Von der Kunst des sozialen Aufstiegs: Statusaffirmation und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico 9783412504946, 9783412503529


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Von der Kunst des sozialen Aufstiegs: Statusaffirmation und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico
 9783412504946, 9783412503529

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Von der Kunst des sozialen Aufstiegs

Studien zur Kunst 37

Almut Goldhahn

Von der Kunst des sozialen Aufstiegs Statusaffirmation und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico

2017 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn, und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Zugl. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät III 2011 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Pietro Longhi, Clemens XIII. mit Familie, 1758/59, Venedig, Ca’ Rezzonico

© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Claudia Holtermann, Bonn Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50352-9

Inhalt Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



7

I

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



9

II

Venedig  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom wirtschaftlichen Erfolg zum Aufstieg ins Patriziat . . . . . . . .



2.

3.

4.

5.

6.

23 23 Das Handlungsfeld der Rezzonico im Dreieck Como – Genua – Venedig 24 Der wirtschaftliche Aufstieg Aurelio Rezzonicos in Venedig  . . . . .  27 Zwischen Kaiserhof und Rom: Weichenstellung im Türkenkrieg  . . .  30 Die Aggregierung der Familie (1687)  . . . . . . . . . . . . . . . . .  34 Die Kunstsammlung als Eintritts-Billett in die Adelsgesellschaft  . . .  39 Die Gemäldesammlung der Rezzonico (1682)  . . . . . . . . . . . .  41 Typologisierung der Sammlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45 Porträtkunst im Dienste familiärer Distinktion . . . . . . . . . . . .  49 Quintiliano Rezzonico und der Ausbau der Sammlung . . . . . . . .  54 Familienallianzen durch Heiratspolitik . . . . . . . . . . . . . . . .  65 Heiratsstrategien des venezianischen Adels  . . . . . . . . . . . . . .  66 Die Rezzonico-Barbarigo-Hochzeit (1691)  . . . . . . . . . . . . . .  69 Die Verbindungen mit den Giustinian (1721) und den Widmann (1741)  80 Die Villa als Statussymbol  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  88 Die Rezzonico als Grund- und Villenbesitzer . . . . . . . . . . . . .  90 Die Villa Rezzonico in Bassano del Grappa . . . . . . . . . . . . . .  95 Innenarchitektur und Innenausstattung  . . . . . . . . . . . . . . .  101 Die Statusstrategien der Rezzonico im Spiegel der Villa  . . . . . . .  112 Die Stagnation des Möglichen und die Ausrichtung nach Rom  . . . .  114 Die begrenzten Karrierechancen der Rezzonico in Venedig  . . . . . .  115 Die Karriereversuche Abbondio Rezzonicos in Rom  . . . . . . . . .  118 Carlo Rezzonicos kirchliche Laufbahn  . . . . . . . . . . . . . . . .  128 Der schwierige Spagat zwischen Rom und Venedig . . . . . . . . . .  133 Triumph der Familie: Der Palazzo Rezzonico am Canal Grande  . . . .  136 Mietresidenzen und Immobilieninvestitionen der Rezzonico  . . . . .  139 Der Erwerb des Palazzo Bon  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  144 Die architektonische Vollendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  146 Die dreifache Apotheose  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  161

Farbabbildungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .





175

6  |   III

Der Weg nach Rom: Die Wahl Clemens’ XIII. Rezzonico und die Folgen  . .



. . . . . . . . . . . . .



Das Konklave von 1758  . . . . . . . . . . Der Papst und Venedig  . . . . . . . . . . Die Rezzonico als Papstfamilie in Venedig  .

. . . . . . . . . . . . .



. . . . . . . . . . . . .



IV Rom  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Papsttum und Papstporträt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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. . . . . . . . .



Das Mengs-Porträt und die Krise des Papsttums  . . Warum Mengs?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der abwesende Papst: Mengs’ Porträt in Venedig . .

2. Die Etablierung der Familie in Rom  . . . . . . . . . . . . . . . . .

Abschaffung und Fortleben des Nepotismus  . Die vier Nepoten des Papstes  . . . . . . . .





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3. Die Kunst des Unmöglichen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fontana di Trevi  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Piranesis Entwürfe für den Chor der Lateranbasilika  . .



. . . . . . .



. . . . . . .



4. Ein himmlischer Verbündeter: Gregorio Barbarigo und die Familienkapelle in San Marco  . . . . . . . . . . . . . . . .

185 185 192 196 203 203 204 212 215 219 219 225 235 236 247

260 Die Seligsprechung Gregorio Barbarigos  . . . . . . . . . . . . . . .  261 Die Familienkapelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  271 5. Das Malteserpriorat als Werbeträger  . . . . . . . . . . . . . . . . .  280 Die Aufnahme der Rezzonico in den Malteserorden  . . . . . . . . .  281 Giovanni Battistas Wahl zum Großprior der Malteser in Rom  . . . .  286 Prioratskirche und Aventin als Projektionsfläche einer Statusaffirmation  289 Die Prioratskirche als Ruhmestempel und Grabeskirche  . . . . . . .  296 6. Familientod und Papstgrabmal  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  313 Die Familie in der postpontifikalen Zeit  . . . . . . . . . . . . . . .  313 Die Errichtung des Grabmals für Clemens XIII.  . . . . . . . . . . .  319 Das Ende der Familie und die Grabmäler der Neffen . . . . . . . . .  329 V

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stammtafel der Rezzonico  . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . Bibliographie  . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachweis der wissenschaftlichen Bildzitate . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .





337 343 345 346 348 348 355 402 405

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. . . . . . . . . . . . . . . .



Dank Der hier vorliegende Text wurde im Winter 2011 von der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-­Universität zu Berlin als Disserta­tion angenommen. Für die Drucklegung wurde er an einigen wenigen Stellen aktualisiert und überarbeitet. Somit ist nun auch der Moment gekommen, all jenen Menschen und Institu­tionen noch einmal herz­lich zu danken, die mich in den Jahren der Arbeit an ­diesem Thema in vielfältiger Weise unterstützt und begleitet haben. An erster Stelle gilt mein Dank ­meinem Lehrer und Doktorvater Horst Bredekamp, der mir und dem Projekt von Anfang an uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte und durch dessen scharfsinniges und provozierendes Denken das Thema so manche Anregung und Konturierung erhielt. Sehr froh war ich auch über die Bereitschaft Volker Reinhardts, das Zweitgutachten zu übernehmen. Denn gerade seine Romstudien waren wichtige Impulsgeber für mein Interesse an den Rezzonico und ihren Aufstiegsstrategien. Der Spaziergang mit ihm und den Mitgliedern der Requiem-­Familie durch Sankt Peter g­lich einer Initialzündung und wird mir in unvergess­licher Erinnerung bleiben. Sorgenfreies Forschen in den venezianischen Archiven ermög­lichten mir zwei Stipendien am Deutschen Studienzentrum in Venedig. Die dort verbrachten Monate waren nicht nur in wissenschaft­licher Hinsicht äußerst fruchtbar. Die Einkäufe mit meinen Mitstipen­ diaten und den Gästen des Centro auf dem Rialtomarkt und die unend­lich vielen pranzi und cene auf der Terrasse oder (bei schlechtem Wetter) in der Centro-­Küche, die meist mit einem regen Austausch über die jeweiligen Studienobjekte verbunden waren, sowie die Ausflüge auf die Terraferma bildeten einen wunderbaren Ausgleich zum manchmal doch mühevollen Archivalltag. Und rückblickend sei jedem Venedig-­Forscher geraten, den Tag mit einem Cappuccino bei Rizzardini zu beginnen! Geschrieben wurde die Arbeit schließ­lich in großen Teilen am Kunsthistorischen Insti­tut in Florenz. Meine Kolleginnen und Kollegen, allen voran Costanza Caraffa und Ute Dercks, haben mir besonders in der letzten Phase der Arbeit verständnisvoll „den Rücken freigehalten“, wenn ich am Nachmittag aus der Rolle der Phototheksmitarbeiterin auf die Seite der frequentatori der Bibliothek wechselte. Mit vielen Freunden und Kollegen, in Florenz und anderswo, konnte ich zahlreiche Aspekte immer wieder diskutieren und mancher Hinweis eröffnete neue Perspektiven. Und auch in praktischer Hinsicht erfuhr ich vielfältige Unterstützung, sei es durch Korrekturlesen, Hilfe bei der Bildbeschaffung oder der Sorge darum, dass see­lisches und leib­liches Wohl nicht zu kurz kamen. Besonders verbunden bin ich deshalb Cristiano Gasparotti, Laura ­Goldenbaum, Giuseppe Gullino, Jana Graul, Lisa Hanstein, Henrike Haug, D ­ agmar Keultjes, D ­ orothea Klein, Ulrich Koechli, Urte Krass, Annett Ladegast, Vittorio ­Mandelli, Jan May, Olaf Hars, Martina Papiro, Benjamin Paul, Margarethe Pratschke, Olaf Rader, Jan-­Christoph Rößler, Anja Schmalfuß, Romana Sammern, Daniela Tovo, Jörg Trempler, Tim Urban, Ittai Weinryb, Tobias Weißmann, Ursula Winkler, Birgit Witte und Philipp Zitzlsperger.

8  |  Dank

Ein besonderer Dank gilt jedoch Julia Zunckel, die im rechten Augenblick die Aufgabe übernahm, das Gedeihen dieser Arbeit mit strengem Blick zu überwachen. Ohne ihre aufmunternden, manchmal auch entschiedenen Worte und ihrem wohlwollend kritischen Auge wäre ich wohl an mancher Stelle im Disserta­tionssumpf versunken. Das ­gleiche gilt für Arne Karsten, der diese Arbeit vom ersten Moment an mit großer Anteilnahme begleitet hat. Die DFG und die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften haben schließ­lich großzügig die Finanzierung ­dieses Buches übernommen. Als sich am Ende bei der Autorin in Hinblick auf die Drucklegung eine gewisse „Betriebsblindheit“ einstellte, nahm Nina Scheuß die Mühe auf sich, das gesamte Manuskript noch einmal mit frischem Auge durchzugehen. Doch ohne die Unterstützung und das Vertrauen meiner Familie, die mein Tun auf vielfältige Weise stets begleitete, wäre nichts so, wie es ist: ihr sei ­dieses Buch gewidmet. Florenz, Juni 2016

I Einleitung Zwischen 1758 und 1761 schuf der venezianische Künstler Pietro Longhi ein kleinformatiges Bildnis eines Papstes im Kreise seiner Familie, das sich heute in der Ca’ Rezzonico in Venedig befindet. (Farbabb. 1) Dabei handelte es sich um den aus Longhis Heimatstadt Venedig stammenden Clemens XIII. Rezzonico (1758 – 1769), seine beiden Neffen Carlo und Ludovico sowie Faustina Savorgnan, die Gemahlin Ludovicos.1 Als subtiler Beobachter gesellschaft­licher Strukturen hatte der Maler den Papst und seine Familie auf dem Gemälde in einer päpst­lichen Audienz zusammengeführt und damit eines seiner bis heute gerühmten Genrestücke geschaffen: Vor dem Hintergrund einer nur schemenhaft angedeuteten Architektur, die jedoch durch die rhythmisierend angeordneten Säulen und das sich darüber kurvende Gebälk unschwer als Verweis auf Berninis Arkaden des Petersplatzes zu identifizieren ist, sitzt der Papst auf einem Thron und scheint gedankenverloren in die Ferne zu blicken. Doch gleichzeitig streckt er dem Paar zu seiner Linken die Hand entgegen – ein Gestus, dem Faustina Savorgnan mit einem angedeuteten Kniefall begegnet, ­welchen ihr Gatte durch die Bewegung seiner ausgestreckten Hand begleitet. Während Faustinas Aufmerksamkeit auf den Papst gerichtet ist, fixiert der Papstneffe einen unbestimmten Punkt, der sich außerhalb des Bildraumes befindet. Sein jüngerer Bruder, der Kardinalnepot Carlo, welcher den Papst zur Linken flankiert, ist der Einzige dieser Gruppe, der einen Bezug zum Betrachter des Bildes herstellt. Obwohl durch seine Körperhaltung auf Papst und Bruder bezogen, wendet er sich mit einer Kopfbewegung aus dem Bild heraus dem Betrachter zu und scheint diesen durch den Zeigegestus seiner linken Hand aufzufordern, den Papst und seine Familie genauer in den Blick zu nehmen. Die Darstellung wirkt ein wenig befremd­lich, da bis auf die angeheiratete Papstnichte keiner der Anwesenden wirk­lich in das Audienz-­Geschehen selbst involviert zu sein scheint.2 Dabei dürfte der gewissermaßen „aus dem Rahmen fallende“ oder zumindest aus ­diesem hinausweisende, ambivalente Eindruck des Bildnisses auf den Betrachter durchaus beabsichtigt gewesen sein. Während die Audienz als Rahmenhandlung nicht auf ein familiär-­vertrau­liches oder privates Nahverhältnis, sondern eigent­lich auf einen streng-­formalisierten Beziehungskontext verweist, der somit auf ein institu­tionell geregeltes, eher distanziertes Verhältnis ­zwischen dem Papstmonarchen und seinen Angehörigen schließen lässt, wird dieser „starre“ situative Rahmen hier jedoch gerade dadurch durchbrochen, dass er für die explizite Eigen-­Präsenta­tion der Familie und ihrer Bindung an den regierenden Papst genutzt wird. Der subtil-­hintergründige, fast marionettenhafte 1 2

Zur Datierung des Bildes vgl. Pedrocco, Pietro Longhi (2008), S. 73. Aus der Fülle der Literatur zu Longhi ­seien hier nur die beiden wichtigsten Überblickswerke genannt: Mariuz / Pavanello / Romanelli, Pietro Longhi (1993); Pignatti, Pietro e Alessandro Longhi (1995). Über den Auftraggeber des Werkes ist bislang nichts bekannt. Doch Callegari, Pietro Longhi (2008), S. 73 vermutet, dass es von einem Familienmitglied der Rezzonico in Auftrag gegeben wurde.

10  |  Einleitung

1 Raffael, Leo X. mit den Kardinälen Giulio de’ Medici und Luigi de’ Rossi, 1518/19, Florenz, Uffizien

Darstellungsmodus, welcher dem Werk Longhis generell zu eigen ist, bringt zudem die zeitgenös­sische Reflexion einer „theatralisierten“ Gesellschaft zum Ausdruck, indem er die Aufmerksamkeit des Betrachters unwillkür­lich auf den Rollenspielcharakter gesellschaft­lichen Agierens lenkt.3 Im Falle des Audienzbildes leitet Longhi den Blick auf die Präsenz der Neffen im Schatten des päpst­lichen Onkels, ohne die Ausfüllung ihrer „Rollen“ aber eindeutig zu definieren. Aus dem Genrestück Longhis wird somit ein „Familienbild mit Papst“, dessen bemerkenswertester Zug darin besteht, dass es das, was es thematisiert, näm­lich die enge Verbindung ­zwischen dem Papst und seiner Familie, eigent­lich Mitte des 18. Jahrhunderts gar nicht mehr geben durfte. Unübersehbar steht diese ikonographische Darstellung in der Tradi­tion der Nepotenbilder, wie sie in dem von Raffael 1518 geschaffenen Porträt Leos X. de’ Medici (1513 – 1521) und in Tizians Gemälde von Paul III. Farnese (1534 – 1549) aus dem Jahre 1546 künstlerische Höhepunkte erlebte.4 (Abb. 1/2) Diese beiden Porträts, ­welche die Päpste mit ihren Kardinalnepoten in einem „Arbeitskontext“ zeigen, versinnbild­lichten in aller Deut­ lichkeit jene zentrale Rolle, die den Familienangehörigen eines Papstes im Hinblick auf die Herrschaftspartizipa­tion zukam. Vor dem Hintergrund des Kirchenstaates als einer 3 4

Vgl. zu ­diesem Phänomen generell Fischer-­Lichte (Hg.), Theatralität (2001). Zum Bildnis Pauls III. Farnese vgl. die erhellende Studie von Zapperi, Paul III. (1990). Zum Bildnis Leos X. von Raffael vgl. Reinhardt, Rom (1992), S. 88 – 93. Zu zeit­lich früher entstandenen Nepotenbildern vgl. Rohlmann, Il papa e i suoi (2007).

Einleitung  |  11

2 Tizian, Paul III. mit den Kardinälen Alessandro und Ottavio Farnese, 1546, Neapel, Museo Capodimonte

Wahlmonarchie, die den Päpsten nur begrenzt Zeit ließ, die Stellung ihrer Familien zu festigen und auszubauen, bildete die Installierung der Neffen an der Kurie zur Unterstützung des päpst­lichen Onkels ein unverzichtbares und deshalb auch durchaus legitimes oder besser: legitimiertes Instrument päpst­licher Herrschaftsausübung. Bekannt­lich war damit aber auch die finanzielle Versorgung der Papstfamilien aus den Kassen des Kirchenstaates verbunden, ein Strukturphänomen, das schließ­lich maßgeb­lich zur Zerrüttung der päpst­lichen Finanzen beitragen sollte.5 Im Barock scheint dieser von Raffael und Tizian verwendete Bildtypus keine Nachfolge gefunden zu haben. Zumindest ist uns nur ein einziges Porträt bekannt, das einen Pontifex des 17. Jahrhunderts mit Neffen zeigt. Bei ­diesem Doppelporträt von ­Domenichino handelt es sich bezeichnenderweise um Gregor XV . Ludovisi (1621 – 1623), dessen Kardi­ nalnepot Ludovico Ludovisi zweifellos der zugleich politisch begabteste und ambi­ tionierteste Neffe eines Papstes dieser Epoche war.6 (Abb. 3) Mög­licherweise ist der 5

6

Zum geist­lich-­welt­lichen Doppelcharakter des Papsttums vgl. Prodi, Il sovrano pontefice (1982); zur Herrschafts- und Versorgungsfunk­tion des Nepotismus sowie zu seiner historischen Entwicklung vgl. Reinhard, Nepotismus (1975); Ders., Freunde und Kreaturen (1979); zur Frage der Legitimität der Herrschaftspartizipa­tion Ders., Symbol und Performanz (2005); Reinhardt, Normenkonkurrenz (2005). Zur Person Ludovico Ludovisis und seiner politischen Tätigkeit während der Herrschaft Gregors XV. vgl. Büchel, Raffe und regiere (2002). Zu einem weiteren, den Ludovisi-­Papst und vor allem seinen

12  |  Einleitung

3 Domenichino, Gregor XV. mit Kardinal Ludovico Ludovisi, 1621/1623, Béziers, Musée des Beaux- Arts

Grund für das Verschwinden solcher, die Herrschaftspartizipa­tion der Nepoten ins Bild setzenden „Familienporträts“ in der wachsenden Kritik an der ausufernden Verwandtenförderung zu suchen, die es nicht ratsam erscheinen ließ, den Papst im Kreise seiner Angehörigen darzustellen.7 Denn keineswegs war das Phänomen des Nepotismus ausgelöscht, sondern verzeichnete vielmehr, wie insbesondere die Netzwerkforschung Wolfgang Reinhards und seiner Schüler in den letzten vierzig Jahren durch zahlreiche Studien belegen konnte, gerade in der Barockzeit einen Höhepunkt. 8 Die gezielte Unterstützung der Angehörigen diente vor allem deren dauerhafter Etablierung in den Spitzen der römischen Aristokratie. Durch die Ausstattung mit einträg­lichen Pfründen und prestigeträchtigen Ämtern kam darüber hinaus den Nepoten zumindest potentiell eine einflussreiche Rolle innerhalb der päpst­lichen Herrschaftsorganisa­tion zu.9 „Raffe und

7 8 9

Kardinalnepoten anläss­lich der Heiligsprechung Franz Xavers und Ignatius’ von Loyola in Szene setzenden Bildnis (in der Sakristei der römischen Jesuitenkirche Il Gesù) vgl. Karsten, Die Kunst der Bündnisse (2005), S. 138 f. Zu Domenichinos Porträt vgl. Spear, Domenichino (1982), Bd. 1, S. 227. Vgl. hierzu Karsten, Künstler und Kardinäle (2003), S. 67 f. Vgl. vor allem Reinhard, Papstfinanz und Nepotismus (1974); Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese (1984); Teodori, I parenti del Papa (2001); Reinhard, Papal Power (1991); zusammenfassend zuletzt Ders., Paul V. Borghese (2009). Wie unterschied­lich diese Rolle von den Protagonisten interpretiert wurde, lässt sich an den Pontifikaten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts deut­lich erkennen. Neben politisch ambi­tionierten

Einleitung  |  13

regiere“ ist dann auch eine luzide Studie Daniel Büchels betitelt, ­welche die päpst­liche Familienpolitik vor dem Hintergrund der Herrschaftsfunk­tion römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert näher beleuchtet.10 1676 kam es unter dem Reformpapst Innozenz XI. Odescalchi (1676 – 1689) zu einem ersten Versuch, den Nepotismus einzudämmen. Doch wie vor allem Antonio Menniti Ippolito und Marzio Bernasconi in ihren Untersuchungen der kurieninternen Nepotismus-­ Kritik gezeigt haben, sollte dieser Versuch auf heftigen Widerstand stoßen.11 Erst im übernächsten Pontifikat gelang es 1692 Innozenz XII. Pignatelli (1691 – 1700), mit seiner Bulle „Romanum Decet Pontificem“ dem Nepotismus als strukturellem Element der päpst­lichen Herrschaftsorganisa­tion zumindest offiziell ein Ende zu setzen. Aus dem Kardinalnepoten wurde ein Nepotenkardinal, der nunmehr die Rolle eines paris inter pares im Kardinalskollegium einzunehmen hatte. Das Regierungsamt des Kardinalstaatssekretärs war ihm fortan verwehrt; seine jähr­lichen Einkünfte waren reglementiert und sollten in Zukunft die Summe von 12000 Scudi nicht überschreiten.12 Angesichts dieser eindeutigen Bestimmungen schien das Thema für die Rom-­Forschung weitestgehend erledigt. Zwar taucht auch im Zusammenhang mit der Betrachtung der römischen Kurie im 18. Jahrhundert der Begriff „Nepotismus“ vereinzelt auf, doch als ein kontinuier­lich weiter bestehendes soziopolitisches Phänomen, welches das Papsttum in seinen Strukturen grundlegend kennzeichnete, fand es wenig Beachtung. Dabei hatte bereits Menniti Ippolito sich ins 18. Jahrhundert hinein erstreckende Kontinuitätslinien im Bereich der päpst­lichen Verwandtenförderung beobachtet und zudem treffend bemerkt, dass die Geschichte des „Nepotismus nach dem Nepotismus“ noch zu schreiben sei.13 Denn bereits ein flüchtiger Blick auf die Pontifikate Clemens’ XI . Albani (1700 – 1721), Clemens’ XII . Corsini (1730 – 1740) und eben auch Clemens’ XIII . Rezzonico lässt erahnen, ­welche Rolle die Papstfamilien an der Kurie nach wie vor spielten: Alle drei Päpste ernannten einen Kardinalnepoten. Und obgleich Innozenz XIII . Conti (1721 – 1724) über

10 11 12 13

Nepoten wie Pietro Aldobrandini, Ludovico Ludovisi und Francesco Barberini gab es ebenso Papstverwandte, die sich in der Politik kaum engagierten, wie Scipione Borghese. Zu dessen Rolle innerhalb der päpst­lichen Herrschaftsorganisa­tion grundlegend Emich, Bürokratie und Nepotismus (2001). Zu Aldobrandini knapp und instruktiv Mörschel, Von der Vergäng­lichkeit der Macht (2004); zu Ludovisi die schon genannte Studie von Büchel, Raffe und regiere (2002); zu Francesco Barberini vor allem Kraus, Der Kardinal-­Nepote (1969) sowie Ders., Das päpst­liche Staatssekretariat (1964), bes. S. 9 – 37. Büchel, Raffe und regiere (2002). Menniti Ippolito, Il tramonto (1999); Bernasconi, Il cuore irrequieto (2004). Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S. 1128 f. „Un elenco senz’altro insufficiente di avvenimenti e situazioni che meritano senz’ altro di essere considerati a sé, in una storia tutta ancora da farsi del nepotismo, e forme affini, dopo la soppressione del nepotismo.“ Menniti Ippolito, Il tramonto (1999), S. 154. Einen Vorstoß in diese Richtung unternimmt er selbst mit einem ­kurzen Blick auf die römischen Staatssekretäre im 18. Jahrhundert, wobei er sich da bereits auf die Untersuchungen von Birgit Emich stützen kann. Ders., Il governo (2007), S. 124 – 126 sowie Emich, siehe Anm. 15.

14  |  Einleitung

keinen solchen verfügte – auch er erwies sich als Papst mit ausgesprochenem Familiensinn, der schon in seiner ersten Kardinalspromo­tion seinem Bruder Bernardo Maria Conti den roten Hut verlieh. Schließ­lich äußerte auch Daniel Büchel in seiner Studie zum Langzeitnutzen päpst­licher Verwandtenförderung die Vermutung, dass dem Nepotismus als gesellschaft­lichem Phänomen auch im 18. Jahrhundert eine weit größere Bedeutung und Verbreitung zukam als bisher angenommen wurde, wobei er seine Vermutung mit einem ­kurzen Blick auf die Geschicke der Papstfamilie Albani und deren familiäre Strategien untermauert.14 Zu einem ähn­lichen Schluss kam Birgit Emich, die das Amt des römischen Staatssekretärs genauer untersucht hat. Im Bezug auf die Reform von 1692 stellt sie die These auf, dass diese weder ein „Quantensprung der römischen Modernisierung und schon gar keinen Sieg über die strukturellen Probleme der römischen Wahlmonarchie dar[stellte]: Abgeschafft wurde zwar das Amt des Nepoten, nicht aber Nepotismus und Klientelismus“.15 In diesen Kontext passt das von Longhi geschaffene Genrebild, das die Verwandtenförderung Clemens’ XIII. auf so eindrück­lich-­ambivalente Weise in Szene setzt. Denn es ist nicht übertrieben, gerade das Rezzonico-­Pontifikat als eine späte Hochblüte des Nepotismus zu charakterisieren. Allerdings liegen bisher kaum Studien zur Herrschaft Clemens’ XIII. vor – ein Defizit, das für die fragmentarische Forschungslage zum römischen 18. Jahrhundert durchaus als symptomatisch anzusehen ist. So stellt Ludwig von Pastors „Geschichte der Päpste“, deren letzter Band posthum im Jahre 1933 erschien, nach wie vor das wichtigste Referenzwerk zu den acht Pontifikaten des Zeitraums ­zwischen 1700 und 1800 dar. Mikropolitische Studien, wie sie von Wolfgang Reinhard und seiner Schule paradigmatisch für das 17. Jahrhundert vorgelegt wurden, fehlen für das römische 18. Jahrhundert fast vollständig.16 Über die Strukturen und Funk­tionsweisen kurialer Netzwerke in der vermeint­lich postnepotistischen Epoche wissen wir somit nur wenig.17 In Bezug auf die Rezzonico geht der aktuelle Kenntnisstand dann auch nicht weit über Pastor hinaus, der seinerseits bereits einen starken Familiensinn des Rezzonico-­Papstes konstatiert ­hatte.18 Auch die im Winter 2008/09 anläss­lich des 250. Jahrestages der Wahl Clemens’ XIII . in Padua organisierte Ausstellung zur Person, zum Werdegang und zum Pontifikat des venezianischen Papstes, der im November 2008 zudem ein Studientag voranging, brachte

14 „Wie man trotzdem den Familienstatus in die rechten Bahnen zu lenken und die Nepoten auf Dauer in Führungsposi­tionen an der Kurie zu etablieren vermochte, d ­ ieses Regel- und Strategiegeflecht des 18. Jahrhunderts ist in der Forschung bisher kaum entwirrt worden.“ Büchel, Glanz in alle Ewigkeit (2001), S. 100. 15 Emich, Bürokratie und Nepotismus (2001), S. 414 – 432; Dies., Die Karriere des Staatssekretärs (2005), S. 343. 16 Die grundlegende Arbeit von Ago, Carriere e clientele (1991), nimmt nur die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts in den Blick. 17 Die an sich in dieser Hinsicht vielversprechende Arbeit von Schmidt, Virtuelle Büchersäle (2009), bleibt leider im Hinblick auf die Ausbildung von innerkurialen Gelehrten-­Netzwerken unergiebig. 18 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 456, 466, 475.

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bedauer­licherweise nichts grundsätz­lich Neues.19 Obwohl die Kuratoren auch Longhis Bild für die Ausstellung wählten, was nicht zuletzt einen Impuls für die eingehendere Beschäftigung mit der Papstfamilie und ihrer Stellung am Papsthof hätte liefern können, warf einzig Giuseppe Gullino in einem ­kurzen Beitrag für den Ausstellungskatalog einen schlag­lichtartigen Blick auf die Familie des Papstes.20 Auf Grundlage eigener Archivstudien fügte er darin der Familiengeschichte einige neue Eckdaten hinzu, die bereits darauf hindeuten, dass der kuriale Aufstieg der Rezzonico eine relativ lange Vorlaufzeit hatte. Denn die Familie eines Papstes erscheint nicht unvermittelt auf der Bühne der römischen Gesellschaft. Erfolgreiche (und nicht nur) kuriale Karrieren ließen sich in der Regel nur mittels intensiver familiärer Unterstützung bewerkstelligen.21 Wurde die Karriere eines Kardinals schließ­lich mit der Tiara gekrönt, so hatte dessen Familienverband meist über Jahrzehnte hinweg entscheidend daran mitgewirkt. Die Posi­tionierung eines Familienmitglieds in einem solchen Amt erforderte nicht nur enorme finanzielle Investi­ tionen, sondern vor allem erheb­liches strate­gisches Geschick im Knüpfen von familiären und klientelären Allianzen. Nur so konnte ein tragfähiges Netz an Kontakten aufgebaut werden, die den Aufstieg bis in die höchsten Ebenen der Kurie überhaupt erst denkbar machten. Somit krönte die Tiara nicht zuletzt auch die erfolgreichen Statusstrategien eines Familienverbandes. Doch erstaun­licherweise war die Familiengeschichte der Rezzonico bislang kaum Gegenstand wissenschaft­lichen Interesses. Die erste und gleichzeitig einzige Geschichte der Rezzonico legte 1931 Antonio Giussani vor, dessen etwa dreißigseitige Abhandlung den heutigen Bedürfnissen nach einer fundierten sozia­lgeschicht­lichen Untersuchung allerdings in keiner Weise entspricht. Die positivistische Aneinanderreihung einiger weniger, aus venezianischem und genue­sischem Archivmaterial gewonnenen Fakten, gepaart mit einer Aufzählung der von den Rezzonico in Auftrag gegebenen Kunstwerke, ermög­ lichte ledig­lich die Rekonstruk­tion der wichtigsten Eckpunkte der Familiengeschichte.22 Darin folgte ihm knapp achzig Jahre s­ päter auch noch Giuseppe Gullino, welcher in seinem Beitrag für den Paduaner Ausstellungskatalog (in einer erweiterten Fassung 5 Jahre ­später auch im Tagungsband publiziert) ebenfalls weitestgehend auf die für eine Analyse der Familienstrategien notwendige historische Kontextualisierung des soziopolitischen Aufstiegs der Rezzonico, insbesondere vor dem Hintergrund der venezianischen Adelsrepublik, verzichtete.23

19 Vgl. Nante / Cavalli / Pasquali (Hg.), Clemente XIII (2008). Eine kurze Besprechung der Tagung bei Del Negro, Carlo Rezzonico (2009). Die Akten des Studientages wurden herausgegeben von Nante / Cavalli / Gios (Hg.), Carlo Rezzonico (2013). 20 Gullino, Da Como (2008). 21 Vgl. hierzu Ago, Giochi di squadra (1992); Visceglia, Burocrazia (1995). 22 Giussani, I fasti (1931). 23 Gullino, Da Como (2008); Ders., Da Como (2013).

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Doch gerade die Einbettung der Familiengeschichte in einen umfassenderen Kontext ist von Interesse, da sich dadurch weiterführende Erkenntnisse über den venezianischen Neuadel gewinnen lassen. Denn die Rezzonico als einstige Kaufmannsfamilie zählten zu den insgesamt 128 venezianischen Familien, die den Adelstitel ­zwischen 1646 und 1718 käuf­lich erworben hatten und sich nun als Angehörige des patriziato nuovo innerhalb des oligarchischen Systems der Adelsrepublik Venedig und gegenüber dem patriziato vecchio, das eifersüchtig seine Privilegien hütete, behaupten mussten. Obwohl sich bereits mit der 1962 erschienenen Studie von James David die Entwicklung der venezianischen Regierungskaste, genauer: der Niedergang des venezianischen Altadels als Forschungsschwerpunkt der venezianischen Sozia­lgeschichte zu etablieren begann,24 vergingen über zwanzig Jahre, bis Alexander Cowan erstmals explizit nach jenen Etablierungsstrategien fragte, die der Neuadel verfolgte.25 Dieser strukturgeschicht­liche Ansatz wurde von Dorit Raines und vor allem von Roberto Sabbadini vertieft. Während sich Cowans Untersuchungen auf die Jahre 1646 bis 1718 (von der Öffnung des G ­ oldenen Buches bis zum Frieden von Passarowitz und der damit verbundenen letzten Nobilitierungswelle) beschränkt hatten, weiteten Raines und Sabbadini ihre Forschungen zum venezianischen Neuadel zeit­lich bis zum Untergang der Republik Venedig 1797 aus.26 Im selben Jahr wie Sabbadini erschien schließ­lich auch die grundlegende Studie Volker ­Huneckes, der sich vergleichend mit der demographischen Entwicklung des alten und neuen Adels in Venedig auseinandersetzte.27 Damit war prinzipiell eine Grundlage für die eingehendere Beschäftigung mit einzelnen Familien des venezianischen patriziato nuovo gelegt, doch erstaun­licherweise ist dies bisher seitens der familiengeschicht­lichen Forschung fast völlig unterblieben.28 Neben Giussanis knapper Abhandlung zu den Rezzonico liegt bis heute nur die bereits 1980 erschienene Studie von Eva Rösch-­Widmann zu der Aufsteigerfamilie Widmann vor, die ihr Thema allerdings, ähn­lich wie Giussani, rein deskriptiv behandelt.29 Einzig ­Antonio Menniti ­Ippolitos 1996 publizierte Untersuchung zu den Ottoboni, die mit ­Alexander VIII. ­zwischen 1689 und 1691 einen Papst stellten, versuchte, die von dieser 1646 aggregierten Familie in Venedig verfolgten Karriere- und Statusstrategien konkreter in den Blick zu 24 Davis, The decline (1962). Darauf aufbauend, neben Hunecke (siehe Anm. 27), v. a. Domzalski, Politische Karrieren (1996). 25 Cowan, New families (1985). 26 Raines, Pouvoir ou privilèges (1991); Dies., La biblioteca (1998); Dies., Idee (2005); Dies., Strategie (2006); Sabbadini, L’acquisto della tradizione (1995). Besonders Letzterer liefert eine Fülle von Informa­tionen, die für die Statusstrategien einzelner Familien von Bedeutung waren, um seine strukturgeschicht­lichen Schlussfolgerungen zu belegen. 27 Huenecke, Der venezianische Adel (1995); Ders., Il corpo aristocratico (1998). 28 Mehr Aufmerksamkeit hinsicht­lich ihrer Familiengeschichte und deren Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg fanden hingegen einige Familien des Altadels: Dolfin, I Dolfin (1923); zu den Donà Davis, Una famiglia veneziana (1981); Gullino, I Pisani (1984); Gullino, I Loredan (1985); Casella, I Savorgnan (2003). 29 Rösch-­Widmann, I Widmann (1980).

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nehmen, was durch eine äußerst reiche Quellenlage begünstigt wurde. Allerdings beschränkt sich die Untersuchung auf einen Zeitraum von rund dreißig Jahren, da er nur die Jahre unmittelbar vor und nach der Aufnahme der Ottoboni in das Patriziat in seine Betrachtungen einschließt. Von einer übergreifenden Familiengeschichte der Ottoboni ist somit hier nicht zu sprechen.30 Wie bereits aus der Studie Sabbadinis zu schließen ist, fanden sich die neuen Familien in den meisten Fällen in der Rolle einer blockierten Sekundärelite wieder, die innerhalb des venezianischen Herrschaftsapparats nur begrenzte Aufstiegschancen hatte. Insofern ist es symptomatisch für das venezianische System, dass der erste Doge aus den Reihen des patriziato nuovo, Ludovico Manin, gleichzeitig auch der letzte Doge der Republik Venedig sein sollte.31 Aus ­diesem Grund konnte – so eine der hier verfolgten Thesen – eine Ausrichtung der Statusstrategien nach Rom eine Alternative zu den in Venedig verfolgten Karrierestrategien darstellen.32 Bereits die Aufstiegsgeschichte der Ottoboni zeigt, dass diese Op­tion durchaus zum Erfolg führen konnte. Inwiefern ­dieses Modell auch von den Rezzonico über mehrere Genera­tionen hinweg praktiziert wurde, gilt es im Folgenden nachzuzeichnen. Damit soll gleichzeitig ein Beitrag zur – bislang noch ausstehenden – systematischen Untersuchung der venezianischen papalisti-­Familien geliefert werden, jener Gruppe von vornehm­lich altpatrizischen Sippenverbänden, die in ihren Statusstrategien eindeutig an Rom orientiert waren. Darüber hinaus kristallisierte sich anhand des Quellenstudiums eine weitere Orientierung der Rezzonico heraus, die für ihren sozia­len Aufstieg ebenfalls als zentral zu erachten ist und die auch im Medium ihrer Kunstpatronage einen deut­lichen Niederschlag erfuhr: die Reichsbindung. Venezianische Familien mit Beziehungen zum Kaiserhof sind bislang von der Forschung überhaupt noch nicht untersucht.33 Mit einem vom Umfang her etwa gleich gewichteten Venedig- und Romteil ist die hier vorliegende Untersuchung als Langzeitstudie angelegt, w ­ elche die Geschichte der Rezzonico von ihrer dauerhaften Niederlassung in Venedig im Jahre 1630 bis in die postpontifikale Phase unter der Fragestellung sozia­ler Aufstiegs- und Etablierungsstrategien in den Blick nimmt. Das Potential einer solchen Langzeitstudie, wie sie bislang für keine einzige Papstfamilie der Frühen Neuzeit vorliegt und mit Blick auf Rom bisher auch nur von Irene Fosi und Arne Karsten für die Kardinalsfamilien Sacchetti bzw. Spada erarbeitet

30 Menniti Ippolito, Fortuna (1996). Dies ist nicht nur bezüg­lich des Ottoboni-­Pontifikats, sondern auch im Hinblick darauf bedauer­lich, dass der Kardinalnepot Pietro Ottoboni seinen Status in der postpontifikalen Phase seines Lebens, die mit der offiziellen Abschaffung des Nepotismus korrelierte, mittels intensiver Kunstpatronage zu wahren suchte. 31 Zu Ludovico Manin, der 1789 zum Dogen gewählt wurde und 1797 mit dem Ende der Republik abdankte, vgl. Raines, Al servizio (1997). 32 Zur Bedeutung des römischen Hofes für die Statusstrategien des italienischen Adels vgl. Büchel / Reinhardt (Hg.), Modell Rom (2003). 33 Bedauer­licherweise widmet auch Rösch-­Widmann, I Widmann (1980), ­diesem Punkt keine Aufmerksamkeit, obwohl die Kaufmannsfamilie Widmann aus dem Reich stammte.

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wurde, liegt vor allem in den Mög­lichkeiten, Kontinuitätslinien innerhalb der jeweiligen Familienpolitik aufzuzeigen, Brüche in derselbigen aufzuspüren und somit das Familienprofil schärfer zu konturieren.34 Doch im Sinne der „neuen Kulturgeschichte“35 wird es nicht allein darum gehen, die familien- und sozia­lgeschicht­lich relevanten Fragestellungen näher zu beleuchten, um exemplarisch die Statusstrategien einer Aufsteigerfamilie ­zwischen Venedig und Rom in einem Zeitraum von rund einhundertfünfzig Jahren herausarbeiten zu können. Vor allem die Kunstpatronage der Rezzonico rückt verstärkt in den Fokus der Analyse. So können die visuellen Strategien pointiert freigelegt werden, derer sich die Familie bediente, um ihrem Aufstieg von einer norditalienischen Kaufmannsfamilie über eine venezianische Adels­ familie bis hinauf in die römische Hocharistokratie dauerhaft Fundament zu verleihen. Die Kunstpatronage bietet dabei nicht nur ein ideales Instrument, um die Statusstrategien der Familie nachzuverfolgen; sie stellte selbst ein integrales Element dieser Statusstrategien dar. Über die Betrachtung exponierter, von den Rezzonico zu verschiedenen Zeitpunkten in Auftrag gegebener Werke wird es darum gehen, strukturelle Elemente frühneuzeit­licher Kunstförderung herauszuarbeiten, etwa die Bedeutung klientelärer und landsmannschaft­ licher Bindungen oder aber der ökonomischen Voraussetzungen für die mäzenatischen Aktivitäten. Diese wirtschaft­liche Basis des Familienaufstiegs der Rezzonico, die bisher von der Forschung kaum wahrgenommen worden ist, soll dementsprechend, wenn auch nicht im Detail, so doch in den großen Linien nachgezeichnet werden.36 Denn auch im Falle der Rezzonico greift Bourdieus Th ­ eorie vom Transfer des ökonomischen in kulturelles Kapital, welches sich wiederum in sozia­les Kapital verwandeln lässt.37 Dieser Ansatz der Verknüpfung von sozia­lgeschicht­lichen mit kunsthistorischen Fragestellungen im Kontext einer Familiengeschichte wurde bereits von Sylvia Schraut in ihrer Studie zur Reichsgrafen-­Familie Schönborn verfolgt, ­welche die Geschicke der Familie über einen Zeitraum von zweihundert Jahren untersucht.38 Schrauts Schwerpunkt

34 Fosi, All’ombra (1997); Karsten, Bernardino Spada (2001). Zur Relevanz auf Langzeit angelegter familiengeschicht­licher Forschung vgl. auch Reinhardt (Hg.), Die großen Familien (1992). 35 Zur „neuen Kulturgeschichte“ vgl. Burke, Was ist Kulturgeschichte (2005); zu ihrer Relevanz für die Romforschung vgl. Karsten / Zunckel, Perspektiven (2006); zur Kunstgeschichte und Bildforschung als „Leitdisziplin“ der neueren Kulturgeschichte vgl. ferner Stollberg-­Rilinger / Weissbrich (Hg.), Die Bild­lichkeit (2010), auch wenn der Band die gesellschaft­liche Funk­tion der Kunstpatronage nicht thematisiert. 36 In der publizierten Fassung seines Tagungsbeitrags von 2008 zur Familiengeschichte der Rezzonico hat Giuseppe Gullino einige Punkte des wirtschaft­lichen Aufstiegs rekonstruieren können. Eine Kontextualisierung fehlt jedoch. Gullino, Da Como (2013). 37 Bourdieu, Ökonomisches Kapital (1983). Mit Bezug auf Rom und vor dem Hintergrund des dortigen Systems einer Wahlmonarchie ist dies in den letzten zehn Jahren bereits eingehend von dem Forschungsprojekt REQUIEM am Beispiel der römischen Papst- und Kardinalsgrablegen untersucht worden. Vgl. Bredekamp / Karsten / Reinhardt / Zitzlsperger, Vom Nutzen des Todes (2001). Auf die Kunstpatronage römischer Kardinalnepoten angewandt, vgl. Karsten, Künstler (2003). 38 Schraut, Das Haus Schönborn (2005).

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liegt jedoch unübersehbar auf den familiengeschicht­lichen Aspekten, wohingegen hier versucht werden soll, beide Aspekte gleichgewichtig zu betrachten, da sie sich nicht nur bedingen, sondern sich gleichzeitig auch wechselseitig durchdringen. Soweit mög­lich, werden die einzelnen Etappen des Familienaufstiegs chronolo­gisch betrachtet und in jeweils einem daran anschließenden Kapitel mit dem diesbezüg­lichen visuellen Befund ihrer Kunstpatronage und deren intendierter Aussage abgeg­lichen. Da die vorliegende Arbeit als Geschichte einer Familie konzipiert ist, deren Geschicke den roten Faden der Untersuchung darstellen, und die Familie nun einmal zwangsläufig vor den jeweils von ihnen in Auftrag gegebenen Werken da war, bestimmt dies auch die Reihenfolge der Betrachtungen – obwohl bei der Beschäftigung mit den Rezzonico häufig ein von ihnen in Auftrag gegebenes Kunstwerk den Ausgangsbefund darstellte, und dann, auf der Suche nach einer Deutung, die historischen Hintergründe offengelegt wurden. Für eine derartige, Kunst- und Sozia­lgeschichte fruchtbar miteinander verbindende Methode bieten sich die Rezzonico gerade aufgrund der von ihnen konsequent betriebenen Kunstpatronage an, deren „Erzeugnisse“ in kunsthistorischer Hinsicht darüber ­hinaus mehr Aufmerksamkeit erregt haben als die damit eng verwobenen Umstände ihres sozia­len Aufstiegs. So bildet Enrico Noès 1980 erschienene Studie, die erstmals sowohl die venezianische als auch die römische Kunstpatronage der Rezzonico genauer in den Blick nahm, eine der Grundlagen für diese Arbeit.39 In ihrem historisch-­chronolo­gischen Ablauf weitestgehend auf Giussani basierend, trägt die Studie Noès allerdings überwiegend Katalogcharakter, die auf eine breitere Kontextualisierung der einzelnen Werke weitestgehend verzichtet. Gemeinsam mit dem 1998 als eine Art Kompendium zu Noè konzipierten Aufsatz Giuseppe Pavanellos 40 lieferte sie das Verzeichnis jener Werke, von denen einige hier eingehend behandelt werden. Dass nicht jedes von den Rezzonico in Auftrag gegebene Werk berücksichtigt werden konnte, versteht sich vor dem Hintergrund der zu verfolgenden Fragestellung von selbst. Damit wären wir bei der Frage nach den Quellen angelangt. Das größte methodische Problem dieser Arbeit stellte anfäng­lich das Fehlen eines Familienarchivs dar, welches es ermög­licht hätte, in einem relativ geschlossenen und überschaubaren Kontext die Familiengeschichte sowie die damit in Zusammenhang stehenden Fragen der Kunstpatro­nage zu rekonstruieren. Einzig im Staatsarchiv in Verona und im Privatarchiv der Foscari in Malò (Venedig) haben sich Spuren davon erhalten, wobei sich die dort vorhandenen Dokumente überwiegend auf den Kauf und die Verwaltung von Ländereien beziehen. Privatkorrespondenz, eigent­lich grundlegend für eine familienhistorische Untersuchung, ließ sich dort nicht finden. Somit blieb nur die Mög­lichkeit, sich den Rezzonico „durch die Hintertür“ zu nähern.

39 Noè, Rezzonicorum Cineres (1980). 40 Pavanello, I Rezzonico (1998).

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Bereits Edoardo Grendi hatte in seiner 1997 erschienenen Aufstiegsgeschichte der Genueser Kaufmannsfamilie Balbi gezeigt, dass all auf Grundlage von Notariatsquellen die Rekonstruk­tion einer Familiengeschichte mög­lich ist.41 Auch im Falle der ­Rezzonico erwies sich die Durchsicht der Notariatsakten im venezianischen Staatsarchiv als ergiebig. Nicht nur die Ankunft der Kaufmannsfamilie in Venedig und ihr wirtschaft­lich-­ ökonomischer Ak­tionsradius konnte genauer bestimmt werden; Testamente, Verfügungen, Kaufverträge und Inventare ermög­lichten es, der Familiengeschichte weitere Puzzlesteine hinzuzufügen.42 Eine wertvolle Quelle stellte außerdem die Korrespondenz Quintiliano und Abbondio Rezzonicos mit Livio Odescalchi dar.43 Die über 350 Briefe aus den Jahren z­ wischen 1676 und 1709, die sich im Familienarchiv der Odescalchi in Rom erhalten haben und von denen einige bereits von Marco Pizzo publiziert wurde,44 konnten fast vollständig für diese Arbeit herangezogen werden.45 Zahlreiche Erkenntnisse über die familiären Etablierungsstrategien in Venedig und Rom sind dieser Lektüre zu verdanken. Als dritter Quellenkorpus wurden die etwa 500 Briefe des Venezianers Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli, den späteren Patriarchen von Venedig, herangezogen. Borini kam 1761 als Beichtvater Clemens’ XIII. nach Rom und lebte im Quirinals­ palast in unmittelbarer Nachbarschaft und engem Kontakt mit der Papstfamilie. Seine Briefe, die in der Biblioteca Marciana in Venedig aufbewahrt werden und überwiegend unveröffent­lichtes Material darstellen, bieten somit eine „Innenansicht“ des Rezzonico-­ Pontifikats. Dadurch wurde es mög­lich, erstmals die Stellung der venezianischen Papstfamilie in Rom und deren Versuch einer Etablierung innerhalb des römischen Hochadels konkreter herauszuarbeiten.46 Dieses Material bildete nun die Grundlage, von der ausgehend im Folgenden der Aufstieg der Kaufmannsfamilie Rezzonico in zwei so unterschied­lichen Gesellschaftssystemen

41 Grendi, I Balbi (1997). In seiner Geschichte der Balbi berücksichtigt Grendi in Ansätzen auch kulturgeschicht­liche Fragestellungen. 42 Es versteht sich von selbst, dass dabei nicht alle der für den Untersuchungszeitraum in Frage kommenden Akten (über 10000) durchgesehen werden konnten. Punktuell wurde am Anfang nach den Notaren gefahndet, derer sich die Rezzonico hauptsäch­lich bedienten. Diese wurden dann für die entscheidenden Jahre systematisch ausgewertet. 43 Es handelt sich dabei um die beiden Onkel von Clemens XIII. Vgl. die Stammtafel der Familie am Ende der Arbeit. 44 Pizzo, Far Galleria (2000); Ders., Livio Odescalchi (2002). Pizzo beschränkt sich jedoch vor allem auf Briefe, ­welche die Tätigkeit Quintiliano Rezzonicos als Kunstmakler Livio Odescalchis belegen. Es haben sich auch Briefe anderer Familienmitglieder der Rezzonico an Livio Odescalchi in ­diesem Archiv erhalten, die aber im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung weniger gewinnbringend waren. 45 Im Dezember 2006 wurde das Archiv unerwartet geschlossen, wodurch einige Briefe während der Recherche für diese Arbeit nicht mehr ausgewertet werden konnten. Seit kurzem ist es im Archivio di Stato in Rom wieder öffent­lich zugäng­lich. 46 Nur ein kleiner Teil der Briefe wurde von Betto, Papa Rezzonico (1974), veröffent­licht.

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wie der Adelsrepublik Venedig und der Wahlmonarchie Rom nachvollzogen werden soll. Dabei ermög­licht es die Bipolarität der Studie, ganz unterschied­liche Facetten ­dieses Aufstiegs vergleichend in den Blick zu nehmen und die Rezzonico nicht nur unter dem Aspekt ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe des neuen Adels in Venedig, sondern auch als Parvenüs im römischen Hochadel zu betrachten. Fragen der Heirats- und Karrierepolitik werden dabei eine ebensolche Rolle spielen wie Statusaffirma­tion und -legitima­tion durch eine gezielte Kunstpatronage. Ganz im Sinne der „neuen Kulturgeschichte“ soll somit ein facettenreiches Bild ­dieses sozia­len Aufstieges gezeichnet werden, das kunsthistorische und sozia­lgeschicht­liche Ansätze miteinander verbindet.

II Venedig 1. Vom wirtschaft­lichen Erfolg zum Aufstieg ins Patriziat Venedig zählte seit dem Mittelalter zu den wichtigsten Handelsplätzen Europas. Der direkte Zugang der Stadt zum Meer, die territoriale Ausdehnung der Seerepublik im öst­lichen Mittelmeerraum sowie die transalpinen Handelsverbindungen ermög­lichten den Umschlag von Waren aller Art. Noch bis Ende des 17. Jahrhunderts konnte sich die Lagunenstadt, allen wirtschaft­lichen Konjunktur- und Strukturkrisen zum Trotz, als ökonomische Schaltstelle des euro­päischen Handelslebens behaupten. Seit den 1720er Jahren scheint die Bedeutung Venedigs als Drehscheibe der interna­tionalen Zahlungsströme und Finanzbewegungen sogar tendenziell zugenommen zu haben, was insbesondere mit dem langsamen Niedergang der Genueser Wechselmessen und den damit verbundenen strukturellen Veränderungen in Verbindung zu bringen ist. Doch während sich das alteingesessene venezianische Patri­ ziat mehr und mehr aus den aktiven Geschäften zurückgezogen hatte, profitierten viele Geschäftsleute anderer Provenienz von den sich in Venedig bietenden Mög­lichkeiten.1 Zu diesen zählten auch die Rezzonico, ­welche mit zahlreichen anderen Kaufleuten in den venezianischen Handelskreis eingriffen und immer stärker mitbestimmten. Bislang gibt es so gut wie keine Untersuchungen der weit gespannten merkantilen Aktivitäten und der damit eng verbundenen sozia­len Verflechtungen der Familie, die ihrerseits jedoch die entscheidende Voraussetzung ihres bemerkenswerten sozia­len Aufstiegs bildeten.2 Deshalb soll zunächst einmal der wirtschaft­liche und ­sozia­le Hintergrund für den Aufstieg der Rezzonico in Venedig mög­lichst präzise umrissen werden.3 Der A ­ ufdeckung ihres

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Die Literatur zu Venedig als euro­päischem Handelszentrum ist in ihrem Umfang kaum noch zu überblicken. Es kann deshalb nur auf die wichtigsten Überblickswerke sowie einige grundlegende Einzelstudien verwiesen werden: Sella, Commercio (1961); Ventura, Considerazioni (1968); Romano, L’Italia nella crisi (1968); Pullan, Crisis and Change (1968); Lane, Die Seerepublik Venedig (1980); Ders., Mercanti (1982); Rapp, Industria e decadenza economica (1986). Zur Revision der These vom wirtschaft­lichen Niedergang Venedigs im 17. Jahrhundert: Zannini, L’economia veneta (1999); Ciriacono, Le trasformazioni economiche (2000). Zu den Wechselmessen und den Umstrukturierungen des Finanzsektors: Mandich, Fiere cambiarie (1986); Lanaro (Hg.), La pratica dello scambio (2003); Denzel, Die Bozner Messen (2006); Borelli (Hg.), Mercanti e vita economica (1985). Erst der unlängst erschienene summarische Abriss Giuseppe Gullinos zur Familiengeschichte der Rezzonico, der größtenteils auf den gleichen Quellenkorpus zurückgreift wie den für diese Arbeit herangezogenen, bringt Fakten, die der weiteren Erforschung der sozia­len Verflechtungen der ­Rezzo­nico dien­lich sein können. Gullino, Da Como (2013). Es ist hier allerdings nicht der Anspruch verfolgt worden, eine umfassende wirtschaftshistorische Studie zu den kaufmännischen Aktivitäten der Rezzonico vorzulegen. Vielmehr geht es darum, die großen Linien ihres kaufmännischen Ak­tionsradius erstmals konkret zu fassen.

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kaufmännischen Netzwerkes kommt dabei zentrale Bedeutung zu, weil diese Beziehungen der Familie auf lange Sicht gewissermaßen als Sprungbrett für jenen Statuswechsel dienten, auf den auch ihre mäzenatischen Aktivitäten ausgerichtet waren. Das Handlungsfeld der Rezzonico im Dreieck Como – Genua – Venedig Die Rezzonico stammten ursprüng­lich aus dem kleinen Ort Santa Maria della Rezzonico am Westufer des Comer Sees. Seit dem Mittelalter war die zum Herzogtum Mailand gehörende lombardische Stadt Como eines der Zentren der euro­päischen Textilproduk­tion und aufgrund ihrer Lage am süd­lichen Alpenrand eine wichtige Verbindungssta­tion im transalpinen Handelsaustausch. Bereits 1419 hatte die Familie von Herzog Filippo Maria Visconti das Bürgerrecht Comos erhalten, was darauf schließen lässt, dass sie spätestens seit ­diesem Zeitpunkt in der Stadt ansässig waren.4 Einige Dokumente aus dem Staatsarchiv in Como deuten darauf hin, dass sie – wie zahlreiche andere ihrer Landsleute – zu Beginn vor allem im Tuchhandel tätig waren.5 Doch mangels fundierter Studien, die Aufschluss über die Frühzeit der Familiengeschichte geben könnten, lassen sich im Grunde nur sehr rudimentäre Aussagen sowohl über die genealo­gische Abfolge der Familie als auch über ihre Stellung im sozia­len Gefüge Comos treffen.6 Sie dürften jedoch zur Führungsschicht der Provinzstadt gehört haben, denn 1583 hatte Quintiliano Rezzonico das Amt eines decu­ rione inne, das zu den wichtigsten politischen Ämtern der Stadt zählte.7 Mit Blick auf die weitere Entwicklung der Familiengeschichte ist jedoch auffällig, dass die Rezzonico im seit 1555 fest unter spanischer Herrschaft stehenden Herzogtum Mailand keinen sozia­len Aufstieg nahmen, sondern diesen an den Stätten ihrer kommerziellen Aktivitäten außerhalb der Lombardei, insbesondere in Venedig, suchten.8 4 5

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Giussani, I fasti (1931), S. 14. ASCo, Notarile Atti, filza 1002 (19. Februar 1592): Elenco stoffe trovate in casa Gerolamo Rezzonico; ebd., filza 1582 (6. April 1621): Lista di stoffe nella quale compare drappo con lo stemma della famiglia della Torre di Rezzonico; ebd., filza 197 (23. Dezember 1638): Contestazione per una balla di seta di tale Gio. Pietro Rezzonico e Francesco Sale di Cadevalbbia. Selbst halbwegs gesicherte genealo­gische Angaben zur Familiengeschichte sind nur schwer zu gewinnen. Bislang existiert nur ein publizierter Stammbaum bei Giussani, I fasti (1931), o. P. Seine Angaben sind jedoch längst nicht vollständig. Die rudimentären Angaben bei Weber, Genealogien (2001), Bd. 4, S. 127 sind fehlerhaft. Zwecks besserer Orientierung des Lesers findet sich ein Stammbaum der Rezzonico im Anhang der vorliegenden Arbeit. Angabe laut Eintrag im Familienstammbaum bei Giussani, I fasti (1931), o. P. Quintiliano R ­ ezzonico war der Großvater des für die venezianische Linie bedeutsamen Aurelio Rezzonico. In Mailand war ein eigenständiger Familienzweig ansässig, der sich bereits um 1500 von den Comasker Rezzonico abgespalten hatte. Dieser Familienzweig firmierte unter dem Namen Torre della Rezzonico und wurde im 18. Jahrhundert nobilitiert. Giussani, I fasti (1931), S. 12 u. 14, weist darauf hin, dass sich der Zusatz „Della Torre“ genealo­gisch ledig­lich auf den Mailänder Zweig bezieht, irrtüm­lich jedoch immer wieder für den genue­sischen und venezianischen Zweig der Familie verwendet wurde.

Vom wirtschaft­lichen Erfolg zum Aufstieg ins Patriziat  |  25

Wie alle erfolgreich agierenden Kaufmannsfamilien der Frühen Neuzeit organisierten die Rezzonico ihre Handelsunternehmungen polyzentrisch. Dabei gingen einzelne Mitglieder der Familien dem Handel an verschiedenen Orten nach und kooperierten im Regelfalle miteinander, wobei unterschied­liche Geschäftsformen zum Tragen kamen. Über den engen familiären Kontext hinaus kam es dabei auch zu (zeit­lich begrenzten) Zusammenschlüssen mehrerer Kaufleute in gemeinsamen Unternehmungen, wodurch das Geschäftsrisiko verringert und gleichzeitig ein weitaus größerer merkantiler Ak­tionsradius geschaffen wurde.9 Aufgrund der disparaten Quellenlage sind Informa­tionen über die Rezzonico auch für das 16. Jahrhundert rar. Bislang war man der Auffassung, sie hätten sich erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Venedig niedergelassen. Doch anhand einiger Dokumente können die Spuren der Familie in der Lagunenstadt bereits bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Bereits am 8. Februar 1577 bezeichnete ein in Como aufgesetztes nota­ rielles Schreiben die Rezzonico als mercanti di Como e Venezia.10 Wenige Jahre s­ päter sind Träger ­dieses Namens auch in Venedig nachweisbar: so erwarb 1585 ein Giovanni Battista Rezzonico im Pfarrsprengel Santa Sofia ein Grundstück;11 zwei Jahre danach verzeichnen die venezianischen Steuerlisten der Dieci Savi alle Decime einen Paolo Rezzonico als Miteigentümer eines Palazzo im Pfarrsprengel Santa Fosca.12 Konkretere Quellen zur Familien- und Unternehmensgeschichte ließen sich jedoch bisher ledig­lich ab dem dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts finden und aussagekräftig zusammenführen. Sie beziehen sich in erster Linie auf Aurelio (1609 – 1682) und Carlo (†1672)13 Rezzonico, die beiden Söhne des 1618 in Como nachgewiesenen Francesco Abbondio, die sich an verschiedenen Orten niedergelassen hatten:14 Aurelio wirkte erfolgreich als Kaufmann in Venedig, Carlo hingegen war in Genua ansässig geworden, wo er 1646 gemeinsam mit Giacomo Coreno und Carlo Odescalchi eine florierende Handels­ unternehmung gründete.15 Gleichzeitig war er derjenige der beiden Brüder, der für den

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Einen Überblick über diese Unternehmensstrukturen bieten Bauer, Unternehmungen (1936), bes. S.  56 – 118; Hildebrandt, Unternehmensstrukturen (1997); Santarelli, Mercanti (1998); ­Franceschi / Goldthwaite / Müller (Hg.), Commercio (2007); Zanini, Famiglia (2009). ASCo, Notarile Atti, filza 348, nach Datumseintrag. Der Faszikel trägt darüber hinaus die Aufschrift Eredità Rezzonico, mercanti di Como e Venezia. ASVe, Stride, 181 (7. Januar 1585). Für diesen und den nachstehenden Hinweis danke ich Jan-­ Christoph Rößler. ASVe, Dieci Savi alle Decime, b. 777, fol. 139r: Der diesbezüg­liche Eintrag (Redecima des Jahres 1585) bezieht sich auf un quarto eines Hauses in der Contrà di San Fosca. Paolo Rezzonico hatte seinen Hausanteil vermietet. Das Geburtsdatum von Carlo Rezzonico konnte nicht ermittelt werden. Von einem dritten Sohn namens Giovanni Battista ist ledig­lich bekannt, dass er eine geist­liche Laufbahn eingeschlagen hatte, denn in der Abschrift des Testaments seines Bruders wird auf M[onsigno]. re Rev[erendis]s[im].o D[on]. Gio Batta loro comune e dilettissimo fratello Bezug genommen. ASVr, Fondo Pindemonte-­Rezzonico, b. 459 A. Vgl. auch Anm. 51 ­dieses Kapitels. In der Stammtafel der Rezzonico bei Giussani, I fasti (1931), o. P., ist dieser Giovanni Battista nicht aufgeführt. ASO, I D 6, fol. 136 – 175, nach Pizzo, Livio Odescalchi (2002), S. 151, Anm. 2.

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­biolo­gischen Fortbestand der Familie sorgen sollte. Im Gegensatz zu dem ledig gebliebenen Aurelio ehe­lichte Carlo 1650 Maria Eugenia Sedevolpe, Tochter des genue­sischen Kaufmanns Giovanni Paolo Sedevolpe.16 Aus dieser Verbindung stammte der 1651 geborene Sohn Quintiliano (†1727).17 Offensicht­lich verfügte die Familie in dieser Zeit in Genua bereits über ein hohes Sozia­lprestige, denn 1654 erhielt Carlo das Privileg, sich in Anwesenheit des Dogen weder erheben noch ihm barhäuptig begegnen zu müssen.18 Dies mag sich ­später auch bei der Wahl seiner zweiten Ehefrau niedergeschlagen haben: Nach dem Tod der Kaufmannstochter Maria Eugenia Sedevolpe heiratete er 1667 die Tochter eines genue­sischen Adligen, Maria Aurelia Nascio, die ihm weitere Kinder gebar: Abbondio (1667 – 1709), Maria Elisabetta (*1670) und Giovanni Battista (1671 – 1756).19 Der Schlüssel zum ökonomischen Erfolg der beiden Rezzonico-­Brüder lag in ihrer engen Zusammenarbeit mit zwei ebenfalls aus Como stammenden Kaufmannsfamilien: Odescalchi und Cernezzi.20 Trotz bislang fehlender wirtschaftshistorischer Einzelstudien zu diesen Handelshäusern steht mittlerweile außer Zweifel, dass beide Unternehmen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur interna­tional operierenden Geschäftselite der italienischen merchant bankers zählten. Sowohl die Odescalchi als auch die Cernezzi fungierten als Scharnierstellen für die Abwicklung des mediterranen und transalpinen Handelsaustausches sowie der damit verbundenen Finanztransak­tionen, wobei die Bankgeschäfte zunehmend wichtiger wurden. Während die Cernezzi geschäft­lich hauptsäch­lich von Venedig aus tätig waren, agierten die Odescalchi seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts offenbar vornehm­lich in Genua. Von dort aus nahm das Unternehmen der Odescalchi seit 1619 bedeutende geschäft­liche Transak­tionen vor allem mit Mittelosteuropa, Rom und Neapel vor.21 In der genue­sischen Filiale erhielten auch die in Como geborenen Brüder Carlo (1607 – 1673) und Benedetto Odescalchi (1611 – 1689) ihre Ausbildung. 1646 gründete der Ältere mit Rezzonico die genue­sische Handelsniederlassung, wohingegen sich Benedetto Odescalchi bereits in den dreißiger Jahren in Rom und Neapel aufhielt, um dann eine Karriere an der römischen Kurie einzuschlagen. Den Hintergrund dafür bildeten vermut­lich

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Giussani, I fasti (1931), S. 17. ASVe, Avogaria di Comun, 182/2, Interno 17; BCVe, Codice Cicogna 3177, fol. 34. Giussani, I fasti (1931), S. 18. Ebd. Für Maria Elisabetta Rezzonico konnte kein Sterbedatum ermittelt werden. Ein 1672 geborener Sohn namens Carlo Francesco Aurelio starb offenbar noch im Kindesalter. Darüber hinaus erwähnt Giussani drei weitere Söhne, die aus dieser Ehe hervorgegangen sein sollen: Giovanni Paolo (*1675), Carlo Gerolamo (*1677) und Aurelio Maria (*1678). Da Carlo Rezzonico jedoch 1672 starb, stammen diese Kinder vermut­lich aus Maria Aurelia Nascios zweiter Ehe mit Luigi Rezzonico, dem Cousin Carlos. 20 Dazu unlängst auch Gullino, Da Como (2013), S. 4 – 6. 21 Angaben zu den wirtschaft­lichen Aktivitäten der Cernezzi und Odescalchi in: Kellenbenz, Geld­ transfer (1973), Bd. 1, S. 288; Grendi, I Balbi (1997), S. 156; Borean / Cecchini, Microstorie (2002), S. 21, 23; Bologna, Gli archivi (1996), S. 41; Ders., L’archivio (2001), S. 487; Mira, Vicende (1940); Reinhardt (Hg.), Die großen Familien (1992), S. 379 – 383; Ders., Der Sanierer (2004); Peters, Der Handel (1994), S. 468 – 480.

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die exzellenten Rom-­Beziehungen seines Bruders Carlo zum Kardinalnepoten Urbans VIII., Francesco Barberini, sowie die enge Bindung an Giovanni Battista Pamphili, der 1644 als Innozenz X. den Stuhl Petri bestieg. Drei Jahre s­päter ernannte der Pamphili-­Papst Benedetto Odescalchi zum Kardinal. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, dass Odescalchi 1676 selbst zum Papst gewählt werden konnte. Als Innozenz XI., wie er sich fortan nannte, regierte er bis 1689.22 In die Zeit seines Pontifikats fiel die Weichenstellung für die Konsolidierung und die feste Verankerung der Rezzonico in Venedig. Der wirtschaft­liche Aufstieg Aurelio Rezzonicos in Venedig Als der dreiundzwanzigjährige Aurelio Rezzonico 1632 nach Venedig kam,23 leitete ­Francesco Cernezzi dort bereits mit Carlo Odescalchi, dem Bruder des späteren Papstes Innozenz XI., eine Handelsniederlassung, die allerdings schon 1636 wieder aufgelöst wurde.24 Es scheint, als ob diese Gesellschaftsauflösung einer Neuordnung der venezianischen Geschäftsvertretung der beiden Familien geschuldet war, da 1636 zwei neue Unternehmungen eröffnet wurden, bei denen nun auch die Rezzonico eine aktive Rolle spielen sollten: Wie die umfangreiche Korrespondenz im Familienarchiv der Odescalchi in Rom belegt, schlossen sich die Odescalchi mit den Rezzonico just in d ­ iesem Jahr zu einer ihre venezianischen Interessen betreffenden, engen und bis 1642 andauernden Koopera­tion zusammen,25 während Francesco Cernezzi eine eigenständige ragione etablierte,26 deren Leitung seinem B ­ ruder Pietro Martire übertragen wurde. Bereits ein Jahr s­ päter ernannte dieser den jungen ­Rezzonico zu seinem legittimo Procuratore e Commesso, […] a poter levar e estraher dalla Banca corrente e del Giro […] ogni somma di denaro.27 1639 starb Francesco C ­ ernezzi, und Aurelio erhielt für die folgenden zwei Jahre Prokura, auf den 22 Zu Innozenz XI. vgl. Menniti Ippolito, Innocenzo XI, beato (2000); Ders., Nepotisti (1993); Neveu, Episcopus (1979); Reinhardt, Der Sanierer (2004); Bösel (Hg.), Innocenzo XI Odescalchi (2014). 23 Das Jahr 1632 ergibt sich aus dem 1652 gestellten Antrag Aurelio Rezzonicos auf die cittadinanza de intus. Darin erklärte er, seit zwanzig Jahren in der Stadt ansässig zu sein. ASVe, Provveditori del Comun, b. 50, fol. 10v. 24 ASVe, Notarile Atti, not. Giovanni Piccini, b. 10795, fol. 715v–721v (20. Dezember 1636): Dort wird auf die Gründung der Ragione cantante Carlo Odescalchi e Francesco Cernezzi 1626 in Venedig verwiesen. 25 ASO, II D 2 – 4, Lettere di negozio 1636 – 1643, nach Pizzo, Livio Odescalchi (2002), S. 151, Anm. 3. Demnach haben die Rezzonico und die Odescalchi ein gemeinsames Unternehmen betrieben. Da die Dokumente aufgrund der Schließung des Familienarchivs der Odescalchi in Rom nicht mehr eingesehen werden konnten und sich in Venedig bisher keine direkten Belege finden ließen, kann jedoch nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich um eine wirk­liche gemeinsame Niederlassung gehandelt hat. 26 Als ragione oder ragione cantante werden in den Notariatsakten die kaufmännischen Unternehmungen oder Niederlassungen bezeichnet. 27 ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 10796, fol. 369r (29. Juli 1637).

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zweimal jähr­lich stattfindenden Wechselmessen von Reggio und Verona die Geldgeschäfte für Pietro Martire Cernezzi abzuwickeln.28 In den nächsten Jahren folgten zahlreiche weitere Vollmachtserteilungen, die sich vor allem auf die Messen bezogen, was auf ein wachsendes Vertrauensverhältnis und eine zunehmend engere Zusammenarbeit z­ wischen den beiden Kaufleuten schließen lässt.29 1642 wurde Aurelio procuratore e comesso in der neu gegründeten ragione von Pietro Martire Cernezzi und als solcher erneut mit zahlreichen Vollmachten versehen,30 die auch das Management der Kupferminen von Sommoborgo in den Dolomiten umfassten. Aus diesen bezog die Serenissima über Jahrhunderte hinweg das in der Zecca und im Arsenal benötigte Kupfer.31 Somit überrascht es nicht, dass Pietro Martire in seinem am 12. Dezember 1647 aufgesetzten Testament seinem Vertrauensmann Aurelio nicht nur den zeitlebens von ihm am Finger getragenen Diamantring vermachte.32 Gemeinsam mit seinem in Como ansässigen Bruder Giovanni Pietro Cernezzi 33 wurde Aurelio auch als Testamentsvollstrecker eingesetzt und darüber hinaus zum complementario general del mio negozio erklärt, dem bis auf weiteres die Geschäfte der venezianischen Niederlassung übertragen wurden. Com­ plementario e general amministratore della Ragione Cantante Pietro Martire Cernezzi war er auch noch im August 1650, als er für die Cernezzi den Kauf von zwei Spiegeln und einer großen Partie Muranoglas registrieren ließ, um sie nach Alicante in Spanien zu liefern.34 Am 17. September 1650 wurde eine neue Handelsgesellschaft gegründet, die seit dem 1. Dezember desselben Jahres unter dem Namen Ragione Cantante Heredi di Pietro ­Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico die Geschäfte aufnahm. Teilhaber dieser Gesellschaft waren neben Aurelio Rezzonico der weiterhin in Como ansässige Giovanni Pietro Cernezzi sowie Carlo Odescalchi, der, wie schon erwähnt, bereits seit 1646 mit Carlo Rezzonico in Genua eine gemeinsame Firma betrieb. Als stiller Teilhaber (bzw. bloßer Kapitaleinleger) der 28 Ebd., not. Giovanni Piccini, b. 10799, fol. 865v–866r (22. Januar 1639). 1631 wurde in Verona eine neue Wechselmesse eingerichtet, die zweimal jähr­lich jeweils sieben Tage nach Beginn der Warenmesse stattfand. Wie aus den Daten hervorgeht, erhielt Rezzonico die Procura für die fiera di cambi (Fiere di merce: 25. April–19. Mai und 26. Oktober–10. November; Fiere di Cambi: 2.–10. Mai und 2.–10. November). Zur Geldmesse in Verona: Mandich, Fiere (1986), S. 130 – 137, 142 – 145. 29 Die diesbezüg­lichen Einträge finden sich in: ASVe, Notarile Atti, not. Giovanni Piccini, b. 10800, fol. 108v–109r (29. April 1639); ebd., fol. 308v–309r (Juli/August 1639); ebd., fol. 470 (29. Oktober 1939); ebd., b. 10801, fol. 669v–670r (27. Januar 1639); ebd., b. 10802, fol. 91v (28. März 1639); ebd., fol. 256v–257r (20. Juli 1640, nur für Verona); ebd., b. 10806, fol. 115v–116r (29. April 1642, nur für Verona); ebd., fol. 316 (19. Juli 1642, nur für Verona). 30 ASVe, Notarile Atti, not. Giovanni Piccini, b. 10806, fol. 348v–351r (28. Juli 1642). 31 Ebd., fol. 336 (28. Juli 1642). Er wird legittimo Procuratore, e Commesso […] per occasione del negotio delle Minere di Sommoborgo, et sue dipendenze. Zu den Kupferminen im Valle Imperina (Dolomiten) vgl. Spagna, Minatori (2003). 32 ASVe, Notarile Testamenti, b. 756, nr. 207. Vittorio Mandelli sei herz­lich gedankt für den Hinweis auf ­dieses Testament. 33 Ebd., Notarile Atti, not. Giovanni Piccini, b. 10799, fol. 905 (3. Januar 1639). Giovanni Pietro Cernezzi wird hier als in Como ansässig bezeichnet. 34 Ebd., b. 10822, fol. 226v–227r (23. August 1650).

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venezianischen Unternehmung, die über 39000 Dukaten Kapital verfügte, blieb O ­ descalchi jedoch ungenannt.35 Die Leitung der Handelsgesellschaft wurde allein R ­ ezzonico übertragen, der offenbar als einziger der drei Geschäftspartner in Venedig ansässig war und sich bei seiner Tätigkeit höchstens auf die Dienste der in weisungsgebundenen Funk­tionen agierenden Neffen Cernezzis stützte.36 Ein Jahr nach Aufnahme der Geschäfte reichten Aurelio Rezzonico sowie die Brüder Giovanni Battista, Andrea und Antonio Cernezzi beim venezianischen Senat ein Gesuch auf Erteilung der cittadinanza de intus ein, die ihnen am 2. Mai 1652 gewährt wurde.37 Damit war es ihnen nun recht­lich mög­lich, ohne größere Restrik­tionen eigenständigen Warenhandel betreiben sowie weniger bedeutende städtische Ämter ausüben zu können. Gleichzeitig deutet ihr Gesuch auf Erteilung der Stadtbürgerschaft darauf hin, dass sich die vier Kaufleute nun wohl endgültig in Venedig niederlassen wollten.38 Einige Dokumente des venezianischen Notariatsarchivs ermög­lichen einen kleinen Einblick in die breite Warenpalette der prosperierenden Firma. Neben süditalienischem Öl, das auf dem venezianischen Markt eine geschätzte Ware darstellte,39 handelten Aurelio Rezzonico und die Cernezzi unter anderem mit Papier aus Salò, mit venezianischen Druck­ erzeugnissen und mit Zinn, das sie aus Deutschland bezogen,40 sowie mit Rosinen, die 35 Das Kapital wurde von den drei Geschäftspartnern zu gleichen Anteilen aufgebracht. Die Firma lief im Zeitraum von 1650 bis 1681 unter verschiedenen Namen, zuletzt (1673 – 1681) als Compagnia d’Aurelio Rezzonico, et Francesco Cernezzi. ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11089, fol. 428v–431r (2. Dezember 1671); ebd., b. 11109, fol. 363r–365v (6. Dezember 1650). Die Erteilung der Generalprokura von Giovanni Francesco Cernezzi (Bruder Pietro Martires) an Aurelio Rezzonico zwecks Interessenvertretung in der neuen Ragione Cantante Heredi di Pietro Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico findet sich in ebd., not. Giovanni Piccini, b. 10822, fol. 371v–373v (6. Dezember 1650). 36 Il maneggio, e compimento d’esso negotio resti nella sola Persona del Sig. Aurelio Rezzonico, con autorità al medesimo di sostituire, in caso di bisogno, persona atta, et che detto Sig. Aurelio sia obbligato assistere con la Persona sua tanto in Venetia, quanto altrove, che occorresse per bene di detto negotio. Ebd., not. Angelo Maria Piccini, b.11089, fol. 428v–431r (2. Dezember 1671). 37 Ebd., Provveditori del Comun, b. 50, fol. 10v–r. 38 Zur cittadinanza de intus vgl. Ferro, Dizionario (1845 – 1847), Bd. 1, Stichwort „Cittadinanza“, S. 395 – 397, bes. S. 396. Wie aus dem Kataster von 1661 hervorgeht, wohnte Aurelio Rezzonico in der Calle de Preti. ASVe, Dieci Savi alle Decime, Catastico, reg. 421, fol. 340. 39 Zeugnisse über die Ölgeschäfte der Ragione Cantante Heredi di Pietro Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico finden sich in: ASVe, Notarile Atti, not. Girolamo Paganuzzi, b. 10918, fol. 376r–381v (13. September 1655); ebd., not. Simone Porta, b. 11034, fol. 90v–92r, fol. 109r–110v, fol. 177r–178r, fol. 183v–184r, fol. 197v–199v (11. und 13. Juli, 26. Oktober, 2. und 27. November 1656); ebd., not. Girolamo Paganuzzi, b. 10920, fol. 185r, fol. 287v–288r (9. Juli und 17. Oktober 1657); ebd., not. Angelo Maria Piccini, b. 11062, fol. 134v–135r (8. März, 25. Mai und 7. Juni 1658); ebd., b. 11093, fol. 574r–575v (21. Februar 1674). Das Öl stammte aus Molfetta, Monopoli, Lecce und Taranto. Öl fand nicht nur als Lebensmittel, sondern auch in der Textilproduk­tion und bei der Herstellung von Seife Verwendung. Vgl. dazu Mattozzi, Crisi (1980). 40 Zu den Geschäften mit Papier, Zinn und Druckerzeugnissen: ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11062, insbesondere fol. 262r–263r (20. September 1658).

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nach Amsterdam exportiert wurden.41 Außerdem vertrieben sie Luxusgüter wie Muranoglas, Spiegel und cedalline, eine in ihrer Textur besonders feine Art von Seidenstoffen,42 die überwiegend in Spanien Absatz fanden.43 Darüber hinaus vermittelten sie nach Spanien auch Eisen und Quecksilbersubstanzen.44 Zwischen Kaiserhof und Rom: Weichenstellung im Türkenkrieg Eine deut­liche Aufwertung erfuhr die Unternehmung Ende der fünfziger Jahre durch den Einstieg in das Quecksilbergeschäft. Das Metall wurde vor allem für das bei der Silbergewinnung angewandte Amalgamierungsverfahren benötigt. Die größten und für den interna­tionalen Markt wichtigsten Quecksilbervorkommen fanden sich in Huancavelica in Peru, in Almadén in Neukastilien sowie in Idria im heutigen Slowenien, das damals zum habsbur­gischen Territorium gehörte.45 Für die Habsburger stellte ­dieses Quecksilberbergwerk eine wichtige finanzielle Ressource dar, denn seit einer Verwaltungsreform im Jahre 1659 wurde das Bergwerk von Idria nicht mehr verpachtet, sondern unterstand direkt der österreichischen Kammer. Der Absatz wurde über Faktoreien in Amsterdam und Venedig geregelt, die das Quecksilber gegen einen Zinssatz von 2 bis 4 % in Kommission nahmen und vertrieben.46 Im Jahr 1659 erhielten die Cernezzi & Rezzonico den Zuschlag für die einträg­liche venezianische Faktorei. Dies lässt nicht nur auf gute Beziehungen zum Kaiserhof, sondern

41 Ebd., b. 11062, fol. 199 (30. April 1658). Die Geschäfte mit Amsterdam intensivierten sich mit dem Einstieg Rezzonicos in das Quecksilbergeschäft. So finden sich 67 Briefe (1680 – 1690) Aurelio Rezzonicos an den dortigen Betreiber der kaiser­lichen Faktorei im Stadtarchiv Amsterdam, Archief van Benjamin Burlamacchi, 4.8.27 (668). 42 Boerio, Dizionario del dialetto veneziano (1867), S. 150. 43 Zu diesen umfangreichen Kommerzien: ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11084, fol. 25v–26r, fol. 102, fol. 241 (23. März, 2. Mai, 8. August 1669); ebd., b. 11085, fol. 122 (21. Oktober 1669); ebd., b. 11090, fol. 75v–76r, fol. 125, fol. 154v–155r, fol. 160, fol. 210v–211r, fol. 348v–349r, fol. 381, fol. 435v–436r (29. März, 22. April, 7. und 12. Mai, 2. Juni, 12. und 25. August, 16. September 1672); ebd., b. 11092, fol. 33, fol. 53v–54r, fol. 96v–97r, fol. 137 (12. und 27. April, 23. Mai, 10. Juni 1673); ebd., b. 11093, fol. 301, fol. 367, fol. 382, fol. 382 (9. September, 12. und 19. Oktober, 7. November 1673); ebd., b. 11094, fol. 425, fol. 463, fol. 557v–558r (28. November und 22. Dezember 1673, 14. Februar 1674); ebd., b. 11094, fol. 21, fol. 81v–92r, fol. 347v (6. und 13. März, 21. August 1674); ebd., b. 11095, fol. 350v, fol. 400v (1. Oktober, 23. November 1674); ebd., b. 11096, fol. 109r (30. April 1675). 44 Ebd., b. 11062, fol. 351 (20. September 1658); ebd., b. 11090, fol. 370r–371r (18. August 1672); ebd., b. 11094, fol. 160, fol. 167v–168r, fol. 278v–279r (26. und 31. Mai, 18. Juli 1674); ebd., b. 11095, fol. 369r (5. September 1674); ebd., b. 11096, fol. 212 (5. Juli 1675); ebd., b. 11097, fol. 514v–515r (26. Februar 1676). 45 Valentinitsch, Das landesfürst­liche Quecksilberbergwerk (1981), S. 11 – 17. 46 Zum Quecksilberhandel und seiner wirtschaft­lichen Bedeutung für die Habsburger unter Leopold I. bis Maria Theresia vgl. Sbrik, Der staat­liche Exporthandel (1907).

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auch auf eine bereits beträcht­liche Finanzkraft bzw. eine ausgeprägte Fähigkeit zur Kreditmobilisierung der Firma schließen. Mit Sicherheit bot das Unternehmen, das sich keineswegs auf den Warenhandel beschränkte, sondern als merchant bankers gleichzeitig im Management der interna­tionalen Zahlungsströme und somit auch im Bankgeschäft aktiv war, die notwendigen Garantien für den ­Kaiser.47 Sie bildeten die Voraussetzung, um bei einem solch signifikanten Geschäft den Zuschlag zu erhalten. Durch die Teilnahme am Quecksilbergeschäft steigerten sich die Profitmög­lichkeiten des venezianischen Unternehmens um ein Vielfaches. Gleichbedeutend war jedoch, dass die Cernezzi & Rezzonico dadurch auf lange Zeit zu kaiser­lichen Kreditgebern wurden.48 Denn das Quecksilber bildete für den ­Kaiser einen Fond, auf den er zu jeder Zeit Vorschüsse von bedeutender Höhe und zu günstigen Bedingungen erhalten konnte. Da der euro­päische Finanzmarkt in dieser Zeit äußerst angespannt war und staat­liche Schuldenaufnahmen zu einem Zinssatz von 15 % (und mehr) keine Seltenheit darstellten, verwundert es nicht, dass ­Kaiser Leopold I. (1658 – 1705) wiederholt betonte, dass er nichts habe, aus dem er sich so geschwind [finanzielle] Hilfe verschaffen könne, wie das Quecksilber.49 Als Anerkennung ihrer wertvollen Dienste ernannte er die Rezzonico 1665 zu Liberi Baroni del Sacro Romano Impero; 1698 gewährte er ihnen schließ­lich das Privileg, die Krone mit dem kaiser­lichen Doppeladler im Wappen zu führen.50 Aus d ­ iesem Grund prosperierten die Geschäfte der Brüder Rezzonico in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts sowohl in Venedig als auch in Genua außerordent­lich. Doch mit dem Tod Carlo Rezzonicos im Jahre 1672 mussten neue familiäre Disposi­tionen getroffen werden. Gemäß der testamentarischen Verfügung Carlos wurde sein Bruder Aurelio zum Vormund der drei noch minderjährigen Kinder Abbondio, Maria Elisabetta und ­Giovanni Battista ernannt,51 die zunächst alle in Genua blieben. Carlos erstgeborener Sohn 47 Bereits in einer notariell aufgesetzten Quietanza vom 27. September 1651 ist von einer Ragione ­Bancaria Cantante nei nomi d’ Heredi di Pietro Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico die Rede: ASVe, Notarile Atti, not. Girolamo Paganuzzi, b. 10914, fol. 369r–370v. Vgl. auch die am 18. November 1651 von Aurelio Rezzonico ausgestellte Vollmacht für Giovanni Luigi und Pier Giuseppe Giori, in der die Firma als Ragione Bancaria Cantante nei nomi di Pietro Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico bezeichnet wird: ebd., fol. 445v–446v. Am 15. Mai 1654 wird die Firma Ragione bancaria qui can­ tante nei nomi d’ Heredi de Pietro Martire Cernezzi, et Aurelio Rezzonico bezeichnet: ebd., b. 10917, fol. 126. Die lateinische Entsprechung Ra­tione bancaria Eredi de Pietro Martire Cernezzi et Aurelio Rezzonico findet sich im diesbezüg­lichen, am 29. November 1656 aufgesetzten Notariatsdokument: ebd., b. 10919, fol. 445. Auf Rezzonico am 19. Februar 1682 ausgestellte Wechsel lauten S. Aurelio Rezzonico banchiere in Venetia. Ebd., b. 11109, fol. 373r. 48 Sbrik, Der staat­liche Exporthandel (1907), S. 19. 49 Ebd., S. 198. 50 Simone Ballerini, Lettera a Monsignore Giovanni Battista Rezzonico sopra l’antica origine dell’ eccelente famiglia Rezzonico della Torre, Rom 1768, S. 13, Anm. 1; von Frank, Standeserhebungen (1967 – 74), Bd. 4, S. 167. 51 […] E perche detto sig.e testatore stima in sommo grado le sublimi prerogative della sig.ra Maria Aurelia figlia del M. C. sig. Gio Batta Nascio sua amatissima moglie, perciò incarrica detto sig. Aurelio che la tratti e proveda come a detto sig. Aurelio parerà, accio detta Sig.ra sua moglie puo star bene, e decentemente

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­Quintiliano war hingegen noch zu Lebzeiten seines Vaters nach Venedig geschickt worden, wo er 1670 unter den Zöglingen der Jesuitenschule nachweisbar ist.52 Zu vermuten ist, dass er nach dem Abschluss seiner Erziehung dort unter Anleitung seines Onkels mit den Geschäftspraktiken und schließ­lich mit der Unternehmensleitung vertraut gemacht wurde. Offensicht­lich sollte der 1672 gerade erst volljährige Quintiliano über kurz oder lang den mittlerweile betagten Aurelio in Venedig ablösen, um dann mit seinen fast zwanzig Jahre jüngeren Halbbrüdern in Genua zu kooperieren, sobald diese kaufmännisch ausgebildet worden wären und ihrerseits die Volljährigkeit erreicht hätten. Bis dahin galt es jedoch, den Fortbestand der genue­sischen Unternehmung zu gewährleisten. In ­diesem Kontext muß die Hochzeit von Carlo Rezzonicos Witwe Maria Aurelia mit Luigi Rezzonico, dem Cousin ihres verstorbenen Mannes, gesehen werden. Denn 1676 wurde in Genua eine neue Gesellschaft gegründet, die nun unter dem Namen Aurelio, Carlo e Luigi Rezzonico firmierte. Aber bereits nach wenigen Jahren kam es ­zwischen Aurelio und Luigi zu heftigem Streit, so dass die gemeinsame Firma nach sechsjähriger Laufzeit 1681 nicht mehr erneuert wurde.53 Zur selben Zeit traten auch in Venedig grundsätz­liche Unstimmigkeiten ­zwischen Aurelio Rezzonico und den Cernezzi auf, die am 4. Juli 1681 zur Schließung des gemeinsamen Geschäftes führten.54 Wenig s­ päter ließ Aurelio die nun nur noch auf seinen Namen laufende Ragione cantante Aurelio Rezzonico registrieren, die erst 1730 von seinem Neffen Giovanni Battista aufgelöst wurde.55 Worin die Konflikte in Genua und Venedig bestanden, bleibt aufgrund des defizitären Dokumenta­tionsstandes der Firmengeschichte im Dunkeln. Es ist jedoch auffällig, dass sich diese Spannungen nur wenige Jahre nach dem Pontifikatsbeginn Innozenz’ XI. Odescalchi manifestierten. Sicher­lich erkannte Aurelio Rezzonico die mit dem Aufstieg

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secondo il suo stato e condi­tione pregandolo a riputarla, e tratta detta sig.ra sua moglie, e tutti i figli di esso sig.e testatore come proprj figlij d’esso sig. Aurelio […]. ASVr, Fondo Pindemonte-­Rezzonico, b. 459 A. Das Testament wurde am 21. Mai 1672 in Genua aufgesetzt. Gullino, Da Como (2008), S. 27. ASO, II E 8: Lettere Abbondio Rezzonico, 1676 – Geschäftszeugnis: Nel nome di Dio terminandosi la compagnia, o sia ragione del negozio cantante in Genova sotto li nomi di Aurelio, Carlo e Luigi ­Rezzonico principata nel anno 1676 per sei anni, che finiscono con la fine del corrente 1681. ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11108, fol. 160r (4. Juli 1681). Der Name ­Odescalchi tritt kaum noch auf, was mög­licherweise mit dem Tod Carlo Odescalchis 1673 zusammenhängt. Ebd., not. Carlo Gabrieli, b. 7139, fol. 18v–19r (15. September 1733): Constituiti alla presenza di me Notaro, e Testimoni infrascritti li SS.ri Salvador Polacco qd Pietro, Gio Batta Mozzi qd Giacomo, Gio Batta Rondelli qd altro Gio. Batta., e Bernardo Tondelli qd S. Antonio, […] furono tutti Minis­ tri, et Agenti nel Negozio già corso in questa Piazza nel nome, e dita di Aurelio Rezzonico […], hanno attestato, […] qualm.te verso il fine dell’anno 1730 M. V. fu risolta, e notificata a tanto in questa Città, quanto fuori la disdetta, e finim.to di detto Negozio, che correva sotto la predetta Dita Aurelio Rezzonico, correndo p.ntem.te la dita medesima e nome d’Aurelio Rezzonico solamente per il consum del stralcio, e finimento di qualche residuo de Negozi passati, che si van terminando per il fine del total ricecco della Dita medesima. Vgl. auch Gullino, Da Como (2013), S. 17. Gullino bezieht sich auf das in der Biblioteca Marciana in Venedig aufbewahrte Tagebuch des Kaufmanns A. Beninga (BMVe, ms. ital., cl. VII, cod. 1620 [7846]).

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seiner einstigen Geschäftspartner zum Herrschergeschlecht verbundenen ökonomischen Mög­lichkeiten, so dass er und sein Neffe Quintiliano nach weitgehender geschäft­licher Autonomie strebten, um das Handelsunternehmen stärker nach Rom ausrichten zu können. Abgesehen von mög­lichen inneren Zwistigkeiten, die mit der sich abzeichnenden Affirma­tion Quintilianos an der Spitze des Firmenmanagements zusammenhängen könnten, ist es denkbar, dass Luigi Rezzonico mit einer Intensivierung der römischen Geschäfte, die eventuell zu seinen Ungunsten verlaufen wären, nicht einverstanden war. Ähn­liche Überlegungen können bezüg­lich der Cernezzi angestellt werden. Vielleicht stimmten sie einer Rom-­Orientierung, die auch gewisse Risiken in sich barg, nicht zu, so dass die R ­ ezzonico gezielt auf einen Bruch mit ihnen hinarbeiteten, um die sich bietenden Profitmög­lichkeiten ­nutzen zu können. Derartige Hypothesen ergeben sich aus dem Sachverhalt, dass die Rezzonico kurze Zeit nach ihrer venezianischen Firmenneugründung von 1681 anläss­lich des Türkenkrieges tatsäch­lich in großem Stil in die Finanzgeschäfte einsteigen sollten. In ­diesem Jahr stellte der Papst dem polnischen König Johann Sobieski und K ­ aiser Leopold I. hohe Geldbeträge zur Verteidigung Wiens gegen die Türken in Aussicht. Am 15. August 1683, genau einen Monat nach Beginn der Belagerung, berichtete der päpst­liche Nuntius am polnischen Königshof nach Rom, 100000 Gulden s­eien durch die Rezzonico in Warschau eingetroffen. Einige Monate s­ päter bestätigte er die Ankunft weiterer 250000 Gulden, wobei wiederum die Rezzonico verantwort­lich zeichneten.56 Bereits im September 1682 hatte die Republik Genua die Firma zum Prokurator ihrer Angelegenheiten in Venedig bestimmt,57 so dass die Finanzhilfen Genuas für den Türkenkrieg ebenfalls über die Rezzonico liefen, die dem ­Kaiser 1683 insgesamt 200000 Gulden genue­sischer Provenienz auszahlten.58 Die Organisa­tion dieser äußerst einträg­lichen Dienste des Finanztransfers und der Kreditbereitstellung oblag Quintiliano Rezzonico, denn Aurelio war im August 1682 gestorben. Nach dem Tod des Onkels stand der mittlerweile Dreißigjährige damit nicht nur an der Spitze des ökonomisch potenten venezianischen Unternehmens, sondern fungierte gleichzeitig auch als faktisches Familienoberhaupt.59 Quintiliano war es auch, der wenig ­später 56 Gullino, Da Como (2013), S. 12, Anm. 25. Im Jahr 1688 fungierten die Rezzonico wiederum als Intermediäre, als der Papst dem ­Kaiser eine Summe von 100000 Gulden als Unterstützung im Türkenkrieg zur Verfügung stellte. Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S.  839 f., Anm. 4. Am Ende des Pontifikats belief sich die Türkenhilfe des Papstes auf insgesamt 1895041 Scudi. Pifferi, Papa Odescalchi (2005), S. 153. Ein Überblick über die euro­päischen Entwicklungen und Reak­tionen angesichts des Türkenkrieges bei Platania (Hg.), L’Europa (2005). 57 Giussani, I fasti (1931), S. 21, stützt diese Angabe auf ASGe, Collegii diversorum 154 (18. September 1682). 58 ASLu, Archivio Buonvisi, Parte seconda, nr. 69, interno 1: Denari per la Guerra rimessi da Sua Santità e da altri luoghi. Vom 10. April bis zum 8. Mai 1683 wurden über die Rezzonico 120000 Gulden nach Rom und Wien transferiert. 59 Nach dem Tod Aurelios wurde Quintiliano zum Vormund seiner noch minderjährigen Geschwister ernannt: ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11109, fol. 324 (18. September 1682).

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jene Weichenstellung herbeiführen sollte, w ­ elche die feste Verankerung der Rezzonico in Venedig endgültig besiegelte. Seit 1685 bemühte sich der Kaufmann um die Aufnahme in das venezianische Patriziat, um seiner Familie zu einem ihrem ökonomischen Erfolg entsprechenden gesellschaft­lichen Status zu verhelfen. Die Aggregierung der Familie (1687) Das oligarchische System der venezianischen Adelsrepublik schloss die Beteiligung all derjenigen Familien an den Regierungsgeschäften rigoros aus, die nicht dem venezianischen Patriziat angehörten. Lange Zeit hat man ein konkretes Datum mit der Ausbildung dieser Sozia­lstruktur in Verbindung gebracht, die so genannte Serrata del Maggior Consiglio („Schließung des Großen Rates“), die im Jahr 1297, zur Zeit der Herrschaft des Dogen Pietro Gradenigo, festlegte, w ­ elchen Familien die erb­liche Zugehörigkeit zum Großen Rat und damit der Zugang zu allen wichtigen politischen Ämtern zustand. Doch handelt es sich bei der Serrata, die von den Geschichtsschreibern späterer Zeiten zu so etwas wie der Grundsteinlegung für die venezianische Gesellschaftsverfassung verklärt wurde, um einen Mythos. Die Ausbildung von klar definierten Standesgrenzen war kein punktuelles Ereignis, sondern ein langfristiger Prozess, der sich bis ins 14. Jahrhundert hinzog und erst im Jahr 1323 als weitgehend abgeschlossen betrachtet werden kann.60 Von nun an gab es tatsäch­lich eine Gruppe von Familien, deren Angehörige den Zugang zum Großen Rat als dem Basisorgan der venezianischen Verfassung monopolisierten. Mitgliedschaft im Maggior Consiglio und Zugehörigkeit zum Patriziat waren unabdingbar miteinander verknüpft; und in den folgenden Jahrhunderten sollte kompromisslos an dieser Regelung festgehalten werden.61 Angesichts des demographischen Niedergangs des Adels sowie im Hinblick auf die desolate Situa­tion der venezianischen Staatsfinanzen, die durch die kostspieligen Verteidigungskriege der Hoheitsgebiete Venedigs im öst­lichen Mittelmeer gegen die Vorstöße der Osmanen arg belastet waren, wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts wiederholt im Großen Rat darüber diskutiert, das Goldene Buch (Libro d’oro), in dem die Namen der venezianischen Adelsfamilien verzeichnet waren, zu öffnen und finanzkräftige Familien darin aufzunehmen. Infolge der großen Pestepidemien, die auch die adlige Bevölkerungsschicht stark dezimierten, entflammte die Diskussion um eine Öffnung des Goldenen Buches in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts erneut.62 Jedoch scheiterte das Vorhaben vorerst am Widerstand der Mehrheit des Patriziats, das die Adelskaste „rein“ und geschlossen halten wollte.

60 Vgl. hierzu zuletzt Landwehr, Die Erschaffung Venedigs (2007), S. 362. 61 Zur Serrata und zu den Konsequenzen der Schließung des Maggior Consiglio vgl. Rösch, Der venezianische Adel (1989). 62 Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 12 – 14.

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Erst mit dem Einfall eines 60000 Mann starken türkischen Heeres auf Kreta, der größten verbliebenen venezianischen Kolonie, änderte sich im Jahre 1645 die Lage. Denn in Anbetracht d ­ ieses gravierenden Konflikts – des so genannten Candia-­Krieges, der bis 1669 dauern sollte – mussten dringend neue Finanzquellen erschlossen werden. In d ­ iesem für die Republik so schwierigen Moment wurde die Nobilitierungs-­Debatte wieder aufgenommen. Bereits Anfang des Jahres 1646 sprach sich der Senat für eine Öffnung des Goldenen Buches aus. Voraussetzung für eine Neuaufnahme in den Adel sollten die Abstammung aus legitimer Ehe sowie der Nachweis sein, dass weder Vater noch Großvater der ein Aggre­ gierungsgesuch stellenden Personen einen handwerk­lichen Beruf ausgeübt hatten. Waren diese Voraussetzungen erfüllt, sollte man sich gegen eine Zahlung von 60000 Dukaten um die Aufnahme in den venezianischen Adel bewerben können.63 Obwohl die Vorlage des Senats zunächst nicht die Zustimmung des Maggior Consiglio fand, kam es im Juli desselben Jahres dennoch zur ersten Aggregierung: Als Gegenleistung für eine Nobilitierung hatte die ursprüng­lich aus Spanien stammende Kaufmannsfamilie Labia der Republik nicht nur 60000 Dukaten, sondern zusätz­lich noch weitere 40000 Dukaten als Darlehen in Aussicht gestellt. In Anbetracht der Höhe der Offerte sowie der immer bedroh­licher werdenden Kriegsentwicklung wurde dem Antrag schließ­lich stattgegeben. Im Verlauf des Jahres wurden weitere Familien aggregiert, d ­ arunter die aus Kärnten zugewanderten Widmann und die seit langem in Venedig ansässige Familie Ottoboni, die mit Alexander VIII . (1689 – 1691) gut vier Jahrzehnte s­ päter einen Papst stellen sollte.64 Frei­lich war das seitens der potentiellen Nobilitierungskandidaten zu erbringende finanzielle Opfer außerordent­lich groß, zumal die von den Labia großmütig als Darlehen der Serenissima zur Verfügung gestellten zusätz­lichen 40000 Dukaten in Folge auch den anderen Familien abverlangt wurden. Doch schrieb Marcantonio Ottoboni mit Blick auf die für die Statusaufwertung zu investierende enorme Summe an seinen Bruder ­Pietro Vito (den späteren Papst) nach Rom, es sei besser sentir incommodi per essere nobili a Venetia che starvi con maggiori commodi cittadino in Venetia.65 Offenbar gab es unter den potentiellen Aspiranten auf den Adelstitel aber auch ­solche, die sich ein Nobilitierungsgesuch angesichts der hohen Kosten gut und lange überlegten. Von den Gambara, die 1653 aggregiert wurden, sagte man noch dreißig Jahre s­ päter, sie hätten rifiutato a lungo per l’orgoglio l’offerta, ritenendosi già nobile a sufficenza.66 Auch die Rezzonico verhielten sich eher zöger­lich, was die Frage ihrer Nobilitierung betraf. Bei der ersten Aggregierungswelle, die mit der erneuten Schließung des Goldenen 63 Ebd., S. 14 – 16. In etwa entsprach dies der Summe, die benötigt wurde, um tausend Soldaten ein Jahr unterhalten zu können. 64 Zum Aufstieg der Ottoboni, der demjenigen der Rezzonico in vielfacher Hinsicht ähnelte, vgl. Menniti Ippolito, Fortuna (1996), S. 58. 65 Schreiben Ottobonis (28. Juli 1646), zitiert nach ebd. 66 Distinzioni segrete che corrono tra le casate Nobili di Venetia (1684): BMVe, ms. ital., cl. VII, cod. 2226 (9205), zitiert nach Gaier, Mecenatismo (2005), S. 183.

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Buches im letzten Jahr des Candia-­Krieges 1669 endete, unternahmen sie keinerlei Versuche hinsicht­lich eines Erwerbs des Adelstitels. In dieser Zeit befand sich Aurelio noch alleine in Venedig, während sein Bruder Carlo mit der Familie in Genua lebte. Erst mit der Ankunft Quintilianos schien eine gewisse Konstanz gewährleistet zu sein, während die finanziellen Ressourcen der Familie mittlerweile eine beträcht­liche Höhe erreicht hatten. Von ihrem beacht­lichen Reichtum zeugt ein Schreiben des in Venedig residierenden kaiser­lichen Gesandten an die österreichische Kammer in Graz, in dem berichtet wird, der gerade verstorbene Aurelio Rezzonico habe zu wohltätigen Zwecken 160000 Dukaten bestimmt und hinterlasse überdies ein Vermögen von 500000 Dukaten.67 Die finanziellen Voraussetzungen für eine Nobilitierung der Rezzonico waren somit gegeben, als 1685 vor dem Hintergrund der Morea-­Kriege (1684 – 1699) erneut eine Öffnung des Goldenen Buches bevorstand.68 Doch auch Quintiliano Rezzonico scheint bezüg­lich einer Nobilitierung der Familie anfäng­lich zurückhaltend reagiert zu haben, obwohl ihm eine Bewerbung offenbar nahegelegt wurde.69 Weitaus ambi­tionierter schien sein noch in Genua ansässiger Halbbruder Abbondio, der sich in der Nobilitierungsfrage im März 1685 sogar nach Rom wandte, näm­lich an Livio Odescalchi,70 den welt­lichen Nepoten Innozenz’ XI.: Il carattere della nobiltà venetiana impronta un marchio alle case che lo godono sì pregiato che fa svegliar molti concorrenti a questo grado tanto honorevole, onde havendo sentone di questa occasione risolvo darne parte a V. E. desideroso di sentir in questo il suo prudente parere ­stimando che coll’assenso di V. E. si debba prontamente risolvere d’abbracciarlo il sig.r Quintiliano, men­ tre per parte de tribunali d’essa Città gli hanno fatta istanza quei Cavallieri vedendo che non si moveva punto.71

Die Unschlüssigkeit Quintilianos, die – wie aus dem Schreiben Abbondios hervorgeht – mittels der Befürwortung durch die Papstfamilie überwunden werden sollte, lässt sich sicher­lich mit den enormen Folgekosten erklären, die eine Nobilitierung mit sich brachte. Denn aus der erlangten Zugehörigkeit zum Maggior Consiglio erwuchs auch die Verpflichtung, Ämter im Staatswesen der Serenissima auszuüben. Dies konnte sich für den Amts­ inhaber häufig zu einer kostspieligen Angelegenheit entwickeln, da er die Ausgaben zur repräsentativen Ausübung des Amtes in den meisten Fällen selbst zu tragen hatte. Ein

67 Berichte des kaiser­lichen Gesandten De la Torre an die innerösterreichische Kammer vom 26. August und 14. September 1682, nach Sbrik, Der staat­liche Exporthandel (1907), S. 162, Anm. 6. Die Briefe befinden sich im Staatsarchiv in Graz. 68 Zu den Morea-­Kriegen vgl. Infelise / Stouraiti, Venezia (2005). 69 ASO, II E 8, Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (31. März 1685). 70 Livio war der Sohn von Carlo Odescalchi, Rezzonicos Geschäftspartner in Genua. Nach dem Tod seines Vaters folgte er seinem Onkel, dem Kardinal Benedetto Odescalchi, nach Rom. Für die Verankerung der Rezzonico in Rom sollte er in Folge eine zentrale Rolle spielen. Zu Livio Odescalchi vgl. auch Kapitel II.2. und Kapitel II.5. der vorliegenden Arbeit. 71 ASO, II E 8, Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (31. März 1685).

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weiterer mög­licher Grund für Quintilianos Zögern könnte jedoch auch der Zwist mit den Cernezzi gewesen sein, da die Auflösung des gemeinsamen Handelsunternehmens ebenfalls finanzielle Verpflichtungen mit sich gebracht haben dürfte. Ein Jahr ­später schien sich das Blatt jedoch gewendet zu haben. Quintiliano war zu der Einsicht gelangt, dass für einen Verbleib der Familie in Venedig die Zugehörigkeit zum Patriziat unabdingbar war. Allerdings waren nun zwischenzeit­lich Abbondio Zweifel an der Notwendigkeit einer Nobilitierung gekommen. Jetzt war es Quintiliano, der nach Rom schrieb: Rendo gratie a V. E. per quanto si è degnato di operare con Abbondio mio fratello nel particolare della Nobiltà, con haverle fatto conoscere, che oltre l’esser cosa di molto decoro alla Casa, e di più suo vantaggio che mio, e volendo fermar la casa in Venetia era necessario in farlo, per non esser inferiori a tanti altri […] che con loro molti incomodi l’hanno fatto; che per quello poi suppone di non essersi mai meco impegnato con lettere; mi obbligo di mostrarli molte e molte sue nelle quali non solo si è impegnato, et ha data parola per la sua propria persona, ma anche m’imponte precisamente di doverlo esser presto perché fuga l’occasione; havendo queste lettere di Venetia tutte pronte et alla mano; ma stimo e le voglio esser buon fratello, desidero che tutto passi di buone unioni.72

Ob Odescalchi die Zweifel Abbondios zerstreuen konnte, bleibt dahingestellt. In jedem Fall war Quintiliano, wie er dem Papstneffen gegenüber offenlegte, zwei Monate s­ päter bereits intensiv mit den Vorbereitungen der Aufnahme in den Adel beschäftigt, zumal sich in Venedig das Gerücht erhärtet hatte, die Rezzonico s­ eien bisher daran nicht interessiert gewesen; ein Eindruck, dem Quintiliano entschieden entgegenwirken wollte: Stò travagliando per l’affare della Nobiltà assicurandola che senza partirmi di Casa, camino più di 10 Miglia al giorno, dovendo io esser per tutto, assister à tutto, acciocché la comparsa riesca meglio che si può, trattandosi di fun­tione nella quale la casa sarà molto osservata, per il concetto comune che correva in tutta questa Nobiltà, cio è che la nostra Casa tardasse à far questo passo perché poco si curasse di simil grado, il che non mi è mai caduto in pensiero.73

Die Familie wurde nun nach Venedig beordert: Anfang März 1687 erreichte ­Abbondio, aus Rom kommend, die Lagunenstadt,74 gefolgt von Giovanni Battista, der wenig ­später aus Genua eintraf.75 Gemeinsam mit seinen Halbbrüdern reichte Quintiliano am 8. April 1687 das Aggregierungsgesuch ein.76 Fünf Tage s­ päter, am 13. April, verhandelte 72 73 74 75 76

Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (1. August 1686). Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (12. Oktober 1686). Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (15. März 1687). ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11115, fol. 539v (8. April 1687). BCVe, Cod. Cicogna 317, o. P.: Gesuch der Rezzonico-­Brüder an die Serenissima um Aufnahme in den Adel sowie Antwortschreiben derselben.

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der Senat ihren Antrag, wobei 187 Senatoren ihn befürworteten; nur 16 lehnten ihn ab, fünf Senatoren enthielten sich der Stimme. Damit war der Weg frei für die eigent­liche Abstimmung im Maggior Consiglio, wo am 17. April mit 803 gegen 105 Stimmen und fünf Enthaltungen der Nobilitierung zugestimmt wurde.77 Die Rezzonico waren somit die achtundneunzigste Familie, deren Name seit 1646 dem Goldenen Buch der Stadt hinzugefügt worden war.78

77 ASVe, Avogaria del Comun, 182/2, Interno 17. 78 Eine letzte Nobilitierungswelle folgte 1775. Vorrangiges Motiv war dabei nicht die Finanznot der Serenissima. Vielmehr hoffte man, durch die Aufnahme von vierzig Familien des Terraferma-­Adels den bedroh­lichen Mitgliederschwund des Maggior Consiglio aufzuhalten. Lühe, Der venezianische Adel (2000), S. 30.

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2. Die Kunstsammlung als Eintritts-­Billett in die Adelsgesellschaft Während noch Francis Haskell in seiner fundamentalen Studie zum Verhältnis von Künstlern und Auftraggebern zur Zeit des römischen und venezianischen Barock von einem selbstzweckhaft-­idealistischen Motiv frühneuzeit­licher Kunstpatronage ausging, richtet sich die Aufmerksamkeit der Forschung seither in zunehmendem Maße auf die gesellschaft­liche Funk­tion von Kunst in der Frühen Neuzeit.1 Denn das Interesse frühneuzeit­licher Mäzene am Aufbau ihrer Kunstsammlungen war nicht allein individueller Sammlerleidenschaft geschuldet. Im kompetitiven Sozia­lklima Venedigs war die seit dem 16. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Anlage und Präsenta­tion von Kunstsammlungen vor allem ein zentrales Medium familiärer Selbstdarstellung.2 Der hohe ­sozia­le Stellenwert, der den Sammlungen zugewiesen wurde, spiegelt sich auch in den Testamenten wider. Erhalt und Ausbau der Sammlung wurden immer wieder als Auftrag an die Nachgeborenen weitergegeben – mit der ausdrück­lich formulierten Inten­ tion, dadurch die magnificenza della casa zu bewahren. So verstand es auch Q ­ uintiliano Rezzonico. In seinem 1717 aufgesetzten Testament konstatierte er im Hinblick auf die von ihm zusammengetragenen Werke: esser questo un ornamento che maggiormente fa risplendere le case de Cavalieri.3 In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Forschung wiederholt mit den Kunstsammlungen des venezianischen Neuadels und deren Rekonstruk­tion befasst.4 Schließ­lich zielten die Parvenüs darauf ab, die ­sozia­le Kluft zum Altadel unter anderem dadurch zu überbrücken, dass sie ihren neu erworbenen Status mittels jener medialen Repräsenta­ tionsstrategien in Szene zu setzen suchten, die für die Visualisierung des altadligen Standesethos maßgeb­lich waren.5 Unter den seit Mitte des 17. Jahrhunderts ins Goldene

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Haskell, Maler und Auftraggeber (1996). Zur Einbettung der Kunstpatronage in einen weitgestreckten gesellschaftspolitischen Kontext vgl. v. a. Barcham, Grand in Design (2001); Karsten, Künstler und Kardinäle (2003); Strunck, Berninis unbekanntes Meisterwerk (2007). Sammlungen wie die von Giovanni Grimani oder Federico Contarini – beide alten Adelsgeschlechtern entstammend – schienen nicht nur aufeinander Bezug zu nehmen, sondern sich auch in ihrem Aufbau übertreffen zu wollen. Vgl. Cozzi, Federico Contarini (1961); Hochmann, Le collezioni (2008), S. 8. ASVr, Fondo Pindemonte-­Rezzonico, b. 459 A. Vor allem Noè, I Rezzonico (1980); Magani, Il collezionismo (1989); Borean, La quadreria (2000); Gaier, Mecenatismo (2005), der über die deskriptive Rekonstruk­tion der Sammlung Cavazza hinaus­geht und einige grundsätz­liche Überlegungen zum Mäzenatentum und Sammlungsverhalten des Neuadels anstellt; Borean / Mason, Il collezionismo (2007). So zählte die in ihrem Palast im Pfarrsprengel San Casciano zur Schau gestellte Sammlung der Widmann 1669 (dreiundzwanzig Jahre nach ihrer Nobilitierung) insgesamt 159 Gemälde, darunter Veroneses „Bekehrung des Paulus“, die sich heute in der Eremitage in St. Petersburg befindet, und Tiberio Tinellis „Porträt Ludovico Widmanns“, das heute in der Na­tional Gallery in Washington hängt. Vgl. Magani, Il collezionismo (1989), S. 32 – 56. Auch der im Jahre 1653 aggregierte

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Buch aufgenommenen Familien gab es kaum eine, die nicht über eine größere Sammlung von Gemälden und zunehmend auch von Skulpturen verfügte. Allerdings stammen die Inventare, die zur Rekonstruk­tion der Kollek­tionen herangezogen werden, meist aus der Zeit nach der Aufnahme der betreffenden Familien in das Patriziat, während die Anfänge der Sammlungen oft schon vor diesen Zeitpunkt zurückreichen.6 Somit ist es meist schwierig, konkrete Aussagen über Wachstumsdynamiken sowie über ­etwaige signifikante Veränderungen in der „Ankaufspolitik“ von Kunst im unmittelbaren Kontext einer Nobilitierung zu treffen. Im Falle der Rezzonico ist die Lage jedoch glück­licherweise umgekehrt: Dokumente, ­welche die Rekonstruk­tion ihrer Kunstsammlung unmittelbar nach der Aggre­gierung ermög­lichen würden, fehlen bislang. Die bisher bekannten Inventare aus der Zeit nach ihrer Nobilitierung stammen erst aus dem siebenten Regierungsjahr des Rezzonico-­ Papstes (1765).7 Hingegen ist der Zustand der Sammlung für den Zeitraum unmittelbar vor ihrer Nobilitierung (1687) außerordent­lich gut dokumentiert. Ein erstes Inventar vom 22. September 1682, das Cesare Augusto Levi bereits 1900 in Auszügen unkommentiert publizierte und das 1980 durch Enrico Noè ergänzt und teilweise ausgewertet wurde, war kurz nach dem Tod Aurelio Rezzonicos erstellt worden.8 Im Archivio di Stato in Venedig befinden sich jedoch zwei weitere, bisher unbeachtet gebliebene Inventare. Quintiliano Rezzonico hatte sie anläss­lich des Eintritts seiner Halbschwester Maria Elisabetta in das Kloster Santa Cecilia in Como und ihres damit verbundenen Verzichts auf den ihr zustehenden Teil des Familienerbes anfertigen lassen. Das erste wurde am 23. März 1685, das zweite am 1. Dezember 1686 aufgenommen.9 Diese Quellen ermög­lichen nicht nur eine Rekonstruk­tion der Sammlung und ihrer dynamischen Aufbauprozesse direkt vor der Nobilitierung. 10 Unter Einbeziehung Girolamo Cavazza hatte eine umfangreiche Sammlung nicht nur von Gemälden, sondern auch von Skulpturen zusammengetragen, von der Giustiniano Martinioni 1663 in seiner erweiterten Neuausgabe von Jacopo Sansovinos „Venezia – Città nobilissima e singolare“ (1591) erstmals berichtete. Vgl. Gaier, Mecenatismo (2005), S. 194 – 196. 6 Ebd., S. 183 f. 7 Es handelt sich um drei Inventare, die anläss­lich der Teilung der Sammlung erstellt und von ­Pavanello, I Rezzonico (1998), publiziert wurden. Eine Hälfte der Sammlung blieb in Venedig im Familienpalast der Rezzonico, die andere Hälfte wurde nach Rom gebracht, um die dortige Wohnstätte des frisch ernannten römischen Senators Abbondio Rezzonico (1742 – 1810) zu schmücken. Da diese Inventare jedoch keine konkreten Aussagen über den Zustand der Sammlung vor Pontifikatsbeginn zulassen, finden sie hier keine Berücksichtigung. 8 ASVe, Giudici di Petizion, Inventari, b. 348 – 349, nr. 63; Levi, Le collezioni veneziane (1900), Bd. 2, S. 75 – 77; Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 175 – 190. 9 ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11116, fol. 21r–35v (23. März 1685); ebd., not. Carlo Gabrieli, b. 11120, fol. 72r–92v (1. Dezember 1686). Auf das Inventar von 1685 machte mich Vittorio Mandelli aufmerksam. 10 Den Ist-­Zustand der Sammlung für das Jahr 1682 rekonstruierte bereits Noè, Rezzonicorum C ­ ineres (1980), S. 175 – 190. Einen ­kurzen Überblick darüber bietet auch Cecchini, Aurelio Rezzonico (2007), S. 308.

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der bereits herausgearbeiteten günstigen sozioökonomischen Beziehungskonjunktur sowie unter Rückgriff auf die intensive Rom-­Korrespondenz Quintilianos können nun auch die Kunstsammlung mit den Repräsenta­tionsstrategien der Rezzonico in Beziehung gesetzt werden. Die Gemäldesammlung der Rezzonico (1682) Aufgrund ihres wirtschaft­lichen Erfolgs und der daraus entstehenden repräsentativen Bedürfnisse Ende der 1670er Jahre hielt es die Familie offenkundig für angebracht, sich nach einem neuen Wohnsitz umzusehen. 1680 mieteten sie am Canal Grande die erste Etage des Palazzo Sagredo.11 Die angemessene Ausstattung dieser Räume mußte für sie ein zentrales Anliegen darstellen, zumal sie zu d ­ iesem Zeitpunkt nicht nur in engen Beziehungen zur regierenden Papstfamilie, sondern auch zum Kaiserhof standen. Da die ­Rezzonico, anders als beispielsweise die Widmann, zum Zeitpunkt ihrer Nobilitierung weder einen eigenen Palazzo noch eine Villa besaßen,12 mittels derer sie sich adäquat nach außen hätten darstellen können, dürften sie ihrer Kunstsammlung und deren Präsenta­tion mög­licherweise einen noch höheren Stellenwert als andere Familien beigemessen haben. Das erste Inventar aus dem Jahr 1682 informiert detailliert über die Einrichtung der von ihnen angemieteten Zimmerfluchten im Palazzo Sagredo, den Umfang und Inhalt der Sammlung sowie über die Aufteilung auf die einzelnen Räume.13 Darüber hinaus werden einige Räume knapp charakterisiert (z. B. camera seguente che serve per studio), woraus auf ihre einstige Funk­tion geschlossen werden kann. Als Aurelio Rezzonico am 24. August 1682 starb,14 hinterließ er seinem Neffen ­Quintiliano neben zahlreichen Möbelstücken, einigen Landkarten sowie Kleinbildern aus Kupfer und Stickereien auch eine bereits 95 Bilder umfassende Sammlung groß- und kleinformatiger Gemälde, die auf zehn der insgesamt zwölf im Inventar aufgeführten Räume verteilt waren. Die Auflistung beginnt mit dem portego, jenen für den venezianischen Palastbau charakteristischen, meist rechtwinklig zur Fassade angeordneten Saal, der das gesamte Gebäude in der Regel der Länge nach durchläuft und von dem aus die anderen Räume abgehen. Der portego im Obergeschoss besaß

11 ASVe, Dieci Savi alle Decime, b. 263, nr. 9600 (21. Dezember 1685): Essendo stata affittata la casa posta in contrà di S.ta Sofia di rag.ne di noi Marco e fratelli Sagredi fu de S. Zaccaria che era tenuta per nostro uso, cioè il soler di sopra al S. Simon Giugali, et il Soler di sotto al S. Aurelio Rezzonico per D 616 in tutto sotto li primo mag.o 1680. Ich danke Jan-­Christoph Rößler für den Hinweis auf diese Quelle. Zur Baugeschichte des Palazzo Sagredo vgl. Mazza, I Sagredo (2004), S. 23 – 26. Der Palazzo wurde jedoch in den letzten Jahrunderten stark modifiziert. 12 Die Widmann hatten bereits vor ihrer Nobilitierung einen Palazzo im Pfarrsprengel San Casciano erworben. Vgl. Magani, Il collezionismo (1989), S. 13 – 19. 13 Vgl. Anm. 8 ­dieses Kapitels. 14 APVe, Parrochia di S. Sofia, Registro dei Morti, 6 (1669 – 1693), fol. 72r.

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jedoch nicht die Funk­tion eines Flures im heutigen Sinne, sondern stellte innerhalb der Raumhierarchie venezianischer Paläste einen der wichtigsten Repräsenta­tionsräume dar, zumal ankommende Besucher ihn über die Treppe zuerst betraten.15 In d ­ iesem für die öffent­liche Inszenierung der Bewohner zentralen Empfangsort waren die Wände vor allem mit großformatigen Gemälden zeitgenös­sischer Künstler bedeckt: Sant’ Andrea morto levato di Croce da Manigoldi und Archimede ucciso da soldati, beides Werke Luca ­Giordanos;16 Il tempo che strappa l’alli d’amore des flämischen Malers Louis Cousin;17 Ercole che fila des in Venedig ansässigen Genuesen Giovanni Battista Langetti 18 sowie ein Rappresentante dei Mendichi des Münchner Malers Johann Carl Loth, der ebenfalls seit etwa 1656 in Venedig tätig war.19 Dazwischen hingen einige kleinformatige Gemälde, unter anderem eine ebenfalls von Langetti stammende Darstellung der Moglie di Marc ­Antonio che trafigge la lingua alla Testa di Cicerone sowie ein Bottino da guerra seines Landsmannes Bernardo Strozzi.20 Mit Giordano, Langetti und Loth waren bereits im portego die Werke der zu dieser Zeit in Venedig gefragtesten Künstler vertreten. Von Luca Giordano besaß Aurelio Rezzonico noch vier weitere – im Inventar nicht näher bezeichnete – Heiligendarstellungen sowie die nach Originalen Giordanos angefertigten Kopien zweier Halbfigurenporträts, die in seinem Schlafzimmer hingen. Giordanos Werke erfreuten sich zu ­diesem Zeitpunkt in Venedig großer Beliebtheit, insbesondere seit er sich 1664/65 auf Einladung des Marchese Agostino Fonseca dort aufgehalten hatte. Zu Fonseca unterhielten die Rezzonico geschäft­liche Verbindungen, derer sie sich mög­licherweise auch bedienten, um in den Besitz von Werken des neapolitanischen

15 Cecchini, Quadri (2000), S. 87, Anm. 62, definiert den portego im Obergeschoss wie folgt: Portego di sopra: come un salone di rappresentanza che esprime il posto occupato dall’individuo nella gerarchia sociale. Zur architektonischen Genese des portego (sowohl des oberen wie des unteren), der bis zum 17. Jahrhundert einen L- oder T-förmigen Grundriss annehmen konnte, bis er im 17. Jahrhundert ausschließ­lich einen rechteckigen Grundriss bildete, vgl. Bernardi, Interni (1990), S. 185 und Palumbo Fossati Casa, Gli interni della casa veneziana (1995), S. 173. 16 Die hier wie im Folgenden kursiv gesetzten Bildtitel wurden aus den Inventaren übernommen. 17 Hinter ­diesem Namen verbirgt sich der Flame Louis Cousin (1606 – 1667). Nach ersten Ausbildungsjahren in Paris ging er nach Rom, wo er 1626 der Schildersbent, der Vereinigung holländischer und flämischer Künstler, beitrat und 1638 in die Accademia San Luca aufgenommen wurde. Von dem venezianischen Botschafter Sagredo erhielt er den Auftrag für ein Altargemälde in der venezianischen Na­tionalkirche San Marco in Rom. Giovanni Battista Passeri berichtet von mindestens einem Venedigaufenthalt des Malers im Jahr 1653/54. Ders.: Vite de’ pittori, scultori ed architetti che hanno lavorato in Roma, morti dal 1641 fino al 1673. Rom 1772, S.  252 f. Vgl. auch Bodart, Les peintres (1970), Bd. 1, S. 154 – 167; Diamantini, Luigi Gentili (2005/2006). 18 Zu Langetti vgl. Stefani Mantonavelli, Giovanni Battista Langetti (1990). 19 Zu Loth vgl. Ewald, Johann Carl Loth (1965). 20 Zu Strozzi vgl. Gavazza, Bernardo Strozzi (1995); Spicer, Bernardo Strozzi (1995).

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Meisters zu gelangen.21 Und auch Simon Giogalli, Rezzonicos Nachbar im Palazzo Sagredo, könnte beim Kauf dieser Werke behilf­lich gewesen sein.22 In dem sich an den portego anschließenden camerone, dem Gesellschaftszimmer, befanden sich offenbar Werke mittleren und kleineren Formates, denn der Zusatz „grande“, der für die Beschreibung der großformatigen Werke im vorhergehenden Raum genutzt wurde, taucht hier im Inventar nicht auf. Wie schon im portego, hingen auch im camerone überwiegend Werke zeitgenös­sischer Künstler. Neben einem Sant’Antonio di Padova col Bambino in Braccia des in Venedig tätigen Pietro Liberi, einer Ressurezione di Lazzaro des ebenfalls in Venedig arbeitenden Giovanni Francesco Cassana sowie zweier Werke des flämischen Porträtisten Ferdinando Voet verzeichnet das Inventar noch die Kopien einer Madonnendarstellung Sassoferratos und einer büßenden Magdalena des drei Jahrzehnte zuvor verstorbenen Florentiner Malers Francesco Furini.23 Ledig­lich eine Beata Vergine con bambino in braccio, S. Bernardino, S. Girolamo e altre figure con Paese Giacomo Palmas d. Ä. und ein Ritratto di un Todesco Paris Bordones, das Enrico Noè mit dem Porträt des Kaufmanns Nikolaus Körbler identifizieren konnte,24 fügen sich nicht in die Reihe der zeitgenös­sischen Künstler ein, sondern gehören dem „goldenen Zeitalter“ der venezianischen Malerei, dem 16. Jahrhundert, an.25 Ähn­lich ausgestattet präsentierte sich auch die camera vicina al cameron und die camera seguente ap[press]o la scala, deren Funk­tionen sich aus dem Inventar jedoch nicht genau erschließen lassen. Wahrschein­lich gehörten auch sie zu den repräsentativen Räumen

21 Mehrmals ernennt Agostino Fonseca die Kaufleute Carlo, Aurelio und Luigi Rezzonico, sowohl getrennt als auch gemeinsam, zu seinen legittimi procuratori. ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11062, fol. 63v (20. April 1658); ebd., fol. 64v–65r (26. April 1658); ebd., b. 11073, fol. 312r/v (9. Januar 1663 M. V. [=1664]); ebd. 11093, fol. 510v–511r (20. Januar 1673 M. V. [=1674]); ebd., fol. 568r (17. Januar 1673 M. V. [=1674]). Die beiden Unternehmungen Fonseca und Rezzonico (bzw. Rezzonico & Cernezzi) werden wiederholt auch in verschiedenen juristischen Zusammenhängen gemeinsam aufgeführt. ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11054, fol. 64v–65v (24. April 1654); b. 11062, fol. 189v–190v (24. Juli 1658); b. 11073, fol. 312r/v (9. Januar 1663 MV [=1664]); b. 11109, fol. 470v/471r (30. Dezember 1673). Die große Beliebtheit der Werke Giordanos in Venedig erwähnt bereits Marco Boschini, Le ­ricche minere della pittura veneziana, Venedig 1674, S. 26. Zu Giordano und Venedig vgl. Finocchi Ghersi, Luca Giordano (2008). 22 Vgl. Kap. II.6., Anm. 11. Zu Simon Giogallis Aktivitäten als Kunsthändler, u. a. auch von Werken Luca Giordanos, vgl. Tucci, Simon Giogalli (2008), bes. S. 245 – 248. 23 Zu den oben genannten Künstlern vgl. Ruggeri, Pietro e Marco Liberi (1997); Pullino (Hg.), Il Sassoferrato (2009); Cosi, Proposte (2008); Del Bravo, Francesco Furini (2008). Zum Porträ­ tisten Jakob Ferdinand Voet vgl. Anm. 65 ­dieses Kapitels. 24 Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 180. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich das Porträt noch in der Sammlung der Fürsten von Lichtenstein in Vaduz. Heute hängt es in deren Sammlung in Wien. Cecchini, Aurelio Rezzonico (2006), S. 309. 25 Zu den oben genannten Künstlern vgl. Claut, Le pitture (2006). Der als Autor einer Darstellung Lots mit seinen Töchtern im Inventar für ­diesem Raum aufgeführte Pietro Ravera konnte nicht näher identifiziert werden.

