euch meine Kampfeskraft demonstriert!“ Schnell legte er seine Hand an das Schwert. Doch ehe er es aus der Scheide ziehen konnte, war ihm Baudin entgegengetreten. Dann umfaßte er ihn mit den Armen – die Stange hat er weggeworfen. Der Sarazene war weithin berühmt. Einen so starken Mann gab es nicht bis zum Lebermeer. Er hielt Renoart mit sehr großer Wut fest und gab ihm mit seinen beiden Fäusten solche Schläge, daß unter seiner Nase der Mund aufplatzte und ihm die ganze Lippe herabhing. So sehr schnürte er ihn gerade mitten am Rückgrat ein, daß er es ihm um ein Haar ausgerenkt hätte, so daß ihm Schaum vor den Mund trat. Renoart sagte: „Heilige, verehrte Jungfrau, kommt mir zu Hilfe, gekrönte Königin!“ Mit diesem Wort verdoppelte sich seine Kraft. Siehe da: Guillaume sprengte mit Ungestüm heran und seine Schar, die sehr berühmt war.
237 Ich übersetze estounee WHR, Ars, A, nicht estormee M „aufgereizt, aufgeregt, beunruhigt“. 238 Une n’aveç portee M, Une en avés portee WHR, Ars, A „Je ne vous ai pas manqué” (Guidot/ Subrenat). Vermutlich ist hier eine Art Passiv zu dem prägnanten Gebrauch von doner „Schläge austeilen“ (vgl. TL 2, 214f.) gemeint, oder es liegt einfach Ellipse von colee vor. Zu porter „davontragen“ s. TL 7, 1593f.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
6640 Keinen gab es da, der nicht das Haupt gerüstet hatte.
Jeder von ihnen trug sein Schwert ganz entblößt. Tot wäre Baudin gewesen und sein Haupt abgehauen. Doch Renoart rief mit lauter Stimme: „Französische Barone, einen allgemeinen Kampf soll es nicht geben, 6645 wodurch von Euch sein Leib verletzt würde. Sonst wird Euch dafür eine schmerzhafte Buße auferlegt.“ Als die Franzosen das hörten, zogen sie ihre Zügel an, verhielten sich alle ruhig mitten in einem Tal und beobachteten ganz still den Kampf. CXXVIII. (WHR 173, Ars 173) 6650 Nun waren beide Vasallen gemeinsam zu Fuß.
Einer hielt den anderen an den Seiten mit den Armen umfaßt. Mit großer Kraft wanden sie sich und rangen. Viele Male erhoben sie sich vom Boden. Renoart erhob seine beiden mächtigen Fäuste 6655 und schlug Baudin auf seinen ziselierten Helm oder auf den Nacken, wo er ihn traf. Beinahe hätte er ihm den Hals gebrochen. Eine Wendung gab er ihm und warf ihn auf die Knie. Graf Guillelme rief ihm laut zu: 6660 „Bruder Renoart, sieh mich bereit! Ich werde dich an diesem Heiden rächen. Wenn es dir gefällt, werde ich ihn in Stücke hauen.“ Renoart sagte: „Dabei werdet Ihr einen Fehler begehen. Schlecht wird es sein, wenn ich hier Hilfe bekomme. 6665 Wenn ich nicht siege, werde ich nie mehr froh werden.“ CXXIX. (WHR 174, Ars 174, A 168) Nun sind die beiden kühnen Vasallen beisammen. Baudin, der Araber, ist ein sehr wackerer Mann. Die Faust, welche mächtig und kräftig war, hob er zum Schlag und traf damit Renoart neben dem Ohr, 6670 daß ihm das helle Blut aus dem Munde spritzte. Was sollte ich darüber lügen? So tief betäubte er ihn, daß er ihn, ob dieser wollte oder nicht, zur Erde warf, mit rechter Kraft ihm das Schwert wegnahm, aus der Scheide zog und viermal ihm damit 6675 auf die Halsberge hieb; doch das Schwert glitt ab.
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Übersetzung
Renoart war flink und wich aus. Baudin schrie: „Jetzt habe ich Euch getroffen.²³⁹ Zu Eurem Unglück werdet Ihr gegen mich eine Finte erfunden haben. Aber ich habe nicht die geringste Furcht. 6680 Dir zum Trotz werde ich dein poliertes Schwert haben.“ Renoart sagte: „Meiner Treu, das betrübt mich. Cousin Baudin, an dir habe ich einen üblen Freund. So glaube doch an Gott, der die Passion erlitt! Leid wird es mir tun, wenn ich dich in Schande gebracht haben werde.“ 6685 Dann hielt er Ausschau über die blumenreiche Wiese und sah das Holzstück, das dem Araber gehörte. Renoart lief hin und nahm es an sich. Als er es in Händen hielt, freute er sich riesig.
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CXXX. (WHR 175, Ars 175, A 169) Als Renoart das Holzstück wiedergewonnen hatte, wäre er nicht über das Gold einer Stadt so froh gewesen. Er kam auf den Heiden zu und nahm zum Schlag Maß, wie auch dieser auf ihn – er hatte keine Furcht davor. Der Sarazene hielt das stählerne Schwert fest und Renoart den großen, vierkantigen Holzstumpf. Der eine gab dem anderen einen sehr heftigen Schlag. Doch Renoart traf ihn zuerst, so daß er ihm den Backenknochen zerschmetterte und aus dem Mund²⁴⁰ die Zähne herausflogen. [Um ein Haar, und er hätte ihm mit dem Schlag den Knochen ausgerenkt.]²⁴¹ Strahlen von Blut schossen ihm aus der Nase und rannen über den Mund zutal. Renoart war sehr stark, bedrängte ihn und warf ihn völlig betäubt auf die Wiese. Mit seiner Hand ergriff er das gute, stählerne Schwert und stieß es rasch in die Scheide. Den Holzstumpf vergaß er dagegen nicht.
239 Ich übersetze asenti WHR, Ars, A, nicht senti M „gespürt“. 240 Ich übersetze de la bouce WHR, nicht en sa boce M „in seinem Mund“. 241 Dieser Vers steht so oder ähnlich in den Hss. DFM, variiert aber nur ganz ungeschickt 6697.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Baudin ergriff er, warf ihn vor sich auf den Rücken,²⁴² und mit dem Ende vorne an dem vierkantigen Holzstumpf schlug und stieß er ihn ihm so an die Stirne, daß²⁴³ er ihn beinahe erschlagen hätte. Doch Gott in der Glorie rettete den Heiden. Er wollte nicht, daß er sterben sollte, ehe er das Christentum annahm. Baudin schrie in großer Unterwürfigkeit: „Herr Renoart, habt Erbarmen mit mir! Herr Cousin, nun habt Ihr mich getötet, meiner Treu, und mir das Gehirn ganz herausgeschlagen. Helft mir, beim Gott der Demut, damit man mich in der heiligen Quelle wiedergebären soll. Ich versichere dir bei meiner Mannentreue, daß ich in die Stadt Orange gehen werde, wofern man mich an meinem Kopf geheilt haben sollte. Durch mich wirst du das Königreich von Spanien bekommen, das reiche Cordoba in aller Länge und Breite. Die Heiden werden dadurch zu meinem²⁴⁴ Glauben bekehrt werden. Ich werde alle Tage in meinem Leben in deinen Diensten stehen. Keinen Grund wirst du haben, König oder Emir zu fürchten, denn ich bin der edelste deiner ganzen Sippe.“ Als Renoart es zu Ende gehört hatte, daß er aus Zuneigung um Gnade rief und an das heilige Christentum glauben wollte, da wäre er über einen Scheffel geschmolzenen Goldes nicht so froh gewesen, denn in seiner Kindheit hatte er ihn sehr gern gehabt. Zu Gott betete er und sagte ihm Dank dafür. Er konnte sich der Tränen darüber nicht erwehren. Er fiel Baudin um den Hals und umarmte ihn. „Cousin“, sagte er, „ich habe Euch sehr verwundet. Zu lange habt Ihr, lieber Verwandter, geblutet.“ „Nehmt mir rasch diesen glänzenden, edelsteinverzierten Helm ab!
242 Ich übersetze l’a soviné WHR, Ars, A, nicht l’a sojové M „unterjochte“ (Holtus, Glossar, fehlt TL). 243 Ich übersetze Que WHR, Ars, A, nicht E M. 244 Hier muß der neue, christliche Glaube gemeint sein, sofern nicht ein Irrtum für „Euren Glauben“ vorliegt (so WHR).
274
Übersetzung
Beeilt Euch, denn Ihr werdet mich gleich ohnmächtig²⁴⁵ sehen. 6740 Du hast mich so getroffen und im Kampf bedrängt, daß mir um ein Haar das Herz im Leib gebrochen wäre. Wenn du mich getötet hast, so sei dir alles vergeben. Wenn ich hier sterbe, so infolge meiner Torheit!“ Renoart hörte es und seufzte tief. 6745 Schnell nahm er Baudin die Rüstung ab, löste vom Haupt seinen grünglänzenden, edelsteinverzierten Helm und vom Kopf die Helmbrünne. [Neben ihm war er gerade von seiner Größe.]²⁴⁶ Er hatte einen großen Leib und eine mächtige Brust. 6750 Größer war er als jener um einen großen Fuß.²⁴⁷ Beide setzten sich ins Gras mitten auf der Wiese und sahen einander hierauf mit sehr großer Freundschaft an. CXXXI. (WHR 176, Ars 176, A 170) Die Schlacht und der Kampf waren beendet. Renoart saß inmitten des Grases auf der Wiese 6755 und der wilde Baudin neben ihm Seite an Seite. Er hatte eine hohe Statur und mächtige Glieder, eine mächtige Brust und breite Schultern. Von einer seiner Fäuste würde ein Bauer den Tod erleiden. Er hatte Augen rot wie ein zornentbrannter Löwe, 6760 Haare schwärzer als zerstoßene Tinte,²⁴⁸ Zähne weißer als geschliffenes Elfenbein. Eine hohe Statur hatte er, eine ganz krumme Nase, ein breites Antlitz, Augenbrauen dick und breit.²⁴⁹ In der Hölle gab es keinen schöneren Teufel. 6765 „Herr Renoart“, sagte der ungläubige²⁵⁰ König, „Held, besiegt hast du mich mit deiner großen Kraft.
245 Ich übersetze pasmé WHR, nicht das nicht belegbare depasmé M. 246 Drei Hss. haben den Vers, der den folgenden Versen jedoch widerspricht. 247 In M selber Fehler wie 6487. 248 Anders als andere Hss. hat M hier „Kohle“. Doch wird diese nicht zerstoßen oder zerrieben. Zudem steht die zerstoßene Tinte schon 6049 für Baudins Hautfarbe. 249 Ich übersetze gros et les WHR ~ Ars statt des unverständlichen escamplez M. 250 desfamez M „geschmäht, befleckt“ kann kaum stimmen. Ich übersetze daher desfaez WHR, Ars, A. Zu dessen Bedeutung vgl. die Anm. zu M 881.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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Nie zuvor konnte ich durch einen Mann ermüdet werden.²⁵¹ Du hast mir so sehr die Flanken und Seiten eingeschlagen, daß, meiner Treu, mein Herz gebrochen ist. Held, halte mich fest, denn ich falle gleich um!“ Renoart hörte es und wendete sich ihm zu. Er umschlang ihn abermals, und Baudin fiel in Ohnmacht. Siehe, da ist jetzt Guillelme Kurznase, mit ihm seine Leute und seine Brüder in Waffen. Graf Guillelme rief ganz laut: „Herr Renoart, wie befindet Ihr Euch? Wenn Ihr es nötig habt, werdet Ihr sehr gute Hilfe bekommen.“ Renoart sagte: „Lieber Herr, kommt nur näher! Ich habe ihn besiegt – Gott sei dafür gepriesen! Er ist mein Cousin und stammt aus meiner Sippe; und er möchte in der Quelle wiedergeboren werden.“ Und Guillelme sagte: „Gott sei dafür verehrt! Gut habt Ihr das gemacht und werdet daraus großen Gewinn ziehen.“ Aus seiner Ohnmacht ist Baudin wieder erwacht. Von seinem Bliaut riß er einen der Schöße ab und verband sich damit Kopf und Seiten. Renoart sagte: „Cousin, nun kommt fort zusammen mit mir. Ihr habt nichts zu befürchten!“ Und Baudin sagte: „Wie Ihr wünscht.“ Sogleich brach er auf; siehe, sie machten sich auf den Weg. Bis zum Heerlager machte keiner Halt.²⁵² Die Franzosen aus Frankreich hatten die Schiffe des großen Schatzes, der dort aufgehäuft war, beraubt. Gesegnet sei die Stunde, da er herangeführt worden war! Gott, welcher Schatz war da beisammen! Ein jeder wird davon reich und wohlhabend²⁵³ sein.²⁵⁴ Auf Aliscans ließen sie ihre Zelte aufspannen. Die Nacht war finster; die Sonne war untergegangen.
