109 50 10MB
German Pages [425] Year 2022
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 169
Peter Riede
Zwischen Mensch und Gott Psalm 45 und die Bedeutung von König und Königin im Rahmen der judäischen Herrschaftstheologie
9783788734947_Gies_Schalom.indb 1
25.06.21 13:33
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von David S. du Toit, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly
169. Band
9783788734947_Gies_Schalom.indb 2
25.06.21 13:33
Peter Riede
Zwischen Mensch und Gott Psalm 45 und die Bedeutung von König und Königin im Rahmen der judäischen Herrschaftstheologie
Vandenhoeck & Ruprecht
9783788734947_Gies_Schalom.indb 3
25.06.21 13:33
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9694 ISBN 978-3-666-56074-3
9783788734947_Gies_Schalom.indb 4
25.06.21 13:33
Für Manfred Weippert
Vorwort
Mein Herz dichtet ein feines Lied, einem König will ich es singen. (Ps 45,2 – Lutherübersetzung 2017)
Innerhalb der altisraelitischen Gesellschaft kam dem Königtum eine enorme Bedeutung zu. Der König war eine Mittlerinstanz zwischen Gott und seinem Volk, ihm oblagen wesentliche Aufgabenbereiche, die er als Mandatar Gottes in seinem Auftrag zu verantworten hatte. Besonders der Gruppe der alttestamentlichen Königspsalmen können wir wichtige Hinweise zur Sicht des Königtums im alten Israel entnehmen. Innerhalb dieser Psalmengruppe spielt Psalm 45 eine Ausnahmerolle. Der Psalm entwirft als Lied eines Hofsängers eine besondere Szenenfolge, innerhalb derer die verschiedenen Dimensionen des Königtums dargestellt werden und der Blick auf die männliche und die weibliche Seite der Königsvorstellungen gerichtet wird. Zugleich erlaubt er uns einen tiefen Einblick in das höfische Leben mit seiner Pracht und seinem Glanz, mit seinen Zeremonien und Stimmungen und ist insgesamt ein bedeutendes Zeugnis der judäischen Herrschaftstheologie1. Trotz dieser Besonderheit spielte der Psalm innerhalb der Forschung zu den Königspsalmen über Jahre eine eher marginale Rolle. Zwar wurde in der Literatur immer wieder auf die im Einzelnen näher zu bestimmende Vergöttlichung des judäischen Königs abgehoben, die in V. 7 als eine Art Spitzenaussage formuliert wird (so z.B. in der über lange Zeit einzigen Monographie über den Psalm von J.M. Mulder aus dem Jahre 1972). Und auch 1
Dieser Terminus wird auch im Untertitel der Arbeit bewusst statt des üblichen Ausdrucks „Königsideologie“ benutzt, der stark durch die Erfahrung von totalitären Staatsformen des 20. Jh.s geprägt ist und möglicherweise bewusst oder unbewusst „falsche oder verzerrte Assoziationen“ hervorruft, so zu Recht Quack, Einflüsse, 1.
8
Vorwort
die Klassifikation des Psalms als königliches „Hochzeitslied“ stand kaum außer Frage. Die Gesamtkomposition des Psalms und die Frage nach seinem inneren Zusammenhang wurden und werden dagegen oft nur sehr knapp gestreift. Zudem sind viele Auslegungen bis heute von der intensiven jüdischen und christlichen Wirkungsgeschichte beeinflusst, innerhalb derer der Psalm allegorisch gedeutet wurde. Im Rahmen dieser Auslegungstraditionen wurde Psalm 45 zum einen z.B. auf das bräutliche Verhältnis des alttestamentlichen Gottesvolks bzw. der Tochter Zion zu JHWH bzw. dem Messias bezogen (so zuletzt in den Deutungen von E. Zenger oder auch C. Körting), zum andern auf die Verbindung zwischen Jesus Christus und der Kirche angewendet. Erst in den letzten Jahren hat sich die Beschäftigung mit Ps 45 intensiviert: So widmet sich M. Saur (2007) dem Psalm im Rahmen seiner Interpretation aller Königspsalmen und ist vor allem an der Geschichte dieser Texte, der Intention ihrer Überlieferung und den „Rezeptions-, Transformationsund Integrationsprozessen“2, die dabei entscheidend waren, interessiert. R.S. Salo (2017) dagegen arbeitet vor allem die religionsgeschichtlichen Bezüge von Ps 45 zu den Nachbarkulturen heraus, während M. Lim (ebenfalls 2017) an der Stellung des Psalms innerhalb der Trias Ps 44–46 interessiert ist und diese nach dem Prinzip der concatenatio deutet. K. Kremser (2019) wiederum interpretiert Psalm 45 literaturwissenschaftlich und sieht ihn als einen weisheitlichen (Rätsel-)Text an, der das Verhältnis von Gott und seinem Volk im Bild einer Königshochzeit fasst. Diese Deutung nimmt D. Böhler in seinem im Herbst 2021 in der Reihe Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament veröffentlichten Kommentar auf. Da der Kommentar erst nach Abschluss des Manuskripts erschien, konnte er leider nur noch eklektisch in den Fußnoten berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Interpretationsansätze widmet sich die vorliegende Untersuchung insbesondere der Komposition und der Traditions-, Motiv- und Religionsgeschichte von Psalm 45 und zieht auch ikonographische Dokumente zur Erklärung hinzu, die einen wesentlichen Beitrag zur Erhellung des in Ps 45 enthaltenen Bildprogramms liefern können. Aber auch die vieldiskutierte Frage nach der Gattung und die redaktionsgeschichtliche Einordung des Psalms in seinen näheren und weiteren Kontext, insbesondere in die Gruppe der Korachpsalmen, wird thematisiert.
2
Saur, Königspsalmen, 3.
Vorwort
9
Die ersten Vorarbeiten zu dieser Untersuchung gehen zurück auf meinen Probevortrag zur Erlangung der venia legendi an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, den ich am 25. Oktober 2005 gehalten habe. Herrn Prof. Dr. Bernd Janowski danke ich ebenso für seine instruktive Beratung bei der Vorbereitung des Vortrags wie Herrn Prof. Dr. Walter Groß für manches Gespräch über diesen in der Deutung nicht einfachen und in vielen Einzelzügen umstrittenen Psalm. Meine Überlegungen zu Ps 45 konnte ich dann im Folgenden auch im Rahmen der Tübinger alttestamentlichen Sozietät am 18. Juli 2006 vortragen. Die Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen erbrachte vielerlei Anregungen, die z.T. für die Auslegung des Textes fruchtbar gemacht werden konnten. Herrn Prof. Dr. Martin Leuenberger und Herrn Prof. Dr. Johannes Schnocks als Herausgebern danke ich herzlich für Ihre Bereitschaft, auch diese Untersuchung in die Reihe „Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament“ aufzunehmen. Die Drucklegung dieses Bandes haben Herr PD Dr. Izaak de Hulster ebenso wie Frau Miriam Espenhain und Frau Renate Rehkopf vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hilfreich begleitet. Ihnen gebührt dafür ein besonderer Dank. Widmen möchte ich den Band Herrn Prof. Dr. Manfred Weippert, Heidelberg / Villeperdrix, an dessen Lehrstuhl in Heidelberg ich mehre Jahre als Wissenschaftliche Hilfskraft arbeiten durfte. Im WS 1984/85 konnte ich mich in einem Referat in dem von Herrn Weippert an der Universität Heidelberg angebotenen Seminar „Alttestamentliche Heilsprophetie mit besonderer Berücksichtigung der Königsorakel“ intensiver mit der faszinierenden Welt der Königspsalmen auseinandersetzen. Diese Texte haben mich seither nie losgelassen und mich letztlich dazu motiviert, die Beschäftigung mit ihnen im Zusammenhang meiner Habilitation fortzuführen. Im Rahmen der Liturgie der Evangelischen Kirchen hat Psalm 45 in heutiger Zeit keine große Bedeutung3. Allerdings entstammt der Halleluja-Vers für den Vierten Advent dem zweiten Vers dieses Psalms. Bis heute preist die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde mit den Worten aus Ps 45,2 den erwarteten König aus Davids Stamm. Auch deshalb freue ich mich, die aus verschiedenen Gründen lange aufgeschobene und immer wieder unter-
3
Zur Bedeutung des Psalms in der katholischen Messe vgl. Böhler, Psalmen 1–50, 833f.
10
Vorwort
brochene Ausarbeitung meiner Thesen zu Psalm 45 nun in der Adventszeit 2021 abschließen zu können.
Tübingen / Karlsruhe, im Dezember 2021
Peter Riede
Inhalt
Vorwort ..................................................................................................
7
Einleitung .............................................................................................. 15 Erster Teil: Text und Gestalt ................................................................................... 25 A) Text und Übersetzung ...................................................................... I. Der Text .......................................................................................... 1. Sprachliche und textkritische Bemerkungen ....................... 2. Zur Bedeutung der masoretischen Texttradition ................. II. Übersetzung ..................................................................................
25 25 25 53 55
B) Literarische Analyse ......................................................................... I. Gliederung und Komposition ........................................................ 1. Zur Gliederung ..................................................................... 2. Zur Komposition .................................................................. a) Stichwortverbindungen und Leitworte ......................... b) Die Anordnung der Strophen ........................................ c) Die Kompositionsstruktur ............................................. II. Literarkritische und formgeschichtliche Beobachtungen ............ 1. Literarkritik .......................................................................... 2. Ps 45 – ein Hochzeitslied für den König? Zur Frage der Gattung ...........................................................................
56 56 56 62 62 64 65 67 67 72
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte ................................... 78 A) Die Widmung des Dichters / Sängers (V. 2) ................................... 78
12
Inhalt
B) Der Lobpreis des Königs (V. 3–9) ................................................... I. Die Einleitung (V. 3) ...................................................................... 1. Die Schönheit des Königs .................................................... 2. Anmut auf den Lippen ......................................................... 3. Die Segnung durch Gott ...................................................... II. Der König als kriegerischer Held (V. 4–6) ................................... 1. Die Zurüstung zum Kampf .................................................. a) „Gürte dein Schwert“ .................................................... b) Der königliche Lichtglanz ............................................ Exkurs 1: Der Titel גִּ ּבֹור..................................................... c) „Tritt (den Bogen) und habe Erfolg“ ............................ 2. Der Auszug zum Kampf ...................................................... a) Das Fahren / Reiten des Königs .................................... b) Um der Sache der Wahrheit und Demut-Gerechtigkeit c) Die Taten der Rechten ................................................... 3. Der Sieg über die Feinde ...................................................... a) Die geschärften Pfeile ................................................... b) „Völker fallen unter dich“ ............................................. c) Die Feinde des Königs .................................................. III. Der König als Sachwalter des Rechts (V. 7–9) ........................... 1. Die königlichen Regalien ..................................................... a) Der königliche Thron .................................................... Exkurs 2: Der Titel אֱֹלהִּ ים.................................................. b) Das Szepter der Geradheit ............................................ 2. Die Bindung an das Recht ................................................... a) Gerechtigkeit lieben – Frevel hassen ............................ b) Die Salbung mit Freudenöl ........................................... 3. Die königliche Prachtentfaltung .......................................... a) „Myrrhe und Aloe, Kassia sind deine Gewänder“ ....... b) Saitenspiel aus Elfenbeinpalästen ................................. IV. Zusammenfassung .......................................................................
84 84 84 92 95 98 98 99 102 105 107 115 115 122 129 134 134 137 139 141 141 141 147 152 159 159 170 183 183 188 198
C) Der Lobpreis der Königin (V. 10–16) .............................................. I. Die Einleitung (V.10) ..................................................................... 1. „Königstöchter sind unter deinen Kostbarkeiten“ ............... 2. Das Stehen der שֵׁ גַלzur Rechten .......................................... 3. „In Ophirgold“ ..................................................................... II. Die Bestimmung der Königin (V. 11–13) .................................... 1. Die Mahnung an die Königin ..............................................
203 204 204 208 211 216 216
Inhalt
13
a) Die Einleitung der Mahnung ......................................... b) Das Vergessen der Herkunft ......................................... 2. Die Hingabe und Huldigung der Königin ........................... a) „Wenn der König deine Schönheit begehrt …“ ............ b) „Huldige ihm“ ............................................................... Exkurs 3: Der Titel אָ דֹון..................................................... 3. Die Anerkennung des neuen Status der Königin durch die Reichen im Volk ................................................... a) Zur Bedeutung von ִּמנְחָ ה................................................ b) Zur Bedeutung der Wendung חלה ָפנַיִּ ך.......................... III. Die Hinwendung der Königin zum König (V. 14–16) ............... 1. Die Herrlichkeit der Königin ............................................... a) „Alle Pracht“ ................................................................. b) Das golddurchwirkte Gewand ...................................... 2. Der feierliche Festzug .......................................................... a) Die Begleitung der Königin .......................................... b) Zur Bedeutung von יבל................................................... 3. Der Abschluss des Festzuges ............................................... a) Geleitet in Jubel und Freude ......................................... b) In den Palast des Königs ............................................... IV. Zusammenfassung .......................................................................
216 221 222 222 226 230
D) Ein Wunsch für die Dynastie (V. 17)................................................ I. Die Söhne als Nachfolger .............................................................. II. Die Funktion der Söhne ................................................................ III. Zusammenfassung .......................................................................
262 262 264 268
E) Die Schlussformel des Dichters / Sängers (V. 18) ........................... I. Die Erinnerung an den Namen des Königs .................................... II. Die Verherrlichung durch die Völker ........................................... III. Zusammenfassung .......................................................................
269 269 274 276
233 236 241 242 242 242 245 249 250 251 257 257 258 259
Dritter Teil: Ikonographische Aspekte: Das Elfenbeinpaneel aus dem Palast von Ugarit und vergleichbare Bildzeugnisse ................................ 278
14
Inhalt
Vierter Teil: Noch einmal: Einheitlichkeit, Gattung und Sitz im Leben ............. 296 A) Zur literarkritischen Analyse ............................................................ B) Zur formgeschichtlichen Analyse .................................................... C) Die Überschrift von Psalm 45 .......................................................... D) Zusammenfassung ............................................................................
296 297 306 312
Fünfter Teil: Ps 45 im Rahmen der Korachpsalmen .............................................. 314 Sechster Teil: Rezeptionsgeschichte ........................................................................... A) Altes Testament ................................................................................ I. Sach 9,9f ......................................................................................... II. Jes 52,13–53,12 ............................................................................. III. Zusammenfassung ....................................................................... B) Neues Testament ............................................................................... I. Hebr 1,8f ......................................................................................... II. Zusammenfassung ........................................................................
323 323 323 334 342 344 344 349
„Zwischen Mensch und Gott“ – Ergebnis und Ausblick ................. 351 Literatur .................................................................................................. 369 Abbildungsnachweis .............................................................................. 407 Register .................................................................................................. Sachregister ........................................................................................ Stellenregister .................................................................................... Wortregister .......................................................................................