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der von Aurelio Rezzonico angemieteten Palastetage, denn Quintiliano nutzte sie wenige Jahre ­später, um bedeutende Stücke seiner Kunstsammlung darin auszustellen. Bis auf eine Darstellung N[ost]ro Sig[no]re nell’Orto con suoi Apostoli aus der Hand Giacomo ­Palmas d. J.26 und eines Il Figlio Prodigo abbracciato dal Padre des bereits mit einem Bild im portego vertretenen Bernardo Strozzi treffen wir in diesen Räumen auf weitere zeitgenös­sische Werke von Giordano (in Kopie), Liberi, Furini und Langetti sowie des Luccheser Malers Pietro Ricchi,27 die ebenfalls allesamt religiöse Sujets (Heiligenbilder und bib­lische Szenen) zeigten. Nur in der camera che faccia al cameron und im tinello, dem Speisezimmer,28 wurde das thematisch eng religiös gefasste Spektrum der beiden vorangehenden Räume aufgebrochen. Neben einer auf der antiken Erzählung des Cattone che si uccide fra i soldati basierenden Darstellung von Langetti und einer Kopie der Zauberin Circe des genue­ sischen Malers Giovanni Benedetto Castiglione 29 dominierten hier Landschaftsbilder. Bis auf ein Oval mit Paese con animali Castigliones, einer Landschaft des in der Nachfolge Veroneses arbeitenden Maffeo Verona 30 und zweier großformatiger Darstellungen gleichen Sujets des Venezianers Biagio Lombardo 31 sowie einer Tempesta des flämischen Malers Renaud de la Montagne 32 sind diese Werke im Inventar jedoch keinen Künstlern zugeordnet. Es ist deshalb anzunehmen, dass es sich um Landschaftsbilder vor allem nordischer P ­ rovenienz handelt, die auf dem venezianischen Kunstmarkt zu dieser Zeit besonders gehandelt wurden.33 Fast fremd muss sich daher unter diesen Darstellungen das Genrestück Marascalco che ferra un Cavallo des in Rom wirkenden niederländischen Malers Pieter Van Laer, genannt Bamboccio, ausgenommen haben, dessen Werke in den venezianischen Sammlungen eher selten anzutreffen waren.34 26 27 28 29 30 31

Zu Palma d. J. vgl. Mason Rinaldi, Palma il Giovane (1984). Zu Ricchi vgl. Botteri, Pietro Ricchi (1996). Palumbo Fossati Casa, Gli interni della casa veneziana (1995), S. 169. Zu Castiglione vgl. Rotondi Terminiello, Indagini (1990); Rumbler, Un nuovo stato (2009). Zu Verona vgl. Vertova, Su Matteo Verona (1985). Lombardo (1617 – 1665) war Schüler des Porträtmalers Tiberio Tinelli (1586 – 1638) und einer der ersten venezianischen Maler, die sich unter dem Einfluss der in Venedig ansässigen nordischen ­Meister der Landschaftsmalerei zuwandten. Dementsprechende Angaben finden sich bereits bei Carlo Ridolfi, Le maraviglie dell’arte, ouvero Le vite de gl’illustri pittori veneti, e dello Stato, ­Venedig 1648, S. 30. Laut der Studie von Cogo, Biagio Lombardo (1997), S. 97 ist bislang ledig­lich ein einziges seiner Werke identifiziert. Es befindet sich im Musée des Beaux-­Arts in Bordeaux. Der Bestandskatalog des Museums, Habert, Bordeaux (1987), S. 90 verweist auf das Sammlungsinventar des Venezianers Alessandro Savorgnan aus dem Jahre 1699, in dem ein weiteres, heute allerdings als verschollen geltendes Werk des Künstlers aufgeführt wird. 32 Zu Renaud de la Montagne (= Matthieu von Plattenberg) vgl. Roethlisberger-­Bianco, Cavalier Tempesta (1970). 33 Dies ergibt sich aus den Briefen Quintiliano Rezzonicos an Livio Odescalchi im Archivo Odescalchi in Rom. 34 Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 183 verweist auf zwei weitere capricci in der Sammlung Bergonzi. Zu Pieter van Laer vgl. Janeck, Untersuchungen (1968); allgemein Huys Janssen, I

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In den beiden an den camerone angrenzenden Studierzimmern Aurelio Rezzonicos (camera che serve per studio und camera che serve per studio grande) hingen offenbar weniger qualitätvolle Werke, denn bis auf die Kopie eines Faraone che s’affoga nel mare Paolo Farinatis 35 verzeichnet das Inventar zu den jeweiligen Bildern keine Künstlernamen. Mög­ licherweise war dies dem semiprivaten Charakter dieser Räume geschuldet, die weniger repräsentativen, sondern vielmehr die kaufmännischen Geschäfte betreffenden (administrativen) Zwecken dienten. In d ­ iesem Kontext ließen sich auch die fünf geographischen Karten verorten, die im kleineren der beiden Räume an den Wänden hingen. Typologisierung der Sammlung Betrachtet man die Zusammensetzung der Sammlung Aurelio Rezzonicos, so entspricht sie der von der kunsthistorischen Forschung entworfenen Typologisierung der Kunstsammlungen des Neuadels: Statt Arbeiten der venezianischen Altmeister, die der alte Adel bevorzugte, konzentrierte sich der Neuadel tendenziell eher auf die Werke zeitgenös­ sischer Künstler.36 So fehlen in der Sammlung Rezzonico – bis auf wenige Ausnahmen – die Namen der großen venezianischen Meister des Quattro- und Cinquecento wie die Maler­familie Bellini, Giorgione, Tintoretto, Tizian und Veronese, die zahlreich in den Sammlungen des alteingesessenen Adels vorkamen und die im 17. Jahrhundert sehr wohl auf dem Kunstmarkt sowohl im Original als auch in Kopie angeboten wurden.37 Ledig­lich Giacomo Palma d. Ä., dessen Sohn Giacomo d. J. und Paris ­Bordone waren vertreten. Wie bereits Enrico Noè anmerkte, zeigt sich durch die starke Präsenz von Werken vor allem Langettis, Loths und Bellottis stattdessen Aurelios Vorliebe für die Schule der tenebrosi.38 In Nachfolge Caravaggios vertrat diese z­ wischen 1620 und 1630 geborene Künstlergenera­ tion, die sich überwiegend aus nach Venedig zugewanderten Künstlern zusammensetzte, einen ungeschönten Naturalismus, der sich durch die bewusst eingesetzten starken Hell-­ Dunkel-­Kontraste häufig ins Dramatische steigerte.39 Im Hinblick auf die zu konstatierende unterschied­liche Typologisierung der Sammlungen des alten und des neuen Adels wurde die These entwickelt, dass sich in der Sammlertätigkeit der neuen Familien weniger ein Konkurrenzverhalten als vielmehr ein „ästhetisches“

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bamboccianti (1993). Auch die Nachfolger Bamboccios, die so genannten Bamboccianti, scheinen in Venedig nicht oder zumindest kaum vertreten gewesen zu sein. Während das Inventar von 1682 das Bild als ein authentisches Werk Paolo Farinatis (1525 – 1606) verzeichnet, ist in den Inventaren von 1685 und 1686 ledig­lich von einer copia des Werkes Farinatis die Rede. Gaier, Mecenatismo (2005). Zum venezianischen Kunstmarkt im 17. Jahrhundert vgl. Cecchini, Quadri (2000), S. 137 – 157. Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 180. Auch Cecchini, Aurelio Rezzonico (2006), S. 308 weist auf die große Anzahl von Bildern der tenebrosi hin. Zu den tenebrosi vgl. Finocchi Ghersi, Luca Giordano (2008); Bonfait / Hochmann (Hg.), Geografia (2001), insbesondere S. 231, 430.

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Abgrenzungsverhalten zu den alten Familien ablesen lässt.40 Zweifelsohne ist der Befund tendenziell unterschied­licher Sammlungspräferenzen zutreffend. Ebenso dürfte es außer Zweifel stehen, dass die Entwicklung des venezianischen Kunstmarktes mit d ­ iesem sozio­ kulturellen Phänomen der Geschmacksdifferenzierung ­zwischen Alt- und Neuadel eng verwoben ist. Martin Gaier betonte, dass die sich abzeichnende Präferenz der neuadligen Auftraggeber für junge oder auswärtige Künstler, die sich erst am Anfang ihrer Karriere befanden und in Venedig auf ihren künstlerischen Durchbruch hinarbeiten, einen beacht­ lichen Innova­tionsschub für den Kunstmarkt der Lagunenstadt bedeutete.41 Allerdings fehlen für ­dieses komplexe Bedingungsgefüge bisher weitergreifende Untersuchungen. So bleibt zu fragen, ob diese Auftragspräferenz tatsäch­lich auf ein dezidiertes „ästhetisches Gegenprogramm“ der neureichen Aufsteiger zurückzuführen ist. Denn viele Neuadlige waren vor allem daran interessiert, mög­lichst kostengünstig eine umfangreiche Gemälde­ sammlung zusammenzutragen, um dem adligen Statusethos entsprechen zu können. Ihr Interesse an Werken noch nicht arrivierter Künstler sowie an Kopien alter Meister, die im 17. Jahrhundert alles andere als ungewöhn­lich oder gar verpönt waren,42 dürfte demnach dem Erfordernis eines optimalen Preis-­Leistungs-­Verhältnisses geschuldet gewesen sein.43 Der Blick auf die näheren Umstände der Sammlungstätigkeit der Rezzonico liefert dahingegend einige Ansatzpunkte, die der Nachzeichnung dieser komplexen Dynamiken dien­lich sein können. 40 So am Beispiel römischer Adelspaläste im 17. Jahrhundert Strunck, Die Konkurrenz der Paläste (2001). 41 Gaier, Mecenatismo (2005), S. 184: „Riguardo alle commissioni artistiche, si può constatare che i nuovi ricchi, tanto prima quanto dopo la loro aggregazione, si servivano meno spesso di pittori, scultori e architetti di fama, che non di un’equipe di artisti agli inizi della carriera o che, come stranieri, cercassero allora di sistemarsi a Venezia. Ne risultava una considerevole spinta d’innovazione sul mercato.“ 42 So beauftragte der in Rom lebende Florentiner Mäzen und Kunstsammler Marcello Sacchetti u. a. Pietro da Cortona mit der Anfertigung einer Kopie von Tizians „Heilige[r] Familie mit der Heiligen Katharina“, die sich in der Sammlung des Kardinals Aldobrandini befand. Haskell, Maler und Auftraggeber (1996), S. 64. Zum Problem der Kopien und Fälschungen und ihrer Bewertung im Seicento allgemein vgl. Ferretti, Falsi (1981). 43 Cecchini, Quadri (2000), S. 57, 63: „Dunque, non tutti i nuovi nobili, secondo gli inventari rinvenuti, sembrano rispondere alla innovazione del gusto che si attribuisce loro, mentre paiono prediligere la quantità a dispetto della qualità delle opere, come segno di relativo interesse verso i quadri. […] le scelte artistiche possono considerarsi aperte alla cultura artistica contemporanea in alcuni casi soltanto e sembrano, in maggioranza, conformarsi al gusto prevalente.“ Vgl. dazu auch Borean, La quadreria (2000), S. 84 f. Als Folge des oben beschriebenen Kalküls stieg die Nachfrage nach Kopien der Werke besonders beliebter – auch zeitgenös­sischer – Künstler. So schrieb Marco Boschini in seinen „Le ricche minere“ (vgl. Anm. 21), S. 26, Luca Giordano habe sich zwar vom Erfolg seiner Werke in Venedig geschmeichelt gefühlt, […] come all’incontro si lagna di quei che per interesse di guadagno, introducono in Venezia molte copie delle sue opere e procurano di dar ad intendere al mondo che sono originali. Die Labia besaßen insgesamt zehn Werke des Meisters, und auch die Lumaga hatten zahlreiche Werke des Neapolitaners. Vgl. Borean / Cecchini, Microstorie d’affari (2002), S. 49 f.

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So mag Aurelio Rezzonicos Desinteresse gegenüber Werken der alten venezianischen Meister vor allem finanzielle Gründe gehabt haben. Als Tintorettos „Auffindung des Moses im Nil“ 1681 in Venedig zum Verkauf stand und sein Neffe Quintiliano das Bild dem Papstneffen Livio Odescalchi zum Kauf anbot, intervenierte er nicht in eigener Sache. Sicher­lich scheute er die hohen Preise, zu denen die famosi antichi aufgrund der starken Nachfrage einer vor allem außerhalb Venedigs ansässigen finanzstarken Klientel bereits seinerzeit gehandelt wurden.44 Die 400 Dukaten, die das Werk kosten sollte und die in etwa dem doppelten Jahreseinkommen eines Angestellten einer Gewürzwarenhandlung entsprachen, waren am Ende jedoch selbst Odescalchi zu viel.45 Vor ­diesem Hintergrund verlegten sich die aus merkantilem Milieu stammenden und von ihrer kommerziellen Tätigkeit geprägten Aufsteigergenera­tionen in den meisten Fällen auf die meist weniger kostspieligen zeitgenös­sischen Werke. Bedenkt man, dass die Rezzonico die achtundneunzigste Familie war, die seit 1646 in den Adel aufgenommen wurde und ähn­liche Nobilitierungswellen in ganz Italien zu verzeichnen waren, so ist der Hinweis auf diese spezifischen Marktmechanismen sicher­lich nicht ganz fehl am Platz.46 Damit soll keineswegs einem simplen Materialismus das Wort geredet werden. Es ist ledig­lich darauf zu verweisen, dass die ökonomischen Bedingungen des interna­tionalen Kunstmarktes eine gewisse ästhetische Distink­tion des Neuadels beförderten, die dann durchaus als movens für die weitere Entwicklung der zeitgenös­sischen Kunstszene angesehen werden kann. „Aus der Not eine Tugend machen“ – so könnte das Motto für die neuadligen Investi­tionsstrategien auf dem Kunstsektor gelautet haben, denen auch A ­ urelios Sammlung ihren Aufbau verdankte. Ein passionierter und von ausgeprägt intellektuellen Interessen geleiteter Kunstsammler scheint der Kaufmann jedenfalls nicht gewesen zu sein. Quintiliano klagte, er müsse seine eigenen Kunstkäufe vor dem Onkel geheim halten, da das Unternehmens- und Familienoberhaupt diese Art finanzieller Investi­tionen kaum billigen würde.47 Deshalb mochte Aurelios Sammlung vielmehr dem Wunsch Rechnung tragen, dem horror vacui, den der Anblick leerer Wände hervorzurufen vermag, zu entkommen. Er dürfte sich damit jenem fast zwanghaften Ausstattungsbedürfnis gebeugt haben, dem die venezianische Gesellschaft nach Aussage der eng­lischen Italienreisenden Lady Anna Riggs Miller

44 ASO, II E 8, Brief Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (6. September 1681): […] Tiziano, Veronese, Tintoretto, Palma […] et altri famosi antichi sia perché si discorre solo di migliaia di scudi io non gieli propongo. Bezüg­lich Tintorettos Moses-­Bild schickte Rezzonico eine von Carl Loth angefertigte Zeichnung des Werkes nach Rom, damit sich der Papstneffe einen Eindruck machen konnte. Ebd. (18. Juni 1681). Auf die Aktivitäten Quintilianos auf dem venezianischen Kunstmarkt wird weiter unten ausführ­licher eingegangen. 45 Zur Preisrela­tion vgl. Cecchini, I modi (2007), S. 144. 46 Vgl. dazu Cavaciocchi (Hg.), Economia e arte (2002); Goldthwaite, L’economia (2004). Mit spezifischem Fokus auf Venedig Cecchini, Quadri (2000); Dies., Troublesome business (2006). 47 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (2. September 1679).

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noch hundert Jahre ­später unterworfen war und das sich im überfrachteten Zuhängen der Wände mit Bildern äußerte.48 Denkbar ist außerdem, dass sich der Sammlungsaufbau, über dessen konkreten Beginn keine Angaben verfügbar sind, im Umfeld der kaufmännischen Aktivitäten vollzogen haben könnte. Diese Vermutung äußerte zumindest Isabella Cecchini angesichts der zahlreichen genue­sischen Werke. Cecchini konnte bereits für die Kaufmannsfamilie Lumaga nachweisen, wie eng die geographischen Bezugspunkte familiärer Sammlungstätigkeit mit ihrem geschäft­lichen Ak­tionsradius verbunden waren.49 Bezüg­lich der Kunstsammlungen des genue­sischen Neuadels wurden in jüngerer Zeit ebenfalls analoge Verschränkungen ­zwischen der Provenienz der Werke und den jeweiligen Handelsverbindungen aufgezeigt.50 Im Hinblick auf die inhalt­lichen Sujets bevorzugte Aurelio Rezzonico religiöse Bilder, denn eine beacht­liche Zahl der Gemälde zeigten Marien- und Heiligendarstellungen sowie bib­lische Szenen, wohingegen mytholo­gische Szenen, die in anderen venezianischen Sammlungen dieser Zeit zahlreich nachzuweisen sind, kaum vertreten waren. Hinter diesen thematischen Präferenzen scheint sich eine Persön­lichkeit zu verbergen, die von Quintiliano nicht ohne eine leichte Verbitterung als verhärmt-­misstrauisch und devot-­ frömmlerisch charakterisiert wurde: […] della quale io pure son sempre oppresso per la continua sogge­tione che provo sotto il ­signor mio Zio, il quale d’ogni cosa si insospettisce e l’età lo rende rincresioso e tutto li da fastidio. L’assicuri che io non provo sollievo alcuno; mentre le hore che dovrebbero servire di passatempo, bisogna andar in una Chiesa a far due hore d’ora­tion mentale, e pur bisogna haver pazienza.51

Es ist schwer zu entscheiden, ob diese Charakterisierung nur dem fortgeschrittenen Alter des Unternehmens- und Familienoberhauptes und damit einem Genera­tionenkonflikt geschuldet war. Interessant wäre die Klärung dieser Frage aber im Hinblick auf jene

48 The Venetians cover their walls with pictures, and never think their apartments properly furnished, until they have such as shall fill all the spaces from top to bottom, so as completely to hide the hanging. This being their object, there are in all the collec­tions many more bad pictures than good; and on entering a room, the number of paintings are such, that it is not till after some recollec­tion you can discriminate those pictures that merit atten­tion, from amongst a chaos of glowing colours that sorround them; […]. Lady Ann Riggs Miller: Letters from Italy. Describing the Manners, Customs, Antiquities, Paintings, &c. of the Country, to a friend residing in France, by an English Woman. Vol. III., London 1776, S. 274 f. 49 In Bezug auf die Lumaga vgl. Borean / Cecchini, Microstorie d’affari (2002); in Bezug auf die Rezzonico vgl. Cecchini, Aurelio Rezzonico (2006), S. 308: „La peculiarità della raccolta ­Rezzonico consiste nella volontà di rappresentare un panorama di scuole italiane, fatto che probabilmente si ricollega anche ai legami commerciali con le diverse città rappresentate.“ 50 Vgl. dazu Boccardo (Hg.), L’età di Rubens (2004) und darin insbesondere die Beiträge zu den Familien Balbi, Raggi, Costa, Gavotta und Brignole-­Sale. 51 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (15. Juni 1680).

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heftigen „Kulturkämpfe“ ­zwischen Libertinismus und kirch­lichem Moralismus, ­welche die venezianische Gesellschaft noch bis Mitte des 17. Jahrhunderts kennzeichneten und deren Zeitzeuge Aurelio wurde.52 Auch wenn sich der Kaufmann angesichts seiner sozia­len Stellung und seiner geschäft­lichen Interessen vermut­lich nicht offen posi­tionieren konnte, so stellt sich doch die Frage nach der Prägekraft dieser kulturellen Auseinandersetzungen und somit auch nach den Auswirkungen auf die von den jeweiligen Aufsteigerfamilien vertretenen Sammlungsinteressen. Porträtkunst im Dienste familiärer Distink­tion Zur Sammlung Aurelio Rezzonicos zählten nicht wenige Porträts. Sie gehörten in jedes Sammlungsrepertoire, da ihnen auch die Funk­tion zukam, die soziopolitische Bedeutung der jeweiligen Familie kennt­lich zu machen. Die Konterfeis vor allem historisch bedeutender Personen verdichteten sich idealiter zu „Ahnengalerien“, ­welche die gesellschaft­liche Stellung in genealo­gischer Abfolge zeigten, wie auch ihre familiären und klientelären Bindungen unterstrichen.53 Insbesondere waren es die alten venezia­ nischen Adelshäuser, die ihren distinguierten Status auf diese Weise – und häufig in Konkurrenz zueinander – visualisierten. Als Beispiel sei die Sammlung des Dogen ­Francesco Molin (1646 – 1655) genannt. Die zahlreichen Porträts von Familienmitgliedern an den Wänden ihres Familienpalastes, darunter Senatoren und militärische Heerführer,54 zielte nicht nur auf eine Rekonstruk­tion des Stammbaus ab, sondern vor allem auch darauf, den Status quo ­dieses Zweiges der Molin innerhalb der venezianischen Gesellschaft zu markieren.55 52 Vgl. dazu die exzellente Studie von Muir, Guerre culturali (2008). 53 Eingehend hat dies Diane Bodart für die römischen Adelshäuser und ihre Netzwerke untersucht und ist dabei zu dem Schluss gekommen, „quanto la presenza di ritratti regi all’interno nobiliare possa riflettere le ambizioni dinastiche e politiche di un casato, e i conseguenti giochi di alleanze. Ovvero quanto la presenza del ritratto del re possa essere carica di significato, indipendentemente dai criteri di valutazione estetica.“ Bodart, I ritratti (2001), S. 312. Dies bestätigen auch die Studien von Norlander Eliasson, Batoni’s portraits (2011), ­welche die Sammlung Sforza ­Cesarini in Rom genauer betrachtet und Zitzlsperger, Stumme Diener (2003), der dies anhand der römischen Porträtbüsten des Seicento untersucht. Zu analogen Ergebnissen wie Bodart war bereits Labrot in seiner Untersuchung der Porträts in den Sammlungen neapolitanischer Adelshäuser gekommen. Labrot, Études (1993), S. 203 – 222. Umfassende diesbezüg­liche Studien zu Venedig fehlen bislang. Zur Präsenz von Porträts in den Sammlungen des venezianischen Altund Neuadels vgl. den nur knapp generischen Verweis von Cecchini, Quadri (2000), S. 66: „Ai ritratti conservati nelle dimore patrizie, anche in quelle divenute assai poco benestanti, si avvicinano in numero quelli dei nuovi nobili che cercano di adeguarsi con tutta probabilità ai modelli aristocratici.“ 54 Vgl. das Inventar bei Levi, Le collezioni (1900), Bd. 2, S. 15 f. 55 Zur Instrumentalisierung genealo­gischer Beziehungen im frühneuzeit­lichen Italien vgl. Büchel, Konstruk­tion von Memoria (2004).

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Trotzdem spielten Porträts hinsicht­lich ihres Stellenwerts innerhalb der bildnerischen Sujets und der ästhetischen Wertschätzung eine eher untergeordnete Rolle;56 in Venedig – angesichts des propagierten republikanischen „Staats“-Ethos – vielleicht noch weniger als andernorts. In ­diesem Sinne äußerte sich jedenfalls auch Quintiliano Rezzonico gegenüber dem Papstneffen Livio Odescalchi, als er diesen über den geringen Marktwert, den die Porträts in Venedig erzielten, informierte: […] che si stimano poco quantunque siano di mano squisita, non servendo li ritratti solo per coloro di cui sono ritratti.57 Somit zeigt sich, dass die Porträts, obwohl in jeder Sammlung vertreten, in den meisten Fällen losgelöst vom individuellen Kunstgeschmack des Sammlers betrachtet werden müssen, da sie eben vor allem der Statusmarkierung dienten. Man könnte es auch zugespitzt formulieren: Niemand hängte sich ein Bild mit der Darstellung einer mehr oder weniger bedeutenden Persön­ lichkeit in seinen Palast, nur weil er allein den künstlerischen Wert der Werke schätzte. Diese dezidiert soziopolitische Funk­tion der Porträts muss somit bei der Betrachtung der Rezzonico-­Sammlung berücksichtigt werden, vor allem, da sie bisher keinerlei Beachtung gefunden hat. So stellt sich die Frage, ­welche Statusstrategie diese Familie merkantilen Ursprungs mit der Präsenta­tion der Bildnisse verfolgte, vor allem, da sie weder auf eine reale genealo­gische Tradi­tionslinie verweisen konnte noch auf herausragende Meriten, die sie im Dienste der Serenissima erworben hatte. Das Inventar von 1682 führt insgesamt 16 Bildnisse auf, was ca. 15 % der Sammlung entsprach. Nur in zwei Fällen werden sie einem Künstler zugeschrieben. Aurelio besaß demnach zwei ritratti seines 1672 in Genua verstorbenen Bruders Carlo, die diesen mit Frau und Kindern darstellten, sowie das Bild eines weiteren Bruders namens Giovanni Battista, über den bislang nur bekannt ist, dass er eine geist­liche Karriere eingeschlagen hatte.58 Diese Bilder hingen jedoch weder im portego noch im camerone, den eigent­lichen Repräsenta­tionsräumen, sondern in der camera che serve per studio, das heißt in einem eher semiprivaten Raum, in dem der Kaufmann wohl seinen Geschäften nachging. Des Weiteren befanden sich an d ­ iesem Ort ein Kinderporträt des spanischen Königs Karl II. (1661 – 1700) sowie ein Papstporträt, wobei die Verwendung des bestimmten Artikels im diesbezüg­lichen Eintrag des Inventars (ritratto del papa) darauf schließen lässt, dass es sich um den zu ­diesem Zeitpunkt regierenden Papst Innozenz XI. Odescalchi handelte.59 Unschwer kann ­dieses Porträtensemble mit dem ökonomischen Aufstieg des Familienunternehmens der Rezzonico in Verbindung gebracht werden. In seinem Arbeitszimmer umgab sich Aurelio mit Bildern von Personen, die er offenkundig als für den bisherigen Erfolg, das gegenwärtige Ansehen sowie die weitere Entwicklung des Unternehmens und 56 57 58 59

Norlander Eliasson, Batonis Portraits (2011), S. 222 f. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (9. September 1679). Vgl. Kap. II.1., Anm. 14. Auf den Umstand, dass die Porträts eines zum Zeitpunkt der Abfassung des Inventars regierenden Souveräns in ­diesem häufig nur mit dem bestimmten Artikel, jedoch ohne genaue Namensnennung des Herrschers aufgeführt werden, wie beispielsweise El retrato del Rey, macht auch Bodart, I ritratti (2001), S. 340, Anm. 21 aufmerksam.

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der Familie von zentraler Bedeutung erachtete: seine Brüder (nebst Neffen, wodurch die Hoffnung auf den biolo­gischen Fortbestand zum Ausdruck kam), aber auch den Odescalchi-­ Papst und den spanischen König. Während die Platzierung des Papstporträts im Hinblick auf die bereits erwähnten geschäft­lichen Verbindungen z­ wischen den O ­ descalchi und den Rezzonico keiner weiteren Erklärung bedarf, so ist dagegen die bild­liche Präsenz des spanischen Königs – noch dazu als Kinderporträt – erstaun­lich. Schließ­lich hätte man in Anbetracht der geschäft­lichen Beziehungen der Rezzonico zum Kaiserhof eher ein Porträt Leopolds I. erwarten können. Weshalb Aurelio Rezzonico sich statt des Kaisers den erst seit 1675 nach der Regentschaft seiner M ­ utter Anna Maria von Habsburg amtierenden spanischen König in sein studio hängte, ist beim aktuellen Stand der Forschung nicht zu entscheiden.60 Entweder scheuten die Rezzonico, die seit 1665 immerhin den Titel eines Barons des Heiligen Römischen Reiches führten, eine deut­liche Visualisierung ihrer Reichsbeziehungen, oder sie fühlten sich dem spanischen König mehr verpflichtet. Über die Gründe für diese Präferenz kann nur spekuliert werden, da die geschäft­lichen Beziehungen der Rezzonico nach Spanien und in die süd­lichen Niederlande, die auch über die genue­sische Niederlassung laufen konnten, bisher nicht hinreichend untersucht sind. Mög­licherweise verdankte die Kaufmannsfamilie die Anknüpfung von Geschäftsbeziehungen mit dem Kaiserhof auch ihren Beziehungen zum spanischen Hof (bzw. Anna Maria von Habsburg); oder sie versinnbild­lichten dadurch auf subtile Weise ihre Herkunft aus Como. So wäre es ebenfalls denkbar, dass der Infant Carlos – der einzige Sohn Philipps IV. – die Hoffnung auf den stabilen politischen Weiterbestand des habsbur­gischen Machtbereiches symbolisierte, der das Reich, Spanien, die süd­lichen Niederlande, Mailand und Neapel umfasste und der für die weit gespannten ökonomischen Aktivitäten der Rezzonico von fundamentaler Bedeutung war.61 In jedem Fall brachte Aurelio als Unternehmens- und Familienoberhaupt in seinem studio eher die familiäre Perspektive und somit seine persön­liche bzw. die Erfolgsgeschichte einer „Gründergenera­tion“ zum Ausdruck.62 In den Räumen, die repräsentativen Zwecken dienten, befanden sich hingegen keine Familienporträts, sondern insgesamt zehn Bildnisse der Familie des seit 1676 regierenden 60 Zur Präsenz der Porträts spanischer Herrscher in italienischen Sammlungen vgl. Bodart, Enjeux de la presence (2000). Allgemein zum Verhältnis der italienischen Adelshäuser zu Spanien vgl. ­Spagnoletti, Principi italiani (1996). 61 In d ­ iesem Zusammenhang gilt es auch zu betonen, dass Papst Innozenz XI. Odescalchi gute Beziehungen zu beiden Zweigen der Habsburger unterhielt, während das Verhältnis zu Frankreich (­Ludwig XIV.) in Anbetracht des Gallikanismus äußerst angespannt war. Tatsäch­lich ging mit dem Tod Karls II. im Jahre 1700 eine Epoche zu Ende. Im Spanischen Erbfolgekrieg (1700 – 1714) zerfiel das Imperium. Über die Folgen dieser Ereignisse für die wirtschaft­lichen Aktivitäten der Rezzonico können allerdings keine Aussagen gemacht werden. 62 Die Visualisierung des familiären Selbstverständnisses im merkantilen Milieu stellt ein Desiderat der italienischen Forschung dar, während für den deutschen Bereich, insbesondere im Umfeld der Fugger-­Forschung, durchaus Ansätze für die wissenschaft­liche Durchdringung d­ ieses Problemkreises vorhanden sind. Für Genua vgl. Boccardo / Orlando, I ritratti (2004).

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Papstes Innozenz’ XI . Odescalchi. Sechs davon hingen im portego inmitten der monumentalen Bildwerke Giordanos, Loths und Langettis, wobei die einzelnen dargestellten Personen aber nicht näher identifiziert werden können, denn das Inventar verzeichnet nur lapidar ritratti de personaggi della Casa Odescalchi. Jedoch schon die stark visuelle Präsenz der Papstfamilie in der Empfangshalle lässt den Schluss zu, dass Besucher des Hauses Rezzonico sofort auf die bestehende enge Bindung z­ wischen den beiden Familien aufmerksam gemacht werden sollten. Dieser Eindruck verstärkte sich, wenn der Besucher in den camerone gebeten wurde, Gesellschaftszimmer und Mittelpunkt des familiären Lebens. Zwischen den bereits erwähnten mittel- und kleinformatigen Werken religiösen Inhalts von venezianischen, römischen und florentinischen Künstlern hingen dort jeweils ein Porträt des regierenden Papstes und seines Neffen Livio Odescalchi. Autor der beiden Werke war der 1639 in Antwerpen geborene Jakob Ferdinand Voet.63 Dieser war 1663 nach Rom gekommen, wo er in kürzester Zeit neben Giovanni Maria Morandi, Carlo Maratti und Giovanni Battista Gaulli zu einem der gefragtesten Porträtisten seiner Zeit avancierte.64 Vor allem die freizügigen Darstellungen hocharistokratischer römischer Damen verhalfen ihm auch außerhalb der Ewigen Stadt schnell zu – wenn auch skandalumwittertem – Ruhm. Bevor ihn der sitten­ strenge Innozenz XI. deswegen 1678 aus Rom verwies, hatte Voet aber bereits mehrmals den Papst und seinen Neffen porträtiert.65 Ob das Porträt Livio Odescalchis, das sich heute in der Walters Art Gallery in Baltimore befindet, aus der Sammlung Rezzonico stammt, ist aufgrund seiner bisher ungesicherten Provenienz nicht zu entscheiden. Es kann jedoch als Beleg der künstlerischen Qualität von Voets Arbeiten herangezogen werden. (Abb. 4) Das Brustbild zeigt vor einem dunklen Hintergrund den Papstnepoten, dessen Blick den Betrachter eindring­lich zu fixieren scheint. Darin liegt eine solch suggestive Anziehungskraft, durch die es dem Maler gelingt, dem Dargestellten eine starke phy­sische Präsenz zu verschaffen. Es ist leicht vorstellbar, dass ein solches Werk die Blicke der Besucher auf sich zog, zumal es offenbar das einzige Porträt des Malers in einer venezianischen Sammlung war.66 63 Das Inventar verzeichnet beide Bilder als Werke des Malers Ferdinando Woett. Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 187, Anm. 63 führt die beiden Porträts zwar auf, kann sie jedoch keinem Künstler zuordnen, denn es sei ein „nome sconosciuto ai repertori, almeno in questa grafia.“ 64 Zu Voet vgl. v. a. Petrucci, Gaulli, Maratti e Voet (1996); Montanari, Jacob Ferdinand Voet (1996); Petrucci, Ferdinand Voet (2005). 65 Einige dieser Porträts haben sich erhalten. In Mailand, Museo Poldi Pezzoli, Inv. 115 und München, Staatsgemäldesammlung, Inv. 168: Porträts des Kardinals Benedetto Odescalchi. In Rom, Museo di Roma, Inv. MR 45716 und Baltimore, Walters Art Gallery, Inv. Nr. 37.371: Porträts Livio ­Odescalchis. Zwei weitere, heute nicht genau zu lokalisierende Porträts des Papstes und seines Neffen befanden sich im Palazzo Chigi Odescalchi in Rom (abgebildet bei: Petrucci, Ferdinando de’ ritratti [2002], S. 31, Abb. 10; Ders., Ferdinando Voet [2005], S. 146, Kat. 28; Ders. [Hg.], Ferdinando Voet ritrattista [2005], S. 23, Kat. 11). 66 Zumindest fand sich in keinem der durchgesehenen Inventare ein Hinweis auf die Existenz weiterer Porträts von Voet in Venedig.

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4 Ferdinand Voet, Livio Odescalchi, vor 1678, Baltimore, Walters Art Gallery

Schließ­lich findet sich im Schlafzimmer Aurelios, neben dem bereits erwähnten Papstbildnis in seinem studio, noch ein Odescalchi-­Porträt. Es ist im Inventar als ritratto del Cardinal Odescalco aufgelistet – ohne Angabe eines Künstlers. Da bis ins 18. Jahrhundert hinein Benedetto Odescalchi der einzige Kardinal seiner Familie war, muss es sich hier um ein weiteres Porträt des späteren Papstes gehandelt haben. Stellt man die Frage, worauf die starke virtuelle Präsenz der Odescalchi-­Familie im Haus der Rezzonico zurückzuführen ist, so ist die Antwort in dem Versuch der Rezzonico zu suchen, aus ihren ehemals auf den Erwerb ökonomischen Kapitals zielenden Beziehungen zu den Odescalchi nun, da ihre früheren Geschäftspartner einen außerordent­lichen Statussprung vollzogen hatten, sozia­les Kapital zu schlagen. Denn mit dem Konklave von 1676 hatte sich das Verhältnis der beiden Familien zueinander gewandelt: Aus den geschäft­ lichen Verbindungen war ein klienteläres Verhältnis der Rezzonico zu einer regierendenden Papstfamilie geworden. Auf das enge Verhältnis Livio Odescalchis zu ­Quintiliano und dessen Bruder Abbondio wurde bereits im Zusammenhang mit der Aggregierung der Rezzonico hingewiesen. Und auch z­ wischen anderen Mitgliedern der beiden Familien gab es Verbindungen: so war Livios in Como lebende Schwester Paola für Quinitilianos Halbschwester Elisabetta più che madre, als diese sich vor ihrem Eintritt ins Kloster (1685) einige Zeit in der Obhut Paolas befand.67

67 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (14. August 1686).

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Ebenso wurde bereits dargestellt, dass sich das enge Verhältnis der Rezzonico zu der regierenden Papstfamilie auch ökonomisch auszahlte: Die seit 1676 günstige „Beziehungskonjunktur“ hatte dazu geführt, dass die Rezzonico ein Jahr vor Aurelios Tod mit dem Transfer von Hilfsgeldern für den Krieg gegen die vor Wien liegenden Türken betraut wurden. Da der türkische Angriff 1683 erfolgreich abgewehrt werden konnte, bedeutete dies für die Rezzonico einen weiteren Prestigegewinn, der dann die Mög­lichkeit des Status­ sprungs in den venezianischen Adel eröffnete. Doch das explizite Bekenntnis der Rezzonico zur Papstfamilie, das die Porträts an den Wänden ihrer Residenz alles andere als diskret versinnbild­lichten, war in Venedig nicht unproblematisch. Mit der damit bekundeten Nähe zu Rom bezogen sie innerhalb der venezianischen Gesellschaft eine deut­liche Posi­tion, da die Serenissima gerade in Bezug auf kirchenpolitische Entscheidungen unablässig mit dem Papsttum rang. Sich in Venedig zu einer regierenden Papstfamilie zu bekennen hieß gleichzeitig, in die Nähe der papa­ listi, den Rom zugeneigten Familien, gerückt zu werden.68 Diese Problematik wird im Folgenden noch mehrmals und insbesondere im Hinblick auf die Karrieremög­lichkeiten der Rezzonico nach ihrer Nobilitierung zu thematisieren sein. Angesichts der im Rahmen der Türkenkriege günstigen politischen Konjunktur der 1680er Jahre, die zu einem relativ engen Zusammengehen der Serenissima und Roms führte, erschien die Adap­tion einer auf die visuelle Verbindung mit der regierenden Papstfamilie zielenden Statusstrategie wohl aber durchaus Erfolg versprechend. Quintiliano Rezzonico und der Ausbau der Sammlung Die eigent­lich treibende Kraft bezüg­lich des Aufbaus der Sammlung stellte jedoch A ­ urelios Neffe Quintiliano dar, dessen Interesse für den Kunstmarkt bereits angedeutet wurde. Noch minderjährig war der 1651 in Genua geborene Spross zu seinem Onkel zur Ausbildung nach Venedig geschickt worden, wo er nach dem Tod seines Vaters (1672) auch in die Geschäfte des Handelshauses eingeführt wurde. Selbstverständ­lich partizipierte er auch an jenen engen (Geschäfts-) Beziehungen, w ­ elche die Rezzonico mit den O ­ descalchi verbanden. Spätestens seit 1676 hatte sich z­ wischen Quintiliano Rezzonico und Livio O ­ descalchi vor allem auch im Zusammenhang mit den Kunstankäufen des Papstnepoten eine intensive Beziehung entwickelt. Dies belegt nicht zuletzt die Korrespondenz Q ­ uintilianos mit dem Papstnepoten.69 Denn als welt­licher Nepot des ab 1676 regierenden Pontifex lag es 68 Zur Stellung der papalisti innerhalb des venezianischen Patriziats am Beispiel der Familie Corner grundlegend: Barcham, Grand in Design (2001). 69 Die Korrespondenz, die für diese Arbeit noch im Familienarchiv der Odescalchi in Rom eingesehen wurde, befindet sich heute im Archivio di Stato in Rom. Erhalten sind ledig­lich die Briefe Quintiliano Rezzonicos. Der erste Brief Quintilianos an Livio, der die Ankäufe von Kunstwerken thematisiert, ist auf den 16. Mai 1676 datiert. Der Briefwechsel ­zwischen Quintiliano Rezzonico und Livio Odescalchi beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Kunsteinkäufe, sondern betraf

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in Livios Hand, den Aufstieg des Hauses Odescalchi in die Reihe der Herrscherfamilien auch visuell in Szene zu setzen. In kürzester Zeit wurde er zu einem der bedeutendsten Mäzene des 17. Jahrhunderts, wobei bezüg­lich der venezianischen Erwerbungen Q ­ uintiliano Rezzo­nico für ihn eine Schlüsselrolle spielen sollte.70 Andererseits betätigte sich aber auch der Papstneffe als Mittler für Rezzonicos Kunstkäufe in Rom. Die Briefe Quintilianos sind daher nicht nur im Hinblick auf dessen umtriebiges Agieren auf dem venezianischen Kunstmarkt von Belang, sondern sie enthalten ebenfalls entscheidende Hinweise bezüg­lich seiner Vorstellungen zum Auf- und Ausbau der eigenen Sammlung. Denn seit 1679 schien sich das Interesse Quintilianos an einer prononcierteren künstlerischen Akzentuierung der Sammlung seines Onkels verstärkt zu haben. Dies dürfte nicht zuletzt mit einer Romreise in Verbindung stehen, auf der er auch die Sammlung der Papstfamilie Borghese besichtigte.71 Dieser Rombesuch, bei dem der junge Kaufmann den enormen Repräsenta­tionsaufwand römischer Adelsfamilien in Augenschein nehmen konnte, wirkte, wie zu sehen sein wird, außerordent­lich inspirierend. Die Vermutung liegt nahe, dass er Aurelio nach seiner Rückkehr darin bestärkte (oder ihn sogar bedrängte), für das Prestige der eigenen Familie stärker Sorge zu tragen und dementsprechende Investi­tionen zu tätigen – nicht zuletzt, um die eigene Rolle als Angehörige der Klientel einer regierenden Papstfamilie stärker zu betonen. Mög­licherweise ist auch der Umzug in den Palazzo Sagredo im Mai 1680 als eine unmittelbare Folge der Romreise anzusehen.72 Im Hinblick auf die kunsthändlerischen Aktivitäten Quintilianos, die offensicht­lich mehr und mehr ins Zentrum seines persön­lichen Interesses rückten, dürfte es auch von Bedeutung sein, dass die Rezzonico den neuen Palazzo zusammen mit dem venezianischen Kaufmann Simon Geschäftsinteressen jeg­licher Art. Der Briefwechsel währte mindestens bis 1709; das bislang bekannte letzte Schreiben stammt vom 15. Mai 1709. Auszüge aus dieser Korrespondenz wurden bereits von Marco Pizzo publiziert, vgl. Kap. I, Anm. 44. Zum Mäzenatentum Livio Odescalchis vgl. Costa, Livio Odescalchi (2014). 70 Livio Odescalchi wurde Mitte des 17. Jahrhunderts als Sohn Carlo Odescalchis und Beatrice ­Cusanis in Como geboren. Die Angaben zu seinem Geburtsjahr differieren z­ wischen 1645, 1655 und 1658. Vgl. Pizzo, Far galleria (2000), S. 43; Ders., Livio Odescalchi (2002), S. 119; Walker, The Sculpture Gallery (1994), S. 189; Menniti Ippolito, Innocenzo XI, beato (2000), S. 371; Costa, Livio Odescalchi (2014), S. 411. Nach dem Tod seines Vaters (1673) folgte er seinem Onkel, Kardinal Benedetto Odescalchi, nach Rom. Livio Odescalchi blieb Zeit seines Lebens ledig. Obwohl die oben angeführten Studien seine bedeutende Rolle als Kunstsammler und Mäzen herausgearbeitet haben, ist seine Person nach wie vor nur in Konturen fassbar. Das von Walker, The Sculpture Gallery (1994), S. 189, Anm. 1 angeführte Forschungsprojekt, das neben kunsthistorischen Fragen auch die historische Person Livio Odescalchis zum Gegenstand haben sollte, scheint bislang noch keine Ergebnisse veröffent­licht zu haben. Zu Livio Odescalchi vgl. auch Kapitel II.1. und Kap. II.5. der vorliegenden Arbeit. 71 Mög­licherweise hielt sich Quintiliano im Oktober 1679 in Rom auf, da ­zwischen Oktober 1679 und Mitte März 1680 keine Briefe an Livio Odescalchi überliefert sind. Der nächste Brief datiert auf den 23. März 1680. Darin bezieht sich Quintiliano explizit auf die von ihm besichtigten Skulpturen in der Sammlung Borghese. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (23. März 1689). 72 Vgl. Kap. II.6., Anm. 11.

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Giogalli anmieteten,73 der ebenso aktiv in den venezianischen Kunsthandel involviert war.74 Schließ­lich aber zeigt besonders das Beispiel der von Quintiliano bei Ercole Ferrata in Auftrag gegebenen Skulptur eines Ercole che strozza i serpenti in cuna, wie sehr dem Rezzonico-­ Spross daran gelegen war, seine Tätigkeit auf dem Gebiet des Kunsthandels in ein veritables Mäzenatentum zu transformieren und der Sammlung seiner Familie einen unverwechselbaren und prestigeträchtigen Charakter zu verleihen. Wie Simone Guerriero überzeugend nachweisen konnte, handelt es sich bei d­ iesem Werk um jene kleinformatige Marmorfigur, die 1987 auf einer Versteigerung bei ­Sotheby’s zum Verkauf stand.75 Das antike Bildsujet des kleinen Herkules, dem der mytholo­gischen Quelle zufolge die auf ihren Gatten eifersüchtige Göttin Hera zwei Schlangen schickte, ­welche von dem Säugling jedoch in der Wiege erwürgt wurden, war in Renaissance und Barock erneut auf Interesse gestoßen.76 Ferratas Herkules sitzt auf einem kleinen, wiegenähn­ lichen Bett, aus dem er sich, wohl von der Schlange überrascht, gerade aufgerichtet hat. Mit angezogenen Beinen und nach hinten gebeugtem Körper drückt er das sich um ihn windende Reptil entschlossen von sich. Die herausragende Qualität des Werkes zeigt sich vor allem in der expressiven Gestaltung des Gesichtes, auf dem sich eindrück­lich die große körper­liche Anstrengung widerspiegelt. (Abb. 5) Anfang Oktober 1679 hatte Quintiliano Rezzonico dem Papstnepoten geschrieben, daß er Ercole Ferrata mit dieser Marmorskulptur beauftragen wolle und bat ihn dabei um Unterstützung. Denn die Statue sollte das Pendant zu einem von Giusto Le Court geschaffenen Amor sdegnato bilden, der sich bereits in Quintilianos Besitz befand. Le Court hatte ihm die zweite Figur schon zugesagt, als sein plötz­liche Tod das Projekt zum Erliegen brachte.77 Als 73 ASVe, Dieci Savi alle Decime, b. 263, nr. 9600 (21. Dezember 1685). 74 Vgl. Borean / Cecchini, Microstorie d’affari (2002), S. 50; Tucci, Un mercante veneziano (2008), bes. S. 241 – 269. Giogalli handelte auch mit Werken Luca Giordanos. 75 Guerriero, Il collezionismo (2007), S. 56, Abb. 10. Bereits Bacchi, La scultura (1996), S. 804 führt die Skulptur unter den Werken Ercole Ferratas auf und gibt als Provenienz Venedig an, ohne sie jedoch mit den Rezzonico in Verbindung zu bringen. 76 Ein qualitativ herausragendes Werk aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. befindet sich in den Kapitolinischen Museen in Rom. Im 16. Jahrhundert findet das Thema v. a. in Kleinbronzen seinen Niederschlag (Exponate u. a. in Venedig, Museo Correr; Wien, Kunsthistorisches Museum; New York, Metropolitan Museum, Robert Lehmann Collec­tion). Im 17. Jahrhundert wird es u. a. von Alessandro Algardi und Tommaso Fedeli aufgegriffen (Burghley House, collec­tion The Marchesse of Exeter; Madrid, Prado). Aufgelistet und abgebildet in Musei Capitolini (2000), S. 52; Bacchi / Zanuso, La scultura (1996), S. 773, 801, Abb. 73, 365; Montagu, Alessandro Algardi (1985), S. 405 – 410; Mariacher, Bronzetti (1961), Abb. 96; Scholten, The Robert Lehman Collec­tion (2011), S. 165, Nr. 131. 77 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonicos an Livio Odescalchi (7. Oktober 1679): Stante la morte del Signor Giusto, che sia in cielo, resta il primo puttino che mi doveva fare per accompagnare un altro di sua mano, che rappresenta un amore sdegnato, era un Hercole bambino quando, in fascie, strozzò i serpenti. Io di questo ne scrivo a Monsignor Peregrino, non per altro se non ardisco di incomodare V. E. non havendo tali meriti, come desideravo di farlo far costi da Hercole Ferrata, onde io d’altro non sup­ plico la benignità di V. E. che di protegger l’opera, a caso che lo scultore si risolva di farlo; così avrebbe di ­favorirmi, se fosse possibile, d’indurre il Signor Cavalier Bernino di darli un’occhiata acciò l’opera

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5 Ercole Ferrata, Herkules in der Wiege, 1679, Privatbesitz

Quintiliano sich daraufhin an Ferrata gewandt hatte, zeigte sich dieser nicht gleich bereit, den Auftrag des Venezianers anzunehmen, so dass es sich bei der Bitte Quintilianos um Fürsprache Odescalchis durchaus nicht um eine rhetorische Höf­lichkeit handelte. Die wiederholten diesbezüg­lichen Gesuche beim Papstnepoten, die sich bis zur Fertigstellung des Werkes fortsetzen sollten, erlauben einige Rückschlüsse auf jene Ambi­tionen, die Quintiliano Rezzonico mit d ­ iesem, für seine damaligen Verhältnisse überaus ehrgeizigen Projekt hegte. Mit Bezug auf die von Gianlorenzo Bernini geschaffene Skulpturengruppe „Apoll und Daphne“ sowie den „David“ (Werke, die Quintiliano während seines römischen Aufenthalts in der Galleria Borghese gesehen hatte) beklagte Rezzonico den Tod Le Courts, da

riuscirebbe più perfetta, la supplico humilmente a perdonare l’ardire. Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Figur des Amor sdegnato um den Amor Puttino che rompe l’arco handelte, den die Inventare von 1685 und 1686 aufführen. Zu Le Court siehe unten.

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es seiner Meinung nach in Venedig keinen Bildhauer mehr gebe, der Bernini auch nur annähernd entspreche.78 Somit war es nur konsequent, sich auf der Suche nach Ersatz direkt nach Rom zu wenden, zumal die römische Bildhauerschule Vorbildcharakter für ganz Europa hatte.79 Doch Berninis künstlerisches Ansehen spiegelte sich auch im Preis seiner Werke wider.80 Schon deshalb dürfte er für Quintiliano nicht in Frage gekommen sein. Berninis Honorar hätte seine finanziellen Mög­lichkeiten überstiegen, zumal Aurelio Rezzonico die Ausgaben seines Neffen offenbar streng überwachte. Ercole Ferrata, auf den Quintilianos Wahl nun fiel, gehörte jedoch zum unmittelbaren Umkreis Berninis. 1647 war er nach Rom und kurze Zeit s­ päter mit Bernini in Kontakt gekommen, der ihn sofort mit Reliefarbeiten für Sankt Peter betraute. Damit war der Grundstein einer kontinuier­lichen Zusammenarbeit gelegt, die bis zum Tod Berninis am 28. November 1680 andauerte. Obwohl Ferrata durch die Zusammenarbeit mit Bernini eng an dessen Klien­tel gebunden war, hatte er sich durchaus einen eigenen Auftraggeberkreis aufgebaut, darunter die beiden Papstfamilien Pamphili und Altieri. Die Pamphili beauftragten ihn unter anderem mit umfangreichen Arbeiten für ihre Patronatskirche Sant’ Agnese an der Piazza Navona, während er für die Altieri die Statue Clemens’ X. Altieri für dessen Grabmal in Sankt Peter schuf. Dass der Parvenü Quintiliano Rezzonico den renommierten Bildhauer zur Anfertigung eines wenn auch nur kleinen Werkes bewegen wollte, zeugt von großen Ambi­ tionen und könnte durchaus auch durch die gemeinsame Herkunft von Auftraggeber und Künstler motiviert gewesen sein. Denn Ferrata war 1610 in Pellio Inferiore geboren worden, einem kleinen Ort in der Nähe Comos. Von dort war er, wie die Rezzonicos, nach Genua aufgebrochen, wo er seine Ausbildung erhielt, bevor er über Neapel nach Rom gelangte. Aber noch Ferratas Grabinschrift in der lombardischen Na­tionalkirche SS. Ambrogio e Carlo al Corso in Rom erinnert an den Künstler als einen Comascher Bildhauer.81 Wohl nicht zuletzt durch die Vermittlung Livio Odescalchis ließ sich Ferrata schließ­lich doch dazu bewegen, die von Rezzonico gewünschte Skulptur auszuführen. Allerdings war auch die Realisierung des Auftrages mit zähen Verhandlungen verbunden. Anfäng­lich hatte Rezzonico dem Künstler 100 Scudi für seine Arbeit geboten, doch dann erschien ihm dieser Preis in Anbetracht des kleinen Formats der Skulptur unangemessen hoch, zumal sich während der Arbeit herausstellte, dass der Marmorblock schwarze Flecken aufwies. Schlussend­lich willigte er jedoch ein, die vereinbarte Summe zu zahlen,82 lebte

78 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (23. März 1680): […] ben è vero che sendo mancato il Sig. Giusto, qui non abbiamo uomo che possa paragonarsi. 79 Bereits 1631 gab es Versuche seitens der Serenissima, Bernini als Bildhauer für die Votivkirche Santa Maria della Salute, dem prestigträchtigsten öffent­lichen Bauprojekt jener Zeit, zu verpflichten, was allerdings nicht gelang. Hopkins, Santa Maria della Salute (2000), S. 14 f. 80 Vgl. Zitzlsperger, Gianlorenzo Bernini (2002), bes. S. 98. 81 Zu Leben und Werk Ercole Ferratas (1610 – 1686) vgl. Boehman, Maestro Ercole Ferrata (2009). 82 Die Verhandlungen über den Preis ziehen sich wie ein roter Faden durch die ­zwischen dem 20. Januar und dem 1. Juni 1680 datierenden, an Odescalchi gerichteten Briefe Rezzonicos. Und offenbar war Ferrata anfangs auch nicht bereit, den Preis von 100 Scudi zu akzeptieren.

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aber in der ständigen Angst, das Werk könne nicht zur vollsten Zufriedenheit ausfallen. Wiederholt bat er Odescalchi, er möge dafür sorgen, dass Bernini persön­lich die Arbeit an der Skulptur begutachte.83 Denn der prestigeträchtige Auftrag hatte sich in Venedig bereits herumgesprochen, so dass Rezzonico unter hohem Erwartungsdruck stand. Umso wichtiger war es ihm, dass die mit Spannung erwartete Skulptur auch schnellstmög­lich vollendet wurde. Angesichts der offenbar stagnierenden Arbeit am Werk wandte sich Quintiliano am 9. März 1680 abermals besorgt an Odescalchi, damit dieser die ihm eigene Autorität ins Feld führte: […] pero V. E. è il Padrone et a lei mi rimetto, vendendo che se Ella non vi frappone la sua autorità, e mezzo, il negotio non haverà effetto; che mi spiacerebbe per la voce sta fuori d’alcuni Cavalieri miei amici, che la stano attendendo.84

Gleichzeitig argwöhnte der in Venedig ungeduldig harrende Auftraggeber, dass der eine eigene Werkstatt führende Ferrata die Herstellung der Herkules-­Figur gänz­lich an einen seiner Schüler abgeben könne. Dies war im künstlerischen Werkstattbetrieb durchaus üb­lich, weshalb Quintiliano auch nicht erwartete, che sia fatta dal principio del rozzo sasso sino al fine di suo [Ercole Ferrata] pungo, ma basta sia ridotta al perfetto da lui e che sotto si ponga il suo nome.85 Doch er wollte ein authentisches Werk des Meisters, der nach Quintilianos Aussagen von den in Venedig tätigen Bildhauern besonders für seine kleinformatigen Arbeiten sehr geschätzt wurde.86 Deshalb legte er großen Wert darauf, dass Ferrata die Skulptur am Ende signieren würde, wodurch, so hoffte er, der Künstler auch zu sorgfältigerer Arbeit animiert werde.87 Dieser drängende und wiederholt vorgebrachte Wunsch nach einer gut sichtbaren Signatur am Sockel des Werkes war offensicht­lich von mehreren Erwägungen bestimmt: Einerseits wurde dadurch die Authentizität der Skulptur unterstrichen, andererseits wurde der Betrachter unmissverständ­lich auf die römische Provenienz des Werkes hingewiesen. Letzteres war Quintiliano mindestens ebenso wichtig wie die Qualität der Arbeit. Denn die Herkules-­Skulptur sollte nicht nur einen herausragenden Platz in seiner Sammlung einnehmen, sondern noch einen weiteren Zweck erfüllen, der sich wiederum aus der Korrespondenz ­zwischen Quintiliano und Livio Odescalchi erschließen lässt.

83 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (6. Januar 1680). 84 Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (9. März 1680). 85 Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (20. Januar 1680). Zu den Werkstattpraktiken Ferratas vgl. Boehman, Maestro Ercole Ferrata (2009), S. 320 – 322. 86 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (10. Februar 1680). Bezüg­lich großformatiger Arbeiten wurden nach Aussage Quintilianos die Werke des ebenfalls in Rom tätigen Domenico Guidi bevorzugt. 87 […] e mi preme sopra il tutto che nella base vi sia scritto il nome del Sig.r Ferrata, per che questo darà ­stimolo al med. di lavorar con più applica­tione. Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (8. Juni 1680). In seinem Schreiben vom 5. (oder 9.?) Juli 1680 wiederholt Quintiliano diesen Wunsch.

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Im Zusammenhang mit einer Bestellung von Bronzewaffen, die Livio Odescalchi über Quintiliano bei der venezianischen Bronzegießerfamilie Alberghetti in Auftrag gegeben hatte,88 schickte der Papstneffe eine Zeichnung seines Familienwappens nach Venedig. Das Wappen sollte auf einer der Kanonen als Relief dargestellt werden. Dies inspirierte Quintiliano dazu, an dem in Arbeit befind­lichen Birnenholzsockel für die Präsenta­tion der Herkulesfigur nicht nur sein eigenes, sondern auch das Wappen der Papstfamilie anbringen zu lassen, wobei die von Odescalchi übersandte Zeichnung als Vorlage diente: Accluso ho visto il dissegno [sic!] dell’arma della sua Casa […] e tanto mi è piaciuta che invece della mia arma che pensavo di mettere nel piedestallo di pero per il puttino del Sig. Ferrata, voglio mettervi quella di V. E. farla fare della grandezza per appunto del dissegno inviato che mi piace assai; e voglio farla gettar in bronzo, e dorarla, e sotto in piccolo vi farò poi fare la mia, col moto SIC TUTA VIVES che mi pare non starà male.89

Die so am Sockel inszenierte Darstellung beider Familienwappen verwies nicht nur auf die enge Beziehung z­ wischen den beiden Familien. Größenrela­tion und Anordnung der beiden Wappen brachten deut­lich die klienteläre Abhängigkeit der Rezzonico von der regierenden Papstfamilie zum Ausdruck.90 Unterstrichen wurde diese Beziehung noch durch das Motto „SIC TUTA VIVES“, das im venezianischen Kontext durch seine lexika­lische Botschaft „So wirst du sicher leben“ noch eine besondere Brisanz bekam: Im Schutze des mächtigen römischen padrone sollte die Familie sicheren Aufstieg finden. Somit stellten sich die Rezzonico bereits vor ihrer Nobilitierung 1687 über ihre Kunstsammlung als Familie mit ausgesprochen engen Romkontakten dar, wobei sie diese nicht zurückgezogen, sondern in einem gewissermaßen halböffent­lichen Raum durch die Präsenta­tion ihrer Sammlung manifestierten. In d ­ iesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass sie gerade in diesen Jahren aufgrund ihrer finanziellen Vermittlungsstellung in den Türkenkriegen im Fokus des öffent­lichen Interesses bzw. in der Gunst west­licher Herrscherhäuser stand. Tatsäch­lich versäumten weder der spanische noch der kaiser­liche Botschafter, der Familie am Canal Grande 1682 ihre Aufwartung zu machen und den familiären Status quo anhand der Sammlung und nicht zuletzt anhand von Ferratas Herkules in Augenschein zu nehmen.91 Ein weiterer Blick auf die dynamische Entwicklung hinsicht­lich der

88 Zur Waffensammlung der Odescalchi vgl. Barberini, La collezione (2007). Zur Bronzegießer­ familie Alberghetti, deren Werkstatt maßgeb­lich an der Waffenproduk­tion Venedigs beteiligt war, vgl. Avery, State and private bronze foundries (2003). 89 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (2. November 1680). 90 Zur heraldischen Symbolsprache vgl. die grundlegende Studie von Reinhard, Sozia­lgeschichte (1979), der eine solch betonte Inszenierung klientelärer Beziehungen durch Allianz- und Devo­ tions­wappen in zahlreichen Fällen belegt. 91 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (20. Juni und 12. Dezember 1682).

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künstlerischen Ausstattung ihres Wohnsitzes macht darüber hinaus deut­lich, dass sie sich auch auf der repräsentativen Ebene für eine Statusaufwertung wappneten. Anhand der beiden in den Jahren 1685 und 1686 erstellten Inventare ist klar zu erkennen, dass Quintiliano nach dem Tod Aurelios 1682 sowohl mit einer Neuordnung der Sammlung als auch mit deren Erweiterung beschäftigt war. Als Agent Odescalchis ohnehin in den venezianischen Kunsthandel involviert, verfügte er über entsprechende Voraussetzungen, verstärkt in den „Prestige-­Sektor“ zu investieren. Sicher­lich spielte dabei auch bereits der Gedanke an eine mög­liche Nobilitierung der Familie eine Rolle, denn im Zuge der Morea-­Kriege wurde von Seiten der Serenissima seit 1684 eine neuer­liche Öffnung des Goldenen Buches in Erwägung gezogen. In nur drei Jahren verdoppelte Quintiliano Rezzonico den Gemäldebestand der Sammlung: Im Gegensatz zu den 95 Bildern, die sich 1682 im Besitz seines Onkels befunden hatten, listete 1686 das Inventar 185 Gemälde auf.92 Schon im portico hatte sich die Anzahl der ausgestellten Werke vervielfacht. Hingen dort zu Aurelios Lebzeiten insgesamt 14 Bilder, waren es nunmehr 26 Gemälde. Zu den Odescalchi-­Porträts und den beiden Werken Luca Giordanos waren drei weitere Werke des neapolitanischen Malers hinzugekommen und das, obwohl Quintiliano die stetige Preissteigerung von dessen Arbeiten bereits zu einem früheren Zeitpunkt heftig beklagt hatte:93 Neben einer vom Format her kleineren Madonna con diversi Angioletti, e figure, che scherzano con nostro Signore handelte es sich um eine Darstellung der Guerra de Lapeti und einer Testa di Medusa con Perseo, beides großformatige Werke, deren Sujets mög­licherweise als subtiler Verweis auf die Türkenkriege gedacht waren. Dazu kamen weitere Werke Giovanni Battista Langettis, Diogene nella Botte und Maria Maddalena che si pettina, sowie Bernardo Strozzis, dessen Mappamondo, e libri sopra tavolo eines jener Stillleben darstellte, für die der Maler nach Auffassung Q ­ uintilianos besonders geschätzt wurde.94 Auch alle anderen im portico hinzugefügten Gemälde waren Werke italienischer oder flämischer Künstler des 17. Jahrhunderts. Den Besuchern der ­Rezzonico präsentierte sich der portico bereits als kleine Galerie der zeitgenös­sischen Malerei des 17. Jahrhunderts, die auf die folgenden Wohnräume einstimmte. Dort hatte sich die Anzahl der Gemälde ebenfalls beträcht­lich erhöht. Im angrenzenden camerone hingen statt der ursprüng­lichen zehn Bilder (acht Gemälde sowie die beiden 92 ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 11120, fol. 72r–92v. 93 So schrieb er bereits 1679, er habe für eine halbfigurige Darstellung San Felices 150 Scudi zahlen müssen. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (6. Januar 1679). Keinen Monat ­später teilte er dem Papstnepoten mit, dass Aurelio zwei Bilder con figure al naturale Giordanos besaß, die ihn zusammen mehr als 1000 Scudi gekostet hätten. Ebd. (20. Januar 1679). Gleichzeitig sah er aber auch den Investi­tionswert der Gemälde. Zwei Jahre ­später, am 13. Februar 1681 schrieb er an Odescalchi: Le confermo come li quadri di Giordano de Napoli qui sono in gran stima […] e mi rallegro che V. E. ne tenga uno che col tempo potrà valer molto più di quello li costa e particolarmente se venisse a morte il virtuoso. 94 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi, (19. August 1679): Bernardo Strozzi […] il quale è stato valente uomo in far tappeti, mapamondi, armature, cristalli, orologi, fornimenti di spada ed altre galanterie.

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Porträts des Papstes und seines Neffen) nun insgesamt 16 Werke an den Wänden. Auffällig ist, dass es sich bis auf ein Paese con una figura e animali eines gewissen Orlandini und ein Früchte-­Stillleben von einem nicht näher benannten Maler ausschließ­lich um Werke religiösen Inhalts handelte. Dieser thematische Fokus, welcher schon die Sammlung unter Aurelio gekennzeichnet hatte, setzte sich auch in den anderen Räumen fort. Auch lag der Schwerpunkt von Quintilianos Sammlung weiterhin auf Werken der bereits aufgeführten venezianischen oder in Venedig tätigen ausländischen Künstler,95 was darauf hinweist, dass der Neffe schon zu Lebzeiten seines Onkels deren Zusammensetzung mitbestimmt haben könnte. Bereits im Hinblick auf die Ferrata-­Skulptur ist deut­lich geworden, dass Quintiliano auf eine besondere Konturierung der Kunstsammlung abzielte. Hinzu kam, dass die Inventare von 1685 und 1686 nun nicht mehr nur Gemälde, sondern auch zeitgenös­sische Skulpturen, Tonmodelle sowie Zeichnungen auflisteten.96 Die Absicht, im Palazzo Sagredo eine veritable galleria aufzubauen, um dort nicht nur weitere Bilder, sondern vor allem auch Ferratas Herkules und andere Skulpturen wirkungsvoll präsentieren zu können, hegte Quintiliano Rezzonico bereits 1681. Schon im Februar jenes Jahres schrieb er an seinen padrone in Rom: La Galleria deve haver un poco di tutto, per far un bel sortimento.97 Wie sah es jedoch mit den räum­lichen Mög­lichkeiten für die Präsenta­tion der Werke aus? Die Tendenz zur Herausbildung eines autonomen Raumes zur Ausstellung von Kunstwerken kann man im 17. Jahrhundert in ganz Europa beobachten.98 Nur in den venezianischen Palästen bildete sich kein eigenständiger Raumtyp als Ausstellungsort der Sammlungen heraus, was nicht weiter verwundert, wenn man sich die besondere urbanistische Situa­ tion der Stadt und den damit verbundenen notorischen Mangel an Baugrund vor Augen hält. Stattdessen widmete man Räume in ihrer Funk­tion um, so dass sie einen Großteil der Sammlungen aufnehmen konnten und bezeichnete diese dann als galleria della pittura, galleria dei quadri oder einfach nur galleria.

95 Durchbrochen wurde diese Konstante nur von einigen wenigen Werken des Cinquecento, zu denen neben dem bereits 1682 vorhandenen Porträt Paris Bordones auch drei Werke der Malerfamilie Bassano und eine Kopie Antonio da Correggios zählten. 96 Es ist davon auszugehen, dass diese Inventare auch Werke verzeichnen, die Quintiliano bereits vor Aurelios Tod erworben hatte, die aber im Inventar von 1682 nicht aufgelistet wurden, weil sie nicht dem Onkel, sondern dem Neffen gehörten. So fehlt im Inventar von 1682 die Skulptur Ferratas, die sich zu d ­ iesem Zeitpunkt allerdings schon in Venedig befunden haben muss. Im Hinblick auf die im Inventar erwähnten Zeichnungen sei außerdem angemerkt, dass man just in diesen Jahren begann, Zeichnungen in Sammlungen zu integrieren. Herausragende Beispiele dafür sind die Sammlungen von Pater Sebastiano Resta, Christina von Schweden und Kardinal Leopold de’ Medici. Auch Carlo Ridolfi scheint eine Sammlung von Zeichnungen besessen zu haben. Aikema, Collezionismi (2005), S. 34; Borean, „Desegni e stampa de rame“ (2002). 97 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (13. Februar 1681). 98 Zur Herausbildung der Galerie als eigener Raumtypus: Prinz, Die Entstehung der Galerie (1970); Büttner, Zur Frage der Entstehung (1972); Strunck, Berninis unbekanntes Meisterwerk (2007), S.  353 – 375.

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Wie die Inventare von 1685/86 ausweisen, war es hauptsäch­lich die bereits erwähnte camera in faccia il cameron[e], die von Quintiliano Rezzonico im Palazzo Sagredo für die Präsenta­tion der von ihm erworbenen Werke bestimmt wurde.99 Außer 59 Gemälden, die in ­diesem Raum an den Wänden hingen (zum Zeitpunkt des Todes von Aurelio waren es sechs) wurden hier jetzt auch Skulpturen ausgestellt, ­welche Quintiliano zusammengetragen hatte und mittels derer er sich als feinsinniger Kunstkenner zu profilieren suchte. Dazu zählten neben einer größeren Apollo- und einer Neptun-­Skulptur aus Bronze vor allem zahlreiche antike Kleinbronzen. Da die antiken Werke zum prestigeträchtigsten Kernstück des klas­sischen Sammlungsrepertoires des (nicht nur) venezianischen Adels gehörten, ließ der Besitz dieser Stücke den Kaufmann ein wenig näher an die Gepflogenheiten der alteingesessenen Familien heranrücken.100 Besonders auffällig ist aber Quintilianos dezidiertes Interesse für die Arbeiten zeitgenös­ sischer Bildhauer, zumal ­solche Werke in den venezianischen Sammlungen dieser Zeit nach bisherigem Kenntnisstand eher selten anzutreffen waren. So findet sich in der damaligen Guidenliteratur, die einzelne Gemäldesammlungen zuweilen sehr detailliert beschreibt, kaum ein Hinweis auf Sammlungen, die einen beachtenswerten Anteil an zeitgenös­sischen Skulpturen aufzuweisen hätten.101 Zudem vermitteln die beschriebenen näheren Umstände des Ferrata-­Auftrages den Eindruck, dass Quintiliano Rezzonico mittels dieser Skulptur gewissermaßen als einer der venezianischen Vorreiter auf dem Gebiet des bildhauerischen Mäzenatentums hervortreten wollte. Der seinerzeit bedeutendste Bildhauer Venedigs war der im Zusammenhang mit der Ferrata-­ Skulptur bereits erwähnte Giusto Le Court. Der aus Ypern stammende Flame war 1655 in die Lagunenstadt gekommen, wo er 1679 auch starb.102 Den Inventaren nach zu urteilen, muß Quintiliano Rezzonico eine Vorliebe für die Arbeiten Le Courts gehegt haben, denn in der Gallerie waren gleich mehrere Werke des Künstlers präsentiert: Neben dem schon genannten Amor sdegnato,103 zu dem Ferratas Arbeit das Pendant darstellen sollte, zählten dazu ein ­Bacchus, zwei schlafende Putti, ein Marmorrelief mit der Darstellung eines weiteren Putto, zwei Puttenköpfe, eine Büste der Jungfrau Maria, ein Relief mit der allegorischen Darstellung des Herbstes sowie ein nicht genauer fassbarer Piede di Pietro di Paragon. Des Weiteren gehörten einige Tonmodelle zur Sammlung, darunter eine Jupiterbüste, eine Büste des Philosophen Demokrit, eine halbfigurige Diana sowie einen auf einer Schildkröte reitenden Putto.104 99 In den Inventaren von 1685/86 wird die camera dann auch mit dem Zusatz detta galleria di pittura bezeichnet. Vor der Etablierung eigenständiger Galerien in venezianischen Palästen nutzte man für die Aufstellung der Kunstwerke und besonders der Antiken vor allem den portego. 100 Zu den Antikensammlungen in Venedig vgl. Favaretto, Arte antiqua (1990); Mancini, „Vertuosi“ e artisti (2005); Favaretto, „La memoria“ (2008). 101 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Sammlung der Pisani, vgl. Guerriero, Il collezionismo (2007), S. 48 f. 102 Zu Le Court vgl. vor allem De Vincenti, Bozzetti e modelli (2006); Bacchi, Le cose più belle (2007). 103 Vgl. Anm. 75 ­dieses Kapitels. 104 Außerdem waren im camerone noch eine in den Inventaren nicht genauer bezeichnete Marmor­ statue sowie ein Puttorelief Le Courts aufgestellt. Wann Quintiliano diese Werke allerdings kaufte,

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Hinzu kamen Werke des in Venedig tätigen westfä­lischen Bildhauers Enrico Meyering, der nach dem Tod Le Courts dessen künstlerische Nachfolge angetreten hatte.105 Dazu gesellte sich schließ­lich noch eine Bronzestatue des Apostels Paulus von Alessandro Vittoria, einem der wichtigsten Bildhauer des venezianischen Cinquecento.106 Die Glanzstücke seiner Sammlung zeitgenös­sischer Skulpturen schienen Quintiliano jedoch keinesfalls aus der Hand venezianischer oder in Venedig tätiger Meister zu stammen, wie die Bemühungen um die Ferrata-­Skulptur gezeigt hatten. Der Blick richtete sich, soweit es eben ging, immer wieder auf das künstlerische Zentrum Rom. Am Ende war es Quintiliano gelungen, nach dem Ercole che strozza i serpenti in cuna mit den Due Puttini rappresentanti Ercole, et Anteo che fanno alla lotta noch ein weiteres Werk des Bernini-­ Mitarbeiters zu erwerben, das ebenfalls in seiner Gallerie Aufstellung fand.107 Schließ­ lich kamen noch die Marmorbüsten einer Aurora und einer Diana des in Rom tätigen Bildhauers Alessandro Rondoni hinzu. Zum großen Bedauern Quintilianos fanden die beiden Werke in Venedig allerdings nicht den erwünschten Anklang.108 Die Rom-­Orientierung der Rezzonico blieb jedoch nicht allein auf die Konturierung der Sammlung beschränkt. Sie bildete vielmehr den Auftakt einer Entwicklung, w ­ elche die Geschicke der Familie entscheidend lenken sollten. Auch bei der Knüpfung neuer Familienbande sollte sich diese tendenzielle Ausrichtung gen Rom als maßgeb­liches Kriterium erweisen.

ist nicht sicher zu klären. Vielleicht erwarb er sie unmittelbar nach dem Tod des Künstlers 1679, der eine Wertsteigerung der Arbeiten wahrschein­lich machte. 105 Beide Inventare verzeichnen eine Diana-­Statue sowie einen auf einem Fass reitenden Bacchus, die in einem Nebenzimmer der camerone aufgestellt waren. Zu Enrico Merengo [=Meyering], der in den Inventaren als auch in den Briefen Quintilianos an Odescalchi als „Enrico Fiamengo“ bezeichnet wird, vgl. vor allem Breuing, Enrico Meyring (1997); Daninos, Tre scultori veneti (2005); De Vincenti, Bozzetti e modelli (2006); Rossi, Enrico Merengo (2006). 106 Zu Alessandro Vittoria vgl. vor allem Finocchi Ghersi (Hg.), Alessandro Vittoria (2001); die Zusammenfassung der jüngeren Literatur bei Bacchi / Camerlengo / Leithe-­Jasper, Alessandro Vittoria (2007). 107 Der Verbleib der von Ferrata geschaffenen Herkules-­Anteus-­Gruppe ist unbekannt. Pizzo, Livio ­Odescalchi (2002), S. 120 hält es allerdings für mög­lich, dass es sich dabei um die von Ursula ­Schlegel mit dem Werk Ferratas in Verbindung gebrachte Terracotta-­Gruppe in der Eremitage in Sankt Petersburg handeln könnte. Dies ist aber unwahrschein­lich, da sich das Sankt Petersburger Werk zum Zeitpunkt des Todes Ferratas (1686) noch in dessen Atelier befand, während das Inventar der Rezzonico-­Sammlung von 1685 die Gruppe bereits aufführt und explizit Marmor als Material nennt. Auszuschließen ist hingegen nicht, dass es sich bei dem Werk der Eremitage um ein Bozzetto für die Rezzonico-­Bestellung handelt. 108 ASO II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (20. Juni 1682): V. E. mi faccia gratia d’in­ formarsi in qual concetto sia costì un certo Rondoni scultore perchè mi è stato proposto come un gran huomo, et havendo havuto due busti suoi non ha incontrato molto nel genio ne più l’ho fatto operare. Zu Alessandro Rondoni (1562 – 1635) vgl. vor allem Brown, Alessandro Rondoni (2002); Rangoni Gàl, Alessandro Rondoni (2009).

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3. Familienallianzen durch Heiratspolitik Im Jahr 1664 verfasste ein anonymer Autor ein dreiteiliges Traktat, in welchem er das soziopolitische System der Serenissima analysierte. Der zweite Teil, der den Titel „Della Repubblica Veneta e i suoi individui“ trägt, stellt ein genealo­gisch-­biographisches Kompendium von hundert venezianischen Adelsfamilien dar. Wiederholt verwies der Autor auf den hohen Stellenwert der Verwandtschaftsbeziehungen, die eine casa im Laufe der Zeit mit anderen Familien knüpfte.1 Im Hinblick auf die Verortung der Familien im adligen Sozia­lgefüge der Serenissima bemühte sich der Anonymus, eine Klassifizierung der durch Verschwägerung entstandenen Sippenverbände vorzunehmen. Es erschien ihm von einigem Belang, ob eine Familie „treff­lich-­harmonisch“ verschwägert war oder gar über einen „erlauchten“, einen eher „weiten“ oder aber einen nur „engen“ Familienverbund verfügte.2 Denn die Beschaffenheit der jeweiligen interfamiliären Netzwerke war für die Handlungsmög­lichkeiten, das Prestige und den Erfolg – in der zeitgenös­sischen Terminologie für die fortuna – der einzelnen Familien von wesent­licher Bedeutung. Der den damals regierenden Dogen, Domenico Contarini, betreffende Kompendiumseintrag bringt diesen Nexus klar zum Ausdruck. Von ihm hieß es, er habe seine Würde erlangt non per merito della qualità personale, né per vigore di broglio andato da lui, ma per forza di fortune et ampiezza di parentado con i Giustiniani e con diverse altre principali famiglie.3

Anschau­lich verdeut­licht ­dieses Beispiel des aus dem Altadel stammenden Contarini, dass der Rückhalt familiärer Netzwerke für erfolgreiches politisches Agieren von den Zeitgenossen als ausschlaggebend erachtet wurde. Somit fiel dem Knüpfen von Familienallianzen innerhalb der familiären Statusstrategien eine wesent­liche Rolle zu.4 Auch für die Rezzonico war mit der Nobilitierung (1687) der Zeitpunkt gekommen, ihre Zugehörigkeit zum venezianischen Adel über eine mög­lichst vorteilhafte Heirat unter Beweis zu stellen und gleichzeitig für zukunftsträchtige Allianzen Sorge zu tragen. Als Aufsteiger hatten sie jedoch unter erschwerten Bedingungen zu agieren, da auf der Suche nach einer „guten Partie“ die sozia­len Barrieren des Altadels durchbrochen werden mussten. 1

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Del Negro schreibt das Traktat aufgrund der außerordent­lich guten Kenntnisse des Autors über die politischen und sozia­len Zustände in Venedig einem dem vecchio patriziato angehörenden venezianischen Adligen oder zumindest einem diesen Kreisen sehr nahestehenden Venezianer zu. Del Negro, Forme e istituzioni (1984), S. 412 und Anm. 23. Alle drei Teile des Traktats wurden 1919 von Pompeo Molmenti veröffent­licht und werden seither in der Forschung zusammenfassend als „Relazione dell’anonimo (1664)“ zitiert. Diese Zitierweise findet auch hier Anwendung. Relazione dell’anonimo (1664), S. 381: […] felicemente aparentato, di gran parentado, di vasto paren­ tado […] di angusto parentado. Vgl. auch Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 142. Relazione dell’anonimo (1664), S. 370. Domenico Contarini hatte das Dogenamt von 1659 – 1675 inne. Seit geraumer Zeit bemüht sich vor allem die von Wolfgang Reinhard beförderte mikrohistorische Romforschung um die Durchdringung dieser Handlungszusammenhänge. Vgl. bes. Reinhard, Freunde und Kreaturen (1979); Ders., Amici e Creature (1996).

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So darf angenommen werden, dass dem 1691 besiegelten Ehebund z­ wischen Giovanni Battista Rezzonico und Vittoria Barbarigo im Hinblick auf die angestrebte Verankerung der Familie in der venezianischen Adelsgesellschaft außerordent­liche Bedeutung beigemessen wurde. Bislang ist diese Verbindung von der (Familien-)Forschung aber ledig­lich konstatiert, nicht jedoch auf ihre Netzwerkfunk­tion hin untersucht worden. Dies ist umso erstaun­licher, da es sich bei Giovanni Battista Rezzonico und Vittoria Barbarigo um die Eltern des späteren Papstes Clemens XIII. handelte. Eine eindeutige soziopolitische Verortung der Barbarigo zum Zeitpunkt der Rezzonico-­ Hochzeit ist allerdings aufgrund fehlender einschlägiger Studien zu dieser altpatrizischen Familie auch nicht einfach vorzunehmen. Dennoch soll hier versucht werden, Einzelinforma­ tionen unterschied­licher Provenienz zu einem schlüssigen Sozia­lprofil der Barbarigo zusammenzufügen. Nur so ist es mög­lich, Aussagen über den potentiellen gegenseitigen Nutzen der Verschwägerung seitens der beteiligten Familien zu treffen. Analoges gilt für die weiteren Ehebünde, ­welche die Rezzonico in den folgenden Genera­tionen 1721 mit der altadligen venezianischen Familie Giustinian und 1741 mit den neuadligen Widmann knüpften. Doch um die dabei aufeinandertreffenden Handlungshorizonte und Erwartungen ermessen zu können, müssen zuerst jene Spezifika des venezianischen Heiratsmarktes umrissen werden, denen die Rezzonico als Aufsteigerfamilie Rechnung zu tragen hatten.5 Heiratsstrategien des venezianischen Adels Infolge der so genannten Serrata del Maggior Consiglio kam es in Venedig zur Ausbildung ausgesprochen restriktiver Heiratspraktiken, die dem geschlossenen soziopolitischen System der Adelsklasse geschuldet waren. Spätestens seit 1422 war es den Patriziern verboten, mit Frauen niederen Standes eine Ehe einzugehen. Im merkantil-­patrizischen Milieu waren indes standesübergreifende Verbindungen, deren Attraktivität zumeist auf der ökonomischen Ausstattung der Braut beruhte, durchaus verbreitet. Um die Einhaltung d ­ ieses Gesetzes zu erzwingen, sollten Söhne nichtadliger Mütter seit 1506 nicht mehr im Libro d’oro verzeichnet werden, womit sie ihre Mitgliedschaft im Maggior Consiglio und ihren Adelsstatus verloren – eine Maßnahme, die auf „Reinhaltung“ der Adelskaste abzielte. Gleichzeitig trug man aber damit auch der sich deut­lich abzeichnenden Tendenz Rechnung, dass die Adelsfamilien in der Regel nur noch einen ihrer Söhne verheirateten, um

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Die sozia­lgeschicht­liche Forschung widmet dem Heiratsverhalten des venezianischen Adels seit längerem große Aufmerksamkeit, da die diesbezüg­lichen Praktiken in ursäch­lichem Zusammenhang mit der soziopolitischen Abschottung der Adelskaste und ihrem demographischen Niedergang stehen. Vgl. Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 100 – 203; Sabbadini, L’acquisto (1995), S.  71 – 87, 103 – 110; Raines, Strategie d’ascesa sociale (2006), S. 303 – 309. Mit dem Aufkommen der cultural studies hat sich das Interesse am Heiratsverhalten als soziokulturellem Phänomen in jüngster Zeit noch verstärkt. Vgl. Cowan, Marriages, manners and mobility (2007); Muir, Guerre culturali (2008).

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einer Zersplitterung des Familienvermögens entgegenzuwirken und im zunehmend härter werdenden sozia­len Konkurrenzkampf um Prestige und Einfluss bestehen zu können. In Anbetracht dieser Entwicklung waren nichtstandesgemäße Verbindungen seit dem 16. Jahrhundert um so mehr zu unterbinden.6 Die Reduk­tion der Nuptialitätsquote auf (tendenziell) nur eine Heirat pro Genera­tion seitens der Familien hatte jedoch eine generelle Verengung des Heiratsmarktes zur Folge. Dies zog wiederum eine enorme Aufwertung des Ehestandes nach sich, so dass der mit einer Ehe einhergehende repräsentative Aufwand unweiger­lich stieg. Nicht zuletzt gewann damit auch der familiäre Allianzschluss über Verschwägerung an Gewicht. In den ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts drohte der mit den restriktiven Heiratspraktiken verbundene ­sozia­le Druck das venezianische Gesellschaftssystem zu destabilisieren. Dies drückte sich darin aus, dass die Institu­tion der Ehe nunmehr rhetorisch als Bürde (peso) bezeichnet wurde, während das zügellose Verhalten der zahlreichen Junggesellen die Serenissima zur Hochburg des Libertinismus machte und das Phänomen unfreiwilliger Monastisierungen venezianischer Adelstöchter vermehrt auf offene Kritik stieß.7 Erst mit den Nobilitierungswellen wurde gewissermaßen ein sozia­les Ventil geschaffen, ohne dass sich an den restriktiven Heiratspraktiken indes substantiell etwas änderte. Das von Volker Hunecke herausgearbeitete nuptiale Schema, demzufolge in der Güter- und Hausgemeinschaft aller männ­licher Mitglieder einer casa, der so genannten fraterna, für gewöhn­lich nur einer von mehreren Brüdern in den Stand der Ehe trat, prägte schließ­lich auch das generative Verhalten des Neuadels.8 Für die neuadligen Familien bedeutete eine standesgemäße Heirat den ersten Schritt, um ihren neu erworbenen Status innerhalb des venezianischen Adels zu festigen. Vornehm­ lich zielten die Aufsteiger darauf, mit altadligen Familien eine Beziehung zu knüpfen, um ihre vollwertige Zugehörigkeit zur altehrwürdigen Elite zu bekräftigen und in die maßgeb­ lichen Beziehungsnetzwerke eingebunden zu werden. Tatsäch­lich wurden 71 % aller im Zeitraum ­zwischen 1660 und 1700 erfassbaren Ehen des Neuadels mit Angehörigen des alten Patriziats geschlossen.9 Denn nicht alle Altpatrizier lehnten eine Verbindung mit den Parvenüs so kategorisch ab wie Alvise Tron, der 1676 testamentarisch verfügte, dass seine Töchter nur Angehörige einer ansehn­lich-­wohlhabenden famiglia cospicua, […] vecchia, non nuova heiraten sollten.10 Unter bestimmten Voraussetzungen waren insbesondere weniger wohlhabende Altadlige bereit, Heiratsallianzen mit den Parvenüs einzugehen. Alteingesessene Familien profitierten davon, dass die Aufsteiger zwecks Anbahnung prestigeträchtiger Eheverbindungen keine Kosten scheuten und sie in der Regel auch geringe bis gar keine Mitgiften akzeptierten. Laura Donà brachte der Aufsteigerfamilie Labia im Jahre 1653 eine als geringfügig zu beziffernde 6 7 8

Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 31 f. Ebd., S. 129 f.; Muir, Guerre culturali (2008), S. 103 – 110. Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 131 – 141. Erst wenn diese Ehe ohne männ­liche Nachkommen blieb, wurde gegebenenfalls ein weiterer Sohn verheiratet. 9 Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 50. 10 Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 145, 168.

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Mitgift von 3000 Dukaten ein.11 Ledig­lich mit 1000 Dukaten war Elisabetta Giustinian anläss­lich ihrer 1688 geschlossenen Heirat mit dem drei Jahre zuvor nobilitierten Kaufmann Antonio Lini ausgestattet worden. Und als ein Sohn der 1662 aggregierten Familie Berlendis eine Tochter aus dem alten Patriziergeschlecht der Sagredo heiratete, sagte man ihrem Vater nach, er habe in diese Verbindung nur eingewilligt per risparmiare una dote.12 Andererseits investierten Neuadlige in die Heirat ihrer Töchter mit Söhnen aus altem Hause häufig beträcht­liche Summen, um auf diese Weise den Widerstand des Altadels zu brechen. So hatte der 1646 nobilitierte Giovanni Paolo Widmann für seine Tochter Anna Lucia eine äußerst prestigeträchtige Verbindung ins Auge gefasst, als er sie mit Domenico Morosini verheiraten wollte, dem Neffen des von 1644 bis 1678 amtierenden venezianischen Patriarchen Gianfrancesco Morosini. Da es sich bei den Morosini um eines der vornehmsten und ältesten Adelshäuser Venedigs handelte, bot ihnen Widmann die nahezu astronomisch anmutende Summe von 50000 Dukaten als Mitgift. Darüber hinaus stellte er ihnen in Aussicht, die Einflussmög­lichkeiten seiner Familie an der römischen Kurie für die Interessen der Morosini geltend zu machen; zumal Widmanns Bruder Cristoforo 1647 zum Kardinal ernannt wurde.13 Dieser sollte dafür sorgen, dass die im Venezianischen gelegene, einen Jahresertrag von 100000 Dukaten erbringende Abtei San Gregorio sowie ein Kardinalshut an die Morosini ginge. Doch die Morosini lehnten ab. Offenbar veranschlagten sie das primat del sangue höher als das von einem Neuadligen in Aussicht gestellte recht erheb­liche ökonomische Kapital.14 Anna Lucia Widmann wurde dann aber doch noch einem altadligen Patriziersohn zur Frau gegeben. Im Jahre 1652 heiratete sie Francesco G ­ iustinian.15 Mit 20000 Dukaten überstieg ihre Brautaustattung den 1575 gesetz­lich festgelegten Mitgiftshöchst­betrag von 6000 Dukaten 16 immer noch um ein Mehrfaches. Dass derartig statt­liche Summen durchaus keine Ausnahme waren, zeigt auch die Eheschließung von Pietro Bragadin mit Bianca Zenobio. Von ihrem 1647 nobilitierten Vater wurde die Braut mit einer wahr­lich fürst­lichen Mitgift von 40000 Dukaten bedacht.17 Dies war also die Ausgangslage, mit der sich nun auch die Rezzonico im Hinblick auf eigene Eheallianzen konfrontiert sahen. Und es zeigte sich rasch, daß auch sie das soziale Kapital, welches sich über verwandtschaftliche Beziehungen zum Altadel auftat, höher schätzten als eventuelle beachtlichere Mitgiften von Bräuten aus nicht- oder neuadligen Familien. 11 12 13 14

Davis, Una famiglia veneziana (1980), S. 151. Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 79. Zum Kardinal Cristoforo Widmann und zu seiner Familie siehe unten. Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 81. Domenico Morosini heiratete 1654 Elena Corner aus dem ramo San Polo, die ihm zwar „nur“ 30000 Dukaten Mitgift, dafür aber neue Familienbande mit einer der politisch führenden altadligen papalisti-­Familie einbrachte. Zu den Corner siehe unten. 15 ASVe, Atti Notarili, not. Giovanni Maria Piccini, b. 11085, fol. 126r–128v (15. Januar 1669). In ­diesem Notariatsdokument wird auf den am 14. September 1652 geschlossenen Ehevertrag verwiesen. Francesco Giustinian, Sohn Pietros, gehörte dem Familienzweig Campiel dei Squellini der Giustinian an, der sich 1721 mit den Rezzonico verschwägern sollte. Siehe unten. 16 Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 138. 17 Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 106.

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Die Rezzonico-­Barbarigo-­Hochzeit (1691) Zum Zeitpunkt ihrer Nobilitierung waren alle drei Rezzonico-­Brüder ledig. Quintiliano zählte sechsunddreißig, Abbondio zwanzig Jahre. Der Jüngste, Giovanni Battista, war sechzehn Jahre alt. Ihre einzige Schwester Maria Elisabetta war 1685, also zwei Jahre vor dem Erwerb des Adelstitels, in Como ins Kloster eingetreten,18 so dass über die weib­liche Linie keine Allianzen zu schmieden waren. Nicht zwangsläufig war der erstgeborene Sohn auch derjenige, der durch eine Heirat für die Fortdauer der Familie zu sorgen hatte. Die Entscheidung, welcher Spross in den Stand der Ehe treten sollte, oblag gewöhn­lich dem Vater bzw. nach dessen Tod dem Vormund der Familie.19 Aber der Vater der Rezzonico-­Brüder, Carlo Rezzonico, war bereits 1672 in Genua verstorben und hatte in seinem Testament keine diesbezüg­lichen Verfügungen hinterlassen.20 Auch der Onkel Aurelio, der von seinem Bruder Carlo zum Vormund der damals minderjährigen Kinder eingesetzt worden war, hatte im Hinblick auf eine Eheschließung seiner Neffen nichts entschieden. Bei seinem Tod 1682 hinterließ der Dreiundsiebzigjährige kein Testament, aus dem sich etwaige Disposi­tionen weder für die Zukunft seiner geschäft­lichen Unternehmungen noch für die seiner Neffen erschließen lassen würden.21 Über die Gründe dafür kann angesichts der schlechten Quellenlage nur spekuliert werden. Vermut­lich sah sich der greise Kaufmann nicht in der Lage, präzise Direktiven für das weitere Schicksal der Familie auszugeben: Obgleich die ­Rezzonico zum Zeitpunkt seines Todes zweifellos einen außerordent­lichen wirtschaft­lichen Erfolg verzeichnen konnten, war eine exakte Kursbestimmung bezüg­lich der künftigen familiären Entwicklung nur schwer mög­lich, da sich die beiden jüngeren, noch minderjährigen Neffen in Genua aufhielten, während ledig­lich Quintiliano seit geraumer Zeit in Venedig lebte. Wo sich zukünftig der primäre Familiensitz befinden würde, war in ­diesem

18 ASVe, Notarile Atti, not. Angelo Maria Piccini, b. 11115, fol. 539r–540r (21. Januar 1685). Als klöster­liche Mitgift erhielt die Fünfzehnjährige 5000 milane­sische Scudi. Außerdem wurde ihr eine jähr­liche Pension von 200 römischen Scudi zugesprochen. 19 Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 134. 20 ASVr, Fondo Pindemonte-­Rezzonico, b. 459, A: Testament Carlo Rezzonicos vom 21. Mai 1672. 21 Auch wenn Cecchini, Aurelio Rezzonico (2006), S. 308 sich auf ein Testament Aurelios bezieht (die Quellenangabe für diese Aussage allerdings schuldig bleibt), hat es ein solches nie gegeben. ASVe, Atti notarili, not. Carlo Gabrieli / Angelo M. Piccini, b. 7052, fol. 476r–v (18. Dezember 1691): Consti­tui­ti alla presenza di me Notaro, e Testimonii Infrascritti li SS.ri Gio. Maria Morani ­Com.rio General della Ragione cantante Aurelio Rezzonico, et Antonio Granarolo qd Lorenzo Agente della Ragione medesima, da me conosciuti, spontan.te con loro giuramento prestato nelle mani di me Notaro attestano, et dichiarano: Come il detto qd Ill.mo S. Aurelio Rezzonico già negotiante in questa Piazza, che morse alli 23 del mese d’Agosto dell’anno 1682, che fu fratello del qd Ill.mo. S. Carlo ­Rezzonico, che promorse in Genova, non ha lasciato alcun testamento, codicello, né altra ord.ne di ultima volontà. Il che affermano detti SS.ri attestanti saper di certa scientia per la piena notitia, che ne hanno, et per la publica voce, et fama notoria, che detto S. Aurelio sii morto ab intestato, che perciò ne rendono questa giurata attesta­tione, acciò possa in ogni luoco servir al bisogno in giud.o e fuori.

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Moment noch nicht absehbar. Mit Aurelios Tod oblagen die brisanten familien- und geschäftsrelevanten Entscheidungen somit Quintiliano, der als der Älteste der Brüder jetzt der Familie vorstand. Die wichtigste vorzunehmende Weichenstellung nach Aurelio Rezzonicos Tod und nach der Nobilitierung der Familie war zweifellos eine Eheschließung. Allerdings heiratete nicht Quintiliano. Über die Gründe für diesen Entschluss kann wiederum nur spekuliert werden. Die Annahme liegt nahe, dass sich Quintiliano ganz der Leitung des Familienunternehmens widmen wollte. Anders als seine erheb­lich jüngeren Brüder verfügte er über die notwendige kaufmännische Erfahrung, und aufgrund seines mittlerweile langjährigen Aufenthaltes in Venedig war er mit den dortigen Gegebenheiten gründ­lich vertraut. Vermut­lich sah er sich deshalb auch für eine mög­liche Ämterkar­riere im Dienste der Serenissima gerüstet. Zwar schlossen kaufmännische Tätigkeiten und politische Karrieren eine Heirat grundsätz­lich nicht aus, aber der Blick auf das in Venedig vorherrschende Familienmodell der fraterna zeigt, dass es üb­licherweise zu einer Art Aufgabenteilung unter den männ­lichen Familienangehörigen einer Genera­tion kam: Wer heiratete, war in der Regel nicht geschäft­lich federführend.22 Doch auch der zum Zeitpunkt der Nobilitierung zwanzigjährige Abbondio kam für eine Hochzeit nicht in Frage, da er unmittelbar nach seiner Volljährigkeit auf eigenen Wunsch in den Klerikerstand getreten war. 1687 verzichtete er auf das ihm zustehende Erbteil seines Onkels und entzog sich somit – wie er selbst ausdrück­lich erklärte – der „Bürde“ einer Eheschließung.23 Diese „Bürde“ musste demnach der jüngste der Brüder, Giovanni Battista, auf sich nehmen, sobald der 1671 Geborene das entsprechende Alter erreicht haben würde. Bis dahin galt es, nach einer Braut Ausschau zu halten, deren Familie dem Verlangen der frisch nobilitierten Rezzonico nach Integra­tion in die venezianische Adelsgesellschaft bestmög­ lich entsprach. Als Neupatrizier, die vom standesbewussten Altadel keineswegs vorbehaltlos als ihresgleichen akzeptiert wurden, war ihr Ak­tionsspielraum auf dem ohnehin restrik­tionsreichen venezianischen Heiratsmarkt alles andere als weit gesteckt. Ledig­lich aufgrund ihrer ökonomischen Potenz, ihrer Rom-­Beziehungen oder ihrer Verbindungen zum Kaiserhof dürften die Aufsteiger als Allianzpartner für venezianische Familien attraktiv gewesen sein. Mit einer hohen Mitgift der zukünftigen Braut war kaum zu rechnen. Infolgedessen mussten die Rezzonico ihrerseits Wege finden, eine Heirat (vor)finanzieren zu können,

22 Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 129, 137. 23 ASVe, Notarile Atti, not. Piccini / Gabrieli, b. 7044, fol. 566r–567v (18. Juni 1689): Sotto la dona­ zione 23 gennaio 1687 [M. V.] fatta dall’Ill.mo S. Abbate Rezzonico alli Nobil Homini. S. Quintiliano, et Gio. Batta suoi Fratelli. In ­diesem Notariatsakt verzichtet Abbondio zugunsten seiner Brüder auf seinen Anteil am Familienerbe. Doch der Eintritt in den geist­lichen Stand war keine sichere Garantie für die Befreiung von der „Ehebürde“. Immer wieder kam es vor, dass ein abate seinem geist­lichen Stand entsagen und doch noch heiraten musste, um die Familie vor dem Aussterben zu bewahren. Huenecke, Der venezianische Adel (1995), S. 137.

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denn die ad hoc verfügbaren Geldreserven waren mit der Entrichtung der Nobilitierungsleistungen vermut­lich erschöpft. Auf der Suche nach finanziellen Ressourcen sah sich Quintiliano deshalb gezwungen, einen Teil des in römische Staatsanleihen investierten Familienkapitals verfügbar zu machen. Zu ­diesem Zweck wandte er sich am 2. Oktober 1688 wieder einmal an den Papstnepoten Livio Odescalchi und bat diesen, die Veräußerung einiger Anleiheanteile (luoghi di monte) der Rezzonico zu veranlassen, um die Hochzeit seines Bruders arrangieren und die bereits im Vorfeld der Heirat erhöht anfallenden (Repräsenta­tions-)Kosten bestreiten zu können.24 Die Zeit schien zu drängen, da Quintiliano eine Woche s­ päter seine Bitte nachdrück­lich wiederholte und sich außerordent­lich erleichtert zeigte, als ihm das Geld wenige Tage ­später tatsäch­lich zur Verfügung stand.25 Denn es war Quintiliano Rezzonico gelungen, eine prestigeträchtige Eheallianz mit der alteingesessenen Familie Barbarigo anzubahnen. Bei der Braut, Vittoria Barbarigo, handelte es sich um die jüngste, sechzehnjährige Tochter Girolamo Barbarigos aus dem ramo San Vio und seiner Frau Lucietta Malipiero, die ebenfalls einer Familie des ­patrizia­to vecchio entstammte. Die Heiratsverhandlungen waren von Alessandro Surian, einem Schwiegersohn Girolamo Barbarigos, und Andrea Grassi, einem in enger Verbindung zu den ­Rezzonico stehenden Kaufmann, geführt worden und am 11. Juni 1689 wurde im Hause des Brautvaters der Ehevertrag unterzeichnet.26 Die Hochzeit Giovanni Battista ­Rezzonicos mit Vittoria Barbarigo fand anderthalb Jahre ­später, am 29. Januar 1691, ebenfalls im Elternhaus der Braut statt. Die kirch­liche Einsegnung erfolgte acht Tage darauf in der Basilika SS. Maria e Donato auf Murano.27 Als Trauzeugen der beiden Zeremonien fungierten der procuratore Paolo Donà sowie Marc’Antonio da Mula bzw. Giovanni Dolfin und der procuratore Lunardo Donà. Diese den Bund bezeugenden Personen entstammten alle einflussreichen Patriziergeschlechtern. Ihre Präsenz verweist auf das hohe Prestige, das die Rezzonico durch diese Ehe erlangten.28 Von Vorteil für das Zustandekommen dieser Verbindung dürfte nicht zuletzt gewesen sein, dass zum Zeitpunkt der Hochzeit in der

24 […] che possiamo valersi del nostro tanto più che col matrimonio che si va disponendo di Gio. Batta. mio fratello, le spese si faranno maggiori, e vorressimo valersi di codesto danaro, che sin hora nulla ci frutta. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (2. Oktober 1688). 25 Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (9. und 16. Oktober 1688). 26 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 123, nr. 3187. Andrea Grassi (†1690, beigesetzt in San Fosca) war Kaufmann und spanischer Konsul in Venedig. ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 7049, fol. 303v–304r (18. Juli 1690): Andrea Grassi Console di Spagna in questa Città. In ­diesem Dokument ernennt Andrea Grassi Quintiliano Rezzonico zu seinem Prokurator, damit dieser in seinem Namen Geldgeschäfte in Venedig tätigen konnte, was auf ein Vertrauensverhältnis ­zwischen den beiden Kaufleuten schließen lässt. Die Familie Grassi wurde schließ­lich 1718 nobilitiert. 27 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 123, nr. 3187. 28 Ebd. Paolo Donà war der Sohn des bei der Hochzeit anwesenden Lunardo Donà aus dem Familien­ zweig San Stin. Marc’Antonio da Mula war der Sohn Nicolòs aus dem Zweig San Vito. Giovanni Dolfin war der Sohn Andreas aus dem Zweig San Pantaleon. Vgl. die diesbezüg­lichen Stammtafeln bei Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 315 – 320.

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Person Alexanders VIII. Ottoboni (1689 – 1691) ein Angehöriger des venezianischen patri­ ziato nuovo auf dem Stuhl Petri saß. Angesichts der Bedeutung landsmannschaft­licher Verbindungen mussten die ohnehin guten Verbindungen der Rezzonico zur Kurie unter diesen Umständen für die Familie der Braut noch interessanter erscheinen. In finanzieller Hinsicht war Vittoria Barbarigo allerdings keine bemerkenswerte Partie: Das Einzige, was die Braut als Mitgift in die Ehe brachte, war eine südöst­lich Paduas in Balò gelegene Villa.29 Überdies scheint es sich bei dem Anwesen um eine relativ unbedeutende Immobilie gehandelt zu haben; einschließ­lich der sie umgebenden Landwirtschaftsflächen betrug der steuer­liche Schätzwert des Grundbesitzes ledig­lich etwa 50 Dukaten.30 Dieser Betrag, der die jähr­lich abzuführende Steuer auf die Rendite aus dem Grundbesitz bezeichnet, lässt erkennen, dass der Wert der Villa bei rund 10000 Dukaten lag.31 Als die jüngste von drei Töchtern konnte Vittoria sicher­lich auch nicht mehr an Mitgift erwarten. Während ihre drei älteren Brüder noch ledig waren, hatten ihre beiden Schwestern bereits geheiratet. Die Älteste namens Agnese war seit 1676 mit dem Neuadligen Giovanni Barbaran vermählt, wobei sie 5000 Dukaten mit in die Ehe brachte.32 Die zweite Schwester, Marietta, hatte zwei Jahre s­ päter den bereits erwähnten Alessandro Surian aus dem patriziato nuovo geheiratet und war von ihrem Vater mit 5500 Dukaten Mitgift ausgestattet worden.33 Entsprachen diese Beträge in etwa jenen Aufwendungen, die ein finanziell recht gut ausgestatteter venezianischer Adliger in die Verheiratung seiner Töchter investierte, so weist die Mitgift der jüngsten Tochter darauf hin, dass das für die Eheschließungen vorgesehene Budget an liquiden Mitteln Girolamo Barbarigos ausgeschöpft war. Wenn er seiner dritten Tochter nun Grundbesitz in die Ehe mitgab und damit die finanzielle Substanz der Familie weiter schwächte, spricht dies eindeutig für die Bedeutung, die er der Verbindung mit den Rezzonico beimaß. Zu dieser Entscheidung mag beigetragen haben, dass sich die Rezzonico im Ehevertrag ihrerseits verpflichteten, Kapital für die Versorgung der Braut zur Verfügung zu stellen.34

29 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 123, nr. 3187: […] una possezione posta in Villa di Balò, sotto Miran, con Casa Dominical, et fabbriche adiacenti, con li campi che si trovano sotto di ista, tenuta al questo ad affitto da Lorenzo Rocco. 30 ASVe, Dieci Savi, reg. 1292, fol. 155r. Für den Hinweis auf diese Quelle und für zahlreiche erläuternde Bemerkungen danke ich Jan-­Christoph Rößler. 31 50 Dukaten sind der Zehnt von 500 Dukaten, die bei einer (eher großzügig) angenommenen Rendite des Grundbesitzes von 5 % auf 10000 Dukaten (eher etwas weniger) schließen lassen. Die Berechnungen folgen den münd­lichen Angaben von Jan-­Christoph Rößler. 32 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 122/12, nr. 2903. 33 Ebd., nr. 2998. 34 Zur contradote vgl. Ferro, Dizionario (1845 – 47), Bd. 1, S. 97 – 99. Zum Gebrauch der contradote im gesamtitalienischen Kontext vgl. Cattini / Romani, Legami di Sangue (2009), S. 56. Zu den Mitgiften vgl. Calvi / Chabot (Hg.), Le ricchezze delle donne (1998); Lanaro / Varanini, Funzioni economiche (2009). Gleichwohl Mitgiften die Versorgung von Frauen im Witwenstand garantierten und der Ehefrau zeit ihres Lebens ihre Brautausstattung gehörte, war ihr Heiratsgut unter bestimmten Maßgaben in die vermögend­liche Disposi­tionsmasse des Ehemanns eingebunden.

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Die Höhe dieser „Verschreibung“ (controdote) war recht erheb­lich, denn der Heiratsvertrag bestimmte, dass für die Versorgung Vittorias pro Jahr Kapitalerträge in der Höhe von 400 Dukaten bereitzustellen waren: […] hanno volontariamente constituito, e constituiscono sopra tutti li beni loro presenti et futuri un annua rendita di ducati quattro cento correnti da soldi 6:4 per ducato a beneficio di detta Ill.ma sposa, da esser conseguiti da lei durante la sua vita, mentre sopravivesse al marito et permanesse in stato vedovile, fuori della Casa Rezzonico, ma stando in casa doverà conse­ guir ducati doicento solamente all’anno da servirsene per suo vestito, mentre per il resto di suo mantenimento e sua servitù sarà provveduta dalla Casa, che coli ambidoi detti Ill.mi frattelli uniti, e separati gli ne fanno della rendita respettive libero dono, da esserle contribuita secondo il stato, in che si fosse, in doi rate di mesi sei in mesi sei, la metà nel predetto caso di vedoità.35

Damit dürfte der finanzielle Aufwand der Rezzonico für die Versorgung der Braut ungefähr so hoch gewesen sein wie deren Mitgiftausstattung von Seiten ihrer eigenen Familie, näm­lich rund 10000 Dukaten.36 Wie andere Aufsteigerfamilien Venedigs nahmen auch die Rezzonico die eher geringe finanzielle Ausstattung der Braut in Kauf und erklärten sich darüber hinaus bereit, es durch eigene Investi­tionen zu verdoppeln. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Das ­sozia­le Kapital, welches Vittoria Babarigo mit in die Ehe brachte, überwog bei weitem das finanzielle Vermögen, das mög­licherweise über die Eheschließung Giovanni Battistas mit der Tochter einer neuadligen Familie hätte erworben werden können. In der Tat gehörten die Barbarigo von San Vio zu den weniger vermögenden Adligen der Serenissima. Ein halbes Jahrhundert nach der Heirat wurde dieser Familienzweig von ­Giacomo Nani in seinem „Saggio politico del corpo aristocratico della Repubblica di Venezia per l’anno 1756“ ledig­lich der Vermögensklasse IV zugeordnet. Das bedeutete, dass sie zu denjenigen adligen Familien gehörten, che hanno meno del loro bisogno.37 Diese Zuweisung ist ein Indiz, dass die Barbarigo von San Vio mit den von ihnen im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts verfolgten Heiratsstrategien vornehm­lich auf Absicherung ihrer prekären sozioökonomischen Lage bedacht sein mussten und deshalb Bindungen mit dem sozia­l Der Ehevertrag bestimmte in der Regel über die finanziellen Anlagekondi­tionen des Mitgiftkapitals sowie über die Verfügungsgewalt und die Verwendung der während des Ehestandes auf das Kapital anfallenden Zinserträge. Schließ­lich sollten aus diesen Erträgen nicht nur die persön­lichen Ausgaben der Ehefrau bestritten werden, sondern die Zinsen konnten auch ihrem Gatten zugutekommen. 35 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 123, nr. 3187. 36 Das ergibt sich aus einer angenommenen Rendite am Kapitalmarkt von 4 %. Das hier auftretende Modell der Heirat einer sozia­l hochrangigen Braut mit einem Sozia­laufsteiger, die zu einer paritätischen Finanzierung der Braut durch die beiden Familien führt, ist kein Einzelfall, vgl. etwa die Heirat der bologne­sischen Patrizierin Camilla Fantuzzi mit dem aus bis dahin unbedeutender Familie stammenden Orazio Spada in Bologna 1636. Auch hier musste sich die Familie des Bräutigams im Ehevertrag dazu verpflichten, die Mitgift der Braut aus eigenen Mitteln zu verdoppeln. Vgl. Karsten, Bernardino Spada (2001), S. 184. 37 Huenecke, Der venezianische Adel (1995), S. 61, 384.

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leicht suspekten, aber finanzkräftigen Neuadel eingingen. Zumal wenn dieser, wie im Falle der Rezzonico, über vielversprechende Verbindungen zu italienischen und euro­päischen Höfen verfügte. Selbst abgesehen davon, ob die Kontakte der ­Rezzonico nach Rom und Wien von praktisch-­finanziellem Nutzen für die neuen Verwandten aus dem alten Hause der Barbarigo waren: Ihrem Sozia­lprestige kamen diese erweiterten Perspektiven allemal zugute und mochten wesent­lich dazu beitragen, die Barbarigo interessant zu halten auch für Eheallianzen mit Familien des patriziato vecchio. Die Notwendigkeit einer solchen Strategie war der deut­lichen Polarisierungstendenz im Inneren des venezianischen Altadels geschuldet: Außerordent­licher Reichtum und politische Macht konzentrierten sich zunehmend in der obersten, nadelfeinen Spitze der venezianischen Adelspyramide, näm­lich im Kreis eng miteinander verschwägerter Familienverbände.38 Nicht nur Neuadlige, sondern auch weniger begüterte und weniger einflussreiche Zweige arrivierter Familien des Altadels hatten Schwierigkeiten, ihren Status zu behaupten. Zwar entstammten die Barbarigo von San Vio einer alten venezianischen Patrizier­ familie, die im 15. Jahrhundert mit den Brüdern Marco und Agostino Barbarigo sogar zwei Dogen gestellt hatte. Des Weiteren waren sie, wie ein Blick auf die von Marco Barbaro erstellten genealo­gischen Tafeln des venezianischen Patriziats zeigt, durch über Jahrhunderte hinweg geknüpfte ehe­liche Bande mit einflussreichen venezianischen Familien wie den Dolfin, Vendramin, Pisani und Badoer verwandt und damit familiär außerordent­lich gut vernetzt.39 Die M ­ utter Girolamo Barbarigos und Großmutter der Braut war darüber hinaus eine gebürtige Valier,40 die zu den zwölf so genannten aposto­lischen Familien der Serenissima zählten, deren Stammbäume sich bis in die Anfänge der Stadtgeschichte zurückverfolgen ließen. Auf einen ebenso illustren wie reich verzweigten Stammbaum konnten die Malipiero, die mütter­liche Linie der Braut verweisen. Daneben hatten die Barbarigo über Genera­tionen hinweg kontinuier­lich wichtige Ämter im Regierungsapparat der Serenissima eingenommen. Zuletzt war Girolamo Barbarigo, der Vater der Braut, 1688 in eines der wichtigsten Kontrollorgane der Republik gewählt worden.41 Als 38 Dieses Phänomen wird in der italienischen Frühneuzeit-­Forschung als verticalizazione del potere e delle ricchezze bezeichnet. Dazu vor allem Bitossi, Il governo (1990). Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, ist einer dieser „Vertikalisierungsschübe“ zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu verzeichnen. Im Mittelpunkt stand die einflussreiche altadlige Familie der Corner, an w ­ elche die Rezzonico über die Giustinian Anschluss zu finden suchten, siehe unten. 39 ASVe, M. Barbaro – A. M. Tasca, Arbori de’ patritii veneti, Tafeln 175 – 180. Im Folgenden werden die Stammtafeln nur noch mit Barbaro und Angabe der Tafeln zitiert. Vgl. auch Weber, Genealo­gien (1999), Bd. 1, S. 81 – 87. Zu den beiden Dogen vgl. auch die Einträge von Gaeta, DBI 6 (1964), S.  47 – 49, 73. 40 Agnese Valier heiratete 1617 Girolamos Vater Antonio Barbarigo. Die Ehe wurde allerdings erst am 9. September 1922 registriert. ASVe, Avogaria di Comun, reg. IV, Matrimoni – Libro D’Oro, fol. 27v. 41 ASVe, Segr. alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 23, fol. 229. Girolamo übte das Amt des consigliere vom 1. Juni 1688 bis zum 31. Mai 1689 aus.

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einer der sechs consiglieri des Dogen überwachte er jede Handlung des venezianischen Staatsoberhauptes, denn der Doge durfte keine Entscheidung ohne die Zustimmung von mindestens vier seiner sechs Ratgeber treffen, was ihm auch die Bezeichnung Vicedoge einbrachte.42 Dieses prestigeträchtige, weil unmittelbar auf die exekutive Machtausübung Einfluss nehmende Amt, welches von den einzelnen consiglieri für jeweils zwölf Monate bekleidet wurde, hatten zuvor bereits Girolamos Brüder Piero, Ludovico und Agostino innegehabt.43 Als Inhaber eines solch hohen Amtes eröffnete sich Girolamo Barbarigo die Mög­lichkeit, potentiell „lohnende“ Heiraten für seine Nachkommen auszuhandeln. Dies zeigte sich bei der Hochzeit seiner jüngsten Tochter Vittoria mit Giovanni Battista Rezzonico ebenso wie bei der beinahe zur selben Zeit anstehenden Verbindung seines zweiten Sohns Francesco, der 1690 eine Ehe mit Emilia Ballarin einging.44 Aus der Sicht der Barbarigo von San Vio musste sich eine Ehe Vittorias mit dem Rezzonico-­Spross nicht nur aus finanzieller Hinsicht vorteilhaft ausnehmen. Vor dem Hintergrund der eigenen Statusbehauptung ging es auch für die altadligen Barbarigo um eine strate­gische Erschließung von politischen und sozia­len Handlungschancen durch die Verbindung mit neuen Familien. Umgekehrt lag auch aus der Perspektive der Neuadligen genau hier der interessante Aspekt für die Ehebünde mit Familien des patriziato vecchio, die weniger vermögend und weniger einflussreich waren: Den neuen Verwandten kam für die Rezzonico gewissermaßen Scharnierfunk­tion zu bei dem Versuch, aus dem Zirkel

42 Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 86; Ferro, Dizionario (1845 – 47), Bd. I.2, S. 482 – 485. 43 ASV e, Segr. alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 22, fol. 4; reg. 23, fol. 2 – 3: Ludovico wurde am 26. Juni 1676 in das Amt des consigliere gewählt. Im Register fehlen jedoch die Angaben der genauen Amtszeit. Die Wahl seines jüngeren Bruders Piero erfolgte am 25. November 1681; er übte das Amt vom 1. Juni 1683 bis zum 31. Mai 1684 aus. Diesem folgte Agostino, der, am 12. März 1684 gewählt, am 1. Juni 1684 den consiglieri beitrat und am 31. Mai 1685 aus dem Amt ausschied. 44 ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 20r. Der älteste Sohn Girolamos, Antonio Barbarigo (1663 – 1716), blieb, dem üb­lichen Schema folgend, ledig. Der jüngste Sohn Pietro (1671 – 1725) wurde 1706 Patriarch von Venedig, während Giovanni Barbarigo (1671 – 1716) ein Jahr ­später Caterina Bembo heiratete. ASVe, di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 29v, vgl. auch Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 86. Die Braut Francesco Barbarigos, Emilia, gehörte zu einer ursprüng­lich aus Dalmatien stammenden Familie vermögender Glasfabrikanten. Obwohl sie nicht dem Patriziat, sondern den cittadini originari angehörten, hatten einige Familienmitglieder außerordent­liche politische Karrieren gemacht, so Giovanni Battista Ballarin (1603 – 1666), der in zahlreichen diplomatischen Missionen für die Serenissima tätig war und kurz vor seinem Tod noch zu deren Großkanzler gewählt wurde. Seine Tochter Angela heiratete 1655 Marco Michiel (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. V, fol. 176v), während sein Sohn Domenico (1632 – 1698) in die politischen Fußstapfen seines Vaters trat. Dieser war wiederum der Vater jener Emilia, die 1690 in die Barbarigo einheiratete. Ihre Schwester Marina wurde 1693 Girolamo Michiel zur Frau gegeben. ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 180v. Vgl. ­Zannini, Burocrazia (1993), S. 73, 153 f., 166 ff. sowie den Eintrag zu Giovanni Battista Ballarin von Torcellan, DBI 5 (1963), S. 570 f. Zu den cittadini originari kurz und präzise Da Mosto, L’Archivio (1937), Bd. 1, S. 73.

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einer blockierten Sekundärelite von vermindertem Sozia­lprestige auszubrechen und als vollwertige Mitglieder der exklusiven Machtelite Venedigs anerkannt zu werden. Wie hoch der mög­liche Nutzen dieser Verbindung von den Rezzonico selbst eingeschätzt wurde, belegt ein Brief Quintilianos, in dem er Livio Odescalchi am Tag der Vertrags­ unterzeichnung erleichtert über die end­lich zustande gekommene Ehe unterrichtete. Dabei versäumte er es nicht, den Neffen des zu ­diesem Zeitpunkt bereits kränk­lichen Papstes auf das Beziehungspotential hinzuweisen, das die Verschwägerung mit den ­Barbarigo in sich trug: Mancherei troppo al debito dell’antica mia servitù, se a V. E. non partecipassi le consola­tioni di mia Casa; le porto adunque nova, come hoggi si è finalmente concluso matrimonio, tra il Sig. Gio. Batta. mio fratello, e la figlia del Ecc. Sig. Girolamo Barbarigo che è stato ultima­ mente consigliere e vicedoge di questa Serenissima Republica; e perché l’accasanza è di qualche ­riguardo per abbracciar il parentado dell’Em.o Sig. Cardinale Barbarigo e del Serenissimo Pren­ cipe Morosini hoggi […] regnante, come anche per haver havuto la medesima Casa Cardinali e Prencipi, son sicuro che l’Ecc.za V.ra ne sentirà particolare consola­tione per l’affetto che ha sempre dimostrato verso la nostra Casa.45

Demnach schien die Heirat vorrangig aus zwei Gründen erstrebenswert: Zum einen erhoffte sich die einstige Kaufmannsfamilie ein enges Verhältnis zum Sippenverband der Barbarigo und zu „ihrem Familienkardinal“. Zum anderen eröffnete sich ihnen über die Barbarigo die Aussicht, Kontakte zum parentado der Morosini zu knüpfen, die mit Francesco Morosini seit April 1688 den Dogen stellte und Ende des 16. Jahrhunderts einen Kardinal gehabt hatte.46 Vordergründig zielten die Rezzonico somit auf einen eher immediaten Nutzwert: Man fokussierte eindeutig auf die für die aktuelle politische Situa­tion Venedigs ausschlaggebenden personellen Konstella­tionen. Und offenbar war es Quintiliano Rezzonico durchaus bewusst, dass es sich dabei um ein recht risikoreiches Spekula­tionsgeschäft handelte, dessen Ausgang zu einem erheb­lichen Teil nicht nur von der Quotierung seiner eigenen Beziehungen zur römischen Kurie, sondern auch von der generellen politischen Konjunkturentwicklung ­zwischen Rom und der Serenissima abhing. Ohne Zweifel konnten die Rezzonico mit dieser Hochzeit ihr sozia­les Fundament in Venedig entscheidend stärken. Nicht nur die Stellung des Schwiegervaters, nicht nur die familiäre Bindung an eine alte Patrizierfamilie überhaupt, sondern insbesondere die daraus erwachsende, wenn auch entfernte verwandtschaft­liche Beziehung zu dem seit

45 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (11. Juni 1689). 46 Giovanni Francesco Morosini (1537 – 1596) war am 15. Juli 1588 von Sixtus V. Peretti zum Kardinal ernannt worden. HC, Bd. 3, S. 52. 1686 erschien in Venedig unter dem Titel „Memorie della Vita di Giovanni Francesco Morosini“ eine posthume Biographie aus der Feder Stefano Cosmis, Generaloberer der Regularkleriker-­Kongrega­tion der Somasker und späterer Erzbischof von S­ palato. Dies zeigt die Bedeutung, die man Morosini noch in den 1680er Jahren zuschrieb.

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1688 regierenden Dogen Francesco Morosini 47 konnte dem sozia­len Ansehen der Familie nicht nur innerhalb, sondern, wie der Brief Quintilianos bereits erkennen lässt, auch außerhalb der Serenissima außerordent­lich zuträg­lich sein. Denn die Meriten Francesco Morosinis lagen vornehm­lich auf militärischem Gebiet. Nach dem Beitritt Venedigs zur Heiligen Liga, auf die Innozenz XI. bereits 1683 den K ­ aiser und den polnischen König im Kampf gegen die Türken eingeschworen hatte, war es Morosini als Oberbefehlshaber der venezianischen Flotte 1687 gelungen, die von den Türken besetzte, ehemals jedoch zum Hoheitsgebiet der Serenissima gehörende Peloponnes zurückzuerobern. Für diesen strate­ gisch ausgesprochen wichtigen Sieg hatte ihm die Republik nicht nur in Anlehnung an antike Feldherrentradi­tionen 1687 den Beinamen „Peloponnesiacus“ verliehen, sondern im selben Jahr auch seine Bronzebüste in der Sala del Maggior Consiglio im Dogenpalast aufstellen lassen, beides Ehrungen, die einmalig in der Geschichte Venedigs bleiben sollten. 1689 wurde er, während er sich noch im Kriegsgebiet befand, zum Dogen gewählt.48 Als militärischer Verbündeter von Papst und Reich genoss er somit auch außerhalb Venedigs größtes Ansehen, welches sich die Rezzonico nutzbar zu machen hofften. Noch aufschlussreicher als die in seinem Brief an Livio Odescalchi von Quintiliano Rezzonico erwähnte neue familiäre Verflechtung mit einer Dogenfamilie (und damit gleichzeitig mit der Familie eines der wichtigsten militärischen Oberbefehlshaber unter den Verbündeten des Papstes im Kampf gegen die Ungläubigen) ist im Bezug auf die strate­gischen Inten­tionen der Rezzonico jedoch die ebenfalls dort angesprochene neue Verwandtschaft mit Kardinal Barbarigo. Dadurch unterstrich Quintiliano gegenüber Livio Odescalchi nachdrück­lich die Nähe seiner Familie zur Gruppe der papalisti innerhalb des Patriziats, derjenigen venezianischen Familien also, die über Genera­tionen hinweg bewusst auf enge Verbindungen zur römischen Kurie setzten, sei es, um wirtschaft­liche Einnahmen durch kirch­liche Pfründen zu erzielen, sei es, um durch einen Bischofs- oder gar Kardinalstitel das Sozia­lprestige der Familie zu steigern oder aber, um durch die Romverbindung mehr politischen Einfluss auch in Venedig zu erlangen.49 Zu diesen Familien zählten vor allem die Corner, Dolfin, Grimani und Pisani. Die Barbarigo hingegen waren papalisti jüngeren Datums. Noch Gregorio Barbarigo (1579 – 1616), der als venezianischer Botschafter am Hofe Savoyens und in England seinen Dienst getan hatte, gehörte in den Zeiten des Interdikts, in dem 1606 die politischen Auseinandersetzungen der Serenissima mit Papst Paul V. kulminiert waren, zu der politischen Gruppe der giovani und somit zu den Anhängern Paolo Sarpis. Er vermittelte darüber hinaus den Austausch ­zwischen dem theolo­gischen Berater der Serenissima sowohl zu den protestantischen als auch zu den gallikanischen Reformern nörd­lich der Alpen – all

47 Eine Tante Girolamo Barbarigos hatte 1627 Tommaso Morosini geheiratet, vgl. Weber, ­Genealogien (1999), Bd. 1, S. 83. 48 Zur Biographie Francesco Morosinis vgl. Da Mosto, I Dogi (1960), S. 426 – 440. 49 Bereits Papenheim, Karrieren (2001), S. 28 hat darauf hingewiesen, dass eine fundierte Untersuchung der Gruppe der papalisti-­Familien dringend zu wünschen wäre. Vgl. auch Kap. II.2.

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dies mit entschiedener antirömischer, antipäpst­licher Spitze.50 Erst zwei Genera­tionen s­päter nahm die soziopolitische Ausrichtung der Familie, wohl unter dem Einfluss der Verteidigung Kretas gegen die Osmanen, dem so genannten Candia-­Krieg, und der damit einhergehenden politischen Tauwetterperiode im römisch-­venezianischen Verhältnis eine entscheidende Wende. Erstes Anzeichen dafür ist aus heutiger Sicht die Hochzeit von Gregorios Enkel Antonio Barbarigo (1630 – 1702) mit Chiara Duodo im Jahr 1654, deren Familie, wie Giuseppe Gullino konstatierte, nicht nur enge Beziehungen nach Rom, sondern ebenso zu den Jesuiten pflegte, die zu ­diesem Zeitpunkt in Venedig noch nicht wieder zugelassen waren.51 Nur ein Jahr ­später wurde sein Bruder, der auf den Namen des Großvaters Gregorio getauft worden und ursprüng­lich von der Familie für eine welt­ liche Laufbahn im Dienste der Serenissima vorgesehen war, in Padua zum Priester geweiht und begann unter Alexander VII. Chigi (1655 – 1667) in Rom eine steile Kurienkarriere, die ihm 1657 den Bischofstuhl von Bergamo und 1660 den Kardinalstitel brachte. 1664 wechselte er als Bischof in das reiche Bistum Padua. Schon in Bergamo hatte er sich als besonders reformfreudiger Bischof hervorgetan, der ganz im Sinne Carlo Borromeos und der nachtridentinischen Reformbewegung innerhalb der ­Kirche agierte.52 Ob sich jedoch Quintiliano Rezzonico in seinem oben zitierten Schreiben an Livio Odescalchi auf den Reformer-­Kardinal Gregorio Barbarigo bezog, ist schwer zu entscheiden. Denn zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes gab es noch einen weiteren Kardinal gleichen Nachnamens. Der 1640 geborene Marc’Antonio Barbarigo entstammte zwar einem anderen Familienzweig und war somit nur entfernt mit Gregorio verwandt, doch gelangen ihm seine ersten Karriereschritte unter der Obhut des fünfzehn Jahre älteren padovanischen Bischofs, den er unter anderem 1676 nach dem Tod Clemens’ X. zum Konklave nach Rom begleitete, aus welchem schließ­lich Benedetto Odescalchi als Papst hervorgehen sollte. Von ­diesem wurde er zwei Jahre ­später zum Erzbischof von Korfu ernannt, wo er bis zur Ankunft der Flotte von Admiral Barbon Morosini, dem Bruder des späteren Dogen Francesco Morosini, im Jahr 1685 residierte. Dann kam es zu einem symptomatischen Zwischenfall, der einmal mehr das schwierige Verhältnis z­ wischen Rom und Venedig und den Stand der papalisti-­Familien kennzeichnete. Während der Vorbereitung einer Messe, die anläss­lich der von Morosini angeführten militärischen Eröffnungskampagne gegen die Osmanen in der Kathedrale Korfus gefeiert werden sollte, wurde – ob versehent­lich oder nicht, sei dahingestellt – von den

50 Vgl. Gios, Il giovane Barbarigo (1999), S. 10. Zwar heiratete Gianfrancesco (1525 – 1558), Ururgroß­ vater Gregorio Barbarigos, 1551 die Tochter von Angelo Corner, Elisabetta, aus deren Familie Papst Gregor XII. (1406 – 1415) und mit Gregorio Corner ein Patriarch von Venedig (1464) hervorgegangen waren. Gullino, Con Marta (1999), S. 55. Aber damit scheinen die Rombindungen abgebrochen zu sein. Zur Vita Gregorio Barbarigos vgl. auch den Eintrag von Ulianich, DBI 6 (1964), S.  69 – 72. 51 Gullino, Con Marta (1999), S. 59. 52 Zu Gregorio Barbarigo und seiner vom Rezzonico-­Papst vorgenommenen Seligsprechung vgl. Kap. IV.4. der vorliegenden Arbeit.