251 laseç M; besser wohl matés WHR, Ars „matt gesetzt, besiegt“. 252 Ich folge WHR, Ars, A: est nus arestés. M hat hier „Bis zum Heerlager ist keiner zurückgekehrt.“ 253 Ich übersetze assasés WHR, Ars, A, nicht asieç M „bequem“. 254 Das Verhalten der Sieger wird ähnlich, nur noch drastischer, auch im Wh. beschrieben. Es kann also keine Rede davon sein, daß Wolframs Quelle schon zuvor endete, wie Rolin behauptet.
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Übersetzung
Die Franzosen stiegen ab; siehe da, sie waren in ihrem Lager. Das Essen war sehr trefflich bereitet worden. Man bediente sie gut mit Wein und Claret und mit Nahrungsmitteln, alles nach ihren Wünschen. Die Franzosen gingen schlafen, als sie genug gegessen hatten. Alle waren sehr abgekämpft und erschöpft, leidend und müde von der Schlacht. Der Graf Ernaut hielt diese Nacht Wacht. Beim Tagesanbruch, da sich große Helligkeit verbreitete, erhob sich Baudin, der sehr geschwächt war, und bat Renoart in sehr freundschaftlicher Art: „Cousin“, sagte er, „erlaubt mir, mich zu verabschieden, damit ich in mein Land gehe und mich von meinen Wunden erhole. Ich werde geradewegs nach Orange in den Fürstenpalas zu Euch kommen – zu Unrecht werdet Ihr daran zweifeln – und alle Eure Wünsche erfüllen.“ Renoart sagte: „Gerne und mit Freude. Doch hütet Euch wohl, mich zu belügen. Denn bei dem Gott, der am Kreuz gelitten hat, Ihr würdet²⁵⁵ in diesem Land nicht gefunden werden, ohne für den Verrat zur Rechenschaft gezogen zu werden.“ Und Baudin sagte: „Zweifelt nun nicht daran! Herr Renoart, zu Unrecht werdet Ihr darüber noch ein Wort verlieren! Ich würde es nicht tun, selbst wenn ich dafür in Stücke gehauen würde.“ Und Guillelme sagte: „Zu Unrecht werdet Ihr ihm jetzt mißtrauen! Baudin wird Euch sein Wort völlig halten.“ „Wahrlich, lieber Herr, ich werde es daran nicht fehlen lassen.“ Er gab ihm die Erlaubnis und seine Einwilligung. Trefflich hielt er die Vereinbarung ein und wird deshalb nicht geschmäht werden. Renoart wurde seinetwegen erhöht, überall auf der Erde gefürchtet und respektiert. Der Araber Baudin machte sich bereit und stieg auf einen Lastkahn, nachdem er gegessen hatte. Zusammen mit ihm brach Persagué auf,
255 Ich übersetze Ja ne seriés WHR, Ars ~ A, nicht Je n’en seroy M.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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ein Seemann, der das Meer gut kannte,²⁵⁶ 6835 ein Sarazene, der über viele Fähigkeiten verfügte und aus der Schlacht lebend entkommen war. Die Segel zogen sie auf; siehe, sie lichteten den Anker. Sie empfahlen die Franzosen²⁵⁷ dem Herrgott, und Renoart und Guillelme Kurznase. 6840 Baudin begab sich fort, und Renoart blieb da. Auf Aliscans wurde viel Reichtum aufgehäuft und zum Transport aufgeladen und aufgepackt. Nachdem sie gegessen hatten, tranken sie genug.²⁵⁸ Graf Guillelme schlug für die Nacht sein Lager auf 6845 und Aymeri und alle die anderen Ritter. Sehr gerne ruhte ein jeder sich aus.
Renoarts Zorn, Versöhnung, Taufe und Ritterweihe CXXXII. (WHR 177, Ars 177, A 171) Die Franzosen legten sich schlafen, nachdem das Abendessen vorbei war. Graf Guillelme ließ sie nachts Wachen aufstellen. Doch Renoart konnte gar nicht ruhen. 6850 Aufgeregt war er vom Tragen seiner Stange, vom vielen Austeilen der großen Schläge. Selbst durch Abschneiden der Glieder wäre er nicht zur Ruhe gekommen.²⁵⁹ Mitten in der Nacht hieß er das Heer aufstehen und ging, das Schwert in der Faust, durch die Zeltreihen, um zu rufen: 6855 „Auf, auf, der Tagesanbruch ist nahe! Nun schnell, Franzosen, bemüht Euch, Euch zu rüsten!²⁶⁰
256 Ich übersetze qui de mer sot assés WHR, A ~ Ars, nicht qe do lonc fu casseç M „der seit langem verletzt war“. 257 In M ist ein le eingeschoben, wodurch Objekt und Subjekt vertauscht werden. Ich folge WHR, Ars, A. 258 Vermutlich wieder ein wenig sinnvoller Formelersatz. In den anderen Handschriften geht nach dem Essen die Sonne unter, was die Handlung sinnvoll gliedert. 259 Ne repousast por les membres couper M, WHR, Ars, A. Ein ungewöhnlicher Ausdruck. Guidot/Subrenat übersetzen sehr frei: „Rien n’aurait pu lui faire prendre du repos.” Chacornac verfehlt den Sinn ganz. 260 aconer M „mit Hornschall herbeirufen“ paßt kaum. Wohl verlesen aus atorner (Holtus) „sich rüsten“. haster WHR, Ars.
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Übersetzung
Denn bei der Treue, welche ich Guiborc entgegenbringen muß, wenn ich Euch nicht auf der Stelle Euch bereitmachen sehe, werde ich Euch schändlich büßen lassen,²⁶¹ so daß der Stolzeste sich nicht rühmen wird können, daß ich ihm nicht den Kopf vom Rumpf trenne.“ Als die Franzosen Renoart so reden hörten, erhoben sie sich sehr rasch und wagten es nicht, säumig zu sein. Einer sprach zum anderen: „Gott möge ihn zu Schanden werden lassen, daß er uns nicht ruhig schlafen läßt! Verflucht sei, wer uns jetzt marschieren läßt²⁶² und zu dieser Stunde unsere Harnische aufpacken!“ Renoart sagte: „Bemüht Euch, Euch zu beeilen! Ich bin ein Königssohn und soll wohl befehlen und in der Schlacht große Wildheit zeigen.“ Als sie das hörten, wagten sie nicht, ein Wort verlauten zu lassen. Die Franzosen erhoben sich und ließen ihre Hörner erschallen. Zelte und Unterkünfte ließen sie aufbinden und aufpacken und die Pferde schön aufzäumen. Bei Tagesanbruch, als die Morgenröte durchkommen mußte, ließ Guillelme seine Ritter sich waffnen. Schnell machten sie sich daran, gemeinsam aufzusteigen. Der Graf ging, um nach Vivien zu sehen. Am Tümpel wird er ihn gleich finden können. Zwischen zwei Schilden ließ ihn der Graf einschließen und schön unter dem Baum begraben. Beim Weggehen begann er zu weinen. Viele Ritter hättet ihr in Ohnmacht sinken sehen können. Da ließ Guillelme sein Haupthorn erschallen. Das Heer brach auf und begann den Marsch mit großem Eifer; sie hatten keine Zeit, sich aufzuhalten. Und Renoart lief voran, sie anzuführen, das Schwert in der Faust – wilder war er als ein Eber. Ein armer Mann kam, stellte sich vor ihn hin²⁶³
261 Ich übersetze comparer WHR, Ars, nicht comander M „befehlen“. Lesefehler? 262 qi jor ne fet irer M ist wohl verlesen aus qui or nos fet errer – vgl. quant il nos fait errer A, qui or nous fait lever WHR, Ars. 263 Hier setzt die Textauswahl von Boutet wieder ein, allerdings mit anderer Laissenzählung. Die von ihm ausgewählten Laissen Ars 177–179 tragen bei ihm die Nummern 179–181 (= Newth
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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6890 und begann ihn um Mitleid anzuflehen.
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„Herr“, sagte er, „laßt mich zu Euch sprechen! Ich komme, mich bei Euch über die Sarazenen zu beklagen, welche ich gestern Abend in meine Bohnen eindringen sah. Durch mich wollten sie sich gar nicht aufschrecken lassen. Ich sah, wie sie alles verwüsteten und aufzehrten. Mehr als zwei Scheffel haben sie von den Hülsen befreit. Ich hatte so Angst vor ihnen²⁶⁴, daß ich es ihnen nicht zu verbieten wagte. Dabei dachte ich sie zu verkaufen und Brot zu kaufen, um meine Kinder und mich zu versorgen. Lieber Herr, ich hatte ihnen nichts zu geben, nun müssen sie Hungerbäuche bekommen.“ Renoart sagte: „Zu ihrem Unglück wagten sie, daran zu denken.²⁶⁵ Beim heiligen Dionysius, ich werde es sie bezahlen lassen! Herr Bauer,²⁶⁶ Ihr braucht nicht zu wehklagen, denn für all Euren Schaden werde ich Euch Wiedergutmachung verschaffen.“ „Herr“, sagte er, „Jesus möge dir Heil schenken!“²⁶⁷ Jetzt siehe da Herrn Guillelme, den Helden, und Renoart trat vor ihn hin und begann mit großem Stolz ihn anzureden: „Herr Guillelme, nun könnt Ihr hören von Sarazenen, welche uns berauben wollen und unseren Leuten die Lebensmittel wegnehmen.“ „Wie, lieber Herr? Ihr dürft es mir nicht verheimlichen.“ „Renoart sagte: „Genau kann ich²⁶⁸ es Euch berichten. Mehr als 20.000 Sarazenen und Slawen haben diesem Bauern seine Bohnen verwüstet. Da drinnen hatten sie seit gestern Abend ihr Lager aufgeschlagen. Nun aber bitte ich Euch, laßt mich hingehen. Wenn aber nicht, werdet Ihr sogleich²⁶⁹ sehen, wie ich mich vergesse.“
178–180). 264 Ich übersetze les WHR, Ars, A, nicht lors M „damals, dort“. 265 Ich übersetze penser WHR, Ars, A, nicht parler M „reden“. 266 Der unpassende Herrentitel für den Bauern soll entweder schmeichelnd oder ironisch sein. 267 Ich übersetze puist WHR, Ars, A, nicht puet M „er kann, mag“. 268 Ich übersetze puis WHR, Ars, nicht puet M „er kann, mag“. A weicht hier wie vielfach in dieser Laisse ab. 269 Ich übersetze ja WHR, Ars, nicht ça M.
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Übersetzung
6920 Und Guillelme sagte: „Freund, laßt das sein!
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Ich habe große Angst, man könnte Euch ein Leid antun. Ihr könnt tausend Ritter mit Euch führen.“²⁷⁰ „Nein, Herr, Ihr müßt Euch nicht ängstigen. Ich werde dorthin weder Gefährten noch Standesgenossen führen. Wenn ich sie nicht ganz allein außer Gefecht setzen kann und aus eigener Kraft besiegen und matt setzen, würdet Ihr mir zu Unrecht einen Bissen Brot zum Mittagessen geben!“ Aymeri sagte: „Laß ihn gehen, Bruder! Die Heiden werden ihm nicht standhalten können. Hat er denn nicht ganz allein die Schlacht entschieden?“ Und Guillelme sagte: „Ich will es gerne zugeben. Er möge nun hingehen.²⁷¹ Gott möge ihn zurückbringen! Gerne überlasse ich ihm den Schutz der Bohnen. Gerechtigkeit werde geübt, um die Missetat zu sühnen!“ Renoart sagte: „Das verdient Dank. Nun muß ich meine Gerechtigkeit vorzüglich erweisen. Herr Guillelme, laß mir einen Schild geben! Mehr Waffen möchte ich gar nicht mitnehmen.“ Und Guillelme sagte: „Ihr werdet einen guten Buckelschild haben. Ich habe ihn dem Fürsten von Bauder²⁷² weggenommen.“ Er selbst ging, um ihn ihm zu holen, und Renoart hing den Tragriemen um seinen Hals. Wer ihn gesehen hätte, wie er nach dem Halteriemen griff,²⁷³ (jenen) oft hintereinander um seinen Kopf nach vorne und hinten wand, (den Schild) artig aufrichtete und hob, fest an seine Brust preßte und drückte,²⁷⁴
270 Ich ergänze od vos nach WHR, Ars, A. 271 voisist M vermutlich verschrieben für voist, so WHR. 272 Prince de Bauder M, ziemlich sicher verderbt, da der Vers viel zu kurz ist; Tornefier de Biaucler WHR, Ars, Principle de Belcler Hs. D, Principel de Moncler Hs. E, fehlt in A2A3B1D. Ein amirant Tornefier taucht WHR 4502 in den meisten Hss. auf. Dieser Vers fehlt jedoch in M. 273 guinqe M, guige WHR, Ars, A, bezeichnet den Riemen, mit welchem der Schild für den Marsch um den Hals gehängt wird. 6943 enarme M, WHR, Ars, bezeichnet dagegen den Riemen, an dem (hinten am Schild) der Krieger den Schild im Kampf vor den Leib hält. Vers 6944 kann sich nur auf den Tragriemen beziehen. 274 Davant son chief estandre et feruier M, Devant son pis estraindre et serrer WHR. In M wird hier wohl versehentlich (statt der Brust) der Kopf aus 6944 wiederholt. feruer scheint aus serrer verlesen.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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um sich gut zu decken, zu schirmen und Hiebe auszuteilen, hätte ihn sehr preisen und loben können. Kein Ritter wußte ihn besser zu tragen.²⁷⁵ 6950 Da begab er sich fort und wollte nicht weiter verweilen. Der Bauer führte ihn, er wollte es nicht versäumen; mit ihm ging er weg und wollte nicht mehr dableiben.
