Alexias: Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Diether Roderich Reinsch [2., um ein Vorw. erg. Aufl. Reprint 2018] 9783110867626, 9783110171952

Die Geschichtsschreiberin Anna Komnene (1083 bis ca. 1153), Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos (1081

171 112 42MB

German Pages 607 [612] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort zur 2. Auflage
Inhalt
Einleitung
Vorrede
Buch I
Buch II
Buch III
Buch IV
Buch V
Buch VI
Buch VII
Buch VIII
Buch IX
Buch X
Buch XI
Buch XII
Buch XIII
Buch XIV
Buch XV
Karten
Verzeichnis der abgekürzten Literatur
Verzeichnis der Personen- und Ortsnamen
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Alexias: Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Diether Roderich Reinsch [2., um ein Vorw. erg. Aufl. Reprint 2018]
 9783110867626, 9783110171952

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de Gruyter Texte Anna Komnene Alexias

Anna Komnene

Alexias 2., um ein Vorwort von Diether Roderich Reinsch ergänzte Auflage

Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Diether Roderich Reinsch

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 2001

U m s c h l a g a b b i l d u n g : n a c h e i n e m P o r t r ä t in A l e x i o s I., Vat. gr. 6 6 6 , fol. 2v. D e r h e u t i g e c o d . V a t i c a n u s gr. 6 6 6 ist s e h r w a h r s c h e i n l i c h d e r erste B a n d (von u r s p r ü n g l i c h z w e i e n ) des o r i g i n a l e n

Dedikations-

exemplars, das Euthymios Zigabenós dem Alexios von seinem Werk Panoplia

dogmatiké

überreicht hat. D e r C o d e x enthält am Anfang

zwei P o r t r ä t s des K a i s e r s in D a r s t e l l u n g e n , die die Ü b e r r e i c h u n g d e r V ä t e r z i t a t e d u r c h die K i r c h e n v ä t e r an A l e x i o s s o w i e die c h u n g d e r fertigen Panoplia

Überrei-

d u r c h A l e x i o s an C h r i s t u s zeigen.

Erstveröffentlichung: © 1996 D u M o n t Buchverlag Köln

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche

Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Anna < C o m n e n a > : Alexias / Anna Komnene. Übers., eingel. und mit Anm. vers. von Diether Roderich Reinsch. — 2., um ein Vorw. von Diether Roderich Reinsch erg. Aufl.. — Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 Einheitssacht.: Alexias < d t . > ISBN 3-11-017195-3

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Gerike GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz &c Bauer, Berlin Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin

Vorwort zur 2. Auflage

Die Alexias Anna Komnenes ist eine hoch interessante historische Quelle. Wir erfahren aus intimer Kenntnis von Vorgängen und Personen im Zentrum der byzantinischen Macht, wie die kluge und gebildete Tochter Kaiser Alexios' I. die politisch-militärischen Leistungen ihres Vaters gesehen hat, die er im Osten gegen die Sel^uken, im Norden gegen verschiedene nomadische Steppenvölker, im Westen gegen die Normannen vollbracht hat. Als einzige große erzählende Quelle aus Byzanz schildert Anna Komnene, wie die Teilnehmer am Ersten Kreuzzug und ihre Taten aus byzantinischer Perspektive gesehen wurden. Der Leser erfährt darüber hinaus von den Intrigen und Verschwörungen gegen Alexios Komnenos in Konstantinopel und in den Provinzen des Reiches, vom Vorgehen der byzantinischen Zentrale gegen die im bulgarischen Raum starken Bogomilen, vom Glaubensprozess gegen den Philosophen Ioannes Italos, von Sozial- und Bildungseinrichtungen in der Hauptstadt und anderes mehr, so dass er ein lebendiges Bild von Byzanz um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert gewinnt. Vor allem vermittelt uns die Alexias Bilder der Menschen. Die Autorin entwirft lebendige Portraits der Hauptfiguren ihrer Erzählung, sie komponiert ihre Darstellung und dramatisiert die Ereignisse, die in der großen Schilderung der Krankheit und des Todeskampfes ihres Vaters gipfeln. In feiner Psychologie lässt Anna Komnene die inneren Motive der Figuren deutlich werden, und sie bringt ihre eigene Person als Tochter, Gattin und urteilende Beobachterin ins Spiel, so dass eine intensive Beziehung zwischen der Autorin und ihrer Leserschaft entsteht. Ihr Buch lädt vor allem durch literarische Qualitäten zur Lektüre ein.

Vorwort zur 2. Auflage

D a m i t man die Alexias

in der Originalsprache lesen k a n n , benö-

tigt m a n erhebliche Kenntnisse des Griechischen, über welche nur wenige Spezialisten verfügen. Es überrascht bei der Bedeutung dieses Werkes daher nicht, dass es in viele europäische Sprachen (u. a. Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch) übersetzt worden ist, damit es über den engen Kreis dieser Spezialisten hinaus auch anderen Interessierten zugänglich wurde. Im Deutschen gab es jedoch bislang nur eine stark abkürzende Paraphrase, die unter der Herausgeberschaft und mit Beteiligung von Friedrich Schiller 1 7 9 0 in J e n a erschienen ist. Ich freue mich daher, dass meine zuerst 1 9 9 6 im D u M o n t Buchverlag Köln erschienene deutsche Übersetzung der Alexias

nun-

mehr in zweiter, unveränderter Auflage vom Verlag Walter de Gruyter herausgebracht wird, rechtzeitig vor dem Erscheinen der neuen kritischen Ausgabe des griechischen Originaltextes im gleichen H a u s . Die Arbeit am griechischen T e x t w a r beim Erscheinen der deutschen Übersetzung noch nicht beendet; wesentliche Konsequenzen für die Übersetzung haben sich aus ihr nicht ergeben. Ich m ö c h t e daher hier nur zwei Sätze nachtragen, die in der Erstauflage ausgefallen sind, und an zwei weiteren Stellen die Übersetzung der Erstauflage korrigieren, da ich die betreffenden Passagen inzwischen besser zu verstehen glaube. V 8,1 (S. 1 8 5 , Z . 3 von unten) ist folgender Satz ausgefallen: „So vergingen für Italos die ersten J a h r e seiner Jugend, und das w a r die Grundlage seiner B i l d u n g . " I X 7 , 5 (S. 3 0 9 , Z . 8) ist ausgefallen: „um sein schnaubendes Pferd A t e m schöpfen zu lassen". X

10,1 (S. 3 5 2 , Z . 6~7):

Statt „das war ein edel denkender

M a n n , der auch an militärischer Erfahrung niemandem

nach-

s t a n d " soll es heißen „dieser M a n n gehörte zu den Vornehmen, und er stand an Intelligenz und militärischer Erfahrung niemandem n a c h " . VI 11,3 (S. 2 2 2 , Z . 2 1 - 2 2 ) : Statt „In der Breite kann man nicht genau angeben, bis wohin sich das Herrschaftsgebiet der R o m ä e r erstreckte" soll es heißen „In aller Ausführlichkeit den ehemaligen M a c h t b e r e i c h des R o m ä i s c h e n Reiches anzugeben, ist u n m ö g l i c h . " Berlin-Dahlem, im Juli 2 0 0 1

Diether Roderich Reinsch

Inhalt

Einleitung

8-18

Vorrede 19-24 Programmatische Erklärungen Annas. Das Verhältnis der Alexias zum Geschichtswerk des Nikephoros Bryennios. Buch I 25-69 Militärische Erfolge des jungen Generals Alexios unter den Kaisern Michael VII. Dukas (1071-1078) und Nikephoros III. Botaneiates (1078-1081) gegen die Usurpatoren Roussel von Bailleul, Nikephoros Bryennios und Nikephoros Basilakes. Robert Guiskards Aufstieg zur Macht in Unteritalien; seine Vorbereitungen zum Angriff auf Dyrrachion. Buch II 70-104 Die Brüder Isaak und Alexios Komnenos am Hof des Nikephoros Botaneiates; die Gründe für ihre Revolte und die Rolle der Anna Dalassene. Die Proklamation des Alexios zum Kaiser. Das Arrangement mit dem gleichzeitig revoltierenden Nikephoros Melissenos. Die Eroberung von Konstantinopel durch die Truppen der Komnenen und die Abdankung des Nikephoros Botaneiates. Buch III 105-141 Arrangement der Komnenen mit der Exkaiserin Maria und ihrem Sohn Konstantinos. Das Kaiserpaar Alexios Komnenos und Eirene Dukaina. Neuordnung der obersten Staatsämter. Buße des Alexios für die gewaltsame Eroberung von Konstantinopel. Die Regentschaft der Anna Dalassene und ihre Einsetzungsurkunde. Militärische und diplomatische Vorbereitungen für den Kampf gegen Robert Guiskard. Kämpfe gegen die Sel?uken in Kleinasien. Robert Guiskard setzt über ins Illyrikon (Mai-Juni 1081).

5

Buch IV

142-163

Belagerung von Dyrrachion durch die Normannen unter Robert Guiskard. Bündnis zwischen Byzanz und Venedig. Alexios auf dem Kriegsschauplatz vor Dyrrachion. Schlacht bei Dyrrachion (Oktober 1081) und Sieg Robert Guiskards; Flucht des Alexios. Buch V

164-193

Kapitulation von Dyrrachion (Februar 1082). Konfiskation von Kirchenschätzen für die byzantinische Kriegskasse. Rückkehr Robert Guiskards nach Italien. Kämpfe zwischen Bohemund und Alexios in Epiros, Makedonien und Thessalien; Sieg der Byzantiner. Ioannes Italos in Konstantinopel; der Prozeß gegen ihn (Anfang 1082). Buch VI

194-233

Einnahme von Kastoria durch Alexios (Herbst 1083). Bekämpfung der Paulikianer. Rechenschaft des Alexios für die Konfiszierung der Kirchenschätze. Revolte der Manichäer unter Traulos. Rückkehr Bohemunds nach Italien. Kämpfe zur See zwischen Robert und den Venezianern als Bundesgenossen des Alexios (1084). Verleihung von Privilegien an Venedig. Tod Robert Guiskards (Juli 1085). Astrologie in Konstantinopel. Geburt der drei ersten Kinder von Alexios und Eirene (Dezember 1083, September 1085, September 1087). Kämpfe zwischen Byzantinern und Selguken. Bedrohung des Byzantinischen Reiches von Norden durch die Pegenegen. Buch VII 234-266 Krieg gegen die Pe^enegen; Niederlage des Alexios bei Dristra (Herbst 1087). Eingreifen der Komanen. Kämpfe der Byzantiner mit dem se^ukischen Emir von Smyrna Tzachas. Kämpfe gegen die Pegenegen. Buch VIII 267-291 Weitere Kämpfe gegen die Pe^enegen und deren vernichtende Niederlage durch die Komanen als Bundesgenossen der Byzantiner (April 1091). Verschiedene Verschwörungen gegen Alexios; Verschwörungsverdacht gegen Ioannes Komnenos, den Neffen des Alexios. Auflehnungsversuche des Theodoros und seines Sohnes Gregorios Gabras. Buch IX 292-316 Kämpfe gegen den Selguken-Emir Tzachas. Rebellionen auf Kreta und Zypern. Kämpfe gegen die Serben. Verschwörung des Nikephoros Diogenes. Unterwerfung der Serben. Buch X

317-360

Die Häresie des Neilos. Kämpfe gegen die Komanen. Beginn des 1. Kreuzzuges. Vernichtung der Scharen Peters des Einsiedlers in Kleinasien (Sommer 1096). Ankunft Hugos, des Grafen von Vermandois. Ankunft weiterer Kreuzfahrer, unter anderen Bohemund, Richard vom Prinzipat und Gott-

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fried von Bouillon. Eidesleistung der Kreuzfahrer gegenüber Alexios. Bohemund und Alexios. Raimund, Graf von Toulouse. Buch XI 361-400 Belagerung von Nikaia durch die Kreuzfahrer, seine Einnahme durch die Byzantiner (Juni 1097). Eidesleistung Tankreds. Belagerung von Antiocheia durch die Kreuzfahrer. Byzantinische Erfolge gegen die Sel^uken in Kleinasien. Eroberung von Antiocheia (Juni 1098) und Jerusalem (Juli 1099) durch die Kreuzfahrer, Bohemund Herrscher von Antiocheia. Operationen in Syrien. Balduin Nachfolger Gottfrieds als König von Jerusalem (Dezember 1100). Bohemunds Weigerung, Antiocheia an Alexios herauszugeben. Kämpfe zwischen der byzantinischen und der pisanischen Flotte. Kämpfe gegen Bohemund in Syrien. Bohemund spielt den Toten und erreicht so Kerkyra und dann Italien (Januar 1105). Buch XII 401-429 Diplomatische Aktivitäten Bohemunds und Alexios'. Rüstungen Tankreds, Bohemunds Statthalter in Antiocheia. Kampagne des Alexios im Westen; die Rolle der Kaiserin Eirene. Die Verschwörung der Anemas-Brüder. Revolte des Gregorios Taronites in Trapezunt. Neue Invasion des Illyrikon durch Bohemund; Belagerung von Dyrrachion (Oktober 1107). Buch XIII 430-474 Verschwörung der Aronier. Kämpfe um Dyrrachion. Bohemund muß um Frieden bitten. Portrait Bohemunds. Vertrag von Devol vom September 1108. Buch XIV 475-512 Erfolge gegen die Selguken. Die Auseinandersetzungen mit Tankred und den übrigen Kreuzfahrern nach dem Tod Bohemunds (1111). Die Krankheit des Alexios und ihre Ursachen. Kämpfe gegen die Selguken. Methodisch-programmatische Erklärungen Annas. Alexios' Glaubensfeldzug gegen Paulikianer, Bogomilen und Armenier in Philippupolis. Buch XV 513-559 Kämpfe gegen die Sel^uken. Die strategischen Vorstellungen des Alexios. Friedensschluß zwischen Sultan Kilig Arslan und Alexios. Ermordung des K1I15 Arslan (1116). Bau und Ausstattung des Orphanotropheion in Konstantinopel durch Alexios. Bekehrungskampagne gegen die Bogomilen. Prozeß gegen den Bogomilenfuhrer Basileios und seine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Gesamtwürdigung der Herrschaft des Alexios. Alexios' letzte Krankheit und Tod (15./16. August 1118). Karten Verzeichnis der abgekürzten Literatur Verzeichnis der Personen- und Ortsnamen

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560-562 563-566 567-607

Einleitung

Anna Komnene Im Vorwort ihrer Alexias beklagt Anna Komnene voll Trauer ihre Witwenschaft. Schwindel hat ihr Inneres erfaßt. »Und mit Strömen von Tränen«, sagt sie uns, »benetzte ich meine Augen ... Weh über die Schicksalswogen« ihres Lebens, »weh über all das Unglück.« Ihr Schmerz brennt sie »bis ins Gebein und bis ins Mark und in die inneren Kammern meiner Seele.« Jedoch die Wahrheit scheint zu sein, es habe diese machtverliebte Frau nur einen einzigen großen Gram gekannt; als habe diese hochfahrend stolze Griechin (auch wenn sie es nicht sagt) nur einen einzigen ganz tiefen Seelenschmerz gespürt, daß es bei aller Klugheit ihr nicht gelang, die Kaiserherrschaft zu gewinnen, denn diese riß ihr fast aus den Händen der dreiste Ioannes.

Konstantinos Kavafis

Kaisertochter u n d b e i n a h e Kaiserin, die einzige Frau in der b y z a n t i n i s c h e n Literatur m i t e i n e m g r o ß e n literarischen W e r k , n o c h d a z u in der K ö n i g s d i s z i p l i n der G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g - es wäre verwunderlich gewesen, w e n n die A u t o r i n der Alexias

nicht a u c h ihrerseits die literarische Phantasie beschäftigt hätte.

K o n s t a n t i n o s K a v a f i s , der große in A l e x a n d r i e n l e b e n d e griechische D i c h t e r , hat ihr 1920 d a s v o r a n s t e h e n d e G e d i c h t gewidmet, v o n der

bulgarischen

Schriftstellerin Vera M u t a f f i j e v a erschien 1994 der R o m a n »Ich, A n n a K o m n i -

Einleitung

na«, im 1995 publizierten Roman der Griechin Maro Duka spielt sie eine der Hauptrollen. Wer war diese Frau? Anna Komnene wurde am Sonnabend, dem 2. Dezember 1083, im Kaiserpalast zu Konstantinopel geboren. Ihr Vater, der eben erst vor zwei Jahren als Vierundzwanzigjähriger durch Usurpation an die Macht gekommene Kaiser Alexios I. Komnenos, war gerade von einem Feldzug zurückgekehrt, als ihm seine damals 17 Jahre alte Gattin Eirene Dukaina das erste von insgesamt neun Kindern gebar. Wenige Tage nach der Geburt erhielt die kleine Anna als vorläufige Thronerbin das kaiserliche Diadem und wurde mit dem neunjährigen Konstantinos Dukas verlobt, der als Sohn des ehemaligen Kaisers Michael VII. Dukas (1071-1078) von Alexios wieder in kaiserliche Rechte eingesetzt worden war, indem er als nomineller Mitkaiser fungieren durfte. Von 1078-1081 hatte ihn der unmittelbare Vorgänger des Alexios, der ebenfalls durch Usurpation an die Macht gelangte Nikephoros Botaneiates, dieser Rechte beraubt. Die eheliche Verbindung der beiden mächtigen Familien Komnenos und Dukas, die schon die Voraussetzung für die Thronbesteigung des Alexios gewesen war, wurde so durch eine weitere in Aussicht genommene Heirat in der nachfolgenden Generation gefestigt. Anna wurde zunächst in der Obhut ihrer prospektiven Schwiegermutter, der ehemaligen Kaiserin Maria, einer Georgierin von Geburt, erzogen. Sie erhielt von klein auf eine umfassende Bildung, die ihre beträchdichen intellektuellen Fähigkeiten voll zur Entfaltung brachte. In der Vorrede ihres Werkes präsentiert sie dem Leser mit eigenen Worten und voller selbstbewußten Stolzes das Ergebnis. Sie habe, so läßt sie uns dort wissen, griechische Sprache und Literatur, antike Philosophie (vor allem Aristoteles und Piaton) sowie auch Mathematik, Geometrie und Naturwissenschaften gründlich studiert. Aus einer anderen Quelle, der Trauerrede des Georgios Tornikes, die er einige Zeit nach ihrem Tod verfaßt hat, wissen wir, daß sie sich sogar auch gegen den Willen ihrer Eltern, die in dieser Hinsicht engherziger waren, sehr intensiv mit den heidnischen Autoren der klassischen griechischen Antike beschäftigt hat. Anna Komnene war jedoch keine Stubengelehrte. Sie hat ihren Vater auch außerhalb der Hauptstadt begleitet; ausdrücklich betont sie einen Besuch in Philippupolis (Plovdiv), wahrscheinlich kennt sie auch Dyrrachion (Dürres) und anderes mehr aus eigener Anschauung. Vor allem aber war sie als zukünftige Kaiserin geboren und hat lange Zeit mit großer Energie nach der Machtposition der Kaiserin von Byzanz gestrebt. Zwei Ereignisse jedoch rückten schon sehr früh diesen Wunschtraum in weite Ferne: die Geburt ihres Bruders Ioannes (des späteren Kaisers Ioannes II. Komnenos, 1118-1143) im September 1087 und der Tod ihres Verlobten Konstantinos Dukas um 1095. Bereits mit der 1092 gegen den Widerstand der Dukas-Familie erfolgten Krönung

9

Einleitung

des Ioannes zum Mitkaiser waren ihre Aussichten auf den Kaiserthron stark gesunken, mit dem Tod des Konstantinos waren sie gänzlich zerstört. Als Anna 14 Jahre alt war (1097), verheirateten ihre Eltern sie mit dem unwesentlich älteren Nikephoros Bryennios (wir kennen sein Geburtsjahr nicht genau), dem gleichnamigen Enkel des Usurpators, der 1078 vom jungen General Alexios gefangengenommen und auf Befehl des damaligen Kaisers Nikephoros Botaneiates von dessen Schergen geblendet worden war. Mit Bryennios hatte Anna vier Kinder (geboren zwischen 1102 und 1108), und auf ihn setzte sie ihre Hoffnung, doch noch Kaiserin von Byzanz zu werden. Maßgeblich von ihr und vor allem ihrer Mutter Eirene sowie weiteren Familienmitgliedern unterstützt, sollte Bryennios die Nachfolge des Alexios antreten. Als dieser im Jahre 1118 auf den Tod krank darniederlag, versuchten Eirene und Anna, ihn dazu zu bewegen, seinen Schwiegersohn Bryennios und nicht seinen Sohn Ioannes zu seinem Thronerben zu erklären, aber vergeblich. Ioannes kommt ihnen, offensichdich mit dem Einverständnis seines Vaters, zuvor und wird zum Kaiser ausgerufen. Eirene zieht sich nach dem Tod des Alexios in ein von ihr gegründetes Kloster im Stadtgebiet von Konstantinopel zurück, wo sie in regem intellektuellem Austausch mit Gelehrten und Dichtem wahrscheinlich bis 1123 lebt. Anna gibt den Traum von der Kaiserwürde jedoch noch nicht auf. Knapp ein Jahr nach der Thronbesteigung ihres Bruders organisiert sie eine Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu ermorden und an seiner Stelle ihren Gatten Nikephoros Bryennios auf den Thron zu setzen. Die Verschwörung scheitert jedoch an der dem Kaiser gegenüber loyalen Haltung des Bryennios; er weigerte sich, die ihm von den Verschwörern zugedachte Rolle zu übernehmen. Nach dem Bericht des Geschichtsschreibers Nikephoros Choniates hat Anna diese Weigerung mit dem drastisch formulierten Wunsch kommentiert, doch an Stelle ihres Mannes mit dessen primären Geschlechtsmerkmalen geboren zu sein. Das Komplott jedenfalls brach in sich zusammen und wurde ruchbar. Ioannes reagierte mit äußerster Milde, wohl nicht zuletzt auch, um keine tiefen und dauerhaften Gräben zwischen sich und Teilen seiner eigenen Familie sowie der Familie Dukas aufzureißen. Keiner der Verschwörer wurde ernsthaft bestraft. Allerdings war die öffentliche Karriere Annas damit endgültig beendet. Ihr Gatte Bryennios blieb als Militär und politischer Berater in der Umgebung des Kaisers, sie hingegen lebte fortan in erzwungener Zurückgezogenheit innerhalb der Mauern des von ihrer Mutter gegründeten Klosters, wo sie auch nach deren Tod Wohnung behielt. Ihr Gatte Bryennios starb im Jahre 1136/1137, nachdem er todkrank aus Syrien, wohin er Kaiser Ioannes auf dessen Feldzug nach Antiocheia begleitet hatte, nach Konstantinopel heimgekehrt und von Anna gepflegt worden war. Er hatte zum intellektuellen Salon der Eirene Dukaina gehört und war von seiner

10

Einleitung

Schwiegermutter beauftragt worden, eine historische Monographie über Kaiser Alexios zu verfassen. Bryennios ist diesem Auftrag nachgekommen und hat, soweit ihm seine militärischen Aufgaben dazu Zeit ließen, damit begonnen, die Taten seines Schwiegervaters aufzuzeichnen. Noch auf dem Feldzug nach Antiocheia hat er an dem Manuskript gearbeitet, aber das breit angelegte Werk, das uns erhalten ist, bricht mit den militärischen Leistungen des jugendlichen Generals Alexios noch vor seiner Thronbesteigung ab. In der Vorrede des Werkes nennt Bryennios es bescheiden »Material für eine historische Darstellung« und in der Tat, es ist eine vorzügliche historische Materialsammlung. Die nach den Regeln der literarischen Kunst gestaltete Darstellung aber lieferte seine Gattin Anna, die nach ihren eigenen Worten die Verpflichtung fühlte, das von ihrem Gatten begonnene Werk fortzusetzen. An ihm hat sie bis zu ihrem Tode (nach 1148 und vor 1155) gearbeitet; sie hat es zu Ende geführt, wenn auch nicht allerletzte Hand an den Text gelegt. Wir haben es, was bisweilen vergessen worden ist, mit dem Werk einer reifen Frau zu tun; Anna ist 53 Jahre alt, als sie zu schreiben anfängt, und stirbt im Alter von etwa 70 Jahren. Anna beginnt die Alexias nicht wie Bryennios sein dem Alexios gewidmetes Werk nach Art einer Familienchronik mit Großvater, Onkel und Vater des Alexios, sondern mit dessen eigener militärischer Laufbahn, die er mit 17 Jahren im Dienst des Kaisers Michael VII. Dukas aufnahm. Das Byzantinische Reich befand sich zu dieser Zeit sowohl außenpolitisch als auch im Inneren in einer äußerst prekären Situation. Die glorreichen Tage des Kaisers Basileios II. (976-1025), als das Reich, stark und stabil im Inneren, noch einmal über seine Feinde in der Welt triumphierte und sich von Mesopotamien bis nach Italien erstreckte, waren längst dahin. In Unteritalien hatten die Normannen unter ihrem ebenso tatkräftigen wie skrupellosen Herzog Robert Guiskard Langobarden und Byzantiner aus ihren Machtpositionen vertrieben; 1071 war die letzte byzantinische Bastion, die Festung Bari, gefallen. Normannen, das Papsttum und die Deutschen Kaiser waren die tonangebenden Kräfte in Unteritalien. Byzanz hatte ausgespielt, ja es mußte nunmehr sein eigenes Territorium jenseits der Adria gegen die Normannen verteidigen. An Mesopotamien war längst nicht mehr zu denken. In Kleinasien selbst, dem ehemaligen Kemland des Reiches, waren die Sel^uken nach der Niederlage und Gefangennahme Kaiser Romanos' IV. Diogenes bei Mantzikert 1071 bis in den Westteil des Landes vorgedrungen und hatten dort mehrere Emirate begründet. In Nikaia, fast vor den Toren Konstantinopels, hatte einer dieser Emire seine Sultansresidenz aufgeschlagen. Auch die südliche Balkanhalbinsel, die Kleinasien als Kernland des Reiches ersetzen mußte, war bedroht. Über die Donau drangen in schier unerschöpflichen Wellen Reitervölker nach Süden

11

Einleitung

vor: Uzen, Pe^enegen, Komanen. Auch die Serben rührten sich in den wesdichen Landesteilen, und die teilweise ethnisch gefärbte religiöse Bewegung der Bogomilen bedrohte die Territorien unmittelbar südlich der Donau. Im Inneren herrschte fast so etwas wie Anarchie. Die große sog. Makedonische Dynastie war mit Theodora ruhmlos erloschen (1056), danach wechselten die Kaiser in rascher Folge. In der Zeit bis 1081 mußten drei von ihnen abdanken, eine große Zahl von versuchten Aufständen und Usurpationen erschütterte zusätzlich das Reich. Keiner der Kaiser vermochte diese Kräfte zu bannen; die großen Familien bestimmten das Geschehen. Besaßen diese in ihrer ausgedehnten Klientelschaft noch eine Art privater Armeen, so waren die Kaiser weitestgehend auf Söldnerheere angewiesen; die Soldaten-Bauerngüter Kleinasiens gehörten der Vergangenheit an. Söldner aber mußten bezahlt werden, und auch das war aufgrund fehlender Steuereinnahmen - auch hier machte sich der Verlust Kleinasiens schmerzlich bemerkbar - immer schwieriger. Progressive Münzverschlechterungen und leere Staatskassen zeugen von der allgemeinen Misere. Unter solchen Umständen erringt der junge Alexios, wie von Bryennios und in der Alexias geschildert, seine ersten großen militärischen Erfolge, nicht etwa gegen äußere Feinde, sondern gegen drei Usurpatoren, die unmittelbar hintereinander nach der Kaiserkrone griffen. Sein eigener Putsch, ein von der gesamten Familie, besonders der tatkräftigen Mutter Anna Dalassene, getragenes Unternehmen, setzte die Verständigung mit anderen Magnaten, vor allem dem Familien-Clan der Dukas, voraus. Es ist in erster Linie die Usurpation der Macht durch die Familie Komnenos unter Wahrung der Interessen des DukasClans; Alexios ist der Repräsentant der Familie, der sich dann als außerordentlich erfolgreicher Herrscher erweist. Die Probleme des Reiches bleiben bestehen, ja sie erhalten während seiner Regierungszeit außenpolitisch eine neue Dimension durch die Kreuzfahrer des Ersten Kreuzzuges und die Beziehungen zu den Seemächten Genua und Venedig, die für die Zukunft des Reiches so große Bedeutung haben sollten. Mit Alexios aber beginnt ein neuer Aufschwung, der unter der Dynastie der Komnenen bis in die 80er Jahre des 12. Jahrhunderts anhält. Erst dann erfolgt ein rascher Niedergang, der in der Zerschlagung des Reiches und in der Eroberung und Plünderung der Hauptstadt Konstantinopel durch die Teilnehmer des sog. Vierten Kreuzzuges sein trauriges Ende findet. Die Regierungszeit ihres Vaters schildert Anna, zumindest was Vorgänge in Konstantinopel selbst etwa nach 1095 angeht, aus unmittelbarem Erleben als Augenzeugin. Als z. B. der Verschwörer Michael Anemas in einer Spottprozession zum Richtplatz gefuhrt wurde, beobachtete Anna zusammen mit ihren jüngeren Schwestern oben vom Kaiserpalast aus das Geschehen auf der Straße.

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Einleitung

Sie beschreibt ihre Reaktion, ihre Gedanken und wie sie schließlich handelt: Sie läuft zu den kaiserlichen Eltern, die gerade in einer Kapelle beten, winkt heimlich der Mutter herauszukommen und bestimmt sie dazu, bei ihrem Gatten zugunsten des Delinquenten zu intervenieren. Anemas wird begnadigt. Immer wieder schildert Anna dem Leser ihre innere Anteilnahme am vergangenen Geschehen; die Erinnerung an geliebte Personen läßt sie ihren Schmerz, den sie beim Schreiben empfindet, beklagen. Der ganze Schlußteil des 15. Buches und damit der gesamten Alexias behandelt die letzte Krankheit und das Todeslager des Vaters, an welchem Anna zugleich als anteilnehmende Pflegerin und scharfblickende Beobachterin gestanden hat. Anna mischt sich als schreibende Person in den Text ein. Nicht nur Schmerz und Trauer über den Verlust geliebter Personen, auch andere emotionale Regungen läßt sie in die Erzählung einfließen. Mit sarkastischem Spott und unverhohlener Schadenfreude kommentiert sie ihre Darlegung der geheimen Absichten der beiden betrogenen Betrüger Robert Guiskard und Pseudo-Michael, die einer den anderen als Werkzeug zum Erklimmen des Kaiserthrons benutzen wollen: »... muß ich unwillkürlich lachen über diese Männer, ihre Torheit und Aufgeblasenheit, ja mehr noch über ihre gegenseitige Aufschneiderei ... Wenn ich daran denke, muß ich schmunzeln, und ein Lachen kommt auf meine Lippen, während ich beim Licht der Lampe die Schreibfeder führe.« Der direkte Bezug auf die Situation als Schreibende ist charakteristisch für Anna Komnene. Anna verfugt über weitaus mehr Quellen als ihre eigene Augenzeugenschaft; sie benennt diese Quellen in einem programmatischen Kapitel des XTV. Buches und darüber hinaus an einer Vielzahl von einzelnen Stellen. Es sind vor allem mündliche Berichte ihres Vaters, ihres Onkels Isaak, des mit Alexios seit der Usurpation eng verbundenen und mit den Komnenen verschwägerten Georgios Palaiologos und vieler anderer mehr. Fast mit allen auf der politischen und militärischen Bühne der Zeit agierenden Byzantinern war Anna verwandt oder zumindest sehr gut bekannt (z.B. mit dem General Tatikios), und auch unter den Lateinern hatte sie Gewährsleute, die sie mit Informationen versorgten. Daß Anna erst nach 1136 die Alexias in Fortsetzung des Werkes ihres verstorbenen Gatten zu schreiben beginnt, bedeutet ja nicht, daß sie vorher nicht Material und Nachrichten gesammelt hätte. Nach dem Tode des Alexios war es ihr in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit verwehrt, politisch mächtige Personen zu empfangen, aber sie bekam Berichte von Kriegsveteranen, die im Alter Zuflucht und Versorgung in Klöstern gefunden hatten, und sie konnte Memoiren benutzen, die in literarisch anspruchsloser Form Fakten übermittelten. Sie hatte weiterhin Zugang zum kaiserlichen Archiv; ihr standen Originale oder zumindest exakte Kopien der Verträge und Korrespondenzen ihres Vaters zur

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Einleitung

Verfügung. So zitiert sie ausfuhrlich z.B. die Urkunde, mit welcher Alexios 1081 seine Mutter Anna Dalassene mit der obersten Leitung der zivilen Regierungsgeschäfte beauftragt hat, die Privilegienurkunde für Venedig für geleistete Flottenhilfe (1082) und schließlich die große Urkunde, welche die Bestimmungen des Vertrages enthielt, durch den Bohemund als Lehnsmann des Alexios das Gebiet des Fürstentums Antiocheia und andere Ländereien erhielt (1108). Wie benutzt Anna ihre Quellen? Für die Ereignisse vor 1079 stand ihr das Werk ihres verstorbenen Gatten zur Verfügung, auf das sie an mehreren Stellen auch ausdrücklich verweist. Somit sind wir für einige Partien in der Lage, einen direkten Vergleich zwischen der bereits schriftlich ausgearbeiteten Quelle und der durch Anna erfolgten Bearbeitung vorzunehmen. Anna setzt in der Alexias nicht einfach die Erzählung des Bryennios fort, sondern greift in ihrer Darstellung einige von Bryennios geschilderte Ereignisse noch einmal auf. Aber sie trifft dabei eine sorgfaltige Auswahl: Aus dem in ausführlicher Breite trocken dargelegten Material bei Bryennios greift sie drei Episoden heraus und komponiert sie zu einer Klimax, auf deren Höhe der in dreimaligem Triumph erfolgreiche junge General Alexios steht. Anna konzentriert und verdichtet ihr Quellenmaterial zugunsten ihres Darstellungszieles, die Taten ihres Helden Alexios zu schildern. Geschichte zu schreiben, hieß seit der Antike, in einer literarisch anspruchsvollen Gattung tätig zu sein, die von ihrem Autor Fähigkeiten verlangt, die denen des Dramatikers und des Romanschreibers ähnlich sind. Der Stoff muß nach Leitgedanken geordnet, auf Schwerpunkte verdichtet, um bestimmter Ziele willen gerafft oder gedehnt werden; die Personen müssen lebendig vor den Augen des Lesers wie auf einer Bühne agieren. Die Alexias ist keine Chronik, sondern ein sorgfaltig komponiertes literarisches Werk. Bei aller Fülle der Einzelheiten aus sehr verschiedenen Bereichen ist die Komposition um erzählerische Hauptachsen zentriert. Für die Bücher I bis VI bildet diese Hauptachse die Auseinandersetzung zwischen Alexios und dem Normannenherzog Robert Guiskard. Die erste Hälfte von Buch I entwirft zunächst das Bild des Feldherrn Alexios, die zweite Hälfte schildert den Aufstieg des Gegenspielers Robert. Neben historischer Analyse gehören dabei sinnfällige Anekdote und ausschmükkende Legende selbstverständlich zum schriftstellerischen Arsenal. Dem großen Kampf mit den Normannen sind dann die Bücher IV bis VI gewidmet, nachdem die Bücher II bis III die Ereignisse in Konstantinopel und den erfolgreichen Griff der Komnenen nach der Kaisermacht präsentiert haben. Die Bücher VII bis XV sind in der Gesamtkomposition loser gefügt, doch spielt auch hier das Normannenthema die wichtigste Rolle, konzentriert um die Figur des Bohemund. Durch konkrete, anekdotenhafte Erzählzüge versteht es Anna, diese Figur vor dem Auge des Lesers in besonders lebendiger Deudich-

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keit erstehen zu lassen. Die Unterwerfung Bohemunds wird durch den extensiv zitierten Vertragstext seines Vasalleneides zum vorläufigen Höhepunkt des Werkes in Buch XIII, dem in Buch XV als Pendant die dramatisch ausgemalte Todesszene des Alexios gegenübersteht. Der Titel Alexias stellt das Werk in die Tradition enkomiastischer Epik. Aus dem byzantinischen Bereich kennen wir die Herakleias, das zum Ruhm des Kaisers Herakleios (610-641) gedichtete Versepos des Georgios Pisides, und er verweist darüber hinaus auf die Ilias Homers, mit der Anna bestens vertraut war; das belegen zahlreiche Zitate und das mehrfach angewandte darstellerische Mittel der »Aristie«, d. h. die Konzentration auf die Schilderung der kriegerischen Heldentaten eines einzelnen herausgehobenen Mannes in einer bestimmten Schlacht, vorzugsweise des Alexios selbst. Die nicht nur dadurch entstehende Spannung zwischen dem der Neutralität verpflichteten Ideal der Historiographie und den Erfordernissen der Lobrede hat Anna selbst in mehreren Exkursen angesprochen und immer wieder ihre Unparteilichkeit versichert. Aber sie ist natürlich parteilich, und sie verschweigt vieles, etwa was ihre eigene und ihrer Mutter Rolle im Ränkespiel um die Nachfolge des Alexios betrifft. Für manche der in der Alexias geschilderten Ereignisse besitzen wir andere erzählende Quellen, die wir als Korrektiv heranziehen können, vor allem Ioannes Zonaras und (für die Ereignisse um den Tod des Alexios) Niketas Choniates. Für die Kämpfe mit den Normannen, den Ersten Kreuzzug und die Beziehungen zwischen Byzanz und den Kreuzfahrerstaaten können wir die Alexias mit westlichen und orientalischen Quellen konfrontieren, vor allem mit Wilhelm von Apulien, Gottfried Malaterra, den Gesta Francorum, Raimund von Aguilers, Albert von Aachen, Fulcher von Chartres, Ordericus Vitalis, Matthaios von Edessa und anderen mehr. Für vieles hingegen ist die Alexias unsere einzige Quelle, z. B. fiir die Einzelheiten der Auseinandersetzungen mit den Selguken in Kleinasien, die Biographie des Ioannes Italos, die Bogomilen-Prozesse mit der Verurteilung und Hinrichtung des Basileios. So ist die Alexias einerseits eine Geschichtsquelle ersten Ranges und andererseits ein hervorragendes literarisches Denkmal ihrer Epoche. Die Sprache, in der Anna Komnene schreibt, ist die gelehrte, archaisierende Kunstsprache, die sich die gebildeten Byzantiner in einem viele Jahre dauernden Training unter der Anleitung von Lehrern und literarischen Vorbildern aneigneten. Sie basiert auf dem Grundstock der von den antiken griechischen Prosaikern des 4. Jahrhunderts v. Chr. gebrauchten Literatursprache, die in der Kaiserzeit und in der Spätantike durch Elemente aus Dichtung und Prosa anderer Epochen modifiziert wurde. Annas Sprache ist jedoch keineswegs so puristisch, wie oft behauptet wird. Sie mischt um der stilistischen Variation willen sehr oft Formen und Wörter aus verschiedenen Sprachregistem, und in vielen

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Fällen bedarf es gerade der Kenntnis auch des modernen griechischen Sprachgebrauchs, damit man den Text richtig versteht. Uberliefert ist die Alexias in sechs Codices, die dem Mittelalter bzw. der Renaissance entstammen; drei weitere Codices enthalten einen epitomierten Text, ein anderer überliefert große Teile der Alexias in einer im Vergleich zum Original einfacheren Sprachform. Einige dieser Codices sind aus erhaltenen Codices abgeschrieben, so daß für die Herstellung der ursprünglichen Form des griechischen Textes nur drei Codices maßgebend sind: einer aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (F = Florentinus Laurentianus 70, 2), ein anderer aus'der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts (C = Parisinus Coislinianus 311) und ein Codex, der den epitomierten Text enthält, geschrieben zu Beginn des 14. Jahrhunderts (V = Vaticanus graecus 981). Obwohl der griechische Text der Alexias schon mehrfach ediert worden ist, kann keine der bisherigen Editionen befriedigen; der Text in den Codices ist an vielen Stellen falsch gelesen worden, das Verhältnis der Codices zueinander wurde nicht mit hinreichender Klarheit bestimmt, Eingriffe der Herausgeber in den Text müssen wieder entfernt, an anderen Stellen hingegen Verderbnisse durch Konjekturen geheilt werden. Eine neue kritische Edition ist daher von Athanasios Kambylis und mir vorbereitet worden und wird in absehbarer Zeit in der Reihe Corpus Fontium Historiae Byzantinae (CFHB), Series Berolinensis, erscheinen. Der Text dieser neuen Ausgabe liegt der hier publizierten Übersetzung bereits zugrunde. Die vorgelegte Ubersetzung ist die erste Gesamtübersetzung der Alexias ins Deutsche; ihre einzige Vorgängerin, die allerdings über weite Strecken nur eine sehr stark raffende Paraphrase und keine wirkliche Ubersetzung darstellt, ist vor über 200 Jahren unter der Leitung und mit Beteiligung von Friedrich Schiller entstanden. Sie ist enthalten in Bd. 1 und 2 der AUgemeine(n) Sammlung Historischer Memoires vom zwölften Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten durch mehrere Verfasser übersetzt, mit den nöthigen Anmerkungen versehen, und jedesmal mit einer universalbistoriscben Uebersicht begleitet, herausgegeben von Friedrich Schiller, Jena 1790. Die von mir gegebene Übersetzung erstrebt Genauigkeit und stilistische Adäquatheit. Namen und Titel erscheinen in der Form, wie sie im griechischen Text stehen. Kleinere, für das Verständnis des Textes notwendige Ergänzungen werden in eckigen Klammern im Text selbst beigegeben. Die Fußnoten erheben nicht den Anspruch, einen historischen Kommentar zum Text zu liefern. Sie wollen nur dem unmittelbaren Textverständnis dienen und geben in erster Linie Hinweise auf allgemein zugängliche und weiterfuhrende Literatur.

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Editionen des griechischen Textes: D. Hoeschel, Alexiados libri VIII ab Anna Comnena de rebus a patre gestis scripti, Augustae Vindelicorum 1610. Hoeschel hat, ohne es zu wissen, nur den epitomierten Text ediert. P. Poussines, Annae Comnenae Alexiadis libri XV, Lutetiae 1649. J. Schopen/A. Reifferscheid, Annae Comnenae Alexiadis libri XV, Bd. 1, Bonn 1839, Bd. 2, Bonn 1878. A. Reifferscheid, Annae Comnenae Alexias, libri XV, 2 Bde., Leipzig 1884. B. Leib, Anne Comnène, Alexiade, tome I-III, Paris 1937-1945. Index par P. Gautier (= tome IV), Paris 1976. Vollständige Übersetzungen des Textes liegen für folgende Sprachen vor: Lateinisch (Poussines 1649; Schopen 1839-1878), Französisch (Cousin 1672; Leib 1937-1945), Italienisch (Rossi 1846), Russisch (anonym 1859; Ljubarskij/SIuzkaja 1965), Dänisch (Hovgird 1879-1882), Englisch (Dawes 1928; Sewter 1969), Neugriechisch (Konstantopoulos 1938; Sidere 1992), Spanisch (Diaz Rolando 1989). Wichtige Kommentare: Carolus Ducangius (Du Cange), In Annae Comnenae Alexiadem notae historicae et philologicae, abgedruckt in der Ausgabe des griechischen Textes von J. Schopen/A. Reifferscheid, Bd. 2, S. 415-703. J. N. Ljubarskij, Aleksiada, Moskau 1965, S. 435-630. Monographien: E. Oster, Anna Komnena, Theil 1-3 (= Wissenschaft!. Beilage zum Progr. des Grossherzogl. Lyceums in Rastatt), Rastatt 1868-1871. G. Buckler, Anna Comnena, Oxford 1929. F. Chalandon, Essai sur le règne d'Alexis F Comnène (1081-1118), Paris 1900. Biographische Skizze: Ch. Diehl, in: Figures Byzantines, Deuxième série, Paris 1921, S. 26-52. Weitere Literaturhinweise in den Anmerkungen bzw. im Verzeichnis der abgekürzten Literatur. Die hier vorgelegte Übersetzung ist nach und nach im Laufe von etwa zehn Jahren entstanden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich, daß sie meine AlexiasForschungen finanziell unterstützt hat.

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Für vielfältige Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts, der Einrichtung verschiedener Rechner-Programme und den Vorarbeiten für den Namensindex danke ich meinen Bochumern Gerda Michaelis, Kostas Hopterides, Silvia Ebert, Vasiliki Polyzos und Christine Rathenow. Für die hervorragende Betreuung seitens des Verlages danke ich Dr. Lioba Waleczek und Martin Sulzer-Reichel. Der größte Dank jedoch gebührt derjenigen, deren Name - wie immer - ungenannt bleibt. Gewidmet ist die Übersetzung ihrem ersten Leser, meinem Vater. Berlin-Dahlem, im Februar 1996

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Vorrede, Kapitel 1 § 1-2

Vorrede

I Die unaufhaltsam dahinströmende und ständig in Bewegung befindliche Zeit reißt alles mit sich fort, was entsteht, und zieht Unbedeutendes ebenso wie Großes und Bedeutendes, das bewahrt zu werden verdient, in den Abgrund des historischen Dunkels hinab, und sie bringt, wie die Tragödie sagt, das Verborgene ans Licht und birgt das, was sichtbar geworden ist, wieder im Dunkel.1 Aber die Geschichtsschreibung wird zu einem mächtigen Bollwerk gegen den Strom der Zeit; sie bringt in gewisser Weise sein unaufhaltsames Fließen zum Stillstand und hält alles, was der Zeitstrom mit sich fuhrt, soweit sie es erfassen kann, fest in ihrem Griff und läßt nicht zu, daß es abgleitet in die Tiefen des Vergessens. 2 Da ich dieses erkannt habe, ich, Anna, die Tochter der Basileis2 Alexios und Eirene3, geboren und aufgezogen in der Porphyra4, die ich nicht nur nicht ungebildet bin, sondern vielmehr über umfassende Kenntnisse im richtigen Gebrauch des Griechischen verfuge und auch Rhetorik-Studien be1 Sophokles, Aias 646-647: »Alles Verborgene bringt die lange, nicht meßbare Zeit ans Licht und birgt das, was sichtbar geworden ist, wieder im Dunkel.« Das Zitat gehört zum Arsenal der literarischen Topoi, deren sich die byzantinischen Geschichtsschreiber in ihren Proömien gern bedienen. 2 Grundsätzlich werden in der Übersetzung die byzantinischen Titel nur ins Deutsche transkribiert, nicht aber übersetzt. Basileis ist der Plural zu Basileus, das gewöhnlich mit »Kaiser« wiedergegeben wird; Anna gebraucht die Titel »Basileus« und »Autokrator« ohne Bedeutungsunterschied. W e n n sie »der Basileus« oder »der Autokrator« sagt, ist fast immer ihr Vater Alexios Komnenos gemeint. 3 Anna Komnene wurde am 2. Dezember 1083 als erstes von neun Kindern des regierenden Kaisers Alexios Komnenos (geb. ca. 1056) und seiner Frau Eirene Dukaina (geb. ca. 1066) geboren. 4 Das mit Porphyr ausgekleidete Gebäude im Bezirk des Kaiserpalastes, das Anna in Buch VII, Kap. 2 § 4 näher beschreibt. Hier gebaren in der Regel die Frauen der regierenden Kaiser ihre Kinder, die daher den Beinamen »Porphyrogennetos« bzw. »Porphyrogennete« = »in der Porphyra geboren« führten. Vgl. Janin, Constantinopk 121-122; Treitinger, KaiserundReichsidee 58. Die Bezeichnung »Porphyrogennetos« war allerdings nicht an die tatsächliche Geburt in der Porphyra gebunden, sondern kam allen Kindern von regierenden Kaisern und von deren Mitkaisern zu.

Vorrede, Kapitel 1 § 2-Kapitel 2 § 2

trieben, d i e T r a k t a t e d e s Aristoteles u n d die D i a l o g e Piatons 5 s o r g f a l t i g g e l e s e n und meinen Verstand a m

Q u a d r i v i u m der W i s s e n s c h a f t e n g e s c h u l t

habe 6

( d e n n m a n sollte d a s r u h i g a u s s p r e c h e n , u n d d a s ist k e i n e s w e g s E i g e n l o b , w a s d i e N a t u r m i r m i t g e g e b e n u n d was d a s S t u d i u m der W i s s e n s c h a f t e n d a z u g e t a n hat, e b e n s o wie d a s , w a s G o t t m i r s c h e n k t e u n d g ü n s t i g e U m s t ä n d e beigetrag e n h a b e n ) , will ich in d i e s e m m e i n e m W e r k die T a t e n m e i n e s V a t e r s e r z ä h l e n , d i e es n i c h t v e r d i e n e n , d e m S c h w e i g e n a n h e i m g e g e b e n u n d v o m S t r o m der Z e i t g l e i c h s a m ins M e e r d e s V e r g e s s e n s f o r t g e s c h w e m m t z u w e r d e n , s o w o h l d a s , w a s er n a c h s e i n e m R e g i e r u n g s a n t r i t t v o l l b r a c h t hat, als a u c h d a s , w a s er v o r seiner K r ö n u n g i m D i e n s t e a n d e r e r Basileis geleistet hat. II D i e s e T a t e n w e r d e ich s c h i l d e r n , n i c h t u m m e i n e

schriftstellerischen

F ä h i g k e i t e n u n t e r B e w e i s z u stellen, s o n d e r n d a m i t e i n s o wichtiger G e g e n s t a n d n i c h t u n b e z e u g t b l e i b t f ü r die N a c h w e l t , d e n n selbst d i e g r ö ß t e n T a t e n g e h e n i m D u n k e l des S c h w e i g e n s unter, w e n n sie n i c h t in i r g e n d e i n e r F o r m d u r c h die Literatur b e w a h r t u n d d e m G e d ä c h t n i s ü b e r a n t w o r t e t werden. 7 M e i n V a t e r n ä m l i c h war f ä h i g , wie die G e s c h e h n i s s e selbst b e w e i s e n , z u h e r r s c h e n u n d a u c h d e n H e r r s c h e n d e n , soweit e r f o r d e r l i c h , z u g e h o r c h e n . 8

2

Aber bei

m e i n e m E n t s c h l u ß , sein L e b e n s w e r k f e s t z u h a l t e n , f u r c h t e ich d e n h e i m l i c h e n u n d u n t e r s c h w e l l i g e n V o r w u r f , d a ß m a n n ä m l i c h m e i n e n k ö n n t e , ich w o l l e m i t d e m G e s c h i c h t s w e r k ü b e r m e i n e n V a t e r m i c h selber r ü h m e n , u n d ich

5 Aristoteles war vor allem mit seinen logischen Schriften unbestrittene Autorität in Byzanz; das Verhältnis der Byzantiner zu Piaton war hingegen höchst ambivalent - hoch geschätzt als Stilist, aber in seinen Lehren (Ideenlehre, Präexistenz der Seele, Seelenwanderung) immer wieder dem Mißtrauen und der Feindschaft der Orthodoxie ausgesetzt. Generell ist für Byzanz zu beachten, daß Piaton vor allem in neuplatonischer Interpretation (durch Plotin und Proklos) rezipiert wurde. Im 11. Jahrhundert war das Interesse einzelner Gelehrter wie Michael Psellos und Ioannes Italos an Piaton besonders groß, auch hier nicht ohne Angriffe seitens der Orthodoxie (Vorwürfe an Psellos seitens des Ioannes Xiphilinos, Prozeß gegen Italos [vgl. dazu unten Buch V, Kap. 8-9]). 6 Unter Quadrivium versteht man den mathematischen Teilbereich der »Sieben freien Künste« des Mittelalters: Astronomie, Geometrie, Arithmetik, Musik, neben dem »Trivium« (Grammatik, Rhetorik, Dialektik). Für die Ausbildung der byzantinischen Intellektuellen der Zeit Annas stand an oberster Stelle die Rhetorik, von der ein fließender Übergang über die Logik zur Philosophie führte, und außer den anderen in Trivium und Quadrivium zusammengefaßten Disziplinen spielte auch die Medizin eine nicht unbedeutende Rolle. Vgl. Magdalino, Manuel 361-366. Für die umfassende Bildung Annas legt nicht nur ihr Werk selbst Zeugnis ab; auch die Zeitgenossen bestätigen ihre Selbsteinschätzung: Ioannes Zonaras XVIII26,15-17 (III 754,11-14 Büttner-Wobst); Niketas Choniates, S. 10,45-46 van Dieten; vor allem Georgios Tornikes in seiner Grabrede (ed. J . Darrouzes, Georges et Demetrios Tornikes, Lettre* et discours 220-323). Eine Würdigung ihrer Person gibt Darrouzes ebendort S. 23-24. 7 Der ganze Satz vom Kapitelanfang an ist ein nahezu wörtliches Zitat aus Ioannes von Epiphanias (S. 375, 12 - 376, 6 Dindorf). 8 Damit verkörperte Alexios ein in der Antike formuliertes Herrscherideal (vgl. Aristoteles, Politica Uli b 13-15; Xenophon, Memorab. III 9, 10).

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Vorrede, Kapitel 2 § 2-Kapitel 3 § 2

furchte auch, daß meine gesamte historische Darstellung unwahr erscheinen könnte und als ein schierer Lobgesang, wenn ich meine Bewunderung über irgendeine seiner Handlungen zum Ausdruck bringe. In dem Falle aber, wo er Anlaß zu Kritik gibt und die Sache selbst mich zwingt, auch etwas an dem, was er getan hat, auszusetzen, nicht seinetwegen, sondern weil die Dinge nun einmal so sind, da furchte ich wiederum die Tadelsüchtigen, daß sie mir nämlich das Beispiel von Ham, dem Sohn des Noah', vorhalten werden, da sie alle einer auf den anderen ihre mißgünstigen Blicke werfen und vor Scheelsucht und Neid nicht erkennen, wenn sich etwas richtig verhält, und daß sie, wie Homer sagt, den Unschuldigen beschuldigen10. 3 Denn wenn man die Rolle des Geschichtsschreibers übernimmt, dann muß man Zuneigung und Haß vergessen und oft die Feinde mit größtem Lob überhäufen, wenn ihre Handlungen das erfordern, oft auch die nächsten Angehörigen kritisieren, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten dies angezeigt sein läßt. Daher darf man weder zögern, die Freunde zu tadeln, noch die Feinde zu loben." Ich aber will sowohl die einen als auch die anderen, sowohl diejenigen, die an unserer Sichtweise Anstoß nehmen, als auch diejenigen, die mit uns einverstanden sind, durch die Tatsachen selbst und deren Augenzeugen zufriedenstellen, indem ich mich auf diese und die Fakten als Zeugen stütze. Denn von einigen meiner jetzigen Zeitgenossen sind entweder Väter oder Großväter Zeugen der hier beschriebenen Ereignisse gewesen. III Vor allem aber aus folgendem Grunde kam ich dazu, die Geschichte der Taten meines Vaters zu schreiben: Ich war mit dem Kaisar12 Nikephoros, aus dem Geschlecht der Bryennier, als rechtmäßigem Gatten verehelicht, einem Mann, der durch seine übergroße Schönheit, durch seine Verstandesschärfe und Beredsamkeit seine Zeitgenossen bei weitem übertraf. Es war wundervoll, ihn anzuschauen und ihm zuzuhören! Doch damit unsere Rede nicht vom Hauptweg abkommt, wollen wir jetzt der Reihe nach vorgehen. 2 Kurz, er war ein in jeder Hinsicht ausgezeichneter Mann: Er begleitete den Aütokrator Ioannes, meinen Bruder13, auf Feldzügen, sowohl bei anderen Expeditionen gegen verschiedene Barbarenvölker als auch vor allem bei dessen Zug gegen die Assyrer1", 9 Gen. 9,20-27: Ham erzählt seinen Brüdern von der aufgedeckten Blöße seines betrunkenen Vaters, statt diskret zu schweigen, und wird deshalb von diesem verflucht. 10 Formelhafter Halbvers; Homer, Was 11, 654; 13, 775; Odyssee 20, 135. 11 Der Abschnitt vom Beginn des § 3 an ist eine größtenteils wörtliche Übernahme aus Polybios I 14. Im Gegensatz zu Polybios spielt der Gesichtspunkt des Nutzens der Geschichtsschreibung für die Nachwelt bei Anna keine Rolle; ihr Ziel ist nicht der Nutzen für die Nachwelt, sondern die Verherrlichung der Taten ihres Vaters Alexios. 12 Zu dieser Zeit höchster Titel und Rang hinter dem regierenden Kaiser (»Basileus« oder »Aütokrator«)13 Ioannes II. Komnenos (1118-1143). 14 Gelehrte, antiquarische Bezeichnung für die Bewohner Syriens und deren Hauptstadt Antiocheia.

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Vorrede, Kapitel 3 § 2 - 3

als er die Stadt des Antiochos wieder unter seine Herrschaft brachte15. Aber der Kaisar konnte auch unter Strapazen und körperlichen Anstrengungen nicht von geistiger Beschäftigung lassen und verfaßte auch mehrere andere bedeutende und erhaltenswerte Schriften; vor allem aber unternahm er es, im Auftrag der Basiiis16, über Alexios, den Autokrator der Romäer", meinen Vater, ein Geschichtswerk zu schreiben und in mehreren Büchern dessen Taten während seiner Regierungszeit darzustellen, soweit die Umstände zuließen, daß er in den kurzen Zeiten, in denen er nicht unter Waffen im Kriege stand, sich der Schriftstellerei und geistiger Anstrengung widmete. Und so machte er sich denn auch ans Werk, indem er bei der Vorgeschichte einsetzte (auch in diesem Punkte fugte er sich dem Willen unserer Kaiserlichen Herrin), und begann also bei Diogenes, dem Autokrator der Romäer18, und führte seine Geschichte herab bis auf eben jenen, der Hauptgegenstand seines Werkes sein sollte. Denn zur Zeit des Diogenes war mein Vater ein vielversprechender junger Mann in seiner vollen Jugendblüte. Vor dieser Zeit nämlich war er noch nicht einmal zum Jüngling herangewachsen und hatte nichts geleistet, was aufgezeichnet zu werden verdiente, es sei denn, jemand hielte auch seine Kinderspiele einer Lobpreisung für würdig. 3 Dies war also der Plan des Kaisars, wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht. Doch erfüllte sich seine Hoffnung nicht, und er konnte sein Werk nicht ganz vollenden, sondern nachdem er mit seinem Bericht bis zur Zeit des Autokrators Nikephoros Botaneiates" gekommen war, hörte er auf zu schreiben, da die Umstände ihm nicht erlaubten, seinen Plan fortzufuhren (zum Schaden für den Gegenstand des Werkes und für die Leser ein entgangener Genuß). Deshalb habe ich den Entschluß gefaßt, alles, was 15 1136/37 zog Ioannes II. nach Syrien, u m das Kreuzfahrer-Fürstentum von Antiocheia wieder für das Byzantinische Reich zu gewinnen. Fürst Raimund von Antiocheia erklärte sich nach Belagerung der Stadt durch die Byzantiner im Sommer 1137 zum Vasallen des Kaisers. 16 Weibliches Pendant z u m Titel »Basileus«, also »Kaiserin«, Annas Mutter Eirene Dukaina. Sie war 1077, damals 11 Jahre alt, mit Alexios verheiratet worden. Vgl. zu ihr Skoulatos, Pmonnages, Nr. 83 (S. 119-124); Polemis, Doukai, Nr. 26 (S. 70-74); O D B sub v. Irene Doukaina. 17 Die Byzantiner haben sich bis zum Untergang des Reiches und darüber hinaus als »Rhomaioi«, d. h. »Römer«, bezeichnet, da ihr Reich, das wir mit einem modernen Begriff das »Byzantinische« Reich nennen, nach wie vor das, wenn auch zum Ende hin sehr verkleinerte, Imperium R o m a n u m war. Aus Gründen der Konvention wird zur Unterscheidung von den antiken Römern in der Übersetzung für »Rhomaioi« und abgeleitete Wörter nicht »Römer«, sondern »Romäer« verwendet. 18 Romanos IV. Diogenes (1068-1071). Vorher hat Bryennios noch die Stammväter der Komnenen behandelt, Manuel (Erotikos) und dessen Söhne Isaak und Ioannes. Das Geschichtswerk des Nikephoros Bryennios ist nur in einer einzigen, heute verschollenen Handschrift auf uns gekommen (Edition von P. Gautier, Nicephori Biyennii Historiarum libri quattuor, [CFHB 9] Bruxelles 1975). 19 1078-1081.

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Vorrede, Kapitel 3 § 3-Kapitel 4 § 1

von meinem Vater unternommen worden ist, aufzuzeichnen, damit solche Leistungen der Nachwelt nicht verlorengehen. Welchen Wohlklang die Berichte des Kaisars hatten und welche Anmut, wissen alle, die mit seinen Werken Bekanntschaft gemacht haben. 4 Aber als er so weit gekommen war, wie ich gesagt habe, und sein Werk skizziert hatte und es halbfertig von jenseits der Grenzen zu uns brachte, da brachte er, weh mir, zugleich auch eine tödliche Krankheit mit, sei es infolge der endlosen Strapazen, sei es infolge der allzuhäufigen Feldzüge oder sei es infolge seiner unsagbar großen Fürsorge für uns. Denn diese ihm angeborene Fürsorglichkeit und die unablässigen Strapazen, dazu das anomale und bösartige Klima, haben ihm einen tödlichen Trank gemischt. Und so kam es, daß er bereits als schwerkranker Mann gegen die Syrer und Kilikier zog. Syrien gab ihn dann in geschwächtem Zustand an Kilikien weiter; die Kilikier wiederum an die Pamphylier, die Pamphylier an die Lyder und Lydien an Bithynien und Bithynien schließlich an die Kaiserin der Städte und uns zurück20, als er bereits an einer Schwellung der Eingeweide litt infolge der großen Strapazen. Doch als er uns trotz seiner großen Schwäche seine Erlebnisse eindringlich schildern wollte, da vermochte er es nicht, teils durch die Krankheit, teils auch von uns daran gehindert, damit nicht durch das Erzählen seine Wunde wieder aufbreche. IV Da ich an dieser Stelle meines Berichts angelangt bin, wird meine Seele dunkel vor Schmerz, und Ströme von Tränen überschwemmen meine Augen. Oh welch guter Ratgeber ging den Romäern verloren! Wie vollkommen und umfassend war die Lebenserfahrung, die dieser Mann gesammelt hatte! Seine literarischen Kenntnisse, sein vielfältiges Wissen, ich meine sowohl im profanen als auch in unserem christlichen Bereich! Oh und diese Anmut seiner Glieder und seine Gestalt, die nicht nur überhaupt eines Throns würdig war, wie man sagt21, sondern eines überaus götdichen und ganz erhabenen!22 Was nun mich betrifft, so war mir auch sonst Leid in mannigfacher Form und reichlich vertraut gleichsam von der Zeit an, als ich noch in den Windeln lag in der Porphyra, und schlimme Schicksalsschläge trafen mich, wenn man es nicht schon von vornherein überhaupt nicht als gutes und mir holdes Geschick ansehen möchte, von meiner Mutter, der Kaiserin, geboren und von meinem Vater, dem Autokrator, gezeugt und in der Porphyra aufgezogen zu sein. Alles

20 Marschweg von Antiocheia am Orontes (Syrien) nach Konstantinopel, wo Bryennios noch vor Oktober 1136 starb. Der Beginn des kilikisch-syrischen Feldzugs Ioannes' II. muß also auf 1136 angesetzt werden; Bryennios kehrte noch vor dem Sturm auf Antiocheia im Sommer 1137 todkrank nach Konstantinopel zurück (vgl. Ljubarskij, Aleksiada zur Stelle). 21 Eine zum geflügelten Wort gewordene Euripides-Stelle (frg. 15, V. 2 Nauck2). 22 Anna spielt hiermit darauf an, daß Nikephoros den Kaiserthron anstelle ihres Bruders Ioannes hätte einnehmen sollen.

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Vorrede, Kapitel 4 § 1-3

übrige jedenfalls: welche Unglückswogen, welche Erschütterungen! Orpheus konnte mit seinem Gesang Steine bewegen und Bäume und selbst die unbeseelte Natur, und der Flötenspieler Timotheos vermochte es, als er einst dem Alexander den Orthios" blies, den Makedonen sogleich zu den Waffen und zum Schwerte zu treiben. Die Schilderung meiner Leiden aber soll nichts im Raum bewegen und auch nicht zu Waffen und Krieg treiben, sondern sie soll den Leser zu Tränen rühren und nicht nur die mit Empfindung begabte, sondern auch die unbeseelte Natur zum Mitleiden zwingen. 2 Das Leid um den Kaisar und seinen unverhofften Tod traf mich im Innersten meiner Seele und verwundete mich tief. Und ich glaube, daß die vorangegangenen Schicksalsschläge im Vergleich zu diesem einen unendlich schweren Schlag wahrlich wie ein Tropfen sind im Vergleich zum Adantischen Ozean oder zu den Wogen des Adriatischen Meeres. Vielmehr, so scheint es, waren jene ein Vorspiel für diesen, und schon im voraus erfaßte mich der Rauch dieses Herdbrandes, und jener Glutwind stammte von diesem Feuer und jene tägliche Gluthitze von dieser unbeschreiblichen Feuersbrunst. O h Feuer, welches ohne Materie zu Asche verwandelt! Feuer, das im geheimen lodert, das brennt, ohne zu verbrennen, das zwar das Herz verzehrt, aber den Anschein erweckt, wir seien nicht mitverzehrt worden, obgleich wir die Glut doch bis in Mark und Bein und den innersten Winkel des Herzens gespürt haben. 3 Doch ich sehe, daß ich mich von diesen Erinnerungen habe fortreißen lassen, fort von meinem eigendichen Vorhaben, und da mir der Kaisar vor Augen trat und die Trauer um den Kaisar, haben sie mir eine alles durchdringende Trauer Tropfen für Tropfen eingeflößt! Nun, da ich meine Tränen getrocknet habe und wieder zu mir gekommen bin aus meiner schmerzlichen Erinnerung, will ich der Reihe nach erzählen und damit, wie die Tragödie sagt24, zwiefach Tränen ernten, da der eine Verlust mich an einen weiteren erinnert. Denn das Leben dieses so großartigen und so tugendhaften Basileus zum Thema eines für die Offendichkeit bestimmten Werkes zu machen, bedeutet, auch die wunderbaren Leistungen dieses Mannes in Erinnerung zu rufen, was mich in heiße Tränen ausbrechen läßt, die ich ohnehin schon weine, zusammen mit der gesamten bewohnten Welt. Denn seiner zu gedenken und seine Kaiserherrschaft darzustellen, ist für mich ein Anlaß zu lautem Wehklagen, für die übrigen aber die Erinnerung an einen Verlust. Wir wollen daher die Geschichte meines Vaters an dem Punkt beginnen, wo es lohnt zu beginnen; es lohnt aber dort zu beginnen, von wo an die Darstellung einigermaßen faßbar und historisch interessant sein wird. 23 Schrille, aufpeitschende Weise. Timotheos war ein zu seiner Zeit berühmter Flötenspieler. Die Anekdote mit Alexander dem Großen überliefert z. B. Suidas, sub v. Timotheos (T 620 Adler). 24 Euripides, Hekuba 518.

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Buch I, Kapitel 1 § 1

Buchi

I Der Basileus Alexios, mein Vater, ist auch schon vor seinem Regierungsantritt von großem Nutzen für das Reich der Romäer gewesen. An Feldzügen teilzunehmen begann er bereits unter Romanos Diogenes; denn er tat sich unter seinen Altersgenossen durch einen staunenswerten und ganz außergewöhnlichen Wagemut hervor. So war er begierig, zu jener Zeit gerade vierzehn Jahre alt, den Basileus Diogenes auf dem überaus schwierigen Feldzug zu begleiten, den dieser gegen die Perser1 unternahm, und er zeigte bereits von da an, daß sein Zorn die Barbaren bedrohe und daß sein Schwert, wenn er in der Schlacht auf die Barbaren treffen würde, sich am Blute berauschen werde; so versessen auf Kampf war der junge Mann. Doch damals erlaubte ihm der Autokrator Diogenes nicht, ihn zu begleiten, da seine Mutter 2 gerade von einem sehr schweren Leid getroffen worden war. Sie beklagte nämlich zu jener Zeit den Tod ihres erstgeborenen Sohnes Manuel 3 , eines Mannes, der große und bewundernswerte Taten für das Reich der Romäer vollbracht hatte. Damit nun jene nicht ohne Trost sei, da sie ja von ihrem ersten Sohn nicht einmal wußte, wo sie ihn bestatten sollte, und nun auch noch bei diesem Sohn, wenn sie ihn in den Krieg ziehen ließ, bangen müßte, daß dem jungen Mann ein Unglück zustoße, und sie dann wiederum nicht einmal wissen würde, wo er gefallen sei, zwang er den jungen Alexios, umzukehren zu seiner Mutter. Damals also mußte dieser, wenn auch gegen seinen Willen, 1 Archaisierend fiir die selçukischen Türken; Anna gebraucht die Bezeichnungen »Tourkoi« und »Persai« ohne Unterschied der Bedeutung. Der Feldzug Romanos' IV., der zur Niederlage der Byzantiner bei Mantzikert (Malazgirt) in Anatolien (1071) und zur Gefangennahme des Kaisers führte, begann im Jahre 1070. 2 Anna Dalassene (geb. ca. 1025), verheiratet (seit etwa 1040) mit Ioannes Komnenos, der 1067 starb. Alexios war das dritte ihrer insgesamt acht Kinder. Vgl. zu ihr Skoulatos, Personnages, Nr. 14 (S. 20-24). 3 Manuel Komnenos, Kuropalates und oberster Befehlshaber der Truppen in Kleinasien, starb dort auf einem Feldzug im Frühjahr 1071. Vgl. zu ihm Barzos, Genealogia, Nr. 10 (S. 61-64).

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Buch I, Kapitel 1 § 1-3

noch zurückbleiben, während seine Mitstreiter ins Feld zogen, aber die folgende Zeit hat ihm ein riesiges Feld eröffnet, auf welchem er seine Fähigkeiten beweisen konnte. Denn schon unter dem Basileus Michael Dukas", nach dem Sturz des Basileus Diogenes, ließen die Ereignisse um Urselios5 erkennen, wie groß seine Tüchtigkeit war. 2 Dieser nämlich war ein Kelte6, der schon vor langer Zeit ins Heer der Romäer aufgenommen worden war; als er dann durch glückliche Umstände zu einer mächtigen Stellung gelangt war und ein eigenes Heer von beachtlicher Größe um sich versammelt hatte, teilweise aus seinen Landsleuten bestehend, teilweise aber auch aus Söldnern aus aller Herren Ländern, war er sofort ein gefährlicher Rebell. Zu einem Zeitpunkt, da die Herrschaft der Romäer vielen Schwankungen ausgesetzt und das Glück den Türken mehr als den Romäern gewogen war, wobei diese so zurückgedrängt wurden, wie Sand unter den Füßen nachgibt, da fiel auch dieser Mann über das Reich der Romäer her. Und da er ohnehin äußerst machtgierig war, wurde er jetzt erst recht durch den angeschlagenen Zustand des Reiches zu offener Rebellion angestachelt und plünderte nahezu sämtliche Ostprovinzen des Reiches. Obwohl man vielen Männern den Kampf gegen ihn anvertraut hatte, die berühmt waren für ihre Tapferkeit und sehr große Erfahrung im Kriegshandwerk mitbrachten, erwies er sich sogar der großen Erfahrung dieser Männer als überlegen. Denn indem er bald selbst den Angriff führte, die Gegner in die Flucht schlug und wie ein Blitzstrahl in die Reihen seiner Widersacher fuhr, bald wieder sich von den Türken im Kampf unterstützen ließ, war er in seinem Vorwärtsstürmen nicht aufzuhalten, so daß er sogar einige der höchsten Würdenträger gefangennehmen konnte und deren Heere besiegte. 3 Zu diesem Zeitpunkt wurde auch mein Vater Alexios seinem Bruder 7 , dem sämtliche Streitkräfte des Ostens und des Westens anvertraut waren, unterstellt und diente ihm sogleich als Unterfeldherr®. Da aber die Lage für die Romäer damals sehr kritisch war, weil jener

4 1071-1078, Sohn Konstantins X. Doukas und der Eudokia Makrembolitissa, Stiefsohn Romanos' IV. und sein Nachfolger. Romanos war aus türkischer Gefangenschaft entlassen, aber inzwischen in Konstantinopel entmachtet worden. Er wurde gefangengenommen, geblendet und auf eine der Prinzeninseln in ein Kloster gebracht, wo er bald an den Folgen der Blendung starb. 5 Ursel (Roussel) von Bailleul, seit etwa 1069/70 in byzantinischen Diensten, war zunächst mit Robert Guiskard nach Süditalien gekommen. Er versuchte 1073, sich in Kleinasien ein eigenes unabhängiges Fürstentum einzurichten, und zeigte Aspirationen auf den Kaiserthron. Zu ihm vgl. O D B sub v. Roussel, zu seiner Revolte Cheynet, Pouvoir, Nr. 97 (S. 78-79). 6 Archaisierend für »Normanne«, bisweilen auch allgemein für »Franke«. 7 Isaak Komnenos, älterer Bruder des Alexios, geboren vor 1056. Vgl. zu ihm Barzos, Genealogia, Nr. 12 (S. 67-79). 8 Z u m Titel des »Hypostrategos« vgl. Guilland, Recberches I 384-385.

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Buch I, Kapitel 1 § 3-Kapitel 2 § 2

Barbar wie ein Blitz über alles herfiel, hielt man den bewundernswerten Alexios für einen Mann, der jenem Gegner gewachsen war, und so wurde er von Basileus Michael zum Strategos Autokrator' ernannt. Dieser [Alexios] nun setzte seine ganze Klugheit und seine vielfältige Erfahrung als Strategos und Soldat ein, die er in erstaunlich kurzer Zeit gesammelt hatte (wegen seiner außerordentlichen Einsatzbereitschaft und umsichtigen Wachsamkeit schien er der romäischen Führung den höchsten Grad strategischer Erfahrung erreicht zu haben, vergleichbar dem berühmten Römer Aemilius10, dem Scipio" oder dem Karthager Hannibal; er war nämlich noch blutjung und ein Jüngling im ersten Flaum, wie man sagt), nahm jenen Urselios, der sich wie ein reißender Strom über die Romäer ergossen hatte, gefangen und brachte die Verhältnisse im Osten des Reiches in wenigen Tagen wieder in Ordnung. Denn rasch wußte er das Zweckdienliche zu finden, noch rascher, es auch in die Tat umzusetzen. Auf welche Weise er jenen Mann zu fassen bekam, hat zwar schon der Kaisar recht ausfuhrlich im zweiten Buch seiner Geschichte berichtet12, aber auch wir wollen darüber berichten, soweit es zum Thema unseres Geschichtswerkes beiträgt. II Soeben war der Barbar Tutach13 aus den Tiefen Anatoliens mit erdrükkender Heeresmacht angerückt, um das Gebiet der Romäer zu plündern, da geriet Urselios mehrfach durch den Stratopedarchen14 in Bedrängnis und mußte eine Festung nach der anderen aufgeben; denn obgleich er ein großes Heer mit sich führte und all seine Mannen glänzend und vortrefflich gerüstet waren, war er an taktischem Geschick meinem Vater Alexios doch bei weitem unterlegen. Er hatte sich daher entschlossen, zu jenem [Tutach] seine Zuflucht zu nehmen: In höchster Bedrängnis traf er sich zuletzt mit Tutach, machte ihn zu seinem Freund und bat ihn inständig um Waffenhilfe. 2 Der Stratopedarch Alexios jedoch durchkreuzte diesen Plan, indem er jenem zuvorkam, sich seinerseits den Barbaren zum Freunde machte und ihn durch Überredung, Geschenke und alle möglichen taktischen Manöver auf seine Seite zog; denn wenn überhaupt jemand, so war er ein erfinderischer Geist,

9 Befehlshaber mit ziviler und militärischer Generalvollmacht. Vgl. Guilland, Rechcrcbes 382-384. Vgl. auch Anm. 14. 10 L. Aemilius Paullus, der Sieger von Pydna (168 v. Chr.). 11 P. Cornelius Scipio d. Altere, Sieger von Zama (202 v. Chr.). 12 Nikeph. Bryenn. II 24-25 (187, 6-197, 8 Gautier). Zum Titel »Kaisar« vgl. Buch II, Anm. 1. 13 Artuk, seliukischer Emir; er war um 1073 nach Kleinasien gekommen. Vgl. Moravcsik, Byzantinoturcica II 328; EI I 662-667 sub v. Artukids. 14 Gemeint ist Alexios Komnenos. Zum Titel vgl. Guilland, Rechcrcbes 1292-293,498-502; er ist hier gleichbedeutend mit Strategos Autokrator (vgl. oben Anm. 9): Oberbefehlshaber der Truppen in Kleinasien.

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Buch I, Kapitel 2 § 2-4

der sich auch in schwierigsten Situationen Rat zu schaffen wußte. Am wirkungsvollsten aber von allen Mitteln, die er anwandte, um Tutach zum Bündnis zu bewegen, war (kurz gesagt) folgendes: Er sagte nämlich zu ihm: »Beide, dein Sultan15 und mein Basileus, sind Freunde. Dieser Barbar Urselios aber erhebt seine Hand gegen beide und erweist sich für beide als schlimmer Feind, indem er in das Reich des einen einfallt und sich unablässig, Stück für Stück, ein romäisches Gebiet nach dem anderen aneignet und so andererseits den Persern das raubt, was sie selbst unter ihre Herrschaft bringen könnten. Aber alles, was er unternimmt, ist von taktischer Berechnung bestimmt; denn so wie er mich jetzt mit Hilfe deiner Streitmacht in den Hintergrund drängen will, so wird er, wenn der Augenblick für ihn günstig ist, wiederum von mir ablassen in der Meinung, daß von dieser Seite nunmehr keine Gefahr mehr für ihn bestehe, und umgekehrt seine Hand gegen dich erheben. Wenn du aber irgend auf mich hören willst, so laß Urselios, falls er noch ein weiteres Mal zu euch kommt, ergreifen (du sollst viel Geld dafür bekommen) und als Gefangenen zu uns bringen; denn damit gewinnst du«, sagte er, »dreierlei: Erstens erhältst du eine so ungeheuer große Summe Geldes wie niemand zuvor, zweitens gewinnst du damit zugleich auch das Wohlwollen des Autokrators, was dein Glück vollkommen machen wird, und drittens wird auch der Sultan hocherfreut sein, von einem so gefahrlichen Feind befreit zu sein, der seine Truppen gegen beide Seiten einsetzt, sowohl gegen Romäer als auch gegen Türken.« 3 Diesen Vorschlag ließ nun mein Vater, damals Befehlshaber des romäischen Heeres, besagtem Tutach übermitteln, indem er ihm zugleich einige besonders vornehme Männer als Geiseln dafür übersandte, daß er bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt eine bestimmte Geldsumme erhalten werde, und konnte so die Barbaren um Tutach dazu überreden, Urselios gefangenzunehmen. Und sobald dies geschehen war, wurde dieser nach Amaseia" zum Stratopedarchen gebracht. 4 Danach jedoch ließ das versprochene Geld auf sich warten; denn er selbst war nicht in der Lage, die Summe zu bezahlen, und von Seiten des Basileus wurde die Sache nachlässig behandelt. Und nicht, daß es mit langsamem Fuß, wie die Tragödie sagt", eintraf, sondern es tauchte überhaupt nicht auf. Die Leute um Tutach freilich bestanden auf ihrer Forderung nach der vereinbarten Geldsumme, andernfalls wollten sie den dafür gekauften Mann wiederhaben und dorthin zurückkehren lassen, wo er gefangengenommen worden war. Er [Alexios] aber wußte nicht, wovon

15 Der Sultan des großselfukischen Reiches Melik-§ah, Sohn des Alp Arslan (1072-1092). Vgl. EI VI 273a-275b; ODB sub v. Malikshab. 16 Stadt in Kappadokien an der Küste des Schwarzen Meeres, heute Amasya. 17 Euripides, frg. 979, V. 3 Nauck2.