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Bediensteten des Admirals der Platz, auf dem er sitzen und niederknien sollte, an einer Stelle innerhalb der ­Kirche hergerichtet, der aus kirchenhierarchischer Perspektive eigent­ lich dem Erzbischof zustand. Dieser, der dahinter offenbar mehr als eine Unachtsamkeit vermutete, war darüber so erbost, dass er kurzerhand die Messe absagte, allerdings mit für ihn fatalen Folgen. Denn die Serenissima sah sich nun ihrerseits brüskiert, dass einem ihrer Admiräle, noch dazu in einem so bedeutenden Moment wie dem Beginn der Offensive gegen die Ungläubigen und darüber hinaus von einem venezianischen Patrizier, die geist­liche Unterstützung aufgrund seiner Beharrung auf bischöf­lichen Rechten verwehrt wurde. Man bestellte Marc’Antonio Barbarigo zur Untersuchung des Vorgangs nach Venedig ein, wo schließ­lich sein Besitz beschlagnahmt und er gezwungen wurde, sich nach Rom zurückzuziehen. Doch tat dieser politisch brisante Zwischenfall seiner Karriere keinen Abbruch, im Gegenteil. Trotz anfäng­licher Verstimmungen seitens des Papstes, der gerade in diesen Jahren auf eine Politik der Entspannung mit Venedig setzte, um die Heilige Liga nicht zu gefährden, ernannte Innozenz XI. ihn, wohl gerade wegen seiner Haltung gegenüber Morosini, 1686 zum Kardinal und ein Jahr s­ päter zum Bischof von Montefiascone und Corneto.53 Obwohl einiges dafür spricht, dass Quintiliano Rezzonico in seinem Schreiben an Livio Odescalchi mit seinem Hinweis auf Kardinal Barbarigo Marc’Antonio und nicht Gregorio im Blick hatte – insbesondere seine überaus enge Bindung an Innozenz XI . ­Odescalchi, dessen Kreatur er war, lässt dies vermuten –, kann die Frage, wer letztend­lich gemeint war, wahrschein­lich nie endgültig beantwortet werden.54 Noch dazu war keiner der beiden Kardinäle mit den Barberigo von San Vio eng verwandt. Offenbar konnte dieser innerhalb Venedigs nicht unwesent­liche Punkt nach außen hin einfach verschwiegen werden. Doch viel wichtiger als dies ist die Feststellung, dass sich die Rezzonico in ihrer Heiratspolitik somit entschieden den papalisti-­Familien annäherten, was zudem als eine lo­gische Konsequenz ihrer landsmannschaft­lichen Bindung an den regierenden Papst Innozenz XI. und ihren geschäft­lichen Interessen anzusehen sein dürfte. Gleichzeitig 53 Zu Marc’Antonio Barbarigo vgl. die Monographie von Bergamaschi, Vita del servo di Dio (1919) sowie den Eintrag von Torcellan, DBI 6 (1964), S. 73 – 75. Rocca, Il cardinale Marco Antonio Barbarigo (1989) verfolgt hingegen einen eher populärwissenschaft­lichen Ansatz. Einige wenige Informa­tionen finden sich auch bei Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S. 963, 967 f., 1047 f. Im Hinblick auf Barbarigos Kardinalsernennung bemerkt er: „Innozenz XI. [schätzte] besonders die Festigkeit, mit der Barbarigo seine bischöf­liche Würde gegen den venezianischen General Morosini gewahrt hatte. Die Verfolgung durch die venezianische Regierung, die Barbarigo jetzt traf, beschleunigte seine Aufnahme ins Kardinalskollegium, dessen Zierde er wurde.“ Ebd., S. 968. Bezeichnend ist jedoch auch, dass der Venezianer Barbarigo nach seiner Kardinalsernennung, die von der Republik sicher­lich nicht begrüßt worden war, keines der im Hoheitsgebiet der Serenissima gelegenen Bistümer verliehen bekam, sondern das fernab im Kirchenstaat gelegene Bistum Montefiascone. 54 So entstammte Gregorio Barbarigo dem Zweig von Santa Maria Zobenigo. Dieser und der Zweig von San Vio existierten seit spätestens 1449 unabhängig voneinander. Vgl. Barbaro, Tafel 175, 429.

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stellte dies mög­licherweise aber auch einen Versuch dar, aus den festgefahrenen venezianischen Strukturen auszubrechen und sich ein zweites Standbein in Rom zu sichern. Und auch wenn die Barbarigo aus dem Zweig von San Vio zum Zeitpunkt der Hochzeit noch über keine direkten Romkontakte verfügten – in den nächsten Jahrzehnten sollten auch sie sich immer mehr in ihrer politischen Ausrichtung gen Rom orientieren. 1706 wurde Pietro Barbarigo, der zwei Jahre ältere Bruder der Braut, von Clemens XI. Albani zum Patriarchen von Venedig ernannt.55 Ihr Cousin Francesco Maria schlug unter demselben Papst eine Kurienkarriere ein, die allerdings aufgrund seines frühen Todes rasch endete.56 Die Verbindungen mit den Giustinian (1721) und den Widmann (1741) Zielten die Rezzonico mit der Barbarigo-­Hochzeit sowohl auf eine Verankerung in den venezianischen Netzwerken des patriziato vecchio als auch auf eine Stärkung ihrer Rom­ beziehungen, so verfolgten sie diese Doppelstrategie auch in der nächsten Genera­tion weiter. Während der jüngere Sohn von Giovanni Battista Rezzonico und Vittoria Barbarigo, der 1693 geborene Carlo, jener Kurienkarriere nachstrebte, die Jahrzehnte s­ päter von der Tiara gekrönt werden sollte,57 ehe­lichte sein zwei Jahre älterer Bruder Aurelio im Jahre 1721 die achtzehnjährige Anna Maria Giustinian aus dem ramo Campiel dei Squellini.58 Diese Heirat dürfte für die Rezzonico von großer Bedeutung gewesen sein, da die Familie in dieser Genera­tion nur einen Sohn zur Verfügung hatte, der in den Ehestand eintreten konnte. Allerdings erschließt sich der direkte Nutzwert der Verbindung mit den G ­ iustinian nicht auf den ersten Blick, auch wenn Anna Maria Giustinian die Enkelin der Kardinalsnichte Anna Lucia Widmann war.59 Die venezianischen Giustinian zählten keinen Purpurträger in ihren Reihen und gehörten auch nicht zum engeren Kreis der papalisti.60 Dass es sich bei den Giustinian um eine äußerst einflussreiche altpatrizische casa handelte, zeigt bereits der eingangs des Kapitels zitierte Eintrag im genealo­gisch-­biographischen Kompendium der hundert wichtigsten venezianischen Familien: Demnach war es das weit verzweigte Verwandtschaftsnetz der Giustinian, das Domenico Contarini 1659 zum Dogen gemacht hatte. Nicht einmal dreißig Jahre ­später kamen die Giustinian schließ­lich selbst in diese Posi­tion, denn von 1684 bis 1688 hatte Marc’Antonio Giustinian das Dogenamt 55 HC, Bd. V., S. 409. 56 1703 wurde er Ehrenkämmerer von Clemens XI., 1704 Referendar beider Signaturen und 1713 Rotaauditor. Ein Jahr ­später starb er im Alter von dreißig Jahren. Vgl. Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 84. 57 Zur Karriere Carlo Rezzonicos vgl. Kap. II.5. der vorliegenden Arbeit. 58 ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze 126/16, nr. 3771. 59 Barbaro, Tafel 477. Anna Maria Giustinian war die Tochter von Ludovico Francesco Giustinian und Adriana Crotta. 60 Mangels fundierter Studien zur Familiengeschichte der Giustinian stützen sich die folgenden Überlegungen hauptsäch­lich auf die von Marco Barbaro angefertigten Stammtafeln, die im Staatsarchiv Venedig aufbewahrt werden (vgl. Anm. 39 ­dieses Kapitels), sowie auf die Angaben im DBI.

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inne. Er gehörte jenem Familienzweig der Giustinian von San Barnaba an, der wegen seines großen Reichtums den Beinamen delle budelle d’oro trug.61 Auch die beiden anderen rami der Giustinian von San Barnaba, die sich Ende des 16. Jahrhunderts wiederum von ­diesem Zweig abgespaltet hatten und nun nach ihren Wohnorten Santa Croce und San Staé bezeichnet wurden, waren nicht nur sehr vermögend. Mit einer statt­lichen Anzahl von administrativen Funk­tions- und Würdenträgern sowie Botschaftern gehörten sie bis Anfang des 18. Jahrhunderts zur politisch tonangebenden Elite der Serenissima. 1609 hatten sich die Giustinian delle budelle d’oro mit den Giustinian vom Campiel dei Squellini verschwägert, die ihrerseits kurze Zeit ­später den Beinamen dei Vescovi tragen sollten,62 weil sie mit den Brüdern Marco (1589 – 1649) und Vincenzo (1590 – 1643) gleich zwei Bischöfe in ihren Reihen aufzuweisen hatten.63 Mitte des 17. Jahrhunderts versuchte die Familie, ihre Romkontakte zu intensivieren: 1652 heiratete der Bischofsneffe F ­ rancesco Giustinian die Kardinalsnichte Anna Lucia Widmann.64 Diese Hochzeit dürfte auch ganz im Sinne der anderen Familienzweige gewesen sein. Schließ­lich fungierte Giovanni Giustinian (von Santa Croce) unmittelbar vor der Eheschließung als venezianischer Botschafter in Rom (1648 – 1651),65 während Girolamo Giustinian (delle budelle d’oro) ab 1655 dieselbe Funk­tion bekleidete, jedoch wenige Monate nach seiner Ankunft und dem sich 61 Bereits Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Giustinian des Zweiges von San Barnaba (delle budelle d’oro) als eigenständiger Zweig angesehen. Zu Marc’Antonio Giustinian (1619 – 1688) vgl. den Eintrag von Gullino, DBI 57 (2001), S. 256 – 259. 62 1609 heiratete Pietro aus dem ramo di San Barnaba Marina Giustinian aus dem ramo dei Vescovi (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. III, fol. 150r). Beide Familien wohnten am Campiel dei Squellini in unmittelbarer Nachbarschaft. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor, darunter der Botschafter Girolamo Giustinian (1611 – 1656) sowie der spätere Doge Marc’Antonio (1619 – 1688). Bereits der genealo­gische Rückblick auf die Elterngenera­tion von Pietro und Marina deutet das Ausmaß des familiären Netzwerkes an: Marina Giustinian war die Tochter von Daniele und Pellegrina Gradenigo (Tochter des Prokurators Vincenzo Gradenigo). Pietros früh verstorbener Vater Girolamo (1560 – 1587) hatte zunächst 1579 Paola Pisani geheiratet (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. II, fol. 143r). 1582 ehe­lichte er Pietros M ­ utter Cecilia C ­ ontarini (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. II, fol. 144v). 63 Barbaro, Tafel 447. Beide waren Brüder von Marina Giustinian (s. o.). Marco (1589 – 1649) wurde 1623 zum Bischof von Torcello bzw. Ceneda und 1641 zum Bischof von Verona ernannt. Vincenzo (1590 – 1643) war seit 1623 Bischof von Treviso und 1635 Bischof von Brescia. HC, Bd. IV, S. 121, 329, 340, 365. Sie erhielten ihre Bistümer beide im Pontifikat Urbans VIII. Barberini (1623 – 1644). 64 Siehe dazu ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 66v. Der Eintrag bezieht sich auf die Hochzeit ihrer Tochter Alba Giustinan mit Antonio Capello. Dort findet sich jedoch der Verweis auf die Eltern. Vgl. auch Barbaro, Tafel 447. Francesco Giustinian (1629 – 1691) war auch ein Neffe Marina Giustinians (s. o.). Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, war die Verbindung mit den Giustinian für den erst 1646 nobilitierten Brautvater Giovanni Paolo Widmann nur die zweite Wahl. Eigent­lich hatte er eine Heirat mit den Morosini angestrebt. 65 Zu Giovanni Giustinian (1600 – 1652), Sohn von Giulio und Elisabetta Contarini, vgl. den Eintrag von Gullino, DBI 57 (2001), S. 237 – 241. 1623 heiratete er Lucrezia Dolfin (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. IV, fol. 151v) und 1633, nach Lucrezias Tod, Vittoria Trissino (die Ehe wurde allerdings erst am 19. August 1638 registriert; ASVe, Avogaria di Comun,

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anschließenden Pontifikatsbeginn Alexanders VII. Chigi an den Folgen der in Rom kursierenden Pestepedemie verstarb.66 Vier Jahre darauf verschied auch Kardinal ­Widmann. Erst im Jahr 1663 konnten die Giustinian einen doppelten Erfolg verbuchen: Vettor Giustinian wurde Kommendatarabt von San Zeno in Verona und Daniele G ­ iustinian primicerio di San Marco. Schon im Jahr darauf wurde Daniele in Rom dann auch noch zum Bischof von Bergamo geweiht.67 Weitere kirch­liche Karrieren in den nächsten Jahren sind wahrschein­lich allein schon deshalb nicht zu verzeichnen, da alle vier Familienzweige der Sicherung ihres biolo­gischen Fortbestandes im Zeitalter der Türkenkriege die oberste Priorität beimessen mussten. Der Beginn des 18. Jahrhunderts markierte für die Familiengeschichte der Giustinian eine deut­liche Zäsur. Die am Campiel dei Squellini residierenden Giustinian hatten sich in den neunziger Jahren zwar mit den Morosini verschwägern können, wirk­lich bedeutende politische Posi­tionen bekleideten sie indes nicht mehr.68 Für die Familienzweige von San Staé und Santa Croce stellte sich die Lage umgekehrt dar: An ihrer politischen Bedeutung bestand kein Zweifel, doch waren sie vom Aussterben bedroht. Aus d ­ iesem Grund schlossen Giovanni Giustinian von Santa Croce und Alba Giustinian von San Staé im Jahre 1710 den Bund fürs Leben, der allerdings bereits nach wenigen Wochen durch den Tod Giovannis ein jähes Ende fand, womit beide Familienzweige in der agnatischen Linie ausstarben.69 Daraufhin wurde Alba Giustinian einige Jahre ­später mit Nicolò Corner aus

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Libri d’oro. Matrimoni, reg. V, fol. 141v). Seine diplomatische Karriere führte ihn u. a. nach Madrid (1633 – 1638), London (1638), Wien (1640 – 1647) und Rom (1648 – 1651). Zu Girolamo Giustinian (1611 – 1656) vgl. den Eintrag von Gullino, DBI 57 (2001), S. 241 – 245. Er war der älteste der sieben Söhne von Pietro und Marina Giustinian und blieb unverheiratet. Seine diplomatische Karriere führte ihn u. a. in die Niederlande (1637 – 1641), Paris (1641), Madrid (1643 – 1648), Wien (1650 – 1655) und Rom. Er wurde in der venezianischen Na­tionalkirche San Marco in Rom begraben. Barbaro, Tafel 447; HC, Bd. IV, S. 113. Daniele Giustinian (1615 – 1697) war der drittälteste Sohn von Pietro und Marina Giustinian. Vettor Giustinian (1643 – 1686) war als Sohn von Pietro G ­ iustinian (1603 – 1668) und Alba Grimani der jüngste Bruder des mit Anna Lucia Widmann vermählten Francesco Giustinian. Laut Barbaro, Tafel 478 heiratete Pietro Giustinian (1660 – 1705), Sohn von Francesco und Anna Lucia Widmann, der 1688 bei Negroponte gegen die Türken gekämpft hatte, im Jahr 1696 ­Donitella Morosini. Allerdings ließ sich dafür kein Eintrag in den Libri d’Oro der Avogaria di Comun finden. Marc’Antonio Giustinian (1676 – 1756), Enkel des gleichnamigen Dogen, ehe­lichte 1697 Elisabetta Morosini (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 148r; registriert am 1. März 1698). ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VII, fol. 135r. Vgl. auch Barbaro, Tafel 477 sowie den Eintrag zu Ascanio Giulio Giustinian von Gullino, DBI 57 (2001), S. 212 – 216. Alba war die Tochter Antonio Giustinians und Maddalena Loredans. Giovanni war der Sohn Nicolò ­Giustinians und Paola Mocenigos. Im selben Jahr wurde Giovannis Schwester, die ebenfalls den Namen Alba trug, Nicolò Venier zur Frau gegeben (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. ­Matrimoni, reg. VII, fol. 274v).

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dem Zweig von San Polo, dem profiliertesten unter allen papalisti-­Clans, verheiratet.70 Eben diese Verbindung sollte die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Giustinian delle budelle d’oro und vom Campiel dei Squellini Anschluss an die sich um den von 1709 bis 1722 regierenden Dogen Giovanni II Corner aufbauenden Netzwerke suchen und finden sollten. Giovanni II Corner war ein direkter Nachfahre jenes gleichnamigen Dogen, der während seiner Amtszeit (1625 – 1629) enge Beziehungen zur damals regierenden Papstfamilie Barberini gepflegt und seiner Verwandtschaft unter Verletzung der venezianischen Gesetze zu hohen Posi­tionen in der kirch­lichen Hierarchie Venedigs verholfen hatte. Dies hatte die Corner nicht nur ins Kreuzfeuer der Kritik gebracht, sondern auch zu einer ernsten Krise in den venezianisch-­römischen Beziehungen geführt.71 Die Vergangenheit der Corner spielte allerdings nun, da der Spanische Erbfolgekrieg (1700 – 1714) in Europa herrschte und auch Italien erschütterte, keine Rolle mehr. Vielmehr waren gute Beziehungen ­zwischen der Republik Venedig, die während des Konflikts ihre Neutralität behaupten musste, dem Habsburger-­Reich und Rom wünschenswert. Ein Doge aus dem Hause Corner schien dafür das nötige Beziehungspotential mitzubringen. Über die 1667 geschlossene Hochzeit Laura Corners mit dem späteren Dogen G ­ iovanni II Corner, dessen M ­ utter zudem aus der Dogenfamilie Contarini stammte, waren zwei wichtige Familienzweige zusammengeführt worden.72 An exklusiver Verwandtschaft mit guten Rombeziehungen bestand also kein Mangel. So war der Bruder des Dogen, Giorgio Corner (1658 – 1722), seit 1697 Kardinal und Bischof von Padua.73 Der Sohn des Dogen, Federico (1670 – 1729), befand sich seit 1703 in Rom, um eine Kurienkarriere einzuschlagen.74 Die Dogentochter Cornelia hatte 1701 Antonio Marin Priuli geheiratet.75 Und die Priuli waren gleich mit zwei Kardinälen an der Kurie vertreten. 1706 bekam der 70 ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VII, fol. 75r. Die Hochzeit fand am 19. September 1719 statt. Aus dieser Beziehung gingen sieben Söhne hervor. Keine andere venezianische Familie war im Bestreben nach Erlangen des „roten Hutes“ erfolgreicher als die Corner, die allein im 16. Jahrhundert sechs Kardinäle gestellt hatten. Insgesamt brachten sie es für den Zeitraum von 1417 bis 1799 auf acht Kardinäle. Barcham, Grand in Design (2001) gibt am Beispiel des Kardinals Federico (1579 – 1653) einen exzellenten Einblick in die romorientierten Strategien der Familie, die sich nicht zuletzt auch an seinem Grabmal in Santa Maria della Vittoria in Rom widerspiegeln. 71 Vgl. Zanelli, Le relazioni (1933/34) sowie den Eintrag zu Giovanni I Corner von Povolo, DBI 29 (1983), S. 220 – 233. 72 ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. V, fol. 159v. Zum politisch mediokren Profil des Dogen Giovanni II Corner (1647 – 1722) vgl. den Eintrag von Derosas, DBI 29 (1983), S. 234 – 236. Federico Corner, der Vater des Dogen, entstammte dem ramo di San Polo, während seine M ­ utter Cornelia Contarini aus dem ramo di Piazzola stammte. Die vier Schwestern des Dogen hatten in die Familien Morosini, Contarini, Tiepolo und Barbarigo eingeheiratet. Die Ehefrau des Dogen entstammte dem ramo di San Maurizio della Ca’ grande der Corner. Zu den verwandtschaft­ lichen Netzwerken vgl. die diesbezüg­lichen Stammtafeln bei Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 81 – 86, 268 – 274; Bd. 2, S. 640. 73 HC, Bd. 5, S. 20; Moroni, Bd. 17, S. 145 f. 74 Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 270. 75 ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VI, fol. 236v.

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Cousin des Kardinals Pietro Ottoboni (1667 – 1740), Pietro Priuli (1669 – 1728), den roten Hut.76 1712 folgte die Ernennung Luigi Priulis (1650 – 1720), der ein Verwandter des 1699 verstorbenen Kardinals Giovanni Dolfin war.77 Und als bei der ersten Kardinalskrea­tion ­Clemens’ XIII. am 2. Oktober 1758 mit Antonio Maria Priuli ein weiterer Angehöriger dieser weitverzweigten Familie mit dem roten Hut bedacht wurde, gaben dafür nach Ansicht zeitgenös­sischer Beobachter Priulis exzellente familiäre Verbindungen zu den papalisti-­Clans seiner Heimatstadt den Ausschlag.78 Vor d­ iesem Hintergrund war Alba Giustinian von ihrem Erburgroßonkel Ascanio Giulio Giustinian, der just im Jahre ihrer Vermählung zum Prokurator von San Marco ernannt worden war,79 nicht nur mit einem Mitglied der regierenden Dogenfamilie verheiratet worden, sondern es handelte sich bei der Familie Nicolò Corners auch um eine der führenden unter den papalisti. Darüber hinaus war ihr neuer Ehemann nicht nur der Sohn des Dogenschwagers Francesco. Die Familie seiner M ­ utter, Lucrezia Dolfin, pflegte wiederum durch Lucrezias Bruder Kardinal Daniele Dolfin direkte Beziehungen nach Rom.80 In Anbetracht der engen verwandtschaft­lichen Beziehungen, die den Venedig regierenden Sippenverband der Corner mit der Kurie verbanden, verwundert es nicht, dass der von 1720 bis 1723 in Rom weilende Botschafter Andrea Corner in erster Linie mit mikro­politischen Angelegenheiten beschäftigt war.81 Die gegen den Widerstand der Großmächte erfolgte Kardinalsernennung von Giovanni Francesco Barbarigo, dem Neffen des Reformkardinals Gregorio Barbarigos, durch Clemens XI. Albani (1700 – 1721) im

76 HC, Bd. V, S. 25. Zu Pietro Ottobonis Posi­tion an der Kurie in postpontifikaler Zeit vgl. ­Olszewski, Cardinal Pietro Ottoboni (2004). 77 HC, Bd. V, S. 28; Moroni, Bd. 55, S. 245. Zu den Priuli und den Dolfin vgl. die Stammtafeln bei Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 315 – 320; Bd. II, S.  779 – 785. 78 HC, Bd. VI, S. 20; Moroni, Bd. 55, S. 254. Eigent­lich hatte man allgemein mit der Ernennung von Monsignore Molino gerechnet; die Entscheidung für Priuli sei überraschend gekommen, wusste der lucche­sische Gesandte am Papsthof am 7. Oktober 1758 zu berichten und fuhr fort: […] ma il vero motivo è stato, che Priuli ha maggior parentado nella Repubblica, alla quale il S. Padre ha voluto gratificare in questa promozione. Zitiert nach Seidler / Weber, Päpste und Kardinäle (2007), S. 554. Antonio Maria Priuli war ein Sohn der Dogentochter Cornelia Corner. Die oben genannten beiden Kardinälen entstammten allerdings anderen Familienzweigen. 79 Zu Ascanio Giulio Giustinian (1640 – 1715) vgl. den Eintrag von Gullino, DBI 57 (2001), S. 212 – 216. Er war der älteste der drei Söhne von Antonio Giustinian und Lucrezia Surian und er blieb unverheiratet. 1665 begann er seine politische Karriere, die ihn u. a. an die Höfe von Paris (1673 – 1676), Wien (1677 – 1681) und Konstantinopel (1703 – 1710) führte. 80 Vgl. die Stammtafel Cornaro (= Corner) und Delfini (= Dolfin) in Weber, Genealogien (1999), Bd.  1, S.  315 – 320, 268 – 274. 81 Zu Andrea Corner (1686 – 1730) und seiner Botschaftskorrespondenz, die ausführ­lich auf die mikro­ politischen Angelegenheiten an der Kurie eingeht, vgl. den Eintrag von Derosas, DBI 29 (1983), S. 164 – 167. Er war ebenfalls ein Sohn des Dogenschwagers Francesco und Lucrezia Dolfins. Sein Großvater Nicolò war als außerordent­licher Botschafter am Hof ­Kaiser Leopolds I. tätig gewesen; sein Vater Francesco hingegen wirkte während der Pontifikate Alexanders VIII. Ottoboni und ­Clemens’ XI. Albani als außerordent­licher Botschafter in Rom.

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Jahr 1720 verbuchte er dann auch als seinen größten persön­lichen Erfolg.82 Denn obwohl das Verlangen der venezianischen Familien an römischen Benefizien und der Förderung ihrer Karrieren in dieser Zeit eben wegen der oben geschilderten Beziehungskonstella­tion außerordent­lich groß war, konnte von einer die venezianischen Interessen entschlossen vertretenen pressure group in Rom keine Rede sein.83 Das Interesse der Rezzonico an einer Heiratsallianz mit den Giustinian vom Campiel dei Squellini dürfte demnach darauf zurückzuführen sein, dass sie sich über diese Verbindung eine bessere Einbindung in die damalige römisch-­venezianische Beziehungskonjunktur versprachen. Die 1721 geschlossene Ehe Aurelio Rezzonicos mit Anna Giustinian ist also nur auf den ersten Blick wenig spektakulär. Bei genauerer Betrachtung steht sie mit jener sozia­len Verdichtungsdynamik in ursäch­lichem Zusammenhang, w ­ elche die Familien des venezianischen Führungszirkels im Dogat Giovanni Corners eng zusammenschweißte. Von dieser Entwicklung mussten auch die weniger machtnahen Sekundäreliten profitieren, wollten sie nicht den Anschluss an den „Trend“ verpassen. So dürfte es sich bei der Rezzonico-­Hochzeit von 1721 dann auch gewissermaßen um ein Präludium für eine weitere Doppelhochzeit handeln, mittels derer die daran Beteiligten die Verbindung an die politisch maßgeb­lichen Netzwerke Venedigs zu halten versuchten. 1722 heiratete Maria, die Schwester Alba Giustinians, Simone Contarini, während ein Jahr s­ päter Paola G ­ iustinian, eine Tochter des Dogenneffen Marc’Antonio aus dem Zweig delle budelle d’oro, Giovanni Contarini zur Frau gegeben wurde.84 Insbesondere die kirch­lichen Karrieren der über die Giustinian mit den Corner und den Priuli verbundenen Familien sollten dann tatsäch­lich einen starken Aufschwung nehmen.85 82 Ebd. Giovanni Francesco Barbarigo (1658 – 1730) stammte aus dem ramo di Santa Maria del Giglio und war der Sohn von Antonio und Chiara Duodo. Bereits 1719 war er für das Kardinalat vorgesehen. Allerdings behielt der Papst die Ernennung im Hinblick auf die zu erwartenden heftigen Reak­tionen der Großmächte bis 1720 in pectore. Vgl. auch den ihn betreffenden Eintrag von Torcellan, DBI 6 (1964), S. 64 – 66 sowie Kap. IV.4. der vorliegenden Arbeit. 83 So die Einschätzung von Derosas in seinem DBI-Eintrag zu Andra Corner. Derosas, DBI 29 (1983), S. 164. 84 ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VII, fol. 72v, 73r. Vgl. auch Barbaro, Tafel 477. Die Contarini hatten mit Alvise Contarini (1676 – 1689) letztmals einen Dogen gestellt und mussten in dieser Zeit um die Wahrung ihres politischen Status bemüht sein. Gelingen sollte ihnen dies aber nicht. 85 Barbaro, Tafel 478. Teilweise bereits Ausgeführtes noch einmal zusammenfassend: Der Dogenneffe Marc’Antonio Giustinian (1676 – 1756) hatte 1697 Elisabetta Morosini geheiratet (vgl. Anm. 70). Während ihre Tochter Paola 1723 Giovanni Contarini ehe­lichte (vgl. Anm. 86), schlugen vier ihrer fünf Söhne eine kirch­liche Laufbahn ein: Girolamo wurde Jesuit; Gianfrancesco trat 1721 in den Theatiner- und Nicolò 1730 in den Benediktinerorden ein. Später wurde Nicolò Bischof von Torcello (1753 – 1758), Bischof von Verona (1759 – 1771) und Bischof von Padua (1772 – 1796). Girolamo Ascanio trat 1737 in den Kapuzinerorden ein, wurde Bischof von Chioggia (1744 – 1749), Bischof von Treviso (1750 – 1778) und schließ­lich Erzbischof von Caledonia (1788/89). Ledig­lich Sebastiano Giustinian (1699 – 1785) ging eine Ehe ein und heiratete 1737 Elisabetta Nani (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VII, fol. 136r), deren Familie wiederum über die

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Auch den Rezzonico sollte sich mit der Giustinian-­Hochzeit ein neues, ihren Statusambi­ tionen förder­liches Beziehungsumfeld erschließen. Ein Blick auf die Taufpaten der aus dieser Verbindung hervorgegangenen Kinder bestätigt dies; alle acht Kinder hatten Taufpaten aus bedeutenden venezianischen Familien: Der 1722 geborenen Quintilia stand der cavaliere di San Marco Giovanni Priuli Pate,86 während der Prokurator Andrea Corner die Patenschaft für den 1724 geborene Carlo übernahm.87 Sein Bruder Federico Corner wurde Pate des 1726 geborenen Ludovico,88 während Vittoria, die 1727 das Licht der Welt erblickt hatte, den Alt­adligen Vincenzo Bembo und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder ­Giovanni Battista (der allerdings im Säuglingsalter starb) Angelo Contarini zum Paten hatte.89 Schließ­lich folgten 1736 noch Adriana mit Nicolò Corner und 1740 Giovanni B ­ attista II, der mit G ­ iovanni Mocenigo ein Mitglied der Dogenfamilie zum Paten bekam.90 Der Pate des jüngsten S­ ohnes, Abbondio, wurde 1742 schließlich Giovanni Savorgnan.91 Aus dessen Famile stammte knapp 20 Jahre später die Braut, die Abbondios Bruder Ludovico ehelichen sollte. Eine weitere Verankerung der Familie in den Netzwerken der papaplisti-­Frak­tion innerhalb des venezianischen Patriziats gelang den Rezzonico im Jahr 1741 durch die Heirat ­Quintilia Rezzonicos mit Ludovico Widmann.92 Wie schon mehrfach erwähnt, gehörten die aus Kärnten stammenden und durch den Metallhandel reich gewordenen Widmann seit 1646 zum patriziato nuovo. Bereits von ­Kaiser Ferdinand III . mit dem Titel eines Barons von ­Sommeregg bedacht, erwarben sie sich – ähn­lich den Rezzonico – weitere Meriten im großen Türkenkrieg, so dass ihnen ­Kaiser Leopold I. auch den Grafentitel von Ortenburg verlieh.93 Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten die Widmann zudem mit beacht­lichem Erfolg in die kuriale Karriere eines Familienmitglieds investiert: 1646 ernannte Innozenz X.

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Dogentochter Cornelia Corner mit den Priuli verschwägert waren (vgl. Anm. 77). Lucrezia, die Tocher von Cornelia Corner und Anton Marin Priuli, heiratet 1723 Agostino Nani (ASVe, Avogaria di Comun, Libri d’oro. Matrimoni, reg. VII, fol. 196r), während ihr Sohn Antonio Maria Priuli vom Rezzonico-­Papst gleich nach seinem Nepoten zum Kardinal ernannt werden sollte (vgl. Anm. 80). APVe, Parrochia di S. Felice, Registro dei Battesimi, 2 (1700 – 1723), fol. 142v. Bei Giovanni Priuli handelte es sich um den Bruder des 1720 verstorbenen Kardinals Luigi. Vgl. Weber, Genealogien (1999), Bd. 2, S. 779. APVe, Parrochia di S. Felice, Registro dei Battesimi, 3 (1724 – 1752), fol. 3r. Bei Andrea Corner handelt es sich allerdings nicht um den oben erwähnten venezianischen Botschafter, denn das Taufregister weist ihn als Sohn des Prokuratoren Girolamo aus. Ebd., Registro dei Battesimi, 3 (1724 – 1752), fol. 17r. Ebd., Registro dei Battesimi, 3 (1724 – 1752), fol. 21v, fol. 32v. Ebd., Registro dei Battesimi, 3 (1724 – 1752), fol. 75v, fol. 96r. Ob es sich dabei um den Ehemann Alba Giustinians gehandelt hat, konnte nicht geklärt werden. Ebd., Registro dei Battesimi, 3 (1724 – 1752), fol. 105v. Der Ehevertrag war bereits 1739 aufgesetzt worden. ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze, 126/18, nr. 420. Zum Aufstieg der Widmann vgl. Rösch, I Widmann (1980). 1662 verkaufte die Familie die Grafschaft allerdings an die Grafen von Porcia.

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Pamphili den 1617 geborenen Cristoforo Widmann zum Kardinal.94 Dieser versuchte mit aller Kraft, die Familie nachhaltig in Rom zu verankern. Testamentarisch bestimmte er 15000 Dukaten für den Kauf eines Palazzo in Rom, der nachfolgenden Prälaten der Familie als Wohnsitz dienen solle. Bliebe diese Kontinuität jedoch aus, solle der Palazzo auch von anderen Bischöfen des venezianischen Staatsgebietes, die sich für ihre ad-­limina-­Besuche in Rom aufhielten, genutzt werden können.95 Nach seinem Tod 1660 kam der Neffe Ludovico dem Wunsch nach und erwarb, wenn auch erst 1668, im Namen seines Onkels einen Palast bei San Silvestro al Quirinale, nicht weit entfernt vom Palazzo Venezia und von der venezianischen Na­tionalkirche San Marco.96 Und auch das dort von Ludovico und einem weiteren Neffen in Auftrag gegebene Nischengrabmal für Cristoforo Widmann ist, wie bereits Arne Karsten angemerkt hat, vor dem Hintergrund der verfolgten Strategie einer Stabilisierung der Präsenz des Hauses Widmann an der Kurie zu betrachten.97 Das von Cosimo Fancelli geschaffene Monument präsentierte den im Jahre 1660 Verstorbenen angesichts der weiteren in der K ­ irche vorhandenen Grabmäler geradezu im Rahmen einer „Ahnengalerie“ prominenter venezianischer Purpurträger.98 Insofern fügt sich auch diese Heirat in ein stimmiges Bild, was die Heiratsstrategien der Rezzonico in den Jahrzehnten nach der Aggregierung in das venezianische Patriziat betrifft. Die dabei verfolgten Ziele treten klar hervor: Durch Verbindungen mit Angehörigen der case vecchie sollte der neu gewonnene Adelsstatus konsolidiert und den Vorbehalten gegenüber den tradi­tionsarmen Aufsteigern entgegengewirkt werden. In d ­ iesem Kontext kam der Heirat Giovanni Battista Rezzonicos mit Vittoria Barbarigo zentrale Bedeutung zu. Gleichzeitig schuf diese Ehe neue Verbindungen zu jenen kurienfreund­lichen Kreisen innerhalb der venezianischen Aristokratie, ­welche für die seit langem romorientierten und seit der Herrschaft ihres Landsmannes Innozenz XI. Odescalchi in den Jahren z­ wischen 1676 und 1689 gut vernetzten Rezzonico langfristig von Bedeutung waren. Die Allianzen mit den seit 1652 verschwägerten Häusern Giustinian und Widmann, ihrerseits entschieden nach Rom ausgerichtet, verstärkten diese Orientierung ebenso wie die „künst­liche Verwandtschaft“ durch die Wahl der Paten für die Kinder, die aus der Ehe von Aurelio Rezzonico und Anna Giustinian hervorgingen und die allesamt aus einflussreichen und kirchenfreund­ lichen Kreisen stammten.99 Angesichts dieser starken Forcierung auf die Kurie ist es nicht übertrieben, die Aufstiegsstrategien der Rezzonico als „romorientiert“ zu charakterisieren. 94 HC, Bd. 4, S. 29. Zu Cristoforo Widmann vgl. auch den Eintrag bei Moroni, Dizionario (1860), Bd. 99, S. 245 – 246. 95 Dieser Passus des Testaments ist bei Rösch, I Widmann (1980), S. 30 publiziert. 96 Ebd., S. 31. 97 Karsten, Die Gleichschaltung der Eminenzen (2005), S. 241. 98 Vgl. hierzu Karsten, ebd., S. 240 f. sowie Kap. IV.4. der vorliegenden Arbeit. Zu Fancelli vgl. Wittkower, Arte e Archittetura (1993), S. 270. Ein Verzeichnis seiner Arbeiten in Rom, darunter eine Reihe von Grabmälern, bei Ferrari / Papaldo (Hg.), Le sculture del Seicento (1999), S. 642. Zur Kunstpatronage der Widmann allgemein vgl. Magani, Il collezionismo (1989). 99 Zu Patenschaften im Kontext mikropolitischer Netzwerke vgl. Reinhardt, Macht und Ohnmacht (2000), S. 221 – 263, bes. S. 221 – 224.

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4. Die Villa als Statussymbol Zu den wichtigsten repräsentativen Aushängeschildern des venezianischen Patriziats gehörten seine Villen auf der Terraferma, die sich fast wie ein Ring vor die Stadt legten. Reiste man auf dem Brenta-­Kanal, der Hauptverkehrsverbindung von Padua nach Venedig, so präsentierten sich dem Besucher allenthalben die Villen der alten venezia­ nischen Adelsfamilien wie der Contarini, der Pisani oder der Foscari. Sie boten ihm, noch bevor er die Stadt betreten hatte, einen visuellen Vorgeschmack dessen, was ihn in der Stadt selbst erwartete. Der ansonsten in seinen Schilderungen eher zurückhaltende Heinrich von Huyssen geriet geradezu ins Schwärmen, als er 1701 in seinem Reisebericht die prächtigen Lusthäuser, die denen [sic!] Venetianischen Edelleuten zuge­ hören, beschrieb.1 Der geistesgeschicht­liche Hintergrund sowie die sozioökonomischen Bedingungen ihrer Entstehung, die in den letzten Jahrzehnten eingehend untersucht worden sind, können an dieser Stelle nur in aller Kürze umrissen werden.2 Die äußeren Voraussetzungen für die Herausbildung der Villenlandschaft im Veneto bildeten die sich verändernden Bedingungen der venezianischen Wirtschaft im 15. Jahrhundert. Hatten die Venezianer bis zum 14. Jahrhundert vor allem vom Seehandel gelebt, so richteten sie, gezwungen durch ihre schwindende Machtstellung im Mittelmeerraum aufgrund territorialer Verluste und der wachsenden wirtschaft­lichen Konkurrenz durch die Entdeckung neuer Handelswege, ihr Augenmerk mehr und mehr aufs Festland.3 Bis weit in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts hatten die Venezianer ihr ober­ italienisches Hinterland ledig­lich indirekt kontrolliert. Dann aber begannen sich ihre Interven­tionen in dieser Region zu häufen und gewannen vor allem eine neue Qualität, indem sie der Ausbildung eines eigenen, direkt beherrschten Territoriums dienten. Dieser Prozess des Ausgreifens auf die terra ferma ist eng mit dem Namen des Dogen Francesco Foscari verbunden, der in den langen Jahren seiner Herrschaft ­zwischen 1423 und 1457 den Expansionsprozess mit Nachdruck vorantrieb.4 Langfristig bewirkte die Eroberung der terra ferma und die Einrichtung jener bürokratischen Strukturen, die zu ihrer Verwaltung nötig waren, grundlegende sozia­l- und mentalitätsgeschicht­liche Wandlungen. Denn während gleichzeitig immer mehr Besitzungen des stato da mar im 1

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Heinrich von Huyssen, Curieuse und vollständige Reiss-­Beschreibung von gantz Italien, worinnen der gegenwärtige Zustand nicht allein des päbst­lichen Hofs, sondern auch anderer Höfen, Repu­ bliquen und Städten in Italien beschrieben und was in denenselben Merckwürdiges zu sehen in einer angenehmen Correspondentz von einer berühmten Feder vorgestellet wird, Freiburg 1701, S. 134. Aus der großen Fülle der Literatur zum Villenbau und zur villeggiatura sei nur auf wenige grundlegende Werke, die vor allem die Entwicklung im Veneto im Blick haben, verwiesen: Muraro, Civiltà (1986); Ackerman, The Villa (1990); Bentmann / Müller, Die Villa als Herrschaftssymbol (1992). Vgl. hierzu und zum Folgenden vor allem Mallett, La conquista della Terraferma (1996). Zu Foscari und den seiner Politik zugrunde liegenden Zielen vgl. die exzellente Biographie von Romano, The Likeness of Venice (2007).

Die Villa als Statussymbol  |  89

öst­lichen Mittelmeer an die Osmanen verloren gingen, wuchsen die administrativen Aufgaben, ­welche die Angehörigen der venezianischen Führungsschicht auf dem ober­ italienischen Festland wahrzunehmen hatten. Die Ausübung administrativer Ämter aller Art entwickelte sich innerhalb des cursus honorum der Patrizier nachgerade zu einer Selbstverständ­lichkeit. Nimmt man hinzu, dass gleichzeitig die Gewinnmargen im Handel schrumpften, so wird verständ­lich, warum die venezianische Führungsschicht ihr Gesicht veränderte: Die einstmals ambi­tionierten Kaufleute investierten ihr Kapital nunmehr in sicheren Grundbesitz und bezogen ihr Einkommen aus den anfallenden Renditen. Damit verbunden war die Mög­lichkeit, den eigenen Lebensstil nach dem Vorbild des landsässigen Adels zu modellieren, wodurch der in ganz Europa im 17. Jahrhundert zu beobachtende Refeudalisierungsprozess 5 ein typisch venezianisches Erscheinungsbild gewann, welches das Veneto bis heute zu einer der kunst- und kulturgeschicht­lich reizvollsten Gegenden Europas macht. Vor allem im 16. und 17. Jahrhundert entstanden auf dem venezianischen Festland zahlreiche Villen als Ort der Kontempla­tion, der Muße und der Erbauung, deren Auftraggeber zum Großteil aus den wichtigsten venezianischen Adels­familien stammten. Im Hinblick auf die Behauptung adligen Standesbewusstseins als dem gesellschaft­lichen Leitwert des Ancien Régimes kam gerade den Villen als repräsentativen Stätten adliger Sozia­bilität eine zentrale Funk­tion zu.6 Im Vergleich mit den römischen oder toskanischen Villen, um zwei weitere Zentren des italienischen Villenbaus zu nennen, waren die Villen der Venezianer jedoch viel enger an die landwirtschaft­liche Produk­tion geknüpft.7 Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der venezianische Adel, wie erwähnt, seit dem 16. Jahrhundert immer mehr aus dem Handel zurückzog und stattdessen Grundbesitz zu erwerben begann, um von den darüber erwirtschafteten Renditen zu leben.8 Wenn es mit der Zeit für die Angehörigen der alten Patriziatsfamilien geradezu selbstverständ­lich war, über eine repräsentative Villa auf dem Festland zu verfügen, so konnte d ­ ieses Modell nicht ohne Anziehungskraft für Sozia­laufsteiger bleiben. Paradigmatisch sind in ihrem sozia­len Verhalten auch hier wieder die Parvenüs der „ersten Genera­tion“, wie die Widmann und die Labia. Beide Familien erwarben wenige Jahre nach ihrer Nobilitierung nicht nur umfangreichen Grundbesitz, sondern ließen

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Zur Refeudalisierung, einem „der wesent­lichsten Phänomene der euro­päischen, insbesondere aber der italienischen Sozia­lgeschichte ­zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert“ vgl. den knapp-­konzisen Überblick bei Hersche, Italien im Barockzeitalter (1999), S. 103 – 113; mit Blick auf andere euro­ päische Staaten Asch (Hg.), Der euro­päische Adel (2001). Zur politisch-­sozia­len Funk­tion der villeggiatura vgl. Mozzarelli (Hg.), L’antico regime in villa (2004), auch wenn sich der Band hauptsäch­lich auf die Lombardei bezieht. Vgl. auch Donati, L’idea di nobiltá (1988), bes. S. 291 – 314. Dies macht sich auch in der Entwicklung der architektonischen Typologien der Venetovillen bemerkbar. Seit Palladio wurden auch die Wirtschaftsgebäude in den architektonischen Entwurf eingebunden. Vgl. Ackerman, The Villa (1990), S. 89 – 107. Vgl. dazu vor allem Beltrami, Forze di lavoro (1961); Lanaro, Il contesto (2005).

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sich auch in der Gegend um Padua repräsentative Landsitze errichten. 9 Denn, wie Gerda Bödefeld und Berthold Hinz konstatierten: „Die Visitenkarte des neuen Patri­ ziats war die Villa.“10 Die Rezzonico als Grund- und Villenbesitzer Ein ganz ähn­liches Verhalten ist bei den Rezzonico zu beobachten, auch wenn sie, was den zeit­lichen Ak­tionsradius und den Umfang ihrer Aquisi­tionen betrifft, im Vergleich zu den Labia oder den Widmann doch etwas zurückhaltender agierten. Zumal die Anfänge waren bescheiden: In der Besitzstandserhebung von 1711 deklarierte Giovanni Battista Rezzonico den Grundbesitz von insgesamt 38 campi auf der Terraferma (was ungefähr 15 Hektar entspricht), die sich aus den 15 campi der Villa in Balò unterhalb Miranos, ­welche seine Frau Vittoria mit in die Ehe gebracht hatte, und weiteren 23 campi in Bassano zusammensetzten.11 In den folgenden Jahrzehnten lässt sich jedoch anhand der Kaufverträge im venezianischen Notariatsarchiv beobachten, wie die Familie verstärkt in Grundbesitz investierte: 1723 erwarben Giovanni Battista und Quintiliano Rezzonico von Alba G ­ iustinian Venier, der Frau des verstorbenen Nicolò Venier, 36 Hektar Waldfläche unterhalb von Cavarzere, wofür sie 31000 Dukaten zahlten.12 Nur drei Jahre ­später investierten sie weitere 22500 Dukaten in den Kauf von Ländereien in der Gegend um Padua 13 – zusammen machen die Ausgaben immerhin die Hälfte dessen aus, was die Rezzonico für ihre Erhebung in den Adelsstand gezahlt hatten. Weitere Landkäufe folgten, denn bei der nächsten Besitzstandserhebung im Jahre 1740 bot sich ein völlig gewandeltes Bild: Die Familie besaß nun insgesamt fast 2500 campi an Feldern, Weideflächen und Wäldern um Padua, Treviso und Vicenza herum, die sie verpachtet hatten.14 Rechnet man die Fläche in Hektar um und

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1648 kaufte Giovan Francesco Labia von der Serenissima für 180000 Dukaten den Feudo della ­Frattesina, der 1487 campi Land umfasste, um, wie Gullino konstatierte, onorare nelle dovute forme la recente aggregazione al patriziato. Damit konnte sich die Familie nun mit dem Titel Conti di ­Frattesina schmücken. Ähn­lich agierte auch Ludovico Widmann, der 1657 für 400000 Dukaten 5863 campi im süd­lich von Padua gelegenen Bagnoli erwarb, wo er in den folgenden Jahren eine imposante Villa errichten ließ. Gullino, I patrizi veneziani (1980), S. 171, 187 f., Anm. 15; M ­ agani, Il collezionismo (1989), S. 22 – 28. Bödefeld / Hinz, Die Villen im Veneto (1998), S. 45. ASVe, Redecime, 1711, b. 287, nr. 942. Die Größe eines campo variierte von Gegend zu Gegend. Im Trevisanischen entsprach ein campo 0,52 Hektar; im Bassane­sischen 0,41 Hektar; im Paduanischen hingegen nur 0,386 Hektar. Bödefeld / Hinz, Die Villen im Veneto (1998), S. 29. ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 7118, fol. 165v–169v (28. Juli 1723). Alba war die Schwester Giovanni Giustinians (aus dem ramo Santa Croce). Während Giovanni 1710 Alba G ­ iustinian aus dem Familienzweig von San Staé geehe­licht hatte, war seine Schwester im selben Jahr mit Nicolò Venier verheiratet worden. Vgl. Kap. II.3. der vorliegenden Arbeit. ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 7124, fol. 176r–v (21. August 1726). ASVe, Redecime, 1740, b. 321, nr. 878.

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6 Bassano del Grappa, Villa Rezzonico

berücksichtigt dabei die unterschied­lichen Ausdehnungen, ­welche die campi innerhalb der einzelnen Gegenden ausmachten, so kommt man auf eine Fläche von rund 1000 Hektar.15 Damit waren die Rezzonico innerhalb von nicht einmal dreißig Jahren zu respektablen Grundbesitzern aufgestiegen, auch wenn sie noch längst nicht an die Besitztümer einiger Familien des patriziato vecchio wie beispielsweise der Contarini oder Pisani heran­reichten, die über eine Landfläche z­ wischen 5000 und 15000 Hektar verfügten. Doch gehörten die Rezzonico nun mit etwa hundert anderen Adelsfamilien zu denjenigen, die ­zwischen 1000 und 5000 Hektar Land besaßen und damit vom Umfang her im Mittelfeld der Grundbesitzer agierten.16 Bezeichnenderweise fiel in diese Zeit der verstärkten Investi­tionen in Grund und Boden auch das Ende der venezianischen Handelsniederlassung der R ­ ezzonico: zum Ende des Jahres 1730 wurde die Dita di Aurelio Rezzonico offiziell aufgelöst und agierte nur noch, um ausstehende Rechnungen zu begleichen.17 Wie schon Giuseppe Gullino mit Blick auf die beiden Besitzerhebungen von 1711 und 1740 angemerkt hat, „sono le sue

15 Vgl. Anm. 11. 16 Bödefeld / Hinz, Die Villen im Veneto (1998), S. 41. 17 ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 7138, fol. 162v–163r (26. August 1733): Constituiti alla presenza di me Notaro, e Testimoni infrascritti li SS.ri Orazio Massaroli qd Gio. Batta, Salvador Polacco qd Pietro, Gio. Batta Mozzi qd Giacomo e Gio. Batta. Rondelli qd altro Gio. Batta. da me conosciuti, furono tutti Ministri, et Agenti nel Negozio già corso in questa Piazza nel nome, e dita di Aurelio ­Rezzonico, e sponte. con loro giuramento in mano mia prestato tactis scripis, hanno attestato, et attestano, qualm.te verso il fine dell’anno 1730 M. V. fu risolta, e notificata a tanto in questa Città, quanto fuori la disdetta, e finimento di detto Negozio, che correva sotto la predetta Dita Aurelio ­Rezzonico, correndo p.ntem.te la dita medesima e nome d’Aurelio Rezzonico solamente per il consum del Stralcio, e finimento di qualche residuo de Negozi passati, che si van terminando per il fine del total ricecco della Dita medesima.

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7 Grundriss der Villa Rezzonico

[Giovanni Battistas] dichiarazioni dei redditi a testimoniare il passaggio da una mentalità borghese a quella nobiliare”.18 Noch bevor die Rezzonico ihren Grundbesitz systematisch zu erweitern begannen, hatte Giovanni Battista bereits 1701 angefangen, vor den Toren Bassano del Grappas sukzessive Land zu kaufen, um dort eine eigene Villa errichten zu lassen, die ihm und seiner Familie als sommer­liches Refugium dienen sollte.19 Heute befindet sich diese aufgrund der flächenmäßigen Ausdehnung der Stadt im letzten Jahrhundert am unmittelbar süd­lichen Stadtrand, an der Ausfallstraße nach Cittadella. Der architektonische Komplex, der im Verlauf des 18. Jahrhunderts von den Rezzonico mehrmals erweitert wurde, präsentiert sich dem heutigen Besucher als eine Anlage mit einem zentralen Hauptgebäude in der Mitte, flankiert von zwei Wirtschaftsgebäuden (barchesse). Sie bilden eine Art Ehrenhof, den nur eine niedrige Brüstung unterbricht, w ­ elche die Villa von der vorbeiführenden Straße abtrennt. Die Villa selbst ist ein zweigeschossiges, über einem rechteckigen Grundriss errichtetes Gebäude, das auf einem erhöhten rustizierten Sockel ruht und dessen zentraler Baukörper an den vier Seiten jeweils von vier Ecktürmen flankiert wird, die mit den Fassaden in einer Flucht liegen und nur an den Schmalseiten wie Eckrisalite hervorspringen. (Abb. 6/7)

18 Gullino, Da Como (2008), S. 24. 19 Wie Andrea Minchio in seiner Tesi di Laurea rekonstruieren konnte (eine Kopie dieser Arbeit ist in der Stadtbibliothek von Bassano, eine andere in der Fakultätsbibliothek der IUAV in Venedig einsehbar), erwarb Giovanni Battista Rezzonico im Januar 1701 für 4682 Dukaten von Marco Antonio Caroncelli etwas mehr als 10 Hektar Land in der vor den Toren Bassanos gelegenen Contrà della Riva. Drei Monate s­ päter kamen zu d ­ iesem Besitz weitere knapp 4 Hektar durch den Kauf eines angrenzenden Grundstücks hinzu. Minchio, Studi ed ipotesi (1982/83), S. 71.

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8 Hauptfassade der Villa Rezzonico

Nähert man sich der Villa, so führt eine breite und sich nach oben verjüngende Freitreppe zu einem relativ schmalen, von bossierten Pilastern gerahmten Eingangsportal hinauf, das in seiner architektonischen Gestaltung mit behauenen Quadersteinen und einem aus einem bärtigen Kopf bestehenden Schlussstein im Scheitelpunkt heute das einzige hervorstechende Schmuckelement der ansonsten glatt verputzten und architektonisch kaum akzentuierten Fassade bildet. (Abb. 8) Die in regelmäßigen Abständen vorhandenen Löcher in der Mauerfläche oberhalb des Portals lassen jedoch darauf schließen, dass dort einst das Wappen der Familie angebracht war. Tatsäch­lich berichtet Lorenzo Crico in seinem 1822 erschienen „Viaggetto pittorico da Venezia a Possango“ von einem goldenen Wappen des aus der Familie stammenden Papstes Clemens XIII. Rezzonico, welches die Fassade der Villa schmückte.20 Den architektonischen Gesamteindruck des Gebäudes beherrschen eindeutig die vier Türme, die vom zentralen Baukörper durch eine Rustizierung deut­lich abgesetzt werden. 20 Lorenzo Crico, Viaggetto pittorico da Venezia a Possagno, Venedig 1822, S. 69 f.: Il suo ingresso [­Bassano] da questa parte viene decorato dal palagio Rezzonico, edificio rispondente ad un nome sì illustre; nome caro a’ veneziani, ed a tutta la cattolica chiesa, cioè di papa Clemente XIII, di cui v’ha lo stemma dorato sulla facciata.

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9 Gartenfassade der Villa Rezzonico

Doch sieht man von den wenigen architektonischen Gliederungselementen ab, erweckt die Fassade einen flachen, schmucklosen, ja fast abweisenden Eindruck. Umrundet man das Gebäude, so fällt auf, dass sich Haupt- und Rückfassade fast vollständig gleichen, was im Hinblick auf die Typologie der Villenbauten des Veneto ungewöhn­lich wirkt, wo gewöhn­lich eine Fassade zur Schaufassade ausgebildet und meist durch einen Portikus oder zumindest durch eine Loggia besonders akzentuiert wird. Bei der Villa Rezzonico ist nur die Rustizierung des Portals zum Garten hin ein wenig zurückgenommen, mög­licherweise, weil an dieser Stelle das Gesims oberhalb des Portals kein Wappen zu tragen hatte. Und auch die Pilaster beidseitig des Portals stimmen mit den Abständen ihres Bossenwerkes nicht völlig mit denen des Portals der Hauptfassade überein. (Abb. 9)

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Die Villa Rezzonico in Bassano del Grappa Die Baugeschichte der Villa ist nur lückenhaft überliefert.21 Die Brüche in der architektonischen Gestaltung, die sich vor allem im Kontrast ­zwischen dem glatten, abweisenden Charakter der Fassaden und der aufgelockerten, großzügigen Architektur des Inneren zeigen, sowie erste bauhistorische Befunde, die unterschied­liche Stärken des Mauerwerks der Türme und des zentralen Baukörpers ergaben, haben zu der Vermutung geführt, dass ihre Errichtung mindestens zwei Bauphasen umfasst hat.22 Diese Vermutung wird erhärtet durch einen Vergleich der beiden Besitzstandserklärungen aus den Jahren 1713 und 1740: 1713 war die Villa zumindest im Kern fertig gestellt, denn Giovanni Battista R ­ ezzonico deklarierte auf seinen Ländereien in Bassano del Grappa ausdrück­lich den Besitz einer Villa per uso proprio.23 In den folgenden drei Jahrzehnten wurde der Komplex jedoch mit Sicherheit erweitert, denn 1740 war von una casa con barchesse die Rede.24 Außerdem wurde vor 1734 die kleine, Johannes dem Täufer (dem Namenspatron Giovanni Battista R ­ ezzonicos) geweihte Kapelle errichtet, ­welche heute der nörd­lichen barchessa, die jedoch erst am Ende des 18. Jahrhunderts von Antonio Gaidon errichtet wurde, inkorporiert ist.25 Es ist anzunehmen, dass im Zuge dieser architektonischen Erweiterungen auch die Errichtung der die Villa flankierenden Türme und der Umbau im Inneren vorgenommen wurden. Selbst über die Frage nach dem verantwort­lichen Architekten wurde lange Zeit spekuliert, und eine quellenkund­lich fundierte, definitive Klärung ist bis heute nicht gelungen. Doch vertritt die jüngere Forschung die Auffassung, dass es sich, zumindest ab der Umbauphase, um den in Venedig tätigen Giorgio Massari (1687 – 1766) handeln könnte, dem auch der zwei Jahrzehnte ­später erfolgte Umbau des Familienpalastes der Rezzonico in Venedig zugeschrieben wird, auf den an anderer Stelle noch näher einzugehen ist.26 21 In den fragmentarischen Beständen des Familienarchivs im Staatsarchiv in Verona und im Privat­ archiv der Familie Foscari in Malò ließen sich keine die Villa betreffenden Unterlagen finden. Die bisher einzigen, quellenkund­lich belegbaren Angaben zur Baugeschichte der Villa wurden von Minchio im Notariatsbestand des Vicentiner Staatsarchivs aufgefunden. Demnach wurde 1703 an der Villa gebaut und es wurden offenbar zumindest einige Räume des Erdgeschosses fertig gestellt. Minchio, Studi ed ipotesi (1982/83), S. 91. Eine systematische Durchsicht der Notariatsquellen bis in die 1740er Jahre sowie eine architektonische Bauaufnahme könnten mög­ licherweise noch weitere konkrete Angaben zur Baugeschichte bringen, doch konnte dies im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. 22 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 65: „L’attuale proprietario della villa, […] mi riferì di aver potuto notare, in occasione di alcuni lavori, una certa diversità fra le murature del corpo centrale dell’edificio e quelle delle quattro torri, le quali dovrebbero pertanto costituire un’aggiunta posteriore.” 23 ASVe, Redecima, 1713, b. 287, nr. 942. Darauf verweist schon Massari (1971), S. 65. 24 ASVe, Redecima, 1740, b. 321, nr. 878. 25 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 65. Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 195. Eine Tafel im Inneren der Kapelle nennt das Weihedatum 1734. Zu Gaidon vgl. Pavan, Profilo di architetti bassanese (1962), bes. S. 245, Anm. 21; Brusatin, Venezia (1980), S. 320 – 322. 26 Die Guiden Bassanos, w ­ elche die Villa erwähnen, schweigen sich über deren Architekten aus. Erst 1930 wurde sie von Tua aufgrund stilistischer Überlegungen Baldassare Longhena zugeschrieben.

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10 Passariano, Villa Manin

So unklar wie die Bau- und Auftragsgeschichte im Einzelnen, so ungewöhn­lich ist das Erscheinungsbild der Villa Rezzonico. Schon Lorenzo Crico unterrichtete seine Leser ­darüber, wie wenig sich der Bau seiner äußeren Form nach in die architektonischen Tradi­ tionen des Villenbaus im Veneto einfüge.27 Die zurückgenommen glatte, fast schmucklose Fassade stand (und steht) im unübersehbaren Gegensatz zu den architektonisch aufwendig akzentuierten Fassaden nicht nur der venezianischen Villen, deren antikisierender Portikus

Tua, La villa dei Rezzonico (1930), S. 224, worin ihm allerdings Cevese 1952 in seinem ersten Beitrag zu den Vicentiner Villen nicht folgte, sondern bereits hier Giorgio Massari als Architekten vorschlug, was er allerdings ein Jahr ­später zugunsten Longhenas wieder zurücknahm. Cevese, Le ville (1952), S. 145; Ders., Le ville (1953), S. 259. Auch Semenzato nimmt die Villa 1954 in seinen Werkkatalog Longhenas auf, nicht ohne jedoch vorsichtig zu äußern, dass einige Elemente durchaus ungewöhn­lich für Longhena ­seien, und es sich hierbei mög­licherweise um ein Spätwerk handele. Semenzato, L’architettura (1954), S. 58. Erst Massari bringt in seiner monographischen Studie die Architektur der Villa erneut mit Giorgio Massari in Verbindung. Darin folgen ihm auch Noè und Minchio. Massari, Giorgio Massari (1971), S. 63 – 67; Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 192. Minchio, Studi ed ipotesi (1982/83), S. 114. Auch in dem vom Istituto Regionale delle Ville Venete herausgegebenen Bestandskatalog hält man Massari zumindest als Architekten für mög­lich. ­Battilotti (Hg.), Ville venete (2005), S. 66 f. Da Longhena bereits 1682 starb, die Rezzonico jedoch erst ab 1701 Ländereien in Bassano kauften (vgl. Anm. 19 ­dieses Kapitels), ist eine Autorschaft Longhenas schon dahingehend schwierig. Zu Massari vgl. auch Kap. II.6. der vorliegenden Arbeit. 27 Lorenzo Crico (wie Anm. 20), S. 70: L’architettura non sente gran fatto della maniera usitata in questi nostri paesi; maniera, però, che non manca di magnificenza, e di comodo, da poi che si veggono congiunte al principale edificio due così dette barchesse inservienti a molti usi domestici utilissimi.

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(vorgelegt oder zumindest in seinen architektonischen Elementen Säule, Gebälk und Giebel in die Gestaltung der Fassade integriert) seit Andrea Palladios späten Villenbauten zum architektonischen Standardrepertoire der Villenarchitektur gehörte.28 Während die barocken Villen darüber hinaus durch eine starke Plastizität der Fassade bestimmt werden,29 die sich oftmals mit einer starken Theatralität der gesamten Anlage verband, wie beispielsweise im Falle der Villa Manin in Passariano bei Udine aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, verschließt sich der von den Rezzonico errichtete Bau in seiner äußeren Gestaltung regelrecht dem Besucher und wirkt im Vergleich mit anderen Villen in seiner Architektur fast retrospektiv. (Abb. 10) Bereits Renato Cevese hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Typologie des Außenbaus der Villa mit den vier den Kernbau flankierenden Türmen auf die schema­ tische Komposi­tion mittelalter­licher Kastellanlagen anspiele.30 Diese Beobachtung ist durchaus treffend, und sie wird noch durch den Verzicht auf eine akzentuierte Schaufassade unterstrichen. Denn das mittelalter­liche Kastell zeichnete sich durch seinen fortifikatorischen Charakter aus, der in einer abweisenden und somit wenige Angriffspunkte bietenden Fassade und den Ecktürmen bestand, denen ausschließ­lich Verteidigungsfunk­tion zukam. Die Verwendung von Ecktürmen in den venezianischen Villen des 15. und 16. Jahrhunderts stellte somit häufig eine letzte Reminiszenz an mittelalter­liche Wehranlagen und die Signorienburgen Oberitaliens dar. 31 Legt man jedoch den Bericht des venezianischen Chronisten Marino Sanudo zugrunde, wies dieser Rückbezug auch deut­lich impe­riale Züge auf, denn die Burgen waren von den mittelalter­lichen Kaisern während ihrer Italien­züge gern als Pfalzen genutzt worden. So berichtete Sanudo, dass nach Eroberung der terra ferma durch die Venezianer ein Erlass ergangen war, nach dem die Adelsburgen auf venezianischem Hoheitsgebiet abgerissen werden sollten, um die Zeichen ­­ imperialer Macht auf ihrem Territorium auszulöschen.32 Im Laufe des 16. Jahrhunderts treten mehr oder minder wehrhafte Türme bei der Errichtung von Landsitzen langsam zurück, um schließ­lich oft nur noch als flankierende

28 Aus der fast unüberblickbar gewordenen Literatur zur Villa im Veneto sei nur auf den Katalog der großen Villenausstellung in Vicenza 2005 verwiesen: Beltramini / Burns (Hg.), Andrea Palladio (2005). Dort auch weiterführende Literatur. 29 Zur Typologie der Veneto-­Villen im Settecento zuletzt Romanelli, Oltre Palladio (2005). 30 Cevese, Ville della Provincia di Vicenza (1971), Bd. 2, S. 320. 31 von Moos, Turm und Bollwerk (1974), S. 114. Von Moos liefert auch eine ausführ­liche Genese ­dieses Villentypus, dessen Vorläufer in die Toskana führen. Bereits die von Giuliano da Sangallo für Lorenzo il Magnifico errichtete Villa in Poggio a Caiano greift auf das Vorbild des Viertürmekastells zurück, lässt aber die vier Ecktürme, wie in der Villa Rezzonico, nur an den beiden Flanken risalitartig hervorspringen. Sowohl die Haupt- als auch die Gartenfassade bilden eine glatte Front. Dieses Element nehmen auch die von Großherzog Ferdinand de’ Medici in Auftrag gegebene Villa L’Ambrogiana sowie die Villa di Castello auf. Vgl. auch Quast, Die Medici-­Villen (1998), S. 377 f. 32 Ebd., S. 114.

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11 Antonio Gaspari, Villa Lezze in Rovarè

Taubentürme ein kümmer­liches Dasein zu fristen.33 Allerdings taucht das Turmmotiv in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert im Veneto vereinzelt wieder auf: Zu nennen wären vor allem die Villa Contarini in Mira und die Villa da Lezze in Rovaré di San Biagio di Callalta, deren Entwürfe beide Baldassare Longhena (1598 – 1682) zugeschrieben werden.34 Besonders die Villa da Lezze ist immer wieder für einen Vergleich mit der Villa R ­ ezzonico herangezogen worden, wenngleich ihre architektonische Gestaltung nur anhand von verschiedenen Entwurfszeichnungen sowie einem der Zerstörung entgangenen Flankenturm überliefert ist, da sie Anfang des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde.35 Ein Antonio

33 Sind beispielsweise die Verweise auf die Ecktürme in Palladios Villa Pisani Bonetti in Bagnolo di Lonigo (1545/46) noch gut zu erkennen, so sind sie in der ebenfalls von Palladio entworfenen Villa Emo in Fanzolo (1564) bereits aus dem zentralen Baukörper gelöst und zu flankierenden Taubenschlägen geworden. Zur Villa Emo vgl. u. a. Ackerman, Andrea Palladio (1998/99); Battilotti, Palladio (2009). 34 Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 299 – 304, 353 – 355. Zur Villa Lezze vgl. auch Bassi, La Villa Lezze (1965); Frank, Appunti (2011). Bei Frank auch ein bibliographischer Überblick zu den beiden Villen. 35 Ein gleiches Schicksal erfuhr die Villa Contarini, die ebenfalls im 19. Jahrhundert zerstört wurde. Der Vergleich ­zwischen Villa Rezzonico und Villa Lezze wurde erstmals von Semenzato, Baldassare

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­ aspari, unter dessen Leitung die Villa vermut­lich vollendet wurde, zugeschriebenes Blatt G zeigt den Aufriss der Fassade. (Abb. 11) Und auch wenn wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob sie dem gebauten Zustand letzt­lich in allen Details entsprach, so zeigt sich doch zumindest darin die architektonische Grundidee mit zentralem Hauptgebäude und flankierenden Seitentürmen, ­welche über einer hohen rustizierten Sockelzone errichtet wurden. Die Nähe zur Architektur der Villa Rezzonico, die sich schon in diesen Elementen andeutet, wird noch unterstrichen durch einen von Martina Frank publizierte Karte des napoleonischen Katasters aus dem Jahr 1810, auf dem der Grundriss der Villa da Lezze eingezeichnet ist. Aus diesem geht deut­lich hervor, dass sie ebenfalls über vier Ecktürme verfügte, die, analog zur Villa Rezzonico, an den Schmalseiten des Gebäudes wie Eckrisalite hervorsprangen.36 Bisher sind diese Analogien in der architektonischen Grundstruktur der Villa von der Forschung zwar konstatiert worden, jedoch schien niemanden zu interessieren, warum dieser „Viertürme-­Typus“ im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert wieder vereinzelt in der Villenarchitektur auftaucht. Von einer architektonischen Trendwende kann in ­diesem Zusammenhang jedenfalls nicht gesprochen werden, dafür sind die Beispiele zu rar. Auch ist sowohl bei der Villa da Lezze als auch bei der Villa Rezzonico davon auszugehen, dass keine älteren architektonischen Elemente integriert wurden, ­welche die Türme bedingten.37 Deshalb soll an dieser Stelle nach mög­lichen Gründen gefragt werden, weshalb die Rezzonico sich beim Neubau ihrer Villa, die für die repräsentative Darstellung ihres sozia­len Status nach außen hin eine wichtige Rolle spielte, ­solche eindeutig retrospektiven Reminiszenzen wählten. Es liegt nahe, diese Gründe in einem sehr bewussten Verweis auf altadlig-­autonome Feudaltradi­tionen zu suchen, über ­welche die Rezzonico notorisch nicht verfügten, und die gerade deswegen als Objekt visueller Inszenierung für die Sozia­laufsteiger einen besonderen Reiz ausgeübt haben müssen. Dies ist kein singuläres Phänomen, wie ein Blick auf die römische Campagna in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – gar nicht einmal im Sinne von Vorbildern, sondern nur als Parallelphänomen verstanden – verdeut­lichen mag. Dort ließ etwa die Familie Chigi zur Zeit der Herrschaft des Familienpontifex Alexander VII. (1655 – 1667) das soeben von der alten Baronalfamilie Savelli erworbene feudum Ariccia von Gianlorenzo Bernini architektonisch neu gestalten, der eine klas­sische Vierturm-­Anlage mit Eckrisaliten schuf. (Abb. 12) Wie Axel Christoph Gampp herausgearbeitet hat, war die Wahl d ­ ieses Bautypus weder zufällig noch ästhetisch motiviert. Vielmehr muss die eindrück­liche Vierturmanlage als eine Reminiszenz an feudale Selbstverteidigungsrechte verstanden werden, der sich der Adel in seinem Bestreben nach Autonomie gegenüber der Longhena (1962), S. 193 im Zusammenhang mit der vermeint­lichen Autorschaft Longhenas gezogen. 36 Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 302, Abb. 4. 37 Dies war beispielsweise bei der Villa Porto Colleoni in Thiene der Fall, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einem mittelalter­lichen Landkastell zu einer Villa umgebaut wurde und bei der man die alten Kastelltürme in den Bau integrierte. Vgl. Morresi, Villa Porto Colleoni (1988).

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12 Ariccia, Palazzo Chigi

sich herausbildenden Staatsgewalt und deren Vereinnahmung des Gewaltmonopols bediente.38 Denn der Palazzo Chigi in Ariccia hat mit seinem massiven, abweisenden Mauerwerk und den flankierenden Eckrisaliten wenig mit einem repräsentativen Familienpalast des 17. Jahrhunderts gemeinsam. Er g­lich eher, wie Arne Karsten in seiner Bernini-­Biographie im Hinblick auf den Palazzo konstatierte, „einer Festung, darüber hinaus einen vollkommen anachronistischen, denn die modernen Festungsanlagen dieser Epoche sahen bereits vollkommen anders aus. Aber“, so fügt er weiter an, „es ging schließ­lich auch nicht um tatsäch­liche militärische Ambi­tionen, sondern um die überzeugende Darstellung einer solchen, weil sie integraler Bestandteil aristokratischen Selbstverständnisses war.“39 Wie im Fall der aus dem Sieneser Patriziat, also vergleichsweise kleinen Verhältnissen entstammenden Chigi dürfte auch auf die eben erst nobilitierten Rezzonico die prestigeträchtige Inszenierung einer faktisch längst vergangenen Feudalherr­lichkeit eine unwidersteh­liche Anziehungskraft ausgeübt haben. Ein anderes Motiv aus der unmittelbaren Familiengeschichte kann hinzugenommen werden, um die auch in den Augen der Zeitgenossen ungewöhn­liche Villenarchitektur zu erklären. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, stellte einen wichtigen Punkt für den sozia­len Aufstieg der Rezzonico ihre gute Verbindung zum Kaiserhaus dar, dem sie nicht nur ihren Titel der liberi baroni, sondern auch den kaiser­lichen Doppeladler im Wappen verdankten. Außerdem waren die lang andauernden geschäft­lichen Beziehungen mit den Odescalchi die Voraussetzung für ihre Stellung als führende Bankiers im Finanztransfer z­ wischen Rom und dem Kaiserhaus zur Finanzierung der Türkenkriege gewesen.40 Für diese beiden Punkte, Krieg und ­Kaiser, lassen sich auch in der Architektur und deren Rückbezug auf mittelalter­liche Wehranlagen und oberitalienische Signorienburgen Reminiszensen finden. Diese These wird vor allem jedoch durch die Innenausstattung der Villa gestützt.

38 Gampp, Der Baron als Bauherr (2001), S. 138 – 143; Ders., Die Peripherie als Zentrum (1996). 39 Karsten, Bernini (2005), S. 202. 40 Vgl. Kap. II.1.

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Innenarchitektur und Innenausstattung Wie bereits Gerda Bödefeld und Berthold Hinz angemerkt haben, steht der fast abweisend wirkende Charakter der Fassadenarchitektur in scharfem Kontrast zur triumphalen Gestaltung im Inneren des Gebäudes.41 Denn das Entree der Villa bildet eine rechteckig angelegte, zweigeschossige sala, ­welche in ihrer räum­lichen Ausdehnung die beiden das Eingangsportal flankierenden Fenster umfasst und das gesamte Gebäude im Grundriss der Länge nach durchzieht. (Abb. 13) Von d ­ iesem zentral gelegenen Raum aus führen, der Typologie des venezianischen Villenbaus seit den Bauten Andrea Palladios folgend, an den Seiten Türen in die dahinter liegenden und um die sala symmetrisch angeordneten Räume. Ungewöhn­lich sind hingegen die beiden offenen Treppenanlagen, die sich in der Mitte der sala gegenüberliegen und von dieser nur durch großartig angelegte Triumphbogenportale getrennt sind. (Abb. 14) Diese beiden Treppenanlagen sind bemerkenswert, denn in der Regel spielten Treppenanlagen im venezianischen Villenbau eine eher untergeordnete Rolle.42 Vor allem im Inneren der Villen waren sie so gut wie nicht existent, denn normalerweise führten enge Stiegenhäuser in die oberen Etagen. Nicht so in der Villa Rezzonico: Über die hier offen und großzügig angelegten Treppen gelangt man nicht nur in die oberen Räume, sondern auch auf die offenen Emporen, w ­ elche die zweigeschossige sala auf halber Höhe durchlaufen und die nicht nur die Räume des Obergeschosses miteinander verbinden, sondern vermut­lich einst auch bei Festen den Musikern als Bühne dienten. Im Gegensatz zu den Außenfassaden, an denen der Baudekor nur eine marginale Rolle spielt, sind die Wände im Inneren durch gewirtelte Säulen, Pilaster, bossierte Bögen und Masken gegliedert. Stuckdekora­tionen und ein ovales Deckenbild schmücken die Wände. Mit all diesen Elementen präsentiert sich somit die Villa in ihrem Empfangsbereich dem Besucher in hochwirksamem Kontrast zum Außenbau: nicht etwa abweisend, sondern als ein triumphaler Festsaal, der den Rahmen für ein ikonolo­gisch anspruchsvolles Ausstattungsprogramm bereitstellt. Das Deckengemälde, welches im Scheitelpunkt des Gewölbes von Stuck gerahmt wird, zeigt eine Darstellung des Gigantensturzes, die dem aus Bassano stammenden Maler ­Giovanni Volpato zugeschrieben wird.43 (Abb. 15) Das Gemälde ist derzeit in einem äußerst schlechten Zustand und das Netz, welches man aus konservatorischen Gründen davor gespannt hat, erschwert die Lesbarkeit des Bildes zusätz­lich. Deut­lich erkennbar ist

41 Bödefeld / Hinz, Die Villen im Veneto (1998), S. 156: „Zwischen dieser düsteren äußeren Schale und dem inwendigen Raum besteht ein Kontrast, wie er größer kaum vorstellbar ist.“ 42 Ebd. 43 1775 erwähnt Giovanni Battista Verci in seinen „Notizie intorno alla vita e alle opere dei pittori, scultori e intagliatori della città di Bassano“ den Gigantensturz in der Villa Rezzonico, den er Volpato zuschreibt: Nel Palagio Rezzonico fuori del Borgo de’ Leoni, nel palco figurò Giove che fulmina i Giganti; e questa è una delle sue opere più stupende, in cui s’ammira gran disegno, proporzione, forza e maestria. Darauf bezieht sich auch alle weiterführende Literatur. Zu Volpato vgl. Bordignon Favero, Giovanni Battista Volpato (1994), bes. S. 269 – 274.

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13 Sala der Villa Rezzonico

jedoch im Zentrum des Bildes die in ein blaues Gewand gehüllte und bekrönte Gestalt Jupiters, der, auf einer Wolke schwebend und von einem Strahlenkranz umgeben, den rechten Arm kraftvoll erhoben hat, um das Blitzbündel, welches er in der Hand hält, den polyzentrisch am Bildrand angeordneten und mit Knüppeln und Speeren bewaffneten nackten und muskulösen männ­lichen Gestalten entgegenzuschleudern, die angesichts des gött­lichen Zorns und der Gewalt aufbäumend zurückweichen bzw. zu Boden sinken. Der Sturz der Giganten, der so prominent an der Decke der sala der Villa Rezzonico platziert ist, bezieht sich in seiner mytholo­gischen Quelle auf den Sieg der olympischen Götter um Jupiter über die Giganten, die Söhne der Erdgöttin Gaia, die sie nach der Entmannung des Uranos durch Kronos hervorgebracht hat, nachdem dessen Blutstropfen auf die Erde gefallen waren. Mit ihren übermenschlichen Kräften lehnen sie sich gegen die Götter auf, die ihre Ahnen, die Titanen, in der Unterwelt gefangen hielten. Ovid berichtet im ersten Buch der „Metamorphosen“ in den Versen 151 – 162 davon, wie die Giganten Felsbrocken aufeinanderschichteten, um so den Himmel zu erreichen und den Göttern

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14 Treppenaufgang in der sala der Villa Rezzonico

den Kampf anzusagen.44 Darüber erzürnt, versammelten sich die Götter, um den Giganten entgegenzutreten, allen voran Jupiter, der mit seiner Blitzschleuder den vermessenen Ansturm der Rebellen zu Fall brachte. Doch wie der Erde, so drohten den Höhen des Äthers Gefahren; / Denn, so erzählt man, Giganten versuchten den Himmel zu stürmen, / Schleppten Gebirge herbei und türmten sie hoch zu den Sternen. / Da durchstieß den Olymp mit dem Blitz der allmächtige Vater, / Schleuderte weg vom Ossa den Pelion: siehe, da lagen, / Ganz überdeckt vom Riesengetürm, die gräss­lichen Leiber.45

44 Ovid steht bereits in einer langen Tradi­tion von Überlieferungen des Mythos. Wohl zuerst findet sich der Gigantensturz bei Hesiod. Zur Genese des Mythos vgl. Vetter, Gigantensturz-­Darstellungen (2002), S.  15 – 42. 45 Ovid, Metamorphosen 1, 151 – 156, zitiert nach der Übersetzung von Breitenbach (1958), S. 15.

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15 Giovanni Volpato, Gigantensturz, vor 1706, Bassano del Grappa, Villa Rezzonico

In ihrer Exegese, so Andreas Vetter, ist die Gigantomachie als „Kampf der olympischen Götter gegen die ursprüng­lichen und ungeordneten Naturkräfte“ gedeutet worden: „Als letzter Akt der Erschaffung der Welt ist der Mythos als die endgültige Einsetzung der olympischen Macht zu verstehen, der die Welt nicht nur den Frieden verdankt, sondern auch die Herrschaft der Ordnung und Harmonie, die sich der Erkenntnis als Gesetzmäßigkeit, der Empfindung als Schönheit und dem tätigen Handeln als Recht offenbaren.“ Durch die beiden in ihm enthaltenen Faktoren des „dauerhafter Frieden[s]“ und der „stabile[n] Ordnung“ war dieser Mythos wie kaum ein anderer geeignet, Herrschaftsansprüche unterschied­licher Art in subtiler Weise visuell zu manifestieren und darüber auch zu legitimieren.46

46 Vetter, Gigantensturz-­Darstellungen (2002), S. 17.

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16 Lattanzio Gambara, Gigantensturz, 1572, Parma, Palazzo Lalatta

Damit bot sich der Gigantensturz nicht zuletzt für die allegorische Darstellung des ­Triumphs über die Glaubensfeinde an. Auch wenn das Motiv bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Ausstattungsrepertoire von Palästen und Villen anzutreffen ist und dort durchaus anders konnotiert sein konnte,47 entwickelte es sich nach der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571, in der Venedig gemeinsam mit dem Papst und den spanischen Habsburgern gegen das Vordringen der Türken und damit des Islams gekämpft und vor der Küste Griechenlands über die türkische Flotte gesiegt hatte, zu einem (Bild-) Thema, das sich bestens zur allegorischen Visualisierung des siegreichen Kampfes des christ­lichen Europas gegen die Türken eignete. Bereits wenige Monate nach der Schlacht begann der aus Brescia stammende Maler Lattanzio Gambara im Auftrag des Geist­lichen

47 Zahlreiche Beispiele dazu ebd.

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Don Antonio Lalatta, die sala im ersten Obergeschoss seines Palazzo in Parma mit einer allegorischen Darstellung der Schlacht zu freskieren.48 (Abb. 16) Um ­diesem historischen Moment und seiner Bedeutung für das christ­liche Europa visuelle Kraft zu verleihen, griff er auf den mytholo­gischen Stoff des Gigantensturzes zurück. In seiner Darstellung versah Gambara gekonnt den antiken Stoff mit eindeutigen politisch-­aktuellen Konnota­tionen: So schleudert Jupiter sein Blitzbündel, assistiert von Athene, auf die den olympischen Sitz der Götter bedrohenden Giganten, w ­ elche nicht nur durch ihre Kleidung als Türken auszumachen sind. Auch die gebrochene Türkenfahne lässt unmissverständ­lich erkennen, wer sich hinter den herabstürzenden Giganten verbirgt. Schließ­lich haben sich auch Adler und Löwe, die z­ wischen Jupiter und Athene auf den Wolken ihren Platz gefunden haben, fest in den Halbmond verbissen. Seine mora­lische Rechtfertigung erfährt dieser Kampf durch die aufgrund ihrer Attribute Waage und Schwert als Personifika­tion der Justitia zu identifizierende weib­liche Gestalt, die oberhalb Jupiters auf einer Wolke sitzend dargestellt ist. Lässt sich der Gigantensturz als politisch konnotierte Ikonographie im Palazzo Lalatta erstmals im Zusammenhang mit den Türkenkriegen verstehen, so ist ­dieses Thema im 17. Jahrhundert, in welchem die Türkengefahr erneut das politische Tagesgeschehen in Europa bestimmte, in der Kunst immer wieder in d ­ iesem Kontext anzutreffen. Besonders relevant wird es im Zusammenhang mit der zweiten türkischen Belagerung Wiens im Jahre 1683, durch ­welche sich das christ­liche Abendland in seinen Grundfesten erschüttert sah. Durch den Sieg der kaiser­lichen Truppen und ihrer Verbündeten sah man jedoch nicht nur die drohende Gefahr einer türkischen Eroberung Wiens ein weiteres Mal abgewandt, sondern fand auch die alte Ordnung wiederhergestellt. Im Kontext der Instrumentalisierung des Gigantenmythos als Sinnbild der Verteidigung des christ­lichen Abendlandes gegen die Ungläubigen deutet Andreas Vetter auch die Fresken Pietro Dandinis in der Villa di Bellavista in Borgo a Buggiano bei Florenz.49 (Abb. 17) Der Florentiner Künstler schuf dort gemeinsam mit seiner Werkstatt z­ wischen ca. 1690 und den ersten Jahren des beginnenden 18. Jahrhunderts ein umfangreiches Dekora­tionsprogramm, welches thematisch eng an die jüngste Familiengeschichte des Auftraggebers Francesco Feroni anknüpft.50 Der Überlieferung zufolge hatte dessen Sohn Fabio während der Belagerung von Wien im Rang eines Marschalls in den Truppen des mit dem K ­ aiser verbündeten polnischen Königs Johann Sobieski gedient und war demnach

48 Cirillo, Lattanzio Gambara (1990), S. 90 – 92. Als Allegorie der Schlacht von Lepanto wird das Fresko auch bei Giuseppe Bertoluzzi in seiner 1830 erschienenen „Nuovissima guida per osservare le pitture sì a olio che a fresco esistenti attualmente nelle chiese di Parma“, S. 189 aufgeführt. 49 Vetter, Gigantensturz-­Darstellungen (2002), S. 212 – 215. 50 Vgl. dazu Paolucci / Petrucci, I Feroni a Bellavista (1978). In ihrer Disserta­tion „Die Villa Bella­ vista in Borgo a Buggiano und die Kunstpatronage der Marchesi Feroni. Selbstinszenierung und Repräsenta­tionsstrategien einer toskanischen Aufsteigerfamilie der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“, die im Frühjahr 2015 an der Universität Marburg angenommen wurde, hat sich Christine Follmann ausführ­lich mit dem Ausstattungsprogramm der Villa beschäftigt. Zur Person des Auftraggebers vgl. den Eintrag von Begnini, DBI 46 (1996), S. 377 – 380.

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17 Pietro Dandini, Gigantensturz, um 1700, Borgo a Buggiano, Villa Feroni

am Sieg über die Türken unmittelbar beteiligt gewesen. Darauf spielt der von Dandini im Gewölbe des repräsentativen Treppenhauses dargestellte Gigantensturz an und zielte damit unmissverständ­lich auf die Verherr­lichung der Familie.51 Es ist mit ziem­licher Sicherheit anzunehmen, dass Giovanni Volpato das den Sturz der Giganten darstellende Gemälde in der Villa Rezzonico etwa zeitgleich zu Dandinis Behandlung des Themas geschaffen hat, wobei das Jahr 1706 als terminus post quem gelten 51 Untermauert wird dies noch von weiteren Deckenbildern Dandinis in angrenzenden Räumen, ­welche mit der Darstellung von „Fortuna hilft Fabio Feroni, den Furor des Krieges und die falsche Religion zu besiegen“ / „Unterstützt von Fortuna schlägt Fabio Feroni di Türken nieder“ / „Praemium und Fama belohnen Fabio Feroni für die Wiederherstellung des Friedens“ die Teilnahme des jungen Feronis am Kampf gegen die Ungläubigen thematisieren. Vetter, Gigantensturz-­Darstellungen (2002), S. 215.

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muss, da der Maler in d ­ iesem Jahr starb. Es existieren keinerlei Zeugnisse, die Auskunft darüber gewähren, ob Volpato das Bild im Auftrag der Rezzonico malte, oder ob es nicht ursprüng­lich für einen anderen Auftraggeber bestimmt war und erst ­später beim Umbau der Villa in den 1730er Jahren für die Ausgestaltung der zentralen sala von der Familie angekauft wurde.52 Dass es jedoch ursprüng­lich nicht für diesen Saal in seiner heutigen Form bestimmt war, belegt schon das Todesdatum des Künstlers. Auch steht die Größe des Bildes mit seinen Maßen von 720 × 470 cm in keinem wirk­lich ausgewogenen Verhältnis zu den übrigen Raumpropor­tionen, es erscheint vielmehr fast ein wenig zu klein, was allerdings durch den einfassenden Stuckrahmen kaschiert wird.53 Denkbar wäre allerdings auch, dass das Bild bereits vor dem Umbau der Villa zu deren Ausstattungsprogramm gehört hatte, somit explizit für diese geschaffen und nach dem Umbau in das neue Ausstattungsprogramm integriert worden war.54 Denn in der Deutung des Gesamtkonzepts des Programms fügt sich der Gigantensturz wie ein Puzzleteilchen in die übrigen dekorativen Elemente der sala ein. Die Wände sind zurückhaltend gestaltet und präsentieren sich schlicht unter weißem Verputz, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Villen des 18. Jahrhunderts, deren zen­trale Festsäle komplett mit Fresken ausgemalt wurden.55 Hier aber bilden die vorgelegten und von Bossenquadern durchbrochenen Pilaster an den Innenfassaden den einzigen Schmuck in der unteren Zone des zweigeschossigen Raumes. Sie stimmen auf die Triumphbogenarchitektur an den Seitenwänden ein, durch w ­ elche die Besucher über die monumentalen Treppen in das obere Geschoss und auf die Emporen geleitet werden. Die Wandflächen hinter den beiden Emporen bedecken Stuckaturen, die über das Gesims in die Gewölbezone hineinreichen und die Antonio Massari dem aus dem Tessin stammenden, jedoch in Venedig tätigen Stuckateur Abbondio Stazio zugeschrieben hat.56 (Abb. 18/19) Spiegelbild­lich sind hier unterhalb der Gesimse Blumengirlanden und wehende Bänder angebracht, über denen sich Putti bemühen, ein ährenähn­liches Bündel zu stützen, die ein großer Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen in seinen Klauen hält. Aus d ­ iesem Bündel schaut Eichenlaub hervor. Zusätz­lich trägt einer der Putti auf der süd­lichen Wand noch eine Lanze, die mit Siegesbändern umschlungen ist. Auf der Suche nach einer Kontextualisierung des an beiden Seiten so prominent dargestellten Adlers werden wir schnell bei Ovid fündig. Doch nicht nur Ovid berichtet von

52 Siehe oben. 53 Die Maße finden sich bei Bordignon Favero, Giovanni Battista Volpato (1994), S. 332. 54 Diese Überlegung gründet auf Minchios Ausführungen, demnach bereits 1703, also drei Jahre vor Volpatos Tod, einige Räume der Villa fertiggestellt waren. Vgl. Anm. 21 ­dieses Kapitels. 55 So beispielsweise die Villa Pisani in Strà oder die Villa Valmarana ai Nani in Vicenza. 56 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 66 stützt diese Aussage auf Donati, Artisti ticinesi (1961), S. 65: „Tra i primi lavori dei due soci [Stazio und Carpoforo Mazzetti-­Tencalla] […] nel duomo di Bassano; nel palazzo Rezzonico presso Bassano.“ Zu Stazio vgl. Aikema, „Il famoso Abbondio“ (1997).

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dem Königsvogel im Gefolge Jupiters.57 Auch Vincenzo Cartari weist in seinem Traktat über den ikonographischen Apparat der Götter den Adler eindeutig Jupiter zu und bezieht sich noch dazu explizit auf den Gigantensturz, bei dem der Adler in seinen Klauen dem Gott das Blitzbündel überbracht hat, mit welchem Jupiter den Sturz der Giganten herbeiführt.58 Im Kontext des Deckengemäldes Volpatos lässt sich das ährenähn­liche Bündel, welches der Stuckadler in der sala der Villa Rezzonico umkrallt, demnach eindeutig mit der Blitzschleuder Jupiters identifizieren, mit welcher dieser den Ansturm der Giganten an der Decke abwehrt. Das Adlermotiv wird auch in den oberen Wand- und Gewölbekompartimenten der Längsseiten des Raumes aufgegriffen, die durch die Treppenanlage jedoch ein wenig nach hinten gerückt und somit nicht auf den ersten Blick einsehbar sind. Dort werden die Wandflächen noch sehr viel dominanter von den Stuckaturen geprägt, die erneut spiegelbild­lich aufeinander bezogen sind. (Abb. 20/21) Anstelle des Blitzbündels trägt der Adler, unterstützt von mehreren Putti, hier aber eine aufgerollte Fahne in den Klauen, auf deren Oberfläche das Wappen der Rezzonico auszumachen ist. In der Wappenkartusche zentral platziert ist der kaiser­liche Doppeladler, den die Familie seit 1698 durch ein Privileg K ­ aiser Leopolds I. im Wappen führen durfte.59 Dieser ist im Relief besonders pronnonciert und im Gegensatz zu den übrigen Wappenelementen am besten erkennbar. Während auf der öst­lichen Wand jedoch in der Gesamtkomposi­tion der Stuckatur das Blitzbündel hinter der Fahne hervorschaut und der Adler einen kräftigen Eichenzweig noch in einer Klaue hält, trägt auf der gegenüberliegenden Seite der Adler den Zweig, nunmehr zu einem Siegeskranz geformt, in seinem Schnabel. Unterhalb dieser Darstellungen sind, ebenfalls in Stuck, allerlei Kriegstrophäen angebracht, die zum Teil jedoch von der Fahne mit dem prominent platzierten Reichswappen verdeckt werden. Zwischen Schwertern, Schilden, Helmen, Lanzen etc. findet sich auch eine Lanze mit dem türkischen Halbmond an der Spitze – ein eindeutiger Verweis auf die Kriege, die mit dem Osmanischen Reich geführt wurden. Mit solch martia­lischen Schmuckelementen hatte Abbondio Stazio auch die Decke eines Raumes im zweiten Geschoss des Palazzo Sagredo in Venedig gestaltet, der daraufhin den Namen „stanza dei Trofei“ erhielt. Giovanni Mariacher und Cristina Mazza sahen darin einen expliziten Verweis auf den militärischen Ruhm der Familie und insbesondere auf Agostino Sagredo, der im Kampf gegen die Türken gefallen war.60

57 Ovid, Metamorphosen 1, 87 – 93. 58 Vincenzo Cartari, Imagini de gli dei delli antichi, Venedig 1647, S. 87: „[…] nella guerra contro i Giganti, l’Aquila ministrava le arme a Giove, & perciò la dipingono sovente con lui, che porta il fulmine con gli artigli […]“ 59 Vgl. Kap. II.2., Anm. 50. 60 Mariacher, L’arte dello Stucco (1961), S. 403; Mazza, I Sagredo (2004), S. 26. In seiner Studie zu Abbondio Stazio und den Stuckdekora­tionen in venezianischen Palästen hält Aikema diese Interpreta­tion für stimmig, fügt aber noch hinzu, dass als movens für eine solch den Familienruhm glorifizierende Ausstattung die Erlangung der Prokuratorenwürde durch Gerardo Sagredo, dem

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18 Abbondio Stazio (zugeschrieben), Stuckdekoration an der südlichen Wand, Villa Rezzonico

19 Abbondio Stazio (zugeschrieben), Stuckdekoration an der nördlichen Wand, Villa Rezzonico

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20 Abbondio Stazio (zugeschrieben), Stuckdekoration im östlichen Treppenaufgang, Villa Rezzonico

21 Abbondio Stazio (zugeschrieben), Stuckdekoration im westlichen Treppenaufgang, Villa Rezzonico

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Im Gegensatz zu den Feroni oder Sagredo konnten die Rezzonico in ihrer Familien­ geschichte solch militärische Verdienste zwar nicht vorweisen, denn niemand von ihnen hat nach heutigem Wissenstand jemals aktiv am militärischen Kampf gegen die Türken teilgenommen. Doch auf ihre Rolle als führende Bankiers, w ­ elche den Finanztransfer der vom Papst und von Genua dem ­Kaiser in Wien für den Krieg zur Verfügung gestellten Gelder zu verantworten hatten sowie auf ihre enge Bindung sowohl an Rom (und besonders an Innozenz XI . Odescalchi) als auch an den ­Kaiser, ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden.61 Nicht zu vergessen, dass sie ihren Eintritt in den venezianischen Adel dem Umstand verdankten, dass sie der Christenheit im Augenblick größter Bedrohung durch die Osmanen mit ihrer Zahlung von 100000 Dukaten einen wichtigen finanziellen Beitrag für die Fortsetzung des Kampfes gegen die Türken geleistet hatten. Die Statusstrategien der Rezzonico im Spiegel der Villa Die Villa Rezzonico bei Bassano del Grappa präsentiert insofern eine ganze Serie von Leitmotiven der frühneuzeit­lichen Villenkultur in ihrer venezianischen Ausprägung. Im weiteren Sinne spiegelt ihr Bau einerseits die Auswirkungen des „Refeudalisierungsprozesses“ frühneuzeit­licher Eliten im 17. Jahrhundert wider, der europaweit zu einer bewussten Intensivierung und Inszenierung des Landlebens führte. Im Falle der venezianischen Führungsschicht wurde diese allgemein zu beobachtende Tendenz noch verstärkt durch ein sich langfristig wandelndes Selbstverständnis und Tätigkeitsfeld des Patriziats, das nicht länger im Handel, sondern als Großgrundbesitzer sein Einkommen erwirtschaftete. Dass die im Rahmen dieser Veränderungen entstehende Villenkultur auch und gerade auf die aufstrebend-­frustrierten Angehörigen einer blockierten Sekundärelite wie den case nuove eine starke Anziehungskraft ausübte, kann nicht verwundern; ebenso wenig, dass die Aufsteiger ihre Freude an anachronistischen Reminiszenzen an eine längst vergangene Feudalherr­lichkeit hatten, wie sie im äußeren Erscheinungsbild der Villa Rezzonico mit ihrer betonten Wehrhaftigkeit Ausdruck fand. Dessen schlichte Austerität kontrastierte kraftvoll mit der Wirkung der triumphalen Innenausstattung, deren thematische Gestaltung zwei wichtige Leitthemen des Familienaufstiegs in schmeichelhafter Weise inszenierte. Angesichts der Meriten, ­welche sich die Rezzonico auf dem Sektor der Kriegsfinanzierung für die Verteidigung Wiens erworben hatten, erscheint es in gewisser Hinsicht durchaus plausibel, dass sie sich bei der architektonischen Gestaltung ihres Sommersitzes am Vorbild der von Longhena für die da Lezze geschaffenen Villa orientierten. Schließ­lich wies die altadlige Familie da Lezze bezüg­lich

Auftraggeber, im Jahr 1718 angesehen werden kann. Im gleichen Jahr wurde Stazio mit der Ausstattung betraut. Aikema, „Il famoso Abbondio“ (1997), S. 99. 61 Vgl. Kap. II.1. der vorliegenden Arbeit.

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ihres im Dienst der Serenissima erworbenen Ruhmes gewisse Affinitäten auf: Sie hatten während der Türkenkriege im Auftrag des Senats für die Herstellung von Kriegsgerät verantwort­lich gezeichnet. Im Unterschied zu den Rezzonico war allerdings (zumindest) Giovanni da Lezze am ersten großen Türkenfeldzug aktiv beteiligt, da er 1570 in der Schlacht bei Zara kämpfte.62 Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass die Türkenkriege zur Bauzeit der Rezzonico-­Villa keineswegs der Vergangenheit angehörten: Zwischen 1716 und 1718 wurde der venezianisch-­österreichische Türkenkrieg und z­ wischen 1736 und 1739 der rus­sisch-­österreichische Türkenkrieg geführt. Im Falle des Türkenkampfes, wie er durch das Sujet des „Gigantensturzes“ thematisiert wurde, mag der Verweis darauf mit der historischen Realität nur in sehr oberfläch­licher Verbindung stehen (was bekannt­lich der Allegoriebegeisterung frühneuzeit­licher Auftraggeber in keiner Weise Abbruch tat). Umso realitätsnaher wirkte der betont herausgearbeitete doppelköpfige Adler im Familienwappen und der darin zum Ausdruck kommende Verweis auf das Haus Habsburg bzw. die tradi­tionelle Bindung der Rezzonico an K ­ aiser und Reich. Die Visualisierung dieser Bindung dürfte jedoch erst nach dem Spanischen Erbfolgekrieg „salonfähig“ geworden sein, als näm­lich die österreichischen Habsburger nach dem Frieden von Utrecht und Rastatt (1713/14) als Hegemonialmacht in Italien auftraten und die politischen Beziehungen ­zwischen der Republik Venedig und dem Reich somit in eine neue Phase eintraten.63 Unproblematisch war die Betonung der Reichsbindung im Hinblick auf das alles andere als konfliktfreie habsbur­gisch-­venezianische Verhältnis keinesfalls.64 Wie noch zu zeigen sein wird, stilisierten und begriffen sich die Rezzonico jedoch zunehmend als Mittler z­ wischen beiden Polen.65 In der Gestaltung ihrer Villa in Bassano del Grappa fand diese Ambi­tion erstmals auch einen deut­lichen visuellen Niederschlag. Man möchte in dieser so ungewöhn­lichen Verweisgeste auf einen fremden Potentaten ein fast tagesaktuelles politisches Symbol sehen: zum einen für die gewandelten Verhältnisse nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, zum anderen für das langsam schrumpfende Selbstbewusstsein der venezianischen Führungsschicht. Denn dass die Rezzonico das zentrale Motiv ihres Familienruhmes augenschein­lich in der Verleihung des kaiser­lichen Privilegs, den Adler im Wappen zu führen, sahen, und nicht in der 1687 erkauften Zugehörigkeit zu den politisch tonangebenden Kreisen im Dienst des (Markus-)Löwen, ist an symbo­lischer Aussagekraft kaum zu übertreffen.

62 Zu den da Lezze vgl. die Einträge von Gullino, DBI 31 (1985), S. 745 – 762. Auch die da Lezze wiesen eine deut­liche Reichsbindung auf, hatte Andrea da Lezze von K ­ aiser Karl V. 1532 doch den Titel eines cavaliere e conte palatino di Santa Croce verliehen bekommen. Vgl. dazu Dario, Autoglorificazione (1995). 63 Zum Zäsurcharakter des Spanischen Erbfolgekrieges, dessen Konsequenzen weder für den allgemeinen italienischen noch für den speziellen venezianischen Kontext hinreichend untersucht sind, vgl. Frigo, Gli stati italiani (2006), zu Venedig insbesondere S. 107 – 114. 64 Vgl. dazu Gullino, I rapporti (1990). 65 Vgl. Kap. II.6. der vorliegenden Arbeit.

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5. Die Stagna­tion des Mög­lichen und die Ausrichtung nach Rom Die Aggregierung der Rezzonico im April 1687 hatte der Familie den Weg in den ­Maggior Consiglio geebnet, dem alle männ­lichen Mitglieder der im Libro d’oro verzeichneten Familien in der Regel im Alter von 25 Jahren beitraten.1 Die Vollversammlung der erwachsenen männ­lichen Patrizier spielte nicht nur als Gremium, das alle wichtigen politischen Entscheidungen zu billigen hatte, eine Rolle, sondern auch als Reservoir für die Besetzung der politischen Ämter aller Stufen. Doch die Mög­lichkeiten zur aktiven Teilnahme an den Regierungsgeschäften erwiesen sich für die Angehörigen der nobiltà nuova in der Praxis als beschränkt. Eifersüchtig wachte die nobiltà vecchia darüber, ihre Privilegien gegenüber den Parvenüs zu verteidigen und die wichtigsten Ämter im Regierungsapparat der Serenissima nach wie vor unter sich aufzuteilen, wobei direkt oder indirekt auf das primat del sangue verwiesen wurde. Die seit 1646 nobilitierten Familien befanden sich somit in der Stellung einer blockierten Sekundärelite, aus der es nur schwer ein Entkommen gab. Bereits 1664 brachte der anonyme Verfasser des Traktats „Della Repubblica Veneta e sua Positura“ das faktische Regierungsmonopol des Altadels auf den Punkt, wenn er konstatierte, i poveri, i nobili nuovi ed i greci (also die durch die Türkenkriege aus den einst venezianischen Territorien in Griechenland vertriebenen Venezianer) hätten kein anderes Privileg als den ingresso con il voto nel Maggior Consiglio, restando nel rimanente esclusi dal Senato e dalle cariche importanti od urbane o di reggimenti; ed al di più diventano Governatori di galea e sono mandati in Arcipelago.2

Auch zwanzig Jahre s­ päter hatte sich daran substantiell nichts geändert. So musste 1685 Antonio Ottoboni, dessen Familie zu den ersten gehörte, die 1646 nobilitiert worden waren, seinem Sohn Pietro erklären: […] il solo essere uomo nuovo ti escluderà dai gradi superiori del governo, onde arrivato che sarai ad un certo termine troverai il Dragone vigile custode del Velo d’Oro.3

1 Zum Maggior Consiglio knapp zusammenfassend Heller, Venedig (1999), S. 91 – 104. Auch das Eintrittsalter von fünfundzwanzig Jahren ist nur ein Richtwert. Seit 1441 konnten die männ­lichen Nachkommen der adligen Familien nach Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres an der jähr­lich am Tag der heiligen Barbara stattfindenden Auslosung teilnehmen, bei der jeweils ein Fünftel der jungen Adligen vorzeitig zum Maggior Consiglio zugelassen wurde. Lühe, Der venezianische Adel (2000), S. 31; Todesco, L’andamento demografico (1989), S. 131 f. 2 Relazione dell’anonimo (1664), S. 424 f. Vgl. auch Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 62. Das Traktat bildet den dritten Teil der „Relazione dell’anonimo“, vgl. Kap. II.3., Anm. 1. 3 Zitiert nach Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 69.

Die Stagnation des Möglichen  |  115

Diese Einschätzung beschreibt emblematisch die problematische Lage des Neuadels. Zwar wurden die Aggregierten durchaus für niedere Ämter, insbesondere auf der terra ferma bestimmt. In höhere und bedeutendere Funk­tionen konnten sie jedoch verhältnismäßig selten aufrücken. Kam Ottoboni nicht umhin, diesen Missstand noch vierzig Jahre nach der Aufnahme seiner Familie in das Goldene Buch zu beklagen, so sahen sich die Rezzonico nun ebenfalls mit dem Problem ihrer begrenzten Karrierechancen in Venedig konfrontiert. Die begrenzten Karrierechancen der Rezzonico in Venedig Nach der Nobilitierung vergingen vier Jahre, bis Quintiliano Rezzonico im August 1691 – kurz nach der Hochzeit seines Bruders mit Vittoria Barbarigo – vom Maggior Consiglio zum Kastellan von San Felice in Verona gewählt wurde. Allerdings wurde diese Wahl schon drei Wochen s­päter aufgrund eines gravierenden Verfahrensfehlers annulliert.4 Stattdessen berief man ihn im Oktober desselben Jahres zum castellano della Cappella di Bergamo. Diesmal war es Quintiliano, der ablehnte.5 Das ist nicht weiter verwunder­lich, denn das Amt eines Kastellans zählte zur Kategorie der niederen Einstiegsämter. Es handelte sich gewissermaßen um einen militärischen Ausbildungsposten, der vorrangig der Profilierung junger Adliger diente, da die Kastellane dem jeweiligen Statthalter (podestà) zur Seite gestellt wurden, um die zivile Ordnung in den unter venezianischer Herrschaft stehenden größeren Städten auf der terra ferma zu gewährleisten. War ­dieses Amt erst einmal erfolgreich absolviert, konnten die jungen Aristokraten auf strate­gisch wichtigere Posten aufrücken.6 Davon abgesehen, dass die Annahme eines solchen Postens die Abwesenheit des Familienoberhauptes der Rezzonico aus Venedig mit sich gebracht hätte, war Quintiliano zum Zeitpunkt seiner Wahl bereits 40 Jahre alt und damit eigent­lich auch zu alt für ein solches, strikt weisungsgebundenes Amt, welches in der Regel von Zwanzigbis Fünfundzwanzigjährigen ausgeübt wurde. Bisher hatte die Forschung die Zurückweisung von Regimentsämtern vor allem bei den Angehörigen der nobiltà vecchia beobachten können, die seit den 1680er Jahren immer weniger bereit waren, die hohen Kosten aufzubringen, w ­ elche ein solches Amt verursachte.7 Schließ­lich mussten die Adligen nicht nur alle anfallenden Repräsenta­tionskosten, sondern auch die beträcht­lichen Aufwendungen für die eigent­liche Amtsführung selbst

4

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ASVe, Segretario alle Voci, Elezione del Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 180v–181r. Die Wahl erfolgte am 26. August 1691, ihre Annulierung am 16. September 1691. Nach den Aufzeichnungen der Avogaria di Comun war der Grund dafür die unterbliebene Aufstellung Franco Castellis als weiterer Kandidat. ASVe, Avogaria di Comun, Misc. Civile e Penale, 4010/ C 263 – 6. ASVe, Segretario alle Voci, Elezione del Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 215v–216r. Die Wahl erfolgte am 4. Oktober 1691. Quintiliano lehnte am 14. November 1691 ab. Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 33. Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 93. Für den Bereich der venezianischen Diplomatie vgl. die ausgezeichnete Studie von Zannini, Economic and social aspects (2000).

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bestreiten.8 In Anbetracht der weit verbreiteten Abneigung des alten Adels gegen die Regimentsämter bot sich den neuadligen Familien also durchaus die Mög­lichkeit, über die Ausfüllung dieser „Ämterlücke“ ihre Karrieren zu beginnen. Im Hinblick auf ein ausgewogenes Kosten-­Nutzen-­Verhältnis des familiären Karrierekalküls hatte allerdings ein Neuadliger wie Marcantonio Ottoboni bereits Mitte des 17. Jahrhunderts Ämter auf dem Festland zu meiden versucht, da sie in seinen Augen nichts als Ausgaben verursachten. Noch 1712 gab sein Urenkel Antonio Ottoboni dem eigenen Sohn den gleichen Rat.9 Andererseits waren aber gerade die Regimente auf der terra ferma klas­sische Einstiegsämter, über die man bei der Rückkehr nach Venedig weitere, prestigeträchtigere Posten erlangen konnte. Allerdings musste zuvor recht massiv in die Karriere finanziert werden. Quintiliano Rezzonicos Verhalten im Jahr 1691 weist darauf hin, dass auch in ­diesem Fall die Kosten-­Nutzen-­Rechnung als der entscheidende Punkt ihres familiären Karrieremanagement anzusehen ist. Mög­licherweise hatte die erst kurz zuvor erfolgte Nobilitierung die finanziellen Ressourcen der Rezzonico vorübergehend erschöpft – man brauchte eine Atempause zur Sammlung neuer materieller Kräfte, bevor man daran denken konnte, zeitaufwendige und ausgabenträchtige Aufgaben im Dienste des Gemeinwohls zu übernehmen. Obwohl die Ablehnung eines Amtes wahlweise mit einer Geldstrafe von 1000 Dukaten und einem Ausschluss vom Ämterwesen für ein Jahr oder aber gar mit 3000 Dukaten und drei Jahren sank­tioniert wurde,10 lehnte Quintiliano Rezzonico, als ihm 1694 abermals das Amt des castellano della Cappella di Bergamo angetragen wurde, erneut ab.11 Daraus lässt sich zunächst nicht zwangsläufig ableiten, Quintiliano wäre an einem cursus honorum innerhalb der Serenissima grundsätz­lich nicht interessiert gewesen. Bergamo war ein strate­gisch wichtiger Grenzort, und der Besetzung der dortigen Ämter wurde eine dementsprechend große Bedeutung beigemessen. Aus d ­ iesem Grund bot die Serenissima den aus Bergamo zurückkehrenden Amtsinhabern überdurchschnitt­lich gute Aufstiegsmög­ lichkeiten in den Verwaltungsapparat an, indem sie deren Eintritt in den Senat, das außenpolitisch entscheidende Gremium der Republik, ohne die sonst zwingende vorherige Abstimmung im Maggior Consiglio ermög­lichte. Zwar wurde den Kandidaten nicht der Titel eines Senators zuerkannt, doch war es ihnen von dort aus mög­lich, in Ämter wichtiger Behörden gewählt zu werden.12 Von daher handelte es sich bei dem Posten an der mailändisch-­venezianischen Grenze besonders für die Familien der nobiltà nuova um eine attraktive Investi­tionsmög­lichkeit, wie zeitgenös­sische Kommentare erkennen lassen. Als etwa 1695 Pietro Barzizza, dessen Familie erst ein Jahr zuvor aggregiert worden war, genau jenes Amt antrat, welches Quintiliano einige Monate zuvor abgelehnt hatte, 8 9 10 11

Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 101. Menniti Ippolito, Fortuna (1996), S. 70. Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 101. ASVe, Segretario alle Voci, Elezione del Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 215v/216r. Die Wahl erfolgte am 31. Mai 1694. Quintiliano lehnte am 28. Juli 1694 ab. 12 Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 89 f., 95.

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bemerkte der Chronist Piero Garzoni in seinem „Diario del Senato“ mit Blick auf die ­sozia­le Herkunft des frisch ernannten Kastellans, dass sei nicht di poca considerazione in una famiglia nuova aggregata.13 Diese Tatsache schien auch Quintiliano Rezzonico bewusst gewesen zu sein. Wenige Tage nach seiner Wahl, für deren Annahme ihm nach venezianischem Gesetz ein Monat Bedenkzeit zustand,14 hatte er Livio Odescalchi um 300 Dukaten gebeten, da er sich nach eigenen Worten um ein Amt bemühe per accomodar la mia persona in un posto di più riguardevoli in questa Republica, dove oltre il lustro grande posso goder in mia vita una perpetua quiete.15 In zwei weiteren Briefen wiederholte Quintiliano sein Anliegen, doch Livio Odescalchi blieb hart.16 Diese Bitte um das Vorstrecken eines Geldbetrages, der in etwa dem Preis eines Gemäldes von Luca Giordano entsprach, war trotz des finanziellen Vermögens, über das die Rezzonico verfügten, durchaus nicht ungewöhn­lich, denn Bargeld war auch bei wohlhabenden Familien in der Frühen Neuzeit knapp.17 Aufgrund fehlender Quellen muss dahingestellt bleiben, ob die frag­liche Summe tatsäch­lich für die Ausübung des Kastellanspostens oder nicht vielmehr für die Zahlung des bei Ausschlagung des Amtes fälligen Bußgeldes gedacht war und ebenso die Beantwortung der eigent­lich zentralen Frage, ob Quintiliano 1694 etwa gezwungenermaßen seinen endgültigen Abschied von einer Karriere im Dienst der Serenissima nehmen musste, weil seine Kasse ausgerechnet in ­diesem, vielleicht entscheidenden Moment leer war. Jedenfalls taucht sein Name in den unmittelbar folgenden Jahren in keiner der Ämterlisten des Maggior Consiglio mehr auf. Vermut­lich lagen dem Verzicht auf eine prestigeträchtige, aber eben auch mühevolle und kostspielige Karriere auch sehr pragmatische Überlegungen im Hinblick auf eine mög­lichst effiziente interfamiliäre Aufgabenteilung zugrunde. Ein Jahr, bevor Quintiliano Rezzonico das Amt in Bergamo ablehnte, hatte er sich für die Förderung der venezianischen Karriere seines frisch verheirateten, jüngsten Bruders entschlossen. Die formalen Voraussetzungen für den Beginn von Giovanni Battistas potentiellem cursus honorum waren kurz zuvor unverhofft geschaffen worden: Am 4. Dezember 1692 hatte der Zwanzigjährige erfolgreich an der jähr­lich am Tag der heiligen Barbara stattfindenden Auslosung unter der noch nicht ratsfähigen Adelsjugend um den vorzeitigen Eintritt in den Maggior Consiglio teilgenommen.18 Als Mitglied im Maggior Consiglio kam er nun auch für ein Amt in Frage. Kurz darauf wurde er – anders als sein älterer Bruder knapp eineinhalb Jahre vorher – tatsäch­lich zum Kastellan in San Felice in Verona ernannt. Giovanni

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Zitiert nach ebd., S. 89. Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 101. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (4. Juni 1694). Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (19. und 26. Juni 1694). Quintiliano spezifizierte, dass er das Geld innerhalb von sechs Jahren zurückzahlen werde. 17 Vgl. hierzu Ago, Il gusto delle cose (2006). 18 Gullino, Da Como (2008), S. 6; Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 31. Vgl. auch oben, Anm. 1.

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Battista nahm die Wahl an und hatte damit als Einundzwanzigjähriger die erste Stufe auf der venezianischen Karriereleiter erklommen.19 Für die im Zuge der Nobilitierung und der Barbarigo-­Hochzeit sicher­lich arg strapazierte Kasse der Rezzonico musste die Übernahme des Amtes eine große zusätz­liche Belastung dargestellt haben. Die in den massiven Prestigegewinn investierten materiellen Ressourcen der Familie dürften damit bis zur äußersten Belastungsgrenze verplant und ausgeschöpft gewesen sein. Hinzu kamen wahrschein­lich noch die Folgen der finanziellen Eskapaden des dritten Rezzonico-­Sprosses Abbondio, dessen römische Karriere nun näher beleuchtet werden sollen. Die Karriereversuche Abbondio Rezzonicos in Rom Der mittlere der drei Brüder, der 1667 geborene Abbondio, war kurz nach der Nobilitierung der Rezzonico in den geist­lichen Stand eingetreten.20 Damit stand er der Familie nicht mehr für eine politische Karriere in Venedig zur Verfügung, weil adlige Kleriker seit 1498 nicht nur von allen Ämtern, sondern auch aus dem Großen Rat ausgeschlossen waren.21 Diese und weitere Bestimmungen, ­welche das Verhältnis der venezianischen Geist­lichen und Kardinäle zu ihrer in politischen Funk­tionen für die Serenissima tätigen Verwandtschaft genauestens regelten, hatten den Zweck, etwaigen familiären Begünstigungsketten des in Rom agierenden venezianischen Adels entgegenzuwirken und zugleich die Einflussnahme Roms in die inneren Angelegenheiten der Republik nach Mög­lichkeit auszuschließen.22 Bekannt­lich war das seit jeher spannungsvolle römisch-­venezianische Verhältnis insbesondere seit der Verhängung des Interdikts über die Serenissima (1606/07)23 sowie ­später im Pontifikat Urbans VIII . Barberini (1623 – 1644)24 als besonders schwierig zu bezeichnen.

19 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione del Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 180v–181r. 20 Darauf beruht auch der Verzicht Abbondios auf seinen Anteil am Familienvermögen. Vgl. Kap. II.3, Anm. 23. 21 Domzalski, Politische Karrieren (1996), S. 47. Eine detaillierte Auflistung der vom Maggior ­Consiglio ­zwischen 1411 und 1637 verabschiedeten Regelungen findet sich in BMVe, ms. it., cl. VII, 1660 (8630): „Catalogo delle Deliberazioni circa le materie di Expulsis”. 22 Zum römisch-­venezianischen Verhältnis vgl. Cozzi, Venezia (1986), S.  144 – 167; Menniti ­Ippolito, Politica e carriere ecclesiastiche (1993), bes. S. 183 – 250; Ders., Alcune riflessioni (1994). 23 Der ereignisgeschicht­liche Verlauf der Auseinandersetzungen ­zwischen der Serenissima und Paul V. findet sich anschau­lich dargestellt bei Kretschmayr, Geschichte von Venedig (1920), Bd. 3, S. 113 f.; zu den Hintergründen Andretta, La Repubblica inquieta (2000); Ders., Paolo V e Venezia (2008); in größerem Kontext Bouwsma, Venice and the Defence (1968), vor allem S. 417 – 487; aus „römischer“ Perspektive zuletzt Reinhard, Paul V. Borghese (2009), S. 585 – 605; Ders., Außenverflechtung (2010), bes. S. 25 – 29. 24 Zum römisch-­venezianischen Verhältnis zur Zeit Urbans VIII. (1623 – 1644) vgl. Barcham, Grand in Design (2001); Zanelli, Le relazioni tra Venezia e Urbano VIII (1933; 1934).

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Erst im Zuge der großen Türkenkriege kam es seit den mittleren Dekaden des 17. Jahrhunderts wieder zu einer gewissen Entspannung.25 Venedig, das z­ wischen 1644 und 1669 einen überaus kostspieligen und letzt­lich erfolglosen Verteidigungskampf um Kreta führte, sah sich zu einer ganzen Serie von Zugeständnissen gegenüber den Päpsten genötigt, um deren Unterstützung im Candia-­Krieg zu gewinnen. Das änderte jedoch nichts daran, dass die Republik auch weiterhin mit Argusaugen darüber wachte, kirch­liche Machtansprüche klein zu halten. Von Bedeutung war das Bemühen um eine mög­lichst klare Grenzziehung ­zwischen der politischen Entscheidungsautonomie der Serenissima (bzw. ihrer Amtsträger) und der kirch­lichen Sphäre, nicht zuletzt im Hinblick auf die Besetzung der klerikalen Hierarchien im venezianischen Hoheitsgebiet, da die opulenten Bischofssitze und kirch­liche Pfründen mit Angehörigen des venezianischen Adels besetzt wurden. So hatte in vielen Familien mindestens ein männ­licher Nachkomme die geist­liche Laufbahn eingeschlagen. Denn damit war nicht nur die wirtschaft­liche Versorgung des betreffenden Klerikers gesichert, sondern die Familien konnten ebenso auf die zahlreichen Benefizien aspirieren, w ­ elche die ­Kirche zu vergeben hatte.26 Darüber hinaus eröffnete eine geist­liche Laufbahn ein weiteres Karrieremodell, das – erfolgreich betrieben – aus der Republik hinaus und nach Rom führen konnte. Einige Familien, die schon mehrfach erwähnten papalisti, hatten davon Gebrauch gemacht, und waren in Rom zu großem Einfluss gelangt, wie die Corner, Dolfin, Grimani oder Pisani.27 Genaue und vor allem übergreifende Studien zu den papalisti-­Familien stehen jedoch noch aus.28 Doch führte eine dezidierte Rom-­Orientierung in der Regel dazu, dass die betreffenden Familien zwar oft zu hohen Ämtern der venezianischen ­Kirche, aber nur selten gleichzeitig in hohe Regierungsämter der Serenissima gelangten. Wenn dies, wie im Fall der Corner (während des Baberini-­Pontifikats) doch geschah, stellte es für die Stabilität des politischen Systems eine harte Belastungsprobe dar.29 Dennoch war eine mit Umsicht betriebene, sowohl auf eine Einflusssicherung in der Serenissima als auch auf eine Affirma­tion in Rom ausgerichtete, zweigleisige Familienstrategie für viele Verwandtschaftsverbände des alten Adels durchaus keine Seltenheit. Für die Familien der nobiltà nuova hingegen bedeutete die kuriale Laufbahn nicht nur ein Komplementärstück, sondern eine regelrechte Alternative zu den ihnen häufig nur begrenzt gewährten venezianischen 25 Eine knappe und anschau­liche Darstellung des Candia-­Kriegs, auch mit Blick auf die Folgen für Venedig, bietet Karsten, Kleine Geschichte Venedigs (2008), S. 196 – 202; allgemein zum Abwehrkampf Venedigs gegen die Osmanen vgl. die Beiträge im Ausstellungskatalog Venezia e la difesa della Levante (1986). 26 Menniti Ippolito, Politica e carriere ecclesiastiche (1993), bes. S. 51 – 92. Vgl. auch Billanovich, Intorno al ruolo della casa (1994). 27 Logan, Culture and society (1972), S. 31 – 33. 28 Grundlegend in ­diesem Kontext nur Menniti Ippolito, Politica e carriere ecclesiastiche (1993) sowie Pizzati, Commende e politica ecclesiastica (1997). Vgl. auch Kap. II.3., Anm. 49. 29 Zanelli, Le relazioni tra Venezia e Urbano VIII (1933; 1934); Cozzi, Il doge Nicolò Contarini (1958), S.  240 – 283; Ders., Venezia nel scenario europeo (1992), S. 148 – 167.

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Aufstiegsmög­lichkeiten. Und so ist es bezeichnend, dass beide venezianischen Päpste der Frühen Neuzeit, Alexander VIII . Ottoboni (1689 – 1691) und Clemens XIII . Rezzonico (1758 – 1769), aus Familien der nobiltà nuova stammten. Parallel zu ihrem Versuch, im venezianischen Ämterwesen Fuß zu fassen, bot sich also für die Rezzonico über Abbondio die Mög­lichkeit, an der römischen Kurie eine zweite Basis für den weiteren sozia­len Aufstieg aufzubauen. Hier nun kamen das kaufmännische Netzwerk und die landsmannschaft­lichen Bindungen der Familie zum Tragen, die sich bald in vielversprechende klienteläre Bindungen verwandeln sollten. Denn ab 1676 regierte Innozenz XI. Odescalchi, dessen Familie wie die Rezzonico aus Como stammte und einst zu deren engsten Geschäftspartnern gezählt hatte.30 Abbondio Rezzonico hatte bereits einige Jahre seiner Jugend in Rom verbracht und stand seitdem in engen Beziehungen zu dem um zehn Jahre älteren Livio Odescalchi.31 Als sich der mittlerweile zwanzigjährige Abbondio anläss­lich der bevorstehenden Nobili­ tierung seiner Familie 1687 nach Venedig begeben musste, entspann sich ­zwischen den beiden eine rege Korrespondenz, die nicht nur für das frühere Verhältnis Abbondios zu Livio aufschlussreich ist.32 Wie aus Abbondios Briefen hervorgeht, hatte der mittlere Rezzonico-­Spross seinem Aufenthalt in Venedig von Anfang an eine begrenzte Dauer beigemessen, da er auf baldige Rückkehr nach Rom hoffte. Dabei setzte Abbondio vor allem auf Livios potentiellen Einfluss auf Quintiliano, weil dieser der Abreise seines Bruders eher zöger­lich gegenüberstand. Doch der Papstneffe schien taub für die Karriere­wünsche seines Klienten, da sich das Verhältnis ­zwischen den beiden urplötz­ lich verschlechtert hatte. Diese Misstimmung war dem Umstand geschuldet, dass Abbondio offenbar in einer schwachen Stunde von Livio Odescalchi überredet worden war, ihn schrift­lich zu seinem Gläubiger über 30000 Dukaten Spielschulden zu erklären. Wenig s­ päter bestritt Abbondio diesen Tatbestand jedoch und behauptete, all dies sei im Scherz geschehen, wobei er sich

30 Vgl. Kap. II.1. 31 Abbondio kam gemeinsam mit seinem Bruder Giovanni Battista Ende November / Anfang Dezember 1682 nach Rom, um sich dort in die Obhut von Padre Resta zu begeben. Im Oktober 1685 hielt sich zumindest noch Abbondio in Rom auf, denn Quintiliano bat den Papstneffen, den Bruder weiterhin zu protegieren. Anfang 1687 reiste Abbondio dann im Vorfeld der Nobilitierung der Familien nach Venedig. ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonicos an Livio Odescalchi (12. Dezember 1682, 24. November 1685, 2. Februar 1687). Vermut­lich handelt es sich bei Padre Resta um den Oratorianer Sebastiano Resta, der wie die Rezzonico aus der Lombardei stammte und 1661 nach Rom gekommen war. Bekannt wurde er vor allem durch seine graphische Sammlung. In d ­ iesem Zusammenhang taucht er auch im Briefwechsel ­zwischen Livio Odescalchi und Quintiliano ­Rezzonico auf, ohne dass jedoch sein voller Name genannt wird. Zu Livio Odescalchi vgl. die Angaben in Kap. II.1. und Kap. II.2. der vorliegenden Arbeit. 32 ASO, II E 8. Dieser Band enthält neben den zahlreichen Briefen Quintilianos auch die Briefe Abbondio Rezzonicos an Livio Odescalchi aus den Jahren 1687 bis 1707, von denen ein kleiner Teil ebenfalls bereits von Pizzo, Far Galleria (2000) und Ders., Livio Odescalchi (2002) veröffent­licht wurde.

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verzweifelt bemühte, Odescalchi zur Rückgabe des frag­lichen Schriftstückes zu bewegen.33 In der Zwischenzeit hatte Odescalchi aber bereits versucht, die vermeint­lichen Schulden bei Quintiliano einzulösen. Abbondios Unschuldsbekundungen blieben ungehört, zumal seine Verschwendungssucht und sein notorischer Geldmangel in der Vergangenheit wiederholt von seinem Bruder beklagt worden waren.34 Ganz unabhängig von der Frage, ob es sich bei den – nicht unbeträcht­lichen – Spielschulden um tatsäch­lich verursachte oder um einen Scherz handelte: Indem sich Abbondio offen gegen den Papstneffen stellte und diesen der Unred­lichkeit bezichtigte, hatte er seinen mächtigen padrone bloßgestellt; ein im Rahmen (nicht nur frühneuzeit­licher) Ehrvorstellungen kaum wiedergutzumachender Fehler, da ohne klienteläre Bindung an eine Fortsetzung der Karriere in Rom nicht zu denken war. Und so widerrief Abbondio seine Beschuldigung schließ­lich. In zahlreichen Briefen flehte er Odescalchi an, ihm zu vergeben, was dieser nach einiger Zeit zumindest formell auch tat. Angesichts dieser Affäre hielt man es sicher­lich für angebracht, Abbondio, dessen Sorglosigkeit in Finanzdingen offenbar mit einer bemerkenswerten Unbedarftheit in Fragen des Sozia­lverhaltens einherging, vorerst nicht nach Rom zurückkehren zu lassen. 1688 trat er eine Reise durch Europa an, die ihn innerhalb eines Jahres über Genua, Paris, Brüssel, Amsterdam, Köln und Frankfurt nach Wien führen sollte.35 Vor seiner Abreise aus Venedig setzte Abbondio jedoch am 8. April 1688 ein Testament auf, worin er abermals seine Unschuld beteuerte und den Papstneffen der Unred­lichkeit bezichtigte.36 Die atmosphärischen Verstimmungen z­ wischen Rezzonico und Odescalchi sollten bis zum Ende des Pontifikats Innozenz’ XI. im August 1689 andauern. Ungehört blieben Abbondios Bitten um Benefizien, wie diejenige vom Juni 1688, als er um eine Abtei nachsuchte, quale se fosse di dieci mila scudi vorrei a tutti dargli di pensione e non poterne goderne me ne un pezzo bastandomi il solo honore, non essendo ingordo di beni ecclesiastici per ingrassarmi e mangiare.37

Auch als Abbondio ein Dreivierteljahr s­ päter vom Tod des Kardinals Carlo Emanuele Pio di Savoia d. J. und den dadurch frei werdenden Benefizien erfuhr,38 intervenierte Odescalchi offenbar nicht oder zumindest nicht nachdrück­lich genug zugunsten seines ehemaligen 33 ASO, II E 8, Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (13. September 1687). 34 Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (8. Juni 1686). 35 Ebd., Briefe Abbondio Rezzonicos an Livio Odescalchi aus: Genua (29. Mai, 12. und 19. Juni 1688), Paris (27. September 1688), Brüssel (28. November, 10. Dezember 1688, 23. Februar 1689), Amsterdam (14. März 1689), Köln (30. Oktober 1689), Frankfurt (24. November 1689), Wien (19. Februar 1690). 36 ASVe, Notarile Atti, Testamenti, not. Giuseppe Bellan, bb. 109 – 110, nr. 75 rosso. Dieses Testament wurde nach Abbondios Tod nicht geöffnet, sondern vermut­lich erstmals im Zuge der Recherchen für diese Arbeit eingesehen. Abbondio hatte ein späteres Testament bei einem Notar in Frosinone hinter­ legt, wodurch das venezianische Testament offensicht­lich seine Gültigkeit verlor. Siehe Anm. 62. 37 ASO, II E 8, Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (19. Juni 1688). 38 Ebd., Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (14. März 1689).