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CXXXIII. (WHR 178, Ars 178, A 172) Nachdem Renoart Abschied genommen hatte, machten sie bis zu den Bohnen nicht halt. Renoart stieg auf eine Grasböschung und sah viele mit Eisen gepanzerte Heiden. Mit seiner lauten Stimme rief er ihnen einen Kampfruf zu: „Hurensöhne, irrgläubige Sarazenen, Zu Eurem Unglück werdet Ihr das Bohnenfeld²⁷⁶ niedergetrampelt haben! Zuviel habt Ihr davon gegessen und zerstört. Ihr seid (davon) fett und dickwanstig wie Rindvieh. Aber bei dem Glauben, den ich dem König Jesus schulde, besser wäre es für Euch, in Montagu²⁷⁷ zu sein. Ich bewache die Bohnen; mir gehören die Abgaben davon. Ihr werdet gleich arg bekümmert sein! Entweder Ihr gebt mir tausend Mark von wohlgeschmolzenem Golde, oder Ihr werdet alle aufgehängt.²⁷⁸ Hurensöhne, zuviel habt Ihr getrunken,²⁷⁹ so daß Ihr dem armen Mann das Seine genommen habt! Zu Eurem Unglück seid Ihr eingedrungen und werdet alle vernichtet.
275 Ich übersetze nel sot plus bel porter WHR (nur Hs. D), nicht n’i set meulz traverser M „wußte besser hinüber-, hindurchzugehen“. 276 Ich übersetze la faviere WHR, Ars, A, nicht lo fossé M, wo fehlerhaft das Objekt aus 6955 wiederholt wird. 277 Rasch hält dies für eine heidnische Stadt, Holtus verweist auf die bei Flutre angeführten franz. Städte. Vgl. auch Langlois, s. n. M. E. kommt auch eine Stadt am Rande des franz. Sprachgebiets (wie Huy und Dinant M 2904) in Frage: Montaigu in Flandern (heute Scherpenheuvel). 278 Au departir serez tuit apendu M, Ou tuit serez par les geules pendu WHR ~ Ars, A „oder ihr werdet alle an den Hälsen aufgehängt“. Au departir „beim Abschied“ verstehe ich hier nicht. au kann für ou stehen, aber par les geules kaum als departir verlesen sein. 279 Das in M fälschlich zugesetze en würde bedeuten, daß sie von den Bohnen getrunken hätten.
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Übersetzung
Euch könnte all das Gold, das es jemals gab, nicht retten.“ Als die Heiden ihn hörten, waren sie alle verzweifelt und betrachteten Renoart mit seinem Schild. Sie sahen seinen großen und muskulösen Körper, den er hatte. Der eine sagte zum andern: „In eine schlimme Lage sind wir geraten. Seht den da mit seiner wilden Kraft, der die große und massive Stange trug. Sie wog nicht weniger als ein verzweigter Baum. Tausend Sarazenen sind davon tot hingestreckt worden.²⁸⁰ Die leibhaftigen Teufel haben ihn auf uns gehetzt.“ Er war von dort in die Bohnen hinuntergestiegen. Sie wendeten sich zur Flucht und warteten keineswegs. Oft riefen sie Mahomet und Cahu an. Aber das Bohnenfeld war von Holunder eingeschlossen,²⁸¹ und es gab da manche spitzen Pfähle eines hohen Zauns. Er hielt sie alle ab, die nicht hinauskamen. Längs der Bohnen zerstreuten sich die Heiden, und Renoart kam über sie und hieb sie mit seinem Schwert aus scharfem Stahl in Stücke. Die Heiden schrien: „Herr Baudin, wo bist du?“ Renoart sagte: „Er ist für Euch keinen Strohhalm wert. Ich habe ihn besiegt, dank dem König Jesus. Zu Eurem Unglück werdet Ihr das Bohnenfeld abgefressen haben. Ich werde Euch einen schmerzhaften Gruß senden, und erproben will ich an Euch mein scharfes Schwert. Eure Pferde werden²⁸² dem Bauern ausgeliefert, so daß ich Euch alle nackt zurücklassen werde seiner Bohnen wegen.“
CXXXIV. (WHR 179, Ars 179, A 173) Im Bohnenfeld waren die Schreie laut. Die Heiden flohen; sie verloren die Gesichtsfarbe. 7000 Noch nie sah man Leute, denen so übel mitgespielt wurde. Und Renoart verfolgte sie im Laufschritt und rief ihnen mit sehr lauter Stimme zu:
280 Ich übersetze estendu WHR, nicht espendu M (= espandu „ausgebreitet“?). 281 Hier hat schon Holtus massiv in den überlieferten Text von M eingegriffen und das sinnlose grosse de uertu „dick von Kraft“ ersetzt durch close de seü (so WHR ~ Ars). 282 M hat hier wie oft Singular des Verbs statt Plural (hier ert statt erent).
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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„Hurensöhne, zu Eurem Unglück seid Ihr in die Bohnen eingedrungen! Ihr habt davon nichts angebaut noch gesät. Der arme Mann hat die Ernten angeordnet,²⁸³ da er sie dort mit großer Mühsal gesät hat.²⁸⁴ Er wurde arg geschädigt, ehe sie gejätet waren, und er sollte sie (doch) verkaufen zu kleinem Preis.²⁸⁵ Nun habt ihr davon die Bäuche gesättigt. Bei meinem Haupte! Zu Eurem Unglück habt Ihr sie verwüstet! Niemals habt Ihr Bohnen gesehen, die so erkauft wurden, noch solche, welche so teuer bezahlt worden wären.“ Die Heiden sagten – sie zögerten sehr lange –:²⁸⁶ „Herr Vasall, wir haben sie nicht gestohlen; sie waren uns von Mahomet keineswegs verboten.“ Renoart sagte: „Ihr habt sie geraubt, denn sie waren Euch keinesfalls ausgeliefert worden. Mit diesem nackten Schwert werde ich Euch Bezahlung leisten.“ Dann griff er sie an quer durch die Bohnenfelder hindurch und durchhieb ihnen Brust und Eingeweide. Von ihnen gab es mehr als zweihundert Wagenladungen Tote. Alle wurden erschlagen; sie erkauften sie teuer, die grünen Bohnen, die nicht enthülst waren. Renoart erwies seine Freigebigkeit, ersetzte dem Bauern seine Bohnen und gab ihm alle Waffen der Sarazenen und an den doppelten²⁸⁷ Zügeln die Streitrösser. Die Sättel wogen hundert Pfund Denare. Davon gab es, denke ich, mehr als hundert Schiffsladungen. Der Bauer sagte: „ Das trägt guten Gewinn. Gott, der Himmel und Tau schuf, vergelte es Euch!
283 les mes a comandees M, les avoit ahanees WHR, Ars „hat sie bearbeitet”. Dieses ist wesentlich sinnvoller. 284 Qe a grant poynes les i avoit semees M, Et a grant poine foïes et arees WHR „und mit großer Mühe umgeackert und zurechtgemacht”. M scheint das Reimwort aus 7004 wiederholt zu haben. 285 Ich übersetze a petites denrees WHR, Ars, nicht a petites ontees M, das auch nicht verständlich ist, wenn ontees = hanstees „Lanzenlängen“ sind. 286 Der zweite Teil des Verses steht nur in M. Es dürfte darin eine Negation ausgefallen sein. 287 Schon des Reimes wegen wäre dorees WHR, Ars, A „vergoldet“ gegenüber dopler = doblier „doppelt“ vorzuziehen.
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Nun sind meine Bohnen sehr gut ersetzt worden. Gesegnet sei die Stunde, in der sie gesät worden waren!“
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CXXXV. (WHR 179a)²⁸⁸ Nachdem Renoart die Heiden besiegt und quer durch die Bohnen in Stücke gehauen und erschlagen hatte, da übergab er dem Bauern die guten, vortrefflichen Pferde und alle Waffen, die den verfluchten Schurken gehörten. Der Bauer sagte: „Von Gott werdet Ihr dafür Lohn erhalten! Reich und begütert habt Ihr mich für alle Zeit gemacht. Jetzt will ich nicht mehr in diesem Lande bleiben, sondern folge dir gerne und nicht gegen meinen Willen. Ich und meine Söhne werden dir alle Zeit dienen.“ Renoart sagte: „Bauer, gut hast du das gesagt.“²⁸⁹ Zum Herrn Guillelme, dem Markgrafen, führte er ihn. „Herr“, sagte er, „ich habe die Heiden erschlagen. Alle habe ich sie getötet und betäubt,²⁹⁰ und ich habe die arabischen Streitrösser verschenkt und alle Waffen, die den verfluchten Schurken gehörten, an diesen Bauern, der bettelarm ist, für das Bohnenfeld, um welches er ärmer gemacht worden war. Wenn er wenig davon profitiert, beim Leib des heiligen Dionysius, werde ich ihm soviel dafür geben vor Ablauf von zwei Wochen, daß er mehr haben wird als die Steuern von Paris. Laß für ihn Rösser und Packpferde Halsbergen, Helme und gute, gewölbte Schilde bis nach Orange, der fürstlichen Stadt, führen, damit er nichts einbüßt, was auch nur eine Münze von Rouen wert wäre. Denn bei den Heiligen, welche Gott gesegnet hat, wenn er irgendwo Schaden erlitte, würde, da ich ihn unter meinen Schutz genommen habe, keinen²⁹¹ dort das Gold des heiligen Dionysius retten,
288 Diese Strophe ist (nach WHR) außer in M nur noch in vier Hss. überliefert, nämlich B1, D, E, F, jedoch nicht in Ars und A. 289 Ich übersetze bien le desis WHR, nicht bone li dis M, was ich nicht verstehe. 290 In M ist der Vers verstümmelt. Richtig wohl nen estordi uns vis WHR „keinen von ihnen betäubt und am Leben gelassen.“. 291 Das Objektspronomen le ist in M ausgelassen.
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so daß ich ihn nicht aufhängen würde, wie fürstlich er auch immer wäre.“ „Herr Renoart“, sagte Graf Aymeri, „wir billigen das. Dagegen würde es in keine Weise Widerspruch geben. Er soll von Aymeri dem Elenden beschützt werden und von meinem²⁹² Sohn Ernaut und von Bovon von Comarchis.“ Renoart sagte: „Herr, tausend Dank.“ Nach diesem Wort machten sie sich auf den Weg. Das Heer brach auf über Hügel und Brachfelder. Sie ritten kräftig auf ihren vorzüglichen Pferden. Renoart war müde und langsam und blieb zurück, in der Faust das blankpolierte Schwert. Doch Guilleme war in dieser Hinsicht sehr der Torheit verfallen, daß er Renoart ganz in Vergessenheit geraten ließ und sich wegen des großen Gedränges seiner nicht entsann. Voll Schmerz wird er darüber sein, ehe der Tag beendet ist. Er hätte es nicht gewollt für das ganze Gold von Paris. Und wenn Gott sich nicht darum sorgt, wird er übel behandelt werden, denn später war er darüber sehr bekümmert, das schwöre ich euch, und beinahe wäre Schande über ihn gekommen.