409 409 416 422
Einleitung
Zu den wichtigsten Institutionen der Staaten des Alten Orients gehörte das Königtum, auch in Israel und Juda1, wenngleich es dort „nicht vom Himmel auf die Erde heruntergekommen [war], wie eine sumerische Königsliste für den mesopotamischen Bereich programmatisch feststellt“2. Dieses Königtum war immer sakral bestimmt3, d.h. mit ihm verbanden sich eine Reihe theologischer und kultischer Implikationen. „Der König galt im Vorderen Orient mit einigen Varianten mehr oder minder direkt als Repräsentant Gottes auf Erden, als Geschöpf Gottes, Sohn Gottes, Abbild Gottes oder sogar als Gott selber“4. Aus diesem besonderen Verhältnis leitete sich seine politische und sakrale Funktion unmittelbar ab. Die sogenannte myth and ritual school5 mit ihren wichtigsten Vertretern S.H. Hooke6 und dann ihn weiterführend I. Engnell7 und G. Widengren8 entwickelte seit den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts daraus die grundlegende Annahme eines den Alten Orient und Israel durchweg prä-
1 2
3 4 5
6 7 8
Vgl. besonders Thr 4,17–20 und Liwak, Herrscher, 164. Liwak, Herrscher, 164; M. Dietrich / W. Dietrich, Zwischen Gott und Volk, 218f, vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 184; Janowski, Frucht, 97; zur sumerischen Königsliste vgl. Römer, TUAT I/4, 328–337 und Wilcke, Wesen, 66ff. Vgl. Liwak, Herrscher, 166; Westermann, Sakrales Königtum. Albertz, Religionsgeschichte, 175, vgl. Liwak, Herrscher, 166. Vgl. Doecker, Art. Uppsala-Schule; Ringgren / Seybold / Fabry, Art. מלך, 946f und die grundlegende Kritik von Noth, Gott, 191ff; Frankfort, Kingship, 405; zur Diskussion s. ferner Kraus, Geschichte, 460ff; Becker, Wege, 38ff.42ff; ders., Messiaserwartung, 34ff; Bernhardt, Königsideologie, 303ff und passim; Röllig, Königtum; K. Koch, Israel, 246ff; Adam, Held, 4ff; D. Wagner, Geist, 254ff; Böckler, Gott, 212f; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 3; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 211f. Myth and ritual, vgl. Noth, Gott, 194f. Studies. Sakrales Königtum.
16
Einleitung
genden, kultisch-mythischen pattern9, das über die Zeiten und Kulturen hinweg in den wichtigsten Strukturelementen übereinstimmte10. Heute sieht man dagegen die Dinge differenzierter und achtet bei aller Ähnlichkeit in den herrschaftslegitimierenden Konzepten verstärkt auf die „Eigenarten der jeweiligen Ausprägung des Königtums in den einzelnen Kulturen“11. Es geht also um die Herausarbeitung eines Differenzierungssensoriums „sowohl für den innerkulturellen Vergleich als auch für Entwicklungsstufen“12 innerhalb ein- und desselben Kulturraumes. Immer mehr kristallisiert sich in der Forschung beispielsweise die Einsicht heraus, „daß es ‚das‘ mesopotamische Königtum eigentlich nicht gab“13, sondern jeweils nur einzelne Aspekte dieses Königtums greifbar werden. Für die Uppsala-Schule war vor allem die Frage nach dem Gottkönigtum wichtig. Der König verkörpere einerseits die von ihm beherrschte Gesamtheit und sei andererseits mehr oder weniger klar als göttlich angesehen worden14. Und die Autorität oder gar Göttlichkeit des Königs seien nicht „als qualitative Bestimmungen des Amtes“15 zu fassen, sondern gehörten zum Wesen der Person des Königs. Somit sei z.B. in der ägyptischen „Darstellung des Königs“16 die Wesensverwandtschaft von Gott und König eine „klare Identitätsrelation“17.
9 10
11 12 13 14 15 16 17
Vgl. dazu kritisch Bernhardt, Königsideologie, 51ff.56f; S. Wagner, Messias, 869f; Wälchli, Salomo, 166ff; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 3f.30f. Dazu gehörte die feierliche Begehung am Neujahrstag, an dem der König die Rolle des wichtigsten Gottes dramatisch gespielt habe. Und diese Begehung war mit symbolischem Tod und Auferstehung verbunden sowie mit der Heiligen Hochzeit, die von der Kultgemeinde begeistert mitgefeiert wurde (vgl. dazu Widengren, Königtum, 62ff; K. Koch, Israel, 246; Becker, Wege 44; zur Funktion der Heiligen Hochzeit vgl. Röllig, Königtum, 120f). Vor allem Ps 45 wurde als Zeugnis für die „Heilige Hochzeit“ gewertet, vgl. Widengren ebd. 78. Ahn, Herrscherlegitimation, 18, vgl. auch Janowski, Frucht, 96 mit Anm. 11; Liwak, Herrscher, 166; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 192. Ahn, Herrscherlegitimation, 18, vgl. dazu auch D. Wagner, Geist, 264; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 191. Röllig, Königtum, 115. Vgl. Mowinckel, General oriental, 283, vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 29; zur Kritik an dieser Position s. Noth, Gott, 194. Ahn, Herrscherlegitimation, 21. Zum Begriff vgl. Quak, Einflüsse, 2, vgl. zur Sache Gundlach, Pharao; ders., Hieroglyphe; Bonhême / Forgeau, Symbolik. Ahn, Herrscherlegitimation, 21, vgl. Engnell, Studies, 4; Adam, Held, 4.14.
Einleitung
17
Demgegenüber betont die Forschung der jüngeren Zeit „eine regelrechte ‚Zwei-Naturen-Lehre‘“18, die sich bereits für Ägypten im Alten Reich konsequent auch terminologisch unterscheiden lässt. Die Person des Königs (ḥm) – sterblich, fehlbar und menschlich-irrend19 – wird demnach von seiner Funktion als Inhaber des göttlichen Königtums (njśwt) unterschieden20. „Innertheologisch gesehen, beschreibt die Formel, die dem Pharao als König unbedingte Göttlichkeit zuspricht, den komplizierten Sachverhalt, daß der Pharao in seiner Königsfunktion einerseits die Gottheit verkörpert und diese in ihm erscheint, andererseits aber beide unabhängig voneinander existieren und der Pharao auch seinen individuellen Eigennamen nicht ablegt“21. Als Mensch gehört der König zur „Sphäre der Götter“22 und unterscheidet sich so von allen anderen Menschen, jedoch war seine Göttlichkeit nur „minderen Ranges“23, so dass er „am unteren Ende der Göttlichkeitshierachie“24 anzusiedeln ist. Außerzeitlichkeit oder Unwandelbarkeit sind daher ebenso wie Wesensgleichheit oder -ähnlichkeit25 keine Eigenschaften des Herrschers; vielmehr kann er sich – wie die anderen Menschen auch – fürbittend an die Götter wenden. Somit kann in Ägypten nur in einem sehr eingeschränkten Sinn von einem Gottkönigtum gesprochen werden, insoweit der Herrscher „kraft seines Amtes eine Vermittlerstellung zwischen göttlichem und menschlichem Bereich einnahm, selbst aber vor seinem Tode nicht deifiziert wurde“26. Manche Texte gehen sogar von einer „fallweisen“ Vergöttlichung des Königs aus. So heißt es in einer Königseulogie auf der Stele Cairo CC 20538 aus dem Mittleren Reich27: 18 19 20 21 22
23
24 25 26 27
Ahn, Herrscherlegitimation, 22 mit Verweis auf Morenz, Ägyptische Religion, 38, vgl. auch Hornung, Der Pharao, 347f. Vgl. Brunner, Religion, 65. Vgl. Brunner, Religion, 64; D. Wagner, Geist, 264f; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 11. Ahn, Herrscherlegitimation, 22, vgl. Barta, Göttlichkeit, 5; Janowski, Art. Königtum, 517. Blumenthal, Göttlichkeit, 59, vgl. Liwak, Herrscher, 174f, vgl. auch das Königsepitheton nṯr nfr „schön-vollkommener Gott“, das seinen Sitz im Leben im Hofzeremoniell hat. Blumenthal, Göttlichkeit, 58. Der mindere Rang des Königs zeigt sich auch daran, dass die Königspaläste im Unterschied zu den Tempeln aus Lehm, und nicht aus Stein gebaut wurden, vgl. Blumenthal, ebd. 56. Blumenthal, Göttlichkeit, 55. Vgl. Blumenthal, Göttlichkeit, 54. Ahn, Herrscherlegitimation, 22f, vgl. D. Wagner, Geist, 265. Assmann, TUAT II/6, 898f, vgl. ÄHG, 473f.
18
Einleitung Er ist RE, kraft dessen Strahlen man sieht, ein Erleuchter der beiden Länder, mehr als die Sonne … Ein „CHNUM“ ist er jeden Leibes, Ein Zeugender, der die Menschheit hervorbringt. „BASTET“ ist er, die die beiden Länder behütet: wer ihn verehrt, wird von seinem Arm beschützt werden. „SACHMET“ ist er gegen der, der sein Gebot verletzt; Wen er haßt, wird im Elend sein.
Und in Zeugnissen aus der 18. Dynastie wird die fallweise Göttlichkeit explizit erwähnt28: Das Volk ist am Jauchzen, die Soldaten freuen sich. Sie geben Lobpreis dem Herrn der beiden Länder, sie huldigen diesem tatmächtigen König in den Fällen seiner Göttlichkeit.
Die Grundaufgabe des Herrschers, „die allein seine Machtfülle rechtfertigte“, aber bestand darin, „die ‚Weltordnung‘, die Ma’at, also das Maß und die Rangordnung, die der Welt seit der Schöpfung inhärent war, die aber stets zum Verfall tendierte, zu stützen, ja sogar auszubauen“29. Insofern war ein königsloser Staat für die Ägypter nicht denkbar. Auch in Mesopotamien30, sei es in der frühen sumerischen Zeit, sei es während der Regentschaft der assyrischen Herrscher, liegen die Dinge wesentlich komplizierter, als dass man sie auf den gemeinsamen Nenner eines „divine kingship“ bringen könnte. So ist etwa der frühe sumerische Herrscher31 kraft seiner Bezeichnung LUGAL „großer Mensch“ unter den übrigen Menschen hervorgehoben, er wird aber nicht als Person vergöttlicht, selbst wenn er in familiengleicher Nähe zu den Göttern steht32. 28 29 30 31 32
Zitat nach Assmann, Der König als Sonnenpriester, 67 Anm. 2. Brunner, Religion, 67. Vgl. Sallaberger, Den Göttern nahe, 90ff. Zu den verschiedenen sumerischen Titulaturen vgl. Röllig, Königtum, 117f. Vgl. Wilcke, Wesen, 64. Anders ist es bei Naramsin, der als erster akkadischer Herrscher zu Lebzeiten deifiziert, auf seiner Stele mit göttlichen Hörnern dargestellt wurde und im Text der Bassetki-Statue als Gott der Stadt Akkad bezeichnet wird (vgl. dazu Röllig, Königtum, 119; D. Wagner, Geist, 263). Möglicherweise geht es aber auch hier um eine „aspektive Göttlichkeit“, vgl. Ahn, Herrscherlegitimation, 25; Sallaberger, Den Göttern nahe, 95f.
Einleitung
19
Auch der assyrische Herrscher war ein „ens sui generis“33, angesiedelt zwischen Menschen und Göttern34, sterblich und dennoch mit gottgleicher Autorität, wie z.B. die Begrifflichkeit der Königstitulatur zeigt, die ihn als Stellvertreter Gottes auf Erden ausweist. So lautet z.B. der Titel Salmanassars III. (858–824 v.Chr.)35: Gouverneur des Enlil, Priester des Assur, von den Göttern erwählter König, Liebling Enlils, mächtiger Vizeregent.
Und die Titulatur Assarhaddons (680–669 v.Chr.) nimmt ebenfalls die besondere Daseinsform des Königs auf36: (Assar)haddon, der große König, der mächtige König, König des Universums, König von Assyrien, Vizeregent Enlis.
Wie sieht aber die besondere Stellung des Königs in Israel und vor allem in Juda aus? Gibt es hier die Vorstellung eines sakralen Königtums mit göttlicher Prägung, wie von der Uppsala-Schule lange angenommen37, oder ist diese Frage zu verneinen?38 Bei der Beantwortung dieser Frage ist natürlich auf die je besondere Prägung der uns im Alten Testament überkommenen Textzeugnisse zu achten und auf mögliche traditionsgeschichtliche Verschiebungen und Entwicklungen39. Insbesondere die Königspsalmen40 33 34 35 36
37 38
39 40
Frahm, Kabale, 313; Röllig, Königtum, 122f; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 5. Vgl. Sallaberger, Den Göttern nahe, 87. Zitat nach Fauth, Diener, 222. Zitat nach Ahn, Herrscherlegitimation, 26. Dieses Stellvertreteramt ist mit bestimmten Verpflichtungen verbunden, so der, das Recht im Lande aufzurichten, wie sich z.B. aus dem Prolog des Kodex Hammurapi ergibt (vgl. dazu unten S. 161). Zu den Aufgaben des Königs vgl. auch H.H. Schmid, Gerechtigkeit, 23– 26; Adam, Held, 13; Prechel / Graetz, Art. König / Königtum (Alter Orient), Abschnitt 3.3. Vgl. Engnell, Studies, 174ff und dazu Adam, Held, 4; Lux, Der König als Tempelbauer; Loretz, Theologie, 381ff; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 29f. Vgl. dazu Noth, Gott, 222, bezogen auf Ps 2,7 und 110,1: Danach sei der König kein „inkarnierter Gott, ist nicht göttlicher Herkunft und göttlichen Wesens, sondern wird durch eine gnädige Zusage seines Gottes zum ‚Sohn‘ ernannt“. Es gehe also um eine besondere Ehrung, nicht um Gottgleichheit. Darauf weist Ahn, Herrscherlegitimation, 29 zu Recht hin. Ps 2.18.20.45.72.89.101.110.132.144,1–11, vgl. dazu Liwak, Herrscher, 166f; S. Wagner, Messias; Lux, Der König als Tempelbauer, 116f; Janowski, Frucht,
20
Einleitung
als Zeugnisse der von Jerusalemer Hoftheologen formulierten Herrschaftstheologie41 sind in diesem Zusammenhang wichtig42, da sie den König in eine besondere Nähe zu Gott rücken und ihm eine Zwischen- oder Mittlerstellung zwischen Gott und Menschen verleihen43. Nach Ausweis dieser von Ägypten her beeinflussten Theologie44, die das Königtum in besonderer Weise legitimierte45, steht der König in einem engen, „exzeptionelle[n]“46 und zugleich persönlichen Verhältnis zu JHWH47, das ihn in jedem Fall gegenüber den übrigen Menschen heraushob. JHWH hat „seinen“ König gezeugt bzw. geboren (Ps 2,7; 110,3), er hat ihn zu seinem Sohn und Erstgeborenen erklärt (Ps 2,7; 2Sam 7,14; Ps 89,27f)48 und auf den Thron zu seiner Rechten gesetzt (Ps 110,1)49. Die Gottessohnschaft hat somit eine physische und eine mythische Komponente50; sie schuf sich zudem in der sogenannten Nathan-Verheißung51 eine eigene
41
42 43 44 45 46 47
48
49 50 51
97; ders. / Hartenstein, Art. Psalmen, 1766.1769; Wälchli, Salomo, 165ff, bes. 175; D. Wagner, Geist, 279ff; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 194. Zu Ps 18 vgl. Adam, Held; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 235f. Oder auch: „Königstradition“ im Sinne von traditio und traditum, vgl. dazu Liwak, Herrscher, 163f. Der häufig verwendete Terminus „Königsideologie“ ist demgegenüber eher pejorativ geprägt. Zur Problematik des Begriffs vgl. auch Quack, Einflüsse, 1. Vgl. Adam, Held, 3; Bauks, Theologie, 357f. Vgl. ferner Jes 9,5. Vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 176; K. Koch, Israel, 250ff. Vgl. Liwak, Herrscher, 172. Albertz, Religionsgeschichte, 176f. Vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 175; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 32, vgl. dazu auch Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 282. Aus dem besonderen Verhältnis zu Gott leiten sich dann seine politischen und sakralen Funktionen ab, d.h. Weltherrschaft, Segensmittlerschaft sowie Rechtshilfe für Schwache und das Priestertum, vgl. Ps 2.72 und dazu Albertz, Religionsgeschichte, 181. Es ist strittig, ob Ps 2,7 adoptianisch zu verstehen ist (vgl. Noth, Gott, 222; von Rad, Königsritual, 209; anders Donner, Adoption; Albertz, Religionsgeschichte, 176, vgl. zur Diskussion Ahn, Herrscherlegitimation, 42ff) oder ob die Aussage der Gottessohnschaft eher der Legitimation und Erwählung dient. Vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 175. Vgl. Janowski, Frucht, 98. Vgl. besonders 2Sam 7; s. ferner Ps 132,17f; 89,20–30.34.38. Zu 2Sam 7 vgl. Ahn, Herrscherlegitimation, 177; Albertz, Religionsgeschichte, 179; W. Dietrich / Naumann, Samuelbücher, 143ff; Pietsch, „Dieser ist der Sproß Davids“, 8ff. Nach W. Dietrich, BK VIII/3, 648 ist als Grundbestand ein Dynastieorakel in V. 12aαβ.14.15a.17b anzunehmen, das dann durch V. 1a.2f.*8.9.12aγb.15b ins Höfische Erzählwerk eingebunden wurde.