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Schützlings. Die so überaus vielversprechende klientelär-­landsmannschaft­liche Bindung an den Papsthof war im wahrsten Sinne des Wortes verspielt worden. Somit ist es nicht erstaun­lich, dass sich die Brüder in Venedig mit dem Gedanken trugen, den an der Kurie offenkundig perspektivlosen Abbondio nach Venedig zurückzurufen. Doch dieser wehrte sich, was sich in ­diesem Falle als ein Glücksumstand erweisen sollte. Denn mit dem Tod Innozenz’ XI. am 12. August 1689 änderten sich die römischen Konstella­tionen von Grund auf, was sich auch auf die klientelären Bindungen der Rezzonico an die Kurie auswirkte. Die Wahl des Odescalchi-­Nachfolgers Pietro Vito Ottoboni, der am 6. Oktober 1689 als Alexander VIII. den Stuhl Petri bestieg, schien für die Rezzonico zwar zunächst von Vorteil. Denn Ottoboni stammte aus Venedig, und so bestand Hoffnung, dass aufgrund der landsmannschaft­lichen Bindung eine Aufnahme in den klientelären Kreis des neuen Papstes gelänge. Hinzu kam, dass die Familie des neu gewählten Papstes erst 1646 nobilitiert worden war und somit, wie die Rezzonico, dem patriziato nuovo angehörte. In ­diesem Sinne schrieb Abbondio, der sich zu ­diesem Zeitpunkt in Köln befand und es gar nicht erwarten konnte, nach Rom zurückzukehren, auch zuversicht­lich am 30. Oktober 1689 an seinen alten padrone Livio Odescalchi: Già il Papa è fatto, è Veneziano, di nobiltà nova onde credo che questa qualità non mi nocerà. Non pretendo Chiericati così presto, ma ho anche l’anima di aspirar a Papati. Quello che si vuole intavolare crederei fosse una buona Abbadia havendone havuto S. S.tà nel stato Veneto di ricchissime. E qualcheduna di queste mi accomoderebbe, e potrebbe V. E. rappresentare che in verità la nostra Casa non è così ricca come credono alcuni ignoranti. Vengo pure anco d’inten­ dere vi siano più di trecento mille scudi di beneficij a dare e se bene non ne potessi havere in stato Veneto, non m’importa […]. Ci sono pure Berette de Cardinali in una promo­tione che qua V. E. puole impegnar S. S.tà a mio riguardo.39

Doch Abbondios Zuversicht hinsicht­lich seines Vorankommens an der Kurie wurden enttäuscht. Die Versuche, vom neuen Papst mit Benefizien bedacht zu werden oder sich in ein neues Netzwerk zu integrieren, misslangen. Seine Bitte, einem frisch promovierten Kardinal das Birett überbringen zu dürfen und sich damit eines neuen, dem Papst nahestehenden padrone zu vergewissern, wurde abgelehnt, obwohl er wenig ­später bei Livio Odescalchi noch einmal um dessen Fürsprache in dieser Angelegenheit ersuchte.40 Als Neffe des verstorbenen Papstes hatte Livio Odescalchi beim Amtsantritt des Nachfolgers seinen entscheidenden Einfluss am Papsthof verloren. Gemäß den ungeschriebenen Gesetzen der römischen Wahlmonarchie brachte jede Papstfamilie ihr eigenes ­klienteläres Netzwerk mit, wobei nicht nur die Kardinalnepoten, sondern die ganze Familie, aber 39 Ebd., Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (30. Oktober 1689). 40 Ebd., Abbondio Rezzonico an Livio Odescalchi (24. Novembre 1689): Io desidero infinitamente rivedere V. E. che prego voler impegnar S. S.tà. a volermi honorare di far portare in una nova promo­ tione le Berette a Cardinali ma in Allemagna, Francia, e non in Italia infine pur haver qualche pretesto di rivenir a Roma.

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auch die Klienten und Kreaturen des Vorgängerpapstes zurückgedrängt wurden.41 Und tatsäch­lich spielte das – ohnehin nur anderthalb Jahre dauernde – Ottoboni-­Pontifikat für den Aufstieg der Rezzonico an der Kurie keine Rolle. In dieser Zeit war Quintiliano weiterhin zöger­lich, was die römischen Ambi­tionen s­ eines Bruders betraf. Sollte eine kuriale Karriere erfolgreich vorangetrieben werden, setzte dies meist einen beträcht­lichen finanziellen Einsatz seitens der Familie voraus. Unmittelbar nach der kostspieligen Nobilitierung, zudem zu einem Zeitpunkt, als die Verheiratung eines ihrer Mitglieder noch ausstand, schienen die Rezzonico gut beraten, mit ihren finanziellen Ressourcen sorgsam umzugehen. Als sich Abbondio im März 1690 für ein frei gewordenes Kammerklerikat interessierte, eines der teuersten Kaufämter, welches aber in der Regel zum Kardinalat führte,42 bemerkt Quintiliano gegenüber Livio Odescalchi dann auch nur lakonisch: […] ma che non sono cose per la nostra povera borsa; et il Sig. Abbondio mio fratello ha molte opinioni e pensieri; ma tutti […] senza fondamento, il contante e li capitali sono tutti impie­ gati col vincolo.43

Doch es sollte zu einem Sinneswandel kommen. Wenige Jahre s­ päter war er plötz­lich vehement an einer Karriere Abbondios in Rom interessiert, was damit in Zusammenhang stehen könnte, dass es ihm selbst in Venedig nicht gelungen war, in einflussreiche Posi­tionen aufzurücken. Außerdem war die Familie durch die im Februar 1691 geschlossene Ehe von Giovanni Battista und Vittoria Barbarigo inzwischen verwandtschaft­lich vielfältig in die Netzwerke der papalisti-­Familien eingebunden, so dass man mög­licherweise über breitere Unterstützung einflussreicher Kreise zu verfügen glaubte, was dem Weiterkommen der Rezzonico in Rom natür­lich dien­lich sein mochte.44 Darüber hinaus war Alexander VIII. Ottoboni im Februar 1691 gestorben. Ihm folgte Innozenz XII. Pignatelli (1691 – 1700). Unter ­diesem neapolitanischen Papst und seinem Nachfolger, dem aus Urbino stammenden Clemens XI. Albani (1700 – 1721), sollte sich nun der langsame Aufstieg der Rezzonico an der Kurie vollziehen. Anfang 1696 war Abbondio von Innozenz XII. zu einem seiner camerieri d’onore ernannt worden, wofür offenbar auch die Fürsprache Livio Odescalchis ausschlaggebend gewesen war.45 Der ehemalige Papstnepot und seine Verwandtschaft nahmen am römischen Hof wieder eine äußerst angesehene Stellung ein, wofür nicht zuletzt ihr finanzieller Reichtum

41 Zur Funk­tionsweise dieser Mechanismen vgl. Reinhard, Amici e creature (1996). Zum A-B-APrinzip vgl. Emich, Karrieresprung (2004), S. 135. 42 Für das ausgehende 17. Jahrhundert fehlen konkrete Aufstellungen über die Preise der Kaufämter. Deshalb kann hier nur auf das beginnende 17. Jahrhundert verwiesen werden, wo das Amt eines Kammerklerikers entweder 36000 Gold- oder 40000 Silberscudi kostete. Reinhard, Paul V. ­Borghese (2009), S. 202. 43 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (25. März 1690). 44 Siehe dazu Kap. II.3. 45 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (13. März 1696).

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und kaiser­liche Gunst verantwort­lich waren. Unmittelbar nach dem Tod seines päpst­lichen Onkels war Livio Odescalchi 1689 von Leopold I. zum Reichsfürsten erhoben worden. Vier Jahre s­ päter (1693) hatte er von den sich in argen finanziellen Schwierigkeiten befindenden Orsini das Herzogtum Bracciano für 120000 Scudi erworben. Und 1697 sollte ihm von Leopold I. das ungarische Herzogtum Sirmio nebst erb­lichem Adelstitel für die Familie verliehen werden.46 Somit verwundert es nicht, dass sich die Rezzonico von Livios Protek­ tion ein schnelles Weiterkommen an der Kurie erhofften. Vielleicht war diese Hoffnung auch der Grund dafür, dass Giovanni Battista Rezzonico das ihm angetragene Amt eines Kastellans von Brescia, das sicher­lich eine Stagna­tion seiner ambi­tionierten Karriere im Dienste der Serenissima bedeutet und nur weitere finanzielle Belastungen mit sich gebracht hätte, nur wenige Monate, nachdem sein Bruder zum päpst­lichen Ehrenkammerdiener avanciert war, ablehnte.47 Doch offensicht­lich unterlagen die Rezzonico, was die wirk­lichen Aufstiegsmög­lichkeiten Abbondios anbelangte, einer Fehleinschätzung. Zwar war die Stellung eines Ehrenkammerdieners im Hinblick auf die damit verbundene Präsenz in der Nähe des Papstes durchaus prestigeträchtig. Auch konnte persön­liches Geschick im Umgang mit dem Papst, trotz der hochgradig ritualisierten bzw. formalisierten Dienste eines Kammerdieners, eine Karriere am päpst­lichen Hof fördern. Die erhoffte Blitzkarriere machte Abbondio Rezzonico jedoch nicht. Angesichts der generellen Freigiebigkeit des neuen Papstes sowie der mangelnden Berücksichtigung Abbondios bei der Vergabe von Pfründen und Ämtern schien sein Weiterkommen sogar gefährdet, so dass Quintiliano schließ­lich erneut an Livio ­Odescalchi schrieb, um sich besorgt nach den Ursachen für die unübersehbare Stagna­tion der Karriere seines Bruders zu erkundigen: La stima infinita che faccio delle protet­tione di V. E., e li affetti che porta a Mons.re mio F ­ ratello, mi rendono ardita di avanzare alla di lei bontà queste due righe di confidenza per render quieto il mio animo in quello va sospettando. Sa l’E. V. che il Mons. mio fratello sono molti anni che si trattiene in codesta corte, godendo della sua buona gratia, mediante la quale ci ha sempre data viva speranza di qualche suo buon avanzamento, et appunto ultimamente si credeva da tutti in generale, dovesse esser eletto per portare il beretto all’ Em.za Grimani a Vienna: ma in fine ne restato deluso; come anche in altre occasioni; non havendo di più mai avanzate le sue fortune ad una piccola […] abba­ tia, ma nemmeno pensione; cosa che molti e molti che sono costi, in poco tempo hanno goduto. Restano assieme con me stupefatti tutti li parenti et amici. Et io entro in sospetto che possa il Mons.re forse restar privo della buona protezione di V. E. per qualche motivo a me occulto, o non rendersene degno per l’inhabilità, cosa che mi viene assolutamente ignota. Non possa a 46 Moroni, Dizionario (1848), Bd. 48, S. 263 – 269; Guéze, Livio Odescalchi (1982); Costa, Livio Odescalchi (2014). Vgl. auch Reinhardt, Die großen Familien Italiens (1992), S. 379 – 383, bes. S. 383; Weber, Genealogien (1999), Bd. 2, S. 676. 47 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione del Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 182. Die Wahl erfolgte am 8. April 1696. Die Ablehnung datiert auf den 8. Juni 1696.

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meno di non viver curiosa di saperne in tutta confidenza la ragione, che spero dalla somma Bontà di V. E. mi verrà descifrata. Vedendo con mia gran meraviglia che soggetti di pochissima fortuna, e che non godono l’ombra di un patroncinio sublime come quello di V. E., pare alla fin fine, spuntano qualche cosa, et egli mai nulla; confesso che ne resta attrito, ove e novamente supplicata, a dirmene con due sue benigne righe confidentiali il proprio.48

Wahrschein­lich lag es jedoch nicht an der mangelnden Protek­tion Odescalchis, dass Abbondio bei der Pfründenverteilung leer ausging. Vielmehr scheinen es die immensen Ansprüche Abbondios selbst gewesen zu sein, die seine Erwartungen in die Freigiebigkeit des Papstes und die Einflussmög­lichkeiten seines Protegés übermäßig in die Höhe schraubten, woraus sich dann nicht nur eine völlig verzerrte Sichtweise der Lage ergab. Letzt­lich konnte die Fehleinschätzung der eigenen Mög­lichkeiten dazu führen, dass man die tatsäch­lichen Chancen für ein moderates Weiterkommen nicht nutzte und zum Schluss mit leeren Händen dastand. Dies jedenfalls war die Sorge Quintilianos, der sich der Tatsache nur allzu bewusst war, dass sein Bruder eine fatale Neigung besaß, zugunsten der Taube auf dem Dach den Spatz in der Hand fliegen zu lassen. In ­diesem Tenor ist auch ein weiterer Brief an Livio Odescalchi gehalten: […] vedendo Mons.re mio Fratello godere della specifica protet­tione sua, dalle quale solo speriamo noi tutti molti avanzamenti del M.s, ma anche attendono i nostri parenti, onde è vivamente supplicata a continuarle l’amorevole suo patrocinio. Vorrei però che il mio S. Fratello havesse la bontà di abbraccia ancora le cose mediocre, et provvechiarsi de profitti convenevoli, perché volendo star sulle cose grandi, alle volte si rimane senza le piccole e senza le grandi. Considerando che ha 30 anni, che non sono così pochi. Onde mi pare tempo di havere qualche piccolo sollievo.49

Am Ende zeichnete sich seit 1698 schließ­lich doch noch eine, wenn auch durchschnitt­ liche, Kurienkarriere für Abbondio ab. Am 14. Februar diesen Jahres wurde er zum päpst­ lichen Referendar beider Signaturen ernannt, ein klas­sisches Einstiegsamt, welches ihm den Zugang zu weiteren Stellungen im administrativen Bereich des Kirchenstaates eröffnete.50 Noch im selben Jahr verließ er Rom, um bis 1701 als Gouverneur im umbrischen Città di Castello seinen Dienst anzutreten.51 Ernsthaft schienen die Rezzonico nun eine Intensivierung ihrer Beziehungen mit Rom in Erwägung zu ziehen. Im Oktober 1700 äußerte Quintiliano die Absicht, sich um das Amt des Depositars der päpst­lichen Kammer zu bemühen, das nach dem Tod des 48 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (6. November 1687). 49 Ebd., Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (21. September 1697). 50 Beltrami, Notizie su prefetti (1972), S. 170. Bei Weber, Die päpst­lichen Referendare (2003/04), Bd. 31/3, S. 841 wird Abbondio Rezzonico erst 1701 auf der Liste der Referendare geführt. Normaler­ weise setzte d ­ ieses Amt ein Jurastudium voraus, doch konnte im Falle Abbondios kein Studium nachgewiesen werden. Zum Amt des Referendars vgl. Ders., Il Referendariato (2005). 51 Ders., Legati (1994), S. 210, 863.

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Pignatelli-­Papstes von dessen Nachfolger an ein vertrauenswürdiges Bankhaus neu zu vergeben war.52 Der Inhaber ­dieses Amtes genoss am päpst­lichen Hof höchstes Ansehen, denn er war der wichtigste päpst­liche Bankier, der gleichzeitig aber auch ein hohes finanzielles Risiko tragen musste. Dafür befand er sich in einer Vertrauensstellung zum Papst, da in der Regel das Amt des Generaldepositars in Personalunion mit dem des Schatzmeisters der päpst­lichen Privatschatulle ausgeübt wurde.53 Einige Wochen ­später hatte es sich Quintiliano allerdings anders überlegt und er teilte Livio mit: […] che nel particolare consaputo della Depositaria, havendo fatto meglio riflessione, si è consi­ derato che un Nobile Veneto, non può andare al servitio d’alcun prencipe sotto gravissime pene; onde alla nostra Casa non riuscirebbe praticabile simile carica; per tanto V. A. potrà apartarne il pensiero; et invece favorire l’Abbate nostro fratello, che resta in simile congionture caldamente raccomandato alla di Lei somma prote­tione.54

Der Grund für diesen Sinneswandel mag in der harten Gesetzgebung Venedigs gelegen haben, denn unter geschäft­lichen Gesichtspunkten ist er nicht nachvollziehbar. Doch 1699 hatte die Republik zwei Gesetze verabschiedet, ­welche Adlige, die im wie auch immer gearteten Dienst eines anderen Souveräns standen, explizit von Ratsämtern der Republik ausschloss.55 Mit der Übernahme des Amtes eines päpst­lichen Depositars wäre somit die ­sozia­le Integra­tion der Familie in Venedig gefährdet gewesen, auch wenn der ökonomische Gewinn sicher­lich nicht unbeträcht­lich gewesen wäre. Obwohl ­dieses ambi­tionierte Vorhaben im Sand verlief, so verzeichnete zumindest die Karriere Abbondios unter Clemens XI. Albani einen kleinen Aufschwung: 1702 ernannte ihn der Papst zum Vizelegaten von Bologna, wo er dem Legaten Kardinal Ferdinando 52 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (2. Oktober 1700). In der Regel berief jeder neue Papst bei Amtsantritt seinen eigenen Depositar. Vgl. Reinhard, Papstfinanz (1992), S. 274. 53 Zum Amt des päpst­lichen Depositars vgl. Guidi Bruscoli, Papal Banking (2007), S. 69 – 94; ­Reinhard, Papstfinanz (1992), S. 274. Guidi Bruscoli bezieht sich in seiner Studie auf den Zeitraum vor der Verwaltungsreform unter Sixtus V. (1585 – 1590), doch die Ausführungen Reinhards zeigen, dass sich an der Stellung des päpst­lichen Depositars auch im 17. Jahrhundert nichts Grundlegendes geändert hatte. 54 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (13. November 1700). 55 Cozzi, Venezia nello scenario europeo (1992), S. 166. Das erste Gesetz wurde am 26. Juni 1699 verabschiedet und „proibiva l’ingresso nei consigli della Repubblica a patrizi che avessero congiunti i quali ricoprissero la carica di nunzio apostolico o altra carica della Chiesa presso ‘principi laici’.” Wenig ­später, am 11. August 1699, folgte die zweite Gesetzgebung „su benefici ecclesiastici, pensioni e così via“. Cozzi bezieht sich auf: ASVe, Senato secreta, Roma deliberazioni, expulsis, filza 16, und BMVe, ms. it., cl. VII, 1660 (8630), Schriftstück vom 10. September 1709, aufgesetzt von den Avogadori di Comun Leonardo Diedo und Angelo Malipiero. Vgl. auch Andretta, La Repubblica inquieta (2000), S. 154, Anm. 60: „E in un certo senso offrono un quadro interpretativo più congruo del carattere ormai sfibrato delle schermaglie giurisdizionaliste di fine secolo, sopratutto impegnate a rianimare i dispositivi legislativi (le leggi del 1699 e del 1709) che regolavano lo status degli ecclesiastici appartenenti al patriziato e ribadivano l’incompatibilità tra incarichi di governo della Repubblica e aderenze (e relativi introiti) che, a vario titolo, traevano origine dal servizio presso il papa o altri principi.“

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d’Adda zur Seite gestellt wurde.56 Aus nicht näher bekannten Gründen residierte er allerdings nur ein halbes Jahr in Bologna, um dann nach Spoleto versetzt zu werden,57 wo er jedoch erst im Juni 1703 eintraf. In den folgenden beiden Jahren, in denen er d ­ iesem Provinzstädtchen als Gouverneur vorstand, war er hauptsäch­lich damit beschäftigt, die schlimmsten Schäden der immer wieder von schweren Erdstößen geplagten Region zu beheben.58 Weitere Gouverneurs-­Ämter in Ascoli (1705)59 und der Provinz Campagna e Marittima (ab 1706)60 folgten. Keine drei Jahre ­später fand Abbondios Karriere jedoch ein abruptes Ende: 1709 starb der nunmehr Zweiundvierzigjährige in Frosinone, dem Dienstsitz der Provinzgouverneure.61 Seinem testamentarischen Wunsch folgend, wurde er in der dortigen ­Kirche Santa Monica Agostiniano Scalzo beigesetzt.62 Mit dem plötz­lichen Tod Abbondios hatte die direkte Verbindung der Rezzonico zur römischen Kurie ein jähes Ende gefunden, noch bevor die Familie in Venedig daraus wirk­lich Nutzen ziehen konnte. Da die römischen Ambi­tionen Abbondios nach beträcht­ lichen Anfangsschwierigkeiten in der letzten Dekade seines Lebens doch noch in eine solide Ämterlaufbahn gemündet waren, schien es nur konsequent, den von Abbondio eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Ein zweiter, äußerst erfolgreicher Versuch, an der Kurie Fuß zu fassen, wurde seit 1713 mit Abbondios zwanzigjährigem Neffen Carlo unternommen. Dessen Karriere gipfelte 1758 in seiner Wahl zum Papst.

56 Weber, Legati (1994), S. 158, 863. Am 12. April war er nachweis­lich bereits im Amt. Eine letzte Amtshandlung ist für den 18. September 1702 nachgewiesen. Rezzonico folgte in Bologna seinem Landsmann Antonio Widmann, welcher das Amt des Vizelegaten seit 1698 innehatte. 57 Ebd., S. 863, 389. 58 ASV, Segreteria di Stato, Lettere diverse di Vescovi, Prelati e Governatori, b. 97, 98, 99: darin zahlreiche Schreiben Abbondio Rezzonicos an den Kardinalstaatssekretär Fabrizio Paolucci, in ­welchen er von der Situa­tion der erdbebengeplagten Region berichtet. 59 Weber, Legati (1994), S. 124, 863 (am 15. Januar 1705). 60 Ebd., S. 184, 863 (am 21. Oktober 1706). 61 Dass Abbondio eines gewaltsamen Todes starb, wie Gullino, Da Como (2008), S. 23, schreibt, ist anzuzweifeln. Offenbar bezieht Gullino sich dabei auf einen von Pizzo, Livio Odescalchi (2002), S. 145 veröffent­lichten, undatierten Brief Quintilianos, in welchem Quintiliano erwähnt, sein Bruder é stato indegnamente assassinato. Wenige Zeilen s­ päter verweist er jedoch auf einen Brief des Bildhauers Domenico Guidi, w ­ elchen er mit d ­ iesem Schreiben an Odescalchi weiterleiten würde. Da Guidi aber bereits 1703 starb, Abbondio jedoch erst 1709, ist davon auszugehen, dass sich diese Aussage vielmehr metaphorisch auf die finanziellen Probleme Abbondios bezog, denn davon ist auch im Brief die Rede. 62 Malcontenta, Archivio Foscari-­Widmann-­Rezzonico, Testamenti (Giovanni Battista Rezzonico, Juni 1755 [o. T.]): Havendo Monsig.r Abondio mio Fratello morto e sepolto a Frosinone lasciato una Mansio­ neria perpetua, resta questa però de P. P. Agostiniani della Chiesa, dove è sepolto. Eine Abschrift des Testa­ ments von Abbondio befindet sich in ASVr, Pindemonte-­Rezzonico, b. 459, B, N. 1. Testamenti. Das Testament wurde am 16. Juni 1709 in Frosinone aufgesetzt. Das genaue Todesdatum Abbondio Rezzonicos ist nicht bekannt. Er muss jedoch vor dem 2. September 1709 gestorben sein, da Valerio Rota an ­diesem Tag die Nachfolge Rezzonicos in Frosinone antrat. Vgl. Weber, Legati (1994), S. 184. Abweichend zu Weber findet sich bei De Matthaeis, Saggio storico (1816), S. 109 der 9. September 1709 als Antrittsdatum.

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Carlo Rezzonicos kirch­liche Laufbahn Mit männ­lichem Nachwuchs war die Familie in der nächsten Genera­tion nicht reich gesegnet. Aus der Ehe Giovanni Battista Rezzonicos mit Vittoria Barbarigo waren ledig­lich zwei, im Abstand von vierzehn Monaten (am 12. Januar 1692 und 7. März 1693) geborene Söhne hervorgegangen.63 Auf diesen beiden Knaben lagen die Hoffnungen der Familie, was auch in der Namensgebung der Brüder symbo­lischen Ausdruck fand: Sie wurden wie die Begründer des venezianischen und genue­sischen Familienzweiges auf die Namen Aurelio und Carlo getauft. Darüber hinaus erhielten beide den Beiname Gaetano (bzw. Tommaso Gaetano),64 was offenbar als subtile Hommage an die geist­lichen „Patrone“ der nunmehr mit der papalisti-­Familie Barbarigo verschwägerten Familie zu verstehen ist:65 einerseits an den aus Vicenza stammenden, 1671 heiliggesprochenen Gründer des Reformordens der Theatiner, Gaetano da Thiene, andererseits (wenn auch nur indirekt, und zwar anschließend an da Thienes reformerische Tätigkeiten) an Gregorio Barbarigo, den Kardinalbischof von Padua, der im Hinblick auf seine, nicht nur von Carlo Borrromeo inspirierte, intensive Reformtätigkeit bereits lange vor seinem Tod im Jahre 1697 im Ruf der Heiligkeit stand.66 In der Zeit, da der Spanische Erbfolgekrieg Oberitalien schwer erschütterte, und gleichzeitig ihr Onkel Abbondio im Kirchenstaat seinen Amtsgeschäften nachging, wurde Carlo Rezzonico gemeinsam mit seinem Bruder von 1701 bis 1711 von den Jesuiten in Bologna am Collegio di San Francesco erzogen.67 Die Wahl einer jesuitischen Ausbildungsstätte ­außerhalb des Hoheitsbereiches der Serenissima entsprach durchaus den mittlerweile gängigen Gepflogenheiten der venezianischen Aristokratie und ließ den Zöglingen grundsätz­ lich alle Karrierewege offen.68 Während Aurelio als der Ältere für eine welt­liche Karriere 63 APVe, Parrochia di S. Felice, Registro dei Battesimi, 1 (1684 – 1699), fol. 43v, fol. 52r. Eine im Taufregister des Pfarrsprengels San Felice unter dem Datum 5. Februar 1698 verzeichnete Tochter Maria (geboren am 2. Februar) scheint das Erwachsenenalter nicht erreicht zu haben, da sie in keinem weiteren Zusammenhang auftaucht. APVe, Parrochia di S. Felice, Registro dei Battesimi, 1 (1684 – 1699), fol. 79r. 64 Ebd. 65 Zur Bedeutung der Namensgebung in frühneuzeit­lichen Familienverbänden vgl. Büchel, Konstruk­ tion und Memoria (2004). 66 Zu Gregorio Barbarigos Seligsprechung unter Clemens XIII. vgl. Kap. IV.4. der vorliegenden Arbeit. 67 BMVe, Cod. Misc. 7599, fol. 346r–359v: Vita del N. V. Don Aurelio Gaetano Rezzonico Procuratore di San Marco e Fratello di N. Signore Clemente Decimo Terzo. Compendiosamente descritta da un Religioso che per molti anni fu suo intimo Confidente e Confessore, 26 Seiten, hier fol. 11 (Interno fol. 352r): Arrivato agli anni capaci delle scienze piú elevate, [Aurelio] fu dal saggio Padre mandato a Bologna insieme con Carlo suo Fratello, e nel Collegio di San Francesco intraprese e prosegui la carriera letteraria. Vgl. auch Vitae, et Res Gestae Pontificum Romanorum et S. R. E. Cardinalium a Clemente X. usque ad Clementem XII. Scriptae a Mario Guarnacci, Bd. 2, Sp. 723; Brizzi, La formazione (1976), S. 155; Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461. 68 Die Jesuiten durften nach dem Interdikt für lange Zeit nicht mehr auf venezianischem Hoheitsgebiet operieren, weshalb eine ansehn­liche Reihe von venezianischen Patrizierfamilien ihre Sprösslinge an die Jesuiten-­Kollegs in Parma, Bologna und Modena schickte. Anfang des 18. Jahrhunderts waren

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vorgesehen war und durch eine Heirat die Kontinuität der Familie sichern sollte, schien sich der Werdegang Carlos, zumal nach dem Tod seines Onkels Abbondio, mehr und mehr auf Rom auszurichten.69 Im Jahre 1711 nahm der Achtzehnjährige in Padua das Studium der Rechtswissenschaften auf, welches er am 30. September 1713 mit einer laurea in utroque iure abschloss.70 Keineswegs hatte eine ­solche Ausbildung zwingend eine geist­liche Laufbahn zur Folge. Dies wäre sicher­lich auch nicht im Sinne der Familie gewesen, da dem biolo­gischen Fortbestand oberste Priorität beizumessen war und es daher nicht ratsam sein konnte, in dieser Hinsicht allein auf Carlos älteren Bruder Aurelio zu setzen. Als Carlo unmittelbar im Anschluss an sein Studium vom padovanischen Bischof Giorgio Corner ein Kanonikat am dortigen Domkapitel angeboten bekam, lehnte er ab und ging stattdessen noch im gleichen Jahr nach Rom, um an der Accademia Ecclesiastica seine rechtswissenschaft­ lichen Studien unter dem bedeutenden Juristen Jacopo Lanfredini fortzusetzen.71 Wie die curricula der allermeisten Päpste und Kardinäle zeigen, bildete jedoch eine fundierte rechtswissenschaft­liche Ausbildung den Grundstock einer erfolgreichen Kurienkarriere, so dass der jüngste Rezzonico für eine derartige Laufbahn bestens gerüstet war.72 Drei Jahre nach seiner Ankunft in Rom erwarb Carlo Rezzonico 1716 das Amt eines protonotario apostolico partecipante,73 eines der klas­sischen Einstiegsämter an der Kurie. Die Aufgabe der insgesamt zwölf aposto­lischen Protonotare bestand im Wesent­lichen darin, in der Cancelleria, der aposto­lischen Kanzlei, das Aufsetzen päpst­licher Schreiben juristisch zu überwachen.74 Wenig s­ päter wurde Carlo zum referendarius utriusque signaturae

die Jesuiten allerdings längst wieder zugelassen. Cozzi, La Repubblica di Venezia (1997), S. 48 – 50. Vgl. auch Andretta, Paolo V e Venezia (2008). 69 Diesen ursäch­lichen Zusammenhang stellte schon der Zeitgenosse Bartolomeo Antonio Talenti in seinen Kardinalsviten des 18. Jahrhunderts her: La morte occorsa in età ancor fresca di monsignore Abbondio Rezzonico, protonotario apostolico e governatore die Frosinone, gli [Carlo Rezzonico] diede impulso di portarsi a Roma e surrogarsi al zio nei servizi della S. Sede. Zitiert nach Seidler / Weber, Päpste und Kardinäle (2007), S. 524. 70 Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461. 71 Ebd. 72 Über ­welche klientelären Verbindungen die Rezzonico und insbesondere Carlo zu ­diesem Zeitpunkt in Rom verfügten, ist beim derzeitigen Stand der Forschung und aufgrund der schlechten Quellenlage nicht nachzuvollziehen. Livio Odescalchi, der als Förderer von Abbondios Karriere so außerordent­lich wichtig gewesen war, kam als padrone des jungen Rezzonico nicht mehr in Frage, da er im Jahre 1713 starb. Auch die Familie Barbarigo verfügte zu ­diesem Zeitpunkt über keinen Kardinal. Jedoch wurde bereits erwähnt, dass am Ende des Albani-­Pontifikats Giovanni Francesco Barbarigo 1719 mit einem roten Hut bedacht wurde. 73 Weber liefert, was die Jahresangabe zum Erwerb des Protonotariats betrifft, zwei widersprüch­liche Angaben: Weber, Senatus Divinus (1996), S. 212 (16. Januar 1716); Ders., Die päpst­lichen Referendare (2003/04), Bd. 31/3, S. 841, und Ders., Legati (1994), S. 863 (1. Februar 1715). 74 Innerhalb der Ämterhierarchie der Cancelleria nahmen die Protonotare einen relativ hohen Rang ein. Durch die Verwaltungsreform unter Sixtus V. wurde ihre Anzahl 1585 auf zwölf beschränkt. Vgl. Del Re, La Curia Romana (1970), S. 281 f.; sehr ausführ­lich Micke, Die aposto­lischen Protonotare (1886).

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ernannt, was ihn befähigte, administrative Ämter wahrzunehmen, die auch rasch folgten:75 1718 wurde er Gouverneur von Rieti, 1721 wechselte er in dieser Funk­tion in das kleine adriatische Küstenstädtchen Fano.76 Im folgenden Pontifikat Innozenz’ XIII. Conti (1721 – 1724), der seine Kurienlaufbahn ehemals unter dem Ottoboni-­Papst begonnen hatte und seit jener Zeit gute Beziehungen zu Venedig pflegte, gelang Carlo Rezzonico, dessen familiäres Netzwerk mit den papalisti-­ Familien durch die Heirat seines Bruders mit Anna Giustinian noch engmaschiger geworden war,77 schließ­lich ein entscheidender Karrieresprung, der ihm den Weg aus der Provinz zurück nach Rom ebnete: 1723 ernannte man ihn zum ponens der Sacra Congregazione della Consulta, das heißt zu einem der Referenten des höchsten päpst­lichen Appella­tionsgerichtes innerhalb des Kirchenstaates.78 Als Mitglied der Sacra Consulta hatte der nunmehr dreißigjährige Venezianer eine solch bedeutende Posi­tion an der Kurie inne, dass sich seine Heimatstadt veranlasst sah, ihn ein Jahr s­ päter (1724) als einen ihrer Wunschkandidaten für das vakante Amt des venezianischen Rotaauditors zu nominieren.79 Die Rotaauditoren, Richter am obersten (römischen) Gericht in weltweit kirchenrecht­lichen Fragen, wurden auf Vorschlag der wichtigsten katho­lischen Staaten vom Papst ernannt. Neben den Großmächten Spanien, Frankreich und dem Reich, die jeweils zwei Plätze in der Sacra Rota besetzen konnten, verfügte neben Neapel und Florenz auch Venedig über das Privileg eines S­ itzes.80 Doch entschied sich Innozenz XIII. bezüg­lich der anstehenden Neubesetzung des Venedig zustehenden Rota-­Postens aus der Liste der von der Serenissima aufgestellten vier Kandidaten nicht für Rezzonico, sondern für Federico Corner.81 Als dieser aber vier Jahre s­ päter (1729) starb, befand sich Rezzonico

75 Weber, Die päpst­lichen Referendare (2003/04), Bd. 31/3, S. 841 (28. Mai 1716). 76 Ders., Legati (1994), S. 237, 345, 863. 77 Auch für die Zeit ab dem Conti-­Pontifikat können zu den römischen Protegés Carlo Rezzonicos bislang keine Aussagen gemacht werden. Es dürfte sich jedoch um Angehörige eben jener papalisti-­ Familien gehandelt haben, zu denen die Rezzonico nach der Heirat von 1721 in einem Nahverhältnis standen. Vgl. Kap. II.3. der vorliegenden Arbeit. 78 Weber, Die päpst­lichen Referendare (2003/04), Bd. 31/3, S. 841; Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461. Offenbar wartete Carlo Rezzonico nach seiner Wahl in Fano aber die Ankunft seines Nachfolgers ab, denn noch am 5. Mai 1724 schreibt er von dort einen Brief nach Rom an die Bauhütte von Sankt Peter. ARFSP , Arm. 56, G 400. Nach Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 454, der jedoch keine Quelle nennt, wurde Carlo Rezzonico erst 1725 in die Consulta berufen. 79 Neben Monsignore Carlo Rezzonico hatte die Serenissima noch den Abt Giovanni Battista ­Reccanati Zucconi, den Abt Santo Veronese und Monsignore Federico Corner vorgeschlagen. ASVe, Segretario alle Voci, Elezione in Pregadi, reg. 22, fol. 150v. Das Dogenamt bekleidete in dieser Zeit nicht mehr Giovanni Corner, sondern Alvise Sebastiano Mocenigo (1722 – 1732). 80 Zum Amt des Rotaauditors vgl. Gnavi, Carriere e Curia (1994). Zur Entwicklung der Sacra Romana Rota allgemein vgl. Del Re, La Curia Romana (1970), S. 243 – 259. 81 Federico Corner (1670 – 1729) war der Sohn des zwei Jahre zuvor verstorbenen Dogen Giovanni. Vgl. Kap. II.3. der vorliegenden Arbeit.

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erneut auf der venezianischen Kandidatenliste.82 Diesmal fiel die Wahl von Innozenz’ Nachfolger Benedikt XIII. Orsini (1724 – 1730), mög­licherweise aufgrund der Interven­tion seines Günstlings Kardinal N ­ iccolò Coscia,83 auf ihn. Am 9. Dezember 1729 wurde er in das Amt des venezianischen Rotaauditors eingesetzt.84 Mit seiner Ernennung zum Rotaauditor war der mittlerweile Fünfunddreißigjährige in ein hohes und einflussreiches Amt aufgestiegen. Welche weiteren Karriereziele Carlo Rezzonico danach konkret verfolgte, ist allerdings nicht mit letzter Sicherheit zu sagen. In Anbetracht des komplexen Beziehungsgefüges ­zwischen Rom und Venedig sowie der äußerst konfliktreichen Lage auf dem Gebiet der Kirchenpolitik, die noch dazu den diesbezüg­lichen kaiser­lichen Strategien Rechnung zu tragen hatte, war jedoch keineswegs davon auszugehen, dass ihn der Rotaposten automatisch zum Kardinalat führen würde. Nach dem 1730 erfolgten neuer­lichen Wechsel auf dem Stuhl Petri, den bis 1740 C ­ lemens XII. Corsini einnehmen sollte, scheint Carlo Rezzonico jedoch für sein weiteres Fortkommen Sorge getragen zu haben, da er sich am 23. Dezember 1731 in Rom zum Priester weihen ließ.85 Mit Blick auf die Familie in Venedig war die Zeit reif für eine s­ olche Entscheidung. Sein Bruder Aurelio hatte nicht nur 1721 in die Familie Giustinian eingeheiratet; mit der Geburt von drei männ­lichen Nachkommen (1724, 1726 und 1729) schien der biolo­gische Fortbestand der Familie gesichert. Darüber hinaus war es Aurelio seit 1729 gelungen, in Venedig höhere Ämter zu bekleiden. Vor dem Hintergrund seiner Stellung als Rotaauditor dürfte Carlo Rezzonico auf eines der großen und einträg­lichen venezianischen Bistümer aspiriert haben. Gelang es ihm, die Rota-­Stelle zur Zufriedenheit sowohl Roms als auch Venedigs auszufüllen, während sich gleichzeitig Aurelio im Dienste der Serenissima bewährte und für den weiteren Prestigegewinn der Familie sorgte, war solch ein Kalkül durchaus berechtigt. 82 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione in Pregadi, reg. 22, fol. 150v. Neben Rezzonico waren am 19. März 1729 noch Giovanni Battista Sandi, Kleriker an der Kathedrale von Treviso, Giovanni Molin und Giovanni Bragadin nominiert worden. 83 So jedenfalls Bartolomeo Antonio Talenti in seiner Vita Clemens’ XIII. Vgl. Seidler / Weber, Päpste und Kardinäle (2007), S. 524. 84 Weber, Die päpst­lichen Referendare (2003/04), Bd. 31/3, S. 841. Der Sekretär Rezzonicos in ­diesem Amt war Mario Guarnacci, welcher 1751 nicht nur eine Geschichte der Pontifikate von Clemens X. bis Clemens XII. publizierte, sondern sich s­ päter auch als Sammler etruskischer Kunst einen Namen machte. Vgl. Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 202 sowie den Eintrag von Vannini im DBI 60 (2003) S. 403 – 405. 85 Chracas, Diario Ordinario, Nr. 2248, S. 3 f. (29. Dezember 1731): In detta mattina di Domenica Signor Cardinal Zondadari conferì l’ordine del Presbiterato a Monsignor Carlo Rezzonico Veneziano, Uditore della Sagra Rota. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 11 nennt irrtüm­lich 1716 als Jahr der Priesterweihe. Dass sich Carlo Rezzonico zum Priester weihen ließ, dürfte nicht allein auf seine spirituelle Neigung zurückzuführen sein. Mit der Einberufung des Concilio Romano im Heiligen Jahr 1725 hatte der Dominikanerpapst Benedikt XIII. den pastoralen Auftrag der ­Kirche in den Mittelpunkt seiner Reformbestrebungen gestellt. Kuriale im Priesterstand konnten sich fortan vermehrte Chancen auf einen Bischofsstuhl ausrechnen. Vgl. dazu Fiorani, Il Concilio romano (1977), bes. S. 67 – 81; Fattori, Il concilio provinciale (2008); Donati, Vescovi e diocesi (1992); Hersche, Italien im Barockzeitalter (1999), S. 116 – 130.

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Die Verleihung des roten Hutes an Carlo am 20. Dezember 173786 kam dann aber doch für Außenstehende, und besonders für die Venezianer, überraschend. Die Serenissima war davon ausgegangen, dass Daniele Dolfin, Patriarch von Aquileia und Angehöriger des patri­ ziato vecchio, die Kardinalswürde zustehe.87 Doch gegen dessen so gut wie beschlossene Promo­tion intervenierte der Kardinalnepot Neri Maria Corsini, der von Carlo Rezzonicos späterem Biographen Giulio Cesare Cordara als dessen amicus aestimatorque bezeichnet wurde,88 bei seinem päpst­lichen Onkel. Erfolgreich, wie sich zeigen sollte. Aus venezianischer Sicht handelte es sich dabei um eine skandalöse Entscheidung. Lange hielt sich in Rom das Gerücht, dass 30000 Dukaten den Sinneswandel des Papstes hervorgerufen hätten.89 Die ersten Jahre seines Kardinalats verbrachte Rezzonico in Rom, was in Anbetracht der umstrittenen Umstände seiner Promo­tion und der kritischen Reak­tion in Venedig wenig verwundert. Schenkt man den Aussagen seines Landsmannes Kardinal Angelo Maria Querini Glauben, hatte er 1738, nach dem Tode Sebastiano Veniers, von Clemens XII. zwar sogleich das Bistum Vicenza angetragen bekommen, dies jedoch ausgeschlagen.90 Der Hauptgrund für Rezzonicos Verzicht dürfte in der venezianischen Verärgerung über seinen Purpur gelegen haben. Es war abzusehen, dass die Serenissima so kurz nach seiner umstrittenen Ernennung keinesfalls auch noch die Verleihung eines Bistums kritiklos hinnehmen würde. Als jedoch 1743 der Bischof von Padua, Giovanni Ottoboni, starb, wurde Carlo ­Rezzonico von Benedikt XIV. Lambertini (1740 – 1758) am 11. März 1743 zu dessen Nachfolger bestimmt.91 In d­ iesem Fall lohnte sich das Eingehen eines noch so großen Risikos allemal, so dass ­Rezzonico die Wahl annahm. Denn damit erhielt er das (prestige-)reichste Bistum, das der Papst auf venezianischem Boden zu vergeben hatte und über welches Kardinal Pietro Vito Ottoboni, der spätere Alexander VIII., einmal sagte, es sei das pontificato dei cardinali venetiani.92 Offenbar war auch diese päpst­liche Entscheidung von der Serenissima nicht begrüßt worden, da 86 HC, Bd. VI, S. 8. 87 Zu Daniele Dolfin (1685 – 1762) vgl. den Eintrag von Preto im DBI 40 (1997), S. 479 – 481. Er war der Sohn von Daniele (genannt Giovanni) und Pisana Bembo. Sein Vater war von 1703 bis 1708 venezianischer Botschafter am Kaiserhof. Daniele war bereits seit 1714 Koadjutator des Patriarchen von Aquilea, bevor er das Amt 1734 selbst verliehen bekam. Danieles gleichnamiger Onkel (genannt Marco, 1653 – 1704) war 1699 zum Kardinal ernannt worden. 88 AHSI, Opp. NN 199: G. C. Cordara, Clementis Vitae ab ortu usque ad Pontificatum (o. D.), Kapitel LXVI (o. P.). 89 Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461 nach „El Espiritù de D. Josè Nicolas de Azara descubierto en su correspondencia epistolar con don Manuel de Roda“, Bd. I, Madrid 1846, S. 1 – 219, hier S. 13. 90 Bibl. Cors., Cons. 2043. 32 G 30. Lettere di Card. Angelo Maria Querini scritte a Clemente XII, a Neri Corsini e a Benedetto XIV. (18. November 1725 – 5. Dezember 1754), fol. 178v. Das Bistum ging an Antonio Maria Priuli. 91 HC, Bd. VI, S. 330. Eine Woche ­später, am 19. März 1743, empfing er von Benedikt XIV. in der ­Kirche SS. Apostoli die Bischofsweihe. 92 Zitiert nach Menniti Ippolito, Politica e carriere ecclesiastiche (1993), S. 83, Anm. 90. Ursprüng­ lich war das Bistum dem venezianischen Kardinal und amtierenden Bischof von Brescia Angelo Maria Querini angeboten worden. Dieser lehnte jedoch ab, da er nicht bereit war, den damit verbundenen Verzicht auf zahlreiche seiner Benefizien zu akzeptieren. Doch scheint Querini es sich

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bis auf Rezzonicos Vorgänger Ottoboni die padovanischen Bischöfe ausschließ­lich Familien des patriziato vecchio entstammten.93 Darauf lässt zumindest eine Aussage Benedikts XIV. schließen, der gegenüber dem franzö­sischen Kardinal Pierre Guérin Tencin im Hinblick auf die vorbild­liche Führung des Bistums durch Rezzonico am 17. August 1746 bemerkte: Il cardinale Rezzonico, vescovo di Padova, […] che la sua elezione, che non fu nel principio applaudita dai veneziani per essere esso di famiglia novamente aggregata alla loro nobiltà, oggi a coro pieno viene benedetta dalla Repubblica.94

Der schwierige Spagat ­zwischen Rom und Venedig Nachdem die Karriere Carlo Rezzonicos mit der Kardinalspromo­tion von 1737 einen (vorläufigen) Höhepunkt erreicht hatte, geriet der weitere Aufstieg der Familie im venezianischen Ämterwesen und somit der Versuch, sich im soziopolitischen System der Republik einen angemessenen Platz zu sichern, wieder ins Stocken. Dass in dieser Phase der Familiengeschichte ein kausaler Zusammenhang z­ wischen einer gewissen Stagna­tion in Venedig und dem außerordent­lichen Erfolg in Rom besteht, dürfte im Hinblick auf die obigen Ausführungen klar hervorgetreten sein. Denn die Rezzonico forcierten ihren Prestigegewinn in Venedig über die kirch­lich-­römische Schiene und provozierten dadurch Irrita­tionen seitens der venezianischen Aristokratie. Bevor der Frage nachgegangen wird, auf w ­ elche Weise die Familie ihren Statusambi­ tionen in der gewiss als kritisch zu bezeichnenden Zeit nach der Kardinalsernennung Carlos auf dem Gebiet der Repräsenta­tionsarchitektur und Kunst Nachdruck zu verleihen suchten, soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, die römischen und venezianischen Karrierestrategien resümierend in Beziehung zueinander zu setzen. Fokussieren die ­kurzen Schlussbemerkungen dabei auf das bereits angesprochene „Karrierekalkül“ bzw. „Karrieremanagement“ der Familie, so soll es dabei nicht zuletzt darum gehen, die bislang nur sporadisch angesprochene venezianische „Ämterkonjunktur“ der Rezzonico in den ersten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in die Gesamtansicht zu integrieren. Während die Karriere Carlos in Rom kontinuier­lich voranschritt, war der Aufstieg der Familie im venezianischen Ämterwesen und somit ihr Versuch, sich im machtpolitischen System der Republik einen festen Platz zu sichern, in der Zwischenzeit ins Stocken geraten. Damit stellten sie jedoch unter den Familien der nobiltà nuova keine Ausnahme dar, denn, wie Roberto Sabbadini gezeigt hat, gelang es fast keiner der ab 1646 nobilitierten im letzten Augenblick doch noch anders überlegt zu haben, da hatte Rezzonico aber seine Wahl bereits akzeptiert. Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461. 93 Seit dem 17. Jahrhundert hatten vor allem die Corner fünf Bischöfe gestellt, gefolgt von zwei Bischöfen aus der Familie Barbarigo sowie einem aus der Familie Stella und einem Valier. HC, Bd. IV, S. 275 f., Bd. V, S. 308 f. 94 Morelli (Hg.), Le lettere di Benedetto XIV (1955 – 1984), Bd. 1, S. 355.

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Familien, dauerhaft im venezianischen Staatsapparat einflussreiche Posi­tionen zu erlangen.95 Zu stark war der Widerstand der nobiltà vecchia gegenüber den Parvenüs, doch schienen auch diese mit der Zeit eine gewisse Trägheit an den Tag zu legen, wenn es darum ging, die finanziellen Belastungen einer Ämterkarriere in Kauf zu nehmen, die unvermeidbar waren, wollte man in die wichtigsten Posi­tionen des Staates aufrücken. Anhand der überlieferten Quellen ergibt sich der Eindruck, die Rezzonico hätten mit Abbondios faktischem Eintritt in den kurialen Ämterdienst ihre ganze Aufmerksamkeit und somit auch ihre zu d ­ iesem Zeitpunkt offenbar begrenzten finanziellen Ressourcen auf Rom gerichtet. Denn noch im März 1709 musste Quintiliano Rezzonico die hohen finan­ ziellen Verluste beklagen, die der Familie aus dem Konkurs ihrer genue­sischen Niederlassung entstanden waren.96 Als Giovanni Battista 1707 zum Hauptmann (capitano) von Vicenza gewählt wurde, lehnte er ab.97 Dies tat auch Quintiliano, der einen Monat s­ päter zum Statt­ halter (podestà) derselben Stadt berufen wurde.98 Erst nach dem Tod Abbondios (1709) und dem damit verbundenen Wegfall des kurialen Standbeines begann sich die Familie wieder auf die sich in Venedig bietenden Aufstiegsmög­lichkeiten zu konzentrieren. Als Giovanni Battista Rezzonico 1711 in das Doppelamt eines Hauptmanns und Statthalters von Feltre berufen wurde, nahm er den Posten an und brach zu der sechzehn Monate dauernden Amtszeit in das nordwest­lich von Venedig auf der terra ferma gelegene Städtchen auf.99 Begleitet wurde er von seinem ältesten Sohn Aurelio, so dass sich dem nunmehr Zwanzigjährigen die Gelegenheit bot, die Führung der Regimente vor Ort zu studieren.100 Vier Jahre ­später (1715) akzeptierte Giovanni Battista ein weiteres Regiment in Treviso,101 wohl in der Hoffnung, nach seiner Rückkehr end­lich innerhalb Venedigs auf einflussreichere Posten zu gelangen. Doch dann stagnierte das Interesse der Familie an der Teilnahme am venezianischen cursus honorum erneut. Aurelio, der mittlerweile seit drei Jahren Mitglied des Maggior Consiglio war, lehnte sowohl 1719 als auch 1723 die Statthalterstellung von Vicenza ab.102 95 Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 90 – 92. 96 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (15. März 1709): Consideri di più il danno immenso sofferto dalla mia povera Casa a cui non solo è toccato piangere la total ruina di quella di Genova: ma anche soccomber a grosso esborsi questa di Venezia. 97 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 24 (1687 – 1699), fol. 190. Die Berufung erfolgte am 16. Juni 1707. Die Ablehnung datiert auf den 19. Juli 1707. 98 Ebd., fol. 189. Die Berufung erfolgte am 31. Juli 1707. Die Ablehnung datiert auf den 31. August 1707. 99 Ebd., reg. 25 (1699 – 1717), fol. 147v–148r. Die Berufung erfolgte am 31. August 1710. Am 8. Januar 1711 brach Giovanni Battista nach Feltre auf, wo er bis zum 7. November 1711 blieb. 100 BMVe, Cod. Misc. 7599, fol. 11 (= fol. 352r): Il suo [Aurelios] Genitore, spedito al governo di Feltre, lo volle seco per sua delizia e collá il fanciulletto diede a conoscere che seco andava, crescendo sin dall’utero la misericordia al suo prossimo. Der anonyme Biograph Aurelios irrt, was das Alter des Sohnes von Giovanni Battista angeht, denn Giovanni Battista wird erst 1711 nach Feltre entsandt, siehe oben. 101 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 25, fol. 140; reg. 26, fol. 137. Es handelte sich um das Doppelamt eines podestà und capitano. 102 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 26 (1714 – 1731), fol. 188. Die Berufung erfolgte erstmals am 5. März 1719 (abgelehnt am 5. April 1719) und noch einmal am 17. Mai 1723 (abgelehnt am 17. Juni 1723)

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Da sein Bruder Carlo im gleichen Zeitraum seiner Gouverneurstätigkeit im Kirchenstaat nachging, drängt sich der Eindruck auf, die Familie habe nicht parallel in zwei so unterschied­liche Karrieremodelle investieren wollen bzw. können, was wiederum auch auf finanzielle Engpässe zurückzuführen sein könnte. Überdies stand in dieser Zeit gerade die Verheiratung Aurelio Rezzonicos ins Haus. Erst 1727, im Todesjahr seines Onkels Quintiliano, akzeptierte Aurelio das Amt eines Statthalters von Bergamo, nachdem er ein Dreivierteljahr zuvor noch das Regiment in Crema abgelehnt hatte.103 Dass Aurelio das Amt annahm, könnte auch darauf zurückgeführt werden, dass das Unternehmen der Rezzonico mit dem Tod seines Onkels liquidiert wurde. Zwar vergingen bis zur endgültigen Auflösung der Firma drei Jahre. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass die Familie nun wieder über finanzielle Mittel verfügte, die in ein aufstiegsträchtiges Amt investiert werden konnten. Die mit Bergamo verbundenen guten Aufstiegschancen wurden bereits erwähnt. Und in der Tat finden wir Aurelio nach ­seiner Rückkehr aus d ­ iesem Grenzort in den Funk­tionen eines cassiere agli ori e agli argenti (1729),104 eines provveditore agli ori e argenti in Zecca (1729/30)105 sowie eines provveditore sopra Ori e Monete (1731)106 wieder. Dieser Karriereschub fällt auffälligerweise in eine Zeit, in der sein Bruder Carlo zum venezianischen Rotaauditor ernannt wird. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass sich die Karrieren der beiden Brüder in Rom und Venedig in diesen Jahren in idealer Weise gegenseitig beförderten, was nicht zuletzt auch eine Folge der 1721 geschlossenen Ehe Aurelio Rezzonicos mit Anna Maria Giustinian gewesen sein mag, durch ­welche die Familie Anschluss an die führenden venezianischen Familiennetzwerke um die Corner bekommen hatten. Ein Fazit dahingehend sieht folgendermaßen aus: Erst Ende des 17. / Anfang des 18. Jahrhunderts konkretisierten sich die Karrieremög­lichkeiten der Rezzonico an der römischen Kurie. Was zur Folge hatte, dass sie sich jetzt stärker für eine strate­gische Verankerung in Rom interessierten und dadurch weniger in den venezianischen cursus honorum investierten. Ende der zwanziger Jahre korrelierten beide Strategien, wobei von den römischen Karrieremög­lichkeiten zunächst deut­liche Synergieeffekte für die venezia­nischen Aufstiegsmög­lichkeiten ausgingen, auch wenn der Karriereschub Carlo ­Rezzonicos die Interessen ebenjener einflussreichen Kreise, insbesondere der Dolfin, verletzte, an die man eigent­lich Anschluss bekommen wollte. Somit barg diese an sich günstige Konstella­tion eine Problematik, mit der die Familie in den nächsten Jahrzehnten noch zu kämpfen haben sollte.

103 Ebd., reg. 26, fol. 207 (Bergamo), fol. 210 (Crema). 104 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 26, fol. 201r. Vgl. auch Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 123, Anm. 18. 105 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 26, fol. 217r. 106 ASVe, Segretario alle Voci, Elezione Maggior Consiglio, reg. 27, fol. 98v.

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6. Triumph der Familie: Der Palazzo Rezzonico am Canal Grande Zu den auffälligsten und sowohl in mentalitäts- wie in kunstgeschicht­licher Hinsicht bemerkenswerten Eigentüm­lichkeiten der Seerepublik gehört die Diskrepanz z­ wischen der egalitär-­konsensuellen Ideologie ihrer Führungsschicht und der auf gegenseitige Überbietung angelegten Repräsenta­tionsmodi, die sich im Medium der Architektur, genauer, in den aufwendigen Familienpalästen spiegeln. Bereits 1581 konstatierte F ­ rancesco S­ ansovino in seiner vielfach rezipierten Beschreibung der Lagunenstadt, es gebe keine andere Stadt in Europa, die über mehr Paläste verfüge als Venedig.1 Diese Bemerkung, in der unüberhörbar der Stolz des Autors über das Bewunderung hervorrufende architektonische Ensemble seiner Vaterstadt mitschwingt, impliziert die angesprochene Widersprüch­ lichkeit: Während zum einen durch die Vielzahl prachtvoller Bauten, deren Errichtung durch staat­liche Organe dekretiert war, nach außen der Eindruck eines glanzvoll in sich geschlossenen Staatswesen evoziert wurde, manifestierte sich zum anderen, betrachtet man ­dieses architektonische Gefüge innerhalb des städtebau­lichen Kontextes, in den privaten Palastbauten ein Medium des harten Konkurrenzkampfes ­zwischen den Familien der nobili.2 Gerade in Venedig lässt sich die Entwicklung der architektonischen Formensprache nicht nur als Medium des Distink­tionsbemühens einzelner Familien nachweisen, sondern ebenso als solches sozia­ler Konflikte z­ wischen verschiedenen Fak­tionen innerhalb des Patriziats. So spiegelt etwa die massive Einführung von Elementen der Renaissance-­ Architektur, wie sie sich auf dem italienischen Festland längst durchgesetzt hatte, in der Reformära des Dogen Andrea Gritti (1523 – 1538) einen fundamentalen Wandlungsprozess der venezianischen Führungsschicht zu Beginn des 16. Jahrhunderts wider.3 Rund achtzig Jahre ­später fand der Kampf ­zwischen tradi­tionsbewussten Anhängern einer selbstbewussten venezianischen Machtpolitik und skeptisch-­vorsichtigen Vertretern politischer Bündnissysteme nicht zuletzt Ausdruck in Palastbauten mit betont konservativer Gestaltung wie dem Palazzo Donà delle Rose (Abb. 22), der sich mit seinem Rückgriff auf überkommene Motive der venezianischen Architekturtradi­tionen als geradezu demonstrativer Archaismus von den zeitgenös­sischen Marmorinszenierungen absetzte, wie sie etwa in Gestalt des 1533 begonnenen Palazzo Corner della Ca’ Grande (Abb. 23) entstanden waren.4 In diesen Kontext ist gleichsam die Vollendung

1

Francesco Sansovino, Venetia città nobilissima et singolare, descritta in XIII libri,Venedig 1581, S. 140: „Non è città in Europa che habbia più palazzi & di gran circuito, così sul Canal grande come fra terra, di Venezia.“ 2 Huse, Venedig (2005), S. 79 – 90. 3 Hierzu grundlegend Tafuri, Il pubblico (1994). Konzis zusammenfassend Karsten, Kleine Geschichte Venedigs (2008), S.  140 – 145, 179 – 183. 4 Vgl. Huse, Venedig (2005), S. 80 – 85. Zum Palazzo Donà delle Rose vgl. Ceriani Sebregondi, Un doge (2002); zum Palazzo Corner della Ca’ Grande vgl. vor allem Romanelli, Ca’ Corner (1993); Morresi, Jacopo Sansovino (2000), S. 118 – 129.

Triumph der Familie  |  137

22 Venedig, Palazzo Donà delle Rose

des Palazzo Bon-­Rezzonico zu stellen: Als von den Auftraggebern bewusst eingesetztes Mittel im Kampf um sozia­len Aufstieg und politische Selbstbehauptung entstand mit ihm um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein letzter Höhepunkt der venezianischen barocken Palastarchitektur. Als Sansovinos berühmtes Werk „Venetia città nobilissima“ 1663 durch Giustiniano ­Martinioni eine Neuauflage und gleichzeitige Überarbeitung erfuhr, hatte sich die Anzahl der darin beschriebenen Paläste um einige Gebäude erhöht. Deren Auftraggeber bzw. Käufer gehörten zum großen Teil der seit 1646 aggregierten nobiltà nuova an, die mit diesen Bauten nicht zuletzt ihren neu erlangten sozia­len Status zur Schau stellte.5 So hatten die Labia schon vor ihrer Nobilitierung im Jahre 1646 damit begonnen, sukzessive Grundstücke am Campo San Geremia zu erwerben, auf denen sie dann z­ wischen 1685 und 1696 einen prächtigen, mit drei Schaufassaden – zum Campo San Geremia, zum Canal di Cannaregio und zum Canal Grande – versehenen Familienpalast errichten ließen.6 Auch die Widmann hatten schon vor ihrer Aggregierung einen Palast im Pfarrsprengel San Cassiano gekauft, ­welchen sie ab Mitte der 1630er Jahre umbauen und erweitern ließen und den Martinioni per costruttura, per copia di stanze, per magnifiche sale, per la facciata ornata di marmi di singolarissimo ordine di Architettura, e per esser di dentro fornito di Statue, di Pitture e d’altre ricchezze als einen der prächtigsten Privatpaläste Venedigs bezeichnete.7 5 6 7

Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 141 – 160. Pedrocco / Pigniatti / Martinelli Pedrocco, Palazzo Labia (1982), S. 9 – 35. Francesco Sansovino (wie Anm. 1), S. 392. Zum Palazzo Widmann vgl. auch Magani, Il collezionismo (1989), S. 13 – 19, 141; Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 133 – 136.

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23 Venedig, Palazzo Corner della Ca’ Grande

Andere Familien, wie die Farsetti (1664 nobilitiert) oder die Lini (1685 nobilitiert), trugen sich erst nach ihrem Eintritt in den Adelsstand mit dem Gedanken an einen eigenen Familienpalast, den sie dann allerdings gleich am Canal Grande erwarben.8 Die Rezzonico wiederum gingen die Frage nach dem Erwerb, Bau oder Umbau eines repräsentativen Familiendomizils lange Zeit mit bemerkenswerter Nonchalance an, indem sie sich für keine der drei genannten Op­tionen entschieden, sondern vielmehr zur Miete wohnten. Dabei impliziert die Wahl dieser Op­tion keineswegs einen Widerspruch zu den ansonsten in den verschiedensten Bereichen zu beobachtenden Bemühungen um eine angemessene visuelle Repräsenta­tion ihres wirtschaft­lichen und sozia­len Aufschwungs. Die Praxis, Paläste oder auch nur Palastetagen zu mieten, war innerhalb der Aristokratie in Venedig nicht ungewöhn­lich, sondern weit verbreitet. Wie Laura Megna in ihrer grundlegenden Studie zum Wohnverhalten des venezianischen Adels für den Zeitraum von 1582 bis 1740 gezeigt hat, wohnte rund die Hälfte aller venezianischen Patrizierfamilien in angemieteten Palästen, wobei es keinen Unterschied

8

Antonio Francesco Farsetti kaufte 1670 für 20000 Dukaten von Barbon Morosinis Witwe Marina Bragadin einen Palast am Canal Grande, im Pfarrsprengel San Luca gelegen. Ebenso die Lini, ­welche 1691 im Pfarrsprengel San Samuele einen Palast am Canal Grande erwarben, den sie in den folgenden Jahren erweitern ließen. Vgl. Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 112, 143. Zum Palazzo Farsetti vgl. auch Vedovato, Villa Farsetti (1994), Bd. 1, S. 54.

Triumph der Familie  |  139

machte, ob die Familien dem alten oder neuen Patriziat angehörten.9 Die Rezzonico stellten in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar.10 Als Domizil diente ihnen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein der Palazzo Sagredo bzw. der sich in unmittelbarer Nähe zu ihm befind­liche Palazzo Fontana. Darüber hinaus investierten sie in dieser Zeit auch in Immobilien. Aber erst 1750 konnten sie mit dem Palazzo Bon ein wirk­lich prestigeträchtiges Objekt erwerben, welches sie im folgenden Jahrzehnt ausbauen und ausgestalten ließen. Bevor die visuelle Inszenierung ihres triumphalen Aufstieges im Palazzo Bon-­Rezzonico als ein Höhepunkt venezianischer Repräsenta­tionsarchitektur des Spätbarocks ausführ­licher thematisiert wird, soll zunächst auf ihre Situierung im Zeitraum davor eingegangen werden. Mietresidenzen und Immobilieninvesti­tionen der Rezzonico Nach ihrer Aggregierung legten die Rezzonico keine Eile an den Tag, um einen eigenen Palazzo oder ein dafür geeignetes Baugrundstück zu erwerben. Aus einer Vermögens­ erklärung der Gebrüder Sagredo geht hervor, daß Aurelio Rezzonico mit seinem Neffen Quintiliano seit 1680 das erste Geschoss ihrer casa in der Contrà Santa Sofia bewohnte und Miete zahlte.11 Dabei handelte es sich um den Palazzo Sagredo am Canal Grande, einen repräsentativen Palazzo aus dem Trecento, der in späterer Zeit mehrfach im Inneren verändert wurde.12 (Abb. 24) Seine Lage in unmittelbarer Nähe zum Rialto, dem wirtschaft­lichen Zentrum der Serenissima, wo auch der banco giro, die venezianische Staatsbank angesiedelt war, dürfte für den Kaufmann und Bankier Aurelio Rezzonico schon aus praktischen Gründen von Vorteil gewesen sein. Dieser Auffassung schien auch Quintiliano Rezzonico gewesen zu sein, denn vier Jahre nach dem Tod Aurelios mietete er 1686 von Girolamo Pesaro den an den Palazzo Sagredo unmittelbar angrenzenden Palazzo Giustinan-­Pesaro.13 Es ist durchaus denkbar, dass die bevorstehende Nobilitierung der Familie ausschlaggebend dafür war. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass der Palazzo mit dem bei Sagredo angemieteten Obergeschoss durch einen Mauerdurchbruch verbunden wurde, um die Wohnfläche zu vergrößern. Sichere Belege 9 Megna, Comportamenti abitativi (1991). 10 So blieben auch Familien wie die Bressa oder die Scroffa nach ihrer Nobilitierung zur Miete wohnen, dies jedoch in der Ca’ d’Oro, einem der eindrucksvollsten Paläste am Canal Grande. Sabbadini, L’acquisto (1995), S. 143. 11 ASV e, Dieci Savi alle Decime, b. 263, nr. 9600 (21. Dezember 1685): Essendo stata affittata la casa posta in contrà di S.ta Sofia di ragione di noi Marco e fratelli Sagredi fu de S. Zaccaria che era tenuta per nostro uso, cioè il soler di sopra al S. Simon Giugali, et il soler di sotto al S. Aurelio Rezzonico per D 616 in tutto sotto li primo mag.o 1680. Ich danke Jan-­Christoph Rößler für diesen Hinweis. 12 Die Sagredo hatten den Palazzo 1661 von den Morosini gekauft. Mazza, I Sagredo (2004), S. 24. 13 ASVe, Notarile Atti, not. Luca Calzavara, b. 3026, fol. 148r–149v (2. Oktober 1686). Die jähr­liche Miete betrug 280 Dukaten.

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24 Venedig, Palazzo Sagredo (rechts) und Palazzo Giustinian Pesaro

dafür gibt es aufgrund fehlender bauhistorischer Untersuchungen der architektonischen Substanz allerdings nicht. Als 1688 Monsignore Alvise Sagredo (1616 – 1688), der Patriarch von Venedig, in dessen Besitz das Gebäude in der Zwischenzeit übergegangen war, starb, wohnte Quintiliano immer noch dort zur Miete.14 Durch den Tod des Patriarchen waren die Rezzonico jedoch kurz nach ihrer Nobilitierung gezwungen, nach einer neuen casa für die Familie Ausschau zu halten, da die Erben Sagredos die Palastetage für sich beanspruchten.15 In ­diesem Zusammenhang zog ­Quintiliano kurzzeitig den Kauf eines eigenen Palazzo in Erwägung, verwarf diesen Plan

14 Vgl. Anm. 15. 15 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (25. September 1688): Hora habitando io nella Casa dello Herede del Defonto [Alvise Sagredo], devo ben presto provvedermi di nova habita­tione, come un incomodo cosi notabile, e con danno non poco per la sp[esa] e per il dissipamento de mobili solito succedere in tal muta­tione; et essendo questa una facenda di tanta premura che ricerca l’applica­tione e l’assistenza di tutta la persona, e ne pur basta. Immagini Ella se posso abbandonar la casa, che sarebbe un ruinar […] i mobili, che mi costano qualche danaro. Ero per verità disposto con quell’occasione di darmi una scorsa fino a Genova, ma hora è totalmente impossibile. Bis 1871 wurde der Palast dann von den Sagredo bewohnt. Mazza, I Sagredo (2004), S. 31.

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25 Venedig, Palazzo Fontana

jedoch bald wieder, denn am 24. Mai 1690 mietete er gemeinsam mit seinem jüngsten Bruder Giovanni Battista mit dem solèr di sotto das erste Obergeschoss im Palazzo Fontana, für das eine jähr­liche Miete von 600 Dukaten veranschlagt wurde.16 Dieser Palazzo, der von Martinioni als grande e di bella forma beschrieben worden war,17 befand sich ebenfalls direkt am Canal Grande und lag nur wenige Meter nörd­lich des Palazzo Sagredo. (Abb. 25) Offenbar war es den Rezzonico wichtig, nach dem Erlangen des neuen sozia­len Status das repräsentative Potential eines Wohnsitzes am Canal Grande keinesfalls aufzugeben, denn in den folgenden neunzehn Jahren mieteten sie weiteren Wohnraum in Teilen angrenzender Gebäude, so dass die Miete auf 1020 Dukaten steigen sollte.18 Damit zahlten sie

16 ASO, II E 8, Quintiliano Rezzonico an Livio Odescalchi (16. Oktober 1688): […] e se potessi vorrei veder di comprare uno stabile che fosse comodo per il mio uso; ma non so quello mi sortirà. Zur Miete des Palazzo Fontana ASVe, Dieci Savi alle Decime, Catastico 1712, reg. 429, fol. 180r. Vgl. auch Gullino, Da Como (2008), S. 24. 17 Venetia città nobilissima et singolare (1663), vgl. Anm. 1, S. 395. 18 Die Rezzonico mieteten am 15. November 1691 für 310 Dukaten die angrenzende casa von Domenico Priuli und am 1. Juli 1709 für 110 Dukaten den angrenzenden Palast (oder zumindest Teile davon) von Ferigo Renier. ASVe, Dieci Savi alle Decime, Catastico 1712, reg. 429, fol. 180r. Vgl. auch

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eine der höchsten Mieten in der Stadt, die nur noch von den Manin übertroffen wurde, ­ elche für ihren Palazzo ebenfalls eine der nobiltà nuova angehörende Aufsteigerfamilie, w im Kirchspiel San Salvador, der sich ebenfalls am Canal Grande befand, insgesamt 1400 Dukaten zahlte.19 Erst nach der Jahrhundertwende begannen die Rezzonico, Grundstücke in der Stadt zu erwerben, ohne dass jedoch darin ein erkennbares System in Bezug auf den Erwerb einer größeren Baufläche sichtbar würde, wie es beispielsweise bei den Labia am Campo San Geremia der Fall gewesen war.20 1714 kaufte Quintiliano von der Scuola Grande della Misericordia einen im peripheren Stadtteil Cannaregio gelegenen Palazzo per uso ­proprio,21 doch ist es eher unwahrschein­lich, dass er diesen jemals selbst bewohnte. Denn sein Testament setzte der Älteste der Rezzonico-­Brüder drei Jahre ­später in seiner habita­tione nella parrochia S. Felice auf, das heißt im Palazzo Fontana, in dem auch Giovanni Battista mit seiner Familie lebte.22 Im Jahr 1727, nur wenige Monate nach dem Tod Quintilianos,23 erwarb Giovanni Battista seinerseits mehrere Grundstücke an der Fondamenta Santa Lucia.24 In den folgenden Jahren ließ er an dieser Stelle einen Palast errichten, der spätestens Ende 1734 vollendet gewesen sein muss, denn 1740 deklarierte er in seiner Vermögenserklärung den Besitz des Palazzo und gab an, dass er seit dem 1. Januar 1735 daraus Mieteinnahmen bezog.25 Ein Gemälde Francesco Guardis mit der Ansicht der Fondamenta Santa Lucia zeigt den zweigeschossigen Palazzo mit den übereinander gelagerten Serliane, der schon aufgrund seiner eher schlichten Fassadengestaltung zu den bescheideneren Palästen Venedigs zu zählen war.26 (Abb. 26) Der Umstand, dass die Rezzonico den Palast

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Gullino, Da Como (2008), S. 24. In den nächsten Jahren folgte entweder die Anmietung von weiterem angrenzendem Wohnraum, oder aber die Miete stieg an, denn wie aus dem Kataster von 1740 hervorgeht, hatten sich die jähr­lichen Mietzahlungen der Rezzonico nunmehr auf 1100 Dukaten erhöht. ASVe, Dieci Savi alle Decime, Catastico 1740, reg. 436. Vgl. auch Megna, Comporta­ menti abitativi (1991), S. 276. Ebd., S. 275. Vgl. Anm. 6. ASVe, Notarile Atti, not. Carlo Gabrieli, b. 7141, fol. 289r–293v (18. Juni 1714). ASVr, Fondo Pindemonte-­Rezzonico, Testamenti, b. 456, C, N.1., Testamenti (Quintiliano ­Rezzonico, aufgesetzt am 14. Dezember 1717). Damit folgten die Rezzonico dem in Italien in der Frühen Neuzeit häufig geübten Prinzip der fraterna, nach welchem alle Brüder unter einem Dach zusammenlebten. Vgl. dazu Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 270 – 290. Quintiliano Rezzonico starb am 12. Januar 1727 und wurde in der Familiengrabstätte in San ­Lazzaro dei Mendicanti beigesetzt. APVe, S. Felice, Registri dei morti, 10, fol. 24r. BCVe, Mss. P. D. 490 C/VII: Acquisti Rezzonico 1727. Vgl. auch Gullino, Da Como (2008), S. 24. ASVe, Dieci Savi alle Decime, Estimi 1740, S. Corona, b. 438. Vgl. auch Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 368. Weitere Gemälde, auf denen der Palazzo dargestellt ist, befinden sich in der Na­tional Gallery in London und im Staat­lichen Museum zu Schwerin. In beiden Fällen werden sie keinem Künstler zugeschrieben. In seinem Aufriss vertritt das Gebäude einen venezianischen Palasttypus, wie er

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26 Francesco Guardi, Blick auf den Canal Grande mit Santa Lucia und dem Palazzo Rezzonico, Madrid, Sammlung Thyssen-Bornemisza

nicht selbst bezogen, obwohl die Einnahmen von 365 Dukaten, ­welche sie durch die Vermietung erzielten, bei weitem nicht die eigenen Mietausgaben im Palazzo Fontana deckten, ist ein deut­licher Hinweis darauf, dass er den repräsentativen Ansprüchen der Familie nicht genügte. Unabhängig von seiner architektonischen Gestalt und Ausstattung deutet auch die Lage darauf hin: Der Pfarrsprengel Santa Lucia, am oberen Ende des Canal Grande im sestiere Santa Croce gelegen, zählte nicht zu den bevorzugten Wohnvierteln des venezianischen Patriziats. Wie Volker Hunecke zeigen konnte, hatten sich nur wenige Adelsfamilien in dieser peripher gelegenen Gegend niedergelassen. Die bevorzugte Wohngegend waren die Viertel um den Rialto.27 Der Palazzo Fontana, im Pfarrsprengel San Felice, unweit des Rialto gelegen, zählte somit zweifelsohne zu den repräsentativeren Adressen.

beispielsweise in den Palästen Soranza am Rio Marin, Foscarini bei Santa Stae (= Sant’ Eustachio) oder Palazzo Priuli auf dem Campo dell’Erba zu finden ist. Vgl. dazu Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 414 f., 436 f., 498. In den 1850er Jahren musste der Palazzo dem Neubau des Bahnhofs weichen. 27 Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 376 f. Nach den statistischen Erhebungen Huneckes zu den Wohnsitzen venezianischer Adelsfamilien wies der Pfarrsprengel Santa Lucia im Viertel Santa Croce 1740 den niedrigsten Anteil an Adelssitzen auf. Im Gegensatz zu den Vierteln um den Rialto oder um San Marco, wo sich durchschnitt­lich jeweils dreißig bis vierzig Adelsfamilien niedergelassen hatten, wohnten in Santa Lucia nur bis zu fünf adlige Familien.

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Der Erwerb des Palazzo Bon Seit dem Jahr 1745 stand jedoch der Palazzo Bon am Canal Grande zum Verkauf. Das Grundstück lag an einer Biegung des Kanals, so dass es vom Wasser aus gut sichtbar war. Zudem wurde es seit­lich vom Rio di San Barnaba und dem Rio Bernardo eingerahmt, was ihm eine Art Insellage verschaffte und den Standort damit besonders hervorhob.28 Die Bon gehörten zu den ältesten venezianischen Adelsfamilien. Filippo Bon, Prokurator von San Marco, hatte um 1667 Baldassare Longhena mit dem Neubau seines Palazzo betraut, der jedoch unvollendet geblieben war. 29 Ob der Tod Longhenas im Jahre 1682 oder finanzielle Schwierigkeiten der Familie den Stillstand der Arbeiten bedingten, bleibt aufgrund der Quellenlage unklar. Vieles spricht dafür, dass sich die Bon mit dem gewaltigen Projekt finanziell schlicht übernommen hatten.30 Bereits 1701 hatten die Manin, eine aus dem Friaul stammende Kaufmannsfamilie, die 1651 aggregiert worden war, 70000 Dukaten für den unvollendeten Palazzo geboten, der wegen seiner exponierten Lage ein äußerst attraktives Kaufobjekt darstellte, doch Filippo Bon lehnte ab.31 Vierundvierzig Jahre ­später (1745) wurde der Verkauf jedoch aufgrund der finanziellen Lage der Bon unvermeidbar. Nach langwierigen Verhandlungen, die ab 1747 geführt wurden, erwarb der nunmehr bereits neunundsiebzigjährige Giovanni Battista Rezzonico, der nach dem Tod seines Bruders Quintiliano (1727) zum Familienoberhaupt aufgerückt war, 1750 den unvollendeten Palazzo. Der Kaufpreis betrug 60000 Dukaten.32

28 Der Rio Bernardo wurde im 19. Jahrhundert zugeschüttet. 29 Bereits 1649 hatte der Vater von Filippo Bon, Ottavio, bei den Giudici del piovego um Erlaubnis gebeten, an der Ecke seines Grundstücks z­ wischen Canal Grande und Rio San Barnaba, auf dem sich zwei Gebäude befanden, die Fundamente erneuern zu lassen. Dies sowie die überlieferten Maße, ­welche von dem Proto dei Giudici aufgenommen wurden, lassen darauf schließen, dass von Anfang an größere Bauarbeiten geplant waren. 1662 waren diese Arbeiten abgeschlossen und die beiden Gebäude zusammengefügt, denn Filippo Bon deklariert den Besitz eines ursprüng­lich aus zwei Gebäuden bestehenden Hauses. Merkwürdigerweise erwähnt aber Martinioni, der sonst aufmerksam die urbanistischen Veränderungen in der Stadt kommentiert, die Arbeiten auf dem Grundstück der Bon mit keiner Silbe. Hierzu sowie zur Baugeschichte und zu Fragen der Zuschreibung des Palazzo vgl. Massari, Giorgio Massari (1971), S. 100 – 107; Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 242 – 249. 30 Denn ansonsten bleibt es unverständ­lich, warum die Bon in den über sechzig Jahren, die z­ wischen dem Tod Longhenas und dem Verkauf des unvollendeten Palazzo lagen, nicht einen anderen Architekten mit der Vollendung des Baus betraut haben. Auch der schlussend­lich unvermeidbare Verkauf als solcher spricht für sich. 31 ASVe, Notarile Atti, Testamenti, Atti Zon, b. 1282, fol. 131 (17. Oktober 1712), Testament von ­Filippo Bon, Proc. S. Marci qd V. N. Ser Octaviani: Oltre di che vi sarà di libero il mio Palazzo da me fabbricato, del quale ho rifiutato ducati settantamila in vendita dalli N. N. H. H. Manini, e sopra di esso vi è condi­tionato solo ducati trecento, e sessanta di rendita, come chiaramente si può vedere dalle divisioni de miei auttori 1610, 10 Genaro nelli atti di Domino Francesco Zordan fu nodaro veneto, seguite, e come nel libro di esse, che nelle mie scritture si ritrova, ben si può comprendere. Vgl. auch Megna, Comportamenti abitativi (1991), S. 311, Anm. 275. 32 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 101.

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Bisher wurde angenommen, dass die Rezzonico, die von Giacomo Nani in seinen statis­ tischen Erhebungen zu den Einkommensverhältnissen der Aristokratie zu den reichsten Familien der Stadt gezählt wurden, zu den meistbietenden Interessenten gehört 33 und deshalb am Ende den Kaufzuschlag erhalten hatten.34 Doch wie ein neu aufgefundenes Dokument zeigt, war den Rezzonico durch zahlreiche Hypotheken, ­welche die Bon über Jahrzehnte hinweg bei unterschied­lichen Geldgebern aufgenommen hatten und durch mehrere finanzielle Transak­tionen ­zwischen verschiedenen Adelsfamilien, in die auch die Rezzonico involviert waren, schließ­lich eine Art Vorkaufsrecht über den Palazzo zugefallen.35 Diese Verkaufs­umstände könnten nicht nur den im Vergleich zum früheren Angebot der Manin geringeren Kaufpreis erklären, für den der Bau seinen Besitzer wechselte. Es lässt sich gleichzeitig daraus auch die begründete Vermutung ableiten, dass die Rezzonico bereits seit längerer Zeit die Übernahme des Palastes ins Auge gefasst hatten. Dies wirft die Frage auf, weshalb sich die Familie in diesen Jahren bzw. spätestens seit 1747 (dem Anfang der Verhandlungen) um den Erwerb der sicher­lich repräsentativsten „Bauruine“ Venedigs bemühte. Das nachdrück­liche Interesse der Rezzonico am Palazzo Bon lässt sich unschwer mit jener Aufwertung ihres Status in Verbindung bringen, die ihnen Ende der dreißiger Jahre gelungen war. Carlo, der zweitälteste Sohn Giovanni Battistas, war 1737 von Clemens XII. ­Corsini zum Kardinal und fünf Jahre s­ päter von Benedikt XIV. Lambertini zum Bischof der wichtigsten venezianischen Diözese Padua ernannt worden.36 Damit waren die Rezzonico in den Kreis der venezianischen Kardinalsfamilien aufgerückt, zu denen unter anderen die alteingesessenen Familien Corner, Dolfin, Grimani, Priuli, Valier und Vendramin, aber auch die dem neuen Patriziat angehörenden Widmann und Ottoboni zählten. Diesem Statussprung, durch w ­ elchen die Rezzonico sowohl in Rom als auch in Venedig an die Spitze der kirch­lichen Hierarchie aufgerückt waren, musste die Familie auch im Hinblick auf ihre Familienresidenz Rechnung tragen. Welche Bedeutung die venezianischen Kardinalsfamilien einer angemessenen Darstellung ihres Ranges beimaßen, verdeut­licht das Beispiel der Ottoboni. Anders als die alteingesessenen Kardinalsfamilien und wie auch ­später die Rezzonico verfügten sie nicht über einen repräsentativen Familienpalast in zentraler Lage. Nachdem Pietro Vito Ottoboni, der spätere Papst Alexander VIII., 1652 in den Kardinalsstand erhoben worden war, bemühte er sich in den folgenden Jahren vehement darum, für die Familie, die zwar einen eigenen, wohl aber bescheiden anmutenden Palast bei San Severo im Viertel Castello bewohnte, einen ihren neuen Status spiegelnden Repräsenta­tionsbau zu erwerben. Er beauftragte 33 Nani zählte die Rezzonico zur Vermögensklasse I. Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S.  56 – 65, 162. 34 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 101. 35 ASVe, Procuratie di San Marco di supra, Comissarie, b. 71 (10.–12. Juli 1755): Istrumento di Ven­ dita fatta da Ca’ Loredan a Ca’ Rezzonico. Ich danke Matteo Cassini, der mich auf d ­ ieses Dokument aufmerksam machte. 36 Vgl. Kapitel II.4.

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dazu eigens seinen venezianischen Agenten mit der Suche eines palazzo da cardinale für die Familie. Doch obgleich sowohl mit den Foscari als auch mit den Gritti über den Verkauf ihrer Palazzi verhandelt wurde, scheiterte das Projekt schließ­lich daran, dass es nicht mög­lich war, einen angemessen Palast am Canal Grande zu finden.37 Doch was den Ottoboni Mitte des 17. Jahrhunderts versagt geblieben war, gelang den Rezzonico hundert Jahre ­später durch zielstrebig-­umsichtiges Agieren. Mit dem noch unvollendeten Palazzo Bon verfügten sie seit 1750 über eine Projek­tionsfläche, die ihren hohen Repräsenta­tionserfordernissen entgegenkam. In den folgenden Jahren ließen sie den ohnehin bereits imponierenden Bau zu einem der prächtigsten Paläste des venezianischen Settecento ausbauen. Die architektonische Vollendung Aufgrund der schlechten Überlieferungslage lassen sich nur wenige gesicherte Aussagen über jene Jahre treffen, in denen der Palazzo Bon nach den Vorstellungen der neuen Besitzer vollendet wurde. Solange keine diesbezüg­lichen Quellen vorliegen, ist die Forschung sowohl im Hinblick auf den Architekten als auch in Bezug auf den Zustand und die Gestaltung der inneren Raumaufteilung, ­welche die Rezzonico 1750 beim Kauf vorfanden, auf konkretisierende Rückschlüsse angewiesen. Gleichwohl sich auch für diese Arbeit kein neues Quellenmaterial heranziehen ließ, sollen hier auf der Basis des einschlägigen Forschungsstandes weiterführende Überlegungen angestellt werden, ­welche seine Gestaltung mit den konkreten Repräsenta­tionserfordernissen und Statusansprüchen der Rezzonico zu ­diesem Zeitpunkt in Beziehung setzen. Der Name des Architekten, den Giovanni Battista mit der Vollendung des Palazzo beauftragte, ist quellenkund­lich nicht überliefert. Erstmals schreibt Giannantonio Moschini in seiner 1815 erschienenen „Guida per la città di Venezia“ die Arbeiten Giorgio Massari zu – eine Annahme, die bis heute von den Architekturhistorikern vertreten wird.38 Gestützt wird diese Hypothese auch durch den Blick auf weitere Repräsenta­tionsprojekte der Familie. Denn es war nicht das erste Mal, dass der Architekt für die Rezzonico tätig war. Wie von Antonio Massari aufgrund zahlreicher Indizien vermutet wurde, war Giorgio Massari von der Familie in den 1730er Jahren bereits mit dem Umbau ihrer Villa in Bassano del Grappa beauftragt worden.39 Die enge Verbindung z­ wischen ihnen und dem Architekten

37 Menniti Ippolito, Fortuna (1996), S. 143. Vgl. auch Brandt / De Amico, The Renaissance Cardinal’s Ideal Palace (1980). 38 Giovanni Antonio Moschini, Guida per la città di Venezia all’amico delle Belle Arti, Venedig 1815, Bd. 2, S. 535: […] e il palazzo Rezzonico di gran mole con disegno di Baldissare Longhena, al quale si è fatto il terzo ordine di giunta da Giorgio Massari. Darin folgen ihm auch Massari, Giorgio Massari (1971), S.  100 – 107; Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 114 – 122; McAndrew, Palazzo Rezzonico (1977), S.  13 f.; Frank, Longhena (2004), S. 242 – 249. 39 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 61 – 67. Vgl. auch Kap. II.4.

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27 Michele Marieschi, Palazzo Bon, um 1740, Berlin, Gemäldegalerie

zeigte sich auch, als Carlo Rezzonico in seiner Rolle als Bischof von Padua den Neubau des priester­lichen Seminargebäudes bei Giovanni Battista Savio in Auftrag gab, sowie die Restaurierung des Domes veranlasste und dabei wiederholt den venezianischen Architekten um Begutachtung der verschiedenen Entwürfe bat.40 Gleichzeitig war Massari unter den zahlreichen in diesen Jahren in Venedig tätigen Architekten geradezu prädestiniert, den von Longhena begonnenen Bau zu Ende zu führen, da er in seinem architektonischen Formenvokabular dem barocken Meister sehr verpflichtet war.41 Eine Ansicht vom Canal Grande des venezianischen Vedutenmalers Michele ­Marieschi aus der Zeit um 1740 zeigt den Zustand des Palastes, wie er sich zum Zeitpunkt des Verkaufs dargestellt haben muss. (Abb. 27) Zu sehen ist ein bis zum piano nobile emporgezogenes Gebäude, das mit einer provisorischen Dachkonstruk­tion abschließt. Das Erdgeschoss prägt ein rustiziertes Mauerwerk, dessen lastende Schwere allerdings durch den eingerückten Portikus und die ihn beidseitig rahmenden Fenster gemildert wird. Noch besser zu erkennen ist dies auf dem bereits 1709 entstandenen Stich Vincenzo Maria Coronellis.42 (Abb. 28) Im darüberliegenden ersten Obergeschoss überziehen eine Fensterfolge aus Arkaden, auf deren Bögen paarweise Skulpturen angeordnet sind, und 40 Zaggia, Gli interventi architettonici (2008), S. 33. 41 Zu Giorgio Massari vgl. Massari, Giorgio Massari (1971), S. IX–XXXII; Ders., Nuove notizie (1981); Picco, Giorgio Massari (2002); Seražin, Giorgio Massari (2005). 42 Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 114.

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28 Vincenzo Maria Coronelli, Ansicht des Palazzo Bon, 1709

dazwischengestellte ionische Säulen die gesamte Fassade. Sowohl Antonio Massari als auch Norbert Huse haben hier bereits auf die architektonischen Anklänge an die Bauten Jacopo Sansovinos verwiesen, ­welche die venezianische Architektur so nachhaltig prägten. Die rhythmisierende Abfolge der Arkaden mit dazwischengestellten Säulen sowie die sie verbindenden Balustraden sind ein Zitat der Architektur der Biblioteca Marciana auf der Piazza San Marco, einem der wichtigsten öffent­lichen Repräsenta­tionsgebäude der Serenissima.43 Anfang der 1750er Jahre vollendete Giorgio Massari den Bau, indem er das zweite Obergeschoss in die Höhe zog. Dabei nahm er das Zitat der sansovinischen Architektur wieder auf und veränderte es nur dahingehend, dass er für die Säulen die korin­thische Ordnung wählte. (Abb. 29) Abgeschlossen wurde die Fassade mit einem von ovalen Fenster­öffnungen durchbrochenen Mezzaningeschoss, wofür wiederum die Architektur der Biblioteca Marciana Pate stand. Bereits Antonio Massari hat herausgearbeitet, dass neben dem Verweis auf Sansovinos prominenten Bibliotheksbau die architektonische Formensprache des Palazzo Rezzonico noch auf ein anderes Gebäude dezidiert Bezug nimmt: Palazzo Pesaro, der etwa einen Kilometer nörd­lich des Palazzo Rezzonico am Canal Grande gelegene Familienpalast der gleichnamigen Dogenfamilie.44 Ebenfalls nach einem Entwurf von Baldassare Longhena in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begonnen, blieb auch er während der ersten Bauphase unvollendet. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts ließen die Pesaro 43 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 102; Huse, Venedig (2005), S. 90. Zum Bau der Biblioteca und den politischen Hintergründen im Kontext der Reformära unter dem Dogen Andrea Gritti (1523 – 1538) vgl. Tafuri, Renovatio Urbis (1984); Hirthe, Die Libreria (1986); Morresi, Jacopo Sansovino (2000), S. 191 – 213. 44 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 102 f. Massari verweist auch auf architektonische Bezüge zum Palazzo Corner.

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29 Venedig, Palazzo Rezzonico

den Palast, vermut­lich durch Antonio Gaspari, fertig stellen.45 (Abb. 30) Obwohl zu unterschied­lichen Zeiten und von verschiedenen Architekten vollendet, ist die architektonische Verwandtschaft ­zwischen den beiden Gebäuden insbesondere an der Fassade evident. Mit ihrem schweren, rustizierten Erdgeschoss und den darübergelegten, über zwei Stockwerke angeordneten und durch Säulen rhythmisierenden Fensterfronten scheinen sie auf den ersten Blick fast identisch. Bei genauerer Betrachtung werden jedoch Differenzen in der Gestaltung deut­lich. In seinem Gesamteindruck wirkt der Palazzo Rezzonico klas­sischer, ausgewogener, in mancher Hinsicht konservativer. Die Bossierung des Erdgeschosses ist nicht so betont massiv wie am Palazzo Pesaro, auch die weite Öffnung des dreiteiligen Hauptportals in seiner eleganten Schlichtheit trägt zum vergleichsweise leichten Fassadeneindruck bei. Wo dieser mit extrem tiefen Fensterlaibungen und weit ausgestellten Doppelsäulen ein nachgerade einschüchterndes Schattenspiel zum Zwecke der Fassadenskulptierung zelebriert, bleibt die immer noch eindrucksvolle Plastizität der Rezzonico-­Fassade an einem ausgewogen-­zurückhaltenderen Propor­tionsideal orientiert.

45 Zur Baugeschichte des Palazzo Pesaro vgl. Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 174 – 189; Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 250 – 261; Hopkins, Baldassare Longhena (2006), S. 227 – 237.

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30 Venedig, Palazzo Pesaro

Doch nicht nur das architektonische Erscheinungsbild der beiden bedeutendsten Barock-­ Paläste Venedigs ist bei aller oberfläch­lichen Verwandtschaft von grundlegenden Unterschieden geprägt. Auch die Baugeschichte verlief, abgesehen von der langen Bauunterbrechung, keineswegs parallel. Anders als die Pesaro bauten die Rezzonico nicht ex novo, sondern übernahmen einen bereits halbfertigen Bau. Sie profitierten jedoch insofern von der Weichenstellung unter den Bon, deren ambitiöses Bauvorhaben ihrem angestammten Status in Venedig entsprach. Denn das Bon’sche Bauprojekt, ebenso wie das der Dogenfamilie, zielte auf eine prunkvoll-­mächtige Repräsenta­tionsarchitektur ab. Ihr gemeinsamer Referenzpunkt war in Gestalt der Biblioteca Marciana ein öffent­liches Repräsenta­tionsobjekt staat­licher Solidität und Prosperität der Serenissima. Schon deshalb musste das in der Architektur des Palazzo Bon angelegte Repräsenta­tionspotential den Ansprüchen der Rezzonico in hohem Maße entgegenkommen. Einschneidende architektonische Veränderungen durch die neuen Besitzer waren deshalb vermut­lich gar nicht notwendig; man konnte den architektonischen Wettstreit mit den Vertretern des patriziato vecchio gewissermaßen in deren eigener Rüstung antreten.

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31 Venedig, Palazzo Grassi

Neben dieser, den Rezzonico offenbar bewussten Übernahme von architektonischen Bezügen zum alten Patriziat und zum venezianischen Staatswesen gab es jedoch noch einen weiteren Punkt, dem der Kauf des Palazzo Bon Rechnung trug: die Konkurrenz innerhalb des neuen Patriziats, die sich mög­licherweise, und das wäre an einer anderen Stelle zu untersuchen, auch über konkurrierende Bauprojekte manifestierte. Denn direkt gegenüber dem Palazzo Rezzonico, auf der anderen Seite des Canal Grande, entstand seit Ende der 1740er Jahre der neue Wohnsitz der Familie Grassi. Die beiden Gebäude stellen in ihrer so divergierenden Architektur symptomatisch ganz unterschied­liche vom patriziato nuovo verfolgte Strategien zur Visualisierung ihres Status dar. Im Gegensatz zu den Rezzonico hatten die erst 1718 nobilitierten Grassi über Jahre hinweg zusammenhängende Grundstücke erworben, um die darauf befind­lichen Häuser dann niederreißen und ihren Palazzo errichten zu lassen.46 Als Architekt ­dieses Gebäudes zeichnete ebenfalls Giorgio Massari, der sich hier jedoch nicht den architektonischen Vorgaben Longhenas anzupassen hatte, sondern frei gestalten konnte.47 (Abb. 31) Er tat dies, als wolle er dem barocken Überschwang des Palazzo Rezzonico ein

46 Romanelli / Pavanello, Palazzo Grassi (1986), S. 7 – 36. 47 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 89 – 92; Romanelli / Pavanello, Palazzo Grassi (1986), S.  53 – 81.

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32 Innenhof des Palazzo Grassi

geradezu demonstrativ zurückhaltendes Exempel des frühen Klassizismus entgegensetzen. Die nur flache Bossierung des Erdgeschosses mit seinem betont schlichten, einbogigen Hauptportal, die fast schmucklosen, schmalen Fenster, die äußerst zurückhaltende vertikale Fassadengliederung durch flache Pilaster, der Verzicht auf ein die Fassade wirksam nach oben hin abschließendes Kranzgesims: Dies alles erweckt den Eindruck, als habe Massari auf dem Weg von der Baustelle des Palazzo Rezzonico zur gegenüberliegenden des Palazzo Grassi – die nahezu zeitgleich entstanden – jedes Mal aufs Neue einen das Schizophrene streifenden Bewusstseinswandel durchlebt. Wo sich der Architekt frei­lich treu blieb, das waren die mit beeindruckendem Blick für architektonische Kontrastwirkungen gestalteten inneren Anlagen der beiden Paläste. Der Palazzo Grassi überwältigt den Besucher durch einen von Säulen durchgehend gesäumten Innenhof, von dem eine monumentale Treppenanlage ins piano nobile führt. (Abb. 32) Im Falle des Palazzo Rezzonico musste Massari auf ältere Vorgaben Rücksicht nehmen; die Art und Weise, wie er dies tat, spricht für seinen Rang als einer der letzten bedeutenden Barockarchitekten Venedigs. Gesicherte Zeugnisse hinsicht­lich des von den Rezzonico beim Kauf des Palazzo Bon vorgefunden Innenausbaus sind nicht überliefert. Gerade deswegen beschäftigt die Frage nach einer etwaigen Transforma­tion der Raumaufteilung durch die neuen Eigentümer die architekturgeschicht­liche Forschung immer wieder. Denn der Palazzo Rezzonico hat mit einer monumentalen Treppenanlage sowie einem Ballsaal, der allein schon durch seine

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33 Giovanni Antonio Battisti, Grundriss des Piano Nobile im Palazzo Rezzonico, 1770

zweistöckige Anlage aus dem Rahmen fällt, zwei für damalige venezianische Palastbauten hervorstechende Elemente aufzuweisen. Der große, Ballsaal, der sich im hinteren Teil des Gebäudes mit einer Breite von 24 m (bei einer Tiefe von 14 m und einer Höhe von 12 m) wie ein Querriegel in ­dieses einfügt und sich demonstrativ dem tradi­tionellen Repräsenta­tionsraum der venezianischen Paläste, dem portego, der nach wie vor in der dem Canal Grande zugewandten Seite des Palazzo vorhanden war, entgegensetzte, trug dem Wunsch der neuen Eigentümer nach einem repräsentativen Festsaal Rechnung. (Abb. 33) Antonio Massari und Elena Bassi sind davon ausgegangen, dass die Rezzonico diesen Saal, wie auch die zu ihm hinaufführende Prunktreppe, in Auftrag gegeben haben, worin ihnen auch jüngst noch Filippo Pedrocco und Martina Frank folgten.48 Sichere Belege dafür gab es bisher indes nicht. Und so möchte Andrew Hopkins in seiner Longhena-­Monographie aufgrund stilistischer Überlegungen den Entwurf und mög­licherweise auch die Ausführung zumindest des unteren Teils der Treppe als ein Werk d ­ ieses Architekten verstanden wissen.49 Ein Dokument aus dem venezianischen Staatsarchiv scheint ihm darin Recht zu geben, denn am 1. April 1756 wurde als Folge einer Beschwerde des Nachbarn Bernardi eine Begehung des Palazzo vorgenommen 48 Massari, Giorgio Massari (1971), S. 104; Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 122. Pedrocco, Ca’ Rezzonico (2001), S. 8; Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 245. 49 Hopkins, Baldassare Lomghena (2006), S. 219. Bereits Bassi, Palazzi di Venezia (1976), S. 122 hatte allerdings einen der Treppe zugrunde liegenden Entwurf Longhenas nicht ausgeschlossen.

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und Veränderungen in der Baustruktur schrift­lich festgehalten; in ­diesem Bericht aber ist von keinerlei gravierenden Eingriffen in die Architektur die Rede.50 In jedem Fall musste ein solcher Raum dem Inszenierungswillen der Rezzonico Rechnung tragen. Bereits die Aufsteigerfamilie Zenobio (1647 geadelt) hatte einen ebenfalls zweigeschossigen Ballsaal in ihrem Palast an den Fondamenta di Santa Maria del ­Carmine errichten lassen, der jedoch in seinen Maßen sehr viel kleiner war.51 Auch die Labia verfügten über einen solchen, der 1734 beim Umbau ihres Palastes in San Geremia in den Kernbau eingefügt wurde und als dessen Autor wiederum Giorgio Massari angenommen wird.52 Doch die sala da ballo im Palazzo Rezzonico übertraf alle venezianischen Festsäle an Größe und inszenatorischer Suggestivkraft. Anders als im Palazzo Labia, wo man den Saal über einen schmalen Flur betrat, der noch andere Zimmer miteinander verband, führte hier eine Prunktreppe in den Festsaal (Abb. 34), wobei das zugehörige Treppenhaus vor die eigent­liche Rückfassade des Palazzo gesetzt worden war. Die Errichtung einer solch weitläufigen Treppe erwies sich im Rahmen der venezianischen Palastarchitektur als ein besonders anspruchsvolles Unterfangen, stellt man in Rechnung, dass der Baugrund Meter für Meter dem sumpfigen Boden der Lagune abgerungen werden musste. Doch auch in der Architekturtheorie musste sich die Treppe als gestaltenswertes Element überhaupt erst etablieren, wofür sich zahlreiche Zeugnisse in der Traktatliteratur finden lassen.53 Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich die Treppe zunächst in Italien und dann im gesamten west­lichen Europa als zentrales Element der Repräsenta­tionsarchitektur durchgesetzt, was mit dem wachsenden Repräsenta­tionsbedürfnis des euro­päischen Adels begründet werden kann.54 Überall begann man, Schlösser und Paläste mit aufwendigen Treppenanlagen auszustatten, ein Phänomen, welches André Chastel treffend als „scalomania“ bezeichnet hat.55 50 ASVe, Dieci Savi sopra le Decime, reg. 875, S. Barnaba: Essendo stati sopraloco […] in contrà di S.Bernabà in Corte di Cà Trevisan à vedere un aggiunta di Fabrica fattal [sic] Palazzo era per uso de’ N. N. H. H. Bon Fratelli fù de m Filippo Proc.r pervenuto poscia per acquisto fatto g.to il Traslato 27 Sett.e 1751 in Z. Batta Rezonico q Carlo consistente d.a fabrica nuova in due camere nel 2.do Soler, e due Camerini nel 3.o Soler tutti sittuati nella faciata del Canal grande il tutto in ora inserviente per uso del N. H. Rezzonico. Einmal mehr gilt der Dank Jan-­Christoph Rößler, der mich auf diese Quelle hinwies. Das hier erwähnte Kaufdatum kontrastiert allerdings mit dem von Massari, Giorgio ­Massari (1971), S. 101 wiedergegebenen Datum 1750. 51 Zum Palazzo Zenobio vgl. Aikema, Patronage (1979); Magrini, Ca’ Zenobio (2006). 52 Massari, Nuove notizie (1981), S. 114 – 116. 53 Hatte Alberti in seiner „De re aedificatoria“ 1452 noch jene Gebäude als vorbild­lich gerühmt, die ganz ohne Treppen auskamen, so stellte die Treppe einhundert Jahre ­später für Sebastiano Serlio im 2. Buch seiner „Sette Libri dell’Architettura“ immer noch ein „notwendiges Übel“ dar, dem ausschließ­lich die Aufgabe zukam, verschiedene Räume auf unterschied­lichen Ebenen miteinander zu verbinden. Erst Vincenzo Scamozzi erhob die Treppe in seiner 1613 erschienenen „Idea Universale dell’Architettura“ (4. Buch, Kap. 34) zu einer parte tanto essentiale e nobile, e così necessaria al salire, e scendere nel corpo dell’edificio in modo, che non sia parte alcuna nell’edificio dove si mette il piede, che sia più ornata, e bella di questa. Keller, Das Treppenhaus (1935), S. 4 – 7; Schmale, Treppenanlagen (1969), S. 7 f. 54 Ebd., S. 8 f., 28 f., 58 – 61. 55 Chastel, Palladio e l’escalier (1960), S. 26.

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34 Prunktreppe im Palazzo Rezzonico

Im Gegensatz jedoch zu Städten wie Rom, Genua oder Neapel, die bereits im 16. Jahrhundert über prunkvolle Treppenhäuser auch in Privatpalästen verfügten,56 näherte man sich in Venedig d ­ iesem architektonischen Element eher zöger­lich.57 Die Typologie der venezianischen Palastarchitektur sah tradi­tionellerweise eine steile, relativ schmale und meist nur wenig beleuchtete Treppe vor, die vom unteren portego aus in die oberen Etagen führte. Ein früher Versuch Antonio Scarpagninos im Palazzo Loredan am Campo 56 Zu den Genueser Treppenhäusern vgl. die grundlegende Studie von Schmale, Treppenanlagen (1969); zu neapolitanischen Treppenanlagen des 15. bis 18. Jahrhunderts Pane, Architettura (1937); Dittmann, Die Treppenhäuser Neapels (1974); Thoenes, Ein spezifisches Treppenbewusstsein (1983). 57 Einen Überblick über die typolo­gische Entwicklung des Treppenmotivs in Venedig bietet Chiappini di Sorio, Le scale di Venezia (2003), S. 5 – 25. Einige Anhaltspunkte zur Entwicklung der venezia­ nischen Treppenhäuser im 18. Jahrhundert bei Tillmann, Adel verpflichtet (2014), S. 206 – 208, 298 – 301, 319 – 322.

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35 Venedig, Treppe im Convento dei Somaschi

Santo Stefano, das Treppenelement innerhalb der Palastarchitektur aufzuwerten, fand keine nennenswerte Nachahmung.58 Andere Entwürfe des 16. Jahrhunderts, wie Jacopo Sansovinos Treppenanlage für einen Palast von Vettore Grimani, blieben unausgeführt.59 Schließ­lich versuchte Baldassare Longhena, der bereits in seinen Konvent-­Bauten das inszenatorische Potential der Treppe zu ­nutzen verstanden hatte, das Treppenhaus in den Palazzi aus seiner rein funk­tionalen Aufgabe zu befreien. Für den Palazzo Pesaro plante er eine monumentale Treppenanlage, die am Ende des cortile posi­tioniert sein sollte. Als Longhena 1682 starb, blieb allerdings auch ­dieses Projekt im Entwurf stecken.60 58 Ausgangspunkt war die Zusammenführung dreier gotischer Paläste zu einem einzigen Palast. Der ehemalige Hof mit Portikus wurde zum Atrium umgewandelt und die einstige Freitreppe in L-Form verdoppelt sowie auf halber Höhe um die eigene Achse gedreht, so dass das Atrium mit dem im Obergeschoss parallel zur Fassade verlaufenden salone verbunden wurde. Chiappini di Sorio, Le scale di Venezia (2003), S. 64 – 69. 59 Als Sansovino 1527/28 einen Palazzo für Vettore Grimani entwarf, bestand das innovative Moment nicht nur in der Akzentuierung des zentralen Innenhofes, sondern auch in der von dort in das Obergeschoss führenden zweirampigen Treppe. Der Palazzo wurde in dieser Form jedoch nie ausgeführt. Grundlegend zu ­diesem Projekt Foscari / Tafuri, Un progetto irrealizzato (1981); Tafuri, ­Aggiunte al progetto sansoviniano (1987). 60 Bassi, Episodi dell’architettura (1961), S. 90, 92; vgl. auch Frank, Baldassare Longhena (2004), S. 258. Eine Zeichnung im Museo Correr, die von Elena Bassi überzeugend Longhena z­ ugeschrieben wurde, zeigt auf der rechten Seite den Aufriss einer Treppe, w ­ elche fast die gesamte Breite des cortile

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36 Enfilade im Erdgeschoss des Palazzo Rezzonico

Folgt man der Auffassung Hopkins, so kann man das jedoch nicht für Longhenas vermut­ lich zweiten großen Treppenplan für einen privaten Auftraggeber sagen.61 Gleichwohl bisher schrift­liche Quellen fehlen, w ­ elche Hopkins Annahme der Autorschaft Longhenas belegen, ist die Nähe zu dessen Treppenhaus im Cenobio dei Somaschi (ca. 1670) nicht von der Hand zu weisen. (Abb. 35) Hier, wie auch im Palazzo Rezzonico, wird eine gegenläufige Treppe durch ein offenes Treppenhaus geführt. Teile der Wandflächen sind durch ein streng geometrisches Relief ornamental gegliedert. Von außerordent­licher Bedeutung ist zusätz­lich das Licht, welches vom oberen und mittleren Treppenabsatz durch große Fenster in das offene Treppenhaus fällt.

eingenommen hätte. Von dort sollte sie zweirampig nach oben führen und sich auf halber Höhe des jeweiligen Geschosses zu einem Treppenstrang vereinen. 61 Vgl. Anm. 49.

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37 Familienwappen der Rezzonico

Aber auch hier kann die Frage nach der Autorschaft und damit auch nach der zeit­lichen Abfolge der Bauarbeiten nicht abschließend geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass die von Giovanni Battista Rezzonico mit der Vollendung des Palazzo betrauten Künstler sie in Folge geschickt in die visuelle Inszenierung des sozia­len Status ihres Auftraggebers eingebunden haben. Denn die Treppe verbindet nicht das Erdgeschoss mit den beiden oberen Stockwerken, wie es mög­licherweise von Longhena geplant worden war, sondern führt ausschließ­lich in den Ballsaal. Die Besucher der Feste im Palazzo Rezzonico, zu denen 1769 auch K ­ aiser Joseph II. gehörte,62 wurden somit nicht über die tradi­tionelle enge und steile Treppe, die im vorderen Teil des Palazzo ins erste Obergeschoss führte, in den Ballsaal geleitet. Vielmehr führte 62 Während seines Aufenthaltes in Venedig vom 21.–26. Juli 1769 wohnte Joseph II. am 25. Juli einer auf Staatskosten für ihn organisierten Aufführung von Ferdinando Bertonis „La Reggia di Calipso“ im Palazzo Rezzonico bei. Cicogna, Saggio (1847), S. 287; Ders., Delle Iscrizioni (1934), Bd. IV, S.  548 – 554; White, Zaccaria Seriman (1961), S. 108.

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38 Venedig, Palazzo Rezzonico, sala da ballo

ihr Weg, vom Canal Grande kommend, durch den unteren portego über den quadratischen Innenhof und durch einen zweiten portego in den hinteren Teil des Gebäudes. Sie mussten also den gesamten Palazzo durchschreiten, was an die Enfilade in franzö­sischen Schlössern erinnert. (Abb. 36) Am Ende d ­ ieses vorgeschriebenen Weges, genau in der Blickachse, ist das heute noch sichtbare übergroße steinerne Wappen der Rezzonico angebracht, um welches sich ein Band mit der Aufschrift „SI DEUS PRO NOBIS“, dem Motto der Familie, in betonter Demutsgeste um das untere Ende der Kartusche schlingt. (Abb. 37) Der beschriebene Weg ist die Einstimmung auf die prunkvolle Inszenierung eines Aufstiegs im doppelten Sinne. Zur Rechten des Wappens führt der Weg über die monumentale Treppe nach oben. Durch eine relativ niedrige Stufenhöhe von 10,5 cm und einer Tiefe von 30 cm wird der Besucher des Palazzo geradezu gezwungen, seinen Gang zu verlangsamen und angemessenen Schrittes emporzusteigen.63 Auf dem oberen Treppenabsatz

63 Zum Vergleich: Die vordere Treppe des Palazzo hat eine Stufenhöhe von 14,5 und eine Tiefe von 25 cm.

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39 Venedig, Palazzo Rezzonico, Familienwappen in der sala da ballo

a­ ngekommen, öffnet sich zur Linken ein Portal, durch welches man in den Ballsaal gelangt, der, wie schon das Treppenhaus, durch Größe, Helligkeit und Eleganz der Propor­tionen besticht. (Abb. 38) Der Saal wurde 1753 von ­Giambattista Crosato und dem Quadraturisten Girolamo Mengozzi Colonna vollständig ausgemalt. Dank der illusionistischen Durchbrechung der Wände durch aufgesockelte und hintereinandergestaffelte Säulen und Pilaster, ­zwischen denen in ebenso illusionistischer Weise Bronzestatuen dargestellt sind, wird zusätz­liche Tiefe, durch Emporen und Stichkappen Höhe suggeriert. An drei Seiten gliedern darüber hinaus große Fensterfronten die Wände. Doch der Fokus liegt für den eintretenden Besucher zunächst einmal auf dem großen Rezzonico-­Wappen, welches sich als Fresko auf der dem Eingang gegenüberliegenden Wand über den Fenstern befindet. Unweiger­lich wird der Blick von dem Wappen angezogen, wobei drei Putti dort mit aller Kraft versuchen, das schwere Stofftuch, vor welchem das Wappen drapiert ist, am Herabfallen zu hindern. (Abb. 39)

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Die dreifache Apotheose Abgesehen von architekturhistorischen Fragestellungen hinsicht­lich der Einordnung des Palastes ins architektonische Œuvre Longhenas sowie von der überwiegend deskriptiven Erfassung der malerischen Dekora­tionsprogramme in seinen Räumen hat der Palazzo Rezzonico, in dem seit 1933 das Museo del Settecento Veneziano untergebracht ist, bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren. Ledig­lich in Bezug auf die beiden allegorischen Fresken Giovanni Battista Tiepolos wurde versucht, die Polysemie der Darstellungen, mittels derer die Rezzonico ihre Statusansprüche versinnbild­lichten, zu entschlüsseln.64 Die kürz­lich erschienene Monographie von Denis Ton über Giambattista Crosato geht ebenfalls nicht über eine ikonographische Bestandsaufnahme hinaus.65 Zudem wurde bisher kaum versucht, die Ergebnisse in einen übergreifenden Kontext einzubetten, um daraus konkrete Rückschlüsse über die Repräsenta­tionsstrategien des venezianischen Adels im Allgemeinen und diejenigen einer Aufsteigerfamilie wie den Rezzonico im Besonderen zu ziehen. Aus ­diesem Grund sollen im Folgenden die drei z­ wischen 1753 und 1759 entstandenen Fresken der sala da ballo, der sala dell’allegoria nuziale und der sala del trono in der konkreten zeit­lichen Abfolge ihres Entstehens betrachtet und hinsicht­lich Auftraggeberinteressen und Motivwahl mit jenen Ereignissen in Verbindung gesetzt werden, die in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts einen abermaligen Statussprung der Familie bewirkten. Der erste Saal, ­welchen die Rezzonico nach Kauf und Fertigstellung des Palastes ausgestalten ließen, war der Ballsaal und damit der für die öffent­liche Repräsenta­tion der Familie wichtigste Raum. Damit wurde 1753 der venezianische Maler Giambattista Crosato beauftragt, der viele Jahre am savoyischen Hof in Turin tätig gewesen war und dort vor allem für den Herzog Carlo Emanuele III. dessen Jagdschloss in Stupinigi sowie die Villa della Regina ausgemalt hatte.66 Schon Giuseppe Fiocco hat mit Hinblick auf die späteren Dekora­tionsarbeiten im Palast angenommen, dass bereits hier die Rezzonico Tiepolo beauftragt hätten, wenn dieser nicht seit Ende 1750 in Würzburg mit der Ausgestaltung der Residenz des Fürstbischofs Karl Philipp von Greiffenclau beschäftigt gewesen wäre.67 Von dort kehrte er erst 1754 nach Venedig zurück. 64 Dazu vor allem Molmenti, Tiepolo (1909); Sack, Tiepolo (1910); Kutschera-­Woborsky, ­Giovanni Battista Tiepolos Decke (1916); Lorenzetti, Ca’ Rezzonico (1936), S. 25 – 27; Fiocco, Crosato (1944), S. 63; Harrison, The paintings (1983), S. 117 f.; Bayer (Hg.), Giambattista Tiepolo (1996), S.  181 – 185; Pedrocco, Ca’ Rezzonico (2001), S. 18 – 21, 32. 65 Ton, Crosato (2012), S. 114 – 117, 341 – 354. 66 Livan, Alcune date (1935), S. 406 f. Dieser Zuschreibung der Fresken, die allein auf stilistischen Überlegungen beruht, folgt die Forschung bis heute. Zu Crosato (um 1697 – 1758) vgl. die monographischen Studien von Fiocco, Crosato (1944); Harrison, The paintings (1983); Langen, Die Fresken von Crosato (1991) und Ton, Crosato (2012); daneben auch Pallucchini, La pittura (1995), S.  129 – 144; Magrini, Intorno a Tiepolo (2005). 67 Fiocco, Crosato (1944), S. 63. Darin folgt ihm auch Magrini, Intorno a Tiepolo (2005), S. 149. Auf dieser Annahme basiert auch die von Fiocco vorgenommene Datierung 1753, da der Palazzo

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Gemeinsam mit dem ferrare­sischen Maler Girolamo Mengozzi Colonna 68 entfaltete Crosato an der Decke des Ballsaals ein Thema, das zeitgleich von Tiepolo in der Würzburger Residenz seine prominenteste Inszenierung erfuhr: den Triumph des Sonnengottes Apoll mit den vier Erdteilen,69 für den die Quadraturen Mengozzi Colonnas den Rahmen bildeten. (Farbabb. 2) Apoll erscheint im Sonnenwagen, begleitet von den die Zügel haltenden Horen sowie Aurora und Luzifer, die ihm fackeltragend vorausschweben. Auf seiner Himmelsfahrt erhellt der Sonnengott mit seinen Strahlen die personifizierten Erdteile, die gemeinsam mit ihrem Gefolge um ihn herum auf dem Rahmen des zentralen Deckenbildes dargestellt sind. Auch in den monochromen Medaillons über den Fenstern und der Tür wird auf Apoll Bezug genommen: Die mit ihm verbundenen und dort dargestellten mytholo­gischen Szenen zeigen Apoll und Daphne, Apoll und Marsyas, Apoll und Koronis und schließ­lich die aufgrund ihrer Liebe zu Apoll in eine Sonnenblume verwandelte Clytia. Auf den Gesimsen der Quadraturen lagern hingegen die Personifika­tionen der Tierkreiszeichen; in den Stichkappen befinden sich Schilder mit den personifizierten Jahreszeiten. Im Hinblick auf die formale Gestaltung der Quadraturmalerei, die den architekto­nischen Rahmen für die figür­lichen Darstellungen bildet, hat die sala ein indirektes Vorbild, das jüngst auch Denis Ton konstatierte: Die Gestaltung der Decke mit ihrer Disposi­tion der kleinen eckigen Loggien und den hervortretenden Balkonen an den Längsseiten findet sich so bereits im salone des Palazzo Dolfin bei San Pantaleon, w ­ elchen die Familie ­Dolfin ­zwischen 1711 und 1736 von Nicolò Bambini und dem ferrare­sischen Quadraturisten Antonio Felice Ferrari ausgestalten ließ.70 (Abb. 40) Auch die Anordnung der Kartuschen mit den Grisaillemalereien über den Türen und Fenstern sind hier bereits schematisch vorweggenommen. Dieses Komposi­tionsschema lässt sich unseres Wissens so in keinem anderen Dekora­tionsprogramm venezianischer Familienpaläste ausmachen. Als formales „Zitat“ in der Deckengestaltung blieb es sicher­lich auch zeitgenös­sischen Besuchern des

1752 noch nicht fertig gestellt war und Tiepolo erst im Frühjahr 1754 aus Würzburg nach Venedig zurückkehrte. Zu den Bauarbeiten am Palazzo vgl. den Tagebucheintrag des venezianischen Patriziers Pietro Gradenigo vom 5. August 1752 bei Livan, Notizie d’arte (1942), S. 7. 68 Die Zuschreibung der Quadraturmalereien an Girolamo Mengozzi Colonna erfolgte durch Mariuz / Pavanello, La decorazione (1997), S. 634. Ton, Crosato (2012), S. 346 f. geht davon aus, dass auch ein Großteil der Grisaillemalereien Mengozzi Colonna zuzuschreiben ist. Frühere Zuschreibungen bezogen sich auf den Quadraturmaler Pietro Visconti, erstmals Lorenzetti, Ca’ Rezzonico (1936), S. 18. Martini, La pittura (1992), S. 89 zweifelte diese zwar bereits an, ohne jedoch einen anderen Künstler zu benennen. Pedrocco, Ca’ Rezzonico (2001), S. 8 bezieht sich allerdings wieder auf Visconti. 69 Zu der Darstellung Apollos und der vier Erdteile Tiepolos in Würzburg und den damit verbundenen politischen Konnota­tionen vgl. vor allem Bott, Zur Ikonographie des Deckenfreskos (1965); Ashton, Allegory, fact and meaning (1978); Büttner, Giovanni Battista Tiepolo (1980) und besonders Stephan, „Im Glanz der Majestät“ (2002). Einen Überblick über die ikonographische Entwicklung des Themas samt Katalog bietet Poeschel, Studien zur Ikonographie (1985). 70 Zum salone des Palazzo Dolfin ausführ­lich Mariuz, La „Magnifica Sala“ (1981); Höppner, Repräsenta­tion (2008).

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40 Venedig, Palazzo Dolfin, salone

Palazzo Rezzonico nicht verborgen. Zumal es als subtiler Verweis auf den schwelenden Konkurrenzkampf zweier Kardinalsfamilien gedeutet werden konnte, der hier von den Rezzonico mit visuellen Mitteln für sich entschieden werden sollte. Denn die Dolfin gehörten nicht nur zu den ältesten Familien des venezianischen Adels, sondern ebenfalls zur Gruppe der papalisti-­Familien, die zu d ­ iesem Zeitpunkt bereits drei Kardinäle in ihrem Stammbaum führten. Um das Verhältnis z­ wischen den beiden Familien stand es allerdings nicht zum B ­ esten. Der Grund dafür war die Kardinalsernennung Carlo Rezzonicos im Jahr 1737, bei der ihm der Papst gegenüber Daniele Dolfin, dem Patriarchen von Aquileia, den Vorzug gegeben hatte.71 Besonders kränkend war es für die Dolfin, dass der neue venezianische Kardinal einer Familie des patriziato nuovo entstammte und somit nicht über jene antica

71 Vgl. Kap. II.5., S. 137.

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41 Nicolò Bambini, Triumph der Familie Dolfin, Venedig, um 1711, Palazzo Dolfin

virtù del sangue verfügte, derer sie sich selbst rühmen konnten. Darauf spielte bereits das Bildprogramm im Festsaal ihres Familienpalastes an, welches zwei Jahrzehnte zuvor entstanden war. Bambinis raumgreifendes Deckengemälde feiert dort mit einem umfangreichen mytholo­gischen Personal die Apotheose der altadligen Dolfin im Götterhimmel. (Abb. 41) Wenige Jahre ­später fügte Tiepolo mit seinen Wandgemälden, die Szenen aus der römischen Geschichte zeigten, einen dynastischen Beweis hinzu, der ihre virtù del sangue visuell untermauerte. Dieser flankierte nicht nur die an der Decke dargestellte Verherr­lichung der Familie, sondern legitimierte sie geradezu.72 Im Ballsaal des Palazzo Rezzonico hingegen werden ganz andere Töne angeschlagen. Hier fährt Apoll mit seinem Sonnenwagen über den Himmel, durch dessen Glanz die Erdteile erleuchtet werden. Wichtig ist in d ­ iesem Zusammenhang die Präsenz A ­ uroras, die, wie Ovid in den „Metamorphosen“ berichtet,73 die Ausfahrt des Sonnengottes vorbereitet, indem sie dem Wagen das Tor öffnet und ihm voranschwebend den anbrechenden Tag verkündet. Das Motiv der Aurora war bereits von den Zenobio ikonographisch im Deckenbild ihres Festsaals verankert worden, der in den achtziger Jahren des

72 Vgl. Anm. 70. Die Wandgemälde Tiepolos befinden sich heute im Metropolitan Museum in New York. 73 Ovid, Metamorphosen 2, 107 – 122.

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42 Doppeladlerkapitelle in der sala da ballo

17. Jahrhunderts von Louis Dorigny, kurz nach der Nobilitierung der Familie, ausgemalt wurde.74 Die Thematik des Morgenanbruchs mußte sich einer Familie des neuen Patriziats regelrecht aufdrängen, ließ sich darüber doch ihr neu erlangter Status sinnfällig visualisieren. Im Festsaal der Rezzo­nico hat sich der Fokus jedoch leicht verschoben; er liegt auf der Erscheinung Apolls, der in der narrativen Struktur Ovids dem Erscheinen Auroras folgt. Die Morgenröte ist hier dem glanzvollen Tag gewichen, was spiegelbild­lich für die familiären Erfolge der Rezzo­­nico in diesen Jahren, auf die gleich einzugehen ist, gesehen werden muss. Ein gänz­liches Novum in der Ikonographie der venezianischen Palastausstattung stellt allerdings die Einbeziehung der vier Erdteile dar. Dabei handelte es sich um ein Sujet, dass sich in Verbindung mit der Ausfahrt Apolls in der euro­päischen Barockmalerei großer Beliebtheit erfreute, da es sich in wünschenswertester Weise als feier­liche Huldigung gegenüber dem Geltungsbedürfnis des Auftraggebers verstehen ließ.75 Indes: Dieses im Kontext fürst­lich-­absolutistischer Panegyrik weit verbreitete Motiv 76 entfaltete an dieser Stelle divergente Wahrnehmungen und neue Semantiken. Denn der absolutistische Anspruch, der sich hinter d ­ iesem Motiv verbarg, musste innerhalb des oligarchischen Systems der Adelsrepublik mehr als unpassend wirken. Um zu verstehen, warum die Rezzonico in der Ausgestaltung ihres Ballsaals einen so selbstbewußten Ton angeschlugen, der sich mög­licherweise indirekt auch gegen die Dolfin richtete, ist es nötig, noch einen Blick auf ein weiteres, bisher völlig unbeachtetes Detail der Ausstattung sowie auf den politischen Hintergrund der Entstehungszeit zu werfen. Gemeint ist die allgegenwärtige Darstellung des Familienwappens. Neben seiner eindrück­lichen und bereits beschriebenen Darstellung über der dem Eingang 74 Dazu ausführ­lich Aikema, Patronage (1979). 75 Vgl. dazu besonders Lind, Träumerei und Machtanspruch (2001). So ließ sich beispielsweise auch der Kardinalnepot Flavio Chigi von Giovanni Francesco Grimaldi in seiner Stadtvilla die vier Erdteile an die Decke malen. Karsten, Künstler und Kardinäle (2003), S. 215. 76 Man denke nur an Tiepolo, der zeitgleich zu Crosato für den Fürstbischof Karl Philipp von ­Greiffenclau im Treppenhaus der Residenz von Würzburg sein berühmtes Deckengemälde gleichen Themas schuf. Vgl. dazu Stephan, „Im Glanz der Majestät“ (2002).

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gegenüberliegenden Fensterfront finden sich unmissverständ­liche heraldische Verweise auch in der gemalten Architektur der Wände. Die Kapitelle der den Saal gliedernden Pilaster werden von Doppeladlern gebildet, die eindeutig auf imperiale Bezüge verweisen.77 (Abb. 42) Dieser Doppeladler findet sich auch im Zentrum des Rezzonico-­Wappens wieder. Wie bereits ausgeführt, war die Familie aufgrund ihrer Dienste als Kaufleute und Finanziers für den ­Kaiser von ­diesem 1665 zunächst in den Freiherrenstand erhoben und sodann 1698 mit dem Privileg ausgezeichnet worden, den kaiser­lichen Doppeladler im Wappen zu führen.78 Durch die Omnipräsenz des geflügelten Wappentieres in der sala da ballo wird ­dieses Thema hier aufgegriffen und zu einem subtilen Bekenntnis formuliert, womit sich die Rezzonico vor den Augen ihrer Besucher auf dezidierte Weise als Vasallen des Kaisers inszenierten. Prinzipiell befanden sie sich damit in guter, altpatrizischer Gesellschaft: Die Familie da Lezze zum Beispiel, gleichfalls nach Wien orientiert und ebenso mit dem Nutzungsrecht für den Doppeladler versehen, gönnte ihrem Wappentier ebenfalls Auftritte an der Fassade des Familienpalastes an der Fonda­ menta della Misericordia.79 Dennoch ist es erstaun­lich, dass sich die Rezzonico für einen derartigen Einsatz der Doppeladler-­Ornamentik, der ihre Reichsbindung so plakativ herausstrich, im Ballsaal entschieden. Denn die Beziehungen ­zwischen Venedig und dem Reich waren zur Zeit Maria Theresias stark angespannt, was unter anderem damit zusammenhing, dass das Haus Habsburg nach dem Spanischen Erbfolgekrieg ein zunehmendes Interesse an Italien zeigte und seine Einflusssphäre dort auszuweiten trachtete.80 Auch in wirtschaft­licher Hinsicht entwickelte sich die Nachbarschaft der Habsburger Monarchie immer mehr zu einem Problem, vor allem seit mit der Einrichtung des Freihafens Triest die ohnehin stagnierenden Handelsaktivitäten der Serenissima neuer­lich bedroh­liche Konkurrenz erhielten.81 Auch war das Verhältnis z­ wischen dem Reich und dem Papsttum keineswegs konfliktfrei, verbesserte sich aber, als Benedikt XIV. 1748/49 die miss­liche Frage des Patriarchats von

77 Zur Symbolik von Adlerkapitellen und ihren imperialen Bezügen, allerdings mit Bezug auf das Mittelalter, vgl. Dercks, Die Adlerkapitelle (2000). 78 Vgl. Kap. II.3. der vorliegenden Arbeit. 79 Zu den da Lezze vgl. Gullino, I rapporti (1990), S. 24; Dario, Autoglorificazione (1995); Mason, Ques­tione di buon vicinato (1996). Auch die Ottoboni führten den Doppeladler im Wappen. Sie hatten d ­ ieses Privileg von Rudolf II. für ihre servizi resi nel corso di ambascerie compiute per conto della Serenissima erhalten. Menniti Ippolito, Fortuna (1996), S. 11, Anm. 1. 80 Zur Schwäche Venedigs gegenüber der Habsburgermonarchie in der Zeit nach dem Frieden von Passarowitz vgl. Quazza, Il problema italiano (1965); Frigo, Gli stati italiani (2006), S. 107 – 114; Garms-­Cornides, Reichsitalien (2006). Karsten, Kleine Geschichte Venedigs (2008), S. 212 f., konstatiert die Dominanz Österreichs folgendermaßen: „[…] das sich in diesen Jahrzehnten zu so etwas wie dem informellen Kolonialherren [Venedigs] entwickelte. Die einst so stolze Republik war nunmehr darauf bedacht, den Kaiserhof in keiner Weise zu provozieren und verbrauchte viel Energie für die Bemühungen, die Erfüllung von dessen ‚Wünschen‘ so zu verpacken, dass wenigstens der Schein der Souveränität gewahrt blieb.“ 81 Costantini, Commercio e marina (1998), S. 563.