CXXXVI. (WHR 180, Ars 180, A 174) Die Franzosen ritten dahin und wollten sich sehr sputen. Die Trompeten erschallten, und sie ließen die Hörner erschallen. Das Heer brach auf und gedachte zu marschieren mit großer Anstrengung. Sie hatten keine Absicht zu säumen 7085 oder bis Orange haltzumachen. Beim Passieren des Tores war das Gedränge groß. Dort hättet ihr sehen können, wie viele Schilde ihres Buckels beraubt wurden, wie Feldzeichen barsten und Sättel zerbrochen wurden, wie die Halsbergen erklangen und die Helme ächzten. 7090 Ihr hättet hören können, wie dort Stahl auf Eisen stieß und die Pferde schnaubten und wieherten. Mehr als fünfzig hättet ihr dort ohnmächtig werden sehen können. Ehe Guillelme, der Held, im Palas angekommen war, hatte Guiborc für ihn das Essen herrichten lassen. 7095 Auf der Gloriette ließ man zum Händewaschen blasen. Die Ritter machten sich gemeinsam ans Händewaschen.
292 M hat irrtümlich „seinem“. Richtig WHR.
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Zu ihren Unterkünften liefen sie, um ihre Rüstungen abzulegen. An diesem Tag versahen beim Abendessen fünfhundert nur solche den Dienst, die eine Burg in ihrer Obhut hatten. Graf Guillelme handelte sehr schändlich, als er Renoart in Vergessenheit geraten ließ. Er entsann sich seiner nicht, bevor das Abendessen vorbei war. Außerhalb von Orange befand sich Renoart, der Held. und meinte, aus Unmut leibhaftig den Verstand zu verlieren. Über sich selbst begann er zu jammern: „Ach, ich Armer“, sagte er, „es ist zum Verrücktwerden! Graf Guillelme hätte nicht auf den Gedanken kommen dürfen, daß er mich nicht für wert erachtete, mich mit sich zu führen und zum Essen an seine Tafel zu laden. Und doch habe ich ganz allein die Schlacht erledigt. Wenn er mich mißachtet hat, muß es mich sehr bedrücken. Vor allen Männern hätte er mich ehren sollen. Doch bei dem, der uns alle erretten kann, ich werde, wenn ich nur ein Jahr noch leben kann, dafür sorgen, daß er ganz Orange verliert und daß die Gloriette niedergeworfen und zerstört wird!“ Dann wandte er sich um und begann zu weinen. Er unternahm es, nach Aliscans zurückzukehren.
CXXXVII. (WHR 181, Ars 181, A 175) Außerhalb von Orange ist Renoart zurückgeblieben. 7120 Großen Schmerz empfand er und jammerte heftig. Weinend kehrte er auf Aliscans zurück. Er begegnete einer Menge Ritter, die alle zu ihm sagten: „Renoart, woher kommt Ihr?“ „Barone“, sagte er, „ich habe guten Grund, von Sinnen zu kommen. 7125 Graf Guillelme hat mich sehr gering geachtet. Er hat mich allein zurückgelassen, als wäre ich gefangen, und mich nicht persönlich zu seinem Essen entboten. Und ich bin doch der Sohn des mächtigen Königs Deramé. Erschlagen habe ich für ihn mehr als zweitausend Slawen 7130 und beinahe ganz allein den Kampf erledigt. Nun wurde ich ganz zurückgestoßen. Bei Mahomet, zu seinem Unglück bin ich da vergessen worden. Nun werde ich weggehen in das Reich, aus dem ich stamme, und dann Sarazenen und Slawen entbieten
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7135 und hierherführen geradewegs in dieses Reich.
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Wenn meine Stange zerbrochen und zerborsten ist, werde ich eine solche verfertigen, welche viel besser sein wird. Es werden Orange eingenommen und der Palas verwüstet und die Gloriette, der Palas, zerstört werden, er selbst gebunden und ergriffen²⁹³ und wie ein Gefangener in den Kerker geführt. Ich werde in Aachen zum König gekrönt, Loois aber des Thrones von Frankreich entsetzt werden um seiner Küche willen, wo ich soviele Tage verweilt habe. Wenn Ihr, meine Herren Barone, nach Orange kommt, so grüßt Madame Guiborc von mir und fordert den Markgrafen Guillaume heraus, sagt ihm sehr wohl – zu Eurem Unglück werdet Ihr es verheimlichen –, daß ich nicht mehr sein Freund noch sein Vertrauter bin.“ Die Ritter antworteten: „Ihr habt Unrecht! Ihr dürft Euch darüber nicht aufregen. Bruder Renoart, und kommt doch weg von hier! Noch heute werdet Ihr bei Guillelme Kurznase sein, eine große Menge zu essen haben und auch reichlich zu trinken bekommen.“ Renoart sagte: „Hütet Euch, weiterzureden! Denn bei meinem Glauben, Ihr werdet es rasch²⁹⁴ büßen. Wenn es nicht deshalb wäre, weil Ihr dabei keine Schuld habt und deshalb, weil Ihr mich gegrüßt habt, so würde ich Euch dieses Schwert in die Flanken stoßen.“²⁹⁵ Als diese das hörten, spornten sie ihre Pferde, und selbst der Kühnste wandte sich zur Flucht. Der eine sagte zum andern: „Renoart ist wütend. Es ist sehr schade, wenn er verrückt geworden ist.“ Zur Flucht wandten sie sich mit verhängten Zügeln
293 stropez M, storbez M 7185, atrapés WHR, Ars. Holtus (Glossar) übersetzt stroper „portare in esilio“ und vergleicht estreper, esterper TL 3, 1475 „ausrotten“ und estoper TL 3, 1410 „verstopfen, verbergen“. Formal näher liegt natürlich estorber 7, 1415 „stören, verwirren“. Da aber es- auch sonst häufig in M für afrz. a- steht und auch or/ro für ar/ra vorkommt, so haben wohl WHR, Ars das Richtige. 294 tot M vermutlich wie öfter soviel wie tost (so WHR, Ars, A). 295 Ich übersetze metroie WHR, A, bzw. ferroie Ars, nicht menroye M „würde führen“.
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und zogen bis Orange diese Zügel nicht an.²⁹⁶ Solange trieben sie alle miteinander ihre Pferde zum Galopp, bis sie unter der Fichte an den Stufen abstiegen. Der eine stieg vor dem anderen in den Palas hinauf. Sie berichteten Guillelme – viel wurde davon nicht verheimlicht –, wie Renoart sie erschreckt hatte und daß er deshalb zurückkehrte, weil er beim Essen vergessen worden war. „Schwer liegt es ihm auf der Seele, daß er zurückgekehrt ist, und heftig droht er Guillelme Kurznase. Durch uns weist er Euch an, sich vor ihm zu hüten. An Madame Guiborc hat er viele Grüße aufgetragen. Dann wird er in das Reich weggehen, aus dem er stammt,²⁹⁷ in jenes Land, wo seine Verwandtschaft ist. Dann wird er die Sarazenen und Slawen aufbieten, bis er hunderttausend²⁹⁸ Bewaffnete haben wird; dann wird er in Barken und Schiffen übersetzen. Es werden Orange eingenommen und Ihr enterbt, der Palas zerstört²⁹⁹ und verwüstet und Ihr selbst gebunden und ergriffen,³⁰⁰ nach Ägypten³⁰¹ wie ein Gefangener geführt, in einen feuchten Kerker geworfen und gestoßen, wo Ihr sterben werdet in Schmerz und Erniedrigung. Er wird in Aachen zum König gekrönt werden, Loois aber enterbt und aus ganz Frankreich verjagt und exiliert³⁰² werden
296 torneç M „drehten, wendeten“ wohl verlesen aus tirés; so WHR, Ars. 297 M wollte hier 7133 in der dritten Person wiederholen, was teilweise mißlang. Die anderen Hss. formen stärker um. 298 In M ist das Hundert (C) ausgefallen. 299 M wiederholt hier desheritez „enterbt“ aus der vorangehenden Zeile. E Gloriete sera jus craventés WHR. Ich ersetze desheritez durch craventés, weil dieses im selben Zusammenhang auch schon M 7139 verwendet wurde. 300 Auch hier ist eine wörtliche Wiederholung der Worte Renoarts 7140 anzunehmen (s. d.). Jedoch wiederum tritt in M Verwirrung ein, da desheritez aus 7184 und 7185 nochmals (diesmal für liez) erscheint. WHR hat hier wieder das Richtige. 301 Aierte M, Ajete WHR, Ars, Egypte A. Die Lesarten der A-Gruppe hier und M 7370 (Ariete) sprechen dafür, daß Ajete etc. aus Agipte/Egypte abgeleitet ist. 302 chativeç M, desposés WHR. Holtus vergleicht zu M chastiier, chastoiier TL 2, 308 „züchtigen, strafen“, was gar nicht paßt. Vielmehr ist wohl chaitiver TL 2, 172 „elend machen“
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um seiner Küche willen, wo er (Renoart) soviele Tage verweilte.“ Guilleme hörte dies und wurde überaus nachdenklich. „Wahrlich“, sagte Guillelme, „man darf ihn dafür nicht schmähen. 7195 Jetzt sind seine Klugheit und meine Dummheit erwiesen.“ Der Graf rief zwanzig Ritter und sagte zu ihnen: „Barone, bringt ihn jetzt her!³⁰³ Ich bitte Euch, für mich zu Renoart zu gehen. Schnell, gebt acht, verweilt hier nicht! 7200 Ich bitte Euch bei Gott, ihn in meine Nähe zu bringen.“ Und diese antworteten: „Wie Ihr befehlt. Einen viel größeren Dienst würden wir Euch erweisen.“
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CXXXVIII. (WHR 182, Ars 182, A 176) Der Graf war hoch zu preisen, denn Renoarts wegen war er nichts als bekümmert. Zwanzig Ritter ließ er sich rüsten, um Renoarts willen wird er sie aussenden wollen. Wenn er ihn nicht zum Essen geladen hat, wird er Genugtuung leisten, sofern jener sie zu akzeptieren bereit ist. Es tat ihm sehr leid, daß er ihn sich selbst überlassen hatte. Hierauf stiegen die Ritter auf. So sehr spornten alle ihre guten Streitrösser, daß sie ihn an einem sehr hohen Hügel einholten, da er sein stählernes Schwert in die Scheide gesteckt hatte. Sie begannen ihm laut zuzurufen. Lange blieben sie stehen, denn sie wagten nicht voranzureiten. Ganz behutsam unternahmen sie es, ihn zu bitten: „Bruder Renoart, wir kommen, dir zu melden von Guillelme, dem Markgrafen mit dem wilden Antlitz, er werde für alles, was du ihm vorwerfen kannst, dir in seinem prächtigen Palas Genugtuung leisten vor den Augen der Franzosen und seiner Frau.“
gemeint, und zwar in der bei TL nicht verzeichneten Bedeutung „ins Exil treiben“ – vgl. mhd. ellenden. 303 or i meneç M, car m’i alés WHR, Ars „so geht dich (für mich) dorthin“, tost en alez A. M bringt das Reimwort alés aber in der nächsten Zeile. Es liegt M 7197 vermutlich eine ungeschickte Vorausnahme von 7200 vor, so daß man etwa l’amenez konjizieren muß. Die von Holtus herangezogene Lesart der Hs. D montés gibt kaum einen Sinn, da Aliscans nicht auf einem Berg liegt.
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Übersetzung
Renoart sagte: „Laßt Euer Reden! Denn bei Mahomet, meinem rechtmäßigen Herrn, ihm wird keine Buße nützen. Mit Silber oder reinem Gold habe ich nichts zu schaffen, denn nicht das geringste würde ich dafür geben, außer ich könnte damit meine Stange wieder zusammenbinden zu lassen. Hurensöhne, hochmütige Lumpenkerle, ich schätze Euch nicht soviel wie einen halben Heller. Den verräterischen Schmeichler werde ich nicht lieben! Wohl versteht Guillelme es, den Dreck zuzudecken.³⁰⁴ Zu viel hat er zu tun, wenn er mich versöhnen³⁰⁵ will. Ich unterstehe in keiner Weise seiner Gewalt, werde nicht schon wegen einer Botschaft zurückkehren und werde Orange zu Fall bringen und die Gloriette niederbrechen und erniedrigen.“ Als sie es gehört hatten, wie Renoart redete, den Grafen Guillelme bedrohte und sie selbst entehrte und beschimpfte, sagte der eine zum anderen: „Gering sollen wir uns schätzen, wenn wir diesen Lumpenkerl nicht mit uns wegführen.“ Sie ritten auf ihn zu und dachten, ihn zu binden, unternahmen es gemeinsam, ihn heftig zu jagen. Als Renoart sich so übel behandelt sah, glaubte er, vor Unmut rasend zu werden. Er hob die Faust, die massiv und gewaltig war und schlug einem Ritter so ins Genick, daß er ihm den kleinen Hauptknochen zertrümmerte, dem zweiten mitten auf die Hirnschale³⁰⁶ und warf ihn tot vor sich in einen Bach.³⁰⁷ Die achtzehn wichen zurück, und Renoart nahm ihre Verfolgung auf. Er erinnerte sich nicht seines stählernen Schwertes. Auf seiner Seite hatte er einen Felsen im Auge und sah eine Hütte, welche man dort errichten ließ.