Einleitung
21
theologische Basis, die die „göttliche … Zusage des ewigen Bestandes und gesicherten Herrschaftsanspruches der davidischen Monarchie“52 festhielt (vgl. 2Sam 7,12)53. Neuerdings hat D. Kühn in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des von E.H. Kantorowicz entwickelten Konzepts der „Zwei Körper des Königs“54 hingewiesen und dieses auf die schriftlichen und ikonographischen Quellen der frühen levantinischen Königreiche in Ugarit, Aram, Phönizien, Ammon, Moab, Israel und Juda angewendet55. Nach diesem Konzept, das auf eine Rechtskonstruktion des elisabethanischen Englands zurückgeht, eignet dem König ein sterblicher und ein unsterblicher Körper. Dabei werde die natürliche Person des Königs – der einzelne sterbliche König – (body natural) durch den unpersönlichen unsterblichen Körper (body politic) aufgewertet und von Schwächen und Unvollkommenheiten befreit, so dass der König mehr als ein normaler Mensch ist56. Erst durch den Tod werde die Verbindung der beiden Körper aufgehoben. Der natürliche Körper sterbe, der body politic aber gehe auf den Amtsnachfolger des Königs über. Dass diese Konzeption auch eine Möglichkeit zur Erfassung und Deutung des Königtums im Alten Orient darstellt, zeigt die von Kühn nachgezeichnete Rezeption dieser Vorstellung im Rahmen der Ägyptologie und der Altorientalistik57, die die Konzeption von Kantorowicz schon länger als hilfreiches Erklärungsmodell für die Institution des Königsamtes entdeckt hatten. Für Ägypten kann z.B. an die Vorstellung des königlichen Ka erinnert werden, der am göttlichen Ka des Sonnengottes partizipierte und sich auf Zeit mit einem einzelnen Körper verband. Sein Amt konnte der König so nur aufgrund seiner Ka-Haftigkeit ausüben: „Durch sie wird er befähigt, die kosmische und staatliche Ordnung, das Wohlergehen des Landes und die Existenz des Einzelnen im irdischen Bereich zu garantieren. Die erhaltende und zeugende Kraft wirkt in der Welt, solange sie mit ihrem Träger verbunden ist“58. Für die Wirkungskraft des Ka war die Person des Königs unabdingbar. Hinweisen kann man ferner z.B. auf die in Ägypten breit belegte Vorstellung der göttlichen Zeugung des Königs59 oder seine Investitur. Auch in Mesopotamien war der König in seiner Amtsfunktion mehr als ein normaler Mensch. „Durch göttliche Legitimation und der [sic] Verleihung des göttlichen Königtums wurden die Könige über die normale Menschennatur hinausgehoben, sie blieben
52 53 54 55 56 57 58 59
Albertz, Religionsgeschichte, 177. Zu weiteren inhaltlichen Aspekten der Königsvorstellung in Juda vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 34f. Vgl. Kantorowicz, The King’s Two Bodies und dazu schon Loretz, Theologie, 388f. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 73ff. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 22 und ebd. 6. Für die Einzelheiten, die hier nicht erneut nachgezeichnet werden müssen, vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 23ff. Schweitzer, Das Wesen des Ka, 41. Vgl. dazu Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 25f.
22
Einleitung
aber auch als göttlicher König stets Mensch“60. Mythisch könne der König als ein „Sondergeschöpf“61 betrachtet werden. Das zeige sich bezogen auf Mesopotamien z.B. im Mythos VAT 17019, wonach der König als māliku amēlu „König-Mensch“ von der Göttin Bēlet-ilī geschaffen wurde62. Im Königtum verbinden sich somit „menschliche und transpersonale Aspekte“63. Letztlich geht es dabei um die Stabilität und Kontinuität des Königtums, das dazu bestimmt war, die göttliche Weltordnung dauerhaft zu bewahren und durchzusetzen. Bezogen auf den westsemitischen Bereich spielen für Kühn folgende Aspekte eine wichtige Rolle64: Die Frage nach der Legitimation des Königtums durch göttliche Erwählung / Berufung / Zeugung oder Erschaffung bzw. durch die dynastische Erbfolge oder eine Bezugnahme auf die verstorbenen Amtsvorgänger oder den Begründer der jeweiligen Dynastie. Wichtige weitere Parameter für die Sichtung und Analyse der Quellen sind die Investitur bzw. Inthronisation der Könige, ihre Beziehung zu den jeweiligen Göttern des Königtums, ferner die rechtlichen, kultischen und militärischen Funktionen der Könige, Maßnahmen zur Sicherung des Königtums in Krisenzeiten und schließlich die Frage nach der Bewahrung des Königtums nach dem Tode des Königs und nach den Vorgehensweisen zu seiner Verewigung als dynastischem Repräsentanten des body politic. Insbesondere die dynastische Kontinuität (vgl. 2Sam 7) wird vor allem im Südreich zum Garanten für den Erhalt des body politic, wogegen im Nordreich die häufig gewaltsamen Dynastiewechsel mit der Ausrottung der bisherigen Königsfamilie und damit der Zerstörung des body politic verbunden waren. Aber auch das unmittelbar mit dem Königtum verbundene Thema der Gerechtigkeit (vgl. Ps 45; Ps 72) und die besondere Ausstattung des Königs durch Insignien und Regalien (Thron, Krone, Diadem, Szepter, Waffen des Königs, königlicher Schreckensglanz) werden immer wieder, vor allem in den Königspsalmen, thematisiert. Die Doppelnatur des Königs setzt auch das deuteronomistische Geschichtswerk voraus, betont es doch die stete Angewiesenheit der Könige auf JHWH, der sie wie im Falle Sauls und Davids erwählt. Andererseits kommen auch die Fehlbarkeit, Schwäche und das Scheitern (body natural) der Könige zum Ausdruck, was sich vor allem an der Frage der Kultuseinheit und Kultusreinheit zeigt.
In besonderer Weise wird im Rahmen des Alten Testaments die Bedeutung des Königs in Ps 45 reflektiert, wobei auffällt, dass in der Diskussion bislang meist nur einige Verse des Psalms für diese Frage ausgewertet werden65. Erst neuere Untersuchungen66 wenden sich der Gesamtkomposition 60 61 62 63 64 65 66
Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 69. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 70, vgl. ebd. 49. Vgl. dazu unten S. 91f. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 70. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 71. Eine Ausnahme bildet die frühe Studie von Mulder, Studies. Vgl. dazu u.a. Saur, Königspsalmen; ders., Der gerechte König; Salo, Königsideologie; Lim, Königskritik; Kremser, Hochzeit; R. Müller, Schönheit.
Einleitung
23
und dem inneren Zusammenhang des Psalms zu, die für die Frage der Beurteilung der Einheitlichkeit des Psalms entscheidend sind. Dieser Aufgabe wollen wir uns im Folgenden ebenfalls stellen. Wichtig ist darüber hinaus, dass Ps 45 nicht nur den „idealen König“67 preist, sondern eine weitere Akteurin hinzutritt, seine Gemahlin, der eigene Rollen im Rahmen des Königtums zugeschrieben werden, durch die sie gegenüber der Hofgesellschaft herausgehoben wird. Der erste Teil der Untersuchung wendet sich dem Text und der Gestalt von Ps 45 zu. Hier werden u.a. die vielen Vorschläge zur „Textverbesserung“ durch Konjekturen dokumentiert, die die Diskussion lange beherrscht und die Interpretation des Psalms eher erschwert haben. Das Hauptaugenmerk wird anschließend auf die motiv- und traditionsgeschichtliche Analyse gerichtet, um die verschiedenen Facetten des Königtums und deren innere Zusammenhänge unter Berücksichtigung altorientalischer Text- und Bildquellen aufzuzeigen (Zweiter Teil). Im Anschluss an die Analyse von Ps 45 werden dann auch ikonographische Quellen (Dritter Teil) für die Interpretation des Psalms fruchtbar gemacht. In den bisherigen Analysen von Ps 45 ist gerade dieser Aspekt der Interpretation kaum berücksichtigt worden. Das verwundert, haben doch die ikonographischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte – beginnend bei Untersuchungen aus der Keel-Schule68 und fortgesetzt z.B. durch die Monographie von R. Schmitt69 – vielfach gezeigt, „daß Bild und Text ein komplexes elaboriertes und zusammenhängendes Symbolsystem bilden, das Herrschaft ausdrückt und kommuniziert“70. Bei der ikonographischen Analyse wird daher insbesondere nach den thematischen Verbindungslinien zwischen Ps 45 und ikonographischen Quellen aus dem Bereich der levantinischen Kulturen zu fragen sein, die zur Erhellung des in Ps 45 entwickelten Bildprogramms beitragen können. Gerade „Bilder können helfen, die in den Texten enthaltenen Konstellationen zu erkennen“71, was sich auch für Ps 45 zeigen wird. Und wo solche Konstellationen erkannt sind, ergibt sich u.U. auch eine neue Idee für die innere 67 68 69 70 71
Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 163. Vgl. dazu u.a. Keel, AOBPs; ders., „Bibel und Ikonographie“; Schroer, Bilder; Uehlinger, Image; Keel / Uehlinger, GGG, 13f und passim. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, passim. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 35, vgl. Janowski, Spiritualität, 56; ders., Wohnung, 26ff zum Terminus „religiöses Symbolsystem“. Keel, „Bibel und Ikonographie“, 147; vgl. Riede, Im Netz, 19; de Hulster, Art. Ikonographische Exegese.
24
Einleitung
Logik des Psalms, was Auswirkungen hat auf die Frage nach der Einheitlichkeit. Insofern ist es angebracht, nach der Untersuchung ikonographischer Zeugnisse die Frage nach der Einheitlichkeit und der Gattung noch einmal aufzunehmen (Vierter Teil). Daran schließen sich redaktionsgeschichtliche Beobachtungen an, die versuchen, die Bedeutung von Ps 45 im Rahmen der Korachpsalmen aufzuzeigen (Fünfter Teil) und die Frage zu beantworten, warum dieser Text in die nachexilische Psalmensammlung aufgenommen wurde, obwohl das Königtum längst untergegangen war. Der alt- und neutestamentlichen Rezeptionsgeschichte ist der sechste Teil der Arbeit gewidmet. Hier steht die Frage nach Transformationen des in Ps 45 entwickelten Königsbildes in nachköniglicher Zeit im Zentrum des Interesses, aber auch dessen Bedeutung für die Ausformulierung christologischer Aussagen im Neuen Testament, insbesondere im Hebräerbrief. Auch wenn die Rezeption von Ps 45 im Neuen Testament sich auf wenige Stellen beschränkt72, haben gerade die Aussagen, die vom König als „Gott“ sprechen, bis heute eine immense Bedeutung für die christliche Dogmatik. Der Schluss resümiert die einzelnen Ergebnisse. Hier ist dann auch der Ort um die Ausgangsfrage nach dem besonderen Verhältnis zwischen Gott und König noch einmal aufzunehmen73. Zunächst aber sei der Blick auf den Text und die Gestalt von Ps 45 gerichtet.
72 73
Vgl. dazu unten S. 344 mit Anm. 159. Vgl. dazu auch Adam, Held, 6f.
Erster Teil: Text und Gestalt
A) Text und Übersetzung I. Der Text 1. Sprachliche und textkritische Bemerkungen Vor allem in der älteren Psalmenliteratur wird der Text von Psalm 45, z.T. unter Berufung auf metrische Gründe1, vielen willkürlichen Änderungen unterzogen, die keinerlei Anhalt an der Textüberlieferung haben und daher abzulehnen sind. Diese Änderungen resultieren aus der Annahme, der Textbestand von Psalm 45 sei „arg geschädigt, daher vielfach dunkel und missverständlich“2, er “weise „(t)extliche Beeinträchtigungen“3 auf, die „eine genaue Rekonstruktion der Strophen und Zeilen im mittleren Bereich (3–16)“4 unmöglich machen würden5, wie K. Seybold in seinem Psalmenkommentar noch 1985 konstatiert6. Einzelne Teile des Psalms seien „offenbar lädiert“7 oder „im einzelnen schwer auflösbar“8. „Bisweilen“, so H.-J. Kraus, würden „nur Konjekturen weiter(helfen)“9. „Eine wörtliche 1 2 3 4 5 6
7 8 9
Vgl. Kraus, BK XV/1, 488; Schildenberger, Textkritik, 31ff; ders., Königspsalm, 129f. Graetz, Psalmen, 317. Seybold, HAT I/15, 185, vgl. ähnlich Deissler, Psalmen, 184, der konstatiert: „Die Wortfolge ist an einigen Stellen in Unordnung.“ Seybold, HAT I/15, 185. Vgl. dazu auch Kraus, BK XV/1, 488; Gerstenberger, Psalms I, 188. Vgl. Seybold, HAT I/15, 185. In seiner „Poetik der Psalmen“ bewertet Seybold die Überlieferung von Ps 45 anders: Hier spricht er mit Verweis auf Psalm 45 von „sehr erlesener Phraseologie und Diktion“ (ebd. 58, vgl. 97). Seybold, HAT I/15, 186 zu V. 5b–6. Seybold, HAT I/15, 187f zu V. 14f. Kraus, BK XV/1, 488.
26
Erster Teil: Text und Gestalt
Übersetzung, die sich bedenkenlos an M anlehnt“, habe „wenig Aussichten auf eine sinngemäße Erfassung des Liedes“10. A.S. van der Woude dagegen rechnet in V. 13, 14 und 16 mit Randglossen, die „bei der Exegese und in den Übersetzungen aus dem Text ausgeschieden werden“11 müssen. Danach ergebe „sich auf einmal ein untadeliger Konsonantentext, den wir nirgends zu verbessern haben“12. Natürlich wirken sich derartige Eingriffe in den überlieferten Text massiv auf das Gesamtverständnis des Psalms aus. Daher soll im Folgenden auf die fraglichen Partien des Textes und die verschiedenen, in den Kommentaren und dem textkritischen Apparat der BHS dokumentierten Vorschläge zur Textverbesserung eingegangen werden, um dem überlieferten hebräischen Text möglichst nahe zu kommen und auch den Stellen Sinn abzugewinnen, die „nicht … klar und leicht verständlich“13 sind. Zudem sollen grammatikalische und sprachliche Erläuterungen das Textverständnis und die darauf basierende Übersetzung unterstützen. V. 1 שׁשַׁ נים LXX liest stattdessen: „ שׁשּׁנִּ יםüber die, die verändert, umgestimmt werden“14. Eine Textänderung aufgrund dieser Variante ist nicht geboten. יְ ִּדידת LXX und σˈ lesen den Singular יְ ִּדידּותbzw. יְ ִּדידֻת. αˈ hat προσφιλίας. Die von MT überlieferte Form, die als lectio difficilior anzusehen ist, ist ein Amplifikativplural (vgl. GK 124 e), der „eine Intensivierung des Stammbegriffs“15 bedeutet.
10 11 12 13
14 15
Kraus, BK XV/1, 488. Van der Woude, Interpretationsversuch, 112. Van der Woude, Interpretationsversuch, 113. Weber, Werkbuch I, 209, vgl. auch die textkritischen Beobachtungen von Kremser, Hochzeit, 44ff, der sich auf die Anmerkungen der BHS und der Septuaginta Deutsch beschränkt. Zur Überlieferung der LXX vgl. auch Böhler, Psalmen 1– 50, 830f, zum Targum ebd. 831f. Seybold, HAT I/15, 185, vgl. Thalhofer, Psalmen, 277. GK 124 e.