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Aquileia, die zu erheb­lichen Spannungen ­zwischen Venedig und Wien geführt hatte, end­ lich zugunsten Habsburgs einer Lösung zuführen wollte. Denn das Patriarchat Aquileia lag sowohl auf kaiser­lichem als auch venezianischem Territorium, der Patriarch residierte jedoch im venezianischen Udine. Dies hatte zur Folge, dass seit Ende des 15. Jahrhunderts die Amtsträger ausschließ­lich venezianische Patrizier waren, die ihre geist­liche Tätigkeit immer mehr auf das Gebiet der Republik beschränkten. Dadurch mussten die Österreicher eine zunehmende geist­liche Verwahrlosung ihrer Untertanen konstatieren, weshalb sie, die sich de facto auch der ihnen zustehenden Nomina­tionsrechte beraubt sahen, immer wieder die Errichtung eines Aposto­lischen Vikariats und unter Maria Theresia sogar die Neugründung eines Bistums auf kaiser­lichem Territorium forderten. Der Papst, der einen offenen Bruch mit Venedig fürchtete, stimmte aber Ende 1749 vorerst nur der Errichtung des Aposto­lischen Vikariats zu, wobei er jedoch bei der Aufsetzung des diesbezüg­lichen Breve ausdrück­lich betonte, dass es sich hierbei nur um eine Zwischenlösung handeln solle. Dem wollten die Venezianer keinesfalls zustimmen, da sie vor allem Gebietsverluste fürchteten. Nach anfäng­lichen Verhandlungen, zu ­welchen die Republik Kardinal ­Rezzonico sofort nach Bekanntgabe des Errichtungsbreves nach Rom gesandt hatte, kam es zum Eklat. Die Republik brach 1750 kurzzeitig die diplomatischen Beziehungen mit Rom ab, woraufhin der Papst die Kaiserin aufforderte, ihrerseits die Beziehungen zu Venedig auszusetzen. Dass die Angelegenheit nicht eskalierte, sondern im Jahr darauf tatsäch­lich mit der Gründung der zwei getrennten Bistümer Udine und Görz einer Lösung zugeführt werden konnte, war insbesondere dem unermüd­lichen Einsatz Carlo Rezzonicos zu verdanken.82 Das Vermittlungsgeschick des Kardinals fand bei allen Beteiligten und gerade auch seitens der Serenissima große Anerkennung, wie eine an den Wiener Hof gerichtete Meldung vom 7. Juli 1751 belegt: Le Sénat vient de marquer d’une manière éclatante au cardinal Rezzonico, combien il est satisfait de ses services, en criént son frère Sénateur, ce qui est le plus grand honneur que la République puisse faire à sa famille, qui n’était pas sénatoriale. La cour de Rome n’est pas moins contente de la sage conduite de cette Èminence, qui de son coté désire et demande son rappel pour pouvoir retourner dans son diocèse et se donner tout entier au soin de son troupeau.83

Dieser diplomatische Erfolg brachte der Kardinalsfamilie im Sommer 1751 weit über die Grenzen Venedigs hinaus größte Hochachtung ein. Einmal mehr hatte das venezianisch-­ römische Karrieremodell Früchte getragen, indem sich positive Synergieeffekte z­ wischen den beiden Ak­tionsrahmen entwickelten. In Anerkennung von Carlo Rezzonicos diplo­ matischen Leistungen wurde sein Bruder 1751 zum venezianischen Senator gewählt. 84 Mit 82 Zum Aquileia-­Konflikt vgl. Seneca, La fine del Patriarcato (1954). Zur Rolle Carlo Rezzonicos in ­diesem Konflikt Trebbi, Il cardinale Rezzonico (2013). 83 Zitiert nach Pastor, Geschichte der Päpste (1931), XVI/1, S. 413. 84 BCVe, Ms. Cicogna 1370, fol. 9. Dort wird nur das Jahr, nicht aber das genaue Ernennungsdatum angegeben.

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feinem Gespür für die venezianischen Gesellschaftsstrukturen kommentierte B ­ enedikt XIV. gegenüber dem franzö­sischen Kardinal Pierre Guérin Tencin, mit dem er in engen Briefkontakt stand, die Wahl folgendermaßen: […] la famiglia [Rezzonico] è nobile, ma di nobiltà nuova essendo comasca però ci volevano almeno dugent’anni, avanti che uno di essa arrivasse al grado, a cui ora è giunto il fratello del cardinale.85

Damit waren die Rezzonico vierundsechzig Jahre nach ihrer Nobilitierung zu einem vollwertigen Mitglied des venezianischen Patriziats aufgestiegen, ein Umstand, den es bei der Ausgestaltung des Palazzo herauszustreichen galt. Selbstbewusst wurde dabei im Ballsaal durch die Doppeladlersymbolik auf ihre Reichsbindung verwiesen. Denn diese war es, die zusammen mit der diplomatischen Erfahrung des Kardinals zum Erfolg führte: dem Durchbruch zur Ebenbürtigkeit mit den Häusern des patriziato vecchio. Darüber hinaus ist es vorstellbar, dass die repetitive Visualisierung des Doppeladlers noch einem weiteren Zweck diente: In der schwelenden Konkurrenz zum Altadel und damit auch zu den Dolfin, die vor allem ihre virtù del sangue gegenüber den Neuadligen ins Feld führten, mochte sie darauf abzielen, den Makel der Rezzonico, der auf dem käuf­lichen Erwerb des Adelstitels basierte, vergessen zu machen, in dem sie die meritokratische Natur ihres sozia­len Standes betonten.86 Denn die Verleihung des Reichsadlers als Wappentier basierte auf ihren Diensten für den ­Kaiser und nicht auf den 100000 Dukaten, ­welche die Rezzonico einst für den Adelstitel gezahlt hatten. Es verwundert somit nicht, dass die Rezzonico bei der Ausmalung der gerade zur Verfügung stehenden Projek­tionsflächen des Familienruhmes zu einer gewissen Hybris neigten, die das Motiv des weltbeherrschenden Sonnengottes 87 ebenso spiegelt wie die prominente Präsenta­tion des Familienwappens mit dem Reichsadler. Doch mochte die Gunst der Stunde derartige Übersteigerungen, zu denen Aufsteigerfamilien nicht selten tendierten, rechtfertigen; wie sie vermut­lich auch die Wahl des Künstlers erklärte. Der Verzicht auf den 1750 nach Würzburg abberufenen Tiepolo könnte sich aus dem Bedürfnis heraus ableiten, die errungenen Triumphe visuell zu feiern, ehe sie in Vergessenheit geraten wären. Und so kam mit Crosato ein achtbarer Vertreter der „zweiten Garnitur“ zum Zuge. Wenige Jahre s­ päter erfuhr die mit der Treppe und der Ausmalung des Ballsaals so eindrück­ liche Visualisierung des Sozia­laufstiegs der Rezzonico eine Ergänzung durch zwei weitere Deckenfresken. Anlass für die Fortsetzung der dekorativen Ausgestaltung des Palazzo bot 85 Benedikt XIV. an Kardinal Tencin am 23. Oktober 1751. Morelli (Hg.), Le lettere di Benedetto XIV (1955 – 1984), Bd. 2, S. 380. Vgl. Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 462. 86 Zum Wettstreit ­zwischen virtù del sangue und virtù del merito, wie er in zahlreichen venezianischen Palästen zu beobachten ist, vgl. Tillmann, Adel verpflichtet (2014). 87 Ton, Crosato (2012), S. 343 f. deutet die Darstellung des Sonnengottes mit den vier Erdteilen in Verbindung mit den Tierkreiszeichen und den personifizierten Jahreszeiten als kosmisches Programm.

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die Hochzeit Ludovico Rezzonicos, des zweitältesten Sohnes Aurelio Rezzonicos und Anna Giustinians, mit Faustina Savorgnan am 16. Januar 1758.88 Braut und Hochzeit entsprachen dem um die Jahrhundertmitte nochmals merk­lich gestiegenen Sozia­lprestige der Rezzonico, denn Faustina Savorgnan entstammte einer der angesehensten und mächtigsten Adelsfamilien des Friaul.89 Die Feier­lichkeiten, mit denen diese Eheschließung zelebriert wurde, gehörten zum Eindrucksvollsten, was die an Festinszenierungen im 18. Jahrhundert nicht eben arme Lagunenmetropole zu sehen bekam. Die Trauung in Santa Maria della Salute wurde durch den Familienkardinal Carlo Rezzonico vorgenommen.90 Dem Glanz des Ereignisses entsprach auch die Gestaltung der so genannten sala dell’alle­ goria nuziale, womit nun der aus Würzburg zurückgekehrte Großmeister der venezianischen Freskomalerei, Giovanni Battista Tiepolo, betraut werden konnte. Er schuf unter Mitarbeit seines Sohnes Giandomenico eine der schönsten und eindrück­lichsten Hochzeitsallegorien, die in den venezianischen Palästen zu finden ist. Die Quadraturmalerei, die mög­licherweise auch hier von Tiepolos langjährigem Mitarbeiter Girolamo Mengozzi Colonna ausgeführt wurde, bewirkte eine illusionistische Erhöhung des Raumes und gibt den Blick frei in den Himmel, der den Schauplatz eines triumphalen Aufzuges bildet. (Farbabb. 3) Dort nähert sich von links ein von vier weißen Rossen gezogenes Gespann, von Apollo höchstpersön­lich gelenkt, in welchem das Brautpaar Platz genommen hat. Die fulminante Himmelsfahrt begleitet der Klang der Fanfare, ­welche Fama, die rechts des Wagens zu sehen ist, zu Ehren der Frischvermählten bläst. Unterhalb der Rosse schwebt mit verbundenen Augen Cupido, die Fackel in der einen und eine Pfeilspitze in der anderen Hand. Die aufgehende Sonne am linken Bildrand, die Apollo und das Paar wie eine Gloriole umgibt, spiegelt die Hoffnung auf eine glänzende Verbindung, die mit dieser Hochzeit eingegangen wird. Unterhalb der zentralen Szene assistieren weitere Personifika­tionen dem Geschehen. Von einer Wolke aus blicken Pax, die eine Taube emporfliegen lässt, und Meritus zu dem Brautpaar auf. In seiner Linken hält Meritus in Gestalt eines bärtigen Alten ein Banner mit dem Allianzwappen, das die Verbindung des Brautpaares nunmehr auch genealo­gisch sichtbar macht. Zu seinen Füßen sitzt ein Löwe, unmissverständ­licher Verweis auf den Markuslöwen und somit auf die Republik Venedig, die den Hintergrund für diese ehe­liche Beziehung bildet. Über dieser Gruppe schwebt Sapientia, durch deren kluge Fügung die Verbindung zustande gekommen sein mag. Und auch die drei Grazien als Verkörperung der Schönheit dürfen nicht fehlen 91 – auf der Wolke gegenüber Meritus bilden sie das Bindeglied z­ wischen dem Betracher am Boden und dem fest­lichen Zug an der Decke, da sie als einzige durch ihre Körperhaltung nicht direkt ins Geschehen involviert sind, sondern sich leicht davon abwenden und beobachtend nach unten schauen. 88 Der Ehevertrag wurde bereits am 20. April 1757 geschlossen. ASVe, Avogaria di Comun, Contratti di nozze, 129/19, nr. 4482. 89 Zu den Savorgnan vgl. Casella, I Savorgnan (2003). Die Familie gehörte seit 1385 dem venezianischen Adel an. 90 BCVe, Gradenigo Notatori, Bd. 4, fol. 77r (16. Januar 1758). 91 Als ­solche werden sie von der Forschung gedeutet. Bayer (Hg.), Giambattista Tiepolo (1996), S. 181.

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Das Fresko bedient insofern jene ikonographischen Vorgaben, die man bei einer Darstellung der Hochzeitsthematik erwarten darf: der die Liebe verkörpernde Cupido, die Grazien als Anspielung auf die Schönheit der Braut und der den Spiegel tragende Putto, der als Verweis auf Prudentia verstanden werden kann, deren Klugheit die Eheleute auf dem gemeinsamen Weg begleiten möge. Der Erwartung der zeitgenös­sischen Betrachter mag ferner dergestalt glück­lich begegnet sein, als die Ruhmeshymnen zum Preise der Rezzonico, anders als in ihrer Villa bei Bassano, einen eindeutigen Venedig-­Bezug in Gestalt des Markuslöwen erhalten. Bemerkenswert ist allerdings die eher ungewöhn­ liche Präsenz der Meritus-­Personifika­tion, einer nicht unoriginellen Darstellung im Palast einer Familie, deren Kardinal mit dem häss­lichen Vorwurf leben musste, sich den roten Hut durch die Zahlung von 30000 Dukaten verschafft zu haben.92 Doch dem personifizierten Meritus kam hier wohl vor allem die Rolle zu, die in der jüngsten Vergangenheit liegenden Verdienste der Familie dem Betrachter des Deckengemäldes in Erinnerung zu rufen, zumal sie mit Sicherheit auf das Zustandekommen dieser Verbindung positiv eingewirkt hatten. Angesichts der doch recht prominenten Platzierung der Meritus-­Figur ist es wahrschein­lich, dass noch einmal auf das Fundament dieser hier beschworenen familiären Allianz verwiesen werden sollte, näm­lich auf die Verdienste der Rezzonico, durch die sie innerhalb, aber auch außerhalb der Republik ihren sozia­len Aufstieg vollzogen hatten. Wie wichtig ihnen diese inszenierte familiäre Selbstdarstellung war, zeigt nun auch das zweite Deckenfresko Tiepolos, in dem ­Meritus schließ­lich selbst zum Protagonisten avanciert und zwar genau in dem Moment, da Fortuna der Familie einen neuer­lichen Höhepunkt durch die Wahl Carlo Rezzonicos auf den Stuhl Petri bescherte. Kurze Zeit nach der Ausmalung des Hochzeitssaals schuf Tiepolo das Fresko für die sala del trono (die allerdings erst nach der Papstwahl Carlo Rezzonicos am 6. Juli 1758 so bezeichnet wurde). Die genaue Datierung der Fresken ist unbekannt, mög­licherweise waren sie beim Konklave, aus dem Carlo Rezzonico am 6. Juli 1758 als Papst hervorging, noch in Arbeit. Doch das hier verwendete ikonographische Programm ließ sich gut auch für den – frei­lich nicht vorhersehbaren – Aufstieg des Familienkardinals zum Vikar Christi adaptieren. Das Deckenfresko d ­ ieses Raumes im vorderen Teil des Gebäudes, der zu den „klas­ sischen“ Repräsenta­tionsräumen der venezianischen Paläste gehörte, zeigt eine Quadra­ turmalerei, w ­ elche den architektonischen Rahmen eines Ovals bildet, das den Blick auf einen ­zwischen Wolkenmassen erscheinenden Rundtempel freigibt. (Farbabb. 4) Vom Rande schwebt ein bärtiger Greis, der in ein kostbares Gewand gehüllt ist und dessen Haupt von Lorbeer bekränzt wird, zu dem Tempel empor. Seine rechte Hand ruht schwer auf einem Zepter, während sein linker Arm auf einer jungen, mit kostbaren Perlen am Hals und im Haar geschmückten Frau liegt. Obwohl sie ihn stützt, hat sie

92 Vgl. Kap. II.5, Anm. 88.

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sich abgewandt und blickt auf eine weitere Figurengruppe, die am gegenüberliegenden Rand des Rahmens lagert. Durch die Maske, die eine der beiden am Hinterkopf trägt, und die sich um ihren Arm windende Schlange ist eine davon als Prudentia zu identifizieren. Zu ihrer Rechten begleitet die Gruppe eine geflügelte weib­liche Gestalt, die eine Lanze in der einen und ein Buch in der anderen Hand hält. Zu Füßen des Greises sitzt ein Putto mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Schoß. Eine die Fanfare blasende Ruhmes-­Allegorie, die von weiteren Putti umgeben wird, begleitet den Aufstieg des Greises. Zur Rechten der Gruppe schwebt ein Putto heran, der eine Ehrenkette in der Hand trägt. Unterhalb des sich öffnenden Ovals, beidseitig der jeweiligen Deckenzwickel, lagern weitere allegorische Figuren, die aufgrund ihrer Attribute als Tugendallegorien identifiziert werden können: Justitia mit Wage und Schwert sowie Caritas in Begleitung zweier Kinder bilden das Paar im Zwickel oberhalb der Tür, die zum portego führt, Temperantia mit ihren zwei Gefäßen und die weiß gekleidete Religio bilden (im Uhrzeigersinn gelesen) das Paar an der gegenüberliegenden Seite. Diesen folgen im nächsten Zwickel Fortitudo mit einer Säule und die ein Füllhorn ausschüttende Abundantia. Als letztes Paar finden sich Munificentia, die Schmuckstücke in den Händen hält, und schließ­lich Pax, die eine Fackel und einen Olivenzweig trägt. Frühe Tiepolo-­Biographen und Venedigforscher hat ­dieses Fresko vor inhalt­liche Deutungsschwierigkeiten gestellt und sie schließ­lich zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei der Darstellung um eine Dichterapotheose handle, genauer noch: um die Glorifika­ tion Quintiliano Rezzonicos.93 Über die literarische Tätigkeit Quintilianos ist bis auf eine ihm zugeschriebene Übersetzung von Senecas Tragödie „Medea“ bisher allerdings nichts bekannt,94 doch schien dies offenbar ausreichend, um in dem bärtigen Greis ein Porträt des Vorfahren der Rezzonico zu erblicken. Aber bereits Oswald von Kutschera-­Woborsky zweifelte diese Interpreta­tion an und konnte anhand einer sich in Wien befindenden und mit autographischen Anmerkungen versehenen Vorstudie Tiepolos für das Deckenfresko nachweisen, dass hier keineswegs eine Dichterapotheose dargestellt ist. Vielmehr verbirgt sich hinter der Gestalt des Alten die allegorische Darstellung des Meritus, der schon in der Hochzeitsallegorie einen Platz einnahm und der hier von den weib­lichen Personifika­tionen der N ­ obilitas und der Virtus zum Tempel der Unsterb­lichkeit geleitet wird.95 Diese Auslegung wurde schließ­lich von Giulio Lorenzetti noch untermauert, dem es gelang, ein von dem Paduaner abbate Giuseppe Gennari anläss­lich der Hochzeit von Ludovico Rezzonico und Faustina Savorgnan am 16. Januar 1758 verfasstes panegyrisches Gedicht mit dem 93 Molmenti, Tiepolo (1909), S. 72 spricht nur von einem „trionfo di un poeta Rezzonico“, während Sack, Tiepolo (1910), S. 94 von einer „Verherr­lichung eines Mitgliedes der Familie Rezzonico als Leuchte der Wissenschaft“ spricht. Nach Kutschera-­Woborsky war es der Heimatforscher Dolcetti, der erstmals den Namen Quintilianos in Zusammenhang mit dem Fresko brachte. Kutschera-­ Woborsky, Giovanni Battista Tiepolos Decke (1916), S. 174. 94 Paitoni, Biblioteca degli Autori (1767), Bd. 4, S. 15. 95 Kutschera-­Woborsky, Giovanni Battista Tiepolos Decke (1916).

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Fresko in Verbindung zu bringen.96 Darin hatte Gennari, der mög­licherweise bereits in Padua mit dem dort seit 1742 als Bischof tätigen Carlo Rezzonico Kontakt gehabt hatte und über diesen mit der Familie in Venedig in Verbindung getreten war, 97 das Fresko nicht nur ekphrastisch beschrieben, sondern die dargestellten Personifika­tionen auch einzeln benannt: Ben, s’io non erro, del Pittor industre già comprendo il concetto./ Il Merito è quello, che al tempio della Gloria i passi volge; e quinci Nobiltà, quinci Virtude lo scorge a guida all’immortale soggiorno.98

Mit der Darstellung des von Nobilitas und Virtus in den Ruhmestempel geleiteten Meritus wurde auf ein Thema abgezielt, welches nach wie vor die soziokulturellen Diskussionen in Venedig bestimmte – die Frage näm­lich, die im anhaltenden Streit um die Stellung des alten und neuen Adels innerhalb des venezianischen oligarchischen Systems immer wieder neu aufgerollt wurde und die auch das Verhältnis der Dolfin und Rezzonico bestimmte: ob es einen Primat des alten gegenüber dem neuen Adel gebe. Nach wie vor waren die Parvenüs, die sich ab 1646 in den venezianischen Adel eingekauft hatten, den alteingesessenen Familien ein Dorn im Auge, und wie bereits mehrfach gezeigt werden konnte, wurden dem Geldadel nur sehr begrenzte politische und administrative Einflussmög­ lichkeiten zugestanden. So wurde es auch von außen wahrgenommen. Noch 1741 schrieb der deutsche Reisende Johann Georg Keyssler, der 1727 Venedig besucht hatte, mit Blick auf die nobiltà nuova: Wenn die Republic in Krieges-­Nöthen stecket, kann man durch ansehn­liche Summen Geldes den Ade­lichen Stand auf sich bringen, allein diese neuen Familien sind bisher noch allezeit von grossen Bedienungen ausgeschlossen blieben.99

Eine Sachlage, die diesen Umstand rechtfertigen sollte, war die im Bezug auf die ­Dolfin bereits erwähnte und immer wieder von Angehörigen der nobiltà vecchia angeführte virtù del sangue ihrer jeweiligen Familien, über w ­ elche die Neuen per defini­tionem nicht verfügten.100 Dies löste natür­lich weiterführende Diskussionen über das Wesen des Adels 96 97 98 99

Lorenzetti, Ca’ Rezzonico (1936), S. 25 – 27. Zur Vita Giuseppe Gennaris vgl. Gamba, Lettere famigliari (1829), S. 5 – 15. Zitiert nach Lorenzetti, Ca’ Rezzonico (1936), S. 26. Johann Georg Keysser, Fortsetzung Neuester Reisen, durch Teutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien, und Lothringen, worinn der Zustand und das merckwürdigste dieser Länder beschrieben wird, Hannover 1741, S. 721 (74. Brief ). 100 Sabbadini, L’acquisto (1995), S.  57 – 61.

Triumph der Familie  |  173

43 Giovanni Battista Tiepolo, Apotheose der Familie Barbaro, New York, Metropolitan Museum of Art

im Allgemeinen aus, die an unterschied­lichsten Stellen ausgetragen wurden. Neben der adligen Geburt wurde nun auch verstärkt der Stellenwert von Tugend und Verdienst in der Hierarchie der Adelspyramide diskutiert. Andrea Gottdang, die diese Problematik näher untersucht hat, verweist unter anderem auf eine 1719 verfasste Schrift von Saverio ­Giustinian, in welcher der Zusammenhang von Geburtsadel und Tugend eingehend erläutert wird. Dabei ist für den Autor die adlige Herkunft zwar unerläss­lich, jedoch braucht es zur Entfaltung der Persön­lichkeit auch bestimmte Tugenden.101 Die gemeinsame Darstellung von Nobilitas, Virtus und Meritus an der Decke des Palazzo Rezzonico steht in einem engen ikonographischen Bezug zu diesen Debatten. Sie ist jedoch, thematisch gesehen, nicht einzigartig unter den Deckenfresken der venezianischen Adelspaläste. Tiepolo hatte d ­ ieses Thema bereits rund ein Jahrzehnt zuvor für den Palast Almoro Barbaros im Pfarrsprengel von San Vidal gemalt.102 (Abb. 43) Das Bild, welches sich heute im Metropolitan Museum of Art in New York befindet, entstand um 1750 und wartet mit einem ähn­lichen Figurenrepertoire auf wie das von den Rezzonico in Auftrag gegebene Fresko. Zwar fehlt mit dem Rundtempel das gerichtete Ziel, zu dem die Gruppe Nobilitas, Virtus und Meritus im Palazzo Rezzonico hinaufschwebt. Doch Meritus, zentral auf einer Wolke sitzend, lorbeerbekränzt und ein Zepter in der Hand haltend, wird auch hier assistiert von Fama, die in ihre Fanfare bläst, sowie Virtus und Abbundantia. Vom unteren Bildrand her nehmen Prudentia und Nobilitas am Geschehen

101 Gottdang, Venedigs antike Helden (1999), S. 60 f. 102 Bayer (Hg.), Giambattista Tiepolo (1996), S. 157 – 165.

174  |  Venedig

teil. Dies zeigt, dass das Thema nicht nur für eine mit dem alten Adel konkurrierende Aufsteigerfamilie, sondern auch für den alten Adel selbst interessant sein konnte. Denn die Barbaro zählten zu den ältesten venezianischen Adelsfamilien. Mit Blick auf die chronolo­gische Folge der Werke ist demnach die Vermutung zulässig, dass es sich hierbei seitens der Rezzonico um die Inszenierung einer bewussten Konkurrenz mit dem alten Adel handelte, dessen Bildmotive sie vor dem Hintergrund zeitgenös­sischer Diskussionen nun auch für sich in Anspruch nahmen. Doch die Rezzonico adaptieren d ­ ieses Bildmotiv nicht einfach, sondern werten es in ihrem Sinne auf. Ein signifikanter Unterschied ­zwischen den beiden Werken zeigt sich in der Figur des kleinen Putto, der auf dem Deckenfresko des Palazzo Rezzonico am unteren Rand des Rahmens sitzt und ein großes, in Leder gebundenes Buch auf seinem Schoß hält. Er fehlt in der Komposi­tion des Palazzo Barbaro, wäre jedoch dort auch völlig überflüssig. Filippo Pedrocco hat ­dieses Buch mit dem Goldenen Buch der Stadt Venedig in Zusammenhang gebracht, in welchem die Namen der Adelsfamilien verzeichnet waren und dem der Name der Rezzonico im Jahre 1687 hinzugefügt wurde.103 Das erlangte Selbstbewusstsein der Familie kann nicht deut­licher zur Sprache gebracht werden: Statt ihre Zugehörigkeit zu den Aufsteigerfamilien visuell zu kaschieren, wird sie hier nachdrück­ lich in Szene gesetzt. Damit gelang es den Rezzonico, in ihrem Palazzo am Canal Grande auf repräsentativem Gebiet zu den Angehörigen der Familien des patriziato vecchio nicht nur aufzuschließen, sondern sie auch in vielerlei Hinsicht zu überflügeln. Geradezu auf schicksalhafte Weise fiel dabei der letzte Schritt ihrer Selbstdarstellungskampagne in Venedig mit dem Augenblick zusammen, in dem die Familiengeschicke durch die Wahl Carlo Rezzonicos zum Papst eine neue Wendung nahmen. Die Folgen dieser Entwicklung äußerten sich in einer Neuorientierung der Familienstrategien, die ihren Niederschlag auch in ihrer Kunstpatro­ nage finden sollte.

103 Pedrocco, Ca’ Rezzonico (2001), S. 29.

Farbabbildungen

Farbabbildungen  |  177

Farbabb. 1  Pietro Longhi, Clemens XIII. mit Familie, 1758/59, Venedig, Ca’ Rezzonico

178  |  Farbabbildungen

Farbabb. 2  Giambattista Crosato, Apoll im Sonnenwagen mit den vier Erdteilen, Venedig, Palazzo Rezzonico, sala da ballo

Farbabbildungen  |  179

Farbabb. 3  Giovanni Battista Tiepolo, Hochzeitsallegorie, Venedig, Palazzo Rezzonico, sala della allegoria nuziale

180  |  Farbabbildungen

Farbabb. 4  Giovanni Battista Tiepolo, Apotheose des Meritus, Venedig, Palazzo Rezzonico, sala del trono

Farbabbildungen  |  181

Farbabb. 5  Anton Raphael Mengs, Clemens XIII., 1758, Privatsammlung

182  |  Farbabbildungen

Farbabb. 6  Anton Raphael Mengs, Clemens XIII. Rezzonico, 1758/59, Bologna, Pinacoteca Nazionale

Farbabbildungen  |  183

Farbabb. 7  Rom, San Marco, Cappella Barbarigo

184  |  Farbabbildungen

Farbabb. 8  Antonio Canova, Grabmal Clemens’ XIII. in Sankt Peter

III Der Weg nach Rom: Die Wahl Clemens’ XIII. Rezzonico und die Folgen Die Wahl Carlo Rezzonicos zum Oberhaupt der katho­lischen Christenheit am 6. Juli 1758 veränderte von einem Moment zum anderen den sozia­len Status der Familie. Hatten die Rezzonico bisher in Venedig versucht, den ihnen anhaftenden Makel als Sozia­laufsteiger mit allen Mitteln abzustreifen, so fanden sie sich nun plötz­lich im Rang einer regierenden Herrscherfamilie wieder. Nach zeitgenös­sischer Auffassung war Kardinal Rezzonico überraschend als Wahlsieger aus dem fast zwei Monate dauernden, komplizierten Konklave hervorgegangen – eine Einschätzung, die allerdings schon Luigi Cajani und Anna Foa in ihrem ­kurzen Überblick über das Pontifikat Clemens XIII. in der „Enciclopedia dei Papi“ relativierten, da sie bereits einen Zusammenhang ­zwischen den diplomatischen Missionen des Kardinals und dem Wahlergebnis vermuteten.1 Der Überraschungsfaktor wird zusätz­lich in Frage gestellt, wenn man all die Anstrengungen mit in Betracht zieht, durch w ­ elche sich die Familie in den 1750ger Jahren in politischer und sozia­ler Hinsicht als vollwertiges Mitglied der venezianischen Oligarchie zu profilieren suchte. Gerade diese Ambi­tionen hatten sich auch im Kauf und Ausbau des Familienpalastes am Canal Grande niedergeschlagen. Flankiert wurden ihre Bemühungen von den politischen Verhandlungsinitiativen Carlo Rezzonicos im Aquileia-­Konflikt, in welchem er erfolgreich z­ wischen dem Reich und Venedig vermittelt hatte.2 Dies fiel bei der Papstwahl außerordent­lich ins Gewicht. Damit sollte sich der von der Familie seit langem eingeschlagene Weg der Statusaffirma­tion ­zwischen der Republik Venedig, dem Reich und Rom endlich auszahlen. Das Konklave von 1758 Als Benedikt XIV . Lambertini am 3. Mai 1758 starb, ging ein Pontifikat zu Ende, das mit einer Dauer von achtzehn Jahren zu einem der längsten der Geschichte zählt. Nach Einschätzung Ludwig von Pastors, dessen Überblicksdarstellung zu den Pontifikaten ­Benedikts XIV. und Clemens’ XIII. insbesondere angesichts der für das 18. Jahrhundert generell eher defizitären Forschungslage nach wie vor maßgeb­lich ist, erwies sich die Regierungszeit des Lambertini-­Papstes in ihrer Gesamtbilanz als ausgesprochen ambivalent, was

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„Si era così formato un consistente schieramento a favore del Rezzonico, […] era gradito ­all’Austria, nonostante la sua origine veneziana, proprio per il comportamento tenuto nella ques­tione di ­Aquileia.“ Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 463. Ausführ­lich dazu Trebbi, Il cardinale Rezzonico (2013).

186  |  Der Weg nach Rom

sich auch im folgenden Konklave deut­lich widerspiegeln sollte.3 Die sich dem Papsttum, der Weltkirche und dem Kirchenstaat im anbrechenden Zeitalter der Aufklärung stellenden Probleme hatte Benedikt XIV. durchaus anzugehen versucht. Doch die von ihm 1756 ausgesprochene, nur moderate Verurteilung des Jansenismus kann als emblematisch für die äußerst vorsichtige Haltung angesehen werden, zu der er sich angesichts des äußerst starken Druckes der konservativen Kurienmehrheit gezwungen sah.4 Auf innenpolitischem und innerkirch­lichem Gebiet gilt Benedikt XIV. jedoch als ausgesprochen reformwilliger Papst. Er versuchte, der Erfüllung des pastoralen Auftrags der K ­ irche Geltung zu schaffen und somit auf die seit Benedikt XIII. Orsini (1724 – 1730) wieder zunehmend geforderte Spiritualisierung von ­Kirche und Papsttum hinzuwirken. Tiefgreifende Auswirkungen zeitigten seine auf eine Wiederbelebung des tridentinischen Reformgeistes zielenden Initiativen aber nicht, trafen sie doch auf den Widerstand einflussreicher, um ihre Privilegien fürchtenden Kurienkreise.5 Auch im Hinblick auf die außenpolitischen Aktivitäten muss sein Pontifikat als Zeit der Kompromisse bezeichnet werden, womit es einmal mehr zum Ausdruck jener krisenhaften politischen Entwicklung wurde, die das Papsttum spätestens seit dem Westfä­lischen Frieden 1648 ergriffen hatte und die seit dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) irreversibel war. Denn bei den beiden für das euro­päische Mächtegleichgewicht zentralen Auseinandersetzungen, dem Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 – 1748) und dem Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763), spielte Rom nur eine marginale Rolle.6 In beiden Konflikten gelang es Benedikt XIV. nicht, der politischen Autorität des Aposto­lischen Stuhles wieder mehr Geltung zu verschaffen. Um dem gänz­lichen Abstieg des Papsttums in die politische 3

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Zum Pontifikat Benedikts XIV . allgemein vgl. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI /1, S. 1 – 439. Eine kurze Zusammenfassung mit den wichtigsten Ereignissen des Pontifikats, die sich aber hauptsäch­lich auf Pastor stützt, gibt Rosa, Benedetto XIV (2000). Zu Benedikt XIV . und seiner ambivalenten Posi­tion ­zwischen ­Kirche und Aufklärung vgl. Garms-­C ornides, Benedikt XIV . (1997). Rosa, Tra Muratori, il giansenesimo e i lumi (1969). Der Rezzonico-­Papst revidierte diesen Kurs und enttäuschte somit die Hoffnungen auf eine Öffnung gegenüber den mit dem Jansenismus verbundenen gesellschaftspolitischen Reformbewegungen. Vgl. auch Dammig, Il movimento giansenista (1945). Vgl. dazu Fiorani, Il Concilio Romano (1977), bes. S. 146, 193 – 217; Fattori, Il Concilio provin­ ciale (2008); Cecchelli (Hg.), Benedetto XIV (1981); Garms-­Cornides, Storia, politica e apologia (1999); Zanotti (Hg.), Prospero Lambertini (2004). Gross, Rome in the Age of Enlightenment (1990), S. 11 charakterisiert die zunehmende Handlungsunfähigkeit der Kurie dann auch mit dem Ausdruck: „[…] Post-­Tridentine Syndrome. The characteristic of this syndrome will be show and gradual loss of active energy, marked, among other feature, by a perceptible, if not always overt, seculariza­tion and the loss of efforts at reversing the trend. In general, there is a certain amount of inertia and disorder, but not wilfull retrogression. In other words, the weakness is not clerical government per se, as used to be asserted by anticlericals, but as clerical government that had lost its overall integrative vision and direc­tion. Whether we approve that direc­tion and vision is immaterial to the theme.“ Zur Rolle Roms im Siebenjährigen Krieg vgl. Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (1985).

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Bedeutungslosigkeit entgegenzuwirken, sah er sich im Verhältnis zu den katho­lischen Potentaten vielmehr zu Zugeständnissen gezwungen, die deren staatskirch­liche Ansprüche verfestigten. So unterzeichnete er bereits 1741 ein das Königreich Neapel betreffendes Konkordat, das die Rechtsgültigkeit päpst­licher Bullen oder Breven an die vorherige Bestätigung des Königs band.7 Bezüg­lich Spaniens musste er 1753 ähn­lich folgenreiche Zugeständnisse machen, w ­ elche die könig­lichen Vergaberechte von Benefizien betrafen.8 Auch im letzten Konkordat seiner Regierungszeit, das er 1757 mit Kaiserin Maria ­Theresia schloss, kam er nicht umhin, sich ihren Vorstellungen hinsicht­lich der Besteuerung kirch­ licher Besitztümer in der von den Habsburgern regierten Lombardei zu beugen.9 Neben ­diesem stetigen Ringen um kirchenpolitische Prärogativen prägte eine weitere Kontroverse das Pontifikat des Lambertini-­Papstes, die ebenfalls für den Ausgang des Konklaves von Bedeutung sein sollte: die Diskussion um die Zukunft des Jesuitenordens. Der 1534 von Ignatius von Loyola gegründete, als besonders papstnah geltende und weltweit tätige Orden hatte die Speerspitze der katho­lischen Erneuerung und der Gegenreforma­tion dargestellt. Im 18. Jahrhundert geriet er wegen seiner politischen Autonomie und seiner vermeint­lich konspirativen Tätigkeiten seitens der katho­lischen Potentaten zunehmend ins Kreuzfeuer. 1750 ließ der portugie­sische König die Jesuiten zunächst aus den übersee­ ischen Kolonien ausweisen und forderte die Auflösung des Ordens – ein Ansinnen, das zunehmend die Unterstützung Spaniens und Frankreichs fand. Benedikt XIV. gab ­diesem Druck jedoch nicht nach, sondern beauftragte noch kurz vor seinem Tod den portugie­ sischen Reform-­Jesuiten und Patriarchen von Lissabon, Kardinal Francesco Saldanha, mit der Visita­tion des Ordens. Aber wegen der angeb­lichen Planung eines Mordanschlages auf Joseph I. (1758) wurden die Jesuiten im ersten Pontifikatsjahr Clemens’ XIII. schließ­lich doch aus Portugal verwiesen und ihr Besitz von der Krone konfisziert.10 Das sich z­ wischen innerkirch­lichem Reformbedarf, ausgeprägten jurisdik­tionalen Inte­ ressenkonflikten und Jesuitenkontroverse aufbauende politische Spannungsfeld bestimmte somit das taktische Wahlverhalten der am 15. Mai 1758 ins Konklave einziehenden Kardinäle, deren Entscheidungsautonomie durch die massive Einflussnahme seitens der katho­ lischen Großmächte allerdings stark eingeschränkt war. Die komplexe Interessenlage schlug sich auch in einer politisch diffizilen Fak­tionsbildung nieder, die rasch zur Blockade der Entscheidungsfindung führte.11

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Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S.  37 f.; Melpignano, L’anticurialismo (1965); Spedicato, I requisiti (1975); Rosa, Benedetto XIV (2000), S. 449. 8 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S.  41 – 54; Olaechea, Concordato de 1753 (1972); Rosa, Benedetto XIV (2000), S. 449. 9 Sebastiani, La tassazione (1969); Rosa, Benedetto XIV (2000), S. 450. 10 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 338 – 354, 547 – 601. Zur Geschichte des Jesui­ tenordens vgl. auch das exzellente Überblickswerk von Pavone, I gesuiti (2004). 11 Die folgende Beschreibung des Konklaves stützt sich im Wesent­lichen auf Pastor, Geschichte der Päpste (1929), Bd. XVI/1, S. 443 – 453. Einige Ergänzungen und Korrekturen bei Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (1985), S. 187 – 210.

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Bereits zu Beginn des Konklaves formierten sich zwei Lager, die ihrerseits aus jeweils zwei Fak­tionen bestanden. Das erste Lager umfasste mit den Kreaturen Papst Clemens’ XII. Corsini (1730 – 1740) die so genannte Gruppe der „Alten“, die vom ehemaligen Kardinalnepoten Neri Corsini geführt wurde, sowie die Gruppe der zelanti, die unter der Führung des Kardinals Giuseppe Spinelli als Reformfak­tion auftrat. Die ­diesem Lager angehörenden Kardinäle wurden als die Kurialen bezeichnet, da sie sich vorrangig nicht über eine Bindung an einen euro­päischen Monarchen definierten. Bezüg­lich der Kandidatenauswahl bestand z­ wischen ihnen aber keine Interessenkonvergenz. Die zum Lager der Na­tionalen bzw. – wie es bei Pastor heißt – zur „Union der Kronen“ zählenden Purpurträger verdankten ihre Kardinalsernennung hingegen dem Vorschlag eines Potentaten oder waren aufgrund ihrer Herkunft eng an einen euro­päischen Souverän gebunden. Die „Union der Kronen“ sollte auf Betreiben der den Habsburgern sowie den franzö­ sischen Bourbonen verpflichteten Kardinäle zustande kommen. Dieses demonstrative Einvernehmen war die lo­gische Konsequenz ihrer Bündnispartnerschaft im schon zwei Jahre andauernden Siebenjährigen Krieg; ein Umstand, den Pastor bei der Analyse der Papstwahl nicht berücksichtigt, wohl aber Johannes Burkhardt, zumal er für die Dynamik des Konklaves von entscheidender Bedeutung war.12 Denn obwohl Österreich und Frankreich bezüg­lich der Kandidatenwahl durchaus ebenfalls uneinig waren, mussten sie im Hinblick auf den Krieg gegen Preußen und seine Verbündeten, der insbesondere von Friedrich II. propagandistisch zum Konfessionskrieg stilisiert wurde, doch unbedingt einen Kompromiss finden. Im Lager der Na­tionalen schien die kaiser­lich-­habsbur­gische Fak­tion, die auch auf die Kardinäle der habsbur­gischen Nebenländer Mailand und Toskana sowie auf vier savoyisch-­piemonte­sische Purpurträger zählen konnte, anfangs zu dominieren, während die franzö­sischen Bourbonen ledig­lich über zwei Kardinäle verfügten und die Annäherung an Spanien, Portugal, Venedig und den Kardinalprotektor Polens suchten. Angesichts der relativen Schwäche der „Union der Kronen“ ergriffen zunächst die Kuria­len die Initiative. Sowohl die von der Fak­tion der „Alten“ ins Spiel gebrachte Kandidatur Spinellis als auch die Aufstellung des Kardinals Alberico Archinto als von einigen Höfen unterstützter Kandidat der zelanti scheiterten rasch. Giuseppe Spinelli wurde von den Neapolitanern als untragbar angesehen. Er hatte in seiner Amtszeit als Erzbischof von Neapel den Versuch unternommen, dort die Inquisi­tion einzuführen, was aufgrund der vehementen Proteste der Neapolitaner zu seiner sofortigen Abberufung geführt hatte. A ­ rchintos Kandidatur zerbrach hingegen am Widerstand der „Alten“, die mög­licherweise in dem von Benedikt XIV. 1756 ernannten und im gleichen Jahr zum Staatssekretär eingesetzten Kardinal eine zu starke Kontinuität des eben zu Ende gegangenen Pontifikats fürchteten. Erst das um rund zwei Wochen verspätete Eintreffen einiger na­tionaler Kardinäle sollte den Verhandlungen Anfang Juni 1758 neue Impulse geben. Mit der Ankunft des Kardinals Paul d’Albert de Luynes, der im Auftrag der franzö­sischen Krone den im Kollegium außerordent­lich gut vernetzten Kardinal Girolamo Colonna di Sciarra zum Protektor

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Ebd., S.  199 – 204.

Die Wahl Clemens’ XIII. Rezzonico und die Folgen  |  189

ernannte,13 wurde zunächst die franzö­sische Posi­tion gestärkt. Tatsäch­lich scheiterte die aussichtsreiche Kandidatur des Kardinals Carlo Alberto Guidobono Cavalchini, für dessen Wahl man aus den unterschied­lichsten Lagern relativ viele Stimmen zusammengetragen hatte, dadurch, dass Luynes von dem Frankreich als Großmacht zustehenden Exklu­ sionsrecht Gebrauch machte. Allerdings verursachte dies die tiefe Verärgerung dermaßen vieler Kardinäle, dass eine breitere Unterstützung für eine franzö­sische Kandidatenaufstellung nun ausgeschlossen schien. Mit Blick auf die kommenden Ereignisse darf daraus geschlossen werden, dass gerade die franzö­sische Exklusive den kaiser­lichen Einfluss auf die Na­tionalen wachsen ließ und der Wahl Rezzonicos den Weg ebnete. Denn als letzter Kardinal erreichte schließ­lich am 29. Juni 1758 Franz Casimir von Rodt, Bischof von Konstanz, das Konklave. Zuvor war er in Wien gewesen, um sich dort die kaiser­lichen Instruk­tionen für die Papstwahl abzuholen. Unter den Konklavebeobachtern war man allgemein der Auffassung, dass seine Ankunft die zähen Auseinandersetzungen beenden und eine baldige Entscheidung herbeiführen werde. Noch waren die Kardinäle Marcello Crescenzi und Camillo Paolucci die heiß umkämpften Kandidaten. Beide mussten jedoch fallengelassen werden: Crescenzi war auf Rodts Instruk­tionsliste zwar als papabile aufgeführt, wurde jedoch erst nach Paolucci genannt; Paolucci wurde hingegen von den Franzosen nicht akzeptiert. Die nun von franzö­sischer Seite vorgebrachten Kandidaten Bardi, Tempi, Lante oder Imperiali fanden weder bei Rodt Zustimmung noch bei Corsini und der von ihm geführten Kardinalsfak­tion der „Alten“. So kam es schließ­lich zu Verhandlungen um einen Kompromisskandidaten. Relativ schnell konnte sich Rodt mit dem Führer der zelanti auf den siebenundsechzigjährigen Carlo Rezzonico einigen, den schon Neri Corsini als mög­lichen Kandidaten ins Spiel gebracht hatte, handelte es sich doch um eine Kreatur seines Onkels Clemens XII . Dem Bischof von Padua, dessen persön­liche Frömmigkeit und pastoralen Einsatz bereits ­Benedikt XIV. 1746 in einem Brief an seinen Vertrauten Kardinal Tencin herausgestrichen hatte,14 schien vor allem das Wohl der K ­ irche am Herzen zu liegen; und zumindest nach außen hin zeigte er keinerlei ausgeprägte Sympathien für eine der politischen Gruppie­ rungen und deren rivalisierende Interessen. Auch mit Blick auf die im neuen Pontifikat vermeint­lich anstehende Entscheidung hinsicht­lich der Zukunft des Jesuitenordens konnte man mit seiner Kandidatur sowohl projesuitische als auch antijesuitische Inte­ ressen befriedigen. Denn es war anzunehmen, dass Carlo Rezzonico nicht zum Äußersten, das heißt zur befürchteten Auflösung des Ordens schreiten würde, da er selber von den Jesuiten erzogen worden war. Zudem mangelte es ihm nach allgemeinem Dafürhalten an politischer Durchsetzungskraft, was insbesondere seitens der Großmächte geradezu 13 Zum äußerst einflussreichen Kardinal Colonna di Sciarra, der an der Kurie eine Schlüsselposi­tion einnahm, gibt es erstaun­licherweise nicht einmal einen Eintrag im DBI. Auf ihn wird noch einmal im Kap. IV.3. und IV.5. der vorliegenden Arbeit eingegangen. 14 Benedikt XIV. an Kardinal Tencin am 17. August 1746: Il cardinal Rezzonico, vescovo di Padova, è assolutamente il prelato più degno che abbiamo in Italia. Morelli (Hg.), Le lettere di Benedetto XIV (1955 – 1984), Bd. 1, S. 355. Auch bei Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 462.

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als eine Garantie begriffen wurde, durch geschickte Manöver den nötigen Einfluss auf die Entscheidungen des zukünftigen Papstes behalten zu können – und dies nicht nur im Hinblick auf die Jesuiten. Ein Profil Carlo Rezzonicos liefert der anonyme Autor eines sich heute in der Biblioteca Marciana in Venedig befind­lichen Berichts über die im Konklave versammelten Kardinäle, der vermut­lich nach der Wahl verfasst wurde: Come era noto ad ognuno questo Cardinale aveva maggiori capitali di fortuna che di meriti, ma, benché con poca abilità, per una illibatezza di costumi ed un genio alla divozione, che lo aveva reso sempre rispettabile in tutti li stati sì di Prelato che di Cardinale in Roma e di Vescovi in Padova, veniva a non dispiacere e se non fosse stato affatto spogliato di quei talenti, abilità, cognizioni, ed esperienze che si ricercano in chi deve governare […] forse avrebbe dovuto esser considerato non degli ultimi.15

Demnach kennzeichneten Carlo Rezzonico in erster Linie seine große Frömmigkeit und ein untadliger Lebenswandel; Eigenschaften, die ihn allerdings ledig­lich zu einem „respektablen“ Kandidaten gemacht hätten, da es, so der Verfasser, dem Bischof von Padua an (politischem) Geschick, an Umsicht und Erfahrung fehle. Die eigent­lichen Qualitäten Rezzonicos bestünden vor allem aus capitali di fortuna, ein zeitgenös­sischer Terminus, der all jene Faktoren umfasste, die einen erfolgreich agierenden Familienverband auszeichneten. Es wurde bereits gezeigt, auf w ­ elche Weise die Rezzonico ihre fortune zielstrebig und genera­tionsübergreifend ausgebaut hatten. Aufgrund ihrer in den letzten rund einhundert Jahren verfolgten Statusstrategie, die gleichermaßen auf guten Beziehungen zum Reich wie zu Rom gründete, waren sie zum Zeitpunkt des Konklaves entsprechend gut posi­ tioniert. Diese Gesamtkonstella­tion um den Papstkandidaten aus dem Hause Rezzonico war auch dem Verfasser des Konklaveberichtes nicht verborgen geblieben. Sein Persön­lichkeitsprofil machte den venezianischen Kardinal schließ­lich zu einem idealen Kompromisskandidaten. Nach Rezzonicos Aufstellung konnten innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Stimmen für ihn gesammelt werden. Schon eine Woche nach Ankunft des kaiser­lichen Kardinals Rodt fiel die Wahl am 6. Juli 1758 mit 31 von 44 Stimmen auf den Venezianer. In Erinnerung an Clemens XII. Corsini, der ihn zum Kardinal kreiert hatte, nahm er den Namen Clemens XIII. an. So überraschend und allein Rezzonicos fast sprichwört­licher Frömmigkeit und seinem politischen Desinteresse geschuldet, war seine Wahl also mitnichten, obwohl dieser Tenor auch noch auf der anläss­lich des 250-jährigen Pontifikatsbeginns 2008 in Padua organisierten Tagung zu hören war.16 Schon Pastor und jüngst auch Trebbi haben auf die ­entscheidende 15 BMVe, Ms. It., cl. VII, 917, fol. 273r, zitiert nach Moschetti, Venezia (1890), S. 14. 16 Eine kurze Besprechung der Tagung bei Del Negro, Carlo Rezzonico (2009). Auch der nun erschienene Tagungsband Del Negro / Gios / Nante, Carlo Rezzonico (2013) revidiert ­dieses Urteil nicht.

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Rolle Rezzonicos in den Verhandlungen im lange währenden Konflikt z­ wischen der Serenis­ sima und dem Reich um das gewissermaßen unter kaiser­lich-­venezianischer Doppel­ herrschaft stehende Patriarchat Aquileia verwiesen.17 Er war erfolgreich als Vermittler aufgetreten, als die Republik Venedig der von Papst Benedikt XIV. verabschiedeten Lösung (die Schaffung zweier neuer Bistümer) ihre Zustimmung verweigerte.18 Dies war zweifellos einer der Gründe, warum Kardinal Rezzonico 1750, als der schlechte Gesundheitszustand Benedikts XIV. ein baldiges Konklave erwarten ließ und gleichzeitig die Aquileia betreffenden Verhandlungen ­zwischen Venedig und dem Reich hitzig geführt wurden, in einem Bericht des kaiser­lichen Gesandten Migazzi unter die mög­lichen papa­ bile gezählt wurde 19 und das, obwohl er Venezianer war. Im Konklavejahr 1758, in welchem die katho­lischen Großmächte Österreich und Frankreich gemeinsam gegen die protestantischen Verbündeten Preußen, Kur-­Hannover und England kämpften, konnte ein venezianischer Papst hingegen mög­licherweise ein stabiles Verhältnis zu Venedig, das in ­diesem Krieg bisher eine neutrale Posi­tion eingenommen hatte, wenn nicht garantieren, so doch begünstigen und dem ­Kaiser somit politisch gesehen den Rücken stärken. Von den beiden venezianischen Kardinälen, die am Konklave teilnahmen, konnte Daniele Dolfin schon deshalb nicht zu einem kaiser­lichen Wunschkandidaten werden, weil er als letzter Patriarch von Aquileia und erster Bischof des neu gegründeten Bistums Udine das Konfliktpotential des österreichisch-­venezianischen Verhältnisses bereits als Person in sich trug.20 Rezzonico hingegen, der Dolfin bereits 1737 im „Rennen“ um die Kardinalswürde aus dem Feld geschlagen hatte 21 und dessen Familie durch ihre wirtschaft­lichen Interessen über eine enge Beziehung zum Kaiserhaus verfügte, mochte damit für den K ­ aiser einen mög­lichen Garanten einer prohabsbur­gischen Politik während des folgenden Pontifikates darstellen, die er in den Wirren des Krieges dringend gebrauchen konnte. Am Ende hatte somit die von den Rezzonico in Venedig auch in ihrer visuellen Selbstdarstellung wiederholt beschworene Reichsbindung die Familie von einer Kaufmannsfamilie zur Papstfamilie aufsteigen lassen. Clemens XIII. wird mög­licherweise nicht die ganze historische Spannbreite und die Doppeldeutigkeit seiner Aussage im Blick gehabt 17 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S.  408 – 413; Trebbi, Il cardinale Rezzonico (2013). Vgl. dazu auch die umfangreiche Studie von Seneca, La fine del Patriarcato (1954). 18 Siehe Kap. II.6. 19 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 443. Pastor nennt keinen Vornamen des Gesandten, aber es ist zu vermuten, dass es sich bei ihm um den aus Trient stammenden Christoph Anton Migazzi von Waal und Sonnenthurn handelt, der 1761 von Clemens XIII. zum Kardinal kreiert wurde. 20 Bereits seit 1714 war Daniele Dolfin Koadjutor seines Onkels Dionisio, der seit 1699 Patriarch von Aquileia war. Dionisio holte ihn 1734 in ­dieses Amt, das die Familie seit der Ernennung Giovanni Dolfins 1657 ununterbrochen innehatte. Vgl. dazu die Stammtafeln bei Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 315 – 320, bes. S. 317 f. Zur Vita Daniele Dolfins vgl. auch den Eintrag von Preto im DBI 40 (1997), S. 479 – 481. 21 Siehe Kap. II.5.

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haben, als er Kardinal Rodt unmittelbar nach seiner Wahl mit den Worten dankte: „Ihnen verdanke ich alles, was ich bin.“22 Seine Ergebenheit gegenüber dem K ­ aiser brachte er auch in einem Schreiben an diesen vom 10. Juli 1758 zum Ausdruck, in dem er für die Mithilfe Österreichs bei seiner Wahl dankte. Einen Monat s­ päter wurde der neue kaiser­ liche Gesandte Clerici in einer nach Pastors Worten „hochfeier­lichen“ Audienz beim Papst zugelassen.23 Der Papst und Venedig Während für den K ­ aiser die Wahl eines venezianischen Papstes einen wesent­lichen Faktor in seiner Bündnispolitik darstellen musste, barg für viele andere, und nicht zuletzt für die Venezianer selbst, die Wahl Rezzonicos eine gewisse Überraschung. Denn niemand hatte es zu ­diesem Zeitpunkt für mög­lich gehalten, dass ein Venezianer nach dem Tod Benedikts XIV . den Stuhl Petri besteigen würde. Das Verhältnis ­zwischen der Serenissima und dem Heiligen Stuhl war 1754 auf einem neuer­lichen Tiefpunkt angelangt und die diplomatischen Spannungen, die seitdem ­zwischen den beiden Staaten herrschten, ließen Erinnerungen an die Zeiten des Interdikts von 1606/07 aufkommen.24 Bereits 1756 schrieb der franzö­sische Botschafter Étienne-­François de Choiseul mit Hinblick auf das nächste Konklave in seiner Charakterisierung einzelner Kardinäle über Rezzonico, dieser sei homme de mérite dans son état et propre à la papauté s’il n’ètait pas Vénitien.25 Auslöser für das schlechte Verhältnis z­ wischen dem Papst und der Republik war jener Streit um das Patriarchat Aquileia, in dem Kardinal Carlo Rezzonico eine Vermittlerrolle einnehmen sollte.26 Obwohl Venedig dem Kompromiss der Auflösung des Patriarchats und der Gründung zweier neuer Bistümer zustimmte, konnte es den Verlust Aquileias nur schwer verschmerzen. Nachdem der ­Kaiser bereits am 18. April 1752 die Teilung anerkannte und mit dem ihm zuerkannten Nomina­tionsrecht Karl Michael von Altemps als Bischof des neu geschaffenen Bistums Görz einsetzte, ließen sich die Venezianer mit der offiziellen Nominierung ihres Bischofs für das ihnen zugesprochene Bistum Udine Zeit. Erst im Januar 1753 wurde Daniele Dolfin, der letzte Patriarch von Aquileia, als erster Bischof von Udine proklamiert. Kurze Zeit ­später, und sicher­lich nicht ohne Hintergedanken, beauftragte der venezianische Senat Sebastiano Foscarini, savio di Terraferma und damit an einer Schlüsselposi­tion 22 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), XVI/1, S. 452. 23 Ebd., S. 452 f. 24 Zum Interdikt 1606/07 vgl. Reinhard, Paul V. Borghese (2009), S. 585 – 604. Zum angespannten Verhältnis ­zwischen Venedig und Rom hinsicht­lich der Kirchenpolitik im 18. Jahrhundert vgl. auch Trentafonte, Giurisdizionalismo (1984). 25 Bountry, Choiseul à Rome (1859), S. 247. 26 Vgl. Kap. II.5., Anm. 83.

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der Festlands-­Verwaltung tätig, mit der Untersuchung der sowohl vom Klerus als auch vom Volk verübten Missbräuche in ekklesiastischen Angelegenheiten, die nicht zuletzt auch die Benefizienvergabe betrafen. Der detaillierte Bericht, den Foscarini am 15. Juli 1753 vorlegte, verzeichnete ausreichend viele Verstöße gegen die venezianischen Gesetze, um dem Senat als Grundlage für das ein Jahr s­ päter, am 7. September 1754 verabschiedete Dekret zu dienen, in welchem die Serenissima ihren Untertanen verbot, ohne ausdrück­ liche staat­liche Genehmigung um Gnaden oder Dispens in Rom zu ersuchen.27 Benedikt XIV . war darüber in höchstem Maße erzürnt, da er in d ­ iesem Dekret einen außerordent­lichen Eingriff in die päpst­liche Verfügungsgewalt erblickte. Doch seine Aufforderungen, das Dekret zurückzunehmen, blieben auf venezianischer Seite ungehört und die Verhandlungen, zu denen zwei explizit mit dieser Aufgabe betraute venezianische Kommissare sowie der venezianische Nuntius zusammenkamen, blieben folgenlos. So verlegte sich der Papst auf Drohungen und kündigte Venedig im Sommer 1755 an, dass er im Falle ihres weiteren Festhaltens an dem Dekret die Republik bei der nächsten Kardinalsernennung übergehen würde. Um Worten auch Taten folgen zu lassen, entließ er kurz darauf den venezianischen Rotaauditor Bischof Giovanni Molin und schickte ihn unter Berufung auf die bischöf­liche Residenzpflicht zurück in seine Diözese Brescia.28 Zum Ärger der Serenissima befand sich bei der nächsten Kardinalspromo­tion im April 1756 tatsäch­lich kein Venezianer unter den von Benedikt kreierten Kardinälen, obwohl diese Promo­tion ausschließ­lich der Ernennung na­tionaler Kardinäle vorbehalten war und Venedig bereits einen festen Kandidaten aufgestellt hatte.29 Dass es sich dabei um den bereits von Benedikt XIV . als Rotaauditor seines Amtes enthobenen Giovanni Molin handelte, ist den Diarien des venezianischen Patriziers Pietro Gradenigo (1697 – 1776) zu entnehmen, die überhaupt einen reichen Fundus an Informa­tionen zum politischen, sozia­len und künstlerischen Tagesgeschehen in der Serenissima um die Jahrhundertmitte darstellen:30

27 Pesenti, Roma e Venezia (1910), S. 393 – 402. Dort findet sich das Protokoll der Senatssitzung vom 7. September 1754. In aller Kürze umreißt ­dieses Zerwürfnis auch Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 414. 28 Pesenti, Roma e Venezia (1910), S. 419. Seine Ernennung zum Bischof von Brescia war am 17. ­Februar 1755 erfolgt. 29 Der Papst hatte jedoch zuvor den venezianischen Botschafter über diese seine Entscheidung informiert: Avendo il Re di Francia fatto portare alla Santità Sua pressanti istanze perchè si determinasse alla promozione de’ Cardinali per le Corone, fu fatto intendere all’Ambasciatore Veneto, che la Repubblica ne sarebbe esclusa per questo che vertendo tra essa e la Corte romana la controversia circa il Decreto del 7 Set­ tembre, non doveva il Pontefice usar verso di Lei alcuna gratificazione. ASVe, Consulturi in Jure, filza 247, Complemento della Relazione storica, fol. 274r. Zitiert nach Pesenti, Roma e Venezia (1910), S. 432. Zu den Vorkommnissen siehe auch die Berichte des venezianischen Botschafters Pietro Andrea Cappello in ASVe, Dispacci di Roma, filza 344 (6. März 1756); filza 348 (20. März 1756). 30 Ausschnitte aus den Diarien, die venezianische Kunstproduk­tion betreffend, wurden bereits von Livan, Notizie d’arte (1942) veröffent­licht. Die Diarien befinden sich im Museo Correr in Venedig und umfassen die Jahre 1747 – 1774.

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Con Corriere apresso da Roma spedito dall’Ambasciatore Capello si seppe, che Papa Benedetto XIV. (Lambertini, Bolognese) a dì 4 del corrente mese creò li seguenti Cardinali, per conto delli Monar­ chi, e Re Cristiani. Sospese S. Santità di pronunciare quello, che conveniva secondo il consueto, alle indebitate Prerogative della Serenissima Republica di Venezia, e della Città, che attendeva saltato il nome di Mons. Giovanni Molin fu de M. Marco, già Auditore della S. Rota, ed ora Vescovo di Brescia, degno fratello del marito di una sorella del suddetto Ambasciatore, il quale torto fu sensibile al Senato, tanto più che ad esso Pontefice diede sempre convincenti pruove di stima, e di non poco momento, nota a tutta l’Europa.31

Gerade wegen dieser Demütigung waren die Venezianer nun umso weniger bereit, das umstrittene Dekret zurückzunehmen. Erst 1757 kam es auf Vermittlung des franzö­sischen Königs und des Kaisers in Venedig zu neuer­lichen Verhandlungen ­zwischen den Vertretern der beiden Parteien, wobei der Papst nun nicht mehr die Aufhebung des Dekretes forderte, sondern vorerst nur seine Aussetzung. Und obwohl die Angelegenheit für Venedig immer mehr zur Statuierung eines Exempels in Sachen der Autonomie seiner Staatsführung geriet, musste die Serenissima bei den bereits spürbaren Konsequenzen um eine zunehmende Schwächung ihrer Stellung in Rom fürchten, wodurch sie schließ­lich zum Einlenken gezwungen war. Doch erst am 18. März 1758, wenige Wochen vor dem Tod Benedikts XIV., verabschiedete der venezianische Senat einen Erlass, durch den das antirömische Dekret seine Rechtsgültigkeit verlor, vorerst allerdings nur für einen Zeitraum von vier Monaten.32 Vor d ­ iesem Hintergrund war die Wahl Clemens’ XIII . für die Venezianer doppelter Grund zur Freude, da man berechtigten Grund zu haben glaubte, auf eine Besserung der politischen Beziehungen zu Rom hoffen zu dürfen. Rezzonico war nach Eugen IV . Condulmer (1431 – 1447), Paul II . Barbo (1464 – 1471) und Alexander VIII . Ottoboni (1689 – 1691) der vierte Venezianer, der nach dem Ende des Großen Abendländischen Schismas den Stuhl Petri bestieg.33 Zwei Tage nach Eintreffen der Nachricht seiner Wahl, die Venedig am 8. Juli 1758 erreichte, wurden acht Senatoren zu außerordent­ lichen Botschaftern der Republik ernannt, die dem Papst in Rom die Glückwünsche seiner Heimatstadt überbringen sollten.34 Bereits zuvor hatte man angeordnet, dass in den folgenden Tagen in Venedig und in den Städten der terra ferma als ­­Zeichen der Freude und Dankbarkeit alle Glocken zu läuten hätten. Überall wurden Messen gefeiert, Prozessionen abgehalten und an drei aufeinanderfolgenden Tagen waren die Piazza 31 BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 3, fol. 69v (8. April 1756). 32 Pesenti, Roma e Venezia (1910), S. 447. Das Aussetzungsdekret trat am 1. April in Kraft. 33 Zählt man den Gegenpapst Gregor XII. Corner (1406 – 1415) zur Zeit des Schismas dazu, so war Rezzonico der fünfte venezianische Papst. 34 Zu außerordent­lichen (Gratula­tions-)Botschaftern wurden Alvise Mocenigo, Marco Foscarini, Alessandro Zen, Angelo Contarini, Antonio Diedo, Pietro Correr, Andrea Tron und Paolo Renier ernannt. ASVe, Segretario alle Voci, Elezione in Pregadi, reg. 24, fol. 67.

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und Piazzetta von San Marco, deren Gebäude von Fackeln erleuchtet waren, Schauplatz spektakulärer Feuerwerke.35 Wie zahlreichen zeitgenös­sischen Berichten zu entnehmen ist, standen die Familie des Papstes und die mit ihnen verschwägerten Familien im Aufwand, mit welchem sie ­dieses Ereignis in Venedig begingen, den von der Serenissima veranstalteten Festivitäten zu Ehren Clemens’ XIII. kaum nach.36 Vor dem Palazzo der Rezzonico am Canal Grande, wie auch vor dem am Canal Cannaregio gelegenen Palazzo der Savorgnan, der Schwiegereltern des Papstneffen Ludovico, waren auf Booten ephemere Architekturen verankert, die sich am Abend als phantasievolle Feuerwerksapparaturen entpuppten.37 Drei Tage lang, so weiß ein anonymer Zeitgenosse zu berichten, wurde auf Veranlassung des Papstbruders ­Aurelio Rezzonico Brot und Geld aus den Fenstern des nunmehr päpst­lichen Familienpalastes dem Volk zugeworfen, welches sich in Booten auf dem Wasser tummelte. Auch die Paläste der mit der Papstfamilie verschwägerten Barbarigo, Giustinian und Widmann waren allabend­lich hell erleuchtet und Ort fest­licher Empfänge.38 Selbst die Nonnen des Klosters Santa Catarina, zu denen die Nichten des Papstes Vittoria und Adrianna zählten, nahmen an der Ausgestaltung der Feier­lichkeiten teil.39

35 Sofort nach Eintreffen der Nachricht über Rezzonicos Wahl beauftragte der Senat einen der fünf savi della Terraferma mit der Durchsicht aller Unterlagen, die über den Modus der bei ähn­lichen Anlässen in der Vergangenheit abgehaltenen Fest­lichkeiten Auskunft gaben, um Direktiven für die nun auszugestaltenden Feiern zu erarbeiten. Hauptaugenmerk wurde dabei natür­lich auf die anläss­lich der Wahl Alexanders VIII . Ottoboni ausgerichteten Fest­lichkeiten gelegt. Vgl. Del Nista, Le feste per Clemente XIII (2008), S. 37, 42, Anm. 2. Dort, wie auch in ASV e, ­Consiglio, Cerimoniali, Bd. IV , fol. 193 ff., findet sich weiterführendes Material, das über die zu Ehren Clemens’ XIII . abgehaltenen, Tage dauernden Fest­lichkeiten Auskunft gibt. Zum Zeremoniell anläss­lich solcher Ereignisse und zur Festkultur in Venedig allgemein vgl. Azzi Visentini, Venezia in festa (2007). 36 Eine gute Zusammenstellung der zahlreichen Berichte über die venezianischen Fest­lichkeiten bietet Moschetti, Venezia e la elezione (1890). 37 Ein Stich mit der Ansicht dieser Apparaturen befindet sich in Venedig im Museo Correr. Vgl. Del Nista, Macchine di fuochi (2008). 38 Moschetti, Venezia e la elezione (1890), S. 24. 39 Ebd., S. 25. Nach ihrem Eintritt ins Kloster hatte die 1727 geborene Vittoria den Namen Maria Luigia und ihre neun Jahre jüngere Schwester Adrianna den Namen Maria Quintilia angenommen. Maria Luigia wurde am 13. April 1761 von Clemens XIII. zur Äbtissin des Klosters ernannt, dem sie bis zu ihrem Tod 1791 vorstand. Das Ernennungsbreve vom 13. April 1761 befindet sich in BCVe, Cicogna 3176, fol. 114. Das Sterbedatum Maria Luigias ist einer ihr gewidmeten Leichenrede zu entnehmen. BCVe, Cicogna, 3427: ORAZIONE FUNEBRE / PER LA MORTE SEGUITA / LI 8 GIUGNO 1791 / DELLA REUNIA MADRE ABBADESSA / DEL ­NOBILISSIMO ­MONASTERO / SANTA CATTERINA / LA NOBIL DONNA / MARIA LUIGIA REZZONICO / Recitata in detta Chiesa / Dall’Abb:e N. N. Über die jüngere Schwester Adrianna ist bisher nur ihr Eintritt am 10. September 1754 ins Kloster S. Caterina und am 1. Oktober 1755 in den Augustinerorden bekannt. Beide Male war Kardinal Carlo Rezzonico anwesend. BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 2, fol. 111v (10. September 1754); Bd. 3, fol. 40r (1. Oktober 1755).

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Die Rezzonico als Papstfamilie in Venedig Doch Anlass zur Freude gab den Rezzonico nicht allein die Wahl eines Angehörigen auf den Stuhl Petri. Es zeigten sich sofort Synergieeffekte, w ­ elche die s­ozia­le Stellung der Familie innerhalb der Republik noch fester zu verankern schienen. Am gleichen Tag, als der Senat die acht außerordent­lichen Botschafter für die Überbringung der Glückwünsche ernannte, erhob er den Bruder des Papstes, Aurelio Rezzonico sowie dessen Sohn Ludovico in den Stand eines Cavaliere di San Marco, welcher auch als Cavaliere della Stola d’Oro bezeichnet wurde, und verlieh ihnen gleichzeitig das Recht, den Titel an den jeweils erstgeborenen männ­lichen Nachkommen der nächsten Genera­tion weiterzuvererben.40 Dieser einzige Ritterorden der Republik, dessen Mitgliedschaft vom Senat normalerweise nur aufgrund besonderer militärischer oder diplomatischer Verdienste verliehen wurde, war in den allermeisten Fällen personengebunden. Es muss als besondere Auszeichnung der Serenissima gewertet werden, dass er im Falle der Rezzonico zu einem vererbbaren Titel wurde, denn ­dieses Recht durften bis zu ­diesem Zeitpunkt nur drei weitere Familien für sich beanspruchen: die Morosini von Santo Stefano, die Contarini del Zaffo und die Querini von Santa Giustina.41 Wenige Tage s­päter, am 18. Juli 1758, wurde darüber hinaus Aurelio Rezzonico von der Republik zum Prokurator von San Marco ernannt.42 Wenn auch aus der Bezeichnung des Titels procuratore supranominato hervorging, dass seine Ernennung einem besonderen Umstand geschuldet und nicht regulär erfolgt war, so hatte Aurelio doch nun einen der zweitwichtigsten Posten nach dem Dogen inne und rein formal die Mög­lichkeit, von dort aus in ­dieses höchste Amt der Republik aufzusteigen, denn aus den Reihen der Prokuratoren wurde nach einem ungeschriebenen Gesetz der Doge gewählt. Ähn­lich hatte die Republik schon anläss­ lich der Wahl Alexanders VIII. Ottoboni 1689 agiert, indem sie den Papstbruder Antonio

40 BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 4, fol. 116v (8. Juli 1758): Radunatosi due giorni dopo il Senato fece Cavaliere Della Stola d’oro il fratello D. Aurelio, e vennero altresì dì alla dignità in perpetuo insigniti i figli suoi, e li Primogeniti nati da essi. Zum Orden der Cavalieri di San Marco oder della Stola d’Oro vgl. Cabrini, I Cavalieri di San Marco (1898). Die synonym gebrauchte Bezeichnung della Stola d’Oro bezog sich auf die goldene Stola, ­welche der cavaliere über der Schulter trug, und die ihn neben dem Schwert, das ihm erlaubt war zu tragen, kennzeichnete. 41 Die besondere Bedeutung dieser Auszeichnung hob auch der venezianische Nuntius Branciforte in seinem Bericht an den Staatssekretär Archinto in Rom hervor: Nello stesso Pregadi furono creati Cavalieri della Stola d’Oro il Sig. Don Aurelio, Sig. Don Ludovico […] colla perpetuità di Primogenito in Primogenito nella loro Famiglia, il quale onore, quanto è rispettabile, altrettanto è raro, non essendovi, che tre sole Famiglie, che godano di questa decorazione ereditaria nella loro discendenza, cioè quelle di Querini, Contarini, e Morosini. ASV, Segretaria di Stato, Venezia, b. 216, fol. 59r (15. Juli 1758). Dass die Rezzonico den „titolo ereditario di cavaliere, […] per concessione di Papa Clemente XIII“ erhalten hätten, wie Da Mosto, Archivio (1937), Bd. 1, S. 71 konstatiert, ist falsch. 42 BCVe, 4, Notatori, Bd. 3, fol. 119r (18. Juli 1758): Riduzione del Ser.mo. Maggior Consiglio, onde eleggere Procuratore di S. Marco di Supra, e Sopranumerario M. Aurelio Rezzonico, K. r., e Fratello del nuovo Sommo Pontefice Clemente XIII. Vgl. auch Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 87.

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Ottoboni zum procuratore supranominato ernannte.43 Im Falle Aurelio Rezzonicos wurden die von der Republik zu ­diesem Anlass ausgestalteten Feier­lichkeiten allerdings wesent­lich pompöser gestaltet. Die Kosten für die aufwendigen Beleuchtungen der Piazza San Marco und die dort stattfindenden Feuerwerke, w ­ elche die Procuratia de Supra, der Aurelio als Pro44 kurator nun angehörte, drei Tage lang ausrichten ließ, betrugen insgesamt 6000 Dukaten, wohingegen es beim Bruder Alexanders VIII. gerade einmal 2500 Dukaten gewesen waren.45 Ohne Zweifel handelte es sich bei diesen Gunstbeweisen den Rezzonico gegenüber und dem zeremoniellen Aufwand, den man zu ­diesem Anlass betrieb, um ausgesprochen politisches Kalkül: Dem Versuch, sich des päpst­lichen Wohlwollens zu versichern, lag die Hoffnung zugrunde, die Spannungen ­zwischen Venedig und Rom langsam abzubauen. Die Hoffnungen der Republik sollten nicht unberechtigt sein. Bereits einen Tag nach Pontifikatsbeginn hatte der Papst ein Schreiben an den Dogen Francesco ­Loredan (1752 – 1762) aufgesetzt, in welchem er ihm von seiner Wahl persön­lich Mitteilung machte und seine tiefe Verbundenheit gegenüber seiner Heimatstadt zum Ausdruck brachte. Am 5. August bat der Papst in einem neuer­lichen Schreiben den Dogen offiziell um die endgültige Aufhebung des umstrittenen Dekrets von 1754. Auch hier kam die Republik „ihrem“ Papst entgegen und nahm nur eine Woche s­ päter, am 12. August 1758, den Erlass zurück, welcher der Grund der politischen Spannungen ­zwischen dem Kirchenstaat und der Republik gewesen war.46 Es ist davon auszugehen, dass die durch Clemens XIII . vorgenommene Ernennung Giovanni Corners zum venezianischen Rotaauditor am 18. August 1758 als unmittelbare Reak­tion des Papstes auf die Rücknahme des Dekretes anzusehen ist. Denn bezeichnenderweise war Corner bereits 1754 von den Venezianern für d ­ ieses Amt vorgeschlagen worden, doch Benedikt XIV . hatte sich damals, wohl in Anbetracht des schwelenden Aquileia-­Konflikts, für den M ­ odenesen Carlo Levizzani entschieden.47 Schließ­lich sandte Clemens XIII. im Frühjahr 1759 der Republik die erste während seines Pontifikates vergebene Rosa d’Oro.48 Diese kunstvolle Goldschmiedearbeit in Form einer Rose, deren Blüten mit wohlriechenden Essenzen gefüllt waren, wurde seit 1096 43 Francesco Todeschini, Della dignità de’Procuratori di San Marco riconosciuta con tutte le circostanze che la illustrano, BMVe, Ms. It., cl. VII, 612 (8335), fol. 276r. 44 Das Prokuratorat war aufgeteilt in die Procuratia di supra und di oltra, was sich auf entsprechende Stadtviertel Venedigs bezog, die den einzelnen Prokuratoren unterstanden. 45 Francesco Todeschini, (wie Anm. 43), fol. 276r. 46 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 453. 47 BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 4, fol. 130r. Außerdem räumte Clemens XIII. der Serenissima das Recht ein, ihren Rotaauditor eigenständig zu bestimmen. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 966. Bis zu ­diesem Zeitpunkt hatten die Päpste einen der vier von der Serenissima vorgeschlagenen Kandidaten ausgewählt. Gnavi, Carriere e Curia (1994), S. 169 f. Giovanni Corner (1720 – 1789) war der Sohn von Nicolò Corner und Alba Giustinian. Zur Bedeutung dieser Verbindung vgl. Kap. II.3. 1765 wurde er governatore di Roma, 1775 vice-­camerlengo und 1778 Kardinal. Del Re, Monsignor governatore (1972), S. 119; Weber, Legati e governatori (1994), S. 160, 362, 597. 48 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 966.

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vom Papst als besonderes Gunstzeichen an Herrscherhäuser vergeben.49 Zuletzt hatte die Republik 1597 von Clemens VIII. Aldobrandini solch eine Rose bekommen.50 Somit stellte das Exemplar von 1759, welches sich offenbar nicht erhalten hat, ein weiteres Zeichen ­­ des päpst­lichen Willens dar, das Verhältnis zu Venedig entscheidend zu verbessern.51 Hatten die Rezzonico mit der Papstwahl ihren Status innerhalb der Serenissima durch die ihnen zuvor zwar nicht formal, doch als Angehörige der nobiltà nova faktisch verschlossenen höchsten Ehrungen und durch das prestigeträchtige und einflussreiche Prokuratoren-­ Amt zumindest äußer­lich konsolidiert, so bleibt zu fragen, inwieweit diese Konsolidierung innerhalb der Adelsrepublik trug, und wieweit sie von Dauer war. Denn nach wie vor gab es genügend Konfliktpotential z­ wischen dem alten und dem neuen Adel, da der alte Adel auch Mitte des 18. Jahrhunderts nicht bereit war, die Parvenüs an seiner Seite als vollständig ebenbürtig anzuerkennen. Deut­lich belegt dies einer der zahlreichen Konklave­ berichte, welcher in der Biblioteca Correr in Venedig aufbewahrt wird. Darin beschreibt der anonyme Autor, wie Kardinal Dolfin trotz heftigen Zuredens seitens des Kardinals Tamburini auch beim letzten Wahlgang nicht für Rezzonico gestimmt habe, dem er nicht nur wegen der gegen ihn verlorenen Kardinalsernennung von 1737 grollen würde. Noch schwerwiegender wog nach Aussagen des Verfassers für den Altadligen Dolfin die Herkunft des Papstes und bestimmte sein Handeln, denn als sostenitore zelantissimo dell’antico splendore di una casa VECCHIA, non avrebbe mai commesso la viltà, la bassezza di promuover in Rezzonico un Papa di Casa NUOVA.52

Obwohl bereits Andrea Moschetti unter Hinzuziehung anderer Quellen die Glaubwürdigkeit des Inhalt dieser Handschrift angezweifelt hat,53 zeigt die Quelle doch nachdrück­lich,

49 Vgl. dazu Cornides, Rose und Schwert (1967). 50 Auch damals stand die Verleihung der Goldenen Rose im Kontext einer politisch hochbrisanten Konstella­tion, näm­lich der geplanten Wiedereingliederung des Herzogtums Ferrara in den Kirchen­ staat, für deren Durchführung der Papst auf die politische Neutralität Venedigs angewiesen war. Dazu Emich, Territoriale Integra­tion (2005), S. 85 – 106. 51 In ­diesem Kontext kann mög­licherweise auch die 1759 durch die Serenissima erfolgte Ernennung von Girolamo Ascanio Giustinian zum römischen Botschafter betrachtet werden, der allerdings erst im September 1761 nach Rom aufbrach. Er war der Sohn des gleichnamigen Girolamo Ascanio aus dem ramo Calle delle Acque und Adriana Barbarigos. Diese Familienzweige waren zwar nicht direkt mit denjenigen Familien verwandt, mit denen sich die Rezzonico seinerzeit verschwägert hatten. Es ist aber zu vermuten, dass die „familiären Affinitäten“ mit ausschlaggebend für seine Wahl waren. Schließ­lich kam ihm die Aufgabe zu, in den Jurisdik­tionsangelegenheiten und in den Grenzkonflikten des Polesine z­ wischen Rom und Venedig zu vermitteln. Vgl. dazu den ihn betreffenden Eintrag von Gullino im DBI 57 (2001), S. 245 – 247. 52 BCVe, Mss. Cicogna, 599, fol. 31v. 53 Moschetti, Venezia e la elezione (1890), S. 18, Anm. 2. Zum mutmaß­lich schlechten Verhältnis ­zwischen Dolfin und Rezzonico siehe Kap. II.5.

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wie sehr im venezianischen Denken nach wie vor Ressentiments der Alten gegenüber den Neuen verhaftet waren: sei es nun im Verhalten Dolfins, oder aber, falls es sich nicht so zugetragen haben sollte, im Denken des Verfassers ­dieses Berichtes. So versuchten die Rezzonico auch weiterhin vehement aus ihrem neuen Stand heraus, sich gegenüber den alten Familien zu behaupten. Deut­lich wird dies an den Bemühungen Ludovico Rezzonicos, nach Verleihung des Titels eines Cavaliere di San Marco das Vortrittsrecht gegenüber allen anderen cavalieri beim Senat zu erwirken. Dagegen protestierte jedoch entschieden Alvise Contarini, dessen Familie den Titel seit 1473 trug, der ihnen seinerzeit aufgrund militärischer Verdienste verliehen worden war. Nach neuer­licher Beratung im Senat entschied man sich schließ­lich dafür, Ludovico als ein weiteres Zeichen ­­ der Hochachtung gegenüber der päpst­lichen Familie trotzdem den Vortritt zu gewähren, doch nur, solange das Pontifikat des päpst­lichen Onkels andauern würde.54 Damit zeigte sich einmal mehr, welches die Pfeiler des neuen Sozia­lprofils der Rezzonico waren und wie wenig dies in Venedig von traghafter Dauer sein würde. Ebenso rasch wurde deut­lich, dass die Serenissima keinesfalls gewillt war – auch nicht im Interesse eines einvernehm­licheren Verhältnisses mit Rom –, eine Verletzung ihrer Hoheitsansprüche auf der symbo­lischen Ebene hinzunehmen. Dies zeigt der Vergleich zweier Kupferstiche mit dem Porträt Aurelio Rezzonicos, die im Zusammenhang mit seiner im Sommer 1758 erfolgten Ernennung zum Prokuratoren in Auftrag gegeben worden waren. Das erste Porträt, für das der venezianische Maler Antonio Guerra die Vorlage lieferte, entstammt der Festschrift „Il trionfo dell’Umiltà. Canti quattro pel glorioso ingresso di Sua Eccellenza il Signor Cavaliere D. Aurelio Rezzonico alla dignità di Procuratore di San Marco per merito“, die im Hinblick auf den für September 1759 geplanten feier­lichen ingresso von Gaspare Cozzi herausgeben worden war.55 Der Stich zeigt ein halbfiguriges, von einem ovalen Rahmen eingeschlossenes Porträt des frisch ernannten Prokurators, dessen scharf geschnittenes Gesicht dem Betrachter im Dreiviertelprofil zugewandt ist. (Abb. 44) Er trägt die üb­liche Prokuratorentracht: das schlichte schwarze Gewand, welches nach dem Gleichheitsprinzip der Republik allen venezianischen Adligen vorgeschrieben war, und die im Stich schwarz-­weiß wiedergegebene, doch eigent­lich rote Brokatstola mit eingestanzter figuraler Ornamentik. Unterhalb d ­ ieses Ovals befindet sich das Wappen der Rezzonico, welches als Zusatz nun die Tiara und die gekreuzten Papstschlüssel aufweist. Ebenso ist das Motto der Familie „SI

54 Pretese il Cavalier Don Lodovico d’aver in ogn’incontro la precedenza da ogn’altro Cavaliere. La Ser. ma Signoria ha rimesso ai Savi del Collegio l’esame di questo punto, a cui non s’uniformava il Cavalier Alvise Contarini p:o di Zaffo, e Sig.r d’Ascalone, titoli ambedue de’quali nel 1473 fu investito Giorgio Contarini dalla Regina di Cipro Cattarina Cornaro per aver difeso il Regno da congiurati. Dopo le più mature riflessioni della Consulta sopra le ragioni che da cadauno dei due contendenti furono addotte, ha voluto il Senato anche in quest’incontro dare alla Casa Pontificia un maggior testimonio della pubblica estimazione, accordando al Cavalier Don Lodovico la precedenza durante però la vita del Pontefice. Francesco Todeschini, (wie Kap. 3, Anm. 43), fol. 169r. 55 Ton, Ritratto (2008), S. 73. Warum der ingresso erst ein Jahr nach Aurelios Ernennung zum Prokurator stattfinden sollte, konnte nicht geklärt werden.

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44 Antonio Guerra, Porträt des Prokuratoren von San Marco Aurelio Rezzonico, 1758/59, Venedig, Museo Correr

DEO PRO NOBIS“ an der unteren Seite auf einem schmalen Band zu lesen. Der Sockel hingegen trägt die Aufschrift „D. Aurelius Rezzonico / ­Clementis XIII / Frater, Eques et / Divi Marci Supranumero Procurator / Anno M ­ DCCLVIII“. Ein ganz ähn­liches Porträt des Prokurators, das zeitgleich entstanden sein muss, stammt von Carlo Orsolini.56 (Abb. 45) Die im Vergleich zu Guerras Stich qualitativ hochwertigere Arbeit bedient sich der gleichen Bildtypologie und bildet Rezzonico im Dreiviertelprofil in einem ovalen und gesockelten Rahmen ab. Die dort angebrachte Inschrift gleicht vom Wortlaut her dem ersten Blatt, ebenso wenig fehlt das Wappen mit Tiara und Familienmotto. Auch hier trägt Rezzonico das (schwarze) Adelsgewand mit (roter) Prokuratorenstola. Doch im Unterschied zu Guerras Darstellung ist das figurale Ornament auf der

56 Ein solches Blatt befindet sich in der Sammlung des Museo Correr in Venedig. Zu Orsolini (1703 – 1781) vgl. Succi, Orsolini (1983), S. 262 f.

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45 Carlo Orsolini, Porträt des Prokuratoren von San Marco Aurelio Rezzonico, 1758/59, Venedig, Museo Correr

Brokatstola nicht durchgängig, sondern wird stattdessen von einer Tiara mit den gekreuzten Schlüsseln und etwas weiter unten von einer Krone unterbrochen. Diese mit den päpst­lichen Insignien versehene Stola, die unübersehbar auf das enge Verwandtschaftsverhältnis des neuen Prokurators zum Pontifex verwies, war keineswegs der Inven­tion des Künstlers geschuldet. Orsolini hatte ledig­lich jene Stola abgebildet, die Rezzonico tatsäch­lich zu tragen gewillt war.57 Doch von der Serenissima wurde die ambivalente Emblematik der Stola als eindeutiges, ihren Hoheitsansprüchen zuwiderlaufendes politisches ­­Zeichen gedeutet, weshalb es unweiger­lich zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Papstbruder kam, die einmal mehr das schwierige Verhältnis z­ wischen Rom und Venedig dokumentierte.

57 Vgl. auch Ton, Ritratto (2008), S. 73.

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Wie Francesco Todeschini in seinem Manuskript gebliebenen Werk über das Prokuratorenamt berichtet, hatte im September 1759 im Zusammenhang mit dem ingresso ­Rezzonicos der Magistrato delle Pompe, der unter anderem für die Ausschmückung der Stadt bei solchen Fest­lichkeiten zuständig war, die normalerweise bei solchen Anlässen geforderte Zurückhaltung aufgehoben und den Weg, den der neue Amtsinhaber nehmen sollte, bereits aufs fest­lichste ausschmücken lassen per far onore alla Casa Pontificia, ma dimostrare pur anche pubblicamente l’interna esultanza concepita un anno prima per l’Esal­ tazione del Sommo Pontefice.58 Im Zuge der Vorbereitungen des Ereignisses wurden überall Blätter mit dem Porträt des neuen Prokurators zum Kauf angeboten, unter denen sich auch der Kupferstich Orsolinis befunden haben muss. Erst im letzten Moment bemerkte der Senat die auf der Stola Aurelio Rezzonicos abgebildete Tiara, was heftige Proteste hervorrief, da es den Senatoren schien quasicchè non volesse riconoscerla come dono grazioso della Patria; ma come un’indispensabile dipendenza dalla stretta sua congiunzione col Papa.59 Aurelio Rezzonico wurde aufgefordert, eine neue Stola anfertigen zu lassen, wofür jedoch die Zeit zu knapp war. Daraufhin wurde trotz aller bereits getroffenen Vorbereitungen der ingresso abgesagt und aufs Frühjahr verschoben, wobei der wahre Grund der Terminverschiebung nicht bekannt gegeben, sondern mit dem schlechten Gesundheitszustand des Prokurators begründet wurde.60 Am Ende sollte es jedoch gar nicht mehr dazu kommen, da der Papstbruder am 5. November 1759 starb.61 Dieses Ereignis legt noch einmal offen, wie sensibel das römisch-­venezianische Verhältnis auch nach der Papstwahl war. In den auf Stoff gestanzten päpst­lichen Insignien erkannte man den fremden Souverän, demgegenüber es das eigene Territorium zu verteidigen galt. Die Serenissima, ­welche die Mitglieder des Maggior Consiglio mit familiären Verbindungen zur Kurie bei Rom betreffenden Verhandlungen des Saales verwies, konnte keinesfalls zulassen, dass beim ingresso eines Prokurators, eines ihrer höchsten repräsentativen Würdenträger, dieser für alle sichtbar ein fremdes Hoheitszeichen über der Brust trug. Das Verbot des ingresso Aurelios führte den Rezzonico eindrück­lich die Demarka­tionslinien ihrer außerordent­lichen Statuserhöhung sowie die generelle Fragilität ihres Standes vor Augen. Waren ihrem Auftreten als päpst­liche Herrscherfamilie in Venedig enge Grenzen gesteckt, so konnten und mussten sie in Rom für eine mög­lichst dauerhafte Statusaffirma­ tion Sorge tragen.

58 Francesco Todeschini, (wie Anm. 43), fol. 174. 59 Ebd. 60 Ebd.: Non si pubblicò il vero motivo per cui fu differita, ma per onore della persona, che in punto cosi serio s’aveva con troppa attrazione abbandonato a direttori mal avveduti; si divulgò esser egli stato sor­ preso da qualche incomodo di salute, e costretto a guardare il letto! Wie Moschini in seinem Werk über venezianische Druckgraphik berichtet, sprach sich der wahre Grund der Aussetzung des ingresso schnell herum, weshalb der Stich Orsolinis innerhalb kürzester Zeit vergriffen war. Moschini, Dell’Incisione (1924), S. 34. 61 APVe, Parrocchia di S. Barnaba, Registro die Morti, 1 (1753 – 1765), fol. 49r.

IV Rom 1. Papsttum und Papstporträt Kurz nach Pontifikatsbeginn Clemens’ XIII. wurde der säch­sische Maler Anton Raphael Mengs mit der Aufgabe betraut, das erste offizielle Porträt des neuen Pontifex anzufertigen. Auftraggeber war vermut­lich der Papstneffe Carlo Rezzonico.1 Was der Maler wenige Wochen ­später auf Leinwand vorlegte, kann ohne Übertreibung als eines der erstaun­lichsten Porträts des 18. Jahrhunderts angesehen werden.2 (Farbabb. 5) Es zeigt Clemens XIII. auf einem Thron sitzend, der vor einem schweren, mit floralem Ornament versehenen goldenen Brokatvorhang steht. Vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen ist dieser in einem leichten Winkel aus der Frontalansicht herausgerückt, wodurch das Bild räum­liche Tiefe bekommt. Der Papst hingegen ist dem Betrachter direkt zugewandt. Während die rechte Hand zum Segensgestus erhoben ist, ruht seine Linke scheinbar kraftlos auf der Lehne. Über der weißen, spitzenbesetzten Albe, deren materielle Schwere der Maler in einer überwältigenden plastischen Stoff­lichkeit wiederzugeben vermocht hat, trägt er eine mit Hermelin besetzte Mozzetta aus rotem Samt, darüber die vor die Brust gebundene Stola und auf dem Kopf den roten, ebenfalls hermelingefütterten Camauro, unter dem sein graues Haar hervorscheint. Die Pracht des päpst­lichen Ornats steht in überaus auffälligem Kontrast zur physiogno­ mischen Darstellung Clemens’ XIII . Die Wangen des Papstes sind gerötet, die leicht geöffneten Lippen von einem kräftigen, fast unnatür­lichem Rot. Das aufgrund des ausgeprägten Doppelkinns fast quadratisch anmutende Gesicht lässt auf seine Korpulenz schließen, die das Bild aus seinem gewählten Blickwinkel und durch die Schwere der Kleidung geschickt zu kaschieren weiß. Unübersehbar sind die tiefen Ringe unter den Augen, wodurch der Papst einen leidenden, wenig Überzeugungskraft vermittelnden Ausdruck bekommt. Sein Blick ist auf den Betrachter gerichtet, doch scheint er müde und es fehlt ihm jeg­liche Entschlossenheit und Kraft, die man auf dem offiziellen Porträt eines Souveräns im Barockzeitalter erwarten würde. Das Bildnis des Papstes war in der Regel der erste künstlerische Auftrag, der nach Pontifikatsbeginn vergeben wurde. Ihm kam die fundamentale Aufgabe zu, das Antlitz des

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An dieser Stelle wird im Gegensatz zu Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999), Bd. 1, S. 230 bewusst noch nicht von Carlo Rezzonico (geb. 1724) als Kardinalnepoten gesprochen, da er erst am 11. September 1758 zum Kardinal in petto ernannt wurde, es jedoch nicht sicher ist, wann Mengs den Auftrag erhielt. Zu Carlo Rezzonico und seiner Rolle am päpst­lichen Hof siehe Kap. IV.2. der vorliegenden Arbeit. Dazu bisher Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 236 – 238; Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 91; Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. 1, S. 230 f.; Petrucci, Portrait of ­Clement XIII (2005); Cesareo, Un ritratto (2006); Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 133 f.

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neuen Souveräns visuell festzuhalten. Oft bildete ­dieses Porträt die Vorlage für druckgraphische Reproduk­tionen, ­welche zur Verbreitung des Papstbildnisses und damit zur Herrschaftsstabilisierung beitrugen.3 Auch konnte es als visuelles ­­Zeichen der neuen päpst­lichen Macht interpretiert werden, mit unterschied­lichen Funk­tionen, die kontextabhängig waren.4 Somit stellt sich deshalb nicht nur die Frage nach den Aussagen, die das Mengs’sche Porträt transportieren sollte und nach den Aufgaben, die es zu erfüllen hatte. Sondern es drängt sich auch der Gedanke auf, ob die Wahl des sächsischen Künstlers möglicherweise noch andere, über rein ästhetische Gründe hinausgehende Überlegungen beeinflußt haben könnten. Das Mengs-­Porträt und die Krise des Papsttums Als dem Papst sein Konterfei von Mengs zur Begutachtung vorgelegt wurde, fand er daran offensicht­lich wenig Gefallen.5 Ob sein Urteil dabei, wie die von Prange überlieferte Anekdote berichtet, von Mengs ungehörigem Benehmen während der Por­trätsitzung bestimmt war, wonach der Maler trotz Anwesenheit des Papstes und trotz mehrmaliger Ermahnung pfeifend und singend seiner Arbeit nachgegangen sei, mag dahingestellt bleiben bzw., wie Steffi Roettgen anmerkte, der literarischen Gattung der Künstleranekdote geschuldet sein.6 Vielmehr könnte das Missfallen des Papstes mit der individuellen

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Ebd., S. 131. Vgl. dazu vor allem Labrot, Le portrait (1993); Bodart, I ritratti dei re (2001). Das Porträt muss spätestens am 1. Dezember 1758 fertig gewesen sein, denn an ­diesem Tag schreibt Winckelmann aus Florenz an Jakob Volkmann in Hamburg: Mengs hat des Pabsts Portrait geendigt. Zitiert nach Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. I, S. 230. Es ist jedoch nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es sich dabei um d ­ ieses erste Porträt handelte, oder ob sich die Äußerung nicht bereits auf das zweite von Mengs geschaffene Bildnis des Papstes bezieht. Da die Erwähnung bei Winckelmann jedoch bisher die einzige Quelle hinsicht­lich einer mög­lichen Datierung darstellt, kann d ­ ieses Datum in jedem Falle als terminus ante quem angesehen werden. Vgl. Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 133. Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. 1, S. 230. Über die näheren Auftragsumstände unterrichtet eine Anmerkung bei Prange, die sich auch in einer anonym erschienenen Mengs-­Biographie von 1784 findet. Demnach habe Mengs, als ihm der Auftrag erteilt wurde, wissen lassen, dass er während des Porträtierens nicht knien könne, wie es Pierre Subleyras getan habe, als er das Bildnis Benedikts XIV. malte, denn er sei nicht gewohnt, in dieser Stellung zu arbeiten. Ihm wurde daraufhin die Erlaubnis erteilt, im Sitzen zu malen. Während der Sitzung habe er dann angefangen zu singen und zu pfeifen, was ihm mehrmals von dem anwesenden Monsignore ergebnislos untersagt worden sei. Schließ­lich entgegnete Mengs, dass es seine Gewohnheit sei, er sich aber schon zu beherrschen wisse, wenn man ihn nicht dauernd ermahnen würde. Aufgrund ­dieses Zwischenfalls sei dann der Papst, als Mengs ihm das fertige Bildnis vorführte, nicht sonder­lich zufrieden gewesen. Er habe gesagt, daß sie [Ihre päpst­liche Heiligkeit] die Mahlerey zwar vielfach hätten rühmen gehört, Höchstdieselben fänden es aber nicht sonder­lich schön. Worauf Mengs in tiefster Demuth geantwortet: den bildenden Künstlern sey es etwas gewöhn­liches zu hören, daß z. B.

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46 Raffael, Julius II., 1511/12, London, National Gallery

Behandlung, mit welcher der Maler sich dem Thema des Staatsporträts im Allgemeinen und dem seinen im Besonderen genähert hatte, begründet werden. Denn Mengs folgte in ­diesem seinem ersten Porträt Clemens’ XIII . nicht der seit Raffaels Porträt Julius’ II . (Abb. 46) und Tizians Darstellung Pauls III . (Abb. 47) für die folgenden Jahrhunderte kanonisch gewordenen Typologie des Papstporträts, welches den Pontifex auf einem Sessel oder Thron und in Dreiviertelansicht zeigt.7 In seiner überraschenden Frontalität, w ­ elche die räum­liche Distanz ­zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter aufs äußerste reduziert und dadurch eine neue, bisher in der bild­lichen Darstellung des Kirchenoberhaupts unbekannte phy­sische Präsenz in die Gattung des Papstporträts einführte, hatte Mengs einen neuen Typus des Papstbildes kreiert, der sich zwar nicht konstant durchsetzen konnte, auf den aber auch in späteren Pontifikaten wiederholt zurückgegriffen wurde.8

7 8

eine Arbeit dem A gefiele und B gar nicht. M. C. F. Prange, Des Ritters Anton Raphael Mengs hinter­ laßne Werke, Halle 1786, Bd. 1, S. 177. Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2013), Bd. 1, S. 230. Zur typolo­gischen Entwicklung des Papstporträts vgl. Petrucci, Papal Portraiture (2005). Zu Raffaels Papstporträts vgl. Martinelli, I ritratti papali (1987). So beispielsweise im Porträt Pius’ VI. Braschi (1775 – 1799) von Antonio Cavallucci, welches sich 2005 im Besitz des Auk­tionshauses Trinity Fine Arts in London befand, und im Porträt Pius’ VII. Chiaramonti (1800 – 1823) von Sir Thomas Laurence, heute in der Royal Collec­tion – Her Majesty The Queen.

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47 Tizian, Paul III., 1545/46, Neapel, Museo Capodimonte

Die formalen Vorbilder für Mengs auffällige Varia­tion des Papstporträts liegen auf der Hand: Es sind die Ehrenstatuen der Päpste.9 Diese, seit dem 16. Jahrhundert zumeist im öffent­lichen Raum der zum Kirchenstaat gehörenden Städte und ­später auch in ­Kirchen als Herrschaftszeichen aufgestellten steinernen Papststatuen, die ihrerseits wiederum auf die Petrus-­Statue in Sankt Peter rekurrierten, zeigen den Papst meist in sitzender Haltung, die Hand zum Segensgestus erhoben. Obwohl sie durch ihre vollplastische Ausbildung verschiedene Betrachterstandpunkte ermög­lichen, ist doch die Hauptansicht zumeist frontal auf den Betrachter ausgerichtet.10 Mengs hatte selbst ausgiebig Gelegenheit, ­solche Werke auch in Rom zu studieren, zumal die Ehrenstatuen auch in die typolo­ gische Gestaltung der päpst­lichen Grabmäler eingeflossen waren.11 Neben der 1750 im

9 Roettgen, Die Erfindung (2001), S. 263. 10 Zu den Ehrenstatuen der Päpste vgl. die grundlegenden Studien von Hager, Die Ehrenstatuen (1929) und, darauf aufbauend, Butzek, Die kommunalen Repräsenta­tionsstatuen (1978). Die Ehrenstatuen konnten den Papst jedoch auch stehend zeigen, wie die in der Vorhalle von San Alessio auf dem Aventin 1752 aufgestellte Statue Benedikts XIII. Orsini von Andrea Bergondi, die von dem venezianischen Kardinal Maria Angelo Querini, Titular der K ­ irche, in Auftrag gegeben worden war. Die Zuschreibung an Bergondi erfolgte quellenkund­lich durch Bevilacqua, Nolli (2010), S. 122, 133, Anm. 14. 11 Einen knappen Überblick über den Einfluss der Ehrenstatuen auf die künstlerische Gestaltung der Grabmäler bietet Zitzlsperger, Gianlorenzo Bernini (2002), S. 26 – 43.

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48 Giovanni Battista Maini, Ehrenstatue Benedikts XIV., um 1750, Rom, Ex-Konvent San Agostino

Kloster Sant’ Agostino aufgestellten Ehrenstatue für Benedikt XIV . Lambertini, w ­ elche der lombardische, in Rom tätige Bildhauer Giovanni Battista Maini geschaffen hatte,12 sei exemplarisch auf das Grabmal Clemens’ XII . Corsini in der Familienkapelle in San Giovanni in Laterano verwiesen, dessen Skulptur des verstorbenen Papstes ebenfalls von Maini stammt. (Abb. 48/49) Diese beiden Beispiele standen zum Zeitpunkt der Entstehung des Rezzonico-­Porträts am Ende einer langen ikonographischen Tradi­tion, die Mengs zu einer radikalen Änderung der bis dahin in ihrer typolo­gischen Form normierten Papstporträts angeregt haben könnte. Die Wirkung dieser Statuen auf den Betrachter war jedoch im Gegensatz zu der von Mengs fast provozierend gewählten Nahsicht eine andere, da alle diese bildhauerischen Arbeiten mit Blick auf die Aufstellung der Figuren auf einem Sockel oder über einem Grabmal auf die starke Untersicht der Figuren abzielten. Die räum­lich erhöhte Posi­tion des Papstes schuf eine herrschaft­liche, regelrecht phy­sisch erfahrbare Distanz zum Betrachter. Mengs hingegen verzichtete auf räum­liche, distanzierende Tiefe und, abgesehen von der Kleidung, auch auf jeg­liche den Papst kennzeichnende Herrschaftsattribute. Der schwere Brokatvorhang, der direkt hinter dem Thron herabfällt und nur an der linken Seite leicht gerafft ist, bedeckt den gesamten Hintergrund des Bildes, wodurch der Blick des Betrachters allein auf den Pontifex fokussiert wird.

12 Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. 1, S. 230.

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49 Giovanni Battista Maini / Carlo Monaldi, Grabmal Clemens’ XII. Corsini, 1733/36, Rom, San Giovanni in Laterano, Cappella Corsini

Dieser präsentiert sich im Gegensatz zu den souveränen und ener­gischen Darstellungen päpst­ licher Ehrenstatuen in einer regelrecht müden und kraftlosen Haltung. Der veristische Zug in seinem Gesicht, die tiefen Augenringe und die hektisch-­roten Flecken auf seinen Wangen deuten bereits auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand hin, der nicht zuletzt der starken Korpulenz des Papstes geschuldet war und von dem die zeitgenös­sischen Quellen seit den ersten Wochen des Pontifikats bis zu dessen Ende unaufhör­lich berichteten.13 Alles in allem steht ­dieses erste Porträt Clemens’ XIII. in einem unübersehbaren Gegensatz zu den Anforderungen an das Bild eines Souveräns, das repräsentativen Ansprüchen Genüge tun musste, so wie sie bereits 1584 von dem Maler und Kunsttheoretiker Giovanni Paolo Lomazzo formuliert worden waren und die auch Mitte des 18. Jahrhundert ihre Gültigkeit behalten hatten:

13 Bereits am 23. September 1758 war der Papst erstmals ernsthaft erkrankt, wie der venezianische Botschafter sofort der Serenissima mitteilte. ASVe, Dispacci di Roma, b. 279, fol. 170v.

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50 Carlo Maratti, Clemens IX. Rospigliosi, 1669, Rom, Vatikanische Museen

Il decoro artificiale, è che quando il prudente pittor dipingendo uno Imperatore, ò un Re, fa il ritratto loro grave, e pieno di maestà, ancora che per avventura, egli naturalmente non ­l’habia. […] rappresentando non l’atto che faceva per avventura quel Papa, ò quell’Imperatore, ma quello che doveva fare, rispetto à la maestà e decoro del suo stato.14

Diese von Lomazzo geforderte Idealisierung des Dargestellten im Staatsporträt, der noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts Carlo Maratti im Bildnis Clemens’ IX . Rospigliosi (Abb. 50) meisterhaft nachkam und ebenso in Pierre Subleyras’ 1740 entstandenem Porträt von Rezzonicos Amtsvorgänger Benedikt XIV. deut­lich anklingt (Abb. 51), hatte Mengs in seinem Bildnis des Rezzonico-­Papstes zugunsten einer eindeutigen Individualisierung aufgegeben.15 Damit war er nicht nur einer der E ­ rsten, der mit dem starren Regelwerk der Akademien und der durch sie vertretenen streng formalisierten Bildnisauffassungen brach. Auf diese Weise gelang es ihm, durch das stark die individuellen Züge des Papstes 14 Zitiert nach Jenkins, The state portrait (1947), S. 44. 15 Wie bereits Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. 2, S. 101 konstatierte, ist dies schon bei den frühen Herrscherbildnissen von Mengs spürbar: „Er verlieh jedoch den fürst­lichen Physiognomien soviel unmittelbare Gegenwart und aufgeklärte Nüchternheit, dass dies die Überzeugungskraft ihrer Pose in gewisser Weise schmälerte. An die Stelle der Theatralik und der auf Distanz angelegten großen Geste tritt die Nahsichtigkeit und mit ihr die malerische und plastische Dichte sowie eine virtuose Sorgfalt im Detail.“

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51 Pierre Subleyras, Benedikt XIV. Lambertini, 1740, Versailles, Musée national de Château

und dessen körper­liche und auch persön­lichkeitsbezogene Schwäche betonende Porträt ein realistisches Bild des Zustands von Papsttum und Kirchenstaat gleichermaßen zu entwickeln, das in seiner unverhüllten Aussagekraft bisher einzigartig war: Clemens XIII., der hier mit Albe, Mozzetta, Camauro und Stola in der klas­sischen Audienzkleidung und somit nicht als geist­liches Oberhaupt der Christenheit, sondern als welt­licher Souverän dargestellt ist, verkörperte durch seine visuelle Charakterisierung als schwacher Regent auch in signifikanter Weise den Zustand des von ihm regierten Staates. Denn der Kirchenstaat spielte Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur unter den euro­ päischen Mächten keine führende Rolle mehr. Außenpolitisch bereits seit mehr als hundert Jahren an den Rand gedrängt, trat nun auch die desolate Lage seiner inneren Strukturen immer deut­licher hervor, die sich vor allem im ökonomischen und fiska­lischen Bereich widerspiegelte. Bereits im 17. Jahrhundert war ein wirtschaft­licher Niedergang im Kirchenstaat zu verzeichnen, der vor allem dem überall in Italien gewerb­lichen und landwirtschaft­lichen Produk­tionsrückgang geschuldet war. Nepotismus, ungehemmte Baukonjunktur unter den nach Prestige trachtenden Päpsten und ihrer Verwandtschaft, aber auch die römische Subsidienpolitik verschlangen riesige Summen und führten gegen Ende des Barberini-­Pontifikats im Jahre 1644 zu einer Staatsverschuldung von schätzungsweise 40 Millionen Scudi, der ein Haushalt von 2,5 Millionen Scudi gegenüberstand.16

16 Vgl. hierzu Reinhard, Papstfinanz und Kirchenstaat (1992).

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Im 18. Jahrhundert stieg dieser Schuldenberg noch weiter an, wofür nicht zuletzt die kostspieligen Auswirkungen des Spanischen wie auch Österreichischen Erbfolgekrieges auf den Kirchenstaat sowie die exzessive Misswirtschaft unter Benedikt XIII . Orsini (1724 – 1730) verantwort­lich waren. Als Benedikt XIV . 1740 die Regierung übernahm, betrug die Staatsschuld bereits 56 Millionen Scudi mit einem jähr­lich anwachsenden weiteren Defizit von ungefähr 200000 Scudi.17 Doch auch unter d ­ iesem Reformpapst konnte trotz zahlreicher Versuche der Neustrukturierung von Verwaltung und Wirtschaft am Ende kein Ausweg aus dem finanziellen Dilemma gefunden werden. Der einzige „Fortschritt“ unter Benedikt XIV . bestand darin, dass, wie Johannes Burkhardt anmerkt, „den Betroffenen und Beobachtern das volle Ausmaß der ökonomischen Strukturkrise Roms allmäh­lich klar wurde“.18 Von daher war das Erbe, welches Clemens XIII . anzutreten hatte, kein leichtes: Ein hoch verschuldeter Staat, eine kränkelnde Wirtschaft, verarmte Untertanen sowie ein Heer ohne moderne Artillerie und Organisa­tion 19 boten sowohl nach außen als auch nach innen das Bild eines nahezu bankrotten und handlungsunfähigen, ja geradezu anachronistischen Staates. Das Porträt, welches Mengs von dem neuen Pontifex anfertigte, charakterisierte in seinem Verzicht auf Idealisierung und der fast gnadenlos veristischen Sicht auf den kränk­ lichen und schwachen Papst nicht nur die Person des Herrschers, sondern in gewisser Weise auch den Zustand des von ihm regierten Staates. Somit war es nicht verwunder­lich, dass Clemens XIII. sein Bildnis missfiel, und auch andere Zeitgenossen teilten d ­ ieses Urteil. Noch 1760 bemerkte Benignio Saetta, ein Venezianer aus dem Umkreis des päpst­lichen Hofstaates, mit Bezug auf Mengs Aufenthalt am neapolitanischen Hof, wo er den König porträtieren sollte: Il primo [Mengs] si ritrova in Napoli per fare il Ritratto del nuovo Re, ma se incontra come quello del Santo Padre, si farà poco onore.20 Somit ist es nicht erstaun­lich, dass ein weiteres Porträt des Papstes, welches Mengs unmittelbar nach d ­ iesem ersten malte und welches offenbar für den Neffen Carlo Rezzonico in Rom bestimmt war, in seiner typolo­gischen Darstellung nun wieder auf die älteren und etablierten Papstbildnisse zurückgriff.21 (Farbabb. 6) Wie bereits bei Tizians Porträt Pauls III . sitzt nun auch Clemens XIII . nicht mehr frontal, sondern in Dreiviertelansicht in einem Sessel, auf dessen Lehne beidseitig mit aufwendigen Schnitzereien das vergoldete Familienwappen des Papstes angebracht ist, welches von Tiara und Schlüsseln bekrönt wird. Der Raum um ihn herum ist nur schemenhaft durch eine Säule und das Profil eines Fensterrahmens charakterisiert, doch reicht dies aus, um der Figur des Papstes das nötige würdevolle Ambiente zu geben. Der Papst selbst trägt, wie schon im ersten Porträt, die offizielle Audienzkleidung Albe, Mozzetta, Camauro und Stola. Sein Blick ist durchdringend auf den Betrachter gerichtet, doch 17 18 19 20 21

Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (1985), S. 156 – 158. Ebd., S. 158. Zum päpst­lichen Heer vgl. Da Mosto, Milizie dello Stato romano (1914), S. 209 – 219, 267, 288. Zitiert nach Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. II, S. 488. Dies., La ritrattistica (2008), S. 131.

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eine Hälfte des Gesichtes liegt im Schatten, wodurch ihm etwas von seiner unmittelbaren Nahsicht genommen wird. Auch liegt die linke Hand nicht mehr kraftlos auf der Lehne, sondern hält ein Schreiben, auf welchem sowohl sein Name als auch die Signatur des Malers zu lesen ist. Die rechte Hand ist nicht zum Segen erhoben, sondern mit einem Zeigegestus gegen den Betrachter hin ausgestreckt. Zur Linken Clemens’ XIII . steht ein Tisch mit Schreibutensilien und einer Glocke, die auf die päpst­lichen Amtsgeschäfte verweisen. Damit porträtiert Mengs den Papst nun wieder als einen geschäftigen Souverän, der nicht nur sein geist­liches, sondern auch sein welt­liches Amt entschlossen auszuführen weiß. Mit ­diesem Bildnis kam der Maler im zweiten Versuch den zeitgenös­sischen Anforderungen an ein offizielles Porträt des Papstes nach, welches in seiner idealisierenden Darstellung der Person Clemens’ XIII . die Vorstellung eines starken Herrschers vermitteln sollte und den Blick von der historischen Wirk­lichkeit des Zustandes des Kirchenstaates ablenkte. Warum Mengs? Die Entscheidung der Rezzonico, Anton Raphael Mengs mit der Anfertigung des ersten Porträts Clemens’ XIII. zu betrauen, scheint zunächst aufgrund von Mengs unangefochtener Stellung als einer der herausragenden Porträtisten, die zu dieser Zeit in Rom tätig waren, keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Auch der Einwand, dass für einen solch offiziellen und wichtigen Auftrag ein Landsmann des Papstes, und in d­ iesem Fall ganz konkret der Italiener Pompeo Batoni, Mengs größter Konkurrent in Rom auf dem Gebiet der Porträtmalerei, vorzuziehen gewesen wäre,22 ließe sich leicht entkräften. Bereits Steffi Roettgen hat darauf verwiesen, dass schon der Vorgänger des Rezzonico-­Papstes, Benedikt XIV. Lambertini, für die Anfertigung seines ersten offiziellen Porträts mit dem Franzosen Pierre Subleyras einen Ausländer wählte.23 Dies zeigt, dass trotz einer auch im 18. Jahrhundert zu beobachtenden Bevorzugung italienischer Künstler bei der Auftragsvergabe der offiziellen Papstporträts mitunter geschmack­liche Vorlieben seitens der päpst­ lichen Auftraggeber eine Rolle spielten. Trotzdem soll an dieser Stelle noch einmal genauer geprüft werden, ob die Wahl des säch­sischen Malers zum ersten Porträtisten des Papstes nicht auch eine politische Konnota­tion gehabt haben könnte, die zumindest im Subtext für die Zeitgenossen mitschwang.

22 Siehe Anm. 30. 23 Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 131. Zu Subleyras als Porträtist Benedikts XIV. vgl. Katalog Subleyras (1987), S. 248 – 253. Der Franzose Subleyras (1699 – 1749) kam 1728 mit einem Stipendium der Pariser Académie Royale de Peinture et Sculpture nach Rom, wo er sich an der dortigen franzö­sischen Akademie vor allem als Porträt- und Historienmaler etablierte. 1740 wurde er Mitglied der römischen Akademie San Luca, 1743 der literarischen Akademie Arcadia. Zur Rolle Subleyras am päpst­lichen Hof vgl. Schalhorn, Historienmalerei (2000).

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Bei der Beantwortung dieser Frage kann auch hier wieder ein Blick auf die zeithistorischen Geschehnisse hilfreich sein. Mengs war Untertan des säch­sischen Königs, einer der Hauptakteure im Siebenjährigen Krieg und gleichzeitig wichtiger Verbündeter der kaiser­lichen Habsburger, denen der Papst nicht zuletzt auch seine Wahl verdankte. Der Krieg, der seit seinem Ausbruch im Jahre 1756 immer mehr zum bestimmenden politischen Ereignis Europas geworden war, hatte längst seine mit rein territorialen Machtansprüchen verfolgten Ziele, die sich bis nach Übersee erstreckten, verloren und war immer mehr auch Austragungsort konfessioneller Auseinandersetzungen ­zwischen den protestantischen und den katho­lischen Mächten Europas geworden. In dieser Situa­ tion, ­welche bereits die Bündnispolitik im Konklave von 1758 entscheidend beeinflusst hatte, konnte der Papst hoffen, seine mit dem Westfä­lischen Frieden von 1648 verloren gegangene Posi­tion als euro­päische Vermittlungsinstanz zurückzugewinnen und somit dem Papsttum wieder zu größerem politischem Gewicht zu verhelfen. Folgt man den Ausführungen von Johannes Burkhardt zu d­ iesem Thema, so versuchte bereits Benedikt XIV . Lambertini, mit Berufung auf das päpst­liche Friedensamt, im Konflikt ­zwischen den sich bekämpfenden Mächten einzugreifen.24 Obwohl der Papst bei seinen Friedensbemühungen die Sorge für das Wohlergehen der gesamten Christen­heit in den Vordergrund rückte, galt seine Unterstützung unzweideutig den katho­lischen Mächten, auch auf die Gefahr hin, dadurch den Gedanken eines innereuro­päischen Religionskrieges erst recht zu schüren. Bereits beim Einfall der Preußen in Sachsen am 29. August 1756, der den Beginn des Siebenjährigen Krieges markierte, geißelte der Papst gegenüber dem Kardinalprotektor der deutschen Na­tion Alessandro Albani die „Feind­seligkeiten und Gewalttaten“ Preußens in Sachsen als „zu beklagen und unerhört“.25 Albani berichtete von dieser päpst­lichen Stellungnahme unverzüg­lich nach Wien. Dabei ging es dem Papst in seiner Kritik nicht nur um die militärischen Ak­tionen der Preußen im überwiegend protestantischen Sachsen, sondern auch um die durch geschickte sächsische Propaganda in Umlauf gebrachten Nachrichten von der entwürdigenden Behandlung der katho­ lischen Königsfamilie durch preußische Offiziere.26 In d ­ iesem Sinne erreichte auch den Nuntius in Dresden, Niccolò Serra, ein im päpst­lichen Auftrag von Kardinalsstaatssekretär Alberico Archinto verfasstes Schreiben, in welchem B ­ enedikt XIV . der könig­lichen Familie Beistand und vor allem diplomatische Unterstützung versprach.27 Bereits eine

24 Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (1985), S. 101 f. 25 Zitiert nach ebd., S. 106. Dies wiederholte Benedikt XIV. auch in den folgenden Monaten immer wieder gegenüber Albani. Ebd., S. 107, Anm. 24. 26 Als preußische Offiziere beim Einfall in Sachsen auf Anweisung Friedrichs des Großen in der Dresdner Residenz die diplomatische Korrespondenz beschlagnahmen wollten, stellte sich ihnen die Königin in den Weg, wurde aber auf recht unsanfte Weise von einem der Offiziere zur Seite geschoben. Da die säch­sische Königsfamilie mit der Konversion Friedrich Augusts I. 1697 dem katho­lischen Glauben angehörte, rief diese Episode vor allem an den katho­lischen Höfen heftige Entrüstung hervor. Ebd., S. 107. 27 Ebd., S. 386 f. Das Schreiben ist auf den 25. September 1756 datiert.

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Woche vorher hatte der Kardinalstaatssekretär das mit Sachsen verbündete Wien wissen lassen, dass der Papst in der giusta causa dell’Imperatrice Regina all’Altissimo der Kaiserin beistehen und sie beschützen wolle con quel braccio con cui dà e leva le corone e li scettri.28 Weit mehr noch als sein Amtsvorgänger versuchte Clemens XIII. nach seiner Wahl 1758 Maria Theresia zu helfen, für die es in ­diesem Krieg vor allem um die Rückeroberung des während des Österreichischen Erbfolgekrieges 1742 an Preußen verlorenen Schlesiens ging. Er tat dies nicht nur durch materielle Unterstützung, sondern auch durch explizite Gunstgewährung wie der Verleihung des Titels „Aposto­lische Königin“. Schließ­lich hatte Rom an der Wiedergewinnung Schlesiens durch die Habsburger großes Interesse, war der Protestantismus in d ­ iesem Gebiet doch durch die preußische Eroberung entscheidend gestärkt worden. Durch einen Herrschaftswechsel in Schlesien und ein gutes Verhältnis zu Wien konnte der Papst hoffen, verloren gegangenen Einfluss in einer zentralen Region Mitteleuropas zurückzuerlangen. Diese politischen Konstella­tionen und Interessen des Papstes während des Krieges könnten durchaus dazu beigetragen haben, dass Anton Raphael Mengs den Auftrag für das erste offizielle Porträt Clemens’ XIII . erhielt. Denn die Biographie des Künstlers bot sich in geradezu paradigmatischer Weise an, in der unterschwelligen Auseinandersetzung ­zwischen den Konfessionen und auch der Kaiserin gegenüber ein Zeichen ­­ zu setzen. Der Protestant Mengs, der in Dresden am Hofe des katho­lischen Königs als Hofmaler Anstellung gefunden hatte, war in Rom gemeinsam mit seinen Schwestern zum katho­lischen Glauben übergetreten, um 1749 die Römerin Margherita Guazzi heiraten zu können.29 Er verkörperte also nicht nur aufgrund seiner Herkunft einen der Konfliktherde des Siebenjährigen Krieges in seiner Person, sondern durch seine Konversion indirekt auch eines der unterschwelligen Ziele päpst­licher Politik in diesen Jahren. Mög­licherweise war dies einer der Gründe, die dazu führten, ihn gegenüber dem als Porträtmaler in Rom bestens etablierten Pompeo Battoni vorzuziehen.30 Nicht auszuschließen ist außerdem, dass der seit dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges als Staatssekretär amtierende Kardinal Alberico Archinto, ehemals Nuntius in Warschau bzw. Dresden, der Mengs nicht nur aus den Jahren seiner Nuntiatur kannte, sondern sich bereits unmittelbar nach seiner Ernennung zum Staatssekretär 1756 von ­diesem hatte porträtieren lassen,31 kurz vor seinem Tod Einfluss auf die Auftragsvergabe gehabt haben könnte. Archinto war als versierter Diplomat bekannt.32 Obgleich die hier angestellten Überlegungen im

28 Zitiert nach ebd., S. 108, Anm. 31. Das Schreiben ist auf den 18. September 1756 datiert. 29 Bianconi, Elogio storico (1780), S. 17. 30 Batoni sollte jedoch zwei Jahre ­später von Kardinal Carlo Rezzonico ebenfalls mit einem Porträt Clemens’ XIII. beauftragt werden, welches sich heute in der Galleria Nazionale dell’Arte im Palazzo Barbarigo in Rom befindet. Bowron / Kerber, Pompeo Batoni (2008), S. 115. Aus der reichen Literatur zu Pompeo Batoni als Bildnismaler sei nur auf den luziden Aufsatz von Johns, Portraiture (2004) verwiesen. Dort auch weiterführende Literatur. 31 Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999 – 2003), Bd. 1, S. 169. 32 Zu Alberico Archinto (1698 – 1758) vgl. den Eintrag von Gencarelli im DBI 3 (1961), S. 757 – 759.

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Bereich des Hypothetischen bleiben müssen, weil aussagekräftige Quellen fehlen, ist doch zumindest vorstellbar, dass vor dem Hintergrund der zeitgenös­sischen Geschehnisse die Bevorzugung des säch­sischen Malers auch propagandistischen Erwägungen geschuldet war. Der abwesende Papst: Mengs’ Porträt in Venedig Bereits Mengs erster Biograph Giovanni Ludovico Bianconi wusste zu berichten, dass eines der beiden Porträts des Rezzonico-­Papstes für dessen Familie in Venedig bestimmt war.33 Diese Aussage lässt sich anhand zweier Quellen verifizieren: zum einen durch die Tagebucheinträge Pietro Gradenigos, der einen Monat vor dem ersten Thronjubiläum des venezianischen Papstes am 6. Juni 1759 die Ankunft von dessen Porträt im Hause des Bruders Aurelio Rezzonico vermerkte, ohne jedoch den Namen des Künstler zu erwähnen.34 Erst ein knappes Jahr ­später folgte die diesbezüg­liche Notiz, nach der es sich um ein Quadro grande col ritratto di Papa Clemente XIII. procedente da Roma; opera del famoso Penello del Mons. Sassone handelte, für welches in Venedig von dem bekannten Paduaner Silberschmied Antonio Scarabello ein prunkvoller Rahmen gearbeitet werden sollte.35 Die zweite Quelle stellt das Inventar des Palazzo Rezzonico aus dem Jahre 1766 dar, welches das Werk ebenfalls verzeichnet.36 Die Übersendung des Bildnisses nach Venedig musste als eine besondere Geste des Papstes gegenüber seiner Familie angesehen werden, denn Porträtgeschenke waren in der Kodierung frühneuzeit­licher Gunstbeweise besonders konnotiert.37 Laut Inventar fand es seinen Platz in der camera d’udienza, der heutigen sala del trono, an deren Decke Tiepolo nur ein Jahr vorher mit der allegorischen Darstellung des Meritus den Aufstieg der Familie bereits sinnfällig visualisiert hatte.38 Das Papstporträt war das einzige Gemälde in ­diesem Raum und obwohl über den Bildnisgebrauch in venezianischen Palästen bisher kaum etwas bekannt ist, lässt sein betontes Zur-­Schau-­Stellen darauf schließen, dass ihm eine besondere Funk­tion zugedacht war. Diese Vermutung wird durch den Bericht eines anonymen Zeitzeugen bestätigt, der detailliert die Fest­lichkeiten anläss­ lich der Wahl Clemens’ XIII . im Palazzo Rezzonico beschreibt, darunter auch, wie ein 33 Bianconi, Elogio storico (1780), S. 40. 34 BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 5, fol. 54v: Ritratto originale del Regnante Ser.mo Pontefice ­Clemente XIII , che lo mandò al Cavaliere, e procuratore Aurelio Rezzonico di Lui Fratello, onde finalmente condiscende alle ardenti sue istanze. Vgl. auch Livan, Notizie d’arte (1942), S. 40; Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 133. 35 BCVe, Gradenigo, Notatori, Bd. 6, fol. 2v (Eintrag vom 3. Mai 1760). Vgl. auch Livan, Notizie d’arte (1942), S. 51; Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 133. 36 Publiziert bei Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 104 – 110. 37 Zu Porträtgeschenken und ihrer Bedeutung in der Frühen Neuzeit vgl. Winkler, Bildnis und Gebrauch (1993), bes. S. 195 – 218; im römischen Kontext Zitzlsperger, Stumme Diener? (2003). 38 Vgl. Kap. II.6. der vorliegenden Arbeit.

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Teil der Familie des neuen Papstes die Aufwartungen und Glückwünsche des venezianischen Adels und der ausländischen Gesandten in einem eigens dafür vorgesehenen Raum entgegennahm. Von Interesse ist vor allem die hier wiedergegebene inszenatorische Rahmung ­dieses Aktes: Unter einem Baldachin war ein Thron aufgestellt, über dem das Bildnis des frischgewählten, jedoch abwesenden Pontifex hing. Neben ­diesem Thron standen Angehörige der neue Papstfamilie in Erwartung der ihnen zu erweisenden Ehrerbietungen.39 Leider gibt es zum Bildnisgebrauch der anderen venezianischen Papstfamilien, den Condulmer, den Barbo und den Ottoboni, bisher keine vergleichbaren Quellen. Doch ein Blick nach Rom zeigt, dass es zumindest dort in den Palästen der Papstfamilien üb­lich war, das Bild des Familienpapstes unter einem Baldachin in der sala d’udienza auszustellen bzw. nach dem Tod des päpst­lichen Verwandten das Bild seines Nachfolgers dort anzubringen. Im Palazzo der Rospigliosi-­Pallavicini wurde spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts bei jedem Pontifikatswechsel das unter dem Baldachin angebrachte Porträt des verstorbenen Pontifex gegen dasjenige seines Nachfolgers ausgetauscht.40 Dabei ging es weniger um das stellvertretende Bildnis des Herrschers in einem juristischen Sinne, wie es beispielsweise für die Audienzsäle der Botschafter belegt ist,41 sondern vielmehr darum, im problematischen Kontext der päpst­lichen Wahlmonarchie unübersehbar die eigene Verbundenheit mit einer der Papstfamilien zu manifestieren. In ­diesem Sinne muss auch die Inszenierung des Bildnisses Clemens’ XIII . im Palazzo Rezzonico in Venedig verstanden werden.42 Durch seine exponierte Ausstellung in einem eigens dafür bestimmten Audienzraum wurde die familiäre Beziehung der Rezzo­nico zu dem regierenden Papst nachdrück­lich unterstrichen und somit auch die Stellung der Familie innerhalb der venezianischen Adelsgesellschaft neu definiert. Davon zeugt der Stich von Giuseppe Filosi, der alle zum Zeitpunkt der Wahl Clemens’ XIII . lebenden Angehörigen der Familie Rezzonico in einem imaginierten Raum darstellt, an dessen Wand das Porträt des Papstes unter einem Baldachin angebracht ist. (Abb. 52)

39 BCVe, ms. Cicogna 1370, fol. 47: Congedatosi dopo un Santo rinfresco dai Kavalieri parti [der ­Nuntius] scordandosi di passar alla Visita della Principessa Donna Faustina, che stava attendendolo in una stanza Principale ove stava eretto un superbo Baldacchino di Sopracarico d’oro in verde, come pure dello stesso era addobbata la stanza tutta e […] ancora, sotto del qual Baldacchino stava un seggiolone Pontificio e sopravi appeso il Ritratto di Sua Santità. 40 Dies ist für das gesamte 18. Jahrhundert belegt. Castro / Pedrocchi / Waddy, Il Palazzo P ­ allavicini Rospigliosi (2000), S. 318 f., nr. 7 – 8; Bodart, I ritratti dei re (2001), S. 313. Ein Inventar aus den Jahren 1747 bis 1750 belegt auch für den Palazzo Doria Pamphili einen Thronsaal, in welchem das Porträt des regierenden Pontifex (in ­diesem Falle Benedikt XIV. Lambertini) hing. Norlander Eliasson, A faceless Society? (2007), S. 506. Winkler, Bildnis und Gebrauch (1993), S. 161 verwendet bezüg­lich der Präsenta­tion des Bildnisses in Zusammenhang mit Baldachin und Thron den Begriff „installiertes Staatsporträt“. 41 Vgl. ebd., S. 174 – 194; Polleross, Des abwesenden Prinzen (1995), S. 406. 42 Bereits Roettgen hat einen solchen Gebrauch des Gemäldes vermutet. Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 134.

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52 Giuseppe Filosi, Familienporträt der Rezzonico, Kupferstich, Venedig, Museo Correr

Der Vorhang des Baldachins fällt zu beiden Seiten weit nach außen und scheint die Familie im Hintergrund zu umfassen. Auf diese Weise erinnert er an das Motiv der Schutzmantelmadonna, die ihren Beistand den unter ihrem ausgebreiteten Mantel versammelten Schutzbedürftigen gewährt. In d ­ iesem Falle ist es jedoch der Papst, der schützend seine Hand über die Familie hält und dessen Wahl den Höhepunkt ihres sozia­len Aufstiegs markierte. Allerdings war es nicht das von Anton Raphael Mengs geschaffene Porträt, das anläss­lich der Fest­lichkeiten im Juli 1758 in der sala d’udienza des Familienpalastes ausgestellt wurde. Doch es ist davon auszugehen, dass das erste Porträt, welches nach der Wahl Clemens’ XIII . sicher­lich in großer Eile angefertigt wurde, ein Jahr s­päter durch das Mengs’sche Werk ersetzt wurde. Auszuschließen ist nicht, dass man den säch­sischen Künstler im Vorfeld über die dem Bildnis zugedachte Funk­tion in Kenntnis setzte. Sie könnte den Maler zu dem neuen Bildtypus angeregt haben, welcher der Präsenta­tion des Bildes unter einem Baldachin im Palast der Papstfamilie einen authentischeren Bezug verlieh. Die Darstellung des Vorhangs, w ­ elche die Figur des Papstes einrahmte, spielt nicht nur auf den Vorhang eines Baldachins an, sondern erinnert gleichzeitig auch an die in venezianischen Palästen zur Auskleidung der Wände verwendeten schweren Brokatstoffe, wie sie

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auch heute noch in der sala del trono des Palazzo Rezzonico zu sehen sind.43 Anders als der Papst, dem sein Konterfei in dieser unvermittelt konfrontierenden Darstellungsform offenbar äußerst missfiel, äußerte sich Goethe 1788 hingegen ausgesprochen anerkennend über die von Mengs gefundene Bildlösung. Nachdem er das Porträt in Rom, wohin es in der Zwischenzeit zurückgekehrt war,44 im Palast des Papstnepoten Abbondio Rezzonico gesehen hatte, beschrieb er es hochachtungsvoll als ein gewagtes Kunststück in der Malerei, welches aber vortreff­lich [gelang].45

43 Auch Roettgen, La ritrattistica (2008), S. 134 sieht einen Zusammenhang ­zwischen den Wandstoffen in venezianischen Palästen und dem von Mengs gewählten Hintergrund. 44 1766 wurde die Sammlung des Palazzo Rezzonico aufgeteilt, um mit einem Teil der Bilder die neue Residenz des römischen Senators auszustatten. Zu den Werken, die nach Rom gingen, zählte auch das Mengs’sche Porträt. Vgl. Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 104 – 110, besonders S. 104. 45 Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise. Hg. v. Andreas Beyer und Norbert Miller. München 2006 (Sämt­liche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hg. v. Karl Richter u. a., Bd. 15), S. 617. Vgl. auch Roettgen, Die Erfindung (2001), S. 263.