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Buch I, Kapitel 2 § 4-7

er den Preis für den Gekauften bezahlen sollte. Wie er nun die ganze Nacht hindurch in größter Verlegenheit zubrachte, kam ihm der Gedanke, sich die Summe durch eine Sammlung von den Bewohnern Amaseias zu verschaffen. 5 Und am nächsten Morgen rief er, obgleich ihm die Sache schwierig erschien, dennoch alle zusammen, vor allem die Mächtigen und Begüterten, und sagte, wobei er vor allem auf diese seinen Blick richtete: »Ihr alle wißt, wie dieser Barbar sämtliche Städte des Armeniakon" zugerichtet hat und wieviele Ortschaften er zerstört und wievielen ihrer Bewohner er übel mitgespielt hat, indem er unerträgliche Leiden über sie brachte, und wieviel Geld er euch geraubt und fortgeschafft hat. Aber nunmehr ist der Zeitpunkt gekommen, der euch von seinen Übeltaten befreit, wenn ihr wollt. Deshalb dürft ihr diesen Mann nicht freikommen lassen. Denn ihr seht, daß dieser Barbar unser Gefangener ist nach dem Willen Gottes und durch mein Bemühen. Derjenige aber, der diesen ergreifen ließ, Tutach, fordert von uns nun die Belohnung dafür ein. Wir jedoch sind gänzlich außerstande zu zahlen, zumal wir uns in fremdem Land befinden, nun schon geraume Zeit mit den Barbaren kämpfen und unsere eigenen Mittel aufgezehrt haben. Wenn freilich der Basileus nicht weit entfernt wäre und der Barbar uns einen Aufschub gewährt hätte, dann hätte ich mich darum bemüht, rasch die erforderlichen Mittel von dort herbeischaffen zu lassen. Nachdem jedoch, wie ihr ja auch selber wißt, keines von beidem erreicht werden kann, ist es notwendig, daß ihr die Belohnung zusammenbringt, und ihr werdet vom Basileus durch meine Vermittlung all eure Auslagen zurückerstattet bekommen.« 6 Kaum hatte er dies gesagt, da wurde er auch schon niedergeschrieen und löste einen leidenschaftlichen Tumult unter den Amaseianern aus, die zur Rebellion aufgehetzt waren. Es gab da nämlich Leute, die sie zum Tumult aufgereizt hatten, verbrecherische Elemente und Rädelsführer, die sich darauf verstanden, eine Volksmenge in den Aufruhr zu treiben. Es erhob sich also ein heftiger Tumult, indem die einen den Urselios behalten wollten und die Menge dazu aufreizten, sich seiner zu bemächtigen, die anderen aber sich aufwiegeln ließen (denn solcherart ist nun einmal der Pöbel, wenn er sich zusammenrottet) und bereit waren, Urselios zu entfuhren und von seinen Fesseln zu befreien. Als nun der Stratopedarch das Volk dermaßen aufgebracht sah, daß er seine Sache als ernstlich gefährdet ansehen mußte, ließ er sich jedoch keineswegs entmutigen, sondern faßte sich ein Herz und versuchte, den Lärm mit einem Handzeichen zum Verstummen zu bringen. 7 Nachdem er die Leute endlich mit Mühe zur Ruhe gebracht hatte, wandte er sich mit folgen-

18 Militär-Provinz (Thema) des Byzantinischen Reiches in Kleinasien im Gebiet östlich und südlich von Sinope.

Buch I, Kapitel 2 § 7-Kapitel 3 § 1

den Worten an das Volk: »Staunen erfaßt mich, Bürger von Amaseia, daß ihr das Blendwerk dieser Männer, die euch betrügen, so gar nicht durchschaut, daß sie sich nämlich ihre eigene Rettung mit eurem Blute erkaufen und euch ständig den größten Schaden zufügen. Denn welchen Nutzen habt ihr vom Aufstand des Urselios? Etwas anderes als Metzeleien, Blendungen und Verstümmelungen der Glieder? Diejenigen aber, die euch zu derlei verholfen haben, konnten einerseits ihre eigene Haut und ihre Habe unversehrt bewahren, indem sie dem Barbaren dienten, und andererseits wiederum steckten sie die Geschenke des Basileus ein, da sie sich bei ihm damit einschmeichelten, daß sie euch und die Stadt Amaseia nicht an den Barbaren ausgeliefert hätten, und das, ohne sich je um euch gekümmert zu haben. Deshalb unterstützen sie ja die Rebellion; indem sie den Rebellen liebedienerisch in seinen Hoffnungen bestärken, wollen sie ihre eigene Habe unversehrt bewahren und vom Basileus wiederum Belohnungen und Geschenke einfordern. Falls aber tatsächlich ein Umsturz stattfindet, so wollen diese Leute abermals ihren eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen, gegen euch aber den Zorn des Basileus entfachen. W e n n ihr also auf mich hört, dann sagt denjenigen, die euch zum Aufruhr reizen, zunächst einmal Lebewohl, und ein jeder gehe für sich nach Hause und überdenke das Gesagte, und dann werdet ihr wissen, wer euch zu euerem Besten rät.« III Als sie diese Worte gehört hatten, änderten sie, gleichsam als sei die Muschel auf die andere Seite gefallen", ihre Meinung und gingen nach Hause. Der Stratopedarch aber, der wußte, daß das Volk seine Meinung im Fluge zu ändern pflegt, um so mehr, wenn es von schlechten Elementen aufgehetzt wird, und der daher furchten mußte, daß sie während der Nacht einen Angriff gegen ihn unternehmen und den Urselios aus dem Gewahrsam herausholen, ihm die Fesseln lösen und ihn freilassen würden, ersann deshalb, da er keine ausreichenden Truppen zur Verfügung hatte, um sie einer solchen Übermacht entgegenzustellen, folgende List, die eines Palamedes20 würdig wäre: Er tat nach außen hin so, als lasse er Urselios blenden. Er wurde auf den Boden gelegt, und der Scherge setzte das Eisen an, das Opfer aber schrie und stöhnte dabei wie ein brüllender Löwe. Die ganze Blendung aber war nur vorgetäuscht; denn der, der scheinbar geblendet wurde, war angewiesen worden, zu schreien und zu jammern, und derjenige, der ihm nur zum Schein die Augen ausstach, sein Opfer grimmig anzublicken und alles mit

19 Sprichwörtliche Wendung, vgl. 1285 Leutsch-Schneidewin. Tonscherben (auch Muschelschalen), die eine weiße und eine schwarze Seite hatten, wurden zum Spielen benutzt. 20 Held der griechischen Mythologie; seine Erfindungsgabe und Schläue waren schon im Altertum sprichwörtlich geworden.

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Buch I, Kapitel 3 § 1-4

den Zeichen leidenschaftlicher Wut auszufuhren, die Blendung aber in Wirklichkeit nur vorzutäuschen. U n d so wurde er geblendet, indem er nicht geblendet wurde, und das Volk klatschte Beifall und verbreitete überall das Gerücht von der Blendung des Urselios. 2 Dieses wie auf einer Bühne inszenierte Schauspiel hatte eine dermaßen überzeugende Wirkung auf das gesamte Volk, sowohl auf das einheimische wie auf das von außerhalb, daß sie wie die Bienen ihre Beiträge einbrachten. Dies aber war genau der Zweck des Plans von Alexios, daß nämlich diejenigen, die sich dagegen sträubten, Geld zu geben, und vorhatten, Urselios aus den Händen des Alexios, meines Vaters, zu befreien, resignierten, weil dadurch ihr Anschlag sinnlos geworden war, und sich rasch zur Meinung des Stratopedarchen bekehrten, da ihnen ja ihr früherer Plan vereitelt war, indem sie nun mit ihm Freundschaft schlössen und so dem Zorn des Basileus entgingen. Jenen Urselios nun hielt der bewundernswerte Strategos wie den Löwen im Käfig in Gewahrsam, wobei er ihn noch eine Binde vor den Augen tragen ließ als Zeichen für die angebliche Blendung. 3 Freilich begnügte er sich nicht mit dem Geleisteten, und er ging nun, da er sich großen Ruhm erworben hatte, an weitere Unternehmungen nicht etwa weniger energisch heran, sondern er brachte viele andere Städte und Festungen in seine Hand und machte alle diejenigen dem Reich wieder Untertan, die zuvor zu Zeiten des Urselios abgefallen waren. Danach nun kehrte er u m und schlug dann den direkten Weg 21 zur Kaiserstadt ein. Als er aber in der Stadt seines Großvaters 22 angelangt war und sich und dem gesamten Heer eine kurze Erholungspause von den vielen Strapazen gönnte, da sah man ihn dort eine Tat vollbringen, wie sie der berühmte Herakles an Alkestis, der Frau des Admet, vollbracht hat23. 4 Als nämlich jener Dokeianos, der Neffe des ehemaligen Basileus Isaak Komnenos 2 4 und sein [Alexios'] Vetter (dieser Mann gehörte ebenso seiner Geburt wie seinem Range nach zu den hoch angesehenen Leuten), den Urselios sah, wie er die Zeichen der Blendung trug und von jemandem an der Hand gefuhrt wurde, stöhnte er tief auf, weinte über Urselios und bezichtigte den Strategos der Grausamkeit, und er tadelte ihn dafür und machte ihm Vorwürfe, daß er einen so tüchtigen, ja geradezu heldenhaften Mann der Augen beraubt habe, 21 Alexios marschierte zur Küste des Schwarzen Meeres und kehrte auf dem Seeweg nach Konstantinopel zurück (vgl. Nikeph. Bryenn. I 127). 22 Manuel Komnenos aus Kastamon (heute Kastamonu). Kastamon lag auf dem Weg des Alexios zur Küste nach Herakleia (heute Eregli). 23 Herakles brachte dem Admet seine Frau Alkestis aus dem Hades zurück. Ebenso bringt Alexios seinem Vetter Dokeianos den unversehrten Urselios. 24 1057-1059. Theodoras Dokeianos war Sohn einer Schwester der Brüder Isaak Komnenos und Ioannes Komnenos; letzterer war wiederum Vater des Alexios. Vgl. Nikeph. Bryenn. I 25.

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Buch I, Kapitel 3 § 4-Kapitel 4 § 2

den er doch ungestraft hätte davonkommen lassen müssen. Daraufhin sagte Alexios zu ihm: »Die Gründe für die Blendung wirst du später erfahren, bester Freund«, und ließ ihn kurz darauf zusammen mit Urselios in ein kleines Haus eintreten, nahm diesem die Binde vom Gesicht und zeigte ihm die feurig blitzenden Augen des Urselios. Bei diesem Anblick wurde Dokeianos starr vor Verblüffung, wunderte sich sehr und wußte sich nicht zu fassen vor lauter Staunen. Immer'wieder bedeckte er mit den Händen seine Augen um festzustellen, ob nicht etwa ein Traum sei, was er da sah, oder eine Zauberei oder etwas anderes von der Art, das bis dahin noch nie dagewesen war. Als er aber die Milde seines Vetters gegenüber diesem Manne erkannt hatte und neben der Milde auch dessen Klugheit, umarmte er ihn in überströmender Freude und küßte ihm immer wieder die Wangen, da sich sein Staunen in Freude verwandelt hatte. Ebenso wie ihm ging es auch den Leuten um den Basileus Michael, dem Basileus selbst und überhaupt allen. IV Daraufhin wurde er ein zweites Mal ausgeschickt, diesmal in den Westen und nunmehr vom Autokrator Nikephoros25, der jetzt das Szepter der Romäer in der Hand hielt, gegen Nikephoros Bryennios26, der den gesamten Westen erschütterte und sich selbst die Krone aufs Haupt setzte und sich zum Basileus der Romäer ausrufen ließ. Denn kaum war der Autokrator Michael Dukas vom Thron vertrieben worden und hatte Diadem und Krone gegen Mönchsrobe und bischöfliches Scapular27 eingetauscht, da setzte sich Botaneiates auf den Kaiserthron2' und führte, nachdem er die Kaiserin Maria geehelicht hatte, wie unser Bericht im folgenden noch deudicher darlegen wird29, die kaiserlichen Regierungsgeschäfte. 2 Nikephoros Bryennios aber, der unter dem Basileus 25 Der gegen Kaiser Michael VII. revoltierende General Nikephoros Botaneiates war inzwischen (am 3.4.1078) in Konstantinopel eingezogen und hatte die Nachfolge Michaels, der das Mönchsgewand nahm, angetreten. 26 Großvater des gleichnamigen Gatten Annas. Er hatte als Dux von Dyrrachion 1077 gegen Michael VII. Dukas revoltiert, sich zum Kaiser ausrufen lassen und Adrianopel eingenommen. Zu seiner Revolte vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 104 (S. 83-84). 27 Schulterüberwurf, der zur Kleidung eines Mönchs oder Presbyters gehört. Michael wurde nach seinem Übertritt in den Mönchsstand von Patriarch Kosmas z u m Metropoliten von Ephesos geweiht und zog sich in ein Kloster in Konstantinopel zurück (vgl. Polemis, Doukai, Nr. 14 [S. 42-46]). 28 Zu seiner erfolgreichen Revolte vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 105 (S. 84-85). 29 Maria »die Alanin«, Tochter Königs Bagrat IV. von Georgien, war um 1073 mit Kaiser Michael VII. verheiratet worden; aus dieser Ehe ging Konstantin Dukas, der spätere Verlobte Anna Komnenes, hervor. Nach dem Sturz ihres Gatten akzeptierte Maria nach einigem Zögern die Eheschließung mit dem neuen Kaiser Nikephoros Botaneiates, obwohl Michael VII. noch am Leben war. Maria versuchte auf diese Weise, ihre eigene Stellung und die Thronansprüche ihres Sohnes zu sichern, fiir Botaneiates ging es darum, seiner Usurpation eine dynastische Legitimation zu verleihen. Zu Maria vgl. Skoulatos, Pmonnages, Nr. 121 (S. 188-192). Uber ihre Heirat mit Botaneiates und ihre Rolle als Beschützerin von Isaak und Alexios Komnenos vgl. v. a. Buch II, Kap. 1 §§ 4-5; Kap. 3 § 4; Buch III, Kap. 1-2.

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Buch I, Kapitel 4 § 2 - 4

Michael, noch bevor Nikephoros Basileus wurde, mit dem Amte des Dux von Dyrrachion30 betraut worden war, begann daraufhin selbst, nach der Würde des Basileus zu streben, und dachte an Auflehnung gegen Michael. Das Wie und Warum brauchen wir hier nicht zu schildern, denn der Bericht des Kaisar31 ist der Ursache für die Auflehnung bereits gründlich nachgegangen. Daß er aber von der Stadt Dyrrachion gleichsam wie von einer Militärbasis aus sämtliche Westgebiete des Reiches überrannte und in seine Gewalt brachte und wie er dann gefangengenommen wurde, dies kurz zu berichten, ist unbedingt notwendig. Denjenigen aber, der sich über die Einzelheiten dieser Geschichte informieren will, verweisen wir an den Kaisar.32 3 Dieser Mann war ein sehr tüchtiger Soldat und stammte zudem aus einer hochangesehenen Familie33, war von hohem Wuchs und schönem Anditz und übertraf seine Zeitgenossen sowohl an geistigem Vermögen wie durch die Kraft seiner Arme: Er war fair das Amt des Kaisers wie geschaffen. Seine Uberzeugungskraft und seine Fähigkeit, alle beim ersten Anblick und bei der ersten Begegnung auf seine Seite zu ziehen, waren so groß, daß alle ausnahmslos, Soldaten wie Bürger, ihm die Führung zuerkannten und ihn für würdig erachteten, über das gesamte Morgenund Abendland zu herrschen. Denn wohin er auch kam, alle Städte empfingen ihn mit offenen Armen, und immer gab ihm die eine Stadt unter Beifallsbekundungen das Geleit zur nächsten. Dies beunruhigte Botaneiates, führte auch zur Gärung in seinem Heer und versetzte schließlich das gesamte Reich in Ratlosigkeit. 4 Daher beschloß man, meinen Vater, den Komnenen Alexios, nachdem er gerade zum Domestikos der Scholen34 ernannt worden war, gegen Bryennios mit den Streitkräften ins Feld zu schicken, die überhaupt zur Verfügung standen. In dieser Hinsicht nämlich war das Reich der Romäer an einen kritischen Punkt gelangt: Denn die Truppen des Ostens waren überall verstreut, da die Türken sich allmählich ausgebreitet und bereits fast alle Gebiete in Besitz genommen hatten, die zwischen dem Euxeinos Pontos35 und dem

30 Wichtige byzantinische Festung an der Adriaküste am Endpunkt der Via Egnatia und Hauptstadt eines Themas, heute Durres/Albanien. 31 Nikeph. Bryenn. III 4. Dort wird angegeben, Nikephoros sei zunächst bei Michael VII. verleumdet worden, er plane eine Rebellion; dann hätten sich sein Bruder Ioannes Bryennios und Nikephoros Basilakes aus berechtigtem Zorn über Michael VII. verschworen, diesen zu stürzen und durch Nikephoros Bryennios zu ersetzen. 3 2 Nikeph. Bryenn. IV 1-17. 33 Die Familie der Bryennioi stammte aus Adrianopel und hatte daher dort einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. 3 4 Ursprünglich Kommandeur einer der vier kaiserlichen Gardeabteilungen in Konstantinopel, bezeichnet der Titel zur Zeit des Alexios den Oberbefehlshaber der Ost- oder Westarmee oder des gesamten Militärs des Reiches. Vgl. Guilland, Rechercbes I 426-468. 35 »Fremdenfreundliches Meer«, aus der Antike stammende Bezeichnung des Schwarzen Meeres.

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Buch I, Kapitel 4 § 4-Kapitel 5 § 1

Hellespont liegen, zwischen Ägäis und Syrischem Meer sowie dem Saron36 und den übrigen Flüssen, die durch Pamphylien und Kilikien fließen und sich dann ins Ägyptische Meer ergießen. Das also war die Lage der östlichen Streitkräfte. Die westlichen Truppen aber waren zu Bryennios übergelaufen und hatten das Romäerreich einem geringen und unbedeutenden Rest überlassen. Geblieben waren ihm nämlich einige »Unsterbliche«37, die erst seit kurzem Schwert und Lanze in Händen hielten, einige wenige Soldaten aus Choma38 und ein auf wenige Männer zusammengeschmolzenes keltisches Kontingent.3' Diese nun übergaben die Ratgeber des Basileus meinem Vater Alexios und befahlen ihm, während sie zur selben Zeit Hilfstruppen von den Türken anforderten, auszurücken und gegen Bryennios zu kämpfen, wobei sie weniger Vertrauen in das Heer, das ihm folgte, setzten als in die Klugheit des Heerführers und dessen große Tüchtigkeit in Kriegen und Schlachten. 5 Der aber wartete die Hilfstruppen nicht ab, als er hörte, daß der Feind sehr rasch anrücke, sondern rüstete sogleich sich selbst und seine Mitstreiter gut aus und rückte aus der Kaiserstadt aus. Als er in Thrakien angelangt war, schlug er am Halmyros40 sein Lager auf, ohne Gräben und Verschanzung. Da er nämlich erfahren hatte, daß Bryennios in den Ebenen von Kedoktos lagerte, wollte er, daß beide Heere, das seinige und das der Feinde, durch einen beträchtlichen Abstand voneinander getrennt seien. Denn er durfte nicht frontal auf Bryennios treffen, damit nicht an den Tag komme, wie es um seine Streitmacht bestellt war, und damit er dem Feind nicht Gelegenheit gebe, sich ein Bild von der Größe seines Heeres zu machen. Denn mit wenigen gegen viele und mit unerfahrenen gegen erfahrene Kämpfer mußte er den Kampf aufnehmen; daher verzichtete er auf Wagemut und offenen Angriff und wollte den Sieg durch List erringen. V Da nun unser Bericht zwei tapfere Männer, Bryennios und meinen Vater, den Komnenen Alexios, zum Kampf hat antreten lassen (denn der eine stand dem anderen an Tapferkeit in nichts nach, und auch was die Erfahrung angeht, war keiner dem anderen unterlegen), ist es angebracht, zunächst die Aufstellung und Gegenaufstellung der beiden Heere zu schildern und dann das Au36 Fluß, der im Antitauros-Gebirge entspringt und im Golf von Adana ins Mittelmeer mündet. 37 Im 10. Jahrhundert zum ersten Mal und dann wieder von Michael VII. Dukas (10711078) fär den Kampf gegen die Türken gebildete Truppe aus jungen Adligen; die Bezeichnung »Athanatoi« (»Unsterbliche«) wird von Anna in Anlehnung an ein altpersisches EliteKontingent verwendet, dessen Name von Herodot (VII 83 u. öfter) und anderen antiken Historikern überliefert ist. Vgl. ODB sub v. Athanatoi. 38 Region in Phrygien. Zu diesem Truppenteil vgl. Gautier, ed. Bryennios 264, Anm. 5. 39 Normannen aus Italien, vgl. Nikeph. Bryenn. IV 4. 40 Fluß in Ost-Thrakien.

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Buch I, Kapitel 5 § 1-2

genmerk auf Verlauf und Ausgang des Kampfes zu richten. Denn diese Männer waren beide statdiche und tapfere Kämpfer und hielten einander an Kraft und Erfahrung die Waage; wir aber müssen sehen, wohin sich die Gunst des Schicksals neigte. Bryennios konnte für sich neben dem Vertrauen auf seine Streitmacht seine Erfahrung und seine gut formierte Schlachtordnung ins Feld fuhren; Alexios dagegen auf der anderen Seite setzte nur geringe und sehr bescheidene Hoffnungen auf seine Truppen, dafür aber hatte er Bryennios sein taktisches Geschick und seine strategischen Schachzüge entgegenzusetzen. 2 Kaum nun hatten sie einander bemerkt und erkannt, daß nunmehr der Zeitpunkt für die Schlacht gekommen war, da rückte Bryennios, nachdem er erfahren hatte, daß der Komnene Alexios ihm den Weg abgeschnitten hatte und bei Kalaure41 lagerte, in folgender Schlachtordnung gegen ihn vor: Er ordnete sein Heer in einen rechten und einen linken Flügel und gab seinem leiblichen Bruder Ioannes42 das Kommando über den rechten Flügel; 5000 Mann stark war dieser Flügel, bestehend aus Italienern, nämlich einem aus dem Heer des berühmten Maniakes übriggebliebenen Truppenteil43, und dazu auch aus Berittenen aus Thessalien und einer sehr tüchtigen Abteilung von Soldaten der Hetairia44. Den anderen, den linken Flügel, befehligte Katakalon Tarchaneiotes45, gut bewaffnete Makedonen und Thraker, insgesamt etwa 3000. Bryennios selbst aber befehligte den Mittelabschnitt der Phalanx, der sich aus Makedonen und Thrakern und einer aus den Vornehmen insgesamt ausgewählten Eliteeinheit zusammensetzte. Alle saßen auf thessalischen Pferden44, und es blitzten ihre eisernen Brustpanzer und die Helme auf ihrem Kopf; die Pferde hielten wachsam die Ohren gespitzt, die Schilde schlugen dröhnend aneinander, und von ihnen und den Helmen ging ein starker Glanz aus, der Schrecken verbreitete. Bryennios aber in der Mitte, umringt von seinen Soldaten und wie Ares oder ein Gigant alle übrigen an Schulterhöhe um Ellenlänge überragend, versetzte sogleich alle, die ihn sahen, in Staunen und Schrecken. Außerhalb des in Schlachtordnung aufgestellten Heeres standen in einem Abstand von 41 In Ost-Thrakien, nordwestlich von Seiymbria, heute Silivri. 42 Ioannes Bryennios hatte nach Nikeph. Bryenn. III 7 seinen Bruder zur Revolte angestiftet. 43 General Georgios Maniakes war nach erfolgreichem Kampf gegen die Araber auf Sizilien seines Postens enthoben worden, hatte sich zum Gegenkaiser gegen Konstantin IX. Monomachos ausrufen lassen und war im Kampf gegen kaiserliche Truppen bei Thessalonike 1043 gefallen. Nach Nikeph. Bryenn. IV 6 handelt es sich bei diesem Truppenteil um Normannen, die Maniakes aus Italien mitgebracht hatte. 44 Aus Söldnern bestehendes Garderegiment. 45 Die Schwester dieses Tarchaneiotes, Helene, hatte einen Neffen des Ursuipators Bryennios geheiratet. Vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 194 (S. 286-287); zur Familie Tarchaneiotes vgl. I. G. Leontiades, in: XVIII Congr. Intern. Et. Byzant. Moskau 1991, Resumes II 655-656. 46 Thessalien war seit Homers Zeiten für seine Pferdezucht berühmt.

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Buch I, Kapitel 5 § 2-4

etwa zwei Stadien47 skythische48 Hilfstruppen, ausgerüstet mit den für die Barbaren typischen Waffen. Der Befehl lautete, wenn die Feinde sich zeigten und die Trompete zur Schlacht blase, dann sollten die Skythen sogleich den Feinden in den Rücken fallen und sie mit dichtem und unablässigem Pfeilhagel bedrängen, die übrigen aber sollten unter der Deckung der dicht aneinandergehaltenen Schilde mit geballter Kraft angreifen. 3 Auf diese Weise also hatte Bryennios die Seinen aufgestellt. Mein Vater aber, der Komnene Alexios, prüfte zunächst das Gelände und ließ dann den einen Teil seiner Truppen in einigen Tälern Stellung beziehen, den anderen stellte er direkt gegenüber dem Heer des Bryennios auf. Nachdem er beide Truppenteile, sowohl den versteckten wie den offenen, zur Schlacht formiert und jeden einzelnen Mann angefeuert und zur Tapferkeit ermuntert hatte, gab er dem Truppenteil, der im Hinterhalt lauerte, den Befehl, wenn die Feinde vorübergezogen seien, sie überraschend von hinten zu überfallen und dann mit möglichst großem und heftigem Angriffsschwung den rechten Flügel zu attackieren. Die sogenannten Unsterblichen und einige von den Kelten behielt er bei sich und übernahm selbst deren Kommando. Uber die Chomatener und Türken setzte er Katakalon49 zum Befehlshaber ein und wies ihn an, das gesamte Skythenkontingent im Auge zu behalten und dessen Ausfalle abzuwehren. 4 So viel hierüber. Kaum war das Heer des Bryennios in dem von Tälern durchschnittenen Gelände angelangt, da stürzte sogleich auf ein Signal meines Vaters Alexios die hier im Hinterhalt liegende Abteilung mit lautem Kriegsgeschrei auf die Feinde los und überraschte sie mit ihrem plötzlichen Angriff, wobei ein jeder auf jeden einhieb und den tötete, der ihm in den Weg kam, und zwang sie so zur Flucht. Doch Ioannes Bryennios, der Bruder des Heerführers, war hier »eingedenk seiner stürmischen Kampfkraft«50 und seines Mutes, wendete mit dem Zügel sein Pferd, streckte mit einem einzigen Hieb den Unsterblichen nieder, der auf ihn einstürmte, und brachte die wankende Phalanx zum Stehen, formierte sie dann

47 Das antike Längenmaß »Stadion« entspricht etwa 180 Metern. Anna gebraucht jedoch das Wort »Stadion« als Synonym für das byzantinische Milion (ca. 1500 Meter), dem in den metrologischen Quellen 7 bzw. 7 1/2 antike Stadien entsprechen (vgl. E. Schiibach, Byzantinische Metrologie [Handbuch der Altertumswissenschaft XII, 4], München 1970, 33). 48 Mit »Skythen« bezeichneten die Byzantiner in archaisierender Sprache ganz allgemein alle nomadischen »Barbaren«-Völker, mit welchen sie im Laufe der Geschichte, besonders an der Nordgrenze des Reiches, in Berührung kamen. Bei Anna sind in fast allen Fällen damit die Pe^enegen gemeint; zu diesen vgl. zuletzt E. Malamut, L'image byzantine des Petchenegues, in: BZ 88 (1995) 105-147. Ihre Hauptwaffe waren Pfeil und Bogen. 49 Konstantinos Euphorbenos Katakalon, von Alexios hoch geschätzter Offizier mit langer, in der Alexias dokumentierter, militärischer Erfahrung; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 38 (S. 62-65). 50 In Anlehnung an eine von Homer gebrauchte epische Formel.

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Buch I, Kapitel 5 § 4-7

wieder zum Kampf und wehrte so die Feinde ab. So kam es, daß die Unsterblichen begannen, Hals über Kopf und in großer Unordnung zu fliehen, niedergemetzelt von den ihnen nachsetzenden Verfolgern. 5 Mein Vater jedoch stürzte sich mitten unter die Feinde, und tapfer kämpfend brachte auch er, wohin er sich auch wandte, alles ins Wanken, indem er auf jeden Angreifer einhieb und ihn sogleich niedermachte, und in der Hoffnung, daß einige Soldaten ihm folgen und ihn unterstützen würden, kämpfte er unaufhaltsam weiter. Als er aber merkte, daß seine eigene Phalanx auseinandergerissen und schon in alle Richtungen verstreut war, sammelte er die Beherzteren (es waren ganze sechs) und faßte den Plan, sie sollten, wenn sie in die Nähe des Bryennios kämen, mit gezücktem Schwert kühn auf ihn losgehen, selbst wenn auch sie zusammen mit ihm dabei ihr Leben lassen müßten. Aber von diesem Plan brachte ihn ein Soldat namens Theodotos wieder ab, ein Mann, der von Kindheit an im Dienste meines Vaters stand, und zwar mit dem Argument, daß dieses Unterfangen geradezu tollkühn sei. Daraufhin erwog Alexios das Gegenteil und wollte sich vom Heer des Bryennios absetzen, und nachdem er einige Vertraute aus dem zersprengten Heer wieder zusammengeholt und neu formiert hatte, machte er sich daran, seinen neuen Plan auszufuhren. 6 Doch hatte sich mein Vater noch nicht von dort wegbegeben, als die Skythen die Chomatener um Katakalon mit lautem Kriegsgeschrei ins Wanken brachten, und nachdem sie diese zurückgedrängt und mühelos in die Flucht geschlagen hatten, waren sie nur noch auf Plündern und anschließende Flucht aus und suchten ihr Lager auf. Denn so sind nun einmal die Skythen: Obwohl sie den Gegner noch nicht völlig überwunden und ihren Erfolg noch nicht abgesichert haben, machen sie durch das Plündern ihren Sieg zunichte. Aus Furcht vor den Skythen nämlich, daß diese ihnen etwas Schlimmes antun könnten, mischte sich die gesamte Dienerschaft, als sie die Nachhut von Bryennios' Heer erreichte, unter die Abteilungen der Soldaten, und da ständi'g mehr zusammenströmten, alle, die den Händen der Skythen entkommen waren, verursachten sie nicht geringe Verwirrung in den Abteilungen, da auch die Feldzeichen durcheinander gerieten. 7 Währenddessen sah mein Vater Alexios, der, wie wir schon vorher berichtet haben, im Heer des Bryennios eingeschlossen war und dort umherstreifte, wie einer der Pferdepfleger des Bryennios ein kaiserliches Pferd am Zügel führte, das mit der purpurnen Satteldecke geschmückt war und goldene Backenstücke am Zaum trug, und vor allem auch sah er, wie die Männer mit den Romphaiai, die die Kaiser dem Herkommen nach begleiten, neben dem Pferd herliefen51. Als er dies gesehen hatte, verbarg er sein Gesicht,

51 Da Bryennios sich zum Kaiser hatte ausrufen lassen, nahm er auch die kaiserlichen Insignien für sich in Anspruch: Sein Pferd war wie für den Kaiser mit purpurner Satteldecke

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Buch I, Kapitel 5 § 7-Kapitel 6 § 1

indem er das Visier herunterklappte, das rings am Helmrand angebracht war, und stürzte auf die Gruppe los zusammen mit seinen sechs Soldaten, von denen vorher die Rede war, streckte den Pferdeknecht zu Boden, eroberte das kaiserliche Roß und mit diesem auch die Romphaiai und machte sich unbemerkt aus dem Heer davon. Auf sicherem Terrain machte er halt und sandte das goldgeschmückte Pferd, die Romphaiai, die zu beiden Seiten des Kaisers getragen werden, und dazu einen stimmgewaltigen Herold aus mit dem Befehl, durch das ganze Heer zu ziehen und überall zu verkünden, daß Bryennios gefallen sei. 8 Die Ausfuhrung dieses Befehls bewirkte, daß sich viele der versprengten Soldaten aus dem Heer des Großdomestikos der Scholen 52 , meines Vaters, von allen Seiten her wieder einfanden und zurückkehrten; die anderen aber ermutigte die Nachricht zum Ausharren. Sie alle aber standen regungslos, ein jeder da, wo er sich gerade befand, und indem sie sich umwandten, um nach hinten zu sehen, wurden sie starr vor Staunen bei dem unerwarteten Anblick. Sie selbst boten ein merkwürdiges Schauspiel: Die Pferde, auf denen sie saßen, hatten ihre Köpfe nach vorn gerichtet, ihre eigenen Gesichter aber waren nach hinten gewandt, sie bewegten sich weder vorwärts noch wollten sie umkehren in die Gegenrichtung, sondern sie waren starr vor Staunen und konnten sich nicht erklären, was vorgefallen war. 9 Die Skythen aber, die zurück in ihre Heimat wollten und sich schon auf den Heimweg machten, dachten nicht daran, ihre Gegner weiter zu verfolgen, sondern zogen weit ab von beiden Heeren mit ihrer Beute in der Gegend umher. Die öffentliche Bekanntgabe, daß Bryennios gefangengenommen und erschlagen worden sei, ermutigte diejenigen, die bis dahin feige gewesen und geflüchtet waren, und die Kunde wurde auf der Stelle dadurch glaubwürdig, daß überall das Roß mit den kaiserlichen Insignien gezeigt wurde, und dazu die Romphaiai es geradezu von selbst verkündeten, daß der von ihnen beschützte Bryennios seinen Feinden in die Hände gefallen war. VI Dann trug auch noch das Glück das Seine bei: Eine Abteilung der türkischen Hilfstruppen stieß zu Alexios, dem Domestikos der Scholen, und da sie sich über den Stand des Kampfes informieren und wissen wollten, wo der Feind sich befinde, trafen sie sich mit dem Komnenen Alexios, meinem Vater, auf einem Hügel, und als dieser ihnen das Heer mit der Hand zeigte, konnten sie die Feinde wie von einer Warte aus überschauen. Diese boten folgendes Bild: In buntem Durcheinander und noch nicht wieder zum Kampf formiert, verhielten sie sich sorglos im Glauben, daß sie den Sieg beund goldverziertem Zaumzeug geschmückt. Neben ihm wurden auf jeder Seite zwei Lanzen mit ebenfalls goldverziertem Schaft, die sogenannten Romphaiai, getragen. 52 Die Titel »Groß-Domestikos« und »Domestikos der Scholen« werden hier ohne Unterschied der Bedeutung gebraucht. Vgl. oben Anm. 34.

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Buch I, Kapitel 6 § 1 - 4

reits errungen hätten, und sie wähnten sich außer Gefahr. Vor allem deshalb verhielten sie sich so lässig, weil die Franken", die dem Heere meines Vaters angehört hatten, wegen der zunächst erlittenen Niederlage zu Bryennios übergelaufen waren. Und als die Franken von ihren Pferden gestiegen waren und Bryennios die Rechte reichten, wie es ihre hergebrachte Sitte ist, sich jemandem zu verpflichten54, da lief man von allen Seiten herbei, um dieses Schauspiel zu sehen, denn rasch wie ein Trompetenstoß hatte sich im Heer die Kunde verbreitet, daß die Franken sich zu ihnen abgesetzt und den Oberbefehlshaber Alexios im Stich gelassen hatten. 2 Als die Offiziere meines Vaters die Feinde in diesem konfusen Zustand und andererseits die neu angekommenen Türken sahen, teilten sie ihr Kontingent in drei Kampfgruppen. Zwei davon sollten dort in der Nähe im Hinterhalt lauern, die dritte erhielt den Befehl, die Feinde anzugreifen. Die Idee zu dieser Aufteilung kam von meinem Vater Alexios. 3 Die Türken allerdings attackierten nicht in Form einer Schlachtreihe alle zugleich, sondern getrennt und in einzelnen Abteilungen jeweils in bestimmtem Abstand voneinander; und jede Abteilung sollte so getrennt gegen die Feinde losreiten und sie mit einem dichten Pfeilhagel eindecken. Mit ihnen attackierte auch der Erfinder des ganzen Planes, mein Vater Alexios, mit all den zersprengten Soldaten, die ihm die Gunst der Stunde wieder zugeführt hatte. Da aber preschte einer von den Unsterblichen um Alexios, ein tollkühner Heißsporn, mit seinem Roß vor, stürmte an allen anderen vorbei nach vorn und stürzte sich mit verhängtem Zügel direkt auf Bryennios. Und während dieser seine Lanze mit großer Kraft gegen dessen Brust stieß, zog jener geschwind sein Schwert aus der Scheide, und bevor noch die Lanze mit voller Wucht auftreffen konnte, hieb er sie in zwei Teile, traf seinerseits den Angreifer am Schlüsselbein, und da er diesen Hieb mit der ganzen Kraft seines Armes führte, trennte er ihm zugleich den ganzen Arm mitsamt dem Schutzpanzer ab. 4 Währenddessen ritten nacheinander die Türken heran und deckten das Heer mit einem Hagel von Geschossen ein. Die Soldaten um Bryennios ließen sich zunächst durch den Überraschungsangriff verwirren, sammelten sich aber dennoch wieder, formierten sich und stellten sich erneut zum Kampf, wobei einer den anderen zur Tapferkeit ermunterte. Nachdem nun die Türken und mein Vater eine kurze Zeit lang den Feinden standgehalten hatten, wichen sie danach langsam in scheinbarer Fluchtbewegung zurück und lockten so nach und nach die

53 Unter dieser Sammelbezeichnung werden Italiener, Normannen (aus Italien) und Franzosen zusammengefaßt. 54 Das gegenseitige Reichen der rechten Hand wird von Anna richtig als westlicher Rechtsgestus verstanden und als fremde Sitte hervorgehoben.

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Buch I, Kapitel 6 § 4-6

Feinde in den gelegten Hinterhalt und zogen sie planmäßig mit sich. Als sie aber zum ersten Hinterhalt gekommen waren, wendeten sie und machten gegen die Feinde Front, und auf ein Zeichen hin schwärmten sie auf ihren Pferden wie Wespen von überall her aus ihren Verstecken hervor und ließen mit ihrem lauten Kriegsgeschrei und dem unablässigen Pfeilschwirren den Soldaten des Bryennios die Ohren erdröhnen und es ihnen schwarz vor Augen werden von dem dichten Pfeilhagel, der von allen Seiten auf sie niederprasselte. 5 Da aber konnte das Heer des Bryennios nicht mehr standhalten (denn inzwischen war ein jeder von ihnen verwundet, sowohl Pferde wie Menschen), senkte die Fahne zur Flucht und bot den Schlägen der Feinde den Rücken. Bryennios jedoch bewies, obgleich er einen schweren Stand in der Schlacht hatte und hart bedrängt wurde, seine Tapferkeit und Beherztheit, indem er unermüdlich auf jeden Angreifer ringsum einhieb und seinen Rückzug gut und tapfer gestaltete. Ihm zur Seite standen sein Bruder55 und sein Sohn 56 , die links und rechts neben ihm kämpften. Beide nötigten in dieser Situation den Feinden Bewunderung ab durch ihren heldenhaften Widerstand. 6 Als aber dann sein Pferd endlich müde wurde und nicht mehr imstande war zu fliehen oder gar zu verfolgen (denn es war nahe daran, seinen letzten Atemzug zu tun wegen der ständigen Galoppaden), hielt Bryennios es an, stellte sich wie ein guter Athlet zum Ringkampf auf und forderte zwei tapfere türkische Gegner zum Kampf heraus. Der eine von ihnen ging mit der Lanze auf ihn los, doch bevor er ihn ernsthaft verwunden konnte, wurde er selbst durch die Rechte des Bryennios schwer verletzt; denn der kam ihm zuvor und trennte ihm mit dem Schwert die Hand ab, die zusammen mit der Lanze auf den Boden rollte. Der zweite sprang von seinem eigenen Pferd ab und versuchte wie ein Panther, auf das Pferd des Bryennios aufzuspringen, indem er sich an dessen Flanken festklammerte. Und während dieser sich festkrallte und auf den Rücken des Pferdes zu steigen versuchte, gebärdete sich Bryennios wie ein wildes Tier, indem er sich nach hinten drehte und den Gegner mit dem Schwert wegzustechen trachtete. Dies gelang ihm allerdings nicht so, wie er es wollte, da der Türke hinter ihm geschickt auswich und so einer Verletzung entging. Als aber die ständig ins Leere stoßende Rechte ihren Dienst versagte und den Kämpfer die Kräfte verließen, da ergab er sich der geballten Übermacht der Feinde. Diese nahmen ihn gefangen und führten ihn, da sie sich damit gleichsam »großen Heldenruhm erworben«57, zu Alexios, dem Komnenen, der gar nicht weit entfernt von der Stelle stand, an

55 Ioannes Bryennios. 56 Der nicht weiter bekannte Vater von Nikephoros Bryennios, dem Gatten Annas. 57 Aus H o m e r entlehnte epische Formel.

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Buch I, Kapitel 6 § 6-9

der Bryennios gefangengenommen worden war, und die Reihen der Barbaren und seine eigenen Truppen in Schlachtordnung aufstellte und zum Kampf anfeuerte. 7 Zunächst ließen sie durch Herolde die Nachricht von der Gefangennahme des Bryennios melden, dann aber präsentierten sie dem Feldherren diesen selbst, der wahrlich einen furchterregenden Anblick bot, sowohl im Kampf wie als Gefangener. Nachdem also Bryennios auf diese Weise dem Komnenen Alexios in die Hände gefallen war, sandte ihn dieser als Kriegsgefangenen zum Basileus Botaneiates, seine Augen aber tastete er nicht in der geringsten Weise an. Denn der Komnene war nicht der Mann, der nach dem Kampf seine Gegner grausam behandelt, sondern er hielt die Gefangennahme des Feindes für eine ausreichende Bestrafung. Danach ließ er Milde, Freundlichkeit und Großmut walten, was er ja auch an Bryennios bewies.58 8 Als er nämlich mit ihm nach dessen Gefangennahme ein gutes Stück Weges weitergezogen war, wollte er, als er an einen Ort namens ***5' gekommen war, den Mann aus seiner Niedergeschlagenheit aufrichten und ihm Hoffnung machen und sagte daher zu ihm: »Laß uns absitzen und uns niedersetzen, damit wir uns ein wenig erholen.« Der aber glich in seiner Todesangst einem Geistesgestörten, und eine Rast war nicht das, was er dringend brauchte. Wie denn auch, da er ja nichts mehr für sein Leben gab. Dennoch fügte er sich sogleich dem Willen des Generals. Denn das ist typisch für den Sklaven: Er beugt sich leicht jedem Befehl, besonders wenn er als Kriegsgefangener abgeführt wird. 9 Als nun die beiden Heerführer von ihren Pferden gestiegen waren, da legte sich der eine sogleich dort, wo er stand, in das grüne Gras wie auf ein Lager, Bryennios aber legte den Kopf auf die Wurzel einer »hochbelaubten Eiche«60. Jener schlief, ihn aber »hielt nicht der süße Schlummer umfangen«, wie die anmutige Dichtung sagt", sondern er hatte die Augen nach oben gerichtet und erblickte das in den Zweigen hängende Schwert [des Alexios]. Und da er sah, daß zu diesem Zeitpunkt keine Menschenseele dort war, erholte er sich von seiner Mutlosigkeit, gewann wieder Zuversicht und dachte daran, meinen Vater zu töten. Und er hätte den Gedanken wohl auch in die Tat umgesetzt, wenn nicht eine göttliche Macht

58 Die folgende Episode, die Anna im Werk ihres Mannes nicht vorfand, sondern nach ihrer Angabe aufgrund mündlicher Berichte des Betroffenen selbst hinzufügte, hat Friedrich Schiller in seiner Schrift Über den mordischen Nutzen ästhetischer Sitten in den Hören von 1796 behandelt. 59 Hier fehlt, wie an einigen anderen Stellen, der Name des Ortes. In gleicher Weise fehlen an anderen Stellen Personennamen oder Zahlen. Offensichtlich hatte Anna beabsichtigt, diese Angaben in ihrem Manuskript nachzutragen, was aber dann nicht ausgeführt wurde. 60 Aus H o m e r entlehnte epische Formel. 61 Homer, Ilms 2, 2.

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Buch I, Kapitel 6 § 9-Kapitel 7 § 2

von oben ihn daran gehindert hätte, indem sie seine wilde W u t besänftigte und bewirkte, daß er den Strategos mit freundlichen Augen ansah. Ich selbst habe oftmals gehört, wie er diese Geschichte erzählte. Wer mag, kann daran erkennen, daß Gott den Komnenen für eine höhere Aufgabe bewahrt hatte wie einen kostbaren Schatz, da er durch ihn das Szepter der Romäer wieder aufrichten wollte. Für alles, was danach an unerfreulichen Dingen dem Bryennios zustieß, sind einige Leute aus der Umgebung des Basileus verantwortlich62, mein Vater ist daran unschuldig. VII Die Sache mit Bryennios fand also auf diese Weise ihr Ende. Dem Großdomestikos Alexios, meinem Vater, war jedoch keine Ruhe vergönnt, sondern, er sollte von Gefecht zu Gefecht eilen. Borilos nämlich, ein Barbar aus der Umgebung des Botaneiates63, der dessen besonderes Vertrauen genoß, kam aus der Stadt, traf sich mit dem Großdomestikos, meinem Vater, übernahm aus dessen Händen den Bryennios und tat, was er tat". Meinem Vater aber gab er die Weisung vom Basileus, gegen Basilakios65 zu ziehen, da auch dieser sich bereits die Kaiserkrone aufgesetzt hatte und nach Bryennios nun den Westen in Aufruhr versetzte, ohne daß man ihm Einhalt gebieten konnte. Dieser Basilakios nämlich war einer von den Männern, die größte Bewunderung genossen sowohl wegen ihrer Tapferkeit und Beherztheit als auch wegen ihrer Kühnheit und Stärke. Da er zudem auch sehr machtgierig war, verschaffte er sich die höchsten Amter und Ehrentitel; um einige bemühte er sich regulär, andere legte er sich selbstherrlich zu. Denn nachdem Bryennios gestürzt worden war, übernahm er gleichsam als sein Nachfolger dessen gesamten Plan zur Usurpation. 2 Und von Epidamnos" aus (dies ist die Hauptstadt des Illyrikon) zog er bis zur Stadt der Thessaler67 und

62 Nikephoros Bryennios wurde geblendet, wofür Anna (ebenso wie Nikeph. Bryenn. IV 17) Borilos, den Vertrauten des Botaneiates, verantwortlich macht, der nach Nikeph. Bryenn. IV 18 auf Befehl des Kaisers handelte. Zu Borilos, dem zu hohen Staatsämtern aufgestiegenen Sklaven des Botaneiates, vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 32 (S. 47-49). 63 Vornehmer Byzantiner pegenegischer oder bulgarischer Abstammung. Vgl. Moravcsik, Byzantinoturcica II 95-96. 64 Anna umschreibt damit, was sie nicht beim Namen nennen will: die Blendung des Bryennios. 65 Nikephoros Basilakios oder (mit der gebräuchlicheren, weniger archaisierenden Namensform) Basilakes, unter Michael VII. als Nachfolger des Bryennios Dux von Dyrrachion und damit Oberbefehlshaber der Truppen im gesamten Illyrikon, ließ sich nach der Usurpation des Nikephoros Botaneiates und dem Scheitern des Umsturzversuches des Nikephoros Bryennios, mit dem er zunächst gemeinsame Sache gemacht hatte, von seinen Truppen zum Basileus proklamieren. Sein Hauptquartier befand sich in Thessalonike. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 24 (S. 35-39). Seine Revolte ist ausfuhrlich dargestellt bei Nikeph. Bryenn. IV 16-28; vgl. auch Cheynet, Pouvoir, Nr. 108 (S. 86-87). 66 Archaisierende Bezeichnung für Dyrrachion (Dürres). 67 Umschreibend für Thessalonike.

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Buch I, Kapitel 7 § 2 - 3

machte sich alles Untertan, ließ sich selbst z u m Basileus wählen u n d ausrufen u n d führte das vagabundierende Heer des Bryennios, wohin er nur wollte; denn er wurde vor allem auch wegen seiner Körpergröße, der Kraft seiner Arme u n d wegen des ehrfurchtgebietenden Ausdrucks seines Gesichtes bewundert, was mehr als alles andere auf dieses ungebildete Soldatenvolk Eindruck macht. Dessen Blick dringt nämlich nicht bis ins Innere vor und achtet auch nicht auf Mannestugend, sondern es macht bei den körperlichen Vorzügen halt, indem es Draufgängertum, Kraft, Schnelligkeit u n d Größe bewundert u n d diese Eigenschaften des Purpurkleides und der Krone für würdig hält. Er aber, auch in dieser Hinsicht nicht ohne Größe, hatte außerdem noch ein mutiges und unerschrockenes Herz, kurz: Dieser Basilakios besaß die Ausstrahlung u n d das Aussehen eines Anwärters auf den Kaiserthron. Seine Stimme war laut wie Donnergetöse und imstande, ein ganzes Heer in Schrecken zu versetzen, u n d sein Schrei genügte, u m auch ein kühnes Herz zu entmutigen. U n d unwiderstehlich war seine Rede, ob er n u n die Soldaten z u m Kampf anfeuern oder zur Flucht bewegen wollte. Mit solchen Vorzügen ausgerüstet, versammelte dieser M a n n ein unschlagbares Heer u m sich und eroberte die Hauptstadt der Thessaler, wie ich schon berichtet habe. 3 Mein Vater aber, der Komnene Alexios, traf seine Gegenmaßnahmen wie gegen einen mächtigen T y p h o n " oder einen hundertarmigen Giganten u n d bot all sein strategisches Können und seine kühne Entschlußkraft auf und war bereit z u m Kampf gegen einen ebenbürtigen Feind. U n d er hatte noch nicht den Staub aus den vorangegangenen Schlachten abgeschüttelt u n d noch nicht das Schwert und die Hände v o m Blut gereinigt, da rückte er wie ein grimmiger Löwe" mit erneutem Kampfesmut gegen den stoßzahnbewehrten Eber Basilakios aus. U n d so gelangte er an den Fluß Vardares (so nennt man ihn in der Landessprache) 70 . Dieser Fluß fließt aus dem bei Mysien 71 gelegenen Gebirge herab und vorbei an vielen Orten, er trennt die zu Berroia72 und Thessalonike gehörenden Gebiete, das eine östlich und das andere westlich von ihm gelegen, u n d ergießt sich in unser südliches Meer 73 . Bei den ganz großen Flüssen geschieht n u n im allgemeinen folgendes: W e n n sie durch die ständige Ablagerung Erde in beträchtlicher H ö h e angeschwemmt haben, dann fließen sie in tieferes Gelände ab, gleichsam ihr altes Bett verlassend, 68 Monstrum der griechischen Mythologie, von Zeus in den Tartaros unter dem Vulkan Ätna verbannt. 69 Aus H o m e r entlehnte epische Formel. 70 Jetzt heißt er, rehellenisiert, in seinem zu Griechenland gehörenden Abschnitt wieder Axios. 71 Archaisierend für Bulgarien. 72 Etwa 70 km westlich von Thessalonike gelegen. 73 Die Ägäis.

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Buch I, Kapitel 7 § 3-Kapitel 8 § 1

und lassen den alten Lauf trocken und ohne Wasser zurück, den neugebahnten Lauf aber füllen sie mit reichlicher Wasserflut. 4 Das Gebiet nun zwischen den beiden Flußläufen, dem alten Bett und dem neu entstandenen Lauf, fiel dem meisterlichen Strategen Alexios, meinem Vater, auf, und er lagerte sich dort, indem er das neue Flußbett auf der einen Seite als Schutz gebrauchte und den alten Lauf, den die ständige Strömung zu einer tiefen Schlucht ausgehöhlt hatte, wie einen natürlichen Graben nutzte; die beiden Flußbetten waren nicht mehr als zwei oder drei Stadien74 voneinander entfernt. Und sogleich erhielten alle den Befehl, sich tagsüber auszuruhen, den Körper durch Schlaf zu erquicken und den Pferden genügend Futter zu geben; denn wenn der Abend komme, hätten sie wach zu sein und einen Überraschungsangriff der Feinde zu gewärtigen. 5 Diese Anweisungen gab mein Vater, meine ich, deshalb, weil er für jenen Abend Gefahr von Seiten der Feinde witterte. Er erwartete nämlich, daß sie ihn angreifen würden, sei es, daß er dies aufgrund seiner großen Erfahrung voraussagte, sei es, daß er solches aus anderen Gründen vermutete. Er hielt sich aber nicht lange mit seiner Prophezeiung auf und ließ es nicht bei seiner Vorahnung bewenden, ohne das Nötige zu veranlassen, sondern er verließ sein Zelt in Begleitung seiner Soldaten mit Waffen und Pferden und allem, was zum Kampf erforderlich ist, und ging fort von seinem Zelt, nachdem er dort Fackeln zurückgelassen hatte, die ringsum leuchteten, und einem seiner Vertrauten, Ioannikios'5, der schon vor langer Zeit in den Mönchsstand getreten war, das Zelt und alles, was er zur Verpflegung mit sich führte, samt der übrigen Ausrüstung anvertraut hatte. Er selbst aber entfernte sich sehr weit von dieser Stelle, ließ sich mit seinem bewaffneten Heer nieder und wartete, was geschehen würde. Diese List setzte er ein, damit Basilakios, wenn er überall brennende Feuer sah und das erleuchtete Zelt meines Vaters, glauben sollte, daß dieser sich eben dort ausruhe, er ihn also leicht gefangennehmen und in seine Gewalt bringen könne. VIII Nicht unbegründet war, wie wir schon sagten, die Voraussage meines Vaters Alexios. Denn Basilakios griff plötzlich das Lager, das er dort vorzufinden glaubte, mit sehr zahlreichem Heer, Berittenen und Fußtruppen, an. Und er fand die Lagerstätten der Soldaten überall durch Feuer erleuchtet, und als er dann auch noch das Zelt des Strategos in hellem Licht strahlen sah, da warf er sich mit Schwung und markerschütterndem, entsetzlichem

74 Zum Gebrauch der antiken Bezeichnung »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. oben Anm. 47. 75 Eunuch, von Anna Dalassene dem Alexios als Mentor zugeteilt; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 95 (S. 157-158).

Buch I, Kapitel 8 § 1-3

Gebrüll hinein. Wie er aber den dort Geglaubten nirgends fand, und überhaupt niemand, kein Soldat und kein Strategos, sich dort aufstöbern ließ, es sei denn einige kaum beachtenswerte Leute aus der Dienerschaft, da schrie und brüllte er um so lauter: »Wo zum Teufel ist der Stotterer?«, indem er auch noch verbal den Großdomestikos verächtlich machen wollte. In jeder anderen Hinsicht nämlich war dieser mein Vater Alexios redegewandt, und es gab niemanden, der von Natur so begabt war zum Redner, sowohl was den gedanklichen Aufbau als auch was die Argumente betrifft, lediglich bei der Aussprache des Rho glitt seine Zunge etwas aus und stieß kaum merklich an, die übrigen Buchstaben sprach er dagegen ohne Stocken flüssig aus. 2 Unter solchen laut gebrüllten Schmähungen also durchsuchte jener alles gründlich und kehrte das Unterste zuoberst, Kisten, Feldbetten, Mobiliar und sogar das Bett meines Vaters, ob nicht vielleicht der Strategos in einem dieser Gegenstände verborgen war. Und immer wieder heftete er seine Augen auf den Mönch namens Ioannikios. Die Mutter des Alexios hatte nämlich energisch darauf bestanden, daß er bei allen seinen Feldzügen als Zeltgenossen einen besonders ehrwürdigen Mönch bei sich hatte, und der gehorsame Sohn fugte sich dem mütterlichen Willen, und das nicht nur in seinen Kindertagen, sondern auch noch, als er schon zu den jungen Männern zählte, und sogar bis zu seiner Heirat. Basilakios durchsuchte also die gesamte Einrichtung des Zeltes und ließ selbst (um Aristophanes zu zitieren76) »den finsteren Erebos nicht ununtersucht«, wobei er zugleich auch den Ioannikios nach dem Domestikos ausforschte. Als dieser aber hartnäckig bei seiner Aussage blieb, jener sei schon vor langer Zeit mit dem ganzen Heer ausgerückt, erkannte er, daß er gewaltig genarrt worden war, gab seine Sache auf und änderte seine Parole und rief nunmehr: »Meine Waffenbrüder, wir sind getäuscht worden, der Kampf findet draußen statt.« 3 Er hatte die Worte noch nicht zu Ende gesprochen, da preschte mein Vater, der Komnene Alexios, mit einigen wenigen Soldaten in wildem Galopp seinem Heer voraus und griff die Feinde an, als diese gerade das Lager verlassen wollten. Und als er sah, wie jemand Ordnung in die feindlichen Reihen zu bringen suchte (die meisten der Soldaten um Basilakios hatten sich nämlich dem Beutemachen und Plündern hingegeben, was ja auch schon lange vorher so von meinem Vater geplant worden war; daher waren sie noch nicht wieder dazu gekommen, sich zu sammeln und in Kampfordnung aufzustellen, als der Großdomestikos auch schon wie ein plötzliches Unwetter über sie hereinbrach), als er also jenen Ordner der feindlichen Reihen erblickte, stürzte er, da er annahm (entweder aufgrund

76 Aristophanes, Nubes 192. Der Erebos ist ein besonders finsterer Ort auf dem Weg in die Unterwelt.

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Buch I, Kapitel 8 § 3-6

von dessen Körpergröße oder wegen seiner glänzenden Waffen, denn seine Waffen funkelten im Licht der Sterne), das sei der gesuchte Basilakios, rasch auf ihn los und traf seine Hand. Diese fiel auf der Stelle zusammen mit dem Schwerte zu Boden, was die Phalanx in große Verwirrung brachte. Es war jedoch nicht Basilakios, sondern ein sehr tüchtiger Offizier aus dem Stab des Basilakios, der dem Basilakios an Tapferkeit um nichts nachstand. 4 In der Folge nun fiel er mit Macht über die Feinde her, beschoß sie mit Pfeilen, verwundete sie mit der Lanze, schleuderte ihnen sein Kriegsgeschrei entgegen, brachte sie in der Finsternis durcheinander und wußte alles, Ort, Zeit und Waffe, für den Sieg zu nutzen und richtig einzusetzen mit unerschrockenem Mut und unerschütterlicher Entschlossenheit; und als die Soldaten nach allen Seiten zu fliehen begannen, schnitt er ihnen den Weg ab und wußte einen jeden von ihnen genau nach Freund oder Feind zu unterscheiden. Da nun erblickte auch ein Kappadoker namens Gules, ein ergebener Diener meines Vaters, ein starker Recke und ein Held mit unwiderstehlichem Kampfesmut, den Basilakios, und nachdem er ihn sicher erkannt hatte, versetzte er ihm einen Hieb gegen den Helm. Aber es erging ihm wie Menelaos gegen Alexandros77: Sein Schwert »dreifach zersprungen und vierfach entfiel es seiner Rechten«, nur der Griff blieb in seiner Hand zurück. Als der General ihn sah, machte er ihm sogleich Vorwürfe, daß er sein Schwert nicht in der Hand halte, und nannte ihn feige. Als der Soldat jedoch den in seiner Hand zurückgebliebenen Griff vorwies, konnte er den Großdomestikos besänftigen. 5 Wieder ein anderer, ein Makedone namens Petros mit Beinamen Tornikios78, stürzte sich mitten unter die Feinde und tötete viele von ihnen. Das Heer folgte blindlings, ohne zu wissen, was vorging; da der Kampf nämlich im Dunklen stattfand, waren nicht alle in der Lage zu erkennen, was geschah. Der Komnene aber griff den noch nicht zersprengten Teil der Formation an, indem er auf die Soldaten einhieb, die noch Widerstand leisteten, wandte sich dann wieder seinen eigenen Leuten zu und trieb sie an, den noch intakten Teil der Schlachtordnung des Basilakios auseinanderzusprengen, und sandte Kuriere zur Nachhut mit der Aufforderung, nicht zu zaudern, sondern ihm zu folgen und rascher zu ihm aufzuschließen. 6 Unterdessen hatte ein Kelte aus der Garde des Domestikos, um das Wichtigste hier in Kürze zu erzählen, ein tüchtiger Soldat und ganz erfüllt von Ares, beobachtet, wie mein Vater gerade mitten aus den Feinden auftauchte mit gezücktem Schwerte, das noch vom Blut dampfte, und in der Annahme, es sei einer von den Feinden, stürzte er sich sogleich auf ihn und ver-

77 Homer, Ilias 3, 361-363. 78 Uber ihn ist sonst nichts bekannt. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 172 (S. 268) - dort auch Literatur zur Familie Tornikes allgemein.

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Buch I, Kapitel 8 § 6-Kapitel 9 § 3

setzte ihm mit der Lanze einen Stoß vor die Brust. Und fast hätte er wirklich den Strategos aus dem Sattel gestoßen, wenn dieser sich nicht sogleich umso fester in seinen Sattel gestemmt, jenen beim Namen gerufen und ihm gedroht hätte, er werde ihm auf der Stelle mit dem Schwerte den Kopf abschlagen. Als jener aber zu seiner Verteidigung vorbrachte, daß er in der Nacht und in dem Durcheinander der Schlacht ihn nicht habe erkennen können, durfte er sich weiter zu den Lebenden zählen. IX Das war es, was der Domestikos der Scholen zusammen mit wenigen Soldaten des Nachts vollbracht hatte. Als aber der Tag eben zu lächeln begann und die Sonne hinter dem Horizont hervorlugte, bemühten sich die Truppenfuhrer des Basilakios mit aller Entschiedenheit darum, diejenigen wieder zu sammeln, die mit Plündern beschäftigt waren und sich dem Kampf entzogen hatten. Der Großdomestikos aber rückte, nachdem er sein eigenes Heer geordnet hatte, erneut gegen Basilakios vor. Als die Soldaten des Domestikos in der Ferne einige von dessen Heer erblickten, attackierten sie diese heftig und schlugen sie in die Flucht; einige nahmen sie auch lebend gefangen und übergaben sie ihm [Alexios] nach ihrer Rückkehr. 2 Der Bruder des Basilakios aber, Manuel 79 , war auf einen Hügel gestiegen und wollte das Heer ermutigen, indem er laut rief: »Dem Basilakios gehört heute der Tag und der Sieg«. Doch ein Soldat namens Basileios mit Beinamen Kurtikios80, ein Freund und Vertrauter jenes Nikephoros Bryennios, von dem schon die Rede war, ein leidenschaftlicher und begeisterter Kämpfer, preschte aus der Formation des Komnenen nach vorn und erklomm besagten Hügel. Manuel Basilakios aber zog sein Schwert aus der Scheide und stürmte in vollem Galopp auf ihn los. Kurtikios schlug jedoch nicht mit dem Schwerte zu, sondern ergriff die Keule, die er an seinem Sattel hängen hatte, traf ihn damit am Helm und warf ihn auf der Stelle vom Pferd, dann schleifte er ihn gefesselt mit sich und brachte ihn wie ein Beutetier meinem Vater. Als indessen das übrige Heer des Basilakios sah, wie der Komnene mitsamt seinen Truppen auftauchte, hielt es nur eine kurze Weile stand und wandte sich dann zur Flucht. Vorn floh Basilakios, der Komnene Alexios aber setzte ihm nach. 3 Als sie Thessalonike erreicht hatten, nahmen die Thessaloniker den Basilakios sogleich bei sich auf, vor dem General aber verschlossen sie auf der Stelle die Stadttore. Aber auch so ließ mein Vater nicht locker und legte weder seinen Panzer, noch setzte er seinen Helm ab, noch streifte er den Schild von seinen Schultern, noch auch warf er sein Schwert beiseite, sondern er schlug dort

79 Nach Nikeph. Bryenn. IV 26 handelt es sich u m seinen Neffen. 80 Er stammt aus Adrianopel, die Familie ist vielleicht armenischer Herkunft; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 28 (S. 43-46).

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Buch I, Kapitel 9 § 3 - 6

sein Lager auf und drohte der Stadt offen mit Belagerung und Zerstörung. Da er den Mann [Basilakios] jedoch schonen wollte, ließ er ihm durch den Mönch Ioannikios, der ihn begleitete (er war ein für seine Lauterkeit bekannter Mann), ein Friedensangebot übermitteln; für die Zusicherung und Garantie, daß ihm kein Leid geschehen werde, solle er sich selbst und zugleich auch die Stadt ihm [Alexios] ausliefern. Basilakios lehnte ab, die Thessaloniker aber gestatteten dem Komnenen den Einzug aus Furcht, die Stadt könnte erobert werden und. es werde ihr dann schlimm ergehen. 4 Als aber Basilakios merkte, was das Volk vorhatte, zog er sich auf die Zitadelle81 zurück und sprang damit aus einer Falle in die andere. Doch auch in dieser kritischen Lage ließ er sich nicht von Krieg und Kampf abbringen, obgleich ihm der Domestikos die Zusicherung gab, daß ihm kein Leid widerfahren werde; vielmehr zeigte sich Basilakios auch im Unglück und in der Ausweglosigkeit als Held. Denn er war nicht bereit, auch nur im geringsten von seiner männlichen und tapferen Haltung abzugehen, bis die Bewohner und Wachsoldaten der Zitadelle mit vereinten Kräften den sich Wehrenden mit Gewalt vertrieben und dem Großdomestikos übergaben. 5 Dieser unterrichtete sogleich den Basileus von dessen Gefangennahme, und nachdem er selbst sich für eine kurze Zeit in Thessalonike aufgehalten und die Verhältnisse dort geordnet hatte, kehrte er strahlend im Siegerkranz zurück. Die Abgesandten des Basileus trafen zwischen Philippi und Amphipolis 82 mit meinem Vater zusammen und händigten ihm die jenen betreffenden schriftlichen Weisungen des Basileus aus83; dann nahmen sie den Basilakios in ihre Obhut, führten ihn zu einem Dorfe namens Chlempina* 4 und stachen ihm nahe der dort befindlichen Quelle die Augen aus. Von da an heißt die Quelle bis heute Basilakios-Quelle85. 6 Dies war die dritte Aufgabe, die der große Alexios gleichsam wie ein zweiter Herakles erfüllen mußte, bevor er Basileus wurde. Denn wenn man diesen Basilakios als Erymanthischen Eber bezeichnete und meinen Vater Alexios als einen heldenhaften Herakles unserer Zeit, dann dürfte man damit kaum die Wahrheit verfehlen. So viel nun über die Erfolge und Leistungen des Komnenen Alexios, bevor er den Thron bestieg. Für all diese

81 Die Mauern dieser Befestigungsanlage sind zum großen Teil erhalten, vgl. Tafrali, Topographie 112-114, Pl. V, XVI-XXIII. 82 Anna verwechselt das in der Nähe des antiken Amphipolis gelegene zeitgenössische Chrysupolis mit Christupolis (heute Kavala); vgl. unten Anm. 85. 83 Vgl. Dölger-Wirth, Regesten 1039 (dort fälschlich »Philippopolis« statt »Philippi«). 84 Nach Vasmer, Slaven 229 abzuleiten von slav. chkb (»Brot«). 85 Etwa 5 km westlich des heutigen Kavala gelegen, wie Moutsopoulos nachgewiesen hat; vgl. N. E. Moutsopoulos, L'épisode de l'aveuglement de Vasilakiosprès de Chlebina, in: Studien zur byzantinischen Kunstgeschichte (FS H. Hallensieben), Amsterdam 1995, 13-18.

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Buch I, Kapitel 9 § 6-Kapitel 10 § 2

Taten erhielt er vom Autokiator die Würde eines Sebastos86 und wurde auch vor dem vollständig anwesenden Senat zum Sebastos proklamiert. X Ebenso wie kranke Körper, glaube ich, sich bisweilen durch äußere Umstände ihr Leiden zuziehen, bisweilen aber auch die Ursachen für die Krankheiten im Körper selbst liegen, und wir oftmals klimatische Unregelmäßigkeiten und bestimmte Eigenschaften von Speisen, gelegentlich aber auch die Fäulnis von Körpersäften für das Entstehen von Fieber verantwortlich machen können, so hat auch der schlechte Zustand der Romäer zu jener Zeit einerseits tödliche Plagen wie jene vorher erwähnten Männer, ich meine Urselios und Basilakios und alle diejenigen, die in die Reihen der Umstürzler gehören, selber entstehen lassen, andererseits aber hat das Schicksal noch obendrein von außerhalb fremde Usurpatoren herangeführt, ein Übel, dem man kaum zu begegnen weiß, und eine unheilbare Krankheit, wie z. B. den wegen seiner Machtgier berüchtigten Prahler Robert87, den die Normandie geboren, die Schlechtigkeit aber in all ihrer Vielfalt genährt und aufgezogen hat. 2 Diesen Feind hat das Reich der Romäer selbst auf sich gezogen, indem es durch unsere eigenen Handlungen einen Vorwand lieferte für die von jenem ausgehenden Kriege: das Ehebündnis mit einer Fremden und Barbarin, das für uns völlig unpassend war, besser gesagt die Kurzsichtigkeit des damaligen Herrschers Michael, den seine Abstammung mit der Familie Dukas verband88. Wenn ich auch einen Blutsverwandten tadele (denn auch ich stamme mütterlicherseits von ihnen ab89), so soll mir das niemand übelnehmen. Denn ich habe die Absicht, von allem nur die Wahrheit zu berichten, und was ihn angeht, so habe ich die allgemeine Kritik an ihm eher noch abgemildert90. Jener besagte Autokrator Michael Dukas nämlich verlobte die Tochter dieses Barbaren mit seinem eigenen

86 Ursprünglich Äquivalent für das lateinische augustus, dann im 11. Jahrhundert als Titel wieder eingeführt, besonders unter den Komnenen als hoher Ehrenrang verliehen. Vgl. O D B sub v. Sebastos. L. Stiernon, Notes de titulature et deprosopographie byzantines. Sebaste et gambros, in: REB 23 (1965) 222-243. 87 Robert Guiskard (ca. 1015-1085), Herzog von Apulien und Kalabrien. Zu ihm vgl. Chalandon, Domination I 115-284. Derselbe, Alexis 58-61. Weitere Literatur in O D B sub v. Robert Guiscard. Zu seiner Herkunft vgl. Du Cange, Notae 426-428. 88 Michael VII. Dukas hatte eine Tochter Robert Guiskards (Olympias, ihr byzantinischorthodoxer Name war Helene) mit seinem noch unmündigen Sohn Konstantin verlobt, um die Normannen zu beschwichtigen, die 1071 Bari, die letzte byzantinische Bastion in Süditalien, erobert hatten. Diese Politik des Appeasement war von vornherein zum Scheitern verurteilt, und die Auflösung der Verlobung durch Botaneiates lieferte Robert Guiskard nur den Vorwand, nach Dyrrachion überzusetzen und das Reichsgebiet von Byzanz jenseits der Adria anzugreifen. 89 Annas Mutter, Eirene Dukaina, war die Tochter des Andronikos Dukas, eines Vetters Michaels VII. 90 Vgl. z. B. die äußerst kritischen Bemerkungen über Michael VII. bei Nikeph. Bryenn. II 1-2.

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Buch I, Kapitel 10 § 2 - 4

Sohn Konstantinos, und aus dieser Verlobung entsprangen die kriegerischen Auseinandersetzungen. Uber den Sohn dieses Basileus aber, Konstantinos, und seinen Ehevertrag und überhaupt über die Ehegeschichte mit der Barbarin und nicht zuletzt über seine schöne und stattliche Erscheinung, seine physischen und charakterlichen Eigenschaften werde ich zu gegebener Zeit berichten", wenn ich auch ein wenig mein eigenes Unglück beklage, nachdem ich von dieser Verlobung, von der Niederlage der gesamten Barbaren-Streitmacht und vom Untergang der normannischen Usurpatoren berichtet habe, die er [Michael] in seinem Unverstand gegen das Reich der Romäer hatte hochkommen lassen. 3 Doch zuvor muß ich mit meinem Bericht etwas weiter ausholen und die Geschichte dieses Robert erzählen, wie es um seine Familie und Herkunft steht und zu welcher Macht und Größe der Lauf der Ereignisse ihn erhoben hat, vielmehr (um mit mehr Ehrfurcht zu sprechen) wie weit ihn die Vorsehung emporkommen ließ, indem sie seine niederträchtigen Bestrebungen und Intrigen duldete. 4 Dieser Robert war von seiner Abstammung her Normanne aus unbedeutender Familie; er war von Machtgier geprägt und besaß einen durch und durch schlechten Charakter; seine Körperkräfte waren beachtlich, und er verstand sich vorzüglich darauf, nach dem Reichtum und der Macht großer Männer zu greifen; im Ausfuhren seiner Pläne war er von ungeheurem Durchsetzungsvermögen und ließ sich von seinem Ziel durch keinerlei Einwände abbringen. Was seine körperlichen Eigenschaften betraf, so war er derart hochgewachsen, daß er auch die Größten überragte, sein Teint war rödich, sein Haar blond, seine Schultern breit und seine Augen - es war fast, als ob sie Funken sprühten. Und wo wir erwarten, daß die Natur Breite hervorbringt, war diese Breite vorhanden, wo sie die Breite hingegen verjüngen muß, war er richtig proportioniert. So war der Mann von Kopf bis Fuß wohl gestaltet, wie ich von vielen oftmals gehört habe. Was die Stimme betrifft, so berichtet Homer über Achilleus, daß, wer ihn rufen hörte, den Eindruck gehabt habe, als ob viele zugleich laut schrien' 2 , der Schrei dieses Mannes aber, so sagt man, konnte viele Zehntausende in die Flucht schlagen. Solcherart ausgestattet, was seine Herkunft wie seine körperlichen und charakterlichen Eigenschaften angeht, war er, wie zu erwarten, keine Sklavenseele und beugte sich niemandem. Denn so sind Machtmenschen geartet, sagt man,' 3 auch wenn sie von niederer Herkunft sind. 91 Anna hält diese Planung nicht genau ein. Sie schildert die körperlichen Vorzüge des Konstantinos unten Kap. 12 und Buch III, Kap. 1 § 3. An der hier angekündigten Stelle (nach der Niederlage des normannischen Expeditionsheeres) berichtet sie (Buch VI, Kap. 8) zwar von ihrer eigenen Geburt und den gemeinsamen Akklamationen für sie und ihren Verlobten Konstantinos, die bis zur Geburt ihres Bruders und künftigen Thronfolgers Ioannes ausgebracht wurden, kommt aber nicht noch einmal auf die Eigenschaften Konstantins zurück. 92 Vgl. Homer, llias 18,227-229. 93 Nicht verifiziertes Zitat.

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Buch I.Kapitel 11 § 1 - 4

XI Als ein Mann von solcher Art, der es nicht ertrug, sich irgend jemandem unterzuordnen, brach er mit einigen Berittenen (fünf Berittene und dreißig Mann zu Fuß zählten sie im ganzen) aus der Normandie auf, verließ seine Heimat und trieb auf den Gebirgskämmen, in den Höhlen und Bergen der Longibardia' 4 als Anführer einer Räuberbande sein Unwesen, indem er die Reisenden überfiel und sich von ihnen bisweilen die Pferde, bisweilen auch andere Gegenstände und Waffen aneignete. So bestanden die Anfänge der Laufbahn dieses Mannes aus reichlichem Blutvergießen und vielen Morden. 2 Während er sich aber in der Longibardia herumtrieb, entging er nicht der Aufmerksamkeit des Gelielmos Maskabeies, der zu jener Zeit über den größten Teil der an die Longibardia angrenzenden Gebiete herrschte. Dank der reichen Einkünfte, die er jährlich aus diesen Gebieten zog, verfügte er über eine beträchtliche Streitmacht und war ein angesehener Fürst. Nachdem er von Robert gehört hatte, wie er in beiderlei Hinsicht war, charakterlich und physisch meine ich, holte er den Mann unklugerweise in seine Nähe und verlobte ihn mit einer seiner Töchter 95 . Nachdem er auch die Hochzeit hatte stattfinden lassen, da er seinen Schwiegersohn wegen seiner Stärke und seiner Kenntnisse im Kriegshandwerk bewunderte, verliefen die Dinge aber durchaus nicht so, wie er gedacht hatte. 3 Er hatte ihm nämlich als eine Art Brautgabe auch eine Stadt geschenkt und ihm auf manch andere Weise sein Wohlwollen erwiesen. Robert aber, der ihm übelwollte und eine Revolte gegen ihn plante, täuschte zunächst noch Freundlichkeit vor und verstärkte seine Streitkräfte auf das Dreifache an Berittenen und das Doppelte an Fußsoldaten. Von da an ließ er allmählich die Maske der Freundschaft fallen, und seine Schlechtigkeit kam nach und nach zum Vorschein. 4 Und es verging kein Tag, an dem er nicht Vorwände für Reibereien gab und suchte und immer neue Anlässe ersann, aus welchen Streitigkeiten, Kämpfe und Kriege zu entstehen pflegen. Da aber besagter Gelielmos Maskabeies ihm an Reichtum und Macht bei weitem überlegen war, gab Robert den Gedanken an ei94 Das Territorium der langobardischen Fürstentümer in Süditalien, die ehemalige byzantinische Provinz Longibardia in Kalabrien und Apulien. Vgl. O D B sub v. Longobardia. 95 Die von Anna geschilderte Maskabeles-Geschichte ist in dieser Form ein Phantasieprodukt, das nach Ausweis der westlichen Quellen aus ganz verschiedenen Einzelbestandteilen zusammengefügt ist: Robert war in erster Ehe mit Alberada von Buonalbergo verheiratet; diese Ehe wurde von ihm, nachdem aus ihr der Sohn Bohemund hervorgegangen war, unter dem Vorwand unzulässiger Blutsverwandtschaft aufgelöst. In zweiter Ehe heiratete Robert dann Sichelgaita (Gaita), Tochter des Fürsten Waimar IV. von Salemo. Waimar war allerdings zur Zeit dieser Eheschließung bereits verstorben, Robert empfing Gaita aus der Hand ihres Bruders Gisulf, dessen Landes er sich später bemächtigte. Die Geschichte der Gefangennahme und Folterung des »Maskabeies« (dieser Name taucht in keiner anderen Quelle auf), des angeblichen Schwiegervaters Roberts, hat sich dagegen mit Peter von Turra, dem Fürsten von Bisiniano, zugetragen. Vgl. Du Cange, Notae 429-430.

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Buch I, Kapitel 11 § 4 - 6

nen offenen Kampf gegen ihn auf und schmiedete einen heimtückischen Plan. Und während er guten Willen heuchelte und sich reumütig stellte, legte er heimlich einen gefährlichen und schwer zu entdeckenden Hinterhalt, um die Städte des Maskabeies in seine Gewalt zu bekommen und Herr über alle Besitztümer zu werden, die ihm gehörten. 5 Zunächst bat er um Friedensverhandlungen und ließ durch Gesandte um eine Zusammenkunft zu einem persönlichen Gespräch ersuchen. Maskabeies aber war die Aussicht auf Frieden mit ihm willkommen, da er seine Tochter über die Maßen liebte, und er vereinbarte einen baldigen Termin für das Gespräch. Robert nannte ihm dann einen Ort, an dem sie sich zu dem Gespräch treffen und den Vertrag miteinander abschließen sollten. Es gab dort zwei Hügel, die sich in gleicher Höhe aus der Ebene erhoben und einander genau gegenüberlagen. Das Gelände dazwischen war sumpfig und mit allerlei Bäumen und Buschwerk bedeckt. Dort legte der furchtbare Robert einen Hinterhalt, indem er vier besonders tapferen bewaffneten Männern den Auftrag gab, ihre Augen nach allen Richtungen offen zu halten. Wenn sie dann sähen, wie er mit Gelielmos handgemein werde, sollten sie unverzüglich und auf der Stelle zu ihm hinauflaufen. Nachdem Robert, dieser Erzschurke, solche Vorbereitungen getroffen hatte, verließ er den einen Hügel, der für das Zusammentreffen mit Maskabeies bestimmt war (diesen hatte er ihm nämlich vorher gezeigt), den anderen aber nahm er gleichsam für sich in Beschlag, indem er zusammen mit fünfzehn Berittenen und sechsundfünfzig Fußsoldaten hinaufstieg und diese dort Stellung beziehen ließ; dabei weihte er diejenigen unter ihnen, auf die es ankam, in seinen ganzen Plan ein und trug einem von ihnen auf, seine Waffen zu halten, Schild, Helm und Kurzschwert, damit er sich leicht mit diesen bewaffnen könne, den vier im Hinterhalt lauernden Männern aber befahl er, wenn sie ihn mit Maskabeies im Kampf sähen, schnellstens zu ihm hinaufzukommen. 6 Und Gelielmos kam am festgesetzten Tage zu der Anhöhe an den Ort, den ihm Robert zuvor bezeichnet hatte, um den Vertrag mit ihm abzuschließen. Als der ihn herankommen sah, ritt er ihm entgegen, hieß ihn willkommen und reichte ihm betont herzlich die Rechte. Als sie dann etwas von der Anhöhe heruntergeritten waren, machten sie beide am Hang des Hügels halt und besprachen, was sie tun wollten. Der furchtbare Robert aber zog das Gespräch in die Länge, indem er über dies und jenes redete, und schließlich sagte er zu Gelielmos: »Warum bleiben wir auf den Pferden und strengen uns an? Laß uns absteigen und uns auf den Boden setzen und so in aller Ruhe über unsere Angelegenheiten sprechen.« Maskabeies in seiner Arglosigkeit war einverstanden, ohne die List zu ahnen und ohne zu merken, auf welches Unheil er zusteuerte. Und als er sah, wie Robert vom Pferd stieg, da stieg auch er ab, stützte seinen Arm auf den Boden und nahm

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Buch I.Kapitel 11 § 6 - 8

das Gespräch wieder auf. Robert aber gelobte dem Maskabeies für die Zukunft Ergebenheit und Treue und nannte ihn seinen Wohltäter und Herrn. Die Leute des Maskabeies hatten indessen beobachtet, wie die beiden Männer vom Pferd stiegen und sich gleichsam erneut ins Gespräch vertieften, und da sie erschöpft waren durch die Hitze und nichts zu essen und zu trinken bei sich hatten (denn es war im Sommer, da die Sonne gewöhnlich senkrecht auf die Köpfe herniederbrennt) und weil die Hitze unerträglich wurde, stiegen die einen von ihnen vom Pferd, wickelten die Zügel um die Baumstümpfe, legten sich auf den Boden nieder und erholten sich in dem von Pferden und Bäumen gespendeten Schatten, andere machten sich auf den Heimweg. 7 So viel zu diesen. Der furchtbare Robert aber, der das so vorbereitet hatte, griff plötzlich Maskabeies an, legte seine freundliche Miene ab, nahm einen mehr und mehr zornigen Ausdruck an und legte in mörderischer Absicht Hand an ihn. Er umklammerte und wurde umklammert, er zog und wurde gezogen, und beide rollten den Hang hinunter. Als aber jene vier Männer im Hinterhalt die beiden erblickten, tauchten sie aus ihrem sumpfigen Versteck auf, stürmten auf Gelielmos los, und nachdem sie ihn sorgfaltig gefesselt hatten, liefen sie hinauf in Richtung auf die Berittenen Roberts, die oben auf dem anderen Hügel postiert waren; doch kamen ihnen diese schon vom Hügel herab entgegen, verfolgt von den Leuten des Gelielmos. Robert aber schwang sich aufs Pferd, ergriff Helm und Lanze, legte sich diese blitzschnell im Arm zurecht, schützte sich mit dem Schild, wendete und traf mit einem Lanzenstoß einen von den Leuten des Gelielmos; dieser war durch den Stoß auf der Stelle tot. 8 Damit hatte er den Angriffsschwung der Berittenen seines Schwiegervaters gebrochen und ihm die von ihnen erwartete Hilfe abgeschnitten; denn als das übriggebliebene Häuflein sah, wie die Berittenen Roberts von oben heruntergaloppiert kamen und dabei vom Gelände begünstigt waren, ergriffen sie sogleich die Flucht. Nachdem also Robert auf diese Weise den Schwung der Berittenen des Maskabeies gebrochen hatte, wurde Maskabeies in Fesseln als Kriegsgefangener in eben die Festung gefuhrt, die er Robert als Mitgift gegeben hatte, als er seine Tochter mit ihm verlobte. Und damit hielt also die Stadt ihren eigenen Herrn gefangen und trug von da an die Bezeichnung »Festung« zu Recht. Doch ebenso wichtig ist es, auch von der Grausamkeit Roberts zu berichten. Denn nachdem er Maskabeles einmal in seiner Gewalt hatte, riß er ihm zuerst sämtliche Zähne aus, forderte dabei bei jedem einzelnen Zahn eine riesige Summe Geldes und fragte ihn, wo er es aufbewahre. Da Robert aber nicht eher mit dem Ausreißen aufhörte, bis er alles Geld in Händen hatte und gleichzeitig die Zähne und das Geld ausgingen, warf er danach seinen Blick auf Gelielmos' Augen, und weil er diesem das Sehen mißgönnte, raubte er ihm das Augenlicht.