Erster Teil: Text und Gestalt
27
V. 2 ָרחַ שׁ Das Verb bedeutet im Q. „bewegt sein, überwallen“16. Das Pf. bezeichnet eine gegenwärtige Handlung17. דָ בָ ר טֹוב F. Baethgen faßt den Ausdruck als acc. causae (GK 118 l, vgl. auch 117 z) und sieht darin die „festliche Gelegenheit, welche zu dem Gedichte den Anlass gegeben hat“18 umschrieben. אמֵ ר אָ נִּ י Das Partizip wird zum Ausdruck der Gegenwart verwendet (GK 116 n)19. Zur Konstruktion von אמרmit dem Akk. vgl. Ps 40,11; Jer 14,17. מַ עֲשַׂ י מַ עֲשַׂ יist vermutlich als Intensivplural anzusehen20: „Mein (viel und Großes enthaltendes) Werk“ (vgl. GK 124 e)21. Eine Textänderung ist nicht geboten22. Das Wort ist Objekt23 zu אמֵ ר אָ נִּ י. לְ מלך Es liegt ein Lamed illocutionis vor24. Andere, z.B. M. Dahood25, deuten das Lamed als Vokativ-Lamed und übersetzen: „o König“. Dieser Deutungsvorschlag scheint wenig stichhaltig, da in V. 2 keine direkte Anrede des Königs und auch kein Imperativ vorliegt. Auffallend ist, dass wie in
16 17 18 19 20 21
22 23 24 25
Vgl. GB18, 1238. Vgl. D. Michel, Tempora, § 35. Baethgen, HK II/2, 127. Vgl. Gunkel, HK II/2, 193. Vgl. Schildenberger, Textkritik, 32. Böhler, Psalmen 1–50, 816 übersetzt: „Meine Poesien“. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 335; Seybold, Poetik, 20 Anm. 1; anders Hitzig, Psalmen 1, 248. Kittel, KAT XIII, 171 sieht in מַ עֲשַׂ יeine archaische Form analog zu = שַׂ דַ י שַׂ דה. Hupfeld, Psalmen 2, 358 hält die Form für einen Sg. Anders Duhm, KHK XIV, 186; Gunkel, HK II/2, 193; H. Schmidt, HAT I/15, 85. Vgl. Baethgen, HK II/2, 127. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 140 (Nr. 6174). Vgl. Dahood, AB 16, 271; ders., Vocative Lamed, 305 und die grundsätzliche Kritik von Miller, Vocative Lamed, 637.
28
Erster Teil: Text und Gestalt
Ps 21,2; 72,1 der Artikel fehlt26. Entweder, so F. Delitzsch, werde „ מלךeigennamenartig“27 gebraucht, oder der Artikel fehlt, „weil die Person vor ihrer Würde zurücktritt“28. LXX stützt im Übrigen die Lesart von MT. מָ הִּ יר Das von der Wurzel מהר2 abgeleitete Adjektiv bedeutet „geschickt, bewandert, erfahren“29. V. 3 ָיָפְ יָפִּ ית Die reduplizierte Form mit der nur an dieser Stelle vorkommenden „Verdoppelung der beiden ersten Stammbuchstaben“30 setzt entweder eine Dittographie voraus31, so dass ursprüngliches ָ יָפיתanzunehmen ist (vgl. auch GK 55 e)32, oder es ist stattdessen ָ„( יֳפִּ י יָפיתLieblicher bist du an Schönheit“: so LXX, αˈ, σ' und Hier)33 bzw. ָ יָפֹו יָפיתzu lesen34. Der Inf. Abs. steht dann zur Verstärkung35. Die letztgenannte Lesart wird im Folgenden vorausgesetzt36. ּבְ ְשׂפְ תֹותיך Es liegt ein Beth lokale vor37 (vgl. ähnlich Mal 2,6; Ps 59,8; Spr 10,13). 26 27 28 29 30
31 32 33 34
35
36
37
Vgl. Olshausen, KEH 14, 200; Hirsch, Psalmen 1, 216. Delitzsch, BC IV/1, 335. Delitzsch, BC IV/1, 335, vgl. Hitzig, Psalmen 1, 248. Vgl. GB18, 637; Willi, Juda, 106 Anm. 163. Hengstenberg, Psalmen 2, 413, vgl. Hupfeld, Psalmen, 2, 359; Dahood, AB 16, 271 urteilt dagegen: „The curious form … may be a genuine dialectal form“, vgl. dazu auch Salo, Königsideologie, 151 Anm. 4. Vgl. Kittel, KAT XIII, 171. Vgl. Olshausen, KEH 14, 200. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 335; Keßler, KK VI/1, 97. Vgl. GB18, 478; GK 55 e; Duhm KHK XIV, 186; Gunkel, HK II/2, 193; H. Schmidt, HAT I/15, 85; Kraus, BK XV/1, 486; D. Michel, Tempora, 225; anders de Wette, Psalmen, 339. Zur Diskussion s. auch Trotter, The genre, 38. Vgl. Baethgen, HK II/2, 127; Keßler, KK VI/1, 97. Zur Diskussion vgl. auch Lim, Königskritik, 144f. Mulder, Psalm 45, 4f plädiert für eine Beibehaltung des Textes. Joüon / Muraoka, Grammar, § 59d verstehen die Form dagegen als peʿalʿal. Dies führt zur Übersetzung: „Du bist schöner (als irgendwer)“, vgl. Kremser, Hochzeit, 121; R. Müller, Schönheit, 13 Anm. 3; Saleska, Psalms 1–50, 677. Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 193 (Nr. 2283).
Erster Teil: Text und Gestalt
29
עַל־כֵן Das Wort leitet den Erkenntnisgrund ein38: „darum erkenne ich, dass Gott dich gesegnet hat“39. An der Schönheit erkennt der Dichter den Segen Gottes: „Man sieht es dem Könige an seiner äußeren Erscheinung sofort an, daß er Gottes Gesegneter und zwar ewig Gesegneter ist“40. אֱֹלהִּ ים Vermutlich ist wie in V. 8 ein ursprüngliches יְהוָהvorauszusetzen41. לְ עֹולָם Die Präposition ist als Lamed adverbiale zu bestimmen42. V. 4 עַל־י ֵָרך LXX σ' S T ergänzen das Suffix der 2. Sg.43. Dies stellt eine Texterleichterung dar44.
38
39
40
41 42 43 44
Vgl. König, Syntax, 538: „conclusio cognoscendi“; Baethgen, HK II/2, 127; Delitzsch, BC IV/1, 336; Hitzig, Psalmen 1, 249; Hengstenberg, Psalmen 2, 413; Kittel, KAT XIII, 174; Keßler, KK VI/1, 97; H. Schmidt, HAT I/15, 85; Kremser, Hochzeit, 276, vgl. auch GB17 35lb: עַל־כֵןsteht „von dem, was sich erschließen läßt“ und Chr. Rösel, Redaktion, 130 Anm. 224; anders Hirsch, Psalmen 1, 216f. Vgl. Seybold, HAT I/15, 186: „darum (darf man sagen): dich hat Gott gesegnet für alle Zeit“. Seybold interpretiert den עַל־כֵן-Satz als „Ausdruck des Grundes oder der Folge“ (vgl. ähnlich Gunkel, HK II/2, 188.193), vgl. ferner Jenni, Abtönungspartikel, 119.121. Für Böhler, Psalmen 1–50, 824 hat „der Segen … einer schon vorhandenen Gabe Dauer und göttlichen Glanz verliehen“. Delitzsch, BC IV/1, 336. Ebenso D. Michel, Tempora, 225: „Der Segen ist … sachlich nicht die Folge, sondern der Grund der Schönheit des Königs“, vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 240 Anm. 171; Saleska, Psalms 1–50, 678. anders R. Müller, Schönheit, 13. Wenn der Segen die Folge wäre, müsste ein Imperfekt stehen. Demgegenüber drückt das Perfekt ein Faktum aus. Zur Diskussion des עַל־כֵן-Satzes vgl. auch Lim, Königskritik, 149–152. Vgl. Salo, Königsideologie, 153 und zum Problem ausführlich unten S. 39 Anm. 128. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 274 (Nr. 8911). So auch Gunkel, HK II/2, 194; Graetz, Psalmen, 319. Vgl. Dahood, AB 16, 271.
30
Erster Teil: Text und Gestalt
גִּ ּבֹור M. Dahood45 liest stattdessen den Imperativ ;גְ בַ רso erhält er eine Parallelformulierung zu חֲגֹור. הֹוד ׇך וְ הֲדָ ְרך ְ Die beiden Nomina sind ebenso wie חַ ְרּבְ ךObjekte46 zu חֲגֹור, nicht aber Apposition47 zu חרב. Eine Umstellung der Worte an den Anfang von V. 548 ist nicht geraten. V. 5 ַוהֲדָ ְרך MT beginnt V. 5 mit dem Wort, mit dem V. 4 schließt. LXX liest ἒντεινον „und spanne“ [den Bogen]. F. Delitzsch hält das Wort für eine Dittographie49, versucht aber dennoch dem überlieferten Text einen Sinn abzugewinnen. Demnach erscheine das Nomen als Akkusativ der näheren Bestimmung zu צְ ַלח. Die daraus resultierende Übersetzung lautet: „und in deiner Majestät dringe durch“50. Auch S. Hirsch behält den Text bei und übersetzt: „Aber dein wahrer Schmuck ist: Greife durch …“51. G.W. Hengstenberg52 bleibt ebenfalls beim überlieferten masoretischen Text. Er sieht „deine Herrlichkeit“ „nachdrücklich wiederholt, um darauf hinzuweisen, dass sie es ist, welche die sichere Bürgschaft eines glücklichen Erfolges gewährt. Man kann das Wort entweder als Nom. absol. nehmen: und deine Herr45 46 47 48 49
50 51 52
Vgl. Dahood, AB 16, 271. So auch Delitzsch BC IV/1, 336; H. Schmidt, HAT I/15, 85; Böhler, Psalmen 1– 50, 816. Für Gunkel, HK II/2, 194 steht das abstractum pro concreto. So de Wette, Psalmen, 340, vgl. auch Hengstenberg, Psalmen 2, 414; Hupfeld, Psalmen 2, 360; Keßler, KK VI/1, 97; Böhler, Psalmen 1–50, 816. So Duhm, KHK XIV, 186. Delitzsch, BC IV/1, 336; so auch Kittel, KAT XIII, 171; Hupfeld, Psalmen 2, 360f; Keßler, KK VI/1, 97; Olshausen, Psalmen, 200; Graetz, Psalmen, 319; Gunkel, HK II/2, 194; Schildenberger, Königspsalm, 131 Anm. 2; Mulder, Studies, 5–7; Kraus, BK XV/1, 486; KBL, 962, M. Müller, Herr, 109; Ueberschaer, Ich und mein König, 8, vgl. Seybold, HAT I/15, 128; zu den verschiedenen Änderungsvorschlägen vgl. Lim, Königskritik, 160ff. Delitzsch, BC IV/1, 332, vgl. Böhler, Psalmen 1–50, 815: „Und dein Prunk: Hab Erfolg!“; Saleska, Psalms 1–50, 675: „and with your majesty, advance“. Hirsch, Psalmen 1, 217. Hengstenberg, Psalmen 2, 415.
Erster Teil: Text und Gestalt
31
lichkeit – sey glücklich, fahre hin, oder als Accus.: und nach deiner Herrlichkeit“53. H. Hupfeld54 weist diese These ab und plädiert für eine versehentliche Wiederholung, die aber schon früh aufgetreten sein muss, da die Versionen das Wort voraussetzen. F. Baethgen sieht nicht unbedingt eine Textverderbnis, sondern erwägt, dass hier „die in den Ps 120–134 häufig vorkommende rhetorische Figur der Anadiplosis“55 vorliege. M. Dahood liest „ וְ הַ ְד ֵרך הֲדָ ֵרךconquer completely by your majesty“56. H.-J. Kraus ändert den Text unter Berufung auf den Parallelismus membrorum in „ הַ דר ֲחלָציךschmücke deine Hüften“57. C.F. Whitley58 schließlich geht vom Ausfall eines כaufgrund von aberratio oculi aus und liest: „ דַ ְרכְ ך צְ ַלחdein Weg gelinge“. Zudem hat die Verbindung des Verbs צלחmit dem Nomen דרךmehrere Parallelen, vgl. bes. Gen 24,21 ( צלחhif.) und Jer 12,159. F. Hitzig wiederum nimmt die LXX-Lesart auf und punktiert =( וְ הַ ְד ֵרךImp. hif. von )דרך. דרךhabe hier aber nicht die übliche Bedeutung „(den Bogen) spannen“, sondern „mit Macht auftreten“60 (vgl. zu dieser Bedeutung Ri 5,21, wo Hitzig allerdings statt des Q. eine Hif.-Form des Verbs liest). Dieses Auftreten sei „Ausgangspunkt für “צלח61. Auch wenn man diese Ausführungen nicht teilt, so kommt die Septuaginta-Lesart dem überlieferten Konsonantenbestand des Textes am nächsten62, so dass man für V. 5 von einer durch ַוהֲדָ ְרךV. 4 ausgelösten Fehlpunktation ausgehen kann. Zu lesen wäre dann der Imp. hif. von דרך, wobei das Objekt zu דרךweggelassen ist (Ellipse)63. Zwar wird üblicherweise für die Wendung „den Bogen spannen“ das Q. von דרךverwendet. Doch findet sich mit Jer 9,2 zumindest eine Stelle, an der für diese Wendung ebenfalls das Hif. verwendet wird64.
53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Hengstenberg, Psalmen 2, 415, vgl. Keßler, KK VI/1, 97. Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 360f. Baethgen, HK II/2, 128, vgl. Delitzsch, BC IV/1, 336. Dahood, AB 16, 271; zur Kritik an diesem Vorschlag s. Whitley, Ps 45,5–7, 278. Kraus, BK XV/1, 486, vgl. Seybold, HAT I/15, 185; so auch BHS. Whitley, Ps 45,4–7, 278. Vgl. dazu unten S. 113. Hitzig, Psalmen 1, 249. Hitzig, Psalmen 1, 249. Vgl. Salo, Königsideologie, 151 Anm. 7; R. Müller, Schönheit, 18. Keßler, KK VI/1, 97 spricht sich gegen diese Annahme aus: „eine unmögliche Ellipse“, vgl. ähnlich Böhler, Psalmen 1–50, 816. Ueberschaer, Ich und mein König, 8 hält die oben entwickelte These für unlogisch, da die Reihung der ersten drei Worte durcheinanderkäme, wenn es nun
32
Erster Teil: Text und Gestalt
צְ ַלח ְרכַב Das Wort צלחbedeutet „gelingen, glücken, Erfolg haben“65. M. Dahood sieht ein Hendiadys66. H. Gunkel ändert in: „ ֲחלָציך כ ְַרּבֵ לschlage als Mantel um deine Hüften“67, was aus Gründen des Parallelismus membrorum gut zu V. 4a passen würde, allerdings ohne Anhalt an der Textüberlieferung ist. H. Graetz schlägt vor, eine Form, evtl. das Nif., von חלץzu lesen: „rüste dich“ 68. H. Keßler69 erwägt הַ צְ לַח. Es liegt wie in V. 9 ein Asyndeton vor (GK 120 g). ְרכַב Es kann sowohl das Reiten auf dem Pferd wie das Fahren auf dem Streitwagen gemeint sein70, wobei Letzteres wahrscheinlicher ist71. Objekt von רכבist nach M. Lim72 das Wort der Wahrheit, Demut und Gerechtigkeit, die metaphorisch als Reittier des Königs fungierten73, was wenig wahrscheinlich ist. ַל־דבַ ר ְ ע Zur Bedeutung „um willen, wegen“ vgl. H. Hupfeld74 und Ps 79,9; 2Sam 18,575. K. Seybold schlägt stattdessen vor, „ על־אברauf einem Roß“ zu lesen76, ein Vorschlag, der aber keinerlei Anhalt an der Textüberlieferung hat.