304 replayter M ist wohl entweder Nebenform oder Verlesung von raplaquier. So WHR, Ars. 305 repayrer M ist wohl verlesen aus rapaier. So WHR, Ars. 306 Ich übersetze henapier Hs. D. Zu glandoner M vgl. 1915 glandeler u. Anm. 307 graver M = gravier „Sand, Kies, Bach“ TL 4, 579?
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Ein heiliger Einsiedler ließ sie sich aufstellen. Den Firstbalken wollte Renoart herausreißen, womit er diese Ritter jagen wollte. Fünf von ihnen ließ Renoart so heftig niederstürzen und auf der Erde die Besinnung verlieren, daß er ihnen aus dem Mund das Blut rinnen ließ, und an sieben Stellen alle Glieder zersplittern. [Der Munterste von ihnen wird keinen Arzt mehr brauchen.]³⁰⁸ Renoart sagte: „ Ich kümmere mich nicht um Drohungen. Hurensöhne, böse Schufte, dachtet Ihr, einen Dummen vor Augen zu haben, der es um Guillelmes willen nicht wagen würde, Euch anzurühren? Ich bin kein schreckbarer Hase. Unter dem Himmel gibt es niemand, vor dem ich nur ein bißchen Angst hätte, außer vor Gott, dem wahren Richter.“ Da begann der Held sich ins Zeug zu legen. Wer ihn gesehen hätte, wie er sich auf die Stange stützte, hätte ihn wohl loben und preisen müssen. Die dreizehn attackierte er wie der Sperber die Lerche und sie flohen einen ganzen alten Pfad entlang.³⁰⁹ Übel wäre es dem ergangen, der es gewagt hätte, ihm zu nahen. Den Dachbalken fürchteten sie, den sie ihn herausreißen sahen. [Zur Flucht wandten sie sich einen ganzen alten Pfad lang.]³¹⁰ Der Tapferste wollte der Erste sein. Und Renoart begann sie anzuschreien: „Schickt mir Guillelme zum Turnier!“ Wer ihn gesehen hätte, wie er diesen Dachbalken aufrichtete, in die Höhe hob und wieder senkte, von einer Hand in die andere warf und er für ihn nicht das Gewicht eines Olivenzweiges hatte; wer ihn gesehen hätte, hätte guten Grund gehabt zu schwören,
308 li plus alegres n’aura huimés mester M, fehlt in allen anderen Hs. Überflüssige Zeile. Einen Sinn könnte man ihr vielleicht mit Holtus (Apparat) durch Konjektur von huimes zu hui mire abgewinnen, wonach ich hier übersetze. 309 M 7274f. Les treçe aqeot tot un anti sentier. / E cil fuient cum aloe li sperver. Ich habe die zweiten Halbverse von M 7274 und M 7275 vertauscht. 7274 scheint in der überlieferten Form sinnlos. Vgl. 7278. Die anderen Hss. weichen stark ab. 310 7278 eine bloße Wiederholung von 7273 (s. d.). WHR, A variieren wenigstens: En fuie tornent contre val un terrier „einen Hügel hinab”.
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Übersetzung
daß es nie jemand gab, der so zu preisen gewesen wäre. Und diejenigen, welche Boten waren, flohen und hörten nicht auf, sich bis Orange davonzumachen. 7290 Sie glaubten, Renoart sei ihnen auf den Fersen.³¹¹
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CXXXIX. (WHR 183, Ars 183, A 177) Die Ritter saßen an der Treppe ab und stiegen gemeinsam zur Gloriette hinauf. Keinen gab’s, der nicht vor Angst gezittert hätte. Um Renoarts willen waren sie so verschreckt, daß sie eine Meile lang kein einziges Wort verlauten ließen. Dem Kühnsten war das Blut ganz aus dem Gesicht gewichen. Guillelme sah es und fragte sie: „Barone“, sagte er, „wie habt Ihr es bewerkstelligt? Habt Ihr mir Renoart mitgebracht?“ „Wahrlich nicht, Herr. Vielmehr haben wir es gebüßt. Wir haben ihn tausend Teufeln empfohlen. Es fehlte sehr wenig, daß er uns (alle) getötet hätte, als wir ihm die Botschaft ausgerichtet hatten. Er schätzte unseren Wert da nicht so hoch wie einen geprägten Heller, sondern schlug mit seiner Faust, welche mächtig und gewaltig ist, sehr rasch zweien von uns das Hirn heraus. Er kam mit dem erhobenen Firstbalken einer großen Hütte³¹² und trug ihn³¹³ wie ein glattes Schilfrohr. Fünf von uns hatte er sehr rasch niedergestreckt. Sie wurden auf schimpfliche Weise rücklings zur Erde geworfen, so daß ihre Glieder ganz zerschmettert waren. So ganz wild ist er, daß er keinen Sterblichen fürchtet. Wir haben ihn im³¹⁴ Namen des leibhaftigen Teufels verlassen. Zum Turnier hat er Euch durch uns herausgefordert.
311 Ich übersetze a leur talons derier WHR, Ars, nicht toç jor a lui ester M „stehe ständig bei ihm/sich“? Steht wiederum lui für lor? 312 D’une grand borde vint une feste levé M. Passender wohl Quant d’une borde vit le freste levé WHR ~ Ars „Als er den hohen First einer Hütte sah“. Anders Quant d’une borde fist le feste lever A. 313 l’abrancha M fraglich. Holtus verweist auf abracier TL 1, 62 „an den Arm nehmen“ (?), oder bracier TL 1, 1106 „umarmen, in Angriff nehmen“. l’esracha WHR, Ars, A „riß ihn heraus“, paßt nur, wenn man in der vorhergehenden Zeile vit statt vint liest (s. d.). 314 Ich verstehe il nom M als el nom. So WHR.
Dritter Teil: Die zweite Schlacht von Aliscans
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7315 Niemals sah ich einen so stürmischen Mann.³¹⁵
Sehr schnell ist er – wisset es wahrhaftig! Guiborc grüßt er aus sehr großer Freundschaft. Wisset es mit Recht, denn wir sagen die Wahrheit! Große Freude empfanden wir, als wir entkommen waren.“ 7320 Guillelme hörte es und erhob ein Gelächter. Schnell verlangte er sein Pferd. Sie brachten es ihm, nachdem es gesattelt war.³¹⁶ Der Graf stieg auf mit Hilfe eines angeknüpften Steigbügels, und hundert Ritter ritten mit ihm, 7325 Madame Guiborc auf einem weich zugedeckten Maultier. Um Renoarts willen saßen sie alle gemeinsam auf. Madame Guiborc wünschte es heftig und sprach still mit zusammengebissenen Zähnen:³¹⁷ „Herr Renoart, Gott erhöhe Deinen Adel! 7330 Du bist mein Bruder, Gott erhöhe deine Vorzüge! Gott schenke mir das Leben, bis ich dich zum Ritter geschlagen sehe, und feierlich zum König gekrönt.“ CXL. (WHR 184, Ars 184, A 178) Der Graf war hoch zu preisen. Um Renoarts willen machte er sich auf den Weg 7335 und ließ hundert Ritter mit sich führen. Madame Guiborc ließ er da am Zaume anbinden, weil der Graf es nicht wagte, ohne sie zu reiten. Sie hörten nicht auf, zusammen vorwärtszusprengen, bis sie Renoart herabkommen sahen 7340 in ein kleines Tal, in welches er kommen sollte. Mit einer neuen Liedweise vergnügte sich da der Held³¹⁸ wegen seines Mißmutes, den er vergessen wollte.
315 Der in fünf Hss. enthaltene Vers scheint wenig sinnvoll. Sonst kommt in der Rede nur die 1. Person Plural vor. Lies mit Hs. D fu „er war“ statt vi? 316 7322–29 folgt die Übersetzung der von Holtus gegenüber M geänderten Reihenfolge der Verse. 317 Entre ses denz dit coitement seré M, Entre ses dens a dit Guiborc soef sere D, fehlt in den anderen Hss. Kann sere zu denz gehören (= denz serrés?), also „zwischen zusammengepreßten Zähnen“, oder zu Guiborc, so daß es dann „beklommen“ heißen könnte? 318 Übersetzung problematisch. D’un novel son s’i deportoit li ber nur M. se deporter kann auch „sich begnügen, verzichten“ heißen, som = son auch „Lasttier“ oder „Höhe“.
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Übersetzung
Wer ihn gesehen hätte, wie er seine großen Sprünge tat, wie er mit seiner großen Stange rannte und galoppierte!³¹⁹ Der Graf ließ das Pferd laufen, wie sehr es unter ihm vorwärtsstürmen konnte. [Er machte einen Satz, so wie seine Standesgenossen (es) sahen.]³²⁰ Er sah Renoart und unternahm es, ihn sehr liebevoll ohne jeden Hohn anzurufen: „Bruder Renoart, laßt mich mit Euch reden! Wenn Ihr mich eines Fehltritts wegen schelten möchtet, werde ich Euch nach Eurem Wunsche Genugtuung leisten wollen an meinem Hofe, so wie meine Standesgenossen es hören werden, so feierlich, wie Ihr es bestimmen wollt.“ Renoart sagte: „Herr, laßt mich in Ruhe! Ich werde nicht zurückkommen,³²¹ wenn ich das Meer überquert haben werde. Dann werde ich all meine Verwandtschaft aufbieten und die Sarazenen kommen und sich versammeln lassen. Wenn ich mein großes Heer kommen lassen habe, werden es gut und gerne mehr als 100.000 Slawen sein. Dann möchte ich mich hierher übers Meer bringen lassen und mich in diesem Land einquartieren. Ich werde Orange zum Einsturz bringen und die Gloriette niederwerfen und zerschmettern. In Laon werde ich mich krönen lassen und Loois den Kopf abhauen um seiner Küche willen, welche er mich hüten und (in welcher) er mich Spieße braten, Fleisch abschäumen, Feuer machen und Wasser schleppen ließ. Und ich werde Euch nach Ägypten³²² führen,
319 Die Verse 7341–44 nur in M. Sie könnten herausgesponnen sein aus dem einen Vers O sa grant perce qu’il n’i volt oblier WHR (nach Hs. D) „mit seiner großen Stange, die er nicht vergessen wollte“. Daraus auch hier die Verbesserung O sa grant perce statt E sa granz perce M. In Ars sind stattdessen 18 andere Verse eingeschoben. 320 Fist un esleis si cum oirent si per M, Fist un esleis si cum virent si per Holtus nach M, Fist un esais que lo uirent si per D. Die anderen Hss. haben den so oder so kaum verständlichen Vers nicht. Der zweite Versteil dürfte aus 7353 vorweggenommen sein. 321 Ich übersetze Ne revendrai, s’avrai passé la mer WHR, A, nicht Ne m’en irai […] M „ich werde nicht weggehen“. Die Übersetzung des Satzes von Guidot/Subrenat ist viel zu frei: „Je ne ferai pas demi-tour avant avoir traversé la mer.“ 322 Ariete M – vgl. M 7186.