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Buch I, Kapitel 12 § 1 - 4

XII Nachdem er nun alles in seine Hand bekommen hatte, wurde er von Tag zu Tag mächtiger, und da seine Machtgier immer mehr anwuchs, fügte er Stadt zu Stadt und häufte Gelder auf Gelder. Und in kurzer Zeit hatte er es bis zum Range eines Dux gebracht und durfte sich Dux der gesamten Longibardia" nennen. Damit nun wurde der Neid aller gegen ihn entfacht. Doch da er ein schlauer Mann war, brachte er das Rumoren im Volke zum Schweigen und hielt den Neid der Magnaten gegen sich geschickt in Grenzen, indem er seinen Widersachern teils schmeichelte und sie teils bestach; bisweilen setzte er auch Waffengewalt ein und brachte so die ganze Longibardia und das angrenzende Gebiet unter seine Herrschaft. 2 Da Robert aber auf immer größere Macht aus war und sich die Kaiserherrschaft über die Romäer erträumte, nahm er die Verschwägerung mit dem Autokrator Michael als Vorwand, wie ich berichtet habe97, und entfachte den Krieg gegen die Romäer. Denn wir haben schon oben erwähnt, daß der Autokrator Michael aus unerfindlichen Gründen die Tochter dieses Usurpators (Helene war ihr Name) mit seinem Sohn Konstantinos verlobte. 3 Doch wieder erbebt mir, wenn ich an diesen jungen Mann denke, das Herz, und ich kann nicht mehr klar denken. Ich versage es mir jedoch, jetzt von ihm zu erzählen, und hebe mir alles für den passenden Zeitpunkt auf. Doch kann ich nicht an mich halten, wenigstens dieses eine zu sagen, auch wenn es nicht hierher gehört: Ein Kunstwerk der Natur war jener Jüngling und sozusagen ein Meisterwerk von Gottes Hand. Denn es genügte, ihn anzuschauen, um ihn als einen Abkömmling des von den Griechen im Mythos verherrlichten Goldenen Geschlechtes'8 zu bezeichnen; so unfaßbar schön war er. Mir aber, die ich nach so vielen Jahren dieses Jünglings gedenke, füllen sich die Augen mit Tränen. Dennoch will ich die Tränen zurückhalten und sie bewahren für »die angemessenen Orte«", damit ich nicht die Klagen über mein eigenes Geschick mit den historischen Berichten vermische und die Ordnung meiner Darstellung störe. 4 Dieser junge Mann nämlich, von dem ich hier und anderswo gesprochen habe, ist vor mir geboren, und noch bevor ich das Licht der Welt erblickte, wurde er der reine und keusche Bräutigam der Helene, der Tochter Roberts, und der schriftliche Ehevertrag wurde in ihrem Namen abgefaßt, wenn er auch unerfüllt und nur im Stadium der Ankündigungen blieb, da der Jüngling noch nicht alt genug war für die Ehe. Beim Regierungsantritt des Basileus Nikephoros Botaneiates wurde er zerrissen. Aber ich bin 96 Auf dem Konzil von Melfi 1059 wurde Robert von Papst Nikolaus II. der Titel eines »Dux« (Herzogs) von Apulien und Kalabrien verliehen. Vgl. Chalandon, Domination 170. 97 Vgl. oben Kap. 10. 98 Vgl. z. B. Hesiod, Erga 109-119. 99 Eine von Demosthenes (18, 27) geprägte Sprachformel.

Buch I, Kapitel 12 § 4-7

v o n m e i n e m T h e m a a b g e k o m m e n und will wieder dorthin zurückkehren, wo ich abgeschweift bin.

5 J e n e r R o b e r t also, der aus sehr bescheidenen Ver-

hältnissen zu A n s e h e n gelangt war und eine große Streitmacht u m sich versammelt hatte, legte es n u n auch darauf an, Autokrator der R o m ä e r zu werden, und erfand daher scheinbar gut begründete Vorwände für seine Feindschaft und seine Kriegszüge gegen die R o m ä e r . Hierüber n u n kursieren zwei Versionen. 6 N a c h der einen, die weit verbreitet und auch an unser O h r gedrungen ist, habe ein M ö n c h n a m e n s Raiktor 100 sich für den Basileus M i c h a e l ausgegeben, sei zu j e n e m R o b e r t als dem Schwiegervater seines S o h n e s geflohen und h a b e diesem sein Leid geklagt. Dieser [Michael] war n ä m l i c h , als er nach Diogenes das Szepter der R o m ä e r ü b e r n o m m e n und eine kurze Zeit lang die Kaiserwürde innegehabt hatte, v o n Botaneiates, der gegen ihn rebellierte, aus dem A m t vertrieben worden und hatte sich ins M ö n c h s l e b e n zurückgezogen; danach aber hatte er das bischöfliche Gewand und die Tiara 101 und, wenn m a n so will, auch das Scapular angelegt 102 . Das hatte i h m der Kaisar Ioannes, sein O n k e l väterlicherseits' 03 , geraten, da er den wankelmütigen S i n n des damaligen Herrschers kannte und fürchtete, daß er i h m etwas S c h l i m m e s antun k ö n n t e .

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In dessen Rolle also sei besagter M ö n c h , jener

Raiktor, oder besser gesagt, jener frechste aller Täter 104 , geschlüpft und habe sich an R o b e r t als den angeblichen Schwiegervater seines S o h n e s gewandt und i h m in theatralischer W e i s e das i h m angetane U n r e c h t vorgetragen, daß er v o m kaiserlichen T h r o n gestoßen und dadurch zu e b e n d e m H a b i t gelangt sei, in welchem er ihn jetzt vor sich sehe. U n d durch all dies habe er den Barbaren zur Gegenwehr aufgefordert; denn, so h a b e er gesagt, die s c h ö n e junge Frau, seine Schwiegertochter H e l e n e , habe er o h n e S c h u t z und geradezu als Witwe ihres Bräutigams zurückgelassen. Sein S o h n Konstantinos und die Kaiserin Maria, so klagte er laut, seien nämlich zu Botaneiates übergegangen, wenn auch unfreiwillig aufgrund der v o n diesem usurpierten Machtstellung. M i t diesen W o r t e n habe er den Z o r n des Barbaren angestachelt und ihn zum Krieg gegen die R o m ä e r angestiftet. S o die Geschichte, die m i r zu O h r e n k a m ; und es wundert m i c h gar nicht, wenn Leute o h n e jedes Ansehen in die

100 Zu seiner Revolte vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 109 (S. 87). 101 Von Anna hier mit dem altpersischen Lehnwort »Kidaris« bezeichnet. 102 Michael VII. dankte am 31.3.1078 ab und trat in den Mönchsstand ein; später wurde er Metropolit von Ephesos. Als solcher trug er dann das entsprechende Gewand, Tiara und Schulterbedeckung. 103 Ioannes Dukas, der Bruder Kaiser Konstantins X. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 88 (S. 138-145); B. Leib, Jean Doukas, César et moine. SonjeupolitiqueäByzancedt 1067 ä ¡081, in: Anal. Boll. 68 (1950) 163-180. 104 Im Originaltext Wortspiel mit dem Namen Raiktor. Wenn man den Namen nicht von lat. regere (»Rector«), sondern von griech. rezo ableitet, bedeutet er so viel wie »Täter«.

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Buch I, Kapitel 12 § 7 - 9

Rolle von angesehenen und aus vornehmer Familie stammenden Persönlichkeiten schlüpfen. 8 Ich höre aber auch eine andere Version erzählen, die wahrscheinlicher ist und aus anderer Quelle stammt: Weder hat irgendein Mönch die Rolle des Basileus Michael gespielt noch hat irgend etwas derartiges Robert zum Krieg gegen die Romäer veranlaßt, vielmehr hat der überaus listige Barbar selbst eine solche Geschichte erfunden, was ihm nicht schwerfiel. Denn es geht folgendermaßen weiter: Robert selbst, der auf den Kampf gegen die Romäer brannte, hatte in seiner Skrupellosigkeit den Krieg schon lange vorher vorbereitet, wurde jedoch von einigen hoch angesehenen Männern seiner Umgebung und von seiner eigenen Frau, Gaita105, mit der Begründung daran gehindert, daß er damit einen ungerechten Krieg beginne und gegen Christen in den Kampf ziehe, und oftmals wurde er bei seinem Versuch, dieses sein Verlangen in die Tat umzusetzen, zurückgehalten. Da er sich nun einen glaubwürdigen Vorwand für den Krieg verschaffen wollte, sandte er einige Männer, denen er seine geheimen Pläne anvertraut hatte, nach Kotrone' M und trug ihnen folgendes auf: Wenn sie einen Mönch fänden, der von dort herüberkommen wolle, um dem Heiligtum der großen Apostel und Schutzpatrone von Rom107 seine Verehrung zu erweisen, und dessen äußere Erscheinung nicht auf den ersten Blick niedere Herkunft verrate, so sollten sie diesen mit offenen Armen willkommen heißen, sich mit ihm anfreunden und ihn zu ihm bringen. Als sie darauf den schon erwähnten Raiktor gefunden hatten, einen durchtriebenen Gauner, der nicht seinesgleichen hatte, teilten sie Robert, der sich in Salerno aufhielt, brieflich mit: »Dein angeheirateter Verwandter Michael, der aus seinem Kaiseramt vertrieben worden ist, ist gekommen und erbittet deine Hilfe.« Denn so, hatte Robert ihnen gesagt, sollten sie den Brief an ihn formulieren. 9 Als er aber diesen Brief in Händen hatte, las er ihn schnurstracks seiner Gattin vor; danach rief er sämtliche Barone108 zusammen und zeigte auch ihnen das Schreiben, damit er von nun an nicht mehr von ihnen an seinem Vorhaben gehindert würde, da er jetzt ja einen scheinbar guten Grund dafür hatte. Alle stimmten sogleich der Meinung Roberts zu, und so ließ er den Mönch holen und traf sich mit ihm

105 Roberts zweite Gattin Sichelgaita, Tochter des Fürsten Waimar IV. von Salerno (siehe oben Anm. 95). Vgl. zu ihr LexMA sub v. Sikelgaita. 106 Crotone in Kalabrien, an der Küste des Jonischen Meeres, ein Zentrum des orthodoxen Mönchtums. 107 Eine Kirche der Heiligen Petros und Paulos ist in Rom nicht bekannt, wahrscheinlich meint Anna die Peterskirche. 108 Mit »Baron« wird in der Übersetzung durchgehend der Titel »kömes« (lat. comes) wiedergegeben, da »Baron« ähnlich wie »kömes« bei Anna in nicht-spezifischem Gebrauch jede herausragende Person unter den Westlern bezeichnen kann, ganz gleich ob es sich u m »comités« im engeren Sinne, u m Grafen oder um Herzöge handelt.

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Buch I.Kapitel 12 § 9 - 1 1

zum Gespräch. Danach setzte er das ganze Drama in Szene und ließ es auffuhren: Daß jener Mönch der Basileus Michael sei, daß er vom Thron vertrieben worden sei, daß ihm seine Gattin und sein Sohn und all sein übriger Besitz vom Usurpator Botaneiates geraubt worden seien und daß man ihm widerrechtlich und gegen jede Gerechtigkeit statt der Krone und des Diadems den Mönchshabit angelegt habe. »Und jetzt«, so sagte er, »ist er als Schutzflehender zu uns gekommen.« 10 Diese Geschichte erzählte Robert öffentlich, wobei er verkündete, daß er schon aufgrund ihrer Verwandtschaft wieder in sein kaiserliches Amt eingesetzt werden müsse, und indem er jenen Mönch als den angeblichen Basileus Michael täglich ehrte mit einem bevorzugten Platz an der Tafel, mit einem erhöhten Sitz und durch ein Übermaß an Ehrenbezeugungen. Seine öffentlichen Reden gestaltete er auf je verschiedene Art; bald stellte er auf mitleidheischende Weise dar, welches Leid ihm mit seiner Tochter widerfahren sei, bald wieder schwieg er taktvoll gegenüber dem Vater seines Schwiegersohns von dem Leid, das diesem widerfahren war, dann wieder reizte und stachelte er die Barbaren seiner Umgebung zum Krieg an, indem er ihnen listig Haufen von Gold verhieß, die er ihnen als Beute aus dem Reich der Romäer versprach. 11 Und so führte er alle an der Nase herum, Reiche wie Arme, und brach mit ihnen aus der Longibardia auf, besser gesagt, das ganze Land zog er mit sich, und so kam er nach Salerno, der Hauptstadt des Gebietes von Melphe1OT, wo er sich, nachdem er seine anderen Töchter dort in jeder Hinsicht gut versorgt hatte, anschließend für den Krieg rüstete. Zwei Töchter hatte er dort bei sich. (Die dritte befand sich in der Kaiserin der Städte, unglücklich seit dem Tag ihrer Verlobung; denn der junge Mann, der noch nicht einmal im Jünglingsalter war, schreckte von Anfang an vor dieser Verbindung zurück wie die kleinen Kinder vor dem Schwarzen Mann" 0 ). Von diesen beiden Töchtern verheiratete er die eine mit Raimund, dem Sohn des Grafen von Brachenon" 1 , die andere mit Eubulos" 2 , ebenfalls einem sehr angesehenen Grafen.113 Auch diese Verbindungen waren durchaus nicht zu Roberts Nachteil, im Gegenteil, von allen Seiten festigte und vergrößerte er seine Macht, mithilfe seiner Familie, durch Gewalt, durch

109 Mit »Melphe« bezeichnet Anna hier und generell Amalfi am Golf von Salerno, das vor der Eroberung durch Robert im Jahre 1073 dem Fürsten von Salerno unterstand. Vgl. Du Cange, Notae 432-433. 110 Im griechischen Text steht hier ein vom Namen eines weiblichen Dämons (Mormo) abgeleitetes Verbum. 111 Raimund Berengar II. von Barcelona (1035-1076); zu ihm vgl. LexMA I 1939-1940. 112 Ebalus, Graf von Roucy/Champagne. 113 Zu den insgesamt mindestens sieben Töchtern Roberts und Sichelgaitas und ihren Ehen vgl. Du Cange, Notae 433434; Chalandon, Domination I 283. Hier handelt es sich um Mathilde.

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Buch l, Kapitel 12 § 11-Kapitel 13 § 3

verwandtschaftliche Beziehungen, auf jede nur mögliche Art und Weise, die man sich nicht einmal ausdenken könnte. XIII Unterdessen ereignete sich auch folgendes, das wert ist erzählt zu werden; denn auch das trug zu seinem [Roberts] Erfolg bei. Auch der Umstand nämlich, daß sämtliche Fürsten des Westens daran gehindert waren, sich gegen ihn zu wenden, hat, so meine ich, erheblich zum Aufstieg des Barbaren beigetragen, zumal das Glück ihm in jeder Hinsicht hold war, ihm zur Macht verhalf und alles, was ihm von Nutzen sein konnte, eintreten ließ. So wollte der Papst von Rom" 4 (das ist eine stattliche Herrschaft, und sie wird von verschiedenen Heeren ringsum geschützt), da er mit dem König von Alamania, Enerichos" 5 , im Streit lag, Robert auf seine Seite ziehen, weil dieser bereits eine hervorragende Stellung innehatte und großen Zuwachs an Herrschaftsgewalt erwarten ließ. 2 Der Streit zwischen König und Papst war folgender: Letzterer beschuldigte König Enerichos, daß er die Kirchenämter nicht ohne Bezahlung vergebe, sondern für Geld verkaufe, und daß er die bischöfliche Würde wohl auch Unwürdigen verleihe, und noch ähnliches dieser Art warf er ihm vor. Der König von Alamania aber beschuldigte den Papst der Usurpation, da er ohne sein Einverständnis widerrechtlich vom apostolischen Thron Besitz ergriffen habe. Und er legte die Ehrfurcht ihm gegenüber sogar völlig ab und bediente sich einer ganz unverblümten Sprache, indem er sagte, daß er ihn, wenn er nicht freiwillig von seinem angemaßten hohen Amt zurücktrete, mit Schimpf und Schande daraus vertreiben werde. 3 Als nun der Papst diese Worte gehört hatte, richtete er seinen Zorn sogleich gegen die Gesandten 1 "; zunächst mißhandelte er sie auf unmenschliche Weise, ließ ihnen dann die Köpfe, dazu noch die Bärte scheren, die Köpfe mit Scheren, die Bärte mit einem Rasiermesser, tat ihnen dann noch etwas an, das völlig unfaßlich ist und das Maß gewohnter barbarischer Brutalität übersteigt, und entließ sie. Ich würde die Brutalität auch beim Namen nennen, wenn mich nicht mein Schamgefühl als Frau und kaiserliche Prinzessin daran hinderte. Denn das, was jener getan hat, ist nicht nur eines Erzpriesters unwürdig, sondern überhaupt eines jeden Men-

114 Gregor VII. (1073-1085). A n n a gibt hier aus ihrer Sicht eine Darstellung des Investiturstreites, soweit seine Auswirkungen mit Robert Guiskard zu tun haben. D a ß ein Kirchenm a n n wie der Papst über ein eigenes Territorium und gar über Armeen verfugte, war für Byzantiner unverständlich und skandalös, da u. a. das kanonische Recht Klerikern jeden Waffengebrauch untersagte. 115 Heinrich IV., deutscher König (1056-1106) und ab 1084 Kaiser des westlichen »Imperium R o m a n u m « . D a es fiir die Byzantiner nur einen Kaiser, den in Konstantinopel, gab, werden die »Kaiser« des westlichen Nachfolgereiches des Imperium R o m a n u m mit d e m Titel »Rex« bezeichnet, der in der Übersetzung mit »König« wiedergegeben wird. 116 Die angebliche Mißhandlung der Gesandten Heinrichs IV. auf der Fastensynode in R o m im Februar 1076 beruht auf einem antipäpstlichen Gerücht.

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Buch I, Kapitel 13 § 3 - 6

sehen, der auch nur den Namen eines Christen fuhrt. Schon der bloße Einfall des Barbaren, nicht erst dessen Ausfuhrung, hat mich mit Abscheu erfüllt. Sogar meine Schreibfeder und das Papier würde ich besudeln, wenn ich die Untat im einzelnen schildern würde. Als Hinweis auf die barbarische Brutalität und um zu belegen, daß die Zeit in ihrem Verlaufe niederträchtige und skrupellose Charaktere aller Art hervorbringt, mag allein die Tatsache genügen, daß wir es nicht über uns bringen, auch nur die geringste Einzelheit der Untat anzudeuten oder zu erzählen. 4 Und das ist das Werk eines Erzpriesters, o Gerechtigkeit, und zwar das Werk des höchsten Erzpriesters, das Werk dessen, der den Vorsitz der gesamten Ökumene eingenommen hat, wie jedenfalls die Lateiner behaupten und glauben; auch das wieder gehört zu ihrer Überheblichkeit. Denn da sich die Kaisermacht von dort hierher in unser Land und in unsere kaiserliche Stadt verlagert hat und mit ihr auch der Senat und zugleich die gesamte staatliche Hierarchie, so hat sich auch der Hauptsitz der kirchlichen Hierarchie hierher verlagert. Die Kaiser haben von Anfang an dem Bischofssitz von Konstantinopel den Vorrang zuerkannt, und vor allem das Konzil von Chalkedon hat den Bischofssitz von Konstantinopel auf den allerersten Rang erhoben und ihm alle anderen Diözesen auf der Welt untergeordnet."7 5 Vermutlich nun richtete sich diese an den Gesandten vollzogene Brutalität gegen denjenigen, der sie ausgeschickt hatte; dies ist daraus zu schließen, daß er [der Papst] sie nicht nur mißhandelte, sondern daß er diese neue Form der Mißhandlung, die er an ihnen verübte, eigens dafür als erster ersonnen hat. Er wollte nämlich durch das, was er tat, darauf anspielen, daß der König ein zu verachtendes Wesen sei, indem er durch diese geschändeten Gesandten gleichsam wie ein Halbgott zu einem Maulesel" 8 sprach. 6 Da also der Papst diese Schändlichkeit beging und die Gesandten, wie ich berichtet habe, zum König zurückschickte, löste er einen gewaltigen Krieg aus. Damit der König sich nicht mit Robert zusammenschließe und es dadurch noch schwieriger sein würde, seiner Macht zu begegnen, trat er [der Papst] vorher in Friedensverhandlungen

117 Anna übertreibt die Rangstellung von Konstantinopel stark. Das erste Konzil, das sich mit der Rangfrage der großen Bistümer beschäftigte, war das Zweite Ökumenische (Konstantinopel 381). Es gab im 3. Kanon dem Sitz von Konstantinopel den Rang nach Rom. Das Vierte Ökumenische Konzil (Chalkedon 451) gab im 28. Kanon Konstantinopel den gleichen Rang wie Rom, wenn auch in etwas gewundener Formulierung immer noch eine höhere Ehrenstellung Roms angedeutet wird. Im 36. Kanon des Quinisextum von 692 (das von der römischen Kirche nicht als Ökumenisches Konzil anerkannt wird) wird die Gleichheit der Rangstellung von Rom und Konstantinopel noch einmal bekräftigt, indem die Formulierung von Chalkedon wiederholt wird. Unter die kirchliche Jurisdiktion von Konstantinopel fallen nach den Bestimmungen von Chalkedon die Kirchenprovinzen Pontus, Asia und Thracia. 118

Im Griechischen ein Wortspiel: Halbgott - Halbesel.

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Buch I, Kapitel 13 § 6 - 8

mit Robert ein, obgleich er mit ihm früher keineswegs auf freundschaftlichem Fuß gestanden hatte. Als er erfuhr, daß der Dux Robert in Salerno angekommen war, brach er von Rom auf und begab sich nach Benevent. Zunächst verkehrten sie miteinander durch Gesandte, dann aber trafen sie auch persönlich in folgender Weise zusammen" 9 : Der eine kam von Benevent mit seiner Leibgarde, der andere aus Salerno mit seinem Heer; als die beiden Heere sich einander bis auf eine angemessene Entfernung genähert hatten, trennten sich beide Heerführer von ihren Truppen, und so trafen sich die beiden Männer, tauschten Garantien aus, leisteten sich gegenseitig Eide und kehrten dann zurück. Die Eide aber bestanden darin, daß der Papst ihm [Robert] die Königswürde verleihen und ihm, wenn nötig, gegen die Romäer militärische Unterstützung leisten werde, der Dux hingegen schwor, dem Papst seinerseits, wann immer dieser wolle, Waffenhilfe zu leisten. Doch erwiesen sich die von beiden feierlich geschworenen Eide als nichtig. Denn der Papst war gegen den König ungeheuer aufgebracht, und der Stachel, den er gegen ihn fühlte, trieb ihn zum Handeln, der Dux Robert hinwiederum hatte es auf das Reich der Romäer abgesehen und wetzte wie ein wilder Eber seine Hauer und schärfte seinen Kampfesmut gegen sie, so daß also ihre Eide nichts als leere Worte waren. Denn kaum hatten die Barbaren einander den Treueid geleistet, so brachen sie ihn auch schon wieder. 7 Dux Robert nun wandte die Zügel und eilte nach Salerno zurück, dieser verabscheuungswürdige Papst hingegen (ich kann ihn nicht anders bezeichnen, wenn ich an diese unmenschliche Brutalität gegenüber den Gesandten denke) - dieser bischöfliche Herr steuerte im Bunde mit der Gnade des Heiligen Geistes und dem Frieden der Frohen Botschaft mit aller Entschiedenheit und allen ihm zur Verfugung stehenden Mitteln auf den Bürgerkrieg zu, dieser Friedensmann und Jünger des Friedfertigen. Er sandte sogleich nach den Sachsen und den beiden Führern der Sachsen, Landulphos und Welphos' 20 , verhieß ihnen neben vielen anderen Versprechungen, sie zu Königen über den gesamten Westen zu machen, und zog damit die beiden Männer auf seine Seite. So leicht war seine Rechte bereit, die Königsweihe vorzunehmen, da er offenbar nicht auf Paulus hören wollte, der sagt: »Die Hände lege niemandem zu bald auf«121. Er aber wollte den Dux der Longibardia mit dem Diadem schmücken und auch die beiden Sachsen krönen. 8 Nachdem

119 Anna verwechselt hier die Begegnung von Ceprano 0uni 1080) mit der früheren von Benevent im Jahre 1073. 120 Rudolf von Rheinfelden, Herzog von Schwaben, und Weif IV., Herzog von Bayern. Rudolf von Schwaben war im März 1077 mit Billigung der päpstlichen Legaten zum Gegenkönig erhoben worden und wurde auf der römischen Fastensynode von 1080 von Gregor VII. als deutscher König anerkannt. 121 1 Tim. 5,22.

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Buch I, Kapitel 13 § 8 - 1 0

also jeder der beiden seine Streitkräfte versammelt hatte, der König von Alamania, Enerichos, und der Papst122, und sie gegeneinander in Stellung gegangen waren, da, kaum hatte das Horn zum Angriff geblasen, prallten auch schon die beiden Schlachtreihen aufeinander, und es entbrannte auf beiden Seiten ein heftiger und lang andauernder Kampf 123 . Denn sie kämpften auf beiden Seiten mit solchem Mut und hielten den Lanzenstichen und Pfeilschüssen mit solcher Zähigkeit stand, daß in kurzer Zeit die Ebene unter ihren Füßen vom Blute der Erschlagenen schwamm und die übriggebliebenen Männer in einem Meer von Blut schwimmend kämpften; und es kam vor, daß die Kämpfenden über die Körper der Gefallenen stolperten und ausglitten und dann in dem Blutstrom ertranken. Denn wenn wirklich, wie man sagt, über 30000 Männer in jener Schlacht gefallen sind, welch ein gewaltiger Strom von Blut muß sich da ergossen haben und welch riesige Fläche muß mit Blutschlamm bedeckt worden sein! 9 Es waren also beide Parteien sozusagen im Kampf K o p f an K o p f gleichauf, solange der Führer der Sachsen, Landulphos, die Schlacht lenkte. Als dieser jedoch tödlich getroffen wurde und sein Leben auf der Stelle aushauchte, kamen die Reihen des Papstes ins Wanken und kehrten den Feinden den Rücken, wobei sie nicht ohne Blutvergießen und Wunden davonkamen. Enerichos aber setzte »Bahn sich hauend« 124 ihnen nach und war sich seiner Sache bei der Verfolgung sicher, nachdem er erfahren hatte, daß Landulphos gefallen und Opfer der Hand seines Feindes geworden sei. Doch schließlich gab er die Verfolgung auf und befahl seinen Truppen zu rasten; und nachdem er sich wieder neu gerüstet hatte, rückte er eilends gegen Rom vor in der Absicht, die Stadt zu belagern. 10 Da nun erinnerte sich der Papst an die Abmachungen und Eide mit Robert und schickte eine Gesandtschaft zu ihm und ersuchte ihn um Waffenhilfe.' 25 Zu eben demselben Zeitpunkt suchte auch Enerichos durch Gesandte um Waffenhilfe nach, da er eben gegen das Alte Rom 126 zu Felde ziehen wollte. Doch Robert erschienen beide damals mit einem solchen Ansinnen als törichte Schwätzer. Dem König nun antwortete er auf andere Weise, nicht schriftlich, dem Papst hingegen schrieb er einen Brief. Dieser Brief lautete etwa folgendermaßen: »Robert, Dux in Gott, an den großen Erzpriester und meinen Herrn. Obgleich ich von dem Angriff der Feinde 122 Stellvertretend für ihn nach der Darstellung Annas das sächsische Heer unter der Führung Rudolfs von Schwaben. 123 Die Schlacht fand im Oktober 1080 an der Weißen Elster bei Pegau statt. Zwar siegte das sächsische Heer, doch der Tod Rudolfs läßt Heinrich IV. als den eigentlichen Sieger erscheinen. 124 Epische Floskel, vgl. Homer, Iltas 11, 496. 125 Im Jahre 1081. 126 Die Bezeichnung »Altes Rom« gebrauchten die Byzantiner, um das Rom in Italien von Neu-Rom, wie sie ihre Kaiserstadt Konstantinopel nannten, zu unterscheiden.

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Buch I, Kapitel 13 § 10-Kapitel 14 § 3

auf dich gehört habe, habe ich diesem Gerücht keine große Bedeutung beigemessen, da ich weiß, daß niemand es wagen würde, gegen dich die Hand zu erheben. Wer nämlich sollte einen so mächtigen Vater angreifen, es sei denn ein Wahnsinniger? Von mir aber wisse, daß ich mich zu einem überaus harten Krieg rüste gegen ein Volk, das nur schwer zu besiegen ist. Es sind nämlich die Romäer, gegen die ich zu Felde ziehe, welche alle Länder und Meere mit ihren Siegeszeichen übersät haben. Dir aber fühle ich mich aus tiefstem Herzen zur Gefolgschaft verpflichtet und werde dieser Verpflichtung auch zu gegebener Zeit nachkommen.« Auf diese Weise also fertigte er die Gesandten beider Parteien, die ihn um Hilfe ersuchten, ab, die einen mit obigem Brief, die anderen mit guten Worten, und sandte sie zurück. XIV Doch wir wollen nicht mit Stillschweigen übergehen, was er in der Longibardia getan hat, bevor er mit seinem Heer nach Avlon kam. Auch sonst war er ja ein tyrannischer und überaus grausamer Mann, aber in diesem Falle wetteiferte er mit dem Wahnwitz des Herodes127. Denn er begnügte sich nicht mit den Männern, die an seinen bisherigen Feldzügen teilgenommen hatten und sich darauf verstanden, sich zum Kampf zu rüsten, sondern er ließ ein neues Heer ausheben ohne jede Rücksicht auf das Lebensalter. Ob hochbetagt oder noch minderjährig, aus allen Teilen der Longibardia und Apuliens sammelte er sie und zog sie um sich zusammen. Man konnte Kinder, Halbwüchsige und Greise sehen, erbarmenswerte Menschen, die nicht einmal im Traum eine Waffe gesehen hatten, wie sie nun auf einmal mit einem Brustpanzer angetan waren, einen Schild hielten und höchst ungeschickt und fehlerhaft den Bogen spannten und schließlich aufs Gesicht fielen, wenn sie losmarschieren sollten. 2 Diese Aushebung löste freilich in der Longibardia nicht enden wollende Unruhen aus, und von allen Seiten erklangen die Klagen der Männer und das Wehgeschrei der Frauen. Diese hatten teil am Unglück ihrer Angehörigen; denn die eine beklagte ihren Mann, der zu alt war für den Kriegsdienst, die andere ihr Kind, das noch kampfunerfahren war, und eine dritte wiederum ihren Bruder, der Bauer oder mit anderen Arbeiten beschäftigt war. Das kam wahrlich, wie ich schon sagte, der Wahnsinnstat des Herodes gleich oder war noch schlimmer. Denn jener wütete nur gegen Säuglinge, dieser hier aber gegen Kinder und alte Männer. Obgleich diese also sozusagen gänzlich ungeübt waren, ließ er sie täglich exerzieren und versuchte, die Körper der Neuausgehobenen zu drillen. 3 Dies waren die Unternehmungen Roberts in Salerno, bevor er nach Hidrus12' kam. Dort-

127 Anspielung auf den von Herodes angeordneten Kindermord, vgl. Matth. 2,13 ff. 128 Das heutige Otranto. In der Alexias findet sich durchgehend die Namensform »Hidrus« statt der geläufigen Schreibweise »Hydrus«.

Buch I, Kapitel 14 § 3-Kapitel 15 § 2

hin nämlich hatte er ein sehr schlagkräftiges Heer vorausgeschickt, das auf ihn warten sollte, bis er alle Angelegenheiten in der Longibardia erledigt und den Gesandten angemessen geantwortet hatte. Seiner Antwort an den Papst fugte er noch hinzu, daß er seinen Sohn Roger, den er zum Herrn von ganz Apulien ernannt hatte zusammen mit seinem Bruder Boritylas129, angewiesen habe, falls der Heilige Stuhl von Rom sie gegen König Enerichos zu Hilfe rufe, auf dem schnellsten Wege bei ihm zu erscheinen und ihm jede nur mögliche Hilfe zu leisten. 4 Baimundos indessen, seinen jüngeren Sohn130, der dem Vater in jeder Hinsicht ähnlich war an Wagemut, Stärke, Tapferkeit und unbezähmbarem Temperament (er war im ganzen eine Kopie seines Vaters und ein lebendiges Abbild von dessen Natur), schickte er mit einem äußerst kampfstarken Heer in unsere Hoheitsgebiete mit dem Auftrag, die Gegend von Avlon131 zu überfallen. Und sogleich fiel er Schrecken verbreitend und mit unaufhaltsamem Ungestüm gleichsam wie ein plötzlich hereinbrechender Blitz in Kanina, Hiericho und ganz Avlon ein, nahm dann Stück für Stück das angrenzende Umland ein und legte es, sich weiter vorkämpfend, in Schutt und Asche. Und wahrhaftig war er der beißende Rauch vor dem Feuer und das Präludium zur Belagerung vor der eigentlichen großen Belagerung. Als Grillen und Heuschrecken hätte man sie bezeichnen können, den Vater und den Sohn; denn was Robert übrigließ, über das fiel sein Sohn Baimundos her und fraß es auf. Doch wir wollen ihn noch nicht nach Avlon übersetzen lassen, sondern vorher zusehen, was er auf dem gegenüberliegenden Festland unternommen hat. XV Er brach von dort [aus Salerno] auf und gelangte nach Hidrus. Dort hielt er sich wenige Tage lang auf in Erwartung seiner Gattin Gaita, denn auch sie nahm an den Feldzügen ihres Gatten teil; diese Frau war eine furchteinflößende Erscheinung, wenn sie Waffen angelegt hatte. Nachdem sie eingetroffen war und er sie in die Arme geschlossen hatte, brach er wiederum mit dem gesamten Heer auf und zog nach Brentesion132; das ist der beste Hafen von ganz Iapygien133. Dort angelangt, wartete er darauf, daß sich sein gesamtes Heer und die gesamte Flotte, Lastschiffe, Langschiffe und Kriegsschiffe, dort versammelten, denn von dort aus wollte er gegen unser Land aufbrechen. 2 Während er

129 In Wahrheit sein Neffe, Robert, Graf von Loritello, das hier zu Boritylas verballhornt ist. Vgl. Du Cange, Noltu 438439; Chalandon, Domination I 226. 130 Irrtum Annas: Bohemund ist der ältere (seine Mutter war die erste Frau Roberts, Alberada von Buonalbergo), Roger Borsa der jüngere (seine Mutter war die zweite Frau Roberts, Sichelgaita). Vgl. Du Cange, Notae 439; Chalandon, Domination I 120, 154, 283, 285. 131 Das heutige Vlore in Albanien. 132 Dem heutigen Brindisi. 133 An der Küste gelegener Teil Apuliens.

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Buch I, Kapitel 15 § 2 - 4

in Salerno war, sandte er auch einen Magnaten aus seinem Gefolge namens Raul134 als Gesandten zum Basileus Botaneiates, der nunmehr nach dem Autokrator Dukas das Szepter ergriffen hatte. Auch auf dessen Antwort wartete er; denn er hatte ihm Beschwerden und angeblich plausible Gründe für den bevorstehenden Krieg übermitteln lassen, daß er [Botaneiates] nämlich seine mit dem Basileus Konstantinos verlobte Tochter, wie schon zuvor berichtet, von ihrem Bräutigam getrennt und diesen der Kaiserwürde beraubt habe, und daß er [Robert] sich daher zur Rache am Urheber dieses Unrechts rüste. Dem damaligen Großdomestikos und Befehlshaber der wesdichen Streitkräfte aber (der Betreffende war mein Vater Alexios) hatte er Geschenke geschickt und ein Schreiben, das seine Freundschaft versprach. Auf die Antworten hierauf wartete er nun in Brentesion. 3 Doch waren noch nicht alle Truppen versammelt und der größte Teil der Flotte noch nicht zu Wasser gebracht, da kam Raul schon zurück aus Byzantion135, ohne irgendeine Antwort auf die Beschwerden mitzubringen, und reizte dadurch den Barbaren zu noch größerem Zorn, um so mehr, weil er ihm auch noch folgende Rechtfertigungsrede zu halten begann, die ihn vom Krieg gegen die Romäer abhalten sollte: Erstens sei der Mönch in seinem Gefolge ein Betrüger und Gaukler, der den Autokrator Michael nur spiele, und seine ganze Geschichte sei erlogen; denn er habe, so sagte er, Michael nach dessen Vertreibung vom Thron in der Kaiserstadt gesehen, wie er in eine dunkle Kutte gekleidet war und sich in einem Kloster aufhielt; es sei ihm nämlich darauf angekommen, den gestürzten Basileus mit eigenen Augen zu sehen. Zweitens berichtete er auch noch von folgendem Ereignis, von welchem er auf seiner Rückreise gehört hatte. Als mein Vater sich nämlich der Kaiserwürde bemächtigt hatte, wie ich später erzählen werde, vertrieb er Botaneiates aus dem Kaiserpalast und ließ den Dukassohn, eben jenen Konstantinos, den herrlichsten von allen unter der Sonne, zu sich kommen und gab ihm wieder Anteil an der kaiserlichen Macht. 4 Das hatte Raul unterwegs gehört und führte auch das als Argument an, indem er versuchte, die Kriegsvorbereitungen aufzuhalten. »Mit welcher Berechtigung«, sagte er, »wollen wir gegen Alexios Krieg fuhren, wenn doch Botaneiates derjenige war, der das Unrecht gegen uns begangen und deine Tochter Helene des romäischen Szepters beraubt hat? Denn das Unrecht, das uns die einen zufügen, gibt uns nicht das Recht zum Krieg gegen andere, die uns nichts zuleide getan haben. Wenn es aber keinen berechtigten Grund für den Krieg gibt, dann ist alles um-

134 Radulf Peel de Lan; zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 176 (S. 270-271). Er ist vielleicht der Stammvater der bedeutenden byzantinischen Aristokratenfamilie Raul-Ralles, vgl. O D B sub v. Raoul. Uber die hier erwähnte Gesandtschaft wissen wir sonst nichts. 135 Unter »Byzantion« verstehen die Byzantiner immer die Stadt Konstantinopel, die sie oft in archaisierender Weise so bezeichnen.

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Buch I, Kapitel 15 § 4 - 6

sonst: Schiffe, Waffen, Männer und die ganze Kriegsvorbereitung.« 5 Diese Worte reizten Robert nur um so mehr; er raste geradezu vor Zorn und war nahe daran, Hand an ihn zu legen. Auf der anderen Seite gebärdete sich aber auch jener falsche Dukas und Pseudobasileus Michael, den wir auch Raiktor genannt haben, empört und zornig und konnte kaum an sich halten vor Wut, da er so eindeutig Lügen gestraft wurde, daß er nämlich nicht jener Basileus Dukas sei, sondern ein Lügen-Basileus. Darüber hinaus aber war der Usurpator [Robert] noch aus einem anderen Grunde gegen Raul aufgebracht, da dessen Bruder Roger136 zu den Romäern übergelaufen war und sämtliche Einzelheiten der Kriegsvorbereitungen verraten hatte; daher wollte er seine Wut an Raul auslassen und drohte, ihn auf der Stelle zu töten. Raul aber zögerte keinen Augenblick zu fliehen und machte sich davon zu Bäimundos, da er in ihm gleichsam eine Zufluchtsstätte in der Nähe fand 1 ". 6 Aber auch Raiktor stieß gegen den zu den Romäern übergelaufenen Bruder des Raul die fürchterlichsten Drohungen aus, wobei er laut schrie, sich mit der Rechten auf den Schenkel schlug und Robert mit den Worten beschwor: »Nur dieses eine erbitte ich von dir, daß du mir, wenn ich die Kaiseiwürde erlangt habe und wieder auf dem Thron sitze, den Roger auslieferst, und wenn ich ihn dann nicht sogleich dem schmachvollsten Tode überantworte, indem ich ihn mitten in der Stadt kreuzigen lasse, dann mag ich dieses und jenes von Gott erleiden.« Doch während ich dieses berichte, muß ich unwillkürlich lachen über diese Männer, ihre Torheit und Aufgeblasenheit, ja mehr noch über ihre gegenseitige Aufschneiderei. Denn für Robert war dieser Betrüger nur ein Mittel zum Zweck, ein Köder und eine Art Maske seines Schwiegervaters, des Basileus, und er zeigte ihn zwar in den Städten herum und stachelte damit alle, die er erreichte und überzeugen konnte, zum Umsturz an, er gedachte aber, ihn dann, wenn der Krieg nach Wunsch ausginge und das Glück ihm hold wäre, mit Gelächter und einem Schlag in den Nacken davonzujagen; denn nach der Jagd wird der Köder zum Gespött. Doch auch jener nährte seinerseits trügerische Hoffnungen, daß er vielleicht in gewisser Weise an der Macht teilhaben werde, wie es ja oft wider Erwarten zu geschehen pflegt. Dann würde er mit fester Hand nach der Kaiserwürde greifen, da wohl das romäische Volk und das Heer niemals dem Barbaren Robert die Kaiserwürde überlassen würden, und bis dahin würde er diesen wie ein Werkzeug zur Durchsetzung seiner Pläne benutzen. Wenn ich daran denke, muß ich schmunzeln und ein Lachen kommt auf meine Lippen, während ich beim Licht der Lampe die Schreibfeder führe.

136 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 180 (S. 275-278). 137 Bohemund befand sich jenseits der Adria in Avlon.

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Buch I, Kapitel 16 § 1-2

XVI Robert hatte indessen seine gesamte Streitmacht in Brentesion zusammengezogen, Schiffe und Soldaten; die Zahl der Schiffe betrug zusammen etwa 150, an Soldaten waren insgesamt etwa 30000 versammelt, denn jedes Schiff nahm zweihundert Mann mit Waffen und Pferden auf.138 Nachdem sie so gerüstet waren, weil sie bei der Landung auf bewaffnete Reitertruppen treffen würden, war Robert bereit, sie zur Stadt Epidamnos hinüberzuschicken, die wir nach heutigem Sprachgebrauch Dyrrachion nennen. Zunächst hatte er zwar von Hidrus aus nach Nikopolis übersetzen und Naupaktos samt Umland und sämtlichen Festungen einschließen wollen, aber da die Entfernung über das offene Meer dort viel größer ist als die zwischen Brentesion und Dyrrachion, zog er diese Route jener vor, womit er sowohl den schnellsten Weg wählte als auch den im Interesse der Flotte leichtesten aussuchte, denn es war Winterzeit und die Sonne, die sich auf die südliche Hemisphäre zurückzog und sich dem Sternbild des Steinbocks näherte, ließ die Tage kürzer werden.'39 Damit er nun nicht, wenn er bei Tagesanbruch von Hidrus aufbräche, noch die Nacht hindurch segeln müsse und womöglich in einen Sturm geriete, beschloß er, nach Dyrrachion von Brentesion aus mit voller Kraft zu segeln. Denn diese Reiseroute ist kürzer, da sich an dieser Stelle das Adriatische Meer verengt. Er ließ allerdings doch nicht seinen Sohn Roger zurück, wie er zunächst vorgehabt hatte, als er ihn zum Herrscher von Apulien ernannte, sondern hatte seine Meinung aus einem mir unbekannten Grund geändert und nahm ihn jetzt als Begleiter mit sich. 2 Auf der Fahrt nach Dyrrachion ließ er durch eine Abteilung seiner Flotte die stark befestigte Stadt Korypho140 und einige andere unserer Festungen einnehmen. 1 '" Nachdem er Geiseln aus der Longibardia und Apulien erhalten und im ganzen Land Gelder eingezogen und Steuern erhoben hatte, war er so weit, Dyrrachion anzugreifen. Dux des ganzen Illyrikon war zu jener Zeit Georgios Monomachatos 142 , der vom Autokrator Botaneiates dorthin beordert worden war. Zunächst allerdings hatte er diesen Auftrag abgelehnt und war in keiner Weise zu diesem Amte bereit. Jedoch die Barbaren im Dienste des Autokrators, es waren die Skythen Borilos und Germanos143, heg-

138 Von den westlichen Quellen werden z. T. weit geringere Zahlen genannt. 139 Nach dem Zeugnis der westlichen Quellen brach Robert dagegen im Frühjahr 1081 aus Otranto auf. 140 Heute heißen Stadt und Insel wieder mit ihrem altgriechischen Namen »Kerkyra«, im Deutschen (abgeleitet aus Korypho über das Italienische) Corfu. 141 Das geschah in der zweiten Maihälfte 1081; vgl. Chalandon, Alexis 73, Anm. 1. 142 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 67 (S. 97-98); Cheynet, Pouvoir, Nr. 114 (S. 90-91). 143 Zu Borilos vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 32 (S. 47-49); zu Germanos ebd. Nr. 71 (S. 105-106). Beide waren pe^enegischer bzw. bulgarisch-slavischer Abstammung, daher von Anna archaisierend und abwertend zugleich als »Skythen« bezeichnet.

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ten Groll gegen Monomachatos und dachten sich daher ständig neue Intrigen gegen ihn aus und schwärzten ihn beim Autokrator an, indem sie zusammenlogen, was sie nur wollten, und brachten den Basileus so sehr gegen ihn auf, daß er zur Basiiis Maria gewandt einmal sagte: »Ich habe den Verdacht, daß dieser Monomachatos ein Feind des Romäischen Reiches ist.« 3 Als Ioannes, der Alane144, der ein sehr enger Freund des Monomachatos war und den Groll der Skythen und deren dauernde Anschuldigungen gegen ihn kannte, dies hörte, ging er zu Monomachatos, erzählte ihm alles, was der Basileus und was die Skythen gesagt hatten und riet ihm, für seine Sicherheit Sorge zu tragen. Dieser aber (er war ein kluger Mann) ging gleich zum Basileus, bot ihm von sich aus an, das Amt in Dyrrachion zu übernehmen, indem er ihn mit Schmeichelreden besänftigte, und nachdem er seinen Abschied für die Reise nach Epidamnos genommen und die schriftlichen Anweisungen für sein Amt als Dux145 erhalten hatte, wobei die genannten Skythen, Germanos und Borilos, auf die beschleunigte Erledigung drängten, verließ er schon am folgenden Tage die Kaiserstadt in Richtung Epidamnos und Illyrien. 4 Jedoch in der Nähe der sogenannten Pege, wo auch eine Kirche meiner Herrin, der Jungfrau und Gottesmutter, steht, die berühmt ist unter den Kirchen der Stadt Byzantion 146 , traf er mit meinem Vater Alexios zusammen. Kaum hatten sie einander erblickt, da begann auch schon Monomachatos in erregten Worten auf den Großdomestikos einzureden: daß er seinetwegen und wegen seiner Freundschaft zu ihm verbannt werde und daß die gegen jedermann mißgünstigen Skythen, Borilos und Germanos, die ganze Maschinerie ihres Neides jetzt gegen ihn gerichtet hätten und ihn scheinheilig von seinen Freunden trennten und aus dieser Stadt, die er liebe, verbannten. Und als er ihm in allen Einzelheiten sein Leid geklagt hatte, wie sehr er von den beiden Sklaven beim Basileus angeschwärzt worden sei und was er von ihnen zu erdulden gehabt habe, wurde ihm vom Domestikos des Westens jeder nur erdenkliche Trost zuteil, da dieser sich darauf verstand, ein von Unglück beschwertes Herz zu erleichtern. Und nachdem er ihm dann zum Schluß gesagt hatte, daß Gott solches Unrecht rächen werde, und ihm versichert hatte, daß er seiner Freundschaft ihm gegenüber gedenken werde, brach der eine nach Dyrrachion auf und überließ es dem anderen, in die Kai-

144 Nur an dieser Stelle genannte Person. Die Alanen, von den byzantinischen Quellen nicht klar von den Abchasen und Georgiern unterschieden, lebten im Kaukasus. 145 Im Griechischen heißt es »für den Dux-Gürtel«. Der Inhaber des Amtes »Dux des Illyrikon« erhielt (wie auch andere Amts- und Würdenträger) als Insignie einen bestimmten Gürtel. 146 Heute noch existierendes berühmtes Heiligtum der Gottesmutter »Zôodochos Pêgê« (Lebenempfangende Quelle), etwas außerhalb der Landmauem von Konstantinopel in Höhe des Silivri-Tores gelegen, türk. Balikli kilise (»Fischkirche«). Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique l 3, S. 223-226; Berger, Palria 684-687.

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serstadt einzutreten. 5 Als aber Monomachatos in Dyrrachion angelangt war und von den Vorbereitungen beider hörte, von der Rüstung des Usurpators Robert und der Rebellion des Alexios, wog er sehr sorgfältig seine eigene Haltung ab. Nach außen verhielt er sich gegen beide ablehnend, doch hegte er Überlegungen, die tiefer gingen als der offenkundige Konflikt und der Augenschein. Der Großdomestikos hatte ihm nämlich brieflich mitgeteilt, was vorgefallen war, daß ihm Blendung gedroht habe und daß er aus dieser Zwangslage heraus und wegen der geplanten tyrannischen Willkür zum Gegenangriff gegen den Tyrannen antrete und daß jener sich im Interesse seines Freundes dem Aufstand anschließen und bereit sein müsse, ihm Geld zu senden, woher auch immer er es auftreiben könne. »Denn«, so schrieb er, »ich brauche Geld; ohne dieses kann nichts von dem getan werden, was getan werden muß.« 6 Geld jedoch schickte Monomachatos nicht, sondern behandelte die Gesandten freundlich und übergab ihnen statt des Geldes ein Schreiben des Inhalts, daß er seinerseits an seiner alten Freundschaft bis auf den heutigen Tag festhalte und verspreche, sie auch weiterhin treu zu bewahren. Was aber das angeforderte Geld angehe, so möchte auch er ihm sehr gern so viel schicken, wie er nur immer wünsche. »Doch es ist eine Loyalitätsüberlegung, die mich daran gehindert hat; denn da ich von Basileus Botaneiates ausgesandt worden bin und mich verpflichtet habe, ihm treu zu dienen, würdest auch du mich nicht für einen Mann von Ehre und Pflichttreue gegenüber seinen Kaisern halten, wenn ich jetzt sofort auf deine Wünsche einginge. Wenn die über uns waltende Vorsehung dir jedoch die Kaiserwürde zuerkennt, dann werde ich, wie ich zuvor dein treuer Freund war, auch danach dein treuester Diener sein.« 7 Daß Monomachatos meinem Vater diese gewundene Antwort gab und damit beabsichtigte, zugleich ihn, ich meine meinen Vater, und Botaneiates sich geneigt zu machen, und daß er außerdem mit dem Barbaren Robert unterhandelte, wobei er eine unverhülltere Sprache führte, und damit offen abtrünnig wurde, das ist Grund genug für mich, gegen ihn heftige Klage zu erheben. Aber offenbar sind eben derartige Charaktere wankelmütig und wechseln die Farbe je nach Veränderung der Machtverhältnisse; und zum allgemeinen Wohl tragen alle diese Leute nichts bei, allein auf ihre eigene Sicherheit sind sie bedacht, indem sie ihr Verhalten ausschließlich nach ihrem persönlichen Nutzen ausrichten und dabei aber oft Schiffbruch erleiden. So weit ist nun das Roß meines historischen Berichtes vom Hauptwege abgekommen; wir wollen es nun, nachdem es sich des Zügels entledigt hatte, wieder auf den vorigen Weg zurücklenken. 8 Robert also, der ja schon früher voller Ungeduld danach trachtete, zu unseren Küsten hinüberzugelangen, und nur noch Dyrrachion im Kopf hatte, entbrannte nun erst recht und war nicht mehr zu halten und strebte mit Händen und Füßen danach, endlich in See zu stechen, und trieb seine Soldaten

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zur Eile und stachelte sie mit aufpeitschenden Reden an. Monomachatos aber hatte in dieser Weise taktiert und sicherte sich zusätzlich noch durch folgenden Schachzug ab: Er hatte sich nämlich die Exarchen der Dalmatiner, Vodinos und Michaelas147, durch Sendschreiben zu Freunden gemacht und durch Geschenke für sich eingenommen, wodurch er sich alle möglichen Türen offenhielt. Denn wenn er es sich sowohl mit Robert als auch mit Alexios verdürbe und sich mit beiden entzweite, könnte er sich sofort nach Dalmatien absetzen und zu Vodinos und Michaelas überlaufen. Wenn sich nämlich die beiden ersteren als Feinde erweisen sollten, dann konnte er immer noch auf Michaelas hoffen und andererseits auch auf Vodinos; daher bereitete er sich auch auf die Möglichkeit einer Flucht zu ihnen vor, freilich nur falls ihm von Roberts und Alexios' Seite ein feindlicher Wind entgegenblase. 9 Darüber nun so viel. Nunmehr aber ist es an der Zeit, sich der Kaiserherrschaft meines Vaters zuzuwenden und zu schildern, wie und durch welche Umstände er zur Stellung des Basileus gekommen ist. Denn ich hatte nicht vor, über die Unternehmungen vor seinem Regierungsantritt zu berichten, sondern vor allem von seinen Leistungen als Basileus oder von seinen Verfehlungen, falls wir einmal auf ein Fehlverhalten seinerseits stoßen bei allen seinen Unternehmungen, die wir durchgehen werden. Denn ich werde ihn gewiß nicht schonen, weil er mein Vater ist, wenn mir wirklich etwas unterkommt von den Dingen, die er nicht gut gemacht hat, und ich werde auch nicht wegen des unterschwelligen Verdachts, weil es nun einmal der Vater ist, über den wir berichten, seine Leistungen verschweigen. Denn in beiden Fällen würden wir der Wahrheit Unrecht tun. Sie aber ist mein Ziel, wie ich schon oben mehrfach gesagt habe, und mein Thema ist mein Vater, der Basileus. Wir wollen nun Robert dort verlassen, wohin ihn unser Bericht geführt hat, und nunmehr unser Augenmerk auf das Geschehen um den Basileus richten; seine Kämpfe und Schlachten gegen Robert aber wollen wir uns für ein anderes Buch aufheben. 148

147 Mit dem Titel »Exarchos«, der einen dem byzantinischen Kaiser unterstellten Repräsentanten der Reichsgewalt in bestimmten, vom übrigen Reich getrennten Territorien bezeichnen kann, von Anna aber oft unspezifisch im allgemeinen Sinn von »Befehlshaber, Herrscher« verwendet wird, versieht sie hier den serbischen König Konstantin Bodin, Herrscher von Zeta in Dalmatien (vgl. LexMA sub v. Konstantin Bodin) und seinen Sohn. Mit »Dalmatinern« sind generell die Serben gemeint. 148 Die Erzählung dieser Ereignisse setzt mit Buch III, Kap. 9 wieder ein.

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Buch II, Kapitel 1 § 1-2

Buch 2

I Wer sich für die Herkunft des Autokrators Alexios interessiert und dafür, aus welchem Geschlecht er stammt, den verweisen wir auf das Werk meines Kaisars1; aber auch das, was es über den Basileus Nikephoros Botaneiates zu sagen gibt, kann er dort nachlesen. Manuel, der erstgeborene Bruder von Isaak und Alexios und den übrigen Kindern des Ioannes Komnenos, meines Großvaters väterlicherseits2, war Strategos Autokrator über ganz Asien, nachdem ihm der vorangegangene Basileus, Romanos Diogenes, dieses Amt verliehen hatte, Isaak wiederum hatte das Amt des Dux der [Stadt] des Antiochos erhalten; sie kämpften in vielen Kriegen und Schlachten und errangen viele Siege über ihre Gegner3. Nach ihnen wurde mein Vater Alexios in den Rang eines Strategos Autokrator erhoben, als er vom damaligen Basileus Michael Dukas gegen Urselios ausgesandt wurde4. 2 Da auch der Basileus Nikephoros sah, daß er ein tüchtiger Krieger war - er hatte ja schon gehört, wie er im Osten im Gefolge seines Bruders Isaak sich über sein Alter hinaus in verschiedene Kämpfe gestürzt und als Held gezeigt und wie er den Urselios überwunden hatte - , brachte er ihm eine außerordentliche und nicht ge-

1 Ihres Gatten Nikephoros Bryennios (vgl. dazu in dessen Werk Buch 11); Anna bezeichnet Nikephoros öfter nur mit seinem Titel: der Kaisar (Caesar). Der Titel »Kaisar« war bis zur Regierung Alexios' I. der höchste Rangtitel unmittelbar nach demjenigen des »Basileus«. Von Alexios dann auf den dritten Rang (nach »Basileus« und dem neu geschaffenen »Sebastokrator«) herabgestuft, verlor der Titel an Bedeutung. Vgl. Guilland, Recherches II 25-43. 2 Ioannes Komnenos (ca. 1015-1067), jüngerer Bruder des Kaisers Isaak Komnenos, hatte mit seiner Gattin Anna Dalassene acht Kinder (Manuel, Maria, Isaak, Eudokia, Theodora, Alexios, Adrianos und Nikephoros); vgl. zu ihm Barzos, Genealogia, Nr. 6 (S. 49-57), zu seinen Kindern Barzos, Genealogia, Nr. 10-17. 3 Manuel starb im Frühjahr 1071 (vgl. Nikeph. Bryenn. I 12), Isaak war 1074-1078 Dux von Antiocheia. Zu ihm vgl. Nikeph. Bryenn. II 28-29; Skoulatos, Personnages, Nr. 84 (S. 124-130). 4 Vgl. oben Buch I, Kap. 1 § 3.

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Buch II, Kapitel 1 § 2 - 4

ringere Zuneigung als dem Isaak entgegen. Und indem er so beide Brüder in sein Herz schloß, blickte er gnädig auf sie und ehrte sie bisweilen sogar durch die Einladung an seine Tafel. 3 Das schürte den Neid gegen sie, insbesondere von Seiten der beiden genannten Barbaren slavischer Abstammung, ich meine Borilos und Germanos 5 . Da sie nämlich sahen, daß der Basileus den Brüdern wohlgesonnen war und daß sie von den stündlich auf sie abgeschossenen Pfeilen des Neides unverletzt blieben, verzehrten sie sich vor Wut. Denn als der Basileus sah, daß Alexios, obwohl ihm noch nicht der Flaum auf den Wangen sproß, überall einen klingenden Namen hatte, ernannte er ihn zum Strategos Autokrator des Westens, indem er ihn mit dem Titel eines Proedros' ehrte. Wieviele Siegeszeichen er im Westen errichtet hat und wieviele Rebellen er niedergeworfen und als Gefangene vor den Basileus gebracht hat, ist schon zur Genüge oben geschildert worden. Das aber gefiel den Sklaven7 gar nicht, vielmehr fachte es ihren ohnehin brennenden Neid noch mehr an. Vieles, was sie im tiefsten Inneren gegen sie [Alexios und Isaak] planten, verbreiteten sie hinter vorgehaltener Hand, vieles trugen sie heimlich dem Basileus zu, anderes wieder in aller Öffentlichkeit, wieder anderes durch Dritte, und versuchten so durch alle möglichen Intrigen, sie auf jede Weise loszuwerden. 4 Die Komnenen befanden sich dadurch in einer schwierigen Situation und überlegten, daß es geraten sei, sich das Personal der Frauengemächer gefugig zu machen und mit seiner Hilfe in noch höherem Maße die Gunst der Basiiis auf sich zu lenken. Sie hatten nämlich ein sehr gewinnendes Wesen und waren mit Hilfe aller erdenklichen Eroberungskünste in der Lage, selbst ein Herz aus Stein zu erweichen. Isaak hatte das bereits erreicht, da er von ihr schon vorher als Gatte ihrer Cousine' in den Kreis ihrer Verwandtschaft aufgenommen worden war; er war ja ein Edelmann in Worten und in Taten und meinem Vater ganz ähnlich. Da nun seine eigene Stellung bereits gute Fortschritte gemacht hatte, war er voller Fürsorge für seinen Bruder, und wie jener ihm damals in der Heiratsangelegenheit geholfen hatte, so gab er sich nun seinerseits Mühe, daß auch jener der Basiiis nicht ferner stehe als er selbst. Orest und Pylades, so heißt es, hegten als Freunde eine so große Zuneigung zueinander, daß im Kampf jeder die auf ihn zukommenden Feinde geringachtete und vielmehr die auf den anderen eindringen-

5 Anna hatte sie bereits mehrfach in Buch I erwähnt: Kap. 7 § 1, Kap. 16 §§ 2-3. 6 Ein hoher Titel; vgl. Ch. Diehl, De la signification du titre de »proèdre« à Byzance, in: Mélanges Schlumberger, I, 105-117; Guilland, Recherches II 212 ff. 7 Anna bezeichnet Borilos und Germanos durchgehend mit dem herabsetzenden Wort dülos, das mit »Sklave« wiedergegeben wird. 8 Eirene, Cousine, nach Zonaras Schwester der Basiiis Maria. Zu ihr vgl. Chalandon, Alexis 27; Stiernon, Notes de titulature 180.

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Buch II, Kapitel 1 § 4 - 6

den abwehrte und daß jeder die auf den anderen zufliegenden Pfeile abfing, indem er ihnen seine Brust entgegenwarf. Ahnliches konnte man auch bei ihnen beobachten. Denn beide Brüder wollten einer dem anderen die Gefahren vorwegnehmen, und jeder betrachtete die Heldentaten und Ehrungen und ganz generell den Vorteil des anderen als seinen eigenen, und auch umgekehrt, so große Zuneigung hatten sie zueinander. 5 So stand es also durch die Hilfe göttlicher Fürsorge um Isaak; und es dauerte nicht lange, und die Bediensteten der Frauengemächer veranlaßten aufgrund der Interventionen Isaaks die Basiiis, Alexios zu adoptieren. Sie gab diesen Wünschen statt, und nachdem beide an einem dazu bestimmten Tage in den Palast gekommen waren, adoptierte die Basiiis Alexios gemäß dem seit alters in solchen Fällen befolgten Zeremoniell'. So war nun fürderhin der Großdomestikos der westlichen Heeresabteilungen seiner schlimmsten Sorge enthoben. Von da an kamen sie oft beide in den Kaiserpalast, vollzogen das den Basileis zustehende Begrüßungszeremoniell 10 , und blieben dann noch ein wenig und besuchten die Basiiis; das entflammte den Neid erst recht gegen sie. 6 Die Komnenen, die viele untrügliche Anzeichen dafür hatten, fürchteten daher, sie könnten sich beide in ihren [des Borilos und des Germanos] Netzen verfangen und hätten dann niemanden mehr, der ihnen zu Hilfe eilen könnte; deshalb suchten sie nach einem Mittel, sich einen sicheren Schutz zu verschaffen, die Hilfe Gottes vorausgesetzt. Nachdem sie nun zusammen mit ihrer Mutter viele Überlegungen angestellt und mancherlei oftmals durchdacht hatten, fanden sie nur eine Hoffnung auf Rettung, soweit diese Menschen möglich ist"; diese bestand darin, die Basiiis aufzusuchen, sobald sie dazu einen nach außen vorweisbaren Anlaß hätten, und ihr das Geheimnis anzuvertrauen. Diesen Plan aber hielten sie verborgen und offenbarten ihre Absicht überhaupt niemandem. Sie achteten sorgfältig wie die Angler darauf, die Beute nicht zu verscheuchen. Sie planten zwar, sich zu entfernen, hatten aber Angst, dies der Basiiis zu sagen, damit sie nicht eventuell vorher dem Basileus ihr Vorhaben mitteilte, da sie ja zu beiden ein enges Verhältnis hatte, sowohl zum Basileus als auch zu den beiden Männern [Alexios und Isaak]. Also nahmen sie Abstand von diesem Gedanken und suchten die Lösung in ei-

9 Die Adoption wurde durch ein kirchliches Zeremoniell vollzogen. Verwandtschaft durch Adoption wurde (etwa in Bezug auf Ehehindernisse) als ebenso strenges Band angesehen wie Blutsverwandtschaft und geistliche Verwandtschaft (zwischen Paten und Täuflingen). Vgl. Du Cange, Notae 4 4 5 4 4 6 ; O D B sub v. Adoption. 10 Die konkrete Form dieses Zeremoniells der persönlichen Begrüßung richtete sich je nach dem Rang des Begrüßenden. Vgl. Treitinger, Kaiser- und Reichsidee 84-90; Guilland, Recherches I 144-150; O D B sub v. Proskynesis. 11 D e n n die wirkliche Rettung (die der Seele) liegt ja allein bei Gott.

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ner anderen Richtung; denn sie waren in besonderem Maße fähig, sich der Umstände zu bedienen, die sich ihnen boten. II Da nämlich der Basileus wegen seines hohen Alters12 nicht mehr fähig war, Kinder zu zeugen, aber auch die unvermeidbare Zäsur des Todes fürchtete, machte er sich Gedanken über seinen Nachfolger. Und da gab es nun einen gewissen Synadenos13; er kam aus dem Osten, war aus einer vornehmen Familie, hatte ein gefalliges Aussehen, besaß einen durchdringenden Verstand, hatte eine starke Hand, stand gerade an der Schwelle des Jünglingsalters und war überdies noch mit ihm verwandt. Ihn gedachte er eher als alle anderen als Nachfolger im Amt des Basileus zu hinterlassen, indem er ihm die Macht gleichsam wie ein väterliches Erbteil geben wollte, was er aber sehr schlecht überlegt hatte. Denn er hätte ja die Möglichkeit gehabt, sich bis an sein Ende zu sichern und gleichzeitig eine gerechte Lösung ins Auge zu fassen, nämlich die selbstherrscherliche Gewalt Konstantinos, dem Sohn der Basiiis, zu hinterlassen, die diesem gleichsam als Erbteil vom Großvater und vom Vater her14 gehörte, und damit das Zutrauen der Basiiis zu ihm noch zu stärken und ihr Wohlwollen zu vergrößern. Indessen wußte der alte Mann gar nicht, daß er etwas Ungerechtes und Schädliches plante und damit Gefahren gegen sein eigenes Haupt heraufbeschwor. 2 Da diese Dinge hinter vorgehaltener Hand weitergeflüstert wurden, erfuhr die Basiiis davon und war äußerst bestürzt, da sie die Gefahr für ihren Sohn erkannte. Und sie war betrübt, vertraute ihre Betrübnis aber niemandem an. Das blieb den Komnenen nicht verborgen. Damit hatten sie die Gelegenheit, die sie suchten, gefunden und beschlossen, die Basiiis aufzusuchen. Das Gespräch mit ihr anzuknüpfen, hatte die Mutter [Anna Dalassene15] Isaak beauftragt; sein Bruder Alexios aber sollte dabeisein. Als sie nun zur Basiiis kamen, sagte Isaak zu ihr: »Wir sehen, Herrin, daß es dir nicht so geht wie noch kurz zuvor, sondern du machst den Eindruck, als ob dich unausgesprochene Sorgen quälten und du darüber nachgrübeltest, so als ob du kein Vertrauen hättest, wem du das Geheimnis offenbaren könntest.« Sie aber wollte es nicht klar heraus sagen, seufzte jedoch tief und sagte: »Man soll denen, die in der Fremde leben", nicht mit Fragen zusetzen; denn schon das allein reicht ihnen aus zur

12 Botaneiates war zu dieser Zeit über 75 Jahre alt. 13 Wohl identisch mit Nikephoros Synadenos, ein Neffe des Botaneiates. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 153 (S. 248); Cheynet, Pouvoir, Nr. 112 (S. 89). 14 Sein Vater war Michael VII., sein Großvater Konstantin X. Dukas. 15 Zu ihr vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 14 (S. 20-24); Cheynet-Vannier, Etudes 95-99. Ein schönes literarisches Portrait von ihr zeichnet Ch. Diehl, Figures byzantines, 2 e serie, Paris 1908,317-342. 16 Maria kam aus Georgien; sie war die Tochter Königs Bagrat IV.

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Buch II, Kapitel 2 § 2 - 4

Betrübnis. Mir aber, ach, welch Leid häuft sich mir auf Leid, und was erst hält die nächste Zukunft noch alles, wie es scheint, für mich bereit.« Sie aber drangen nicht weiter in sie und sprachen kein Wort mehr; sie senkten ihre Blicke zur Erde, verhüllten beide ihre Hände 17 und blieben voller Gedanken eine Weile so stehen. Dann entboten sie ihr den gewohnten Gruß und kehrten voll banger Überlegungen nach Hause zurück. 3 Am nächsten Tag kamen sie wieder, um mit ihr zu sprechen; als sie aber sahen, daß sie sie heiterer anblickte als am Vortag, gingen sie beide zu ihr hin und sagten: »Du bist die Herrin, wir aber sind die Diener, und zwar dir ganz ergebene Diener, und wir sind bereit, alles, was es auch immer sei, für deine kaiserliche Majestät auf uns zu nehmen. Keine Sorge soll dir das Leben vergällen, indem sie dich in irgendeiner Weise in Angst und Ausweglosigkeit versetzt.« Mit diesen Worten gaben sie der Basiiis ihr Treueversprechen und stellten sich außerhalb jeden Argwohns; das Geheimnis aber hatten sie schon begriffen, da sie von rascher Auffassung und scharfsinnig waren und fähig, aus wenigen Worten die tief verborgenen Gedanken der Menschen zu erfassen, die diese noch ganz versteckt hielten. Und sogleich traten sie voll auf die Seite der Basiiis und gaben ihr bei mannigfachen Gelegenheiten klare Beweise ihrer Ergebenheit und erklärten ihr, in allem, für das sie um ihre Hilfe bitten werde, ihr aus ganzem Herzen beistehen zu wollen. Sich mit ihr zu freuen, wenn sie fröhlich sei, und mit ihr zu weinen, wenn sie traurig sei, wie der Apostel sagt'8, das versprachen sie ihr ohne Rückhalt. Und sie baten darum, von ihr als Landsleute und Verwandte betrachtet zu werden, als ob sie von dort herkämen, woher auch sie stamme, und sie fügten noch so viel hinzu, sie möge ihnen für den Fall, daß ihr, der kaiserlichen Herrin selbst, und dem Autokrator von den Neidern etwas gegen sie eingeflüstert werde, ihnen das sogleich weitersagen, damit sie sich nicht ahnungslos in den Netzen der Feinde verfingen. Darauf aber, so baten sie, solle sie sich voller Vertrauen verlassen, daß sie (mit Gottes Zustimmung gesprochen) ihr jede nur mögliche Hilfe bereitwillig gewähren würden, so daß ihr Sohn Konstantinos, soweit es jedenfalls auf sie ankomme, nicht der Kaiserwürde verlustig gehe. Und sie wollten auch die Vereinbarungen durch Eide bekräftigen; denn wegen der sie argwöhnisch beäugenden Feinde war keine Zeit zu verlieren. 4 So wurden die Männer von ihrer tiefen Besorgnis erleichtert, faßten wieder Mut und führten von da an ihre Unterhaltungen mit dem Basileus mit heiterem Gesicht, da sie ja beide, und noch mehr der eine von ihnen, Alexios, geübt darin waren, einen geheimen Gedanken und einen insgeheim gefaßten Plan durch Verstellung nach außen zu

17 Als Zeichen ehrfurchtsvollen Respektes gegenüber der Kaiserin. 18 Rö. 12,15.

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verbergen. Als aber der Neid noch mehr, jetzt in einem riesigen Brand, aufloderte und ihnen von da an gemäß den kurz vorher getroffenen Vereinbarungen nichts mehr von dem verborgen blieb, was dem Basileus gegen sie gesagt wurde, und sie auch erfuhren, daß die beiden die Funktion von Paradynasten" ausübenden Sklaven darüber nachdachten, sie aus dem Wege zu räumen, gingen sie nicht mehr wie gewohnt zusammen in den Kaiserpalast, sondern abwechselnd jeder einen um den anderen Tag. Der Gedanke war schlau und eines Palamedes20 würdig, damit, wenn der Fall einträte, daß einer von ihnen aufgrund der heimlichen Machenschaften jener die Funktion von Paradynasten ausübenden Skythen verhaftet werde, der andere entkommen könne, und sie nicht beide auf einmal in die Netze der Barbaren gerieten. So war ihr Gedanke; die Ereignisse aber entwickelten sich für sie nicht so, wie sie befürchtet hatten. Denn sie gewannen vorher die Oberhand über ihre Feinde, wie die Erzählung im folgenden in aller Klarheit zeigen wird. III Nachdem nun die Stadt Kyzikos2' von den Türken eingenommen worden war, ließ der Autokrator, als er die Nachricht von der Eroberung der Stadt erhielt, sogleich Alexios Komnenos rufen. Denn es hatte sich ergeben, daß an jenem Tage Isaak gekommen war. Als sein Bruder Isaak ihn [Alexios] aber entgegen ihrer Vereinbarung eintreten sah, ging er zu ihm und fragte, weshalb er gekommen sei. Jener aber teilte ihm sogleich den Grund mit: »Weil mich«, so sagte er, »der Autokrator gerufen hat.« Als sie nun beide eingetreten waren und die übliche Begrüßung vollzogen hatten, hieß er sie, da die Essenszeit gerade gekommen war, noch ein wenig warten und gab dann Befehl, sie sollten an seiner Tafel teilhaben. Und so wurden sie getrennt und saßen einander gegenüber, der eine an der rechten, der andere an der linken Seite des Tisches. Als sie kurz darauf ihre Blicke auf die Umstehenden richteten, sahen sie, wie sie mit finsteren Mienen flüsterten. Da sie fürchteten, daß die Sklaven [Borilos und Germanos] einen Handstreich gegen sie planten und sie in unmittelbarer Gefahr schwebten, warfen sie sich heimliche Blicke zu, da sie nicht wußten, was sie tun sollten. 2 Da sie aber schon lange vorher alle Leute in der Umgebung des Basileus mit freundlichen Worten, Aufmerksamkeiten und allerlei Gunstbezeugungen auf ihre Seite gebracht und den Küchenmeister selbst durch Erkenntlichkeiten dahin gebracht hatten, ein freundliches Auge auf sie zu haben, trat einer der Diener des Isaak Komnenos an diesen heran und sagte: »Melde meinem Herrn die Einnahme von 19 Das griechische Partizip (paradynasteuon) bezeichnet denjenigen Beamten, dem der Kaiser die eigentliche oberste Machtstellung anvertraut, ohne daß dem ein fester Titel und Rang in der Amterhierarchie entspräche. Vgl. Beck, Ministerpräsident 330-338. 20 Held der altgriechischen Mythologie, wegen seiner besonderen Schlauheit berühmt. 21 An der asiatischen Küste des Marmara-Meeres.

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Kyzikos; denn es ist ein Schreiben dieses Inhalts von dort gekommen.« Und er [der Küchenmeister] setzte die Speisen auf die Tafel, und zugleich teilte er sofort mit leiser Stimme Isaak das mit, was ihm seinerseits der Diener mitgeteilt hatte. Dieser [Isaak] aber bewegte fast unmerklich die Lippen und signalisierte das, was ihm gesagt worden war, seinem Bruder. Alexios, von schneller Auffassungsgabe und ein feuriger Geist22, begriff sofort, was er ihm sagte. Da atmeten sie beide auf, befreit von der sie drückenden Sorge. Und als sie sich beruhigt hatten, dachten sie nach, damit sie für den Fall, daß sie jemand in dieser Sache befragte, sogleich antworten könnten, und sie, falls etwa sogar der Basileus sie konsultieren sollte, ihm einen passenden Rat geben könnten. 3 Während sie noch solches überlegten, richtete der Basileus sein Augenmerk auf die Männer, die, wie er annehmen mußte, nichts von den Geschehnissen in Kyzikos wußten, und teilte ihnen die Eroberung mit. Sie aber (denn sie waren ja darauf vorbereitet, die Seele eines Basileus, die durch Eroberungen von Städten in heftiger Aufregung ist, zu besänftigen) richteten den verzagten Mut des Autokrators wieder auf und gaben ihm das warme Gefühl von Hoffnung und Zuversicht zurück, indem sie ihm versicherten, daß es ein Leichtes sei, die Stadt wieder zurückzugewinnen. »Wenn nur«, war ihre Rede, »Deine Majestät wohlauf ist; die Eroberer der Stadt aber werden als Strafe das Siebenfache dessen, das sie selbst getan haben, auf sich nehmen müssen.« Da nun war der Basileus sehr über sie erfreut, und nachdem er sie vom Mahl entlassen hatte, verbrachte er den Rest des Tages ohne quälende Gedanken. 4 Von da an ließen es sich die Komnenen sehr angelegen sein, den Kaiserpalast aufzusuchen und die Leute aus der Umgebung des Basileus noch mehr für sich einzunehmen, auch selber den gegen sie Eingestellten nicht die geringste Handhabe zu geben und ihnen nicht irgendeinen Vorwand für Feindschaft zu liefern, vielmehr alle dahin zu bringen, sie gern zu haben und mit Gedanken und Worten auf ihrer Seite zu sein. Außerdem gaben sie sich Mühe, auch die Basiiis Maria noch mehr für sich zu gewinnen und ganz und gar für sie da zu sein. Isaak konnte sich auf die verwandtschaftliche Verbindung über die Heirat mit ihrer Cousine stützen und verstärkte so den vertrauten Umgang; mein Vater aber konnte sich ebenso auf die Verbindung durch die Verschwägerung, insbesondere aber auf die Adoption berufen, um eine klare Berechtigung für die Besuche bei der Basiiis zu haben, und war so außerhalb jeden Verdachtes und verwies den Neid derer in die Finsternis, die ihm übel gesonnen waren; denn ihm waren ja der tiefe Haß jener Barbaren-Sklaven und der Wankelmut des Basileus nicht verborgen, und so bemühten sie sich verständlicherweise darum, ihre [der Basiiis Maria] Gunst

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Im Griechischen mit der Metapher »heißer als Feuer« ausgedrückt.

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nicht zu verlieren, damit sie daraufhin nicht eine Beute ihrer Feinde würden. Denn besonders wankelmütige Charaktere ändern ihre Richtung leicht, und nach Art des Euripos" strömen sie wie im Wechsel der Gezeiten einmal hierhin und einmal dorthin. IV Als dies die Sklaven sahen und als sie merkten, daß sich die Sache nicht so entwickelte, wie sie wollten, und daß es nicht leicht für sie sein würde, solche Männer zu vernichten, da das Wohlwollen des Autokrators ihnen gegenüber von Tag zu Tag zunahm, da erwogen sie viele Lösungen und verwarfen auch viele wieder und schlugen schließlich einen anderen Weg ein. Welcher war das? Sie wollten die Männer eines Nachts kommen lassen, ohne daß der Herrscher davon wissen sollte, und sie dann dadurch ausschalten, daß sie ihnen unter einer fingierten Beschuldigung die Augen ausstachen. 2 Das kam den Komnenen zu Ohren. Obwohl sie sich innerlich sehr sträubten, mußten sie erkennen, daß die Gefahr ihnen unmittelbar drohte, und so sahen sie die einzige Hoffnung auf Rettung in der Rebellion24, zu der sie durch übermächtige Not getrieben wurden. Denn warum sollte man warten auf den, der den rotglühenden Stahl an die Augen setzt und die Sonne in ihnen zum Verlöschen bringt? Freilich hielten sie diesen Entschluß in ihrem Inneren tief verborgen. Als aber nicht lange danach Alexios den Befehl erhalten hatte, einen Teil des Heeres [nach Konstantinopel] kommen zu lassen, da dieser gegen die Agarenen25, die die Stadt Kyzikos erstürmt hatten, ausgerüstet werden sollte (er war damals gerade Domestikos des Westens), da ergriff er die plausible Gelegenheit und forderte durch Sendschreiben diejenigen Truppenfuhrer, die ihm gewogen waren, auf, zu ihm zu kommen. Und so machten sich denn alle auf und zogen eilig hin zur Großen Stadt26. 3 Währenddessen ging jemand auf Anstiftung eines der beiden Sklaven, dessen, der Borilos hieß, zum Basileus und fragte ihn, ob der Großdomestikos eigentlich mit seiner Zustimmung sämtliche Truppen in die Kaiserstadt kommen lasse. Dieser aber ließ ihn [den Großdomestikos Alexios] sogleich kommen und fragte ihn, ob das, was da gesagt werde, wahr sei. Dieser nun gab auf der Stelle zu, daß ein Heereskontingent herangeführt werde, und zwar auf seinen [des Kaisers] ausdrücklichen Befehl, daß aber das ganze Heer von allen Seiten hier zusam-

23 Sprichwörtlicher Vergleich. Im Euripos (Meerenge zwischen der Insel Euboia und Boiotien) wechselt die Strömungsrichtung mit den sonst im Mittelmeer kaum erkennbaren Gezeiten. 24 Vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 113 (S. 89-90). 25 Mit »Agarenen« (Söhne der biblischen Agar, der Sklavin Abrahams) können alle Muslime bezeichnet werden, hier sind die türkischen Sel^uken gemeint. 26 »Die Große Stadt« oder einfach nur »die Stadt« bezeichnet wie noch heute im Griechischen »Konstantinopel«.

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mengezogen werde, das bestritt er in überzeugender Weise. »Das Heer«, so sagte er, »war zerstreut, und so kommen sie jetzt alle aus verschiedenen Richtungen, nachdem sie den Befehl dazu erhalten haben. Und diejenigen, welche sie sehen, wie sie aus verschiedenen Gegenden des Romäerreiches in dichten Scharen ankommen, glauben nun, daß das gesamte Heer aufgrund einer geheimen Abmachung sich hier versammelt, da sie sich durch den bloßen Anschein täuschen lassen.« Obwohl Borilos sehr vieles gegen diese Ausfuhrungen ins Feld führte, war doch Alexios der Stärkere und siegte auf der ganzen Linie. Germanos dagegen, der einfaltiger war, griff Alexios gar nicht erst an. Als aber auch diese gegen den Domestikos vorgebrachten Anschuldigungen den Basileus nicht ernsthaft beunruhigten, machten sie sich die Zeit, wo sie keine Verpflichtungen hatten, zunutze (es war am Abend) und bereiteten den Anschlag auf die Komnenen vor. 4 Generell sind ja die Sklaven den Herren gegenüber von Natur aus feindlich eingestellt27, wenn sie aber ihre Herren nicht treffen können, dann werden sie, bekommen sie Macht in die Hand, für ihre Mitsklaven unerträglich. Die Erfahrung einer solchen Charaktereinstellung und Gesinnung machte bei den besagten Sklaven nun Alexios Komnenos. Jedenfalls wüteten damals die eben Genannten nicht etwa im Interesse des Autokrators gegen die Komnenen; vielmehr wollte Borilos, wie einige sagten, Kaiser werden, Germanos aber war in seine Pläne eingeweiht und bereitete mit ihm zusammen sorgfaltig einen Hinterhalt vor. Und sie diskutierten die Pläne miteinander und wie die Sache ihnen wohl gelingen könnte, und sie sprachen nunmehr klar aus, was bis dahin nur zwischen den Zähnen gemurmelt worden war. 5 Das, was geredet wurde, hörte jemand, ein Alane der Herkunft nach, seinem Rang nach Magistros28, der seit langem vertrauten Umgang mit dem Basileus hatte und zu seiner engsten Umgebung gehörte29. Daraufhin verließ er während der mittleren Nachtwache 30 [den Kaiserpalast] und lief zu den Komnenen, um alles dem Großdomestikos zu melden. Einige Leute behaupten, auch die Basiiis sei nicht ganz uninformiert gewesen über den Gang des Magistros zu den Komnenen. Er [Alexios] aber führte ihn zu seiner Mutter und seinem Bruder. Als diese seine schlimme Botschaft gehört hatten, entschieden sie, es sei nun-

27 Derselbe Gemeinplatz auch Buch VI, Kap. 8 § 4. 28 Bis etwa zur Mitte des 12. Jahrhunderts ein hoher Rangtitel; vgl. R. Guilland, Études sur l'histoire administrative de l'Empire byzantin: Vordre (taxis) des Maîtres, in: EEBS 39-40 (197273) 14-28; ODB sub v. Magistros. 29 Er war einer seiner oikeioi (»zur Familie gehörig, vertraut«). Zu diesem Begriff, der etwa das bezeichnet, was wir unter »Gefolgschaft« verstehen, vgl. J. Verpeaux, Les oikeioi, in: REB 23 (1965) 89-99; ODB sub v. Oikeioi. 30 Die Nacht war in drei oder vier Wachabschnitte unterteilt.