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2. Die Etablierung der Familie in Rom Mit der unverhofften Wahl Carlo Rezzonicos zum Papst eröffnete sich für seine Familie plötz­lich die Mög­lichkeit, ihrer Rolle als Angehörige einer blockierten Sekundärelite im venezianischen Kontext zu entkommen und sich innerhalb der römischen Adelsgesellschaft auf einem völlig neuen Niveau zu etablieren. Im Gegensatz zu den festgefahrenen Strukturen des oligarchischen Systems der Serenissima bot Rom aufgrund seiner Verfassung als Wahlmonarchie den Angehörigen des Papstes ganz besondere Aufstiegsmög­lichkeiten. Denn von jedem neuen Papst wurden die Machtverhältnisse und Einflussbereiche neu aufgeteilt, so dass sich für die Parvenüs eine Vielzahl von Op­tionen ergab, innerhalb des kontinuier­lich rotierenden Systems der Kurie zu Ämtern und Würden zu gelangen. Allerdings hatte sich dieser Mechanismus in der Geschichte des Papsttums als äußerst problemträchtig erwiesen. Die Päpste hatten ihre Regierungszeit, deren Länge naturgemäß nicht vorauszusagen war, massiv dazu genutzt, einerseits durch den Aufbau eines eng gestrickten klientelären Netzwerkes ihre Herrschaft zu sichern. Gleichzeitig bauten sie im Hinblick auf ihre Familien für deren Wohlergehen in der postpontifikalen Phase vor, indem sie Mitgliedern der eigenen Familie einflussreiche und finanziell einträg­liche Ämter verliehen und sie mit zahlreichen Pfründen bedachten. Eine besondere Rolle spielten dabei jene Papstneffen, die als „rechte Hand“ ihres Onkels eng in die Regierungs­ geschäfte eingebunden wurden und in besonders ausgeprägtem Maße von der päpst­lichen Gunst profitierten.1 Als Carlo Rezzonico den Stuhl Petri bestieg, war der Nepotismus als Element der päpst­ lichen Herrschaftsorganisa­tion bereits seit fast siebzig Jahren offiziell abgeschafft. Dennoch sollte die Familie in hohem Maße von der Regierung „ihres“ Papstes profitieren, wie bei näherer Betrachtung des Rezzonico-­Pontifikats deut­lich wird. Doch um die Familienfürsorge Clemens’ XIII . und die dahinterliegenden Strategien eingehender analysieren zu können, muss zuerst kurz auf die Entwicklung des Nepotismus und insbesondere auf dessen ökonomische Folgekosten eingegangen werden. Abschaffung und Fortleben des Nepotismus Im Laufe des 17. Jahrhunderts war der Nepotismus als Strukturmerkmal päpst­licher Herrschaftsorganisa­tion zunehmend in die Kritik geraten. Zum einen bildete sich eine kuriale Bürokratie aus, w ­ elche die schon zuvor zweifelhafte Herrschaftsfunk­tion der Kardinalnepoten durch ihre Beteiligung an der päpst­lichen Regierungsarbeit immer mehr zur Makulatur werden ließ.2 Die zweite Rolle, ihre „Bereicherungsfunk­tion“ im Dienste

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Zum päpst­lichen Nepotismus in der Frühen Neuzeit nach wie vor maßgeb­lich Reinhard, Nepotismus (1975); Ders., Amici e Creature (1996). Vgl. dazu Reinhardt, Normenkonkurrenz (2005).

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des Familienkollektivs, erwies sich mehr und mehr als untragbare Last für die päpst­lichen Finanzen: Die Notwendigkeit, immer neue Nepotengenera­tionen finanziell auszustatten, hatte wesent­lich zum katastrophalen Zustand der päpst­lichen Kassen geführt.3 Schon unter dem ener­gischen Reformer Innozenz XI. Odescalchi waren wichtige Schritte zur Sanierung des Kirchenstaatshaushaltes erfolgt.4 Einer davon bestand darin, dass dieser Pontifex keine Kardinalnepoten berufen hatte. Der Versuch Innozenz’ XI., den Nepotismus auf dem Rechtswege abzuschaffen, scheiterte jedoch am heftigen Widerstand der Kurie.5 Erst im „zweiten Anlauf“ wurde im Jahr 1692 unter Innozenz XII. Pignatelli (1691 – 1700), einem weiteren Reformpapst des 17. Jahrhunderts, die bereits von Innozenz XI. entworfene Bulle „Romanum decet Pontificem“ erlassen, die dem Nepotismus aus mora­lischen und wirtschaft­lichen Erwägungen heraus zumindest offiziell ein Ende setzen und damit eine grundlegende Regierungsreform des Kirchenstaates einleiten sollte.6 Zweifellos waren es die enormen wirtschaft­lichen Folgekosten, ­welche die beiden Reformpäpste zum Vorgehen gegen den Nepotismus motivierten. So hatte Innozenz XI. im Jahre 1677 diesbezüg­liche Berechnungen anstellen lassen, die ergaben, dass seit dem Pontifikat Clemens’ VIII. Aldobrandini (1592 – 1605), mit dessen Regierungszeit der Nepotismus nach einer Periode relativer „gegenreformatorischer“ Strenge eine neue Blüte erlebte, insgesamt ca. 30 Millionen Scudi an päpst­liche Nepoten geflossen ­seien.7 Auch Innozenz XII . ließ Nachforschungen bei der Camera Apostolica anstellen. Sie betrafen ledig­lich jene finanziellen Zuwendungen, ­welche die päpst­lichen Nepoten als Amtsinhaber von der Finanzkammer erhalten hatten, ohne ihre Einkünfte aus der Datarie, kirch­liche Pensionsgelder, Schenkungen seitens ihrer Onkel oder Einkünfte aus Kommendatarabteien zu berücksichtigen. Demzufolge hatten die Nepoten Pauls V. ­Borghese (1605 – 1621) wohl insgesamt ca. 850000 Scudi erhalten (ca. 57000 Scudi pro Jahr), diejenigen Urbans VIII. Barberini (1623 – 1644) ca. 1700000 Scudi (ca. 81000 Scudi pro Jahr) und auch sein Amtsnachfolger Innozenz X. (1644 – 1655) Pamphili hatte die Seinen mit insgesamt 1400000 Scudi (ca. 128000 Scudi pro Jahr) bedacht. Die Neffen ­Alexanders VII. Chigi (1655 – 1667) schlugen mit 900.000 Scudi (ca. 75000 Scudi pro Jahr) zu Buche. Anscheinend schnellten die jähr­lichen Zuwendungen mit ca. 200000 Scudi aus Kammergeldern unter Clemens X. Altieri (1670 – 1676) enorm in die Höhe, bezogen dessen 3 4 5 6

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Vgl. dazu Menniti Ippolito, Il tramonto (1999); Bernasconi, Il cuore irrequieto (2004). Zu den Reformmaßnahmen Innozenz’ XI. knapp und konzis Reinhardt, Der Sanierer (2004). Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S.  961 f.; Rodén, Cardinal Dezio Azzolino (1996). So lautet das Fazit von Menniti Ippolito, Il tramonto (1999), S. 115: „[…] e dopo secoli di polemiche, dopo innumerevoli discussioni su quella prassi, il nepotismo, almeno quello che potremmo definire il ‚nepotismo istituzionale‘, finì.“ Auf die von Menniti Ippolito hier konstatierten Kontinui­ tätslinien machen auch Büchel, Raffe und regiere (2002) sowie Emich, Bürokratie und Nepotismus (2001), S.  414 – 432; Dies., Die Karriere des Staatssekretärs (2005), S. 343, 355 nachdrück­lich aufmerksam. Pastor. Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S. 961. Diese Angabe bezieht Pastor aus zwei römischen avvisi vom 16. April und 7. Mai 1678.

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Nepoten doch insgesamt 1200000 Scudi. Übertroffen wurde diese Summe noch unter dem Venezianer Alexander VIII . Ottoboni (1689 – 1691), denn in seinem nur sechzehn Monate währenden Pontifikat flossen 700000 Scudi an die Nepoten.8 Diese zeitgenös­sischen Berechnungen decken sich in etwa mit den Kalkula­tionen der neueren Nepotismusforschung, die bislang allerdings nur für die Pontifikate Pauls V. und Alexanders VII. angestellt wurden.9 So kann davon ausgegangen werden, dass die „klas­ sischen“ welt­lichen Nepotenämter (wie das generalato di S. Chiesa, das generalato delle galere, das segretariato del generalato di S. Chiesa, das generalato di Borgo, das castellanato di S. Angelo und verschiedene capitanati) sowie die „klas­sischen“ geist­lichen Nepoten­ ämter (vicecancelliere, cardinale camerlengo, penitenziere maggiore sowie die legazione di Avignone, die sopraintendenza generale dello Stato ecclesiastico und verschiedene Kongrega­ tionspräfekturen) als „sichere Einnahmen“ ungefähr mindestens die Hälfte der Nepoten­ einkünfte ausmachten. Hinzu kamen noch die beträcht­lichen Zuwendungen, ­welche die Nepoten aus den päpst­lichen Geldschatullen erhielten, sowie die variablen Renditen aus Kirchenbesitz (Abteien, Pensionen).10

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Ebd., S. 1128. Die Aufstellung gibt für die Nepoten des Borghese-­Papstes nur Bezüge in Höhe von 260000 Scudi an, was sich jedoch nicht mit denen von Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese (1984), S.  40 – 116 und Reinhard, Papstfinanz und Nepotismus (1974), Bd. 1., S. 31 – 59, 145 f. deckt, die von insgesamt ca. 850000 Scudi Mindesteinkünften aus Ämtern ausgehen. Bezüg­lich der Einnahmen der Altieri- und Ottoboni-­Nepoten ist nicht auszuschließen, dass sich die Angaben nicht nur auf die Ämtervergütungen, sondern auf die Gesamteinkünfte beziehen. 9 Zum Nepotismus Alexanders VII. vgl. die exzellente Studie von Teodori, I parenti del Papa (2001). Zum Nepotismus Pauls V. vgl. Reinhard, Papstfinanz und Nepotismus (1974); Ders., Ämterlaufbahn und Familienstatus (1974); Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese (1984). 10 Vgl. hierzu die Aufstellungen bei Teodori, I parenti del Papa (2001), S. 73, 80, 85, 94, 99 f., 107, 114 f., 117, 127 f. Demnach speisten sich die Einkünfte der vier Nepoten Alexanders VII. mit 990481 Scudi aus Ämtern, mit 348735 Scudi aus kirch­lichen Renditen, mit 663146 Scudi aus Schenkungen (durchschnitt­lich also ca. 168000 Scudi pro Jahr). Die Einkünfte aus Ämtern konnten sich in dem Falle erheb­lich erhöhen, wurde einer jener einträg­lichen Kurienposten vakant, die wie die Cancelleria und das Camerlengato auf Lebenszeit vergeben wurden, vgl. dazu unten. Die Einkünfte der einzelnen Nepoten variierten insbesondere auch im Hinblick auf jene Finanzquellen, die auf kirch­lichen Renditen beruhten. Darauf weist Teodori, S. 209 – 225 hin, indem er die Einkünfte der Borghese-­Nepoten mit denjenigen der Chigi-­Nepoten vergleicht. So bezogen die Borghese weitaus mehr Einkünfte aus Abteien und kirch­lichen Pensionen als aus Ämtern: Insgesamt beliefen sich ihre Einkünfte auf 3340000 Scudi (durchschnitt­lich also ca. 222000 Scudi pro Jahr). Davon entfielen 850000 Scudi auf Ämter, 1190000 Scudi auf Schenkungen und 1300000 Scudi auf kirch­liche Einkünfte. Inwieweit sich im Laufe des 17. Jahrhunderts die Zugriffsmög­lichkeiten auf kirch­liche Einkünfte außerhalb des Kirchenstaates verringerten und/oder die Renditen der Kirchengüter abnahmen, ist bislang nicht untersucht. Vor dem Hintergrund tendenziell abnehmender Einkünfte aus den Ressourcen der ­Kirche und des Kirchenstaates mussten Pensionszahlungen, vor allem, wenn sie seitens der Großmächte für politische Loyalitäten an Kardinäle gezahlt wurden, von großer Bedeutung sein. Auch hinsicht­lich der Frage, inwieweit diese Zahlungen nach der offiziellen Abschaffung des Nepotismus für die politischen Dynamiken an der Kurie von Bedeutung waren, liegen bisher noch keine Studien vor.

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In Anbetracht der enormen Folgekosten des päpst­lichen Nepotismus ist es kaum verwunder­lich, dass die Bulle „Romanum decet Pontificem“ sowie die sich an sie 1694 anschließende Reform des Ämterwesens verboten, einem Verwandten das einflussreiche Amt des Kardinalstaatssekretärs zu übertragen. Fortan galt überdies die Regelung, dass nur einer der Nepoten von seinem päpst­lichen Onkel mit dem Kardinalshut bedacht werden sollte und dass das Einkommen eines jeden päpst­lichen Verwandten jähr­lich 12000 Scudi nicht übersteigen dürfe.11 Obwohl alle Nachfolger Innozenz’ XII. bei ihrem Amtsantritt auf diese Bulle schwören mussten, ist in der Forschung seit längerem von verschiedener Seite darauf hingewiesen worden, dass der Nepotismus, wenngleich in gemäßigter Form, auch im folgenden Jahrhundert weiter existierte.12 Zwar wurde nach dem Pignatelli-­Pontifikat kein Nepot mehr ins Amt des Kardinalstaatssekretärs berufen. Doch gerade in einer Wahlmonarchie wie der römischen blieben die Verwandten dem Papst unersetzbares Personal, wenn es darum ging, in kürzester Zeit loyale und im Sinne des Papstes funk­tionierende Netzwerke aufzubauen. Dass dabei auch der päpst­liche Versorgungsapparat, die eigene Familie betreffend, in ökonomischer Hinsicht (in reduzierter Form) bestehen bleiben musste, kann kaum verwundern, auch wenn es den Familienverbänden der im 18. Jahrhundert regierenden Päpste anders als den Papstfamilien der nepotistischen Hoch-­Zeit nicht gelingen sollte, immenses Kapital anzuhäufen.13 Obwohl fundierte Studien zum Aufbau und zur Struktur der Kurie im 18. Jahrhundert fehlen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Nepotismus gewissermaßen „auf Sparflamme“ fortlebte. Clemens XI. Albani (1700 – 1721) kam nicht umhin, seinen Neffen ­Annibale Albani 1711 mit dem roten Hut zu bedenken. Bereits 1703 hatte er Francesco ­Pignatelli, den Nepoten seines reformbedachten Vorgängers, zum Kardinal gemacht. Ein Jahr nach dem Tod des Papstes aus dem Hause Albani wurde sein zweiter Neffe Alessandro von Innozenz XIII. Conti (1721 – 1724) im Juli 1721 zum Kardinal ernannt, nachdem nicht einmal einen Monat zuvor der Papstbruder Bernardo Maria Conti den roten Hut erhalten hatte.14

11 Bullarum Diplomaticum et Privilegiorum sanctorum Romanorum Pontificum (1870), Bd. XX, S.  440 – 4 46; Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XIV/2, S. 1128 f. Es ist anzunehmen, dass sich die Höchstsumme von 12000 Scudi ledig­lich auf Zuwendungen aus Kammergeldern bezieht. 12 Siehe Anm. 6 ­dieses Kapitels. 13 Das enorme, während der Regierungszeit „ihrer“ Päpste angehäufte Kapital wurde in der Regel von den Familien in Landbesitz investiert. Diese Investi­tionen sorgten dafür, dass die Papstfamilien des 17. Jahrhunderts ihren Besitzstand dauerhaft konsolidieren konnten. Aufschlussreich ist die 1810 von den Franzosen zwecks Besteuerung des Landbesitzes im Latium vorgenommene Besitzstands­ erhebung, die von Laudanna, Le grandi ricchezze (1989) wissenschaft­lich ausgewertet worden ist. Demnach befanden sich die Borghese mit 2524546 Scudi an erster Stelle. Zur Einkommensspitze zählten auch die Chigi, die mit 760393 Scudi den dritten Platz einnahmen. Ihnen folgten die Doria Pamphili mit 685841 Scudi. An achter Stelle rangierten die Altieri mit 479239 Scudi Einkünften aus Landbesitz; an neunter die Odescalchi mit 459891 Scudi, gefolgt von Carlo Barberini mit 421387 Scudi. An elfter Stelle kamen die Rospigliosi mit 382580 Scudi. Ebd., S. 123. Familien der im 18. Jahrhundert regierenden Päpste konnten nicht mehr in die Einkommensspitze aufrücken. 14 Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XV, S. 251 – 257, 411 f.

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Das als rendere il capello bezeichnete Verhaltensmuster, welches in der Verleihung der Kardinalswürde an Angehörige eines verstorbenen Papstes bestand, war zwar durchaus kein neues Phänomen. In Anbetracht der formellen Abschaffung des Nepotismus (und der Vorschrift, dass – wenn überhaupt – höchstens einer der Nepoten eines regierenden Papstes von seinem Onkel zum Kardinal ernannt werden durfte) kam ihm nun offenbar eine größere Bedeutung zu. Gewissermaßen rückten die Papstfamilien näher zusammen, schließ­lich barg die Kardinalswürde immer noch die besten Mög­lichkeiten, um an Pfründen zu gelangen, Beziehungsnetze zu knüpfen und den Status der Familie in Rom zu fördern.15 Der reformbeflissene Dominikaner Benedikt XIII . Orsini (1724 – 1730) ernannte zwar keinen Neffen, jedoch seinen Günstling Niccolò Coscia 1725 zum Kardinal. Coscias Misswirtschaft und seine Begünstigungspraktiken waren dermaßen skandalös, dass der Beneventaner nach dem Tod des Papstes aus Rom vertrieben und ihm der Prozess gemacht wurde.16 Clemens XII . Corsini (1730 – 1740) machte schließ­lich seinen ­Neffen, Neri Maria Corsini, gleich in der ersten Promo­tion zum Kardinal. Offensicht­ lich wurde das Revival des Nepotismus in dieser Zeit relativ umsichtig gehandhabt, was sicher­lich nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass der Corsini-­Papst von Hause aus über ansehn­liches Kapital verfügte und in Fragen des Finanzmanagements äußerst versiert war. In jedem Falle gilt Neri Maria Corsini als der einflussreichste Nepot des 18. Jahrhunderts.17 Das Pontifikat Benedikts XIV . Lambertini (1740 – 1758), des Vorgängers Clemens’ XIII ., stand dann allerdings im ­­Zeichen eines vom Papst offen deklarierten Antinepotismus. Wie sehr das Problem der Verwandtenförderung immer noch die zeitgenös­sischen Diskussionen bestimmte, schlug sich in der ikonographischen Gestaltung seines 1768 enthüllten Grabmals nieder. (Abb. 53/54) Dort findet sich die Allegorie der Uneigennützigkeit, die demonstrativ einen Putto abwehrt, der ihr ein mit Geldstücken überquellendes Füllhorn entgegenhält. Schaut man genauer hin, so wird man bemerken, dass der Boden des Füllhorns zu einem Schwanz mutiert ist, der sich mit dem Körper des 15 Auch die von Weber, Senatus Divinus (1996) beschriebene Tendenz eines in soziopolitischer Hinsicht zunehmend geschlossenen Kardinalskollegiums, das sich aus einem engen Kreis mitein­ ander verschwägerter Familienverbände rekrutierte, gehört zu ­diesem Phänomen. Das rendere il capello beschränkte sich dann auch nicht nur auf Angehörige eines unmittelbaren Amtsvorgängers (bzw. nach dem „A-B-A-Modell“ Emichs des zweiten Amtsvorgängers). Seit Anfang des 18. Jahrhunderts wurden auch (finanzkräftige) Nachfahren längst verstorbener Päpste (wie beispielsweise die ­Odescalchi oder die Borghese) verstärkt mit roten Hüten bedacht. Zum „A-B-A-Modell“ vgl. Emich, Karrieresprung (2004), S. 135. 16 Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XV, S.  484 – 487, 607 f.; Raybaud, Papauté et pouvoir temporel (1963), S. 53; umfassend Filippini, Benedetto XIII (2012). 17 Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XV, S.  632 f.; Chadwick, The Popes (1981), S. 305. Darüber hinaus erhielt auch der Großneffe Clemens’ XII., Andrea Corsini, 1759 den roten Hut vom Rezzonico-­Papst. Einmal mehr ist hier das rendere il cappello zu verzeichnen, denn Clemens XIII. war selbst 1737 von Clemens XII. Corsini zum Kardinal ernannt worden. Vgl. Kap. II.5.

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53/54  Gaspare Sibilla, Allegorie der Uneigennützigkeit am Grabmal Benedikts XIV., vor 1769, Rom, Sankt Peter

Putto verbindet. Seine Flügel entpuppen sich darüber hinaus als Fledermausschwingen, wodurch der kleine Geselle als der teuf­lische Versucher in höchsteigener Person entlarvt ist, dem jedoch der Papst in seinem Amt als Oberhaupt der katho­lischen Christenheit heroisch widersteht.18 Angesichts dieser Befunde muss sich nun der Fokus auf die Mittel und Wege C ­ lemens’ XIII . richten, mit denen er versuchte, die eigene Familie in Rom zu etablieren und damit gleichzeitig einen Ausweg aus dem stagnierenden sozia­len Aufstieg in Venedig zu schaffen. Dabei wird sich zeigen, wie gerade anhand des Rezzonico-­Pontifikates die bereits von Menniti Ippolito, Büchel und Emich aufgestellte These belegt werden kann,19 dass dem Nepotismus mit der Bulle aus dem Jahre 1692 zwar offiziell ein Ende gesetzt worden war, er jedoch auch im 18. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle an der Kurie spielte.

18 Zum Grabmal Benedikts XIV. und dem dort offen proklamierten Antinepotismus vgl. Goldhahn, Papst ohne Familie (2004), besonders S. 227, 231 f., 237. 19 Vgl. Anm. 6 ­dieses Kapitels und Kap. I, Anm. 13, 14, 15.

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Die vier Nepoten des Papstes Es vergingen nach der Wahl nur wenige Tage, bis Clemens XIII . seinen vierunddreißigjährigen, gleichnamigen Neffen Carlo Rezzonico zu seinem segretario dei memoriali ernannte.20 Dieser befand sich bereits seit längerem an der Kurie, denn die Rezzonico hatten kräftig auch in diese dritte Kurien-­Genera­tion der Familie investiert und damit ihr römisches Standbein weiter gestärkt. In ihren Anfängen g­lich Carlos Karriere derjenigen seines päpst­lichen Onkels: Wie dieser drei Jahrzehnte vorher, so erwarb auch er, nunmehr unter Benedikt XIV., 1748 das Amt des protonotario apostolico sopranumerario 21 und wurde noch im gleichen Jahr päpst­licher Referendar, ein klas­sisches Einstiegsamt für eine Kurien­karriere.22 1751, als sein kardinalizischer Onkel die Verhandlungen um das Patri­ archat von Aquileia zu einem für Rom zufriedenstellenden Abschluss führte, ernannte ihn Benedikt XIV. zum Präsidenten der aposto­lischen Kammer.23 1754 erwarb er das Amt eines Kammerklerikers,24 um welches sich bereits sein Großonkel Abbondio bemüht hatte, was jedoch seinerzeit offenbar aufgrund der finanziellen Situa­tion der Familie gescheitert war. Ob das Kammerklerikat im 18. Jahrhundert nach den zahlreichen Reformversuchen an der Kurie immer noch zu den teuersten Kaufämtern zählte, ist nicht bekannt. Doch es handelte sich nach wie vor um ein einflussreiches Amt, das gute Chancen auf den Kardinalshut versprach. Die Wahl Clemens’ XIII. beschleunigte Carlos Karriere in unverhoffter Weise. Bereits mit seiner Ernennung zum Memorialensekretär nahm er eine Schlüsselstellung im päpst­ lichen Verwaltungsapparat ein, denn zu seinen Aufgaben gehörte es, die unmittelbar beim Papst einlaufenden Schriftstücke zur weiteren Bearbeitung zu dirigieren. Der damit verbundene häufige Zugang zum Papst erforderte ein besonderes Vertrauensverhältnis ­zwischen ­diesem und dem Amtsinhaber, weshalb es bereits in der Vergangenheit meist von einem Nepoten ausgeübt worden war. Auch nach „Abschaffung“ des Nepotismus wurde es oft mit einem Verwandten des Papstes besetzt.25

20 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 456; Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 336; Menniti Ippolito, Il tramonto (1999), S. 156. 21 Weber, Die päpst­lichen Referendare (2004), Bd. 3, S. 841. Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 165. 22 Weber, Die päpst­lichen Referendare (2004), Bd. 3, S. 841. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Reinhard, Paul V. Borghese (2009), S. 314 bemerkt hinsicht­lich der unter ­Benedikt XIII. erfolgten Ernennung Niccolò Coscias, der kein Blutsverwandter des Papstes war, zum Memorialensekretär: „Allerdings soll es damals üb­lich gewesen sein, dass trotz offizieller Abschaffung des Nepotismus diese Vertrauensstellung einem Verwandten des Papstes übertragen wurde.“ Vgl. auch Pastor, Geschichte der Päpste (1930), Bd. XV, S. 475, 479, Anm. 6; Menniti Ippolito, Il tramonto (1999), S. 156. In der Tat ernennt auch Clemens XII. seinen Neffen Neri Corsini zum segretario dei memoriali. Filippini, Benedetto XIII (2012), S. 36, Anm. 49. Generell zu ­diesem Amt ­Menniti Ippolito, Il Governo (2007), S. 124 – 126; Ders., Il Segretario di Stato (2008); Filippini, Benedetto

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Ebenfalls kurz nach der Wahl wurde der Neffe mit der Abtei San Zeno in Verona bedacht, die mit 1000 Scudi Jahreseinkünften weitaus mehr abwarf als die meisten der vom Papst in ­diesem Moment zu vergebenden Pfründen.26 Außerdem nahm Clemens XIII. bereits zwei Monate nach Amtsantritt die erste Kardinalspromo­tion vor, ohne jedoch den Namen des neuen Kardinals preiszugeben. Doch man vermutete sofort den Papstneffen Carlo Rezzonico, und Anfang Oktober 1758 wurde seine Ernennung offiziell.27 Offensicht­lich überraschte diese Promo­tion in Rom nicht allzu sehr. Schon am 2. August 1758 hatte der österreichische Kronkardinal Franz von Rodt der Kaiserin Maria Theresia berichtet, man gehe davon aus, der Papst werde den größten Teil der Geschäfte seinem Nepoten übertragen.28 Vor dem Hintergrund der Bulle „Romanum Decet Pontificem“ des Jahres 1692, die eine federführende Rolle für die Papstnepoten zum Tabu erklärte, eine bemerkenswerte Äußerung, die zeigt, wie sehr familiäre Verflechtungen nach wie vor zur Tagesordnung an der Kurie gehörten.29 Und sie legt zumindest die Vermutung nahe, dass dem Kardinalnepoten durchaus größerer politischer Handlungsspielraum zugedacht war. Nacheinander wurde Carlo dann zum vicecancelliere (November 1758) und zum camer­ lengo (1763) ernannt, vor 1692 klas­sische Nepotenämter, ­welche auf Lebenszeit vergeben wurden und zu den höchstdotierten an der Kurie gehörten.30 Waren die unmittelbaren Vorgänger Carlo Rezzonicos auf beiden Posi­tionen keine Nepoten gewesen, so drehte sein Onkel das Rad der Geschichte bei dieser Gelegenheit um fast siebzig Jahre zurück.31 Der

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XIII (2012), S. 34 – 46. Zur Ämterverteilung und -gewichtung innerhalb der päpst­lichen famiglia Visceglia, Denominare e classificare (2005). Nur Antonio Maria Priuli, Bischof von Vicenza und Landsmann der Rezzonico, erhielt bei dieser ersten Pfründenverteilung mit einer Pension von 1200 Scudi aus den Einkünften des Bistums mehr als der Papstneffe. Ansonsten betrugen die zu vergebenden Pensionen in der Mehrheit ­zwischen 100 und 300 Scudi, in wenigen Fällen ­zwischen 400 und 600 Scudi. BCVe, Ms. Cicogna 3176, fol. 76r–v. HC, Bd. VI, S. 20; Dispacci di Roma, b. 279 (o. D., aber ­zwischen 30. September und 7. Oktober 1758). Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 457, Anm. 4. Es sollte sich jedoch bald zeigen, dass Carlo Rezzonico nicht bereit oder auch nicht in der Lage war, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Wiederholt erwähnt Antonio Maria Borini, der Beichtvater Clemens’ XIII., in seinen Briefen an Federico Maria Giovanelli das mangelnde Inte­ resse des Kardinalnepoten an den politischen Tagesgeschäften. Für diese interessierte sich stattdessen bald umso mehr sein jüngerer Bruder Giovanni Battista. BMVe, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (14. November 1761). Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 165. Zum Amt des vicecancelliere und des camerlengo vgl. Del Re, La Curia Romana (1970), S. 281 f., 296 f. Das Amt des vicecancelliere war durch den Tod Alberico Archintos vakant geworden, der es gleichzeitig mit dem Amt des Staatssekretärs 1756 von Benedikt XIV. verliehen bekommen hatte. Nach der offiziellen Abschaffung des Nepotismus behielt Pietro Ottoboni, dem das Amt von seinem Onkel Alexander VIII. 1689 übertragen wurde, den Vizekanzlerposten bis zu seinem Tod im Jahre 1740. Ihm folgten Tommaso Ruffo (1740 – 1753) und Girolamo Colonna di Sciarra, der den Posten aus unbekannten Gründen 1756 (vielleicht aber, weil er das camerlengato bekam) niederlegte. Das camerlengo-­Amt hingegen wurde von 1698 bis 1719 von Giambattista Spinola d. J. ausgeübt, gefolgt vom Papstneffen Annibale Albani (1719 – 1747) und Silvio Valenti Gonzaga (1747 – 1756). Ihm folgte

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venezianische Botschafter versäumte es nach der Verleihung des Vizekanzleramtes an den Papstnepoten deshalb auch nicht, die Serenissima über die Mög­lichkeiten zu unterrichten, die sich dem Nepoten nun auftaten: Ha pure Sua Santità fatto tenere al Card:e Nipote il Biglietto di Cancelliere, posto vacato con la morte del Card:e Archinto. Oltre il godimento di un nobile Palazzo vi è la rendita almeno di scudi tre mille, e modo di beneficare molti de Suoi.32

Allerdings sollte sich rasch herausstellen, dass Carlo Rezzonico zu einer aktiven Ausübung der ihm zufallenden Ämter im Sinne einer politisch federführenden Rolle an der Kurie nicht in der Lage war. Einen anschau­lichen Eindruck von der persön­lichen Integrität, aber auch Überforderung des Kardinals mit den ihm übertragenen Aufgaben vermittelt seine rückblickende Charakterisierung aus der Feder des Winckelmann-­ Biographen Carl Justi: Diese Stelle [das Commissariat der Alterthümer, das Winckelmann bekam] vergab der Cardinal-­Kämmerer, damals Carlo Rezzonico, Cardinalpresbyter von San Clemente. Er war vom Schnitt seines Oheims, wohlthätig, gerecht, verschwiegen, kein Cabalenmacher. Sonst ent­ werfen die scharfen römischen Federn von ihm kein schmeichelhaftes Bild: Talent des Handelns fehle ihm gänz­lich; er sei unentschlossen, schwerfällig, tactlos, zerstreut. Er las alle Bittschriften aufmerksam durch, erschien aber dann bei wichtigen Verhandlungen erschöpft und verdrossen, bei Audienzen finster, unruhig, streng; in den k­ urzen Conferenzen mit dem Oheim seufzte er, gähnte und schlief ein. Jede Bitte verwirrte, jede Geschichte langweilte ihn. Sein Dasein zerfloss ­zwischen Unthätigkeit, Messelesen und viertelstündigen Stoßgebeten; infolge davon wurde seine Gedankenrichtung immer düsterer und abergläubischer.33

Doch Carlo war nicht der einzige Neffe des Papstes. Wie über ihm, so strahlte auch über seinen drei Brüdern hell die päpst­liche Gnadensonne. Der Zweitälteste, Ludovico, der in Venedig wenige Monate vor der Papstwahl Faustina Savorgnan geheiratet hatte, wurde nach Rom bestellt und mit dem Titel eines principe assistente al Soglio pontificio bedacht. Als 1761

Girolamo Colonna di Sciarra, der d ­ ieses Amt bis zu seinem Tod im Jahre 1763 innehatte. Moroni, Dizionario (1841), Bd. VII, S. 83. 32 ASVe, Dispacci di Roma, b. 179, fol. 196v (14. Oktober 1758). Bezüg­lich der anstehenden Verleihung des camerlengo-­Amtes schrieb der Architekt Luigi Vanvitelli am 23. Januar 1763 an seinen Bruder: Senza essere profeta, il Camerlengato deve essere di Sua Eminenza nipote, con tutto il resto. Credo che Torregiani vorrebbe, ma non so se potrà ottenerlo, perché li nipoti assedieranno il Papa per tutti i versi. Zitiert nach Strazzullo, Lettere (1977), Bd. III, S. 16. 33 Justi, Winckelmann, Bd. III, S. 23 f. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der des päpst­lichen Beichtvaters Antonio Maria Borini (vgl. Anm. 29) und wird auch von Pastor übernommen. Ders., Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 458.

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der gonfaloniere del Senato e Popolo Romano Camillo Pamphili starb, erhob Clemens XIII. im folgenden Jahr Ludovico in diesen Stand, wodurch ihm im päpst­lichen Zeremoniell eine weitere prominente Rolle zufiel.34 Allerdings waren die einst statt­lichen Einkünfte bereits im Rahmen der eingreifenden Finanzreform unter Innozenz XI. radikal gesenkt worden. Gaetano Moroni, als Autor des „Dizionario di Erudizione storico ecclesiastico“ ein profunder Kenner der römischen Kurie, veranlasste dies zu der lakonischen Aussage: „e d­’­allora non rimase al gonfaloniere che l’onorifico della sua dignità.“35 Von ­diesem Ehrenamt, das bisher nur Familienmitglieder des römischen Hochadels eingenommen hatten, dürfte Ludovico nicht allzu viel profitiert haben. Sein Aufenthalt in der Ewigen Stadt dauerte keine vier Jahre. Dann hatte er sich so mit seinen Brüdern überworfen, dass er zum großen Erstaunen der Römer nach Venedig zurückkehrte.36 Giovanni Battista Rezzonico hingegen, der zweitjüngste Sproß, der wohl auch die Hauptursache für die überstürzte Abreise des Bruders war, verfügte reich­lich über jenen Ehrgeiz, der seinem ältesten Bruder Carlo so gänz­lich fehlte. Als Absolvent des Col­ legio Romano,37 welches er gemeinsam mit Abbondio, dem jüngsten der Rezzonico-­ Brüder, besucht hatte, war er prädestiniert für eine geist­liche Karriere, die sein Onkel nachdrück­lich förderte. Nacheinander durchlief der gerade einmal Zwanzigjährige die Ämter eines cameriere segreto partecipante, des protonotario apostolico, des chierico di camera, des commisario generale delle armi, wurde Großprior des Malteserordens und schließ­lich 1766 maggiordomo.38 Aufgrund des fragmentarischen Forschungsstandes zur Kurie im 18. Jahrhundert ist es schwierig, genaue Aussagen über die Dotierung der einzelnen Ämter zu machen. Keinesfalls steht jedoch zu befürchten, dass der Papstneffe mit leeren Händen ausging. Allein eine Abtei in der Gegend um Mailand, mit welcher Giovanni Battista ausgestattet wurde, versprach nach der Einschätzung des päpst­lichen Beicht­vaters jähr­liche Einnahmen von 20000 Scudi, von der allerdings noch Pensionen abzuführen waren.39 Doch wahrschein­lich lagen die Einkünfte aus dieser Pfründe immer

34 Moroni, Dizionario (1855), Bd. 31, S. 273 – 282, bes. S. 281. 1686 hatte Innozenz XI. d ­ ieses Amt den Pamphili übertragen, die es innerhalb der Familie weitervererben konnten. Mit dem Tod Camillo Pamphilis starb die Familie im Mannesstamm (bzw. ihrer seitens des Papstes ausdrück­lich approbierten „Kopplung“ an die Doria, die ihnen das nominelle „Überleben“ ihres Geschlechts sicherte) aus, wodurch das Amt wieder neu vergeben werden konnte. 35 Ebd., S. 280. 36 BMVe, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (1. Mai 1762): Martedì mattina poi alle ore 11 è partito il S.r Don Lodovico con la Consorte per la posta. Certo che Roma è rimasta sorpresa per la partenza de Nipote di Papa Regnante, del che mai più si dice essersi dato il caso e partenza così spogliata di seguito. Ob hinter der überstürzten Abreise Ludovicos noch andere Gründe als die Streitigkeiten mit den Brüdern standen, ist nicht bekannt. 37 Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 166. 38 Ebd., S. 166 f. 39 BMVe, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (28. Mai 1763): In confidenza dico a V. E. che l’Abbazia in Milanese che aveva fu M.r Molinari sarà data a M.r D. G. Batta, e rende venti mila scudi romani; ma con pensioni. Da Studien zur finanziellen Ausstattung

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noch über den 12000 Scudi, ­welche in der Bulle von 1692 als Einkommensobergrenze des Kardinalnepoten festgeschrieben waren. Und man bedenke: Giovanni Battista war zwar Nepot, aber noch längst nicht Kardinal. Dies sei jedoch, so der allgemeine Tenor in Rom, mit Hinblick auf den ausgeprägten Familiensinn des Papstes nur eine Frage der Zeit.40 Der Zeit aber versuchte Giovanni ­Battista, der den roten Hut um jeden Preis haben wollte, entschlossen entgegenzuarbeiten. Als sein Drängen beim päpst­lichen Onkel sein Anliegen nicht beschleunigte – schließ­lich hätte die Ernennung eines zweiten Familienkardinals die Antinepotismusbulle allzu offensicht­ lich verletzt –, griff er zur Selbsthilfe und unterstützte tatkräftig die Interessen des franzö­ sischen Königs beim Heiligen Stuhl, der im Gegenzug versprach, ihn zum franzö­sischen Kronprotektor zu machen und ihm auf diese Weise zum Kardinalat zu verhelfen. Doch daraus wurde vorerst nichts. Clemens XIII. erfuhr recht schnell von dem eigenmächtigen Vorgehen des Neffen und war darüber so verärgert, dass er nun den Gedanken an einen ­ attista sollte schließ­lich weiteren Kardinalnepoten weit von sich wies.41 Aber Giovanni B doch bekommen, was er begehrte, wenn auch nicht aus der Hand des Onkels. Ein Jahr nach dessen Tod ernannte Clemens XIV. Ganganelli (1769 – 1774), selbst eine Rezzonico-­ Kreatur, den Nepoten seines Amtsvorgängers 1770 zum Kardinal. Einmal mehr begegnet man hier dem Phänomen des rendere il capello, der Verleihung eines roten Hutes an jene

der einzelnen Abteien für das 18. Jahrhundert fehlen, konnte bisher nicht ermittelt werden, um ­welche Mailänder Abtei es sich handelte. 40 ASVe, Dispacci di Roma, b. 286 (23. August 1766): In quanto alla promozione de Cardinali, alcuni vogliono, che possa venir differita sino a Novembre, e possa esservi compreso Monsignore Rezzonico. 41 Spannungen ­zwischen dem Kardinalstaatssekretär Luigi Maria Torrigiani und den Botschaftern Spaniens, Frankreichs und Neapels führten dazu, dass die Botschafter beim Papst einen anderen Verhandlungspartner forderten und als solchen Giovanni Battista Rezzonico vorschlugen. Auf den Einwand hin, dass diese Aufgabe nur von einem Kardinal wahrgenommen werden könne, schlug der franzö­sische Botschafter dessen Ernennung zum Kardinal vor: […] gratissimo sarebbe stato l’altro Nipote, che sostiene la carica del Maggiordomo. Ad una tale proposizione il Pontefice, che credo possa già stato preventivamente avvisato, si scosse, e disse, che questi non poteva esser destinato, per non esser ­Cardinale, e che ciò farebbe tosto a tutto l’intero Collegio de medesimi. A ciò, soggiunse l’Ambasciatore ch’era ben facile di riparare, innalzandolo immediatamente alla Porpora. Der Papst lehnte dies entrüstet ab, hegte jedoch sofort den begründeten Verdacht, dass dieser Vorschlag auf Betreiben seines jüngsten Neffen zustande gekommen war: Nel caso presente più si aggiunge un altro sommo dispia­ cere per Sua Santità, ed è, […] che ancora vi siano giusti motivi per credere, che a ciò l’altro suo Nipote il Maggiordomo vi abbia dal canto proprio contribuito. Questo è un soggetto, che molto presumendo di se stesso, e sommamente desiderando di figurare, non è poi molto delicato nel sceglier i mezzi. Ha in ogni tempo molto coltivate le Corti di Spagna, e Francia, e non è senza sospetto, che abbia ciò eseguito anche senza li dovuti riguardi verso la Santa Sede. Benché sicuro di dover avere un giorno la Porpora, pur questa la brama ardentemente prima del termine del presente Pontificato, ove poter giungere all’in­ tera esecuzione di quelle viste, che teme svaniscano con la morte di suo Zio. Questa è però una cosa, che turba l’ìnterno della stessa Famiglia Pontificia, e che aggiunge nuovo peso alle amarezze presenti. ASVe, Dispacci di Roma, b. 287 (18. Juni 1768). Vgl. auch Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S.  937 – 939.

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Familie, deren Papst man selbst einst die Berufung ins Kardinalskollegium zu verdanken gehabt hatte.42 Jedoch hatte der Papst trotz seiner Weigerung bereits alles getan, um Giovanni Battista den Weg zum Kardinalat zu ebnen. Denn das Amt des maggiordomo del Sacro Palazzo entsprach etwa dem eines Hausvorstehers des aposto­lischen Palastes, der über die gesamten Abläufe des päpst­lichen Alltags zu wachen hatte. Er pflegte unter anderem Kontakt zu den Ärzten des Papstes, überwachte die Küche und verwaltete nicht zuletzt auch das Budget des Palastes. Darüber hinaus verfügte er über erheb­liche Jurisdik­tionskompetenzen. Die Bedeutung des Amtes stieg noch, als Clemens XII. die maggiordomini 1732 zu ­perpetui governati del Conclave ernannt hatte. Die Vertrauensstellung des maggiordomo wurde auf Lebenszeit vergeben, was bedeutete, dass nach dem Tod eines Pontifex der neue Papst mit dem Amtsinhaber seines Vorgängers Vorlieb nehmen musste. Wollte er dies nicht, so konnte er sich seiner de facto nur entledigen, indem er ihn durch die Ernennung zum Kardinal „weglobte“. In der Tat findet sich in einer von Filippo Maria Renazzi 1784 erstellten Liste der maggiordomini seit dem Ende des 17. Jahrhunderts kein einziger Amtsinhaber, der nicht aus dieser Posi­tion heraus mit dem roten Hut bedacht worden wäre.43 Allerdings war Giovanni Battista Rezzonico der einzige Papstnepot unter ihnen, auch wenn schon Clemens XI . mit Fabio Olivieri 1712 einem Cousin und damit einem Mitglied seiner Familie das Amt übertragen hatte.44 Rezzonicos spätere Ernennung zum Kardinal konnte vor ­diesem Hintergrund als so gut wie sicher gelten. Bleibt noch der Weg Abbondio Rezzonicos, dem jüngsten Papstneffen, zu betrachten. Auch er hatte seine Erziehung am Collegio Romano erhalten und hielt sich deshalb 42 Weber, Senatus Divinus (1996), S. 109 – 115. 43 Filippo Maria Renazzi, Notizie storiche degli antichi vicedomini del Patriarchio Lateranense e de’moderni prefetti del Sagro Palazzo Apostolico, ovvero maggiordomi pontifizi dedicate a Sua Eccellenza R.mo Monsig.r D. Romualdo Braschi Onesti nipote e maggiordomo della Santità di N. S. Papa Pio Sesto felicemente regnante, Rom 1784. Hier auch eine ausführ­liche Beschreibung des Amtes. Zum Status des maggiordomo vgl. auch Visceglia, Denominare e classificare (2005), S.  184 ff. Die maggiordomini in postnepotistischer Zeit waren bis zum Pontifikat Clemens’ XIII.: Carlo Colonna (1696 – 1706); Giuseppe Vallemani (1706 – 1707); Ludovico Pio (1707 – 1712); Fabio Abati Olivieri (1712 – 1715; offizielle Ernennung jedoch erst 1713); Niccolò Giudice (1715 – 1725); Camillo Cibo (1725 – 1729); Francesco Borghese (1729); Troiano Acquaviva d’Aragona (1729 – 1732); ­Girolamo Colonna di Sciarra (1732 – 1743; sicher­lich einer der einflussreichsten und selbstbewusstesten maggior­domini, wovon seine Abhandlung über die Bedeutung des Amtes zeugt, die sich im ASV, Fondo Cibo 2, fol. 1 – 327 befindet); Marc Antonio Colonna (1743 – 1759); Giovanni Ottavio Bufalini (1759 – 1766). Nach der Kardinalsernennung Bufalinis erhielt Giovanni Battista Rezzonico das Amt (1766 – 1770). 44 Visceglia sieht in der Vergabe d­ ieses Amtes an Verwandte des Papstes bereits Indizien für ein Fortleben des Nepotismus im 18. Jahrhundert: „Così non ci pare priva di importanza la scelta, dopo l’abola­ zione del nepotismo, di affidare la carica di Maggiordomo a un membro della famiglia papale, come fecero, nel 1713, papa Albani con Fabio Olivieri, suo cugino e compagno negli studi, nel 1766 papa Rezzonico con il nipote, Giovan Battista, e poi nel 1770 cardinale, e nel 1780, Pio VI con il nipote Romualdo Braschi Onesti, figlio della sorella Giulia.“ Dies.,Denominare e classificare (2005), S. 186.

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zum Zeitpunkt des Aufstiegs der Familie ebenfalls bereits in Rom auf. Für ihn war eine welt­liche Laufbahn bestimmt, nicht zuletzt, um standesgemäß verheiratet werden zu können und so den Fortbestand der Familie zu sichern. Vor dem Hintergrund der kinderlosen Ehe Ludovico Rezzonicos mit Faustina Savorgan musste dies zu einem zentralen Anliegen in Sachen Familienpolitik werden. Jetzt ging es um eine strate­gisch entscheidende Weichenstellung: Durch die Ehe Abbondios entweder mit einer Angehörigen des venezianischen Patriziats oder aber der römischen Aristokratie würde die Zukunft der Familie in definitive Bahnen gelenkt. Es ist in ­diesem Zusammenhang signi­fikant, dass der Papst zunächst zu schwanken schien, die erstgenannte Lösung durchaus in Erwägung zog, um dann doch die römische Op­tion zu wählen, die offensicht­lich als vielversprechender betrachtet wurde.45 Wie einst in Venedig, ermög­ lichte eine geschickt kalkulierte Heirat Stärkung und Ausbau des Netzes an sozia­len Verbindungen, derer gerade eine Aufsteigerfamilie wie die Rezzonico in Rom dringend bedurfte. Und schließ­lich war es in einer Wahlmonarchie, wie Rom sie darstellte, für die Zukunft jeder Papstfamilie überlebenswichtig, rechtzeitig Vorkehrungen für die Tage nach dem Familien-­Pontifikat zu treffen. Vor ­diesem Hintergrund galt es, die Karte des jüngsten Rezzonico-­Sprosses wohlüberlegt auszuspielen. Mit seiner Ernennung zum senatore di Roma übertrug ihm der Papst 1765 das höchste welt­liche Amt, welches auf Lebenszeit vergeben wurde.46 Ein Gemälde von Pompeo Batoni zeigt den frisch ernannten Senator in vollem Ornat und mit seinen Amtsinsignien. (Abb. 55) Im Hintergrund öffnet sich der Raum und gibt den Blick frei auf das Kapitol, dem Wohn- und Arbeitssitz der römischen Senatoren. Durch den ansteigenden Fußboden und die durchbrochene Architektur wirkt das Bild wie eine Bühne, auf welcher sich der noch junge Senator in Pose setzt. Doch die ikonographische Anlehnung der Darstellung an den Typus des Herrscherporträts täuscht darüber hinweg, dass es sich bei dem Amt des römischen Senators weniger um ein politisch einflussreiches Amt als vielmehr um ein repräsentatives handelte, dazu noch ein sehr gering dotiertes. Monat­liche 12 Scudi standen normalerweise dem Senator zu, eine Summe, die nicht im Entferntesten ausreichte, um in Rom ein standesgemäßes Leben zu führen. Aber Clemens XIII. erhöhte das Salär des Neffen kurzerhand auf 89 Scudi, was aufs Jahr gesehen statt der ursprüng­ lichen 144 immerhin 960 Scudi ausmachte.47 Doch ungleich wichtiger als der wirtschaft­liche Ertrag des Amtes ist sein r­ epräsentativer Wert zu veranschlagen: Der Senator spielte beim possesso, den jeder Papst nach Amts­antritt zu absolvieren hatte und damit symbo­lisch die Stadt Rom und seine Bischofs­kirche San Giovanni in Laterano in Besitz nahm, eine wichtige Rolle. Denn die durch ein strenges 45 BMVe, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (23. März 1763): Devo dire in confidenza a V. E. […], che il Papa và pensando di dar moglie a D. Abbondio ma non sa determinarsi, se qui, ò in Venezia. Lui bisogna darli stato, se non tutto in buona parte. A Venezia non vorrebbe D. Abbondio; Sicchè il Papa è in qualche pensamento. 46 Lodolini, Senatori e conservatori (1963), S. 12. 47 Ebd.

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55 Pompeo Batoni, Senator Abbondio Rezzonico, 1766, Privatbesitz

Zeremoniell vorgeschriebene Prozession führte, beginnend bei Sankt Peter und mit Zielpunkt Lateran, am Kapitol vorbei, wo der neu gewählte Papst vom Senator die Huldigungen der Stadt Rom entgegennahm. Unter der Voraussetzung, dass Abbondio Rezzonico ein langes Leben beschieden war und den Nachfolgern Clemens’ XIII. mög­licherweise ein relativ kurzes, standen die Chancen gut, dass die neuen Päpste immer wieder ­Abbondio als Neffen eines ihrer Vorgänger gegenüberstanden, womit die Stellung der Familie durch das päpst­liche Zeremoniell innerhalb Roms sichtbar gefestigt und den neuen Päpsten gegenüber auch manifestiert wurde.48 Gleichzeitig ließ Clemens XIII . auf Kosten der Camera Capitolina, die sich am Ende auf 9000 Scudi beliefen, zahlreiche Umbauten am Senatorenpalast auf dem Kapitol vornehmen, um, nach den Worten der Kapitolinischen Kammer, dem Senator

48 Zum possesso vgl. vor allem Emich, Besitz ergreifen (2005); Boiteux, Il possesso (2006).

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und seiner Familie einen angenehmen Wohnsitz zu bieten. 49 Denn auf den Fortbestand der Familie hoffte der Papst und er hatte guten Grund dazu: 1766 war es den ­Rezzonico gelungen, für Abbondio eine der wohl prestigeträchtigsten Ehen auszuhandeln, die im Rom dieser Jahre denkbar waren. Bei der Braut handelte es sich um Ippolita B ­ oncompagni Ludovisi, wodurch die Rezzonico auf einen Schlag mit einigen wichtigen Familien des römischen Hochadels verschwägert waren.50 Mit den Carafa, ­Boncompagni, Ludovisi, Chigi und Ottoboni zählten allein fünf Papstfamilien zu den nahen Verwandten der Braut.51 Außer ­diesem sozia­len Netz, das an Engmaschigkeit und sozia­lem Prestige kaum zu überbieten war, brachte Ippolita Boncompagni ­Ludovisi zusätz­lich 70000 Scudi mit in die Ehe.52 Dass jedoch auch die Zeitgenossen die Investi­tion in sozia­les Kapital höher bewerteten als den finanziellen Aspekt der Ehe-­Allianz, zeigt einmal mehr die Meldung der geplanten Hochzeit, die der venezia­ nische Botschafter der Serenissima erstattete: Quantunque non sia per anco nelle solite forme stipulato il contratto, si sa però, che gli porterà in dote settanta mille Scudi di denaro contante. Ma si considerano di molto maggior conseguenza, e vantaggio per la Casa Rezzonico le riguardevoli adherenze, ch’ella nel tempo stesso contrahe colle più cospicue case di Roma, unite con quella di Piombino di parentela; con che se le assicura nella congiunzione, ed attivamento della Prima Nobiltà un appoggio nei tempi avvenire allo splendore, che le conferisce presentemente la suprema dignità pontificia.53

49 Avendoci li Conservatori della nostra Camera Capitolina riferito che il palazzo Senatorio abbia il b­ isogno tuttavia di qualche ampli azione di varie camere e retrostanze, all’effetto di renderlo accomodato al pre­ sente uso della famiglia del Senator. ASC, Camera Capitolina, b. 745, fol. 34. Zitiert nach Lodolini, Senatori e conservatori (1963), S. 13. 50 Weber, Genealogien (1999), Bd. 1, S. 114 – 117. 51 Ebd., Bd. 2, S. 800. Zu Ippolita Boncompagni Ludovisi vgl. auch Bandini, La galanteria (1930), S.  277 – 280. 52 Eine Abschrift des contratto di matrimonio befindet sich in ASV, Boncompagni Ludovisi, 597, Stato Eredit. della Prenci. D. Ipplita Boncompagni Rezzonico, Inserto 1. Eine weitere Abschrift liegt im ASVr, Fondo Pindemonte Rezzonico, Busta 313. Das Original liegt nach Montagu, A cast (2006), S. 821, Anm. 5 in ASR, 30 Notai Capitolini, Ufficio 10, fol. 125 – 136v und 164 – 167v. Doch die Ehe stand laut dem Zeitgenossen Mario Fantuzzi unter keinem guten Stern: Questo Matrimonio non fu felice, non solo perchè non ne derivarono figli, ma ne nacquero dissensioni. La Sposa, di qualche avvenenza, ed anche talento, era stravagante, nè combinava col Marito. Si disunirono, e riunirono più volte. Finchè visse il Papa ed il fratello Primogenito, D. Abbondio ebbe flemma, e convisse come poté colla Moglie. Mancato l’uno, e l’altro, si pose a viaggiare, per così distrarsi dalle molestie domestiche. Mario Fantuzzi, Memorie sui tempi di Clemente XIII (o. D.), S. 104. Vgl. auch Noè, Rezzonicorum Cineres (1980), S. 269. 53 ASVe, Dispacci di Roma, b. 286, fol. 92r–v (4. Oktober 1766). Die Hochzeit fand allerdings erst im Januar 1768 statt. BMVe, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (22. Januar 1768).

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Vor dem hier skizzierten Familienförderungspanorama stellt sich die grundsätz­liche Frage, worin sich eigent­lich das Pontifikat Clemens’ XIII . im Hinblick auf den Nepotismus seiner Amtskollegen im in dieser Hinsicht skandalumwitterten 17. Jahrhundert unterscheidet. Gewiss, die finanziellen Summen, w ­ elche in die Taschen seiner Neffen flossen, waren nicht mit den exorbitanten Beträgen zu vergleichen, die päpst­liche Nepoten im 17. Jahrhundert bezogen. Doch im Hinblick auf die Versorgung der eigenen Familie mit Ämtern und Würden und ihre langfristige Einbindung in das kuriale System lassen sich keine substantiellen Unterschiede gegenüber den großen Nepoten-­Päpsten feststellen. Reflexionen über diese Kontinuitäten finden sich bereits in zeitgenös­sischen Quellen. Im Hinblick auf die bevorstehende Ernennung von Giovanni Battista Rezzonico zum maggior­domo kommentierte der venezianische Botschafter kritisch: A questa Dignità sarà nominato Monsignor Don Gio. Battista Rezzonico, posto di sommo riflesso, sì perché conduce al Cardinalato, che per la grande autorità che vi è congiunta al caso di una Sede vacante. Unite al Pontificato nella Famiglia Rezzonico in tre Fratelli le tre più eminenti Dignità di questa Corte, suscitano somma l’invidia, ed il malcontento principalmente in quelli, che per li loro servizi si credevano meritarle, essendo rimota la memoria de’ Nipoti innalzati da’ Pontefici ad una tanta grandezza, ed autorità.54

Unüberhörbar klingt in diesen Zeilen einerseits die grundsätz­liche Problematik der exzessiven Familienförderung Clemens’ XIII. an, zumal der venezianische Botschafter anführt, niemand könne sich an eine s­ olche Erhebung der Nepoten erinnern.55 Auf der anderen Seite blieben „Neid und Unzufriedenheit“ all jener, die sich durch die Bevorzugung der Rezzonico-­Neffen um den Lohn für ihre Leistungen gebracht fühlten. Doch nicht nur die Verwandtenförderung als s­ olche erwies sich im 18. Jahrhundert als substantiell reform­ resistent, auch die künstlerische Verklärung des neu gewonnenen Status folgte weiterhin den tradi­tionellen Mustern.

54 ASVe, Dispacci di Roma, b. 286, fol. 21r–v (12. Juli 1766). 55 Gewissermaßen gründeten die Nepoten Clemens’ XIII. ihr Fortkommen auf dem Vorbild und „Ämterreservoir“ des Kardinals Girolamo Colonna di Sciarra (1708 – 1763), der (wenn auch nicht gleichzeitig) maggiordomo, vicecancelliere und camerlengo, Kardinalprotektor Frankreichs sowie römischer Prior des Malteserordens gewesen war. All diese ehemals von ihm bekleideten Posten fielen den Rezzonico zu. In Anbetracht ­dieses Befundes ist es umso bedauer­licher, dass bisher keine Studien über Colonna di Sciarra existieren.

Die Kunst des Unmög­lichen  |  235

3. Die Kunst des Unmög­lichen Seit der Rückkehr der Päpste aus dem avignone­sischen Exil und dem Ende des Großen Abendländischen Schismas hatte sich Rom zur führenden Kunstmetropole Europas entwickelt.1 Über drei Jahrhunderte hinweg waren die Päpste und ihre Familien darum bemüht, Herrschaftsansprüche in visuelle Formen zu gießen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ließ die Intensität der römischen Kunstpatronage nach, ohne frei­lich ganz zum Erliegen zu kommen. Angesichts der den Kirchenstaat in dieser Zeit arg in Mitleidenschaft ziehenden wirtschaft­lichen Strukturkrise mussten die Papstmonarchen unter Beweis stellen, effi­ zient – und im Sinne des Gemeinwohls – mit den knappen finanziellen Ressourcen umgehen zu können. Es scheint somit auf der Hand zu liegen, dass die Finanzmisere sich auch negativ auf den Umfang der päpst­lichen Kunstpatronage auswirkte. Inte­ ressanterweise gingen die Versuche, den kirchenstaat­lichen Verwaltungsapparat neu zu ordnen und zu ra­tionalisieren, auf der architektonischen Ebene mit einem Stilwechsel einher. Klassizistische Tendenzen lösten die theatra­lischen Formen des Barock ab, was sicher­lich nicht zufällig zuerst in den neu errichteten Verwaltungsgebäuden auf dem Quirinal Niederschlag fand.2 Obwohl in den letzten Jahren vor allem durch die Studien von Elisa Debenedetti und Elisabeth Kieven dem römischen 18. Jahrhundert von der kunsthistorischen Forschung stärkere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist die Entwicklung der in päpst­licher Regie ausgeübten Kunstpatronage im 18. Jahrhundert hinsicht­lich ihrer sozia­len Funk­tion bislang nach wie vor nur in Grundzügen untersucht.3 Die Vollendung des Trevi-­Brunnens und die Querelen um die (nicht ausgeführte) Restaurierung des Lateranchores, die beide in die Regierungszeit Clemens’ XIII. fallen, geben jedoch einen exemplarischen Einblick, wie es um Mög­lichkeiten und Grenzen, vor allem aber: wie es um die Prinzipien der päpst­ lichen Kunstförderung im 18. Jahrhundert generell bestellt war.4 Und sie zeigen dabei auch den Versuch des Rezzonico-Papstes, sich trotz leerer Kassen gleich seinen Vorgängern ins kollektive Gedächtnis der Stadt Rom einzuschreiben.

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Zu den der päpst­lichen Bau- und Kunstpolitik zugrunde liegenden Vorstellungen vgl. anschau­lich am Beispiel der „Sterbebettrede“ Nikolaus’ V. Parentucelli im Jahr 1455 Reinhardt, Rom. Kunst und Geschichte (1992), S. 10 – 16. 2 Dazu Nevola / Palma, Il Palazzo della Consulta (2004); Simoncini, L’edilizia pubblica (2000). 3 Vgl. v. a. Debenedetti, Studi (1985 – 2014); Kieven, Ferdinando Fuga (1988); Contardi / Curcio, In Urbe (1991); Kieven, Architettura (1991); Curcio / Kieven, Architettura (2000); Bowron / Rishel, Art in Rome (2000); Kieven / Pinto, Pietro Bracci (2001). Darüber ­hinaus Gross, Rome in the Age of Enlightenment (1990), der v. a. die wirtschaft­liche und institu­tionelle Entwicklung Roms mit dem kulturellen Klima und der künstlerischen Produk­tion in Beziehung setzt. 4 Einen summarischen Überblick über die Bautätigkeit unter Clemens XIII. bietet Sturm, La Roma (2010). Einige Aspekte auch bei Noè, Rezzonicorum cineres (1980).

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Fontana di Trevi Die Fontana di Trevi am Fuße des Quirinalhügels zählt zu den heute bekanntesten römischen Bauwerken des 18. Jahrhunderts und übt nach wie vor auf die zahlreichen Besucher der Stadt eine fast unwidersteh­liche Anziehungskraft aus – wofür wohl auch das spektakulär gewordene nächt­liche Bad von Anita Ekberg in Fellinis „La Dolce Vita“ (1960) mitverantwort­lich ist. In seiner Inszenierung gleicht der Brunnen, der in seinen Ausmaßen fast den gesamten Platz einnimmt, einer Theaterkulisse, vor der die Besucher Tag für Tag als Zuschauer agieren. (Abb. 56) Eingebunden in die zweigeschossige Fassade mit aufgesetztem Mezzanin des dahinterliegenden Palazzo Poli-­Conti, ­welche mit ihrer strengen architektonischen Gliederung durch Kolossalpilaster eine Art Schauwand bildet, dominiert im Zentrum eine wie ein Mittelrisalit hervorspringende Triumphbogenarchitektur. Zu deren Füßen türmen sich mächtige Natursteinblöcke sockelartig übereinander. Über diesen Gesteinsmassen, auf denen einige wenige vegetative Elemente auszumachen sind und über die das Wasser von allen Seiten in das davorliegende Bassin hinunterfließt, steht vor der zentralen Arkade im ausladenden Kontrapost und mit wallendem Umhang Oceanus in der Gestalt eines bärtigen, muskulösen Mannes, welcher die linke Hand in die Hüften stützt und in der weit von sich gestreckten rechten Hand ursprüng­lich einen Dreizack hielt. Zu seinen Füßen steigen aus der Tiefe Tritonen empor, die sich aufbäumende geflügelte Pferde am Halfter führen. In den beiden Nischen, w ­ elche die Arkade seit­lich flankieren, haben weib­liche Allegorien ihren Platz gefunden: links Fertilitas, erkennbar an dem mit Früchten reich bestückten Füllhorn, und rechts Salubritas, die sich auf eine Speerspitze stützt, während sich ihr zur Seite eine Schlange an einem Baumstumpf hinauf­windet, um aus dem darauf stehenden Gefäß zu trinken. Als Clemens XIII. 1758 zum Papst gewählt wurde, war der Brunnen in seiner jetzigen Form fast vollendet.5 Clemens XII . Corsini hatte ihn 1732 bei Nicola Salvi in Auftrag gegeben, der zwei Jahre zuvor aus dem eigens dafür ausgerufenen Wettbewerb als ­Sieger hervorgegangen war. Die Finanzierung dieser und anderer Bauprojekte sicherte eine Lotterie, die der Papst eigens dafür eingerichtet hat.6 Doch durch den Tod des Corsini-­Papstes im Jahr 1740 war der Bau ins Stocken geraten. Sein Nachfolger Benedikt XIV., der das 5 6

John Pinto ist es zu verdanken, dass die Jahrhunderte andauernde Baugeschichte des Brunnens in vielen Details überliefert ist. Auf ihm basieren auch die folgenden Ausführungen zur Baugeschichte. Pinto, The Trevi Fountain (1986). Unter Clemens XII. Corsini kam es zu einem massiven Revival der päpst­lichen Bautätigkeit. Vgl. dazu v. a. Kieven, Revival del Beninismo (1984); Dies., Il mecenatismo (2013); Spagnesi, Roma (2003), bes. Kap. 6; Nevola / Palma, Il Palazzo della Consulta (2004); Simoncini, L’edilizia pubblica (2000). Seine munificentia fand dann auch in Form einer Allegorie der magnificentia, die einen Architekturprospekt in der Hand hält, an seinem Grabmal in der Familienkapelle im Lateran ihren Niederschlag. Hatte sich der Corsini-­Papst noch in seiner Kardinalszeit als Finanzgenie Clemens’ XI. Albani Meriten erworben, so gelang es ihm in seiner Regierungszeit, die für die päpst­liche Kunstpatronage nötigen finanziellen Mittel auf findige Weise zu mobilisieren. Die (umstrittene) Übernahme des Lotteriespiels in päpst­liche Regie war einer dieser Kunstgriffe. Vgl. dazu Colzi, La fortuna dei papi (2004).

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56 Rom, Fontana di Trevi

Projekt mit dem ihm eigenen Sarkasmus kommentierte – Un pajo di milioni vinti al lotto, ed impiegati in Sassi 7 –, wollte nur eins: den Brunnen so schnell und günstig wie möglich zu ­vollenden. Trotzdem stellte er, dessen ausgesprochener Reformwille gerade vor dem desolaten Finanzhaushalt der Kurie nicht haltmachte und dem das teure Projekt seines Vorgängers von Anfang an ein Dorn im Auge war, nach den Berichten des römischen Chronisten Francesco Valesio nochmals 14000 Scudi für die Fertigstellung des Brunnens zur Verfügung, ordnete aber an, dass die bereits in Stuck ausgeführten Skulpturen und Reliefs so belassen und nicht noch in teuren Marmor übertragen werden sollten.8 1743 7 8

Morelli (Hg.), Le lettere di Benedetto XIV (1955 – 1984), Bd. 1, S. 101. Francesco Valesio, Diario di Roma (1700 – 1742), Bd. 6, S. 477 (Eintrag vom 22. Mai 1741): Volendo S. Beatitudine che si ponga fine alla fontana di Trevi, si è fatto fare dall’architetto lo scandaglio della spesa per terminarla, ed è stato dato di 14000 scudi, senza fare le statue e bassi rilievi, ma lasciarle, come sono, di stucco. Questa opera di grandissima spesa fin da principio non piacque.

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waren die Arbeiten unter den von Benedikts Sparpolitik vorgegebenen Auflagen vollendet und die Wasserleitungen zumindest teilweise restauriert. Nach mehr als zwanzig Jahren floss wieder Trinkwasser in den Brunnen. Die Inschrift „PERFECIT BENEDICTVS XIV PON MAX“, w ­ elche 1744 angebracht wurde, feierte Benedikt XIV. durchaus zurecht als Vollender des Brunnens. ­ iesem Projekt Somit war es nicht gerade zwingend, dass sich Clemens XIII . erneut d zuwandte, wenngleich die Minderwertigkeit des für die Skulpturen verwendeten Stucks tatsächlich einen materialästhetischen Makel darstellte. Doch schon am 14. März 1759, knapp neun Monate nach Pontifikatsbeginn, erteilte der Papst Anweisung, die Stuck­ figuren an der Fontana di Trevi zu entfernen und durch Marmorskulpturen zu ersetzen.9 Obwohl seine Kassen ebenso leer waren wie die seines Amtsvorgängers, investierte er in den folgenden drei Jahren (bis 1762) noch einmal insgesamt 22447 Scudi in die Fertigstellung des Brunnens. Damit stellt sich unweiger­lich die Frage, was den Papst dazu verleitete, sich für das Brunnenprojekt seiner Vorgänger so vehement zu interessieren und in ökonomisch schwierigen Zeiten seinen Finanzhaushalt damit so unnötig zu belasten. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass Kardinal Neri Corsini, der Neffe Clemens’ XII. und Auftraggeber des Brunnens, den Rezzonico-­Papst dazu drängte, das von seinem Onkel initiierte Werk auch in der geplanten Form zu vollenden. Das Interesse Neri ­Corsinis daran wird schon dadurch deut­lich, dass er bereits Benedikt XIV. gegenüber keine Zeit verstreichen ließ und zwei Tage nach dessen Wahl gemeinsam mit dem gerade ernannten Kardinalstaatssekretär Silvio Valenti Gonzaga die Brunnen-­Baustelle inspizierte.10 Vermut­ lich ging es schon damals darum, über die Fortsetzung der Arbeiten zu beraten. Da jedoch Benedikts rigide Finanzpolitik die Vollendung des Brunnens nur in einer Spar-­Version zugelassen hatte, ist durchaus denkbar, dass der ehemalige Kardinalnepot nun im neuen Papst, der noch dazu eine Kardinals-­Kreatur seines Onkels war und dem er selbst einst zum Kardinalat verholfen hatte,11 auf Bereitschaft hoffen konnte, das Projekt noch einmal aufzunehmen und im Sinne des Corsini-­Papstes zu vollenden. Zum anderen bot sich Clemens XIII. mit dem Rückgriff auf das Brunnenprojekt seiner Vorgänger auch die Mög­lichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Denn in Anbetracht der finanziellen Lage des Kirchenstaates war es schwierig, größere Bauprojekte ins Auge zu fassen, da sie unweiger­lich heftige Kritik hervorgerufen hätten. So aber konnte der Papst sich als der eigentliche Vollender präsentierten, noch dazu eines Werkes, welches außerordent­lich symbolträchtig war. 9 Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 187. 10 Francesco Valesio, Diario di Roma (1700 – 1742), Bd. 6, S. 378 (Eintrag vom 19. August 1740): Alle 22 hore andarono il cardinale Corsini e Valenti a vedere la fabbrica della fontana di Trevi. Vgl. auch Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 181. Wie aus einem Brief Nicola Salvis an Neri Corsini zu schließen ist, war der Kardinalnepot von Anfang an eng in das Brunnenprojekt seines Onkels und in die Überwachung der Arbeiten involviert. Cardilli, Notizie sull’invenzione (1991), S. 232 f. 11 Vgl. Kap. II.5.

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57 Rom, Fontana del Mosè

Denn die Brunnen waren schon immer ein wesent­licher Bestandteil päpst­licher Herr­ scherikono­graphie. Gerade die durch die Päpste errichteten ersten größeren Brunnenanlagen in Rom waren häufig an die Restaurierung und Erweiterung der antiken Wasser­ leitungssysteme gebunden, wodurch die Päpste einmal mehr indirekt auf historische Kontinuitäten von Kaisertum und Papsttum verweisen konnten. Nicht nur die Instandhaltung und Pflege des antiken Erbes, in dessen Tradi­tion sich das Papsttum sah, wurde damit angestrebt. In Nachfolge der römischen K ­ aiser stilisierten sich die Päpste auch als Garanten des Gemeinwohls. Ohne ein funk­tionierendes Leitungssystem, über welches sauberes Trinkwasser aus der Umgebung Roms in die Stadt geleitet wurde, war die Bevölkerung auf die Verwendung des schmutzigen Tiberwassers angewiesen, welches schnell Seuchen hervorrufen konnte.12 Deshalb waren die Päpste in ihrer Eigenschaft als welt­liche Herrscher immer wieder bemüht, die Wasserleitungen instand zu setzen bzw. ihr Netz erweitern zu lassen, um nicht zuletzt auch bisher von der Versorgung mit Trinkwasser ausgegrenzte oder wenig erschlossene Stadtviertel an das Versorgungsnetz anzubinden. Sixtus V. (1585 – 1590) hatte gleich im ersten Jahr seiner Regierung damit begonnen, eine 37 km lange antike Wasserleitung restaurieren zu lassen, die nach seinem

12 Das machten sich in Kriegszeiten auch die Belagerer Roms zu Nutze. So wurden 537 durch die Ostgoten alle Wasserleitungen zerstört und die in Rom eingeschlossenen Menschen konnten sich nur noch mit Tiberwasser versorgen. D’Onofrio, Le fontane di Roma (1957), S. 142.

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58 Rom, Fontana dell’Acqua Paola

Geburtsnamen Felice Peretti acqua Felice genannt werden und Wasser aus einer Quelle im Norden Roms bis hinauf auf den Quirinalshügel führen sollte. Drei Jahre ­später waren die Arbeiten vollendet. Den Endpunkt der Leitung markierte die vom Papst bei Domenico Fontana in Auftrag gegebene monumentale Anlage der Fontana del Mosè auf der heutigen Piazza S. Bernardo alle Terme.13 Ihre architektonische Form, die an antike Triumphbögen anknüpft, sowie die unübersehbare Inschrift im übergroßen und jeg­liche Propor­tionen sprengenden oberen Feld der Architektur, ­welche das Projekt Sixtus’ V. als heroischen Akt preist, betonte weithin sichtbar die Bedeutung des Unternehmens.14 (Abb. 57) Rund zwanzig Jahre s­päter war es Paul V. Borghese, der mit der ebenfalls nach ihm benannten acqua Paola eine weitere antike Wasserleitung erneuern und erweitern ließ. Auch bei ­diesem Projekt kulminierte die Leitung in einer monumentalen Brunnenanlage, diesmal auf dem Gianicolo, wodurch sie von zahlreichen Punkten der Stadt aus gesehen werden konnte. (Abb. 58) Die Inschrift, w ­ elche das obere Feld des ebenfalls an antike Triumph­bögen gemahnenden Brunnens schmückte, bezog sich nun nicht mehr nur auf die Sanierung und Erweiterung der Leitung, wie dies noch bei Sixtus der Fall gewesen war, sondern betonte vor allem auch die Aufbereitung des bisher aus dem Lago di Bracciano

13 Zur Fontana del Mosè ebd., S. 85 – 96; Marder, Sisto VI (1992). 14 Porcino, Iscrizioni (2013).

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herbeigeführten und als ungenießbar geltenden, weil stark verschmutzen Wassers.15 Ebenso pries eine Inschrift den ebenfalls unter Paul V. errichteten Brunnen am Ponte Sisto, mit welchem dieser das Wasser bis in das antike Zentrum und damit zum Nutzen der ganzen Stadt hatte führen lassen.16 Dieses hier explizit angesprochene Konzept der munificentia der Päpste sollte über das ganze 17. Jahrhundert hinweg ein zentrales Motiv der päpst­ lichen Selbstdarstellung bleiben. Überall entstanden in der Stadt Brunnen, die sich in ihrer Gestaltung immer wieder von Neuem zu übertreffen suchten. Der in Rom ansässige flämische Advokat Theodor Ameyden notierte 1641: Questi sono i fonti pubblici principali, di tanta magnificenza che ciascheduno di loro farebbe celebre qualsivoglia città ordinaria.17 Mit dem Trevi-­Projekt konnte Clemens XIII. somit an eine lange Tradi­tion päpst­licher Selbstdarstellung anknüpfen. Zusätz­lichen Reiz musste die Neugestaltung des Brunnens dadurch gewinnen, dass er an einer besonders exponierten Stelle des römischen Stadtraums lag: zu Füßen des Quirinals, der sich im 17. Jahrhundert zur wichtigsten Residenz der Päpste entwickelt hatte.18 Darüber hinaus mündete im Trevi-­Brunnen die aqua virgo, der einzige antike Aquädukt, der den Zerfall des weströmischen Reiches überdauert hatte. Seine Bedeutung für die Stadt zeigt sich schon darin, dass er bereits auf sehr frühen Rom-­Plänen dargestellt ist.19 Die Leitung war unter Agrippa, dem Schwiegersohn ­Kaiser A ­ ugustus’, errichtet und 19 v. Chr. eingeweiht worden und endete in der Nähe der nach ihm benannten Thermen, ­welche sich unweit des ­später errichteten Pantheons befanden. Ihr Wasser wurde als l’aqua vergine bezeichnet, welches sich auf die jungfräu­ liche Hirtin Trivia bezog, die der Überlieferung nach den Soldaten Agrippas die Quelle gewiesen habe soll, die öst­lich von Rom lag.20 Bereits unter Nikolaus V. Parentucelli (1447 – 1455) wurde der Aquädukt grundlegend restauriert und sein Abschluss, der sich nun an der Stelle der heutigen Piazza di Trevi befand, durch einen Brunnen markiert, den der toskanische Bildhauer Bernardo ­Rossellino gestaltete. Dieser erste Brunnen befand sich allerdings noch auf der Ostseite des Platzes und war dementsprechend mit seiner Schaufassade nach Westen ausgerichtet, auf den Teil der Stadt, der unter d ­ iesem Papst eine fundamentale urbanistische Erweiterung erfuhr.21 Erst unter Urban VIII . Barberini (1623 – 1644) wurde der heutige 15 D’Onofrio, Le fontane di Roma (1957), S. 148. 16 Ebd., S. 153. Der Brunnen wurde 1898 nach Trastevere, auf die andere Seite des Ponte Sisto versetzt. Vgl. auch Heilmann, Aqua Paola (1970). 17 Zitiert nach D’Onofrio, Le fontane di Roma (1986), S. 7. 18 Vgl. dazu Menniti Ippolito, I papi al Quirinale (2004). 19 Bereits Taddeo di Bartolos Fresko mit der Ansicht Roms von 1412/13 im Palazzo Pubblico in Siena zeigt den Brunnen. D’Onofrio, Le fontane di Roma (1957), S. 230. Auch auf Hughus Pinards Ansicht von Rom aus der Vogelperspektive, die 1555 von Antoin Lafréry publiziert wurde, ist der Aquädukt neben anderen Brunnenanlagen in der unter dem Plan angebrachten Legende der Sehenswürdigkeiten der Stadt aufgeführt. Bogen / Thürlemann, Rom (2009), S. 81 – 84. 20 Becker, Intorno all’acquedotto (2003). 21 Vgl. dazu vor allem Borsi, Nicolo V e Roma (2009).

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Standort gewählt: Als Bernini mit einem Entwurf für den Brunnen beauftragt wurde, der gleichzeitig eine Neugestaltung des Platzes vorsah, versetzte ihn der Künstler von der Ost- auf die Nordseite. Doch Berninis ambi­tionierte Planungen für eine groß angelegte Brunnenanlage, die von den Ausmaßen bereits ungefähr diejenige des heutigen Brunnens einnahm, blieben aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in den Anfängen stecken: Von dem groß angelegten Projekt wurde nur das Wasserbassin errichtet.22 Gleichzeitig fand eine Platzvergrößerung statt, um eine Blickachse sowohl zum Quirinalspalast, der Residenz der Päpste, als auch zum Palazzo Barberini zu schaffen.23 Dieser Zustand ist heute nur noch schwer nachvollziehbar, da 1869 auf der Ostseite des Platzes der Palazzo Castellani errichtet wurde, wodurch die Sicht sowohl vom Brunnen zu den beiden Palästen als auch umgekehrt verstellt wurde. Obwohl schon unter den unmittelbaren Nachfolgern Urbans VIII. wiederholt Versuche unternommen worden waren, das Brunnenprojekt erneut aufzugreifen und zu vollenden,24 kam es erst unter Benedikt XIII. Orsini (1724 – 1730) zu konkreten Baumaßnahmen. Laut dem Tagebucheintrag Francesco Valesios vom 5. Juli 1728 überzeugte der presidente delle acque Monsignore Jacopo Sardini, der als solcher für die römische Wasserversorgung zuständig war, den angesichts der Kosten anfäng­lich noch zögernden Papst, einen von Sardini selbst stammenden Entwurf durch den Bildhauer Paolo Benaglia umsetzen zu lassen.25 Auch lieferte Valesio einige Informa­tionen über das geplante ikonographische Programm des Brunnens, welches nach den Vorstellungen Sardinis eine Rosenkranzmadonna, eine Personifika­tion der Roma, die Jungfrau Trivia, ein Einhorn sowie eine Bache mit ihren Frischlingen beinhalten sollte.26 In der Folge unterzeichnete Benaglia am 10. September desselben Jahres den Vertrag und begann mit der Arbeit an den Skulpturen.27 Doch der Tod Benedikts XIII. am 21. Februar 1730 brachte das Projekt zum Erliegen. Sein Nachfolger Clemens XII. schien keine großen Sympathien für Sardinis Entwurf zu hegen, 22 Unter Urban VIII. wurden 36000 Scudi für das Brunnenprojekt zusammengetragen, die dann jedoch vom Papst in den Castro-­Krieg investiert wurden. Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 45 f. 23 D’Onofrio, Le fontane di Roma (1957), S. 238. „La ragione di un tale spostamento, secondo un diarista sarebbe stata determinata dal desiderio del pontefice di vedere la fontana dal palazzo del Quirinale.“ Zur Nutzung des Quirinalspalastes vgl. Mentiti Ippolito, I papi al Quirinale (2004). 24 Alexander VII. wollte das Ende des Brunnens auf die Piazza Colonna verlegen, wofür Bernini ebenfalls Entwürfe vorlegte. Außerdem legte Pietro da Cortona um 1667 zwei Entwürfe vor. Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 47 – 57. 25 Francesco Valesio, Diario di Roma (1700 – 1742), Bd. 4, S. 966: Monsignor Sardini lucchese e presidente delle Acque fu a persuadere il papa di voler adornare la mostra dell’acqua di Trevi e, avendogli detto il papa che non avea denari, egli si compromesse di trovargli e il papa gli diede licenza di farla. Pertanto Sua Signoria Illustrissima, che si picca di poeta, comunicò il suo pensiero ad un certo scultore napole­ tano Paolo Benaglia, che ha servito il papa ne’ stucchi, uomo ardito ma di poco e niun sapere nella sua arte, ed egli ha di già fatto il modello, veduto da molti. Vgl. auch Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 96. Zu Paolo Benaglia vgl. Desmas, Paolo Benaglia (2004). 26 Francesco Valesio, Diario di Roma (1700 – 1742), Bd. 4, S. 966. 27 Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 96.

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59 Filippo della Valle, Salubrità, 1761/62

dessen Figurenensemble bereits von Valesio in seiner Beschreibung mit Unverständnis und Spott bedacht worden war. Der Papst ordnete die sofortige Aussetzung der Arbeiten an und rief stattdessen einen Wettbewerb für die Gestaltung des Brunnens aus, an dem sich in den folgenden zwei Jahren zahlreiche Architekten, unter anderem die beiden Franzosen Edmonde Bouchardon und Lambert Sigisbert Adam, die Römer Filippo Barigioni und Nicola Salvi sowie der Neapolitaner Luigi Vanvitelli beteiligten. Am 2. Oktober 1732 wurde schließ­lich Nicola Salvi zum Sieger des Wettbewerbs ernannt. Wenige Tage s­päter begann die Wiederaufnahme der Arbeiten am Brunnen, wobei mit der Ausführung des von Salvi entworfenen ikonographischen Programms der römische Bildhauer Giovanni Battista Maini betraut wurde.28

28 Zu den ­zwischen 1730 und 1732 eingereichten Entwürfen, die im Quirinal ausgestellt wurden, vgl. Pinto, The Trevi Fountain (1986), S. 98 – 127. Zu Giovanni Battista Maini vgl. Montagu, Giovanni Battista Maini (2008). Zum ikonographischen Programm vgl. Fehrenbach, Compendia mundi (2008).

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60 Filippo della Valle, Fertilità, 1761/62

Salvis Brunnen, der in den folgenden Jahren auf der Piazza di Trevi umgesetzt wurde, unterschied sich ikonographisch in einigen Punkten von seiner heutiger Gestaltung. Die beiden den Oceanus flankierenden Nischenfiguren waren ursprüng­lich anders besetzt: Statt der Darstellung von Fertilità und Salubrità, die sich heute in den Nischen befinden (Abb. 59/60), hatte Salvi an dieser Stelle den Erbauer der acqua virgo Agrippa und die römische Jungfrau Trivia, w ­ elche den Soldaten Agrippas die Quelle wies, vorgesehen.29 Vernon Hyde 29 Hyde Minor bezieht sich auf das Manuskript „Scritture spettanti alla Fontana di Trevi“ (Vat. Lat. 8235) von Filarete aus dem Jahr 1762 und diskutiert diesen Punkt im Hinblick auf die Autorschaft della Valles, wobei er sich entschieden gegen Cook, The Documents (1956) wendet, der die ersten Entwürfe für Fertilità und Salubrità noch Giovanni Battista Maini (†1752) zuschreibt. Hyde Minor, The roman works (1979), S. 169 – 179, bes. S. 176; Ders., Passive Tranquillity (1997), S. 246 – 257, bes. S. 250. Demnach wurden die Stuckstatuen des Agrippa und der Jungfrau Trivia ­zwischen 1745 und 1747 in den Nischen aufgestellt, wo sie bis zum Pontifikatsbeginn Clemens’ XIII. standen.

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61 Rom, Casina Pius IV. in den Vatikanischen Gärten

Minor nimmt an, dass Giuseppe Panini, Salvis Nachfolger im Amt des verantwort­lichen Architekten für den Brunnen, für die inhalt­liche Neukonzep­tion von dessen figür­lichem Programm durch den Austausch der allegorischen Figuren verantwort­lich war. Somit ist nach der Wiederaufnahme des Projektes unter Clemens XIII. durch die von Filippo della Valle geschaffenen Skulpturen der Fertilità und Salubrità eine Abkehr der inhalt­lich histo­risierenden Tendenzen zu konstatieren, die sich in der Figur des Agrippa und der die Quelle der acqua virgo weisenden jungfräu­lichen Hirtin gespiegelt hatten und deren Darstellungen nun auf die Reliefzone beschränkt blieben. Niemand hat bisher gefragt, warum es zu d ­ iesem Austausch des Figurenprogramms in den Nischen kam und wieso die beiden eng an die Geschichte des Brunnens verbundenen Figuren ausgerechnet gegen diese beiden Allegorien eingetauscht wurden. Doch mit den allegorischen Darstellungen der Fertilità und Salubrità kommen erneut Komponenten des buon governo der Päpste ins Spiel, die ja bereits durch den Brunnen selbst symbolisiert wurden. Vor allem die Figur der Salubrità rekurriert auf das bis in die Antike zurückreichende politische Konzept der salus pubblica, der Sorge um das öffent­liche Wohlergehen, die bei den römischen Kaisern eine grundlegende Komponente ihrer Herrschaftspräsenta­tion darstellte.30 Die Päpste, die sich als Nachfolger der antiken Regenten verstanden, knüpften in ihrer Rolle als welt­liche Herrscher daran an und trugen Sorge dafür, dass sich ­dieses Bild zu einem integralen Bestandteil ihres Regierens verdichtete. In ­diesem Sinne hatte schon Pius IV. Medici (1559 – 1565) auf dem Giebel der von ihm im Vatikan errichteten Casina die antike Statue einer Hygieia aufstellen lassen. (Abb. 61) Die Tochter des Asklepios, deren Attribut

30 Vgl. dazu Winkler, Salus (1991).

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62 Pirro Ligorio, Die Nymphe Amalthea in Gestalt einer Ziege nährt den jungen Zeus, 1558/62, Rom, Casina Pius’ IV.

die aus einer Schale trinkende Schlange darstellte, gab als Göttin der Gesundheit, als ­ elche sie in der Antike verehrt wurde, ein sprechendes Bild des fürsorg­lichen Souveräns. w Wie Marcello Fagiolo und Maria Luisa Madonna überzeugend dargelegt haben, muss sie jedoch als Teil eines größeren Programms gelesen werden, welches in unmittelbarem Zusammenhang mit der Reliefdarstellung des jungen Zeus an der nörd­lichen Fassade des Gebäudes steht, der von der Ziege Amalthea, hinter der sich die gleichnamige Nymphe verbirgt, gesäugt wird. Nach der mytholo­gischen Überlieferung wandelt sich ihr zerbrochenes Horn ­später zum Füllhorn, aus dem Nektar und Ambrosia überreich hervorquellen und das somit für Fruchtbarkeit, Reichtum und Freigiebigkeit steht. Darauf nimmt auch das Relief der Casina Bezug: Die Ströme aus den beiden Hörnern der Ziege symbolisieren im Hinblick auf das Pontifikat Pius’ IV. ein fruchtbares Gedeihen.31 (Abb. 62) In Verbindung mit Hygieia wird der Papst hier zum Garanten der salus pubblica stilisiert, die auch am Trevibrunnen beschworen wird. Denn Salubrità, oder auch Salus, ist die römische Schwester der Hygieia, und es scheint kein Zufall zu sein, dass der in unmittelbarer Nachbarschaft des Trevi-­Brunnens ansteigende Monte di Quirinale in der Antike der Göttin Salus geweiht war und die Bezeichnung „Collis Salutaris“ trug.32 Zusammen mit Fertilità und ihrem überbordenden Füllhorn, welches im Horn der Amalthea seinen Vorläufer hatte, verspricht die allegorische Skulptur ein blühendes Zeitalter, welches für den Betrachter des Brunnens allerdings mit der Realität des Rezzonico-­Pontifikats nur schwer in Einklang zu bringen gewesen sein muss.33 31 Fagiolo / Madonna, La Roma (1972), bes. S. 384 – 388. 32 Ebd., S. 389. 33 In der ikonographischen Ausstaffierung der Figur folgt della Valle der Darstellung der Salubrità bei Vincenzo Cartari: Imagini de gli dei delli antichi, Venedig 1647, S. 49, die nicht nur die auf dem Baumstumpf stehende Wasserschale und die daraus trinkende Schlange, sondern auch einen Stab wiedergibt, auf ­welchen sich die hier sitzende Göttin stützt.

Die Kunst des Unmög­lichen  |  247

Vor d ­ iesem Hintergrund bekommt die von Clemens XIII. in die Vollendung des Brunnens investierte Summe von 22447 Scudi einen tiefgründigen Sinn. Mit zeitgenös­sischen Augen betrachtet, scheint dies sogar relativ wenig gewesen zu sein, bedenkt man, dass der Auftraggeber des Brunnens, Clemens XII., das ambi­tionierte Projekt mit über 100000 Scudi gefördert hatte: Für nicht einmal ein Viertel ­dieses Betrags konnte der Rezzonico-­Papst sich an prädestinierter Stelle innerhalb Roms verewigen und seinen Namen neben den seiner Vorgänger auf die Fassade einschreiben zu lassen. Die Clemens XIII. als den tatsäch­ lichen Vollender des Brunnens preisende Inschrift zieht sich auf dem unteren Gesims der Apsiskalotte und der Serliana über die Fassade.34 Zwar steht sie in Größe und auch vom Ort ihrer Anbringung her fast bescheiden hinter den beiden sich auf Clemens XII. und Benedikt XIV. beziehenden Inschriften zurück. Doch ist sie für den vor dem Brunnen stehenden Betrachter bis heute deut­lich zu lesen. Piranesis Entwürfe für den Chor der Lateranbasilika Im Gegensatz zum Brunnenprojekt, durch welches es Clemens XIII. – trotz der desolaten Finanzlage des Kirchenstaates und der damit verbundenen Mittelknappheit für die päpst­liche Kunstpatronage – gelang, sich innerhalb des römischen Stadtbildes visuell zu verankern, war ein zweites ambi­tioniertes Bauprojekt des Rezzonico-­Papstes nach langen Verhandlungen eben mangels finanzieller Ressourcen zum Scheitern verurteilt. Die Rede ist von der Umgestaltung des Chores der Lateranbasilika, mit welcher der Papst 1762 seinen Landsmann Giovanni Battista Piranesi beauftragte. San Giovanni in Laterano war neben Sankt Peter die wichtigste ­Kirche Roms. Von ­Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert noch vor seiner Taufe errichtet, zählte die fünfschiffige Basilika zu den frühchrist­lichen ­Kirchen, die für die Geschichte der Stadt und des Papsttums von außerordent­licher Bedeutung waren. Seit dem Mittelalter war sie die Bischofskirche der Stadt. Der Papst in seiner Eigenschaft als Bischof von Rom residierte im angrenzenden Lateranpalast. Auch als die Päpste nach ihrer Rückkehr aus dem franzö­ sischen Exil 1378 ihre Residenz in den Vatikan verlegten, um ihrer Rolle als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus symbo­lisch durch die Nähe zu seinem Grab in der Peterskirche Ausdruck zu verleihen, verlor die Lateranbasilika nicht an Bedeutung, denn als Bischofskirche spielte sie im päpst­lichen Krönungszeremoniell eine wichtige Rolle. Der possesso, die „Inbesitznahme ihrer Stadt“ durch die Päpste, führte von Sankt Peter durch die Stadt hin zur Lateranbasilika, wo in einem feier­lichen Akt der Papst in sein Amt als Bischof eingeführt wurde.35

34 „POSITIS SIGNIS ET ANAGLYPHIS TABVLIS IVSSV CLEMENTIS . XIII . PONT . MAX . OPVS CVM OMNI CVLTV ABSOLVTVM A . DOM . MDCCLXII“. 35 Vgl. Kap. IV.2., Anm. 49.

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Als das Papsttum in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dann immer mehr auf euro­päischer Ebene in die politische Bedeutungslosigkeit versank und der römische Anspruch, eine Weltmacht zu sein, sich nur noch auf religiösem Gebiet aufrechterhalten ließ, konzentrierte sich die päpst­liche Selbstdarstellung vor allem auf die Sakralbauten. Im 17. Jahrhundert wurde deshalb nicht nur der Neubau des Petersdoms abgeschlossen, sondern auch die Lateranbasilika von Grund auf restauriert. Im Hinblick auf das 1650 zu begehende Heilige Jahr, für das mit einem großen Strom an Pilgern zu rechnen war, beschloss Innozenz X. Pamphili (1644 – 1655) eine umfangreiche Renovierung des mittlerweile stark einsturzgefährdeten konstantinischen Baus.36 Zum leitenden Architekten dieser Renovierungsarbeiten ernannte der Papst 1646 Francesco Borromini, der jedoch in seinen Entwürfen an die Erhaltung der konstantinischen Mauern, der aus dem Cinquecento stammenden Decke, der Kosmatenfußböden sowie des Ziboriums in der ­Vierung gebunden war. Borrominis architektonische Eingriffe konzentrierten sich auf das Langhaus und schlossen das unter Clemens VIII. Aldobrandini von Giacomo della Porta z­ wischen 1597 und 1601 neu gestaltete Querhaus aus. Die konstantinischen Säulen im Langhaus wurden ummantelt, um sie einerseits zu verstärken und andererseits den Bau durch eine b­ arocke architektonische Formensprache zu modernisieren. Auch ließ Borromini jede dritte Säule des Mittelschiffs entfernen und sie durch einen ­zwischen den einzelnen Säulen breit gespannten Arkadenbogen ersetzen, wodurch der Rhythmus der Raumgliederung eine neue Akzentuierung erhielt.37 Obwohl Innozenz X. auch die Erneuerung des Querhauses, des Chores und der Fassade vorgesehen hatte, kam es nicht dazu, da sich die Aufmerksamkeit des Papstes nach 1650 auf die Errichtung der Familienkirche Sant’Agnese an der Piazza Navona konzen­ trierte.38 Erst nachdem Benedikt XIII. im Heiligen Jahr 1725 den Concilio Romano in der Lateranbasilika hatte zelebrieren lassen, um über die Betonung des pastoralen Auftrages

36 Wir wünschen, dass die antiken Gebäude unserer Stadt Rom erhalten bleiben, vor allem die Tempel und jene Basiliken, die von den ersten christ­lichen Kaisern in den ersten Jahrhunderten des Christen­ tums Gott geweiht wurden. Und da Unsere von ­Kaiser Konstantin unter Papst Sylvester errichtete Patri­ archalbasilika San Giovanni in Laterano baufällig ist und einzustürzen droht, haben Wir unter der Voraussetzung, diese soweit wie mög­lich in ihrer ursprüng­lichen Form zu erhalten, ihre Restaurierungen und Verschönerung veranlasst. Aus dem Chirograph Innozenz’ X. vom 14. April 1646. Zitiert nach der deutschen Übersetzung bei Ruggero, Lateranbasilika (2007), S. 311. Bereits unter Sixtus V. war durch Domenico Fontana von 1586 bis 1589 die zweigeschossige Benedik­tionsloggia am nörd­ lichen Querhaus errichtet und unter der Leitung von Cesare Nebbia und Giovanni Guerra ausgemalt worden. Zwischen 1597 und 1601 wurde die erste umfangreiche Dekora­tionskampagne im Inneren der ­Kirche ausgeführt. Barroero, La Basilica (1990), S. 145 – 151. 37 Zum Umbau der Lateranbasilika unter Borromini vgl. vor allem Connors, Borromini (1992); Roca De Amicis, L’opera di Borromini (1995); Ders., Borromini in Laterano (1996). 38 Kieven, Il ruolo del Disegno (1991), S. 79. Borromini hatte ledig­lich an der Fassade begonnen, ein verstärkendes Mauerwerk hinzuzufügen, welches einerseits die alten Mauern des Langhauses stützen, andererseits aber auch der geplanten Fassade als Rückhalt dienen sollten.

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eine Wiederbelebung des tridentinischen Reformeifers zu befördern,39 stieg das Interesse an der ­Kirche wieder. Unter Clemens XII. Corsini wurde 1732 ein Wettbewerb für die Gestaltung der Fassade ausgerufen, den der aus Florenz stammende Architekt Alessandro Galilei gewann.40 Nach seinen Plänen wurde z­ wischen 1732 und 1735 die imposante zweigeschossige Portikusfassade errichtet, ­welche in ihrer Form mit der barocken Tradi­tion brach und sich der klas­sischen Architektur annäherte. Nach Fertigstellung der Fassade blieb von der alten Lateranbasilika ledig­lich der Chor in seiner spätantiken Form bestehen. Ab 1750 wurde darüber diskutiert, ihn zu erweitern, da er für die litur­gischen Funk­tionen zu klein geworden war. Doch angesichts der von Benedikt XVI. auferlegten Sparzwänge kam es nicht dazu. Erst unter dem Rezzonico-­Papst sollte das Projekt konkrete Züge annehmen. Am 5. November 1762 berichtet das als „Diario di Roma“ betitelte Tagebuch eines anonymen Autors über die Bauabsichten des Papstes: È da qualche tempo, che N. S. mostrava una benigna condiscenza di dar mano alla grande opera di perfezionare l’interno ornamento della Basilica Lateranense colla Fabbrica della tribuna a tenore del disegno fatto dal celebre architetto Borromini, per il che inutilmente da quell’Ill.mo Capitolo si era ricercato il Disegno nel loro Archivio. Di p[rese]nte però è stato rinvenuto appresso gli Eredi del mentovato Architetto, e presentato a N. S. per quindi ottenerne la di lui determinazione.41

Susanna Pasquali, w ­ elche diese wie auch die folgenden Informa­tion aus dem genannten Tagebuch erstmals 2006 publizierte, äußerte Verwunderung über den Wunsch Clemens’ XIII., den Chor nach den Entwürfen Borrominis umzugestalten, obwohl er diese noch gar nicht gesehen hatte.42 Doch angesichts der Bedeutung der Lateranbasilika für das Papsttum liegt es nahe, dass sich der Papst für ein solches Projekt sogleich erwärmen konnte; und dies, obwohl ihm nur bescheidene finanzielle Ressourcen zur Verfügung standen. Unbekannt ist allerdings, w ­ elchen Architekten der Papst in d ­ iesem frühen Planungsstadium dafür im Sinn hatte. Erst im darauffolgenden Jahr findet sich im „Diario di Roma“ unter dem 18. September 1763 ein weiterer diesbezüglicher Eintrag: Avendo N. S. sommamente a cuore di effettuare la consaputa idea di adornare la Basilica Latera­ nense con una nuova tribuna, colla molteplicità degli esibiti Disegni, essendo ancora irresoluta la scelta, [il Papa] ne ha ultimamente ricevuti alcuni dal celebre notissimo Architetto, ed Incisore Sig.

39 Vgl. dazu Fiorani, Il Concilio romano (1977); Fattori, Il concilio provinciale (2008). 40 Zu dem Wettbewerb und den dort präsentierten Entwürfen vgl. Kieven, Il ruolo del disegno (1991). 41 BCR, cod. ms. nos. 3813 (Diario di Roma), fol. 282 (Eintrag vom 5. November 1762). Zitiert nach Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 172, Anm. 4. Pasquali konnte damit das Interesse des Rezzonico-­Papstes an der Lateranbasilika bereits für das Jahr 1762 belegen. Bisher ging die Forschung immer von 1763 aus. 42 „This informa­tion, surprising enough in itself, takes on new significance in light of the fact that the pope’s wish, or rather his ‚benevolent obligingness‘ to one or more trusted advisors, was expressed before even having seen the drawings, which had been mislaid at the time.“ Ebd., S. 172 f.

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Piranesi, che sono stati assai applauditi dalla Santità Sua, e nelle diverse forme delli medesimi potrà scegliersi quello, che sarà più adatto ai Pontefici generosi pensieri.43

Obwohl offensicht­lich auch Paolo Pannini und Melchiorre Passalacqua als Architekten für den Umbau in Betracht gezogen wurden,44 schien der Papst Giovanni Battista P ­ iranesi den Vorzug zu geben. Einmal mehr kamen landsmannschaft­liche Bindungen zum Tragen, denn Piranesi stammte wie Clemens XIII. aus Venedig. Hier zeigt sich, dass auch im 18. Jahrhundert, trotz Aufklärung und Kurienreform, immer noch die gleichen sozia­ len Mechanismen griffen wie in den Jahrhunderten zuvor.45 Darüber hinaus verbanden Papst und Architekten nicht nur ihre Herkunft, sondern auch familiäre Beziehungen. Einer der Taufpaten Piranesis war Giovanni Widmann, der Schwiegervater Quintilia Rezzonicos, die ihrerseits die Nichte des Papstes war.46 Pasquali macht diese Netzwerke dafür verantwort­lich, dass Piranesi, der 1740 als Zwanzigjähriger im Gefolge des venezianischen Botschafters Marco Foscarini zum Studium der antiken und zeitgenös­sischen Bauten nach Rom gekommen war, zum Architekturlehrer der in Rom ansässigen Neffen des Papstes berufen wurde.47 Erste Kontakte ­zwischen Rezzonico und dem venezianischen Architekten scheint es bereits unmittelbar nach dessen Ankunft in Rom gegeben zu haben. Laut Henri Focillon war der Künstler häufig im Palazzo Altemps anzutreffen, wo der spätere Papst als Kardinal bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Padua (1743) offenbar residierte.48 Diese Verbindungen setzten sich auch in der nächsten Genera­tion fort. Als die angeheiratete Papstnichte Faustina Savorgnan am 3. Januar 1761 Taufpatin von Piranesis Tochter wurde, erhielt das Kind in Anlehnung an seine illustre Patin, deren Gatten Ludovico sowie den Papst die Namen Faustina Clementina Ludovica.49 43 BCR, cod. ms. nos. 3814 (Diario di Roma), fol. 264 (Eintrag vom 18. September 1763). Zitiert nach ebd., S. 174, Anm. 16. 44 Ebd., S. 174, Anm. 17. 45 Zur Bedeutung landsmannschaft­licher Bindung vgl. Strunck, Das 17. und 18. Jahrhundert (2007), S. 285 f.: „Der aus Bologna stammende Gregor XV. Ludovisi (1621 – 23) machte den bislang vor allem als Maler tätigen Bolognesen Domenichino zu seinem Architekten, Urban VIII. Barberini (1623 – 44) förderte die Toskaner Gianlorenzo Bernini und Pietra da Cortona, unter Alexander VII. Chigi (1655 – 67) kamen viele Künstler aus seiner Heimatstadt Siena nach Rom. Der vormalige Erzbischof von Benevent Benedikt XIII. Orsini (1724 – 30) brachte von dort den Beneventaner Künstler Filippo Raguzzini mit, der jedoch sofort in Ungnade fiel, als unter dem Florentiner Clemens XII. die florentinischen Architekten Ferdinando Fuga und Alessandro Galilei das Sagen in Rom übernahmen.“ 46 Foscari, Giambattista Piranesi (1983), S. 269; Scott, Piranesi (1975), S. 7. Scott nennt aber keine Quelle, anhand derer man Zuanne (venezianische Form für Giovanni) Widmann näher identifizieren könnte. Da Piranesi 1720 geboren wurde, könnte es sich um den Schwiegervater Giovannis III (1673 – 1739) handeln. 47 Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 174. 48 Focillon, Giovanni Battista Piranesi (1918), S. 62. Vgl. auch Contardi, Piranesi (1998), S. 49, der aber darauf aufmerksam macht, dass Quellenbelege für diese Informa­tion bisher fehlen. 49 Ebd., S. 50. Er belegt diese Aussage allerdings nicht mit einer Quellenangabe. Zu Patenschaften ­zwischen Architekten und mächtigen Auftraggebern vgl. Gaus, Carlo Marchionni (1967), S. 13,

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63 Giovanni Battista Piranesi, De Romanorum Magnificentia et Architectura, Rom 1761, Frontispiz

Diese Bindungen mögen in Piranesi, der bis zum Pontifikat Clemens’ XIII. nur als Zeichner und Stecher, jedoch nicht als Architekt tätig gewesen war, die Hoffnung haben aufkommen lassen, unter dem neuen Papst end­lich nicht nur als Architektur-­Zeichner, sondern tatsäch­lich als bauender Architekt künstlerisch wirken zu können. Bereits in der Widmung der monumentalen und sowohl in lateinischer als auch in italienischer Sprache verfassten Abhandlung „De Romanorum Magnificentia et Architectura / Della Magnificenza ed Architettura de’ Romani“, deren Erscheinen im Jahr 1761 mit 1000 Scudi vom Papst subven­tioniert worden war 50 und der Piranesi daraufhin noch ein Porträt des Papstes 19 – 66. So wurde beispielsweise Kardinal Alessandro Albani 1738 Pate bei Carlo Marchionnis Sohn Alessandro. Vorher war Marchionni bereits von Albani mit Arbeiten für seine Villa in Anzio beauftragt worden. Doch den eigent­lichen Durchbruch als Architekt erzielte Marchionni mit dem Bau der Villa Albani in Rom in den 1740er Jahren. 50 Contardi, Piranesi (1998), S. 50.

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voranstellte, wird die Hoffnung des Architekten auf Förderung durch seinen Landsmann deut­lich.51 Offensicht­lich hielt es der Künstler jedoch für nötig, an dieser Stelle noch einmal die landsmannschaft­lichen Bindungen zu unterstreichen. Denn das der Widmung vorangestellte Porträt, welches den mit zum Segensgruß erhobener Hand thronenden Pontifex in Schrägansicht zeigt (womit Piranesi ikonographisch an das zweite von Anton Raphael Mengs geschaffene Konterfei des Papstes anknüpfte), ist unterschrieben mit den Worten Clemens Decimustertius / Pontifex Maximus / Venetus. (Abb. 63) Piranesi selber wird auf ­diesem Blatt nur in der unteren Blatt­hälfte als „Inventor“ und, gemeinsam mit Domenico Cunego, als Stecher genannt. Doch dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass Piranesi zwei Seiten vorher, auf dem zum lateinischen Teil des Werkes gehörenden Frontispiz, in der rechten unteren Ecke als Piranesius Archit. Venetus sc. zeichnete. (Abb. 64) ­Dieses Blatt ist in Form einer antiken Erinnerungsplatte gestaltet, deren museale Präsenta­tion durch die Metallklammern am Rande betont wird. Dabei ist der untere Teil ganz der Glorifizierung des Rezzonico-­Pontifikates gewidmet: In einer Gloreole aus Eichenlaub, die von militärischen Trophäen umrahmt wird, sitzt ein geflügelter weib­licher Genius auf einer Brüstung und ist damit beschäftigt, auf dem vor ihm lehnenden Familienwappen der Rezzonico mit einem Pinsel letzte Hand an die das Wappen krönende Tiara zu legen. Zu Füßen des Genius liegen Zirkel und Lineal, ein Zollstock lehnt an der Brüstung, wodurch kennt­lich gemacht wird, dass es sich hier um den Genius der Architektur handelt. Die Hoffnungen Piranesis hätten sich nicht deutlicher manifestieren können. Und sie sollten sich, so schien es jedenfalls, bald erfüllen. Spätestens im September 1763 legte der venezianische Künstler erste Entwürfe für die Lateranbasilika vor, wobei er zu d ­ iesem Zeitpunkt in den bereits erwähnten Gian Paolo Pannini und Melchiorre Passalacqua noch mindestens zwei Konkurrenten zu fürchten hatte.52 Doch wie aus einem bisher von der Forschung nicht wahrgenommenen Dokument der Decreta e Risoluzioni des Bauhüttenarchivs von Sankt Peter hervorgeht,53 hatte sich Clemens XIII. im Hinblick auf die Arbeiten an der Tribuna der Lateranbasilika spätestens im Februar des folgenden Jahres für die Entwürfe seines Landsmannes Piranesi entschieden.54 Die Finanzierung des Projektes, wofür die Summe von 50000 51 Auch die 1762 erscheinenden „Lapides Romane“ widmete Piranesi dem Rezzonico-­Papst. 52 Barry, Rinovare (2006), S. 107, Anm. 9. Erstmals werden die von Piranesi präsentierten Entwurfszeichnungen in dem „Diario di Roma“ am 18. September 1763 erwähnt. Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 174, Anm. 16. 53 ARFSP, Arm. 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 49r. 54 Das „Diario di Roma“ berichtet zwar am 7. Februar 1764, der Papst habe einen Entwurf des Architekten der Bauhütte von Sankt Peter, Carlo Marchionni, gewählt und Piranesi sei nur zum ausführenden Architekten bestimmt worden, da Marchionni die Arbeiten im Hafen von Ancona zu beaufsichtigen gehabt habe: Nelle stabilita Fabbrica della Tribuna di San Giovanni Laterano, si rincontra, che siasi scelto il disegno fattosi dal sig. Carlo Marchionni; quale attesa la di lui assenza da Roma, per la direzione de lavori del porto di Ancona, sarà eseguito sotto l’opera del celebre sig. Piranesi. BCR , cod. ms. nos. 3815 (Diario di Roma), fol. 76v–77. Zitiert nach Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 175, Anm. 21. Eine ähn­liche Informa­tion findet sich auch bei Justi,

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64 Giovanni Battista Piranesi, De Romanorum Magnificentia et Architectura, Rom 1761, Titelkupfer

Winckelmann (1898), S. 329: „Als 1763 der Papst dem wankenden Chor des Laterans, dem letzten Rest der altchrist­lichen Basilica, dasselbe Schicksal zu bereiten beschloß, das im siebzehnten Jahrhunderte das Schiff betroffen hatte, wurde Marchionni mit dem Entwurf des neuen Chors betraut.“ Justi nennt jedoch keine Quelle, aber es könnte sein, dass er ebenfalls auf das „Diario di Roma“ zurückgegriffen hat. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Einträge im Tagebuch in ihrem subjektiven Charakter durchaus fehlerhafte Informa­tionen liefern können, die mög­ licherweise in Rom kursierenden Gerüchten geschuldet waren, während die Protokolle der Bauhütte ausschließ­lich auf Fakten beruhen.

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Scudi veranschlagt worden war, sollte die Bauhütte von Sankt Peter übernehmen.55 Offenbar hatte sich der Papst nicht anders zu behelfen gewusst, denn die desolate Finanzlage des Kirchenstaates schien Ausgaben selbst in dieser nicht einmal besonders astronomischen Höhe kategorisch zu verbieten. Außerdem hätte er sich mit ­diesem Projekt leicht heftiger Kritik ausgesetzt, denn das Jahr 1763/64 bescherte dem Kirchenstaat eine der schwersten Krisen des 18. Jahrhunderts. Missernten im Sommer 1763 führten auf der gesamten italienischen Halbinsel zu einer Hungersnot und der Papst war gezwungen, Getreide zu überhöhten Preisen importieren zu lassen.56 Im April betrug die Verschuldung des Kirchenstaates über 70 Millionen Scudi, der 2 bis 3 Millionen Scudi jähr­liche Einnahmen gegenüberstanden. Somit war der Papst gezwungen, auf den Schatz Sixtus’ V. in der Engelsburg zurückzugreifen, den dieser für besondere Notfälle zurückgehalten hatte und ihm eine halbe Million Scudi zu entnehmen, um der prekären Lage im Kirchenstaat Herr zu werden.57 In dieser Situa­tion wäre ein Bauprojekt wie die Restaurierung der Lateranapsis kaum zu rechtfertigen, ja kontraproduktiv gewesen. Aber der Papst schien zu hoffen, durch die Delegierung (und damit Umverteilung) der Ausgaben an die Bauhütte von Sankt Peter sein Vorhaben dennoch durchführen zu können. Obwohl die Bauhütte hauptsäch­lich für die Belange der Peterskirche zuständig war, kam es durchaus vor, dass sie auch die Restaurierung anderer ­Kirchen finanzierte. Einige Jahre zuvor, so ist den Decreta e Risolu­­zioni zu entnehmen, hatte etwa Benedikt XIII. mit Mitteln der Bauhütte die Restaurierung des Portikus von San Paolo in Neapel finanzieren lassen. Wenige Jahre ­später wurde, offenbar ebenfalls mit Mitteln der Bauhütte, die Restaurierung der dortigen Kathedrale vorangetrieben.58 Wie Luigi Vanvitelli, der es als Architekt der Bauhütte von Sankt Peter wissen musste, in einem Brief an seinen Bruder schrieb, hatte die Reverendissima Fabbrica auf 55 ARFSP, Arm. 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 49r: Serie dell’ affare circa il Ristauro della Tribuna della Basilica di S. Giovanni Laterano principiato nel Mese di Febraio 1764: Meditava il S. Padre Clemente XIII. felicemente Regnante di eseguire un’ insign’ opera pubblica, la quale poteva essere riguardata da nostri Posteri per un’insigne monumento della sublime sua pietà: L’Impresa era di far di nuovo da fondamenti una nuova Tribuna alla Patriarcale Basilica di S. Giovanni in Laterano. In fatti il Piranesi ne aveva formato, e compito il Disegno oltremodo magnifico, ed in seguito del Disegno era già segnato un Chirografo, col quale veniva da Sua Santità ordinata alla Rev. Fabbrica di S. P ­ ietro di somministrare la somma di Denaro, che a tanto lavoro sarebbe stata necessaria. Das „Diario di Roma“ berichtet unter dem 6. Februar 1763 von dem päpst­lichen Handschreiben und nennt die vom Papst für das Projekt veranschlagte Summe von 50000 Scudi, w ­ elche die Bauhütte zu zahlen hätte. Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 174 f., Anm. 20. Von 100000 Scudi als veranschlagte Bausumme berichtet hingegen Luigi Vanvitelli, der am 11. Februar 1763 in einem Brief an seinen Bruder ebenfalls auf Piranesi und das Lateranprojekt zu sprechen kommt. Strazzullo, Le Lettere di Luigi Vanvitelli (1976), Bd. III, S. 116. Barry, Rinovare (2006), S. 107, Anm. 10 hält dies jedoch für eine Übertreibung des Architekten. 56 Zur katastrophalen Situa­tion im Kirchenstaat in diesen Jahren und zum Versuch der Bewältigung der Hungersnot vgl. Reinhardt, Überleben in der frühneuzeit­lichen Stadt (1991), S. 361 – 364. 57 Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 464. 58 ARFSP, Arm. 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 53r.: […] in Napoli il provvisionale impiego fatto dalla S. M. di Benedetto XIII nell’urgenza dell’Anno Santo di una benché tenue partita della Fabbrica di S. Pietro, per risarcire il Portico di S. Paolo, fu ciò allegato in esempio, e diede motivo, che nel

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Betreiben des damaligen Erzbischofs von Neapel, Kardinal Giuseppe Spinelli, mit 48000 Scudi die Restaurierung der Kathedralapsis finanziert.59 Doch wie dem ausführ­lichen Bericht über die Vorkommnisse in den Decreta e Risolu­ zioni zu entnehmen ist, zeigte sich der Präfekt der congregazione della Reverendissima Fabbrica di San Pietro, Kardinal Henry Benedict Stuart, Herzog von York, wenig begeistert von den Finanzierungsplänen des Papstes. Nach Rücksprache mit dem economo der Bauhütte, Monsignore Marcolini, richtete er noch am 6. Februar 1764 ein Schreiben an den Kardinalstaatssekretär Luigi Maria Torrigiani, mit dem er diesen über die ebenfalls problematische Finanzlage der Bauhütte in Kenntnis setzte und bat, den Papst von der Unmög­lichkeit seiner Finanzierungspläne zu überzeugen.60 Zwei Tage ­später antwortete ihm Torrigiani, der Papst sei durchaus bereit, die Argumente des Präfekten zu prüfen, wenn dieser sie ihm schrift­lich einreiche. Aus dem von Marcolini aufgesetzten memoriale, das schließ­lich allen der Bauhüttenkongre­ gation angehörenden Kardinälen zur Begutachtung vorgelegt wurde, geht hervor, dass die Einnahmen der Bauhütte in den letzten Jahren rapide zurück­gegangen waren.61 Dem Jahresetat von etwa 40000 Scudi standen 1764 insgesamt 321341 Scudi Schulden gegenüber. Somit hätten die für die Laterantribuna veranschlagten 50000 Scudi mehr als den ihr zur Verfügung stehenden Jahresetat verschlungen. Zahlreiche Arbeiten, die in Sankt Peter selbst ausgeführt werden mussten und von den Gutachtern non solo giudicate utili, ma necessarie 62 erachtet wurden, hätten somit zurückgestellt werden müssen. An das Verständnis des Papstes appellierend, kam Marcolini in seinem Schreiben zu dem Schluss, die Bauhütte könne die Kosten für das Lateranprojekt keinesfalls übernehmen, seppure non si voglia per vestire un’Altare spogliarne un’altro.63 Noch ein weiteres Argument wurde ins Feld geführt: die Öffent­lichkeit des Finanzetats der Bauhütte von Sankt Peter, die auch von den katho­lischen Potentaten Zuwendungen erhielt. Pur riflettersi in oltre, se sia espediente, ed opportuno nel caso di cui si tratta, di divertir le Rendite della Fabbrica a vista di tutto il Mondo Cattolico in altro uso, fuori del prescritto dalla S. M. di

susseguente Pontificato sull’Entrate di quel Regno, che spettavano alla Fabbrica, si prendesse la somma di m/21 per risarcimento del Duomo di quella Capitale. 59 Der auf den 25. Februar 1764 datierte Brief erwähnt diese Finanzierung im Zusammenhang mit dem Lateranprojekt. Strazzullo, Le Lettere di Luigi Vanvitelli (1976), Bd. III, S. 122. Zur Restaurierung des Chores der Kathedrale von Neapel, mit der Kardinal Spinelli 1739 den römischen Architekten Paolo Posi beauftragte, vgl. Ders., Restauri del Duomo di Napoli (1991), S. 117 – 142; Castanò, Gli interventi (2003), besonders S. 196 f. 60 ARFSP, Arm. 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 50r: Il Card.le Duca prega perciò vivamente V. E. non solamente come Segretario di Stato, ma ancora come uno de Card.li della Congreg. ne della Fabrica, che si degni intercedere da Sua Beatitudine la sospensione delle Sovrane sue determina­ zioni fintanto che per sua connaturale Clemenza abbia sentita, e ponderate quelle ragioni, che saranno per addursi, e che fra giorni si faranno giungere alle mani di V. E. perchè le umilii alla Santità Sua. 61 Zur Finanzierung der Bauhütte von Sankt Peter allgemein vgl. Fiore, Capitoli e contratti (1980). 62 ARFSP, Arm. 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 52r. 63 Ebd.

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Giulio II. nell’istituzione della medesima. Tutto il Mondo sa, che tali rendite si ­debbono unica­ mente applicare per il bisogno, ed Ornato dell’insigne Tempio del Vaticano, e perché le Nazioni fossero certe di tal’ Impiego, si ricorda tuttavia con lodo quel Pontefice, che ascrisse nella Società, o sia Confraternita della Fabbrica se stesso, e tutti li Principi Cattolici, con tutti loro Ministri, e Ambasciatori, dichiarandoli altrettanti Curatori della medesima Fabbrica.64

Damit kommt eine Argumenta­tion ins Spiel, in der die reformatorische Kritik anklingt, ­ elche in der maßlosen Verschwendungssucht der Päpste einen ihrer Hauptkritikpunkte w fand, hier aber eine eindeutige Wendung zum innerkatho­lischen Reformdiskurs nimmt, wie er die Trienter Reformtheologen zweifellos gefreut hätte: Es wird die Bedeutung des architektonischen Baues von Sankt Peter als spirituelles Zentrum der katho­lischen Christenheit hervorgehoben und der Papst an seine Rolle als geistiges Oberhaupt der ­Kirche erinnert. Würde er wie ein Souverän handeln, der den Etat wahllos umverteilt – so suggeriert das memoriale –, könnte dies zur Verstimmung der katho­lischen Fürsten und zu einem Ansehensverlust des Pontifex führen. Tatsäch­lich musste sich der Papst aufgrund des Memoriales in die unabänder­lichen Tatsachen fügen, denn eine andere Mög­lichkeit der Finanzierung schien ausgeschlossen. Lapidar heißt es dann auch nur in den Aufzeichnungen der Bauhütte: Ma poi conoscendo sussistere la rappresentanza, fu posto in silenzio il Chirografo, furono ritirati i Disegni, e l’affare fu messo in totale dimenticanza.65 Darüber hinaus suchte sich die Bauhütte auch noch gegen einen mög­lichen Sinneswandel des Papstes abzusichern und dem Argument, dass die Tribuna des Laterans dringend einer Restaurierung bedürfe, vorzubauen. Sachverständige wurden von der Bauhütte beauftragt, den Erhaltungs­zustand der Mosaiken des Chores zu prüfen und ein Gutachten über dringend notwendige Instandsetzungsarbeiten zu erstellen.66 Dieses wurde vom economo Marcolini dem Kardinalnepoten Carlo Rezzonico übergeben, der es wiederum seinem Onkel überbrachte. Die Gutachten ergaben, quanto facilmente poteva assicurarsi da ogni immaginato, e supposto pericolo di ruina della Tribuna, ed il Mosaico della medesima. Si compiacque Sua Santità di abbracciare il suggeri­ mento del dettagliato lavoro, che con poche centinaia di Scudi in breve tempo fu stabilmente compito dalli Manuali della Rev. Fabrica coll’assistenza del suddetto Mons.r Economo, e dello 64 Ebd., fol. 52v. 65 Ebd., fol. 57v. 66 Unter Nikolaus IV. Masci (1288 – 1292) wurde die Apsis umgebaut, wobei die dort angebrachten Mosaiken aus dem 5. Jahrhundert zerstört wurden. Der Papst beauftragte den Maler und Mosaizisten Jacopo Torriti mit der Neugestaltung der Apsis. Torriti hatte vorher in San Francesco in Assisi gearbeitet und auch bereits im Auftrag Nikolaus’ IV. die Mosaiken in Santa Maria Maggiore in Rom ausgeführt. Gegen 1289 begann Torriti gemeinsam mit Jacopo da Camerino mit der Ausgestaltung der Apsis im Lateran, die, wie aus der Inschrift hervorgeht, 1291 fertig gestellt war. Das Mosaik wurde mehrmals restauriert, am umfassendsten unter Alexander VII. Chigi 1663. Bei der Chorerweiterung von 1884 bis 1886 wurde es jedoch zerstört. Das heutige Mosaik ist eine z­ wischen 1883 und 1884 nach Torriti ausgeführte Kopie. Vgl. Tomei, La decorazione pittorica (1990), S. 90 f.

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stesso Sig.r Card. Nepote che si compiacque accettare la deputazione di Sopraintendente fattagli dal Santo Padre ad istanza di Mons. Economo. Ed ecco come ebbe fine l’affare.67

Die von der Bauhütte angeregten kleineren Restaurierungen wurden schließ­lich auch durchgeführt: Am 17. November 1764 berichtete das „Diario ordinario“ von Ausbesserungen an den Apsismosaiken des Laterans.68 Schlussend­lich sollte es noch über ein Jahrhundert dauern, bis die geplante Chorerweiterung end­lich zur Ausführung kam. Erst unter Pius IX . Mastai-­Ferretti (1846 – 1878) wurden die Planungen für den Chor wieder in Angriff genommen. Ausgeführt wurden sie allerdings erst im Nachfolgepontifikat unter Leo XIII . Pecci (1887 – 1903) – von dem römischen Architekten Virginio Vespignani und seinem Sohn Francesco.69 Seine Entwürfe für die Lateranbasilika übergab Piranesi drei Jahre nach dem Scheitern des Projektes dem Papstneffen Giovanni Battista Rezzonico, der in der Zwischenzeit sein wichtigster Förderer geworden war und ihn 1764 mit dem Umbau von Santa Maria del Priorato sowie mit der Neugestaltung des davorliegenden Platzes beauftragt hatte.70 Diese Zeichnungen, die sich heute in der Avery Library der Columbia University in New York befinden und die mehrere variierende Entwürfe für die Neugestaltung des Lateranchores zeigen, geben einen Eindruck von dem regelrecht megalomanen Projekt, welches dem venezianischen Architekten vorgeschwebt hatte. 71 John Wilton-­Ely und Fabio Barry haben herausgearbeitet, dass alle Entwürfe von dem Gedanken geleitet waren, den konstantinischen Chor entscheidend zu vergrößern.72 In einem seiner Entwürfe ging Piranesi gar so weit, die räum­lichen Dimensionen des Chores der Höhe der unter Clemens XII . durch Alessandro Galilei errichteten Fassade anzugleichen, was dazu geführt hätte, dass das von Borromini errichtete Schiff durch Fassade und Chor regelrecht eingezwängt worden wäre.73 Zwar ist nicht bekannt, ­welchen von Piranesis erhaltenen Entwürfe der Papst am Ende ausgewählt hatte und von der Bauhütte finanzieren lassen wollte. Doch in jedem Falle wäre für die nachfolgenden Genera­tionen der Name des Auftraggebers dieser Erweiterungen sichtbar geblieben. Alle Entwürfe zeigen an exponierter Stelle, im Gurtbogen der Vierung oder gar in der Apsis, prominent das Rezzonico-­Wappen, meist noch von einem Band umrahmt, auf welchem der Name des Papstes eingeschrieben war. (Abb. 65)

67 ARFSP, Armadio 16 A 170, Decreta e Risoluzioni, 1744 – 1804, fol. 58v. 68 Chracas, Diario Ordinario, Nr. 7392, 17. November 1764. Vgl. auch Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 176, Anm. 28. 69 Barroero, La Basilica (1990), S. 175. 70 Vgl. Kap. IV.5. der vorliegenden Arbeit. 71 Wilton-­Ely, Piranesi as architect (1992), S. 19 – 22 und die Einträge S. 53 – 60 sowie Tafeln 5 – 28 in ­diesem Katalog. Vgl. auch Wilton-­Ely, Piranesi architetto (1998), S. 69 – 71. 72 Ebd.; Barry, San Giovanni (2000). 73 Barry, San Giovanni (2000), S. 44.

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65 Entwurf Piranesis für den Chor von San Giovanni in Laterano, Zeichnung, New York, Columbia University, Avery Library

Clemens’ XIII . dringender Wunsch, die Erneuerung der Lateranbasilika durch den Chorumbau abzuschließen und, wie schon am Trevi-­Brunnen, vor der Nachwelt als Vollender eines unter seinen Vorgängern begonnenen architektonischen Großprojektes dazustehen, scheiterte also in erster Linie an der finanziellen Misere des Kirchenstaates. Der Papst konnte zwar durch die Restaurierung der Apsismosaiken seinen Namen mit der altehrwürdigen Basilika in Verbindung bringen,74 jedoch waren die auszuführenden Arbeiten weit davon entfernt, an die Größenordnung der durch seine Amtsvorgänger im 16. und 17. Jahrhundert in Auftrag gegebenen Projekte anknüpfen zu können. Doch obwohl Clemens XIII . mit seinen Bemühungen um eine angemessene Einschreibung 74 Merkwürdigerweise scheint jedoch für diese Arbeiten keine Erinnerungstafel angebracht worden zu sein, denn im Kompendium der Inschriften römischer ­Kirchen von Forcella ist unter den Inschriften des 18. Jahrhunderts im Lateran nichts verzeichnet. Vgl. Forcella, Iscrizioni (1876), Bd. VIII, S.  72 – 96.

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seines Pontifikates in den römischen Stadtraum aufgrund äußerer Umstände nur vergleichsweise bescheidene Ergebnisse erzielte, zeigt es sich doch, dass im Hinblick auf die Kunstpatronage der Päpste auch im 18. Jahrhundert an jahrhundertealten Mechanismen der Visualisierung von Machtansprüchen festgehalten wurde. Vor dem Hintergrund der schwindenden politischen Macht des Papsttums ging es wohl nun vor allem darum, die spirituelle Komponente Roms zu betonen und die Stellung des Papstes als geist­liches Oberhaupt der Christenheit hervorzuheben, wozu die Vollendung der Lateran­basilika zweifelsohne gehört hätte. Mit der Wahl Piranesis als ausführenden Architekten folgte Clemens XIII . darüber hinaus den traditionsreichen Prinzipien der konsequenten Berücksichtigung von landsmannschaft­lichen wie auch (durch die mit den Rezzonico bestehenden Patenschaften) klientelären Bindungen.