65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
76
hieße: „Schieße, sei erfolgreich, fahre“ (ebd.): „Damit stünde der Wunsch zum Erfolg zwischen zwei konkreten militärischen Handlungen“. Vgl. GB18, 1118. Dahood, AB 16, 271f. Gunkel, HK II/2, 194. Graetz, Psalmen, 319. Keßler, KK VI/1, 97. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 336. Vgl. dazu unten S. 115ff. Lim, Königskritik, 166. Vgl. dazu unten S. 123. Hupfeld, Psalmen 2, 361, vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 416; Delitzsch, BC IV/1, 337; Saleska, Psalms 1–50, 679. Vgl. Keßler, KK VI/1, 97: „der Sinn ist: zum Schutz, zur Förderung der Wahrheit, sachlich zur Förderung der Wahrhaftigen; daß der Gefeierte der berufene u.[nd] willige Vertreter derselben ist, wird dabei vorausgesetzt“. Seybold, HAT I /15, 185. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Jer 8,16.
Erster Teil: Text und Gestalt
33
וְ ַענְ ָוה־צדק Die asyndetische Wendung וענוה־צדקist ungewöhnlich77, wobei auffällt, dass es weder עֲנְ וָה וצדק78 noch ַענְ ַות־צדקheißt. So scheinen ענוהund „ צדקzu einem Begriff verbunden“79. Auch die Vokalisation des Wortes ist ungewöhnlich80. Zu Erklärung der ungewöhnlichen Form gibt es verschiedene Vorschläge81: a) Es handelt sich um eine Mischform aus stat. abs. ( ) ֲע ָנוָהund stat. cstr. ()עַנְ וַת82. Vielleicht liegt somit eine masoretische Kunstform vor. b) עַנְ וָהsei Inf. Q. von „ ָענָהerhören“ mit Femininendung (vgl. GK 45 d)83. c) Der Vorschlag von Kittel, „ ַו ֲענֵה בְ צ׳zeuge fürs Recht“ zu lesen84, ist ebenso abzuweisen wie die Lesung von H. Gunkel, der für „ וְ ַיעַן הַ צדקum der Gerechtigkeit willen“85 plädiert. M. Dahood dagegen spricht sich dafür aus, „ וְ ָענָו הַ צְ דֵ יקdefend the poor“86, als ursprüngliche Lesart anzunehmen.
77
78 79
80 81 82 83 84 85 86
Eine Parallele zur Asyndese findet sich in V. 9 (vgl. Baethgen, HK II/2, 128); Graetz, Psalmen, 319 ergänzt die fehlende Copula unter Verweis auf die griechischen Versionen, ebenso Kraus, BK XV/1, 486. So de Wette, Psalmen, 340. Hirsch, Psalmen 1, 217: „צדק: die Idee des Rechts, dieses soll eigentlich das Herrschende sein, sollte, als die höchste Idee der Ordnung, zugleich das Mächtigste im Menschenkreise bedeuten. Leider ist Recht nur eine Idee, ein Gedanke, und der Gedanke an sich hat keine Macht, ist der größte ענו, steht bescheiden zurück und wartet, bis ihm durch den rechten Menschen die wirksame Vertretung wird. Auch der jüdische König hat das Schwert an der Seite – es ziemt sich, daß der Edelste und Geistvollste auch Macht habe – allein sie ziemt ihm nur, wenn er sie dazu gebraucht, das, was ohne ihn das Machtloseste ist, צדק, zur Geltung zu bringen, alle dem Rechte entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, und Menschen und Verhältnisse in die Bahnen des Rechts zu lenken und zu leiten“ (ebd.). Saur, Königspsalmen geht auf das Problem nicht ein. Zur Diskussion vgl. GB18, 991 s.v. ;עַנְ וָהHAL, 809 s.v.; Böhler, Psalmen 1–50, 817. Vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 416; Hupfeld, Psalmen 2, 361; Baethgen, HK II/2, 128; Gunkel, HK II/2, 194; Kittel, KAT XIII, 171. So Duhm, KHK XIV, 187. Kittel, KAT XIII, 171, vgl. H. Schmidt, HAT I/15, 85. Gunkel, HK II/2, 194. Dahood, AB 16, 272; so auch Augustin, Der schöne Mensch, 155.
34
Erster Teil: Text und Gestalt
d) Vermutlich bildet ענוה־צדקeine Art Nominal-Apposition (vgl. GK 131 c) mit der Bedeutung „Demut, welche Gerechtigkeit ist“ oder ein Nomen compositum „Sanftmut-Gerechtigkeit“, d.h. „Gerechtigkeit, die sich zuerst und hauptsächlich in der Sanftmuth äußert. Die Sanftmuth ist der Kern der Gerechtigkeit“87. Durch die Asyndese wird צדקemphatisch hervorgehoben88. תֹורך ְ ְו Es liegt eine Jussivform vor. H. Duhm89 ändert תֹורך ְ ְ וin הֹודך ְ ְ„ וdeine Pracht“, fügt dahinter das ַוה ְֲד ָרךaus V. 5 ein und setzt statt der Pluralform נֹוראֹות ָ den Singular. Auch dieser Vorschlag ist abzuweisen. Für MT ist die Rechte „die Lehrmeisterin …, welche den Helden im Kampfe unterweist“90. H. Gunkel91 lehnt diese Interpretation ab und schlägt die Lesart „ וְ תַ ְראund sie lasse schauen, zeige“; so entstehe ein Wortspiel mit נֹוראֹות. ָ נֹוראֹות ָ LXX übersetzt mit θαυμαστῶς; diese Übersetzung stellt eine Texterleichterung dar. Der Vorschlag von K. Seybold, „ ותוארך נוראund deine Gestalt − furchtbar“ zu lesen92, hat ebenso keinerlei Anhalt an der Textüberlieferung wie die Übersetzung von A. Deissler93, der V. 5b so wiedergibt: „[Spanne deine Bogensehne] zu Schreckenstaten deiner Rechten“, und dabei von einer Wortverschiebung ausgeht.
87
88 89 90 91 92 93
Hengstenberg, Psalmen 2, 416; Keßler, KK VI/1, 97, vgl. auch Delitzsch, BC IV/1, 337: „Milde und Gerechtigkeit in geschwisterlicher Paarung und wechselseitiger Durchdringung“; s. ferner Augustin, Der schöne Mensch, 155, Saleska, Psalms 1–50, 679. Schildenberger, Königspsalm, 131 Anm. 3 hält צדקfür die „Beischrift eines Schriftgelehrten, der statt ‚Treue‘ ‚Gerechtigkeit‘ lesen wollte, um den Text an Zef 2,3 anzugleichen“. Die Beischrift sei später mit dem Text verbunden worden. Vgl. Baethgen, HK II/2, 128. Duhm, KHK XIV, 187. Baethgen, HK II/2, 128, vgl. schon Hupfeld, Psalmen 2, 362. Gunkel, HK II/2, 194, vgl. Kittel, KAT XIII, 171. Seybold, HAT I/15, 185. Deissler, Psalmen, 183.
Erster Teil: Text und Gestalt
35
V. 6 חִּ ציך ְשׁנּונים Die geschärften Pfeile sind „tödlich für den, welchen sie treffen“94. Eine Umstellung dieser Wendung hinter ( יִּפְ לּוV. 6: „Deine Pfeile sind / seien scharf in der Brust deiner Feinde“)95 stellt eine Texterleichterung dar96. Nach ְשׁנּוניםfügt LXX den Vokativ δυνατέ „o Mächtiger“ ein. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass der hebräische Text ursprünglich den Vokativ הַ גִּ ּבֹורenthalten habe. LXX ist vielmehr als Texterleichterung anzusehen, da hier der Vokativ aus V. 4 lediglich aus Gründen der Vereindeutigung wiederholt wird97. תַ חְ תיך Die Verbindung mit נפלist singulär. V. 6aβ ist insgesamt als Parenthese anzusehen98. Statt der Wendung lesen H. Gunkel und H.-J. Kraus „ יָחֵ תּוmögen Völker erschrecken“99. יִּ פְ לּו H. Kittel zieht das Verb zu V. 6b und übersetzt: „dringen ein in das Herz der Feinde des Königs“100. H. Gunkel und H.-J. Kraus sprechen sich dafür aus, „ יִּ פל לֵבdas Herz möge sinken“101, zu lesen. ּבְ לֵב איְבֵ י הַ מלך „Die harte Ellipse erklärt sich daraus, daß der D.[ichter] die Schlachtscene wie ein Augenzeuge vor sich hat“102. H. Schmidt103 liest, ohne Anhalt an der Textüberlieferung, איביךund streicht הַ מלך. 94 95 96
97 98 99 100 101 102 103
Delitzsch, BC IV/1, 337. So H. Schmidt, HAT I/15, 85; Olshausen, KEH 14, 201. Vgl. auch den Vorschlag von Graetz, Psalmen, 317.319: „Deine Pfeile gespitzt, werfen Völker unter Dir nieder, alle Feinde des Königs“, der ebenfalls abzuweisen ist. Vgl. Salo, Königsideologie, 151 Anm. 8. Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 362; Kraus, BK XV/1, 486; Ueberschaer, Mein König und ich, 16f. Gunkel, HK II/2, 194; Kraus, BK XV/1, 486. Kittel, KAT XIII, 170f. Gunkel, HK II/2, 194; Kraus, BK XV/1, 487. Delitzsch, BC IV/1, 337. H. Schmidt, HAT I/15, 85.
36
Erster Teil: Text und Gestalt
ּבְ לֵב Die Präposition ְ ּבbezeichnet hier den Ort, den die Pfeile treffen104 (Beth locale). Die Wendung ist mit dem ersten Satz des Verses, in dem von den scharfen Pfeilen die Rede ist, zu verbinden105 (vgl. ähnliche Formulierungen in 2Sam 18,14; 2Kön 9,24; Ps 37,15). Der Vorschlag H. Duhms, יִּ פְ לּו ִּמלֵב („es entfalle der Mut“) zu lesen106, ist ohne Anhalt an der Textüberlieferung, ebenso die Änderung von ּבְ לֵבin „ כָלּוes sind vernichtet“107. V. 7 אֱֹלהִּ ים אֱֹלהִּ יםals Vokativ ist auf den König zu beziehen108, der so angeredet wird109. Vielfach wurde aus dogmatischen Gründen Anstoß an dieser Anrede genommen110, zumal Gott ja in V. 3 und V. 8 „nicht mit dem König identifi104 105 106 107 108 109
110
Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 202 (Nr. 2328). Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 362. Duhm, KHK XIV, 187. So Baethgen, HK II/2, 128. Laut GK 126 e ist ein Vokativ auch ohne Artikel möglich. Vgl. schon die alten Versionen (und die Rezeption in Hebr 1,8, vgl. dazu unten S. 344ff) und die Anrede in V. 4 sowie ausführlich Hengstenberg, Psalmen 2, 417ff; Delitzsch, BC IV/1, 338f; Thalhofer, Psalmen, 280; Gunkel, HK II/2, 194; Kittel, KAT XIII, 170.175; Hirsch, Psalmen 1, 218; H. Schmidt, HAT I/15, 86; Saur, Königspsalmen, 121; Salo, Königsideologie, 153f; Augustin, Der schöne Mensch, 156 mit Anm. 499; Day, King, 83 und die Überblicke bei Mulder, Studies, 33ff; Lim, Königskritik, 172ff bzw. Kremser, Hochzeit, 146–163. Zur Problematik vgl. auch Quack, Einflüsse, 32 und Couroyer, Dieu ou roi. Vgl. dazu Kraus, BK XV/1, 487 und den Überblick bei Loretz, Theologie, 382ff. Spieckermann, Heilsgegenwart, 219 Anm. 22, sieht den Gottesnamen אֱֹלהים ִּ (< )יהוה als nachträgliche Einfügung an. Der Psalm solle durch diese Einfügung theokratisiert werden, „weil man in der Spätzeit die Aussage über die ewige Gründung des Thrones, bezogen auf den irdischen König nicht mehr ertrug“ (vgl. ähnlich auch Süssenbach, Psalter, 366 mit Anm. 70; Liwak, Herrscher, 172). Neuerdings wendet sich auch Krusche, Königtum, 259 Anm. 22 dagegen, אֱֹלהים ִּ auf den König zu beziehen, da „[e]ine solche Titulierung … in der Hebräischen Bibel singulär“ wäre (ebd.). Er vermutet stattdessen wie Spieckermann, die Anrede אֱֹלהים ִּ sei sekundär ergänzt worden und „V. 7 statt auf den König nachträglich auf Gott bezogen worden, um erstens die in königsloser Zeit anstößige Aussage vom ewigen Thron eines menschlichen Königs zu vermeiden und zweitens Bezüge zum Kontext … herzustellen“ (ebd.). Hierbei denkt Krusche vor allem an Ps 47,9.
Erster Teil: Text und Gestalt
37
ziert wird“111, sondern über diesem steht. Beliebt ist beispielsweise die Annahme, dass ein ursprüngliches יהיהzu יהוהwurde, das dann in einem zweiten Schritt durch אֱֹלהִּ יםersetzt wurde Als Beispiel dafür sei der Kommentar von H. Duhm angeführt: „ אֱֹלהִּ יםkann weder Vokativ noch Verkürzung für 'כִּ סֵ א א, Thron eines Gottes sein, da der König kein Gott ist und seine Gottähnlichkeit … schwerlich so kurz hätte ausgedrückt werden können. Vielmehr ist אלהיםfür vermeintliches יהוהeingesetzt, das aber יִּהְ יהsein sollte“112. Folgerichtig übersetzt H. Duhm: „Dein Thron wird bestehen immer und ewig“113. J. Olshausen fügt ein הֵ קים/ כֹונֵן/ הֵ כִּ יןhinzu und übersetzt: „deinen Thron hat Gott aufgerichtet“114. H. Keßler löst das Problem literarkritisch: Er hält אֱֹלהִ יםfür einen Einschub, „nicht, weil hier die dem Thron eines bloßen Menschen beigelegten Prädikate zu erhaben erschienen …, sondern weil der religiöse Gebrauch des Liedes u.[nd] die messianische Bezieh[un]g, die man ihm gab, ihn irgendwie empfahlen“115. Zudem sollte der Einschub sicherstellen, dass der davidische Thron „nachdrücklichst als der eigentliche Thron Gottes auf Erden im mess.[ianischen] Sinne“116 gelte. Andere wiederum vermuten, אֱֹלהִ יםsei Nomen rectum einer Constructusform: „dein Thron ist ein Gottesthron“117, so dass „hinter כסאךder stat. 111 112
113 114 115 116 117
Vette, in: Oeming / Vette, NSK.AT 13/2, 31. Duhm, KHK XIV, 187; Kraus, BK XV/1, 487; Whitley, Ps 45,5–7, 281; Mulder, Psalm 45, 38; Chr. Rösel, Redaktion, 130 Anm. 218; Seybold, HAT I/15, 187; Zimmermann, Bräutigam, 88 Anm. 18. Der Gedanke stammt ursprünglich von Bruston, Du texte primitif, 90–92 und wird in jüngster Zeit von Levin, Königsritual, 246 Anm. 83 und R. Müller, Herrschaftslegitimation, 214 Anm. 123 ohne Berücksichtigung der Textgeschichte wieder aufgegriffen (vgl. aber jetzt ders., Schönheit 16 mit Anm. 19). Zum textkritischen Problem vgl. auch North, Aspects, 27ff. Noth, Gott, 225, spricht von einer „völligen Isoliertheit dieser Aussage im ganzen Alten Testament“. Duhm, KHK XIV, 187. Olshausen, KEH 14, 201; anders Keßler, KK VI/1, 97. Keßler, KK VI/1, 98. Keßler, KK VI/1, 100. Vgl. dazu de Wette, Psalmen, 340; Graetz, Psalmen, 319; Hitzig, Psalmen 1, 250; Hupfeld, Psalmen 2, 362 übersetzt „dein Gottesthron“ (so jetzt auch Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 229); Ringgren, Art. אֱֹלהים, ִּ 302: „dein göttlicher Thron“, vgl. auch die Erwägung von Kraus, BK XV/1, 487: „dein Thron ist (wie) der (Thron) Gottes“ (so schon Noth, Gott, 225), der aber letztlich bei der Deutung von אֱֹלהים ִּ als Anrede des Königs festhält. Mulder, Studies, 73ff.80 liest: „Your throne is God‘s“ (so auch Mettinger, King, 264f). Zur Diskussion vgl. auch Becker, Israel, 84f. Auch Böhler, Psalmen 1–50, 815, vgl. 817f entscheidet sich für die Übersetzung „Dein Thron ist der Gottes“.