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mehr geboten, das bis dahin Verborgengehaltene ans Licht zu bringen und ihre eigene Rettung mit Hilfe Gottes zu sichern. 6 Als nun der Domestikos am übernächsten Tag erfuhr, das Heer sei in Tzurulos 31 eingetroffen (das ist eine Festung, die in Thrakien liegt), ging er um die Zeit der ersten Nachtwache zu Pakurianos32 (dieser Mann »war klein von Gestalt nur«, wie der Dichter sagt33, »aber ein Krieger«, er war armenischer Abstammung aus einer vornehmen Familie) und erzählte ihm alles, den Groll der Sklaven, den Neid, ihr schon seit langem gegen sie gerichtetes Treiben und den eben erst geschmiedeten Plan, sie zu blenden, und [er sagte], man dürfe nicht wie Sklaven alles passiv hinnehmen, sondern müsse eine kühne Tat vollbringen und dabei, wenn nötig, zugrundegehen; das nämlich, so sagte er, sei Zeichen edler Gesinnung. 7 Nachdem dieser sich alles genau angehört hatte und erkannte, daß man in einer solchen Lage nicht zaudern darf, sondern sich schnell zu einer kühnen Tat entschließen muß, sagte er: »Wenn du, sobald morgen der Tag anbricht, von hier [aus Konstantinopel] weggehst, dann folge ich dir, um bereitwillig an deiner Seite zu kämpfen. Wenn du aber die Ausfuhrung des Planes auf nächstes Jahr verschieben willst, so wisse, daß ich höchstselbst auf der Stelle zum Basileus gehen und dich und deine Genossen anzeigen werde, ohne jeden Aufschub.« Er [Alexios] aber [entgegnete]: »Da ich sehe, daß du um mein Heil besorgt bist (es liegt ja ganz und gar bei Gott), werde ich deinen Rat nicht ausschlagen, jedoch müssen wir beide durch einen Eid die nötige Sicherheit erhalten.« Und so gaben sie sich durch Eide gegenseitig Garantien, wonach er [Alexios], wenn Gott ihn auf den Kaiserthron führe, jenen ins Amt des Domestikos fuhren werde, das er selbst bis zum damaligen Zeitpunkt innehatte. Nachdem Alexios Komnenos sich nun von dort aufgemacht und Pakurianos verlassen hatte, ging er zu einem weiteren Mann, ebenfalls einem tüchtigen Krieger, Umbertopulos 34 . Und er unterbreitete ihm sein Vorhaben und legte ihm den Grund dar, warum er fliehen wolle und deshalb auch ihn um seinen Beistand bitte. Der aber war sofort einverstan31 Heute Çorlu. 32 Gregorios Pakurianos (Bakurianisdze). Er entstammte nicht, wie Anna behauptet, einer armenischen, sondern einer georgischen Magnatenfamilie, hat aber längere Zeit in Armenien zugebracht und schrieb Armenisch. Trat 1064 in byzantinische Dienste und brachte es unter Alexios bis zum Domestikos des Westens. Vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 78 (S. 112-115); P. Gautier, Le Typikon du Sébaste Grégoire Pakourianos, in: REB 42 (1984) 5-145. P. Lemerle, Le Typikon de Grégoire Pakourianos (décembre ¡083), in: Cinq études sur le XI' siècle byzantin, Paris 1977, 113-191. 33 Homer, ¡lias 5, 801. 34 Konstantinos Umbertopulos (»Sohn des Humbert«). Normanne im Dienste des Alexios; wahrscheinlich ein Sohn Humberts, eines der Brüder Robert Guiskards. Vgl. Du Cange, Notae 447; Marquis de la Force, Les conseillers latins d'Alexis Comnène, in: Byzantion 11 (1936) 164.

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den. »Auch mich«, sagte er, »wirst du als tapferen Vorkämpfer auf deiner Seite haben.« 8 Die genannten Männer waren Alexios in besonderer Weise unter anderem deshalb zugetan, weil er die übrigen an Tapferkeit und Scharfsinn überragte; und da er sehr freigebig war und Geschenke mit leichter Hand verteilte wie kein anderer, liebten sie ihn über die Maßen, obwohl er durchaus nicht in Reichtümern schwamm. Er gehörte nämlich nicht zu denen, die immer nur raffen und danach gieren, reich zu -sein. Denn die Freigebigkeit pflegt nicht nach der Menge des geschenkten Geldes beurteilt zu werden, sondern man bewertet natürlich die Gesinnung. Es kann nämlich jemand, der nur wenig hat und nach Maßgabe seiner Möglichkeiten gibt, freigebig sein; wenn hingegen jemand große Reichtümer hat und diese in der Erde vergräbt oder nicht in gehörigem Verhältnis dem Bittenden davon abgibt, dann wird man wohl das Richtige nicht verfehlen, wenn man von ihm sagt, er sei ein zweiter Kroisos oder ein goldversessener Midas, ein Geizhals und Knauserer und einer von denen, die auch noch das Kümmelkom durchsägen35. Die eben genannten Männer jedenfalls kannten Alexios schon seit langer Zeit und von Anfang an als einen mit allen Tugenden wohl versehenen Mann, und daher waren sie mit seiner Proklamation [zum Kaiser] sehr wohl einverstanden und beteten um sie. 9 Nachdem Alexios auch von ihm [Umbertopulos] einen Eid gefordert und erhalten hatte, kehrte er im Laufschritt nach Hause zurück und teilte den Seinen alles mit. Es war die Nacht vor dem »Käseesse^-Sonntag36, während welcher mein Vater diese Vorbereitungen traf. Am Tag darauf verließ er im ersten Morgengrauen mit seinen Leuten die Stadt. Da dichtete auch das Volk, das Alexios wegen seines Wagemutes und seiner Geistesgegenwart ins Herz geschlossen hatte, spontan aus der Situation heraus für ihn ein kleines Couplet; zwar nur in der Umgangssprache verfaßt, läßt es doch den Sinn des Geschehens auf eine sehr poetische Weise anklingen und bringt klar zum Ausdruck, daß er den gegen ihn gerichteten Anschlag im voraus erkannt und seine Vorkehrungen dagegen getroffen hat. Das kleine Lied lautete wörtlich so: Am Sonnabend der »Käseesser«-Woche, Heil dir Alexis, hast du's erkannt, und dann am Montag in der Früh: Glück zu und fort, mein Falke!37 Dem Sinne 35 »Kümmelsäger« ist im Griechischen sprichwörtlicher Ausdruck für einen Geizkragen: Selbst das winzige und wertlose Kümmelkorn sägt er erst einmal durch, ehe er davon abgibt. 36 Sonntag unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Osterfastenzeit. Mit ihm endet die Vor-Fastenwoche, in welcher bereits der Fleischgenuß, aber noch nicht der von Milch, Milchprodukten und Eiern untersagt ist. Es war der 14. Februar 1081. 37 Allna hatte den Wortlaut des Liedes bei der ursprünglichen Niederschrift nicht mitgeteilt. Er steht in der Handschrift F am Rand des Textes, von derselben Hand geschrieben wie der Haupttext. Wahrscheinlich hatte ihn die Autorin selbst ihrem Manuskript, aus welchem F geflossen ist, später beigeschrieben. Zur handschriftlichen Überlieferung der Alexias vgl. die Einleitung. Es sei daran erinnert, daß die Handschrift F der älteste und wichtigste Codex ist, der eine große Anzahl von Autorenkorrekturen enthält.

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nach bedeutet dieses populäre Liedchen etwa: »Am Sonnabend, der nach dem Käse benannt ist38, Heil dir um deines Scharfsinns willen, Alexios; am Tage nach dem Sonntag aber bist du wie ein hoch in der Luft fliegender Falke den dir auflauernden Barbaren davongeflogen.« V Da die Mutter der Komnenen, Anna Dalassene, gerade einige Zeit vorher den Enkel des Botaneiates als Gatten für die Tochter Manuels, ihres erstgeborenen Sohnes, zu sich genommen hatte,39 befürchtete sie, dessen Erzieher könnte von der geplanten Revolte Kenntnis erhalten und sie dem Basileus melden, und daher faßte sie einen ausgezeichneten Plan. Sie ordnete an, am Abend sollten sich alle versammeln, damit man den heiligen Kirchen Gottes seine Verehrung erweise; denn es war für sie ganz üblich, die Heiligtümer40 aufzusuchen. Und das geschah auch, und so waren, wie gewohnt, alle da, führten die Pferde aus ihren Stallungen und taten so, als ob sie die für die Frauen angemessenen Sättel auflegten. Der Enkel des Botaneiates und sein Erzieher schliefen derweil; denn man hatte ihnen ein separates Wohnhaus gegeben. 2 Um die erste Wache aber schlössen die Komnenen, die nunmehr daran gingen, sich zu bewaffnen und dann aus der Kaiserstadt davonzureiten, die Tore und übergaben die Schlüssel ihrer Mutter, und sie schlössen auch geräuschlos die Türen des Gebäudes, in welchem der mit ihrer Enkelin verheiratete Botaneiates schlief, wobei sie diese nicht richtig zuschlössen, so daß sie die beiden Türflügel hätten ineinandergreifen lassen, damit nicht etwa Lärm entstünde und ihn aufweckte. Unterdessen war der größte Teil der Nacht vergangen. Vor dem ersten Hahnenschrei nun öffneten sie [Alexios und Isaak Komnenos] die Tore41, nahmen ihre Mutter, Schwestern, ihre eigenen Frauen und die Kinder und zogen alle zusammen zu Fuß bis zum Konstantinsforum42. Dort verabschiedeten sie sich von ihnen und liefen 38 Anna drückt das so gewunden aus, u m den der attischen Sprache natürlich fremden christlichen Fachausdruck zu vermeiden. 39 Die beiden miteinander verlobten Kinder waren noch sehr klein (etwa drei Jahre alt): die Tochter Manuels (Barzos, Genealogía, Nr. 10 [S. 61-64]), die wahrscheinlich nach ihrer Großmutter Anna Dalassene ebenfalls Anna hieß (Barzos, Genealogía, Nr. 19 [S. 122-123]) und der Enkel des Botaneiates, der wahrscheinlich wie sein Großvater den Namen Nikephoros trug (Gautier, REB 27 [1969] 342 erwähnt ihn als Sebastos Michael Botaneiates). Dieser Enkel war nach verbreiteter Rechtssitte als Esogambros (»ins Haus der Schwiegereltern aufgenommener Schwiegersohn«) ins Haus seiner Braut aufgenommen worden, u m dort erzogen zu werden. 40 Anna gebraucht neben der voxpropria für »Kirche« (ekklesia) an vielen Stellen synonym das archaisierende Wort témenos, das im Altgriechischen den Tempelbezirk bezeichnet. W o es möglich war, wurde témenos im Deutschen mit »Heiligtum« wiedergegeben. 41 Die Tore des palastartigen Gebäudekomplexes, in welchem die Großfamilie der Komnenen unter der Leitung der Anna Dalassene wohnte. 42 Gut lokalisierbar, da bedeutende Reste der auf ihm befindlichen Konstantinssäule erhalten sind. Vgl. Janin, Constantinople 62-64; Müller-Wiener, Bildlexikort 255-257.

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sehr schnell zum Kaiserpalast im Blachernai-Viertel43; die Frauen aber liefen eilig zur Kirche der Großen Weisheit 44 . 3 Als aber der Erzieher des Botaneiates aufwachte und sah, was geschehen war, lief er mit einer Fackel in den Händen hinter ihnen her und holte sie im Laufschritt auch ein, als sie noch nicht einmal in die Nähe des Kirchenbezirkes der Vierzig Heiligen45 gelangt waren. Als die Dalassene, die Mutter dieser heldenhaften Söhne, ihn da plötzlich erblickte, sagte sie: »Man hat uns, wie ich erfahren habe, beim Basileus denunziert. Daher bin ich jetzt auf dem Wege zu den heiligen Kirchen, und will mich ihrer Hilfe, so gut ich es vermag, bedienen. Von dort werde ich bei Tagesanbruch zum Kaiserpalast gehen. Geh du jetzt dorthin, damit du, sobald die Türhüter öffnen, ihnen unser Kommen meldest.« Er aber machte sich sofort an die Erfüllung seines Auftrags. 4 Die Frauen aber gelangten zum Heiligtum des Hierarchen Nikolaos, das man bis heute noch gewöhnlich »Refugium« nennt, gleich neben der Großen Kirche46, welches vor ganz langer Zeit zur Rettung der von Anklagen Betroffenen dort erbaut worden ist, indem es einen Teil des Bezirks der Großen Kirche bildet, mit bestimmter Absicht, glaube ich, von den Alten angelegt, damit nämlich jeder, der von einer Anklage betroffen ist und dem es gelingt, in dieses hineinzukommen, dadurch von der Bestrafung durch die Gesetze freikommt. Denn die alten Kaiser und Caesaren haben ihren Untertanen viel Fürsorge angedeihen lassen. Der Aufseher in dieser Kirche aber schloß ihnen nicht sogleich die Türen auf, sondern erkundigte sich, wer und woher sie seien. Einer von denen, die bei ihnen waren, sagte daraufhin: »Es sind Frauen aus dem Osten. Sie haben all ihren Proviant aufgezehrt und möchten möglichst rasch ihren Wallfahrtsbesuch machen, da sie wieder nach Hause wollen.« Da schloß er sogleich die Türen auf und gewährte ihnen Einlaß. 5 Am Tage darauf berief der Autokrator, da er von dem, was die Männer [Alexios und Isaak] getan hatten, in Kenntnis gesetzt war, den Senat47 ein und hielt eine entsprechende gegen sie gerichtete Rede, wobei er den Domestikos attackierte. Dann schick43 Im Nordwesten der Stadt, bei den heutigen Stadtvierteln Ayvansaray und Egrikapi, seit frühbyzantinischer Zeit Areal mit wichtigen Kirchen- und Palastbauten. Bedeutende Gebäudereste (allerdings aus späterer Zeit) sind erhalten (Tekfursaray). Vgl. Janin, Constantinople 57-58; Müller-Wiener, Bildlexikon 244-247; Berger, Patria 534-542. 44 Hagia Sophia, knapp 1 km vom Konstantinsforum entfernt. 45 Die Vierzig Märtyrer von Sebaste besaßen in Konstantinopel mehrere Kirchen, die ihnen geweiht waren. Hier ist diejenige an der Hauptstraße der Stadt, der Mese, gemeint, die auf dem Weg vom Konstantinsforum zur Hagia Sophia lag. Zu ihr vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 483-184 (Nr. 3). 46 Ein Annex der Hagia Sophia, heute nicht mehr vorhanden. Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 368-369 (Nr. 3); Berger, Patria 430432. 47 Zu dieser Zeit ein rein informelles Gremium, dem die höchsten Beamten der Hierarchie angehörten.

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te er den Stravoromanos 4 " Geheißenen und einen Mann namens Euphemianos'" hin zu den Frauen und forderte sie auf, in den Kaiserpalast zu kommen. Die Dalassene aber entgegnete ihnen: »Sagt dem Autokrator: Meine Söhne sind treue Diener deiner Kaiserlichen Majestät; sie haben ihr in allen Stücken bereitwillig gedient und dabei weder ihr Leben noch ihre körperliche Gesundheit geschont, indem sie immer in vorderster Linie tapfer für dich als Souverän gekämpft haben. Der gegen sie gerichtete Neid indessen, der das ihnen erwiesene Wohlwollen und die Fürsorge deiner Kaiserlichen Majestät nicht ertragen konnte, hat ihnen Stunde um Stunde gefährliche Fallen gestellt; als man dann aber sogar plante, ihnen die Augen auszustechen, haben sie davon erfahren und diese ihnen ganz ungerechterweise drohende Gefahr nicht einfach hingenommen, sondern haben die Stadt verlassen, nicht als Rebellen, sondern als treue Diener; denn zum einen entkamen sie so der unmittelbar drohenden Gefahr, und zum anderen wollten sie dich als Souverän von dem gegen sie geschmiedeten Komplott in Kenntnis setzen und die nötige Hilfe von Seiten deiner Kaiserlichen Majestät erbitten.« 6 Jene aber bedrängten sie heftig mit ihrer Forderung mitzukommen. Unwillig darüber aber sagte die Frau zu ihnen: »Gestattet mir, in die Kirche Gottes hineinzugehen, um mein Gebet zu verrichten. Denn es wäre doch widersinnig, wenn ich jetzt, wo ich bis an die Tore gelangt bin, nicht hineinginge und mich der unbefleckten Herrin und Gottesmutter nicht als Fürbitterin bei Gott und dem Herzen des Basileus bediente.« Vor der plausiblen Forderung der Frau hatten die Unterhändler Achtung und erlaubten ihr den Eintritt. Sie aber ging mit langsamem Schritt, wie vom Alter und ihrem Kummer geschwächt, vielmehr jedoch spielte sie die Schwache, und als sie in die Nähe des Eingangs zum heiligen Altarraum gekommen war und zwei Kniefalle vollzogen hatte, da setzte sie sich beim dritten auf den Boden, klammerte sich fest an die heiligen Türen50 und rief dazu: »Wenn man mir nicht die Hände abschlägt, dann verlasse ich das heilige Haus nicht, wenn ich nicht das Kreuz des Basileus51 als Unterpfand meiner Unversehrtheit erhalte.« 7 Stravoromanos aber zog das Brustkreuz hervor, das er trug, und gab es ihr. Sie jedoch: »Nicht von euch verlange ich die Bestätigung, sondern vom Basileus selbst erbitte ich die genannte Garantie. Und ich werde auch nicht einfach akzeptieren, wenn man mir ein kleines Kreuz gibt, sondern nur eines von bedeutender Größe.« Das

48 Einer der engsten Vertrauten des Kaisers Botaneiates. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 189 (S. 282-283). 49 Nur hier erwähnt, sonst unbekannt. 50 In den orthodoxen Kirchen trennen drei zweiflüglige, zu jener Zeit nur halbhohe Türen den Altarraum von der übrigen Kirche. 51 Das vom Basileus getragene Brustkreuz mit Reliquie.

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Buch II, Kapitel 5 § 7 - 8

verlangte sie, damit die eidliche Garantie ihr gegenüber augenfällig werde; denn wenn das Versprechen auf ein kleines Kreuzlein geleistet würde, dann würde das dadurch Garantierte von den meisten eventuell gar nicht beachtet werden. »An seinen Urteilsspruch und an seine Barmherzigkeit appelliere ich. Geht, meldet ihm das.« 8 Ihre mit Isaak verheiratete Schwiegertochter 52 aber (sie war nämlich schon vorher in die Kirche gelangt, sobald die Tore für den morgendlichen Hymnus geöffnet worden waren) schlug den Schleier zurück, der ihr Gesicht bedeckte, und sagte zu ihnen: »Mag sie immerhin, wenn sie will, von hier fortgehen; wir aber verlassen die Kirche nicht ohne Garantie, und wenn wir hier sterben müßten.« Als sie nun den entschlossenen Widerstand der Frauen sahen und auch, daß sie ihnen mit kühnerem Selbstbewußtsein als vorher begegneten, und da sie befürchteten, es werde zu einem Tumult kommen, gingen sie davon und meldeten alles dem Basileus. Dieser, von Natur aus gutmütig und auch milder gestimmt durch die Worte der Frau, schickte das verlangte Kreuz zu ihr, wodurch er ihr allen Grund zur Zuversicht gab. Und nachdem sie auf diese Weise die heilige Kirche Gottes verlassen hatte, befahl er, sie solle zusammen mit ihren Töchtern und Schwiegertöchtern im Nonnen-Kloster in den Petria53 festgehalten werden, das in der Nähe des Eisernen Tores liegt54. Und er ließ auch die Mutter 55 ihrer Schwiegertochter, die ihrerseits die Schwiegertochter des Kaisars Ioannes 56 war (sie trug den Titel Protovestiaria") aus der Kirche in den Blachernai holen, die dort im Namen unserer Herrin, der Gottesmutter, erbaut ist58, und

52 Eirene »die Alanin«, Cousine der Kaiserin Maria. Sie war mit Isaak Komnenos verheiratet worden, nachdem dieser im Jahre 1072 mit seiner Mutter Anna Dalassene vom damaligen Kaiser Michael VII. aus der Verbannung auf der Insel Prinkipos zurückgeholt worden war. 53 Kloster bei der Kirche der Hl. Euphemia im Stadtbezirk Petria (Petrion) am Goldenen Horn. Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 127-129 (Nr. 6); Berger, Patria 489-492. 54 Zu den Schwierigkeiten der Identifizierung dieses Klosters und des Tores vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 397. 55 Maria »die Bulgarin« (Enkelin des letzten bulgarischen Zaren Samuel) war mit Andronikos Dukas, dem Sohn des Kaisars Ioannes Dukas, verheiratet. Ihre Tochter Eirene war Gattin des Alexios Komnenos und somit Schwiegertochter der Anna Dalassene. Die Verbindung der Komnenen zum bulgarischen Zarenhaus war schon älter; eine Tochter des letzten Zaren Ivan-Vladislav (1014-1018) war mit Isaak I. Komnenos verheiratet. Zu Maria vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 122 (S. 192-194). 56 Bruder Konstantins X. Dukas und damit Onkel Michaels VII. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 88 (S. 138-145). 57 Das oberste Kämmerinnen-Amt bei der Kaiserin, vgl. Guilland, Recherches 1217. Die Formulierung Annas spricht gegen Dölgers Annahme (rez. Buckler 302), Maria werde nur deshalb »Protovestiaria« genannt, weil ihr Gatte Andronikos Dukas (vgl. zu ihm Polemis, Doukai, Nr. 21 [S. 55-59]) den Titel eines »Protovestiarios« besaß. 58 Das berühmteste Heiligtum der Gottesmutter in Konstantinopel, das mehrere Reliquien und ein wundertätiges Bild Marias besaß. Heute ist nur noch das »Hagiasma« (heilige Quelle) erhalten. Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 161-171 (Nr. 17); Berger, Patria 536-539.

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Buch II, Kapitel 5 § 8-Kapitel 6 § 2

gab Anweisung, daß auch sie sich im genannten Kloster in den Petria aufhalten solle. Außerdem ordnete er an, daß ihre Vorratsräume, Getreidespeicher und alle Magazine in unberührtem Zustand zu belassen seien. 9 Jeden Morgen nun suchten beide Frauen die Wächter auf und fragten sie, ob sie etwas von ihren Söhnen gehört hätten. Sie aber benahmen sich ihnen gegenüber ganz offenherzig und erzählten ihnen alles, was sie hörten. Die Protovestiaria, die großzügig gab und dachte, wollte die Wächter ganz auf ihre Seite bringen und gestattete ihnen deshalb, sich von den Nahrungsmitteln für ihren eigenen Gebrauch zu nehmen, soviel sie nur wollten; es war ihnen nämlich gestattet, sich die Dinge des täglichen Bedarfs ohne jede Einschränkung kommen zu lassen. Dadurch wurde die Mitteilungsbereitschaft der Wächter noch mehr gesteigert, und da diese alles berichteten, blieb ihnen von da an nichts mehr verborgen. VI So stand es nun um die Frauen. Die Rebellen aber erreichten das Tor am Brachionion von Blachernai5', und nachdem sie die Riegel zerbrochen hatten, gelangten sie sicher zu den kaiserlichen Marställen". Und einen Teil der Pferde ließen sie dort zurück, nachdem sie ihnen vorher die Hinterfuße von den Schenkeln an mit dem Schwert abgeschlagen hatten, die anderen aber, soweit sie ihnen brauchbar schienen, nahmen sie mit und gelangten rasch zu dem in der Nähe der Großen Stadt gelegenen Kloster, das den Namen Kosmidion trägt". Dort nämlich, um das hier einzuschieben und damit unsere Darstellung im folgenden klarer wird, trafen sie die oben erwähnte Protovestiaria, bevor der Basileus sie holen ließ, wie eben erzählt worden ist, und verabschiedeten sich von ihr, als sie von dort aufbrachen, und überredeten Georgios Palaiologos'2, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, und zwangen ihn, mitzukommen. 2 Sie hatten dem Manne ihre Pläne nämlich aus einem sehr verständlichen Verdacht heraus noch nicht offenbart; denn der Vater dieses Georgios63 war dem Basileus in besonderer Weise ergeben, und die Enthüllung der Rebellion war ihm gegenüber nicht ungefährlich. Zuerst verhielt sich

59 Dieses Vorwerk mit dem Namen »Brachionion« (in anderen Quellen auch »Brachiolion«) wurde durch die unter Herakleios 627 erbaute Blachernai-Mauer und die unter Leon V. im Jahr 813 an dieser Stelle davorgesetzte äußere Mauer gebildet. Vgl. Janin, Constantinopk 266, 285. 60 Diese lagen hier außerhalb der Stadtmauer. 61 Kloster der Heiligen Kosmas und Damianos auf den Hügeln des heutigen Vororts Eyüp. Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique I, 3, S. 286-289 (Nr. 6). 62 Verheiratet mit Anna Dukaina, der Tochter des Andronikos Dukas und Maria »der Bulgarin«. Da Alexios Komnenos mit Eirene, der Schwester der Anna Dukaina, verheiratet war, war Georgios Palaiologos sein Schwippschwager. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 69 (S. 99-105). 63 Nikephoros Palaiologos; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 151 (S. 245-247).

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Buch II, Kapitel 6 § 2 - 4

Palaiologos ihnen gegenüber sehr widerstrebend, indem er viele Einwände vorbrachte und sie wegen ihres Mißtrauens ihm gegenüber schalt und dafür, daß sie erst nachträglich, wie es so schön heiße", Vernunft angenommen hätten und ihn hinzuzögen. Als aber auch die Protovestiaria, die Schwiegermutter des Palaiologos, ihm sehr zusetzte, er solle mit fortreiten, und ihm schreckliche Dinge androhte, ließ er sich erweichen. 3 Er kümmerte sich dann zunächst um die Frauen, seine Gattin Anna und Maria, seine Schwiegermutter, die aus der vornehmsten Familie der Bulgaren stammte, an Schönheit aber und ebenmäßigem Wuchs der Glieder und Körperpartien ein solches Maß auf sich vereinigte, daß zu ihrer Zeit keine gesehen wurde, die schöner gewesen wäre als sie. Nicht gleichgültig also war ihr Schicksal dem Palaiologos und dem Alexios. Und auch die Begleiter des Alexios äußerten ihre Meinung, nämlich man solle die Frauen von dort fortbringen, und die einen stimmten dafür, sie in eine Festung, Palaiologos hingegen war dafür, sie in die Kirche der Gottesmutter in den Blachernai zu bringen. Und es setzte sich die Meinung des Georgios durch. Also brachen sie sofort mit ihnen auf und vertrauten sie der allerreinsten Mutter des alles umfangenden Logos65 an. Sie selbst aber kehrten dorthin zurück, von woher sie aufgebrochen waren, und berieten darüber, was sie tun sollten. Palaiologos sagte: »Ihr müßt fort von hier; ich komme so schnell wie möglich nach und bringe das Geld mit, das ich zur Verfügung habe.« Er hatte nämlich gerade sein gesamtes Vermögen, soweit es unter die bewegliche Habe gerechnet wird, dort [im Kosmidion-Kloster] als Depositum liegen. So machten sie sich nun ohne Zaudern auf den Weg, den sie sich vorgenommen hatten; er aber lud seine Habe auf die Lasttiere der Mönche und zog hinter ihnen her. Und es gelang ihm, zusammen mit ihnen bis nach Tzurulos" durchzukommen (auch das ist ein Dorf in Thrakien), und dort konnten sich durch einen glücklichen Zufall alle mit den Truppen vereinigen, die auf Befehl des Domestikos dort eintrafen. 4 Da sie es nun für richtig hielten, von dem, was ihnen widerfahren war, Ioannes Dukas, dem Kaisar,'7 der sich draußen auf seinen Ländereien in Morobundu 68 aufhielt, Nachricht zu geben, schickten sie jemanden dorthin, der ihm ihre Rebellion melden sollte. Der Bote, der die Nachricht überbrachte, kam dort im Morgengrauen an und blieb draußen vor der Tür des Anwesens, indem er nach dem Kaisar verlangte. Als ihn aber dessen Enkel Ioannes" erblickte, der

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Vgl. Leutsch-Schneidewin II 10. Theologische Formel für Jesus Christus. Vgl. oben Anm. 31. Zu Ioannes Dukas vgl. Buch I, Anm. 103. In Thrakien, westlich des Flusses Evros (Hebros) gelegen. Bruder der Eirene Dukas und damit Schwager des Alexios; vgl. Polemis, Dottkai,

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noch jung und noch nicht einmal im Jünglingsalter war und daher unzertrennlich am Kaisar hing, rannte er ins Haus, weckte ihn aus seinem Schlaf auf und verkündete ihm die Rebellion. Dieser aber hatte das kaum gehört, da gab er auch schon seinem Enkel eine Ohrfeige, sagte noch, er solle nicht so ein dummes Zeug reden, und schickte ihn fort. Der jedoch kam nach kurzer Zeit wieder herein und überbrachte ihm dieselbe Nachricht, wobei er auch noch die Botschaft hinzufugte, welche die Komnenen für ihn bestimmt hatten. 5 Die Botschaft enthielt unter anderem auch eine sehr feine Stelle, welche auf die Usurpation anspielte: »Wir«, so hieß es, »haben eine schöne Speise angerichtet, und auch nicht ohne Gewürz; wenn du aber am Festmahl teilhaben möchtest, dann komm auf dem schnellsten Wege, um am Schmaus teilzunehmen.« Da nun setzte er sich auf, stützte sich auf den rechten Ellenbogen und gab Befehl, den von dort gekommenen Boten hereinzufuhren. Als dieser aber alles, was die Komnenen betraf, berichtet hatte, sagte der Kaisar »O weh« und schlug sogleich die Hände vor die Augen. Nachdem er dann eine Zeitlang auch seinen Schnurrbart gezwirbelt hatte, da er in kürzester Zeit viele Überlegungen anstellen mußte, konzentrierte er sein Denken auf den einen Punkt, ob auch er an der Rebellion teilnehmen solle. Und er ließ sofort die Pferdeknechte kommen, stieg auf sein Pferd und machte sich auf den Weg zu den Komnenen. 6 Und als er unterwegs einen gewissen Byzantios70 traf, der eine beträchdiche Summe Goldes bei sich hatte und auf dem Weg in die Große Stadt war, da stellte er ihm die berühmte homerische Frage: »Wer und wes Volkes bist du?«71 Und nachdem er von ihm erfahren hatte, daß er viel Gold aus Steuereinnahmen bei sich hatte und daß er auf dem Weg war, dieses zum Fiskus72 zu bringen, nötigte er ihn, mit ihm zusammen die Nacht zu rasten, indem er ihm versprach, bei Tagesanbruch könne er gehen, wohin er wolle. Als dieser sich aber widersetzte und darüber ungehalten war, legte sich der Kaisar noch heftiger ins Zeug und überzeugte ihn durch Zureden; denn er war ja ein Redner, dem die Worte nur so dahinflössen und der sehr gut argumentieren konnte, er hatte die Uberredungsgabe auf seiner Zunge wie ein zweiter Aischines oder Demosthenes. Er nahm diesen Mann also mit und stieg in einer kleinen Herberge ab, erwies ihm Freundlichkeiten auf jede Weise, lud ihn an seine Tafel und bewirtete ihn gut und hielt den Mann bei sich fest. 7 Kaum aber war der Tag angebrochen, zu der Zeit, wo die Sonne sich

Nr. 25 (S. 66-70). Leib, Alexiade I 81, Anm. 1 (S. 82) plädiert dafür, diesen Ioannes als einen Urenkel des Kaisars anzusehen. 70 Ich fasse »Byzantios« als Eigennamen auf; theoretisch könnte »Byzantios« auch die Bedeutung »Bewohner von Byzantion« (= Konstantinopel) haben. 71 Homer, Odyssee 19, 105. 72 Zum hier verwendeten Terminus kottön vgl. Dölger, Finanzverwaltung 25, Anm. 3.

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anschickt, den Horizont im Osten zu erreichen, da sattelte Byzantios die Pferde und war ungeduldig darauf aus, geradewegs nach Byzantion zu reiten. Als ihn der Kaisar erblickte, sagte en »Ach laß doch und reise mit uns zusammen.« Da dieser nicht wußte, wohin er [der Kaisar] reiten wollte, und auch den Grund nicht kannte, aus welchem er einer so freundlichen Behandlung für würdig befunden wurde, sträubte er sich wiederum, und der Kaisar und die Freundlichkeiten des Kaisars kamen ihm verdächtig vor. Dieser aber insistierte und wollte ihn mit sich fortziehen; als jener nicht gehorchte, änderte er seine Haltung und bediente sich ihm gegenüber härterer Worte, indem er ihm drohte, falls er dem Befehl nicht nachkommen wolle. Als dieser jedoch nicht gehorchte, gab er Befehl, alle Lasttiere, die ihm gehörten, mit seinen eigenen zusammenzutun und sich auf den Weg zu machen; ihm aber stellte er frei zu gehen, wohin er wolle. Dieser gab den Gedanken, den Kaiserpalast zu betreten, völlig auf, da er Angst hatte, eventuell sogar eingesperrt zu werden, wenn ihn die Beamten des kaiserlichen Fiskus mit leeren Händen sähen, andererseits aber wollte er auch nicht umkehren, weil aufgrund der sich bereits klar abzeichnenden Revolte der Komnenen Unsicherheit und Verwirrung über die politischen Verhältnisse gekommen waren, und so begleitete er gegen seinen Willen den Kaisar. 8 Da begab sich durch Zufall folgendes: Als der Kaisar dabei war aufzubrechen, traf er auf Türken, die gerade den Fluß namens Evros73 überschritten. Indem er nun den Zügel anzog, erkundigte er sich, woher und wohin des Weges sie seien, und er versprach zugleich, ihnen viel Geld zu geben und ihnen mannigfache Gunst zu erweisen, wenn sie zusammen mit ihm zum Komnenos zögen. Sie nun gingen sogleich darauf ein, und er seinerseits forderte von ihren Anführern einen Eid, da er der Vereinbarung dadurch eine solide Basis geben wollte. Sie aber leisteten sogleich den Eid, wie es üblich war, wobei sie die Zusicherung gaben, aus vollem Herzen Bundesgenossen des Komnenen sein zu wollen. 9 Und so nahm er denn auch die Türken mit und machte sich auf den Weg zu den Komnenen. Sie aber erblickten ihn schon von weitem, bewunderten über die Maßen seine neue Beute, allen voran mein Vater Alexios, und wußten vor Freude kaum, was sie tun sollten; er [Alexios] aber kam dem Kaisar entgegen, umarmte ihn und hieß ihn willkommen. Wie ging es weiter? Sie machten sich, da der Kaisar das empfahl und darauf drängte, auf den Weg in die Kaiserstadt. 10 Alle Bewohner der kleineren Städte auf dem Lande traten spontan zu ihm über und akklamierten ihm als Basileus außer den Leuten aus Orestias7"; diese näm-

73 In Thrakien, bulg. Maritza, im Unterlauf heute Grenzfluß zwischen Griechenland und der Türkei. 74 Antikisierende Bezeichnung der Stadt und des Umlandes von Adrianopel (jetzt Edirne).

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lieh standen auf Seiten des Botaneiates, da sie ihm noch von früher wegen der Gefangennahme des Bryennios gram waren75. Als sie dann nach Athyras76 kamen, machten sie dort Rast, brachen dann am nächsten Tag von dort auf, kamen bis nach Schiza (auch das ist ein Dorf in Thrakien)77 und schlugen dort ihr Lager auf. VII Alle warteten voller Spannung, was die Zukunft bringen würde, und alle wollten den von ihnen erhofften Mann als Basileus ausgerufen sehen. Die meisten wünschten Alexios die Macht, aber auch die Parteigänger Isaaks waren nicht untätig, indem sie versuchten, nach Möglichkeit alle für sich zu gewinnen. So herrschte denn, so sah es jedenfalls aus, ein unversöhnlicher Konkurrenzkampf, da die eine Partei unbedingt den einen, die andere Partei hingegen den anderen zum Steuermann auf der kaiserlichen Kommandobrücke haben wollte. Es waren da aber auch die angeheirateten Verwandten des Alexios zugegen, der oben erwähnte Kaisar Ioannes Dukas, ein im Planen und im Ausfuhren sehr fähiger und geschickter Mann, den auch ich gerade noch aus eigener Anschauung gekannt habe, sowie Michael und Ioannes, seine Enkel7', vor allem aber der mit ihrer Schwester verheiratete Georgios Palaiologos; sie halfen ihnen und kämpften für sie, sie beeinflußten alle in ihrem Sinne, sie legten sich voll ins Zeug, wie man so sagt79, und setzten geschickt alle Mittel ein, damit Alexios zum Kaiser ausgerufen werde. Und sie brachten allmählich die Stimmung aller dorthin, wo sie sie haben wollten, und so kam es denn, daß die Zahl der Parteigänger Isaaks allmählich abnahm. 2 Denn wo der Kaisar Ioannes war, konnte niemand von allen mehr dagegenhalten; denn er hatte nicht seinesgleichen an Gewicht des Verstandes, an Stattlichkeit der körperlichen Erscheinung und an Wohlgestalt, die »würdig eines Herrschers war«10. Was taten die Dukas nicht alles? Was sagten sie nicht alles? Was versprachen sie nicht an Vorteilen sowohl den Offizieren

75 Bryennios stammte aus dieser Gegend und genoß daher dort besondere Sympathie. 76 Festung an der gleichnamigen Bucht des Marmara-Meeres, deren enger Sund auf einer Brücke überquert werden kann, jetzt Büyük (^ekmece. 77 Heute Yanm Burgaz. 78 Zu Ioannes vgl. oben Kap. 6 § 4 mit Anm. 69. Wenn Ioannes noch so jung war, wie dort angegeben, ist es, wie Polemis richtig bemerkt, unwahrscheinlich, daß er hier bei der Proklamation des Alexios in Schizä eine besondere Rolle gespielt haben könnte. Zu Michael Dukas, dem älteren Bruder, vgl. Polemis, Doukai, Nr. 24 (S. 63-66). 79 Sprichwörtliche Wendung, wörtl. »sie lösten alle Taue«; vgl. Leutsch-Schneidewin 1372. 80 Geflügelter Ausdruck, vgl. Eur. frg. 15, 2 Nauck2. Ioannes Dukas war von den Truppen des Usurpators Roussel von Bailleul 1074 zum Basileus proklamiert worden. Nach der Niederlage der Aufständischen durch türkische Truppen und ihrem Loskauf aus der Gefangenschaft trat Ioannes Dukas vorsorglich in den Mönchsstand, um auf diese Weise schärferen Sanktionen seitens Michaels VII., seines regierenden Neffen, zu entgehen.

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als auch den Heeresmannschaften für den Fall, daß Alexios zur Höhe der Kaiserwürde aufsteigen werde, indem sie sagten: »Er wird euch mit großen Geschenken und hohen Ehrenstellungen belohnen, wie es jedem einzelnen zukommt, und nicht aufs Geratewohl, wie es die dummen und unerfahrenen Führer tun; denn er hat ja schon seit geraumer Zeit als euer Stratopedarch81 fungiert und als Großdomestikos des Westens; er hat dasselbe Salz wie ihr gegessen, als er zusammen mit euch in Hinterhalten und in offenen Feldschlachten tapfer kämpfte; weder seine Haut noch seine Glieder noch gar sein Leben selbst hat er geschont, wenn es um eure Rettung ging, oft hat er mit euch Gebirge und Ebenen durchquert, hat die Strapazen der Schlachten erfahren und kennt euch insgesamt und jeden einzelnen genau, ein »Liebling des Ares« und selber wiederum voller Liebe für die tapferen unter seinen Soldaten.« 3 So weit die Dukas. Alexios aber behandelte Isaak sehr ehrerbietig, indem er ihm in allen Dingen den Vortritt ließ, sei es aus brüderlicher Liebe oder vielmehr, was man ja durchaus auch sagen muß: Weil das ganze Heer sich um ihn scharte und darauf drang, daß er Kaiser würde, an Isaak aber in gar keiner Weise Interesse zeigte, und er so in einer Position der Macht und Überlegenheit war, und weil er sah, daß die Sache für ihn ganz nach Wunsch lief, deshalb wollte er den Bruder dadurch trösten, daß er ihm die Kaiserwürde antrug, wobei ihm ja daraus nichts Unliebsames erwachsen würde, wenn er vom gesamten Heer mit mächtigem Schwung in die hohe Stellung getragen würde und seinerseits mit Worten dem Bruder schmeichelte und vorgäbe, er wolle ihm den Vortritt in der Machtstellung lassen. 4 Während auf diese Weise geraume Zeit verstrich, versammelte sich die gesamte Armee um das Zelt, und alle waren äußerst gespannt; jeder betete darum, daß sein Wunsch in Erfüllung gehen möge. Da stand Isaak auf, nahm den purpurgefarbten Stiefel82 und wollte ihn seinem Bruder über den Fuß streifen. Als dieser sich aber mehrfach weigerte, sagte er: »Laß ab, dich zu weigern, durch dich will Gott unsere Familie berufen.« Damit erinnerte er ihn an das, was derjenige ihm gegenüber prophetisch geäußert hatte, der einmal in der Gegend des sogenannten Karpianos-Viertels'3 aufgetaucht war, als die beiden Brüder auf dem Heimweg vom Kaiserpalast waren. 5 Als sie nämlich bis dorthin gekommen waren, begegnete ihnen ein Mann, entweder ein höheres Wesen oder jedenfalls ein Mensch, der wahrhaftig in besonderer Weise befä-

81 Zu diesem militärischen Titel und Rang vgl. Guilland, Recherches I 498-521. 82 Als Zeichen der Kaiserwürde; vgl. Treitinger, Kaiser- und Reichsidee 25, Anm. 3. 83 Gebäudekomplex in Konstantinopel am Goldenen Horn. Solche Viertel und die dort befindlichen Kirchen trugen sehr oft den Namen ihres Erbauers, in diesem Fall angeblich eines Patrikios aus dem 7. Jahrhundert (so Patria Const. 235, 12-14 Preger). Vgl. Janin, Cotistantinopk 368; Berger, Patria 455-456.

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higt war, Zukünftiges vorauszusehen. Er sah äußerlich aus wie ein Priester, wie er da mit bloßem Haupt auf sie zukam, mit weißem Haar und zottigem Bart; er faßte das Bein des Alexios, zog ihn (den Reiter, denn er war zu Fuß) zu sich herab und zitierte ihm ins Ohr folgendes Wort aus dem Psalter Davids: »Mache dich auf, geh deinen Weg und sei König um der Wahrheit willen, der Sanftmut und der Gerechtigkeit.«84 Und er fügte seiner Rede noch die Anrede hinzu: »Autokrator Alexios.« Nach diesen gleichsam prophetischen Worten verschwand er. Und Alexios gelang es nicht, seiner habhaft zu werden, obwohl er sich nach allen Seiten suchend umsah, ob er ihn nicht irgendwo erblicken könne, und obwohl er auch in vollem Galopp hinter ihm hersprengte und versuchte, ob er ihn nicht zu fassen bekäme, um genauer zu erfahren, wer und woher er sei. Doch alles vergebens: Die Erscheinung blieb verschwunden. 6 Als er dann von der Suche zurückgekommen war, stellte ihm sein Bruder Isaak viele Fragen bezüglich der Erscheinung und forderte ihn auf, ihm das Geheimnis zu offenbaren; und als Isaak ihm mit seinem Verlangen immerfort zusetzte, machte Alexios zunächst den Eindruck, als wolle er sich weigern, dann aber schließlich verriet er ihm, was ihm insgeheim gesagt worden war. Nach außen und dem Bruder gegenüber erklärte er das Gesagte als eine trügerische Erfindung und bezeichnete es sogar als eitle Lüge, wenn er aber den verehrungswürdigen Mann, der ihm erschienen war, vor sein Inneres zog, verglich er ihn mit dem Sohn des Donners, dem Theologen85. 7 Da Isaak aber sah, daß die Prophezeiungen des Alten und das, was er mit Worten gesagt hatte, Wirklichkeit wurden, insistierte er weiter, indem er ihn noch heftiger bedrängte, und zog ihm den rot gefärbten Stiefel über; das tat er vor allem auch deshalb, weil er das glühende Verlangen der gesamten Armee sah, die Alexios wollte. Und sofort danach begannen die Dukas mit der Akklamation, einmal weil auch sie den Mann akzeptierten, insbesondere aber deshalb, weil ihre Verwandte Eirene, meine Mutter, nach dem Gesetz mit meinem Vater verbunden war86. Zugleich mit ihnen taten dasselbe bereitwillig auch alle, die aus demselben Blute wie er entsprossen waren. Das übrige Heer aber nahm die Akklamation a u f 7 und ließ seine Stimme bis fast hinauf zum Himmel erschallen. Und man konnte so ein merkwürdiges Ge84 Ps. 44,5. 85 Beides Beinamen des Evangelisten Ioannes, die die Tiefe seiner Gedanken und die Macht und W u c h t seiner Rede herausstellen. Vgl. Du Cange, Notae 456-457. 86 Die Unterstützung des Dukas-Clans bezog sich nur auf Alexios und nicht auf irgendein anderes Mitglied der Komnenen-Familie. Nur durch die mit Alexios verheiratete Eirene Dukaina konnte die Familie den unmittelbaren Zugriff auf den Kaiserthron gewinnen. 87 Die Akklamation ist hier zeremonieller Akt und Teil der Kaiser-Proklamation; man wünscht dem neuen Kaiser in Sprechchören ein langes Leben (»viele Jahre«). Vgl. Treitinger, Kaiser- und Reichsidee 35 ff.

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schehen beobachten: Die vorher verschiedener Meinung waren und lieber den Tod gewählt hätten, als in ihrem Verlangen enttäuscht zu werden, waren von einem Augenblick zum anderen einer Meinung, und zwar so sehr, daß man nicht einmal erkennen konnte, daß es überhaupt vorher eine Spaltung zwischen ihnen gegeben hatte. VIII Während sich das zutrug, lief ein Gerücht um über Melissenos'8, das besagte, er sei mit einem beträchtlichen Heer bei Damalis8' angekommen und ihm werde bereits als Basileus akklamiert, er trage auch das Purpurgewand; sie aber [die Komnenen] hatten zunächst keine Veranlassung, dem, was da gesagt wurde, zu glauben. Da jedoch auch er [Melissenos] von den Vorgängen bei ihnen erfuhr, schickte er sogleich Gesandte zu ihnen, die auch sofort nach ihrer Ankunft das an sie gerichtete Schreiben aushändigten, das etwa folgendermaßen lautete: 2 »Gott hat mich mit dem unter meinem Befehl stehenden Heer heil bis nach Damalis kommen lassen. Ich habe auch erfahren, wie es euch ergangen ist, wie ihr durch die Fürsorge Gottes aus der Mißgunst jener Sklaven und den gegen euch geplanten schlimmen Anschlägen errettet worden seid und selbst für euer eigenes Heil gesorgt habt. Da aber auch ich, was mein Verhältnis zu euch angeht, durch den Willen Gottes in enger verwandtschaftlicher Beziehung zu euch stehe90, was aber meine Gesinnung und die unverbrüchliche Liebe zu euch angeht, hinter keinem eurer Blutsverwandten zurückstehe, wie der über alles richtende Gott weiß, deshalb müssen wir gemeinsam darauf schauen, daß wir uns eine sichere und unerschütterliche Stellung verschaffen, damit wir nicht von jedem Windhauch hin- und hergeworfen werden, sondern durch eine kluge Handhabung der Kaiserherrschaft den Fuß auf ein sicheres Fundament setzen. Das wird für uns dann gewährleistet sein, wenn ihr, nachdem ihr mit Gottes gnädiger Zustimmung die Stadt eingenommen habt, die Geschicke des Westens lenkt, wobei einer von euch [als Kaiser] ausgerufen wird, ihr mir aber einräumt, daß ich die Verwaltung Asiens zugesprochen bekomme, wobei ich zusammen mit demjenigen von euch, der proklamiert wird, die Krone trage, mich in Purpur kleide und proklamiert werde, wie es für die Kaiser Brauch ist, so daß man uns gemeinsam akklamiert und daß wir, mögen auch die Bereiche und die

88 Nikephoros Melissenos entstammte einer mächtigen Magnatenfamilie aus Kleinasien. Er hatte sich der Rebellion des Botaneiates gegen Michael VII. nicht angeschlossen und war daher von Botaneiates verbannt worden. Jetzt hatte er sich mit Hilfe türkischer Truppen in Rebellion gegen Botaneiates großer Teile West-Kleinasiens bemächtigt und sich von seinem Heer zum Basileus ausrufen lassen. Vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 111 (S. 88-89). 89 Gegenüber von Konstantinopel auf der asiatischen Seite des Bosporos gelegen, später Skutari, heute Usküdar. 90 Melissenos war mit Eudokia, einer Schwester des Alexios, verheiratet, also sein Schwager.

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Zuständigkeiten zwischen uns aufgeteilt sein, ein und denselben Willen haben. Wenn wir uns so einrichten, dürfte die Kaiserherrschaft ohne innere Unruhen durch beide gemeinsam ausgeübt werden.« 3 Nachdem die Gesandten das übermittelt hatten, erhielten sie noch nicht sogleich eine endgültige Antwort. Am Tage darauf ließen sie [die Komnenen] sie kommen und demonstrierten ihnen in langen Darlegungen die Unmöglichkeit der ihnen von Melissenos übermittelten Vorschläge; ihren endgültigen Entschluß würden sie ihnen, so kündigten sie ihnen an, am nächsten Tag durch Georgios mit dem Beinamen Manganes" bekanntmachen, dem sie auch ihre Betreuung anvertraut hatten. Während sich das auf diese Weise zutrug, ließen sie aber auch die Belagerung ganz und gar nicht aus den Augen, sondern machten in Geplänkeln, so gut es ging, Angriffsversuche gegen die Mauern der Stadt. Am Tage darauf aber ließen sie jene [die Gesandten] kommen und teilten ihnen ihren Entschluß mit. Dieser bestand darin, Melissenos mit der Kaisarwürde zu ehren, ihm das Diadem zu konzedieren, die Akklamation und das übrige, was diesem Rang zukommt, und ihm dazu die große Stadt des Thettalos zu geben, in welcher auch die herrliche Kirche steht, die nach dem Großmärtyrer Demetrios benannt ist, wo auch das Salböl, das aus seinem verehrungswürdigen Sarkophag emporquillt, denjenigen, die sich gläubig nahen, immerdar die größten Heilwirkungen zuteil werden läßt' 2 . 4 Sie jedoch waren damit gar nicht zufrieden, und da einerseits ihre Vorschläge nicht angenommen worden waren und sie andererseits sahen, daß der Rebell gewaltige Zurüstungen gegen die Stadt getroffen hatte, daß das Heer, das er befehligte, sehr zahlreich war und daß die Zeit für sie bereits knapp wurde, da forderten sie aus Angst, die Komnenen würden nach Einnahme der Stadt im Vollgefühl ihrer Zuversicht nicht einmal mehr bereit sein, das einzulösen, was sie jetzt versprächen, das solle schriftlich festgehalten werden in einem Chrysobull, das mit roten Lettern bestätigt sei'3. Alexios, der eben erst erschienene Basileus'4, gewährte es, ließ sogleich Georgios Manganes rufen, der auch als sein Sekretär fungierte, und trug ihm auf, das Chrysobull zu schrei-

91 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 66 (S. 96-97). 92 Thessalonike, dessen Name hier mit »Stadt des Thettalos« umschrieben ist, bekommt im 12. Jahrhundert immer mehr die Bedeutung der zweiten Stadt des Reiches hinter Konstantinopel. Zur Kirche des Stadtheiligen Demetrios und dem wundertätigen Salböl vgl. Tafrali, Topographie 168-175. - Zum Chrysobull vgl. Dölger-Wirth, Regelten 1064. 93 Das Chrysobull, das mit einem Goldsiegél versehene Dokument, war die feierlichste Form einer kaiserlichen Urkunde. Sie war nur gültig, wenn der Kaiser sie mit der ihm allein vorbehaltenen Purpurtinte unterzeichnet hatte. Zu den verschiedenen Typen dieser Urkundenform vgl. ODB sub v. ChiysobuU. Zur hier genannten Urkunde für Nikephoros Melissenos vgl. Dölger-Wirth, Regesten 1063. 94 Anna spielt damit auf die zeremonielle Gleichsetzung des Kaisers mit der Sonne an.

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ben. Dieser aber verschleppte die Sache drei Tage lang, indem er immer wieder neue Ausreden erfand; einmal sagte er, daß er sich den ganzen Tag abgemüht habe und nicht noch in der Nacht habe Schreibarbeiten ausfuhren können, ein andermal wieder, in das schon fertig Geschriebene sei nachts ein Funke gefallen und habe es zu Asche verbrannt. Indem Manganes solches und anderes vorschützte und erfinderisch ausdachte'5, schob er die Sache immer wieder bald auf diese, bald auf jene Weise vor sich her. 5 Die Komnenen nun brachen von dort auf und gelangten schnell zu den sogenannten Aretai'6. Diese Örtlichkeit liegt in der Nähe der Stadt, hoch gelegen über der Ebene, und wenn man unten steht und zu ihr hinaufsieht, erhebt sie sich als Hügel, der sich auf der einen Seite zum Meer hin senkt, auf der anderen Seite nach Byzantion zu, die beiden übrigen Seiten verlaufen nach Norden und Westen; er wird von jedem Lufthauch bestrichen, verfugt über klares Trinkwasser, das als Quelle dauernd fließt, enbehrt aber völlig des Pflanzenwuchses und der Bäume; man könnte meinen, der Hügel sei von irgendwelchen Holzfällern kahl abgeholzt worden. Wegen der Annehmlichkeit des Ortes und seines guten Klimas hat dort der Autokrator Romanos Diogenes, um ein wenig ausspannen zu können, herrliche und Kaisern anstehende Gebäude errichten lassen. Dort also angelangt, ließen sie die Mauer angreifen, nicht mit Belagerungstürmen oder Maschinen oder steinschleudernden Geschützen, da hierfür auch gar keine Zeit war, sondern mit Leichtbewaffneten, mit Bogenschützen, Lanzenträgern und mit gepanzerten Männern. IX Als Botaneiates aber sah, daß die Rebellenstreitmacht der Komnenen sehr zahlreich war und sich aus Leuten verschiedenster Herkunft zusammensetzte und daß sie sich bereits stürmisch den Toren der Stadt näherte, und als er auf der anderen Seite sah, daß Nikephoros Melissenos bereits in Damalis stand, mit einer nicht geringeren Streitmacht als jene, und in derselben Weise Anspruch auf das Kaiseramt erhob, da wußte er nicht, was er tun sollte; er konnte sich nicht gegen beide Parteien zugleich wehren und war auch aufgrund seines Alters schon etwas matt und eher ängsdich, obwohl er in seiner Jugend sehr tapfer gewesen war; so blieb ihm damals nur insoweit Raum zum Atmen, als ihn die Stadtmauer ringsum umschloß, und er neigte eher dazu, vom Amt des Basileus abzudanken. Daher herrschte auch bei allen Panik und Verwirrung, und man war der Meinung, alles werde von allen Seiten leicht einzunehmen sein. 2 Da den Komnenen indessen die Eroberung der Stadt schwierig erschien (ihre Streitkräfte setzten sich aus verschiedenen fremden 95 Im griechischen Text ein Wortspiel mit dem Namen Manganes und dem Verbum manganeuesthai (»mit Raffinesse etwas ins Werk setzen«). 96 Nicht eindeutig lokalisiert, wahrscheinlich auf der Höhe des heutigen Bakirköy ca. 3 km westlich der Landmauer gelegen. Vgl. Janin, Constantinopk 443.

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und einheimischen Kontingenten zusammen; wo es sich aber um eine inhomogene Menge handelt, da zeigt sich auch die Uneinigkeit des Wollens), und da der erst seit kurzem den neuen Stiefel" tragende Alexios die Schwierigkeit, die Stadt einzunehmen, sah und er dem wankelmütigen Sinn der Soldaten gegenüber mißtrauisch war, faßte er einen anderen Plan, nämlich mit schönen Worten und Versprechungen sich einige von den Wachen auf den Mauern gefugig zu machen und sie heimlich auf seine Seite zu ziehen und auf diese Weise die Stadt einzunehmen. 3 Nachdem er darüber die ganze Nacht nachgedacht hatte, begab er sich gleich am Morgen ins Zelt des Kaisars'8 und teilte ihm das Ergebnis seines Nachdenkens mit; gleichzeitig forderte er ihn auf, mit ihm zu kommen und die Mauern und Brustwehren zu inspizieren ebenso wie ihre Bewacher (sie setzten sich aus verschiedenen Kontingenten zusammen) und herauszufinden, auf welche Weise es möglich sei, die Stadt einzunehmen. Dieser war über den Auftrag gar nicht glücklich, da es noch nicht sehr lange her war, daß er das Mönchsgewand trug", und weil er genau wußte, daß er von den Leuten auf der Mauer und an den Brustwehren verspottet werden würde, scheute er natürlich davor zurück, sich unter diesen Umständen den Mauern zu nähern. Ebendies, was er befurchtet hatte, trat denn auch ein. Als er nämlich Alexios gezwungenermaßen begleitete, da hänselten sie ihn, kaum daß sie ihn oben von der Mauer erblickt hatten, indem sie »der Abbas«100 mit einem beleidigenden Zusatz riefen. Er aber zog die Augenbrauen zusammen und machte sich innerlich nichts daraus, daß er beleidigt wurde, sondern konzentrierte sich ganz auf das gesetzte Ziel. Es ist nämlich gewöhnlich so, daß diejenigen, die innerlich gefestigt sind, bei dem bleiben, zu dem sie sich entschlossen haben, und das, was sich äußerlich ereignet, nicht beachten. 4 Er erkundigte sich also, wer die jeweiligen Wachmannschaften auf den Türmen seien. Und als er in Erfahrung brachte, daß an der einen Stelle die sogenannten Unsterblichen standen (das ist ein ganz spezielles Corps des romäischen Heeres)101, an einer anderen die Varäger aus Thüle (mit ihnen meine ich die bekannten mit Äxten bewaffneten Barbaren)102, an wieder anderer Stelle aber die

97 Den Purpurstiefel des Kaisers. 98 Ioannes Dukas. 99 Seit 1076; vgl. oben Anm. 80. 100 Aus dem Aramäischen entlehnte ehrende Anrede und Bezeichnung für »Mönch«, entsprechend dem deutschen »Vater«. 101 Vgl. Buch I, Anm. 37. 102 Die Varägergarde bestand aus skandinavischen Söldnern (auch Russen und Engländern). Sie bildeten seit dem Jahr 988 eine dem jeweiligen Kaiser loyal ergebene Spezialtruppe mit entsprechendem esprit du corps. Ihre charakteristische Waffe war die auf der Schulter getragene Doppelaxt (vgl. Du Cange, Notae 464-465). Als »Thüle« werden in einem sehr weiten Sinne alle europäischen Nordländer bezeichnet. Vgl. O D B sub v. Varangians.

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Nemitzoi (auch das ist ein Barbarenvolk, das schon seit sehr langer Zeit in den Diensten des Romäerreiches steht)103, da gab er Alexios den Rat, weder an die Varäger noch an die Unsterblichen heranzutreten. Die einen hingen als Landeskinder des Basileus104 zwangsläufig mit großer Hingabe an ihm und würden eher ihr Leben opfern als sich dazu überreden lassen, etwas Hinterhältiges gegen ihn zu planen. Die anderen aber, die ihre Waffe auf der Schulter trügen, hätten ihre Treue den Kaisern gegenüber und den Schutz ihrer Körper als von den Vätern stammende Tradition und gleichsam als Unterpfand und Erbe jeweils vom Vater auf den Sohn übernommen, und sie hielten darum unerschütterlich an der Treue ihm gegenüber fest und würden es jedenfalls nicht einmal akzeptieren, von Verrat auch nur zu sprechen. W e n n er es hingegen bei den Nemitzoi versuchte, werde er vielleicht sein Ziel nicht verfehlen, sondern bei dem von ihnen gehaltenen Turm glücklich in die Stadt hineingelangen. 5 Daraufhin ließ Alexios sich sogleich von den Worten des Kaisars überzeugen, indem er sie wie ein göttliches Orakel aufnahm. Durch einen Unterhändler, der von ihm geschickt wurde, nahm er in umsichtiger Weise von unten Kontakt mit dem Befehlshaber der Nemitzoi auf; der beugte sich oben über die Mauer, und nach langem Hin und Her erklärte er sich bereit, die Stadt sogleich auszuliefern. Mit dieser Nachricht kehrte der Soldat zurück. Die [Männer] um Alexios hörten die unerwartete Nachricht, freuten sich darüber außerordentlich und schickten sich mit großem Eifer an, ihre Pferde zu besteigen. X Währenddessen drängten auch die Abgesandten des Melissenos ungeduldig und forderten das versprochene Chrysobull. Und sogleich wurde Manganes herbeizitiert, der es bringen sollte. Er sagte, er habe das Chrysobull fertig geschrieben, behauptete aber, das Gefäß, das für die kaiserlichen Unterschriften notwendig ist105, mitsamt der Schreibfeder verloren zu haben; er war ein undurchschaubarer Mensch, fähig, Zukünftiges leicht vorauszusehen, und aus dem Vergangenen das, was Nutzen bringen würde, zu erspüren, fähig, das Gegenwärtige scharfsinnig zu erkennen und es mit Geschick in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, und auch, Dinge zu vernebeln, wenn er nur wollte. Manganes hatte nämlich die Ausfertigung des Chrysobulls verschleppt, weil er dadurch die Hoffnungen des Melissenos noch in der Schwebe halten konnte. Wenn diesem nämlich das Chrysobull, das ihm die Kaisar-Würde gewährte, schneller, als es hätte sein dürfen, zugestellt wor103 Aus dem Slavischen entlehnte Bezeichnung für »Deutsche«. 104 Die Familie Botaneiates stammte aus dem Thema Anatolikon, dem Hauptrekrutierungsgebiet der »Athanatoi«. 105 Das goldene, kostbar geschmückte Tintenfaß zur Aufbewahrung der roten Reservattinte; vgl. D u Cange, Notae 465.

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den wäre, so fürchtete er, werde jener auf den Kaisar verzichten und sich ganz auf die Stellung eines Basileus verlegen, wie er es ja auch den Komnenen gegenüber hatte verlauten lassen, und einen kühneren Plan ins Auge fassen. Das war die Kunst und das taktische Spiel1", das Manganes beim Hinauszögern des Chrysobulls mit der Ernennung zum Kaisar anwandte. 2 Während sich das abspielte und die Zeit für den Einmarsch in die Stadt drängte, insistierten die Gesandten, die ahnten, was vor sich ging, immer heftiger und forderten das Chrysobull ein. Die Komnenen aber sagten zu ihnen: »Da wir ausrücken, um die Stadt, die wir bereits so gut wie in der Hand haben, mit Gottes Hilfe in Besitz zu nehmen, geht hin und meldet das eurem Gebieter und Herrn und sagt ihm noch folgendes dazu: Wenn die Dinge für uns gemäß unseren Erwartungen eintreffen und du uns dann aufsuchst, wird alles der natürlichen Entwicklung nach und so, wie es uns und dir lieb ist, erfolgen.« Das war ihre Antwort an die Gesandten. Georgios Palaiologos107 aber schickten sie aus zu Gilpraktos108, dem Befehlshaber der Nemitzoi, er solle die Bereitschaft des Gilpraktos auf die Probe stellen, und wenn er sehe, daß dieser bereit sei, gemäß seinem Versprechen die Komnenen einzulassen, solle er das ihm mitgeteilte Signalzeichen setzen; wenn sie das dann sähen, würden sie sich sofort zum Einmarsch bereithalten, er aber solle auf den Turm hinaufsteigen und ihnen die Tore öffnen. Dieser nun übernahm den Weg zu Gilpraktos sehr bereitwillig, da er ein Mann war, der bereit war zu Kriegstaten und Eroberungen von Städten, ja man könnte sogar das berühmte »Mauerzerstörer« für ihn verwenden, das Homer von Ares sagt109. Die Komnenen aber bewaffneten sich, formierten das gesamte Heer sehr sachkundig und rückten abteilungsweise im Schritt auf die Stadt vor. 3 Gegen Abend nun näherte sich Georgios Palaiologos der Mauer und, nachdem er ein Zeichen von Gilpraktos bekommen hatte, stieg er mit seinen Begleitern auf den Turm hinauf. Die [Männer] um Alexios, die inzwischen bis auf einen kurzen Abstand an die Mauern herangekommen waren, verschanzten sich und schlugen in aller Offenheit ein Lager auf. Dort lagerten sie einen kleinen Teil der Nacht, und dann nahmen sie selbst zusammen mit der Elite der Berittenen und dem besten Teil der Truppen den mittleren Abschnitt der Phalanx ein, ließen die Leichtbewaffneten sich formieren, rückten dann im Schritt vor und stellten sich genau zur Zeit des ersten Morgengrauens unmittelbar unter den Mauern auf. Sie nahmen die Schlachtformation ein, und sie waren allesamt voll

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Dasselbe Wortspiel wie oben, vgl. Anm. 95. Zu ihm vgl. oben Anm. 62. Dem Namen nach ein Angelsachse, nur hier erwähnt. Homer, Ilias 5, 31; 455.

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bewaffnet, um die [Leute] innerhalb [der Mauern] einzuschüchtern. Als Palaiologos ihnen aber von oben das Signal gab und die Tore öffnen ließ, strömten sie alle durcheinander hinein, nicht in militärischer Ordnung, sondern jeder so, wie es sich gerade traf, mit Schilden, Bogen und Lanzen110. 4 Das geschah am Gründonnerstag, an welchem wir das mystische Pascha opfern und verzehren, im Monat April der vierten Indiktion bzw. des 6589. Jahres"1. Und auf diese Weise drängte das gesamte Heer, das aus fremden und einheimischen Kräften, aus Landeskindern und Leuten aus den umliegenden Ländern zusammengewürfelt war, die genau wußten, daß die Stadt seit alters reich gesegnet war mit Waren aller Art, da sie zu Lande und zu Wasser ständig versorgt wurde, in kurzer Zeit durch das Charsios-Tor112 hinein; und sie [die Soldaten] zerstreuten sich in alle Richtungen, über die Hauptstraßen, die Kreuzungen und die Wohnblocks, und sie schonten weder Häuser noch Kirchen noch selbst die allerheiligsten Räume in irgendeiner Weise, sondern rafften reiche Beute von dort zusammen, wobei sie sich nur vor dem Töten" 3 zurückhielten, alles andere aber taten sie ohne jeden Skrupel und ohne Scham. Das Schlimmste aber: Nicht einmal die Landeskinder enthielten sich dieser Schandtaten, sondern vergaßen gleichsam sich selbst, änderten ihre Wesensart zum Schlechteren hin und handelten ihrerseits ganz wie die Barbaren, ohne jede Scham. XI Als der Basileus Nikephoros das sah, und auch, daß er selbst keinen Bewegungsspielraum mehr hatte, da von Westen her die Stadt belagert wurde und gleichzeitig im Osten Nikephoros Melissenos bereits bei Damalis stand, da wußte er nicht mehr, was er tun sollte, und war eher geneigt, die erste Stelle zugunsten von Melissenos freizumachen. Als aber die Stadt bereits von den Komnenen eingenommen worden war, ließ er einen seiner treuesten Diener kommen und trug ihm auf, Melissenos mit Hilfe der Flotte"4 in den Kaiserpalast115 110 Die Waffengattungen wurden dabei bunt gemischt. 111 Am 1. April 1081. Mit dem »mystischen Pascha« ist das letzte Abendmahl vor der Kreuzigung Jesu gemeint, das am Gründonnerstag vor Ostern gefeiert wird. Die Indiktion bezeichnet die Stelle des Jahres innerhalb eines 15jährigen Zyklus, der wahrscheinlich mit einer unter Diokletian 297 n. Chr. in Ägypten durchgeführten Steuerreform zusammenhängt. Die Jahreszahl 6589 bezieht sich auf die byzantinische Ära, die den aus Angaben im Alten Testament errechneten Weltanfang als Ausgangspunkt nimmt. 112 Hier also, am heutigen Edirne kapi, waren die deutschen Söldner stationiert. Zum Char(i)sios-Tor vgl. Janin, Constantinople 281-282. Von hier führte ein Zweig der Hauptstraße (Mese) in den Stadtkern. 113 Auch dazu kam es nach dem Bericht des loannes Zonaras (XVIII 20). 114 Gemeint ist nicht die gesamte Kriegsflotte, sondern die Einheiten, die dem Kaiser in Konstantinopel zur Verfügung standen. 115 Der alte Kaisetpalast, auch der »Große« Palast genannt (im Gegensatz zum unter den Komnenen favorisierten Blachernai-Palast und anderen kleineren Palästen), lag im Süd-

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zu holen; diesen begleitete ein Spatharios 11 ', ein sehr tüchtiger Kämpfer. 2 Bevor jedoch seine Anordnung ausgeführt werden konnte, war die Stadt schon erobert, und Palaiologos" 7 nahm einen seiner Leute und machte sich mit ihm zu Fuß auf den Weg hinab zum Meer. U n d als er eine Barke fand, ging er sogleich an Bord und befahl den Ruderern, das Boot dorthin zu lenken, wo die Flotte gewöhnlich vor Anker lag 1 ". Als er sich aber schon dem anderen Ufer näherte, sah er den Mann, den Botaneiates abgesandt hatte, um Melissenos herüberholen zu lassen, wie er damit beschäftigt war, die Flotte bereitzumachen, und er sah den Spatharios in einem der Kriegsschiffe. Diesen hatte er von weitem erkannt, da er seit langem mit ihm befreundet war; er ging daher längsseits, grüßte ihn auf die gewohnte Weise, fragte ihn, woher und wohin er fahre, und bat darum, ihn mitzunehmen. Der Spatharios aber, der sah, daß er ein Schwert bei sich hatte und einen Schild trug, hatte Bedenken und sagte zu ihm: »Wenn ich nicht sähe, daß du derart bewaffnet bist, würde ich dich gern mitnehmen.« Er [Palaiologos] aber erklärte sich sogleich bereit, Schild, Schwert und Helm abzulegen, wenn er ihn nur an Bord nehmen wolle. 3 Als nun der Spatharios sah, daß er die Waffen ablegte, erlaubte er ihm sogleich, sein Schiff zu betreten, und er umarmte und begrüßte ihn mit großer Freude. Palaiologos aber, ein Mann »gewaltige Taten vollbringend« 1 ", wartete auch nicht einen Augenblick, sondern schritt sogleich zur Tat. Er sprang vor zum Bug und stellte den Ruderern folgende Frage, indem er sagte: »Was tut ihr und wohin fahrt ihr und bringt damit großes Leid über euere eigenen Häupter? Die Stadt ist eingenommen, wie ihr seht. Der frühere Großdomestikos ist jetzt zum Basileus ausgerufen; und ihr seht die Bewaffneten und hört die Akklamation; für einen anderen wird kein Platz mehr sein im Kaiserpalast. Botaneiates gut und schön, aber die Komnenen sind u m vieles besser. Zahlreich ist das Heer des Botaneiates, aber vielfach überlegen ist das unsere. Ihr solltet also nicht euer eigenes Leben, eure Frauen und Kinder mutwillig preisgeben; ihr könnt doch die Stadt überblicken, ihr seht, daß das gesamte Heer in sie eingedrungen ist, und ihr seht die Fahnen, ihr hört den brausenden Ruf der Akklamation und daß der ehemalige Großdomestikos sich jetzt als Basileus dem Kaiserpalast nähert und bereits umgürtet ist mit

westen der heutigen Saray-Spitze zum Meer hin und war daher auch von See her über den Bukoleon-Hafen leicht zu erreichen. 116 Mittlerer militärischer Rang. 117 Georgios Palaiologos; zu ihm vgl. oben Kap. 10 § 2. 118 Jenseits des Goldenen Horns auf der europäischen Seite des Bosporos im Diplokionion-Hafen. 119 Von Homer geprägtes Adjektiv, vgl. Ilias 5, 403 (von Diomedes gesagt, der den Kriegsgott Ares verwundet hatte).

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dem Amt des Autokrators, also solltet ihr zurückfahren und zu ihm übergehen >lassend den Sieg zur anderen Seite sich neigenmein< gesagt oder >deinFan-Clubs< bei Wagenrennen in Konstantinopel und anderen Großstädten des Reiches. Zu diesen sogenannten Zirkus-Parteien vgl. die umfassende Untersuchung von A. Cameron, Circus Factions. Blues and Greens at Rome and Byzantium, Oxford 1976.

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Buch IV, Kapitel 2 § 2-4

Teil auch bereits aushändigte, wenn sie nur bereit seien, die Flotte ihres gesamten Landes auszurüsten und so schnell wie möglich nach Dyrrachion zu kommen, um es zu schützen und andererseits die Flotte Roberts mit aller Kraft anzugreifen. Und wenn sie gemäß dem ihnen erteilten Auftrag handelten, so sollten sie, ganz gleich ob sie mit Gottes Hilfe siegreich blieben oder ob sie (was ja geschehen könne) unterlägen, diese Geschenke bekommen, so wie es ihnen versprochen sei, genauso als ob sie einen vollständigen Sieg errungen hätten. Und alles, was sie sonst noch gern hätten, vorausgesetzt, daß es dem Reich der Romäer nicht zum Schaden gereiche, werde ihnen gegeben werden, durch Chrysobulle garantiert. 3 Als man ihnen das gesagt hatte, forderten sie ihrerseits wieder durch Gesandte alles das, was sie haben wollten, und bekamen dafür feste Garantieversprechen. Daraufhin nun rüsteten sie eine Flotte mit Schiffen aller Art aus und segelten in wohlgeordnetem Verband nach Dyrrachion ab. Und nach langer Seefahrt erreichten sie das im Namen der über allen Tadel erhabenen Gottesgebärerin vor alter Zeit erbaute Heiligtum an dem Pallia" genannten Ort, der vom Lager Roberts, das außerhalb von Dyrrachion lag, etwa 18 Stadien12 entfernt war. Als sie aber jenseits der Stadt Dyrrachion die Seestreitkräfte Roberts erblickten, ringsum geschützt durch jede Art von Kriegsgerät, da hatten sie keinen Mut mehr zur Schlacht. Nachdem Robert von ihrer Ankunft erfahren hatte, schickte er seinen Sohn Baimundos mit der Flotte zu ihnen und ließ ihnen ausrichten, sie sollten dem Basileus Michael und Robert selbst huldigen. Sie jedoch stellten die Huldigung erst für den nächsten Tag in Aussicht. Da sie wegen einer Flaute nicht in der Lage waren, bis an die Küste selbst heranzusegeln, fügten sie die größeren Schiffe zu einem festen Verband zusammen, indem sie sie mit Tauen zusammenbanden und den sogenannten »Hafen auf offener See«13 bildeten, bauten hölzerne Türme in ihrer Takelage und zogen mit Tauen die kleinen Boote, die jedem Schiff als Begleitfahrzeuge folgten, auf diese hinauf 4 . In diesen Booten ließen sie bewaffnete Männer Platz nehmen, sägten dicke Baumstämme zu Klötzen von nicht größerer Länge als eine Elle, trieben dann spitze Eisennägel in sie hinein und erwarteten so das Kommen der Franken-Flotte. 4 Als der Tag eben anbrach, kam Baimundos und verlangte die Huldigung. Sie aber stießen Beleidigungen gegen seinen Bart aus15. Das 11 Kap Pali nördlich von Dyrrachion. 12 Zu »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47. 13 Eine von den Militärschriftstellern öfter beschriebene Maßnahme, um die Nacht auf hoher See verbringen zu können. Vgl. auch Du Cange, Nolae 498-499. 14 Die Boote hingen so in der Takelage und ragten nach außen über die Bordwände hinaus, daß man von diesen Booten aus schwere Gegenstände auf angreifende Schiffe herabfallen lassen konnte, wie im folgenden geschildert wird. 15 Wie Du Cange, Notae 499-500 zu Recht betont und ausfuhrlich belegt, waren die Nor-

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ertrug Baimundos nicht, und so attackierte er sie als erster und fuhr auf die größten unter ihren Schiffen zu, und die übrige Flotte folgte ihm nach. Es entbrannte eine heftige Schlacht", und da Baimundos ihnen besonders heftig zusetzte, ließen sie einen der besagten Holzklötze von oben heruntersausen und schlugen sogleich ein Leck in das Schiff, in welchem sich Baimundos befand. Und als das Wasser von unten hereinsprudelte und sie Gefahr liefen unterzugehen, da sprangen die einen über Bord und fielen so genau dem anheim, dem sie hatten entkommen wollen, und gingen unter, die anderen aber fielen im Kampf mit den Venezianern. Er selbst aber rettete sich im Moment der höchsten Gefahr mit einem Sprung in eines seiner Schiffe. 5 Daraufhin schöpften die Venezianer noch mehr Zuversicht, warfen sich noch mutiger gegen sie ins Gefecht, schlugen sie auf der ganzen Linie in die Flucht und verfolgten sie bis zum Zelt Roberts. Und als sie bis unter die Küste gekommen waren, sprangen sie an Land und begannen eine neue Schlacht, diesmal mit Robert. Als Palaiologos sie sah, verließ auch er die Festung Dyrrachion und kämpfte an ihrer Seite. Und es entbrannte eine heftige Schlacht, die sich bis zum Lager Roberts hin entwickelte, und dort wurden viele in die Flucht getrieben, viele aber wurden auch ein Raub der Schwerter. 6 Die Venezianer aber nahmen viel Beute mit, kehrten zu ihren Schiffen zurück und gingen an Bord, und Palaiologos seinerseits zog sich wieder in die Festung zurück. Die Venezianer nun ruhten sich zunächst einige Tage aus und schickten dann Gesandte zum Basileus und meldeten ihm, was geschehen war. Er aber bereitete ihnen einen entsprechenden Empfang, überhäufte sie mit Gunstbeweisen und entließ sie, indem er ihnen bedeutende Geldsummen für den Dogen von Venedig17 und die ihm unterstellten Archonten 18 mitgab. III Robert aber beschloß in seiner großen Kampfesleidenschaft, nicht vom Kriege abzulassen, sondern mit aller Kraft zu kämpfen. Da jedoch inzwischen der Winter gekommen war, konnte er die Schiffe nicht zu Wasser bringen; außerdem blockierten die romäische Flotte und diejenige der Venezianer die Verstärkungen aus der Longibardia und die Nachschubtransporte von dort, da sie den Wasserweg dazwischen aufmerksam kontrollierten. Als aber mannen nach lateinischer Sitte glattrasiert, während die Venezianer nach byzantinischer Sitte Bärte trugen; sie hätten also Grund gehabt, Bohemund gerade wegen seines glattrasierten Gesichtes zu verspotten. Wahrscheinlich handelt es sich jedoch bei den beleidigenden Versen, Sprüchen und dergleichen gegen Bohemund um Invektiven, die unabhängig von der individuellen Barttracht des Verspotteten ihre Wirkung nicht verfehlten. 16 Sie fand nach Ljubarskij, Akksiada 492-493, Anm. 425 wahrscheinlich im Herbst 1081 statt. 17 Domenico Silvio (1070-1084). 18 Gemeint sind die Mitglieder des venezianischen Senats und/oder der übrigen Führungsgremien der Stadt.

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dann das Frühjahr 19 da war und das Meer wieder ruhig geworden war, da lösten zuerst die Venezianer die Haltetaue und fuhren aus gegen Robert; unmittelbar nach ihnen lief auch Maurix20 mit der romäischen Flotte aus. Und es kam daraufhin zu einem sehr schweren Gefecht, und Roberts Leute wurden in die Flucht geschlagen; danach beschloß Robert, seine gesamte Flotte aufs feste Land zu ziehen. 2 Die Leute auf den Inseln aber und die Festungen an der Küste des Festlandes sowie alle übrigen, die an Robert Tribut zahlten, bekamen durch das, was ihm zugestoßen war, Mut und waren nicht mehr ohne weiteres bereit, die ihnen auferlegten Tributlasten zu entrichten, nachdem sie von seiner Niederlage zur See erfahren hatten. Er beschloß daraufhin, in der Führung des Krieges mit größerer Vielfalt vorzugehen und den Kampf zu Wasser und zu Lande wiederaufzunehmen. Weil er seine Pläne aber nicht in die Tat umsetzen konnte, da er wegen der damals herrschenden starken Stürme ein Scheitern fürchtete, blieb er zwei Monate im Hafen von Hiericho 21 und bereitete sich sorgfaltig vor, da er ja zur See und zu Lande kämpfen wollte, und traf Vorkehrungen für die Schlacht. Die venezianische und die romäische Flotte aber bewachten nach Kräften die Route für die Überfahrt, und kaum bot das Meer denen, die es befahren wollten, seinen Rücken dar, da bemühten sie sich, diejenigen abzufangen, die von drüben zu Robert hinüberzufahren versuchten. Da es aber auch zu Lande für die am Fluß Glykys22 lagernde Armee nicht einfach war, die nötige Fourrage heranzuschaffen, weil die Leute von Dyrrachion denjenigen, welche die Grabenfestung Roberts zum Futterholen oder, weil sie sonst etwas brauchten, verlassen wollten, den Weg verlegten, kam es dazu, daß sie Hunger leiden mußten. Aber auch die ungewohnte Ortlichkeit machte ihnen schwer zu schaffen; so belief sich denn während des Verlaufes von drei Monaten, wie es heißt, der Verlust an Männern auf insgesamt 10000. Diese Krankheit erfaßte auch die Kavallerieeinheiten, die bei Robert waren, und raffte viele dahin. Denn von den Kavalleristen wurden an die fünfhundert Barone und Offiziere, alles sehr kampftüchtige Männer, ein Opfer von Krankheit und Hunger, von den unteren Chargen aber unzählige Berittene. 3 Da seine Schiffe im Glykys-Fluß vor Anker gegangen waren, wie schon gesagt, und da dieser wegen der Trockenheit nur wenig Wasser führte, weil nach dem Winter und dem darauffolgenden Frühjahr sich bereits der Sommer mit großer Hitze einstellte, und er nicht ein-

19 Frühjahr 1082. Keine andere Quelle erwähnt diese Schlacht. Ljubarskij, Aleksiada 493, Anm. 428 vermutet, daß es sich hier um Ereignisse des Jahres 1084 handelt, die von Anna unter dem Jahr 1082 berichtet werden. 20 Zu (Michael) Maurix vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 125 (S. 196-198). 21 An der Küste von Epiros in der Bucht von Avion (Vlorë). 22 Heute Acheron (in Epiros).