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4. Ein himm­lischer Verbündeter: Gregorio Barbarigo und die Familienkapelle in San Marco Eines der zentralen Ereignisse in dem ansonsten insgesamt eher ereignisarmen Pontifikat Clemens’ XIII. war die Seligsprechung Kardinal Gregorio Barbarigos. Von zentraler Bedeutung war das Ereignis insbesondere für den Papst selbst, da er bereits vor seinem Pontifikat beharr­lich auf die Realisierung dieser Beatifika­tion hingearbeitet hatte, die nun zu ihrem erfolgreichen Abschluss kam. Dies bewog das Kapitel der venezianischen Na­tionalkirche San Marco in Rom, dem seliggesprochenen Landsmann eine Kapelle zu stiften und das Patronat darüber der Papstfamilie Rezzonico zu übertragen. Diese Ereignisse haben im Zusammenhang mit der sich daran anschließenden, von den Rezzonico veranlassten künstlerischen Ausgestaltung der Kapelle bislang seitens der Forschung kaum Interesse gefunden.1 Das mag daran liegen, dass die Kapelle Gregorio Barbarigos, w ­ elche gleichzeitig die Familienkapelle der Rezzonico darstellt, nicht unbedingt zu den Höhepunkten römischer Barockausstattung zu zählen ist. (Farbabb. 7) Kaum einer der heutigen Kirchenführer hält ihre Existenz für erwähnenswert. In Buchowieckis einschlägigem „Handbuch der ­Kirchen Roms“ wird sie zwar kurz beschrieben, doch fehlt jeder Hinweis darauf, dass es sich um die Kapelle einer Papstfamilie handelt.2 Bereits die Wahl des mit dem Ausbau der Kapelle betrauten Architekten lässt mit dem Römer Ermenegildo Sintes auf eine eher zweitrangige Ausstattung schließen. Die Marginalität der Kapelle, für deren Neugestaltung die sich zuvor an ­diesem Platz befind­lichen Fresken von Carlo Maratti weichen mussten, ist Anfang des 19. Jahrhunderts noch verstärkt worden, als durch die Aufstellung der marmornen Altartafel von Antonio d’ Este im Jahre 1803 der barocke Charakter des Altars völlig verloren ging. Um die Bedeutung von Barbarigos Seligsprechung und den Stellenwert der Familien­ kapelle in San Marco innerhalb des Gefüges der familiären Statusstrategien der ­Rezzonico genauer fassen zu können, muss zunächst einmal ihr Anteil an ­diesem einundsechzig Jahre andauernden Beatifikationsprozess genauer beleuchtet werden. Das Fundament dafür legten vor allem die Studien von Pierpaolo Giovannucci, der sich intensiv mit dem Beatifika­tionsprozess Barbarigos beschäftigte, sowie die Arbeit von Rüdiger Samerski, der sich übergreifend mit den im 18. Jahrhundert vorgenommenen Heiligsprechungen auseinandersetzte.3

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Ledig­lich Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 87 konstatiert es rein faktisch. Buchowiecki, Handbuch der K ­ irchen Roms (1970), Bd. II, S. 381. So ist es auch nicht bekannt, dass die Familienkapelle als Grablege der Rezzonico genutzt wurde. Vgl. Kap. IV.6. der vorliegenden Arbeit. Giovannucci, Il Processo (2001); Sameski, Wie im Himmel (2002).

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Die Seligsprechung Gregorio Barbarigos Am 20. September 1761 wurde in Sankt Peter in Rom mit großem Pomp die Seligsprechung des 1687 verstorbenen Kardinals Gregorio Barbarigo vorgenommen, die sich durch einen ungewöhn­lich hohen Aufwand auszeichnete und deren Kosten vollständig vom Papst persön­lich übernommen wurden. Die hiermit vorläufig abgeschlossene causa Barbarigo 4 gehörte zu einer Reihe von Beatifika­tions- und Kanonisa­tionsprozessen, die Clemens XIII. seit Beginn seines Pontifikats voranzutreiben suchte und die durch die Herkunft der zu verhandelnden Personen in unmittelbarer Beziehung zu seiner Heimatstadt Venedig standen. Diese lag dem Papst jedoch besonders am Herzen, da es sich bei Gregorio Barbarigo nicht nur um seinen Amtsvorgänger auf dem Bischofsstuhl von Padua, sondern auch, wie zeitgenös­sische Quellen betonten, um einen Verwandten des Papstes handelte.5 Die verstorbene ­Mutter Clemens’ XIII., Vittoria Barbarigo, entstammte zwar nicht der gleichen casa wie der seliggesprochene Kardinal, trug aber denselben Namen.6 Doch diese venezianische Besonderheit, nach welcher die einzelnen Familien genealo­gisch noch einmal nach ihrer Zugehörigkeit zu den entsprechenden Pfarrsprengeln unterschieden wurden,7 spielte außerhalb der Grenzen der Serenissima keine Rolle. Gregorio Barbarigo, 1625 in Venedig als ältester Sohn einer alten Patrizierfamilie geboren, war ursprüng­lich für eine welt­liche Laufbahn vorgesehen gewesen. Als Sekretär des venezianischen Gesandten Alvise Contarini begleitete er diesen 1643 auf den Friedenskongress nach Münster, wo er sich bis 1649 aufhielt. Dort lernte er den päpst­lichen Sondergesandten Fabio Chigi, den späteren Alexander VII. (1655 – 1667), kennen, der für ihn zu einer Schlüsselperson werden sollte. Gegen den Willen der Eltern entschied er sich zum Eintritt in den geist­lichen Stand. Nach seiner Wahl zum Papst berief ihn ­Alexander VII. nach Rom und ernannte ihn bereits ein Jahr ­später zum Bischof von Bergamo. Schon als Fünfunddreißigjähriger wurde er 1660 ins Kardinalskollegium aufgenommen. Es dauerte nur weitere vier Jahre, bis der Chigi-­Papst nach dem Tod des Bischofs Giorgio Corner dessen wohlhabendes und prestigeträchtiges Bistum Padua Barbarigo übertrug. Dort widmete sich der Kardinal ganz im Zeichen ­­ der unter Innozenz XI. Odescalchi (1676 – 1689) eingeleiteten ripresa tridentina, das heißt der Wiederaufnahme der ­zwischen 1545 und 1563 auf dem Konzil von Trient verabschiedeten Reformbeschlüsse der katho­lischen K ­ irche, 4 5

Im 20. Jahrhundert wurde der Fall wieder aufgegriffen, vgl. Anm. 7. ASVic, ser. LXV, fasz. 16, b. XXXIV, nr. 417: Avendo la S.tà di N. S., Papa Clemente XIII (Carlo Rezzonico quando era Cardinale, Titolare degnissimo di S. Marco) annoverato nel numero dei Beati il Ven. Gregorio Barbarigo già suo Parente, Cardinale di S.ta Chiesa, […]. 6 Vittoria Barbarigo starb am 28. Juli 1758, nur wenige Tage nach dem für die Rezzonico so schicksalsträchtigen Konklave, im Alter von vierundachtzig Jahren. APVe, Parrocchia di S. Barnaba, Registro dei Morti, 1 (1753 – 1765), fol. 39. Sie gehörte dem Zweig der Barbarigo von San Vio an, während Gregorio Barbarigo dem Zweig von Santa Maria Zobenigo entstammte. Diese beiden Zweige existierten seit spätestens 1449 unabhängig voneinander. Vgl. Barbaro, Tafel 175, 429. Vgl. auch Kap. II.3. 7 Vgl. Hunecke, Der venezianische Adel (1995), S. 265 – 269.

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insbesondere den seelsorgerischen Aspekten und der Neuorganisa­tion seiner Diözese: Er gründete Seminare zur Priesterausbildung, setzte sich für das Studium der orienta­lischen Sprachen ein und bemühte sich um die Union mit den Ostkirchen. Dazu gesellte sich eine besondere Spiritualität und engagierte Gemeindeführung.8 Barbarigo entwickelte sich auf diese Weise zu einem profilierten Vertreter der kirch­lichen Reformbewegung, dessen Wahl zum Past im Konklave von 1691 nur knapp scheiterte. Schon zu Lebzeiten verkörperte er geradezu idealtypisch für die Zeitgenossen die „Idea de’ Prelati“9 und man sah in ihm einen neuen Carlo Borromeo, so dass die Paduaner nicht ohne Stolz feststellen konnten: A Milano avete un Santo morto, noi a Padova abbiamo un Santo vivo.10 Bereits zum Zeitpunkt seines Todes stand Barbarigo im Rufe der Heiligkeit.11 Sein Prestige wurde für die Zeitgenossen durch verschiedene wundersame Ereignisse bestätigt, die man in Venedig beobachtete und mit der Person des verstorbenen Kardinals in Verbindung brachte.12 Schon 1699 wurde in Padua der erste Bistumsprozess eröffnet, um das Ausgangsmaterial für den Beatifika­tionsprozess zusammenzutragen. Zwischen 1701 und 1716 folgten weitere Prozesse dieser Art in Bergamo, Venedig, Florenz, Rom, Mailand, Benevent und Modena. 1716 konnte Clemens XI. eine erste umfangreiche Materialsammlung übergeben werden, ­welche detaillierte Auskünfte über das Leben und Wirken des Kardinals enthielt.13 Wie Samerski herausarbeiten konnte, hatten außerdem spezifisch venezianische Interessen einen nicht unwesent­lichen Anteil am Anstoß des Beatifika­ tionsprozesses, da sie zu zahlreichen weiteren Postula­tionsschreiben an den Papst Anlass gaben. Denn vor dem Hintergrund der 1714 erneut entbrannten Türkenkriege suchte die Republik nach einer „sakralisierte[n] Galionsfigur“ aus den eigenen Reihen, mit welcher sie wie mit einem vom „Papst geweihten Banner in die Seeschlacht ziehen“ konnte.14 All diese Bemühungen um eine Seligsprechung des Kardinals führten schließ­lich dazu, dass Innozenz XIII. Conti (1721 – 1724) im September 1721 mit Kardinal Antonio Felice Zondadari einen ponens einsetzte, der das Material der causa Barbarigo untersuchen sollte.15

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Zu Gregorio Barbarigo vgl. neben dem Eintrag von Benzoni im DBI 59 (2002), S. 247 – 252 vor allem die zahlreichen Beiträge in Billanovich / Gios (Hg.), Gregorio Barbarigo (1999). 1960 wurde er von Johannes XXIII. heiliggesprochen. Ein verstärktes Interesse an seiner Person und ­seiner Bedeutung für die pastorale Reform der K ­ irche ist seitens der historischen Forschung aber erst in jüngster Zeit zu konstatieren. 9 So Giuseppe Crispino in seinem 1685 erschienenen Traktat „La visita pastorale“. Giovannucci, Il processo (2001), S. 7, Anm. 7. 10 Zitiert nach Giovannucci, Il processo (2001), S. 97. Der Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo (1538 – 1584) galt als einer der wichtigsten Reformkardinäle der römischen Kurie. 1610 wurde er von Paul V. Borghese heiliggesprochen. Zu Borromeo vgl. zuletzt Delgado / Ries (Hg.), Karl Borromäus (2010). 11 Giovannucci, Il processo (2001), S. 54. 12 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 113. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 113 f. 15 Giovannucci, Il processo (2001), S. 375.

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Doch die Eröffnung des Verfahrens durch die Ritenkongrega­tion zog sich weitere drei Jahre hin. Erst am 29. Januar 1724, wenige Wochen vor dem Tod Innozenz’ XIII., wurde der Prozess eröffnet.16 Einen wesent­lichen Anteil an der Eröffnung des Verfahrens hatte, wie Giovannucci gezeigt hat, Giovanni Francesco Barbarigo, der Neffe des seligzusprechenden Kardinals und gleichzeitig sein Nachfolger auf dem Paduaner Bischofsstuhl.17 Somit lassen sich bereits zu d ­ iesem Zeitpunkt starke familiäre Interessen an Barbarigos Beatifika­ tionsprozess feststellen, die den Verlauf der Angelegenheit wesent­lich beschleunigten. Begründen lässt sich dies vor allem damit, dass nach dem Verständnis der Frühen Neuzeit der Glanz der Seligen und Heiligen nicht zuletzt auch auf ihre Familien zurückfiel.18 So wurde beispielsweise 1743 in den Unterlagen des Kanonisa­tionsprozesses für Kardinal Niccolò Albergati (1375 – 1444) explizit auch auf die Bedeutung der Heiligsprechung für die Familie verwiesen, deren Frömmigkeit und Eifer ganz auf die Förderung der Verehrung des seligen Kardinals aus­ gerichtet war, der den Glanz und die Zierde derselben Familie, aus der er hervorgegangen war, durch außergewöhn­liche Heiligkeit vermehrt hatte.19

Ein Jahr nach Eröffnung des Beatifika­tionsprozesses durch die Ritenkongrega­tion ließ ­Giovanni Francesco Barbarigo die Gebeine seines Onkels 1725 aus der Gruft der Kathedrale von Padua in eine eigens von ihm in Auftrag gegebene arca in der ­Kirche überführen.20 Wenn aber Samerski bemerkt, der Tod Gianfrancesco Barbarigos 1730 habe rasche Fortschritte der causa verhindert,21 so kann dem nur teilweise zugestimmt werden. Zwar hatten die familiären Interessen der Barbarigo und nicht zuletzt ihre finanziellen Aufwendungen den 16 Zu den Gründen dieser Verzögerung vgl. ebd., S. 377 – 435. 17 Zum Verhältnis Giovanni Francesco Barbarigos zu seinem Onkel Gregorio Barbarigo vgl. Turchini, Zio e nipote (1999). Zur Kardinalserhebung Giovanni Francescos vgl. Kap. II.3. Dass die Kanonisa­ tion von im Rufe der Heiligkeit stehenden Persön­lichkeiten insbesondere von ihren Neffen im Prälaten- oder Kardinalsstand vorangetrieben wurde, ist spätestens seit der Heiligsprechung Carlo Borromeos (1610) zu beobachten. Vgl. dazu Zunckel, Das schwere Erbe (2004). 18 Vauchez, La sainteté (1988), S. 213 f. Selbst Benedikt XIV., der im Hinblick auf Familienförderung sehr restriktive Vorstellungen hatte, sprach mit Imelda Lambertini ein Familienmitglied heilig. Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 103. 19 Zitiert nach ebd., S. 239, Anm. 597. Es handelt sich dabei um eine informatio addi­tionalis, ­welche 1743 hinzugefügt wurde. Der Nutzen für die Familie ist unter Punkt 7 aufgeführt. Die Quelle befindet sich in der Bibliothèque na­tionale de France in Paris. Samerski gibt die Passage in deutscher Übersetzung wieder. Albergati wurde 1744 von Benedikt XIV. seliggesprochen. 20 Giovannucci, Il processo (2000), S. 488 – 490. Dabei hatte Gregorio Barbarigo selbst testamentarisch die Bischofsgruft von Padua zu seiner Begräbnisstätte gewählt: Lascio il mio corpo nella sepoltura delli Vescovi del Duomo pregando li Rev. o. Canonico, Mansionarj, Costode. Testament vom 16. August 1689, abgedruckt in der Beilage von „ANCORA“, Padua 18./21. Juni 1897 (Feste centenarie del B. Gregorio Barbarigo). 21 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 119.

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Prozess beträcht­lich gefördert.22 Jedoch darf nicht vergessen werden, dass nach der z­ wischen 1628 und 1632 unter Urban VIII. Barberini erfolgten Reform des Kanonisa­tionsprozesses die Diskussion über den Tugendgrad des jeweiligen Kandidaten, die in der causa Barbarigo die nächste zu verhandelnde Prozessetappe darstellte, erst fünfzig Jahre nach dessen Tod stattfinden durfte.23 Auf Gregorio Barbarigo bezogen hieß das konkret: 1747. Dennoch sollte die Ernennung Carlo Rezzonicos zum Bischof von Padua im Jahre 1743 den Prozessverlauf beschleunigen. Als der promotor fidei 1744 im Vorfeld Einwände gegen den heroischen Tugendgrad Barbarigos vorbrachte, da noch nicht alle seine Werke durchgesehen worden ­seien, war es vornehm­lich Rezzonico, der sich darum kümmerte, dass zum 50. Todesjahr des Kandidaten in Rom bereits alle erforder­lichen Schriften für die anstehende Diskussion ­dieses Aspektes vorlagen.24 Das Pontifikat des Reform-­Papstes Benedikt XIV. Lambertini ließ außerdem ein gutes Ende der causa erwarten, da dieser mit seinen Reformen stark die ripresa tridentina vorantrieb, indem er vor allem mit großem Nachdruck die Reformierung der Bistümer verfolgte und in der Person Gregorio Barbarigos gerade in d­ iesem Bereich ein glänzendes Vorbild erblickte.25 Tatsäch­lich nahm die Congregazione anteprepera­ toria sulle virtù (1757 – 1760) einen in Bezug auf die Seligsprechung positiven Ausgang, sah sie doch in Barbarigo eine expressam […] imaginem sancti Caroli Borromei.26 Damit war eine weitere wichtige Stufe auf dem Weg zur Beatifika­tion des Kandidaten genommen. Die Antwort auf die Frage nach den Motiven, die Rezzonico zum Eingreifen in den Prozess getrieben haben mögen, gibt 1746 Domenico Chiaverini, vecchio procuratore della causa in Padua, mit aller wünschenswerten Eindeutigkeit. Nach Chiaverini gaben zwei Punkte den Ausschlag: sui concivis, ac praedecessoris – landsmannschaft­liche Bindungen und die Nachfolge auf dem Bischofsstuhl.27 Gerade was letzteren Punkt betrifft, war Rezzonico in seiner Rolle als Bischof konsequent in die Fußstapfen seines Vorgängers ­Gregorio Barbarigo getreten und sah sich selbst als dessen Nachfolger und „Vollender“. Hatte ­Gregorio Barbarigo das bischöf­liche Seminar zur Ausbildung des Klerus erneuert und 1670 ein neues Seminargebäude errichten lassen, so ließ es Carlo Rezzonico gleich bei seinem Amtsantritt 1743 umfassend erweitern.28 Auch setzte er mit Eifer die Visita­tionen in seiner Diözese fort, wo in einigen Pfarreien zum letzten Mal Barbarigo in prüfender Mission erschienen war. 1748 ließ er zudem Barbarigos pastorale Schrift zur Befolgung der Mess­regeln wiederauflegen.29 22 23 24 25 26 27 28 29

Giovannucci, Il Processo (2000), S. 143. Gotor, Chiesa e santità (2004), S. 78. Samerski verweist auf S. 71 selbst auf diese Reform. Giovannucci, Il Processo (2000), S. 54; Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 119. Einen ­kurzen Überblick über die Reformideen und -maßnahmen Benedikts XIV. bietet Gotor, Chiesa e santità (2004), S. 121 – 127. Dort auch weiterführende Literatur. Zitiert nach Giovannucci, Il Processo (2000), S. 550, Anm. 90. Ebd., S. 511. Zaggia, Gli interventi architettonici (2008), S. 31 – 33. Giovannucci, Il processo (2002), S. 513. Die kleine Schrift „Avvertimenti alli sacerdoti per l’osser­ vanza esatta de’ sacri riti e cerimonie nella celebrazione della S. Messa privata“ war 1685 in Padua erschienen. Zu Rezzonicos Tätigkeit als Bischof von Padua vgl. Bellinati, Attività pastorale (1969);

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Entscheidend für die Herausbildung von Rezzonicos Haltung mag gewesen sein, dass Innozenz XIII . ihn 1723 aus der Provinz nach Rom gerufen und ihm den Posten eines ponens in der Kardinalskongrega­tion der Sacra Ruota übertragen hatte.30 Somit war er 1725 in Rom und konnte den Concilio Romano, der in d ­ iesem Jahr vom Papst einberufen worden war und auf dem erneut die Reformansätze der ripresa tridentina diskutiert und bestätigt wurden, aus nächster Nähe mitverfolgen.31 Als späteres Mitglied der Congrega­ tione dei Vescovi e Regolari war er schließ­lich selbst maßgeb­lich an der Umsetzung der Reformen beteiligt.32 Der Tod Benedikts XIV . im Jahr 1758 stellte jedoch den raschen Abschluss des Beatifika­ tionsprozesses für einen Moment in Frage. Es konnte nicht als selbstverständ­lich angenommen werden, dass sein Nachfolger auf dem Stuhl Petri der angestrebten Seligsprechung Barbarigos das ­gleiche Interesse entgegenbringen würde wie dieser Reform-­Papst. Die mehr oder minder überraschende Wahl Carlo Rezzonicos zum Nachfolger B ­ enedikts XIV. sollte der causa Barbarigo aber mehr als zugutekommen. Überhaupt schien dem Papst die Vermehrung der himm­lischen Fürsprecher besonders am Herzen zu liegen, was sich unschwer daran erkennen lässt, dass während seines Pontifikats besonders viele causae behandelt wurden. So wurden im Jahre 1767 gleich fünf Kandidaten heiliggesprochen.33 Dabei fällt auf, dass Barbarigo nicht der einzige Venezianer war, den der Rezzonico-­Papst zu Ehren der Altäre erhoben hat. In der Gruppenheiligsprechung von 1767 wurde auch der aus einer alten venezianischen Adelsfamilie stammende Ordensstifter G ­ irolamo Miani kanonisiert,34 1768 folgte unter Abkürzung des üb­lichen Prozessverlaufes kraft päpst­lichen Indults die Seligsprechung der von der Terraferma stammenden Angela Merici, Begründerin der Ursulininnen.35 Es ist unübersehbar, dass der ­Papst damit seiner Heimatstadt einen besonderen Gunsterweis zukommen ließ. Und es ist anzumerken, dass die bis zu ­diesem Zeitpunkt letzte Heiligsprechung eines Venezianers bezeichnenderweise ins

Ders., Il Cardinale (2008); Burlini Calajaj, I vescovi (1996), S. 281 – 285; Gios, L’episcopato (2013); Ders., Le quattro Rela­tiones (2013); Carraro, Il vescovo Carlo Rezzonico (2013). 30 Vgl. Kap. II.5. der vorliegenden Arbeit. 31 Zum Concilio Romano vgl. Fiorani, Il Concilio romano (1977); Fattori, Il concilio provinciale (2008). 32 Auf die Mitarbeit Carlo Rezzonicos in der Bischofskongrega­tion verweisen Cajani / Foa, Clemente XIII (2000), S. 461. 33 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 107 – 109. 34 Zu Girolamo Miani, der den Somasker-­Orden gründete, siehe Hofmann, Hieronymus Aemiliani (1966). 35 Der promotor fide hatte vor allem gegen die ununterbrochene kultische Verehrung der Nonne Einspruch erhoben, weshalb der Prozess vertagt werden sollte, um neues Material zusammenzutragen. Dagegen intervenierte der Papst kraft eines Indults und sprach Merici durch ein Beatifi­ catio aequipollens selig. Durch die „aequipollente Seligsprechung“ wurde ein alter legitimer Kult ohne formelles Beatifika­tionsverfahren anerkannt. Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 127, Anm. 379. Zu Angela Merici siehe Mazzonis, A female idea (2004); Ders., Spirituality, Gender and the self (2007).

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Pontifikat eines ebenfalls venezianischen Papstes zurückreichte.36 Landsmannschaft­liche Bindungen waren somit wirkungsvolle Beschleuniger der häufig zähen und langwierigen Kanonisa­tionsprozesse. Doch die Seligsprechung Barbarigos schien Clemens XIII . besonders am Herzen zu liegen, was angesichts des ihr inhärenten Prestigepotentials auch nicht zu überraschen vermag. Insofern hatte der Rezzonico-­Papst ein unverkennbares Interesse, den Prozess schnell zu Ende zu führen. Fernab von der in Venedig streng observierten Unterscheidung der Adelsfamilien in einzelne case wurde es in Rom mög­lich, die landsmannschaft­lichen Bindungen zu Gregorio Barbarigo, auf die auch der Postulator der causa in Padua verwiesen hatte, in familiäre Bindungen umzuwandeln und somit der Familie – sozusagen durch die Hintertür – einen Familienheiligen hinzuzufügen. Zudem bot dies abermals die Mög­lichkeit, die sie als Neuadlige vom Altadel trennenden Schranken geschickt zu verschleiern. Denn auf den hohen sozia­len Rang, dem Gregorio Barbarigo entsprang, wurde in fast allen Postula­tionsschreiben verwiesen.37 Der Papst griff nun selbst in den Prozess ein, indem er sorgfältig die mit dem Voran­ schreiten des Prozesses betrauten Personen auswählte. Nur vier Monate nach seinem Amtsantritt setzte er seinen Neffen Carlo Rezzonico als Kardinalponens ein, wodurch ­diesem gewissermaßen die kurieninterne Betreuung der causa übertragen wurde. Ihm kam die Aufgabe zu, die anderen Mitglieder der Ritenkongrega­tion regelmäßig über den Stand der verschiedenen Prozessstufen zu informieren.38 Mit dem Rotaauditor Giovanni Corner und dem Hagiographen Flaminio Corner stellte ihm der Papst zwei weitere Venezianer zur Seite, die ihn bei der Durchführung der causa unterstützen sollten.39 Angesichts dieser verdichteten Präsenz venezianischer und familiärer Interessenvertreter verwundert es nicht, dass der Prozessverlauf neuer­lich forciert wurde. Bereits Ende Januar 1759 fand in Anwesenheit des Papstes die Congregatio generalis statt, in der über den Tugendgrad des Kandidaten beraten wurde. Schon im darauffolgenden Februar konnte das entsprechende Tugenddekret veröffent­licht werden. Der für die Seligsprechung erforder­liche Nachweis von mindestens zwei Wundern wurde bis 1761 in den entsprechenden Kongrega­tionssitzungen approbiert. Anfang Juli sprach sich hierauf auch die Ritenkongrega­tion für die Beatifika­tion des venezianischen Kardinals aus, und am 16. Juli 1761 wurde schließ­lich vom Papst das Decretum super tuto pro beatifica­tione

36 Vgl. Karsten, Familienbild (2004). 37 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 177. 38 Ebd., S. 107. 39 Ebd., S. 121. Flaminio Corner (1693 – 1788) fungierte als Postulator der causa. Er stammte aus dem Familienzweig von San Apponal. Auf eine kirch­liche Karriere musste er verzichten, um durch die Heirat mit Margherita Donà den biolo­gischen Fortbestand seiner Familie zu sichern. Er war venezianischer Senator und betätigte sich als Hagiograph und Kirchengeschichtsschreiber. Siehe den Eintrag von Preto im DBI 29 (1983). Zu Giovanni Corner, der von Clemens XIII. den Rota­ auditorposten erhalten hatte und dessen Kurienkarriere 1778 vom roten Hut gekrönt wurde, siehe Gnavi, Carriere e Curia (1994) sowie Kap. II.3. und Kap. III der vorliegenden Arbeit.

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unterzeichnet.40 Der Papst selbst schien ob des erfolgreich abgeschlossenen Prozesses so gerührt, dass er das Beatifika­tionsdekret nur unter Tränen verlesen konnte.41 Das Datum der Unterzeichnung war propagandistisch geschickt gewählt, fiel es doch auf den dritten Jahrestag der Krönung Clemens’ XIII. Sinnfällig wurde dadurch die Verbindung ­zwischen dem Papst und dem Heiligen unterstrichen.42 Am 11. September desselben Jahres unterzeichnete der Papst das Beatifika­tionsbreve, so dass die Seligsprechung Gregorio Barbarigos schließ­lich neun Tage ­später, am 20. September 1761, in einem feier­lichen Hochamt in Sankt Peter vollzogen werden konnte. Die Selig- und Heiligsprechungen und die daran gebundenen Feier­lichkeiten gehörten seit dem 17. Jahrhundert zu den herausragenden Momenten der römischen Festkultur. Der inszenatorische Aufwand, mit dem diese Ereignisse begangen wurden, war beträcht­lich. Obwohl Beatifika­tionen aufgrund ihrer geringeren litur­gischen Auswirkungen weniger aufwendig ausgestaltet wurden als Kanonisa­tionen,43 bot sich dem Zuschauer in Sankt Peter in jedem Falle ein eindrucksvolles Schauspiel.44 Durch die Verhängung der Architektur mit Stoffen und Teppichen, der Errichtung einer Holztribüne im Chor, der Ausstellung von Bildnissen, insbesondere aber durch den Einsatz von mehreren Tausenden von Kerzen verwandelte sich die K ­ irche zu einer Kulisse, vor der die Proklama­tion eines neuen Approbanten und seine Aufnahme in den Heiligenhimmel vollzogen wurde.45 Auch wenn Benedikt XIV. während seines Pontifikats die Beatifika­tions- und Kanonisa­tionsprozesse grundlegend reformierte, verminderte dies keineswegs die theatra­lische Ausstattung der Papstkirche anläss­lich der feier­lichen 40 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 122, Anm. 325. 41 BMVe, Codice It. X, 475 (12172) o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (18. Juli 1761): Il nostro S. Padre sta bene, è solo per il caldo sofferto giovedì nella Cappella, se gl’è aggravata la flussione degli occhi ed anco per caggione, che frequentemente piange per tenerezza, come faceva nel con­ durlo in sedia dalla Camera degl’Apparati, alla Cappella e nel pubblicare il decreto della Beatificazione del Ven. Card. Barbarigo, giovedì dopo la messa. 42 Dass dies beabsichtigt war, geht laut Pastor aus den Unterlagen des Ritensekretärs hervor. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 452; vgl. auch Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 122. Und auch die Gruppenheiligsprechung von 1767 fiel auf den 16. Juli. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S. 987; Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 127. 43 Im Gegensatz zur Kanonisa­tion, ­welche die unwiderruf­liche Erklärung des Papstes über die universelle Verehrung eines neuen Heiligen darstellt, dem K ­ irchen und Altäre errichtet werden können, basiert die Seligsprechung nur auf einer Approba­tion des Kandidaten, die eine lokal gebundene kultische Verehrung ermög­licht. Siehe dazu die diesbezüg­lichen Einträge in der „Enciclopedia Cattolica“. 44 Zu den Ausgestaltungen von Sankt Peter anläss­lich der Selig- und Heiligsprechungen siehe vor allem Garms, Kunstproduk­tion (1976); Casale, Gloria ai beati (1997); Renoux, Canonizzazione (2000), S. 746 f.; Anselmi, Theaters (2005). 45 So wurden beispielsweise für die Gruppenheiligsprechung am 16. Oktober 1690 nicht weniger als 14000 Pfund Kerzenwachs verbraucht. Karsten, Das Grabmal Alexanders VIII. (2004), S. 217.

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Zeremonie bei Kanonisa­tionen oder des Hochamtes bei Beatifika­tionen. Wie der Papst noch als Kardinal in seinem grundlegenden Werk „De Servorum Dei Beatificazione et Beatorum Canoniza­tione“ festgehalten hatte, war diese Art der Inszenierung notwendig, um den Zuschauern eindrück­lich den Eintritt eines neuen Seligen oder Heiligen ins himm­lische Jerusalem vor Augen zu führen.46 Dies verursachte allerdings erheb­liche Kosten, die in der Regel die Postulatoren der jeweiligen causa zu tragen hatten.47 Im Falle der Seligsprechung Gregorio Barbarigos übernahm indes Clemens XIII. persön­ lich alle anfallenden Kosten,48 was abermals zeigt, wie sehr ihm der Fall zu einer „Familien­angelegenheit“ geworden war. Obwohl sich die genaue Höhe der Ausgaben für die Zeremonie nicht ermitteln ließen, ermög­lichen die Seligsprechung der Dominikanerin Caterina de’ Ricci im Jahr 1732, deren Kosten mit 3626 Scudi belegt sind, sowie die 1796 vollzogene Seligsprechung des Franziskaners Leonardo da Porto ­Maurizio, deren Kosten sich für die Franziskaner hingegen auf 6890 Scudi beliefen,49 eine ungefähre Vorstellung über die Spanne der finanziellen Mittel, die in solchen Fällen aufgewandt wurden. Anhand der im „Chracas“, dem römischen Wochenblatt der Zeit, erschienenen Beschreibung der Feier­lichkeiten ist es mög­lich, sich ein relativ genaues Bild von dem Festapparat in Sankt Peter und dem Ablauf der Feier­lichkeiten zu machen,50 die, wie bei Seligsprechungen üb­lich, in Form eines Hochamtes und in Abwesenheit des Papstes abgehalten wurden.51 Die Ausschmückung der Basilika stand unter der Leitung des Architekten des Aposto­lischen Palastes Alessandro Dori,52 der die bei diesen Anlässen üb­lichen Vorkehrungen traf: die Verkleidung des Kirchenraums mit Damast- und Samtbahnen, die Errichtung einer Tribuna im Chor, die Bereitstellung unzähliger Kerzen, die Aufhängung der Raffael-­Gobelins aus dem päpst­lichen Fundus sowie einiger großformatiger Bildwerke. In der Mitte der Benedik­tionsloggia hing ein circa 15,5 × 9 m

46 Casale, Benedetto XIV (1998), S. 21. 47 Ebd., S. 20. 48 BMVe, Codice It. X, 475 (12172), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (18. Juli 1761): La funzione è fissata per il dì 20 settembre in S. Pietro e questa si fa tutta a spese del Papa il quale ha supplito altre spese tutte, anco in passato. 49 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 465. 50 Chracas, Diario Ordinario, Nr. 6900, S. 6 – 22, 26. September 1761. In Teilen zusammengefasst auch bei Fagiolo Dell’Arco / Fagiolo, Corpus delle Feste (1997), Bd. 2, S. 171. Garms, Kunstproduk­ tion (1976), S. 164 liefert ebenfalls eine knappe Beschreibung des Apparats, wobei er sich jedoch nicht auf „Chracas“, sondern auf eine von ihm nicht näher benannte Gelegenheitsschrift mit Schilderungen des Ereignisses bezieht. 51 Zum Ablauf einer Seligsprechung siehe Indelicato, Il Processo Apostolico (1945), S. 381 – 383; Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 465 – 468. 52 Zu Alessandro Dori (1702 – 1772), dessen Taufpate der venezianische Botschafter Francesco M ­ orosini war und der als architetto dei Sacri Palazzo Apostolici auch die unter Clemens XIII. vorgenommenen Umbauten im vatikanischen Palast leitete, siehe Cook Kelly, Paolo Posi, ­Alessandro Dori (1992); Kieven, Dori (1992); Carbonara Pompei, Note documentarie (2008).

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großes, von Carlo Valloni 53 geschaffenes Medaillon mit der Darstellung G ­ regorio Barbarigos in der Glorie. Als thematisches Pendant wurde ihm im Inneren der K ­ irche eine von Stefano Pozzi 54 geschaffene Glorie des Heiligen oberhalb der Kathedra Petri gegenübergestellt. Diese Bilder, die erst während des Hochamtes enthüllt wurden, 55 waren thematisch flankiert von der Darstellung der vier Tugenden Caritas, Religio, Mansuetudo und Humilitas, die auf Tafeln im oberen Teil der Pilaster des Chores angebracht waren. Hinzu kamen zwei Medaillons, die vor den Fenstern des Chores hingen und die beiden durch die Interzession Barbarigos vollzogenen Wunder zeigten, ­welche von der Ritenkongrega­tion approbiert worden waren. Während die Glorie des Seligen sowie die Tugenddarstellungen zum ikonographischen Standardprogramm jeder Seligsprechung gehörten, zeigten sich schon in der Thematik der Wunder, in ­diesem Falle zwei Krankenheilungen,56 eindeutig individuellere Züge. Konkrete Bezüge zum Leben des Seligen wies allerdings nur das große, ebenfalls von Valloni geschaffene Gemälde im Atrium über dem Eingangsportal zum Kircheninnenraum auf, welches Kardinal Gregorio Barbarigo bei der Unterweisung von Kindern im christ­lichen Glauben zeigte, worauf auch die Inschrift des Bildes nachdrück­lich verwies.57 Sinnfälligerweise war darunter nicht nur das Wappen Gregorio Barbarigos, flankiert von denen des Erzpriesters der Basilika, Kardinal York, und des Kapitels angebracht; ­zwischen Bild und Barbarigo-­Wappen befand sich das Wappen Clemens’ XIII ., wodurch auf subtile Weise auf die enge Verbindung ­zwischen dem Papst und dem neuen Seligen hingewiesen wurde. Vor dieser Kulisse wurde in Anwesenheit der Kardinäle der Ritenkongrega­tion samt deren Berater, zahlreicher weiterer Angehöriger der Kurie sowie des Papstneffen Ludovico Rezzonico und seiner Gemahlin Faustina Savorgnan von Kardinal Albani das Beatifika­ tionsbreve verlesen, der in dieser Aufgabe den Erzpriester von Sankt Peter, Kardinal York, vertrat. Wie es das römische Zeremoniell anläss­lich von Seligsprechungen vorsah,58 besuchte Clemens XIII. erst am Abend die Peterskirche, um an dem provisorisch für Barbarigo errichteten Altar eine Messe zu lesen. Obwohl der Papst beim finalen Akt des Beatifika­tionsprozesses nicht persön­lich in Erscheinung trat, ließ die zu ­diesem Anlass im September 1761 in Rom erschienene 53 Zu Carlo Valloni ließen sich keine genaueren Angaben ermitteln. Er scheint jedoch im Umfeld des Aposto­lischen Palastes gearbeitet zu haben, denn bei der Seligsprechung des Franziskanermönchs Francesco Caracciolo unter Clemens XIV. im Jahre 1769 ist er wiederum bei der Ausgestaltung Sankt Peters beteiligt. Garms, Kunstproduk­tion (1976), S. 158. 54 Zu Pozzi vgl. Guerrieri Borsoi, L’attività (1991); Geneviève / Pacia / Susinno, Stefano Pozzi (1996). 55 Renoux, Canonizzazione (2000), S. 747, Anm. 35. 56 Giovannucci, Il Processo (2000), S. 107. 57 „Beatus Gregorius / Card. Barbadicus / Doctrinae Christianae / elementa Pueris tradit“. Zitiert nach Chracas, Diario Ordinario, Nr. 6900, S. 8. Dieses wie auch die anderen Bilder, die bei der Seligsprechung zum Einsatz kamen, haben sich offenbar nicht erhalten. 58 Samerski, Wie im Himmel (2002), S. 465.

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und Clemens XIII. gewidmete hagiographische Schrift „De vita ac gestis Beati Gregorii ­Barbardici“ keinen Zweifel daran, dass als eigent­licher Promotor der causa Barbarigo der Papst selbst anzusehen sei und stellte diesen Beatifika­tionsprozess geradezu als alleiniges Werk Clemens’ XIII. dar.59 Autor war der Dominikaner Tommaso Agostino Recchini,60 maestro del Sacro Palazzo und somit ein enger Vertrauter des Papstes, der in seiner Schrift wiederholt betonte, dass Clemens XIII . ihm persön­lich den Auftrag zur Abfassung der Viten erteilt hätte.61 Wie außerdem aus den Briefen des päpst­lichen Beichtvaters Angelo Maria Borini zu erfahren ist, hatte der Papst das Werk, das in einer Auflage von tausend Exemplaren gedruckt worden war, dazu bestimmt, als eine Art Lehrfibel an die Bischöfe gesandt zu werden.62 Das erklärt auch, warum in der Vita insbesondere die seelsorgerischen Aspekte im Leben des neuen Seligen hervorgehoben waren. Noch im selben Jahr erschien die Vita auch in der italienischen Übersetzung von Prospero Petroni in Venedig und Rom, wodurch für eine weitere Verbreitung gesorgt wurde.63 Bedenkt man weiterhin, dass Recchinis Werk am 4. Juli 1761 die kirch­liche Approba­tion erhielt, während der Papst bereits am 14. Juni desselben Jahres mit der Enzyklika In Dominico Agro ein Programm verabschiedet hatte, in dem erneut die Bedeutung des Trienter Konzils unterstrichen und den Bischöfen darüber hinaus die Lehre des römischen Katechismus in der italienischen Volkssprache nahegelegt wurde,64 treten die Inten­tionen Rezzonicos deut­lich hervor. Durch die Betonung der seelsorger­lichen Aufgaben der ­Kirche und ihrer Amtsträger, die dann erneut während der Seligsprechung auch über Vallonis Gemälde mit der Darstellung Barbarigos bei der Unterweisung der Kinder im christ­lichen Glauben transportiert wurde, stellte der Papst sich selbst unübersehbar in die Nachfolge des seliggesprochenen Kardinals und Verwandten. 59 [Tommaso Agostino Recchini:] De vita ac gestis Beati Gregorii Barbadici s. r. e. cardinalis episcopi Patavini libri tres, Rom 1761, S. VIII. 60 Das Werk selbst ist anonym erschienen, doch lässt sich der Autor aus der Widmung erschließen. Außerdem wird er sowohl im Diario Ordinario, Nr. 6900 (26. September 1761), S. 23 als auch in einem Brief Borinis genannt, s. Anm. 61. 61 [Tommaso Agostino Recchini:] (wie Anm. 58), 1761, S. III–IV, IX, XII. 62 BMVe, Cod. It. X, 475 (12172), o. P., Angelo Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (15. August 1761): In ordine alla vita del B. Gregorio Barbarigo, di cui nel decorso ordinario, non risposi all’ E. V. perché volevo prendere notizia certa; dirò che il Maestro del Sacro Palazzo, per ordine del Papa, l’ha composta in latino, ed io l’ho veduta, in occulto, perché N. S. ne fa stampare mille copie, ne queste si spargeranno, se prima non sia seguita la funzione. Questa vita è in verità una composizione distinta, perché prende in vista le virtù del beato, e le da risalto tale, che serve di ammaestramento à tutti li ves­ covi. Questa dal latino è stata tradotta in volgare, ma cosi ad letteram, che non ha quel risalto, e quale merito della latina ed ancor questa sino ad ora è privata. 63 Daniele, Le principali vite (1969), S. 387, Anm. 48. Die italienische Ausgabe war der Papstnichte Faustina Savorgnan gewidmet. Außerdem erschien noch im selben Jahr eine weitere Vita auf Italienisch aus der Feder des Jesuiten Giulio Cesare Cordara, die aber keine päpst­liche Approba­tion erhalten hatte. Ebd., S. 286. 64 Bellocci (Hg.), Tutte le encic­liche (1994), Bd. 2, S. 377 – 392. Vgl. auch Donati, Vescovi e diocesi (1992), S. 380.

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Die Familienkapelle Die Beatifizierung Barbarigos, in welcher Clemens XIII. für die Zeitgenossen als Hauptakteur in Erscheinung getreten war, zeitigte sodann Kollateraleffekte, die den Rezzonico in ihren Bemühungen um visuelle Etablierung in der Ewigen Stadt entschieden entgegenkommen mussten. Denn das Kapitel von San Marco, der venezianischen Na­tionalkirche in Rom, hatte die Seligsprechung Gregorio Barbarigos zum Anlass genommen, ­Ludovico Rezzonico als welt­lichem Papstnepoten und Familienoberhaupt das Patronatsrecht über eine „verwaiste“ Kapelle der K ­ irche zum Geschenk zu machen, damit er dort für B ­ arbarigo einen Altar errichten möge.65 Es handelte sich dabei um die erste Kapelle im linken Seitenschiff, die eigent­lich dem heiligen Markus geweiht war. Eine „Umwidmung“ der Kapelle zu Ehren Barbarigos war in den Augen der Kanoniker deshalb mög­lich, weil der Evangelist Markus „doppelt“ in der ­Kirche vertreten war: Auch der Hochaltar war dem venezianischen Na­tional-Heiligen gewidmet.66 Die Gründe für ­dieses Ansinnen des Kapitels sind nicht nur offenkundig, sondern lassen sich partiell ebenso den Quellen des Archivs von San Marco entnehmen:67 Erstens lag der Wunsch nahe, dem neuen Seligen der Serenissima auch in seiner Na­tionalkirche eine angemessene Verehrung zuteilwerden zu lassen, zumal Gregorio Barbarigo von 1677 bis zu seinem Tod 1697 San Marco als Titelkirche geführt hatte.68 Zweitens bestand die Hoffnung, durch die Errichtung eines neuen Altars dem Kirchenraum, der unter Kardinal Angelo Maria Querini durch den Architekten Filippo Barigioni z­ wischen 1735 und 1749 bereits umfassend renoviert worden war,69 eine weitere Aufwertung widerfahren lassen zu können. Drittens erhoffte man sich zudem durch die Einrichtung einer Patronatskapelle der Rezzonico eine engere, da auf familiärer Bindung basierende Beziehung der ­Kirche zum regierenden Papst; für das Kapitel, das sich fortwährend in finanziellen Nöten sah, ein durchaus nicht zu unterschätzender Faktor. Der Anknüpfungspunkt dazu war nicht allein durch die Seligsprechung Barbarigos gegeben, sondern auch durch eine weitere Kontinuitätslinie: San Marco war nicht nur die Titelkirche Barbarigos gewesen, sondern seit 1755 ebenso diejenige Kardinal Carlo Rezzonicos, der jedoch, seiner bischöf­lichen Residenzpflicht in Padua nachkommend, seinen Neffen, Monsignore Carlo Rezzonico, zum Vikar bestellt hatte, der sich vor Ort um die Belange der ­Kirche kümmerte.70 Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass den Kanonikern von San Marco bei ihren Überlegungen der rund dreißig Jahre zurückliegende „Fall Corsini“ vor Augen stand.

65 Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 87. 66 Vgl. Anm. 71. 67 Ebd. 68 HC, Bd. IV, S. 34. 69 Buchowiecki, Handbuch der ­Kirchen Roms (1970), Bd. II, S. 336; Spetia, Architetti romani (1987), S. 124 – 126. Zu Barigioni vgl. Santese, Palazzo Testa Picolomini (1983), bes. S. 115 – 126. 70 ASV ic, Acta Capitularia S. Marci de Urbe. Ab Anno 1723 usque ad Annum 1758, fol. 667r (19. März 1755).

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Seinerzeit hatte sich letztmalig überdeut­lich gezeigt, wie außerordent­lich glanzvoll sich päpst­liche Patronage unter dem movens familiärer Selbstdarstellung auf den jeweiligen Kirchenraum auswirken konnte. Denn die Errichtung der eindrucksvollen Familienkapelle der Corsini in San Giovanni in Laterano unter Clemens XII., der dort selbst seine letzte Ruhestätte finden sollte, war durch die Stiftung eines Altars für den Familienheiligen San Andrea Corsini angestoßen worden.71 Die Feier­lichkeiten anläss­lich der Seligsprechung Barbarigos im September ließ das Kapitel noch verstreichen, und erst am 13. November 1761 überbrachten die Kanoniker Francesco Lucca und Lorenzo Clementini dem welt­lichen Nepoten Ludovico Rezzonico das Dekret, mit welchem die Stiftung der Kapelle beschlossen und den Rezzonico die Umwidmung des Altars zu Ehren Barbarigos vorgeschlagen wurde.72 Damit bot sich den Rezzonico erstmals in ihrer Familiengeschichte die Gelegenheit zur Errichtung einer eigenen Kapelle, da sie in Venedig über keine eigene Familienkapelle, sondern nur über 71 Wie die Kanoniker von San Marco, so waren auch die Kanoniker der Lateranbasilika an den Papst herangetreten, um ihm das Patronat über die letzte unvollendet gebliebene Kapelle im Seitenschiff anzutragen. Clemens XII. hatte zugestimmt, sich aber ausbedungen, dass der Altar seinem ­Verwandten, dem 1629 unter Urban VIII. heiliggesprochenen Andrea Corsini geweiht werde. Das Kapitel überließ daraufhin dem Papst und seiner Familie auch das Gelände hinter der Kapelle als Bauplatz für ihre Grabkapelle. Kieven, Überlegungen (1989), S. 71. 72 ASVic, ser. LXV, fasz. 16, b. XXXIV, nr. 417: Avendo la S.tà di N. S., Papa Clemente XIII (Carlo ­Rezzonico quando era Cardinale, Titolare degnissimo di S. Marco) annoverato nel numero dei Beati il Ven. Gregorio Barbarigo già suo Parente, Cardinale di S.ta Chiesa, Titolare di S. Marco similmente per lo spazio di circa 20 anni, cioè dall’anno 1677 all’anno 1697, e Vescovo di Padova, come per Decreto emanato li 16. luglio 1761, il nostro Capitolo, e per venerazione al detto Beato già nostro Titolare, come si è già detto, e per mostrare un atto di ossequio al suddetto Somma Pontefice felicemente regnante, stimò bene di donare all’Eccellentissimo Sig. Prencipe D. Lodovico Rezzonico, Nepote della Santità sua, l’Altare ch’è vicino al Fonte Battesimale, dov’era il quadro di S. Marco Evangelista, non essendo questo di alcun Padrone anzi duplicato nella nostra Chiesa Titolare di detto Santo, del qual´è l’Altare Maggiore, e la di lui effigie dipinta nel mezza del Coro, acciochè potesse a suo placimento, togliendo detta Effigie di S. Marco e farvi l’Altare del detto B. Barbarigo. E realmente fattosene Decreto Capitolare nel giorno 13. Novembre 1761, si destinarono li Canonici Francesco Lucca, e Lorenzo Clementini a portare a detto Prencipe la Copia di tali Decreto, e Donazione, il che fu sommamente gradito, e dalla S.tà Sua e dal medesimo Prencipe. In Teilen auch abgedruckt bei Dengel, Palast (1913), S. 95. Dengel schreibt mit Verweis auf ein Dokument im Archiv von San Marco, dass die Schenkung aber erst am 14. Juni 1769 erfolgt sei. Da das Kirchenarchiv heute Bestandteil des römischen Vikariatsarchivs ist und es bei der Überführung neu geordnet wurde, man aber dabei, nach münd­licher Aussage des Archivars, keine Konkordanz erstellte, ließ sich die von Dengel angeführte Quelle nicht auffinden. Dengel muss jedoch übersehen haben, dass mit dem von ihm konsultierten Dokument ein „Verfahrensfehler“ ausgeg­lichen wurde. Denn die Dona­tion der Kapelle an die Rezzonico war ohne den Konsens des Titulars von San Marco, Kardinal Daniele Dolfin, geschehen, der sich zu d­ iesem Zeitpunkt in seinem Bistum Udine aufhielt. Unter seinem Nachfolger, Kardinal Priuli, wurde dieser Fehler bemerkt, wodurch noch einmal ein Dekret ausgestellt werden musste. Ebd., ser. XXXIX, fasz. 5, Acta Capitularia S. Marci de Urbe, Ab anno 1759 usque ad Annum 1777, fol. 37r–48v. Dass der Konsens Dolfins damals nicht erfolgt oder eingeholt worden war, könnte allerdings auch eine Folge seines gespannten Verhältnisses zum Rezzonico-­Papst sein. Vgl. Kap. II.5. und Kap. III der vorliegenden Arbeit.

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eine Grablege in der Sakristei von San Lazzaro dei Mendicanti verfügten.73 Diese war erst nach der Papstwahl Clemens’ XIII. und anläss­lich des Begräbnisses seiner ­Mutter 1758 zumindest in die Vierung des Kirchenschiffs verlegt worden.74 Ob die rigide, dem Rezzonico-­Pontifikat abverlangte und der desolaten Finanzlage des Kirchenstaates geschuldete Sparpolitik Clemens’ XIII. der Grund dafür war, dass die ­Rezzonico bisher noch über keine eigene Kapelle in Rom verfügten, ob es die Unentschlossenheit des Papstes war, der seine Familie z­ wischen Venedig und Rom oszillieren sah, oder ob der Zeitpunkt einfach noch zu früh war, um über den Bau einer Familienkapelle nachzudenken, kann anhand der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Quellen nicht entschieden werden. Das Ansinnen des Kapitels von San Marco musste den R ­ ezzonico jedoch eigent­lich für die längst anstehende Inszenierung der Memoria der Familie entgegenkommen. San Marco bot prinzipiell auch einen geeigneten Rahmen dafür. Zum einen war sie als Na­tionalkirche die „Hauskirche“ der Venezianer in Rom. Zum anderen waren die Rezzonico bereits durch den Papst, dessen Titelkirche sie gewesen war, mit ihr verbunden. Darüber hinaus handelte es sich um eine einstige Papstkirche, ­worauf die Benedik­ tionsloggia verwies, die unter dem venezianischen Papst Paul II. Barbo (1464 – 1471), der im angrenzenden Palazzo Venezia residiert hatte, vollständig umgebaut worden war.75 Auf Barbo hatte auch Kardinal Querini in seiner Umgestaltung Mitte des 18. Jahrhunderts stark Bezug genommen, als er das Gestühl in der Apsisrundung mit einem Bronzebildnis Pauls II. versehen und in einer Inschrift auf diese Kontinuitätslinie hinweisen ließ.76 In jedem Falle bot San Marco Potential für die Memoria-­Inszenierung einer venezianischen Papstfamilie, zumal sich bereits fünf Kardinäle der Serenissima ihre Grabmäler in dieser K ­ irche hatten errichten lassen. Hier befanden sich die Grablegen der Kardinäle ­Marcantonio Bragadin (†1658), Pietro Bassadonna (†1684), Giovanni Battista Rubini (†1700), Luigi Alvise Priuli (†1720) und schließ­lich auch das Grabmal von C ­ ristoforo Widmann, mit dem die Rezzonico überdies verwandt waren.77 Erstaun­lich ist nun, was die Rezzonico aus d ­ iesem Rahmen gemacht haben – näm­lich relativ wenig. Schon die Wahl der Künstler lässt auf ein eher mäßiges Interesse schließen. Ermenegildo Sintes war ein Schüler Vanvitellis, für den selbst der Meister nicht gerade

73 Aikema / Meijers, Nel regno dei poveri (1989), S. 264. Aurelio Rezzonico hatte vor seinem Tod 1682 um einen Platz zur Errichtung eines Grabmals in der K ­ irche gebeten. Doch aus Platzgründen wurde ihm ledig­lich ein Ort in der Sakristei zugewiesen. Dies verwundert angesichts der Tatsache, dass er ein wichtiger Wohltäter des angegliederten Ospedale di San Lazzaro dei Mendicanti war und wiederholt wichtige Ämter innerhalb dessen Verwaltung begleitete. Cecchini, Un pantheon (2015), S. 74 – 77, 81. 74 Vgl. Anm. 5 ­dieses Kapitels. 75 Vgl. dazu vor allem Frommel, Der Palazzo Venezia (1982). 76 „PAVLO II VENETO P. M. SACRAE HVIVS AEDIS INSTAVRATORI CHORO SEDIBVS IAM INSTRVCTO THEOLOQVE PICTVRIS REFECTIS A. M. TIT. CARD. QUIRINVS AN. SA. MDCCXXXV OPERI CORONIDEM NVMISMA HOC POSVIT“. 77 Vgl. Kap. II.3. der vorliegenden Arbeit.

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lobende Worte übrig hatte.78 Auszuschließen ist zwar nicht, dass Vanvitelli den Auftrag erhalten sollte, doch er war zu dieser Zeit in Neapel tätig. So blieb offensicht­lich nur die zweite Wahl seiner römischen Architekturwerkstatt. Auch der Maler Ludovico Mazzanti, bei dem das Altarbild bestellt wurde, kann nicht eben zu den führenden Vertretern des römischen Spätbarock gezählt werden – ein respektabler, aber keineswegs herausragender Künstler.79 Wie aus dem von Susanna Pasquali aufgefundenen und im Zusammenhang mit den Umbauplänen des Lateranchores bereits erwähnten anonymen Tagebuch hervorgeht, war die Kapelle 1764 fertig gestellt, doch wurde sie erst im April des darauffolgenden Jahres geweiht.80 Davor waren der alte, einst dem heiligen Markus geweihte Altar abgerissen, das Altarbild in die Sakristei gebracht und die beiden den Altar flankierenden Fresken mit den allegorischen Darstellungen der Purità und Prudentia von Carlo Maratti sowie dessen Gewölbefresken auf Kosten des Papstes abgenommen und in der Kapelle seit­lich des Taufbeckens wieder angebracht worden.81 Obwohl der Papst, der kurz darauf San Marco einen Besuch abstattete und die Kapelle besichtigte, nach Aussagen des venezianischen Chronisten Pietro Gradenigo seinen Gefallen an dem von ihm gestifteten Werk bekundete,82 führt das Ensemble in San Marco doch eher ein Schattendasein innerhalb der reichen römischen Kapellenlandschaft. Schon ihre räum­lichen Ausmaße sind bescheiden, obwohl Sintes den durch die Nische vorgegebenen Raum optisch aufbrach und den queroblongen Grundriss der Kapelle ins Seitenschiff hineinragen ließ, von dem sie durch eine niedrige Balustrade abgegrenzt wird. Die mit Marmor verkleideten Wände sind durch Pilaster mit korinthischen Säulen gegliedert, über denen sich eine kassettierte Kuppel mit einer Laterne im Zenit befindet, aus welcher der Heilige Geist als Taube hinabschwebt. Die kassettierte Kuppel zitiert unübersehbar das Vorbild des Pantheons, hat jedoch darüber hinaus in der römischen Kapellenarchitektur des 18. Jahrhunderts noch ein weiteres prominentes Vorbild. Alessandro Galilei hatte das Motiv wenige Jahre zuvor in der Corsini-­Kapelle im Lateran verwandt, und zwar nicht nur in der zentralen Kuppel, sondern auch in den seit­lichen Nischen, w ­ elche die Grabmäler von Clemens XII. und seinem Neffen Neri Corsini aufnahmen. (Abb. 49) Da ­Clemens XII. den Rezzonico-­Papst einst zum Kardinal ernannte und auch ­später ­zwischen ihm und dem Kardinalnepoten Neri Corsini enge Beziehungen bestanden, ist dieser Bezug als visuelles Bindeglied durchaus denkbar. Doch während sich die Corsini im Lateran drei Jahrzehnte vor den Baumaßnahmen in San Marco durch die Errichtung ihrer Grablegen ein imposantes Familienmausoleum 78 Rubino, Un allievo (1979), S. 296; zu Ermenegildo Sintes vgl. auch Costanzo, La scuola (2006). Doch weder Rubino noch Costanzo erwähnen Sintes als Architekten der Kapelle. 79 Zu Ludovico Mazzanti (um 1679 – 1775) vgl. Santucci, Ludovico Mazzanti (1981); Guerrieri Borsoi, Quadri sacri (2009). 80 Pasquali, Piranesi architect (2007), S. 177. 81 ASVic, ser. LXV, fasz. 16, b. XXXIV, nr. 417. 82 Livan (Hg.), Notizie (1942), S. 65.

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66 Familienwappen der Rezzonico vor der Cappella Barbarigo

schufen,83 bestehen die einzigen Verweise auf die Stifter in der Cappella Barbarigo im stilisierten Familienwappen, das als Marmorinkrusta­tion in den Boden vor der Kapelle eingelassen wurde, sowie im Familienwappen mit darüber gesetzter stilisierter Krone über dem Kuppeloval, das von einer Fama-­Figur und einem Putto flankiert wird. (Abb. 66/67) Obwohl Ludovico Rezzonico, dem die Kapelle vom Kapitel angetragen wurde, als Mäzen keine weitere Erwähnung findet und in den überlieferten Dokumenten betont wird, dass der Papst die Finanzierung übernahm, trat der welt­ liche Nepot letzt­lich in der Kapelle doch in Erscheinung: im Wappen, wo über dem Doppeladler im Mittelfeld noch ein Schirm gelegt wurde, als eindeutiger Verweis auf das Amt des gonfaloniere del Senato, welches Ludovico Rezzonico seit 1763 bekleidete und durch welches die neuadligen Rezzonico in die Nähe der Angehörigen des alten römischen Hochadels aufrückten. Nach Ludovicos Tod 1786 ging das Amt an seinen Bruder Abbondio Rezzonico über.84

83 Zur Corsini-­Kapelle in San Giovanni in Laterano vgl. Kieven, Überlegungen (1998); Kompa, Der Papst als Nepot (2010). 84 Moroni, Dizionario (1955), Bd. 31, S. 281. Somit blieb die prominente Posi­tion im päpst­lichen Zeremoniell, die das Amt mit sich brachte, innerhalb der Familie gewährleistet. Vgl. auch Kap. IV.2., Anm. 34. Auf den Gonfaloniere-­Schirm im Wappen verweist schon Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 87.

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67 Familienwappen der Rezzonico am Kuppeloval der Cappella Barbarigo

Auch das Altarbild machte die Kapelle keineswegs zu einem Glanz­licht der römischen Barockkunst, bezieht sich jedoch inhalt­lich nochmals auf den Beatifika­tionsprozess und die Inten­tionen des Papstes, in der Nachfolge Borromeo-­Barbarigo stehen zu wollen, zumal Clemens XIII. das Bildsujet selbst bestimmte.85 Mazzantis Werk, das vor seiner ­Anbringung in situ 1764 zunächst im Quirinalspalast aufgestellt wurde, damit es vom Papst und dem Kardinalnepoten Carlo Rezzonico begutachtet werden konnte,86 wurde zwar 1797 auf Veranlassung Abbondio Rezzonicos entfernt und 1803 durch eine Marmortafel ­Antonio d’Estes ersetzt.87 Lange Zeit galt es als verschollen und erst vor wenigen Jahren wurde es in Rom wiederentdeckt.88 (Abb. 68) Es zeigt Gregorio Barbarigo im Gebet versunken und von Engeln und Putti umgeben, die unter anderem Geißel und Lilie als Verweis auf Buse und Reinheit in den Händen halten. Eine Gebetsbank sowie ein dahinter stehendes Kruzifix nehmen den ansonsten leeren und diffus mit einem schweren Tuch 85 Nella cappella nuova che ha fatto il Papa in S. Marco dedicata al beato Barbarigo cardinale per ordine del sud.o Papa [h]o rappresentato il Beato in atto di far orazione, il Crocifisso con Gloraia d’Angeli putti che tengono i simboli della penitenza e Castità. Zit. n. Santucci, Ludovico Mazzanti (1981), S. 173. Vgl. auch Guerrieri Borsoi, Quadri sacri (2009), S. 130. 86 Santucci, Ludovico Mazzanti (1981), S. 78. 87 Zur Marmortafel Antonio d’Estes vgl. Kap. IV.6. 88 Es befindet sich heute in der Sakristei des Oratoriums der Confraternità dei Nobili in Rom. ­Abbondio Rezzonico hatte es 1797 der Bruderschaft, deren Mitglied nicht nur er, sondern auch Gregorio B ­ arbarigo war, zum Geschenk gemacht. Guerrieri Borsoi, Quadri sacri (2009), S. 129 f. Bereits im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Ausstellung zum 250. Jahrestag des Pontifikatsbeginns Clemens’ XIII. wurde ein Blatt des in Rom tätigen Kupferstechers Carlo Antonini mit der Darstellung von Mazzantis Altarbild entdeckt. Crosera, Il beato Gregorio Barbarigo (2008), S. 162 f.

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68 Ludovico Mazzanti, Der selige Gregorio Barbarigo, 1764, ehemals Rom, San Marco, Cappella Barbarigo

verhangenen Raum ein. Vor der Bank ist der Kardinal auf die Knie gesunken, wendet sich jedoch in seiner Andacht nicht dem Gekreuzigten zu, sondern ist dem Betrachter in Dreiviertelansicht zugewandt. Die Arme sind angewinkelt, die Hände in Höhe des Gesichtes gefaltet, wodurch die Körperhaltung etwas Flehendes bekommt. Auf die Darstellung der Bischofswürde ist verzichtet, der Selige trägt das Kardinalsornat. Die Wahl des Bildmotivs, in dem die Spiritualität des Kardinals betont wird, folgt genauestens den Prinzipien der posttridentinischen Bildpropaganda. Nicht mehr die von den Seligen und Heiligen vollbrachten Wunder stehen im Mittelpunkt der Darstellungen, sondern vor allem deren Spiritualität, w ­ elche die Betrachter in ihrer Andacht bestärken 89 und zur Nachahmung anregen sollte. Eben diesen Aspekt fokussiert auch das Frontispiz der von Clemens XIII. in Auftrag gegebenen Vita, das auf ein Gemälde von Stefano Pozzi

89 Vgl. Baumgarten, Das Bild im katho­lischen Denken (2005).

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69 Tommaso Agostino Recchini, De vita ac gesti Beati Gregorii Barbadici … Rom 1761, Frontispiz

zurückgeht.90 (Abb. 69) Gleichzeitig knüpft Mazzantis Bildnis nicht nur in der Ikonographie des in der Andacht versunkenen Heiligen, sondern auch in seiner Darstellung als Kardinal, und nicht als Bischof, eng an die bild­lichen Überlieferungen des 1610 von Paul V. heiliggesprochenen Carlo Borromeo an.91 Denn bereits anläss­lich dessen Kanonisa­tion war die Ritenkongrega­tion zu dem Schluss gekommen, dass ein heiliggesprochener Kardinal in dieser seiner Eigenschaft als höchster kirch­licher Würdenträger nach dem Papst darzustellen sei und nicht, wie Reformkreise gefordert hatten, in seinem Bischofsornat, das ihrer Auffassung der pastoralen Voka­tion und seinem reformerischen Anspruch besser entsprochen hätte.92 90 Mit dem Frontispiz wurde Stefano Pozzi beauftragt, Stecher war Giovanni Carlo Mallia. Ein aufgesockelter ovaler Rahmen (der Sockel trägt die Inschrift „B. GREGORIUS BARBADICUS S. R. E. PRESB. CARD: EPISCOPUS PATAVINUS“) trägt das Bild des Kardinals, der, den Blick nach oben gerichtet, ins Gebet versunken ist. Vom oberen Bildrand fallen Lichtstrahlen schräg nach unten und tauchen den Kopf des Heiligen in gleißendes Licht und scheinen die Aureole um den Kopf des Kardinals zu entzünden. Im Hintergrund steht auf einem Tisch ein Kruzifix, vor dem Geißel und Kette liegen. Das barocke Motiv eines Putto, der einen Vorhang zur Seite schiebt und somit etwas enthüllt, erinnert an ephemere Theateraufführungen, hat aber in d ­ iesem Kontext auch eine konkrete Vorlage im Zeremoniell der Seligsprechung, denn während des Zeremoniells wurden in Sankt Peter die Bilder mit der Darstellung des Heiligen enthüllt. 91 Vgl. dazu Terzaghi, Carlo Borromeo santo (2005); Delpero, Rappresentazione iconografica (2006); Dompnier, La dévo­tion (2006). Burzer, San Carlo Borromeo (2011). 92 Vgl. Alberigo, Carlo Borromeo (1967); Turchini, La fabbrica (1984).

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Doch trotz des insgesamt bescheidenen künstlerischen Aufwands wurde die Kapelle vom Papst durch eine ganze Reihe von Schenkungen besonders „ausgezeichnet“, über die auch das „Dario Ordinario“ berichtete.93 Zusätz­lich bestimmte der Papst, dass der römische Senat alle vier Jahre einen Kelch für diese Kapelle zu stiften hatte – wodurch auf lange Sicht die Erinnerung an die Kapelle und darüber auch an die Familie wach gehalten werden sollte.94 Dennoch stellt sich die Frage, warum die Rezzonico nicht stärker in ihre Memoria in der venezianischen Na­tionalkirche San Marco investiert haben. Die Beantwortung dieser Frage lässt sich indes nur hypothetisch formulieren, da keinerlei Quellen Hinweise geben. Zum einen gab es aller Wahrschein­lichkeit nach ganz konkret-­ praktische Gründe. Die Altarnische, die ihnen vom Kapitel von San Marco übertragen wurde, bot wenig Raum. Ihre Erweiterung, wie sie etwa die Corsini im Lateran vorgenommen hatten, wäre aufgrund der architektonischen Einbindung der ­Kirche in den Palazzo Venezia nur schwer möglich gewesen. Zum anderen ist in der formalen Gestaltung der Grabmäler aller in San Marco beigesetzten Kardinäle eine betonte Zurückhaltung zu beobachten. Mög­licherweise sahen sich auch die Rezzonico jenem „Gebot zur Zurückhaltung“ unterworfen, welches dem Egalitätsprinzip der venezianischen Adelskaste entsprach und das – wie Arne Karsten gezeigt hat – auch und gerade in der venezianischen Na­tionalkirche in Rom befolgt wurde.95 Denn schaut man sich in der römischen Erinnerungslandschaft um und sucht nach venezianischen Kardinälen und ihren Gräbern oder Kapellen, so wird man nur im Falle Federico Corners (1579 – 1653) fündig. Er ließ als Einziger seine prächtige Kapelle nicht in San Marco errichten, sondern in Santa Maria della Vittoria, und verpflichtete dafür zudem mit Gianlorenzo Bernini den führenden Künstler der Zeit. Wie William Barcham herausgearbeitet hat, war das Projekt Corners eng an seine Ambi­tionen geknüpft, auf den Stuhl Petri zu gelangen.96 Im Vergleich dazu sah die Ausgangsposi­tion der Rezzonico in San Marco vollkommen anders aus. Mit einem Papst aus der eigenen Familie konnte die Einschreibung der Familien-­Memoria in die Erinnerungslandschaft der Ewigen Stadt an anderer Stelle auf einem ungleich anspruchsvolleren Niveau erfolgen. Von daher kann es nicht verwundern, dass die Investi­tionen in die Barbarigo-­Kapelle mehr der Erfüllung einer eher als lästig empfundenen Pflicht entsprachen als wirk­lich engagiertem Mäzenatentum. Die offenbar geringe Aufmerksamkeit, ­welche die Familie ­diesem Ort widmete, wird umso verständ­licher, wenn man bedenkt, dass sich ihnen zur selben Zeit mit der Malteserkirche auf dem Aventin eine weitere Op­tion für die repräsentative Darstellung ihres Ranges eröffnet hatte, die im Vergleich zur bescheidenen Seitenkapelle in San Marco ungleich attraktiver wirken musste. 93 ASVic, San Marco, B. XXVII, nr. 32, Tesori d’arte sacra, fol. 134, nr. 349 – 350; Chracas, Diario Ordinario, Nr. 7497 (20. Juli 1765): […] ed adornato il nuovo altare con bellissimi candelieri, croce, quattro controlumi, cornucopie, e carte glorie di getto di metallo dorato fatte di nuovo con raro e vago disegno […]. Vgl. auch Pasquali, Piranesi architect (2007), S. 177. 94 Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 94, Anm. 6. 95 Karsten, Die Gleichschaltung der Eminenzen (2005). 96 Barcham, Grand in Design (2001), S. 303 – 392.

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5. Das Malteserpriorat als Werbeträger Bei der Ausgestaltung ihrer Familienkapelle in der venezianischen Na­tionalkirche hatten die Rezzonico eine betont zurückhaltende Repräsenta­tionsstrategie geübt und sich – ganz im Sinne ostentativer Bescheidenheit – den für die venezianische Oligarchie maßgeb­ lichen Gestaltungsprinzipien untergeordnet. Solch eine Zurückhaltung fiel jedoch nicht schwer ins Gewicht, da sich etwa zeitgleich zur Errichtung der Kapelle in San Marco an anderer Stelle eine viel bessere Mög­lichkeit der familiären Selbstdarstellung eröffnete. 1763 war mit dem Tod des Kardinals Girolamo Colonna di Sciarra das römische Großpriorat des Malteserordens vakant geworden, so dass Clemens XIII . seinen Neffen Giovanni Battista zum Nachfolger ernennen konnte. Er war es, der Giovanni Battista Piranesi mit der grundlegenden Restaurierung der auf dem Aventin gelegenen Ordenskirche Santa Maria del Priorato sowie mit der Anlage eines äußerst repräsentativen Vorplatzes beauftragte. Zwar hat sich die Piranesi-­Forschung bereits eingehend mit dem Kirchenbau und der Platzanlage beschäftigt, allen voran John Wilton-­Ely, dessen grundlegende Studien jedoch fast ausschließ­lich auf die ikonographische Analyse der Architektur und des Bauornamentes sowie deren Einbettung in Piranesis kunsttheoretische Überlegungen abzielen.1 Das hinter der Auftragsvergabe an Piranesi stehende soziopolitische movens fand jedoch so gut wie keine Berücksichtigung. Ledig­lich die unübersehbaren ikonographischen Reminiszenzen an den Auftraggeber wurden konstatiert,2 ohne dass dies bisher zu weiterem Nachdenken über die Stoßrichtung der Repräsenta­tionsstrategien der Rezzonico angeregt hätte. Doch gerade bei der Neugestaltung der Prioratskirche auf dem Aventin fanden die Erfordernisse der venezianischen Papstfamilie nach einer subtil-­wirkungsvollen Überblendung ihres neuadligen Status einen deut­lichen Niederschlag. Das von Piranesi entwickelte ikonographische Programm erweist sich bei genauer Betrachtung ganz und gar dem Bestreben der Rezzonico nach Selbstdarstellung und Memoria-­Stiftung untergeordnet. Doch um die Vereinnahmung der Prioratskirche für die familiären Statusstrategien der Rezzonico dechiffrieren zu können, ist es erst einmal nötig, den allgemeinen Stellenwert des römischen Malteserpriorats im soziopolitischen Koordinatensystem des päpst­lichen Nepotismus so weit zu rekonstruieren, wie dies die defizitäre Forschungslage zulässt.

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Wilton-­Ely, Piranesian symbols (1976); Ders., The mind and art (1978), S. 93 – 102; Ders., Vision and design (1978), Ders., Piranesi as architect (1992); Ders., Piranesi as architect and designer (1993), Ders., Design through fantasy (2002); Ders., Santa Maria al Priorato (2007); Barry, Rinovare (2006); Ders., „Onward Christian Soldiers“ (2010); Bevilacqua, Nolli e ­Piranesi (2010); Kieven, Piranesi (2010). 2 Zuerst Wilton-­Ely, Piranesian symbols (1976), S. 220 und Ders., The mind and art (1978), S. 95.

Das Malteserpriorat als Werbeträger  |  281

Die Aufnahme der Rezzonico in den Malteserorden Der ursprüng­lich zwecks karitativer Aufgaben im 12. Jahrhundert gegründete „Orden vom Hospital des Heiligen Johannes zu Jerusalem“ entwickelte sich im Laufe der Kreuzzüge schnell zu jenem militärisch-­religiösen Orden, der als „Bollwerk und Schild der Christenheit“3 höchstes Ansehen genoss. Doch nach dem territorialen Verlust des Heiligen Landes zog er sich zunächst nach Zypern und dann nach Rhodos zurück. Von hier aus praktizierten die Ritter ihren Auftrag als militia Christi, indem sie als führende Seemacht in der Region auftraten. Nach einer erneuten schweren Niederlage gegen die Osmanen und dem damit bedingten Verlust des Ordenssitzes Rhodos erhielten die Ritter von K ­ aiser Karl V. im Jahre 1530 die Insel Malta als spanisches Lehen. Dort ließ sich der Orden endgültig nieder, weshalb er von nun an immer häufiger auch als Malteserorden bezeichnet wurde.4 Als welt­licher Souverän und geist­liches Oberhaupt stand ihm ein von der Ritterschaft auf Lebenszeit gewählter Großmeister vor. Gegenüber den euro­päischen Herrscherhäusern konnten die Malteser, deren Mitglieder ihrer na­tionalen Herkunft nach in einzelnen „Zungen“ organisiert waren, ihre Unabhängigkeit behaupten. Allein der Papst war der religiösen Ordensgemeinschaft übergeordnet. Obwohl übergreifende Studien zum Verhältnis z­ wischen Papsttum und Malteserorden bisher kaum existieren, zeigt bereits die Arbeit von Moritz Trebeljahr, der die päpst­lichen Eingriffsversuche in das institu­tionelle Ordensgefüge während des Pontifikats Pauls V. Borghese (1605 – 1621) untersuchte, dass es sich dabei um ein vielschichtiges und alles andere als spannungsfreies Verhältnis handelte.5 Die Interferenzen ­zwischen dem Borghese-­Papst und dem Orden standen in ursäch­lichem Zusammenhang mit der Patronagepolitik des römischen Hofes und zielten zumeist auf eine den überaus strengen Ordensstatuten nicht konforme Verleihung der Ordensmitgliedschaft an Klienten der Papstfamilie. Denn obwohl die militärische Schlagkraft der Malteser seit dem 16. Jahrhundert tendenziell abnahm, war eine Ordensmitgliedschaft nicht nur wegen des Pfründenbezugs, sondern vor allem wegen des damit verbundenen hohen Sozia­lprestiges äußerst attraktiv. Schließ­lich war der Orden einer der ältesten Ritterorden des Abendlandes, dem vor allem der euro­päische Hochadel angehörte. Die Vermittlung einer Mitgliedschaft in dieser „exklusivste[n] Bruderschaft der Frühen Neuzeit“6 stellte daher eine wichtige Ressource der Patronagepolitik dar.

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Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 31. Die Bezeichnung „Johanniterorden“ blieb als Synonym daneben bestehen. Überblicke zur Geschichte des Ordens liefern Sire, The Knights of Malta (1994); Riley Smith, Hospitallers (1999); ­N icholson, The Knights Hospitaller (2001) und Galimard Flavigny, Histoire de ­l’Ordre de Malte (2006). Trebeljahr, Karrieren (2008); Ders., Paul V. (2008). Trebeljahr, Paul V. (2008), S. 310.

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Systematische Studien, die konkrete Rückschlüsse auf die Bedeutung des Malteserordens für die päpst­liche Familienpolitik im 18. Jahrhundert zulassen würden, fehlen bisher allerdings.7 Ledig­lich für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist nachgewiesen, dass sich der Malteser­orden die besondere Gunst der jeweils regierenden Papstfamilie üb­licherweise mittels Vergabe des Ordensprotektorats an den Kardinalnepoten zu sichern suchte.8 Somit ist nicht zu sagen, ob die Funk­tion eines Protektors, der in Rom (flankierend zum Botschafter) für die Wahrung der Ordensinteressen zu sorgen hatte, auch nach der formellen Abschaffung des Nepotismus von einem engen Verwandten des Papstes im Kardinalsrang wahrgenommen wurde.9 Doch angesichts der insbesondere von Portugal, Spanien und Frankreich immer vehementer geforderten Auflösung des Jesuitenordens taten die Malteser gerade im Pontifikat des projesuitisch eingestellten Clemens XIII. gut daran, in Rom über einen mög­ lichst papstnahen Fürsprecher zu verfügen: Denn als Inhaber des spanischen Lehens Malta lief der amtierende portugie­sische Großmeister Emanuel Pinto da Fonseca Gefahr, in einen Interessenkonflikt z­ wischen Papst und spanischen König zu geraten.10 Tatsäch­lich berief der Großmeister den Kardinalnepoten Carlo Rezzonico unmittelbar nach Pontifikatsbeginn zum Protektor des Ordens.11 Diese Ernennung schien ganz im Sinne der Rezzonico zu sein, denn, wie die Auswertung des von John Edward Critien in Auszügen veröffent­lichten Briefwechsels ­zwischen dem Papstnepoten Carlo, dem Ordensbotschafter in Rom und dem Großmeister auf Malta zeigt, hatte die Familie am Malteserorden ein unübersehbares Interesse.12 Genau zwei Wochen nach der offiziellen Bekanntgabe seiner Kardinalspromo­tion und vier Tage nach dem possesso Clemens’ XIII . wurde Carlo Rezzonico neben dem Protektorat am 16. November 1758 vom Orden auch die croce di devo­tione verliehen, wodurch er in den

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Einen summarischen Überblick über die Entwicklung des Ordens im 18. Jahrhundert bietet Blondy, L’ordre de Malte au XVIIIe siècle (2002). 8 Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 44 und Anm. 159: Riverisce [la Religione] il Papa come capo ­supremo, […] e per obbligarlo a difenderla bisognando contro gl’altri Prencipi […] sempre si e­ leggono per protettore il nipote del Papa vivente. Rela­tione della Religione Gerosolimitana di Malta dell’anno MDCXXX , BAV , Barb. lat. 5036, fol. 1 – 18v, fol. 10v. Bezüg­lich der 1621 erfolgten Ernennung des Kardinalnepoten Gregors XV . Ludovisi (1621 – 1623) zum Ordensprotektor hatten diese Praxis bereits Faber, Scipione Borghese (2005), S. 230 und Emich, Bürokratie (2001), S. 354, Anm. 48 vermutet. 9 Aus der Sekundärliteratur lässt sich nicht erschließen, ­welche Kardinäle nach der offiziellen Abschaffung des Nepotismus als Ordensprotektoren fungierten. Die Kardinalnepoten Clemens’ XI. und Clemens’ XII., Annibale Albani und Neri Maria Corsini, scheinen diese Funk­tion jedenfalls nicht eingenommen zu haben. 10 Zur Haltung der spanischen Krone in der Jesuitenfrage, die 1767 in der Ausweisung des Ordens mündete, sowie zur Ausweisung des Ordens 1768 aus Malta und zum Konflikt ­zwischen dem Papst und dem Großmeister vgl. Pastor, Geschichte der Päpste (1931), Bd. XVI/1, S.  697 – 849, 883 – 887. Vgl. auch Kap. III der vorliegenden Arbeit. 11 Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 166. 12 Critien, Giovanni Battista Rezzonico (1998).

Das Malteserpriorat als Werbeträger  |  283

Stand eines Devo­tionsritters erhoben wurde.13 Dieser Status konnte ausschließ­lich vom Generalkapitel auf Malta verliehen werden und war in der Regel Mitgliedern regierender Herrscherfamilien vorbehalten. Seinem Inhaber ermög­lichte dieser Ehrentitel zwar keine reguläre Ordenskarriere, berechtigte ihn de facto jedoch, Ordenspfründen zu erhalten, aus denen zum Teil nicht unbeträcht­liche Einnahmen erzielt werden konnten.14 Im Falle des Kardinalnepoten ist es zwar unklar, ob er selbst um seine Erhebung gebeten, oder ob der Orden ihm diese aus den oben genannten Gründen angetragen hatte.15 Auch über den Bezug von Pfründen ist bislang nichts bekannt. Doch in jedem Fall brachte die Ehrenmitgliedschaft im Malteserorden der Aufsteigerfamilie Rezzonico in erster Linie kaum zu überschätzendes sozia­les Kapital. Denn wie der Malteserritter Giovanni Maria Nobilis 1754 in seiner Schrift über den Orden nicht ohne Stolz betonte, maßen die Ordensmitglieder der Wahrung der sie auszeichnenden Exklusivität oberste Priorität zu: Der Orden fu sempre […] composta della più fiorente nobiltà, che potesse trovarsi in terra.16 Die bei der Aufnahme zu erbringende Adelsprobe sah für die italienischen Kandidaten seit 1631 einen adligen Abstammungsnachweis von über zweihundert Jahren vor und zwar sowohl in der väter­lichen als auch mütter­lichen Linie.17 Ausgeschlossen waren von vornherein Kandidaten, deren Familien aus dem merkantilen Milieu stammten oder 13 Ebd., S. 60. Der Devo­tionsritterstatus, der eine Ordenszugehörigkeit ermög­lichte, ohne die für eine reguläre Ordenslaufbahn nötige Profess abzulegen, wurde vom Generalkapitel im Jahre 1612 abgeschafft, da die Suppliken auf Gewährung ­dieses Standes immer mehr zunahmen. Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 107. Ob er zu Beginn des Pontifikats Clemens’ XIII. bereits seit längerem wieder eingeführt war, konnte anhand der konsultierten Literatur nicht festgestellt werden. Aber noch heute ist es mög­lich, ehrenhalber in den Orden aufgenommen zu werden. Nach münd­licher Einschätzung Moritz Trebeljahrs ist die Erhebung eines Papstnepoten in den Stand eines Devo­tionsritters jedoch durchaus auf mikropolitischem Sonderweg denkbar, der auch ein bestehendes Dekret außer Kraft setzen konnte. 14 So wurde der zweitälteste Sohn des Herzogs Carlo Emanuele di Savoia zum Devo­tionsritter ernannt und hatte von 1602 bis 1619 das mit 40000 Dukaten jähr­lichen Einkünften dotierte portugie­sische Ordenspriorat Crato inne. Bartolomeo Dal Pozzo, Historia della Sacra Religione militare di San Giovanni Gerosolimitano detta di Malta. Parte prima que proseguisce quella di Giacomo Bosio, dall’ 1571 fin’ al 1636, Verona 1702, S. 464. 15 Schließ­lich war für die Erlangung ­dieses Grades ein hohes Passagegeld zu entrichten, wobei die Aussetzung der Zahlung im Hinblick auf die hohe Stellung des Kandidaten und seine enge Verwandtschaft mit dem Papst allerdings nicht auszuschließen ist. Vgl. Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 104. Zwar beziehen sich Trebeljahrs Angaben auf das 17. Jahrhundert, doch ist anzunehmen, dass sich auch im 18. Jahrhundert an dieser Praxis nichts geändert hatte. 16 Giovanni Maria De Nobili, Riflessioni di un Cavaliere di Malta Religioso dell’Ordine Militare delli Hospitalieri di San Giovanni di Gerusalemme sopra la grandezza, e doveri del suo stato, 1754, S. 206. Manuskript 67 in der Biblioteca Magistrale di Roma. Zitiert nach Spagnoletti, Stato (1988), S. 29. 17 Die Art der Adelsprobe und der nachzuweisende Zeitraum variierten von „Zunge“ zu „Zunge“. Ebd., S. 136; Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 57 f. Vgl. auch Donati, L’idea di nobiltà, S. 198 – 246. Die strengen Voraussetzungen für italienische Bewerber seit 1631 dürften im Zusammenhang mit den in Italien einsetzenden Nobilitierungswellen stehen. Nicht auszuschließen ist außerdem eine

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den Beruf eines Notars ausgeübt hatten.18 So wurde das Eintrittsgesuch des in Rom ansässigen Paduaner Conte Giovanni Quarenghi im Jahre 1757 einstimmig abgelehnt, da seine Familie erst unlängst nobilitiert worden war und er die erforder­lichen Nachweise somit nicht erbringen konnte. Selbst die Stiftung einer von Quarenghi eigens für den Orden eingerichteten Kommende konnte die Ordensleitung nicht umstimmen.19 Angesichts zunehmender sozia­ler Dynamiken verstanden sich die Malteser im 18. Jahrhundert mehr denn je als „interna­tionale Adelsgenossenschaft“.20 Wie Angelantonio ­Spagnoletti herausgearbeitet hat, wurde die Ordensmitgliedschaft in dieser Zeit als untrüg­ licher Beweis einer altadligen Herkunft angesehen. Sie hatte geradezu die Funk­tion einer consulta araldica angenommen, da die unbedingte Observanz der strengen Aufnahme­ bedingungen jeg­lichen Zweifel hinsicht­lich des Status derjenigen Familien auslöschte, die einen Ordensritter in ihren Reihen zählten.21 Dies hatte Mitte des 17. Jahrhunderts etwa einen Sozia­laufsteiger wie den Kardinal Bernardino Spada dazu veranlasst, eine mit allen lauteren und unlauteren Mitteln betriebene Aufnahme eines seiner Neffen in den Orden zu erwirken, und zwar bezeichnenderweise gerade in dem Moment, als zweifelnde Stimmen an der Herkunft der Familie laut wurden.22 Für die Rezzonico als Familie des regierenden Papstes fiel die genealo­gische Überprüfung ihres Stammbaumes auf eine lupenreine adlige Abstammung jedoch sprichwört­lich unter den Tisch. Keinesfalls hätten sie den strengen Kriterien des Ordens entsprechen können, da ihre Nobilitierung in Venedig noch nicht einmal einhundert Jahre zurücklag. Darüber hinaus waren erst dreißig Jahre vergangen, seitdem der Vater des Papstes die Handelsniederlassung der Familie aufgelöst hatte.23 Selbst Benedikt XIV . hatte noch 1751 anläss­lich der Ernennung Aurelio Rezzonicos zum venezianischen Senator ausdrück­ lich auf den neuadligen Status der Familie verwiesen.24 Auch wenn den Rezzonico mit der Wahl Clemens’ XIII . ein sozia­ler Quantensprung gelungen war: Insbesondere im Hinblick auf die postpontifikale Phase taten sie gut daran, ihren Status als vollwertige Angehörige des Hochadels so gut wie mög­lich nach allen Seiten hin abzusichern. Carlo Rezzonico sollte nicht die einzige Verbindung der Papstfamilie zum Malteserorden bleiben. Knapp zwei Jahre nach seiner eigenen Ernennung zum Devo­tionsritter wandte

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Korrela­tion mit der päpst­lichen Patronagepolitik, deren negativen Folgen für die Ordensobservanz damit vielleicht entgegengewirkt werden sollte. Spagnoletti, Stato (1988), S. 136; Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 58. Davon waren nur die Städte Genua, Florenz, Lucca und Siena ausgeschlossen. Spagnoletti, Stato (1988), S. 144, führt auch Venedig an, allerdings ohne Quellenbeleg. Ebd., S. 36, Anm. 24. Reinhard, Paul V. (2009), S. 457. Noch auf dem Wiener Kongress (1814/15) versäumten es die Malteser nicht, ihre stete Observanz reinblütig adliger Mitgliedschaft herauszustreichen. ­Spagnoletti, Stato (1988), S. 33. Ebd., S. 33 f. Karsten, Familienbande (2010), S. 48 – 56. Vgl. Kap. II.1. der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kap. II.6. der vorliegenden Arbeit.

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sich der Kardinalnepot an den in Rom residierenden Ordensbotschafter. Am 24. Juli 1760 bat er den Botschafter in einem Brief, er möge sich doch für seinen sechzehn Jahre jüngeren Bruder Giovanni Battista verwenden, der sich gerade auf den Eintritt in den geist­ lichen Stand vorbereitete 25 und erst drei Wochen zuvor zum cameriere segreto des Papstes 26 ernannt worden war, damit dieser ebenfalls in den Stand eines Devo­tionsritters versetzt werde. Seinem Anliegen verlieh der Kardinal zusätz­lich Gewicht, indem er betonte, wie sehr die Verleihung des Ordenshabits auch dem Papst selbst am Herzen liege.27 Als der Botschafter ­dieses Ansinnen an den Großmeister in Malta weiterleitete, war dieser bereits durch den commendatore der venezianischen Ordensbesitzung Francesco Maria Boccadiferro darüber unterrichtet.28 Nach Boccadiferro war es jedoch Giovanni Battista selbst, der die Aufnahme in den Orden wünschte, und zwar keinesfalls nur als Devo­tionsritter, sondern als Cavaliere di Giustizia, das heißt als Ritter ersten Standes und somit als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft.29 Dies hätte ihm eine Karriere ermög­ licht, die mit etwas Glück und Geschick hinauf zu den höchsten Ordensämtern führen konnte, was ganz im Sinne des ehrgeizigen Papstnepoten gewesen sein mag. So scheint man es zumindest in Malta gedeutet zu haben. Denn der Vizekanzler des Ordens schrieb besorgt an den Ordensbotschafter in Rom: La lettera di detto Commendatore è tanto chiara in questo senso che anche mi soggiunge il timore che ha di che in appreso questo [Giovanni Battista Rezzonico] potrà avere altre mire di convenienza nella Religione.30

In Malta entschied man schließ­lich, die delikate Frage ganz der Diplomatie ihres Botschafters zu überlassen, der in questo affare del modo più agradevole al Papa handeln sollte.31 Dies war jedoch erstaun­licherweise gar nicht nötig, da Clemens XIII. die Angelegenheit offenbar ohne großen Nachdruck verfolgte. Denn Giovanni Battista wurde am 25. September 1760 „ledig­lich“ das Devo­tionskreuz verliehen.32 Damit erschien auch jeg­liche Aussicht des Prätendenten auf eine steile Ordenskarriere verstellt. 25 Allerdings erhielt Giovanni Battista die niederen Weihen erst im Juli 1761. BMVe, Codice It. X, 475 (12172), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (18. Juli 1761). 26 Seine Ernennung zum cameriere segreto war am 1. Juli 1760 erfolgt. Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 166. 27 Critien, Giovanni Battista Rezzonico (1998), S. 60. 28 Der gebürtige Bolognese Boccadiferro (1705 – 1791) war 1707 in den Orden aufgenommen worden und seit 1749 in Venedig ansässig. 1790 wurde er zum venezianischen Großprior ernannt. Sommi Picenardi, Del Gran Priorato (1892), S. 158 f. 29 Zum Status eines Cavaliere della Giustizia und dem sich damit potentiell eröffnenden cursus honorum vgl. Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 56 – 312. 30 Zitiert nach Critien, Giovanni Battista Rezzonico (1998), S. 60. Mit Religione ist die „Sacra Religione Gerosolimitana“, also der Orden gemeint. 31 Zitiert nach ebd. 32 Ebd.

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Giovanni Battistas Wahl zum Großprior der Malteser in Rom Zwei Jahre ­später fand die orakelhaft geäußerte Vermutung des Vizekanzlers bezüg­lich der vom Papstneffen gehegten Ambi­tionen aber doch noch ihre Bestätigung. Am 18. Januar 1763 starb Kardinal Girolamo Colonna di Sciarra, wodurch nicht nur der von ihm einge­ irche vakant wurde, sondern nommene Posten des camerlengo der Heiligen Römischen K auch derjenigen des Großpriors des Malteserordens in Rom.33 Das römische Priorat war eine der sieben großen Malteserbesitzungen in Italien und galt als eines der einträg­lichsten auf der Halbinsel.34 Mit Blick auf die Versorgung ihrer eigenen Familien hatten es die Päpste schon früh aus der direkten Vergabe durch den Orden zu lösen versucht, um die Ernennung des Priors sich selbst vorzubehalten, zumal das Amt jeweils auf Lebenszeit vergeben wurde und somit nach dem Tod des päpst­lichen Familienoberhauptes keine Neubesetzung durch einen Verwandten oder Klienten des Nachfolgers drohte.35 Als erster Papst der Frühen Neuzeit hatte Leo X. Medici (1513 – 1521) das Priorat 1517 per aposto­lischem Breve verliehen, und zwar seinem Verwandten Pietro Salviati.36 Doch erst Pius V. Ghislieri (1566 – 1572) legte anläss­lich der Prioratsvergabe an seinen Großneffen Kardinal Michele Bonelli 1568 fest,37 dass sämt­liche Prioratseinkünfte dem amtierenden Titular zur Verfügung stehen sollten und keine Abgaben mehr an den commun tesoro des Ordens geleistet werden mussten. Dies erregte den heftigen Einspruch des Großmeisters in Malta, der sich in seinen Kompetenzen arg beschnitten sah, zumal Bonelli nicht einmal dem Malteserorden angehörte, sondern Dominikaner war.38 Doch seine Beschwerden blieben erfolglos. Von nun an wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein die Vorsteher des römischen Priorats von den Päpsten selbst und nicht mehr vom Großmeister 33 HC, Bd. VI, S. 14. Zur Rolle des camerlengo im Konklave sowie zu den von Girolamo Colonna di Sciarra bekleideten Ämtern vgl. Kap. III und Kap. IV.2. der vorliegenden Arbeit. Das camerlengo-­ Amt ging an den ältesten Nepoten Carlo Rezzonico. 34 Da für das 18. Jahrhundert sichere Auskünfte über die jähr­lichen Einkünfte der einzelnen italie­ nischen Priorate fehlen, muss auf die von Trebeljahr für das 17. Jahrhundert erhobenen Daten zurückgegriffen werden. Demnach war das Priorat Rom mit 5000 Scudi dotiert. Einzig das Priorat von Barletta war mit 6500 Scudi offenbar höher angesetzt. Trebeljahr, Karrieren (2008), S. 203, Anm. 803 und S. 205, Anm. 816. 35 In Anbetracht der äußerst defizitären Forschungslage zum römischen Priorat stützen sich die folgenden Überlegungen vor allem auf die Angaben bei Ilari, Il Granpriorato (1998). 36 Ebd., S. 94 f. Sein Nachfolger Bernardo Salviati war zwar ebenfalls ein Neffe des amtierenden Papstes Clemens VII. (1523 – 1534). Die Ernennung zum Großprior nahm jedoch, zumindest formell, erneut der Großmeister vor. Ebd., S. 95. 37 Moroni, Dizionario (1844), Bd. 29, S. 297. Das bei Ilari, Il Granpriorato di Roma (1998), S. 95 angegebene Ernennungsjahr 1563 ist falsch, da Pius V. erst 1566 zum Papst gewählt wurde. Ilari bezieht sich auf eine Liste der römischen Großprioren aus dem Archivio Segreto Vaticano. 38 Ebd., S. 96, Anm. 193. Vgl. auch den Eintrag von Prosperi im DBI 11 (1969), S. 766 – 774. Prosperi verweist in d ­ iesem Zusammenhang auf ein Schreiben des Ordensgroßmeisters im ASV, Misc. Arm. II, 63, fol. 73r/v. Zu den Protesten des Ordens vgl. auch Chigi Albani, Il Priorato di Roma (1939), S. 4.

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ernannt.39 Die einzige Ausnahme stellt die Ernennung Fra’ Giovanni Battista Santinis im April 1730 dar, der in der Sedisvakanz ­zwischen den Pontifikaten Benedikts XIII . Orsini und Clemens’ XII. Corsini durch den Großmeister Antonio Manoel de Vilhena eingesetzt wurde.40 Mög­licherweise versuchte der Orden auf diese Weise, wenn auch erfolglos, längst verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Die päpst­liche Ernennungsprärogative wurde 1741 vom Vorgänger des Rezzonico-­Papstes, Benedikt XIV ., noch einmal bestätigt.41 Zu Spannungen ­zwischen Rom und dem Malteserorden hatte die Besetzung des Groß­ priorats wohl nicht zuletzt auch deshalb geführt, da die Päpste ihre häufig noch minderjährigen Nepoten dafür nominierten. So zählte Silvestro Aldobrandini, der Großneffe Clemens’ VIII., zum Zeitpunkt seiner Ernennung 1598 ledig­lich elf Jahre. Antonio ­Barberini d. J., Neffe Urbans VIII., erhielt das Priorat 1623 im Alter von dreizehn Jahren. Sigismondo Chigi war sogar erst neun Jahre, als ihm sein Onkel Alexander VII. das Priorat 1658 verlieh.42 Dieses „starre“ nepotistische Besetzungsschema scheint nach dem Tod des Großpriors Chigi (1678), der in die Amtszeit des Reformpapstes Innozenz XI. Odescalchi fiel, in gewisser Weise durchbrochen worden zu sein. So besetzte der Odescalchi-­Papst das Priorat nun mit Benedetto Pamphili, dem fünfundzwanzigjährigen Neffen seines längst verstorbenen Vorgängers, Innozenz X.43 Auch der nächste Großprior, der fünfzigjährige Kardinal Camillo Cibo, war kein Neffe des ihn 1730 ernennenden Papstes Clemens XII. Corsini. Vielmehr erhielt er das Priorat als Gunstbeweis für seine procorsinische Haltung im Konklave.44 Cibo resignierte nur wenige Jahre ­später, so dass Clemens XII. das Priorat 1734 an den Kardinal Bartolomeo Ruspoli vergeben konnte.45 Nach Ruspolis Tod 1741 kam es offensicht­lich wieder zu Konflikten um die päpst­liche Besetzungskompetenz, denn just in ­diesem Jahr fühlte sich Benedikt XIV. bewogen, die päpst­liche Prärogative noch einmal ausdrück­lich zu bestätigen. Allerdings vergingen aus nicht näher bekannten Gründen zwei Jahre, bis das Priorat mit Kardinal Girolamo Colonna di Sciarra wieder besetzt wurde.46 39 Qui comincia il tempo che il gran priorato di Roma fu conferito alli Signori Cardinali da S. Pio V nel 1568 che lo diede al nipote ex sorore. ASV, Segreteria di Stato. Estero. Rubrica 273, b. 588, fasc, 28. Zitiert nach Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 57, Anm. 14. 40 Ebd., S. 104. Da die genauen Lebensdaten Santinis nicht bekannt sind, kann nicht entschieden werden, ob die Ernennung Camillo Cibos 1731 durch Clemens XII. auf den plötz­lichen Tod ­Santinis zurückzuführen ist, oder ob der Papst die Entscheidung des Großmeisters annullierte und mit Camillo Cibo seinen eigenen Kandidaten einsetzte. Letzteres ist mehr als wahrschein­lich. 41 Ebd., S. 96 und Anm. 196. 42 Zu den drei Ernennungen vgl. ebd., S. 98, 100, 102. 43 Montalto, Un mecenate (1955), S. 343 – 357; Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 103. 44 Zu Camillo Cibo vgl. den Eintrag von Borromeo im DBI 25 (1981), S. 232 – 237. 45 Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 104. Zwar gehörte die Familie nicht zum alten Adel, verfügte aber mit den Cesi und Corsini über illustre Verwandtschaft. Ruspolis Vater hatte sich außerdem in päpst­lichen Militärdiensten hochverdient gemacht. Zu Ruspoli vgl. Seidler / Weber, Päpste und Kardinäle (2007), S. 220 f. 46 Moroni, Dizionario (1844), Bd. 29, S. 297. Da es sich beim Malteserpriorat um einen Versorgungsposten für Nepoten handelte, sind die in postnepotistischer Zeit offensicht­lich zu verzeichnenden Konflikte um dessen Vergabe ein idealer Ansatzpunkt für weiterführende Recherchen.

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Anders als im Falle Ruspolis dürfte über die Würdigkeit des Kandidaten (wenigstens hinsicht­lich der Abstammung) kein Zweifel bestanden haben, da er väter­licherseits der römischen Adelsfamilie Colonna, mütter­licherseits den Pamphili entstammte.47 Nach Berichten des päpst­lichen Beichtvaters Antonio Maria Borini galt es bereits fünf Tage nach dem Tod Colonnas in Rom als sicher, dass der zweiundzwanzigjährige Giovanni Battista Rezzonico dessen Nachfolge als Großprior antreten werde.48 Anders als in der Frage einer Vollmitgliedschaft seines Neffen im Malteserorden war der Papst hier fest entschlossen, dem zweitjüngsten Spross der Familie das römische Großpriorat zukommen zu lassen. Die Ernennung Rezzonicos verzögerte sich dann allerdings um einige Tage, da es einige wichtige finanzielle Regelungen zu treffen galt. Denn Kardinal Colonna di Sciarra hatte nach seiner zwanzig Jahre währenden Amtszeit einen Schuldenberg von 37000 Scudi hinterlassen, die er als Großprior dem Orden hätte zahlen müssen.49 Offensicht­lich war es den Maltesern – vielleicht schon 1730 oder 1741/42 – gelungen, Pensionsrechte auf die Prioratseinkünfte wenigstens grundsätz­lich geltend zu machen. Durch ein Breve bestätigte Clemens XIII . zwar jähr­lich zu leistende Pensionszahlungen in Höhe von 3000 Scudi, unterstellte diese jedoch der Verfügungsgewalt der päpst­lichen Datarie. Darüber hinaus enthob er das Priorat nochmals ausdrück­lich aller vom Orden geforderten Abgaben.50 Damit waren die finanziellen Ansprüche des Malteserordens gegenüber dem römischen Priorat erneut und endgültig abgewehrt.

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Diesbezüg­liche Nachforschungen erscheinen insbesondere im Hinblick auf den Kardinal Girolamo Colonna di Sciarra erfolgversprechend, bekleidete er doch fast alle Posi­tionen, die ­später an die Rezzonico gingen. Weber, Genealogien (1999/2002), Bd. 2, S. 712, Bd. 5, S. 246. BMV e, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (22. Januar 1763): Le rissulte non sono ancora pubblicamente note, ma […] il Priorato (si crede di Malta) [sarà conferita] a D. Gio. Batta. [Rezzonico]. Ebd., Brief vom 30. Januar 1763: Il priorato di Malta è ancora da disporsi a causa di certe dilucida­ zioni da farsi mentre il defonto Card. non ha mai pagato la Pensione annua alla Religione di Malta, sicché viene calcolato il credito della Religione con la Commenda di 37 mila scudi. ASV e, Dispacci di Roma, filza 284, fol. 7r–8r (19. März 1763): Senza attender le risposte del Gran Maestro di Malta, che come ho esposto a VV .EE . aveva fatte alcune rappresentazioni circa i suoi diritti sopra una porzione delle rendite del Gran Priorato dell’ Ordine in Roma, il Santo Padre estese il Breve col quale lo conferisce in Commenda a Mons. D. Gio Batta Rezzonico suo Nipote, con tre mila scudi di Pensione da disporsi ad arbitrio della Dateria, ma senza alcuno di quei pesi, a cui andava soggetto prima, a benefizio della Religione. Sarà pertanto il Priorato esente dalla contribuzione annua al Tesoro, dalla Tassa delle Galere, e dallo Spoglio tanto rispetto a Malta, che rispetto alla Camera Apostolica. L’Ambasciatore se ne dimostrò alquanto afflitto, per la speranza in cui era che fossero accolte le sue dimande fondate sopra privileggi accordati dai precedenti Pontifici, e pel timore, che l’esempio possa indurre anche l’altre Corti, a pretendere simili esenzioni per le Commende esistenti nei loro Stati, il che diminuirebbe grandemente le rendite della Religione, ma per mancanza d’istruzioni dal Gran Maestro, e molto più per la riverenza dovuta al Santo Padre Primo protettore dell’ Ordine, ha dovuto porsi in silenzio.

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Am 5. Februar 1763 meldete Borini schließ­lich nach Venedig: Il priorato di Malta è stato conferito a M.r D. Gio. Batta con scudi tre mila di Pensione pro personis nominandis.51 Da seit 1658 kein Nepot eines regierenden Papstes mit dem Malteserpriorat bedacht worden war, kann dies als deut­liche Wiederaufnahme des Nepotismus gewertet werden.52 Kritik an dieser Entscheidung war jedoch nur schwer zu üben, schließ­lich war der neue Prior bereits Mitglied des Ordens. Wie hoch die dem Nepoten aus dem Priorat erwachsenden Einkünfte (nach Abzug der Pensionen) waren, ist nicht bekannt. Doch dürfte die Bereicherung des Nepoten insofern von zweitrangiger Bedeutung gewesen sein, als das Priorat offenbar vor allem als Ressource für die Statusaffirma­tion des Papstneffen und seiner Familie dienen sollte. Vermut­lich floss ein Großteil der Prioratseinkünfte zunächst ohnehin in die Neugestaltung der Malteserkirche auf dem Aventin.53 Auf diese Weise fand das Revival des päpst­lichen Nepotismus dann auch eine subtile Rechtfertigung: Schließ­lich wurden die Prioratseinkünfte gewissermaßen „sachgerecht“ investiert, näm­lich in die „Modernisierung“ einer über lange Zeit vernachlässigten Ordenskirche. Prioratskirche und Aventin als Projek­tionsfläche einer Statusaffirma­tion Zeitgenös­sischen Beschreibungen und Stichen zufolge präsentierte sich der im Süden Roms gelegene Aventin beim Amtsantritt Giovanni Battista Rezzonicos als ein Ort, der vor allem durch seine großflächigen Nutzgärten und Weinberge charakterisiert war und an dem die dortige Malteserkirche samt Prioratsvilla nur wenig Aufmerksamkeit erregte. Obwohl die Niederlassung des Ordens bereits Ende des 14. Jahrhunderts vom einstigen Augustus­forum auf den Aventin verlegt worden war, residierte wohl kaum einer der von den Päpsten ernannten Prioren dauerhaft dort oder machte das Potential einer symbo­lisch-­repräsentativen Wertsetzung des Ortes für sich nutzbar, indem er eine grundlegende Erneuerung der in ihren Grundmauern auf das 10. Jahrhundert zurückgehenden Marienkirche bzw. der angrenzenden Villa in Betracht gezogen hätte.54 Dies darf als deut­liches Indiz dafür gewertet werden, dass das römische Priorat für die meisten seiner Titularen ledig­lich als finanzielle Ressource von Bedeutung war. Und auch als Projek­tionsfläche für familiäre Statusansprüche konnte die 51 BMVe, Codice It. X, 475 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (5. ­Februar 1763). Wenige Tage s­päter wurde diese Neuigkeit auch veröffent­licht. Chracas, Diario Ordinario, Nr. 7116 (12. Februar 1763). 52 Auch Pius VI. Braschi (1775 – 1799) sollte das Priorat nach dem Tod Rezzonicos 1784 an seinen Neffen Romualdo Braschi verleihen, den er bereits zum maggiordomo ernannt hatte. 1786 erhielt Romualdo Braschi dann den Kardinalshut. Moroni, Dizionario (1844), Bd. 29, S. 297; Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 106. 53 Laut Connors, Il Libro dei conti (1998), S. 86, wurden 10947 Scudi dafür ausgegeben. 54 Die meisten der Prioren residierten nach Verlegung des Ordenssitzes weiterhin am Augustusforum, in anderen innerstädtischen Ordensgebäuden oder gar in ihren Privatpalästen. Vgl. Gallavotti Cavallero / Montini, Santa Maria in Aventino (1984), S. 9 – 22, die dies mit der topographischen Randlage begründen, sowie Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 9 – 51.

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70 Paolo Anesi (zugeschrieben), Ansicht des Aventin mit Santa Maria del Priorato vor dem Umbau durch Piranesi, Rom, Sovrano Militare Ordine di Malta

Prioratsanlage offenbar nicht mit anderen Orten in der Stadt konkurrieren. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass keiner der papstverwandten Prioren in der K ­ irche beigesetzt wurde. Ledig­lich unter den Kardinälen Michele Bonelli (1541 – 1598) und Benedetto Pamphili (1653 – 1730) wurden signifikante Veränderungen an ­Kirche und Villa vorgenommen. Bei der umfassenden Restaurierung der mittelalter­lichen ­Kirche durch Bonelli, die spätestens 1584 abgeschlossen war, erhielt der einschiffige Bau eine antikisierende Fassade mit Dreiecksgiebel und seit­lichen Pilastern, wie sie noch auf einem dem römischen Maler Paolo Anesi zugeschriebenen Gemälde aus dem frühen 18. Jahrhundert zu sehen ist.55 (Abb. 70) Zusätz­lich wertete Bonelli das Prioratsgelände dadurch auf, dass er die Zugänge neu akzentuieren ließ. Vom Tiberufer führte seitdem eine, wenn auch sehr steile Allee den südwest­lichen Hang des Aventins zur ­Kirche hinauf,56 während auf der öst­lichen Seite des Grundstücks wahrschein­ lich bereits jene monumentale Toranlage errichtet wurde, die noch heute zu sehen ist.57 Circa hundert Jahre ­später richtete sich die Aufmerksamkeit Benedetto Pamphilis dann vor allem

55 Der genaue Zeitraum der Renovierungsarbeiten ist nicht zu fassen. Doch kann ein Stich von E ­ tienne Dupérac aus dem Jahre 1570 als terminus post quem angesehen werden, da er noch keine unter Bonelli ausgeführten Veränderungen des Geländes zeigt. Als terminus ante quem wird von M ­ ontini, L’Ordine di Malta (1955), S. 107 der Bericht zweier Ordensritter angegeben, die 1584 vom Capitolo Provinciale des Ordens mit der Visita­tion des neuen Komplexes betraut worden waren. Vgl. auch Gallavotti Cavallero / Montini, Santa Maria in Aventino (1984), S. 31. Barry, Rinovare (2006), S. 91 setzt das Jahr des Umbaus hingegen 1588 an, belegt diese Aussage jedoch nicht. 56 Zippel, Ricordi romani (1921), S. 204, Anm. 2. Den unter Bonelli angelegten Zugang zeigt ein Stich von Aloisio Giovannoli aus dem Jahre 1616. Biasotti, Il Priorato (1932), S. 667, Abb. 4. 57 Das von Piranesi in die Platzgestaltung einbezogene Tor wurde wiederholt Piranesi selbst zugeschrieben. Körte, Piranesi (1933), S. 22; Wilton-­Ely, The mind and art (1978), S. 95. Gallavotti Cavalero / Montini, Santa Maria in Aventino (1984), S. 55 – 58 haben unter Bezug auf das in der Avery-­Library in New York aufbewahrte Rechnungsbuch der Umbaumaßnahmen („Libro dei conti“) hingegen zeigen können, dass das Portal bereits existierte und von Piranesi nur ornamental überformt wurde. Aufgrund der stilistischen Nähe der Portalarchitektur zur Kirchenfassade vermuten sie, dass es im Zuge der unter Bonelli ausgeführten Renovierungsarbeiten entstanden ist.

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auf den repräsentativen Bereich des Prioratsgeländes. Unter den Architekten und langjährigen Bernini-­Mitarbeitern Mattia de Rossi und Carlo Fontana wurden zwar auch im Inneren der ­Kirche kleinere Veränderungen vorgenommen, doch konzentrierte sich ihre Tätigkeit vor allem auf die Erneuerung der Prioratsvilla und die Errichtung eines Kaffeehauses. Durch die Anlage der Lorbeerallee im Garten wurde der noch heute bei Touristen beliebte „Schlüssellochblick“ auf die Kuppel von Sankt Peter geschaffen, der durch die visuelle Achsenführung die Beziehungen ­zwischen Papsttum und Malteserpriorat sinnfällig zum Ausdruck brachte.58 Fragt man jedoch nach den Beweggründen, ­welche die beiden Großprioren zu den jeweiligen Umbauten veranlasst haben mochten, so kann an dieser Stelle aufgrund der defizitären Forschungslage nur für Bonelli der Versuch einer knappen Antwort unternommen werden. Die Anbringung des Papstwappens an exponierter Stelle über der Tür lässt vermuten, dass die Restaurierung der Ordenskirche einen Mosaikstein in der Memoria-­Stiftung für seinen Onkel Pius V. darstellte, der ihn zum Großprior ernannt hatte.59 Ging Pius V. bereits bei seinem Tod (1572) als herausragender Reformpapst der posttridentinischen Epoche sowie als eigent­licher „Sieger von Lepanto“ in die Annalen ein, so bot sich die Prioratskirche als Sitz des Malteserordens und als Marienkirche in doppelter Hinsicht für eine s­ olche Codierung an. Denn der Sieg der christ­lichen Flotte gegen die Türken bei Lepanto 1571 wurde nicht zuletzt auch auf die erfolgreichen Fürbitten Pius’ V. bei der Gottesmutter zurückgeführt, wodurch der Marienkult in den folgenden Jahren einen merk­lichen Aufschwung erfuhr.60 Wie zu zeigen sein wird, sollte die enge Verbindung des Baues mit der Person Pius’ V. dann auch im ikonographischen Programm Piranesis eine bedeutende Rolle spielen. Aber weder Bonellis Restaurierung des Kirchenbaus noch die unter Pamphili ausgeführten Arbeiten hatten substantiell etwas an der Randständigkeit des Prioratsgeländes geändert. Oberhalb des süd­lichen Steilhangs des Aventins gelegen, war die Prioratskirche noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein schwer zugäng­licher Ort, den man nur über die Steilallee vom Tiber­ufer aus oder aber über einen „Umweg“ erreichen konnte: Von der Stadt kommend musste man den Hügel über die antike Straßenführung des Vicus Armilustri erklimmen und dabei zunächst die beiden großen Ordenskirchen Santa Sabina und Sant’Alessio passieren, bevor man schließ­lich zu dem aus der Ferne kaum wahrnehmbaren Eingang des Prioratsgeländes gelangte. Trotz dieser Randständigkeit hatte der Aventin als Ganzes jedoch genügend Prestige-­Potential, das gerade einer Aufsteigerfamilie wie den Rezzonico in ihrem Bedürfnis nach Repräsenta­ tion und Statusaffirma­tion reich­liche Anknüpfungspunkte bot. Vor allem die räum­liche Nähe zu Santa Sabina, einer der ältesten und größten frühchrist­lichen ­Kirchen Roms, konnte im 18. Jahrhundert im Sinne einer Standortaufwertung des Prioratsgeländes begriffen werden. 58 Zu den um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert von Benedetto Pamphili veranlassten Veränderungen vgl. Montalto, Un mecenate barocco (1955), S. 343 – 357. 59 Zum Wappen Pius’ V. siehe unten. Zur Kunstpatronage Pius’ V. und Michele Bonellis vgl. Biferali / Firpo, Navicula Petri (2009), S. 325 – 364. 60 Vgl. Venchi, Santo Pio V (1997); Guasco / Torre (Hg.), Pio V nella società e nella politica (2005); Cervini / Spantigati (Hg.), Il tempo di Pio V (2006); Zunckel, Ritus (2013), S. 189 – 218.

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Bereits seit 1587 zog die von dort ihren Ausgang nehmende Aschermittwochsprozession jähr­ lich zahlreiches Publikum auf den Hügel.61 Mit der Heiligsprechung Pius’ V. im Jahr 1712 bot Santa Sabina jedoch noch einen weiteren Anziehungspunkt. Nicht nur, dass sie zu dessen Kardinalszeiten seine Titelkirche gewesen war; als Dominikanerkirche konnte sie auch als spirituelle Heimat des Dominikanerpapstes angesehen werden. So vergaß selbst Francesco de’ Ficoroni, dessen Interesse an kirch­lichen Monumenten eher gering war, in seiner 1744 erschienenen „Le vestigia e rarità di Roma“ nicht, bei der Beschreibung dieser ­Kirche auch auf deren enge Beziehungen zu dem neuen Heiligen hinzuweisen, dessen einstige Zelle im dortigen Konventsgebäude 1710 zu einer Kapelle umgestaltet worden war.62 Anhand Ficoronis Werk lassen sich auch die weiteren Konnota­tionen des Hügels genauer fassen. Zwar werden die frühchrist­lichen Wurzeln von Santa Sabina und der seit dem 5. Jahrhundert am öst­lichen Hang bezeugten antichissima chiesa Santa Prisca nicht ausgeklammert, doch liegt Ficoronis Augenmerk eindeutig auf den heidnisch-­antiken Bezügen. Ausführ­lich berichtet er über die zahlreichen Heiligtümer, die in der Frühgeschichte Roms hier angesiedelt waren und deren wichtigstes, ein Diana-­Heiligtum, 1722 durch die Auffindung einer „Diana von Ephesus“-Statue archäolo­gisch eindeutig nachgewiesen werden konnte. Ebenso wenig versäumte der Autor, seinen Lesern die mytholo­gischen Bezüge des Ortes ins Gedächtnis zu rufen und auf die Höhle des Riesen Kakus hinzuweisen, der hier von Herkules überwältigt worden sei. Dieses Interesse Ficoronis vor allem an der römischen Vergangenheit des ­Aventins kam nicht von ungefähr, war er doch einer der wichtigsten Antiquare seiner Zeit.63 So verwundert es nicht, dass er dem mittelalter­lichen Benediktinerkloster Sant’Alessio, das direkt an das Prioratsgelände grenzte und erst 1750 unter dem venezianischen Kardinal Maria Angelo Querini umfassend renoviert werden sollte, nur wegen der in der Architektur verwendeten Spolien und den in der ­Kirche aufbewahrten antiken Fragmenten mehr als eine Zeile widmete.64 Ähn­lich handelte er auch den Maltesersitz ab, wo er zwar das Kaffeehaus Pamphilis und die eindrucksvolle Aussicht auf die Stadt erwähnte, doch detailliert wurde von ihm einzig ein in der K ­ irche aufgestellter antiker Sarkophag aus der Zeit ­Kaiser Trajans behandelt.65 Dieser kurze Blick auf die Semantik des Hügels zeigt bereits, w ­ elche Bedeutung dem Ort innerhalb der römischen Stadttopographie im 18. Jahrhundert zukam. Mit ihm verbanden sich sowohl mytholo­gische, antike, frühchrist­liche als auch zeitgenös­sisch-­spirituelle Bezüge, die in unterschied­licher Weise für die ambi­tionierten Interessen Rezzonicos nutzbar gemacht werden konnten. Außerdem kam dem Papstnepoten zugute, dass just in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine der wichtigsten ästhetischen Debatten der Zeit ausbrach, die europaweit in allen intellektuellen Kreisen heftig diskutiert wurde. Es ging um die Frage des Primats der 61 62 63 64

Francesco de’ Ficoroni, Le vestigia e rarità di Roma antica, Rom 1744, S. 77. Ebd. Zur Kapelle Pius’ V. vgl. Buchowiecki, Handbuch der ­Kirchen Roms (1974), Bd. 3, S. 802. Zu Ficoroni vgl. Lavia, Francesco de’ Ficoroni (2004). Zum Umbau von Sant’Alessio vgl. Bevilacqua, Mecenatismo (1998). In der Vorhalle von ­Sant’Alessio ließ Querini 1752 auch eine Ehrenstatue Benedikts XIII. Orsini, der dem Benediktinerorden angehört hatte, aufstellen. Vgl. auch Kap. IV.1., Anm. 10. 65 Francesco de’ Ficoroni (wie Anm. 61), S. 79.

Das Malteserpriorat als Werbeträger  |  293

griechischen oder römischen Kunst und ihrer Abhängigkeit voneinander.66 Einer der Protagonisten in ­diesem Streit war Piranesi. Im Gegensatz zu Comte de Caylus, dem Jesuitenpater Marc-­Antoine Laugier und dem seit 1760 in Rom ansässigen Johann Joachim Winckelmann, die in ihren einflussreichen Schriften die Wurzeln der römischen Kunst in Griechenland verorteten, in den römischen Werken nur Fehlinterpreta­tionen des griechischen Vorbilds erblickten und deshalb nachdrück­lich die griechische Antike zum künstlerischen Maßstab erhoben, führte Piranesi mit Bezug auf den venezianischen Architekturtheoretiker Lodoli die Kunst der römischen Antike auf die Etrusker zurück. Vehement vertrat er diesen Standpunkt im Vorwort seines 1761 erschienenen und dem Rezzonico-­Papst gewidmeten Werkes „Magnificenza ed Architettura de’ Romani“, wo er stark polemisierend für die Unabhängigkeit und Überlegenheit der römischen Kultur gegenüber allem Griechischen eintrat. Die Debatte steuerte auf einen Höhepunkt zu, als der franzö­sische Kunstsammler Pierre M ­ ariette am 4. November 1764 in der „Gazette littéraire de France“ eine heftige Entgegnung auf Piranesi veröffent­lichte, in der erneut das Primat des Griechischen beschworen wurde. Die Antwort Piranesis ließ nicht lange auf sich warten. In dem 1765 veröffent­lichten „Parere di Architettura“ – jener Schrift, w ­ elche die Quintessenz seiner ästhetischen Posi­tion darstellt – verteidigte er erneut die Vormachtstellung und vor allem die phantasiereiche Ausformung der römischen gegen die in seinen Augen leere, bloßem Regelwerk, aber keiner künstlerischen Regung folgenden griechischen Kunst. Damit trat er gleichzeitig auch vehement für die Bewahrung der künstlerischen Freiheit und gegen eine akademische und regelgeladene Vereinnahmung des Künstlers ein, wie er sie an den Akademien wahrzunehmen glaubte. Wie bereits Wittkower bemerkte, ist es sehr wahrschein­lich, dass die Auftragsvergabe zur Neugestaltung der Prioratskirche an Piranesi in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Posi­tionierung in dieser Debatte stand.67 Schließ­lich musste die erstmalige Verwirk­lichung eines architektonischen Entwurfs Piranesis, der bis dato nur als Theoretiker aufgetreten war, zwangsläufig ein gewisses Aufmerksamkeitspotential in sich bergen. Außerdem hatte der Künstler in seinem umfangreichen graphischen Œuvre bereits sein inszenatorisches Vermögen bei der architektonischen Gestaltung unter Beweis gestellt. Beides verband sich bestens mit Rezzonicos repräsentativen Ansprüchen und statusaffirmierenden Zielen, die den Papstnepoten zur Neugestaltung des Prioratsgeländes bewegten. Wann genau Piranesi mit dem Umbau der K ­ irche und der Anlage des Platzes beauftragt wurde, ist nicht bekannt. Doch am 2. November 1764, zwei Tage vor Mariettis Entgegnung in der „Gazette littéraire“, wurde mit den Arbeiten auf dem Aventin begonnen.68 66 Zu der komplexen Debatte vgl. Wittkower, Piranesi’s „Parere“ (1938/39); Kaufmann, Piranesi (1955); Miller, Archäologie des Traums (1978); Wilton-­Ely, Vision and design (1978); Ders., Utopia or Megalopolis? (1983); Miller, Winckelmann (1986); Wilton-­Ely, Design through fantasy (2002); Stern, Winckelmann, Piranesi (2003). 67 Wittkower, Piranesi as architect (1975), S. 249. 68 Diese präzise Datierung ergibt sich aus dem „Libro dei conti“ des Baumeisters Giuseppe Pelosini. Darin werden die einzelnen Phasen des Umbaus detailliert aufgelistet. Ein Abriss dieser informa­tionsreichen

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71 Giuseppe Vasi, Ansicht des Aventin, 1771, Kupferstich

Zuerst wurde eine grundlegende Verstärkung der Fundamente vorgenommen, ohne dass eine umfassende Veränderung der unter Kardinal Bonelli geschaffenen architektonischen Struktur ins Auge gefasst worden wäre. Vielmehr stellte Piranesis Entwurf eine ornamentale Überformung der alten Baustruktur dar. Wie der Architekt rückblickend im Vorwort seiner 1769 erschienenen, Giovanni Battista Rezzonico gewidmeten Schrift „Diverse Maniere d’adornare i Cammini“ schrieb, lautete sein Motto für den Umbau rino­ vare anzichè restaurare.69 Niederschlag fand dieser Vorsatz bereits weithin sichtbar an der Quelle findet sich bei Panza, Piranesi al Priorato (1995), S. 138 – 239. Eine kurze Bewertung der Quelle liefert Connors, Il Libro dei conti (1998). 69 Giambattista Piranesi, Diverse Maniere d’adornare i Cammini ed ogni altra parte degli edifizi desunte dall’architettura egizia, etrusca, e greca, con un ragionamento apologetico in difesa dell’architettua egizia e toscana, Rom 1769, S. II. Vgl. auch Barry, Rinovare (2006); Ders., „Onward Christian Soldiers“ (2010).

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72 Rom, Santa Maria del Priorato

­Fassade, die durch den Einsatz ornamentaler Versatzstücke völlig neu akzentuiert wurde. Die einzig signifikante Veränderung am Außenbau war die Errichtung des hohen (heute nicht mehr vorhandenen) Attikageschosses über dem Dreiecksgiebel. Dadurch wurde zwar die propor­tionale Ausgewogenheit der Fassade empfind­lich gestört, doch, wie auf der Rom-­Ansicht Giuseppe Vasis zu erkennen ist, unterstrich dies die Fernwirkung der ­Kirche.70 (Abb. 71) Im Inneren der K ­ irche zog Piranesi ein neues Gewölbe ein und ließ das Mauerwerk der Apsis sowie der Vierung öffnen, um durch schmale Fenster bzw. eine Laterne eine neue Lichtführung zu ermög­lichen. (Abb. 72) Die Wände wurden weiß gestrichen oder mit Stuck überformt. Dies ermög­lichte eine deut­lichere Strukturierung des Raumes, ohne dabei die Architektur des Baues grundlegend verändern zu müssen. Die vor die Wände

70 Auf die ästhetische Dissonanz der Nahwirkung verweist bereits Barry, Rinovare (2006), S. 92.

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z­ wischen den flachen Kapellen gesetzten Stuckpilaster leiteten den Blick des Eintretenden direkt in den Chorbereich, den Piranesi geschickt inszenierte. Vor die Apsiswand legte er einen Kranz aus Halbsäulen, erhöhte das Bodenniveau um zwei Stufen und verschob den Altar, für den er einen eigenen Entwurf lieferte, aus der Apsis leicht ins Transept.71 Schließ­lich wandte sich Piranesi der Platzgestaltung zu, für deren Realisierung der Papstnepot im April 1765 von den Mönchen von Santa Sabina eine Parzelle ihres Weinberges erworben hatte.72 Vor dem alten Eingangsportal gestaltete der Architekt nun eine rechteckige, von hohen Mauern gesäumte Platzanlage, in die er das vermut­lich bereits unter Kardinal Bonelli errichtete Tor virtuos integrierte. Am 31. Oktober 1766 waren die Arbeiten abgeschlossen.73 Zwei Wochen zuvor hatte der Papst den Aventin besucht, um das von seinem Neffen in Auftrag gegebene Ensemble in Augenschein zu nehmen. Ganz offensicht­lich fand das Werk seinen Beifall, denn bei ­diesem Besuch erhob er den venezianischen Architekten in den Stand eines Cavaliere del Sperone d’Oro, ­welche die höchste Auszeichnung darstellte, die der Papst einem Künstler gewähren konnte. Sinnfälligerweise fand die Investitur in der Prioratskirche statt.74 Doch dass dieser Beweis päpst­licher Gnade nicht losgelöst von den Bemühungen der Papstfamilie Rezzonico um familiäre Statusinszenierung zu betrachten ist, wird die eingehendere Analyse jener Vorgaben des Auftraggebers zeigen, denen Piranesi mit der Umsetzung seines Mottos rinovare anzichè ristorare zu folgen hatte. Die Prioratskirche als Ruhmestempel und Grabeskirche Betrachtet man die heutige Fassade der Malteserkirche, so fällt vor dem Hintergrund der bereits skizzierten Veränderungen unter Piranesi sofort das Fehlen der Attikazone ins Auge, die Piranesi als einziges architektonisches Element dem Außenbau hinzugefügt hatte. Sie

71 Wie Wittkower herausgearbeitet hat, ließ sich Piranesi in seiner Raumgestaltung mehr von venezia­ nischen als von römischen Kircheninnenräumen leiten. Er verweist dabei vor allem auf Parallelen mit den beiden Palladio-­Kirchen San Giorgio Maggiore und Il Redentore. Wittkower, Piranesi as architect (1975), S. 255. Mit der Umsetzung des Altarentwurfes wurde der römische Bildhauer Tommaso Righetti betraut, der auch sämt­liche Stuckarbeiten in der ­Kirche ausführte. 72 Sua Eccellenza dunque, Monsignor Don Gio. Battista Rezzonico Gran Priore, ricomperò da que’ Padri tanto sito di detta vigna, quanto è bastato a spianare innanzi alla porta quella nuova piazza, la quale, mentre rende comodo e decoroso l’ingresso del Priorato, ricrea chiunque passa per quel luogo a diporto. Zitiert nach Critien, Un manoscritto (1998), S. 85. 73 Wilton-­Ely, Piranesian symbols (1976), S. 216. 74 Chracas, Diario ordinario, Nr. 7695 berichtete am 25. Oktober 1766 über den Papstbesuch auf dem Aventin und die Investitur Piranesis (S. 5 ff.). Das päpst­liche Breve, das Piranesi zur Führung des Titels berechtigte, wurde jedoch erst am 16. Januar 1767 ausgestellt. Wilton-­Ely, Giovanni ­Battista Piranesi (1988), S. 109, Anm. 208. Vgl. auch Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 177 und Anm. 33. Zur Nobilitierung von Künstlern im päpst­lichen Rom und zur Bedeutung des Cava­ liere del Sperone d’Oro vgl. Schütze, Arte Liberalissima (1992).

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73 Giovanni Maria Cassini, Santa Maria del Priorato, 1779, Kupferstich

wurde 1849 bei der Belagerung Roms durch franzö­sische Truppen von einer Kanonenkugel getroffen und ein Jahr ­später abgerissen.75 Doch die Attika, wie sie auf einem Stich von Giovanni Maria Cassini aus dem Jahre 1779 zu sehen ist (Abb. 73), muss bei der Betrachtung der Fassade mitgedacht werden, will man die Inten­tionen des Auftraggebers und seines Architekten verstehen. Denn aus der Tempelfront, die auf den Umbau unter Kardinal Bonelli zurückging, war durch den Aufsatz der hohen Attika eine Triumphbogenarchitektur geworden, die nicht nur die Ordenskirche weithin sichtbar machte, sondern den süd­lichen Rand des Aventins nun auch deut­lich markierte und somit den Ort per se bereits triumphal vereinnahmte. Die Fassade selbst wandelte sich unter Piranesi, der keinen Quadratmeter Mauerfläche ungestaltet ließ, zu einer wahren Projek­tionsfläche für die Verherr­lichung des Ordens und seines Priors. Unter Berücksichtigung der alten Fassadenstruktur ersetzte er die einstigen flachen, seit­lich das Portal flankierenden Wandvorlagen, die noch auf dem Gemälde von Paolo Anesi zu erkennen sind, durch kannelierte Pilasterpaare mit figür­lich aufwendig gestalteten Kapitellen, die das Giebelfeld tragen. Das zentrale Rundfenster über dem Eingangsportal wurde einem monumentalen und mit Wellendekor verzierten Sarkophag inkorporiert. (Abb. 74) Seit­lich des Portals brachte Piranesi, ähn­lich einer herabfallenden

75 Gallavotti Cavallero / Montini, Santa Maria in Aventino (1984), S. 62.

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74 Rom, Santa Maria del Priorato

Girlande, untereinander angeordnete Reliefs an, die neben dem Malteserkreuz, gebundenen Halbmonden und einer Viktoria auch eine Tafel mit den Buchstaben FERT darstellen, allesamt Verweise auf die ruhmreiche militärische Vergangenheit des Ordens.76 Darauf zielen auch die jeweils im oberen Teil der Pilaster angebrachten vier Tafeln mit den eingesetzten Schwertern und nicht zuletzt die Helme, Schilde, Säbel und Fahnen, die im Giebelfeld heute das Malteserwappen rahmen. An exponierter Stelle jedoch, in der Attikazone, prangte weithin sichtbar mit den Doppeladlern ein heraldisches Element aus dem Wappen der Rezzonico. Weitere Elemente lassen sich noch heute an der gesamten 76 FERT steht für „Fortitudo Eius Rhodum Tenuit“ und war das antike Motto des Ordens. Nach dem Verlust von Rhodos wurde es ausgelegt als „Foedere et Religione Tenemur“. Vgl. Moroni, Dizionario (1844), Bd. 29, S. 266. Das Haus Savoyen hatte denselben Wahlspruch, war er doch das Motto ihres 1346 gegründeten Ritterordens. Zur Interpreta­tion der Fassadenornamentik vgl. Wilton-­Ely, Piranesis symbols (1976).