38
Erster Teil: Text und Gestalt
constr. כִּ סֵ אnochmals zu denken ist“118. Schon H. Gunkel119 wandte sich zu Recht gegen solche Textänderungen120. V. 8 עַל־כֵן Weil der König das Recht liebt, hat Gott ihn gesalbt. עַל־כֵןdrückt hier „die heilvolle Folge eines positiv … zu wertenden Verhaltens“121 aus, wenn man davon ausgeht, dass die Salbung Teil der in Ps 45 beschriebenen Festzeremonie war, was durch den Vergleich mit den Gefährten des Königs naheliegt122. Ähnlich wie bei der Segnung (V. 3) besteht auch zwischen Rechtsliebe und Salbung eine untrennbare Beziehung. משׁח Das Verb ist mit doppeltem Akkusativ konstruiert (vgl. GK 117 ee)123. אֱֹלהִּ ים אֱֹלהיך Die Interpretation des ersten אֱֹלהִּ יםist umstritten. Ist es wie in V. 7 als Vokativ und somit als Anrede an den König zu sehen?124 Oder ist zu übersetzen: es hat dich gesalbt Gott (= JHWH), dein Gott?125 Diese Deutung ist wahrscheinlicher, da aufgrund des Personenwechsels von der 2. P. m. Sg. zur 3. P. m. Sg. „eine explizite Subjektangabe“126 nötig ist. Dann könnte 118 119 120 121
122
123 124 125
126
Baethgen, HK II/2, 128: „Der Thron des Königs heisst ein Gottesthron, sofern ein mit Gott zu vergleichender König auf ihm sitzt“. Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 75. Vgl. auch Saur, Königspsalmen 121 mit Anm. 28. Jenni, Abtönungspartikel, 121, vgl. Saur, Der gerechte König, 127. Anders D. Michel, Tempora, 225: עַל־כֵןgibt den Grund für das, was zuvor gesagt wurde, an. Anders Salo, Königsideologie, 170, die verwundert feststellt: „Es ist auffällig, dass sich der König laut Ps 45,8 schon vor seiner Salbung für die Gerechtigkeit eingesetzt haben soll“. Chr. Rösel, Redaktion, 129 Anm. 216 hält die Form wegen der fehlenden Präposition ְּבfür ungewöhnlich. Vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 420f; Thalhofer, Psalmen, 280; Delitzsch, BC IV/1, 339f. So de Wette, Psalmen, 340f; Baethgen, HK II/2, 129, vgl. Kittel, KAT XIII, 171; Duhm, KHK XIV, 187; Keßler, KK VI/1, 98, vgl. zur Diskussion auch Kremser, Hochzeit, 168f. Salo, Königsideologie, 153; Saur, Der gerechte König, 127.
Erster Teil: Text und Gestalt
39
man diese Stelle mit Ps 43,4; 50,7 u.ö. vergleichen, wo sich eine ähnliche Formulierung findet127. Vermutlich ist das erste אֱֹלהִּ יםvon der Redaktion des elohistischen Psalters für יהוהgesetzt128. H. Graetz sieht in der Wortfolge eine Dittographie129. שׁמן שָׂ שֹׂון Zur Wendung vgl. Jes 61,3130. מֵ חֲבֵ ריך Einige hebräische Handschriften haben den Singular131. H. Gunkel132 nimmt ursprüngliches ְשׂשֹׂונִּ ים ּבְ ָ ָֽח ְרךund rechnet zusätzlich mit einer Vertauschung von משחךund בחרך. Das führt zur Übersetzung: „Drum hat dich ‚Jahve‘, dein Gott, ‚erwählt‘, ‚mit‘ dem Öl ‚der‘ Freuden dich ‚gesalbt‘“. Dem Vorschlag ist nicht zu folgen. H. Graetz133 liest: „ וַיִּ בְ חָ רךEr hat dich vorgezogen, auserwählt“. Anders M. Dahood134, der מֵ חֲבֵ ריךin חברתändert. Die Präposition ִּמןhat hier die Bedeutung „vor“ = „mehr als“, „über etwas hinaus“ ( ִּמןcomparationis).
127 128
129 130 131 132 133 134
Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 364. So auch Chr. Rösel, Redaktion, 129 Anm. 217; Wälchli, Salomo, 169 Anm. 313. Zur Problematik des elohistischen Psalters, auf die hier nicht in extenso eingegangen werden kann, vgl. Millard, Zum Problem; Hossfeld, Der elohistische Psalter, 199ff.204ff; Süssenbach, Der elohistische Psalter, bes. 50ff: Danach ist „die Verwendung der allgemeineren Gattungsbezeichnung Elohim Ausdruck eines theologischen Denkens, das den universellen Machtanspruch des Gottes Israels betont“ (ebd. 56). Eine solche, die Universalität Gottes voraussetzende Tendenz sei kaum vor dem Exil denkbar (ebd. 57f), vgl. auch Salo, Königsideologie, 153. Graetz, Psalmen, 319. Vgl. dazu unten S. 176f. Anders die Versionen. Gunkel, HK II/2, 194. Graetz, Psalmen, 319. Dahood, AB 16, 273f.
40
Erster Teil: Text und Gestalt
V. 9 ּבִּ גְ דתיך... מר Es liegt ein asyndetischer135 Nominalsatz vor136. Die Kleider sind so „durchduftet“137, dass sie scheinbar daraus bestehen (GK 141 d). Aus metrischen Gründen halten H. Gunkel138 und im Anschluss daran H.-J. Kraus139 קציעותfür einen Zusatz: „der Schreiber will wohl das zu seiner Zeit ungebräuchliche אהלותdurch das damals bekanntere oder kostbarere קציעותersetzen“140. H. Graetz hält die Wendung für „corrumpiert“, da der Plural von ּבְ ג ִָּדים ּבגדlaute141. Er übersetzt: „Mit Myrrhe, Aloe und Cassia sind gefüllt deine Gewürzkammern“. הֵ יכְ לֵי שֵׁ ן Häufig wird der Text geändert, weil das Wort „schwerlich“ passe, „da es so klingt, als ob der Ton aus den Palästen zu dem draußen stehenden Könige dringt, während die folgende Szene doch sicherlich im Palast selber spielt“142. Stattdessen liest beispielsweise H. Gunkel „ כְ לֵי שֵׁ ןElfenbeininstrumente“143. ִּמנִּ י ist eine verkürzte Form von ( ִּמנִּ יםvgl. GK 87f und Ps 150,4; GB18, 692)144.
135 136 137 138 139 140 141 142 143 144
Zur Verbindung von drei Worten ohne weiteres וvgl. Kittel, KAT XIII, 171 und Jes 1,13; Koh 7,26, zur Asyndese vgl. auch V. 5. Zur Konstruktion des Satzes vgl. Brockelmann, Syntax, § 14bα. LXX ergänzt καί. Hitzig, Psalmen 1, 251, vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 419. Gunkel, HK II/2, 195. Kraus, BK XV/1, 487. Gunkel, HK II/2, 195. Graetz, Psalmen, 320. Gunkel, HK II/2, 195. Gunkel, HK II/2, 195. So schon de Wette, Psalmen, 341; Hupfeld, Psalmen 2, 364; Gunkel, HK II/2, 195; Delitzsch, BC IV/1, 340; Thalhofer, Psalmen, 281; H. Schmidt, HAT I/15, 85; Kraus, BK XV/1, 487, vgl. Duhm, KHK XIV, 188. Anders Graetz, Psalmen, 320; Kittel, KAT XIII, 171; Olshausen, KEH 14, 202; Hengstenberg, Psalmen 2, 422f, sieht in מניdie Präposition מןmit י-paragogicum (so auch Kremser, Hochzeit, 48, zur Diskussion vgl. ebd. 180ff), was schwerlich zutreffend ist.
Erster Teil: Text und Gestalt
41
V. 10 ּבְ נֹות ְמלָכִּ ים Der Text von V. 10 wird verschiedenen Änderungen unterzogen145. Statt ּבְ נֹות ְמלָכִּ יםschlägt BHS unter Berufung auf S die Lesart ּבַ ת הַ מלךvor146, H. Schmidt147 dagegen will ת־מלָכִּ ים ְ ַ„( ּבTochter von Königen“ als Bezeichnung für die Braut) lesen, wobei er zusätzlich ּבְ יִּקְ רֹותיךin אתך ְ לקְ ָ ָֽרändert148: Das führt zur Übersetzung: „eine Königstochter tritt dir entgegen“ bzw. „die Tochter von Königen“149 (vgl. auch die folgende Anmerkung zu )ּבְ יִּ קְ רֹותיך. Z.T. wird das Verb נצבauch auf die Königstöchter bezogen und darum eine Pluralform angenommen150. נִּצְ בָ ה Es liegt die 3.P. Sg. f. Pf. vor, keine Partizipialform. H.-J. Kraus zieht das Verb zu V. 10a151. ּבְ יִּ קְ רֹותיך Die Form ist abzuleiten von יקרmit Dagesch forte dirimens (GK 20 h)152. Die Präposition בbezeichnet die Zugehörigkeit zu einer Klasse153 oder Menge154: „Unter deinen Teuren“155. H. Duhm ändert den Text und liest: ּבִּ יקָ רֹות נִּצְ בּוund ergänzt „ אֲבָ נִּ יםstehen da in Kleinodien“ 156. H. Baethgen
145 146 147 148 149 150 151 152 153 154
155 156
Vgl. dazu M. Müller, Herr, 109. Vgl. Seybold, HAT I/15, 185. H. Schmidt, HAT I/15, 85; so auch Gunkel, HK II/2, 195; Kraus, BK XV/1, 487; Schildenberger, Königspsalm, 132. So auch Kraus, BK XV/1, 487; zur Problematik dieser Änderungsversuche vgl. Becker, Israel, 86. Vgl. ähnlich auch Gunkel, HK II/2, 195 und die Kritik bei Augustin, Der schöne Mensch, 157. Vgl. Kittel, KAT XIII, 171. Kraus, BK XV/1, 487. Vgl. Baethgen, HK II/2, 129; Delitzsch, BC IV/1, 340; Keßler, KK VI/1, 98. Vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 424. Vgl. dazu Jenni, Präpositionen 1, 283, wobei er Ps 45,10 aus exegetischen Gründen (Textunsicherheit) hier außen vorlässt (vgl. ebd. 49), und Ps 118,7; 54,6; Ri 11,35. Anders schon Kittel, KAT XIII, 171; Hirsch, Psalmen 1, 219 („in deinen Kostbarkeiten“). Keßler, KK VI/1, 98, vgl. M. Müller, Herr, 110. Duhm, KHK XIV, 188.
42
Erster Teil: Text und Gestalt
ändert in „ ּבְ קִּ ירֹותיךin deinen Wänden“157, H. Gunkel158 unter Verweis auf K. Budde159 in אתך ְ „( לִּ קְ ָ ָֽרtritt dir entgegen“). Zur Übersetzung der Wendung siehe die Auslegung. Hitzig übersetzt: „unter deinen Huldinnen“160. ימינְך ִּ ִּל enthält ein Lamed adverbiale161. ּבְ כתם אֹופִּ יר Die Präposition בdeutet E. Jenni als Beth comitantiae162. H. Graetz163 liest: „ ּבְ כתרmit der Ophirkrone“. V. 11 ּבַ ת H. Graetz ergänzt unter Hinweis auf Σ das Suffix 1. Sg.164. ְּור ִּאי H. Gunkel streicht das Wort mtr. cs.165. וְ ִּשׁכְ חִּ י Einige Manuskripte lassen die Copula weg166. Dies stellt eine Texterleichterung dar.
157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
Baethgen, HK II/2, 129; dagegen Keßler, KK VI/1, 98. HK II/2, 195, ebenso Graetz, Psalmen, 320. Budde, Die schönsten Psalmen, 56. Hitzig, Psalmen 1, 251, vgl. ebd. 252. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 259 (Nr. 8133). Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 95 (Nr. 1432), vgl. Kremser, Hochzeit, 186. Graetz, Psalmen, 320. Vgl. Graetz, Psalmen, 320. Gunkel, HK II/2, 195. So auch Gunkel, HK II/2, 195 der in der Aufforderung „Vergiss“ den „Inhalt des zu Hörenden“ sieht und daher das וstreicht.
Erster Teil: Text und Gestalt
43
V. 12 יִּתאׇ ו ְ ְו H. Duhm liest mit LXX statt des Jussivs (vgl. GK 109 h) normales Impf.167 („Es verlangt der König nach deiner Schönheit“), H. Graetz dagegen wImpf.168. Zur Form יִּתאָ ו ְ vgl. GK 75 bb. Das Verb leitet den Vordersatz zum Nachsatz וְ הִּ ְשׁתַ חֲוִּ י־לֹוein. הַ מלך H. Gunkel169 und H.-J. Kraus sehen das Wort als „erläuternde Ergänzung, die metr. cs. auszuscheiden ist“170. כִּ י הּוא אֲדנַיִּ ך Dieser Satz stellt eine Parenthese dar (vgl. ähnlich V. 6)171. אֲדנַיִּ ך Es liegt ein Hoheits- oder Herrschaftsplural vor (GK 124 i). וְ הִּ ְשׁתַ חֲוִּ י־לֹו Es liegt ein Lamed applicationis vor172. Was V. 12b–14 betrifft, so hat für H. Gunkel „[d]er überlieferte Text … eine Fülle von Anstößen“173. H.-J. Kraus urteilt zu V. 12b–14: „Nach Form und Sinngehalt ist der vorliegende Text nicht annehmbar. 12bβ gehört in der Versordnung zu 13 (vgl. G)“174, was zur Übersetzung „Es falle vor dir nieder die Tochter von Tyrus mit Gaben“ führt. Das setzt gleichzeitig die Streichung der Copula bei ּובַ ת־צרvoraus, vgl. dazu die folgende Anmerkung zu ּובַ ת־צר. Dann aber würde die Huldigung durch Tyrus der Königstochter gelten175. Auch H. Graetz plädiert dafür, V. 12bβ zu V. 13 zu ziehen und verweist zugleich auf LXX, die dem Verb im Plural das pluralische 167 168 169 170 171 172 173 174 175
Duhm, KHK XIV, 188. Graetz, Psalmen, 321. Gunkel, HK II/2, 195. Kraus, BK XV/1, 487. Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 368; Baethgen, HK II/2, 129. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 127 (Nr. 5711). Gunkel, HK II/2, 195. Kraus, BK XV/1, 487, vgl. M. Müller, Herr, 110; Ueberschaer, Ich und mein König, 16, der seine Übersetzung nicht näher begründet. Vgl. M. Müller, Herr, 110.