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mal mehr so viel Wasser hatte, wie in den Gebirgsbächen herabzufließen pflegt, war er [Robert] jetzt in einer schwierigen Situation; denn er konnte sie nun nicht wieder ins Meer schleppen lassen. Aber er war ja ein sehr findiger und intelligenter Mann. Daher gab er Befehl, auf beiden Seiten des Flusses Pfähle einzurammen und diese durch dicht geflochtene Weidenzweige miteinander zu verbinden, dann möglichst große Bäume mit der Wurzel zu fällen, hinter diese hinzulegen und darauf dann Sand zu häufen, so daß das Wasser sich an einer Stelle sammelte, indem es gleichsam in einen einzigen Kanal zusammenströmte, nämlich den, der aus den Pfählen gebildet wurde. Und das Wasser sammelte sich nach und nach, füllte das gesamte abgesteckte Bett des Flusses und erreichte eine beträchtliche Tiefe, bis es schließlich die Schiffe anhob und die Fahrzeuge, die bis dahin auf Grund gelegen hatten, trug und oben auf der Oberfläche schwimmen ließ. Und danach konnten die Schiffe wieder richtig manövrieren und ließen sich leicht ins Meer schleppen. IV Als der Autokrator von dem Geschehen um Robert erfahren hatte, stellte er sogleich dessen unaufhaltsame Angriffslust in einem Schreiben dem Pakurianos23 dar, und auch wie er [Robert] Avlon eingenommen hatte, ohne sich im geringsten um die Widrigkeiten zu kümmern, die ihm zu Lande und zu Wasser zugestoßen waren, und auch nicht um jene Niederlage, die er, wie man so sagt, gleich von der Startlinie weg24 erlitten hatte, und er schrieb ihm auch, er dürfe nicht säumen, sondern solle seine Truppen schnell heranfuhren und sich mit ihm vereinigen. Das schrieb er an Pakurianos. Er selbst aber verließ sogleich die [Stadt] des Konstantin im August der vierten Indiktion25 und ließ Isaak in der Großen Stadt zurück, damit er in der Stadt fiir Ruhe und Ordnung sorgte und, falls abträgliche Gerüchte von Gegnern zu hören seien, wie es ja gewöhnlich geschieht, diese zerstreute und für die Sicherheit des Kaiserpalastes und der Stadt sorgte, gleichzeitig auch die Frauen in ihrer Neigung, alles schwarz zu sehen, aufrichtete. Was aber seine Mutter betraf, so bedurfte diese, wie ich glaube, keiner Hilfe, da sie selbst äußerst stark war und im übrigen glänzende Fähigkeiten besaß, die Regierungsgeschäfte zu führen. Pakurianos nun öffnete das Schreiben und ernannte sogleich als stellvertretenden Strategos26 Nikolaos Branas27, einen tapferen Mann mit großer 23 Dölger-Wirth, Regesten 1072. Anna geht in der Abfolge der Ereignisse wieder auf den Sommer 1081 zurück. Zu Gregorios Pakurianos (Bakurianisdze) vgl. Buch II, Anm. 32. Alexios hatte ihm fiir seine Hilfe bei der Revolte das Amt des Groß-Domestikos versprochen, das Pakurianos jetzt auch als Groß-Domestikos des Westens und damit Oberbefehlshaber der Truppen im Westteil des Reiches bekleidete. 24 Vgl. oben Anm. 3. 25 August 1081. 26 Zu Titel und Funktion des »Hypostrategos« vgl. Guilland, Recherches I 385. 27 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 159 (S. 252-253).

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militärischer Erfahrung; er selbst aber verließ mit dem gesamten Kontingent der Schwerbewaffneten und den höheren Offizieren eilends Orestias 28 und verlor keine Zeit, sich mit dem Basileus zu vereinen. 2 A u c h der Autokrator war bald zur Stelle und ließ sogleich die gesamte Armee Schlachtordnung einnehmen, indem er besonders tapferen unter den Offizieren die Kommandostellen übertrug und Befehl gab, in dieser Aufstellung auch zu marschieren, wo es ihnen das Gelände erlaubte, damit sie sich die Formation einprägten und jeder genau seinen Platz kannte, und sie dann, wenn es zur Schlacht komme, nicht durcheinander gerieten und nicht schon beim geringsten Anlaß und aufs Geratewohl ihre Position wechselten.

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U n d so befehligte nun die Abteilung der

Exkubiten 2 ' Konstantinos Opos J 0 , diejenige der Makedonerr" Antiochos 3 2 , die der Thessaler Alexandras Kabasilas 33 ; Tatikios 34 , damals Groß-Primmikeros 35 , befehligte die in der Gegend von Achrido 36 ansässigen Türken, ein äußerst tapferer und in der Schlacht unerschrockener Mann, der aber nicht aus einer Familie freier Bürger stammte, denn sein Vater, ein Sarazene 37 , war als Kriegsbeute in den Besitz meines Großvaters väterlicherseits, Ioannes Komnenos, gekommen. Befehlshaber der Manichäei 38 , die 2 8 0 0 Mann zählten, waren

28 Archaisierender Name für Adrianopel (Edirne) mit seinem Umland. In Adrianopel befand sich das Hauptquartier des Domestikos des Westens. 29 Eliteabteilung der Palastgarde; vgl. Brehier, Institutions 336. 354; Ahrweiler, Recherches 29. 30 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 42 (S. 71-73). 31 Möglicherweise Kontingente der Slaven, die in Makedonien siedelten (vgl. Chalandon, Alexis 76, Anm. 6) oder von Bewohnern Makedoniens verschiedener ethnischer Herkunft (vgl. Skoulatos, Personnages 26, Anm. 4). 32 Da Anna keinen Vornamen nennt, ist nicht klar, welches Mitglied der Familie Antiochos gemeint ist. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 16 (S. 25-27). 33 Skoulatos, Personnages, Nr. 6 (S. 11-12). Uber die ethnische Zusammensetzung des Kontingents läßt sich nichts Näheres sagen. Vielleicht handelte es sich um Vlachen. 34 Zu Tatikios, der zusammen mit Alexios aufgewachsen war und einer seiner wichtigsten Generäle wurde, vgl. Guilland, Recherches I 313-315; Skoulatos, Personnages, Nr. 195 (S. 287292); ODB sub v. Tatikios. 35 Titel und Amt sind wahrscheinlich von Alexios geschaffen worden; vgl. Guilland, Recherches I 312-332. »Primmikeroi« ohne den Zusatz »Megas« gab es hingegen in verschiedenen Zweigen der Zivil-, Militär- und Kirchenverwaltung. Die Schreibweise mit Doppel-My ist sowohl in byzantinischen erzählenden Quellen als auch in Urkunden üblich. 36 Region in Thrakien, im Rodope-Gebirge. Wird in der Literatur oft mit dem Ohrid-See in Westmakedonien (gr. Achris) verwechselt, vgl. jedoch T1B 6, 160-161. 37 Von Anna als generelle Bezeichnung für »Muslime« gebraucht; hier ist wahrscheinlich ein Türke gemeint. 38 Die Byzantiner hatten (wie auch die mittelalterlichen Christen im Westen) die Tendenz, neu auftauchende Glaubensabweichungen unter schon bekannte und verurteilte Häresien zu subsumieren. So trennt auch Anna nicht zwischen Manichäern und Paulikianem, die von den Byzantinern als geistige Erben der ersteren angesehen wurden. Die Manichäer (benannt nach ihrem Stifter Mant) waren eine besonders im 3.-6. Jahrhundert mächtige Weltreligion; vgl. ODB sub v. Mani und Manichaeism\ LexMA sub v. Manichäismus,

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Xantas 3 ' und Kuleon 40 , die auch selbst Anhänger eben dieser Häresie waren; alle diese Männer waren äußerst kampfestüchtig und bereit, wenn die Zeit rief, das Blut der Feinde zu kosten, und obendrein waren sie draufgängerisch und ohne Skrupel. Befehlshaber der ihm [Alexios] persönlich zugeordneten Abteilungen (man nennt diese gemeinhin Vestiariten41) und der Abteilungen der Franken42 waren Panukomites 43 und Konstantinos Umbertopulos 44 , der seinen Beinamen nach der Familie trug, aus der er stammte. 4 Auf diese Weise hatte er sein Heer gegliedert und setzte sich nun mit der gesamten Armee gegen Robert in Marsch. Unterwegs traf er jemanden, der von dort kam, befragte ihn darüber, was sich um Dyrrachion zutrage, und erfuhr so noch genauer, daß Robert alle für einen Belagerungskampf notwendigen Zurüstungen aufgeboten habe und gegen die Mauern vorrücke. Georgios Palaiologos aber kämpfte Tag und Nacht gegen die Geschütze und Belagerungsmaschinen draußen, bis er es schließlich nicht mehr aushielt, die Tore öffnen ließ, einen Ausfall machte und sich mit ihnen eine heftige Schlacht lieferte. Und er wurde an verschiedenen Stellen seines Körpers schwer getroffen, insbesondere da ein Pfeil ihn in der Schläfengegend durchbohrte. Er versuchte, diesen Pfeil mit Gewalt herauszuziehen, es gelang ihm aber nicht, und er ließ daher jemanden kommen, der sich damit auskannte, und das Endstück entfernen, ich meine den Schaft und das Stück, wo der Pfeil gefiedert ist, der übrige Teil aber blieb in der Wunde. Er ließ sich den Kopf verbinden, so gut es die Umstände erlaubten, stürzte sich wieder mitten unter die Feinde, kämpfte bis zum späten Abend und hielt unerschütterlich aus. 5 Als das der Basileus erfuhr und daraus ersah, daß er schneller Hilfe bedurfte, beschleunigte er seinen Marsch. Nachdem er Thessalonike erreicht hatte, erhielt er durch viele Nachrichten noch genauere Bestätigungen für das, was sich um Robert ereignete. Robert nämlich, der zum Kampf bereit war und tapfere Krieger aufgeboten und viel Material in der Ebene von Dyrrachion zusammengebracht

Manichäer. Die Sekte der Paulikianer (benannt angeblich nach ihrem Stifter, wahrscheinlich aber Selbstbenennung nach dem Apostel Paulus) trat im 7.-8. Jahrhundert in Armenien auf; ihre Frühgeschichte ist dunkel. Im 9. Jahrhundert bildeten sie einen eigenen Staat, mit dem die Byzantiner ernste militärische Konflikte auszutragen hatten. Später wurden bedeutende Kontingente der Paulikianer in der Gegend von Philippupolis (heute Plovdiv) angesiedelt. Vgl. O D B sub v. Paülicians\ LexMA sub v. Paulikianer. 39 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 205 (S. 300-301). 40 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 108 (S. 167-169). 41 Sie gehören zur kaiserlichen Leibgarde. Vgl. D u Cange, Notae 502-505; Dölger, rez. Buckkr 302; O D B sub v. Vestiarites; Brehier, Institutions 151-152. 42 Die lateinischen Söldner bildeten ein eigenes militärisches Kontingent. 43 Zu Niketas Panukomites vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 156 (S. 250). Weitere Literatur zur Person bei Dölger-Wirth, Kegesten 1218e. 44 Zu ihm vgl. Buch II, Kap. 4 §§ 7-9 mit Anm. 34.

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hatte, hatte sein Lager im Abstand eines Pfeilschusses von dessen Mauern aufgeschlagen; viele der ihm unterstehenden Truppeneinheiten hatte er freilich auch in den Bergen, den Gebirgstälern und Hügeln Aufstellung nehmen lassen. Aber auch von den umsichtigen Maßnahmen des Palaiologos erfuhr der Basileus durch viele Nachrichten. 6 Palaiologos nämlich hatte in der Absicht, den von Robert vorbereiteten Belagerungsturm in Brand zu setzen, bereits oben auf den Mauern Naphtha, Pech, Scheite von trockenem Holz und Steinschleudern bereitstellen lassen und wartete auf den Beginn der Schlacht. Da er nun Robert für den nächsten Tag erwartete, ließ er einen hölzernen Turm, den er drinnen vorsorglich hatte vorbereiten lassen, genau gegenüber dem von außen heranfahrenden Turm 45 in Position bringen und die ganze Nacht über den oben auf ihm installierten Balken erproben, den sie gegen das Tor des Belagerungsturmes vorschnellen lassen sollten, wenn er von außen herangefahren würde; dieser sollte sich leicht bewegen lassen und genau auf das Tor gerichtet sein und so verhindern, daß man es ohne Schwierigkeiten öffnen konnte. Als er sich davon überzeugt hatte, daß sich das Holz leicht vorstoßen ließ und genau auf sein Ziel ausgerichtet war, sah er der zu erwartenden Schlacht nunmehr mit Zuversicht entgegen. 7 Am darauffolgenden Tage aber befahl Robert allen, die Waffen anzulegen, und ließ im Turm etwa 500 bewaffnete Fußsoldaten und Berittene Aufstellung nehmen; als sie ihn bis unter die Mauer herangebracht hatten und sich gerade daran machen wollten, das oben an ihm befindliche Tor aufzuklappen, um dieses als Brücke für das Eindringen in die Festung zu benutzen, da ließ Palaiologos innen den riesigen Holzbalken mit Hilfe der Vorrichtungen, die er zuvor hatte installieren lassen, und vieler tapferer Männer nach vorn schießen und machte das von Robert ersonnene Kriegsgerät unbrauchbar, da der Balken es in keiner Weise zuließ, das Tor zu öffnen. 8 Dann nahm er die oben auf dem Turm stehenden Kelten unter Dauerfeuer und ließ darin nicht mehr nach; diese aber konnten den Geschossen nicht standhalten und mußten Deckung suchen. Jetzt gab er den Befehl, den Turm in Brand zu setzen, und er hatte den Befehl noch nicht ganz ausgesprochen, da war der Brand des Turmes schon ins Werk gesetzt. Und diejenigen, die oben standen, stürzten sich in die Tiefe, die unten aber öffneten das Tor am Fuß des Turmes und flohen. Als Palaiologos sie fliehen sah, schickte er durch die Ausfallpforte der Festung tapfere Bewaffnete nach draußen und dazu noch andere mit Äxten, mit deren Hilfe sie den Turm zerstören sollten. Und er verfehlte auch dieses Ziel nicht: Den oberen Teil des Turmes verbrannte er, den unteren ließ er mit Hilfe verschiedener Steinmetzwerkzeuge kurz und klein schlagen und vernichtete ihn völlig.

45 Vgl. Kap. 1 § 2.

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Buch IV, Kapitel 5 § 1-3

V Da aber, wie der Gewährsmann hierfür berichtete, Robert sich alsbald daran machte, wieder einen neuen Belagerungsturm zu bauen, ganz ähnlich dem, den er vorher hatte anfertigen lassen, und auch Belagerungsmaschinen gegen Dyrrachion in Bereitschaft versetzte, kam der Basileus zu dem Schluß, daß die Leute in Dyrrachion rascher Hilfe bedurften, und er formierte daher seine Truppen und machte sich auf den Marsch nach Dyrrachion. Als er dann dort angekommen war, einen Graben hatte ausheben und das Heer am Fluß Charzanes46 hatte lagern lassen, schickte er sogleich durch einige Boten zu Robert47 und ließ ihn fragen, warum er gekommen und was sein Ziel sei. 2 Danach zog er von dort ab und gelangte zum Heiligtum, das den Namen des erhabensten unter den Bischöfen, Nikolaos, trägt, vier Stadien48 von Dyrrachion entfernt, und erkundete dort das Gelände, um vorweg die günstigste Position zu besetzen, wo man die Truppenkontingente im Moment der Schlacht postieren mußte. Das geschah am 15. Oktober4'. Es gab dort einen Bergrücken, der sich von Dalmatien her zum Meer hin erstreckt und in einem Vorgebirge endet, das gleichsam eine Halbinsel ist, auf der auch das schon erwähnte Heiligtum steht. Der Hang des Bergrückens senkt sich allmählich zur Ebene hin, und auf Dyrrachion zu hat er zur Linken das Meer, zur Rechten hingegen einen hohen Berg, der ihn überragt. Dort nun zog er die gesamte Armee zusammen, ließ ein Lager schanzen und schickte dann sogleich auch nach Georgios Palaiologos. Dieser jedoch, der in solchen Dingen über eine lange Erfahrung verfügte, weigerte sich, die Stadt zu verlassen, da er das nicht für opportun hielt, und machte ebendies dem Basileus deutlich. Als ihn der Basileus aber ein zweites Mal, diesmal dringlicher, auffordern ließ zu kommen, sagte er: »Mir scheint das zu gefahrlich zu sein, die Festung während der Belagerung zu verlassen, und wenn ich nicht den Ring von der Hand deiner kaiserlichen Majestät sehe, komme ich nicht heraus.« Als dieser ihm aber geschickt wurde und er ihn sah, da endlich begab er sich mit Kriegsschiffen zum Basileus. 3 Als der Basileus ihn sah, fragte er ihn nach Robert aus; und als er [Palaiologos] ihm alles genau dargelegt hatte, fragte er [Alexios], ob er die Schlacht gegen ihn wagen solle. Jener aber riet ihm entschieden davon ab. Aber auch einige andere von denen, die über langjährige Erfahrung in militärischen Dingen verfügten, bemühten sich sehr darum, ihn davon abzubringen, indem sie den Rat gaben abzuwarten und zu versuchen, Robert durch Scharmützel in Verlegenheit zu bringen, indem 46 Östlich von Dyrrachion, heute Erzen. 47 Dölger-Wirth, Regesien 1074. 48 Zu »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47. 49 Am 15. Oktober 1081. Zum Datum vgl. Ljubarskij, Aleksiada 4 9 5 4 9 6 (gegen den Versuch von Buckler, Anna Comnena 407-408, diese Ereignisse ein Jahr später zu datieren).

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Buch IV, Kapitel 5 § 3-5

man seine Leute daran hinderte, ihr Lager zu verlassen, um Viehfutter oder Verpflegung zu besorgen, und auch Vodinos 50 , den Dalmatern und den übrigen Machthabern der umliegenden Regionen aufzutragen, das zu tun; und sie versicherten, daß auf diese Weise Robert leicht zu besiegen sein werde. Die meisten der jüngeren Leute iies Heeres aber rieten, zur Schlaoht, und mehr als alle anderen der purpurgeborene Konstantios 51 , Nikephoros Synadenos 52 sowie Nampites 53 , der Kommandeur der Varäger, und auch die Söhne des ehemaligen Basileus Romanos Diogenes, Leon und Nikephoros. 4 Währenddessen kamen auch die zu Robert gesandten Boten zurück und überbrachten seine Worte dem Basileus: »Ich bin«, so hatte er gesagt, »keineswegs als Aggressor gegen deine kaiserliche Majestät ausgezogen, sondern vielmehr, um das Unrecht zu rächen, das meinem Mit-Schwiegervater widerfahren ist. W e n n du aber den Frieden mit mir willst, so bin auch ich sehr damit einverstanden, nur mußt du auch bereit sein, die dir durch meine Gesandten übermittelten Bedingungen zu erfüllen.« Da er aber völlig unmögliche und für das Reich der Romäer schädliche Dinge verlangte, wobei er gleichzeitig versprach, falls er das von ihm Verlangte bekomme, auch die Longibardia selbst als vom Basileus [ihm gegeben] zu betrachten und Heeresfolge zu leisten, wann immer es notwendig sei54, so war das alles nur ein Vorwand, damit es so aussehe, als wolle er durch das, was er fordere, den Frieden; in Wirklichkeit aber wollte er dadurch, daß er Unmögliches vorschlug und dann nicht erhielt, auf die Schlacht hinaus und wollte dann die Schuld an der Schlacht dem Basileus der Romäer anlasten. 5 Nachdem er also Unausführbares gefordert und nicht erhalten hatte, rief er alle Barone zusammen und sagte zu ihnen: »Ihr kennt das vom Basileus Nikephoros Botaneiates meinem Mit-Schwiegervater angetane Unrecht und den Ehrverlust, den meine Tochter Helene hat erleiden müssen, als sie mit ihm zusammen aus der Kaiserwürde vertrieben wurde. Das haben wir nicht hinnehmen können und sind deshalb, um das zu rächen, aus unserem Land gegen Botaneiates gezogen. Da dieser aber seines Amtes verlustig gegangen ist, haben wir es jetzt mit einem jungen Basileus zu tun, einem tapferen Krieger, der über sein Alter hinaus über Erfahrung in der Kriegskunst verfugt, und wir dürfen daher den Kampf mit ihm nicht einfach

50 Zu ihm vgl. Buch I, Anm. 147. 51 Konstantios Dukas, Sohn des Kaisers Konstantinos Dukas und der Eudokia Makrembolitissa. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 35 (S. 55-57); Polemis, Doukai, Nr. 17 (S. 48-53). 52 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 153 (S. 248). 53 Er war höchstwahrscheinlich Isländer oder Norweger. Zu ihm und seinem Namen vgl. S. Blöndal, Nabitesthe Varangian, in: Classica et Medievalia 2 (1939) 145-167; Skoulatos, Personnages, Nr. 141 (S. 216-217). Zu den Varägem vgl. Buch II, Anm. 102. 54 Robert bot also einen Vasallen-Eid an.

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Buch IV, Kapitel 5 § 5 - K a p i t e l 6 § 1

aufs Geratewohl fuhren. Denn, wo es viele Kommandeure nebeneinander gibt, da gibt es auch Verwirrung, weil die jeweils verschiedene Meinung der vielen diese herbeifuhrt. Also müssen einem von uns alle übrigen gehorchen, und zwar muß auch dieser Ratschläge von allen einholen und darf nicht einfach leichtsinnig und, wie es gerade kommt, nach eigenem Gutdünken verfahren, die übrigen aber müssen ihm das, was sie denken, geradeheraus sagen, indem sie gleichzeitig der Ansicht des Erwählten folgen. Seht her, ich bin bereit, als einer unter allen anderen demjenigen zu gehorchen, den ihr alle zusammen wählt.« 6 Alle nun lobten diesen Vorschlag, erklärten, Robert habe recht, und räumten ihm sogleich den ersten Rang ein, und alle waren darin einer Meinung. Er aber tat so, als ob er sich zierte, und wollte nicht sofort annehmen; sie jedoch drängten um so mehr und baten ihn um eben dieses. Schließlich gab er dem äußeren Anschein nach ihren Bitten nach, obwohl er diesen Plan seit langer Zeit genährt hatte, und reihte Worte an Worte, und da er geschickt Gründe an Gründe fügte, sah es für diejenigen, die nicht in sein Inneres blicken konnten, so aus, als gelange er gegen seinen Willen zu dem, das er doch so heiß begehrt hatte. 7 Endlich sagte er zu ihnen: »Hört meinen Vorschlag, Barone und auch das übrige Heer! Da wir unsere Heimatländer verlassen haben und hierher gekommen sind und da die vor uns liegende Schlacht gegen einen sehr mutigen Basileus zu fuhren sein wird, der außerdem zwar erst kürzlich das Ruder der Kaiserherrschaft übernommen, aber bereits viele Kämpfe unter den vor ihm regierenden Kaisern siegreich bestanden und ihnen sehr mächtige Rebellen als Gefangene überbracht hat, müssen wir uns mit Leib und Seele in den Kampf werfen. Und sollte uns Gott den Sieg zusprechen, dann werden wir keine Geldsorgen mehr haben. Daher müssen wir alle unsere Sachen verbrennen, die Lastschiffe aber müssen wir leckschlagen und aufs Meer hinaus treiben lassen und so vorbereitet dann den Kampf mit ihm aufnehmen, als wenn wir >jetzt geboren wären und auch sterben müßtenrecht und billig*145 sein, wenn wir etwas so leichthin aufgäben, das wir mit unserem eigenen Schweiß und unseren Mühen erworben haben?« 2 Als die Gesandten von dort zurückgekehrt waren und er [Alexios] das Schreiben des Ba'imundos gelesen hatte, erkannte er, daß dieser Mann nach wie vor jener altbekannte Baimundos war, der sich auch nicht im geringsten zum Besseren geändert hatte; daher hielt er es für geboten, sich um die Grenzen des Romäischen Reiches zu kümmern und den unaufhaltsamen Vorwärtsdrang dieses Mannes so weit wie möglich in Schranken zu halten. Er setzte also zahlreiche Streitkräfte unter der Führung des Butumites146 gegen Kilikien in Marsch, darunter auch die Elitetruppe der gesamten Armee, alles ausgezeichnete Kämpfer und Diener des Ares, und mit ihnen auch noch Bardas147 und den Obersten Mundschenk Michael148, Männer in der Blüte ihrer Jugend, denen eben erst der

144 145 146 147 148 Kap.

Vgl. oben Kap. 4 § 1. Bohemund zitiert damit den Wortlaut aus dem Schreiben des Alexios. Zu Manuel Butumites vgl. zuletzt oben Kap. 1-3. Anna nennt nur seinen Vornamen; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 21 (S. 32). Zum Amt und zur möglichen Identität des hier genannten Michael vgl. Buch VIII, 9 § 6 mit Anm. 92.

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Buch XI, Kapitel 9 § 2-3

Bart sproß; diese Männer, die der Autokrator von ihrer frühesten Kindheit an unter seinen persönlichen Schutz gestellt und in der Kriegskunst hatte ausbilden lassen und die ihm daher mehr als alle anderen zugetan waren, gab er Butumites mit, zusammen mit weiteren tausend tüchtigen Soldaten, Kelten und Romäern, mit der Maßgabe, sie sollten jenem in allem folgen und gehorchen, zugleich aber sollten sie ihn [Alexios] in geheimen Briefen über die jeweiligen Ereignisse unterrichten. Er wollte schnellstens das gesamte Gebiet von Kilikien besetzen, damit er von dort aus leichter seine Vorbereitungen für den Kampf um Antiocheia treffen könne. 3 Butumites hatte sich dann mit sämdichen Truppen auf den Weg gemacht und war bis in die Gegend um die [Stadt] des Attalos149 gekommen. Als er jedoch sah, daß Bardas und der Oberste Mundschenk Michael nicht bereit waren, sich seinem Befehl zu fügen, unterrichtete er sofort den Autokrator von dem Verhalten der beiden und bat darum, von ihrer Gesellschaft befreit zu werden, damit es nicht auch noch zu einer Meuterei des Heeres komme und als Folge davon Butumites' Bemühungen ins Leere liefen und er, ohne etwas erreicht zu haben, Kilikien verlassen müsse. Er [Alexios] aber wußte, was für ein Schaden aus derartigen Dingen zu erwachsen pflegt, und gab ihnen und allen anderen, an deren Loyalität er zweifelte, brieflich eine andere Weisung, daß sie sich nämlich schnellstens nach Zypern zu Konstantinos Euphorbenos, der damals das Amt des Dux der Insel Zypern übernommen hatte150 begeben, sich bei ihm aufhalten und ihm in allem Gehorsam leisten sollten. Sie aber nahmen die briefliche Weisung erfreut entgegen und segelten auf dem schnellsten Wege nach Zypern. Kaum aber hatten sie eine kurze Zeit mit dem Dux von Zypern verbracht, als sie auch schon ihre übliche Anmaßung im Umgang auch mit ihm an den Tag legten, weswegen dieser ihnen verständlicherweise auch seinerseits mit Argwohn begegnete. Die jungen Leute aber, die sich daran erinnerten, wie fürsorglich ihnen der Basileus zugetan war, erhoben in ihrem Schreiben an den Basileus viele Klagen gegen den Dux und forderten ihre Rückberufiing in die [Stadt] des Konstantin. Als der Autokrator ihren Brief geöffnet hatte, fürchtete er, da er zusammen mit jenen auch einige Angehörige der vornehmen Familien, an deren Loyalität er zweifelte, nach Zypern geschickt hatte, daß diese nun auch ihrerseits aus Verbitterung vielleicht gemeinsame Sache mit jenen machen könnten, und beauftragte daher sogleich den Kantakuzenos151, diese Leute mit sich zu nehmen.

149 Attaleia (heute Antalya) in Pamphylien an der türkischen Südküste; die Stadt ist von Attalos II. Philadelphos u m das Jahr 150 v. Chr. gegründet worden. 150 Zu Konstantinos Euphorbenos Katakalon vgl. zuerst Buch I, Kap. 5 § 3 mit Anm. 49. Er hatte das Amt des Dux von Zypern zwischen 1102 und 1104 von Eumathios Philokales (vgl. oben Kap. 7 § 4) übernommen. 151 Vgl. zu ihm Buch X, Anm. 40.

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Buch XI, Kapitel 9 § 3-Kapitel 10 § 2

Dieser kam nach Kyreneia152, rief die Betreffenden zu sich und nahm sie mit sich. 4 So viel über diese Leute, ich meine Bardas und den Obersten Mundschenk Michael. Butumites aber erreichte zusammen mit Mona'stras153 und den zusammen mit diesem zurückgebliebenen hohen Offizieren Kilikien und setzte, als er die Armenier mit Tangre verbündet fand, seinen Weg an ihnen vorbei fort, kam nach Marasin154 und nahm es ein, zugleich auch sämtliche benachbarten Landstädte und Festungen, und nachdem er genügend Truppen zum Schutz des gesamten Gebietes und als Befehlshaber den Halbbarbaren Monastras zurückgelassen hatte, von dem an vielen Stellen des Berichtes die Rede war, kehrte er wieder in die Kaiserstadt zurück. X

Da die Franken, als sie nach Jerusalem mit der Absicht auszogen, die

Städte Syriens zu erobern, dem Bischof von Pissa155 große Versprechungen gemacht hatten, wenn er ihnen hülfe, das Ziel, das sie sich vorgenommen hatten, zu erreichen, ließ sich dieser von ihren Worten überzeugen, wiegelte noch zwei weitere, die an der Küste wohnten 156 , zu derselben Sache auf und verlor keine Zeit, sondern rüstete Zwei- und Dreiruderer sowie Schnellsegler und andere schnelle Schiffe aus, deren Zahl an die neunhundert betrug, und stach mit Kurs auf sie [die Franken in Syrien] in See, einen beträchdichen Teil der Schiffe kommandierte er jedoch ab zur Plünderung von Korypho, Leukas, Kephalenia und Zakynthos 1 ".

2

Als der Basileus dies erfuhr, ordnete er an, daß in

sämdichen Gebieten, die unter romäischer Herrschaft stehen, Schiffe gebaut würden. Auch in der Hauptstadt selbst ließ er eine stattliche Anzahl bauen und pflegte von Zeit zu Zeit einen Einruderer zu besteigen und den Baumeistern Anweisungen zu geben, wie die Schiffe zu bauen seien. Da er wußte, daß die Pissaner im Seekrieg erfahren waren und da er den Kampf gegen sie folglich fürchtete, ließ er an jedem Schiffsbug aus Bronze und Eisen Köpfe von Löwen und allen möglichen anderen Landtieren mit geöffneten Mäulern anbringen und diese vergolden, so daß sie schon allein durch ihr Aussehen Schrecken erregten; er bezweckte damit, daß das Feuer, welches durch Siphonanlagen gegen 152 An der Nordküste von Zypern. 153 Zu ihm vgl. zuletzt oben Kap. 2 §§ 7-10. 154 Germanikeia in Kappadokien, heute Mara§. 155 Daiberto (Dagoberto) Lanfranchi, Erzbischof von Pisa (bei Anna und in anderen byzantinischen Quellen mit »ss« geschrieben), ab 1100 erster lateinischer Patriarch von Jerusalem; vgl. Enciclop. Italiana sub v. Daiberto. Anna nimmt hier einen neuen Erzählstrang auf, der zunächst ins Jahr 1099 zurückfuhrt. 156 Es ist nicht ganz sicher, was bei diesem elliptischen Ausdruck »noch zwei weitere« zu ergänzen ist; am ehesten doch wohl »Bischöfe«. Du Cange, Notae 633 denkt an »Völker« (populi) und möchte, gestützt auf westliche Quellen, Toscaner [= Florentiner?] und Genuesen namhaft machen. 157 Kerkyra (Corfli), Levkada, Kephallenia und Zakynthos vor der Westküste des griechischen Festlands bzw. der nördlichen Peloponnes.

391

Buch XI, Kapitel 10 § 2-4

die Feinde abgeschossen werden sollte, durch ihre Mäuler hindurchfloß, so daß es aussah, als ob die Löwen und die übrigen Tiere dieser Art das Feuer ausspien15'. Nachdem er also die Schiffe in dieser Weise ausgerüstet hatte, berief er Tatikios, der gerade aus Antiocheia zurückgekehrt war15', zu sich, übergab ihm diese Schiffe und verlieh ihm den Titel Periphanestate Kephale160. Die gesamte Flotte aber vertraute er Landulphos an und ernannte ihn zum Megas Dux161, da er ein Meister im Führen von Seegefechten war. 3 Diese liefen also mit der romäischen Flotte aus der Großen Stadt während des Monats April162 aus und erreichten Samos; dort ließen sie die Schiffe landen und gingen auch selbst an Land, um sie noch seetüchtiger zu machen, indem sie sie mit Teer noch besser abdichteten. Als sie aber erfuhren, daß die pissanische Flotte, dort auf der Durchfahrt sei, lösten auch sie die Haltetaue und verfolgten diese bis nach Kos. Während jedoch die Pissaner morgens dort ankamen, erreichten sie die Insel erst am Abend. Da sie nicht auf die Pissaner gestoßen waren, segelten sie weiter nach Knidos, das vor dem anatolischen Festland liegt163. Als sie dort angelangt waren und ihre Jagdbeute wieder verfehlt hatten, trafen sie auf einige wenige Pissaner, die dort zurückgeblieben waren, und fragten sie, wohin die pissanische Flotte denn abgesegelt sei. Diese sagten, nach Rhodos. Da lösten sie sogleich die Haltetaue und holten sie in Windeseile zwischen Patara164 und Rhodos ein. Kaum hatten die Pissaner sie erblickt, da formierten sie sich augenblicklich zum Kampf und schärften nicht nur ihre Schwerter für das Gefecht, sondern auch ihre Herzen. Als die romäische Flotte nahe herangekommen war, ließ ein Komes aus der Peloponnes namens Perichytes165, ein Meister im fintenreichen Seegefecht, kaum daß er die Feinde erblickt hatte, seinen Einruderer mit beschleunigtem Ruderschlag dahinfliegen und schoß ohne Umschweife auf sie zu; und er fuhr wie ein Feuerstrahl mitten durch sie hindurch und kehrte dann wieder zur romäischen Flotte zurück. 4 Die romäische Flotte nahm allerdings den Kampf gegen die Pissaner nicht wohlgeordnet auf, sondern griff

158 Zu diesem Kampfmittel, das über Jahrhunderte eine byzantinische GeheimwafFe war, vgl. LexMA sub v. Griechisches Feuer', O D B sub v. GreekFire. 159 Vgl. oben Kap. 4 § 3. Daraus ergibt sich die Datierung der hier geschilderten Ereignisse auf 1099. 160 Etwa mit »Oberster Befehlshaber« (wörtl. »hervorragendes Haupt«) wiederzugeben. Z u m Titel vgl. Ahrweiler, Byzance et la mer 193, Anm. 4. 161 Landulphos (Landulf) war, wie der Name verrät, westlicher Herkunft (vgl. Du Cange, Notae 634) und einer der wichtigsten Marine-Offiziere unter Alexios; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 110 (S. 169-172). Z u m Titel »Megas Dux« vgl. Buch VII, Anm. 126. 162 April 1099. 163 Als langgestreckte Halbinsel gegenüber von Kos mit der Stadt Knidos an ihrer Spitze. 164 Stadt an der Südwestecke Lykiens gegenüber von Rhodos. 165 Nur hier erwähnt; er hatte den Rang eines »Komes der Flotte« (vgl. Guilland, Recherches I 536).

392

Buch XI, Kapitel 10 § 4-6

sie hitzig und in wildem Durcheinander an, und sogar Landulphos, der sich als erster den pissanischen Schiffen genähert hatte, s c h o ß das Feuer ziellos ab und hatte nichts weiter erreicht, n a c h d e m er seine Feuersalven verschossen hatte. D e r K o m e s mit N a m e n Eleemon 1 6 6 indessen, der m i t verwegener Kühnheit ein riesiges S c h i f f am H e c k angriff, verfing sich in dessen Steuerruder, und weil er große Schwierigkeiten hatte, sich dort wieder herauszumanövrieren, wäre er gefangen worden, wenn er nicht schnell a u f das Geschütz zurückgegriffen hätte, sofort Feuer a u f sie geschossen und sie damit getroffen hätte. D a n n wendete er eilends sein S c h i f f und schoß a u f der Stelle drei weitere sehr große Schiffe der Barbaren in Brand. D a zur selben Zeit auch n o c h ein Sturm jählings über das M e e r hereinbrach und es aufwühlte und die Schiffe miteinander havarieren ließ und sie fast zu versenken drohte (denn es dröhnten die W o g e n , es ächzten die Balken und die Segel rissen in Fetzen), erschraken die Barbaren teils durch die Feuersalven (denn weder kannten sie derartige Geschütze n o c h ein Feuer, das von Natur aus ja normalerweise nach o b e n steigt, nun aber v o m Schützen in jede beliebige Richtung abgefeuert wurde, oftmals schräg oder auch seitwärts in beide Richtungen), teils gerieten sie durch das T o s e n des Meeres in Verwirrung und sannen daher auf Flucht.

5

S o viel nun über die Barbaren. D i e

romäische Flotte dagegen legte an einer kleinen Insel an, die wohl Seudos heißt 167 . I m Morgengrauen des nächsten Tages brachen sie v o n dort auf und gingen in Rhodos vor Anker. Als sie die Schiffe verlassen und diejenigen herausgeführt hatten, die sie vorher gefangengenommen hatten, darunter auch den Neffen des Baimundos, versuchten sie, ihnen Furcht einzujagen mit der Drohung, sie entweder alle für Geld zu verkaufen oder sie niederzumetzeln. Als sie aber sahen, daß jene furchdos gegenüber dieser D r o h u n g blieben und die Versklavung keinerlei Eindruck a u f sie machte, ließen sie sie sogleich über die Klinge springen. 6 Diejenigen aber, die v o n der pissanischen Flotte übriggeblieben waren, gingen nun daran, die Inseln, die an ihrer Route lagen, sowie Zypern zu plündern; dort aber war ja Eumathios Philokales 168 , und er griff sie an. D i e Leute, die bei den Schiffen geblieben waren, wurden daher von Panik erfaßt und kümmerten sich nicht u m die Besatzung, die die Schiffe verlassen hatte, u m zu plündern, sondern sie ließen die meisten a u f der Insel verstreut zurück, lösten überstürzt die Haltetaue und segelten ab nach Laodikeia mit dem Gedanken, zu Baimundos zu gelangen. U n d so landeten sie denn auch dort" 9 , gingen zu i h m und erklärten ihm, daß sie gern mit i h m in enger Freundschaft verbunden wären. Er aber, wie er nun einmal war, n a h m sie gern 166 167 168 169

Auch dieser »Komes der Flotte« ist nur hier erwähnt. Zu anderen Namensformen vgl. Du Cange, Notae 634. Vgl. oben Kap. 7 § 4. Um den September 1099.

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Buch XI, Kapitel 10 § 6-9

auf. Als diejenigen, die an der Küste [von Zypern] von Bord gegangen waren, um Beute zu machen, zurückkehrten und ihre Flotte nicht mehr vorfanden, warfen sie sich einfach ins Meer und ertranken. 7 Die Thalassokratoren170 der romäischen Flotte und Landulphos selbst hielten, als sie in Zypern angekommen waren, eine Versammlung ab und berieten sich, ob man nicht um Frieden nachkommen solle. Nachdem alle ihre Zustimmung dazu gegeben hatten, wurde Butumites171 zu Baimundos gesandt. Dieser empfing ihn und behielt ihn volle fünfzehn Tage bei sich; da in Laodikeia aber eine Hungersnot ausgebrochen war und Baimundos eben der alte Baimundos war, der sich nicht geändert und auch nicht gelernt hatte, Frieden zu halten, ließ er ihn zu sich kommen und gab ihm zur Antwort: »Nicht um Freundschaft oder Frieden zu schließen bist du hierher gekommen, sondern um meine Schiffe anzuzünden. Verschwinde nun, denn es ist für dich schon viel, daß du hier ohne Verstümmelung davonkommst.« 8 Dieser fuhr also von dort ab und traf diejenigen, die ihn ausgesandt hatten, im Hafen von Zypern an. Da sie einmal mehr die verschlagene Gesinnung des Baimundos aus dem, was ihnen von dort berichtet wurde, erkannten und einsahen, daß es unmöglich einen Vertrag zwischen ihm und dem Autokrator geben könne, brachen sie von dort auf und fuhren mit vollen Segeln den »feuchten Pfad«172 zur Großen Stadt zurück. Auf der Höhe von Syke173 jedoch erhob sich ein gewaltiger Sturm mit wildem Seegang, und die Schiffe wurden an die Küste geworfen und alle halb zerstört außer den Schiffen, die Tatikios befehligte. 9 Das also war es etwa, was sich mit der pissanischen Flotte ereignet hatte. Baimundos aber, der von Natur aus ein äußerst durchtriebener Mensch war, befürchtete, daß der Basileus Kurikon174 vor ihm einnehmen, eine romäische Flotte im Hafen vor Anker gehen lassen und so einerseits Zypern sichern und andererseits auch die aus der Longibardia erwarteten Hilfskontingente daran hindern könnte, an der anatolischen Küste entlang zu ihm zu gelangen. Aus diesen Überlegungen heraus plante er seinerseits, es wieder als Festung aufzubauen und den Hafen zu besetzen. Kurikon nämlich, welches früher eine sehr stark befestigte Stadt war, war später dann verfallen. Der Autokrator aber, der dies im voraus bedacht hatte und seinen Absichten zuvorkam, schickte den Eunuchen Eustathios, den er vom Rang eines Kanikleios zum Megas Drungarios der Flotte erhoben hatte175, mit dem Befehl aus, sich 170 Zu diesem Titel vgl. Buch IX, Anm. 17. 171 Das über Manuel Butumites oben in Kap. 9 Berichtete liegt zeitlich später als die Ereignisse, die hier in Kap. 10 geschildert werden. 172 Anna gebraucht eine homerische W e n d u n g (vgl. Odyssee 4, 842; 15, 474). 173 Hafen an der Küste von Kilikien; vgl. Ramsay, Geography 381. 174 Hafenstadt in Kilikien bei Seleukeia (heute Silifke) an der Heerstraße von Seleukeia nach Tarsos; vgl. Ramsay, Geography 384; TIB 5, 315-320 sub v. Korykos. 175 Zu Eustathios Kymineianos und dem Titel »Drungarios der Flotte« vgl. Buch VI, Anm.

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Buch XI, Kapitel 10 § 9-Kapitel 11 § 2

schleunigst nach Kurikon zu begeben und dieses sowie die Festung Seleukeia, die sechs Stadien davon entfernt liegt176, wieder aufzubauen, eine ausreichend starke Streitmacht in ihnen zurückzulassen und zum Dux Strategios Strabos177 zu ernennen, einen Mann, der von Statur zwar klein, an Erfahrung in Schlachten aber groß, ja sogar sehr groß war; doch auch im Hafen sollte er eine ausreichend starke Flotte ankern lassen mit dem Auftrag, wachsam zu sein und denjenigen aufzulauern, die aus der Longibardia Baimundos zu Hilfe kommen würden; sie sollten aber auch Zypern unterstützen. 10 Besagter Drungarios der Flotte zog also aus und ließ, indem er den Absichten des Baimundos zuvorkam, es [Kurikon] wieder aufbauen und in den Zustand versetzen, wie es früher war. Im Handumdrehen ließ er auch Seleukeia wieder aufbauen und ringsum durch Gräben befestigen, und nachdem er in beiden [Festungen] ausreichend starke Truppen unter der Führung des Dux Strategios zurückgelassen hatte, begab er sich auch zum Hafen hinunter, hinterließ dort eine ausreichend starke Flotte gemäß den Anweisungen des Autokrators und kehrte dann in die Große Stadt zurück und wurde vom Autokrator hoch gelobt und reich beschenkt. XI So viel zu Kurikon. Als der Basileus ein Jahr später178 hörte, daß sich auch eine genuesische Flotte bereitmache, um den Franken zu Hilfe zu kommen, schickte er, da er vermutete, daß auch diese dem Reich der Romäer nicht geringen Schaden zufügen würden, Kantakuzenos mit einer beträchtlichen Streitmacht auf dem Landweg und Landulphos mit einer eilig ausgerüsteten Flotte auf dem Seeweg aus, indem er letzterem den Auftrag gab, sich schnellstens zur Peloponnes zu begeben, um die Genuesen, wenn sie dort vorbeikämen, zur Schlacht zu stellen. Als sie dann auf dem Weg dorthin waren, wohin man sie abkommandiert hatte, kam ein schwerer und vernichtender Sturm auf, und die Folge war, daß viele der Schiffe havarierten; diese zogen sie wieder an Land und kalfaterten sie sorgfaltig mit flüssigem Teer. 2 Unterdessen hatte Kantakuzenos erfahren, daß die Flotte der Genuesen auf ihrer Fahrt entlang der Peloponnes nahe herangekommen sei, und riet Landulphos, mit achtzehn Schiffen (nur so viele nämlich waren zu diesem Zeitpunkt überhaupt seetüchtig, da man die übrigen an Land gezogen hatte) zum Kap Maleas17' zu segeln und dort entsprechend den Anweisungen des Autokrators zu landen; und

152 und 153. Kanikleios (»Tintenfaß-Bewahrer«) bezeichnet den Vorsteher der kaiserlichen Urkundenkanzlei (vgl. Du Cange, Notae 634-635; ODB sub v. Kanikleios). 176 Zur Verwendung von »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47. Die Entfernung Seleukeia-Kurikon ist zu gering angesetzt; sie beträgt real etwa das Dreifache. 177 Wir kennen ihn nur aus der Alexias. 178 Im Jahr 1100. 179 An der östlichen Landzunge der Peloponnes gegenüber der Insel Kythera.

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Buch XI, Kapitel 11 § 2 - 4

wenn dann die Genuesen vorüberkämen, dann solle er, falls er sicK stark genug glaube, den Kampf mit ihnen aufnehmen zu können, diese sofort angreifen; anderenfalls solle er für seine eigene Rettung und die der ihm unterstellten Schiffe samt ihren Besatzungen Sorge tragen und in Korone180 vor Anker gehen. Dieser segelte also los, hielt jedoch, als er die gewaltige Flotte der Genuesen erblickte, den Kampf gegen sie für aussichtslos und begab sich auf dem schnellsten Wege nach Korone. 3 Kantakuzenos übernahm nun, wie es sein Auftrag erforderte, das Kommando über die gesamte romäische Flotte, ließ die Truppen, die ihn dorthin begleitet hatten, ebenfalls an Bord gehen und setzte den Genuesen, so schnell er konnte, nach. Als er sie jedoch nicht einholen konnte, begab er sich nach Laodikeia181, da er es eilig hatte, sich mit Herz und Hand dem Kampf gegen Baimundos zu widmen. Und so machte er sich denn auch ans Werk, besetzte den Hafen und berannte ununterbrochen bei Tag und bei Nacht die Mauer. 4 Da er aber damit erfolglos blieb, indem er unzählige Male angriff und ebensooft zurückgeschlagen wurde, und da er die Kelten immer wieder durch Überredung auf seine Seite zu ziehen versuchte und keinen Erfolg hatte und andererseits auch immer wieder im Kampf scheiterte, ließ er innerhalb von drei Tagen und drei Nächten eine kreisförmige Mauer nur aus Steinen ohne Mörtel zwischen dem Strand und den Stadtmauern von Laodikeia errichten, und indem er diese gleichsam als Schutzwall benutzte, ließ er in Windeseile im Schutze dieser Mauer eine zweite Festung aus gemauertem Material erbauen, damit er von dort wie von einem Stützpunkt aus die Belagerung mit noch mehr Nachdruck betreiben konnte. Er ließ außerdem auch zwei Türme auf beiden Seiten der Hafeneinfahrt errichten und dazwischen eine eiserne Kette spannen, womit er den Schiffen, die die Kelten möglicherweise als Hilfe vom Meer her erwarteten, den Zugang versperrte. Unterdessen brachte er auch viele der am Meer gelegenen Festungen in seine Hand, diejenige mit Namen Argyrokastron182, außerdem Marchapin183, Gabala184 und noch einige andere, indem er sogar bis an die Grenzen von Tripolis vordrang; diese Städte hatten früher den Sarazenen Tribut gezahlt, danach aber wurden sie vom Autokrator

180 Am Messenischen Golf. 181 Laodikeia (Latakia) war im Jahr 1102 von den Normannen eingenommen worden (vgl. oben Kap. 9 § 1). 182 »Silberburg«, zwischen dem Krak des Chevaliers (Qalat al-Hisn) und Tortosa etwa 30 km von der Küste entfernt gelegen, von den Kreuzfahrern Chastel-Blanc genannt, heute Safita (so Dussaud, Syrie 119; skeptisch gegenüber dieser Identifizierung Honigmann, Ostgrenze 114, Anm. 5; vgl. auch Cahen, Syrie de Nord 173). 183 Festung al-Marqab (von den Kreuzfahrern Margat genannt) auf den Höhen über Banyas; vgl. Dussaud, Syrie 127. 184 Schon in der Antike bekannte Hafenstadt ca. 30 km südlich von Latakia, heute Jablah; vgl. Du Cange, Notae 636; Dussaud, Syrie 135-138.

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Buch XI, Kapitel 11 § 4 - 7

mit viel Schweiß und Mühen für das Reich der Romäer wiedergewonnen. 5 Der Basileus hielt es indessen für notwendig, Laodikeia auch von der Landseite her zu belagern, weil er seit langem die Gefährlichkeit des Ba'imundos und dessen Winkelzüge kannte (er hatte nämlich die Gabe, den Charakter eines Menschen in kurzer Zeit zu erfassen) und sich von dessen verschlagener und zu Illoyalität neigender Natur ein klares Bild gemacht hatte, und ließ daher Monastras185 rufen und schickte ihn mit einer starken Streitmacht auf dem Landweg aus, so daß zur selben Zeit Kantakuzenos vom Meer her, dieser aber von der Landseite her Laodikeia belagern sollte. Doch hatte Kantakuzenos, noch bevor Monastras eintraf, den Hafen und die Stadt selbst eingenommen; die Zitadelle allerdings, das, was man heute umgangssprachlich gewöhnlich »Kula«186 nennt, hielten weiterhin Kelten, 500 Fußsoldaten und 100 Berittene. 6 Als nun Ba'imundos von der Einnahme dieser Festungen hörte und noch dazu von dem Baron, der die Zitadelle von Laodikeia verteidigte, erfuhr, daß es ihm an Proviant mangele, nahm er sämdiche von ihm befehligten Truppen und vereinigte sich mit den Truppen des Tangre und des Isangeles, ließ Maultiere mit den verschiedensten Lebensmitteln beladen und zog dann nach Laodikeia und ließ den Proviant schnellstens in die Zitadelle schaffen; danach traf er sich mit Kantakuzenos zu einer Unterredung und sagte ihm folgendes: »Mit welcher Absicht hast du diese Bauwerke und Anlagen geplant?« Dieser antwortete: »Du weißt, daß ihr gelobt habt, dem Autokrator zu dienen, und daß ihr eidlich versichert habt, ihm die von euch eroberten Städte zu übergeben. Dann aber hast du selber die Eide Lügen gestraft und hast obendrein noch die Friedensvereinbarungen gebrochen, denn nachdem du diese Stadt hier eingenommen und uns übergeben hattest, hast du es dir anders überlegt und sie wiederum besetzt,187 so daß ich vergeblich hierher gekommen bin, um die von euch eroberten Städte zu übernehmen.« Darauf Ba'imundos: »Mit welcher Hoffnung bist du gekommen? Daß du sie für Geld oder durch das Schwert von uns erlangst?« Und er antwortete: »Das Geld haben diejenigen bekommen, die an unserem Zug teilnehmen, damit sie tapfer kämpfen.« Darauf sagte Ba'imundos voller Wut: »Ohne Geld, das merke dir, wirst du nicht einmal ein Kastell einnehmen können.« Und sogleich trieb er seine Truppen an, im Galopp bis an die Tore der Stadt zu reiten. 7 Die Männer des Kantakuzenos, welche die Mauern unter Bewachung hielten, beschossen die Franken, als diese sich den Mauern näherten, mit Pfeilen so dicht wie Schneeflocken und drängten sie ein

185 186 187 xiade

Zu ihm vgl. zuletzt oben Kap. 9 § 4. Im Griechischen Fremdwort aus dem Arabischen. Zum wechselvollen Schicksal von Laodikeia zwischen 1097 und 1100 vgl. Leib, AleIII 49, Anm. 1.

Buch XI, Kapitel 11 § 7-Kapitel 12 § 2

wenig zurück. Doch sogleich zog Baimundos alle seine Truppen zusammen und zog in die Zitadelle ein. Da er dem Baron, der sie verteidigte, samt den ihm unterstellten Kelten mißtraute, jagte er diese davon und setzte einen anderen als Kommandanten zur Verteidigung der Stadt ein. Zur selben Zeit zerstörte er die Weingärten in der Nähe der Mauern, damit sie den Lateinern für künftige Kavallerieattacken nicht im Wege waren. Nachdem er diese Maßnahmen getroffen hatte, zog er von dort ab und begab sich in die [Stadt] des Antiochos. Kantakuzenos aber betrieb die Belagerung unermüdlich auf jede nur mögliche Weise und brachte durch unzählige Kriegslisten, Sturmangriffe und Belagerungsmaschinen die Lateiner in der Zitadelle in Verlegenheit. Aber auch Monastras, der mit dem berittenen Heer über Land heranzog, brachte Longinias, Tarsos, Adana, Mamista" 8 und sogar ganz Kilikien in seine Hand. XII Da sich Baimundos vor den Drohungen des Autokrators fürchtete und nicht wußte, womit er sich verteidigen sollte (denn weder hatte er ein nennenswertes Landheer noch eine Flotte auf dem Meer; von beiden Seiten nämlich drohte ihm Gefahr189), dachte er sich eine in höchstem Maße unedle, aber auch überaus schlaue List aus. Nachdem er zuerst die Stadt des Antiochos seinem Neffen Tangre, dem Sohn des Markeses"0, überlassen hatte, ließ er überall über sich selbst Gerüchte verbreiten, daß nämlich Baimundos tot sei, und so machte er die Welt glauben, daß er verschieden sei, obwohl er noch lebte. 2 Die Fama verbreitete sich schneller als auf Vogelschwingen überall und verkündete, daß Baimundos tot sei. Als dieser sah, daß das Gerücht genügend Verbreitung gefunden hatte, da war sogleich ein hölzerner Sarg bereit und ein Zweiruderer, auf welchen der Sarg verladen wurde, und schon legte dieser lebendige Leichnam von Sudel, welches der Hafeti der [Stadt] des Antiochos ist1", in Richtung Rom ab1'2. Er wurde wie ein Toter übers Meer befördert, nach außen hin wär er ein Toter sowohl wegen des Sarges als auch wegen des Benehmens seiner Begleiter (denn jedesmal, wenn sie in einen Hafen kamen, rauften sich die Barbaren die Haare und erhoben demonstrativ ihr Wehgeschrei), drinnen aber war er ein Toter nur insofern, als er ausgestreckt dalag; im übrigen atmete er durch verborgene Löcher die Luft ein und aus. So verhielt man sich in Küstennähe. Wenn das Schiff jedoch auf dem offenen Meer fuhr, gaben sie ihm zu essen und umsorgten ihn. Danach wieder dieselben Wehklagen und derselbe Mum-

188 Alles Städte in Kilikien: vgl. zu Longinias TIB 5, 334; zu Tarsos oben Kap. 6 § 1; zu Adana TIB 5, 154-158; zu Mamista (Mopsuestia) TIB 5, 351-359. 189 Von Land her aber weniger durch die Byzantiner als durch die Türken. 190 Anna faßt den Titel »Marchese« als Namen auf; Tankreds Vater war der Marchese Eudo, seine Mutter eine Schwester Bohemunds. 191 Vgl. oben Kap. 4 § 3. 192 Gegen Ende des Jahres 1104; Bohemund kam im Januar 1105 in Italien an.

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Buch XI, Kapitel 12 § 3-5

menschanz. 3 Damit es aber auch den Anschein habe, als sei der Leichnam in Verwesung begriffen und stinke, erwürgten oder schlachteten sie einen Hahn und legten ihn auf den Toten. Und prompt verbreitete dieser nach vier oder fünf Tagen einen durchdringenden Gestank für alle, die eine Nase hatten. Und diejenigen, die draußen standen, wurden getäuscht, und es hatte für sie den Anschein, als ginge der schwere Verwesungsgeruch vom Körper des Ba'imundos aus. Doch mehr als alle anderen mußte ja unser berühmter Baimundos das inszenierte Übel genießen, so daß es mich wundernimmt, wie er eine derartige Belagerung seiner Nase ertragen konnte, indem er sich als noch Lebender mit einem Kadaver zusammen verfrachten ließ. Ich habe jedoch daraus gelernt, daß das gesamte Barbarenvolk nur schwer umzustimmen und von dem abzubringen ist, was es sich einmal zum Ziel gesetzt hat, und daß ihnen nichts zu gemein ist, als daß sie es nicht auf sich nähmen, nachdem sie sich einmal darauf verlegt haben, selbstgewählte Qualen zu erdulden. Und so zögerte auch dieser Mann, der noch keineswegs tot war, sondern nur vorgab, tot zu sein, nicht, mit Kadavern zu leben. Diese List des Barbaren, die auf die Vernichtung der Herrschaft der Romäer abzielte, ist allerdings beispiellos und einzigartig in unserer heutigen Welt, und auch vordem hat kein Barbar und kein Grieche etwas derartiges gegen Feinde ins Werk gesetzt, und ich glaube, auch danach werden wir dergleichen nicht mehr erleben."3 4 Nachdem er Korypho erreicht hatte, gleichsam als habe er den Gipfel und Scheitelpunkt eines Berges erreicht und einen Zufluchtsort gefünden in dieser Insel Korypho, und nachdem er außer Gefahr war, erstand er auf von den Scheintoten und verließ dort den Sarg, der die Toten birgt, genoß helleres Sonnenlicht, atmete reinere Luft und erging sich in der Stadt Korypho. Als man ihn in fremdartiger und barbarischer Kleidung sah, fragte man nach seiner Herkunft und seinem Stand, wer er sei, woher er komme und zu wem er wolle. 5 Er aber behandelte sie alle mit Verachtung und verlangte nach dem Dux der Stadt. Dieser war ein gewisser Alexias" 4 , der aus dem Thema Armeniakon" 5 stammte. Als er vor ihm stand, befahl er ihm mit Anmaßung in Blick und Haltung und in einem anmaßenden und ganz und gar barbarischen Ton, dem Autokrator Alexios folgende Botschaft zu übermitteln: »Da hast du mich, den berühmten Baimundos, den Sohn Roberts. Die Vergangenheit hat dich und dein Reich gelehrt, wie gewaltig meine Tapferkeit und meine Widerstandskraft sind. Daher werde ich das Blatt

193 Die Episode wird nur von Anna berichtet. Du Cange (Notae 638) und Leib (Alexmde III 51, Anm. 1) äußern Zweifel an ihrer Authentizität unter Hinweis aufliterarische Parallelen von vorgetäuschten Toden als Kriegslist. 194 Uber diesen Alexios, Dux von Kerkyra, ist sonst nichts bekannt; vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 8 (S. 14-15). 195 Vgl. Buch I, Anm. 18.

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Buch XI, Kapitel 12 § 5-6

auch wenden, da ich, Gott sei mein Zeuge, nicht hinnehmen werde, was man mir Übles angetan hat. Seit ich auf meinem Marsch durch das Gebiet der Romäer die Stadt des Antiochos eingenommen und ganz Syrien mit meiner Lanze unter mein Joch gezwungen habe, habe ich durch dich und dein Heer viel Bitteres erfahren, bin von einer Hoffnung auf die nächste vertröstet worden, bin unzählige Male in schwere Bedrängnis und Kämpfe gegen die Barbaren geraten. 6 Jetzt aber, das sollst du wissen, bin ich, wenn ich auch gestorben war, wieder neu belebt auferstanden und deinen Händen entronnen. Denn jedem Auge, jeder Hand und jedem Plan bin ich in Gestalt eines Toten entkommen, und jetzt sende ich, der ich lebe, mich bewege und atme, deiner Majestät hier aus Korypho sehr unangenehme Neuigkeiten, die du wohl kaum mit großer Freude lesen wirst, daß ich nämlich meinem Neffen Tangre die Stadt des Antiochos anvertraut und ihn deinen Heerführern als würdigen Gegner im Kampf zurückgelassen habe; ich selbst aber werde in mein eigenes Land gehen, von dir und den deinen totgesagt, für mich und die meinen aber ein lebendiger Mann, der furchtbare Pläne gegen dich schmiedet. Denn mit der Absicht, das Romäische Reich unter deiner Herrschaft zu erschüttern, bin ich als Lebender gestorben und als Toter wieder zum Leben erwacht. Wenn ich nämlich das gegenüberliegende Fesdand erreicht und die Longibarden und alle Lateiner, Germanoi und unsere Franken aufgesucht habe, alles Männer, die des Ares gedenken196, dann werde ich deine Städte und Provinzen mit Bergen von Leichen anfüllen und in Ströme von Blut tauchen, so lange, bis ich meine Lanze in Byzantion selbst aufgepflanzt habe.« Zu einem solchen Grad von Prahlerei also verstieg sich der Barbar.

196 Anna gebraucht eine homerisierende Wendung.

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Buch XII, Kapitel 1 § 1-2

Buch 12

I Die Taten Baimundos' im Zusammenhang mit seiner ersten Überfahrt 1 , all' seine Machenschaften, die er erwiesenermaßen gegen den Autokrator ins Werk gesetzt hat, weil er die Herrschaft über die Romäer fxir sich selbst zu gewinnen trachtete, und wie er skrupellos seinen heimlichen Rückzug von jenem Ort plante und auch tatsächlich sein Ziel erreichte und wie er nach dieser denkwürdigen Schiffsreise, bei der er wie ein Toter transportiert wurde, in Korypho anlangte, all' das mag somit hinreichend beschrieben sein. Nunmehr soll mein Bericht seine Taten danach schildern. Nachdem der Leichnam, wie gesagt, stinkend in Korypho angekommen war und nachdem er dem Autokrator durch den dortigen Dux gedroht hatte, was wir oben bereits berichtet haben, fuhr er ab in die Longibardia und machte sich ans Werk; denn er beabsichtigte, sich erneut des Illyrikons zu bemächtigen, und zu diesem Zweck wollte er schnellstens noch mehr Verbündete sammeln als zuvor. So verhandelte er auch mit dem König von Frankreich2 über eine eheliche Verbindung. Dieser gab ihm eine seiner Töchter zur Frau3; die andere Tochter schickte er übers Meer in die Stadt des Antiochos, damit sie dessen Neffen Tangre angetraut werde4. Dann zog Baimundos von überall her, aus jedem Land und aus jeder Stadt, zahllose Streitkräfte zusammen, rief die Barone mit den von ihnen befehligten Heeren zu sich und bereitete mit großer Eile und Energie die Überfahrt ins Illyrikon vor. 2 Als der Basileus gehört hatte, was ihm durch 1 Eigentlich war es seine zweite, aber die erste, die er in eigener Verantwortung unternommen hat; die erste Überfahrt ins Illyrikon nach Dyrrachion hatte er im Auftrag seines Vaters Robert Guiskard durchgeführt (vgl. Buch III, Kap. 12 § 3). 2 Philippe 1.(1060-1108). 3 Constantia. Aus dieser 1106 geschlossenen Verbindung ging Bohemund II. hervor, der nach dem Tod Tankreds die Nachfolge seines Vaters als Fürst von Antiocheia antrat; vgl. Du Cange, Notae 638-639. 4 Cecilia, eine illegitime Tochter; vgl. Du Cange, Notae 639; Runciman, Crusades II 49, Anm. 1.

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Buch XII, Kapitel 1 § 2-4

Alexios5 übermittelt worden war, schickte er sogleich in alle Länder Briefe6, nach Pissa, nach Genua und nach Venedig, und warnte sie im voraus davor, sich durch die falschen Worte Baimundos' verleiten zu lassen und ihm Gefolgschaft zu leisten. Denn dieser zog in der Tat durch sämtliche Städte und Länder und führte eine leidenschaftliche Kampagne gegen den Autokrator, indem er ihn einen Heiden und Feind der Christen nannte. 3 Da nun aber der Babylonier7 vorher dreihundert Barone gefangengenommen hatte, zu der Zeit, als die unzähligen Massen der Kelten von Westen her nach Asien übergesetzt waren und die Stadt des Antiochos und Tyros8 sowie sämtliche benachbarten Städte und Länder heimsuchten, und sie nun als Gefangene im Kerker hielt (ihre Einkerkerung aber war so grausam wie in alter Zeit), erfuhr der Autokrator von ihrer Gefangennahme und dem schlimmen Schicksal, das sie danach erleiden mußten, und es schmerzte ihn tief in der Seele, und er bemühte sich mit allen Kräften um ihre Freilassung. Er ließ Niketas Panukomites 9 zu sich kommen und schickte ihn mit einer Geldsumme zu dem Babylonier, nachdem er ihm auch einen Brief eingehändigt hatte10, in welchem er um die Herausgabe jener gefangenen Barone bat, indem er ihm viele Gefälligkeiten versprach, wenn er ihre Fesseln lösen lasse und sie freilasse. Als der Babylonier Panukomites empfangen und gehört hatte, was ihm vom Autokrator als Botschaft überbracht worden war, und nachdem er auch den Brief gelesen hatte, ließ er auf der Stelle die Barone von ihren Fesseln befreien und aus dem Kerker fuhren; allerdings gab er ihnen nicht die volle Freiheit, sondern überstellte sie, indem er sie zum Autokrator schickte, dem Panukomites, nahm aber nichts von dem mitgegebenen Geld an. O b er es für Gefangene von so hohem Rang für kein ausreichendes Lösegeld hielt oder ob er sich nicht dem Verdacht der Bestechlichkeit aussetzen wollte oder ob er den Anschein vermeiden wollte, er habe sie für Geld verkauft, und vielmehr dem Basileus eine reine und aufrichtige Gefälligkeit erweisen wollte, oder aber ob er auf noch mehr aus war, das mag Gott wissen. 4 Als der Basileus sie nach ihrer Ankunft empfing, war er freudig erstaunt und voller Verwunderung über die Entscheidung des Barbaren. Er erkundigte sich aber auch genau danach, wie es ihnen ergangen war, und als er hörte, daß sie, während sie so lange Zeit und so viele Monate hindurch eingekerkert waren, nicht ein einziges Mal die Sonne gesehen hatten und auch nicht von ihren Fesseln befreit worden waren, ja daß sie in all der Zeit ausharren

5 6 7 8 9 10

Dux von Korypho; vgl. Buch XI, Kap. 12 § 5. Dölger-Wirth, Regesten 1219. Der Sultan von Kairo al-Amir bzw. dessen Vezir al-Afdal; vgl. Buch XI, Kap. 7 §§ 1-2. Heute §ur im südlichen Libanon. Zu ihm vgl. Buch IV, Kap. 4 § 3 mit Anm. 43. Dölger-Wirth, Regesten 1220 (um 1104).

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Buch XII, Kapitel 1 § 4-Kapitel 2 § 1

mußten, ohne irgendeine andere Nahrung zu sich zu nehmen als nur Wasser und Brot, da erfaßte ihn Mideid, und er vergoß heiße Tränen. Und sogleich behandelte er sie mit großer Gastfreundlichkeit, schenkte ihnen dazu noch Geld und überreichte ihnen Gewänder aller Art, lud sie ein, Bäder aufzusuchen, und tat alles Erdenkliche, damit sie sich nach so schlimmer Qual erholen konnten. Sie freuten sich über die gute Behandlung, die ihnen von Seiten des Autokrators zuteil wurde, ihnen, die doch zuvor seine Feinde und Gegner im Krieg gewesen waren und die die ihm geleisteten Eide gebrochen und ihre Versprechungen nicht eingehalten hatten, und sie sahen, wie groß seine Nachsicht gegen sie war. 5 Nach einigen Tagen ließ er sie rufen und sagte zu ihnen: »Ich gebe euch von nun an die Erlaubnis, solange ihr wollt, bei uns in dieser Stadt zu bleiben. Wenn aber einer von euch aus Sehnsucht nach seiner Familie fortgehen will, so mag er sich ungehindert auch auf den Heimweg machen, nachdem er sich von uns verabschiedet hat und dabei mit Geld und allem anderen, was er für die Reise braucht, gut ausgerüstet worden ist. Kurz, ich möchte, daß ihr die Freiheit habt, sowohl zu bleiben als auch zu gehen und wie freie Menschen selbst zu entscheiden und zu tun, was euch beliebt.« Die Barone, die, wie gesagt, mit jeder erdenklichen Fürsorge behandelt worden waren, blieben vorerst beim Autokrator und wollten sich nicht von ihm trennen. Als Baimundos jedoch in die Longibardia gelangt war, wie wir oben bereits berichtet haben, und sich bemühte, noch mehr Truppen als zuvor zu sammeln, und als er jede Stadt und jedes Land besuchte und den Autokrator in vielfacher Weise schlecht zu machen versuchte, indem er ihn mit lauter Stimme als Heiden und einen, der die Heiden aus vollem Herzen unterstütze, anprangerte, da ließ der Autokrator, als er davon erfuhr, besagte Barone reich beschenkt nach Hause abreisen, zum Teil weil sie nunmehr auch selbst den Wunsch hatten, in ihre Heimatländer zurückzukehren, zum Teil aber auch, um die Anschuldigungen des Bai'mundos gegen ihn zu widerlegen. 6 Er selbst aber machte sich eilends auf den Weg zur Stadt des Thessalos", um einerseits die frisch ausgehobenen Soldaten militärisch zu drillen, zugleich aber auch, um Bai'mundos durch die Kunde hierüber davon abzuhalten, aus der Longibardia in unser Land überzusetzen. Als aber nun die genannten Barone angekommen waren, wurden sie zu unwiderleglichen Zeugen gegen Bai'mundos; sie nannten ihn einen Betrüger, der nicht einmal zufallig die Wahrheit sage, überführten ihn oftmals Auge in Auge der Lüge und prangerten ihn in jeder Stadt und jedem Land an, indem sie sich selbst als glaubwürdige Zeugen präsentierten. II Da die geplante Überfahrt des Bai'mundos in aller Munde war und da der Autokrator viele Truppen und ein entsprechend großes Heer benötigte, wel11 Alexios brach im September 1105 nach Thessalonike auf.

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Buch XII, Kapitel 2 § 1-3

ches den keltischen Horden Widerstand leisten konnte, zögerte er nicht und verlor auch keine Zeit, sondern rief seine Heerführer in Koilesyrien12 zu sich, ich meine Kantakuzenos und Monastras; ersterer verteidigte nämlich Laodikeia, letzterer Tarsos13. Doch ließ er, als er diese Männer von dort abberief, die von ihnen bewachten Gebiete und Städte nicht ohne Schutz; denn nach Laodikeia entsandte er mit anderen Streitkräften Petzeas14, nach Tarsos und in alle Monastras unterstellten Städte und Gebiete Aspietes15. Dieser Mann stammte aus einer vornehmen armenischen Familie und war berühmt für seine Tapferkeit; in diesem Rufe stand er jedenfalls damals, wenn es sich auch in der darauffolgenden Zeit erwies, daß er diesem Ruf in gar keiner Weise entsprach, wenigstens nicht, was seine Fähigkeiten als militärischer Befehlshaber angeht. 2 Tangre nämlich, der Statthalter der [Stadt] des Antiochos, den wir weiter oben in unserem Bericht in Syrien zurückgelassen haben16, streute allenthalben Gerüchte aus, daß er sehr bald nach Kilikien kommen werde, um es zu erobern und den Händen des Basileus zu entreißen, da es ihm gehöre und durch seine Lanze den Türken entrissen worden sei. Und er ließ nicht nur überall derartige Gerüchte verbreiten, sondern drohte in Briefen, die auch täglich dem Aspietes ausgehändigt wurden, noch weit Schlimmeres an. Und er drohte nicht nur, sondern traf konkrete Vorbereitungen zur Ausfuhrung der Drohungen und ließ erkennen, daß er gewillt war, diese wahr zu machen, indem er überall unter Armeniern und Kelten Truppen aushob, diese täglich exerzieren ließ und das Heer für Kampfformationen und Schlachten ausbildete. Bisweilen sandte er sie sogar zu Raubzügen zur Beschaffung von Nahrungsmitteln aus und ließ so den Rauch vor dem Feuer sehen; zugleich ließ er die Belagerungsmaschinen herrichten und bereitete sich auf jede mögliche Weise auf den Belagerungskampf vor. 3 Doch während jener auf diese Weise tätig war, blieb der Armenier Aspietes untätig sitzen, als bedrohe ihn niemand, jage niemand ihm Furcht ein und lasse ihn in so großer Gefahr schweben, und unbekümmert überließ er sich in den Nächten unmäßigen Trinkgelagen, und das, obwohl er doch an sich sehr tapfer und ein sehr tüchtiger Gefolgsmann des Ares war. Als er jedoch in Kilikien an Land gegangen war, weit entfernt von der Hand des

12 Aus der Antike übernommene Bezeichnung (»Hohlsyrien«) für die Gebiete an den Oberläufen der Flüsse Orontes und Jordan. 13 Zu Kantakuzenos vgl. zuletzt im Zusammenhang des Kampfes um die Zitadelle von Laodikeia Buch XI, Kap. 11 §§ 5-7, zu Monastras im Zusammenhang der Eroberung der Städte Kilikiens Buch XI, Kap. 11 § 7. Tarsos gehört nicht zu Syrien, sondern zu Kilikien. 14 Vgl. zu ihm als Dux von Ephesos Buch XI, Kap. 5 § 5. 15 Vornehmer Armenier namens Oschin, dessen Titel »Asbed« (princeps) Anna als Namen auffaßt und gräzisiert. Er ist bereits im Zusammenhang der Schlacht von Dyrrachion einmal kurz erwähnt worden (vgl. Buch IV, Kap. 6 § 7 mit Anm. 67). 16 Vgl. Buch XI, Kap. 12 § 1.

404

Buch XII, Kapitel 2 § 3-6

Herrn und nun selbst verantwortlich als Befehlshaber handelnd, gab er sich allen möglichen Vergnügungen hin. So zeigte sich dieser verweichlichte und in fortwährender Ausschweifung lebende Armenier, als der Zeitpunkt der Belagerung gekommen war, völlig nachlässig gegenüber dem durch und durch trainierten Soldaten Tangre. Und weder dröhnten ihm die Ohren vom Donnergrollen seiner Drohungen noch wandte er seine Augen den Blitzen zu, als jener, das Blitzbündel in der Hand, Kilikien verheerend heranzog. 4 Tangre nämlich war von Antiocheia aus mit einem riesigen Heer plötzlich zum Feldzug aufgebrochen; er hatte seine Truppen in zwei Teile geteilt und sandte die einen auf dem Landweg gegen die Städte des Mopsos17, die anderen ließ er Dreiruderer besteigen und führte sie übers Meer zum Saron-Fluß. Dieser fließt von den Bergen des Tauros herab und zwischen den beiden Städten des Mopsos hindurch, von welchen die eine in Trümmern liegt und die andere noch besteht, und mündet ins Syrische Meer. Von dort [dem Syrischen Meer] segelten die Schiffe des Tangre nordwärts, näherten sich der Mündung dieses Flusses und fuhren dann stromaufwärts bis zu den Brücken, die beide Städte verbinden 18 . Auf diese Weise wurde die Stadt von beiden Seiten her vom Heer eingeschlossen und angegriffen. Denn so konnten die einen leicht vom Wasser aus den Kampf gegen die Stadt fuhren, während auf der anderen Seite diejenigen zu Fuß kämpfen konnten, die sie vom Land her unter Druck setzten. 5 Doch als sei nichts Ungewöhnliches im Gange und als sei die Stadt nicht ringsum von einem solch riesigen Schwärm von Soldaten umschwirrt, kümmerte sich jener wenig darum; ich weiß nicht, was mit ihm geschehen war, er verhielt sich jedenfalls damals ganz und gar nicht so, wie es seiner Tapferkeit entsprochen hätte. Das machte den Mann beim kaiserlichen Heer äußerst verhaßt. Was aber hatten nun die kilikischen Städte zu erwarten, da sie dem strategischen Geschick eines so fähigen Mannes ausgeliefert waren? Denn ganz allgemein war Tangre einer der stärksten Männer seiner Zeit und gehörte, was seine strategische Erfahrung angeht, zu den am meisten Bewunderten, im Belagern von Städten aber war er ein Heerführer, vor dem es kein Entrinnen gab. 6 Man mag sich an dieser Stelle vielleicht wundern, wie dem Autokrator die militärische Unfähigkeit des Aspietes entgehen konnte. Ich würde zur Verteidigung meines Vaters vorbringen, daß die Vornehmheit seiner Familie den Autokrator in seiner Meinung bestimmt hat, der Glanz seiner Herkunft und der 17 Umschreibung für Mopsuestia (Mamista) als vom mythischen Mopsos gegründeter Stadt, östlich von Adana auf beiden Ufern des Flusses Pyramos (heute Ceyhan) gelegen, nicht am weiter westlich fließenden Saron/Saros (heute Seyhan), wie Anna irrtümlich angibt. Vgl. TIB 5, 351-359. 18 Die römische Steinbrücke über den Pyramos existiert, mehrfach ausgebessert, heute noch.

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Buch XII, Kapitel 2 § 6-Kapitel 3 § 1

Ruhm seines Namens würden dem von Aspietes bekleideten Amt sehr zugute kommen. Er war nämlich das hervorragendste Mitglied der Familie der Arsakiden" und entstammte königlichem Blute. Daher hat ihn der Autokrator des Amtes des Stratopedarchen des gesamten Ostens20 für würdig befunden und in die höchsten Ränge erhoben, zumal er eine Probe von der Tapferkeit dieses Mannes erhalten hatte. 7 Als nämlich der Autokrator, mein Vater, die Schlacht gegen Robert schlug, wie ich schon berichtet habe21, da, beim Ausbruch dieser Schlacht, hob ein Kelte, der die anderen um Haupteslänge überragte, seine Lanze, gab seinem Pferd die Sporen und stürzte sich wie ein Blitz auf Aspietes. Dieser erhielt den wuchtigen Stoß des Kelten in dem Augenblick, als er gerade sein Schwert zog, und wurde aufs Schwerste verwundet, da die Lanze zwar an der Lunge vorbeifuhr, danach aber am Rücken wieder austrat. Jedoch weit entfernt, sich von diesem Stoß in Panik versetzen oder aus dem Sattel werfen zu lassen, preßte er sich vielmehr um so fester in den Sitz, führte einen mächtigen Hieb gegen den Helm des Barbaren und spaltete Kopf und Helm in zwei Teile. Beide stürzten von ihren Pferden, der Kelte tot, Aspietes noch atmend. Seine Leute hoben ihn auf, der schon ganz ausgeblutet war, versorgten ihn gut und brachten ihn zum Autokrator; sie zeigten diesem die Lanze und die Wunde und schilderten den Tod des Kelten. An diese, wie ich meine, ganz außergewöhnlich tapfere und tollkühne Tat erinnerte sich der Autokrator bei Aspietes damals, rechnete dazu noch seine Herkunft und das Ansehen, das sich auf seine Herkunft gründete, und sandte ihn daher als einen würdigen Heerführer nach Kilikien gegen Tangre, mit dem Amt des Stratopedarchen geehrt, wie ich bereits geschrieben habe. III So viel nun hierüber. An die Heerführer, die sich im Westen aufhielten, schrieb er ebenfalls Briefe22; in diesen trug er ihnen auf, sich direkt nach Sthlanitza23 zu begeben. Wie? Rief er die Vorkämpfer herbei, während er selbst nichts tat, indem er ein sorgloses Leben genoß und Bäder nahm, wie es die Kaiser zu tun pflegen, die es vorziehen zu leben wie die Tiere auf der Weide? Ganz und gar nicht, sondern er ertrug es nicht einmal, noch länger im Palast zu verweilen. Er verließ Byzantion, wie oben berichtet worden ist24, nahm seinen Weg mitten durch die westlichen Provinzen und erreichte die Stadt des Thettalos im Monat September der 14. Indiktion im fünfundzwanzigsten Jahr,

19 Altarmenisches Königsgeschlecht. Die genealogische Verbindung ist natürlich Fiktion. 20 Zum Titel »Stratopedarches« vgl. Buch I, Anm. 14. 21 Vgl. Buch IV, Kap. 6. Die Verwundung des Aspietes wird dort in § 7 erwähnt. 22 Dölger-Wirth, Regesten 1224. 23 Festung in West-Makedonien, wohl zwischen Edessa und Giannitsa (vgl. Kravari, Macédoine 89-90 sub v. Slanitza). 24 O b e n Kap. 1 § 6.