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in meinen Kerker hineinwerfen und dich dein Leben unter großen Schmerzen enden lassen. Soviel habt Ihr mir angetan, daß ich Euch nicht lieben kann. Nun wisset wohl, ich will es Euch nicht verbergen, daß Ihr Euch fortan vor Renoart in Acht nehmen sollt.“ Da nahm er seine Stange und begann zu toben.³²³ Graf Guillelme wagte es nicht, sich ihm zu nähern, denn er fürchtete ihn mehr als einen Löwen oder Eber. Er bat Madame Guiborc nach vorne zu gehen, und die Gräfin trat vor, um niederzuknieen vor ihrem Bruder und ihn um Gnade anzurufen: „Herr Renoart“, sagte die Dame mit dem leuchtenden Antlitz, „um unserer Freundschaft willen will ich Euch darum bitten, daß Ihr mir diesen Fehltritt vergeben möget zur Belohnung dafür, daß ich Euch waffnen ließ in meinem Gemach und die Halsberge überwerfen, die Helmbrünne auf den Kopf (binden) und das stählerne Schwert umgürten, um Euren Leib zu schützen und zu bewahren. Aus guter Absicht tat ich es, und zum Guten soll es mir ausschlagen.“ Renoart hörte es und begann zu weinen. „Madame“, sagte er, „ich schulde Euch große Liebe und darf Euch, was Ihr wünscht, nicht verwehren. Was Euch gefällt, will³²⁴ ich gerne zusichern und den Fehltritt Guillelmes verzeihen. Ihr werdet mich in meinem Leben nie mehr davon reden hören. Doch bei dem, der alles zu retten vermag, wenn es nicht um Euretwillen geschähe – das will ich Euch nicht verhehlen –, so hätte er es um alles Gold der Welt nicht erkaufen können, daß ich ihn nicht unter großen Schmerzen hätte sterben lassen!“ „Herr“, sagte sie, „Gott möge dir Ehre schenken! Ich liebe Euch mehr, als ich es Euch zeigen kann.“ Die edle Dame unternahm es, Guilleme herbeizuwinken.
323 Holtus löst den überlieferten Wortlaut als aïrer oder a irer auf. Beides gibt wenig Sinn, da R. schon zuvor toll vor Wut ist und sich im Augenblick auch nicht wegbegibt. In Ars schwingt R. die Stange in der Luft. In den meisten Hss. fehlt der Vers. 324 voye M, doi WHR, Ars, A. Die (von Holtus nicht verzeichnete) Form voye wird in M auch sonst für voy/voi gebraucht, welches sowohl „ich sehe“ als auch „ich will“ (= vueil) heißen kann.
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Übersetzung
„Herr“, sagte sie, „nun geht Euch bedanken, denn ich habe Euch Verzeihung für den Fehltritt erwirkt!“ Und Guillelme sagte: „Ich habe Grund, Gott dafür anzubeten.“ Der Graf stieg ab und machte einen Kniefall vor den Füßen Renoarts des Helden, so auch alle die hundert jungen Ritter. Doch Renoart ließ sie sich erheben.³²⁵ Da saßen sie wieder auf ohne weiteren Aufenthalt. Bis Orange wollten sie nicht Halt machen. Für Renoart ließ man die Glocken läuten, und Aymeri kam, ihn zu umarmen, und alle seine Söhne, die sehr zu loben waren, Graf Bertram, den er befreit hatte, und seine Cousins, die jungen Ritter. Graf Guillelme ließ zum Händewaschen blasen, und die Ritter kamen, sich gemeinsam zu waschen. Auf der Gloriette setzten sie sich zum Abendessen. Neben Guiborc saß Renoart, der Held. Sehr mühten sie sich, einander zu ehren. Den ersten Gang ließen sie ihm auftragen. Fürstlicher Aufwand war es, was sie ihm demonstrieren wollten. Sehr große Ehre wollten sie ihm nunmehr erweisen.³²⁶ CXLI. (WHR 184a, A 179)³²⁷
7425 In Orange gab es eine großartige Ritterschaft.
Neben Guillelme, dem Markgrafen Fierebrace, saß Renoart, der die Sarazenen bedrohte. Neben ihm saß Guiborc mit dem leuchtenden Antlitz. „Vor den Franzosen will ich gerne zur Kenntnis bringen, 7430 daß ich Euch liebe, doch keineswegs in lüsterner Absicht. Vielmehr werde ich für Euch, wenn ich kann, eine Heirat suchen,
325 Hier sind in Ars weitere 34 Verse eingefügt mit einem Ausblick auf die folgende Chanson des Zyklus. 326 Nur M hat in beiden Versen 7423f. wiederum Singularformen des Verbs, die aber offenbar den Plural meinen. 327 Die nächsten fünf Laissen fehlen in Ars. Aber auch die anderen Hss. gehen weiterhin stark auseinander. Nur Ars und E aber enthalten die burleske Variante der Taufe Renoarts, der aufgrund seines Gewichts von Guillelme und seinen Brüdern nicht gehalten werden kann und so aus ihren Händen in das Taufbecken fällt und kräftig Wasser schluckt.
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eine Frau, welche schön und von hoher Abkunft sein wird.“ Renoart sagte: „Ich werde die Mark bewachen, damit man von niemand eine Bedrohung fürchten muß. 7435 Zu Unrecht werdet Ihr vor den Heiden zu meinen Lebzeiten Angst haben, vor König oder Emir, der Guillelme übles tun wollte. Wenn sie wieder mitten an die Küste nach Orange kämen,³²⁸ ließe ich wieder³²⁹ eine Stange oder Keule herstellen. So viele von den Leuten aus meiner Verwandtschaft werde ich töten, 7440 daß davon ein Jahr danach³³⁰ die Spur bleiben würde.“³³¹ Und Guiborc sagte: „Es möge nun dem Herrgott nicht gefallen, daß sie gegen Euch ritterliche Gewalt richten!“ Renoart sagte: „Ich kümmere mich um Drohungen nicht. Vielmehr werden sie es mit meiner Keule zu tun bekommen, wenn sie kommen.“ CXLII. (WHR 184b, A 180) 7445 Als sie an den Tafeln mit Muße aßen,
ließ ihm Graf Guillelme trefflich aufwarten. Guiborc ging und setzte sich neben Renoart. Sehr schön unternahm sie es, ihn zu versöhnen: „Herr“, sagte sie, „sehr groß ist mein Wunsch 7450 zu erfahren, wer Euch aufgezogen hat, wer Euer Vater war, möchte ich gerne hören.“ Renoart sagte: „Nun muß ich es Euch bekennen.³³² Gott stehe mir bei, ich will Euch damit nicht belügen. Der Sohn eines Königs von außerordentlichem Machtwillen bin ich. 7455 Dies ist Deramé, der Gambe³³³ und Montir³³⁴ beherrscht, Pine³³⁵ und Goreze,³³⁶ Cordoba und Mont Espir.³³⁷
328 Ich übersetze revenoient WHR, nicht reviront M (= revendront, reverront?). 329 Ich übersetze referoie WHR, nicht feroie M. 330 un anç aprés M, aprés moi WHR „nach mir“; dies wohl sinnvoller. 331 Ich übersetze dureroit WHR, nicht duraré M. Allerdings könnten die Formen auch identisch sein. 332 Holtus hält das in M überlieferte joir offenbar für eine Variante von gehir WHR. 333 Cambe WHR, Ample Hs. F. 334 Tyr A. Ein Zusammenhang mit Tyrus ist wahrscheinlich. 335 Vielleicht Pina am Ebro (bei Zaragoza). 336 Corence WHR, Gorence Hs. E. 337 Montespir WHR, Muntespîr Wolfram, der sonst von dieser rätselhaften Ortsnamenreihe nur noch das bekannte Cordoba (Cordes) übernommen hat.
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Übersetzung
Fünfzig Könige hat er unter seiner Herrschaft. Doch wollte ich ihm gestern das Haupt abhauen und veranlaßte ihn (so), auf einem Lastschiff aufs Meer zu fliehen.“ 7460 Guiborc vernahm es und stieß einen Seufzer aus. Sie blickte ihren Bruder an und begann zu beben. Die Tränen ließ sie aus dem Herzen ins Gesicht steigen. CXLIII. (WHR 184c, A 181) Madame Guiborc blickte ihren Bruder an, sah ihn, wie groß, muskulös und vierschrötig er war 7465 und noch nicht vierundzwanzig Jahre überschritten hatte, von schöner Gestalt und jugendlichem Alter war und eine große und sehr wohlgeschaffene Statur hatte. Nie gab es einen Prinzen von seiner Wildheit. Madame Guiborc fragte ihn: 7470 „Herr, bei Gott, sagst du mir die Wahrheit?“ „Madame“, sagte er, „ich bin der Sohn Deramés, der Gambie³³⁸ und das Tal Tenebré beherrscht. Ihm untertan sind fünfzig gekrönte Könige und 500.000 Perser und Slawen. 7475 Mein Vater hat mich einem Meister überantwortet.³³⁹ Da war ich noch jung und von geringem Alter. Ich war auf eine Wiese an der Küste gegangen und hatte lange mit einer Kugel gespielt. Das störte meinen Meister Giboé sehr.
338 Cambie WHR nach Hs. EF, doch vermutlich identisch mit Gambe/Cambe. Das afrikanische Gambia wird schwerlich dahinterstecken. 339 7475–7504 fehlen in der Handschriftengruppe A. Die verbleibenden Hss weichen in Details ab. So ist der Ankunftsort bisweilen nicht Galizien, sondern Palermo. Man beachte besonders den Anfang der Stelle in der Handschriftengruppe B, wo es statt 7476–83 heißt: „Ich und mein Bruder, der Giboé hieß, waren uns zu vergnügen und zu unterhalten gegangen und kamen zum Spielen auf eine Wiese an der Küste. Wir hatten lange mit einer Kugel gespielt. Mein Bruder Giboé hatte sie mir weggenommen. So sehr schlug er mich, daß ich ganz wütend wurde. Ich litt und hatte ein so ergrimmtes Herz, daß ich einen Stock ergriff, den ich gefunden hatte. Als ich mit meinem Schlag gut gezielt hatte, traf ich ihn so, daß sein Herz brach.“ Vermutlich hätte Wolfram einen ersten Brudermord kaum so einfach übergangen, sofern er ihm bekannt gewesen wäre. Als Quelle Wolframs käme dann nur die Fassung in Frage, die in den Hss. DEFM bewahrt ist. Aber ein argumentum ex silentio ist immer gefährlich. Zudem sagt Wolfram, Kaufleute hätten das zuvor von irgendjemand geraubte Kind gekauft, was zu keiner afrz. Variante paßt.
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7480 Er prügelte mich so, daß er mich blutig schlug.
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Ich litt und hatte ein gebrochenes Herz. Ich zielte rasch mit meiner Kugel auf ihn und traf ihn damit, daß ihm das Herz brach. Ich floh, nachdem ich ihn tot niedergeworfen hatte, denn ich fürchtete meinen Vater und seine Wildheit. Kaufleute lagen auf dem Meer vor Anker. Sie riefen mich und nahmen mich in ihrem Schiff auf, und ich betrat es gerne und freiwillig. Dann machten sie sich fort, als sie guten Wind hatten. Nach Galizien waren sie gekommen. König Loois war zu einem Heiligen gekommen. Hierher kam er mit einer heiligen³⁴⁰ Ritterschar. Als er mich sah, kaufte er mich ganz rasch und führte mich dann nach der Stadt Laon. In seiner Küche habe ich mich lange Zeit aufgehalten und Feuer gemacht, Fleisch abgeschäumt, die Vögel gebraten und viele Spieße gedreht. So lange trieben sie Spott mit mir und erniedrigten mich, daß ich die Zeit in großer Beschwernis hinbrachte, mehr als sieben ganze Jahre; und so sind sie alle vergangen, bis Guillelme kam, der mich zu sich rief. Er schätzte mich hoch, ihm sei Dank, und ich liebe³⁴¹ ihn mehr als jeden Sterblichen. Für ihn habe ich Jambu, meinen jüngeren Bruder, getötet und meine Verwandtschaft erschlagen und in Stücke gehauen. Trefflich habe ich ihm gedient, nun soll er mich dafür wohlwollend behandeln.³⁴² Nun habe ich Euch die ganze Wahrheit gesagt. Eine Schwester habe ich, ich weiß nicht in welchem Reich. Orable heißt sie und ist von großer Schönheit.“ Guiborc hörte es und weinte heftig. Sie umarmte Renoart innig. „Küßt mich, Bruder, sehr habe ich mich nach Euch gesehnt.“ Guillelme hörte es und betete deshalb zu Gott
340 Vermutlich unsinnige Wortwiederholung aus dem vorhergehenden Vers; besser a son riche barné WHR „mit seiner vornehmen Ritterschar“. 341 Ich übersetze ain WHR, nicht tein M „halte“. 342 avoyr a gré M. Besser wohl savoir gré WHR „dankbar sein“.
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wegen eines solchen Schwagers, welchen er gewonnen hatte. 7515 Großen Jubel erhoben sie im ganzen Palas und hörten die Nacht bis zum Tage nicht auf, da man in der Kapelle die Glocke läutete. Die Ritter hörten die Messe und kamen aus dem Münster, als der Priester gesungen hatte.³⁴³ 7520 Um Renoarts willen läuteten sie alle Glocken und bliesen viele Posaunen und viele Hörner. Auf der Gloriette brachen sie in großen Jubel aus.