44
Erster Teil: Text und Gestalt
Subjekt „Töchter“ zuordnet. Er kommt so zur Übersetzung „Huldigen werden dir Tyrus‘ Töchter mit Geschenken, anflehen werden dich die Reichsten der Völker mit all ihren Schätzen“176. V. 13 ּובַ ת־צר Die grammatikalische Funktion der Wendung ist umstritten. Einige Ausleger deuten sie als Nomen absolutus, das dem im Plural stehenden Prädikat vorangeht177, was dann als Constructio ad sensum aufgefaßt werden könnte. Dieses Prädikat erhalte im zweiten Teil des Verses ein neues Subjekt. Die hier in den Blick genommene Tochter wäre dann von der in V. 11 genannten unterschieden, so z.B. G.W. Hengstenberg178, H. Ewald179, F. Delitzsch180, H. Baethgen181, H. Gunkel182, S.H. Hirsch183. Mit ּבַ ת־צר sei „die Stadt selbst oder ihre Bewohnerschaft“184 bezeichnet, die mit Huldigungsgaben komme185; Tyrus stehe „repräsentierend an der Spitze“186. Für andere ist „ ּובַ ת־צרpoetischer Ausdruck für tyrische Kaufleute“, so z.B. H. Duhm187 und W.M.L. de Wette188. Beide Annahmen sind aber unwahrscheinlich, da sonst ּבַ תin Ps 45 immer in wörtlichem Sinne und nicht als Ausdruck der Personifikation übertragen auf die Stadt Tyrus oder ihren Bereich gebraucht wird. H. Kittel189 ändert den Text grundsätzlich. Er liest statt ּבַ תdie 3. f. Sg. des Verbs בוא, ּובָ את, und ersetzt צרdurch עִּ יר. So kommt er zur Übersetzung: 176 177 178 179 180 181 182 183 184
185 186 187 188 189
Graetz, Psalmen, 318.321, vgl. mit etwas anderer Akzentuierung Schildenberger, Königspsalm, 132 Anm. 5. Vgl. Keßler, KK VI/1, 100; LXX vereinfacht und liest den Plural. Hengstenberg, Psalmen 2, 427f. Ewald, Psalmen, 91. Delitzsch, BC IV/1, 342. Baethgen, HK II/2, 129. Gunkel, HK II/2, 195. Hirsch, Psalmen 1, 220. Baethgen, HK II/2, 129; Gunkel, HK II/2, 195; Thalhofer, Psalmen, 282; Keßler, KK VI/1, 99, vgl. ähnlich Salo, Königsideologie, 158f, für die Tyrus „die Reichen bei den anderen Völkern“ vertritt. Vgl. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 281. Delitzsch, BC IV/1, 342, vgl. Deissler, Psalmen, 187. Duhm, KHK XIV, 188. De Wette, Psalmen, 342. Kittel, KAT XIII, 172.
Erster Teil: Text und Gestalt
45
„So wird die Stadt mit Gaben kommen“. Ein solch tiefgreifender Eingriff in den Text ist nicht zu rechtfertigen. Auch M. Saur ergänzt ohne jeden Anhalt an der Textüberlieferung und ohne Auseinandersetzung mit dem hebräischen Text „das fehlende Verb“190 „kommen“191. H. Graetz bezieht sich auf Pesch., die das Verb „huldigen“ am Anfang von V. 13 wiederholt; zusammen mit der in LXX überlieferten Lesung „Töchter Tyros“ ergibt sich für ihn die oben bereits zitierte Übersetzung: „Huldigen werden dir Tyrus‘ Töchter mit Geschenken, anflehen werden dich die Reichsten der Völker mit all ihren Schätzen“192. A.S. van der Woude schließlich sieht ּובַ ת־צרals erläuternde Randglosse an, die „das dem Leser sonst nicht recht verständliche ‘ām ‚Volk‘ erklären will“193. ּובַ ת־צרkönnte, und das ist die wahrscheinlichste Interpretation, andererseits auch als Vokativ erklärt werden194 (vgl. schon α' und Hier). Die Copula195 würde sich dann auf die bereits in V. 11 angesprochene Person beziehen, eine Prinzessin aus Tyrus196, von der dann im Folgenden gesagt wird, dass ihr gehuldigt wird. Möglicherweise ist die Kopula ּוauch ganz zu streichen (Dittographie)197. Will man dem nicht folgen, bliebe auch 190 191
192 193 194
195
196 197
Saur, Königspsalmen, 113, vgl. ähnlich Salo, Königsideologie, 152 Anm. 12. Vgl. schon Baethgen, HK II/2, 129; ebenso Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 281; Salo, Königsideologie, 158 mit Anm. 40, vgl. ähnlich auch Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 165. Graetz, Psalmen, 318, vgl. die Textrekonstruktion ebd. 321; s. ferner Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 255. Van der Woude, Interpretationsversuch, 114. So Hitzig, Psalmen 1, 252f; Hupfeld, Psalmen 2, 368; Delitzsch, BC IV/1, 341f; Weiser, ATD 14, 243; Seybold, HAT I/15, 184f, vgl. ebd. 186; Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 229. Anders Baethgen, HK II/2, 129; Gunkel, HK II/2, 19. Kraus, BK XV/1, 492 identifiziert die in V. 11 angesprochene ּ ּבַ תmit der ּבַ ת־צר, sieht diese aber als Subjekt von וְ ִּה ְשׁתַ חֲוִּ יund übersetzt: „Es falle vor dir nieder die Tochter von Tyrus mit Gaben“. Salo, Königsideologie, 158 Anm. 39 hält unter Verweis auf Fitzgerald, Titles, die Annahme eines Vokativs für unhaltbar, da ּובַ ת־צרnicht „Tochter von Tyros“ bedeuten könne, sondern einzig „Tochter Tyros“; anders dagegen dies., ebd. 152 Anm. 12. Zur Übersetzung „Tochter von Tyrus“ siehe aber die Analogformen in Hld 1,5 (;)ּבנות יְרּושָׁ ַל ִּם ְ Ri 21,21 (ְּבנֹות ;)שׁילֹוJes 3,16 () ְּבנֹות צִּ יֹון, wo eine vergleichbare Wendung zwar im Plural erscheínt, aber jeweils eine geographische und ethnische Zugehörigkeit ausdrückt. Zum Vokativ mit וvgl. Spr 8,5; Hi 34,2; Joel 2,23; Jes 44,21; an diesen Stellen ist jeweils ein Vokativ unmittelbar vorangegangen (vgl. Delitzsch, BC IV/1, 342; Baethgen, HK II/2, 129). Hinweisen kann man ferner auf Ps 139,19; Jer 20,12. Dass es keine judäische Königstochter sein kann, ergibt sich bereits aus V. 11. Vgl. H. Schmidt, HAT I/15, 85; Seybold, HAT I/15, 185; Kittel, KAT XIII, 172 sowie BHS.
46
Erster Teil: Text und Gestalt
die Übersetzung: „Und was die Tochter von Tyrus anbelangt – mit Gabe werden dir schmeicheln die Reichen des Volkes“198. Die Deutung als Vokativ entspricht der Textüberlieferung am ehesten, zeigt sie doch die besondere Stellung der Königstochter an: Sie hat sich dem König zu unterwerfen, sie steht aber zugleich über den Reichen des Volkes, die ihr huldigen. Zwar könnte man meinen, dass mit der zweiten Anrede, die auf Tyrus Bezug nimmt, die Aufforderung in V. 11 gerade nicht umgesetzt wird, wird hier doch noch einmal auf die Herkunft und Abstammung der Königin Bezug genommen. Doch durch die Huldigung der Reichsten des Volkes wird sie geradezu in ihrer neuen Rolle vom neuen Volk anerkannt und so in dieses aufgenommen199, so dass auch dadurch die Ablösung aus dem bisherigen Status umgesetzt wird und der Statuswechsel vollzogen wird. ּבְ ִּמנְחָ ה Das Wort ist für H. Schmidt „ein den Vers überfüllender, überflüssiger Zusatz“200, der zu streichen ist. Dieser Annahme ist nicht zu folgen. Das Beth ist als Beth comitantiae zu bestimmen201. חלה פנים Zur Bedeutung der Wendung vgl. die Einzelexegese. ע ֲִּשׁ ֵירי עַם Mit der Wendung sind die Reichen des Volkes202, nicht die der Völker (so aber T und unter Berufung auf T H.-J. Kraus203) gemeint204. Einige LXXHandschriften lesen „Volk des Landes“.
198 199
200 201 202 203 204
So Baethgen, HK II/2, 129. Nicht umsonst wird in V. 11 und in V. 13 vom Volk gesprochen, aber in jeweils unterschiedlicher Ausrichtung: Einmal ist das bisherige Volk gemeint, in V. 13 das neue Volk, zu dem die Königin durch ihre Heirat gehört. H. Schmidt, HAT I/15, 85. Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 95 (Nr. 1437). Anders Kremser, Hochzeit, 204: Beth instrumenti. Vgl. GB18, 1024: „die Reichsten im Volk“; s. zur Wendung ferner GK 132 c; 133 g. Kraus, BK XV/1, 487; so auch schon Gunkel, HK II/2, 196 und jetzt Böhler, Psalmen 1–50, 818. De Wette, Psalmen, 342 sowie Hengstenberg, Psalmen 2, 428 denken an das Volk von Tyrus.
Erster Teil: Text und Gestalt
47
V. 14 H. Gunkel hält V. 14 für „[g]anz schlimm“ 205 verderbt. Er ordnet daher den Text von V. 12b–14 neu und übersetzt, z.T. unter Umstellung einiger Worte: „So falle vor dir nieder die Tochter Tyrus mit Geschenken, es huldigen dir alle reichsten der Völker, ehren dich mit Korallen, in Gold gefaßt“206 (vgl. zum Einzelnen im Folgenden). כָל־כְ בּודָ ה B. Duhm zieht die Wendung an den Schluss von V. 13 und übersetzt: Die Reichsten des Volkes mit allem Kostbaren“207. H. Schmidt208 liest יְ כַּבְ דּוך „sie ehren dich“, vgl. ebenso H. Gunkel209. M. Müller denkt an eine „Ehrengabe“210 im Sinne einer Mitgift. A.S. van der Woude liest כְ בודָ ה, was er mit „ihre Ehrengaben“211 übersetzt. ּבַ ת־מלך H. Gunkel212 und H.-J. Kraus halten die Wendung für „eine erklärende Ergänzung, die das Versgefüge zerreißt“213. H. Graetz sieht in der Königstochter eine andere Person als die שֵׁ גַל: „Jene wird dieser zur Huldigung zugeführt“214. פְ נִּ ימָ ה Das Wort bedeutet „innerwärts, im Innern“ (vgl. GK 90)215. Gemeint ist wohl „im Inneren des Palastes“216. 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216
Gunkel, HK II/2, 195. Gunkel, HK II/2, 189, vgl. dazu die Auslegung ebd. 195f und ebenso Augustin, Der schöne Mensch, 158. Duhm, KHK XIV, 189. Zur Form כְ בּודָ הstatt des korrekten כְ בֻדָ הvgl. ebd. H. Schmidt, HAT I/15, 85. Gunkel, HK II/2, 196. M. Müller, Herr, 112. Van der Woude, Interpretationsversuch, 115. Gunkel, HK II/2, 196, vgl. van der Woude, Interpretationsversuch, 114; Schildenberger, Königspsalm, 132 Anm. 6. Kraus, BK XV/1, 487, vgl. auch M. Müller, Herr, 111, die ּבַ תfür eine Randglosse hält. Graetz, Psalmen, 322. Vgl. Hirsch, Psalmen 1, 220. Hengstenberg, Psalmen 2, 429; de Wette, Psalmen, 342: Baethgen, HK II/2, 130. Delitzsch, BC IV/1, 342 deutet die Wendung auf das Gemach der Königin. Van der Woude, Interpretationsversuch, 115 hält das Wort für eine erläuternde Glosse.
48
Erster Teil: Text und Gestalt
Häufig wird stattdessen ohne Anhalt an der Textüberlieferung „ פְ נִּ ינִּיםKorallen“217 bzw. der Sg. dieses Wortes218 gelesen. Diese Vorschläge vereinfachen den Text. Auffallend ist, dass LXX Cod. Vat und Sin für פְ נִּ ימָ הdas Wort Εσεβων lesen. ִּמ ִּמ ְשּׁבְ צֹות B. Duhm liest stattdessen ּבְ ִּמ ְשּׁבְ צֹותund versteht darunter die „Einfassung der Korallen oder Perlen“219. H. Gunkel und H.-J. Kraus schlagen vor, ְמשֻׁ ּבְ צֹותzu lesen220. Das würde, bezogen auf die Korallen ergeben, dass diese in Gold gefasst sind, und zu folgender Übersetzung führen: „Korallen, gefaßt in Gold“221. H. Schmidt greift gravierender in den Text ein und übersetzt222: „Sie alle ehren dich ()יְ כַּבְ דּוך, Königstochter, mit Korallengeschmeide ()פְ נִּ ינִּים, geschmiedet ()משֻׁ ּבְ צֹות ְ in Gold“. – Die Präposition ִּמןhat partitive Bedeutung (Min partitivum223). לְ בּושָׁ ה „ihr Gewand“. H. Gunkel und H. Schmidt lesen den Plural224. Die sich daraus ergebende Übersetzung lautet: „sie [die Jungfrauen] sind gekleidet in bunte Gewänder“ (vgl. dazu auch LXX σ' und Hier). H.-J. Kraus tilgt das Mappik225 und übersetzt: „Sie ist bekleidet“. V. 15f Für „[e]benso verderbt“226 wie V. 14 hält H. Gunkel die Verse 15f. Hauptgrund für diese These ist auch hier das Versmaß und die Beobachtung, dass 217
218 219 220 221 222 223 224 225 226
So der Vorschlag von Seybold, HAT I/15, 185, vgl. schon Graetz, Psalmen, 322; Gunkel, HK II/2, 196; H. Schmidt, HAT I/15, 85; Kittel, KAT XIII, 172; Kraus, BK XV/1, 487; Augustin, Der schöne Mensch, 159. So Duhm, KHK XIV, 189, vgl. M. Müller, Herr, 112. Duhm, KHK XIV, 189; ebenso Graetz, Psalmen, 322, der übersetzt: „in goldenen Einfassungen ist ihr Gewand“. Gunkel, HK II/2, 196; Kraus, BK XV/1, 487, vgl. H. Schmidt, HAT I/15, 85. Kraus, BK XV/1, 486f. H. Schmidt, HAT I/15, 84f. Vgl. Jenni, Die Präposition min, 289f. Gunkel, HK II/2, 196; H. Schmidt, HAT I/15, 85, vgl. Seybold, HAT I/15, 187. Kraus, BK XV/1, 487. Gunkel, HK II/2, 196, vgl. Schildberger, Königspsalm, 133, der die Verse als überfüllt ansieht und folgenden ursprünglichen Textbestand rekonstruiert:
Erster Teil: Text und Gestalt
49
die Verben יבלund בואin V. 15 und V. 16 wiederholt werden. Der Text könne nicht erneut „vom Schmuck der Königstochter“ sprechen; er handle vielmehr „von den brautführenden Jungfraun“, die „die bescheidenere Tracht der “רקמות227 tragen. Diese Erwägungen führen zur Übersetzung: „Gekleidet in bunte Gewänder sind die Jungfraun hinter ihr, ihre Gespielinnen, die sie zum Könige bringen, sie geleiten mit Jauchzen und Jubeln in den Palast“. לִּ ְרקָ מֹות Die Präposition ist als Lamed modi zu deuten228. Das Wort ist noch zu V. 14 zu ziehen (so auch LXX, anders MT: „in Buntgewirktem wird sie gebracht zum König“229). לַמלך Die Präposition ist als Lamed dativum zu bestimmen230. Interessanterweise findet sich hier anders als in V. 2 der Artikel. H. Graetz ändert in „ ַל ֻמלֵךdir entgegen“231. ֵָרעֹותיה Das Wort ist Apposition zu ּבְ תּולֹות. מּובָ אֹות Wörtlich: „zu dir gebracht“. H. Schmidt liest „ ְמבִּ יאֹותHineinführende“ / „dir zum Geleite“232. Mit etwas anderer Nuancierung liest H.-J. Kraus unter Berufung auf zwei Manuskripte: „ ְמבִּ יאֹות לָהihre Freundinnen geleiten sie“233.