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Buch XII, Kapitel 3 § 1 - 4

seitdem er die Zügel der Regierung in die Hand genommen hatte25. 2 Er zwang sogar die Augusta26, mit ihm zusammen ins Feld zu ziehen. Ihr Wesen war nämlich von der Art, daß es ihr ganz und gar widerstrebte, öffendich in Erscheinung zu treten; vielmehr hielt sie sich vorwiegend in ihren Gemächern auf und ging ihren eigenen Beschäftigungen nach, nämlich dem Lesen der Bücher der Heiligen Väter, der Meditation und der Wohltätigkeit und Barmherzigkeit gegenüber Menschen, vor allem gegenüber denjenigen, von denen sie aufgrund ihres Standes und ihrer Lebensweise wußte, daß sie Gott dienten und sich ganz dem Gebet und den in Wechselchören gesungenen Hymnen widmeten 27 . Wann immer sie jedoch aus zwingendem Anlaß sich als Basiiis in der Offendichkeit zeigen sollte, überkam sie Scham, und glühende Röte ergoß sich sogleich über ihre Wangen. 3 Die Philosophin Theano gab, als sich ihr Ellenbogen entblößt hatte und daraufhin jemand scherzend zu ihr sagte: »Welch ein schöner Ellenbogen!«, zur Antwort: »Aber nicht für die Öffentlichkeit.«28 Die Basiiis aber, meine Mutter, dieses Musterbild an Würde, diese Zufluchtsstätte der frommen Reinheit, liebte es nicht nur nicht, ihren Ellenbogen oder ihren Blick der Öffentlichkeit zu zeigen, sondern sie wollte nicht einmal ihre Stimme fremde Ohren hören lassen; ein solches Wunder an Sittsamkeit war sie. Da aber gegen die Notwendigkeit nicht einmal die Götter kämpfen können, wie man sagt2', mußte sie sich darein schicken, den Autokrator auf seinen häufigen Feldzügen zu begleiten. 4 Die ihr angeborene Schamhaftigkeit hielt sie zwar einerseits im Inneren des Kaiserpalastes zurück, doch andererseits brachten die Zuneigung zum Autokrator und die glühende Liebe zu ihm sie dazu, den Palast, wenn auch unfreiwillig, aus folgenden Gründen zu verlassen: Erstens, weil die Krankheit, die seine Füße befallen hatte, sorgfältigster Pflege bedurfte. Der Autokrator litt nämlich an reißenden Schmerzen infolge seiner Veranlagung zur Gicht, und keine Berührung war ihm so willkommen wie die meiner Gebieterin und Mutter. Sie behandelte ihn nämlich sehr behutsam und konnte durch geschickte Massage die Schmerzen seiner Füße ein wenig lindern. Denn dieser Basileus (und niemand soll mir vorwerfen, daß ich mich selber rühme, denn ich bewundere hier Dinge, die zu mir persönlich 25 Die Ankunft des Alexios in Thessalonike ist somit auf den September 1105 datiert, denn mit diesem Monat beginnt eine 14. Indiktion. In den Handschriften, die den griechischen Text enthalten, ist überliefert, daß es sich dabei u m das 20. Regierungsjahr des Alexios gehandelt habe. Das ist eine falsche Angabe, die schon eine spätere Hand in einem der Codices (F) richtiggestellt hat: Im September 1105 befinden wir uns im 25. Regierungsjahr des Alexios. 26 Seine Frau Eirene Dukaina, die hier nur mit einem ihrer offiziellen Titel bezeichnet ist. 27 Gemeint sind die Mönche. 28 Diese Anekdote von der pythagoreischen Philosophin Theano wird von Plutarch überliefert (Coniug. praec. 31 [Mor. 142 C]). 29 Ein vom antiken Dichter Simonides stammendes W o r t (fr. 4, 29-30 Diehl).

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Buch XII, Kapitel 3 § 4-7

gehören, und niemand soll mich verdächtigen, daß ich etwas Falsches über den Autokrator sage, denn ich sage die Wahrheit) stellte alles, was ihn selbst und seine persönlichen Angelegenheiten betraf, der Sicherheit der Städte hintan. Denn nichts vermochte ihn von seiner Liebe zu den Christen abzuhalten, nicht Schmerzen und nicht Freuden, nicht die Strapazen in Kriegen und auch sonst nichts, sei es klein oder groß, nicht die sengenden Strahlen der Sonne, nicht die schneidende Winterkälte und nicht die mannigfachen Überfälle der Barbaren, sondern all dem hielt er unerschütterlich stand, und wenn er auch vor der Naturgewalt der Krankheiten in die Knie zu sinken drohte, so richtete er sich doch immer wieder auf, um dem Reich dienlich zu sein. 5 Der zweite und wichtigste Grund dafür, daß die Basiiis den Autokrator begleitete, war der, daß er wegen der auf allen Seiten auftauchenden Verschwörer höchster Wachsamkeit bedurfte und wahrlich einer mit vielen Augen sehenden Macht. Denn die Nacht barg für ihn Gefahren und auch der hellichte Tag, der Abend ließ neues Übel erwachsen, und der Morgen braute schlimmstes Unheil zusammen. Dafür ist Gott mein Zeuge. War es da nicht notwendig, daß der Basileus von unzähligen Augen bewacht wurde, da so viele Gefahren auf ihn lauerten, da die einen ihre Pfeile auf ihn richteten, andere ihr Schwert gegen ihn schärften und wieder andere, wenn es ihnen unmöglich war, etwas zu tun, ihrer verleumderischen Zunge und übler Nachrede freien Lauf ließen? 6 Welcher Bundesgenosse also sollte dem Basileus zur Seite stehen, wenn nicht seine ihm verbundene Ratgeberin? Wer konnte mit größerer Aufmerksamkeit über den Autokrator wachen und mit mehr Mißtrauen diejenigen betrachten, die sich gegen ihn verschworen? Wer vermochte mit scharfem Blick zu erkennen, was ihm zuträglich war, und mit noch schärferem zu durchschauen, was seine Feinde gegen ihn im Schilde führten? Deshalb eben war meine Mutter für meinen Gebieter und Vater in allen Dingen alles: bei Nacht ein wachsames Auge, tagsüber sein ausgezeichneter Wächter, gegen die Gefahren zur Zeit der Tafel ein gutes Gegenmittel und gegen die Vergiftung durch Speisen eine vorbeugende Arznei. Das also waren die Gründe, welche immer wieder über das angeborene Schamgefühl dieser Frau siegten und ihr den Mut gaben, sich den Augen der Männer auszusetzen. Freilich vergaß sie auch dann nicht die gewohnte Zurückhaltung, sondern blieb für die meisten durch ihre Art zu blicken, durch ihr Schweigen und durch die Art ihrer Hofhaltung ganz unbemerkt. Allein die von zwei Maultieren getragene Sänfte und der kaiserliche Baldachin darüber zeigten an, daß eine Basiiis das Heer begleitete; im übrigen blieb ihre göttliche Person30 verborgen. 7 Alle merkten nur, daß da eine ganz ausgezeichnete

30 »Göttlich« ist ein der Hofetikette entsprechendes stehendes Beiwort für alles, was mit dem Kaiser oder der Kaiserin zu tun hat.

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Pflege für die Krankheit des Basileus ihren Dienst tat und eine nie ruhende Bewachung, ein Auge, das stets über seine Angelegenheiten wachte und niemals müde wurde. Und wir alle, die wir dem Autokrator zugetan waren, unterstützten sie und halfen unserer Gebieterin und Mutter bei seiner Bewachung, ein jeder, so gut er es vermochte, aus ganzer Seele und aus tiefstem Herzen, ohne je müde zu werden. Dies ist gegen die Spötter und Lästerzungen geschrieben; denn sie beschuldigen den Unschuldigen (diese menschliche Schwäche kennt auch die Muse Homers 31 ), und gute Taten setzen sie herab und tadeln den Tadellosen. 8 An dem Feldzug jedenfalls, der zu jenem Zeitpunkt stattfand (der Basileus war nämlich gegen Baimundos ausgezogen) nahm sie einerseits gegen ihren Willen, andererseits freiwillig teil. Freilich ging es für die Basiiis nicht darum, sich direkt am Kampf gegen das Barbarenheer zu beteiligen. Wie denn auch? Das würde zu Tomyris und der Massagetin Sparethra32 passen, aber nicht zu meiner Eirene. Denn ihre Tapferkeit war auf ein anderes Gebiet gerichtet und führte andere Waffen, nicht etwa den Speer der Athena und auch nicht den Helm des Hades33, sondern ihr Rundschild, ihr Langschild und ihr Schwert, mit dem sie sich beherzt den Unglücks- und Wechselfällen entgegenstellte, die das Kaiseramt für die Kaiser selbst gewöhnlich mit sich bringt, war ihre Tatkraft, ihre äußerste Strenge gegenüber den Leidenschaften und ihr aufrichtiger Glaube, wie Salomon ausführt 34 . So also war meine Mutter auch für derartige Kämpfe ausgerüstet, im übrigen aber war sie entsprechend ihrem Namen eine sehr friedfertige Frau35. 9 Da nun aber der Zusammenstoß mit den Barbaren erst noch zu erwarten stand, der Basileus hingegen erst Vorbereitungen für den Kampf traf und dafür, daß einige der Festungen gesichert, andere stärker befestigt wurden, kurz: da er darum bemüht war, alles aufs beste gegen Baimundos vorzubereiten, nahm er die Basiiis sowohl um seiner selbst willen als auch aus den Gründen mit, die wir schon genannt haben, aber auch deshalb, weil die Lage noch ungefährlich und der Zeitpunkt für Schlachten noch nicht gekommen war. Sie nahm also alles, was sie an Münzen aus Gold und anderem Edelmetall besaß, und noch einige sonstige Schätze an sich und zog aus der Stadt. Und danach bot sie unterwegs auf den Straßen allen Bettlern, allen, die in Tierfelle gekleidet und allen, die nackt und bloß waren, ihre freigebige Hand. Und es gab keinen, der 31 Von Anna öfter zitierte homerische W e n d u n g (vgl. Ilias 11, 654 und öfter). 32 Beispiele von antiken »barbarischen« Kämpferinnen in der Schlacht, über welche Herodot (I 205-214) bzw. Ktesias (fr. 9 [3] Jacoby) berichten. Massagetin war eigentlich Tomyris, Sparethra hingegen Skythin. 33 Sprichwörtliche Wendung; vgl. Leutsch-Schneidewin I 15-17, Nr. 41. Die Hades-Kappe hatte die Eigenschaft, ihren Träger unsichtbar zu machen. 34 Zitat aus Buch der Weish. 5,18. 35 »Eirene« ist das griechische Wort für »Frieden«.

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bat und leer ausging. Sobald sie aber das für sie bestimmte Zelt erreicht hatte, machte sie es sich nicht, kaum daß sie drinnen war, sogleich bequem, sondern sie schlug es zurück und gewährte den Bittenden ungehinderten Einlaß. Denn für solche Menschen war sie durchaus leicht zugänglich und ließ sich von ihnen sehen und hören. Nicht nur Geld aber gab sie den Armen, sondern auch gute Ratschläge, und wann immer sie sah, daß Menschen einen kräftigen und gesunden Körper hatten, aber ein müßiggängerisches Leben führten, so hielt sie diese zu Arbeit und Tätigkeit an, damit sie dadurch ihren Lebensunterhalt verdienten und nicht in gleichgültiger Faulheit von Tür zu Tür bettelnd umherzogen. 10 Kein Umstand konnte die Basiiis von dieser Tätigkeit abhalten. David, so sehen wir, mischt seinen Trank mit Wehklagen36. Diese Basiiis hingegen konnte man täglich Speise und Trank mit Barmherzigkeit mischen sehen. Und so manches könnte ich noch über diese Basiiis berichten, wenn mich nicht die Tatsache, daß ich ihre Tochter bin, dem Verdacht aussetzte, zu lügen und meiner Mutter gefallig zu sein. Für diejenigen, die diesen Argwohn hegen, werde ich Tatsachen anfuhren, die meine Worte bestätigen. IV Als die Menschen in den westlichen Provinzen hörten, daß der Autokrator in Thessalonike angekommen sei, strömten sie, so wie die schweren Körper einem Zentrum zustreben, alle zu ihm hin. Heuschrecken gingen den Kelten dieses Mal nicht voraus wie bei denen, die vorher durchgezogen waren37, doch erschien am Himmel ein großer Komet, größer als die, die jemals in der Vergangenheit erschienen waren; die einen behaupteten, es sei ein Balken-Komet, die anderen, es sei ein Wurfspieß-Komet 3 '. Für die außergewöhnlichen Dinge, die sich ereignen sollten, war es ja nur natürlich, daß gewisse Vorzeichen, die sie ankündigten, von oben gegeben wurden. Diesen Kometen nun konnte man volle 40 Tage und Nächte hell strahlen sehen 3 '. Er ging im Westen auf und zog nach Osten. Alle, die ihn sahen, fragten voller Furcht, was der Stern zu bedeuten habe. 2 Der Autokrator aber maß derlei Erscheinungen keine große Bedeutung zu, sondern war der Meinung, daß derartige Dinge von einer natürlichen Ursache abhängen; dennoch ließ er die Sachverständigen auf diesem Gebiet befragen. So ließ er auch Basileios holen, der erst kürzlich in den Rang des Eparchen von Byzantion erhoben worden war40 (dieser Mann zeigte gegenüber

36 Zitat aus Ps. 101,10. 37 Vgl. Buch X, Kap. 5 § 7. 38 Übliche Bezeichnungen für verschiedene Formen von Kometen. 39 In der Zeit von Februar bis März 1106, vgl. Du Cange, Notae 640. Das Jahresdatum ist jedoch nicht sicher, da der Komet offenbar mehrere Jahre hintereinander jeweils etwa um dieselbe Zeit sichtbar war (vgl. Grumel, Chronologie 473). 40 Dieser Basileios, Stadtpräfekt von Konstantinopel, ist uns nur aus der Alexias bekannt; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 26 (S. 42).

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dem Autokrator eine sehr loyale Gesinnung) und befragte ihn über den erschienenen Stern. Dieser erklärte, daß er sich seine Antwort für den nächsten Tag vorbehalten wolle, und zog sich dorthin zurück, wo er residierte (ein Heiligtum, das in alter Zeit zu Ehren des Apostels und Evangelisten Ioannes erbaut worden war41), und als die Sonne im Westen stand, beobachtete er den Stern. Während er sich jedoch den Kopf zerbrach und sich mit seinen Berechnungen abmühte, geschah es, daß er darüber einschlief und gleich darauf den Heiligen sah, in priesterliche Gewänder gekleidet. Voller Freude glaubte er nicht mehr nur ein Traumbild, sondern vielmehr die Wirklichkeit zu sehen. Als er dann den Heiligen erkannte, erschrak er und bat ihn furchtsam, ihn wissen zu lassen, was der Stern zu bedeuten habe. Dieser aber antwortete, er kündige eine Marschbewegung von Kelten an. »Sein Verlöschen bedeutet deren Zug dorthin und ihr Verbleiben.« 3 So viel nun über den erschienenen Stern. Nachdem der Basileus also in Thessalonike angekommen war, wie schon berichtet worden ist, bereitete er sich auf die Invasion des Baimundos vor, indem er die neu ausgehobenen Soldaten darin ausbilden ließ, den Bogen zu spannen, die Pfeile zielsicher abzuschießen und sich mit dem Langschild zu decken; er forderte aber auch vorsorglich durch Sendschreiben auswärtige Truppen aus fremden Ländern an, damit sie, wenn der entscheidende Moment gekommen war, dann schneller zur Stelle seien. Auch für das Illyrikon traf er umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen, indem er die Stadt Dyrrachion sichern ließ und zu ihrem Gouverneur Alexios bestimmte, den zweiten Sohn Isaaks, des Sebastokrators42. Zugleich ordnete er an, daß auch auf den Kykladen-Inseln und in den Küstenstädten von Asien und auch von Europa selbst Flotteneinheiten bereitgestellt würden. Obwohl viele den Bau der Flotte aufschieben wollten mit der Begründung, daß die Überfahrt des Baimundos noch nicht so rasch zu erwarten sei, hörte er dennoch nicht auf sie, da, wie er sagte, der Feldherr ein niemals schlafender Wächter sein müsse und sich nicht nur auf die unmittelbar drohende Gefahr vorzubereiten habe, sondern weiter in die Zukunft blicken müsse, und auch nicht etwa aus Sparsamkeit sich unvorbereitet zeigen dürfe, wenn der entscheidende Moment gekommen sei, und das um so mehr, wenn er das Herannahen eines Feindes bereits wittere. 4 Nachdem er also diese Dinge sehr umsichtig geregelt hatte, brach er von dort [Thessalonike] auf und zog nach Strumpitza 43 und von da aus weiter bis

41 Höchstwahrscheinlich identisch mit der Kirche des Evangelisten Johannes im sog. Dihippion beim Hippodrom; vgl. zu ihr Janin, Géographie ecdésiastique 13, S. 264-267 (Nr. 3). 42 Geboren ca. 1077. Vgl. zu ihm Barzos, Genealogia, Nr. 25 (S. 147-154); Skoulatos, Personnages, Nr. 7 (S. 12-14). 43 Festung ca. 100 km nordnordwesdich von Thessalonike, heute Strumica; vgl. Du Cange, Notae 640.

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nach Slopimos". Als er von der Niederlage des Ioannes, des Sohnes des Sebastokrators, der gegen die Dalmater vorausgesandt worden war, erfuhr, sandte er ihm eine beträchtliche Streitmacht zu Hilfe. Volkanos, der ein überaus schlauer Taktiker war, kam daraufhin sogleich beim Basileus um Frieden nach und schickte die geforderten Geiseln.45 Dieser aber endieß, nachdem er ein Jahr und zwei Monate ausgeharrt hatte, seine Soldaten nach Hause, da er Nachricht erhalten hatte, daß Baimundos sich noch auf dem Gebiet der Longibardia aufhalte, und da der Winter46 bereits seinen Einzug hielt; er selbst begab sich nach Thessalonike. Während er auf dem Weg nach Thessalonike war, wurde der erste der Söhne des in der Porphyra geborenen Basileus Ioannes47 in Valavista48 geboren zusammen mit einer Zwillingsschwester4'. Nachdem er dort den Gedenktag des Großmärtyrers Demetrios50 gefeiert hatte, kehrte er in die Große Stadt zurück. 5 Es ereignete sich aber auch folgendes: Mitten auf dem Konstantinsforum stand eine Statue aus Bronze, nach Osten blickend, auf einer weithin sichtbaren Porphyr-Säule stehend51, die in der Rechten ein Szepter, in der Linken eine aus Bronze gefertigte Kugel hielt. Man sagte, daß dies ein Standbild des Apollon sei. Die Einwohner der [Stadt] des Konstantin nannten es jedoch, glaube ich, Anthelios52. Der berühmte Konstantin, der große unter den Kaisern, der Vater und Herr der Stadt, benannte es dann nach seinem eige-

44 Weiter nördlich von Strumica, nicht lokalisiert. 45 Dölger-Wirth, Regesten 1229a. Dieselbe Konstellation hatte es schon einmal in den Jahren 1093/94 gegeben. Nach einer Niederlage des Ioannes Komnenos, damals Dux von Dyrrachion, gegen Vlkan (vgl. Buch IX, Kap. 4) mußte letzterer nachgeben (damals drohte ein persönliches Eingreifen des Alexios mit der byzantinischen Hauptstreitmacht) und Geiseln stellen (vgl. Buch IX, Kap. 10 § 1). 46 Wenn die Datierung des Kometen auf Februar-März 1106 stimmt und auch Annas Angabe, der Kaiser habe ein Jahr und zwei Monate im Westen zugebracht, richtig ist, müßte es sich um den Herbst des Jahres 1107 handeln (vgl. aber oben Anm. 39). 47 Annas Bruder und Nachfolger des Alexios auf dem Thron Ioannes II. (1118-1143); vgl. zu ihm Barzos, Genealogía, Nr. 34 (S. 203-228). Er war am 13. September 1087 geboren und im September 1092 von seinem Vater zum Mitkaiser gekrönt worden. 1104/05 hatte er Piroüka-Eirene, die Tochter des ungarischen Königs Ladislaus I., geheiratet. 48 Ortschaft in Makedonien nordwestlich von Serres, heute Siderokastron (vormals Valoviüfa, Demir Hisar); vgl. Paysages de Maádoine 142 sub v. Démir Isar. 49 Alexios Komnenos (Barzos, Genealogía, Nr. 74 [S. 339-348]) und Maria Komnene (Barzos, Genealogía, Nr. 75 [S. 348-356]). 50 26. Oktober 1107. 51 Zu dieser berühmten, später als Konstantin umgedeuteten Statue des Sonnengottes Apollon-Helios, die Konstantin der Große auf einer Porphyr-Säule in der Mitte des Forum Constantinum in Konstantinopel errichten ließ (die Reste dieser heute (^emberli Ta$ [»Verbrannter Stein«] genannten Säule existieren noch an Ort und Stelle), vgl. Du Cange, Notae 640-641; Janin, Constantinopk 77-80; Dagron, Naissance 38-39; C. Mango, Studies II-IV, in: Studies on Constantinople, London 1993. 52 Ubersetzt bedeutet das »an Stelle des Helios«.

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nen Namen um, indem er es als Standbild des Autokrators Konstantin bezeichnete. Die ursprüngliche Bezeichnung, die man dem Standbild gegeben hatte, behielt jedoch die Oberhand, und es wurde von allen entweder Anhelios oder Anthelios genannt. Dieses Standbild stießen plötzlich heftige Sturmböen, starke Südwestwinde, von dort herab und warfen es zu Boden; die Sonne stand damals im Zeichen des Stiers51. Dies erschien den meisten als ein schlechtes Omen, besonders all denen, die dem Autokrator nicht freundlich gesonnen waren. Sie zischelten hinter vorgehaltener Hand, daß dieses Ereignis den Tod des Basileus ankündige. Dieser aber sagte: »Ich kenne nur einen Herrn über Leben und Tod; daß das Umfallen von Götzenbildern den Tod bringen soll, kann ich keinesfalls glauben. Wenn nämlich ein Pheidias zum Beispiel oder sonst irgendein Bildhauer ein Götzenbild erschafft, indem er es aus Stein herausmeißelt, kann er damit etwa Tote zum Leben erwecken und kann er so lebendige Wesen schaffen? Wenn er es könnte, was bliebe dann übrig für den Schöpfer aller Dinge? Denn er sagt: »Ich kann töten und lebendig machen.«54 Und nicht etwa das Umfallen oder Errichten dieses oder jenes Götzenbildes.« Denn er [Alexios] stellte alles der allmächtigen Vorsehung Gottes anheim. V Doch hatte sich gegen den Autokrator wieder ein neuer Mischtrank von Übeln zusammengebraut, der jetzt von nicht eben unbedeutenden Leuten zubereitet wurde; es hatten sich nämlich Männer, die sich auf ihre Tapferkeit und die Berühmtheit ihres Geschlechts viel zugute halten konnten, in mörderischer Absicht gegen Leib und Leben des Basileus verschworen. Und ich wundere mich, da ich an diesem Punkt der Geschichte angekommen bin, woher es kam, daß so viele Übel den Autokrator rings umstellten; denn es gab nichts, wahrhaftig überhaupt nichts, was nicht gegen ihn in Bewegung war. Im Inneren nämlich war alles voll von Hochverrat, und außerhalb der Stadt herrschte überall Aufruhr. Und kaum hatte der Autokrator gegen die Schwierigkeiten im Inneren Front gemacht, als auch schon draußen alles in Flammen aufging, so als habe das Schicksal selbst gleichzeitig die Barbaren und die Rebellen im Inneren gleichsam wie eine Art Giganten aus dem Boden hervorsprießen lassen55, und das, obwohl doch der Basileus in jeder Hinsicht auf eine sehr milde und menschenfreundliche Weise regierte und waltete und obwohl es niemanden gab, den er nicht mit Wohltaten überschüttete. 2 Die einen nämlich zeichnete er durch Ehrenstellungen aus und ließ nicht ab, stets durch freigebige Geschenke ihren Reichtum zu mehren; was aber die Barbaren, woher auch immer

53 Zum aus anderer Quelle gewonnenen Datum 5. April 1106 vgl. Du Cange, Noüu 642. 54 Zitat aus Deut. 32,39. 55 Anspielung auf die dem Erdboden aus der Saat der Drachenzähne entsprossenen mythischen Krieger, gegen die Jason zu kämpfen hatte.

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sie kamen, angeht, so gab er ihnen keinen Anlaß zum Krieg und trieb sie auch seinerseits niemals in die Enge; wenn sie ihn aber provozierten, so wies er sie allerdings in ihre Schranken. Denn es ist ein Kennzeichen schlechter Feldherrn, wenn ringsum alles friedlich ist, mutwillig die umwohnenden Völker zum Krieg zu reizen. Der Frieden nämlich ist das Ziel eines jeden Krieges. Doch statt des Zieles stets das Mittel zur Erreichung eines Zieles als Endzweck zu wählen und sich um das gute Ziel nicht zu kümmern, das ist kennzeichnend für törichte Feldherrn und Volksführer und solche, die den Untergang des Staates betreiben. Aber der Basileus Alexios tat das genaue Gegenteil und war in ungewöhnlicher Weise um Frieden bemüht, und wenn es ihn gab, versuchte er ihn auf jede nur mögliche Weise zu bewahren, und wenn es ihn nicht gab, so verbrachte er oft schlaflose Nächte darüber, wie er ihn wieder herstellen könne. Und so war derselbe Mann zwar von Natur aus friedliebend, wenn es jedoch die Umstände erforderten, konnte er durchaus sehr kriegerisch sein. Und ich wage, was diesen Mann betrifft, zu behaupten, daß mit ihm und nur mit ihm das wahre Kaiserideal, das seit langer Zeit den Kaiserpalast der Romäer verlassen hatte, wieder aufgetaucht ist und damals gewissermaßen zum ersten Mal wieder dem Reich der Romäer als Gast verbunden war. 3 Aber wie ich schon zu Beginn des Kapitels sagte: Ich m u ß mich wundern über diese ungeheure Flut von feindlichen Anschlägen; denn sowohl außerhalb wie im Inneren konnte man nichts als Aufruhr sehen. Doch der Basileus Alexios spürte die unsichtbaren und heimlichen Machenschaften der Feinde im voraus, und durch Kunstgriffe aller Art vereitelte er möglichen Schaden. Und er kämpfte sowohl gegen die Aufrührer im Inneren als auch gegen die Barbaren draußen, indem er den Anschlägen seiner Widersacher durch Scharfsinn zuvorkam und ihre Angriffe zurückschlug. Ich erkenne schon aus den bloßen Fakten das schlimme Schicksal des Reiches. Denn von allen Seiten her strömte das Unheil zusammen; der Körper des Staates war selbst in Aufruhr, und gleichzeitig wüteten sämdiche fremden Völker gegen das Reich der Romäer, wie wenn es einem Menschen so schlecht ergeht, daß er von seinen äußeren Feinden angegriffen und zugleich von den Seinen gequält wird, die ihn zerfleischen, und dann dieser Mensch die Vorsehung auf den Plan ruft, damit sie gegen die von allen Seiten hereinbrechenden Übel Abwehrmittel finde; so mußte man auch die damalige Situation sehen. Denn Baimundos, der Barbar, von dem wir oft berichtet haben, rüstete sich gegen das Reich der Romäer, indem er ein gewaltiges Heer heranführte, während auf der anderen Seite sich diese Rotte von Aufrührern erhob, wie ich schon oben zu Beginn des Kapitels einleitend gesagt habe. 4 Es gab im ganzen vier Urheber dieses Plans56, mit Zunamen hießen sie Ane-

56 Zur Anemas-Verschwörung insgesamt vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 128 (S. 200-202);

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mas, mit Vornamen der eine Michael", der andere Leon 58 , der dritte . . . , der vierte . . . " Sie waren Brüder, schon vorher im Fleisch, jetzt auch im Geist; denn ein und dasselbe Ziel verfolgten sie nun alle gemeinsam: den Autokrator zu töten und das kaiserliche Szepter an sich zu reißen. Es schlössen sich ihnen aber auch weitere Mitglieder des Adels 60 an, die Antiochoi 6 1 , aus einer angesehenen Familie, und die sogenannten Exazenoi, Dukas 62 und Hyaleas 63 , die kühnsten Kämpfer, die es jemals gab; außerdem Niketas Kastamonites 64 , ein gewisser Kurtikios" und Georgios Basilakios". Das waren führende Männer des Heeres, Ioannes Solomon 6 7 hingegen gehörte dem Senat an. Aufgrund seines großen Reichtums und seiner glanzvollen Herkunft hatte Michael, der zugleich als K o p f des Quartetts der Anemas-Brüder fungierte, verkündet, er werde ihn zum Basileus salben. Dieser Solomon nun nahm unter den Senatoren einen sehr hohen Rang ein, nicht nur unter den unbeteiligten, sondern auch unter denen, die sich ebenso wie er hatten täuschen lassen. E r war klein an W u c h s und, was seinen Geist angeht, ein eingebildeter Dummkopf. E r war der Meinung, in den Lehren des Aristoteles und Piatons den höchsten Gipfel erreicht zu haben; es war freilich nicht weit her mit seinem philosophischen Wissen, dennoch aber war er voller Größenwahn in seiner grenzenlosen Torheit.

5

So steuerte er

Cheynet, Pouvoir, Nr. 130 (S.100-101), der als wahrscheinliches Datum 1100-1101 annimmt. 57 Er hatte 1095 ein militärisches Kommando gegen die Komanen innegehabt; vgl. Buch X, Kap. 2 § 7 mit Anm. 50. 58 Er hat für uns kaum eigenes Profil, da Anna meist nur generell von den »Anemas-Brüdern« spricht; vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 111 (S. 172). 59 Anna wollte offenbar die Namen dieser uns unbekannt gebliebenen Brüder nachtragen, hat das aber nicht mehr ausfuhren können (vgl. dazu Buch I, Anm. 59). Einer der beiden unbekannten Brüder ist vielleicht identisch mit Nikolaos Anemas; vgl. Cheynet, Pouvoir 101, Anm. 3. 60 Der Begriff »Adel« für die byzantinischen »Eugeneis« (Mitglieder vornehmer Familien) ist natürlich nur in partieller Analogie verwendet, da es in Byzanz keine den westlichen Verhältnissen entsprechende Feudalstruktur gab. 61 Zur Familie und zur möglichen Identität der hier Genannten vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 16 (S. 25-27). 62 Konstantinos Exazenos Dukas, Mitglied einer berühmten Familie, als Person nur aus der Alexias bekannt; vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 39 (S.65-66). 63 Nikephoros Exazenos Hyaleas ist in der Alexias bisher als Gouverneur von Smyrna im Jahre 1098 begegnet; vgl. Buch XI, Kap. 5 § 4 mit Anm. 71. 64 Bisher aus der Alexias als Heerführer gegen die Pe^enegen 1087 (Buch VII, Kap. 3 § 6 mit Anm. 56) und aus dem Seekrieg gegen den Emir Tzachas (Cakan) 1092 (Buch VII, Kap. 8 § 2) bekannt. 65 Möglicherweise identisch mit Basileios Kurtikios (mit dem Beinamen Ioannakes), dem in der Alexias schon mehrfach hervorgetretenen Militär; zu diesem vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 28 (S. 43-46). 66 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 61 (S. 93). 67 Anna hatte ihn unter den Anhängern und Schülern des Ioannes Italos genannt; vgl. Buch V, Kap. 9 § 2 mit Anm. 119. Vgl. zu ihm auch Cheynet, Pouvoir 100 mit Anm. 4.

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also mit vollen Segeln die Kaiserwürde an, gleichsam mit dem Rückenwind durch die Anemas-Brüder48. Aber das ganze war ein einziger Betrug. Denn Michael und seine Bundesgenossen hatten gar nicht die Absicht, ihn auf den Thron zu heben, weit gefehlt, sondern sie bedienten sich der aufgeblasenen Dummheit des Mannes und seines Reichtums für ihr eigenes Unterfangen. Indem sie diese Goldquelle immer wieder anzapften und durch die Hoffnungen auf die Kaiserwürde seinen Dünkel nährten, machten sie ihn sich völlig gefugig; sie waren dabei entschlossen, falls ihr Unternehmen glatt verlaufe und das Schicksal sie nur irgend mit freundlichen Augen ansehe, ihn beiseite zu stoßen und hinaus aufs weite Meer segeln zu lassen, selbst aber das Szepter an sich zu reißen und ihn mit irgendeinem unbedeutenden Ehrenamt und einer Sinekure abzuspeisen. Wenn man in seiner Gegenwart über den Anschlag sprach, fiel kein Wort über Mord am Autokrator, und sie erwähnten auch nicht das Ziehen des Schwertes und auch nicht Kampf und Schlachten, um den Mann nicht zu erschrecken; denn sie wußten von vornherein, daß er jeder Art von Gefecht und Kampf gegenüber ein ganz großer Feigling war. Diesen Solomon also hätschelten sie, als sei er die Hauptperson. An ihrem Plan waren aber auch Skieros" und Xeros, der damals gerade seine Amtszeit als Eparchos der [Stadt] des Konstantin beendet hatte70, beteiligt. 6 Da Solomon reichlich aufgeblasen und dumm war, wie oben schon gesagt worden ist, und folglich nichts von dem begriff, was von Exazenos Hyaleas und vor allem den Anemas-Brüdem betrieben wurde, und deshalb glaubte, das Kaiseramt der Romäer bereits in Händen zu halten, trat er an irgendwelche Leute heran und versuchte, indem er ihnen Geschenke und Ehrenämter in Aussicht stellte, sie für sich zu gewinnen. Als ihn einmal der Hauptdarsteller in diesem Drama, Michael Anemas, besuchte und sah, daß jener mit jemandem sprach, fragte er nach dem Gegenstand des Gesprächs. Solomon antwortete mit der gewohnten Einfalt: »Er hat von uns ein Amt erbeten, und als ich ihm das zugesagt habe, war er bereit, an unserem gesamten Plan teilzuhaben.« Er [Michael Anemas] aber fällte endgültig das Verdikt der Dummheit über ihn und erschrak sehr, da er erkannte, daß jener von Natur aus nicht in der Lage war, ein Geheimnis zu bewahren, und besuchte ihn von da an nicht mehr wie vordem.

68 Im Griechischen ein Wortspiel: Der Name »Anemas« hängt etymologisch mit dem Wort flir W i n d dnemos zusammen. 69 Anna teilt uns nur den Familiennamen dieses Skieros mit. Seibt (Skhroi 105-106) denkt an Ioannes Skieros, Cheynet (Pouvoir 101, Anm. 5) schließt auch Andronikos Skieros nicht aus. 70 Er ist vielleicht identisch mit dem aus anderen Quellen bekannten Bardas Xeros (so Du Cange, Notae 643; Skoulatos, Personnages, Nr. 206 [S. 301-302]). Seine Amtszeit als Stadtpräfekt von Konstantinopel war kurz vor 1101, einem der möglichen Daten für die Anemas-Verschwörung, zu Ende gegangen (vgl. Cheynet, Pouvoir 101, Anm. 2).

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VI Diese Militärs also, ich meine die Anemas-Brüder, die Antiochoi und deren Komplizen, betrieben den Anschlag gegen Leib und Leben des Basileus, um dann, wenn sich ihnen eine günstige Gelegenheit dazu böte, ihren Mordplan gegen den Autokrator sogleich in die Tat umzusetzen. Als die Vorsehung ihnen jedoch keinerlei Möglichkeit dazu gab und die Zeit verrann, da glaubten sie aus Furcht, entdeckt zu werden, die günstige Gelegenheit, die sie gesucht hatten, gefunden zu haben. Da nämlich der Autokrator, wenn er am frühen Nachmittag aus seinem Mittagsschlaf erwachte, bisweilen, um sich die Bitternis, die ihm aus seinen vielen Sorgen erwuchs, zu versüßen, mit einigen seiner Verwandten Schach zu spielen pflegte (dieses Spiel haben die Assyrer71 als Zeitvertreib für die Mußestunden erfunden, und von dort ist es zu uns gekommen), da wollten sie mit der Waffe in der aufrührerischen Hand durch das kaiserliche Schlafgemach zum Basileus vordringen in der Absicht, ihn zu ermorden. 2 Dieses kaiserliche Schlafgemach, wo das Kaiserpaar zu ruhen pflegte, lag auf der linken Seite des Heiligtums, das zu Ehren der Gottesmutter im Kaiserpalast erbaut worden ist, wenn auch die meisten dieser Kirche den Namen des Großmärtyrers Demetrios beizulegen pflegten72. Auf ihrer rechten Seite befand sich ein mit Marmor ausgelegter Platz unter freiem Himmel, und die Tür des Heiligtums, die auf diesen Platz führte, stand für alle, die hineingehen wollten, offen. Von dorther also gedachten sie, ins Innere des Heiligtums zu gelangen, die Türen, die das kaiserliche Schlafgemach abschlössen, aufzubrechen und dann auf diese Weise einzudringen und den Autokrator mit dem Schwert zu töten. 3 Das also planten jene Mordgesellen gegen ihn, der doch nicht das geringste Unrecht begangen hatte; aber Gott hat ihren Plan vereitelt. Irgend jemand entdeckte dem Autokrator den Mordplan, woraufhin auf der Stelle sämtliche Beteiligten zu ihm gerufen wurden. Zuerst nun ließ der Basileus Ioannes Solomon und Georgios Basilakios in den Palast fuhren, ganz in die Nähe des Raumes, in dem er sich mit seinen Verwandten befand, um sie durch einige Leute 71 Archaisierend für »Syrer«. Das ursprünglich indische Schachspiel ist aus dem persischarabischen Raum nach Byzanz gekommen; unsere Stelle ist der früheste Beleg fur dieses Spiel in Byzanz. Vgl. H. Holländer, Ein Spiel aus dem Osten, in: O. Engels/P. Schreiner (Hrsg.), Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposiums des Mediävisten Verbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu, Sigmaringen 1993, 389-410. 72 Es handelt sich u m die Kirche der Gottesmutter »des Pharos« innerhalb des Großen Kaiserpalastes, so benannt wegen ihrer räumlichen Nähe zum dort befindlichen Leuchtturm; sie war der Aufbewahrungsort zahlreicher besonders verehrter Reliquien. Von dieser Kirche gab es einen oder mehrere direkte Zugänge zu den kaiserlichen Gemächern, die natürlich durch Türen gesichert waren. Auf der anderen Seite der Kirche befand sich ein freier Platz. Die Bezeichnung der Kirche als Demetrios-Kirche resultiert aus der unmittelbaren Nachbarschaft dieser beiden Gotteshäuser. Vgl. Janin, Géographie ecclésiastique 13, S. 232236 (Nr. 121). Zum kaiserlichen Schlafgemach vgl. Guilland, Topographie II 353-354.

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vernehmen zu lassen, da er seit langem wußte, daß sie von etwas einfaltiger Sinnesart waren, und daher glaubte, daß er von ihnen unschwer erfahren würde, was man geplant hatte. Als sie trotz wiederholter Befragung aber hartnäckig leugneten, ging der Sebastokrator Isaak73 hinaus und wandte sich an Solomon und sagte zu ihm: »Du kennst ja, Solomon, die Milde meines Bruders, des Basileus. Wenn du die Verschwörung in allen Einzelheiten aufdeckst, wirst du auf der Stelle Verzeihung erlangen, wenn du dich aber weigerst, wirst du grausamsten Foltern überantwortet werden.« Dieser blickte ihn an, und als er die Barbaren, die den Sebastokrator rings umgaben, sah, die ihre doppelschneidigen Waffen auf den Schultern trugen74, da ergriff ihn große Furcht, und er gab sogleich alles preis und zeigte auch seine Mitverschworenen an, behauptete aber fest, von den Mordabsichten nichts zu wissen. Daraufhin wurden die beiden denjenigen, denen die Bewachung dieses Palastes anvertraut war, übergeben und getrennt in Gewahrsam genommen. 4 Man befragte nun die übrigen ihrerseits über den Verschwörungsplan. Sie gaben alles zu, wobei sie nicht einmal die Mordabsicht verhehlten; als ans Licht gekommen war, daß die Militärs diesen Plan betrieben hatten, vor allem Michael Anemas, das Haupt der Verschwörung, der auch dem Autokrator nach dem Leben getrachtet hatte, ließ dieser alle verbannen und ihr Vermögen konfiszieren. Das Haus des Solomon allerdings gab man, da es sehr prunkvoll war, der Augusta. Diese aber, wie sie nun einmal in solchen Dingen war, hatte Mideid mit der Gattin des Solomon und überließ es ihr als Geschenk, indem sie von dort auch nicht die geringste Kleinigkeit für sich selbst nahm. 5 Solomon nun wurde in Sozopolis75 gefangengehalten; Anemas aber und seinen Anhang ließ er als die Hauptschuldigen an Kopf und Bart bis auf die Haut kahlscheren und befahl, sie danach in öffentlicher Zurschaustellung mitten über die Agora76 zu führen und ihnen danach die Augen auszustechen. Nachdem dann also die Skenikoi77 sie übernom73 Da Isaak Komnenos, der Bruder des Alexios, nach Barzos zwischen 1102 und 1104 gestorben ist, haben wir mit diesem Todesdatum einen sicheren terminus ante quem für die Datierung der Anemas-Verschwörung; vgl. Barzos, Genealogia, Nr. 12, S. 67-84, dort S. 78 mit Anm. 75. Zu seinem Sebastokrator-Titel vgl. Buch III, Kap. 4 § 1. 74 Umschreibung für die Angehörigen der Varäger-Garde (vgl. Buch II, Anm. 102), die mit Doppeläxten bewaffnet waren. 75 Heute Sozopol in Bulgarien; schon einmal (Buch V, Kap. 2 § 6) als Verbannungsort Leons, des Metropoliten von Chalkedon, erwähnt. 76 Mit diesem archaisierenden Ausdruck (»Marktplatz«) bezeichneten die Byzantiner den Teil der sog. Mese (»Mittelstraße«), in dessen Arkaden und Säulenhallen Marktstände untergebracht waren; vgl. Guilland, Topographie II 73-79. Vom Palast aus bewegte sich der Zug mit den der öffentlichen Schande preisgegebenen Delinquenten über die Hauptstraße der Stadt zum Exekutionsort auf dem Forum Amastrianum. 77 »Bühnenleute«. Gemeint sind damit die Angehörigen der Schausteller- und Schauspielerberufe, denen als ehrlosen Mitgliedern der Gesellschaft die Ausführung solcher Umzüge überlassen war. Vgl. Kukules, firosIII 184-208, besonders 202.

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Buch XII, Kapitel 6 § 5-8

men und in Säcke gekleidet, ihre Köpfe mit Eingeweiden von Rindern und Schafen wie mit Diademen geschmückt hatten und sie auf Ochsen aufsteigen und nicht ritdings, sondern seidich hatten aufsitzen lassen78, führte man sie durch den Hof des Kaiserpalastes. Stabträger79 hüpften und tanzten an der Spitze dieses Zuges und sangen mit lauter Stimme ein Spotdied, das zur Schaustellung paßte. Es war in der Sprache des gemeinen Volkes gedichtet, und sein Sinn war etwa folgender: Das volkstümliche Lied wollte alle auffordern, zu kommen und sich diese gehörnten Männer nach ihrem Putsch anzusehen, die ihre Schwerter gegen den Autokrator geschärft hätten. 6 Groß und klein strömte nun zu diesem Spektakel zusammen, so daß auch wir, die Töchter des Basileus80, herauskamen, um heimlich zuzuschauen. Als man dann sah, wie Michael seine Augen auf den Palast gerichtet hielt und seine Arme flehend zum Himmel erhob, wie er durch Gesten bat, man möge ihm die Arme von den Schultern und die Beine vom Gesäß abtrennen und ihm auch den Kopf abschneiden, da wurde jedes Lebewesen zu Tränen und Klagen gerührt, und besonders wir, die Töchter des Basileus. Ich aber, die ich den Mann vor solch einem Geschick bewahren wollte, versuchte mehrfach, die Basiiis, meine Mutter, herauszurufen, damit sie sich die zum Spott Ausgestellten ansehe. Um nämlich die Wahrheit zu sagen: Wir sorgten uns um die Männer des Autokrators wegen, damit er nicht so kühne Soldaten verlöre, vor allem Michael nicht, zumal die Strafe gegen ihn auch noch um so viel härter ausgefallen war. 7 Als ich sah, wie sehr ihn sein Schicksal gedemütigt hatte, bedrängte ich, wie gesagt, meine Mutter mit Bitten, ob nicht die Männer irgendwie aus der Gefahr errettet werden könnten, die ihnen schon so bedrohlich nahe war. Die Skenikoi zogen nämlich ziemlich langsam vorwärts und gaben dadurch Gelegenheit zum Gnadenerweis für die Mordgesellen. Als aber jene zögerte zu kommen (sie saß nämlich mit dem Autokrator dort, wo sie zusammen im Angesicht der Gottesmutter zu Gott beteten), stieg ich hinab und blieb furchtsam draußen vor der Tür stehen, da ich nicht wagte hineinzugehen, und gab der Basiiis Zeichen, sie solle herauskommen. Und tatsächlich folgte sie und kam herauf zu dem Spektakel, und als sie Michael gesehen hatte, fühlte sie Mideid mit ihm und weinte heiße Tränen um ihn, und sie lief zurück zum Autokrator und bat ihn immer wieder inständig, Michael das Augenlicht zu schenken. 8 Und sofort wurde ein Bote ausgesandt, der die Schergen zurückhalten sollte. Dieser beeilte sich

78 Also im für einen Mann und Krieger unehrenhaften »Damensitz«. 79 Da diese ganze sog. pompé (»Spottumzug«) die Parodie einer Kaisererhebung darstellt, gehen dem Spott-Kaiser Leute voran, die die einem Kaiser voranschreitenden Polizei-Beamten mit ihren Insignien der Polizeigewalt (Stäbe bzw. Keulen oder Knüppel) parodieren. 80 Also Anna selbst (damals etwa 15-17 Jahre alt) mit ihren jüngeren Schwestern Maria (etwa 13-15 Jahre), Eudokia (5-7 Jahre) und Theodora (3-5 Jahre).

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Buch XII, Kapitel 6 § 8-Kapitel 7 § 1

und holte sie noch diesseits der sogenannten Hände 81 ein; wer diese nämlich einmal passiert hat, der ist nicht mehr vor seinem furchtbaren Schicksal zu retten. Denn die Kaiser, die diese Hände aus Bronze an einem sehr hohen und weithin sichtbaren Ort auf einem hohen steinernen Bogen haben anbringen lassen, drückten damit ihren Willen aus, daß, wenn jemand, den das Gesetz zum Tode verurteilt hat, sich noch diesseits der Hände befindet und ihn unterwegs der Gnadenerlaß von Seiten des Autokrators erreicht, dieser dann von seiner Strafe befreit sei, da diese Hände die Bedeutung haben, daß der Basileus diese [die Delinquenten] wieder in seine Arme geschlossen und sie mit beiden Händen festgehalten und noch nicht aus seinen gütigen Händen entlassen hat. Wenn sie jedoch die Hände einmal passiert haben, dann soll das ein Zeichen dafür sein, daß auch die kaiserliche Macht sie verstoßen hat. 9 Es hängt also vom zufalligen Los der verurteilten Menschen ab, welches ich allerdings für einen götdichen Urteilsspruch ansehe, und es ist deshalb richtig, diese göttliche Instanz um Hilfe anzurufen. Denn entweder erreicht sie der Gnadenerlaß diesseits der Hände und die Unglücklichen sind der Gefahr entronnen, oder sie passieren die Hände und sind nicht mehr zu retten. Ich aber führe alles auf die Vorsehung Gottes zurück, die auch damals diesen Mann vor dem Ausstechen seiner Augen bewahrt hat. Denn Gott hat uns, wie mir scheint, damals dazu gebracht, daß wir uns seiner [des Michael Anemas] erbarmten. Der rettende Bote also war sehr flink und übergab diesseits des Bogens, auf welchem die bronzenen Hände angebracht waren, denjenigen, die Michael führten, den schriftlichen Gnadenerlaß 82 und kehrte mit diesem von dort zurück. Und als er an dem Turm, der in der Nähe des Palastes erbaut ist, angelangt war, kerkerte er ihn dort ein; denn so war es ihm aufgetragen worden. VII Dieser war noch nicht aus seinem Gefängnis endassen worden, da wurde auch Gregorios83 im Kerker des Anemas gefangengehalten. Das war ein

81 Das als »Die Hände« bezeichnete M o n u m e n t bestand nach Auskunft der Patria-Literatur (Parastaseis Syntomoi Chronikai, c. 12 Preger) aus einem aus Silber gefertigten Korn-Hohlmaß (Modius), welches von Valentinian III. (425-455) zusammen mit den besagten Händen aus Bronze aufgestellt worden war. Die Hände deuteten nach dieser Interpretation die den Verfälschern des damit vorgegebenen Maßes drohende Strafe (Abhacken der Hand) an. Das M o n u m e n t stand auf einem Bogen vor dem Forum Amastrianum, das als Richtstätte fungierte. Vgl. Du Cange, Notae 643-645; Janin, Constantinople 66. 104; A. Cameron/J. Herrin, Constantinopk in the Early Eighth Century: The »Parastaseis Syntomoi Chronikai«, Leiden 1984, 186-189. 224-225; Berger, Patria 337-341. Die von Anna hier wiedergegebene Deutung der Hände ist eine sekundäre Interpretation. Z u m Platz und seiner Lage vgl. Berger, Patria 342346. 82 Dölger-Wirth, Kegesten 1207a (ca. 1098). Ljubarskij, Aleksiada 591-593, Anm. 1262 plädiert fiir eine Ansetzung der Anemas-Verschwörung auf die 1. Hälfte des Jahres 1105. Zu anderen Datierungen vgl. oben Anm. 56 und 73. 83 Gregorios Taronites, ein Neffe des mit Maria Komnene, der Schwester des Alexios,

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Buch XII, Kapitel 7 § 1-2

Turm in der nahe am Blachernai-Palast gelegenen Stadtmauer*4, der sogenannte Turm des Anemas, der diesen Beinamen sozusagen dadurch zugelost bekam, daß er als ersten den Anemas aufnahm, der dort ins Eisen geschlossen lange Zeit zubrachte. Besagter Gregorios nämlich, der seit langem auf Umsturz sann, hatte im Laufe der 12. Indiktion85, nachdem er zum Dux von Trapezunt 84 ernannt worden war, auf dem Weg nach Trapezunt seinen geheimen Plan offen zutage treten lassen. Denn als er Dabatenos begegnete, der auf dem Rückweg nach Konstantinopel war, nachdem das Amt des Dux dem Taronites übertragen worden war, nahm er ihn sogleich gefangen und hielt ihn in Tebenna 87 fest, jedoch nicht nur Dabatenos, sondern auch eine beträchtliche Anzahl von vornehmen Bürgern von Trapezunt, unter ihnen auch den Neffen des Bakchenos88. Da diese von ihren Fesseln und aus ihrer Gefangenschaft nicht befreit wurden, überwältigten sie nach einmütiger Absprache ihre Bewacher, die sie im Namen des Aufrührers festhielten, traktierten sie mit Schlägen, führten sie aus den Mauern der Stadt und jagten sie weit fort, sie selbst aber übernahmen die Herrschaft über Tebenna. 2 Der Autokrator versuchte immer wieder brieflich, bald ihn zu sich zu zitieren, bald ihm zu raten, von seiner schändlichen Handlungsweise Abstand zu nehmen, wenn er Verzeihung erlangen und in den vorherigen Stand zurückversetzt werden wolle, und bisweilen drohte er ihm auch, falls er nicht gehorche89. Dieser aber war weit davon entfernt, auf den Autokrator zu hören, der ihm nur zu seinem Besten riet; vielmehr sandte er obendrein noch einen langen Brief an ihn, in welchem er nicht nur die Spitzen des Senats und des Heeres, sondern sogar auch die Verwandten und Schwäger des Autokrators beschimpfte. Aus diesem Schreiben ersah der Autokrator, daß sich sein Zustand täglich verschlimmerte und er nahe daran war, in völlige geistige Verwirrung zu verfallen; da gab er jede Hoffnung für ihn auf und schickte in der 14. Indiktion 90 seinen eigenen Neffen Ioannes, den Sohn seiner ältesten Schwester, der väterlicherseits zugleich auch ein Vetter des Aufrührers war", gegen

verheirateten Michael Taronites. Vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 79 (S. 116-118); Barzos, Genealogia I 129-131; Cheynet, Pouvoir, Nr. 131 (S. 101). 84 Er kann nicht mit Sicherheit mit einem noch existierenden Baurest identifiziert werden; vgl. Janin, Constantinopk 172-173. Zu literarischen Erwähnungen dieses »Anemas«Turms vgl. Du Cange, Notae 646. 85 Zeitraum vom 1. September 1103-31. August 1104. 86 Er war damit der Nachfolger des gleich erwähnten Dabatenos (vgl. zu diesem Buch III, Kap. 9 § 3 und Buch X, Kap. 2 § 6), der seinerseits das Amt von Theodoras Gabras übern o m m e n hatte (vgl. zu diesem Buch VIII, Kap. 9). 87 Festung in der Provinz Pontos, zwischen Amasya und Sivas gelegen. 88 Über ihn ist sonst nichts bekannt. 89 Dölger-Wirth, Kegesten 1222 (um 1105). 90 Zeitraum vom 1. September 1105-31. August 1106. 91 Vgl. zu ihm Buch X, Kap. 2 § 6 mit Anm. 31.

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Buch XII, Kapitel 7 § 2-Kapitel 8 § 1

ihn aus mit der Maßgabe, zuerst zu versuchen, ihn durch gutes Zureden zur Vernunft zu bringen, da er glaubte, daß er auf ihn hören werde wegen der aus der Verwandtschaft resultierenden Vertrautheit und der sie beide verbindenden Blutsverwandtschaft. Wenn er sich jedoch weigere, dann solle er, da er ja starke Truppen bei sich habe, ihn entschlossen und kühn zu Lande und zu Wasser angreifen. 3 Als Gregorios Taronites von dessen Kommen erfuhr, verließ er die Stadt [Tebenna] und machte sich auf nach Koloneia®, einer sehr starken und uneinnehmbaren Festung, mit der Absicht, Tanismanes'3 zu Hilfe zu holen. Als Ioannes unterwegs davon erfuhr, detachierte er die Kelten seines Heeres und ausgewählte Romäer und schickte diese gegen ihn aus; sie holten ihn auch ein und eröffneten gegen ihn ein heftiges Gefecht. Zwei Kämpfer von hoher Geburt trafen auf ihn und nahmen ihn gefangen, nachdem sie ihn mit ihren Lanzen vom Pferd gestürzt hatten. So übernahm ihn dann Ioannes und brachte ihn lebend als Gefangenen zum Autokrator; er schwor, ihn unterwegs keines Blickes und keines Wortes gewürdigt zu haben, dennoch aber setzte er sich für ihn beim Autokrator mit vielen Bitten ein, da dieser so tat, als ob er jenen seiner Augen berauben wolle. 4 Nur zögernd ließ dann der Autokrator seine Verstellung fallen, indem er dem Anschein nach seinen Bitten entsprach; er schärfte ihm jedoch ein, das, was er gesagt habe, nicht publik zu machen. Drei Tage danach befahl er, man solle jenen an Kopf und Bart bis auf die Haut kahlscheren und mitten über die Agora fuhren'4 und dann in den Turm des Anemas einkerkern, von dem schon die Rede war. Da er aber auch in der Gefangenschaft nicht zur Vernunft kam und täglich wirre Reden zu seinen Wächtern orakelte, wurde er vom Autokrator mit großer Fürsorge und viel Nachsicht und Geduld behandelt in der Hoffnung, daß er sich ändern und in irgendeiner Weise Reue zeigen werde. Er blieb jedoch, wie er war, verlangte aber oft nach meinem Kaisar95, da er von früher mit uns befreundet war. Und der Autokrator gab diesem dann auch nach, damit er ihn von seiner tiefen Niedergeschlagenheit befreie und ihm zum Besseren rate. Es zeigte sich allerdings, daß sich sein Zustand nur langsam besserte, weswegen er auch noch länger eingekerkert blieb. Dann aber erlangte er Verzeihung, und er erfreute sich größeren Wohlwollens, größerer Geschenke und höherer Ehre als zuvor; so war mein Basileus nun einmal in solchen Dingen. VIII Nachdem er [Alexios] also mit den Verschwörern und dem abtrünnigen Gregorios auf diese Weise verfahren war, vergaß er auch das Problem Bai92 93 ger 94 95

Etwa 150 km südwestlich von Trapezunt, heute §ebinkarahisar. Angehöriger der persisch-türkischen Dynastie Dani$mend, wahrscheinlich der Nachfoldes Buch XI, Kap. 3 § 5 genannten Dani§mend als Herrscher von Sebasteia (Sivas). Zu diesem Vorgang vgl. oben Kap. 6 § 5 mit Anm. 76-79. Annas Gatte Nikephoros Bryennios.

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Buch XII, Kapitel 8 § 1-3

mundos nicht, sondern ließ Isaak Kontostephanos 96 zu sich kommen, ernannte ihn zum Megas Dux der Flotte97 und sandte ihn nach Dyrrachion mit der Drohung, ihm die Augen ausstechen zu lassen, wenn er dort nicht ankomme, bevor Baimundos ins Illyrikon übergesetzt sei. Er sandte aber auch laufend Briefe98 an seinen Neffen Alexios, den Dux von Dyrrachion 99 , um ihm einzuschärfen und ihn dazu anzuhalten, jederzeit wachsam zu sein und auch denjenigen, die längs der Küste das Meer beobachteten, zu befehlen, ein gleiches zu tun, damit Baimundos nicht unbemerkt übersetze, sondern ihm sogleich brieflich davon Mitteilung gemacht werde. 2 So weit also der Autokrator. Kontostephanos aber, der keinen anderen Auftrag hatte als die Meerenge hinüber zur Longibardia sorgfältig zu bewachen und den Begleitschiffen für Baimundos, wenn sie mit dessen gesamter Ausrüstung an Bord nach Dyrrachion unterwegs waren, den Weg zu versperren und zu verhindern, daß auch nur das Geringste aus der Longibardia für ihn herübergeschafft werde, brach auf, obwohl er im Unklaren über die geeignete Landestelle für diejenigen war, die von drüben ins Illyrikon herübersegeln. Doch nicht nur das, sondern in Mißachtung seines Auftrags fuhr er hinüber nach Hidrus100, einer Stadt an der Küste der Longibardia, für den, der drüben steht und zum Illyrikon hinüberblickt, auf der rechten Seite gelegen101. Diese Stadt verteidigte eine Frau, wie man sagte, die Mutter des Tangre; ob sie die Schwester des Baimundos war, von dem schon an vielen Stellen die Rede war, oder nicht, kann ich nicht entscheiden; denn ich weiß nicht genau, ob Tangre väterlicher- oder mütterlicherseits mit Baimundos verwandt war102. 3 Als jener [Isaak Kontostephanos] dort angelangt war, ließ er seine Schiffe landen, unternahm einen Angriff auf die Mauern von Hidrus und hatte die Stadt schon fast in der Hand. Die Frau, die sich in der Stadt befand, hatte dies, da sie klug war und einen entschlossenen Charakter besaß, beobachtet und bereits in dem Augenblick, als er seine Schiffe dort vor Anker gehen ließ, an einen ihrer Söhne einen Boten geschickt und ihn dringend zu Hilfe rufen lassen. Als nun die gesamte Flotte voller Siegesgewißheit war, da sie die Stadt so gut wie in der Hand hatten, und als alle dem Basileus akklamierten,

96 Er tritt in der Alexias hier zum ersten Mal in Erscheinung; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 85 (S. 130-132). 97 Zu diesem Amt vgl. Buch VII, Anm. 126. 98 Dölger-Wirth, Regesten 1225 (um September 1105, doch vgl. die folgende Anmerkung). 99 Alexios Komnenos, der Zweitälteste Sohn Isaaks. Vgl. zu ihm Barzos, Gemalopa I 147154 (Nr. 25); Skoulatos, Personnages, Nr. 7 (S. 12-14). Das Amt des Dux von Dyrrachion übernahm er zu Beginn des Jahres 1106 von seinem älteren Bruder Ioannes, der nicht unbedingt das volle Vertrauen seines kaiserlichen Onkels besaß (vgl. Buch VIII, Kap. 7-8). 100 Otranto in Süditalien, vgl. Buch I, Anm. 128. 101 Das heißt ganz im Süden der ehemaligen byzantinischen Provinz (Thema) Longibardia. 102 Er war der Sohn einer Schwester Bohemunds; vgl. Buch XI, Anm. 36.

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Buch XII, Kapitel 8 § 3-5

forderte auch sie, da sie in aussichtsloser Lage war, die Leute in der Stadt ebenfalls auf, dasselbe zu tun. Zugleich aber schickte sie auch Gesandte zu Kontostephanos, erkannte ihre Unterwerfung als Vasall dem Autokrator gegenüber an und versprach, in Friedensverhandlungen mit ihm einzutreten und zu ihm vor die Stadt zu kommen, um ihre Absichten zu erläutern, so daß dem Autokrator durch ihn alles mitgeteilt werden könne. Das alles unternahm sie, um Kontostephanos abzulenken, in der Hoffnung, es könnte inzwischen ihr Sohn eintreffen und sie könnte dann, wie man es von den Tragödienschauspielern sagt, die Maske fallen lassen und eine Schlacht beginnen. 4 Während sich also die Akklamationsrufe der Leute in der Stadt mit denen der Leute draußen mischten und alles ringsum davon erfüllt war und nachdem jene Kriegerin, wie gesagt, Kontostephanos mit solchen Worten und falschen Versprechungen abgelenkt hatte, traf auch der, den sie erwartete, in Begleitung seiner Barone, die er bei sich hatte, ein, griff Kontostephanos sogleich an und brachte ihm eine totale Niederlage bei. Die gesamte Besatzung der Flotte stürzte sich, da sie im Landkampf unerfahren war, ins Meer; die Skythen103 aber (es war nämlich eine beträchdiche Anzahl von ihnen beim romäischen Heer) preschten im Augenblick des Kampfes voraus, um zu plündern, wie es diese Barbaren zu tun pflegen, und so geschah es, daß sechs von ihnen gefangengenommen wurden. Als sie dann zu Bai'mundos geschickt worden waren und dieser sie erblickte, nahm er sie als eine höchst wertvolle Beute mit sich und machte sich sogleich mit ihnen auf nach Rom. 5 Und nachdem er sich zum apostolischen Thron begeben hatte, sich mit dem Papst104 unterredet und dessen Zorn gegen die Romäer bis zum äußersten erregt und den alten Haß dieser Barbaren gegen unser Volk von neuem angestachelt hatte, führte Bai'mundos, um den Zorn der Italiener in der Umgebung des Papstes noch mehr zu reizen, auch die gefangenen Skythen vor, indem er gleichsam durch die Fakten selbst den Beweis dafür lieferte, daß der Autokrator Alexios, da er den Christen feindlich gesonnen sei, hergelaufene ungläubige Barbaren und schaudererregende Bogenschützen zu Pferde gegen die Christen in den Kampf geschickt habe, die ihre Waffen gegen sie erhöben und ihren Bogen gegen sie spannten. Und bei jedem Wort, das sie betraf, wies er den Papst auf jene Skythen in ihrer skythischen Kleidung und mit dem für sie charakteristischen ziemlich barbarisch-finsteren Blick hin und bezeichnete sie immer wieder nach der Weise der Lateiner als »pagani«'05 und verspottete sowohl ihren Namen wie auch ihr Aussehen. In offensichtlich bösartiger Weise nutzte er also die Tatsache des Kampfes gegen Christen aus, um auch

103 Pegenegische Söldner. 104 Paschalis II. (1099-1118), der Nachfolger Urbans II. 105 Anna gebraucht dieses lateinische Lehnwort, das so viel wie »Heiden« bedeutet.

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Buch XII, Kapitel 8 § 5-7

den Bischof106 davon zu überzeugen, daß er [Baimundos] zu Recht gegen die feindliche Gesinnung der Romäer mobil gemacht habe, und sorgte damit gleichzeitig dafür, daß viele Männer von selbst zum Kriegsdienst herbeiströmten, nämlich solche, die zu den ungebildeten und wenig verständigen Leuten gehörten. Denn welcher Barbar nah und fern würde sich nicht freiwillig einem Krieg gegen uns anschließen, wenn die bischöfliche Meinung ihn gut heißt und wenn offensichdich gute Gründe jedes Pferd, jeden Mann und jede Hand eines Soldaten zum Kampf rufen? Durch die Worte dieses Mannes also wurde der Papst entscheidend beeinflußt, er war mit seinen Plänen einverstanden und gestattete ihm die Überfahrt ins Illyrikon. 6 Doch wollen wir unseren Bericht wieder zum Thema zurückfuhren: Zwar kämpften die Landsoldaten mit großem Einsatz, die übrigen aber verschlang die rauschende Meeresflut, und so hielten die Kelten bereits einen glänzenden Sieg in Händen. Die beherzteren unter den Soldaten jedoch, vor allem diejenigen von höherem Rang, und von diesen wiederum die besten, der bekannte Nikephoros Exazenos Hyaleas, dessen Vetter Konstantinos Exazenos mit dem Beinamen Dukas107, der überaus tapfere Alexandras Euphorbenos 108 und noch weitere von gleichem Rang und Stand, »gedachten der ungestümen Kampfkraft«109, machten Front, zogen ihre Schwerter und kämpften mit ganzer Kraft und ganzem Herzen gegen die Kelten, nahmen die Schlacht voll auf sich, gewannen die Oberhand und errangen über sie einen glänzenden Sieg. 7 Kontostephanos, der dadurch eine Atempause vor dem keltischen Ansturm erhielt, löste danach die Haltetaue und segelte von dort mit der gesamten Flotte nach Avlon110. Nachdem er nämlich nach Dyrrachion gekommen war, hatte er sogleich die von ihm befehligten Kriegsschiffe von Dyrrachion bis nach Avlon und sogar bis zu der Stadt, die man Chimara 1 " nennt, verteilt; von Avlon ist Dyrrachion hundert Stadien" 2 entfernt und Chimara von Avlon wiederum sechzig Stadien. Da er nun erfuhr, daß die Überfahrt des Baimundos in Kürze zu erwarten sei, und da er vermutete, daß jener wahrscheinlich eher nach Avlon übersetzen werde, weil die Fahrt nach Avlon kürzer ist als die nach Dyrrachion" 3 , und er deshalb den Schutz

106 Gemeint ist der Bischof von Rom, d.h. der Papst. 107 Zu ihrer Beteiligung an der Anemas-Verschwörung vgl. oben Kap. 5 § 4. Sie waren also in der Zwischenzeit begnadigt worden. 108 Zu ihm vgl. Buch VI, Kap. 13 §§ 1-2. 109 Eine von Anna öfter gebrauchte homerische W e n d u n g (z.B. Ilias 6, 112). 110 Heute Vlore in Albanien. 111 Vgl. Buch X, Kap. 8 § 2 m i t A n m . 136. 112 Zur Verwendung von »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47. 113 Allerdings nicht von Bari aus, von wo aus nach Kap. 9 § 2 Bohemund übersetzte, sondern nur von Brindisi aus. Westliche Quellen berichten auch, daß Bohemund von Brindisi aus übergesetzt sei (vgl. Du Cange, Notae 647).

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Buch XII, Kapitel 8 § 7-Kapitel 9 § 1

von Avlon verstärken müsse, machte er sich mit den übrigen, die das Amt eines Dux bekleideten, auf und bewachte sorgfältig die Meerenge bei Avlon, wobei er noch Beobachter auf dem Gipfel des sogenannten Iason-Berges114 postierte, damit sie das Meer ringsum im Auge behielten und nach den Schiffen Ausschau hielten. 8 Ein Kelte, der soeben von drüben übergesetzt war, bestätigte ihnen, daß Baimundos' Überfahrt unmittelbar bevorstehe. Als das die Brüder Kontostephanos"5 erfuhren, schreckten sie vor der Seeschlacht gegen Baimundos zurück (denn schon diese Kunde versetzte sie in Schrecken) und schützten vor, daß sie krank seien und daher Bäder benötigten. Und Landulphos, der Oberbefehlshaber der gesamten Flotte"6, der seit langem große Erfahrung im Auflauern zur See und im Seekrieg hatte, schärfte ihnen immer wieder ein, stets wachsam und auf das Eintreffen Baimundos' gefaßt zu sein. Die Brüder Kontostephanos ließen jedoch, als sie nach Chimara abreisten, um Bäder zu nehmen, den sogenannten Zweiten, den Drungarios der Flotte117, mit seinem Einruderer vom Typ Exkussatos118 unmittelbar am Kap Glossa, das nicht weit von Avlon entfernt liegt11', als Posten zurück. Landulphos aber blieb in Avlon mit einer entsprechenden Zahl von Schiffen. IX Nachdem man diese Regelungen getroffen hatte, reisten die einen ab, um Bäder zu nehmen oder um angeblich Bäder zu nehmen; Baimundos aber ließ zwölf Piratenschiffe um sich Aufstellung nehmen, alles Zweiruderer und mit einer großen Zahl von Ruderern ausgestattet, so daß sie durch das ununterbrochene Schlagen ihrer Riemen einen weithin vernehmbaren gewaltigen Lärm machten; rings um diese Flotte gruppierte er zu beiden Seiten Lastschiffe gleichsam wie einen Ringwall und schloß die Kriegsflotte darin ein. Wenn du sie gesehen und von einer entfernten Warte aus betrachtet hättest, so hättest du gesagt, daß der dahinfahrende Flottenverband eine befestigte Stadt auf dem Meere sei. In gewissem Maße half ihm auch das Glück; denn auch das Meer war ruhig, nur an der Oberfläche war es leicht gekräuselt, da eine leichte Brise wehte und eben die Segel der Lastschiffe blähte. Sie bewirkte nämlich, daß diese gut vor dem Wind liefen und die mit Rudern betriebenen Schiffe mit den Seglern in einer Formation laufen konnten und einen Lärm machten, den man wohl gar von der Mitte der Adria aus an beiden Küsten des Festlandes hören 114 Nicht identifizierter Berg bei Avlon (Vlore). 115 Außer dem schon genannten Isaak dessen Bruder Stephanos; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 52 (S. 78). 116 Uber seine Ernennung zum »Megas Dux« für die Seeoperationen gegen die pisanische Flotte hatte Anna Buch XI, Kap. 10 § 2 berichtet (vgl. dort auch Anm. 161). 117 Zu Titel und Rang vgl. Buch VI, Kap. 10 § 9 mit Anm. 153 sowie Buch X, Kap. 8 § 3 mit Anm. 139. 118 Vgl. dazu Buch X, Kap. 8 § 3 mit Anm. 140. 119 Vgl. Buch III, Anm. 165.

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Buch XII, Kapitel 9 § 1-3

konnte. So war diese Barbarenflotte des Baimundos in der Tat ein Anblick, der staunendes Entsetzen erregen konnte, und wenn sich die Männer um die Kontostephanoi ebenfalls davor gefürchtet haben, so möchte ich sie deshalb nicht tadeln und ihnen auch keine Feigheit vorwerfen; denn vor diesem Mann und seiner in dieser Weise formierten Flotte hätte sich sogar jene berühmte Flotte der Argonauten gefurchtet, ganz zu schweigen von Leuten wie die Kontostephanoi, wie Landulphos und ihresgleichen. 2 Als nämlich Landulphos Ba'imundos auf so furchterregende Weise auf Lastschiffen mit ungeheurem Fassungsvermögen übersetzen sah, wie es unser Bericht eben genauer geschildert hat, ließ er sich, da er nicht imstande war, gegen eine derartige Überzahl zu kämpfen, ein kleines Stück von Avlon abfallen und gab Baimundos freie Durchfahrt. Nachdem dieser so mit Glück von Bari120 nach Avlon übergesetzt war und sein gesamtes Expeditionsheer an der gegenüberliegenden Küste hatte an Land gehen lassen121, plünderte er als erstes die gesamte Küste, da er ein unzählbar großes Heer mit sich führte, das aus Franken, Kelten und all denjenigen von der Insel Thüle122 bestand, die sonst auf Seiten der Romäer kämpfen, damals aber durch den Zwang der Umstände zu ihm übergetreten waren, und schließlich auch aus einer ziemlich großen Zahl von Germanoi und Keltiberern123. Nachdem er also alle diese Truppen gesammelt hatte, verteilte er sie über den gesamten Küstenstreifen der Adria, plünderte das ganze Land dort aus und griff dann Epidamnos an, das wir Dyrrachion nennen124, in der Absicht, diese Stadt zu erobern und dann das auf uns zu liegende Land bis nach Konstantinopel hin zu plündern. 3 Da Baimundos sich wie kein anderer sonst auf den Belagerungskrieg verstand und darin selbst den berühmten Demetrios Poliorketes125 übertraf, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf Epidamnos und setzte gegen diese Stadt sämdiche Erfindungen der Ingenieurkunst ein. Zuerst umzingelte er sie mit seinem Heer und belagerte alles im nahen und entfernteren Umland der Stadt Dyrrachion, wobei ihm bisweilen romäische Truppen Widerstand leisteten, bisweilen aber gab es auch überhaupt niemanden, der sich ihm entgegenstellte. Nach vielen Schlachten, Gefechten und häufigem Blutvergießen richtete er dann, wie oben gesagt wurde, sein Au-

120 Wahrscheinlich verwechselt mit Brindisi; jedenfalls berichten westliche Quellen von der Abfahrt Bohemunds aus Brindisi am 9. Oktober 1107 (vgl. oben Anm. 113). 121 Nach wesdichen Quellen am 13. Oktober 1107. 122 Umschreibend-archaisierend für Franzosen, Normannen und Skandinavier. Zu Thüle vgl. Buch II, Anm. 102. 123 Archaisierend für Spanier. 124 Anna wechselt aus Gründen der stilistischen Variation zwischen dem antiken Namen Epidamnos und dem zeitgenössischen Dyrrachion. 125 Demetrios »der Städtebelagerer«, hellenistischer Herrscher, König von Makedonien und Thessalien (293-287 v. Chr.).

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Buch XII, Kapitel 9 § 3-6

genmerk auf die Eroberung der Stadt Dyrrachion selbst. 4 Doch bevor wir zur eigentlichen Schlacht, jenem berühmten Kampf des Rebellen Ba'imundos um Dyrrachion kommen, müssen wir schildern, wie die Lage der Stadt beschaffen ist. Sie liegt unmittelbar am Gestade des Adriatischen Meeres; dazwischen breitet sich weit und langhingestreckt offenes Meer aus, das sich in seiner Breite bis an die gegenüberliegende Küste Italiens erstreckt, in seiner Länge aber in einer nordöstlichen Biegung hinauf bis zum Barbarenvolk der Wetonen 126 reicht; diesen gegenüber liegt das Land der Apulier. So etwa verlaufen im großen und ganzen die Grenzen der Adria. Dyrrachion nun, Epidamnos, eine alte griechische Stadt, liegt unterhalb von Elissos127 und diesem zur Linken128, Elissos aber liegt oberhalb von ihr zur Rechten hin. 5 O b dieses Elissos seinen Namen von einem Fluß Elissos129 hat, der in den gewaltigen Strom Drymon 130 mündet, oder ob die Stadt einfach so diesen Namen bekommen hatte, kann ich nicht genau sagen. Elissos ist eine hochgelegene, völlig uneinnehmbare Festung, die auf Dyrrachion unten in der Ebene herabblickt, wie man berichtet, und so sicher ist, daß sie sowohl über Land als auch übers Meer Dyrrachion große Hilfe leisten kann. Diese Festung, Elissos, benutzte auch der Autokrator Alexios, um die Stadt Epidamnos zu unterstützen, und sowohl über den Fluß Drymon 131 , der schiffbar ist, als auch von der Landseite her rüstete er die Stadt Dyrrachion für ihre Sicherheit aus, indem er alles Notwendige, was man zur Ernährung der dort stationierten Soldaten und der Bewohner und was man zur Bewaffnung und zum Kämpfen brauchte, auf dem Landweg und übers Meer hineinschaffen ließ. 6 Dieser Fluß, der Drymon, um auch etwas über seinen Verlauf anzufügen, entspringt aus dem Lychnitis-See, dem der heutige Sprachgebrauch den barbarisierten Namen Achris gegeben hat" 2 , seit Mokros zuerst Basileus der Bulgaren war133

126 Anna bezeichnet hier und Buch XIV, Kap. 7 § 2 mit diesem Namen Slaven, die an der dalmatinischen Küste siedelten und gefürchtete Piraten waren; der Name selbst ist in diesem Zusammenhang singulär. Vgl. Du Cange, Notae 648-649. 127 Heute Lesha, etwa 70 km nördlich von Dyrrachion (Dürres). 128 Von Konstantinopel, also von Osten aus gesehen. 129 Heute Lesh. 130 Heute Drin (Drim). Der Schwarze Drin (Crni Drim), u m den es hier allein geht, entspringt, wie Anna weiter unten ausführt, im Ohrid-See, nimmt nach etwa 180 km nördlicher Fließrichtung den Weißen Drin (Bijeli Drim) in sich auf, beschreibt einen großen Bogen und mündet dann mit südlicher Fließrichtung bei Lesha in die Adria. 131 Die geographische Aussage ist unklar; natürlich hat der Drin nichts mit Dyrrachion zu tun, sondern allein mit Elissos. 132 Heute Ohrid-See. 133 Mokros ist anagrammatisch gebildetes und mit griechischer Endung versehenes Pendant für Krum (Bulgarenherrscher 803-814). Vgl. Moravcsik, Byzantinoturcica II 174; 191; vgl. auch Buch VII, Kap. 3 § 4 mit Anm. 49 und 50. Der bulgarische Zar war (sieht man

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Buch XII, Kapitel 9 § 6-7

und zuletzt Samuel134, der zur Zeit der beiden purpurgeborenen Basileis Konstantinos und Basileios135 herrschte, und fließt dann durch eine Art von Gräben, hundert an der Zahl, die wir Brücken nennen; denn wie aus verschiedenen Quellarmen fließen getrennte Flüsse aus dem See, mehr als hundert an der Zahl, und dann vereinigen sie sich mit dem an Devre136 vorbeiströmenden Fluß, von dem der Drymon auch seinen Namen bekommen hat; durch ihren Zufluß verbreitern sie ihn und machen ihn zu einem gewaltigen Strom. Dieser fließt an den im Grenzgebiet wohnenden Dalmatern vorbei und verläuft nach Norden, dann biegt er nach Süden um und ergießt sich, nachdem er den Fuß von Elissos erreicht hat, in den Adriatischen Meerbusen. 7 Soviel sei nun über die Lage von Dyrrachion und Elissos und über die Sicherheit der beiden Plätze gesagt. Als der Basileus, der sich noch in der Kaiserstadt aufhielt, durch ein Schreiben des Dux von Dyrrachion137 von der Uberfahrt des Baimundos erfuhr, wollte er möglichst rasch aufbrechen. Wachsam nämlich, ohne seinen Augen den geringsten Schlaf zu gönnen, hatte der Dux von Dyrrachion, als er sicher war, daß Baimundos in der Küstenebene des Illyrikon gelandet und von Bord gegangen war und dort irgendwo sein Lager aufgeschlagen hatte, einen Skythen holen lassen als »Geflügelten Boten«, wie das Sprichwort sagt138, und dem Autokrator mitteilen lassen, daß jener übergesetzt sei. Dieser [Bote] traf den Autokrator bei der Rückkehr von der Jagd an, rannte hinein, berührte mit dem Kopf den Boden und meldete mit lauter Stimme, daß Baimundos übergesetzt sei. Alle, die damals anwesend waren, erstarrten da, wo jeder gerade stand, gelähmt bei der bloßen Nennung des Namens Baimundos. Der Autokrator aber, voller Mut und Zuversicht, sagte, indem er seinen Schuhriemen löste: »Zunächst einmal wollen wir uns zum Essen begeben; später werden wir uns dann wieder um die Angelegenheit Baimundos kümmern.«

vom Ende des Byzantinischen Reiches ab) der einzige Herrscher, dem die Byzantiner den sonst ihrem Kaiser vorbehaltenen Titel »Basileus« zugestanden haben. 134 Bulgarenzar 997-1014. - Zu den Interpretationsproblemen dieser Textstelle vgl. zuletzt D. R. Reinsch, Eine angebliche Interpolation in der Alexias Anna Komnenes, in: BZ 82 (1989)69-72. 135 Konstantin VIII., Hauptkaiser 1025-1028, seit 962 Mitkaiser seines Vaters Romanos II. zusammen mit seinem älteren Bruder Basileios (II.), der als Hauptkaiser 976-1025 regierte. Unter Basileios' Herrschaft war das Byzantinische Reich außerordentlich mächtig; unter anderem zerstörte Basileios das Bulgarische Reich in einem jahrzehntelangen Krieg gegen Samuel (im späteren 11. Jahrhundert erhielt Basileios den Beinamen »der Bulgarentöter«), so daß dieses für lange Zeit (bis 1185) aufhörte, als selbständiger Staat zu existieren. 136 Festung am Zusammenfluß von Drin und Rodika, ca. 50 km nördlich des Ohrid-Sees, heute Dibra in der ehemaligen jugoslawischen Republik Makedonien. 137 Vgl. oben Kap. 8 § 1 . 138 Vgl. Leutsch-Schneidewin II 701 (Nr. 61b).

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Buch XIII, Kapitel 1 § 1-2

Buch 13

I Jedermann war damals fassungslos vor Staunen über die innere Kraft des Autokrators. Doch wenn er jene Nachricht wegen der dabei Anwesenden nach außen hin auch mit Geringschätzung aufzunehmen schien, so machte er sich doch innerlich sehr viele Gedanken darüber. Und er kam zu dem Schluß, daß er Byzantion erneut verlassen müsse, und obwohl er sich noch einmal klar vor Augen führte, daß auch die Lage zu Hause für ihn durchaus nicht günstig war, verließ er, nachdem er die Angelegenheiten des Hofes und der Kaiserin der Städte wohl geordnet und sie dem Schutz des Groß-Drungarios der Flotte, des Eunuchen Eustathios Kymineianos1, und des Nikephoros, mit Beinamen [Sohn] des Dekanos2, unterstellt hatte, dennoch am 1. November der 1. Indiktion3 Byzantion mit wenigen Begleitern und seinen Blutsverwandten und bezog im Außenbezirk von Geranion4 das rote kaiserliche Zelt. 2 Er war jedoch in Sorge, weil bei seiner Abreise die Gottesmutter in Blachernai5 das gewohnte Wunder5 nicht gezeigt hatte. Nachdem er aus diesem Grund vier Tage lang dort gewartet hatte, kehrte er bei Sonnenuntergang mit seiner Gemahlin um und betrat ungesehen in Begleitung einiger weniger Leute die heilige Kirche 1 Zu Eustathios Kymineianos und dem Amt des »(Groß-)Drungarios der Flotte« vgl. Buch VI, Anm. 152 und 153; vgl. zur Person auch Buch X, Kap. 4 § 5 und Buch XI, Kap. 10 §§ 9-10. 2 Zu Nikephoros Dekanos (in der Alexias nur hier erwähnt) vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 148 (S. 238-239). 3 Freitag, 1. November 1107. 4 Westlich vor Konstantinopel gelegen, nur hier erwähnt, genaue Lage unbekannt (vgl. Janin, Constantinople 513). 5 Zum Blachemenviertel und dem dortigen Heiligtum der Gottesmutter vgl. Buch II, Anm. 43 und 58. 6 Vgl. dazu Du Cange, Notae 651-652; V. Grumel, Le »miracle habituel« de Notre-Dame des Bkchemes ä Constantinople, in: EO 30 (1931) 129-146 und das Referat dieses Aufsatzes bei Leib, Alexiade III 254-255. Das Wunder bestand darin, daß ein Schleier, mit dem man das Antlitz der Gottesmutter auf ihrer Ikone verhüllt hatte, sich jeden Freitagabend auf übernatürliche Weise von dort hob und in der Luft schweben blieb.