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75 Turmkapitelle an der Fassade von Santa Maria del Priorato

Fassade finden. So war der von den Rezzonico im Wappen geführte Turm zu einem zen­ tralen Detail der Kapitelle geworden, der sich auch auf den Säbeln der Reliefplatten sowie in den Girlanden beidseitig des Portals wiederfand. (Abb. 75) Im Mittelpunkt der Fassade, auf dem Sarkophagdeckel, war jedoch eine heute nicht mehr vorhandene Inschrift angebracht, die explizit den Prior Giovanni Battista Rezzonico als Auftraggeber der Umgestaltung der Ordenskirche nannte.77 Die stark visuelle Vereinnahmung der Ordenskirche und ihrer Tradi­tionen durch den Prior, die sich bereits an der Fassade ablesen läßt, setzt sich im Inneren als eine Art Thema mit Varia­tionen fort. Die heraldisch besetzten Kapitelle werden aufgenommen und ins Innere überführt und durch die mit dem Turm besetzten Schlusssteine der Arkadenbögen ergänzt. Wie bereits an der Fassade, so ist auch hier eine Steigerung von den Turmkapitellen im Kirchenschiff hin zu den Adlerkapitellen im litur­gisch wichtigsten Teil des sakralen Raumes, der Apsis, zu erfahren. (Abb. 76) Dorthin wird unweiger­lich 77 „JOHANNES BAPTISTA REZZONICO MAGNVS PRIOR  / RESTAVRAVIT ORNAVITQUE A. D. / MDCCLV “. Die Inschrift wird, wenn auch ohne genauere Verortung an der Fassade, im Visita­tionsbericht eines Malteserritters nach dem Besuch des Prioratsgeländes genannt. Obwohl das Manuskript von Cretien, Un manoscritto (1998), veröffent­licht wurde, ist die Existenz dieser Inschrift von der jüngsten Forschung nicht wahrgenommen worden. Ebenso gibt das Diario Ordinario di Roma, Nr. 7695, am 25. Oktober 1766 die Inschrift wieder. Der genaue Anbringungsort auf dem Sarkophagdeckel lässt sich mit Panza, Piranesi al Priorato (1995), S. 105 rekonstruieren. Panza, der die Existenz der Inschrift aufgrund ihrer Erwähnung im „Libro dei conti“ „entdeckte“, jedoch ihren Wortlaut nicht kannte, vermutete, dass sie sich im Gesims über die gesamte Fassade zog. Dies kann jedoch ausgeschlossen werden, da die von Panza selbst mit ihren Maßen veröffent­lichten Trägerplatten nur die Breite des Sarkophag­ deckels abdecken. Des Weiteren ist zu vermuten, dass die Inschrift im Zuge des Attika-­Abrisses getilgt wurde, denn bereits Forcella, Iscrizioni (1876), Bd. VII , S. 259 – 264 führt sie nicht mehr auf.

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76 Adlerkapitel in der Apsis von Santa Maria del Priorato

der Blick des in die K ­ irche eintretenden Betrachters gezogen. (Abb. 72) In der kassettierten Apsiskalotte, die wiederum im Zenit von einer Muschelschale bedeckt ist, prangt überdimensional das Wappen Giovanni Battista Rezzonicos, welches aureolengleich von einem Lorbeer eingefasst wird und an dessen Seiten die Doppelspitzen des Malteserkreuzes hervorschauen. (Abb. 77) Ein kettenartiges Band ist unmittelbar um das Wappen geschlungen, an dessen unterem Ende ein Medaillon mit dem Kreuz hängt, welches das Insignium der Ritter darstellt. Der klerikale Hut über dem Wappen, auf den gleich noch näher einzugehen sein wird, weist auf den Stand des Wappenträgers innerhalb der kirch­lichen Hierarchie hin. Die verwirrendsten Elemente sind jedoch die Schwingen oberhalb des Wappens, die sich wie Flügel ausbreiten und das Wappen in die Lüfte zu tragen scheinen. Gemeinsam mit der Apotheose des heiligen Basilius, die, von Tommaso Righetti in Stein gehauen,78 den Altar schmückt, scheint sich hier auch die Apotheose des Auftraggebers durch sein Wappen zu vollziehen. Hier könnte man nun fast von blasphemischen Zügen sprechen, ­welche die Selbstdarstellung Rezzonicos in der ­Kirche angenommen hatte. Die Anbringung des Auftraggeberwappens an prominenter Stelle des Kirchenraums war zwar alles andere als ungewöhn­lich, doch in der Regel wurde ihnen eine Stelle an der Innenfassade, der Decke, dem Gurtbogen der Vierung oder aber dem der Apsis zugewiesen. Die Platzierung des Wappens direkt in der Apsiskalotte, einem Ort, welchem normalerweise der Darstellung Christi oder Mariens vorbehalten war, grenzte an repräsentativen Größenwahn und zwar um so mehr, wenn man bedenkt, dass in Santa Maria del Priorato bis zur Umgestaltung der ­Kirche durch Piranesi eben ein solches Fresko mit der Darstellung Christi und der

78 Vgl. Anm. 71 ­dieses Kapitels.

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77 Wappen Giovanni Battista Rezzonicos in der Apsiskalotte

Gottesmutter die Apsis schmückte.79 War die Ausführung von Piranesis Lateranprojekt, zumindest der offiziellen Version nach, daran gescheitert, dass damit die mittelalter­lichen Apsismosaiken zerstört worden wären,80 spielten derartige pietätvoll-­historische Rücksichten beim Umbau der Prioratskirche, in der Rezzonico als Hausherr selbst entscheiden konnte, keine Rolle mehr. Doch damit immer noch nicht genug. Auch die gestalterische Komposi­tion des Wappens machte Ansprüche geltend, die mit der faktischen Realität noch wenig, mit dem Wunschdenken des ambi­tionierten Priors jedoch sehr viel zu tun hatten. Der Hut über dem Wappen mit den beidseitig herunterhängenden Kordeln wies aufgrund der Monochromie

79 Panza, Piranesi al Priorato (1995), S. 110. Panza bezieht sich auf G. A. Bruzio, Chiese de Canonici Regolari et altre del Clero Romano, Bibl. Vat., Cod. Vat. Lat. II, 885, S. 108. 80 Vgl Kap. IV.3. der vorliegenden Arbeit.

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des weißen Stuckes nicht eindeutig den klerikalen Stand des Trägers aus und konnte vom Betrachter sowohl als der schwarze Hut eines Prälaten wie auch als der rote Kardinalshut gedeutet werden.81 Dass es den Prior nach einem solchen außerordent­lich verlangte, zeigte sich nur zwei Jahre ­später, als Giovanni Battista vehement versuchte, die Franzosen zu bewegen, ihn zum Kronkardinal zu machen.82 Gleichzeitig hatte die Geschichte des römischen Malteserpriorats auch gezeigt, dass die wenigen Prioren, die bei Amtsantritt noch nicht im Kardinalsstand waren, wenig s­ päter dazu ernannt wurden. So geschah es beispielsweise im Falle Silvestro Aldobrandinis, den sein Großonkel Clemens VIII. Aldobrandini (1592 – 1605) 1598 als Prior einsetzte und dem er 1603 dann den Kardinalshut verlieh.83 Dass es auch im 18. Jahrhundert für die Zeitgenossen eine Selbstverständ­lichkeit war, dass dem Priorat ein Purpurträger vorstand, zeigt Francesco de’ Ficoronis Bemerkung, als er in seinem Romführer auf die K ­ irche Santa Maria in Aventino (= del Priorato) und das Malteserpriorat zu sprechen kommt, il quale dal Sommo Pontefice suol concedersi a Porporati.84 Somit mochte Giovanni Battistas Hoffnung auf eine baldige Kardinalsernennung nicht unbegründet sein, die sich auch in der uneindeutigen Lesbarkeit des Wappens niederschlug. Dass diese Art visueller Hochstapelei ihre Wirkung auf den Betrachter nicht verfehlte, bezeugen noch heute die zahlreichen Studien zur Umgestaltung von Santa Maria del P ­ riorato, die als Auftraggeber immer wieder Kardinal Rezzonico nennen und sich zu dieser Aussage dabei sicher­lich nicht zuletzt von der Betrachtung des Wappens haben hinreißen lassen.85 Zum Kardinal wurde Giovanni Battista jedoch erst 1770 ernannt, zu einem Zeitpunkt, als die Renovierung der Malteserkirche längst abgeschlossen war. Leider gibt es bisher keinerlei Quellen, die Auskunft darüber geben, w ­ elche Reak­tion diese Art familiärer Bildpropaganda, die in Formensprache und Ausführung noch tief im Barock verwurzelt war, bei den Zeitgenossen ausgelöst haben mag. Da jedoch die exzessive Familienförderung Clemens’ XIII. Erinnerungen an die päpst­lichen Praktiken des 17. Jahrhunderts wachgerufen hatte, drängten sich sicher­lich den Betrachtern beim Anblick der Malteserkirche auch Parallelen zur Kunstpropaganda der Kardinalnepoten des 17. Jahrhunderts auf. Deshalb tat Giovanni Battista Rezzonico gut daran, sich von Piranesi noch ein visuelles Alibi zur Abschwächung seiner Selbstverherr­lichung zu verschaffen, das ebenfalls der Kirchenfassade inkorporiert wurde. Betrachtet man die heutige Fassade und vergleicht sie mit dem Stich Cassinis, so fällt auf, dass sich das Malteserwappen im Giebelfeld auf Cassinis Stich nicht wiederfindet. (Abb. 73) Stattdessen zeigt er eine tiarabekrönte Wappenkartusche mit schräg von links oben nach rechts 81 Der grüne Patriarchenhut kommt nicht in Frage, da Giovanni Battista kein Patriarch war und sicher­lich kaum auf ein solches Amt aspirierte. 82 Vgl. Kap. IV.2. der vorliegenden Arbeit. 83 Ilari, Il Granpriorato (1998), S. 98. Ebenso wurde Monsignore Romualdo Braschi von seinem Onkel Pius VI. 1784 zunächst zum Prior und 1786 zum Kardinal ernannt. Ebd., S. 106. 84 Francesco de’ Ficoroni, (wie Anm. 61), S. 79. 85 So Wilton-­Ely, The mind and art (1978), S. 93; Panza, Piranesi al Piorato (1995), S. 68.

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unten verlaufenden Streifen. Unschwer lässt sich hier das Wappen Pius’ V. ausmachen. Dass seine Darstellung nicht der künstlerischen Freiheit Cassinis geschuldet ist, lässt sich nicht nur anhand des von Panza in seiner Disserta­tion in Auszügen publizierten „Libro dei conti“ belegen, einer preziosen Quelle, die detailliert die einzelnen Schritte des Umbaus auflistet, sondern auch durch den von Critien veröffent­lichten Visita­tionsbericht eines Malteserritters, der kurz nach dem Umbau das Prioratsgelände besuchte und dabei explizit das Wappen im Giebelfeld der ­Kirche benannte.86 Diesen beiden Quellen kann man auch die Anbringung der heute nicht mehr vorhandenen Inschrift entnehmen, die sich auf der Platte oberhalb des Sarkophags befand und explizit auf Giovanni Battista Rezzonico als Auftraggeber des Umbaus verwies.87 Die Existenz des Pius-­Wappens ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei nicht, wie aus dem „Libro dei conti“ hervorgeht, um ein von Piranesi für die Fassade ex novo geschaffenes Wappen handelte, sondern dass es vom Giebelfeld der alten Fassade stammte und an dieser exponierten Stelle auch wieder angebracht wurde.88 Vor dieser spolienartigen Verwendung des Wappens an der neuen Fassade stellt sich zwangsläufig die Frage, ­welche Inten­tionen Auftraggeber und Architekt damit verfolgten. Die Wiederanbringung des Pius-­Wappens im Giebelfeld brachte den Bau unübersehbar mit der Person des heiliggesprochenen Papstes in Verbindung, dem sich auf den ersten Blick alle anderen Verweise auf Orden und Großprior unterzuordnen schienen. Durch die als „Erneuerung“ deklarierte Überformung des von Kardinal Bonelli wohl nicht zuletzt in Gedenken an seinen Onkel errichteten Baues konnte sich Rezzonico vor allem als sachgerechter Verwalter der Memoria-­Stiftung des heiliggesprochenen Papstes stilisieren lassen. Besonders sinnfällig wurde dies auf der direkt unterhalb des Wappens auf dem Sarkophagdeckel eingemeißelten Inschrift zum Ausdruck gebracht, die gleichzeitig den Mittelpunkt der Fassade ausmachte und die den Papstnepoten als „Restaurator“ und „Ornator“ der Ordenskirche feierte. Gleichzeitig lieferte der visuelle Bezug auf die Person Pius’ V. dem Großprior auch das Alibi, vor welchem sich die exzessive Vereinnahmung der Ordenskirche rechtfertigen ließ. Denn die Omnipräsenz der heraldischen Wappenteile der Rezzonico, die an der Fassade jedoch in gewisser Weise dem Papstwappen untergeordnet waren, musste für die im Entschlüsseln codifizierter Verweise geübten Augen eines frühneuzeitlichen Betrachters unweiger­lich auf die Funk­tion von Devo­tions- oder Patronagewappen anspielen, die durch Einbeziehung entweder des vollständigen Wappens oder aber auch nur durch einzelne Elemente auf bestimmte, zumeist klientelär-­sozia­le Verbindungen mit dem Wappengeber hinwiesen.89 Im Falle Rezzonicos und der Prioratskirche darf man die gesamte Fassade als Projek­tionsfläche verstehen, in welcher dem Papstwappen nun vor dem Hintergrund der visuellen Vereinnahmung der K ­ irche auch die Funk­tion eines „Legitima­tionswappens“ zukam. 86 Ebd., S. 78; Critien, Un manoscritto (1998), S. 83. Ebenso führt das Diario Ordinario di Roma, Nr. 7695, am 25. Oktober 1766 in der Beschreibung der ­Kirche das Pius-­Wappen an der Fassade auf. 87 Vgl. Anm. 77 dieses Kapitels. 88 Panza, Piranesi al Priorato, S. 78. 89 Vgl. Reinhard, Sozia­lgeschichte der Kurie (1979).

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Und noch in einem dritten Punkt war der Papstheilige dem ambi­tionierten Papstnepoten von Nutzen. Denn Pius V., an dessen vorbildlicher Lebensführung aufgrund seiner Heiligsprechung kein Zweifel bestehen durfte, konnte zwar nicht mit den großen Nepotenförderern unter den Päpsten der Renaissance und des Barock verg­lichen werden. Doch selbst er, der eine rigide Sparpolitik proklamiert hatte und den eigenen Worten nach eine Versorgung und Förderung seiner Verwandten ausschloss, hatte am Ende doch einen ausgesprochenen Familiensinn gezeigt. Die Vergabe des Malteserpriorats an seinen Neffen Kardinal Bonelli war nur eine von zahlreichen nepotistischen Gesten, die der heiliggesprochene Papst während seines Pontifikats an seiner Familie vollzogen hatte.90 Damit konnte nun auch den immer wieder zu hörenden kritischen Stimmen am Nepotismus Clemens’ XIII., für den nicht zuletzt die Vergabe des Priorats an Giovanni Battista stand, ein entkräftendes Argument entgegengesetzt werden. Der Nepotismus war und blieb eine Konstante innerhalb der päpst­lichen Wahlmonarchie, die sich an der Fassade von Santa Maria del Priorato sogar durch den visuellen Verweis auf einen Heiligen mora­lisch rechtfertigen ließ. Die Vorbilder dieser profanen Vereinnahmung der Kirchenfassade durch den Papstnepoten zum Zwecke von Selbstdarstellung und Memoria sind nun weniger in Rom als in Venedig, der Heimatstadt Piranesis und der Rezzonico, zu suchen. Zahlreiche Kirchenfassaden dienten dort den venezianischen Adligen zu ähn­lichen Zwecken und sie ließen dort dazu nicht nur Inschriften, Statuen oder Büsten anbringen, sondern auch Kenotaphe aufstellen. Eine dieser Kirchenfassaden war die von San Moisè, der Taufkirche Piranesis,91 ­welche im Auftrag der Adelsfamilie Fini in eine monumentale Grabanlage verwandelt worden war.92 (Abb. 78) Mög­licherweise hatte Piranesi diese oder eine der anderen K ­ irchen vor Augen, als er im Zentrum der Fassade den monumentalen Sarkophag platzierte und damit die K ­ irche auch als Grabeskirche auswies. Nicht auszuschließen ist außerdem, dass Giovanni Battista Rezzonico in den ersten Jahren seines Priorats auch in Erwägung gezogen hatte, sich selbst in der Malteserkirche begraben zu lassen. Diesen Gedanken hat bereits Anthony Clark geäußert, der auch eine Zeichnung Piranesis für das Grabmal des Priors erwähnt, die sich allerdings im Rahmen dieser Studie nicht auffinden ließ.93 Doch obwohl schrift­liche Belege fehlen, ist der Gedanke keineswegs abwegig, nicht zuletzt deswegen, da sich die Inschrift 90 Aus dem Großpriorat finanzierte Pius V. auch den Unterhalt der fünf Kinder seines Cousins P ­ aganino Ghislieri, denen er jedem eine jähr­liche Pension von 200 Goldscudi aus den Prioratseinkünften zubilligte. Mori, I Ghislieri (1988), S. 37. Die Kardinalsernennung, die zwar auf Druck des Kardinalskollegiums 1566 geschehen war, brachten Bonelli bald jähr­liche Einkünfte von 25000 und mehr Scudi. Dessen jüngeren Bruder Michele hatte der Papst außerdem 1570 zum capitano generale della chiesa ernannt, eine Entscheidung, die angesichts der militärischen Unerfahrenheit des neunzehnjährigen Nepoten und vor dem Hintergrund der sich gerade formierenden antitürkischen Liga in Rom auf völliges Unverständnis und Ärger stieß. Vgl. die diesbezüg­lichen Einträge im DBI 11 (1969) von Prosperi, S. 766 – 774 und Zapperi, S. 774 f. 91 Foscari, Giambattista Piranesi (1983), S. 269. Piranesi wurde dort am 8. November 1720 getauft. 92 Zur Profanisierung sakraler Fassaden in Venedig vgl. Gaier, Facciate sacre (2002). 93 Clark, Brief Biography (1965), S. 31. Clark nennt keine Quelle für seine Angabe.

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78 Venedig, San Moisè

mit dem Verweis auf Rezzonico direkt auf dem Sarkophagdeckel befand. In jedem Falle wurde die Grabesmetaphorik als basso continuo in die Gestaltung der K ­ irche eingebunden.94 Dabei wird die Fassade einmal mehr zur Einleitung in das Thema, welches im Inneren der K ­ irche konsequent weiterentwickelt wird. Dies spiegelt sich bereits in der Architektur wider. Denn die Aufstockung der Fassade durch eine Attikazone sicherte nicht nur die Fernsichtigkeit der Prioratskirche. Ein Blick auf das graphische Œuvre Piranesis zeigt, dass die architektonischen Vorbilder für eine über einem Dreiecksgiebel errichtete Attika nicht nur in den Triumphbögen, sondern auch in den von Piranesi gezeichneten monumentalen Phantasiebauten römischer Grabmausoleen zu finden waren, so auch auf einer 1743 von Piranesi im „Prima Parte di Architetture e Prospettive“ publizierten römischen Kaisergrab­ anlage. (Abb. 79)

94 Auf die Betonung der Grabesmetaphorik verweist schon Barry, Rinovare (2006), S. 93.

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79 Giovanni Battista Piranesi, Mausoleo antico, in: Prima Parte di Architetture e Prospettive …, Rom 1743

Den Übergang ­zwischen der Außenfassade und dem Innenraum bildete das Rundfenster. (Abb. 74) Im Zentrum des Sarkophags gelegen, referierte es in Form und Lage auf den Clipäus, die kreisförmige Fläche mit dem Bildnis der Verstorbenen an den antiken Sarkophagen, wodurch es in einem doppelten Sinne zu einem Scharnier z­ wischen Innen und Außen wird. Dabei nimmt Piranesi fast spiegelbild­lich im Inneren das Motiv des Sarkophags in seine Altargestaltung auf. Wie wichtig ihm dieser Gedanke ist, zeigt eine überlieferte Entwurfszeichnung, die, während sie gedank­lich um die Gestaltung des Altaraufsatzes kreisen, konstant die Form des Sarkophages als Mensa bewahren.95 (Abb. 72/80) Vor ­diesem ikonographischen Motiv lässt sich nun auch die besondere Aufmerksamkeit erklären, die den in der ­Kirche befind­lichen Grablegen beim Umbau zuteilwurde. Für die Geschichte des Ordens waren einige der dort bestatteten Ritter durchaus nicht unbedeutend: so der 1395 gestorbene Riccardo Caracciolo, der während der Zeit des Kirchenschismas, welches auch den Orden gespalten hatte, römischer Großmeister des Ordens war, und ebenso dessen direkter Nachfolger Fra’ Bartolomeo Carafa, der 1405 von den Römern hingerichtet wurde.96 Unter Piranesi, dem zweifelsohne Borrominis Umgestaltung 95 Eine weitere Zeichnung befindet sich in der Pierpont Morgan Library, New York, Inv. Nr. 1942.26. Abgebildet u. a. bei Jatta, Piranesi (1998), S. 182. 96 Beim Umbau unter Kardinal Bonelli waren diese Gräber aus der K ­ irche geschafft worden, während sie unter dem Prior Aldobrandino Aldobrandini wieder im Inneren Aufstellung fanden. Vgl. Biasotti, Il Priorato dei Giovanniti (1932), S. 665 – 667; Bosio, Dell’Istoria (1629), Parte II, Libro IV, S. 150.

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80 Giambattista Piranesi, Vorstudie für den Altar der Malteserkirche, 1765/66, Berlin, Kunstbibliothek

der Lateranbasilika mit der vorgenommenen Neuanordnung der dortigen Grabanlagen vor Augen stand, erfuhren die vorhandenen Grabmäler längst verstorbener Malteserritter bzw. römischer Adliger eine neuer­liche Aufwertung.97 Damit ließ sich die Person seines Auftraggebers bestens in eine Kontinuitätslinie mit der Memoria des Ordens bringen, was angesichts der bereits ausführ­lich besprochenen Mög­lichkeit des enormen sozia­len Kapitals, welches die Verbindung mit dem Orden für die Rezzonico mit sich brachte, von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Aufgrund der Neuakzentuierung des Innenraumes durch die rhythmische Verkleidung der Wände mit Stuckpilastern und dazwischen gelegten, wenn auch flachen Nischen, die jeweils ein Grabmal aufnahmen, gelang es Piranesi nun, jedem Grabmal seinen

97 Grundlegend zur legitimierenden Funk­tion des Verweises auf verstorbene Ahnen vgl. Rader, Grab und Herrschaft (2003).

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81 Eingangsportal zum Malteserpriorat

eigenen, würdevollen Platz zu schaffen, ohne dass dadurch die Einheit­lichkeit des Raum­ eindruckes aufgegeben worden wäre. Schließ­lich wurden an den Wänden der Apsis zwei weitere Grabplatten von Ordensbrüdern, die bei den Arbeiten an der Verstärkung der Fundamente aufgefunden worden waren, aufgestellt. Es dürfte für Giovanni Battista Rezzonico ein gewisser Glücksumstand gewesen sein, dass es sich bei einer von diesen um diejenige des 1465 in Rom verstorbenen venezianischen Malteserritters ­Giovanni Diedo handelte und ihn die Grabinschrift „Frati Joanni Dido P[at]tricio Veneto“ überdies explizit als Spross einer alteingesessenen venezianischen Familie auswies.98 Fernab der starren sozia­len Hierarchien seiner Heimatstadt konnte der dem venezianischen Neuadel angehörende Rezzonico nun dank seines Amtes für die Memoria seines Landsmannes Sorge tragen, wobei er diese ganz seiner eigenen unterordnete. Beigesetzt wurde Giovanni Battista Rezzonico jedoch nicht in seiner Ordenskirche, für die Piranesi mit der monumentale Platzanlage an der süd­lichen Seite der K ­ irche noch einen eigenen Zugang geschaffen hatte, wo er die semantischen Konnota­tionen des Baues (Grabesmetaphorik und Verherr­lichung der Familie) für den ankommenden Besucher bereits aufgriff.99 Als Rezzonico 1783 starb, wurde er in seiner Titelkirche San Nicola in Carcere bestattet. Und es mag fast als Ironie der Geschichte erscheinen, dass sein Grabmal, 98 Die gesamte Inschrift bei Forcella, Iscrizioni (1876), Bd. VII, S. 261. 99 Dazu Barry, Rinnovare (2006), S. 93; Wilton-­Ely, The mind and art (1978), S. 95. Barry bringt die Gestaltung des rechteckigen Platzes mit seiner Abfolge von Stelen und Obelisken bereits mit der antiken Gräberstraße der Via Appia in Zusammenhang.

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82 Vorplatz des Malteserpriorats

welches seine drei Brüder bei dem eng­lischen Klassizisten Christopher Hewetson in Auftrag gaben, nun so gar nichts mehr von der barocken Inszenierungskraft spüren ließ, welcher sich Rezzonico so exzessiv bedient hatte, um sich selbst und seine Familie innerhalb der römischen Stadttopographie zu inszenieren.100 Allerdings fand Piranesi in der Prioratskirche seine letzte Ruhestätte und dies auf ausdrück­lichen Wunsch des Priors, der für den verehrten Künstler, wie sich auch heute noch in der Inschrift am Sockelrand des Grabmals nachlesen lässt, die zweite Kapelle auf der rechten Seite zur Verfügung stellte.101 Damit widersetzte er sich allerdings dem Willen Piranesis, der für sich selbst Santa Maria degli Angeli als Grabstätte ins Auge gefasst hatte und dort nach seinem Tod vorerst auch beigesetzt wurde. Durch die Translozierung des Leichnams gelang dem ehrgeizigen Prior nach der Vereinnahmung der Ordenskirche am Ende auch die Vereinnahmung des Künstlers.102 Um den Malteserkomplex und seine Vereinnahmung durch die Rezzonico jedoch vollständig fassen zu können, muss abschließend noch ein kurzer Blick auf die rechteckige Platzanlage geworfen werden, die Piranesi süd­lich der K ­ irche errichtete und die von einem an drei Seiten begrenzenden Mauerring gebildet wird. Der Architekt bezog dabei das an der west­lichen Seite bereits bestehende monumentale Eingangstor zum Prioratsgarten mit ein, welches von nun an den Hauptzugang zum Malteserkomplex bilden sollte.103 (Abb. 81/82) Die architektonische Struktur des alten Tores zeichnet sich durch eine breite, von einem übergiebelten Portal durchbrochene sowie von Blindfenstern und Pilastern rhythmisch gegliederte Mauerfläche aus, die Piranesi durch die Belegung mit einer umfangreichen Ornamentik nun aber völlig neu besetzte. Wie an der Kirchenfassade, so oszilliert auch hier das 100 Vgl. Kap. IV.6. der vorliegenden Arbeit. 101 Davon zeugt die Inschrift auf dem Sockel. Forcella, Iscrizioni (1876), Bd. VII, S. 263. 102 Focillon, Piranesi (1918), S. 313. 103 Gallavotti Cavallero / Montini, Santa Maria in Aventino (1984), S. 55.

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83 Reliefplatte am Eingangsportal

decorum in einer eindeutigen Zweideutigkeit. Auf den Sitz des Malteserpriorats verweisen klar die achtspitzigen Ordenskreuze, ­welche unterhalb der Kapitelle medaillongleich auf den Pilastern ruhen. Doch bereits in die über dem Portal trophäenartig angeordneten militärischen Insignien des Ordens – Schiffsteile, Schilde, Säbel, Fahnen und Rüstungen – drängt sich erneut und unübersehbar der Verweis auf Auftraggeber und Familie. Wieder taucht der das Innere und Äußere der K ­ irche so exzessiv prägende Turm aus dem Familienwappen auf, d ­ ieses Mal auf einem der Schilde, womit einmal mehr auf fast spitzfindige Weise eine vermeint­liche Verbindung der Rezzonico zur militärischen Vergangenheit des Ordens suggeriert wird. Auf diese militärische Tradi­tionslinie verweist auch der Inhalt der queroblongen Relieffelder, die seit­lich des Portals oberhalb der Blindfenster das Mauerwerk schmücken und für die, wie John Wilton-­Ely überzeugend nachweisen konnte, die Platten eines römischen Frieses des kapitolinischen Museums Piranesi als Vorbild dienten.104 Helme, Bögen, Speere, Köcher und anderes militärisches Gerät sind piktogrammartig übereinandergelegt. Im linken Relief windet sich gar eine Schlange um einen Köcher, mög­licherweise eine Allusion auf den Stab des Äskulap und damit auch auf die karitativ-­medizinischen Aufgaben des Ordens. (Abb. 83) Das Zentrum dieser Felder ist jedoch für den doppelköpfigen und bekrönten Adler des Rezzonico-­Wappens reserviert, der vor einem jeweils lorbeerbekränzten Wappenschild seine Schwingen ausbreitet. Auf diese heraldische Vereinnahmung des Eingangsportals durch den Prior hat bereits Wilton-­Ely hingewiesen, doch niemandem ist bisher aufgefallen, dass neben Turm und Adler hier ein drittes heraldisches Element aus dem Rezzonico-­Wappen zur Darstellung kam, ja, dass ­dieses Element das Eingangsportal sogar regelrecht dominiert und in seiner semantischen Doppeldeutigkeit bereits an der Kirchenfassade zu finden ist. Dem zeitgenös­sischen Betrachter wird nicht entgangen sein, dass die zwischen den Reliefplatten und den Blindfenstern angebrachten Kartuschen­, die jeweils ein gleichschenkliges Kreuz tragen, nicht nur in stilisierter Form das Malteserkreuz wiedergeben, sondern dass einmal mehr ein heraldisches Element des Familienwappens aufgegriffen wird, näm­lich das Kreuz aus dem linken oberen Wappenfeld. Dieses schmückt auch den

104 Wilton-­Ely, The mind and art (1978), S. 95.

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84 Stiftertafel auf dem Vorplatz des Malteserpriorats

von Piranesi zur Wappenkartusche geformten Schlussstein des Portalbogens, über dem die militärischen Insignien des Ordens angebracht sind, womit es gleichzeitig zur Stütze und zum Schild der Malteser wird. Doch das triumphale Eingangstor bildet nicht den eigent­lichen zentralen Punkt, auf ­welchen die piazza ausgerichtet ist. Die Mauern an der süd­lichen und öst­lichen Seite werden akzentuiert von einer Abfolge von Stelen und Obelisken, die Fabio Barry mit der antiken Gräberstraße der Via Appia in Zusammenhang bringt,105 womit bereits hier auf die Funk­ tion von Santa Maria del Priorato als Begräbniskirche der Ordensmitglieder verwiesen wurde. Abermals trifft man hier auf den Stelen auf die emblematische Verwendung von Ordens­ insignien und Elementen aus dem Rezzonico-­Wappen, so als ob sie Inschriften ersetzen würden. Dieses doppeldeutige Spiel mit architektonischen und ornamentalen Symbolträgern

105 Barry, Rinnovare (2006), S. 93.

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85 Anatolio Scifoni, Piazza dei Cavalieri di Malta in Rom, Turin, Palazzo Reale

wird auch noch in der perspektivischen Achsenführung der Platzanlage deut­lich. Piranesis Gespür für die perspektivisch bestimmte Rauminszenierung resultiert nicht nur aus seiner Zeit als Vedutenzeichner, sondern reicht zurück bis in die frühen Jahre seines Schaffens, als er in der ­barocken Opern- und Theaterwelt Venedigs als Bühnenbildner Fuß zu fassen suchte.106 Denn er verkehrte die perspektivische Hauptachse, indem er einerseits den Haupteingang durch die monumentale Toranlage an der Nordwestseite des Platzes besonders hervorhob, andererseits aber den Blick des ankommenden Betrachters zuallererst auf die monumentale Stiftertafel am Ende der südwestlichen Seite der rechteckigen Platzanlage lenkte. Ihre Anbringung ­zwischen zwei Obelisken und der Inszenierung als Grabstele unterstrich noch einmal den Ewigkeitsanspruch, den der ambi­tionierte Bauherr auf dem Aventin im Sinne seiner Verherr­lichung verfolgte. (Abb. 84) Mit dem Malteserplatz hatte Piranesi für den Papstneffen eine der letzten, wenn nicht gar DIE letzte barocke Platzanlage geschaffen, die Rom seinen Päpsten und ihren Verwandten zu verdanken hatte. Allerdings lässt sich die wirksam inszenierte Erhabenheit des Ortes für den heutigen Besucher nicht mehr in allen Facetten nachvollziehen. Das im 19. Jahrhundert errichtete Kloster San Anselmo hat die Platzarchitektur in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt und die vorher isolierten Mauern, die eine Art Vorhof zum Prioratsgelände bildeten, nun fast zu einer Staffage der dahinterliegenden Architekturen werden lassen. Anatolio Scifonis Gemälde gibt jedoch noch einen Eindruck von der ursprüng­lichen Wirkung des Platzes mit seinen hohen Mauern und den noch höheren Stelen und Obelisken, die das längst vergangene Rom fast museal evozierten. (Abb. 85)

106 Miller, Archäologie (1978), S. 431 f.

Familientod und Papstgrabmal  |  313

6. Familientod und Papstgrabmal Am 2. Februar 1769, drei Jahre nach der Vollendung des Ensembles auf dem Aventin, das den Zeitgenossen so sinnfällig die Apotheose der Rezzonico vor Augen führte, starb der Papst. Damit war für die Rezzonico der Moment gekommen, sich in ihrer Rolle als ehemalige Papstfamilie unter der Regierung des neuen Pontifex zu behaupten. Jetzt musste sich zeigen, ob der von Clemens XIII. so exzessiv gepflegte Nepotismus sich als tragfähig erwies, um den einmal erlangten Status und Einfluss der Familie auch in der postpontifikalen Zeit aufrechtzuerhalten. Wie häufig dabei von Seiten der Papstfamilien in einem für sie jeweils kritischen Moment insbesondere visuelle Strategien zur Statusbehauptung eingesetzt wurden, und dass dabei der Errichtung von Grabmälern für die verstorbenen Päpste eminente Bedeutung beigemessen wurde, haben vor allem im vergangenen Jahrzehnt die Studien des an der Humboldt-­Universität und der Universität Freiburg/ Schweiz angesiedelten REQUIEM-Projektes gezeigt.1 So muss vor dem Hintergrund der Statusaffirma­tion in der postpontifikalen Phase auch das Grabmal für Clemens XIII. in den Blick genommen werden, das die Nepoten einmal mehr von einem Landsmann, in ­diesem Falle von dem venezianischen Bildhauer Antonio Canova, in Sankt Peter errichten ließen. Daraus ergibt sich gleichzeitig die Frage, wie es mit der Memoria-­Stiftung der Familie am Ende des Pontifikats, welches auch das Ende der Familiengeschichte einläutete, generell bestellt war. Die Familie in der postpontifikalen Zeit Clemens XIII . hatte unter karrierepolitischen Gesichtspunkten die Karten seiner vier Nepoten gleichermaßen geschickt gespielt und ihnen einflussreiche und zum Teil gut dotierte Ämter verliehen, die entweder auf Lebenszeit vergeben und somit auch im Nachfolgepontifikat von den Nepoten wahrgenommen wurden oder aber trotz Pontifikatswechsels eine Kontinuität im Erklimmen der kurialen Karriereleiter gewährleisteten.2 Damit war bereits vom Papst verhindert worden, dass die Neffen innerhalb der kurialen Strukturen unter seinen Nachfolgern, die wiederum ihrerseits die eigenen klientelären Netzwerke installieren wollten, zu sehr an den Rand gedrängt wurden. So blieb Carlo,

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Zu den Ansätzen des REQUIEM-Projektes vgl. Bredekamp / Karsten / Reinhardt / ­Zitzlsperger, Vom Nutzen des Todes (2001). Die Projektdatenbank ist im Internet unter www.requiem-­project.de frei zugäng­lich. Vgl. auch Bredekamp / Reinhardt, Totenkult (2004); K ­ arsten / Zitzlsperger (Hg.), Tod (2004); Dies. (Hg.), Grab (2007); Dies. (Hg.), Vom Nachleben (2010). Grundlegend zur Funk­tion von Grabmälern etwa Behrmann, Die Rückkehr des lebenden Toten (2004). Am Beispiel des Grabmals für Urban VIII. zeichnet Behrmann detailliert nach, wie das nach Plänen Gianlorenzo Berninis gestaltete Monument von seinen Nepoten als zentrales Mittel im Kampf um die postpontifikale Statusbehauptung eingesetzt wurde. Vgl. Kap. IV.2.

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der Kardinalnepot, bis zu seinem Tode das ebenso prestige- wie einkunftsträchtige Amt des Kardinalkämmerers der Heiligen Römischen K ­ irche erhalten, in das er von seinem Onkel 1763 berufen worden war. In dieser Funk­tion führte der Papstneffe während der Sedisvakanzen von 1769 und 1774 auch interimistisch die Kuriengeschäfte.3 Überdies aber hegte Carlo Rezzonico, der von den Zeitgenossen als fromm, uneigennützig und den Kabalen des päpst­lichen Hofes abgeneigt beschrieben wurde, wenig Interesse am politischen Tagesgeschäft, was bereits während des Pontifikats seines Onkels immer wieder kritisch angemerkt wurde.4 Stattdessen widmete er sich mit großem Ernst seinen bischöf­lichen Aufgaben, denn Clemens XIV. hatte ihn 1773 zum Kardinalbischof erhoben und ihm das suburbikarische Bistum Sabina verliehen.5 Nach Ansichten des päpst­lichen Beichtvaters Antonio Maria Borini handelte es sich dabei schon aufgrund seiner unwirt­lichen Lage in den Sabiner Bergen nordöst­lich von Rom um ein wenig erstrebenswertes Bistum, da die bischöf­lichen Visita­tionen der einzelnen Pfarreien nur unter größten Strapazen durchgeführt werden konnten. Darüber hinaus versprach das Bistum geringfügige Einnahmen, was Borini zu der Aussage veranlasste, er hoffe, dass der Kardinalnepot in Bälde das Bistum wechseln werde.6 Diese Hoffnung sollte sich im nachfolgenden Pontifikat erfüllen. Ein Jahr nach seiner Wahl auf den Stuhl Petri setzte Pius VI. Braschi (1775 – 1799) den Kardinalnepoten als Bischof des suburbikarischen Bistums Porto und Santa Rufina ein, was ihm zugleich auch die Stellung als Vize-­Dekan des Kardinalskollegiums einbrachte.7 Schließ­lich ernannte ihn Pius VI. 1777 zum Sekretär des Sant’Uffizio, das heißt der Inquisi­tion.8 Denn der Papst verdankte dem Kardinalnepoten selbst seinen Aufstieg: Sieben Jahre lang war er Auditor des camerlengo gewesen, dessen Fürsprache bei Clemens XIII. auch dazu geführt hatte, dass Braschi 1766 zum tesoriere generale della Camera apostolica berufen worden war.9 So bewertete Gaetano Moroni in 3 4 5 6

7 8

9

Ebd., Anm. 30. Ebd., Anm. 29. HC, Bd. VI, S. 20. BMV e, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (12. März 1774): Mi piacerebbe che mutasse titolo di Vescovato, per esser la Sabina troppo incomoda del viaggio delle visite […] [e] di pochissima rendita per il Vescovo. Ebd. (16. September 1775), mit Bezug auf eine mög­liche Reise Carlo Rezzonicos nach Venedig: Se il Camerlengo venisse a Venezia, sarebbe possibile avere la mia mossa, ma per lui è impossibile più per l’attacco al vescovato veramente pieno di guai in ogni linea di quello sia per il Camerlengato. Ebd. (14. Oktober 1775): Prego Iddio, che muti Vescovato perchè la Sabina è una gran agitazione per lui in spiritualibus, et economias. HC, Bd. VI, S. 20. Der Inhaber des sububikarischen Bistums Porto und Santa Rufina war automatisch Vize-­Dekan des Sacro Collegio. Chiabò / Ranieri / Roberti, Le Diocesi suburbicarie (1988), S. 96. BMV e, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (18. Januar 1777): Il N. S. Cardinale Camerlengo ha assunto il grado di Secretario del S. Offizio, che pensava di ricusarlo, ed io ho procurato con buona maniera di persuaderlo à riceverlo, sul riflesso di non introdurre l’abuso, il quale poi passa in esempio. Caffiero, Pio VI (2000), S. 493 f. Im September 1759 hatte Clemens XIII. seinem Neffen Braschi als Sekretär und Auditor empfohlen.

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seinem Eintrag zu Carlo Rezzonico im „Dizionario Ecclesiastico“ dessen Ernennung zum Erzpriester des Laterans 1780 auch als „gratitudine alla protezione, che il cardinale gli [Gian Angelo Braschi] aveva accordata presso lo zio, che preparò la sua esaltazione, poiché fu suo uditore del camerlengato“.10 Giovanni Battista Rezzonico hingegen war hinsicht­lich seiner eigenen Karriere von einem unstillbaren Ehrgeiz erfüllt. Seine Hoffnung auf ein Kardinalat, die bereits in der Gestaltung der Apsis der Prioratskirche unverhohlen zum Ausdruck gekommen war, sollte unter dem Nachfolger Clemens’ XIII. end­lich erfüllt werden. Denn obgleich der Rezzonico-­ Papst seinem zweitjüngsten Neffen trotz dessen heftigen Bemühungen den roten Hut verweigert hatte, brachte er ihn doch mit der Stelle des maggiordomo in „Startposi­tion“. Von hier aus hatte Giovanni Battista die besten Chancen, ins Kardinalat „weggelobt“ zu werden, um einem vertrauenswürdigen Gefolgsmann des neuen Papstes in d ­ iesem Amt, das die praktische Alltagsarbeit des päpst­lichen Hofstaats im Aposto­lischen Palast koordinierte, Platz zu machen.11 Zugute kam ihm außerdem der nicht vorhersehbar gewesene Umstand, dass Clemens XIV. Ganganelli selbst eine Rezzonico-­Kreatur war. Nach dem ungeschriebenen Gesetz der Kurie restituierte jeder Papst im eigenen Pontifikat der Familie jenes Papstes, der ihn zum Kardinal ernannt hatte, den roten Hut. Clemens XIV. hatte also doppelten Grund, den Rezzonico-­Sprössling zu bedenken, was er in seiner vierten Kardinalspromo­tion am 10. September 1770 auch tat.12 Doch damit scheint der Papst seine Dankespflichten gegenüber den Rezzonico als erfüllt angesehen zu haben. Giovanni Battista Rezzonicos eifrige Bemühungen, dem zu designierenden maggiordomo des Aposto­lischen Palastes als pro-­maggiordomo zur Seite gestellt zu werden und damit nicht nur weiterhin über Einfluss im Aposto­lischen Palast zu verfügen, sondern auch dort wohnen bleiben zu dürfen, blieben erfolglos.13 Ebenso scheiterten seine Anstrengungen, vom Papst die Lega­tion Urbino übertragen zu bekommen, worin ihn auch sein Bruder Carlo unterstützt hatte.14 Tief verstimmt und offenbar

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Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 165. Vgl. Kap. IV.2. HC, Bd. VI, S. 26. Dieses Ansinnen war durchaus nichts Ungewöhn­liches. So hatte auch Girolamo Colonna, der unter Clemens XII . 1732 mit dem Amt betraut und 1743 von Benedikt XIV . zum Kardinal ernannt wurde, als pro-­maggiordomo die volle administrative Leitung des Aposto­lischen Palastes samt aller Rechte und Einkünfte mindestens bis 1756 (als er das Camerlengat erhielt), vielleicht aber sogar bis zu seinem Tod im Jahre 1763 behalten. Als maggiordomo wurde ihm sein Neffe Marc Antonio Colonna zur Seite gestellt. Filippo Maria Renazzi (wie Kap. IV .2., Anm. 43), S. 160. Zu Giovanni Battistas Bemühungen siehe BMV e, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (15. September 1770): Egli sperava di rimanere in Palazzo Cardinale Pro-­Maggiordomo, appoggiato anco su la protezione de Francesi, ma il Papa li ha fatto spedire il Vilietto di Pro-­Maggiordomo sino a nuova disposizione, che seguirà dopo la Villegiatura. 14 Ebd. (20. Oktober 1770): Si maneggia molto il Sig Cardinale Gio. Batta, e il Cardinale Carlo aderisce e procura per farli avere la legazione di Urbino ma sin’ ora il Papa sta su la negativa implicita.

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hoch verschuldet, zog er im November 1770 zu seinem jüngsten Bruder in den Senatorenpalast auf dem Kapitol.15 Schließ­lich sollten sich für Giovanni Battista, wie schon für Carlo Rezzonico, erst unter Pius VI. Braschi weitere Verankerungsmög­lichkeiten an der Kurie ergeben. Damit zeigt sich einmal mehr die Gültigkeit des kurialen „A-B-A-Modells“, wonach der Familie eines verstorbenen Papstes erst im übernächsten Pontifikat wieder reale Karrieremög­lichkeiten gegeben waren, da der Nachfolgepapst sich bewusst von den Kreaturen seines Vorgängers abgrenzen und sie aus politischen Schlüsselposi­tionen verdrängen musste.16 Noch am Tag der Papstwahl meldete die „Gazzetta universale“ die Ernennung Giovanni Battistas zum segretario de’ Memoriali,17 ein ausgesprochen einflussreiches Amt, da im Memorialsekretariat die Bittschriften an den Papst eingingen, die von dort weiterbearbeitet wurden. Es handelte sich dabei um einen echten Vertrauensposten im Umfeld des Papstes, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass auch Carlo unmittelbar nach der Wahl Clemens’ XIII. im Juli 1758 ­dieses Amt übertragen bekommen hatte.18 War es Clemens XIII. somit gelungen, seine beiden geist­lichen Nepoten während des Pontifikats aussichtsreich zu posi­tionieren und damit ihre Stellung an der Kurie weitgehend zu sichern, so gilt dies gleichermaßen hinsicht­lich der beiden welt­lichen Nepoten. Ludovico, der Zweitgeborene unter den Brüdern und seit dem Tod des Vaters 1759 das Oberhaupt der Familie, hatte als gonfaloniere del Senato ein wenn auch wenig einträg­liches, so doch im päpst­lichen Zeremoniell fest verankertes Amt inne, was die Sichtbarkeit seiner Person und damit auch diejenige der Familie gewährleistete.19 Jedoch hatte der anhaltende Zwist ­zwischen den Brüdern früh dazu geführt, dass, wie bereits ausgeführt, Ludovico nach Venedig zurückgekehrt war – zur großen Verwunderung der Zeitgenossen.20 Doch in Venedig zeigte sich noch zu Lebzeiten des Onkels, dass er als Neffe des regierenden Papstes 15 Ebd. (27. Oktober 1770): Il Sig. Cardinale Gio. Batta è in furia, e appena ricevuto il viglieto dell’ele­ zione di Archinto, voleva la stessa sera partire di palazzo, e andarsene in Campidoglio; ma è stato consigliato a trattenersi sino alla venuta del Papa. […] Il povero Signore non ha utensili per niente di Cucina; non mobili di Casa non biancheria, perchè tutto era di Palazzo; sicché deve provvedersi, ed è aggravato di debiti; né dal presente papa è stato provveduto. Veramente li è arrivato al cuore il colpo, perchè si era lusingato di rimanere. Ebd., Borini an Giovannelli (10. November 1770): Il nuovo Se. Cardinale Gio. Batta è partito Lunedì scorso di palazzo, ed è passato ad abitare in Campidoglio; scelta disapprovata universalmente, perché più tosto doveva unirsi al fratello Cardinale. 16 Zum „A-B-A-Modell“ vgl. Emich, Karrieresprung (2004), S. 135. 17 Gazzetta universale: o sieno notizie istoriche, politiche, di scienze, nr. 15, Bd. 2, S. 120 (15. Februar 1775): […] per Segretario de’ Memoriali ha nominato l’Eminentissimo Gio. Batista Rezzonico. Am 25. Februar 1775 wird Giovanni Battista allerdings im gleichen Blatt als Pro-­Segretario de’ Memo­ riali bezeichnet. 18 Vgl. Kap. IV.2. 19 Ebd. 20 Ebd. Offenbar scheint Ludovico in Venedig dann auch im Begriff gewesen zu sein, das Familienvermögen zu verspielen, denn es kommt zu einem heftigen Streit mit anschließendem finanziellem Vergleich ­zwischen den Brüdern. ASVr, Fondo Pindemonte Rezzonico, b. 215 (Convenzioni fratelli Rezzonico, August 1782).

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keine herausragende Stellung einnehmen würde. Zwar wurde er 1762 in Nachfolge seines Vaters procuratore und hatte mehrere Ämter im Maggior Consiglio inne, blieb aber, gemäß den Regeln der venezianischen Oligarchie, paris inter pares.21 Seinen deut­lichen Ausdruck fand dies nicht nur darin, dass weder das prominente Wappen in der sala da ballo noch das im Atrium des Familienpalastes mit Tiara und Schlüssel aufgewertet wurde, sondern insbesondere auch, dass nach dem Tod Clemens’ XIII. das Papstwappen an der Fassade des Familienpalastes wieder abgehängt wurde 22 – ein Akt, der in Rom undenkbar gewesen wäre. Somit blieb als welt­licher Papstnepot in Rom nur Abbondio. Als römischer Senator, zu dem er 1766 ernannt worden war, konnte er noch während der cavalcata, des im Rahmen des possesso stattfindenden zeremoniellen Zuges von Sankt Peter zum Lateran, den die neu gewählten Päpste als Zeichen ­­ der Inbesitznahme ihrer ­Kirche vollzogen, mit Clemens XIV. und Pius VI. die Aufwartung zweier Nachfolger seines Onkels entgegennehmen.23 Dadurch war er wie Ludovico sichtbar im römischen Zeremoniell verankert, was sich noch verstärkte, als nach Ludovicos Tod 1787 dessen Amt des gonfaloniere auf ihn überging.24 Schließ­lich, und dies mag das Wichtigste im Hinblick auf die familiären Statusstrategien der Rezzonico gewesen sein, schienen durch Abbondios Hochzeit Anfang 1768 mit Ippolita Boncompagni Ludovisi kurz vor Pontifikatsende die Weichen für den Ausbau der familiären Netzwerke im römischen Hochadel bestens gestellt. Damit verfügten die Rezzonico zum Zeitpunkt des Todes von Clemens XIII. grundsätz­ lich über beste Voraussetzungen, ihre Stellung als Papstfamilie innerhalb der sozia­len Strukturen Roms auch in der postpontifikalen Phase weiter ausbauen und festigen zu können. Doch ein entscheidender und durch nichts zu beeinflussender Faktor stellte sich dem entgegen: Aus der 1758 geschlossenen Ehe ­zwischen Ludovico Rezzonico und ­Faustina Savorgnan waren bisher keine Kinder hervorgegangen. Auch wenn sich während des Jahres 1768 in Rom hartnäckig das Gerücht hielt, Faustina Savorgnan sei schwanger – so zeigte die Zeit, dass es eben nicht mehr war als ein Gerücht.25 Ebenso blieb die an sich

21 Die Ämter, die Ludovico nach seiner Rückkehr nach Venedig ausgeübt hat, finden sich aufgelistet bei Gullino, Da Como (2008), S. 27, Anm. 12. 22 Segue la di lui [Clemente XIII] morte li 2. Febraro 1769 pubblicata in Roma tre giorni dopo; e nella giornata del 7 arrivò a Venezia l’espresso spedito dall’Ambasciatore Cav.r M. Antonio Erizzo a potarne la molesta notizia, fatta pubblica alla Citta tutta nel successivo giorno col suono delle Campane. Dal Palazzo Rezzonico a S. Bernaba fu tosto levato il Blasone della Famiglia, che coll’aggiunta delle divise Pontificie, cioè delle Chiavi, e Camauro [sic!] era stato esposto al tempo di sua esaltazione. Francesco Todeschini, (wie Kap. III, Anm. 43), fol. 179r. 23 Die possessi fanden 1769 und 1775 statt. Fagiolo, Il Settecento (1997), S. 195, 219; Emich, Besitz ergreifen (2005), S. 97 f. 24 Vgl. Kap. IV.4. 25 BMVe, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli, o. P., o. D. [zwischen 2. und 16. Januar 1768]: In Roma si è sparsa la voce, ed è uscita dalla Ambasca­ trice di Venezia, che la Signora D. Faustina sia gravida. Ebd., Brief vom 30. Juli 1768: Giovedì sono stato a piedi di N. S. […], e mi ha replicato non avere alcuna notizia della divulgata gravidanza di D.a Faustina.

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so vielversprechende Verbindung z­ wischen Abbondio und Ippolita Boncompagni L ­ udovisi bis zum Tod des Papstes kinderlos – und auch danach sollte sich daran nichts ändern. Damit war die Familie auf dem Höhepunkt ihres sozia­len Aufstiegs, den sie seit ihrer Ankunft in Venedig kontinuier­lich verfolgt hatte, zum Aussterben verurteilt. Auch die besten familiären Netzwerke an der Kurie nützen nichts, wenn es schlicht an Nachkommen fehlte. Dies mag mög­licherweise ein, wenn nicht sogar der entscheidende Grund gewesen sein, warum es nicht zur Errichtung oder zum Kauf eines eigenen Familienpalastes gekommen war, der doch eigent­lich zur Ausstattung jeder in Rom anwesenden Papstfamilie gehörte.26 Zu Beginn des Pontifikats schienen die Rezzonico den Gedanken an einen eigenen Palast noch verfolgt zu haben, da zweifellos zu ­diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung auf familiäre Kontinuität bestand. So gab es seitens der Familie 1762 den Versuch, den repräsentativen Palazzo Sacchetti in der Via Giulia zu kaufen, dem 1763 Bemühungen um den Palazzo Mellini am heutigen Corso Vittorio Emanuele folgten – doch blieben all diese Versuche aus nicht näher bekannten Gründen erfolglos.27 Ebenso scheiterte 1763 der Kauf des Palazzo Imperiali an der Piazza SS. Apostoli an juristischen Schwierigkeiten. Am Ende mietete ihn der Kardinalnepot Carlo Rezzonico, der dort bis zu seinem Tode residieren sollte.28 Vor dem Hintergrund des unvermeid­lichen Erlöschens der Familie wurde die postpontifikale Phase für die Nepotengenera­tion nunmehr zum Schwanengesang. Dieser Umstand hielt sie aber nicht davon ab, in die eigene Memoria-­Stiftung zu investieren, vor allem durch die Errichtung des Grabmals für ihren päpst­lichen Onkel, obwohl dieser sich explizit gegen die Errichtung eines Grabmals ausgesprochen hatte.29 Dass dem diesbezüg­ lichen Wunsch eines päpst­lichen Souveräns von seiner Familie vor dem Hintergrund des hart umkämpften Sozia­lterrains in Rom nicht zwingend Folge geleistet wurde, hatte beispielsweise schon das von Giuliano della Rovere seinem Onkel gestiftete Grabmal für Sixtus IV. gezeigt, der sich noch dazu in der Inschrift für die Errichtung des prunkvollen Monuments gewissermaßen entschuldigte, da sein Onkel sich doch ausdrück­lich ein

26 So kaufte der Kardinalnepot Neri Corsini 1736 einen Palazzo in Trastevere und ließ ihn von ­Ferdinando Fuga umbauen. Vgl. Borsellino, Palazzo Corsini alla Lungara (1988); Hyde Minor, Amore regalato (2006). Der Papst gab allerdings dazu keinen Pfennig. Kieven, Papstgrabmäler (2008), S. 450. Auch die Familie Pius VI. Braschi ließ sich im Pontifikat ihres Familienpapstes einen repräsentativen Palazzo ­zwischen der Piazza Navona und der Piazza San Pantaleo errichten. Vgl. Ricci, Palazzo Braschi (1989). 27 Pasquali, Roma veneziana? (2008), S. 59, Anm. 13. 28 Ebd., S. 54. Dass Carlo zum Zeitpunkt seines Todes dort noch residierte, geht aus seinem Testament hervor. ASR, Avv. Lelius Manucci, Testamenti, 402, fol. 83r–84r. 29 Dem Dispaccio des lucche­sischen Botschafters Filippo Maria Buonamici vom 24. August 1765 ist zu entnehmen, dass der Papst, als er schwer erkrankte und man ihm die Sterbesakramente erteilte, den Kardinalnepoten Carlo genauestens hinsicht­lich der Begräbnismodalitäten instruierte: Gli [Carlo] proibì di fargli deposito, non volendo che si spendesse se non cinquanta scudi nella sepoltura; anzi, disse: vorrei che fosse rasa per sempre e abolita la memoria di Clemente XIII. Zitiert nach Sforza, Papa Rezzonico (1916), S. 40.

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solches verbeten hatte.30 Doch im Gegensatz zu della Rovere, der damit nachdrück­lich seine Verbindung zu Sixtus IV. unterstreichen wollte, um seinen Aufstieg an der Kurie voranzutreiben (erfolgreich, wie seine Wahl zum Papst Julius II. ­später zeigte), mussten die Memoria-­Bestrebungen der Rezzonico-­Nepoten anders motiviert sein. Auch wenn am Anfang der Planungen noch Hoffnung bestanden haben mag, dass aus der Verbindung des Senators mit Ippolita Boncompagni Ludovisi doch noch Nachkommen hervorgehen könnten – spätestens in der konkreten Planungsphase des Grabmals (seit 1784) war nach sechzehn kinderlosen Ehejahren davon auszugehen, dass keine Nachkommen der Familie aus der pietàs der Nepoten ihrem Onkel gegenüber sozia­les Kapital schlagen würden. Somit ging es am Ende im Falle der Rezzonico vor allem um eins: den Namen ihrer im Aussterben begriffenen Familie unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis Roms einzuschreiben und somit den Kampf gegen das Vergessen aufzunehmen. Die Errichtung des Grabmals für Clemens XIII. Bereits kurz nach dem Tod des Rezzonico-­Papstes kursierten in Rom mehrere Pasquinaten, die beim Volk so beliebten anonymen Spottgedichte, die sich den Nepotismus des Rezzonico-­Papstes zur Zielscheibe ausersehen hatten. Eine davon trug den Titel „Esortazione alli Nipoti del già Defonto Pontefice Clemente XIII a fargli il Deposito“.31 Darin wurden die Rezzonico-­Brüder nachdrück­lich aufgefordert, dem päpst­lichen Onkel umgehend in Sankt Peter ein Grabmal zu errichten, nachdem sie von d ­ iesem zu Lebzeiten so umfassend bedacht worden waren. Doch erst sieben Jahre nach dem Tod Clemens’ XIII. kam es von Seiten der Familie zu konkreten Planungsschritten für ein Grabmal. Wie einem Brief des eng­lischen Jesuitenpaters John Thorpe an seinen Landsmann Lord Charles Howard, 28. Earl of Arundel zu entnehmen ist, überreichte der Architekt Giacomo Quarenghi dem Senator Abbondio Rezzonico am 29. November 1776 eine erste Zeichnung für das Grabmal.32 30 Zitzlsperger, Das Grabmal Sixtus’ IV. (2004), S. 21. Auch Hadrian VI. wurde in der deutschen Na­tionalkirche in Rom ein Grabmal errichtet, obwohl er sich selbst ein schlichtes Begräbnis in seiner Geburtsstadt Löwen gewünscht hatte. Vgl. Götzmann, Die Ehrung (2004), S. 101. Auch im Falle Clemens’ XI. Albani, der sich noch zu Lebzeiten in Sankt Peter eine schlichte Bodenplatte hatte legen lassen, ist das starke Interesse der Familie an einem repräsentativen Grabmal nachzuweisen. Mit einer Bodenplatte war den Albani nicht gedient, wie die Bemühungen des Neffen, Kardinal Annibale Albani, um die Errichtung eines monumentalen Grabmals in Sankt Peter belegen. Dass dies am Ende nicht ausgeführt wurde, hängt wohl mit dem Tod des Kardinalnepoten 1751 zusammen. Vgl. Martin, Projekte (2007); Kieven, Die Papstgrabmäler (2008), S. 441. 31 BAV, Ferrajoli 532, Raccolta Romana. Pasquinate, Satire politiche e Libelli, fol. 190r–191r. 32 Yesterday he [Quarenghi] presented a Design of his own inven­tion for the Monument of Pope Clement XIII in S. Peter. The place chosen by the three Nephews of your deceased holy friend, is by far the most disavatageous of the whole church, but it is directly opposite to that of Gregory XIII, the sake of whose memory, and the present alliance between the two families Boncompagni and Rezzonico, this situa­tion

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Denn obwohl es ein Familienprojekt darstellen sollte, bemühten sich hauptsächlich Carlo und Abbondio um die Umsetzung, wobei die erhaltenen Quellen auf eine Art „Arbeitsteilung“ schließen lassen. Folgt man den Aussagen des Beichtvaters Borini, so war es vor allem der Kardinalnepot, der sich am Anfang um die Beschaffung der nötigen Gelder kümmerte, perché dev’essere un deposito magnifico.33 30000 Scudi veranschlagte die Familie für das in Auftrag zu gebende Werk 34 – eine enorme Summe, wenn man bedenkt, dass das im letzten Pontifikatsjahr des Rezzonico-­Papstes in Sankt Peter enthüllte Grabmal für seinen Amtsvorgänger Benedikt XIV . mit „nur“ insgesamt 10890 Scudi zu Buche geschlagen 35 und auch die Umgestaltung des Aventins wenig mehr als 10000 Scudi gekostet hatte.36 Der Senator hingegen schien wohl primär mit der Wahl des zu beauftragenden Bildhauers beschäftigt zu sein, da sein Salon auf dem Kapitol ein Treffpunkt der interna­tionalen Gesellschaft in Rom war, zu dem auch zahlreiche Künstler gehörten.37 Dank des Briefes von John Thorpe ist auch der ursprüng­lich geplante Aufstellungsort bekannt. In dieser ersten Planungsphase sollte das Grabmal im nörd­lichen Durchgang der Abseiten von Sankt Peter errichtet werden, gegenüber dem Grabmal für Gregor XIII. Boncompagni (1572 – 1585) und in unmittelbarer Nähe des nordöst­lichen Vierungspfeilers. Der Platz war sorgfältig gewählt, wäre doch durch die Gegenüberstellung des Rezzonicound des Boncompagni-­Grabmals in sinnfälliger Weise die Allianz der beiden Familien, die 1768 durch die Ehe ­zwischen Abbondio Rezzonico und Ippolita Boncompagni Ludovisi geschlossen worden war, zum Ausdruck gebracht worden. Bereits ein Jahr zuvor hatte diese Allianz ihre ersten Früchte getragen: Pius VI. hatte Ignazio Boncompagni Ludovisi,

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is preferred to any other. The design characterizes the deceased and is noble. Your Lordship should have a sketch of it, as soon as the Original is realized. Zitiert nach Corradini, Il periodo romano (1997/98), Bd. 2, S. 275. Offenbar hatte sich auch der römische Bildhauer Agostino Penna 1776 (erfolglos) um den Auftrag des Grabmals Clemens’ XIII. beworben. Myssok, Antonio Canova (2008), S. 455, Anm. 2. BMVe, Codice It. X, 480 (12177), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (25. April 1777): Il Camerlengo pensa e va unendo peculio per far il deposito in S. Pietro, del nostro Papa, e questa spesa giungerà più di ventimila scudi, perché dev’essere un deposito magnifico; il Cardinale G. B., e il Senatore scaricano tutto sopra il Camerlengo, e per il Deposito, e per la mansioneria quotidiana eretta in S. Marco all’Altare del B. Gregorio Barbarigo, non hanno voluto concorrere li due sudetti, nemmeno con uno scudo. Ebd., Brief vom 10. Mai 1777: [Carlo] pensa al deposito del nostro Papa, per cui vi si spenderà quasi 30 mille scudi. Am Ende erhielt Canova für das Werk 22000 Scudi. Pavanello, Il monumento funerario (2008), S. 217. Goldhahn, Papst ohne Familie (2004), S. 233. Auch das Grabmal für Clemens X. Altieri (1670 – 1676), das um 1686 nach Plänen des Bernini-­Schülers Mattia de’ Rossi in St. Peter entstand, lag mit Gesamtkosten von 9544,57 Scudi im „Normalbereich“, vgl. Karsten / Pabsch, Das Grabmal Clemens’ X. (1999), S. 300. Vgl. Kap. IV.5. Noè, Rezzonicorum cineres (1980), S. 257 f. Auch Goethe nahm an einem Bankett im Senatorenpalast teil. Vgl. Kap. IV.1, Anm. 46.

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dem Bruder Ippolitas und somit Schwager Abbondio Rezzonicos, 1775 den roten Hut verliehen,38 wobei der Papst ausdrück­lich darauf hinwies, dass es sich dabei einmal mehr um den Akt des rendere il cappello an die Rezzonico handelte, dem eigent­lich schon sein Vorgänger Clemens XIV. hätte nachkommen müssen.39 Unübersehbar lag diese Visualisierung der familiären Allianzen den Rezzonico außerordent­lich am Herzen, denn der anvisierte Platz war mit dem Torso des Grabmals für Gregor XIV . Sfondrati (1590 – 1591) eigent­lich bereits besetzt. Doch die Rezzonico schienen davon auszugehen, von der Baukongrega­tion von Sankt Peter die Erlaubnis zum Abriss des Sfondrati-­Grabmals zu erhalten. Zum einen war das im 16. Jahrhundert begonnene Monument durch die fehlende Papststatue unvollendet geblieben. Zum anderen war es aus Stuck, was Giovanni Pietro Chattard im ersten Band seiner ­zwischen 1762 und 1767 erschienenen „Nuove descrizioni […] della Sacrosanta Basilica di San Pietro“ zu dem Urteil bewegte, es sei privo d’ogni magnificenza, e nobiltà di lavoro, essendo il tutto di stucco, ed in parte colorito.40 Dass unvollendete oder schlecht erhaltene Monumente in Sankt Peter nicht gern gesehen wurden, da sie das decorum der Hauptkirche der Christenheit empfind­lich störten, zeigte das gegenüberliegende Grabmal für Gregor XIII.: Anfang des 18. Jahrhunderts befand sich das Stuckgrabmal in einem derartig unansehn­lichen Zustand, dass der Urgroßneffe Gregors XIII ., Giacomo Boncompagni, von Clemens XI. Albani explizit aufgefordert wurde, umgehend für Abhilfe zu sorgen. Daraufhin schuf Camillo Rusconi ­zwischen 1715 und 1723 ein neues Grabmal in Marmor.41 Doch sieht man von der Mög­lichkeit, die familiären Netzwerke für alle Ewigkeit sichtbar werden zu lassen, einmal ab: Der vorgesehene Platz zählte zu den denkbar ungünstigsten der ­Kirche. Vom Hauptschiff aus überhaupt nicht sichtbar, von den nörd­lichen Abseiten des Langhauses mit ihren schmalen Durchgängen nur bedingt, fehlt dem Ort jeg­liches inszenatorische Potential. Das Grabmal für Clemens XIII. wäre gleichsam in die Ecke gestellt worden. Dass die Sichtbarkeit bei der Suche nach einem angemessenen Aufstellungsort der päpst­lichen Grabmonumente ein wesent­liches Kriterium darstellte, hatten bereits wenige Jahre zuvor die diesbezüg­lichen Querelen bei der Planung des Grabmals für 38 HC, Bd. VI, S. 31. 39 BMVe, Codice It. X, 478 (12175), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (30. September 1775): Avremo in Novembre una piciola promozione, e in questa viene compreso per restituzione di Capello alla Casa Rezzonico Mons.r Boncompagni fratello della Sig.a Senatrice. Il Papa si è espresso col Prencipe di Piombino Padre che questo era un dovere del Ganganelli cui lui supplisce anco per pro­ prio perché il Rezzonico Papa lo ha fatto Tesoriere. In der Tat hatte Borini im Ganganelli-­Pontifikat bereits mehrmals von der erwarteten Promo­tion Ignazio Boncompagni Ludovisis als Akt des ren­ dere il cappello gesprochen, so am 28. September 1771 und am 17. November 1771. 1781 ernannte Pius VI. Kardinal Boncompagni Ludovisi schließ­lich zu seinem Kardinalstaatssekretär. 40 Giovanni Pietro Chattard, Nuova descrizione del Vaticano o sia della sacrosanta Basilica di S. ­Pietro, Rom 1762 (Bd. 1), S. 59. 41 Kieven, Die Papstgrabmäler (2008), S. 443. Vgl. auch Martin, L’emulazione (1998). Das unvollendet gebliebene Grabmal war unmittelbar nach dem Tod des Papstes von seinen Neffen in Auftrag gegeben wurden. Vgl. dazu Krüger, Das ursprüng­liche Grabmal Gregors XIII. (1986).

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Benedikt XIV. gezeigt.42 Ob dies jedoch der einzige Grund war, der die Rezzonico-­Brüder veranlasste, diesen Standort zu verwerfen und damit auf die Mög­lichkeit der visuellen Inszenierung der Familienallianzen zu verzichten oder ob letzt­lich doch die Baukongrega­ tion von Sankt Peter ihr Veto gegen die Nutzung d ­ ieses Platzes einlegte, kann auf der Basis der aktuellen Quellenlage nicht entschieden werden. In jedem Falle muss es bis 1779 zu einem Planungswechsel hinsicht­lich des Aufstellungsortes gekommen sein. Denn in ­diesem Jahr verließ Giacomo Quarenghi Rom, um in Petersburg am Hofe der Zarin Katharina der Großen seinen Dienst als Architekt anzutreten. Davor hatte er jedoch, wie er selber in seiner autobiographischen Skizze schreibt, nicht nur für Abbondio Rezzonico den Entwurf für die Gestaltung der sala della musica im Senatorenpalast auf dem Kapitol geliefert, sondern ­diesem bei seiner Abreise weitere Zeichnungen für das Grabmal seines Onkels übergeben.43 Eine davon hat sich in Venedig im Museo Correr erhalten.44 (Abb. 86) In Anlehnung an die seit dem Grabmal Urbans VIII. fast kanonisch gewordene pyramidale Form des Papstgrabmals zeigt sie den thronenden Papst auf einem Sarkophag, der von den Allegorien der Caritas und Fortitudo flankiert wird. Der Sockel des Grabmals integriert jedoch eine Tür, so dass davon auszugehen ist, dass der endgültige Standort des Grabmals spätestens 1779 ins Auge gefasst wurde: die Nische gegenüber dem nordwest­lichen Vierungspfeiler in Sankt Peter, die in jedem Falle den Inten­tionen der Auftraggeber hinsicht­lich einer wirkungsvollen Inszenierung der Memoria Clemens’ XIII. Rechnung trug.45 Durch Quarenghis Abreise an den Zarenhof kam das Grabmalsprojekt der Rezzonico vorerst ins Stocken. Doch die fortwährende Anziehungskraft Roms auf zahlreiche Künstler, die sich vor Ort dem Studium der antiken Werke widmen wollten, schuf bald Abhilfe. Noch im selben Jahr kam der zweiundzwanzigjährige Venezianer Antonio Canova nach Rom. Dank eines Empfehlungsschreibens bezog er vorerst ein Zimmer im Palazzo Venezia, dem Sitz des venezianischen Botschafters.46 Dadurch erhielt er sofort Kontakt zum römischen Kreis der Venezianer, in dem auch die Rezzonico verkehrten. Wie im Falle Piranesis mögen es hier erneut die landsmannschaft­lichen Bezüge gewesen sein, die den jungen Bildhauer sogleich an die einstige Papstfamilie banden. Im Juni 1780 hatte Canova einer kleinen 42 Goldhahn, Papst ohne Familie (2004), S. 234 – 236. 43 In questo frattempo fu che io venni ricercato per mezzo del Sig. Barone de Grimm per Architetto di questa Impareggabile Imperatrice di tutte le Russie con onorificentissime condizioni; e nel tempo che si trattava questo affare feci per S. E. il Sig. Principe D. Abbondio Rezzonico Senatore a Roma la sua Sala di Musica in Campidoglio, che fu terminata del tutto dopo la mia partenza da Roma, e lasciai al suddetto signore più Disegni per il Deposito di Clemente XIII. Abgedruckt bei Francesco Maria Tassi, Vite de’ pittori, scultori e architetti bergamaschi, Bergamo 1793, Bd. 2, S. 147. 44 Fiocco, Introduzione (1967), S. 19 f., bringt die Zeichnung Nr. 6171 im Museo Correr erstmals mit dem Grabmal für Clemens XIII. in Verbindung. 45 Diese Nische war bereits knapp zwei Jahrzehnte zuvor als Aufstellungsort des Grabmals für ­Benedikt XIV. ins Auge gefasst worden, doch hatte damals die Bauhütte von Sankt Peter den Platz nicht freigegeben. Goldhahn, Papst ohne Familie (2004), S. 236. 46 Honour, Canova’s Theseus (1969), S. 1.

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86 Giacomo Quarenghi, Entwurf für ein Papstgrabmal, Zeichnung, Venedig, Museo Correr

Öffent­lichkeit den Gipsabguss seiner lebensgroßen Marmorgruppe „Dädalus und Ikarus“ (Abb. 87) vorgestellt, mit der er kurz vor seiner Abreise nach Rom in Venedig Aufsehen erregt hatte und mit der er nun auch in Rom seine künstlerischen Fähigkeiten zur Schau stellte. Bereits diese Gruppe ließ erahnen, dass Canova in seiner künstlerischen Formensprache einer völlig neuen Ausdruckskraft verpflichtet war, die einen radikalen Bruch mit der barocken Formensprache vollziehen sollte. In der Gestalt des Ikarus, dem von seinem Vater Dädalus die Schwingen auf den Rücken geschnürt werden, liegt eine solch ausgewogene Ruhe und gleichzeitig Kraft, wie sie die barocke Skulptur nicht gekannt hat. Schon hier deutet sich die Umsetzung des Winckelmann’schen Paradigmas von „edler Einfalt und stiller Größe“ an, die dann s­ päter am Grabmal Clemens’ XIII. einen triumphalen Höhepunkt feiern sollte.47

47 Das allgemeine vorzüg­liche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist end­lich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. Johann Joachim Winckelmann, Gedanken

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87 Antonio Canova, Dädalus und Ikarus, 1777/79, Venedig Museo Correr

Auch Abbondio Rezzonico wird das Talent Canovas erkannt haben, der schon bald zur gefeierten künstlerischen Avantgarde in Rom avancierte. Er schien die Mög­lichkeit nicht auszuschließen, den prestigeträchtigen Auftrag zur Schaffung des Papstgrabmals dem jungen Künstler zu übertragen, zumal, wie Johannes Myssok anmerkte, es in Rom zu ­diesem Zeitpunkt „an geeigneten Bildhauern fehlte, die einen derartigen Großauftrag hätten ausführen können“.48 Den Aussagen eines anonym gebliebenen Canova-­Biographen zufolge stellte der Senator bereits 1781 Canova den Auftrag für das geplante Grabmal in Aussicht. 49 Es dauerte allerdings noch weitere zwei Jahre, bis Canova den Auftrag tatsäch­lich erhielt. Finaler Anstoß, die Errichtung nicht länger hinauszuzögern, scheint das Konkurrenzprojekt für Clemens XIV . Ganganelli gewesen zu sein, das 1783 von einem

über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. In: Ders.: Kleine Schriften und Briefe. Hg. v. Hermann Uhde-­Bernays, 2 Bde., Leipzig 1925, Bd. 1 (Kleine Schriften zur Geschichte und Kunst des Altertums), S. 81. 48 Myssok, Antonio Canova (2008), S. 456. Die in Rom ansässigen Bildhauer waren größtenteils damit beschäftigt, für die sich auf Grand Tour befind­lichen Ausländer antike Werke zu kopieren, wodurch die Schaffung eigener Werke vernachlässigt wurde. 49 […], lo stesso senatore Rezzonico ricordava di tratto in tratto al Canova di voler ergere [sic!] coll’opra [sic!] sua in San Pietro un monumento al zio: al qual oggetto andava egli formando degli abbozzetti, e maturandone le sue idee. Antonio Canova, Abbozzo di Biografia (1804 – 1805), zitiert nach Canova, Scritti, Bd. 1 (2007), Bd. 1, S. 339 f. Vgl. auch Myssok, Antonio Canova (2008), S. 459.

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anonymen Stifter ebenfalls bei Canova bestellt wurde – und das in der ­Kirche SS . Apostoli, nur wenige Schritte von der Residenz des Kardinalnepoten Carlo entfernt, Aufstellung finden sollte.50 In ­diesem Sinne schrieb auch der aus Bassano stammende, doch in Rom ansässige Kupfer­stecher Giovanni Volpato, der Canova den Auftrag für das Ganganelli-­Grab vermittelt hatte, am 17. Juni 1783 an den Verleger Giuseppe Remondini in Bologna: Questo deposito di papa Ganganelli si chiamerà dietro quello del papa Rezzonico che, per quanto pare, farà lo stesso Canova, essendo assai bene disposte le cose. Infatti ora ai Rezzonico con­viene che si sveglino, e che facciano una memoria al loro zio, ed il senatore vedo che ne ha gran pre­ mura: e forse non sarà terminato questo [Grabmal Clemens’ XIV.] che si comincerà l’altro.51

Diese Überschneidung mochte die Entscheidung herbeigeführt haben. Mit ihrem Zögern riskierten die Rezzonico, die Memoria des Onkels hinter die seines Nachfolgers zurücktreten zu lassen, auch wenn der Standort Sankt Peter ungleich prestigeträchtiger war als die Franziskanerkirche SS. Apostoli, in welcher der Franziskanerpapst Clemens XIV. beigesetzt worden war. Außerdem hielt sich in Rom hartnäckig das Gerücht, die spanische Krone finanziere das Grabmal Ganganellis, als Zeichen ­­ der Verbundenheit zu dem Papst, 52 der den Jesuitenorden 1773 aufgelöst hatte. Clemens XIII . hingegen hatte die Auflösung des Ordens hinausgezögert. Erst ­später wurde bekannt, dass hinter dem anonymen Spender der Kammerpächter Carlo Giorgi stand, der unter Clemens XIV. zu immensem Reichtum gelangt war und nun in einem Akt der pietas seinem päpst­lichen Gönner ein Denkmal setzte.53 Wie Pavanello anhand von Canovas Tagebüchern belegen konnte, begann der Bildhauer spätestens im September 1784, Entwürfe für das Rezzonico-­Grabmal anzufertigen.54 Doch erst nach der Fertigstellung des Grabmals für den Amtsnachfolger, das 1787 in SS . Apostoli enthüllt wurde, widmete er sich intensiv dem neuen Auftrag. Wie die Rekonstruk­tion der künstlerischen Genese des Werkes durch Pavanello zeigt, ging es in raschen Schritten voran: Im Juni 1788 war das Modell fertig gestellt, Ende des Jahres 1789 die Ausführung in Marmor zur Hälfte abgeschlossen und Ende 1791 begann man mit der Aufstellung in Sankt Peter, wo es am 6. April 1792, einem Karfreitag, schließ­lich eingeweiht wurde.55

50 Zum Grabmal Clemens’ XIV. vgl. Müller-­Hofstede, Clemens XIV. (1996); Johns, Ecclesias­ tical Politics (1998); Myssok, Antonio Canova (2008), S. 456 – 465. 51 Zitiert nach Honour / Mariuz, Scritti (1994), S. 10. Vgl. auch Myssok, Antonio Canova (2008), S. 459, Anm. 19. 52 Johns, Ecclesiastical Politics (1998), S. 60. 53 Ebd., Anm. 7; Myssok, Antonio Canova (2008), S. 456, Anm. 8. 54 Pavanello, Il monumento funerario (2008), S. 217. 55 Ebd., S. 217 f.

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Auch aus heutiger Perspektive ist es beim Anblick des Rezzonico-­Grabmals unmittelbar nachzuvollziehen, wie sehr sich das Werk nach seiner Enthüllung für die zeitgenös­sischen Betrachter als Fremdkörper in Sankt Peter ausgenommen haben musste. (Farbabb. 8) Das leuchtende Weiß des monochrom gefassten Werkes kontrastiert in starkem Maße mit der Farbigkeit des Buntmarmors, aus dem die meisten der übrigen Grabmäler geschaffen sind. Schon allein dadurch wird es zum Blickfang für die Besucher der Peterskirche, die bereits vom Mittelschiff aus das von den Rezzonico-­Brüdern gestiftete Monument wahrnehmen können. Doch trotz d ­ ieses regelrecht revolu­tionären Verzichtes auf Farbigkeit und Materialreichtum hatte Canova mit seinem Grabmal für Clemens XIII . keinen radikalen Bruch mit der Typologie barocker Papstgrablegen vollzogen. Im formalen Aufbau mit hohem Sockel, Papstfigur und den Sarkophag flankierenden Assistenzfiguren folgt es der ­barocken Formensprache der Grabmäler von Clemens’ Amtsvorgängern, wodurch sinnfällig Kontinuitätslinien aufgezeigt werden, in deren Kontext sich nun auch die ­Rezzonico stellten.56 Geschickt hatte der Künstler sich die Türsitua­tion zu Nutze gemacht und sie in sein Gesamtkonzept eingebunden, indem sie den Eingangsbereich zu einer Grabkammer imaginiert und gleichzeitig den Rahmen für den getreppten Sockel liefert, auf dem hoch oben der Papst zum Gebet niedergesunken ist. Demutsvoll hält er das unbedeckte Haupt gesenkt.57 Die Tiara, sichtbares Zeichen ­­ seines Amtes, steht vor ihm auf dem Boden. Da sich der Papst in seiner Andacht der Cathedra Petri zugewandt hat, entzieht sich die Figur in ihrer diagonalen Ausrichtung dem unmittelbaren Blick des Betrachters. Stattdessen wird dessen Aufmerksamkeit auf den darunterliegenden Sarkophag gelenkt, der gleichzeitig wie ein Tympanon die den Sockel durchbrechende Tür bekrönt. Die reliefierte Fläche der Sarkophagwand ist Träger einer k­ urzen Inschrift, die, in Anlehnung an antike Vorbilder, in einem Clipäus angebracht ist, an dem zur Linken und Rechten die Personifika­tionen der Caritas und Spes sitzen. Eingerahmt wird der Sarkophag von einer ganzen Reihe zunächst befremd­lich wirkender Assistenzfiguren. Zur einen Seite ist der Todesgenius in Gestalt eines geflügelten nackten Jünglings niedergesunken und stützt sich auf eine erlöschende Fackel. Zur anderen steht hoch aufgerichtet Religio, mit einem Strahlenkranz auf dem Kopf und einem überdimensionalen Kreuz im rechten Arm, wie eine Grabwächterin am Sarkophag. Gemäß der von den Assistenzfiguren verkörperten Dialektik von Wachen und Schlafen ruhen zu ihren Füßen zwei Löwen, einer wachend, einer schlafend. War bereits das Grabmal Clemens XIV . bei seiner Enthüllung 1787 enthusiastisch gefeiert worden, so stellte das Grabmal für Clemens XIII. den eigent­lichen künstlerischen Durchbruch Canovas dar. Denn vor dem Hintergrund des barocken Gesamtkunstwerkes von Sankt Peter zeigte sich nun besonders deut­lich, welch innovativen Bruch mit der 56 Ein früher Entwurf Canovas für das Grabmal in Form einer ovalen Grabkammer wurde wahrschein­ lich schon deshalb nicht weiter verfolgt. Abbildung bei Myssok, Antonio Canova (2008), S. 460, Abb. 2. 57 Mög­licherweise benutzte Canova, der den Papst niemals gesehen hatte, hier ein Bildnis von Mengs als Vorlage. Roettgen, Anton Raphael Mengs (1999), Bd. 1, S. 228.

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barocken Formensprache Canova am Grabmal für den Rezzonico-­Papst durch die klas­ sische Zurückhaltung seiner Skulpturenkomposi­tion vollzogen hatte. Insbesondere die Figur des schlafenden Genius ließ die Kritiker den venezianischen Künstler als neuen Phidias des ausgehenden 18. Jahrhunderts feiern, verkörperte er doch für die Zeitgenossen in seiner unnahbar-­edlen Haltung das klassizistische Ideal, nach der die neue Künstlergenera­tion strebte.58 Doch auch auf inhalt­licher Ebene hatte das Grabmal im Vergleich zu seinen Vorgängermonumenten in Sankt Peter eine Wandlung erfahren. Die Umkehrung des Todes als des Schlafes Bruder in der Figur des niedergesunkenen Genius hat dem christ­lichen Jenseitsgedanken jenen Schrecken genommen, wie er noch von den Skeletten an Berninis Grabmälern für Alexander VII. oder Urban VIII. verbreitet wurde. In den Vordergrund ist dezidiert der Erlösungsgedanke gerückt, auf w ­ elchen die Wächterin Religio 59 und der zum Gebet kniende Papst verweisen. Unterstrichen wird dieser Gedanke von der symbo­ lischen Kraft der ruhenden Löwen, so dass dem Grabmal auf geradezu exemplarische Weise der 41. Vers aus Matthäus 26 zugrunde zu liegen scheint, in welchem Christus in Vorahnung des Todes im Garten Gethsemane seinen Jüngern entgegenruft: Wachet und betet! Somit hatten die Rezzonico in bemerkenswerter Art die Memoria ihres Onkels in der Hauptkirche der Christenheit zu inszenieren gewusst. Und obwohl zum Zeitpunkt der Enthüllung nur noch zwei der vier Neffen lebten (der Kardinalnepot und der Senator), schließt die Inschrift im Clipäus, die nahezu der optische Mittelpunkt des Grabmals bildet, alle Neffen ein: „CLEMENTI XIII REZZONICO P[ontifici] M[aximo] FRATRIS FILII“. (Abb. 88) Auf subtile Weise kommt darüber hinaus der Stifterinschrift eine weitere Bedeutungs­ebene zu. Denn an antiken Sarkophagen nahm der Clypäus die Grabinschrift oder aber das stilisierte Porträt des Verstorbenen auf, wodurch die Rezzonico-­Brüder nun nicht nur zu Stiftern werden, sondern ihren Namen selbst mit in das Grabmal einschreiben. Denn der Kampf gegen das Vergessen der Familie hatte bereits begonnen. Doch offenbar genügte den Rezzonico das Grabmal in Sankt Peter und die Reichweite der ortsgebundenen Rezep­tion nicht. Abbondio Rezzonico war vielmehr bestrebt, die Memoria-­Stiftung der Familie europaweit bekannt zu machen. Da er zu Beginn der Arbeiten am Grabmal durch Europa reiste,60 wurden ihm, der als eigent­licher spiritus rector 58 Myssok, Antonio Canova (2008), S. 467 f. 59 Zur Genese der Religio bei Canova vgl. Pavanello, La „Religione“ (2011). 60 Zwischen Mai 1785 und Dezember 1787 befand sich Abbondio Rezzonico nicht in Rom. Vgl. BAV, Lat. Vat. 10730 (Avvenimenti nel Pontificato di Pio VI dal 1775 al 1800 raccolti dalla bo. me. Franco Fortunati), fol. 57 r–v: Adi 7 maggio 1785. Dopochè D. Abbondio Rezzonico, Senatore di Roma, ebbe avuto il permesso da Pio Sesto di assentarsi da Roma per tre anni, come aveva richiesto, dunque nel sud­ detto giorno il suddetto Senatore partì da questa Capitale, inviandosi alla volta di Pietroburgo, per poi passare in altre Monarchie. Per questo assentamento del Senatore, il Popolo fece delle lagnanze, dicendo che il Pontefice non doveva dargli un permesso per un sì lungo tratto di tempo; a motivo che il Senatore non vuole star fuori di Roma più delle ore 24. Ebd., fol. 87v–88r: Adi 15 dicembre 1787. Dopo tre anni di Viaggio, in detto giorno fece ritorno in questa Capitale il Principe D. Abbondio Rezzonico Senatore di Roma.

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88 Sarkophag am Grabmal Clemens‘ XIII. mit Stifterinschrift

des Projektes angesehen werden muss, von Canova Zeichnungen zur Begutachtung des Projektes geschickt.61 Damit hielt er bereits auf dieser Reise etwas in den Händen, womit er auf die Memoria-­Stiftung seiner Familie aufmerksam machen konnte. Kurz bevor das Grabmal in Sankt Peter enthüllt wurde, ließ Abbondio von dem Luccheser Maler Stefano Tofanelli eine Zeichnung des ausgeführten Monumentes anfertigen, mit deren Reproduk­tion als Kupferstich er Raffaelle Morghen beauftragte. Morghen erhielt dafür die nicht geringe Summe von 1000 Scudi.62 Mittels dieser Stiche stilisierte sich A ­ bbondio Rezzonico in Folge nicht nur vordergründig als Protektor des Künstlers, sondern nutzte sie zugleich zur Verbreitung seiner Memoria-­Stiftung in den allerhöchsten Kreisen, wie etwa beim Großherzog der Toskana. Ein Brief des Senators an den Florentiner Marchese Federico Manfredini vom 12. Juli 1792 legt davon beredtes Zeugnis ab:

61 Am 24. Februar 1787 schrieb der Jesuitenpater Thorpe an Lord Arundel, der wohl gemeinsam mit Abbondio Rezzonico in England unterwegs war, er hoffe, Abbondio mostrasse a Sua Eccel­ lenza il progetto di un monumento grande ma ben disegnato da erigersi a suo zio, il Vostro buon amico ­Clemente XIII; è stato fatto da un eminente scultore Signor Canova e secondo gli accordi sarà eseguito da lui stesso. Copie del disegno gli sono state spedite mentre era in Francia, e certamente ne porterà con sé in Inghilterra. Zitiert nach Honour, Canova e l’incisione (1993), S. 13. 62 Ebd., S. 14. Canova hatte bereits das Grabmal Clemens’ XIV. stechen lassen. Aus dem Verkauf der Blätter sollten nicht nur Einnahmen erzielt, sondern das Werk auch bekannt gemacht werden. Ebd., S. 12.

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La protezione, che le Belle Arti godano tanto giustamente in Toscana mi ha obbligato di porre ai piedi di G. A. R. il Gran Duca l’incisione, che di mio ordine si è fatta dal Morghen del Deposito di Clemente XIII, […] e offrirne un esemplare a V. E. […] e di aver acquistato con questo mezzo di celebri Artisti, che sono concorsi a questo lavoro, l’onore di venire sotto gli occhi di V. E.63

Das Ende der Familie und die Grabmäler der Neffen Abbondio Rezzonico war jedoch nicht nur der spiritus rector des Grabmals für Clemens XIII., sondern er war auch die treibende Kraft, die weitere Schritte hinsicht­lich der Memoria-­ Stiftung der Familie unternahm und dafür Sorge trug, dass trotz fehlender Nachkommen für die Nachwelt der Name Rezzonico im Gedächtnis bewahrt blieb. Mit der Errichtung der Grabmonumente für seine Brüder Giovanni Battista und Carlo in San Nicola in Carcere und in der Lateranbasilika sowie seiner eigenen, in seinem Testament gewünschten, doch nicht ausgeführten Grabplatte in San Marco sollte sich die Memoria der Familie – in Aufwand und künstlerischer Bedeutung wesent­lich bescheidener – dem Grabmal für den Rezzonico-­Papst unterordnen. Damit folgen sie einmal mehr einem Schema, das sich bei zahlreichen anderen Papstfamilien ebenfalls beobachten lässt: Im Mittelpunkt steht die Erinnerung an den Papst, der sich diejenige der übrigen Familienmitglieder maßvoll unterordnet. Signifikantestes Beispiel dafür ist erneut die Papstfamilie Corsini, deren Memoria-­Stiftung mit der Cappella Corsini im Lateran zu den eindrück­lichsten des 18. Jahrhunderts zu zählen ist. Das Grabmal des Papstes dominiert nicht nur die Kapelle, sondern bildet auch den memorialen Referenzpunkt für die Familie, die sich ebenfalls am Ende des 18. Jahrhunderts in dieser Kapelle beisetzen ließ und dabei auf ein eigenes Grabmal verzichtete.64 Canova hatte das Grabmal für Clemens XIII. noch nicht begonnen, da starb Kardinal Giovanni Battista Rezzonico 1783 im Alter von nur dreiundvierzig Jahren. Er wurde im Kapitolspalast aufgebahrt, wo er seit dem Ende seiner Amtszeit als maggiordomo und seinem damit verbundenen Auszug aus dem Quirinalspalast gewohnt hatte. Die Exequien fanden in San Lorenzo in Lucina statt.65 Beigesetzt wurde er indes in seiner Titelkirche San Nicola in Carcere, die sicher nicht zu den zentralen ­Kirchen Roms zählte, in der aber zumindest die Papstfamilie Aldobrandini das Patronatsrecht über eine Kapelle innehatte. Allerdings verwundert es, dass nicht die von ihm im Dienste der Familie umgestaltete

63 BCVe, Epistolario Moschini, Busta 4: Lettera di Abbondio Rezzonico. 64 Am 3. März 1792 wird der Herzog Corsini – wie es sein ausdrück­licher Wunsch war – aus Florenz überführt, um in Rom in der Familienkapelle beigesetzt zu werden. 1795 wird auch Kardinal Andrea Corsini in der Familienkapelle bestattet. BAV, Lat. Vat. 10730: Avvenimenti nel Pontificato di Pio VI dal 1775 al 1800 raccolti dalla bo. me. Franco Fortunati, fol. 116v, fol. 140r. Nur der Kardinalnepot Neri Corsini verfügt über ein eigenes Grabmal in der Kapelle. Zur Corsini-­Kapelle vgl. Kap. IV.4., Anm. 70, 82. 65 Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 167.

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Malteserkirche seine letzte Ruhestätte werden sollte. Doch womög­lich kam diese nicht in Betracht, weil Giovanni Battista die einzig frei gebliebene Kapelle bereits Piranesi als Grabkapelle überlassen hatte.66 Da kein Testament überliefert ist, lassen sich jedoch keine gesicherten Aussagen treffen. In jedem Falle schien die Titelkirche als letzte Ruhestätte eine naheliegende Entscheidung. Von den neunundsechzig Kardinälen, die ­zwischen 1775 und 1790 in Rom verstorben waren, wurden immerhin siebzehn in ihren jeweiligen Titelkirchen begraben.67 Das Grabmal für Giovanni Battista, das 1787 an der Wand des linken Seitenschiffes der ­Kirche enthüllt wurde, ist nicht zwingend zu den Höhepunkten der römischen Sepulkralkunst zu zählen. (Abb. 89) Es spiegelt zumindest nicht den ambi­tionierten Charakter, mit dem der ehrgeizigste der vier Papstnepoten zu Lebzeiten seine eigene Kurienkar­riere voranzutreiben suchte. Der irische Bildhauer Christopher Hewetson, der sich bereits erfolglos um den Auftrag für das Grabmal Clemens’ XIII. beworben hatte,68 nun aber mit der Ausführung des Grabmals für dessen Neffen betraut wurde,69 schuf einen schlichten antikisierenden Sarkophag, der vor die plane Wand des Seitenschiffs gestellt wurde und den Sockel für eine Büste des Verstorbenen bildete. Flankiert wird diese von zwei Putti, durch die bereits das Motiv der Umdeutung des Todes als des Schlafes Bruder, wie es wenig ­später am Grabmal Clemens’ XIII. von Canova so eindrück­lich umgesetzt werden sollte, vorweggenommen wird. Während der rechte Putto eine erlöschende Fackel im Arm hält und den Kopf trauernd auf das Rezzonico-­Wappen stützt, hält der linke aufgerichtet ein Band empor, auf welchem in griechischen Lettern die Botschaft eingemeißelt ist: „Er ist nicht tot, er schläft nur“. Demzufolge kündigt sich auch am Grabmal Giovanni Battistas in der Todesmetamphorik bereits die klassizistische Kunstauffassung an. Doch am aufschlussreichsten ist die von dem Epigraphiker Stefano Antonio Morcelli verfasste lateinische Inschrift,70 ­welche den oberen Teil der Wandfläche, die durch ein schlichtes Rahmensystem von der übrigen Architektur abgetrennt wurde, einnimmt. Darin wird

66 Vgl. Kap. IV.5. der vorliegenden Arbeit. 67 Diese Rechnung ergibt sich aus einer Zählung der im Manuskript von Franco Fortunati (BAV, Lat. Vat. 10730) aufgeführten Bestattungen. 68 Coen, Christopher Hewetson (2012), S. 87; Yarrington, Christopher Hewetson (2012), S. 110. 69 Hewetson hatte sich in Rom bisher vor allem durch seine Porträtbüsten einen Namen gemacht, über die sich auch Canova lobend äußerte. Das Monument für Martha Swinburne im Venerable English College in Rom (1779) fand dagegen nicht seine Zustimmung. Honour, Antonio Canova (1959), S. 244. Vgl. auch Yarrington, Chrisopher Hewetson (20012), S. 114, Anm. 14. Einen weiteren Auftrag für ein Grabmal hatte Hewetson bereits 1771 erhalten: Das Monument für Richard Baldwin, Kanzler des Trinity College in Dublin, wurde 1781 vollendet und 1784 nach Irland verschickt und im College aufgestellt. Hodgkinson, Christoper Hewetson (1954), S. 45; Breffny, Christopher Hewetson (1986), S. 53. 70 Moroni, Dizionario (1852), Bd. 57, S. 157. Zu dem Jesuiten Morcelli (1737 – 1821), der als Präfekt innerhalb des Museums Kircheriarum die Accademia di Archeologia gründete und s­ päter von Kardinal Albani für seine Bibliothek als Nachfolger Winckelmanns berufen wurde, vgl. Mazzoleni, DBI 76 (2012), S. 555 – 559.

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89 Christopher Hewetson, Grabmal des Kardinals Giambattista Rezzonico, 1787, Rom, San Nicola in Carcere

nicht nur des Verstorbenen gedacht und ausdrück­lich auf sein Amt als Prior der Malteser verwiesen, worauf auch das Malteserkreuz um den Hals der Porträtbüste verweist. In gleicher Größe der Lettern, in denen der Name des Verstorbenen in die Wand gemeißelt ist, werden auch seine Brüder unter Nennung der von ihnen eingenommenen Ämter als Stifter des Grabmals hervorgehoben. Die hier beschworene Eintracht der Geschwister, die sich in der Zeile „FRATRI CARISSIMO CONCORDISSIMO“ äußert, entsprach angesichts ihrer anhaltenden Zerwürfnisse in keiner Weise den realen Verhältnissen. Doch im Dienste der Memoria-­Stiftung wurden diese brüder­lichen Diskrepanzen am Grabmal beiseite geschoben und stattdessen die familiäre concordia ausgestellt. Im Gegensatz zu seinem Bruder Giovanni Battista hatte Carlo Rezzonico nachvollziehbare Verfügungen im Hinblick auf seine Begräbnisstätte hinterlassen und damit letztend­lich auch auf seine Vorstellungen hinsicht­lich der eigenen Memoria. In seinem Testament wünschte er ausdrück­lich als Bestattungsort die venezianische Na­tionalkirche, der er nicht

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90 Antonio d’Este, Grabmal für Kardinal Carlo Rezzonico, 1803, Rom, San Giovanni in Laterano

nur kurzzeitig als Titular vorgestanden hatte, sondern wo sich auch die Familienkapelle der Rezzonico befand. Allerdings führte er in seinem Testament nicht die Kapelle der Familie an, sondern bat nur darum, an einem mög­lichst unauffälligen Ort und ohne großen Pomp beigesetzt zu werden.71 Doch als er am 26. Januar 1799 im Alter von fünfundsiebzig Jahren starb, wurde er in der Familienkapelle beigesetzt, wenn auch in aller Stille, da die franzö­sische Besetzung Roms in diesen Jahren die aufwendige Beerdigung eines Kardinals nicht zuließ.72 Gemeinsam mit Pius VI. hatten alle Kardinäle nach Ausrufung 71 ASR, Avv. Lelius Manucci, Testamenti, 402, fol. 83r–94r: Ordino che il mio Corpo fatto cadavere sia esposto, e seppellito nella Chiesa di S. Marco in un Sito meno esposto alla pubblica Vista, e che vi sia condotto senza minima pompa , ed in quella maniera, che si crederà conveniente. 72 ASV ic, LXIV , fasz. 2, b. XXXIX , nr. 417: Memoria riguardo il funere del Card. Rezzonico Commendatario di S. Marco morto in tempo della Republica 1799: L’Eminentissimo Cardinale Carlo Rezzonico Vescovo di Porto, Camerlengo di S. Chiesa, Arciprete della Basilica Lateranense, e Commendatario della Chiesa di S. Marco di Roma morì li 26 Gennajo 1799 in tempo della […]. Republica Romana, essendo stato l’unico Cardinale, al quale dal Governo Republicano fu permesso di poter restare in Roma a motivo dell’attuale stato d’infermità, nel quale si trovava. Il suddetto Eminentissimo lasciò nel suo ultimo testamento aperto il dì suddetto 26 Gennajo 1799 per gl’atti del Mannuccci Not. Cap. di voler essere esposto nella Sua Chiesa di S. Marco, e tumulato nella Sepultura Gentilizia della casa Rezzonico nella Cappella del Beato Gregorio ­Barbadigo esistente in detta Chiesa, e di proprietà della Casa Rezzonico per Donazione fattale da Capitolo. Non

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der Repubblica Romana 1798 die Stadt verlassen müssen. Nur der schwerkranke Rezzonico blieb davon ausgenommen. Somit wurde die Gregorio Barbarigo geweihte Kapelle in San Marco am Ende doch noch zur Familiengrablege der Rezzonico.73 Abbondio ließ auch hier nicht viel Zeit verstreichen, bis er, sich dem Wunsch des Bruders widersetzend, auch für dessen Memoria-­Stiftung Sorge trug. Diese verlagerte er in den Lateran, dem der Kardinalnepot zu Lebzeiten als Erzpriester vorgestanden hatte. 1803 schuf erneut ein Landsmann der Rezzonico, der Mitarbeiter Canovas Antonio d’Este, einen Kenotaph in Form eines antikisierenden Sarkophags, der in der Cappella del Croci­ fisso im Transept der Lateranbasilika Aufstellung fand. (Abb. 90) Den Entwurf dafür hatte Canova geliefert. Noch im selben Jahr ließ der Senator auch die Grabstätte seines Bruders in San Marco aufwerten, indem er bei Canova und d’Este ein neues Altarbild für die Familienkapelle bestellte, das den Almosen spendenden ­Gregorio ­Barbarigo zeigte.74 (Abb. 91, Farbabb. 7) Sicher­lich erschien Abbondio Rezzonico das Altarbild Mazzantis mit der Darstellung des in Andacht versunkenen Gregorio Barbarigo inzwischen nicht mehr zeitgemäß. Im kulturellen Klima der napoleonischen Zeit mochte die visuelle Betonung der Spiritualität des seliggesprochenen Kardinals auf dem Altarbild keine größeren Emo­tionen mehr erwecken. Die Betonung der caritas des Heiligen schien hingegen nicht nur auf die harsche Kritik, der sich der Heiligenkult ausgesetzt sah, zu antworten.75 Vielmehr wurde mit dem neuen Altarbild auch auf die Kontinuitäten z­ wischen dem seliggesprochenen Kardinal, dem verstorbenen Papst und schlussend­lich auch dem verstorbenen Kardinalnepoten verwiesen. In der 1786 erschienenen und Pius VI. Braschi gewidmeten Schrift „Serie cronologica dei Vescovi di Padova“ des Venezianers Niccolò Antonio Giustinian hatte das Tugendbild des Kardinals Carlo Rezzonico, dem späteren Clemens XIII., sowie insbesondere die Schilderung seiner bischöf­lichen Nächstenliebe einen breiten Raum eingenommen.76 Lorenzo Cardella, der dem gleichnamigen Kardinalnepoten 1793 den zweiten Band seiner

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potendosi fare il Consueto Funerale dovuto all’Eminenze defonti, e particolarmente al suddetto Eminentissimo, come Camerlengo di S. Chiesa, per essere questi interdetto dal Governo Republi­ cano ancora vigente. Die Aussage von Pasquali, Piranesi architect (2006), S. 177, Anm. 39, der Papstbruder Aurelio sei in Rom in SS. Vincenzo e Anastasio begraben, lässt sich nicht belegen. Aurelio starb 1759 in Venedig und wurde in San Lazzaro dei Mendicanti beigesetzt. APVe, Parrochia di S. Barnaba, Registro dei Morti, 1 (1753 – 1765), fol. 24v. Allerdings wurde am 14. November 1761 in SS. Vincenzo e Anastasio eine Totenmesse für ihn abgehalten. BMVe, Codice It. X, 475 (12172), o. P., Antonio Maria Borini an Federico Maria Giovanelli (14. November 1761): Questa mattina in Santi Vincenzo e Anastasio si è fatto l’anniversario solenne del fu Proc. Aurelio. Noè, Rezzonicorum cineres (1980), S. 280 – 282; Pavanello, I Rezzonico (1998), S. 93. Einer der heftigen Kritiker des Heiligenkultes war Muratori, der bereits in seiner 1747 erschienenen Schrift „Della regolata divozione de’ Cristiani“ die starke Diskrepanz z­ wischen der Verehrung der Heiligen und dem in seinen Augen ungerechtfertigten Pomp anprangerte, der damit einherging. Stella, Tra Roma barocca e Roma capitale (2000), S. 776. Niccolo Antonio Giustinian, Serie cronologica dei Vescovi di Padova, Padua 1786, S. 237 – 254.

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91 Antonio d’Este, Der selige Kardinal Gregorio Barbarigo spendet Almosen, 1806, Rom, San Marco, Cappella Barbarigo

„Memorie storiche de’ cardinali della Santa Romana Chiesa“ widmete, verg­lich nun auch diesen in seiner dem Text vorangestellten Dedika­tion ausdrück­lich mit Carlo Borromeo, der wiederum für Gregorio Barbarigo das Vorbild dargestellt hatte.77 Abbondios Verzicht auf jeg­lichen verbalen Verweis in der Familienkapelle auf seinen hier bestatteten Bruder mag damit zusammenhängen, dass er diesen Platz für sich selber als Grablege ins Auge gefasst hatte und dafür auch explizit eine Grabplatte wollte. In seinem Testament, das er am 24. Januar 1807 in Rom aufsetzte, hielt er die von im gewünschte Inschrift fest: „Abundius Rezzonico Senator Urbis Vexillarius Ecclesiae / Peccator, orate pro eo“.78 Als er aber am 1. März 1810 in Pisa, wo er sich aus gesundheit­lichen Gründen seit

77 Lorenzo Cardella, Memorie storiche de’ Cardinali della Santa Romana Chiesa, Rom 1793, Bd. 2, Dedika­tion (o. P.). 78 Noè, Il testamento (1982), S. 270.

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mehr als einem Jahr aufhielt,79 verstarb, kam man seinem letzten Willen zunächst nicht nach. Erst Marchese Carlo Pindemonte, der Erbe von Abbondios Neffen Conte Antonio Widmann, veranlasste im November 1816 die Überführung des Leichnams nach Rom und die Beisetzung in der Familienkapelle in San Marco.80 Die von Abbondio gewünschte Grabplatte wurde allerdings nicht ausgeführt; bis heute erinnert in der venezianischen Na­tionalkirche nichts an die Grablege der Familie. Trotzdem war es Abbondio als letztem männ­lichem Familienmitglied gelungen, durch die Memoria-­Stiftungen für seine Brüder den Namen Rezzonico an zwei weiteren Orten innerhalb der römischen Stadttopographie einzuschreiben. Mit seinem Tod 1810 war das Ende der Familie in der direkten Linie unwiderruf­lich besiegelt.81 Doch durch die beiden Grabmalsstiftungen für die Brüder, vor allem aber durch das Papstgrabmal mit seiner innovativen künstlerischen Formensprache, die eine starke Rezep­tion erhoffen ließ, blieb zumindest eine visuelle Erinnerung.

79 Ebd., S. 268. 80 ASVic, San Marco, LXXXI, Interno 1810 – 19, nr. 3, fasz. 21, b. XXXVII, nr. 415. 81 Antonio Widmann war der Sohn von Quintilia Rezzonico, der Schwester der Papstneffen, die 1741 Conte Ludovico Widmann geheiratet hatte. Vgl. die Stammtafel der Rezzonico am Ende.

V Resümee Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Canovas imposantes Grabmal für ­Clemens XIII. einen monumentalen Fremdkörper in der Barockausstattung von Sankt Peter darstellt – und dabei im Auftrag einer Familie entstand, deren sozia­ler Aufstieg über Jahrhunderte von dem Bemühen um mög­lichst unauffällige, aber wirkungsvolle Assimilierung in gesellschaft­liche Führungsschichten getragen worden war. Trotz des Aussterbens der Hauptlinie im Jahre 1810 kann die Familiengeschichte der Rezzonico, wie im Verlauf dieser Arbeit heraus­gearbeitet wurde, paradigmatisch als Geschichte eines erfolgreichen sozia­len Aufstiegs betrachtet werden. Eines Aufstiegs zudem, der sich innerhalb zweier so unterschied­licher sozia­ler Systeme, wie es die Adelsrepublik Venedig und die geist­liche Wahlmonarchie Rom waren, vollzog; und dessen Ende nicht durch strate­gische Fehlentscheidungen, sondern biolo­gisch bedingt war. Unermüd­lich hatte die Familie während dieser rund einhundertfünfzigjährigen Erfolgsgeschichte in sozia­les und kulturelles Kapital investiert, um tragfähige Netzwerke aufzubauen und ihren jeweilig erlangten Status zu festigen. Die Wahl Carlo Rezzonicos zum Papst musste als der Höhepunkt aller Bemühungen erscheinen. Doch gegen unkalkulierbare Faktoren wie Kinderlosigkeit in der Nachfolgegenera­tion war kein Kraut gewachsen. Die Familiengeschichte der Rezzonico bietet die Mög­lichkeit, exemplarische Einblicke in ­sozia­le Handlungsspielräume und Verhaltensweisen einer Aufsteigerfamilie im 17. und 18. Jahrhundert zu gewinnen und zahlreiche Facetten der venezianischen und römischen Sozia­lgeschichte dieser Zeit näher zu beleuchten. Darüber hinaus zeigt das Rezzonico-­ Pontifikat angesichts des ausgeprägten Nepotismus’ von Clemens XIII. auch die Reformresistenz der römischen Wahlmonarchie, die trotz der offiziellen Abschaffung des Nepotismus als Grundkonstante päpst­licher Herrschaftsform durch Innozenz XII. Pignatelli im Jahr 1692 auch im 18. Jahrhundert beharr­lich an altbewährten Verhaltensmustern festhielt. Vor dem Hintergrund des sich mit jedem neuen Pontifikat immer wieder neu konstituierenden päpst­lichen Herrschaftsapparats kam der Konsolidierung der eigenen Familie im römischen Sozia­lgefüge und der Verwandtenversorgung nach wie vor eine zentrale Rolle zu. Darin deutet sich aber auch an, wie sehr die Ausübung päpst­licher Regierungsgewalt in wesent­lichen Punkten weiterhin auf dem komplexen Gefüge frühneuzeit­licher Familienverbände basierte, was es erschwerte, wenn nicht sogar unmög­lich machte, bereits bestehende und normierte Regierungsstrukturen grundsätz­lich zu reformieren. Die familienbezogene Patronagepolitik als integraler Bestandteil päpst­licher Herrschaftsausübung fand auch im 18. Jahrhundert ihre Fortsetzung. Ähn­lich wie Paul V. Borghese (1605 – 1621) oder Urban VIII . Barberini (1623 – 1644), deren Nepotismus sich tief in die Geschichte des Papsttums eingeschrieben hat, zeigte auch Clemens XIII . einen ausgesprochenen Familiensinn, der sich für die Zeit seiner Regierung detailliert nachzeichnen ließ. Bereits wenige Wochen nach Pontifikatsbeginn hatte er nicht nur seinen ältesten Neffen Carlo zum Kardinal ernannt, sondern ihn und

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dessen Bruder Giovanni Battista auch in zahlreichen Schlüsselposi­tionen des päpst­lichen Verwaltungsapparates untergebracht. Allerdings muss konstatiert werden, dass der Papst, wohl auch angesichts der harschen Kurienkritik, die seit langem nicht nur von protestantischer Seite, sondern auch aus katho­lischen Reformkreisen heraus geübt wurde, bei seiner familiären Vergabepolitik behutsamer vorging als seine Vorgänger. Mit der Vergabe des Amtes des vicecancelliere an Carlo Rezzonico wurde zwar erstmals seit der innozentinischen Reform wieder ein Papstneffe mit dem einst klas­sischen Nepotenamt betraut. Doch verweigerte der Papst seinem jüngeren Neffen Giovanni Battista den roten Hut, da ein weiterer Kardinalnepot die Kontinuitätslinien hinsicht­lich der Verwandtenförderung allzu offensicht­lich gemacht hätte. Allerdings posi­tionierte Clemens XIII. seinen zweiten geist­lichen Neffen über das Amt des maggiordomo des Aposto­lischen Palastes strate­gisch so geschickt, so dass dessen Promo­tion im nächsten Pontifikat als sicher gelten konnte. Wie in zahlreichen Vorgängerpontifikaten wurden hier die Weichen für eine langfristige Etablierung der amtierenden Papstfamilie an der Kurie gestellt. Darüber hinaus war nicht vorhersehbar gewesen, dass als Nachfolger des Rezzonico-­Papstes mit Giovanni Vincenzo Antonio Ganganelli eine von Rezzonicos eigenen Kardinalskreaturen auf den Stuhl Petri gewählt wurde – die Erhebung Giovanni Battistas in den Kardinalsstand durch ­Clemens XIV. Ganganelli macht deut­lich, wie sehr das rendere il cappello als ungeschriebenes Gesetz der gratia gegenüber der Familie des eigenen „Förderers“ auch im 18. Jahrhundert seine Gültigkeit behielt. Ähn­liche Kontinuitäten lassen sich auch im Hinblick auf die Verankerung des welt­lichen Teils der Familie in Rom konstatieren. Für die Rezzonico als Angehörige des venezianischen Neuadels, die in der Lagunenstadt über den Status einer blockierten Sekundärelite nicht hinausgelangt waren, bot sich in Rom eine erfolgversprechende Alternative zu dem stagnierenden venezianischen Etablierungsprozess. Schon die Aufnahme der beiden geist­lichen Neffen in den Malteserorden, der eigent­lich nur Angehörigen altadliger Familien vorbehalten war, kann als Versuch des Papstes gewertet werden, den merkantilen Ursprung ihres Adelstitels vergessen zu machen. Ebenso ordnete sich die Heiligsprechung ­Gregorio Barbarigos durch Clemens XIII. im zweiten Pontifikatsjahr der Statusaffirma­tion der eigenen Familie unter. Weitab von den in Venedig streng nach Zugehörigkeit zu einzelnen case unterschiedenen Verwandtschaftsverhältnissen konnten die Rezzonico in Rom Gregorio Barbarigo als Familienheiligen deklarieren, wodurch ihr Stammbaum gegenüber dem römischen Publikum entschieden aufgewertet wurde. Im Hinblick auf eine Etablierung der Familie in Rom war dies nicht zu unterschätzendes sozia­les Kapital, welches sich vor allem beim Aufbau von Familienallianzen auszahlte. Geschickt arrangierte Ehen mit Familienmitgliedern des alteingesessenen römischen Hochadels bildeten strate­gisch gesehen eine wichtige Voraussetzung, um sich als neue Papstfamilie über ein tragfähiges sozia­les Netz dauerhaft und erfolgreich in Rom niederzulassen. Die prestigeträchtige Heirat des jüngsten Neffen Abbondio mit Ippolita Boncompagni Ludovisi brachte dann auch nicht nur eine großzügige Mitgift in die Familienkasse, sondern vor allem verwandtschaft­liche Beziehungen zu zahlreichen Familien der römischen Hocharistokratie. Darüber hinaus sorgte der Papst weitsichtig dafür, dass auch den beiden welt­lichen Nepoten mit dem Amt des senatore di

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Roma und des gonfaloniere auf Lebenszeit Funk­tionen verliehen wurden, die sicherstellten, dass auch nach dem unvermeid­lichen Ende des Familienpontifikats die Rezzonico-­Neffen und damit die einstige Papstfamilie sichtbar im römischen Zeremoniell verankert blieben. Flankiert wurden die Etablierungsstrategien der Rezzonico in Rom von einer zielgerichteten Kunstpatronage. Zwar ist diese keinesfalls vergleichbar mit dem ausufernden Mäzenatentum der römischen Barockpäpste, w ­ elche das Stadtbild Roms entscheidend und bis heute unübersehbar geprägt haben. Und im Vergleich zu Rezzonico haben auch seine unmittelbaren Amtsvorgänger Clemens XII. Corsini und Benedikt XIV. Lambertini mehr sichtbare Spuren in der Kunstlandschaft Roms hinterlassen. Doch standen einige der Werke, die im Auftrag des venezianischen Papstes und seiner Familie entstanden bzw. zumindest geplant wurden und die hier exemplarisch untersucht wurden, wie so häufig in der Geschichte des Papsttums im Dienste familiärer Distink­tion und waren von der Vorstellung geprägt, den Namen der Familie langfristig in der römischen Topographie zu verankern. Vor allem der vom Papstneffen Giovanni Battista Rezzonico bei seinem Landsmann Piranesi in Auftrag gegebene Umbau der Malteserkirche auf dem Aventin setzte städtebau­lich einen weithin sichtbaren Akzent und geriet durch die ikonographische Überblendung des Komplexes zu einer regelrechten Apotheose der Papstfamilie. Die Malteserkirche bot zudem eine geeignete Projek­tionsfläche, um in unmissverständ­lichen Verweisen auf kuriale Tradi­tionslinien den unter Clemens XIII. so exzessiv betriebenen Nepotismus, der als solcher von den Zeitgenossen auch wahrgenommen und kommentiert wurde, visuell zu legitimieren. In seiner Rolle als fürsorg­licher Landesvater konnte sich der Papst hingegen am Trevi-­Brunnen verewigen, dessen forcierte Vollendung es ihm ermög­lichte, den Symbolgehalt der unter päpst­licher Aufsicht errichteten römischen Brunnenanlagen auch für sich und sein elf Jahre währendes Pontifikat in Anspruch zu nehmen. Rezzonicos Rückgriff auf symbo­lisch eng mit der Geschichte des Papsttums verbundene künstlerische Projekte und deren Weiterführung manifestierte sich aber auch in Piranesis im Entwurf steckengebliebenem Lateranprojekt. Denn die geplante Neugestaltung der Apsis im Lateran wäre in der Ausführung gänz­lich der Selbstdarstellung der Papstfamilie in Rom untergeordnet gewesen. Dies gelang ihr jedoch, wenn auch in bescheidenerem Maße, noch einmal in der neu errichteten und Gregorio Barbarigo geweihten Familienkapelle in der römischen ­Kirche San Marco, die nicht nur die Titelkirche des späteren Papstes und seines Neffen war, sondern auch die venezianische Na­tionalkirche in Rom. Außerhalb Venedigs war es den Sozia­laufsteigern hier mög­lich, nicht nur ihre (weitläufige) Verwandtschaft zu Gregorio Barbarigo sinnfällig in Szene zu setzen, sondern sich darüber hinaus auch im Kontext der zahlreichen Grabmonumente venezianischer Kardinäle gleichberechtigt im Kreise altpatrizischer Familien der Serenissima zu inszenieren. Aber trotz aller zielstrebigen und auch erfolgreichen Etablierungsversuche ließ sich das Ende der Familie nicht abwenden. Die Memoria-­Stiftung in Form des Grabmals für den päpst­lichen Onkel, die sich in der Geschichte des Papsttums häufig als kulturelle Investi­ tion in die Zukunft dargestellt hatte, wurde im Falle der Rezzonico zum Schwanengesang einer Familie, die sich zum Zeitpunkt der Errichtung des von Antonio Canova geschaffenen Grabmals bereits im Aussterben begriffen sah.

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Zuvor jedoch hatte sich der kuriale Aufstieg der Rezzonico vor dem Hintergrund einer zielgerichteten Familienpolitik vollzogen, die über mehrere Genera­tionen hinweg auf eine dauerhafte Verankerung der Familie an der römischen Kurie hingearbeitet hatte. Dabei stellte die Wahl Clemens’ XIII . den Höhepunkt einer Familiengeschichte dar, deren erfolgversprechende Anfänge eigent­lich in Venedig lagen. Als Angehörige des venezianischen Neuadels fiel es den Rezzonico jedoch schwer, ihren sozia­len Status innerhalb des oligarchischen Regierungssystems der Serenissima zu behaupten. Wie die genaue Analyse ihrer venezianischen Jahre zeigte, bot das dynamische Sozia­lgefüge der Wahlmonarchie Rom für die venezianische Aufsteigerfamilie einen lohnenden Ausweg aus den verkrusteten sozia­len Strukturen der Serenissima. Landsmannschaft­liche Bindungen und kaufmännische Netzwerke waren die bestimmenden Faktoren, die es der Kaufmannsfamilie Rezzonico ermög­lichten, zum einen die materiellen Voraussetzungen für ihre Aufnahme in den venezianischen Adel zu schaffen, zum anderen ihren sozia­len Aufstieg in einem tragfähigen und zukunftsträchtigen klientelären Verhältnis zu verankern, welches weit über Venedig hinausreichte. Die Geschäftsbeziehungen zu den Cernezzi und Odescalchi legten nicht nur den Grundstein ihres ökonomischen Reichtums, sondern bildeten auch die Grundlage ihrer Verbindungen nach Rom. Gerade für die sozia­lhistorische Forschung zeigt sich hier deut­lich das Potential einer Analyse kaufmännischer Netzwerke, deren vornehm­lich polyzentrische Ausrichtung den einzelnen Familien nicht nur in finanzieller Hinsicht gewinnbringend war. Nach der Wahl Innozenz’ XI. Odescalchi im Jahr 1676 wurden die Rezzonico angesichts der türkischen Belagerung Wiens mit dem Finanztransfer päpst­licher und genue­sischer Hilfsgelder betraut – eine Aufgabe, die ihnen einerseits aufgrund ihrer klientelären Beziehungen zur regierenden Papstfamilie übertragen wurde, andererseits aufgrund ihrer guten Beziehungen zum Kaiserhaus in Wien, von dem sie einst das venezianische Monopol für den Handel mit Quecksilber aus Idria erhalten hatten. Die Reichsbindung venezianischer Familien, die bisher keinerlei Untersuchung erfahren hat, schlug sich im Falle der Rezzonico unmittelbar in der Verleihung des Baronaltitels nieder und erwies sich sogar noch ein Jahrhundert ­später im Zusammenhang mit der Verleihung des Kardinalats an Carlo Rezzonico wie auch im Konklave, das zu seiner Wahl zum Papst führte, als nütz­lich. Nach dem käuf­lichen Erwerb des Adelstitels 1687 richtete die Familie ihre Bemühungen um ­sozia­le Statussicherung betont zweigleisig aus. Auf der einen Seite stand der Versuch, sich innerhalb des venezianischen Patriziats anzupassen und zu behaupten. Auf der anderen Seite setzten sie mit der familiären Ausrichtung nach Rom bereits früh auf einen alternativen Etablierungsweg – angesichts des angespannten Verhältnisses Venedigs zum Kirchenstaat zwar ein gewagtes Unternehmen, das sich jedoch in ihrem Falle auszahlte. Wie ein Vergleich der unterschied­lichen Karrierelaufbahnen der einzelnen Familienmitglieder zeigen konnte, investierten die Rezzonico seit ihrer Aufnahme in den Adel sowohl in den vorgegebenen venezianischen cursus honorum als auch in die römische Karriere von mindestens einem männ­lichen Familienmitglied pro Genera­ tion. Wieder kamen ihnen dabei die über ihre kaufmännischen Netzwerke geknüpften klientelären Beziehungen zu den Odescalchi zugute, die ihnen den Eintritt in die

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römische Kurie ermög­lichten. Flankiert wurde diese Ausrichtung nach Rom vor allem durch den Aufbau von Familienallianzen, die über mehrere Genera­tionen hinweg durch eine geschickt verfolgte Heiratspolitik wie auch durch die Wahl der Paten für die Kinder eingegangen wurden. Dabei wurden vor allem familiäre Bande zu papalisti-­Familien geknüpft, die überwiegend dem alten Adel entstammten, wodurch nicht nur die Kluft zum venezianischen Altadel überbrückt, sondern vor allem die Beziehungen nach Rom verstärkt werden konnten. Aus dem eingeschlagenen Weg ergaben sich vor allem Synergieeffekte. Entscheidende Erfolge eines Rezzonico in Rom hatten immer wieder auch einen Statussprung der Familie in Venedig zur Folge. So wurde Aurelio 1751 zum venezianischen Senator ernannt, als sich sein Bruder Kardinal Carlo in Fragen des Patriarchats von Aquileia diplomatische Meriten erworben hatte. Als Papstfamilie erhielten die Rezzonico schließ­lich Zugang zu den Prokuratorenämtern und damit zu den höchsten Ämtern, die ihnen als Angehörige des patriziato nuovo bis zu ­diesem Zeitpunkt verwehrt geblieben waren. Die zweigleisig angelegten Etablierungsstrategien der Aufsteigerfamilie Rezzonico hatten sich damit als außerordent­lich tragfähig erwiesen. Mit der erkauften Nobilitierung, den über die Ehen geknüpften Familienallianzen sowie der Finanzierung der verschiedenen Ämterlaufbahnen war im Bourdieu’schen Sinne gezielt ökonomisches in sozia­les Kapital transformiert worden. Doch schon in Venedig, wie s­päter in Rom, spielten kulturelle Investi­tionen eine ebenso wichtige Rolle, um den sozia­len Status der Familie innerhalb des venezianischen Adels zu festigen und die von der Familie verfolgten Strategien und Erfolge visuell zu manifestieren. Bereits über den Aufbau und die Zusammensetzung ihrer Kunstsammlung, deren Anfänge in die Zeit vor ihrer Nobilitierung zurückreichten, die aber im Zusammenhang mit der Aggrega­tion 1687 noch einmal stark erweitert wurde, bemächtigten sie sich nicht nur gängiger Requisiten adliger Standesrepräsenta­ tion, sondern legten ihren Besuchern offen den Status quo ihrer Rom-­Orientierung vor Augen. Mit der hervorgehobenen Präsenz römischer Werke sowie zahlreicher Porträts der regierenden Papstfamilie Odescalchi wurde demonstrativ auf das römische Netzwerk und damit auf ihre klientelären Beziehungen verwiesen, womit sie sich in Venedig klar posi­tionierten. Die Mög­lichkeiten, ­welche in der eingehenden Analyse von Kunstsammlungen und Inventaren liegen, sollten von der sozialgeschichtlichen Netzwerkforschung in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Auch auf anderen Gebieten investierten die Rezzonico in den Erwerb von Statussymbolen, mit denen sie die trennende Kluft zum Altadel zu überbrücken und die sozia­len Standesunterschiede zu nivellieren suchten. Mit dem Erwerb von Ländereien auf der Terraferma und dem langsamen Rückzug aus dem merkantilen Tätigkeitsfeld folgten sie den Refeudalisierungstendenzen des Altadels, wie sie im 17. Jahrhundert in weiten Teilen Europas zu beobachten sind. Die Errichtung ihrer Villa in Bassano del Grappa oszillierte in eindrucksvoller Weise ­zwischen Anpassung und selbstbewusstem Verweis auf die eigenen Meriten, wurde doch einerseits durch die retrospektive, auf die kastellartigen Villenbauten früherer Jahrhunderte rekurrierende Architektur visuell an Tradi­tionslinien angeknüpft, die außerhalb der eigenen Familiengeschichte lagen. Andererseits wurde im

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Inneren durch die Ikonographie der Ausstattung eindeutig auf die familiären Verdienste im Kontext der Türkenkriege angespielt. Doch der Höhepunkt ihrer visuellen Status­ etablierung in Venedig stellte der, wenn auch späte, Kauf eines eigenen Palastes dar. Mit dem unvollendet gebliebenen Palazzo Bon gelangten die Rezzonico in den Besitz eines der eindrucksvollsten Familienpaläste am Canal Grande, den sie als einen der repräsentativsten Wohnsitze des venezianischen Adels des 18. Jahrhunderts vollenden ließen und mit dessen Ausstattung sie neben Giambattista Crosato auch Giovanni Battista Tiepolo betrauten. Damit wurde gleichzeitig ein weiterer Statussprung der Familie wirkungsvoll in Szene gesetzt, der sich außerhalb Venedigs vollzogen hatte und die Geschicke der Familie im Folgenden entscheidend bestimmen sollte: die Ernennung Carlo Rezzonicos zum Kardinal in Rom, der zwanzig Jahre ­später seine Wahl zum Papst folgen sollte. Der Blick auf die longue durée einer Familiengeschichte, wie sie hier am Beispiel der ­Rezzonico vorgelegt wurde, zeige, welch zeit­lichen Ak­tionsradius frühneuzeit­liche Familienverbände ihrem Handeln zugrunde legten. Gleichzeitig konnte über die Familiengeschichte der Rezzonico neue Erkenntnisse hinsicht­lich sozia­ler Verhaltensmuster des venezianischen Neuadels gewonnen werden, ­welche die Basis für weitere vergleichende Studien bieten könnten. Denn zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass innerhalb des venezianischen Neuadels auch andere Familien diesen von den Rezzonico beschrittenen zweigleisigen Weg bei ihren Etablierungsstrategien einschlugen, um damit ihrem Status einer blockierten Sekundärelite zu entkommen. Zwei der vier venezianischen Päpste der Frühen Neuzeit, Alexander VIII. Ottoboni und Clemens XIII . Rezzonico, entstammen neuadligen Familien. Aus ­diesem Grunde wäre eine Gesamtschau der venezianischen papalisti-­Familien, die bisher nicht vorliegt, äußerst lohnend. Doch auch eine systematische Untersuchung der Gruppe der reichsnahen Familien, zu der die Rezzonico ebenfalls zu zählen sind, wäre ein wünschenswertes, weil bisher völlig ausgeblendetes Forschungsziel. Dadurch könnten die soziopolitischen Strukturen der Serenissima weiter aufgedeckt werden. Denn gerade im Hinblick auf das Ende der Seerepublik 1797 und der sich daran anschließenden österreichischen Herrschaft über Venedig wäre es durchaus denkbar, dass diese Familien auf lange Sicht eine Scharnierfunk­tion ­zwischen dem entmachteten venezianischen Adel und der Habsburger Monarchie einnahmen. Doch Voraussetzung für solcherart Studien sind genera­tions- und grenzüberschreitende Fragestellungen, die nicht allein auf Venedig fokusiert bleiben können. Bisher hat die Forschung tradi­tionell das Selbstbild des venezia­nischen Patriziats als einer in sich geschlossenenen und in sich ruhenden Führungselite weitgehend unkritisch weitergepflegt. Wie ertragreich jedoch ein Perspektivwechsel sein kann, hat die Geschichte der Rezzonico zu zeigen vermocht.

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