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CXLIV. (WHR 184d, A 182) Madame Guiborc war hoch zu preisen. Vor Guillelme ließ sie Renoart entbieten und unternahm es, ihn sehr liebreich anzureden: „Bruder“, sagte sie, „Ihr dürft es mir nicht verhehlen, ob Loois Euch neu geboren werden, in einem heiligen Brunnen taufen und aus der Taufe heben³⁴⁴ ließ.“ „Nein, wahrhaftig, Madame, vielmehr verweigerte er es mir und ließ mich dort nie in ein Münster gehen noch in seine Kapelle kommen und eintreten, eine Vesper oder Messe hören oder vernehmen, noch mir eine geweihte Oblate geben.“ Guiborc hörte es und glaubte den Verstand zu verlieren. Sie begann aus ihren schönen Augen zu weinen. Graf Guillelme unternahm es, sie zu trösten: „Edle Königin, bei Gott, laßt es gut sein! Ihr sollt nun große Freude empfinden über einen so trefflichen Bruder, wie ihn Gott Euch finden ließ.“ Der Graf Wilhelm begann ihn dort anzureden: „Bruder Renoart, würde es Euch gefallen, aus der Taufe gehoben zu werden?“ Und Renoart antwortete wie ein trefflicher Adeliger: „Sehr gerne, wenn es Euch nicht beschwerlich sein mag,
343 Ich übersetze li preste ot chanté WHR, nicht li preste ont soné M „als die Priester läuteten“. 344 Dieser Ausdruck ist hier noch wörtlich zu verstehen, da die Taufe im Hochmittelalter noch ganz überwiegend in Form der Immersion, erst später immer öfter in Form der Aspersion begangen wurde, so daß lever dann „über dem Taufbecken halten“ hieß. In M ist allerdings formale Vermengung von lever und laver eingetreten.
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heute am diesem Tag ohne jeden weiteren Aufschub zur Ehre Gottes, der alles zu retten vermag, – er möge mir³⁴⁵ Verstand und Kraft schenken.“ Graf Guillelme wollte dabei nicht weiter säumen. Schnell ließ er das Taufbecken herrichten in Form einer Wanne aus leuchtendem Marmor. In ein Münster ließen sie Renoart führen, dann mit dem heiligen Zeichen segnen,³⁴⁶ seine Kleider ablegen und in das Taufbecken steigen, als sie es hergerichtet hatten; und ihn taufte Erzbischof Guimer;³⁴⁷ Bertram und Aymeri (der Elende) hoben ihn aus der Taufe sowie Aymeri und Guillelme, der Held. Eine sehr große Ritterschaft war da, um ihm das Taufhemd abzunehmen. Danach ließen sie ihn prächtig herausputzen, ihm ein Siglatontuch überwerfen, darüber einen Hermelinpelz, der sehr zu loben war.³⁴⁸ Hierauf ließen sie ihm einen Mantel anlegen. Eine Göttin hatte ihn jenseits des Meeres hergestellt³⁴⁹ und mit kleinen Löwen aus feinem Gold durchwirkt. Der Pelz war grau, mit welchem man ihn gefüttert und prächtig rundherum verbrämt hatte.³⁵⁰ Seine Beinkleidung war aus Pfellel von jenseits des Meeres. Renoart stellte einen schönen jungen Mann dar. Eine große Statur hatte er und den Blick eines Ebers. Es gab keinen Baron, der, wenn er neben ihm stehen wollte,
345 me ist in M versehentlich ausgefallen. 346 E puis del seint seing segner M, Et por seignier et le saint celebrer WHR „zur Einsegnung und heiligen Feier“. Die Zeile in M ist jedenfalls metrisch unvollständig. 347 Grumer M, Guimer WHR, Aymer A, Guillemer Ars. Nicht identifizierbar. Die Form in M ist aber die unwahrscheinlichste. 348 qi.l fist fres orgoler M „die ihn frisch und übermütig werden ließ“ (?), qui fu fres descoer Hs. F, qui molt fist a loer Hs. D. Hs. D bringt die einzige einigermaßen verständliche, wenngleich triviale Lesart. Außer in den drei Hss. fehlt der Vers. 349 Ich übersetze l’ot fait faire outre mer WHR, nicht das mir unverständliche li fere covrer M. Wie man das ewige, reimbedingte faire + Inf. übersetzen soll, bleibt hier allerdings ebenso fraglich wie zuvor. 350 Ich wähle wiederum die schlichte Fassung der Hs. D: Et richement environ engoler. F und M bringen noch Zobel ins Spiel: D’un riche sable environ engoler F, De molt bons servelins engoler M.
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Übersetzung
7570 mit dem Kopf seine Achsel berühren hätte können.
Im Vergleich zu ihm konnten sie als kleine Kinder erscheinen. CXLV. (WHR 184e, A 183)³⁵¹ Getauft und aus der Taufe gehoben war Renoart worden. Es hoben ihn heraus Guillelme und Bernart, Aymeri, Bertram und Guichart, 7575 Bovon von Comarchis, sein Sohn Girart, Ernaut der Rote und Guibert³⁵² von Andernas. Graf Guillelme schenkte ihm zweitausend Mark. Völlig übertraf er die Sippe des Lombarden³⁵³. Deshalb liebte ihn die Gräfin Ermengart sehr. 7580 Später gab sie ihm ihre Nichte mit der blühenden Gestalt.³⁵⁴ Bei der Hochzeit war die Gräfin Ermengart.³⁵⁵ Später starben viele heidnische Aucoparden.³⁵⁶ Graf Guillelme schenkte ihm Port Paillart.³⁵⁷ CXLVI. (WHR 188, Ars 188, A 184) Renoart war getauft und aus der Taufe gehoben worden. 7585 Hoch ehrte er das heilige Christentum. Prächtig war er gekleidet und geschmückt mit einem bunten Mantel war der Held umhüllt worden.
351 In sieben Hss. sehr uneinheitlich und verderbt überliefert. Die seltene Assonanz –ars/arz/-art hat Schwierigkeiten gemacht. 352 Ich folge WHR, da ses filz M für Guibert WHR, A, die Verwandtschaftsverhältnisse auf den Kopf stellen würde. 353 au Bambard M, au Lombart WHR (Hss. B1B2DF). Ist der Ahnherr Ermengarts oder Aimeri gemeint? Keine Erklärung bei Rasch. 354 In anderen fünf Hss. (s. WHR) folgt im folgenden Vers, der in M fehlt, die Präzisierung, dies sei Aelis gewesen. 355 As noces furent la contesse Ermençard M, As noces fu la contesse lijars WHR nach 5 Hss. Die Wiederholung der zweiten Halbzeile aus 7579 ist verdächtig, da auch das Verb im Plural nicht dazu paßt. Aber die andere Lesart gibt auch keinen Sinn. Wenn lijart = liart „grauhaarig“ sein sollte, wäre liarde (Fem.) zu erwarten. 356 Aucoparz M, Açopars WHR, Açopart A. Nur hier genanntes rätselhaftes Volk. Es kommt auch im ‚Thebenroman‘ vor. Sind die Äthiopier gemeint (vgl. 1962 Flutre s. n.)? 357 Nicht sicher identifizierbar. Barnett 1956 diskutiert die vorgeschlagenen Möglichkeiten. Am ehesten erwägenswert scheint mir eine irrtümliche Übertragung eines nachweisbaren Port Baillars „Paß von Baillars“ in den spanischen Pyrenäen an die spanische Küste, weil port meist doch „Hafen“ bedeutet.
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Wohlgestaltet und wohlgeformt waren seine Glieder. Es gab keinen Ritter im ganzen Reich, der nicht gegen ihn geradezu wie ein kleines Kind aussah. Mit großem Staunen war er von allen betrachtet worden. Und der Besitz, von dem er genug besaß, weil das Archant erobert worden war, war in der Mitte des Saales insgesamt aufgehäuft worden. Da wandte sich Guillelme Kurznase dorthin. „Herr Renoart“, sagte er, „tretet vor! Mein Seneschall werdet Ihr sein, wenn Ihr wollt. Ich möchte, daß Ihr den Männern aus Frankreich, die Ihr hierhergeführt habt, reiche Belohnung gebt.“ Renoart sagte: „Wie Ihr wünscht! Jetzt soll jeder zu mir kommen, welcher entlohnt³⁵⁸ zu werden wünscht.“ Da hättet ihr Ritter sich aufmachen sehen können. Jedem gab er davon ganz nach dessen Wunsch. Der Allerärmste wurde danach ein Reicher genannt. Der eine sagte zum andern: „Sehr gut hat er uns entlohnt. Ein so freigebiger Mann ist niemals gefunden worden. Er sollte durchaus zum König gekrönt werden.“³⁵⁹ „Herr Renoart“, sagte Guillelme Kurznase, „nun hätte ich gerne, Ihr würdet zum Ritter gemacht, ehe meine mächtige Verwandtschaft sich fortbegeben hätte, daß Eure Rittertaten Loois berichtet werden und meiner Nichte, die Ihr so liebgehabt habt.“³⁶⁰ Renoart sagte: „Herr, also beeilt Euch!“ Bei diesen Worten ertönten drei Trompeten. Die Franzosen kamen den Fürstenpalas herab,³⁶¹ und Renoart stieg die Stufen herunter, mit ihm Guiborc, die ihn so liebte.
358 leueç M, lieués WHR, Ars = liez M 7605, lieués WHR, Ars, wohl nicht abgeleitet von lever, sondern von loer/loiier „in Sold nehmen, löhnen“ TL 5, 568f. Holtus, Glossar, setzt den frankoitalienischen Inf. mit lier an. 359 Ich übersetze par droit rois coronés WHR, Ars, nicht tot ors coronez M „jetzt gleich gekrönt“. Der Vers ist in M zu kurz. 360 E ma nece qi tant amee aveç M, Et a ma niece en serés maries WHR (hergestellt aus zwei Handschriftenlesarten); fehlt in den übrigen Hss. Der Text bleibt hier fraglich. 361 Der Zusammenhang verlangt, daß die Treppen des Palas gemeint sind. M hat daher fälschlich el palais statt le palais WHR. Besser noch dou palais Ars.
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Und Guillelme war da, der Markgraf mit der kurzen Nase, und Aymeri und seine hohe Verwandtschaft. Unter dem Palas waren zwei Bäume gepflanzt. Dort waren Pfelleltücher auf die Erde gebreitet. Dort setzte sich der stahlharte³⁶² Renoart, Graf Guillelme und der kluge Herr Aymeri –³⁶³ Graf Bertram ist nicht vergessen worden –, legten ihm Beinkleider aus Eisen, weiß wie eine Wiesenblume, an, deren Panzerringe solcher Art waren, daß sie beim Waffenhieb nie versagen werden; Bertram befestigte ihm seine Sporen. Dann legte er die Halsberge an, welche vergoldete Schöße hatte. Die Panzerringe waren miteinander vernietet, doppelt geschichtet und zusammengeheftet. Antiquité³⁶⁴ verwendete zehn Jahre darauf, sie zu verfertigen. Das war ein Meister, der sich auf die Künste verstand. Es gab keinen so großen Mann bis Balaguer,³⁶⁵ der ihn nicht zwei große gutgemessene Fuß nachgeschleift hätte. Auf den Kopf banden sie ihm einen grünglänzenden, edelsteinbesetzten Helm, ³⁶⁶ der 900 Jahre Lebenszeit gehabt hatte. Durch Magie wurde er hergestellt und verfertigt. Ein Karfunkel war hoch angebracht und ein Topas auf dem Nasenschutz befestigt. Mit guten Steinen war der Helmreif gesäumt. Mit dreißig Riemen war er auf seinem Kopf festgemacht worden. Graf Guillelme gürtete ihm das Schwert an die Seite. Der Schwertknauf war von Gold und das Schwert ganz mit Schriftgravuren bedeckt. Weder König noch Emir hatten je ein besseres. Graf Guillelme gürtete es ihm mittels des Wehrgehänges um. Auf den Nacken schlug er ihn, daß er in die Knie ging. „Wohlan, Renoart, Gott gebe dir Vortrefflichkeit!
362 l’adureç M, l’alosés WHR, Ars „der Berühmte“ 363 N’Aymeris l’asenez steht so oder ähnlich nur in M, kann aber nicht stimmen. Lies statt asené „aufs Korn genommen“ oder sené „klug“? 364 Weitestgehend einheitlich überlieferter seltsamer Name für einen Waffenschmied. 365 Vgl. M 1500. 366 Einschub von WHR 8011.