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Buch XIII, Kapitel 1 § 2 - 5

der Gottesmutter; und nachdem er die üblichen Hymnen gesungen und besonders inständig gebetet hatte, da vollzog sich das gewohnte Wunder, und er brach voller Zuversicht von dort auf. 3 Tags darauf schlug er den Weg nach Thessalonike ein. Als er in Choirobakchoi 7 angekommen war, ernannte er Ioannes Taronites8 zum Eparchen'. Dieser Mann, der aus vornehmer Familie stammte, war schon als Kind in seinen Dienst getreten und hatte ihm lange Zeit hindurch als Sekretär gedient; er besaß ein in allen Dingen zupackendes Wesen und einen sehr scharfen Intellekt, kannte sich im römischen Recht aus und verlieh, sooft es ihm aufgetragen wurde, den Erlassen des Basileus rednerischen Glanz, indem er ihnen eine der Kaiserlichen Majestät würdige Form gab; er führte eine freie Rede, und doch brauchte man ihm nicht unter dem Vorwurf, anmaßend zu sein, den Mund zu verbieten, sondern er war ein Dialektiker, wie er nach Ansicht des Stageiriten sein soll10. 4 Nachdem er [Alexios] von dort aufgebrochen war, sandte er laufend Schreiben" an Isaak, den Dux der Flotte12, und diejenigen, die mit ihm waren, ich meine Exazenos Dukas13 und Hyaleas14, sie sollten unablässig wachsam sein und denjenigen, die aus der Longibardia zu Baimundos übersetzen wollten, den Weg versperren. Als er dann am Mestos15 angelangt war, wollte die Augusta in den Kaiserpalast zurückkehren; der Autokrator nötigte sie jedoch weiterzuziehen. Und so überquerten beide den Fluß namens Evros16 und schlugen bei Psyllos17 ihre Zelte auf. 5 Fast wäre er [Alexios] jedoch, nachdem er dem einen Mordanschlag glücklich entkommen war18, einem weiteren zum Opfer gefallen, wenn nicht eine göttliche Hand jene Verbrecher an der Ausfuhrung der Tat gehindert hätte. 7 Zu dieser Festung in Thrakien vgl. Buch VIII, Anm. 1. 8 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 94 (S. 156-157). 9 Zum Amt des »Eparchen« (Stadtpräfekten von Konstantinopel) vgl. Buch III, Anm. 3. 10 Anna hat offenbar keine konkrete Textstelle bei Aristoteles im Auge; eine vergleichbare Definition des Dialektikers ist in seinen Schriften nicht nachweisbar. 11 Dölger-Wirth, Regesten 1237. 12 Zu Isaak Kontostephanos, Dux der Flotte (zum Amt vgl. Buch VII, Anm. 126), vgl. Buch XII, Kap. 8 mit Anm. 96. 13 Konstantinos Exazenos Dukas; zu ihm vgl. Buch XII, Kap. 5 § 4 mit Anm. 62 und Kap. 8 § 6. 14 Nikephoros Exazenos Hyaleas; zu ihm vgl. S u c h XI, Kap. 5 § 4 mit Anm. 71 sowie Buch XII, Kap. 5 § 4 und Kap. 8 § 6. 15 Fluß in Thrakien, heute griech. Nestos, bulg. Mesta (vgl. T I B 6, 360), identisch mit dem Buch VIII, Kap. 5 § 1 genannten Mavropotamos. Hier geographisch verwechselt mit dem Fluß Evros (vgl. die folgende Anm.). 16 Türk. Mari^, bulg. Marica; vgl. Buch II, Anm. 73. Geographisch liegt eine Verwechslung der Flüsse Nestos und Evros vor, da Alexios auf dem W e g von Konstantinopel nach Thessalonike natürlich zuerst den Evros und danach den Nestos zu überqueren hatte. 17 Unbekannter Ort in Thrakien; wohl kaum identisch mit Kypsella (heute Ipsala, vgl. Buch VII, Anm. 88). 18 Gemeint ist die Anemas-Verschwörung, vgl. Buch XII, Kap. 5-6.

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Buch XIII, Kapitel 1 § 5-7

Ein Mann nämlich, der seine Herkunft von einer Seite her auf die berühmten Aronier zurückführte, wenn auch in illegitimer Linie", wiegelte die aufrührerische Fronde zum Mord am Autokrator auf; in dieses Geheimnis weihte er auch seinen eigenen Bruder Theodoros 20 ein. O b auch noch weitere der Rebellen Mitwisser dieses Komplotts waren, darüber will ich mich nicht äußern; jedenfalls stifteten sie einen Skythen-Sklaven namens Demetrios zur Ausfuhrung des Mordes an (und zwar tat das dessen Herr Aaron selbst), und sie setzten als Termin für die Ausführung ihres Plans die Abreise der Basiiis an, damit der Skythe dann eine günstige Gelegenheit finden und dem Basileus sein Schwert in die Seite stoßen könne, sei es, daß er ihm an einer engen Stelle begegnete, oder auch, daß er ihn im Schlaf überraschte. 6 Demetrios also schärfte voller Mordgier seine Waffe und hielt seine mörderische Hand bereit. Aber auch in diesem Fall gab Dike21 dem Drama eine überraschende Wendung. Da nämlich die Basiiis sich nicht sogleich vom Basileus trennte, sondern ihn weiter begleitete, weil der Autokrator sie von Tag zu Tag mit sich zog, verloren jene Verbrecher den Mut, als sie sahen, daß der unermüdliche Wächter des Autokrators, ich meine die Basiiis, weiter dablieb, und sie schrieben daher einige Famusa und warfen sie in das Zelt des Basileus (zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, wer sie geworfen hatte; das Wort »Famuson« bedeutet Schmähung in schriftlicher Form22), und in diesen [Famusa] rieten sie dem Autokrator, seinen Weg fortzusetzen, der Augusta aber, nach Byzantion zurückzukehren. (Solche Schmähschriften belegt auch das Gesetz mit schwersten Sanktionen; die Schriften selbst überantwortet es dem Feuer, diejenigen aber, die solches wagen, unterwirft es furchtbaren Strafen)23. Da sie nämlich ihr Vorhaben nicht ausfuhren konnten, verfielen sie auf den Unsinn mit den Famusa. 7 Als nämlich der Autokrator gespeist und die meisten sich zurückgezogen hatten und nur der ehemalige Manichäer Romanos 24 , der Eunuch Basileios Psyllos25 und Theodoros, der Bruder des Aaron, zu diesem Zeitpunkt anwesend waren, da fand sich wie19 Zu diesem Aaron Aronites vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 1 (S. 3-4). Er entstammte einem Zweig der bulgarischen Fürstenfamilie Aaron, dessen Angehörige seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts in byzantinischen Militärdiensten standen. Vgl. Du Cange, Notae 652-653. Z u m Mordkomplott vgl. Cheynet, Pouvoir, Nr. 132 (S. 102). 20 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 198 (S. 293-294). 21 In archaisierender Weise bemüht Anna hier die Instanz der antiken göttlichen Personifikation des Rechts statt der von ihr sonst in solchen Fällen betonten Fürsorge Gottes. 22 Die Bezeichnung famuson (Plural fämusa) leitet sich aus dem lateinischen Terminus technicus libeüusfamosus (»Schmähschrift«) her. 23 In der Tat sah das geltende römische Recht für die Verfasser solcher anonymer Schmähschriften die Todesstrafe vor; wer ein Famuson fand, hatte dieses sofort zu verbrennen, u m nicht selbst der Todesstrafe zu verfallen. Vgl. Basiliken LX, 63 (basierend auf Cod. Justin. IX, 36). 24 Von ihm ist sonst nichts bekannt. 25 Von ihm ist nur bekannt, was Anna hier und im folgenden von ihm berichtet.

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Buch XIII, Kapitel 1 § 7-9

derum ein Famuson, das heimlich auf das Bett des Basileus geworfen worden war; es enthielt viele Beschimpfungen der Basiiis, weil sie den Basileus weiter begleite und nicht schleunigst in die Kaiserstadt zurückkehre; denn das war es, was sie erreichen wollten: völlige Freiheit zu tun, was sie wollten. Der Autokrator, der wußte, wer das geworfen hatte, sagte voller Zorn: »Das hier habe ich oder du« (hier wandte er sich an die Basiiis), »oder einer der Anwesenden hat es geworfen.« Unten stand darauf folgendes geschrieben: »Dies schreibe ich, der Gladiator26, den du, Basileus, bis jetzt nicht kennst, du wirst mich aber in deinen Träumen sehen.« 8 Ein gewisser Konstantinos aber, ein Eunuch, Vorsteher der kaiserlichen Tafel27, der schon dem Vater des Basileus28 gedient hatte und sich damals in den Diensten der Basiiis befand, stand um die dritte Nachtwache draußen vor dem Zelt, und wie er gerade dabei war, den gewohnten Hymnos zu psalmodieren, hörte er jemanden mit lauter Stimme sagen: »Wenn ich nicht zu ihm gehe und ihm alles melde, was ihr geplant habt, und angebe, daß ihr die Famusa geworfen habt, dann soll mich niemand mehr unter die Menschen rechnen.« Jener [Konstantinos] befahl sogleich seinem Diener herauszufinden, wer gesprochen habe. Dieser machte sich auf, erkannte Strategios, den Diener des Aaron, nahm ihn mit sich und führte ihn zu dem Vorsteher der kaiserlichen Tafel. Er [Strategios] machte ihm sogleich seine Aufwartung und meldete ihm alles, was er wußte. Dieser [Konstantinos] wiederum nahm ihn und ging mit ihm zum Autokrator. 9 Zu dieser Stunde aber schliefen die Kaiserlichen Majestäten. Er traf jedoch den Eunuchen Basileios an und zwang ihn zu melden, was von Strategios, dem Sklaven des Aaron, berichtet worden war. Dieser [Basileios] ging sogleich hinein und holte auch Strategios herein, welcher, einmal ins Verhör genommen, die ganze Geschichte von den törichten Famusa, den Urheber des Mordplans und vor allem denjenigen, den man zur Ermordung des Basileus angestiftet hatte, klar aufdeckte. »Mein Herr nämlich, Aaron«, sagte er, »hat zusammen mit anderen, die eurer Majestät durchaus nicht unbekannt sind, gegen dein Leben, Basileus, ein Komplott geschmiedet und Demetrios als Mörder gedungen, meinen Mitsklaven, von Herkunft Skythe, von Charakter äußerst blutrünstig, mit starken Armen, zu jeder Schandtat nur allzu bereit und von einer bestialischen und überaus grausamen Wesensart. Diesem Mann gaben sie ein doppelschneidiges Schwert in die Hand und erteilten ihm diesen unmenschlichen Auftrag, sich an dich heranzumachen und mit rücksichtsloser Tollkühnheit sein Schwert in die kaiserlichen Eingeweide zu 26 Im anderen Strang der Überlieferung steht hier statt »Gladiator« (monomâchos) das Wort »Mönch« (monachos). 27 Nur hier erwähnt; zum Amt des epi tés trapèzes (»Maître d'hôtel«) vgl. Guilland, Recherches I 237-241. 28 Ioannes Komnenos (Barzos, Genealogia, Nr. 6 [S. 49-57]).

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Buch XIII, Kapitel 1 § 9-Kapitel 2 § 1

tauchen.« 10 Der Basileus aber (er ließ sich nämlich nicht leicht durch derartige Anschuldigungen überzeugen) sagte: »Hüte dich, daß du dir nicht aus Haß gegen deine Herren und gegen deinen Mitsklaven diese Anklage zusammenreimst, sondern sage die reine Wahrheit und nur das, was du sicher weißt. W o nicht, und wenn sich dann herausstellt, daß du lügst, wird dir diese Anschuldigung nicht gut bekommen.« Jener aber blieb dabei, daß er die Wahrheit sage, und wurde daraufhin dem Eunuchen Basileios übergeben, damit er diesem die törichten Briefe aushändige. Dieser [Basileios] machte sich mit ihm auf den Weg und führte ihn in das Zelt des Aaron, wo alles schlief; und er [Strategios] nahm von dort einen Soldatenrucksack voll von derartigen Zetteln mit und gab sie dem Basileios. Bei Tagesanbruch sah der Basileus dieses Geschreibsel an, und als er sicher war, daß man einen Mordanschlag gegen ihn geplant hatte, wies er diejenigen, denen die öffendiche Ordnung in der Stadt oblag, an, die Mutter des Aaron nach Choirobakchoi 29 , Aaron nach .. .30 und seinen Bruder Theodoras nach Anchialos31 zu verbannen. Diese Ereignisse hielten den Basileus fünf Tage lang vom Weitermarsch ab. II Als er nach Thessalonike aufbrach, hielt er es für erforderlich, das Heer in KampfFormation Aufstellung nehmen zu lassen, da inzwischen die Truppenkontingente von überall her zusammengekommen waren. Und sogleich stellten sich die Schlachtreihen in Kompanien auf, die Kompaniefuhrer davor, die Linie der Nachhut dahinter. Diejenigen, die die Mitte der Schlachtreihe einnahmen, standen alle in schimmernden Waffen da (ein furchterregender Anblick war diese Formation), und gleichsam wie eine Art Stadtmauer bildeten sie miteinander einen festgefugten Block. Man hätte meinen können, eherne Statuen und aus Bronze gegossene Soldaten zu sehen, da sie alle zusammen regungslos in der Ebene standen; nur ihre Lanzen zitterten, als ob sie begierig seien, sich in lebendiges Fleisch zu bohren. Nachdem der Basileus das Heer in dieser Formation aufgestellt, es in Bewegung gesetzt und so manövriert hatte, daß es bald nach rechts, bald nach links schwenkte, trennte er das neu ausgehobene Heer von der übrigen Armee und ernannte diejenigen, die er überwiegend selbst aufgezogen und zu Soldaten ausgebildet hatte, zu Truppenfiihrern. Diese waren insgesamt dreihundert, alle jung und hochgewachsen, strotzend vor körperlicher Kraft und jeder von ihnen im ersten Bartwuchs, alle sehr geschickte Bogenschützen und äußerst standfeste Lanzenkämpfer. Sie waren aus verschiedenen Völkern zusammengewürfelt, bildeten aber eine Art Eliteeinheit aus dem gesamten romäischen Heer, die dem Basileus als Strategos unterstand;

29 30 31

Vgl. oben § 3 . Von Anna in ihrem Manuskript nicht ausgeführt; vgl. Buch I, Anm. 59. Vgl. Buch VI, Anm. 133.

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Buch XIII, Kapitel 2 § 1-3

denn der Basileus war für sie Strategos und Ausbilder in einem. Aus diesen wählte er wiederum die Tüchtigsten aus, ernannte sie zu Syntagmatarchen 32 und schickte sie zu den Pässen, durch welche das Barbarenheer voraussichdich kommen würde. Er selbst aber bezog in Thessalonike sein Winterquartier. 2 Nachdem aber, wie wir berichtet haben33, der Rebell Baimundos mit einer ungeheuer starken Flotte von drüben hierher in unser Gebiet übergesetzt war und das gesamte Frankenheer sich über unsere Ebenen hatte ergießen lassen, machte er sich von dort auf und marschierte gegen Epidamnos, um es, wenn möglich, im Sturm zu erobern; falls das aber nicht gelänge, wollte er sich die ganze Stadt durch Belagerungsmaschinen und steinschleudernde Katapulte gefugig machen. Das also war sein Ziel. Er schlug sein Lager gegenüber dem Tor auf, welches sich nach Osten hin öffnet und über welchem ein Reiter aus Bronze steht, und nach Prüfung der Örtlichkeit begann er mit der Belagerung. Den ganzen Winter über machte er Pläne und prüfte überall die Stellen, wo Dyrrachion wohl einnehmbar sei; und als dann der Frühling34 lächelte, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Belagerung. Seine Lastschiffe, die Pferde* und die, um es so auszudrücken, Soldatentransportschiffe hatte er bereits, sobald er übergesetzt war, dem Feuer übergeben, zum Teil aus strategischem Kalkül, damit sein Heer nicht den Blick auf das Meer gerichtet hielt, zum anderen aber auch, weil ihn die romäische Flotte dazu zwang. 3 Als erstes ließ er das Barbarenheer sich rings um die Stadt ergießen und übte sich in Geplänkeln, indem er ediche Sondertrupps des Frankenheeres aussandte (doch auch die Soldaten des romäischen Heeres beschossen die Feinde mit ihren Pfeilen, bald von den Türmen Dyrrachions aus, bald auch aus der Ferne), und so kämpfte er und wurde bekämpft. Er brachte nämlich Petrula35 in seine Gewalt und die Festung, die den Namen »des Mylos«36 trägt und über dem Fluß Diabolis37 liegt, sowie andere ähnliche Ortschaften, die rings um die Stadt Dyrrachion liegen, all diese fielen ihm nach dem Gesetz des Krieges in die Hände. Das also erreichte er im offenen Kampf. Während dieser ganzen Zeit aber ließ er auch die nötigen Kriegsmaschinen erbauen, Schildkröten mit Türmen und Rammböcken, eine Art von Schutzschirmen für die Mineure und andere für diejenigen, die die Gräben auffüllen, und daran arbeitete er den ganzen Winter und Sommer 38 über und setzte die ohnehin durch seine Taten erschreckten 32 Befehlshaber von größeren Truppeneinheiten, nach moderner Nomenklatur »Obristen«. 33 Buch XII, Kap. 9 §§ 1-3. 34 Frühling des Jahres 1108. 35 Festung unbekannter Lage östlich von Dyrrachion in Richtung auf Elbasan. 36 Festung unbekannter Lage; der Name bedeutet »Mühle«. 37 Der Devolli im heutigen Albanien, zusammen mit dem Osumi Quellfluß des Semeni (vgl. auch Du Cange, Notae 653-654); entspringt ca. 20 km südlich des heutigen Korea. 38 Winter 1107/08 und Sommer 1108.

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Buch XIII, Kapitel 2 § 3-Kapitel 3 § 2

Menschen noch zusätzlich durch das, was er ihnen androhte, in Schrecken. 4 Doch konnte er keineswegs auch den romäischen Kampfgeist besiegen. Außerdem scheiterte er auch am Problem der Beschaffung von Nahrungsmitteln. Denn alles, was er vorher aus dem Umland von Dyrrachion geraubt hatte, war aufgebraucht, und von den Quellen, aus welchen er gehofft hatte, sich Nachschub beschaffen zu können, hatten ihn die Soldaten des romäischen Heeres abgeschnitten, da sie die Täler und Pässe und natürlich auch das Meer besetzt hielten. Infolgedessen brach eine schlimme Hungersnot aus und raffte Pferde wie Menschen in gleicher Weise dahin, die Pferde, weil sie kein Futter, und die Menschen, weil sie keine Nahrungsmittel hatten. Zusätzlich aber machte diesem Barbarenheer auch noch eine Darmkrankheit zu schaffen, vordergründig infolge einer unverträglichen Nahrung, ich meine die Hirse. In Wahrheit aber hat der Zorn Gottes dieses unzählbar große und unwiderstehliche Heer heimgesucht und bewirkt, daß sie einer nach dem anderen starben. III Aber dieses Unglück schien leicht zu wiegen für einen Mann, dessen Denken und Trachten ausschließlich auf Usurpation ausgerichtet war und der drohte, jedes Land zu zerstören; so fuhr er trotz seines Unglücks dennoch fort, Pläne zu schmieden, und wie ein verwundetes Tier sammelte er sich und richtete, wie wir bereits gesagt haben, sein ganzes Augenmerk auf die Belagerungskämpfe. Und als erstes ließ er eine Schildkröte für Rammböcke, die er hatte bauen lassen, ein unbeschreibliches Ungetüm, auf der ösdichen Seite der Stadt ansetzen; bei seinem bloßen Anblick wurde man von Entsetzen ergriffen. Es war nämlich auf folgende Weise konstruiert: Sie bauten eine längliche Schildkröte und gaben ihr die Form eines Parallelogramms; dann setzten sie Räder darunter und überzogen sie von allen Seiten, oben und an beiden Seiten, mit allseitig zusammengenähten Rindshäuten; und so machten sie in der Tat, wie Homer sagt3', das Dach und die Wände der Maschine »siebenhäutig«; dann hängten sie im Inneren die Rammböcke auf. 2 Nachdem er die Maschine in dieser Weise fertiggestellt hatte, ließ er sie dann an die Mauer heranbringen, indem eine unzählige Schar von Männern sie von innen mit einer Art von Stangen vorwärtsstieß und in die Nähe der Mauern von Dyrrachion brachte. Als es ihnen nahe genug war und der Abstand stimmte, nahmen sie die Räder unten fort und sicherten die Maschine auf allen Seiten mit Stützbalken, damit die Decke nicht durch die Stöße ins Wanken gerate. Dann stießen einige sehr starke Männer, die sich zu beiden Seiten des Rammbocks aufstellten, diesen mit großer Wucht in Richtung der Mauer und behielten diese Bewegung bei. Sie nun gaben dem Rammbock alle gleichzeitig einen wuchtigen Schub, und dieser, einmal in Bewegung gesetzt, krachte gegen die Mauer, prallte von dort wie39 Homer, Utas 7, 220 und öfter.

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Buch XIII, Kapitel 3 § 2 - 4

der ab und fuhr krachend zurück, indem er die Wucht sich nun in der Gegenrichtung entfalten ließ. Und das tat er immer wieder, solange er, immer wieder auf beiden Seiten angesetzt, nicht müde wurde zu versuchen, die Mauer zu durchstoßen. 3 »Rammbock« aber haben die antiken Ingenieure, die diese Maschine bei der Belagerung von Gadeira erfunden haben40, sie ganz richtig metaphorisch nach den auch uns bekannten Böcken genannt, die sich im Kampf messen, indem sie aufeinander losgehen. Aber die Leute in der Stadt machten sich lustig über diesen bocksartigen Mauerkampf, den diese Barbaren mit ihren den Rammbock betätigenden Männern aufführten, und spotteten darüber, daß sie mit ihrer Belagerung überhaupt nichts erreichten; sie öffneten die Tore und forderten sie auf hereinzukommen, voller Spott über die vom Rammbock vollführten Stöße. »Denn der Rammbock«, sagten sie, »kann mit seinem Anrennen gegen die Mauer doch wohl kein Loch von der Größe machen, wie sie das Tor bietet.« Dieser Versuch scheiterte also sehr bald an dem Mut der Bewohner und der überlegenen Gelassenheit des Strategos Alexios, des Neffen des Autokrators Alexios41, zumal auch die Feinde selbst in ihren Bemühungen nachließen und die Belagerung aufgaben, jedenfalls soweit es diesen Versuch betraf. Denn der Mut der Bewohner und die Tatsache, daß sie den Barbaren die Tore öffneten, sowie ihre Gelassenheit gegenüber den Feinden entmutigten diese und veranlaßten sie, den Versuch mit dieser Maschine aufzugeben. So also stand die Schildkröte mit ihrem Rammbock untätig dar; nichtsdestoweniger warf man von oben weiter Feuer auf die Maschine, die nunmehr stillstand und sich aus den genannten Gründen nicht von der Stelle bewegte, und verwandelte sie zu Asche. 4 Nachdem also die fränkische Heerschar mit diesem Versuch gescheitert war, verlegte sie sich auf ein anderes, weit bedrohlicheres Mittel, indem sie sich nach Norden zu der Stelle begab, die gegenüber der Residenz des Dux lag, welche Praitorion42 genannt wurde. Die Lage dieser Örtlichkeit war folgende: Der Boden stieg hier zu einem Hügel an, ich meine nicht einen felsigen Hügel, sondern einen aus Erde; auf diesem Hügel war die Mauer der Stadt errichtet. Gegenüber von diesem Hügel, wie wir gesagt haben, begannen die Männer um Baimundos sehr zielsicher zu graben. Dies ist eine weitere schlimme Waffe gegen die Städte, die sich die Belagerer ausgedacht haben, und sie wurde jetzt als ein weiteres Instrument zur Belagerung von ihnen [den Soldaten des Baimundos] gegen die Stadt mit aller Schläue eingesetzt. Denn sie griffen unter der Erde grabend an, indem sie gleichsam wie Maulwürfe das unterirdische Erdreich durchwühlten; dabei 40 Nach Vitruv, De architectura X 19 haben die Karthager, als sie Gadeira (Cadix, an der Südspitze Spaniens) belagerten, den Rammbock erfunden. Vgl. Du Cange, Notae 654. 41 Zu seiner Ernennung zum »Dux von Dyrrachion« vgl. Buch XII, Kap. 4 § 3. 42 Aus dem lat. praetorium (»Residenz des Prätors«).

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schützten sie sich bald durch Schildkröten mit hohen Dächern oberhalb der Erde gegen Steine und Pfeile, die von oben auf sie herunterprasselten, bald gruben sie sich unten in gerader Linie voran, indem sie die Tunneldecke mit Balken abstützten; so schufen sie einen sehr langen und sehr breiten Schacht, wobei sie mit Wagen die jeweils ausgehobene Erde herausbeförderten. Als sie den Tunnelbau weit genug vorgetrieben hatten, freuten sie sich, als ob sie etwas Großes vollbracht hätten. 5 Aber die Verteidiger hatten nicht geschlafen, sondern auch ihrerseits in einiger Entfernung die Erde aufgegraben und einen Tunnel von beträchtlicher Länge ausgehoben; dann setzten sie sich entlang dieses Tunnels hin und lauschten, an welcher Stelle wohl die Partei der Belagerer von drüben zu ihnen durchbrechen würde. Und sehr bald, als sie entdeckten, daß jene an einer bestimmten Stelle klopften und Erde aushoben und an den Fundamenten der Mauer gruben, konnten sie sie hören, und mehr noch, auch sehen, nachdem sie gegenüber von ihnen eine Öffnung gebrochen hatten, und als sie durch ihr von innen gebohrtes Loch die Masse der Feinde erblickten, verbrannten sie ihnen die Gesichter mit Feuer. 6 Dieses Feuer hatten sie durch folgendes Verfahren hergestellt: Von der Pinie und ähnlichen immergrünen Bäumen sammelt man ein leichtentzündliches Harz. Dieses wird zusammen mit Schwefel gerieben und in Schilfrohre gefüllt, und von demjenigen, der auf diesem Instrument spielt, wird mit kräftigem und anhaltendem Atem hineingeblasen, und so kommt es [das Harz] dann in Berührung mit dem Feuer am Ende des Rohres, entzündet sich und fährt wie ein Blitz in die Gesichter derer, die vor ihm stehen. Dieses Feuer benutzten diejenigen, die das Innere von Dyrrachion hielten, als sie den Feinden direkt gegenüberstanden, und verbrannten ihnen die Bärte und Gesichter. Und man konnte sehen, wie sie gleichsam wie ein Bienenschwarm, der von Rauch verfolgt wird, in wildem Durcheinander von dort hervorstürzten, wohin sie so wohlgeordnet hineingegangen waren. 7 Nachdem aber auch diese Mühe für sie vergeblich war und auch dieser schlaue Barbarenplan zu keinerlei Ergebnis gefuhrt hatte, dachten sie sich ein drittes Mittel aus, einen hölzernen Turm; der Bau dieses Belagerungsinstrumentes wurde, wie das Gerücht geht, nicht erst nach dem Scheitern der zuvor ins Werk gesetzten Mittel, sondern ein volles Jahr vorher begonnen. Dies war sein [Bohemunds] eigentliches Hauptwerk, die vorher geschilderten Anlagen waren dagegen nebensächlich. 8 Aber zuvor muß ich in wenigen Worten die Anlage der Stadt Dyrrachion beschreiben: Ihre Mauer wird durch die Türme unterbrochen; die Türme erheben sich ringsum über die Mauer um die Höhe von etwa elf Fuß43; sie haben als Aufgang eine spiralförmige Treppe und sind durch Brustwehren gesichert. So sind Anlage und Verteidigungsmög-

43 Ein byzantinischer Fuß mißt etwa 31 cm; vgl. Schiibach, Metrolope 10-16.

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lichkeit der Stadt beschaffen. Die Dicke der Mauer hat ein beträchtliches Ausmaß, und zwar ist diese so breit, daß mehr als vier Reiter Schulter an Schulter sicher darauf entlangreiten können. So viel also sei über die Mauer gesagt, um schon vorher andeutungsweise eine ungefähre Anschauung von dem zu geben, was ich später schildern werde. 9 Den Bau dieser turmartigen Maschine, welche die Barbaren um Baimundos wie eine Schildkröte in Form eines Turms konstruiert haben, zu beschreiben, ist ebenso schwierig, wie ihr Anblick furchteinflößend war; das behaupteten jedenfalls diejenigen, die sie gesehen haben, ganz zu schweigen von der grauenerregenden Wirkung, die ihr Anblick auf diejenigen hatte, gegen die sie in Stellung gebracht wurde. Diese Maschine war folgendermaßen konstruiert: Auf einem quadratischen Unterbau wurde ein hölzerner Turm errichtet, der zu einer beachdichen Höhe hochgezogen wurde, nämlich so hoch, daß er die Türme der Stadt etwa um fünf oder sechs Ellen44 an Höhe überragte. Dieser Belagerungsturm mußte nämlich so hoch gebaut sein, damit mittels einer Art von Hängebrücken, die man auf das niedrigere Niveau herunterlassen konnte, die Mauer der Stadt von dort aus leicht überrannt werden konnte. Denn so würden die Einwohner dem heftigen Ansturm nicht standhalten können, da sie ständig nach hinten gedrängt würden. Wie es scheint, hatten die Barbaren, die Dyrrachion belagerten, gute Kenntnisse in der Wissenschaft der Optik. Denn ohne eine solche Fähigkeit hätten sie die Höhe der Mauern nicht messen können. Falls sie aber keine wissenschaftlichen Kenntnisse in der Optik hatten, so wußten sie jedoch zumindest mit Feldmeßgeräten umzugehen 45 . 10 Jener Turm war nun in der Tat furchtbar anzusehen, noch furchtbarer erschien er jedoch, wenn er sich bewegte. Seine Basis ruhte nämlich auf vielen Rollen; als er von den Soldaten in seinem Inneren dann mit den Hebebäumen vorwärtsgehebelt wurde, erregte er staunendes Entsetzen, da die Ursache seiner Bewegung nicht zu sehen war, sondern er schien sich wie ein Riese, der über die Wolken hinausragt, von selbst zu bewegen. Er war von allen Seiten, von der Basis bis zur Spitze, abgedeckt und in viele Stockwerke unterteilt, und ringsum war er mit den verschiedensten Offhungen versehen, aus denen dicht auf dicht Geschosse flogen. Auf dem obersten Stockwerk aber befanden sich tapfere Männer in voller Rüstung, die ihre Schwerter in den Händen hielten und wohlvorbereitet waren zur Verteidigung. 11 Als sich dieses schauderhafte Ungetüm der Mauer näherte, blieben die Männer um Alexios, den Strategos der Stadt Dyrrachion, nicht untätig, sondern zur selben Zeit, als Baimundos diese Maschine draußen errichten ließ gleichsam als 44 Die Byzantiner kannten zwei verschiedene Maße mit dieser Bezeichnung, eines von 46,8 cm und eines von 62,46 cm Länge; vgl. Schiibach, Metrologie 20-21. 45 Einige Meßinstrumente aus byzantinischer Zeit sind erhalten; vgl. LexMA sub v. Instrumente. Das Feldmeßinstrument der Dioptra war seit dem Altertum bekannt.

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Sturmgeschütz, vor dem es kein Entrinnen gibt, konstruierten sie innerhalb der Mauer eine diesem entsprechende Gegeneinrichtung. Denn als sie sahen, bis zu welcher Höhe dieser sich selbst fortbewegende Turm hochgezogen worden war und an welcher Stelle sie ihn endgültig aufgestellt hatten, nachdem sie die Rollen darunter entfernt hatten, rammten sie gegenüber dem Belagerungsturm vier sehr lange Holzbalken ein, die ausgehend von einer quadratischen Basis gleichsam die Figur eines Prismas bildeten, und indem sie dann zwischen den sich gegenüberstehenden Pfeilern einige Zwischenböden einzogen, bauten sie das Gerüst so hoch, daß es den hölzernen Turm außerhalb um eine Elle überragte. Dieses Gerüst war von allen Seiten völlig offen; denn es brauchte keinen Schutz, nur ganz oben war es mit einem Dach bedeckt. 12 Dort hinaus auf das oberste Stockwerk des unverkleideten hölzernen Turmes brachten die Soldaten um Alexios dann das flüssige Feuer46 und wollten es gegen den gegenüber aufgestellten Belagerungsturm schleudern. Man kam jedoch zu der Einschätzung, daß weder der Plan noch die Vorrichtung ganz ausreichend waren, um die Maschine vollständig zu vernichten; denn das von dort nach drüben geschossene Feuer würde den Belagerungsturm nur gerade eben erreichen. Und auf welches Mittel verfallen sie? Sie füllen den Zwischenraum zwischen dem hölzernen Turm und dem Turm der Stadt mit allem möglichen leicht brennbaren Material aus und gießen Ströme von Ol darüber aus. An dieses Gemisch wurde dann Feuer gelegt mit Fackeln und Bränden; es schwelte eine Weile vor sich hin, wuchs dann, durch einen leichten Windstoß angefacht, zu einer hellen Flamme empor, die noch unterstützt wurde durch die Kaskaden des flüssigen Feuers, und setzte die ganze schaudemerregende und aus einer Vielzahl von Materialien erbaute Maschine in Brand; es entstand ein Getöse, und den Augen bot sich ein schrecklicher Anblick. Das riesige Feuer war im Umkreis bis zu einer Entfernung von dreizehn Stadien47 zu sehen. Die Bestürzung und die Verwirrung unter den Barbaren im Turm waren gewaltig und heillos; die einen wurden vom Feuer eingeschlossen und zu Asche verbrannt, die anderen stürzten sich aus der Höhe auf die Erde hinunter; groß war das Geschrei und heillos die Verwirrung, da die Leute draußen ebenfalls mit Schreien antworteten. IV So viel also zu dem Belagerungsturm, der bis über die Wolken ragte, und über den Belagerungskampf von Seiten der Barbaren. Doch wollen wir uns jetzt wieder dem Basileus zuwenden. Als der Frühling48 kam, kehrte die Augu46 Zu dieser Waffe vgl. O D B sub v. Greek Fire. Auch bei den Arabern waren ab dem 9. Jahrhundert verschiedene Formen der Anwendung des »Griechischen Feuers« bekannt; vgl. B. Chrestides, in: EI sub v. naß. 47 Zum Gebrauch der Bezeichnung »Stadion« für »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47. 48 Frühling des Jahres 1108; vgl. oben Kap. 2 § 2.

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sta aus Thessalonike in die Kaiserstadt zurück, der Autokrator aber setzte seinen Marsch fort und zog über Pelagonia'" nach Diabolis50, welches diesseits am Fuß der schon erwähnten schwer passierbaren Übergänge liegt. Da er sich eine neue Strategie gegenüber den Barbaren ausgedacht hatte, hielt er es für erforderlich, vom offenen Kampf völlig Abstand zu nehmen, und deshalb wollte er auch keinen Kampf von Mann gegen Mann, sondern nachdem er die schwer passierbaren Gebirgsübergänge und die Wege, auf denen man nicht weiterkam, als Niemandsland zwischen den beiden Heeren gelassen und auf den Höhenzügen alle Männer, die ihm treu ergeben waren, mit einer ausreichend starken Streitmacht postiert hatte, wandte er jene neue Strategie an, die darin bestand, daß weder die Leute von hier leichten Zugang zu Ba'imundos hatten noch von drüben zu diesen wiederum Briefe gelangen oder Grüße übermittelt werden konnten, woraus oftmals die freundschaftlichen Beziehungen zu entstehen pflegen. Denn der Mangel an Kommunikation hat schon viele Freundschaften zerstört, wie der Stageirite sagt5'. 2 Da er Ba'imundos als einen Mann voller Durchtriebenheit und Durchsetzungskraft kannte, war er zwar auch bereit, sich ihm in offenem Kampf, Mann gegen Mann, entgegenzustellen, wie bereits gesagt worden ist, doch ließ er ebenfalls auch nicht ab, sich alle möglichen anderen Mittel und Finessen gegen ihn auszudenken. Aus den bereits genannten Gründen und obgleich er voller Ungeduld war zu kämpfen (denn dieser Autokrator, mein Vater, begab sich von jeher gern und oft in Gefahr), bemühte er sich aber dennoch, da für ihn in allen Dingen der kühl rechnende Verstand maßgeblich war, ihn auf andere Weise zu bezwingen. 3 Ein Feldherr sollte sich, glaube ich, nicht immer mit gezogenem Schwert den Sieg zu verschaffen suchen, sondern bisweilen auch bereit sein, zur List zu greifen, wenn der Zeitpunkt und die Umstände es erlauben, indem er sich auf jede Weise den Sieg zu verschaffen sucht. Und das ist, soviel wir wissen, das eigendiche Charakteristikum von Feldherrn, nicht nur durch Schwert und Kampf, sondern auch unter Zuhilfenahme von vertraglichen Einigungen und bisweilen auch auf andere Weise den Gegner zu bezwingen, wenn dieser nichts ahnt und für so etwas der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Auf diese Weise ist offensichdich auch damals der Autokrator vorgegangen. Da er nämlich Zwietracht zwischen den Baronen und Ba'imundos säen wollte, um so ihr gegenseitiges Waffenbündnis gleichsam ins Wanken zu bringen oder zu zerbrechen, setzte er folgenden Plan ins Werk. 4 Er ließ zunächst den aus Neapel stammenden Sebastos Marinos zu sich kommen (dieser gehörte zur Familie der Maistromilier52, und wenn die49 50 51 52

Heute Bitola, vgl. Buch V, Anm. 60. Am gleichnamigen Fluß gelegen, vgl. Buch V, Anm. 5. Sinngemäßes Zitat aus Aristoteles, Eth. Nicom. VIII 6, 1157b 13. Zu diesem Marinos vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 124 (S. 195-196). Er hatte einen

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Buch XIII, Kapitel 4 § 4-5

ser damals auch nicht eben völlig treu zu seinem Eid ihm gegenüber gestanden hatte, weil er sich durch trügerische Worte und falsche Versprechungen hatte täuschen lassen, so traute er [Alexios] ihm doch so weit, daß er ihn in seinen geheimen Plan in bezug auf Bai'mundos einweihte) und zugleich auch Roger55 (er gehörte zu den vornehmen Franken) sowie Petros Aliphas54, einen Mann, der für seine Taten im Krieg berühmt war und der dem Autokrator jederzeit unverbrüchlich die Treue gehalten hatte. Nachdem er diese zu sich gerufen hatte, fragte er sie um Rat, auf welche Weise er im Falle Bai'mundos' vorgehen und wie er ihn besiegen könne; außerdem befragte er sie auch über die engsten Vertrauten des Bai'mundos und über alle Gleichgesinnten, die jener habe. Und als er darüber von ihnen Auskunft erhalten hatte, sagte er, daß man diese Männer auf jede erdenkliche Weise für sich gewinnen müsse. »Und wenn das gelingt, dann wird durch jene auch die Masse des keltischen Heeres auseinanderbrechen, indem sie der Zwietracht anheimfallt.« Dies teilte er den schon Genannten mit und forderte von jedem einzelnen von ihnen einen ihrer treuesten und verschwiegensten Diener. Diese sagten bereitwillig zu, ihm die besten ihrer Leute zu geben. 5 Und als die Diener zur Stelle waren, setzte er folgenden Täuschungsplan ins Werk: Er verfaßte Briefe55, als handele es sich um Antwortschreiben, an einige der vertrautesten Gefolgsleute des Bai'mundos, so als hätten jene zuvor an ihn geschrieben und um eine Stellung innerhalb seiner Gefolgschaft geworben, indem sie ihm die geheimen Absichten des Rebellen verrieten, und schickte sie an jene ab, indem er ihnen gleichsam seinen Dank zum Ausdruck brachte und die ihm angeblich erwiesene Reverenz der Männer akzeptierte. Die Adressaten waren Gidos, Bai'mundos' eigener Bruder56, einer seiner ruhmreichsten Männer mit Namen Koprisianos57, außerdem Rikardos58 und als vierter Prinkipatos59, ein tapferer Mann von höchstem Rang im Heer des Bai'mundos, und noch einige andere mehr. An diese wurden die gefälschten Briefe abgeschickt. Von den Adressaten nämlich hatte der Basileus keinerlei

hohen Rang und eine wichtige Stellung am Hof des Alexios inne und ist wahrscheinlich mit dem gleichnamigen und ebenfalls den »Sebastos«-Titel tragenden Dux von Amalfi (1097-1098) identisch; zu diesem vgl. Schütz, Catalogus 448. Zu Rang und Titel des »Sebastos« vgl. Buch I, Anm. 86. Die Mastromilier (das Wort abgeleitet von lat. Magister militum) waren die Familie, welche die Duces von Neapel stellte. Vgl. Du Cange, Notae 655-656. 53 Zu ihm vgl. Buch I, Kap. 15 § 5. 54 Zu ihm vgl. Buch IV, Anm. 68. 55 Dölger-Wirth, Regesien 1239 (Frühjahr 1108). 56 Zu ihm vgl. Buch VI, Kap. 5 § 2. 57 Zu seiner Identität (Conte von Conversano) vgl. Du Cange, Notae 656-657. 58 Seine Identität ist nicht klar, vgl. Du Cange, Notae 657-658. Bei Dölger-Wirth, Regesten 1239 als identisch mit dem nächstgenannten Richard vom Prinzipat aufgefaßt. 59 Wahrscheinlich identisch mit Richard vom Prinzipat, einem Bruder des Grafen Wilhelm II. Vgl. Du Cange, Notae 658-659; Schütz, Catalogus 501, 622.

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Schreiben dieser Art, das ihm heimlich Reverenz und Loyalität signalisiert hätte, erhalten, weder v o n Rikardos noch v o n irgendeinem der anderen; vielmehr hatte er selbst ganz von sich aus diese Art von Briefen fingiert. 6 D e m Ränkespiel lag folgende Überlegung zugrunde: Wenn es Baimundos zu Ohren komme, daß diese Männer Verrat geübt haben, der dortigen Sache abtrünnig geworden sind und sich auf die Seite des Basileus geschlagen haben, dann werde er sogleich außer sich geraten und zu seiner barbarischen Natur Zuflucht nehmen; er werde die Männer mißhandeln und sie geradezu dazu zwingen, mit ihm zu brechen, und sie würden dann wohl infolge v o n Alexios' List tun, was ihnen v o n allein nicht in den Sinn gekommen war, nämlich gegen ihn rebellieren. Der Feldherr wußte nämlich, glaube ich, daß jeder Gegner stark ist, wenn das ganze Heer sich einig ist und zusammenhält, daß er aber schwach und für die Feinde dann zur leichten Beute wird, wenn es uneinig ist und in viele Fraktionen zerfällt. D a s war es, was er im Grunde erreichen wollte, und das war die eigentliche verborgene List der Briefe. 7 Alexios führte seinen Plan dann auf folgende Weise aus: Er sandte die fingierten Briefe an jene Männer mit dem Auftrag ab, jeden einzelnen Brief dem jeweiligen Adressaten persönlich zu übergeben. Diese Schreiben, die er überbringen ließ, enthielten nicht nur seinen Dank, sondern er verhieß ihnen darin Geschenke und kaiserliche Gaben sowie außerordentliche Versprechungen; er legte ihnen nahe, ihm auch in Zukunft gewogen zu sein und das auch zu zeigen und ihm kein Geheimnis vorzuenthalten. D e n Boten hinterdrein sandte er einen seiner zuverlässigsten Diener, der diesen unbemerkt folgen sollte, und wenn er sehe, daß sie sich dem feindlichen Lager näherten, solle er sie überholen und vor ihnen dort eintreffen, zu Baimundos gehen, den Überläufer spielen und sagen, daß er zu ihm übergetreten sei, weil er es verabscheue, weiter a u f Seiten des Basileus zu bleiben. D a n n solle er, indem er Freundschaft für den Rebellen heuchele und sich stelle, als meine er es gut mit ihm, ganz deudich und klar jene Männer beschuldigen, an welche die Briefe gerichtet waren, daß nämlich dieser und jener, wobei er sie namendich der Reihe nach aufzählen solle, ihm die Treue gebrochen hätten und nun Freunde und Parteigänger des Basileus geworden seien und a u f dessen Seite stünden, und daß er daher achtgeben müsse, daß sie nicht plötzlich etwas Schlimmes gegen ihn unternähmen, was sie schon seit langem geplant hätten; 8 er solle aber auch aushandeln, daß B a i m u n d o s den Überbringern der Briefe nichts Schlimmes antue. Es war nämlich dem Basileus daran gelegen, einerseits diese von ihm eingeschleusten Männer vor Schaden zu bewahren und andererseits im Lager des Baimundos Verwirrung zu stiften. U n d das waren nicht nur Worte u n d Pläne, auf die keine Taten folgten, sondern besagter M a n n trat an Baimundos heran, ließ sich durch einen Eid die Sicherheit der Briefboten garantieren und legte dann alles so dar, wie ihn der Autokrator ge-

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heißen hatte. Auf die Frage, wo sich denn diese Männer seiner Vermutung nach nunmehr befanden, antwortete er, daß sie eben Petrula60 passiert hätten. 9 Baimundos sandte daraufhin Leute aus und fing die Briefboten ab; nachdem er dann die Briefe geöffnet hatte, wurde ihm ganz schwindlig, und er wäre fast in Ohnmacht gefallen, da er sie für echt hielt. Er richtete es dann so ein, daß jene unter Bewachung gehalten wurden, er selbst aber blieb sechs Tage lang in seinem Zelt und überlegte hin und her, was er tun solle, wobei er zahlreiche Möglichkeiten bei sich erwog: Sollten die Konostavloi" vor ihm erscheinen und sollte er seinem Bruder Gidos offen von der Anschuldigung, die gegen ihn erhoben worden war, Mitteilung machen? Sollte er jene erst nach einem Verhör vor ihm erscheinen lassen oder ohne Verhör? Außerdem fragte er sich auch, welche Männer er an ihrer Stelle zu Konostavloi machen sollte. Da sie aber tapfere Kämpfer waren und ihm daher bewußt war, daß es einen großen Verlust bedeuten würde, wenn er sie endieße, regelte er die sie betreffende Angelegenheit auf unauffällige Weise, so gut es ging (ich glaube aber auch, daß er die verborgene Absicht der Briefe ahnte), und begegnete ihnen also mit Freundlichkeit und schenkte ihnen sein Vertrauen, indem er ihnen gestattete, weiter in ihrer Stellung zu bleiben. V Nachdem der Autokrator dem Feind zuvorgekommen war, indem er alle Pässe durch kampfstarke Truppen mit ausgewählten Führern besetzt hatte, ließ er auch noch jeden nur möglichen Pfad durch sogenannte Holzverhaue für die Kelten verbarrikadieren. So hatten denn sogleich Avlon, Hiericho und Kanina62 als wachsamen Beschützer Michael Kekaumenos63, Petrula64 hatte Alexandras Kabasilas65 mit einer Einheit, die aus gemischter Infanterie bestand66; er war ein besonders tapferer Kämpfer, der viele Türken in Asien in die Flucht geschlagen hatte. Devre67 beschützte Leon Nikerites68 mit einer beträchdichen Streitmacht, und Eustathios Kamytzes6' schließlich hatte er die Verteidigung der Pässe um die Region des Arbanon™ übertragen. 2 Baimundos aber hatte 60 Vgl. oben Kap. 2 § 3. 61 Zu Rang und Titel des »Konostavlos« vgl. Buch V, Anm. 81; Du Cange, Notae 659-660. 62 Festungen am Golf von Vlore an der epirotischen Küste, heute die Orte Vlore, Oriku und Kanina in Albanien. 63 Zu ihm vgl. Buch XI, Kap. 5 § 6 mit Anm. 79. 64 Vgl. oben Kap. 2 § 3. 65 Zu ihm vgl. Buch IV, Kap. 4 § 3 mit Anm. 33. 66 Gemeint sind schwerbewaffnete und leichtbewaffnete Fußsoldaten; letztere sind hauptsächlich Bogenschützen, während erstere mit Schwert und Langschild kämpfen; vgl. Leib, Akxiade III 104, Anm. 1. 67 Heute Dibra, vgl. Buch XII, Kap. 9 § 6 mit Anm. 136. 68 Zu ihm vgl. Buch VII, Kap. 2 § 9 mit Anm. 37. 69 Zuletzt als Kommandant von Lampe erwähnt, vgl. Buch XI, Kap. 5 § 6 mit Anm. 82. 70 Region westlich des Ohrid-Sees; von diesem Namen leitet sich die Bezeichnung »Albaner« her. Vgl. A. Ducellier, L'Arbanon et ks Albanais, in: TM 3 (1968) 353-368.

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Buch XIII, Kapitel 5 § 2-3

schon gleich beim Start, wie man sagt71, gegen Kabasilas seinen Bruder Gidos, einen Baron namens Sarakenos72 und Kontopaganos 73 ausgesandt. Da einige Festungen in der Nähe von Arbanon schon vorher zu Baimundos übergetreten waren, kamen deren Einwohner, welche die Wege von Arbanon genau kannten, zu ihm, erklärten ihm in allen Einzelheiten die Lage von Devre und zeigten ihm die verborgenen Pfade. Daraufhin teilte Gidos sein Heer in zwei Teile: Er selbst übernahm es, Kamytzes von vorn anzugreifen, Kontopaganos aber und den Grafen namens Sarakenos beauftragte er, sie sollten, gefuhrt von den Devrioten, Kamytzes von hinten überfallen. Mit diesem Plan waren beide einverstanden, und während Gidos frontal angriff, überfielen die anderen Grafen das Lager des Kamytzes von hinten und richteten ein furchtbares Gemetzel unter dessen Soldaten an; da es ihm nicht möglich war, gleichzeitig gegen alle Gegner zu kämpfen und er seine Leute fliehen sah, schloß auch er sich ihnen an. Damals fielen viele Romäer, darunter auch Karas74, den der Autokrator von klein auf unter seine eigenen Kinder aufgenommen und zu ihnen gezählt hatte, und der Türke Skaliarios75, der ehemals zu den namhaften Fürsten im Osten gehört hatte, dann zum Basileus übergelaufen war und die heilige Taufe empfangen hatte. 3 So viel nun zu Kamytzes. Alyates7' aber, der zusammen mit anderen ausgesuchten Kriegern Glavinitza77 bewachte, stieg in die Ebene hinab; ob er dies tat, um zu kämpfen oder um die Lage eines Ortes auszukundschaften, das mag Gott wissen. Wie es aber der Zufall will, begegneten ihm sogleich schwer gerüstete Kelten, tapfere Kämpfer, die sich daraufhin in zwei Gruppen teilten; die einen (sie waren fünfzig an der Zahl) griffen ihn von vorn in einer heftigen Attacke an, indem sie den Pferden voll die Zügel gaben, die übrigen dagegen machten sich lautlos von hinten an ihn heran; das Gelände war nämlich morastig. Alyates aber, der das Herannahen der Leute von hinten nicht bemerkte, sondern mit allen Kräften und ganzer Aufmerksamkeit gegen die Angreifer von vorn kämpfte, nahm nicht wahr, daß er sich selbst in eine bedrohliche Situation gebracht hatte. Denn die von hinten Kommenden stürzten sich plötzlich auf ihn und kämpften erbittert gegen ihn. Ein Baron namens Kontopaganos traf ihn im Zweikampf mit der Lanze, und auf der Stelle lag er leblos am Boden. Es fielen aber auch nicht wenige der Leute, die mit ihm waren. 71 Häufig gebrauchte sprichwörtliche Wendung, vgl. Buch IV, Anm. 3. 72 Zu unterscheiden von dem 1082 getöteten Baron gleichen Namens (vgl. Buch V, Kap. 5 § 1). 73 Hier zum ersten Mal erwähnt; zur Bedeutung des Namens (»Baron Heide«) vgl. D u Cange, Notai 660. 74 Nur hier erwähnt; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 99 (S. 159-160). 75 Vgl. zu ihm Buch VI, Kap. 13 § 4 mit Anm. 206. 76 Hier zum ersten Mal erwähnt; vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 10 (S. 15). 77 Vgl. Buch III, Kap. 12 § 7 mit Anm. 166.

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Buch XIII, Kapitel 5 § 4-6

4 Als der Autokrator dies erfuhr, ließ er Kantakuzenos zu sich kommen, da er die außerordentliche Tüchtigkeit dieses Mannes in kriegerischen Unternehmungen kannte. Dieser hatte sich nämlich, wie gesagt78, bereits an Ort und Stelle zum Autokrator begeben, nachdem er aus Laodikeia zurückberufen worden war. Da die Sache mit Bai'mundos aber keinen Aufschub mehr duldete, schickte er ein kampfstarkes Heer mit ihm aus und verließ das Lager, indem er jenen gleichsam als Vorboten hinausgeleitete und ihn zum Kampf anspornte. Als er dann zu dem Paß, der in der Landessprache Petra" genannt wird, gekommen war, machte er dort halt, gab ihm viele Ratschläge und taktische Anweisungen mit auf den Weg, erklärte ihm, wie er erfolgreich sein könne, und sandte ihn, nachdem er ihn mit wohlbegründeten Hoffnungen ermutigt hatte, nach Glavinitza, er selbst aber kehrte nach Diabolis zurück. Als Kantakuzenos auf seinem Marsch zu einer Festung kam, die »Festung des Mylos«80 hieß, ließ er sogleich alle Arten von Belagerungsmaschinen bereitstellen und belagerte die Festung. Und die Romäer gingen kühn an die Mauern heran, die einen legten Feuer an die Tore und setzten sie in Brand, die anderen stiegen eilends an der Mauer bis zu den Zinnen hinauf. 5 Als das jedoch die Kelten, die jenseits des Flusses, der Vuses81 genannt wird, lagerten, bemerkten, liefen sie hin zur »Festung des Mylos«. Als die Späher des Kantakuzenos (es waren Barbaren, wie wir bereits berichtet haben82), sie entdeckten, rannten sie in wildem Durcheinander zu ihm zurück und machten ihm von dem, was sie gesehen hatten, nicht etwa unauffällig Meldung, sondern sie schrien schon von weitem und teilten ihren Anmarsch mit. Als aber die Soldaten hörten, daß die Kelten im Anmarsch seien, rannte ein jeder, obwohl sie bereits über die Mauern gestiegen waren, obwohl sie die Tore in Brand gesetzt hatten und obwohl sie die Festung bereits in der Hand hatten, von Panik ergriffen zu seinem Pferd; jedoch in ihrer Furcht und Verwirrung bestieg jeder das Pferd eines anderen. 6 Kantakuzenos indessen kämpfte unermüdlich und lenkte sein Pferd immer wieder gegen seine in Panik geratenen Soldaten, wobei er ihnen die Worte des Dichters zurief: »Seid Männer und gedenkt des stürmischen Mutes!«83 Als er sie aber nicht überzeugen konnte, brachte er sie durch eine kluge List von ihrer Furcht ab, indem er sagte: »Wir dürfen die Belagerungsmaschinen nicht den Feinden überlassen, weil sie diese gegen uns einsetzen können, sondern wir müssen sie in Brand setzen und uns dann in guter Ordnung zurückziehen.« Auf der Stelle führten

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Vgl. Buch XII, Kap. 2 § 1. Lage unbekannt; der Name bedeutet »Felsen«. Vgl. oben Kap. 2 § 3. Identisch mit dem Buch X, Kap. 8 § 1 Vousa genannten Fluß; vgl. dort Anm. 131. Der Verweis ist ein Irrtum; Anna hatte das vorher noch nicht erwähnt. Sinngemäß zitierter formelhafter homerischer Vers, vgl. z.B. Ilias 6, 112.

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Buch XIII, Kapitel 5 § 6-Kapitel 6 § 1

die Soldaten sehr bereitwillig seinen Befehl aus und zündeten nicht nur die Belagerungsmaschinen an, sondern auch die Schiffe, die auf dem Fluß Vuses lagen, damit die Kelten nicht leicht auf diese Seite übersetzen konnten. Er selbst aber zog sich ein Stück weit zurück und stieß dabei auf eine Ebene, auf deren rechter Seite ein Fluß namens Charzanes 84 und auf deren linker Seite ein sumpfiges und morastiges Gelände lag; diese Gegebenheiten nutzte er als Schutz und schlug dort sein Lager auf. Besagte Kelten aber kehrten, als sie zum Ufer des Flusses kamen und die Schiffe bereits verbrannt waren, enttäuscht in ihren Erwartungen und unverrichteter Dinge wieder um. 7 Als der Bruder des Ba'imundos, Gidos, von ihnen erfuhr, was geschehen war, änderte er seine Marschrichtung, wählte tapfere Kämpfer aus seinen Leuten aus und schickte sie nach Hiericho und Kanina. Als diese dann die von Michael Kekaumenos bewachten Pässe erreicht hatten (diesen nämlich hatte der Autokrator mit ihrem Schutz beauftragt), nutzten sie das für sie vorteilhafte Gelände, griffen sie voller Zuversicht und mit allen Kräften an und schlugen sie in die Flucht. Denn der keltische Soldat ist schwer zu besiegen, wenn er den Feinden in einem Engpaß begegnet, während er in weitem Gelände sehr leicht zu überwältigen ist. VI Dadurch ermutigt wandten sie sich dann wieder Kantakuzenos zu. Nachdem sie aber erkannt hatten, daß das Gelände, wo Kantakuzenos sich, wie wir berichtet haben' 5 , zuvor verschanzt hatte, für sie nicht günstig war, verloren sie den Mut und verschoben den Kampf. Dieser hatte ihr Anrücken bemerkt und brachte nun die ganze Nacht damit zu, mit seinem gesamten Heer das jenseitige Ufer des Flusses" zu gewinnen. Und die Sonne war noch nicht über dem Horizont aufgetaucht, da stand er schon in voller Rüstung, das gesamte Heer ebenfalls kampfbereit, im Mitteltreffen der vordersten Linie, die Türken auf dem linken Flügel, während den rechten Flügel der Alane Rosmikes'7 zusammen mit seinen Landsleuten innehatte. Die Skythen88 schickte er gegen die Kelten voraus mit dem Auftrag, diese durch Geplänkel auf sich zu ziehen und ständig unter Beschuß zu nehmen, sich dann aber wieder abzusetzen und in die Ausgangsstellung zurückzuziehen. Diese machten sich auch bereitwillig auf den Weg, erreichten aber nicht das geringste, da die Kelten ihre Reihen geschlossen hielten und nirgends ihre feste Formation aufgaben, sondern langsam in mustergültiger Ordnung vorrückten. Als die beiden Heere die richtige

84 Er entspringt südöstlich des heutigen Tirana und mündet nördlich von Dyrrachion ins Meer, heute Erzeni. 85 Vgl. oben Kap. 5 § 6. 86 Des oben genannten Vuses (vgl. Kap. 5 § 6). 87 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 182 (S. 278). Er befehligte ein ganzes Heereskontingent dieser kaukasischen Söldnertruppe. 88 Peçenegische Hilfstruppen.

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Buch XIII, Kapitel 6 § 1 - 4

Distanz für den Kampf erreicht hatten, konnten die Skythen ihre Pfeile nicht mehr abschießen, da die Kelten voller Ungestüm gegen sie vorpreschten, vielmehr wandten sie sich sogleich vor den Kelten zur Flucht. Die Türken wollten ihnen zu Hilfe eilen und griffen an; doch schenkten die Kelten ihnen nicht die geringste Beachtung und kämpften um so entschlossener. 2 Als Kantakuzenos sah, daß sie sogleich unterlagen, schickte er den Exusiokrator89 Rosmikes, der mit seinen Leuten den rechten Flügel innehatte (diese waren Alanen, besonders kampfstarke Männer) in den Kampf gegen die Kelten. Aber auch diesen sah man, nachdem er angegriffen hatte, sich sogleich wieder nach rückwärts wenden, obwohl er furchtbar wie ein Löwe gegen sie anbrüllte. Als aber Kantakuzenos sah, daß auch dieser unterlag, faßte er sich ein Herz und stürzte sich, abschnellend wie von einem Startplatz, frontal auf die Formation der Kelten und sprengte das Heer in viele Teile auseinander; und er schlug die Kelten vollständig in die Flucht und verfolgte sie bis zu der Festung, welche »Festung des Mylos« heißt90, und nachdem er viele Soldaten niederer Ränge und auch viele von höherem Rang getötet und einige der angesehensten Barone lebend gefangen hatte, Ubos, den Bruder des Ubos namens Ritzardos91 und Kontopaganos 92 , kehrte er als Sieger zurück. Da er dem Basileus seinen Sieg deudicher vor Augen führen wollte, ließ er die Köpfe vieler Kelten auf Lanzen spießen und sandte sogleich die vornehmsten seiner Gefangenen, Ubos und den Kontopaganos genannten, zu ihm ab. 3 An diesem Punkt meines Berichts, während ich zur Stunde, da man die Lampen anzündet, die Feder dahingleiten lasse, merke ich, daß ich beim Schreiben ein wenig müde geworden bin und mir die Darstellung zerfließt. Denn wo es unerläßlich ist, barbarische Namen zu verwenden und verschiedene aufeinanderfolgende Ereignisse zu berichten, da scheinen die Einheit der historischen Darstellung und der Zusammenhang des Berichts in einzelne Teile zu zerfallen; doch werden diejenigen, die meinen Bericht mit Wohlwollen lesen, Verständnis dafür haben. 4 Als der große Kämpfer Baimundos sah, daß seine Lage wahrhaft bedrohlich war, da er vom Meer und vom Festland her angegriffen wurde und durch den Mangel an Lebensmitteln nunmehr in jeder Hinsicht in äußerster Bedrängnis war, ordnete er ein starkes Heer ab und schickte es gegen die Städte in der Nähe von Avlon, Hiericho und Kanina93, um sie sämtlich zu plündern. Aber auch Kantakuzenos war 89 Spezieller Titel für den Befehlshaber der alanischen Hilfstruppen. Vgl. Du Cange, Notae 660; Schlumberger, Sigiüographie 516. 90 Vgl. oben Kap. 2 § 3; Kap. 5 § 4. 91 Zu diesem Ubos (Hugo) und seinem Bruder Richard, die wegen eines Tötungsdeliktes ihre normannische Heimat verlassen hatten und nach Apulien gezogen waren, vgl. D u Cange, Notae 660. 92 Vgl. zu ihm oben Kap. 5 §§ 2-3. 93 Vgl. oben Kap. 5 § 1.

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Buch XIII, Kapitel 6 § 4-6

nicht untätig, und »ihn hielt nicht der süße S c h l u m m e r umfangen«, wie der Dichter sagt' 4 , sondern schnell sandte er Bereites 95 mit einem kampfstarken Heer gegen die Kelten aus. U n d dieser besiegte sie, kaum daß er sie erreicht hatte, und gleichsam als Ergebnis verbrannte er a u f dem Rückweg die Schiffe des Bai'mundos".

5 Als der fanatische Rebell B a i m u n d o s von der Niederlage

derer, die er ausgeschickt hatte, erfuhr, war er keineswegs niedergeschlagen, so als habe er keinen einzigen M a n n aus seinem Heer verloren; vielmehr zeigte er sich daraufhin sogar n o c h selbstbewußter, ordnete wiederum Fußsoldaten und Berittene ab, die leidenschaftliche Kämpfer waren, etwa 6 0 0 0 an der Zahl, und sandte sie gegen Kantakuzenos, im Glauben, er werde im Handstreich mit dem romäischen Heer auch Kantakuzenos selbst in die H a n d b e k o m m e n . Als dieser, der laufend Kundschafter unterhielt, welche die keltischen Heeresmassen beobachteten, j e d o c h v o n ihrem Anrücken erfuhr, bewaffnete er des Nachts sich und auch das Heer vollständig z u m Kampf, voller Ungeduld, die Feinde im Morgengrauen zu überfallen. Als die Kelten sich erschöpft am Ufer des Flusses Vuses zu einer kurzen Rast niederließen, traf er dort a u f sie, als eben der Tag lächelte, griff sie sofort an und n a h m viele lebend gefangen, m e h r n o c h aber tötete er. D i e übrigen wurden von den Stromschnellen des Flusses erfaßt und ertranken; a u f der Flucht vor dem W o l f waren sie dem Löwen anheimgefallen. 6 Sämtliche Barone schickte er darauf zum Autokrator und zog sich dann wieder nach T i m o r o s zurück; dieser O r t ist morastig und schwer zugänglich. N a c h d e m er dort dann sieben Tage geblieben war, sandte er eine bestimmte Anzahl Kundschafter an verschiedene O r t e m i t dem Auftrag, die Aktivitäten des Baimundos zu b e o b a c h t e n und i h m einen Gefangenen als Auskunftgeber" von dort zu bringen, damit er, über die Unternehmungen des Baimundos unterrichtet, sich ein genaueres Bild von ihnen m a c h e n könne. Zufallig stießen die ausgesandten Späher a u f hundert Kelten, die Flöße bauten, mit welchen sie über den Fluß setzen und die a u f der anderen Seite gelegene Festung e i n n e h m e n wollten. Diese griffen sie überraschend an und n a h m e n fast alle lebend gefangen, darunter sogar den Cousin des Baimundos, der fast zehn Fuß groß war" und so breit wie ein zweiter Herakles. Das war in der T a t ein seltsamer Anblick, wie jener gewaltige und wahrlich monströse Riese von ei-

94 Homer, Ilias 2, 2. 95 Nur hier erwähnt; vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 31 (S. 46-47). 96 Oben in Kap. 2 § 2 hatte Anna berichtet, daß Bohemund seine Transportschiffe bereits selbst verbrannt hatte. 97 So richtig Ljubarskij, AUksiada 600, Anm. 1338. Im griechischen Text steht hier als pars pro toto das Wort glossa (»Zunge«). Vgl. eine ganz ähnliche sprachliche Erscheinung unten Kap. 9 § 4 mit Anm. 125: chlamys (»Mantel«) im Sinne von »Krieger, Ritter«. 98 Das ist stark übertrieben, da der gemeinbyzantinische Fuß etwa 31 cm betrug; vgl. Schiibach, Metrologie 13-16.

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Buch XIII, Kapitel 6 § 6-Kapitel 7 § 1

nem zwergenhaft kleinen Skythen als Gefangener abgeführt wurde. Kantakuzenos aber gab Anweisung, als er die Gefangenen absandte, daß der zwergenhafte Skythe jenen ungeheuer großen Mann als Gefangenen zum Autokrator fuhren solle, womit er offensichtlich den Autokrator zu erheitern gedachte. Als der Basileus dann von ihrer Ankunft hörte, nahm er auf dem kaiserlichen Thron Platz und befahl, die Gefangenen hereinzufuhren, und herein trat auch der Skythe, der kaum bis an das Gesäß jenes riesigen Kelten reichte, und führte diesen als Gefangenen mit sich. Sogleich brachen daraufhin alle in lautes Gelächter aus. Die übrigen Barone wurden in Gefangenschaft gebracht..." VII Kaum hatte der Autokrator Zeit gehabt, über den gelungenen Streich des Kantakuzenos zu lächeln, da traf schon wieder eine neue unheilvolle Nachricht ein, die von einem unbeschreiblichen Massaker an den von Kamytzes und Kabasilas befehligten romäischen Einheiten100 berichtete. Entmutigen ließ sich der Autokrator aber dadurch keineswegs, obgleich es ihm das Herz zerriß und er vor Schmerz aufstöhnte über die Gefallenen, bisweilen auch Tränen vergoß über jeden einzelnen; vielmehr ließ er Konstantinos Gabras101 zu sich kommen, einen Ares-Jünger, der Feuer schnob gegen die Feinde, und sandte ihn zur Festung namens Petrula102 mit dem Auftrag zu prüfen, an welcher Stelle die Kelten in die Pässe eingefallen waren und dann ein so großes Blutbad anrichteten, und ihnen für die Zukunft den Durchgang zu versperren. Als sich Gabras jedoch unwillig zeigte und den Auftrag geradezu als Zumutung auffaßte (der Mann hatte nämlich eine sehr hohe Meinung von sich und trachtete danach, große Dinge zu vollbringen), da schickte er unverzüglich Marianos Mavrokatakalon103 aus, den Gatten der Schwester meines Kaisars, einen tüchtigen Soldaten, der dies durch viele Großtaten bereits bewiesen hatte und der vom Autokrator sehr geliebt wurde, zusammen mit tausend besonders tapferen Männern. Mit diesen sandte er auch eine große Zahl von Männern aus, die unter den Porphyrogennetoi 104 und unter meinem Kaisar dienten und es nicht erwarten konnten, sich in den Kampf zu stürzen. Zwar schreckte auch dieser vor 99 Lücke in der Überlieferung, wahrscheinlich schon im Manuskript Annas, die vorhatte, die Örtlichkeit des Gewahrsams nachzutragen; vgl. Buch I, Anm. 59. 100 Vgl. oben Kap. 5 § 1 . ' 101 Hier zum ersten Mal erwähnt. Er war ein Verwandter des Theodoras Gabras (zu diesem vgl. Buch VIII, Kap. 9), später Gouverneur von Philadelpheia und Dux von Trapezunt. Von 1126-1140 rebellierte er gegen die Reichszentrale und Kaiser Ioannes II.; darauf spielt Anna (so Leib, Akxiade III 111, Anm. 1) etwas weiter unten mit ihrer Bemerkung über seine hohe Meinung von sich an. Vgl. zu ihm Skoulatos, Personnages, Nr. 40 (S. 66-68); Bryer, Gabrades, Nr. 5 (S. 177). 102 Vgl. oben Kap. 2 § 3 und öfter. 103 Vgl. zu ihm zuletzt Buch X, Kap. 8 §§ 5-10. Der Name der Schwester des Nikephoros Bryennios, mit welcher er verheiratet war, ist nicht bekannt. 104 Gemeint sind Leon und Nikephoros Diogenes (vgl. Buch VII, Kap. 2 § 3 mit Anm. 27).

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Buch XIII, Kapitel 7 § 1-3

dem Auftrag zurück, er zog sich aber dennoch in sein Zelt zurück, um die Sache zu bedenken. 2 Etwa zur Zeit der mittleren Nachtwache traf ein Brief von Landulphos105 ein, der damals mit dem Thalassokrator Isaakios Kontostephanos10i zusammen war, welcher Anschuldigungen gegen die KontostephanosBrüder, gegen Isaakios und dessen Bruder Stephanos, sowie gegen Euphorbenos107 enthielt, daß sie nämlich die Meerenge der Longibardia nachlässig bewachten und bisweilen zu ihrem Vergnügen an Land gingen; außerdem stand in dem Brief noch folgendes: »Selbst wenn du, Basileus, die Beutezüge und Ausfälle der Kelten mit aller Macht und aller Entschiedenheit verhindertest: Da diese nachlässig waren und es auch weiterhin bei der Bewachung der Meerenge der Longibardia an der notwendigen Aufmerksamkeit fehlen lassen, folgt daraus zwangsläufig, daß diejenigen, die zu Baimundos übersetzen und ihn mit den lebensnotwendigen Dingen versorgen, reichlich Gelegenheit dazu haben. Denn alle, die vor kurzem von der Longibardia aus zu Baimundos hinübergefahren sind, haben den für sie günstigen Wind abgewartet (denn starke Südwinde sind für diejenigen, die von der Longibardia ins Illyrikon übersetzen, günstig, Nordwinde hingegen ungünstig), haben auf ihren Schiffen die Segel gehißt und dann kühn die Uberfahrt zum Illyrikon gewagt. Da der Südwind aber sehr stürmisch wehte, war es ganz und gar unmöglich, in Dyrrachion vor Anker zu gehen, vielmehr zwang sie der Wind dazu, an der Küste von Dyrrachion endang zu segeln und Avlon anzulaufen. Dort ließen sie ihre riesigen Transportschiffe vor Anker gehen, an deren Bord sie Truppen in großer Zahl, bestehend aus Berittenen und Fußsoldaten, sowie sämdiche lebensnotwendigen Dinge mitfühlten und zu Baimundos brachten. Nach der Landung haben sie zahlreiche Märkte für Lebensmittel eingerichtet, damit die Kelten dort in Hülle und Fülle kaufen konnten, was sie zu ihrem Unterhalt brauchten.« 3 Voller Zorn machte der Basileus Isaakios heftige Vorwürfe und brachte ihn durch Androhung von Strafe, falls er sich nicht bessere, dazu, unermüdlich wachsam zu sein. Kontostephanos indessen erzielte keinen Erfolg; denn obwohl er wiederholt versuchte, diejenigen, die von drüben zum Illyrikon übersetzten, daran zu hindern, verfehlte er sein Ziel. Er hatte sich nämlich mitten in der Meerenge postiert und war daher, wenn er die Kelten von günstigem Wind getrieben mit vollen Segeln und hoher Geschwindigkeit herübersegeln sah, nicht imstande, gleichzeitig gegen die Kelten und die Winde zu kämpfen, da der Wind für ihn von vorn kam. Denn nicht einmal Herakles kann gegen 105 106 Zum 107 Kap.

Vgl. zu ihm zuerst Buch XI, Kap. 10 § 2 mit Anm. 161. Zu ihm und seinem Bruder Stephanos vgl. Buch XII, Kap. 8 mit Anm. 96 und 115. Amt des Thalassokrator vgl. Buch IX, Anm. 17. Alexandras Euphorbenos; vgl. zu ihm Buch VI, Kap. 13 §§ 1-2 und zuletzt Buch XII, 8 § 6.

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Buch XIII, Kapitel 7 § 3-Kapitel 8 § 1

zwei Gegner zugleich kämpfen, wie man sagt108; durch den starken Wind wurde er also zurückgetrieben. Darüber aber war der Autokrator sehr ärgerlich. 4 Da er erkannte, daß Kontostephanos die romäische Flotte nicht an der richtigen Stelle postiert hatte und ihn deshalb die Südwinde zurückhielten, während sie die Fahrt der Kelten eher begünstigten, trug er auf einer Skizze die Küste der Longibardia und des Illyrikon sowie die auf beiden Seiten liegenden Häfen ein und schickte sie an Kontostephanos 109 , wobei er ihm schriftlich erklärte, wo er die Schiffe postieren solle und wo er mit günstigem Wind rechnen könne, wenn er gegen die über die Meerenge setzenden Kelten lossegele. Er sprach Kontostephanos außerdem erneut Mut zu und forderte ihn auf, sich ans Werk zu machen. Isaakios gewann danach sein Selbstvertrauen zurück und postierte die Schiffe an der Stelle, wo es ihm der Autokrator befohlen hatte. Dann wartete er auf eine günstige Gelegenheit, und als sie von der Longibardia mit großem Aufgebot Kurs auf das Illyrikon nahmen, da empfing er sie, während nunmehr ein für ihn günstiger Wind wehte, mitten in der Meerenge und verbrannte etliche ihrer Piratenschiffe, den größeren Teil aber beförderte er mitsamt ihren Besatzungen in die Tiefe. 5 Der Basileus hatte davon noch nicht erfahren, sondern war mit seinen Gedanken noch ganz mit dem beschäftigt, was Landulphos und der Dux von Dyrrachion110 selbst ihm geschrieben hatten; er änderte seinen ursprünglichen Plan, ließ unverzüglich Marianos Mavrokatakalon, von dem bereits die Rede war'11, zu sich kommen und ernannte ihn von da ab zum Dux der Flotte; die Aufgabe in Petrula übertrug er einem anderen. Jener machte sich also auf den Weg und traf durch Zufall sogleich auf die Piratenschiffe und die Transportschiffe, die zu Bai'mundos von der Longibardia aus über die Meerenge unterwegs waren, und er brachte sie allesamt auf, vollgeladen mit den verschiedensten Lebensmitteln. Und von da an war er ein scharfer Wächter der Meerenge zwischen der Longibardia und dem Illyrikon und nahm den Kelten jede Möglichkeit, nach Dyrrachion überzusetzen. VIII Der Autokrator, der am Fuß der Pässe in der Nähe von Diabolis lagerte112, hielt mit fester Hand diejenigen zurück, die sich mit dem Gedanken trugen, zu Bai'mundos überzulaufen, und sandte Boten so zahlreich wie Schneeflocken zu denjenigen aus, die die Pässe bewachten, indem er jedem einzelnen Anweisung gab, wieviele Soldaten er in die Ebene von Dyrrachion gegen Bai'mundos entsenden solle und in welcher Formation diese den Kampf zu fuhren hätten, wenn sie in die Ebene hinabstiegen. Er wies sie an, sooft wie 108 109 110 111 112

Sprichwörtliche Wendung; vgl. Buch III, Anm. 152. Dölger-Wirth, Regesten 1241 (vor September 1108). Alexios Komnenos, Sohn des Isaakios; vgl. Buch XII, Kap. 4 § 3. Vgl. oben § 1 . Vgl. oben Kap. 4 § 1 und Kap. 5 § 4.

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Buch XIII, Kapitel 8 § 1-5

möglich zu Pferde vorzupreschen und sich dann wieder zurückzuziehen; dieses Manöver sollten sie immer wieder ausfuhren und dabei mit dem Bogen kämpfen, die Lanzenträger hingegen sollten hinter ihnen in langsamem Schritt folgen, damit sie, falls die Bogenschützen eventuell zu weit nach hinten abgedrängt würden, diese auffangen, zugleich aber auch auf den Kelten, der eventuell in ihre Reichweite komme, einstechen könnten. Er stattete sie reichlich mit Pfeilen aus und forderte sie auf, diese keineswegs sparsam zu verwenden, aber eher auf die Pferde als auf die Kelten selbst zu zielen; er wußte nämlich, daß diese, was ihre Brustpanzer und ihre eisernen Kettenhemden anging, schwer zu verwunden oder sogar gänzlich unverwundbar waren. Schießen aber, ohne daß man Wirkung erzielen kann, hielt er für völlig sinnlos. 2 Zur Bewaffnung des Kelten gehört nämlich ein eisernes Hemd aus lauter Ringen, die dicht an dicht miteinander verkettet sind, und dieses Eisenhemd besteht aus so gutem Eisen, daß es ein Geschoß abwehren und die Haut des Soldaten schützen kann. Zusätzlich dient zu dessen Schutz auch noch ein Schild, der nicht rund, sondern länglich ist, oben sehr breit und unten spitz zulaufend, innen leicht gewölbt, von außen aber sieht er glatt und glänzend aus mit einem funkelnden Buckel aus Bronze. Ein Geschoß nun, sei es skythisch oder persisch oder auch von den Armen eines Riesen geschleudert, prallt davon ab und schnellt zu demjenigen zurück, der es abgeschossen hat. 3 Deshalb also, glaube ich, weil er die keltische Bewaffnung und die Möglichkeiten unserer Bogenwaffen aus Erfahrung kannte, forderte der Basileus sie auf, von den Männern abzulassen und lieber die Pferde zu attackieren, und deshalb rief er sie dazu auf, diese mit ihren Pfeilen zu befiedern, damit sie dann auch von ihren Pferden absteigen müßten und danach leicht zu überwältigen seien. Denn der keltische Krieger ist zu Pferde unwiderstehlich und könnte wohl gar die Babylonische Mauer113 durchbrechen, wenn er jedoch vom Pferde absteigt, wird er zur kinderleichten Beute für jedermann. 4 Da er [Alexios] nämlich die Falschheit derer, die in seinem Gefolge waren, kannte, wollte er die Pässe nicht übersteigen, obwohl er voller Ungeduld darauf brannte, selbst in offenem Kampf Baimundos entgegenzutreten, wie wir ja auch schon mehrmals ausgeführt haben114. Denn er war, was die Schlachten angeht, schärfer als jedes Schwert, furchtlos in seiner Entschlossenheit, und nichts konnte ihn in Schrecken versetzen; aber die Ereignisse um ihn, die schwer auf seiner Seele lasteten, hielten ihn von diesem Vorhaben ab. 5 Da nun Bai'mundos sowohl vom Festland wie vom Meer aus in Bedrängnis geriet (denn einerseits thronte der Autokrator wie

113 Hier ist das antike Babylon am Euphrat gemeint; die Mächtigkeit seiner Stadtmauern war schon in der Antike Legende. 114 Zuletzt oben Kap. 4 § 2.

Buch XIII, Kapitel 8 § 5-6

ein Zuschauer über den Ereignissen in der Ebene des Illyrikon, auch wenn er mit ganzem Herzen und all seinen Gedanken bei den Kämpfenden war und teilhatte an eben diesen ihren Mühen und Strapazen, wenn man nicht sogar sagen sollte, daß seine Strapazen noch zahlreicher waren, indem er die Truppenfuhrer, die er auf den Höhen der Pässe postiert hatte, zu Kämpfen und Gefechten anfeuerte und sie anwies, wie sie die Kelten angreifen sollten, und andererseits schnitt Marianos, der die Routen über die Meerenge zwischen der Longibardia und dem Illyrikon bewachte, denjenigen, die von drüben zum Illyrikon übersetzen wollten, vollständig den Weg ab, indem er keinem Dreimaster und auch keinem schwerbeladenen Frachtschiff, ja nicht einmal einem leichten Piratenschiff mit zwei Ruderreihen die Durchfahrt zu Bäimundos gestattete) - als diesem nun sowohl die Nahrungsmittel, die übers Meer herangebracht wurden, ausgingen als auch diejenigen, die er sich auf dem Festland zusätzlich zu verschaffen suchte (er sah, daß der Krieg mit großem Sachverstand gefuhrt wurde; denn sooft seine Leute das Lager verließen, um Futter oder irgendwelchen anderen Proviant zu holen, oder sooft sie die Pferde zur Tränke hinausführten, griffen sie die Romäer an und töteten die meisten von ihnen, so daß sein Heer allmählich aufgerieben wurde), da sandte er Unterhändler zum Dux von Dyrrachion, Alexios, und kam um Frieden nach. 6 Als aber dann auch einer der Barone des Bäimundos aus vornehmer Familie, Gelielmos Klareies115, sah, wie das gesamte Heer der Kelten durch Hunger und Krankheit dahingerafft wurde (denn eine furchtbare Krankheit war von oben über sie verhängt worden), war er auf seine eigene Rettung bedacht und wechselte zusammen mit fünfzig Berittenen zum Autokrator über. Der Basileus nahm ihn wohlwollend auf, befragte ihn nach der Lage Bäimundos' und ehrte ihn, nachdem ihm versichert worden war, daß das Heer durch Hunger schwer darniederliege und daß sie sich in einer äußerst kritischen Lage befanden, sogleich mit dem Titel eines Nobellisimos" 6 und belohnte ihn mit vielen Geschenken und Vergünstigungen. Als er durch das Schreiben von Alexios dann erfuhr, daß Bäimundos bei ihm um Frieden nachsuche, beschloß er, da er daran dachte, daß seine Umgebung stets irgendeinen Anschlag gegen ihn plante, und da er sah, daß sie zu jeder Stunde gegen ihn rebellierten und er mehr von seinen engsten Vertrauten als von äußeren Feinden bekämpft wurde, nicht länger mit beiden Armen gegen zwei Gegner zugleich zu kämpfen, sondern er hielt es, indem er die Not zur Tugend machte, wie jemand einmal gesagt hat" 7 , für besser, den Frieden mit den Kelten zu akzeptieren und Bäimundos' Ersuchen nicht zurückzuweisen; andererseits hatte er aus dem oben dargelegten Grund Bedenken, weiter ins Land hineinzu115 Wilhelm (Guillaume) Ciaret; vgl. D u Cange, Notae 661. 116 Zu diesem Rangtitel vgl. Buch X, Anm. 52. 117 Von Anna mehrfach gebrauchte sprichwörtliche Wendung.