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Aus Feigheit möget Ihr in keiner Weise davon abstehen!“ Sogleich wurde ihm ein Pferd herbeigeführt, schwarz wie ein Mohr, aber mit weißen Flanken, und um die Brust herum vorne war es gesprenkelt;³⁶⁷ die Nüstern waren breit und die Mähne rechts. Eine breite Kruppe hatte es und war hoch gebaut. Bis unters Kinn³⁶⁸ war es fein gesprenkelt.³⁶⁹ Nie war es gesattelt³⁷⁰ und beschlagen worden; niemals ermüdet oder erschöpft. Ein solches Pferd hat kein Sterblicher gesehen. Mit einem Sattel von Elfenbein war es bedeckt. Aus Gold waren seine Zügel und Brustriemen.³⁷¹ Aufs trefflichste war das Pferd ausgerüstet, ganz bedeckt mit einem kostbaren bortenbesetzten Pfellel. Mittels seines Steigbügels ist Renoart aufgestiegen. Den zweiten hielt ihm Bertram, der Berühmte. Um seinen Hals hing ein fester Buckelschild. Seine Lanze war robust und das Eisen vierkantig. Mit fünf goldenen Nägeln war die Fahne³⁷² daran befestigt. Als Renoart aufs Pferd gestiegen war, gab es noch niemals einen schöneren Bewaffneten. So heftig trat er in den angeknüpften Steigbügel, daß er beinahe die Eisen herabgeworfen hätte. Unter ihm bog sich das Pferd durch. Der Graf versäumte es keineswegs, eine Stechpuppe auf den Wiesen aufrichten zu lassen aus vier Pflöcken und fünf vergoldeten Halsbergen. Hierauf ließ er zwei feste Buckelschilde anbringen. Da hättet ihr sehen können, wie viele Ritter aufstiegen,
367 Ich übersetze varonés WHR, nicht ci ecoleç M. Holtus erwägt das Verb escoler, doch keine der Bedeutungen TL 944, 33f. „umhalsen, entblößen; abfließen lassen; schulen“ paßt. Auch der Vorschlag circolez, also circulé „kreisförmig“ führt nicht weiter. 368 Ich übersetze, wenn auch mit Fragezeichen, Jusquë en l’angle WHR, nicht das unverständliche Jusque au jerer M. 369 menegobez M vermutlich verlesen aus menu gotés ~ Hs. D. 370 Holtus stellt das schwer deutbare cingyeç zu cengler „den Sattelgurt anlegen“. Es könnte aber auch sainiés WHR „blutig gespornt“ entsprechen. 371 Ist poultrez M sprachliche Variante von poitrés WHR oder Verlesung? 372 Der Sänger hat hier gedankenlos statt confanon WHR poms M „Schwertknauf“ eingesetzt.
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Übersetzung
aufs Feld kamen, sich versammelten und sich stattlich auf den Wiesen anordneten. 7680 Aymeri und Guiborc waren Seite an Seite. Graf Guillelme rief laut: „Herr Renoart“, sagte er, „setzt die Sporen ein! Mir zuliebe tjostiert, bitte ich Euch, führt gegen die Stechpuppe nur einen einzigen Schlag, 7685 um uns wissen zu lassen, wie Ihr mit Waffen kämpfen werdet!“ Renoart sagte: „Das wird eine sehr große Schande sein, wenn an einer Stechpuppe mein Schlag erprobt wird. Herr Guillelme, wenn Ihr einen meiner Schläge vergeudet, werdet Ihr, so wahr mir Gott helfe, großen Schaden davon haben. 7690 Laßt uns vielmehr Sarazenen und Slawen erwarten! Dann werde ich tjostieren, so daß Ihr es sehen werdet, und mein Schlag wird dann nicht an eine Stange gewendet.“ Die Franzosen hörten es und lachten sehr. CXLVII. (WHR 189, Ars 189, A 185) „Herr Renoart“, sagte Guillelme mit dem wilden Antlitz, 7695 „Für Euch habe ich die Stechpuppe aufrichten lassen. Nun ersuche und bitte ich Euch aus Liebe, daß Ihr tjostiert, und ich werde Euch noch lieber haben, wenn ich sehe, wie Ihr die Waffen handhabt und das Pferd zügelt und laufen laßt.³⁷³ 7700 Sehr froh werde ich sein und will Euch gerne helfen.“ Madame Guiborc begann ihn zu bestürmen: „Tjostiert, lieber Bruder, heftig wünsche ich es, daß ich Euch diese Lanze³⁷⁴ führen sehe.“ Renoart sagte: „So muß ich denn nachgeben. 7705 Aber ich gedachte, meine Schläge besser anzuwenden.³⁷⁵ Meine liebe Schwester, ich will Euch nicht erzürnen und nun tjostieren, sollte ich damit wem auch immer mißfallen.“
373 Lo cival recure et esleer M, Et ton ceval conduire et eslaissier WHR, Ars. Holtus übersetzt im Glossar recure mit ‚trattenere‘ (mit Fragezeichen) und setzt esleer mit eslaissier gleich (ebenfalls mit Fragezeichen). Ich übernehme beides – nicht ohne Bedenken. 374 espee M hier wohl wieder für espié, espiel WHR. 375 Dieser – metrisch zu kurze – Vers ersetzt in M drei Verse in WHR, die das geeignetere Ziel, die Heiden, wiederholen.
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Die Franzosen ordneten sich und zogen sich zurück, und Renoart spornte das Streitroß. Den Schild nahm er an den Arm nach Brauch junger Krieger, legte die Lanze mit dem stählernen, vierkantigen Eisen ein und traf die Stechpuppe mit hartem und vollem Stoß. Beide Schilde durchschlug und durchbohrte er, die fünf Halsberge zerfetzte und durchtrennte er, die vier Pflöcke rammte und brach er nieder. Allesamt warf er auf einen Haufen zu Boden. Das Araberpferd aus den Bergen führte ihn darüber hinaus, und nach französischer Art kam er zurück. [Und Renoart spornte das Streitroß.]³⁷⁶ Auf höfische Art zog er das stählerne Schwert. Die Franzosen riefen: „Siehe da einen trefflichen Ritter! So waren selbst Rolant und Olivier nie. Mit ihm kann es niemand aufnehmen. Dieser wird durchaus Spanien beanspruchen können. Unterm Himmel gibt es niemand, welcher sich gegen ihn zu erheben wagte.“ Madame Guiborc ging und suchte ihn auf. Ihr hättet sehen können, wie sie ihn küßte, obwohl er noch ganz gerüstet war. Groß war die Freude auf dem Sandplatz unterhalb von Orange. Nun siehe da, ein Bote langte an. Renoart kam auf seinem Streitroß angeritten. „Herr,“ sagte er, „ich komme zu melden, daß dein Cousin Baudin als Geisel zurückkommt.“ Renoart hörte es und ließ nur die Zügel schießen. Siehe da Baudin auf einem arabischen Renner und in seiner Begleitung zwanzigtausend Heiden. Große Freude herrschte beim Zusammenkommen der Cousins. Die Franzosen und Baiern³⁷⁷ verwunderten sich sehr darüber und wollten sich in die Stadt zurückziehen. Und Renoart saß unter dem Olivenbaum ab. Der wilde Baudin begann ihn anzureden:³⁷⁸
376 Der Sänger wiederholt an unpassendem Ort Vers 7709, weil dasselbe Reimwort vorausgeht. M 7719 fehlt in den anderen Hss. 377 Andere Hss. nennen Flamen und Leute aus dem Berry. 378 Der folgende Schluß der Laisse ist nur M eigen und sprachlich unklar, wie auch Holtus feststellt.
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„Herr Renoart, hoch kann ich Euch preisen, wenn du die Absicht und volle Möglichkeit haben willst³⁷⁹ und es dem wahren Richter gefallen wird, der sich am Kreuz martern ließ, 7745 daß er mir zur Taufe verhelfen will.“³⁸⁰ Renoart sagte: „Ich werde dafür keinen Advokaten³⁸¹ haben. Denn wir alle werden dir gerne dabei helfen wollen.“ CXLVIII. (WHR 189a)³⁸² Groß war die Freude unterhalb von Orange auf der Wiese. Renoart trug das Haupt hoch erhoben 7750 und blickte Baudin an, der aus seinem Land stammte. „Cousin“, sagte er, „hier gibt es eine schöne Versammlung. Diese Leute sind aus Frankreich, dem gerühmten Land.“
379 Die Zeile wird nur wirklich verständlich, wenn man 7745 (jedoch in die 2. Person transponiert) davon abhängen läßt. 380 Qe il me voit conseil de batoier M. Holtus hält voit für rätselhaft, da es in der sonst im Text belegten Bedeutung „er will“ (statt vuelt) mit dem Objekt conseil „Rat, Hilfe“ kaum zu verbinden ist. Ich schlage daher die Konjektur conseillier und Synalöphe von Qe il > Q’il vor. 381 playder M vgl. TL 7, 1008 s. v. plaidier „Advokat“; vgl. jedoch auch das gleichlautende Verb ebd. 1009, daß sich aber an auroy (= aurai?) schwer anschließen ließe. Vielleicht ist gemeint, R. müsse rechtlich gar nicht für die Taufe eintreten, da sie ohnehin von allen befürwortet werde. Oder ist auroy soviel wie orrai? Das hieße: „Ich werde keinen Streit darüber hören.“ 382 Diese Laisse nur in M, von WHR im Apparat als 189a abgedruckt. Dort auch der Schluß nach Hs. E (fünf Laissen). Im Haupttext erscheint bei WHR der Schluß nach der Mehrzahl der Hss. (darunter Ars u. D), die Laissen 190–199, wovon Guessard/Montaiglon die letzte weggelassen haben. Etliche Hss. (auch A) haben noch eine Pluslaisse 191a. Dafür fehlen in Fassung A von WHR 190–199 der zweite (größere) Teil von 195, dann 196–198 ganz, sowie der erste (größere) Teil von 199. Auch sonst gehen im Detail die Hss., wie auch zuvor, vielfach ganz eigene Wege. Der Schluß von 199 ist in Ars und A jedoch ziemlich gleich. Gleich sind in diesen beiden Fassungen zuvor auch die erfolgreiche Werbung um die Hand von Aelis für Renoart durch Guillelmes Brüder Ernaut und Bernart und die Hochzeitsfeierlichkeiten in Orange. Nur in Ars folgen aber dann die Vorausschau auf den heidnischen Rachezug, den Renoart zurückschlagen wird, hierauf der Abschied des Großteils der Sippe Guillelmes, dessen Trauer um die Gefallenen, die Trostworte Guiborcs, der Wiederaufbau Oranges. Gemeinsam berichten Ars und A am Ende in aller Kürze, wie Guillelme Renoart und Aelis in die ihnen als Lehen übergebenen spanischen Länder begleitet und wieder heimkehrt, wie die jungen Eheleute die Hochzeitsnacht begehen und Maillefer zeugen, wie bei der Geburt des riesigen Kindes die Mutter stirbt und Renoart vor Kummer nur noch sieben Jahre zu leben hat. Ein Ausblick verheißt eine neue Chanson de geste von Renoarts Sieg über Loquifer und Isabras/Isembart, sowie Maillefers Schicksal und Heldentaten.
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Der Held bat Madame Guiborc: „Bei der Ehre Gottes und der verehrten Jungfrau, wie wird dieses Werk vollendet werden, daß mein Cousin Baudin von Valfondee Christ würde durch die Wunderkraft Gottes, und seine Begleitung, die er hierher mitgebracht hat?“ Die Gräfin sagte: „Wie Ihr heiße ich dies gut.“ Und sie ging, das ist die reine Wahrheit, trat in das große Münster ein, die Gräfin, und sagte dem Erzbischof³⁸³ ihre Ansicht: „Herr, mein Rat ist: Ohne jeden Verzug braucht Ihr gesegnetes und geweihtes Wasser, um 20.000 Männer in der Woge zu taufen.“ „Madame“, sagt der Erzbischof, „Euer Wunsch wird erfüllt.“ Man hat Kreuz und Prozession sehr rasch vorbereitet und sich unterhalb von Orange auf der Wiese versammelt. Im fließendem Wasser gebar er ihn so aufs neue und schüttete Wasser über seinen Körper. Da zeigte sich ein Wunder. Die Männer stiegen in das gesegnete Wasser und wurden dort getauft und mit Chrisam gesalbt.³⁸⁴
383 Ich verbessere E l’arcevesches zu A l’arcevesche. 384 Der Schluß wirkt recht abrupt. Die übliche Vorausschau auf weitere Epen des Zyklus fehlt. Der Schreiber fand in seiner Quelle aber vermutlich nichts mehr vor, obwohl er etwas erwartete. Denn er setzt die Schreibergebetsformel Deo gratias Amen erst nach dem Abstand von sechs freien Zeilen darunter.