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Buch XIII, Kapitel 8 § 7-Kapitel 9 § 2

marschieren. 7 Deshalb blieb er selbst an Ort und Stelle, bereit, sich gegen beide Seiten zur Wehr zu setzen, doch trug er dem Dux von Dyrrachion brieflich auf118, Bai'mundos folgendes zu sagen: »Du weißt sehr wohl, wie oft ich getäuscht worden bin, wenn ich deinen Eiden und Worten vertraut habe. Und wenn nicht das göttliche Gesetz des Evangeliums Christen befehlen würde, einander alles zu vergeben11', hätte ich deinen Worten nicht Gehör geschenkt. Jedoch ist es besser, sich betrügen zu lassen als sich gegen Gott zu vergehen und göttliche Gesetze zu übertreten. Deshalb weise ich dein Ersuchen nicht zurück. Wenn also auch du wirklich Frieden willst, das vermessene und undurchführbare Werk verabscheust, das du unternommen hast, und dich nicht mehr daran freuen willst, wenn das Blut von Christen weder für ihr Land noch für die Christenheit vergossen wird, sondern einzig und allein deshalb, weil es dir so gefällt, dann komm selbst mit so vielen Begleitern, wie du willst, hierher, da die Distanz zwischen uns nur kurz ist. Und gleichgültig, ob sich unser beider Vorstellungen miteinander vereinbaren lassen, so daß es zu einem Friedensschluß kommt, oder nicht, du wirst auch in diesem Falle so, wie es gesagt worden ist, unversehrt in dein eigenes Lager zurückkehren.« IX Als Bai'mundos das gehört hatte, verlangte er, daß ihm vornehme Männer als Geiseln gestellt würden, damit diese, im übrigen frei, von seinen Baronen solange in seinem Lager unter Bewachung gehalten würden, bis er selbst zurückgekehrt sei; anders wage er nämlich nicht, sich zum Autokrator zu begeben. Der Basileus ließ daraufhin den Neapolitaner Marinos und den für seine Tapferkeit berühmten Franken Roger120 zii sich kommen, beides intelligente Männer, die bestens vertraut waren mit den lateinischen Sitten, sowie Konstantinos Euphorbenos121 (ein Mann mit starker Hand und mutigem Herzen, der bei keinem einzigen Auftrag, der ihm vom Basileus übertragen worden war, je versagt hatte) und schließlich noch einen gewissen Adralestos122, der die keltische Sprache beherrschte, und sandte diese, wie gesagt, zu Bai'mundos mit dem Auftrag, auf jede nur mögliche Weise auf ihn einzuwirken und ihn zu überreden, sich freiwillig zum Autokrator zu begeben, um diesem mitzuteilen, was immer er wolle und von ihm fordere; und wenn der Autokrator mit seinen Wünschen einverstanden sei, werde er zwangsläufig sein Ziel erreichen, wenn nicht, werde er unversehrt wieder in sein eigenes Lager zurückkehren. 2 Nachdem der Basileus ihnen diese Anweisungen gegeben hatte, endieß er sie, und sie machten sich auf den Weg zu Bai'mundos. Als dieser von ihrem Kommen 118 119 120 121 122

Dölger-Wirth, Regalen 1242. Vgl. Matth. 6,12 (»wie auch wir vergeben unseren Schuldnern«). Zu Marinos und Roger vgl. oben Kap. 4 § 4. Zuletzt erwähnt als Dux von Zypern Buch XI, Kap. 9 § 3. Wahrscheinlich ein normannischer Überläufer, vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 2 (S. 4).

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Buch XIII, Kapitel 9 § 2 - 4

erfuhr, ritt er aus Furcht, sie würden den desolaten Zustand seines Heeres erkennen und den Basileus davon in Kenntnis setzen, ihnen entgegen und traf mit ihnen weit außerhalb seines Lagers zusammen. Sie aber richteten ihm die Botschaft des Autokrators aus: »Der Basileus, so läßt er dir sagen, hat keineswegs die Versprechungen und Eide vergessen, die nicht nur du, sondern auch alle anderen Barone, die damals durch unser Land gezogen sind, geleistet haben123. Und du siehst ja wohl, daß es dir kein Glück gebracht hat, jene Eide gebrochen zu haben.« Als Baimundos dies hörte, sagte er: »Genug davon! Wenn der Basileus mir aber noch etwas anderes hat sagen lassen, bin ich bereit, das anzuhören.« 3 Und die Gesandten sagten zu ihm: »Der Basileus will dich und das unter deinem Befehl stehende Heer retten und läßt dir daher durch uns folgendes mitteilen: >Du weißt sehr wohl, daß du trotz vieler Mühen weder imstande warst, die Stadt Dyrrachion zu erobern, noch irgendeinen Vorteil fiir dich und deine Leute erreicht hast. Wenn du dich selbst und die von dir befehligten Männer nicht völlig vernichten willst, so komm ohne Furcht zu meiner Kaiserlichen Majestät, um alles offen zu sagen, was du willst, und dann wiederum zu hören, was uns richtig erscheint. Und wenn unser beider Vorstellungen auf dasselbe hinauslaufen, sei Gott Dank; wenn nicht, werde ich dich unversehrt wieder in dein eigenes Lager zurückschicken. Aber auch von deinen Leuten werden alle, die den Wunsch haben, das Heilige Grab aufzusuchen, um es zu verehren, von mir unversehrt dort hingebracht werden, und alle, die es vorziehen, in ihr eigenes Land zurückzukehren, werden, von mir mit reichlichen Geschenken bedacht, in ihre Heimat entlassen werden/« 4 Darauf gab dieser ihnen zur Antwort: »Jetzt habe ich erkannt, daß mir vom Basileus wirklich Männer geschickt worden sind, die fähig sind, Argumente vorzutragen und anzuhören. Ich fordere also von euch volle Sicherheit dafür, daß ich vom Autokrator mit allen Ehren empfangen werde, daß mich sechs Stadien124 vorher seine engsten Blutsverwandten in Empfang nehmen und daß, wenn ich am kaiserlichen Zelt angekommen bin, in dem Augenblick, in welchem ich durch den Eingang eintrete, er selbst sich vom kaiserlichen Thron erhebt und mich mit allen Ehren empfängt, daß nicht die geringste Anspielung auf die früher getroffenen Vereinbarungen mir gegenüber gemacht wird oder ich irgendwie unter Anklage gestellt werde, sondern völlige Freiheit erhalte, nach meinem Belieben zu sagen, was auch immer ich will. Außerdem verlange ich, daß der Basileus meine Hand nimmt und mir einen Platz an der Kopfseite seines Throns

123 Geraeint sind die Vasalleneide mit dem Versprechen, zurückeroberte Gebiete dem Kaiser zu restituieren; vgl. Buch X, Kap. 9 § 11; Kap. 10 § 5; Kap. 11 § 5. 124 Zur Verwendung des antiken Längenmaßes »Stadion« im Sinne von »Meile« vgl. Buch I, Anm. 47.

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Buch XIII, Kapitel 9 § 4-8

zuweist, daß ich in Begleitung von zwei Rittern125 eintrete und keinesfalls Knie oder Nacken beuge, um dem Autokrator zu huldigen.« 5 Als die Gesandten, die wir weiter oben vorgestellt haben, das gehört hatten, akzeptierten sie nicht, daß der Basileus sich vom kaiserlichen Thron erheben solle, vielmehr wiesen sie dies als eine überzogene Forderung zurück; doch lehnten sie nicht nur das ab, sondern auch, daß er weder Knie noch Nacken beugen wolle, um dem Basileus zu huldigen. Keine Einwände hatten sie dagegen, daß einige seiner [des Alexios] entfernteren Verwandten ihm in angemessener Distanz entgegenkommen und ihn so auf seinem Weg zum Basileus aus Höflichkeit und als Geste der Zuvorkommenheit gegenüber seiner Person eskortieren sollten und daß er in Begleitung von zwei Rittern eintreten wolle; ja sie erklärten sich sogar damit einverstanden, daß der Basileus seine Hand nehmen und ihm an der oberen Seite des kaiserlichen Throns einen Platz zuweisen solle. 6 Nach dieser Verhandlung zogen sich die Gesandten an den Ort zurück, den man für ihren Aufenthalt vorbereitet hatte, bewacht von hundert Sergentioi126, damit sie nicht bei Nacht ausgingen und die Lage des Heeres ausspähten und ihm daraufhin weniger Achtung entgegenbrächten. Am folgenden Tag begab er sich mit dreihundert Berittenen und allen Baronen zu der Stelle, wo er am Vortag mit den von mir bezeichneten Männern gesprochen hatte, und machte sich dann mit den sechs ausgewählten Begleitern auf den Weg zu den Gesandten, nachdem er die übrigen zurückgelassen hatte, damit sie dort auf seine Rückkehr warteten. 7 Als sie nun erneut über die bereits vorgetragenen Standpunkte verhandelten und Bai'mundos unnachgiebig blieb, sagte ein Baron von sehr hoher Stellung namens Ubos127 zu Bai'mundos: »Keiner von uns, die wir gegen den Basileus in die Schlacht ziehen wollen, hat bis jetzt irgend jemanden mit seiner Lanze getroffen128. Laß also das viele Reden; jetzt gilt es, den Frieden an die Stelle des Krieges zu setzen.« Wieder wurden von beiden Seiten lange Reden gehalten, doch Bai'mundos gab sich nicht zufrieden, da er es als demütigend empfand, wenn ihm nicht alle seine Forderungen, die er an die Gesandtschaft gestellt hatte, erfüllt würden. 8 Als diese zu einigen Punkten ihre Zustimmung gaben, anderes aber ablehnten, ließ sich Bai'mundos überreden und forderte, indem er die Not zur Tugend machte, wie man sagt129, von ihnen einen Eid darauf, daß 125 Im Griechischen steht hier nur als pars pro toto das W o r t chlamydes (»Rittermäntel«). Vgl. zu diesem Sprachgebrauch Du Cange, Notae 662-663. Eine ähnliche Erscheinung ist oben Anm. 97 erläutert. 126 »Sergeanten« (servientes), hier Fußsoldaten im Dienst der Ritter. Vgl. Du Cange, Notae 663. 127 Vgl. oben Kap. 6 § 2. 128 Mit anderen Worten: Aufgrund der Zermürbungstaktik der Byzantiner, der prekären Versorgungslage und der Epidemie im Lager haben wir keine Aussicht, in offener Feldschlacht unsere Überlegenheit zu zeigen. 129 Vgl. dieselbe W e n d u n g oben Kap. 8 § 6.

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Buch XIII, Kapitel 9 § 8-Kapitel 10 § 2

er in allen Ehren empfangen werde und auch, wenn der Autokrator nicht auf seine Wünsche eingehe, unversehrt wieder zu seinem eigenen Lager zurückgeschickt werde. Nachdem darauf die heiligen Evangelien vorgelegt worden waren, forderte er, daß seinem Bruder Gidos130 Geiseln übergeben würden und daß sie von diesem bewacht würden, bis er selbst wieder zurückgekehrt sei. Die Gesandten stimmten dem zu und forderten auch ihrerseits Eide für die Sicherheit der Geiseln. Bai'mundos war damit einverstanden, und nachdem er Eide geleistet hatte und sich hatte leisten lassen, übergab er die Geiseln, den Sebastos Marinos, den Mann namens Adralestos und den Franken Roger, seinem Bruder Gidos mit der Maßgabe, daß er sie, wenn er entweder mit dem Basileus Frieden geschlossen oder das nicht getan habe, unversehrt entsprechend den Eiden von dort zum Autokrator zurückschicke. X Kurz bevor er nun mit Konstantinos Euphorbenos Katakalon131 zum Autokrator aufbrach, wollte er sein Heer verlegen, denn da das von ihm befehligte Heer sich lange Zeit hindurch an derselben Stelle aufgehalten hatte, herrschte dort ein furchtbarer Gestank, und er sagte, daß er auch dies nicht ohne ihre Zustimmung tun wolle. So ist nun einmal das Volk der Kelten beschaffen: unbeständig und innerhalb eines kurzen Augenblicks von einem Extrem ins andere fallend. Ja man kann sogar sehen, wie ein und derselbe Mann in einem Augenblick sich brüstet, die ganze Erde erschüttern zu können, um sich im nächsten Augenblick untertänigst in den Staub zu werfen, vor allem dann, wenn er auf stärkere Charaktere trifft. Die Gesandten gestatteten ihm jedoch nicht, sein Heer um mehr als zwölf Stadien132 zu verlegen, und sagten zu Bai'mundos: »Wenn du damit einverstanden bist, wollen wir mitkommen und uns selbst den Platz ansehen.« Auch damit war Bai'mundos einverstanden, und sogleich setzten sie durch ein Schreiben die Verteidiger der Pässe davon in Kenntnis, damit sie keine Ausfälle unternähmen und ihnen Schaden zufugten. 2 Konstantinos Euphorbenos Katakalon forderte seinerseits von Bai'mundos, ihm zu gestatten, nach Dyrrachion zu gehen. Als Bai'mundos zustimmte, begab sich Katakalon rasch nach Dyrrachion, und nachdem er den Befehlshaber der Stadt* Alexios, den Sohn des Sebastokrators Isaakios, ausfindig gemacht hatte, teilte er ihm mit, was der Autokrator ihm und den Offizieren, die mit ihm herabgestiegen waren, zu sagen hatte. Sie konnten sich nämlich nicht einfach über die Mauer lehnen wegen einer klug ausgedachten Vorrichtung des Autokrators an den Zinnen Dyrrachions. Man hatte nämlich äußerst kunstgerecht über die Zinnen der Festung Holzbretter gelegt, die zu eben diesem Zweck nicht mit

130 Zu ihm vgl. zuletzt oben Kap. 4 § 5-Kap. 5 § 7. 131 Vgl. oben Kap. 9 § 1. 132 »Stadion« wie immer bei Anna im Sinn von »Meile«, vgl. Buch I, Anm. 47.

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Buch XIII, Kapitel 10 § 2 - 4

Nägeln versehen waren, damit diejenigen von den Lateinern, die etwa versuchen sollten, mit Leitern hinaufzuklettern, wenn sie die Zinnen bestiegen, keinen festen Halt fänden, sondern mitsamt den Brettern sogleich abrutschten und nach innen fielen, wie ja bereits geschildert worden ist133. Mit diesen Männern also sprach Euphorbenos, übermittelte ihnen die Anweisungen des Basileus und gab ihnen Mut, und nachdem er sie über die Lage in der Festung befragt und festgestellt hatte, daß bei ihnen alles in bester Ordnung war, da sie ausreichend Lebensmittel hatten und sich überhaupt nicht um die Machenschaften des Baimundos kümmerten, begab er sich zu Baimundos, der sein Heer an die vereinbarte Stelle verlegt hatte, und machte sich zusammen mit ihm auf den Weg zum Basileus. Die übrigen Gesandten blieben, wie vereinbart, bei Gidos zurück. 3 Er sandte Manuel Modenos' 34 , seinen zuverlässigsten und treuesten Gefolgsmann, voraus zum Basileus, um ihm Baimundos' Kommen anzukündigen. Als dieser in die Nähe des kaiserlichen Zeltes gekommen war, wurde auch das Zeremoniell seines Empfangs so ausgeführt, wie die Gesandten es mit ihm abgesprochen hatten. Als er eintrat, streckte der Basileus die Hand aus und ergriff seine Hand, und nachdem er die üblichen von den Kaisern gebrauchten Begrüßungsworte an ihn gerichtet hatte, wies er ihm nahe am kaiserlichen Thron einen Platz zu. 4 Der Mann war so beschaffen, daß man, um es kurz zu sagen, niemanden seinesgleichen im Reich der Romäer gesehen hat, weder Griechen noch Barbaren; denn sein Anblick rief bewunderndes Staunen, die Nennung seines Namens Schrecken hervor. Um nun die äußere Erscheinung des Barbaren im einzelnen kurz zu beschreiben, so war er folgendermaßen beschaffen: Er war von so hoher Statur, daß er die größten Männer um fast eine Elle überragte, um den Bauch und die Hüften war er schlank, er hatte breite Schultern und eine mächtige Brust, seine Arme waren stark, und in seiner ganzen Statur war er weder mager noch beleibt, sondern vollendet proportioniert und entsprach sozusagen dem Kanon des Polyklet135; er hatte kräftige Hände und stand fest auf seinen Füßen, sein Nacken und seine Rückenpartie waren kraftvoll gebaut. Wenn man ihn genauer betrachtete, schien er leicht gebeugt zu sein, nicht wegen einer erworbenen Schwäche seiner Rückenwirbel, sondern er hatte, wie es scheint, diese leichte Krümmung von Geburt an. Seine Haut war am Körper sehr weiß, im Gesicht war sie weiß und rot gemischt. Sein Haar war mittelblond, aber es hing ihm nicht bis auf die Schulterblätter herab wie bei den übrigen Barbaren136; dieser Mann hatte 133 Vgl. Buch III, Kap. 9 § 5. 134 Nur hier erwähnt; vielleicht weist sein Zuname auf Herkunft aus Modena. Vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 119 (S. 185-186). 135 Vgl. Buch III, Kap. 3 § 1 . 136 Zur langen Haartracht der Normannen vgl. Du Cange, Notae 663-664.

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Buch XIII, Kapitel 10 § 4-Kapitel 11 § 2

keine besondere Vorliebe für lange Haare, sondern trug sie kurzgeschnitten bis zu den Ohren. Ob sein Bart rot war oder eine andere Farbe hatte, kann ich nicht genau sagen; denn über diesen war das Schermesser gekommen, und zwar sorgfältiger als jeder Atzkalk. Es scheint aber, daß auch sein Bart rotblond war. Seine Augen waren blau und drückten zugleich Mut und würdevollen Ernst aus. Er atmete die Luft frei durch Nase und Nüstern; aus der Brust strömte diese in die Nüstern und durch die Nüstern hinwiederum in seine breite Brust. Die Natur hat nämlich der Luft, die in Blasen vom Herzen her hochsteigt, Ausgänge durch die Nase gegeben. 5 Dieser Mann hatte auch etwas Gewinnendes an sich, es wurde jedoch durch das Furchteinflößende, das ihm in jeder Beziehung anhaftete, fast ganz wieder zunichte gemacht. Denn dieser Mensch wirkte in seiner gesamten äußeren Erscheinung durchaus grausam und wild; das rührte von seiner Größe und von seinem Blick her, und auch sein Lachen, glaube ich, klang für die anderen wie ein ärgerliches Schnauben. An Seele und Körper war er so beschaffen, daß bei ihm sowohl der Zorn als auch das Liebesverlangen eine Rüstung trugen und auf Kampf aus waren. In seinem Denken war er überaus wendig, voller Schläue und um eine Ausflucht nie verlegen. Seine Äußerungen im Gespräch waren nämlich sehr genau berechnet, und die Antworten, die er gab, waren glatt auf allen Seiten. Mit solchen Eigenschaften und solchen Fähigkeiten begabt, war er nur vom Autokrator zu schlagen an Rang, geistigen Fähigkeiten und den übrigen Vorzügen, welche die Natur zuteilt. XI Nachdem der Autokrator ihn dann beiläufig und nur andeutungsweise an das, was in der Vergangenheit geschehen war, erinnert hatte, gab er der Unterredung eine andere Richtung. Jener vermied es jedoch geflissentlich, da sein eigenes Gewissen ihn anklagte, Einwände gegen seine Worte zu erheben, und begnügte sich damit, folgendes zu sagen: »Ich bin nicht gekommen, um mich wegen dieser Dinge zu verantworten; denn auch ich hätte dazu viel zu sagen. Da Gott mich aber in diese Lage gebracht hat, vertraue ich für die Zukunft alles deiner Macht an.« Der Basileus erwiderte ihm: »Das Vergangene wollen wir jetzt auf sich beruhen lassen; wenn du aber Frieden mit uns schließen willst, mußt du zuerst einer der unter meiner Macht Stehenden werden und sodann deinen Neffen Tangre eben davon in Kenntnis setzen und ihm auftragen, die [Stadt] des Antiochos' 37 den von mir entsandten Männern zu übergeben, wie es von Anfang an zwischen uns vereinbart worden war, und schließlich mußt du auch alle übrigen Vereinbarungen, die damals zwischen uns getroffen worden sind, jetzt und in Zukunft einhalten.« 2 Nachdem der Basileus dies und vieles andere zu ihm gesagt und seine Antworten gehört hatte, gab dieser, da er 137

Zu Tankred als Herrn von Antiocheia vgl. Buch XI, Kap. 12 § 1.

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Buch XIII, Kapitel 11 § 2-Kapitel 12 § 1

stets der alte Bai'mundos geblieben war und sich nicht geändert hatte, zur Antwort: »Es ist mir unmöglich, ein solches Versprechen zu geben.« Und er verlangte, auch wegen weiterer Forderungen seitens des Basileus, zu seinem eigenen Heer zurückkehren zu dürfen, wie es ihm von den Gesandten einvernehmlich zugestanden worden war. Der Basileus aber sagte zu ihm: »Ich weiß niemanden, der deine Sicherheit auf dem Rückweg besser als ich garantieren könnte.« Und er gab sogleich unmittelbar auf diese Worte hin seinen Heerführern mit lauter Stimme Befehl, ihre Pferde zu satteln, um sich auf den Weg nach Dyrrachion zu machen. Nachdem Bai'mundos das gehört hatte, trat er hinaus, um sich zu dem für ihn bestimmten Zelt zu begeben, und äußerte den Wunsch, meinen Kaisar, Nikephoros Bryennios, zu sehen, der damals mit dem Titel des Panhypersebastos138 geehrt worden war. Dieser kam zu ihm und zog alle Register seiner Überredungskunst, über die er ja als unvergleichlicher Meister in der öffentlichen Rede und in der Kunst des Gesprächs verfugte, und brachte Bai'mundos dazu, den meisten Bedingungen, die vom Basileus gestellt worden waren, zuzustimmen. Er nahm ihn sodann an der Hand und führte ihn hinein zum Basileus. Am Tag darauf aber stimmte er unter Eid und aus freiem Willen, da er es so für richtig hielt, der vertraglichen Einigung zu. Die Vereinbarungen lauteten folgendermaßen13': XII »Der frühere Vertrag, den ich mit deiner von Gott gekrönten Majestät eben zu jenem Zeitpunkt geschlossen habe, als ich mit jenem riesigen Frankenheer in die Kaiserstadt kam auf dem Wege von Europa nach Asien, um Jerusalem zu befreien140, jener Vertrag soll, da er durch gewisse Umstände hinfällig geworden ist, ruhen und unwirksam sein, da er gleichsam aufgrund der äußeren Umstände keine Gültigkeit mehr besitzt; und aus jenem Vertrag darf deine Majestät keinerlei Rechte gegen mich geltend machen und nicht auf dem bestehen, was in ihm vereinbart und schriftlich festgelegt worden ist. Denn da ich gegen deine von Gott ernannte Majestät Krieg geführt und unsere Vereinbarungen gebrochen habe, sind zugleich mit diesen auch die Forderungen deiner 138 Vgl. zum Titel Buch III, Kap. 4 § 2. Bryennios hatte diesen Titel nach seiner Eheschließung mit Anna verliehen bekommen. 139 Technisch gesehen, handelt es sich bei der im folgenden von Anna wörtlich zitierten Urkunde um den Gegeneid, den Bohemund im Gegenzug zur Belehnung durch Alexios geschworen hat. In ihn inseriert (§§ 18-26) ist das Chrysobull (Dölger-Wirth, Regesten 1243), das die Gebiete und Leistungen aufzählt, die Bohemund als Lehnsmann des Alexios erhalten sollte. Der Vertrag besiegelt juristisch die Niederlage Bohemunds und bildet daher mit der ausfuhrlichen Wiedergabe des Textes auch den Kulminationspunkt im Aufbau der Alexias. Dieser sog. Vertrag von Devol, der die rechtlichen Beziehungen des Byzantinischen Reiches mit Bohemund und dem Kreuzfahrerstaat von Antiocheia neu regelte (vgl. Buisson, Kreuzzug 70-81), ist allerdings nie Rechtswirklichkeit geworden, da Tankred, der faktische Machthaber über das Fürstentum Antiocheia, die Bestimmungen des Vertrages nicht anerkannte. 140 Vgl. Buch X, Kap. 11 § 5 .

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Buch XIII, Kapitel 12 § 1-3

Majestät an mich damit hinfällig. Jetzt aber, da ich gleichsam bußfertig komme wie ein Fischer, der gestochen wurde und dann erst klug geworden ist141, und da ich ja geradezu erst durch deine Lanze zur Vernunft gebracht worden bin und ich an die damalige Niederlage und die früheren Schlachten 142 denke, will ich einen neuen Vertrag mit deiner Majestät schließen, so daß ich ein ligischer Vasall143 deines Szepters und, um es noch deutlicher und klarer auszudrücken, dein Diener und Untertan werde, da auch du bereit bist, mich unter deine Rechte zu nehmen und mich zu deinem ligischen Vasallen zu machen. 2 Ich schwöre also bei Gott und allen seinen Heiligen, da sie Zeugen bei der schriftlichen und mündlichen Vertragsschließung sind, daß ich von nun an entsprechend diesem zweiten Vertrag, den ich stets halten will, ein treuer Vasall deiner Majestät und deines vielgeliebten Sohnes und Basileus, des in der Porphyra geborenen 144 Herrn Ioannes 145 , sein werde. U n d ich werde meine Rechte gegen jedermann bewaffnen, der sich gegen deine Majestät erhebt, sei es ein Christ, der seine Hand gegen dich erhebt, oder einer, der unserer Umfriedung fremd ist, einer von denen, die wir »Heiden« 146 nennen; daher ziehe ich diese Klausel, die auch in dem vorher erwähnten Vertrag enthalten und von beiden Parteien gebilligt worden war, von euer beider Majestäten und von mir, als einzige heraus, während alle übrigen nichtig sind, bestätige sie und halte strikt an ihr fest, daß ich nämlich Diener und ligischer Vasall euer beider Majestäten bin, indem ich somit gleichsam erneuere, was aufgehoben worden war. U n d was auch immer geschehen mag, so werde ich niemals den Vertrag in diesem Punkte brechen, und es wird keinerlei Grund und keinerlei Mittel geben, weder offen noch geheim, die mich dazu bringen könnten, mich als einen Mann zu erweisen, der den jetzt geschlossenen Vertrag und die getroffenen Vereinbarungen bricht. 3 Aber da ich nun das Land, das in den Gebieten des Ostens liegt und das hier noch ausdrücklich bezeichnet werden wird, durch ein Chrysobull deiner Majestät erhalte, welches auch von deiner Hoheit mit roter Tinte unterzeichnet ist,

141 Sprichwörtliche Wendung; vgl. Buch II, Anm. 64, hier ausführlicher zitiert: Gestochen wird der Fischer des Sprichworts von einem mit Giftstacheln in der Rückenflosse bewehrten Fisch (Skorpion-Fisch). 142 Zum Beispiel an die Niederlage bei Larissa auf seinem ersten Zug gegen das Byzantinische Reich; vgl. Buch V, Kap. 7. 143 Dieser terminus technicus des westlichen Lehnsrechts erscheint in der griechischen Urkunde, die Anna hier zitiert, und auch sonst im byzantinischen Griechisch als Lehnwort; vgl. Du Cange, Notae 664. 144 Vgl. hierzu Vorrede, Anm. 4. 145 Ioannes Komnenos war im September 1087 geboren und im September 1092 von seinem Vater Alexios als Mitkaiser gekrönt worden. 146 Die Urkunde verwendet das dem lat. paganus entsprechende Lehnwort. Mit der topischen Metapher »Umfriedung, Hürde« (griechisch aule) ist die christliche Gemeinschaft der Gläubigen gemeint.

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Buch XIII, Kapitel 12 § 3-5

welches besagte Chrysobull mir auch in einer Kopie ausgehändigt wurde, nehme ich die mir übereigneten Gebiete als eine Schenkung von euer beider Majestäten an, wobei mir die Gültigkeit der Schenkung durch das Chrysobull garantiert wird, und gebe als Gegengabe für diese Länder und Städte meine Treue gegenüber euer beider Majestäten, sowohl dir gegenüber, dem großen147 Autokrator und Herrn Alexios Komnenos, als auch gegenüber deinem vielgeliebten Sohn, dem Basileus und Herrn Ioannes, der in der Porphyra geboren ist, und ich verspreche, an dieser Treue unwandelbar und unerschütterlich wie an einem sicheren Anker festzuhalten. 4 Und um noch einmal in deutlicherer Form zu wiederholen, was ich schon gesagt habe, und um den genauen Wortlaut der schriftlichen Vereinbarungen zu bewahren: Siehe, ich, Baimundos, der Sohn Robert Guiskards, schließe mit euren Hoheiten einen Vertrag, und ich verpflichte mich, diesen Vertrag mit euer beider Kaiserlichen Majestäten unverbrüchlich zu halten, das heißt sowohl mit dir, dem Autokrator der Romäer, dem Herrn Alexios, als auch mit dem Basileus, deinem Sohn, dem Porphyrogennetos, und daß ich euer ligischer Vasall sein werde, aufrichtig und ohne Falsch, solange ich atme und mich zu den Lebenden zähle. Und ich will meine Hand bewaffnen gegen die Feinde, die sich von nun an gegen euch und eure Kaiserlichen Majestäten erheben, die ewigerhabenen, hocherhabenen Basileis des Romäischen Reiches. 5 Und wohin auch immer ich von euch beordert werde, werde ich euch mit meiner gesamten Armee vorbehaldos dienen entsprechend den auftretenden Erfordernissen. Und wenn irgendwelche Leute euren Hoheiten feindlich gesonnen sind, so will ich, wenn sie nicht den unsterblichen Engeln gleichen und unsere Lanzen sie nicht verwunden können oder wenn sie mit Körpern aus Stahl ausgestattet sind, gegen all diese für eure Kaiserlichen Majestäten kämpfen. Und wenn ich bei guter körperlicher Gesundheit und frei bin von einem Krieg gegen Barbaren und Türken, werde ich selbst mit meinem eigenen Körper fiir euch in den Kampf ziehen mitsamt dem Heer in meinem Gefolge. Wenn ich aber entweder durch eine schwere Krankheit gehindert werde, wie es Menschen öfter zu ergehen pflegt, oder wenn ein drohender Krieg meine Anwesenheit erforderlich macht, dann und in diesem Fall verspreche ich, durch die tapferen Männer aus meinem Gefolge so viel Hilfe wie nur möglich zu schicken, indem diese das ausgleichen, woran ich es fehlen lasse. Denn die aufrechte Treue, die ich heute euren Kaiserlichen Majestäten gegenüber leiste, bedeutet, daß die Bedingungen des Vertrages entweder durch 147 Mit »groß« wird der ältere, regierende Kaiser bezeichnet; vgl. hierzu P. Schreiner, Zur Bezeichnung »megas« und»megas Basileus« in der byzantinischen Kaisertitulatur, in: Byzantina 3 (1971) 171-192. Hier in der Urkunde sind die Titel »Autokrator« und »Basileus«, die Anna in ihrem erzählenden Text ohne Bedeutungsdifferenz gebraucht, in ihrer technischen Bedeutung (»regierender Hauptkaiser« und »Mitkaiser«) verwendet.

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Buch XIII, Kapitel 12 § 5-10

mich selbst oder, wie gesagt, durch andere peinlich genau eingehalten werden. 6 Ich schwöre, aufrechte Treue zu halten, im ganzen und im einzelnen, im Interesse eurer hoheitlichen Macht und eures Lebens, des irdischen Lebens hienieden meine ich; denn für dieses euer Leben werde ich durch meine Waffen gleichsam zu einem eisernen mit dem Hammer getriebenen Standbild. Aber ich lasse meinen Eid sich auch erstrecken auf eure Ehre und auf eure kaiserlichen Glieder, wenn ihnen ein Anschlag von verbrecherischen Feinden droht, die ich vernichten und an der Ausfuhrung ihres schändlichen Vorhabens hindern kann; aber auch auf jedes Land, das euch gehört, jede Stadt, ob klein oder auch größer, und auch auf die Inseln, mit einem Wort: auf alles Land und alles Meer, die eurem Szepter unterworfen sind, v o m Adriatischen Meer bis zum gesamten Osten und endang dem Gebiet von ganz Großasien, wo die Grenzen des romäischen Staatsgebietes lagen. 7 Außerdem stimme ich zu, und Gott wird Zeuge und Zuhörer bei dieser Vereinbarung sein, daß ich niemals weder ein Land, das entweder jetzt unter eurer Herrschaft steht oder früher stand, noch eine Stadt oder eine Insel in Besitz halten und behalten werde, kurz nichts, was das Kaiserreich von Konstantinopel umfaßte oder jetzt besitzt, sowohl im Osten als auch im Westen, mit Ausnahme der Gebiete, die mir ausdrücklich von euren von Gott ernannten Hoheiten geschenkt worden sind, welche dann noch namendich in der vorliegenden Urkunde genannt werden. 8 Was hingegen alles früher einmal diesem Kaiserreich unterstehende Land betrifft, das ich eventuell erobere, indem ich diejenigen vertreibe, die jenes Land jetzt innehaben, so bin ich verpflichtet, die Entscheidung über dieses Land eurem Urteil zu überlassen. U n d wenn ihr wollt, daß ich das eroberte Land verwalten soll als euer ligischer Vasall und treuer Diener, so wird es so sein; wenn nicht, dann werde ich es demjenigen Mann übergeben, den eure Kaiserliche Majestät will, ohne im geringsten in irgendeiner Weise zu zögern. Ich werde kein Land, das mir von irgendeinem anderen ausgehändigt wird, und auch keine Stadt oder Festung, wenn sie früher einmal unter der Herrschaft des Kaiserreiches gestanden haben, als meinen Besitz akzeptieren, sondern sowohl das, was durch Belagerung, als auch das, was ohne Belagerung eingenommen wird und euch gehört hat, wird auch wieder das eure sein, ohne daß ich wie auch immer geartete Ansprüche darauf erhebe. 9 U n d ich werde weder einen Eid von irgendeinem Christen annehmen noch selber einem anderen leisten oder irgendeine Vereinbarung treffen, die auf euren Schaden oder auf eine Beeinträchtigung von euch und eurem Reich abzielt. Und ich werde auch nicht der Vasall eines anderen oder einer anderen Macht, sei sie größer oder kleiner, werden ohne die Erlaubnis eurer Hoheiten; vielmehr gibt es für mich nur eine einzige Oberhoheit, der zu dienen ich verspreche, deine Kaiserliche Majestät und die deines vielgeliebten Sohnes. 10 Diejenigen Vasallen deiner Kaiserlichen

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Buch XIII, Kapitel 12 § 10-13

Majestät, die an mich herantreten, weil sie gegen deine Hoheit rebelliert haben und nunmehr mir dienen wollen, werde ich verabscheuen und zurückweisen, mehr noch: Ich werde meine Waffen gegen sie richten. Diejenigen aber, die im übrigen Barbaren sind, sich aber dennoch meiner Lanze unterwerfen wollen, werde ich zwar akzeptieren, aber nicht in meinem eigenen Namen; ich werde diese vielmehr auf dich und deinen vielgeliebten Sohn vereidigen und werde ihre Länder als Bevollmächtigter eurer Majestät übernehmen, und ich verspreche, in der Folge dann bereitwillig das zu tun, was über sie verfugt wird. 11 Dies gilt für alle Städte und Länder, die unter dem Szepter der Tyche der Romäer gestanden haben; was aber diejenigen betrifft, die noch nicht der Romania148 unterworfen gewesen sind, so gebe ich die eidliche Versicherung ab, daß ich alle Lander, die sich mir ohne Krieg oder nach Krieg und Kampf anschließen, so ansehen werde, als ob sie von eurer Kaiserlichen Majestät kommen, seien es nun türkische oder armenische oder, wie jemand, der unsere Sprache versteht, sagen würde, pagane oder christliche, und daß ich diejenigen, die aus den heidnischen Völkern zu mir kommen und mir dienen wollen, nur unter der Bedingung akzeptieren werde, daß auch diese zukünftige Vasallen eurer Kaiserlichen Majestät sind. Und mein Vertrag mit der Hoheit deiner Majestät und die geleisteten Eide sollen auch für diese verbindlich sein. Und von ihnen sollen diejenigen, die ihr, die ewigerhabenen Basileis, zu meinen Untertanen machen wollt, meine Untertanen werden, diejenigen aber, die ihr eurer Macht unterstellen wollt, werde ich zu euch senden, wenn auch sie es wollen; wenn sie jedoch nicht dazu bereit sind, sondern sich weigern, euch zu dienen, werde auch ich sie nicht akzeptieren. 12 Gegen Tangre aber, meinen Neffen, werde ich unerbitdich Krieg führen, wenn er seine Feindschaft gegen eure Kaiserliche Majestät nicht mäßigt und seine Hand von den Städten eurer Kaiserlichen Majestät nicht zurückzieht. Wenn aber diese Städte mit oder ohne sein Einverständnis zurückgewonnen sind, werde ich selbst, von eurer Hoheit ermächtigt, über die Gebiete herrschen, die mir durch Chrysobull geschenkt worden sind, welche noch ausdrücklich aufgezählt werden. Jene Städte einschließlich von Laodikeia145 in Syrien, die nicht zu denen gehören, die mir geschenkt worden sind, werden eurem Szepter angegliedert. Aber ich werde auch niemals die Flüchtlinge aus eurem Kaiserreich aufnehmen, sondern werde sie veranlassen umzukehren und sie zwingen, zu eurer Kaiserlichen Majestät zurückzukehren. 13 Außerdem verspreche ich zusätzlich zu dem oben Gesagten auch dies, indem ich unseren Vertrag noch sicherer mache: Ich erkläre mich einverstanden, daß ich als Bürgen für diese Vereinbarungen, damit sie für

148 149

Im Westen geläufige Bezeichnung für das Reich der Romäer. Das heutige Latakia (al-Ladhiqiyah).

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Buch XIII, Kapitel 12 § 13-14

immer ungebrochen und unverletzt bleiben, meine Vasallen stelle, die künftig aus meinem Recht das Land, welches mir von deiner Majestät gegeben ist, regieren werden sowie auch die Städte und Festungen, die noch namentlich aufgeführt werden. Denn ich werde auch diese veranlassen, die furchtbarsten Eide zu schwören, daß auch sie eurer Hoheit aufrechte Treue halten werden in dem Ausmaß, wie es der Brauch der Romäer erfordert, und daß sie alles, was im vorliegenden Vertrag schriftlich festgelegt ist, auf das Genaueste einhalten. Und ich werde diese bei den himmlischen Mächten und dem unentrinnbaren Zorn Gottes schwören lassen, daß, falls ich mich jemals gegen eure Kaiserliche Majestät empöre, was niemals, o Heiland, niemals, o Gerechtigkeit Gottes, geschehen möge, jene sich zuerst über einen Zeitraum von vierzig Tagen150 auf jede erdenkliche Weise bemühen werden, mich, nachdem ich mein Haupt einmal gegen euch erhoben habe, wieder zur Treue gegenüber eurer Kaiserlichen Majestät zurückzufuhren. Dies könnte überhaupt nur geschehen, falls es möglich ist, daß es geschieht, wenn ich von schierem Wahnsinn und Tollheit ergriffen werde oder ganz offensichtlich meiner Sinne nicht mehr mächtig bin. Falls ich aber unvernünftig und halsstarrig bleibe gegenüber ihren Ermahnungen und der Wahnsinn mit stürmischer Gewalt meine Seele befallt, dann werden sie sich von mir lossagen und sich auf jede erdenkliche Weise von mir abwenden, und statt dessen werden sie sich mit Herz und Hand in den Dienst eurer Hoheit stellen und die Länder, die sie aus meinem Recht innehaben, meiner Oberhoheit entziehen und euch und eurer Seite übertragen. 14 Dies zu tun, werden sie durch Eid verpflichtet werden, und sie werden euch gegenüber dieselbe Treue und Dienstbarkeit und dieselbe Ergebenheit bewahren, zu welcher ich mich verpflichtet habe, und sie werden für euer Leben und für eure Ehre hier auf Erden die Waffen erheben, aber auch für die Unversehrtheit eurer kaiserlichen Glieder werden sie jederzeit bereitwillig kämpfen, damit ihnen keinerlei Leid von irgendeinem Feind geschieht, jedenfalls soweit sie von den Anschlägen und Gefährdungen Kenntnis erlangen. Dieses schwöre ich und rufe dabei Gott, die Menschen und die Engel im Himmel als Zeugen an, daß ich sie durch fürchtbare Eide binden und zwingen werde, dies zu tun und so zu handeln, soweit es in ihren Kräften steht; weiterhin auch, daß sie für eure Festungen, Städte, Länder und überhaupt sämtliche Gebiete, die eurer kaiserlichen Macht unterstellt sind, alle, die der Westen, und alle, die der Osten umfaßt, unter Eid dieselben Verpflichtungen eingehen werden, die ich euch gegenüber eingegangen bin. Und dieses werden sie tun, ob ich lebe oder tot bin; und eure Hoheit wird auch diese als ihr untertane Vasallen haben und wird

150 Diese Frist ist in den Lehnsverhältnissen des Westens so vorgesehen; vgl. D u Cange, Notae 665.

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Buch XIII, Kapitel 12 § 14-17

über sie in jeder Hinsicht als treue Diener verfugen. 15 Und alle diejenigen, die zusammen mit mir hierher gekommen sind, werden auf der Stelle den Treueid leisten und den Vertrag mit euren erhabenen Majestäten schließen, mit dem Herrn Alexios, dem Autokrator der Romäer, und mit dem in der Porphyra geborenen Basileus, deinem Sohn; was aber diejenigen meiner Berittenen und Schwerbewaffneten, die wir nach unserer Gewohnheit Kaballarioi15' nennen, angeht, die hier nicht anwesend sind, so werden auch diese, wenn deine Kaiserliche Majestät einen Diener in die Stadt des Antiochos entsendet, dort dieselben Eide leisten, indem der Diener deiner Kaiserlichen Majestät ihnen den Eid abnimmt; ich aber, das schwöre ich, werde die Männer dazu bewegen, zu schwören und denselben Vereinbarungen ohne jede Veränderung zuzustimmen. Außerdem bin ich einverstanden und schwöre: Gegen wen auch immer von denjenigen, die Städte und Länder in Besitz haben, welche ehedem dem Kaiserreich von Konstantinopel unterstanden, eure Kaiserliche Majestät zu den Waffen greifen und Krieg fuhren will, ich will das gleiche tun und gegen eben jene zu den Waffen greifen. Gegen welche es dir jedoch nicht lieb ist, ein Heer in Marsch zu setzen, gegen diese werden auch wir nicht zu Felde ziehen; denn in allen Dingen wollen wir eurer Hoheit dienen und wollen, daß all unser Handeln und all unser Wollen von deinem Willen abhänge. 16 Diejenigen Sarazenen und Nachkommen des Ismael152, die aus freien Stücken in dein Kaiserreich kommen und ihre Städte übergeben, werde ich weder daran hindern noch werde ich mich darum bemühen, sie mir selber Untertan zu machen, es sei denn, daß diese Partei, von meiner Lanze gezwungen und von allen Seiten bedrängt, angesichts der Gefahr ihre Hoffnung auf deine Hoheit setzt und sich dadurch in Sicherheit bringen will, daß sie zu dir überläuft. Was aber alle diese Genannten angeht und diejenigen, die aus Furcht vor dem fränkischen Schwert und dem drohenden Tode euch, die erhabenen Basileis, als Schutzherrn anrufen wollen, so werdet ihr nicht deswegen auf unsere Kriegsgefangenen Anspruch erheben, sondern selbstverständlich nur auf diejenigen, die sich ohne Mühen und Anstrengungen unsererseits euch freiwillig unterwerfen wollen. 17 Außerdem vereinbare ich auch folgendes, daß alle Krieger, die mit mir aus der Longibardia über die Adria setzen wollen, auch ihrerseits den Eid leisten und sich einverstanden erklären, deiner Kaiserlichen Majestät zu dienen, indem nämlich diesen allen ein Diener eurer Hoheit den Eid abnimmt, welchen ihr eurerseits eigens zu diesem Zweck zur gegenüberliegenden Küste der Adria entsendet. Wenn sie aber den Eid verweigern, werde ich sie auf keinen Fall übersetzen lassen, da sie es ablehnen, mit uns eines Sinnes zu sein.

151 »Chevaliers«, eben »Ritter«. Vgl. Du Cange, Notae 665-666. 152 Die Bezeichnung umfaßt alle Muslime, Araber wie Türken.

467

Buch XIII, Kapitel 12 § 18

1 8 E s ist aber a u c h erforderlich, die L ä n d e r u n d Städte in der vorliegenden U r kunde aufzuführen, w e l c h e m i r d u r c h C h r y s o b u l l v o n eurer v o n G o t t ernannten H o h e i t geschenkt w o r d e n sind 1 5 3 : die Stadt des A n t i o c h o s in Koilesyrien 1 5 4 m i t s a m t i h r e m U m l a n d u n d d e m Distrikt 1 5 5 z u s a m m e n m i t Suetion 1 5 6 , welches a m M e e r liegt; Dux 1 5 7 m i t s e i n e m g e s a m t e n Distrikt z u s a m m e n m i t d e m Gebiet des Kaukas 1 5 8 , das Gebiet v o n Lulon 1 5 9 u n d das des T h a u m a s t o n Oros 1 6 0 sowie Phersia 161 Elias

163

m i t allem d a z u g e h ö r i g e n

Land;

das M i l i t ä r k o m m a n d o ' 6 2

Hagios

m i t d e n d a z u g e h ö r i g e n Festungen, das M i l i t ä r k o m m a n d o Borze 1 6 4 u n d

die d a z u g e h ö r i g e n

Festungen;

das ganze L a n d

um

das

Militärkommando

Sezer 1 6 5 , das die G r i e c h e n Larissa n e n n e n ; e b e n s o a u c h die M i l i t ä r k o m m a n d o s Artach 1 6 6 u n d Teluch 1 6 7 m i t i h r e m jeweiligen U m l a n d ; z u s a m m e n m i t diesen Germanikeia 1 6 8 u n d die d a z u g e h ö r i g e n F e s t u n g e n ; M a v r o n O r o s 1 6 ' u n d alle z u diesem g e h ö r e n d e n Kastelle u n d die g e s a m t e E b e n e , die an s e i n e m F u ß liegt, 153 Für die im folgenden angeführten geographischen Einzelheiten wird in erster Linie, so vorhanden, auf die entsprechenden Ausfiihrungen in den Bänden 2 (Kappadokien) und 5 (Kilikien und Isaurien) der T I B sowie bei Dussaud, Syrie verwiesen. Dort zitierte ältere Literatur wird in der Regel hier nicht noch einmal aufgeführt. Den älteren Forschungsstand (1935) repräsentiert Honigmann, Ostgrenze 126-129. 154 Vgl. Buch XII, Anm. 12. 155 Mit »Distrikt« wird der griechische Terminus diakràtèsis wiedergegeben. 156 Souweidiye (heute türk. Seman Dag), der Hafen von Antiocheia an der Orontes-Mündung, von den Kreuzfahrern auch Saint-Siméon genannt; vgl. Dussaud, Syrie 431-432. Andere Namensform Sudei/Sudi; vgl. Buch XI, Anm. 57. 157 Die fruchtbare Ebene um Souweidiye; vgl. Dussaud, Syrie 429. 158 Gebirgszug nördlich von Antiocheia; vgl. Dussaud, Syrie 429, 441. 159 Lulon (oder Lulos) ist wahrscheinlich die Gebirgsregion zwischen Antiocheia und Aleppo; vgl. Dussaud, Syrie 441. 160 Lat. »Möns Admirabilis« (»Wunderbarer Berg«), so benannt, weil der heilige Symeon der Jüngere dort auf seiner Säule gelebt hat: Gebirgszug nördlich der Hafenstadt Souweidiye, heute türk. Seman Dag, Vgl. Dussaud, Syrie 432, 441, 517 und O D B sub v. Wondrous Mountain. 161 Vielleicht identisch mit dem Hafen Mina al-Fasri zwischen Souweidiye und Latakia; vgl. Dussaud, Syrie 417-418. 162 Mit »Militärkommando« wird der griechische Terminus stratigis wiedergegeben. 163 Nicht sicher identifiziert. Dussaud, Syrie 149 setzt die Festung mit der Zitadelle von Laodikeia (Latakia) gleich. Dem widerspricht, daß weiter unten (§ 21) das Militärkommando von Laodikeia genannt wird. Zu einer anderen Möglichkeit der Identifizierung vgl. Leib, Alexiade III 133, Anm. 5. 164 Identisch mit der Festung Qalat Berze (Bourzey) nordöstlich von Laodikeia am linken Orontes-Ufer; vgl. Dussaud, Syrie 151-152. 165 Sizara (Sheizar) am Orontes nordwestlich von Hama; vgl. Dussaud, Syrie 199-200. 166 Festung nordöstlich von Antiocheia an der heutigen syrisch-türkischen Grenze; vgl. Dussaud, Syrie 225-228. 167 Von Dussaud, Syrie 226 identifiziert mit Doluk (Doliche) zwischen Antiocheia und Edessa (Urfa). 168 Ganz in der Nähe des heutigen Mara? (Türkei). 169 »Schwarzes Gebirge«, Gebirgszug zwischen Antiocheia und Mara$ (vgl. T I B 5, 174-176).

468

Buch XIII, Kapitel 12 § 18-21

ausgenommen wohlgemerkt der Distrikt von Leon und Theodoros Rupenios170, den Armeniern, da sie bereits Vasallen euerer Hoheit sind. 19 Zusätzlich zu den bereits schriftlich aufgeführten Gebieten das Strategat171 Pagras172, das Strategat Palatza173, das Thema174 von Zume175 und alle zu diesen gehörigen Kastelle und Festungen und das jeweils dazugehörige Land. Alle diese Gebiete sind nämlich auch dort in dem Chrysobull eurer Kaiserlichen Majestät enthalten als mir von der götdichen Hoheit bis an mein Lebensende geschenkt (welche nach meinem Hinscheiden an das Kaiserreich des Neuen Rom, der Kaiserin der Städte, Konstantinopel, zurückfallen) unter der Bedingung, daß ich in der Person eurer ewigerhabenen erhabenen Basileis ihrer Kaiserherrschaft makellose Treue und vollkommene Ergebenheit bewahre und Diener und ligischer Vasall ihres Thrones und des kaiserlichen Szepters bin. 20 Ich vereinbare und schwöre bei dem Gott, der in der Kirche von Antiocheia verehrt wird, daß Patriarch von Antiocheia nicht jemand aus unserem Volke sein wird, sondern derjenige, den eure Kaiserliche Majestät küren wird aus der Herde der Großen Kirche in Konstantinopel. Ein solcher Mann nämlich soll den Thron in Antiocheia besteigen und alle Amtsgeschäfte eines Erzbischofs vollziehen, bei Ordinationen und den übrigen Angelegenheiten der Kirche, entsprechend den Privilegien dieses Thrones. 21 Bei denjenigen Gebieten aber, die von eurer Kaiserlichen Majestät vom Herrschaftsbereich des Dukats der Stadt Antiocheia abgetrennt worden sind, da ihr diese ganz eurer eigenen Herrschaft zueignen wolltet, handelt es sich um folgende: das Thema Podandon176, außerdem das Strategat der Stadt Tarsos177, die Stadt Adana178, die Heimatstadt des Mopsos17', die Stadt Anabarza180, und kurz gesagt das gesamte Land Kilikien, welches der Kydnos und der Hermon 181 einschließen; ebenso auch das Militärkommando 170 Angehörige einer kleinarmenischen Fürstenfamilie. 171 »Strategät(on)« ist neben »Strategis« Bezeichnung für ein Militärgebiet mit einem »Strategös« an der Spitze. Ljubarskij (Akksiada 603, Anm. 1372) versteht unter »Strategis« das Zentrum eines Militärbezirks, unter »Strategäton« das ein solches Zentrum umgebende Gebiet. 172 Diese Festung (Qalat Baghras, heute türk. Bakras Kalesi) liegt etwa 20 km südöstlich von Alexandrette (heute türk. Iskenderun) und beherrschte die Karawanenstraße nach Antiocheia. Vgl. Dussaud, Syrie 433-435. 173 Vielleicht identisch mit der Festung Balatonos östlich von Laodikeia; vgl. Dussaud, Syrie 150. 174 Zu dieser Bezeichnung vgl. Buch III, Anm. 85. 175 Dieses Gebiet (Djouma) liegt nordöstlich von Antiocheia; vgl. Dussaud, Syrie 223. 176 Gebiet in Kappadokien nordöstlich von Adana (vgl. TIB 2, 261-262). 177 Alte Hauptstadt Kilikiens, heute Tarsus (vgl. TIB 5, 428439). 178 Identisch mit dem heutigen Adana (vgl. TIB 5, 154-158). 179 Mopsuestia (Mamistra), heute Yakapinar in Kilikien (vgl. TIB 5, 351-359). 180 Heute Anavarza Kalesi in Kilikien (vgl. TIB 5, 178-185). 181 Heute die Flüsse Tarsus £ayi (vgl. TIB 5, 327-328) und Ceyhan (Pyramos, vgl. TIB 5, 387-389). Zusammenfassend zu den Gebieten, die unter byzantinischer Hoheit stehen sollten, vgl. TIB 5, 67-68.

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Buch XIII, Kapitel 12 § 21-24

von Laodikeia182 in Syrien und außerdem auch das Strategat von Gabala, welches wir, indem wir uns der Barbarensprache bedienen, auch Zebel nennen183, sowie die Strategate von Balaneus und Marakeus184 und auch Antarados mitsamt Antarto185; die beiden letzteren sind nämlich auch Militärkommandos. Dieses sind die Gebiete, die eure Kaiserliche Majestät vom Gesamt-Herrschaftsbereich des Dukats von Antiocheia abgetrennt und der zentralen Macht zugeordnet hat, indem sie diese von dort fortnahm. 22 Und ich gebe mich zufrieden sowohl mit dem, was mir gegeben worden ist, als auch in gleicher Weise mit dem, was mir genommen worden ist. Und ich werde die Rechte und Privilegien, die ich von euch bekommen habe, in Anspruch nehmen, ich werde aber keinen Anspruch auf diejenigen erheben, welche ich nicht bekommen habe. Und ich werde auch nicht die Grenzen überschreiten, sondern in den mir geschenkten Gebieten bleiben, indem ich sie regiere und Nutzen aus ihnen ziehe, solange ich lebe, wie bereits dargelegt worden ist. Nach meinem Tode aber, und auch dies ist bereits oben schriftlich festgehalten, werden sie an ihre eigendiche Herrschaft zurückfallen, woraus sie in meine Herrschaftsgewalt gegeben worden sind. Ich werde nämlich meine Testamentsvollstrecker und meine Vasallen in meiner letztwilligen Verfugung anweisen, sämtliche aufgeführten Länder dem Szepter der Herrschaft der Romäer zurückzugeben, ohne bei der Rückgabe in irgendeiner Weise Schwierigkeiten zu machen oder zu irgendeinem Vorbehalt Zuflucht zu nehmen. 23 Und ich schwöre auch dieses und bekräftige diese Vereinbarung, daß sie meine Anweisung unverzüglich und unzweideutig ausfuhren werden. Nur soll auch dieses Bestandteil unserer Vereinbarungen sein: Da ich euren Thron inständig gebeten habe, eine Entschädigung vorzunehmen für die Gebiete, die von eurer Hoheit dem Herrschaftsbereich von Antiocheia und dem Dukat der Stadt entzogen worden sind, und da außerdem auch die Pilger186 eure Kaiserliche Majestät darum angefleht haben, hat eure Hoheit mir als Entschädigung Themen und bestimmte im Osten gelegene Länder und Städte gewährt. 24 Es ist erforderlich, auch diese hier namendich aufzufuhren, damit sowohl eure Kaiserliche Majestät keinerlei Zweifel in irgendeinem Punkt hat als auch ich etwas in der Hand habe, worauf ich mich berufen kann. Bei diesen Gebieten handelte es sich um folgende: Das

182 Latakia (al-Ladhiqiyah). 183 Vgl. Buch XI, Anm. 184. 184 Zu Balanyas und Marakea vgl. Buch XI, Anm. 116. 185 Tortosa (vgl. Buch XI, Anm. 118) und die kleine, aber strategisch wichtige vorgelagerte Insel Arados (Rouad); vgl. Dussaud, Syrie 121-125. Bei Antarados und Antarto handelt es sich im Grunde u m zwei Formen desselben Namens, der sich von »Antarados« über »Tortosa« zum heutigen »Tartus« entwickelt hat. 186 Hier und unten § 28 verwendet die Urkunde das Lehnwort peregrinoi. Gemeint sind die Kreuzfahrer.

470

Buch XIII, Kapitel 12 § 24-25

Thema des kasiotischen Landes in seiner gesamten Ausdehnung, dessen Metropole Berroia ist, welches in der Sprache der Barbaren Chalep genannt wird187, das Thema von Lapara188 und sämtliche dazugehörigen Festungen, das heißt Plasta'8', das Kastell von Choneion"0, Romaina1", das Kastell von Aramisos"2, die Festung mit Namen »Festung des Emir«"3, das Kastell Sarvanos"4, das Fort von Telchampson"5, außerdem auch die drei Tilia, Sthlavotilin und die übrigen beiden1", das Fort Sgenin"7 und das Kastell Kaltzierin"8; außerdem noch folgende Festungen: Kommermoeri"9, das Kathismatin200 genannte, Sarsapin201 und das Städtchen Nekra202. Dieses sind die Gebiete, die auf der hiesigen Seite von Syrien liegen203. Die anderen Themen in Mesopotamien in der Nähe der Stadt Edessa204, das Thema von Limnia und das Thema von Aetos205 jeweils mit ihrem gesamten Umland, 25 auch sie, die um Edessa liegen, sollen nicht unerwähnt bleiben, und auch nicht die Talente in Münzgeld, die mir jährlich von eurer von Gott beschützten Hoheit ausgesetzt sind, ich meine die 200 Talente mit dem Prägebild von Kaiser Michael2". Durch das ehrwürdige Chrysobull eu187 Zu Berroia (Aleppo, heute Halab) vgl. Dussaud, Syrie 472-474; O D B sub v. Berroia in Syria. Zu der Bezeichnung »kasiotisches Land« vgl. Honigmann, Ostgrenze 129, Anm. 2. 188 Abgeleitet vom Adjektiv für »fruchtbar«, armenischer Name Lykandos: fruchtbare Ebene im Quellgebiet des Pyramos (Ceyhan) in Kappadokien (vgl. TIB 2, 224-226). 189 Heute Elbistan, südlich über der Ebene von Lykandos gelegen; vgl. TIB 2, 260-261. 190 Festung etwa 40 km nordwestlich von Elbistan; vgl. TIB 2, 165-166. 191 Festung etwa 20 km nördlich von Choneion; vgl. TIB 2, 153 sub v. Aromane. 192 Festung etwa 25 km westlich von Elbistan, heute Af$in; vgl. TIB 2, 144-145 sub v. Arabissos. 193 Nicht lokalisiert, vielleicht identisch mit Emirli westlich von Arabissos (vgl. TIB 2, 225). 194 Mit Sarvanos (oder Sarvanon) ist wahrscheinlich der Gebirgszug Sarwan Dag südlich von Elbistan gemeint (vgl. TIB 2, 225). 195 Nicht lokalisiert (vgl. TIB 2, 225). 196 12 km ostsüdöstlich von Elbistan; vgl. TIB 2,296. 197 6 km nördlich von Lykandos, heute Izgin; vgl. TIB 2, 277. 198 Nicht lokalisiert (vgl. TIB 2,225). 199 Nicht lokalisiert (vgl. TIB 2, 225). 200 Heute Ta$burun, 4 km südlich von Elbistan; vgl. TIB 2, 202. 201 Heute Kü?ük Yapalak, 9 km nördlich von Elbistan (vgl. TIB 2, 272). 202 Nicht lokalisiert (vgl. TIB 2,245). 203 Alle genannten Festungen liegen im Thema von Lykandos (Lapara) in Kappadokien, also von Konstantinopel bzw. Devol aus gesehen diesseits, d.h. westlich von Syrien. 204 Heute Urfa. 205 Beide nicht näher identifizierbar; vgl. Honigmann, Ostgrenze 127. 206 Die altgr. Münz- und Gewichtseinheit Talent (tälanton) ist hier synonym für litra gebraucht. Eine byzantinische Litra (Pfund) entsprach 72 Nomismata (Goldmünzen), 200 Litrai also 14 400 Nomismata. Die sog. michaelatische Prägung mit dem Münzbild des Kaisers Michael IV. (1034-1041) garantierte den Feingehalt der Goldmünzen, da unter der Regierung des Konstantinos IX. Monomachos (1042-1055) der Feingehalt des Nomisma auf 18 Karat herabgesetzt wurde. Vgl. Buch III, Kap. 10 § 4 mit Anm. 136 und F. Dölger, Finanzgeschichtliches aus der byzantinischen Kaiserkanzki des 11. Jahrhunderts, Sitz.-Ber. Bayer. Akad. Wiss., phil.-hist. Kl. (1956, 1), München 1956, 13-14, Anm. 3.

471

Buch XIII, Kapitel 12 § 25-27

rer Kaiserlichen Majestät ist mir zusätzlich nämlich auch das gesamte Dukat207 verliehen worden mit sämdichen dazugehörigen Festungen und Gebieten, wobei dieses Amt des Dux nicht auf meine Person festgelegt ist, sondern durch das ehrwürdige Chrysobull ist mir zugestanden, es auf jeden, den ich will, zu übertragen, vorausgesetzt selbstverständlich, daß auch jener bereit ist, sich den Befehlen und Wünschen eurer Kaiserlichen Majestät zu beugen wie ein ligischer Vasall eben dieser Hoheit und dieser Kaiserlichen Majestät, der dasselbe will und dieselben Vereinbarungen mit euch hält wie ich. 26 Aber schon von jetzt an, nachdem ich einmal euer Vasall geworden bin und der Sphäre eurer Macht angehöre, muß ich auch als jährliche Gabe aus den kaiserlichen Schatzkammern 200 Talente erhalten, die mit dem Prägebild des ehemaligen Kaisers, des Herrn Michael, versehen und von entsprechender Qualität sind, welche mir durch einen Bevollmächtigten überbracht werden, den wir aus Syrien zusammen mit meinen Briefen zu euch in die Kaiserstadt schicken werden208, damit er dieses Geld in meinem Namen in Empfang nimmt. 27 Und ihr, die ewigerhabenen Basileis, Sebastoi und Augustoi209 des Reiches der Romäer, werdet furderhin die im Chrysobull eurer ehrwürdigen Kaiserlichen Majestät schriftlich festgehaltenen Vereinbarungen achten und das Versprochene halten. Ich aber bekräftige mit folgendem Eid die von mir mit euch geschlossenen Vereinbarungen: Ich schwöre nämlich bei den Leiden des leidfreien Retters Christus, bei seinem unbesiegbaren Kreuz, welches er für die Rettung aller auf sich genommen hat, und auf die hier vorliegenden allerheiligsten Evangelien, welche die ganze bewohnte Welt erobert haben; denn diese haltend und im Geiste das verehrungswürdige Kreuz Christi miteinbeziehend sowie die Dornenkrone, die Nägel und jene Lanze, die die lebensspendende Seite des Herrn durchbohrt hat, schwöre ich dir, unserem sehr mächtigen und heiligen Basileus, dem Herrn Alexios Komnenos, und deinem Mitkaiser, dem vielgeliebten Herrn Ioannes, dem in der Porphyra geborenen, daß ich alle Vereinbarungen und alles, was von meinem Munde gesagt worden ist, befolgen und unverbrüchlich für immer einhalten werde, und daß ich euren Hoheiten jetzt wohlgesonnen bin und auch in Zukunft wohlgesonnen sein werde, daß ich mich selbst vor dem bloßen Gedanken hüten werde, gegen euch Feindseligkeit oder Hinterlist zu zeigen, daß ich vielmehr treu zu dem von mir Vereinbarten stehen und weder auf irgendeine Weise meinen Eid euch gegenüber brechen

207 Hier ist nichts in der Überlieferung ausgefallen; gemeint ist natürlich das Dukat von Edessa (vgl. Honigmann, Ostgrenze 129, Anm. 6). 208 Dazu ist es nie gekommen, wie ja überhaupt der ganze Vertrag nicht realisiert worden ist, da Bohemund nicht mehr in den Orient zurückgegangen ist und Tankred seine Bestimmungen nicht akzeptiert hat. 209 »Sebastos« ist das griechische Pendant zum lat. »Augustus«.

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Buch XIII, Kapitel 12 § 27-28

noch meine Versprechungen ungültig machen, noch auf etwas sinnen werde, das diesen Vertrag verletzt, weder ich selbst noch alle meine Gefolgsleute und alle, die unter meiner Herrschaft stehen und den Kreis meiner Krieger bilden. Vielmehr werden wir uns gegen deine Feinde rüsten, unsere Waffen und Lanzen erheben, und deinen Freunden werden wir unsere Rechte reichen. Und mein ganzes Trachten und Handeln wird auf den Nutzen und die Ehre des Reiches der Romäer gerichtet sein. So wahr mir Gott, das Kreuz und die göttlichen Evangelien helfen.« 28 Dieses wurde geschrieben und die Eide wurden geleistet im Beisein der unterfertigten Zeugen im Monat September der zweiten Indiktion im Jahre Sechstausendsechshundertsiebzehn 210 . Die anwesenden Zeugen, die mit ihrer Unterschrift unterzeichnet haben und in deren Gegenwart dieser Vertrag geschlossen worden ist, sind folgende: Die von Gott sehr geliebten Bischöfe Mauros von Amalfi 2 " und Renardos von Tarent mit den ihn begleitenden Geistlichen; der sehr gottesfurchtige Abt des ehrwürdigen Klosters des Heiligen Andreas in der Longibardia, welches auf der Insel von Brentesion liegt, und zwei seiner Mönche; die Führer der Pilger, die eigenhändig ihre Zeichen daruntersetzten, deren Namen aber von der Hand des von Gott sehr geliebten Bischofs von Amalfi neben die Zeichen gesetzt worden sind, welcher auch als Gesandter des Papstes zum Autokrator gekommen war"2. Die vom kaiserlichen Hof sind folgende: der Sebastos Marinos213, Roger, der Sohn des Takupertos21*, Petros Aliphas215, Gelielmos Ganzes 2 ", Ritzardos Printzitas217, Josphre Males2", Umbertos, der Sohn des Graul 2 ", Paulos Romaios220, die Gesandten, die vom Krales und Mitschwiegervater der Kaiserlichen Majestät aus Dakien gekommen sind, der Zupanos Peres und Simon221, und die Gesandten 210 September 1108. 211 Maurus de Monte, Abbas der amalfitanischen Kirche in Konstantinopel, Bischof von Minori, seit 1101/03 Erzbischof von Amalfi. Zu ihm vgl. zuletzt V. von Falkenhausen, La Chiesa amalfitana nei suoi rapporti con l'impero bizantino (XXI secolo), in: RSBN 30 (1993) 81 115, dort 87; 112-115. 212 Er kam als Legat Papst Paschalis' II. zu Alexios, u m die Möglichkeiten für die Einberufung eines Konzils zur Frage der Kirchenunion zu sondieren. Nach Rowe ist diese Mission etwas später auf 1112 zu datieren; vgl. J.G. Rowe, PaschalII, Bohemundof Antioch and the Byzantine Empire, in: Bulletin of the J o h n Rylands Library 49 (1966-1967) 198. 213 Vgl. zu ihm oben Anm. 52. 214 Zu Roger, dem Sohn des Dagobert, der zu den Byzantinern übergewechselt war, vgl. Buch I, Kap. 15 § 5 mit Anm. 136. 215 Vgl. zu ihm zuletzt oben Kap. 4 § 4. 216 Guillaume de Gant; vgl. zu ihm Du Cange, Notae 671. 217 Zu ihm vgl. oben Kap. 4 § 5 mit Anm. 59. 218 Vielleicht identisch m i t j o f f r o y de Mailli; vgl. Du Cange, Notae 671. 219 Identität nicht geklärt; vgl. Buch X, Anm. 180. 220 Vielleicht stammte er aus Rom, vielleicht war auch die Herkunftsbezeichnung zum Familiennamen geworden. 221 Zum Titel »2upan« vgl. Buch IX, Anm. 104, zum Titel »Kral der ungarischen Könige«

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Buch XIII, Kapitel 12 § 28

von Riskardos Siniskardos 222 , der Nobellisimos Basileios, der Eunuch 2 2 3 , und der Notar Konstantinos 224 . Diesen schriftlich niedergelegten Eid erhielt der Autokrator von Ba'imundos, als Gegengabe gab er ihm das obenerwähnte Chrysobull, unterzeichnet mit roter Tinte, wie es üblich ist, von der kaiserlichen Rechten.

vgl. Moravcsik, Byzantinoturcica II 173. Es handelt sich hier um Gesandte des Königs von Ungarn (archaisierend »Dakien«) Kaioman (Kaiman). Ioannes, der Sohn und spätere Nachfolger des Alexios, hatte im Jahr 1104/05 PiroSka (Eirene) geheiratet, die Tochter des ungarischen Königs Ladislaus (Läszlö) I. Die Gesandten, die jetzt als Zeugen in Devol fungierten, kamen aber nicht mehr von Ladislaus, dem »Mitschwiegervater« des Alexios (er war 1095 gestorben), sondern von dessen Neffen und Nachfolger Kaioman; vgl. Barzos, Genealogia I 204-205 und ODB sub v. Läszlo I. 222 Richard Seneschall (»Mundschenk« als Ehrentitel), Sohn Drogos und damit Neffe Robert Guiskards. Zu ihm vgl. Du Cange, Notae 672-675; Schütz, Catalogus 534-536. 223 Zu ihm vgl. Du Cange, Notae 675; Skoulatos, Personnages, Nr. 27 (S. 43). Zum Rang des »Nobellisimos« (so die übliche byzantinische Schreibweise) vgl. Buch X, Anm. 52. 224 Zu ihm vgl. Skoulatos, Personnages, Nr. 45 (S. 73). Zum Amt des »Notarios« vgl. Guilland, Recherches 306-307.

474

Buch XIV, Kapitel 1 § 1-2

Buch 14

I Der Autokrator hatte also sein Ziel erreicht. Ba'imundos hatte den weiter oben aufgeführten schriftlichen Vertrag durch einen Eid bekräftigt, wobei man ihm die heiligen Evangelien vorlegte und die Lanze, mit welcher die Gesetzlosen unserem Heiland die Seite durchbohrt haben, und bat nun, in sein Heimadand zurückkehren zu dürfen, wenn er alle seine Truppen der Befehls- und Verfügungsgewalt des Autokrators unterstellt habe; zugleich forderte er, daß diese auf dem Territorium der Romäer überwintern dürften, indem man ihnen reichlich Lebensmittel zur Verfügung stellte, und daß ihnen gestattet werde, wenn der Winter vorüber sei und sie sich von ihren zahlreichen Strapazen erholt hätten, fortzugehen, wohin sie wollten. Mit diesen Forderungen fand er sogleich Zustimmung beim Autokrator. Nachdem er alsdann mit dem Titel eines Sebastos1 geehrt und mit einer beträchtlichen Summe Geldes beschenkt worden war, kehrte er zu seinem eigenen Heer zurück. Dabei begleitete ihn Konstantinos Euphorbenos mit dem Beinamen Katakalon2, damit ihm nicht unterwegs von irgendwelchen Soldaten aus unseren Verbänden ein Leid geschehe, aber vor allem sollte dieser Vorsorge für sein Lager treffen, daß es an einem geeigneten und sicheren Ort aufgeschlagen werde, und er'sollte die Forderungen der Soldaten, soweit wie möglich, erfüllen. Nachdem nun jener sein Lager erreicht und sein Heer denjenigen übergeben hatte, die zu eben diesem Zweck vom Autokrator entsandt worden waren, bestieg er einen Einruderer und gelangte so in die Longibardia3. Er lebte jedoch nur noch sechs Monate, und dann zahlte er den Tribut, den wir alle schulden 4 . 2 Der Autokrator aber 1 Zu diesem hohen Rangtitel vgl. Buch I, Anm. 86. 2 Zu ihm vgl. zuletzt Buch XIII, Kap. 10 §§ 1-2. 3 Im Oktober 1108. 4 Eine der im byzantinischen Griechisch üblichen Metaphern für »sterben«. Annas Angabe zufolge fallt der Tod Bohemunds in den März 1109. Dem widersprechen andere Quellen, welche seinen Tod auf den März 1111 datieren. Vgl. hierzu Du Cange, Notae 675676; Leib, Alexiade III 142, Anm. 1; ODB sub v. Bohemund.

475

Buch XIV, Kapitel 1 § 2 - 4

widmete sich noch weiterhin den Kelten und machte sich dann auf den Weg nach Byzantion, nachdem er ihre Angelegenheiten zufriedenstellend geregelt hatte. Als er zurückgekehrt war, gönnte er sich jedoch keineswegs Entspannung und Erholung, sondern dachte erneut daran, daß die Barbaren die gesamte Küste vor Smyrna und sogar bis hinunter nach Attaleia5 völlig verwüstet hatten, und er hielt es für unerträglich, wenn er die Städte nicht wieder in ihren früheren Zustand versetzte, ihnen ihre frühere Pracht wiedergäbe und die überall verstreuten Einwohner nicht für sie zurückgewinnen könnte. Selbstverständlich ließ ihn auch das Schicksal der Stadt des Attalos nicht gleichgültig, sondern ihr Wohlergehen beschäftigte ihn sehr. 3 Eumathios Philokales6 nun (dieser war ein äußerst fähiger Mann und zeichnete sich nicht nur durch seine Herkunft aus, sondern überragte die meisten auch durch seine Klugheit; er war frei heraus in seinem Denken und Handeln, treu gegenüber Gott und seinen Freunden und seiner Herrschaft gegenüber so loyal wie kaum ein anderer; allerdings besaß er keinerlei soldatische Ausbildung, denn er konnte weder einen Bogen spannen und die Sehne an die Brust ziehen noch wußte er sich mit dem Schild zu schützen; in allen übrigen Dingen aber war er sehr geschickt, etwa einen Hinterhalt zu legen und die Feinde durch alle möglichen Listen zu besiegen) dieser Mann also trat an den Autokrator heran und forderte nachdrücklich die Statthalterschaft von Attaleia. Da der Autokrator die Vielseitigkeit seiner intellektuellen und praktischen Fähigkeiten kannte und wußte, daß das Glück, welcher Art es auch sein und wie man es auch nennen mag, ihm stets zur Seite stand (denn bei keiner Sache, die er je in Angriff genommen hatte, hatte er sein Ziel verfehlt), ließ er sich aus diesen Gründen überreden und versah ihn mit den notwendigen Truppen, wobei er ihm viele Ratschläge gab und ihm auftrug, bei all seinen Unternehmungen besonnen vorzugehen. 4 Dieser traf nun alsbald in Abydos ein, nachdem er die dazwischen liegende Meerenge überquert hatte, und gelangte nach Atramytion 7 . Diese Stadt hatte früher sehr viele Einwohner, als aber Tzachas die Gegend von Smyrna plünderte 8 , zerstörte er auch sie völlig und löschte sie aus. Als er [Eumathios] nun die vollständige Zerstörung dieser Stadt sah, so daß man den Eindruck haben mußte, es habe niemals ein Mensch in ihr gewohnt, ließ er sie auf der Stelle wieder aufbauen und stellte sie in ihrer früheren Gestalt wieder her; auch ihre Bewohner rief er

5 Heute Antalya; vgl. Buch XI, Anm. 149. 6 Wir kennen ihn bisher als Statthalter von Zypern; vgl. Buch IX, Kap. 2 § 4. 7 Nachdem Eumathios also das auf der asiatischen Seite des Hellespont gelegene Abydos erreicht hatte, wandte er sich auf der parallel zur Küste verlaufenden Heerstraße nach Süden und erreichte Atramytion (Edremit) am Ende des gleichnamigen Golfs gegenüber von Lesbos. Zu seiner Route insgesamt vgl. Ramsay, Geography 114-115. 8 Vgl. Buch VIII, Kap. 3 § 2 (im Jahr 1091).

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Buch XIV, Kapitel 1 § 4-6

von überall her zurück, soweit die ursprünglichen Einwohner noch am Leben waren, und ließ auch viele Fremde kommen und siedelte sie dort an und gab ihr so ihre frühere Pracht zurück. Nachdem er dann Erkundigungen über die Türken eingeholt und erfahren hatte, daß diese sich zum damaligen Zeitpunkt in der Gegend von Lampe' aufhielten, kommandierte er eine Abteilung seiner Truppen ab und sandte diese gegen sie aus. Die Soldaten trafen auch auf sie, lieferten ihnen ein hartes Gefecht und errangen auf der Stelle den Sieg; sie behandelten jedoch die Türken mit einer solchen Grausamkeit, daß sie sogar deren neugeborene Kinder in Kessel mit kochendem Wasser warfen. Viele töteten sie, und nachdem sie eine große Anzahl auch lebendig gefangengenommen hatten, kehrten sie voller Freude zu Eumathios zurück. Die übriggebliebenen Türken kleideten sich in schwarze Gewänder, da sie ihren Stammesgenossen ihre Leiden schon durch ihre Kleidung vor Augen fuhren wollten, und so zogen sie durch das ganze von den Türken gehaltene Gebiet, indem sie lautes Wehgeschrei erhoben und von den furchtbaren Greueln, die ihnen widerfahren waren, berichteten, und mit ihren Gewändern erregten sie bei allen Mitleid und stachelten sie zur Vergeltung auf. 5 Eumathios, der sich nach Philadelpheia begeben hatte, freute sich über den Erfolg der Unternehmung. Als jedoch ein Archisatrap namens Asan10, der über Kappadokien herrschte und die Einwohner des Landes wie Sklaven behandelte, von dem Unglück erfahren hatte, das den Türken, von denen gerade die Rede war, zugestoßen war, zog er seine eigenen Truppen zusammen und ließ auch von anderen Orten viele kommen, so daß das von ihm befehligte Heer auf eine Stärke von 24000 Mann kam, und zog gegen ihn ins Feld. Da aber Eumathios, wie gesagt, ein fähiger Mann war, hielt er sich nicht untätig in Philadelpheia auf und ließ in seiner Aufmerksamkeit auch innerhalb der Mauern dieser Stadt nicht nach, sondern sandte überallhin Späher aus, und damit diese nicht nachlässig würden, sandte er noch weitere dazu aus, und hielt sie zur Wachsamkeit an, daß sie die ganzen Nächte hindurch Wache hielten und die Heerstraßen und Ebenen beobachteten. 6 Als nun einer von diesen des türkischen Heeres aus der Ferne ansichtig wurde, kam er eilends zu ihm und meldete es ihm. Da er [Eumathios] geistesgegenwärtig war und die Fähigkeit besaß, rasch zu erkennen, was zu tun sei, und dann in kürzester Zeit Entscheidungen zu fallen, gab er auf der Stelle Befehl, sämdiche Tore dieser Stadt zu verbarrikadieren, weil ihm klar geworden war, daß er gegen eine solche Überzahl nicht genügend Truppen hatte, und verbot strikt, daß man irgend jemanden auf die Mauer hinaufsteigen

9 Vgl. Buch VI, Kap. 12 § 2 mit Anm. 178. 10 Hasan, ein Emir, der sich nach dem Tod des sel^ukischen Sultans Kilif Arslan (1107) unabhängig gemacht hatte. Z u m archaisierenden Titel »Satrap« vgl. Buch VI, Anm. 125.

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ließ, und untersagte überhaupt zu schreien sowie Flöte oder Kithara zu spielen, kurz, er gab der Stadt ein solches Aussehen, daß sie denjenigen, die an ihr vorüberzogen, als völlig unbewohnt erscheinen mußte. Als Asan Philadelpheia erreicht hatte, umschloß er die Mauern mit seinem Heer und wartete drei Tage lang. Als sich aber niemand oben auf der Brüstung zeigte (die Tore waren von innen verbarrikadiert, Mauerbrecher aber besaß er nicht, auch keine steinschleudernden Geschütze), glaubte er, daß das Heer des Eumathios klein sei und aus diesem Grunde auch nicht den Mut habe herauszukommen; er war daher der Meinung, daß die Besatzung äußerst schwach war, und wandte sich voller Verachtung für seinen Gegner einem anderen Ziel zu. Er teilte sein Heer und sandte 10000 Mann gegen Kerbianon" aus, weitere «* 1 2 sandte er gegen Smyrna und Nymphaion 13 aus, die restlichen Truppen aber gegen Chliara14 und Pergamon; indem er so seine sämdichen Streitkräfte zum Plündern ausschickte, schloß er selbst sich denjenigen an, die sich nach *** auf den Weg machten. 7 Philokales aber durchschaute das Vorhaben des Asan und schickte seine sämdichen Streitkräfte gegen die Türken aus. Diese verfolgten diejenigen, die sich nach Kerbianon aufgemacht hatten, holten sie ein, als sie nichts Böses ahnend im Schlaf lagen, überfielen sie bei Tagesanbruch und metzelten sie gnadenlos nieder; sämtliche Kriegsgefangenen, die jene in ihrer Gewalt hatten, befreiten sie. Dann verfolgten sie diejenigen Türken, die sich nach Smyrna und Nymphaion aufgemacht hatten; einige aus der Vorhut und von beiden Flügeln preschten voraus, begannen die Schlacht mit ihnen und besiegten sie vollständig. Viele töteten sie, viele nahmen sie auch lebendig gefangen; die restlichen, nur sehr wenige, gerieten bei dem Versuch zu fliehen in die Strudel des Maiandros" und ertranken augenblicklich. Dieser Fluß fließt in Phrygien, der windungsreichste aller Flüsse, der ständig in Biegungen verläuft. Ermutigt durch diesen nunmehr zweiten Sieg, verfolgten sie auch die restlichen Feinde, doch konnten sie nichts weiter ausrichten, da die Türken sich bereits sehr weit von ihnen entfernt hatten. So kehrten sie denn nach Philadelpheia zurück. Als Eumathios sie erblickte und erfahren hatte, wie tapfer sie in ihrem Eifer, niemanden aus ihren Händen entkommen zu lassen, gekämpft hatten, belohnte er sie großzügig und versprach ihnen auch für die Zukunft große Vergünstigungen. II Als Tangre nach dem Tod des Baimundos seine Hand auf Antiocheia legte und diese Stadt als sein Eigentum ansah und sie so dem Autokrator ganz 11 Ebene im oberen Tal des Kaystros (heute Kü