227 228
229 230 231 232 233
„Geführt zum König werden Jungfrauen ihr nach, ihre Gefährtinnen gebracht zu dir in Freude, und jubelnd kommen sie in den Königspalast“. Gunkel, HK II/2, 196. Vgl. dazu Jenni, Präpositionen 3, 276ff und zu einer ähnlichen Wendung 2Chr 20,21. Jenni selbst (vgl. ebd. 271, Nr. 8684) führt die Stelle, die er „für textlich und inhaltlich unsicher“ hält, unter der Rubrik „aramaisierender Direktionalis“ an. So auch Keßler, KK VI/1, 99; Böhler, Psalmen 1–50, 818. Anders Schildberger, Königpsalm, 132f Anm. 6, der לבושׁה לרקמותals Randglosse ansieht. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 94 (Nr. 3315). Graetz, Psalmen, 323. H. Schmidt, HAT I/15, 85. Kraus, BK XV/1, 487.
50
Erster Teil: Text und Gestalt
לָך לָךhat das Suffix der 2. P. m. in Pausa234 (theoretisch ist auch die 2. P. f. in Pausa möglich, was im vorliegenden Zusammenhang allerdings keinen Sinn ergibt235). Es handelt sich um ein Lamed dativum236. B. Duhm237 setzt dafür לָה, E. Zenger238 dagegen לֹו, da keine Anrede vorliege. K. Seybold239 sieht das Wort als Verschreibung und ersetzt es durch מלך. V. 16 „ תּובַ לְ נָהsie werden gebracht“ H. Schmidt liest stattdessen: „ תֹובֵ לְ נָהsie führen dich“240. H. Kittel streicht das Wort241. Eine Änderung von MT lässt sich nicht begründen. ּבִּ ְשׂמָ חת Statt der Pluralform ist evtl. der Sg. zu lesen, vgl. GK 130 b. LXX hat Sg., Hier Pl. Die Präposition בhat hier modale Bedeutung242. ְתבאינָה Zur Form vgl. GK 76 g. H.-J. Kraus streicht das Wort mtr. cts.243. H. Graetz erwägt unter Berufung auf LXX eine Passivform244. הֵ י ָכל erscheint hier anders als in V. 9 im Singular.
234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244
לָךnimmt למֶ לֶךaus V. 15a auf, vgl. Kremser, Hochzeit, 221; anders Salo, Königsideologie, 152 Anm. 15, die die Notwendigkeit einer Textänderung annimmt. Vgl. Kremser, Hochzeit, 221; anders Saleska, Psalms 1–50, 687. Vgl. Jenni, Präpositionen 3, 93 (Nr. 3311). Duhm, KHK XIV, 189; ebenso Deissler, Psalmen, 184; anders M. Müller, Herr, 112. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 281. Seybold, HAT I/15, 185. H. Schmidt, HAT I/15, 85; so auch Kraus, BK XV/1, 487. Kittel, KAT XIII, 170. Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 342f (Nr. 43) und Kremser, Hochzeit, 223. Kraus, BK XV/1, 487. Graetz, Psalmen, 323.
Erster Teil: Text und Gestalt
51
מלך Auch dieses Wort wird von H.-J. Kraus mtr. cs. gestrichen245, anders H. Gunkel246. V. 17 Der Vers ist nach der Deutung der Masoreten eine Anrede an den König, die „den Wunsch einer zahlreichen und mächtigen Nachkommenschaft“247 enthält. Vielfach wird vermutet, ursprünglich sei der Vers an die Königin gerichtet gewesen248. Somit müsste damit gerechnet werden, dass die ursprünglichen Femininformen später unter Beibehaltung des überlieferten Konsonantenbestandes durch Maskulinformen ersetzt wurden. Der Vers wäre dann ursprünglich so punktiert gewesen: יתמֹו לְ שָׂ ִּרים ּבְ כָל ־הָ אָ רץ ִּ תַ חַ ת אֲבתַ יִּ ך יִּהְ יּו בָ נַיִּ ך ְת ִּשׁ Die These249 ist vermutlich abhängig von der allegorischen Deutung der Königin auf die Braut des messianischen Königs. Eine Entscheidung über die Richtigkeit dieser Annahme setzt die Gesamtanalyse des Psalms voraus250. Allerdings stellt sich schon jetzt die Frage: Wenn die allegorische Deutung des Psalms in späterer Zeit so wichtig war, warum wurden dann die weiblichen Suffixe in männliche verwandelt? Ist die Ursprünglichkeit der männlichen Suffixformen nicht weitaus logischer, zumal V. 16 mit dem Hinweis auf den König endet? Ein Subjektwechsel ohne Einführung der neu angesprochenen Person in V. 17 ist eher unwahrscheinlich. 245
246 247 248
249 250
Kraus, BK XV/1, 487; van der Woude, Interpretationsversuch, 115 hält מלךfür eine Randglosse, die klarstellen wolle, dass sich der folgende V. 17 auf den König, nicht dagegen auf die Königin bezieht, wie oft vermutet (s. dazu im Folgenden). Gunkel, HK II/2, 196. Hengstenberg, Psalmen 2, 430, vgl. Hirsch, Psalmen 1, 220; Duhm, KHK XIV, 190. Vgl. dazu Graetz, Psalmen, 323; Deissler, Psalmen, 184. So auch Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 284, der die von ihm vorausgesetzten Feminin-Suffixe auf die „Tochter Zion“ bezieht, die in V. 11–16 angesprochen werde. Zur Diskussion vgl. auch Ueberschaer, Ich und mein König, 20. Zu dieser These vgl. schon Becker, Israel, 89 und jüngst M. Müller, Herr, 112f. Vgl. dazu unten S. 262f.
52
Erster Teil: Text und Gestalt
לְ שָׂ ִּרים Es liegt ein Lamed revaluationis vor251. ּבְ כׇל־הָ אָ רץ Die Übersetzung der Wendung ist strittig252: Möglich ist „im ganzen Lande“ oder „auf der ganzen Erde, in aller Welt“253 (vgl. Ps 2,2.8.10; 72,8). Die Präposition ְ ּבwird hier lokalisierend gebraucht254. V. 18 אַ זְכִּ ָירה G* setzt die 3. P. Sg. Pl. hif. voraus, was für B. Duhm zur Grundlage der Textänderung wird255; diese Lesart stellt aber eine Texterleichterung dar, die die Parallele von V. 2 und V. 18 und damit die Rahmung des Psalms auflöst256. עַל־כֵן עַל־כֵןleitet hier die heilvolle Folge aus der Tatsache, dass der Sänger den Namen des Königs in Erinnerung hält, ein257. Letzteres ist die Voraussetzung für den Lobpreis der Völker258. H. Graetz emendiert, um „einen guten Sinn“259 zu erhalten, und liest עַד כִּ י. Seine Übersetzung von V. 18b lautet: „so dass Völker für immer Dich bekennen, verehren werden“. ּבְ כָל־דר וָדר Die Präposition ְ ּבdient dem Ausdruck der Temporalisation260.
251 252 253 254 255 256 257 258 259 260
Zu שַׂ ר+ ְ לvgl. Jenni, Präpositionen 3, 41 (Nr. 1411) und die dort aufgeführten Stellen, vgl. dazu ebd. 27.29.33ff und Kremser, Hochzeit, 227. Vgl. dazu Baethgen, HK II/2, 130. Dafür plädiert Gunkel, HK II/2, 196 unter Verweis auf V. 13, vgl. auch Baethgen, HK II/2, 130; Keßler, KK VI/1, 99f; Böhler, Psalmen 1–50, 819. Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 186 (Nr. 2252). Duhm, KHK XIV, 190, vgl. auch Graetz, Psalmen, 323. Vgl. M. Müller, Herr, 113. Vgl. Jenni, Abtönungspartikel, 121. Vgl. D. Michel, Tempora, 226. Graetz, Psalmen, 324. Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 300f (Nr. 326).
Erster Teil: Text und Gestalt
53
יְהֹודֻך Zur Form vgl. GK 53 q. ועד H. Gunkel und H.-J. Kraus streichen dieses Wort bzw. עַל־כֵןmtr. cs.261. V. 18b hält B. Duhm für „eine schlechte Variante“262 von 18a. 2. Zur Bedeutung der masoretischen Texttradition Die Dokumentation der für Psalm 45 gemachten Änderungsvorschläge ergibt, dass sich kaum ein Vers in diesem Psalm findet, der nicht von solchen Versuchen verschont blieb, was für sich genommen schon problematisch ist. Viele der im Vorhergehenden aufgeführten Vorschläge zu Textänderungen beruhen auf Emendationen. Solche grundlegenden Eingriffe in den Text gehören zu den „subjektivsten Prozesse[n] der Textkritik bzw. der Bibelwissenschaft überhaupt“263. Ein großer Teil der im Laufe der exegetischen Arbeit an Ps 45 vorgeschlagenen Textkorrekturen haben sich zwischenzeitlich als überflüssig erwiesen. Das bedeutet auch für Ps 45: „Emendationen [können] nur das letzte Mittel sein …, um Textprobleme zu lösen“264. Problematisch sind vor allem Änderungen, die metri causa vorgenommen wurden265. Dies gilt besonders dann, wenn man mit neueren Untersuchungen davon ausgeht, dass es eine „Korrespondenz zwischen den metrischen Unregelmäßigkeiten und dem dramatischen Konzept des Dichters“266 gibt. Gerade metrische Unregelmäßigkeiten sollten daher nicht vorschnell textoder literarkritisch ausgewertet werden. Wendet man diese Erkenntnis konsequent auf Psalm 45 an, so zeigt sich, dass nur wenige Textänderungen begründbar und für das Textverständnis notwendig sind. Dazu gehören: 261 262 263
264 265 266
Vgl. Gunkel, HK II/2, 196; Kraus, BK XV/1, 487. Duhm, KHK XIV, 190. Tov, Text, 294, vgl. dazu schon den Kommentar von Budde, Psalmen, 111: „Die notwendigen Verbesserungen treffen nirgends den Kern, dienen aber sehr, die Schönheit und Geschlossenheit des herrlichen Gedichts zu heben“. Tov, Text, 294. Vgl. dazu Kraus, BK XV/1, 488 und zur Problematik solcher Änderungen besonders Tov, Text, 304ff. Scherer, Schlacht, 541.
54
Erster Teil: Text und Gestalt
–
in V. 3 die außergewöhnliche Form ָיָפְ יָפִּ ית. Sie ist vermutlich aufzulösen ist in ָ יָפֹו יָפיתund somit als finite Verbform mit vorangestelltem Infinitivus absolutus zu deuten.
–
in V. 5 ַוהֲדָ ְרך, das wohl eher auf eine Fehlpunktierung zurückgeht denn als Dittographie anzusehen ist. Es ist stattdessen ursprünglich ein Imp. hif. von „ דרךtritt (den Bogen)“ zu vermuten. Die Fehlpunktation wurde durch das vorangehende הֲדָ ְרךausgelöst, das konsonantengleich ist. Es liegt eine Ellipse vor.
–
in V. 13 eventuell die Copula vor dem Vokativ ּבַ ת־צר.
Die übrigen Änderungsvorschläge, die oben notiert wurden, sind Ergebnis gelehrter Phantasie von Exegeten und können getrost beiseitegelassen werden267. Damit erweist sich als tragfähig, was bereits J.M. Mulder 1972 in seiner textkritischen Untersuchung von Ps 45 festgestellt hat: „From a text-critical point of view Ps. 45 is a rather easy psalm. The masoretic text-tradition concords almost fully with the ancient versions, at least as far as the consonants are concerned. Only a few remarks need to be made”268.
Daraus ergibt sich aber, dass der Psalm – abgesehen von der Überschrift in V. 1 – „is a coherent creation by a man who knew how to express himself and how to handle his language“269.
Insgesamt erweist sich somit der Text von Psalm 45 zwar an einigen Stellen als schwer verständlich. Es ist deswegen aber nicht geboten, die schwierigen Stellen durch willkürliche Textveränderungen so umzugestalten, dass sie den vom Exegeten gewünschten Sinn ergeben. Vielmehr ist gerade an den inhaltlich schwierigen Stellen der mögliche Sinn genau zu eruieren. Bevor wir uns der literarischen Analyse von Psalm 45 zuwenden, sei nun zunächst einmal die Übersetzung des Psalms präsentiert. 267 268 269
Vgl. dazu auch Mulder, Studies, 8; zur Problematik von Konjekturen s. auch Weiss, Wege, bes. 270. Mulder, Studies, 4, vgl. Lim, Königskritik, 135. Mulder, Studies, 3.
Erster Teil: Text und Gestalt
55
II. Übersetzung 1
Dem Musikverantwortlichen. Nach [der Weise] Lotusblumen. Den Korachiten [zugeordnet]. Ein Weisheitslied. Ein Liebeslied.
2
Erregt / aufgewallt ist mein Herz von einem schönen Wort. Ich spreche mein Werk für einen König. Meine Zunge – ein Griffel, ein geschickter Schreiber.
3
Du bist der Schönste unter den Menschensöhnen, ausgegossen ist Anmut auf deine Lippen. Deshalb hat dich Gott gesegnet auf ewig.
4
Gürte dein Schwert um die Hüfte, Held, deine Pracht und deine Herrlichkeit – tritt (den Bogen), habe Erfolg. Fahre einher um der Sache der Wahrheit und der Demut-Gerechtigkeit willen. Und es lehre dich furchterregende Taten deine Rechte. Deine Pfeile sind geschärft – Völker fallen unter dich – ins Herz der Feinde des Königs. Dein Thron, Gott, ist immer und ewig. Ein Szepter der Geradheit ist das Szepter deiner Königsherrschaft. Du liebst Gerechtigkeit und hasst Frevel. Deshalb hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit Freudenöl vor deinen Gefährten. Myrrhe und Aloe, Kassia (sind) alle deine Gewänder. Aus Elfenbeinpalästen erfreuten dich Saiteninstrumente.
5 6 7 8 9 10
Königstöchter sind unter deinen Kostbarkeiten, es hat sich hingestellt die Gemahlin zu deiner Rechten in Gold aus Ophir.
11
Höre, Tochter, und sieh und neige dein Ohr. Und vergiss dein Volk und das Haus deines Vaters. Und begehrt der König deine Schönheit, – denn er ist dein Herr – so huldige ihm. Und, Tochter von Tyrus, mit einem Geschenk schmücken dein Angesicht die Reichen im Volk. Alle Pracht, Königstochter, ist im Innern. Von Gewebe aus Gold ist ihr Gewand, buntgewirkt. Sie wird zum König geführt, Jungfrauen hinter ihr her, ihre Gefährtinnen, sie werden hineingebracht zu dir, werden hineingeführt mit Freuden und Jubel, sie kommen in den Palast des Königs.
12 13 14 15 16 17
Statt deiner Väter mögen sein deine Söhne, du mögest sie einsetzen zu Fürsten im ganzen Land / auf der ganzen Erde.
18
Ich will preisend erinnern deinen Namen über alle Generationen hinweg. Deshalb: Völker werden dich loben immer und ewig.
56
Erster Teil: Text und Gestalt
B) Literarische Analyse Bevor Ps 45 im Rahmen der motiv- und traditionsgeschichtlichen Untersuchung des Psalms näher betrachtet wird, soll nun ein Blick auf seine Gliederung und Komposition geworfen werden270. I. Gliederung und Komposition 1. Zur Gliederung Aufgrund der im Text enthaltenen Struktursignale ergibt sich folgende Gliederung: V. 2 // V. 3–9 // V. 10–16 // V. 17 // V. 18271. Dieser Aufbau soll im Folgenden näher begründet werden. V. 2 Nach der Überschrift (V. 1)272 setzt der Psalm mit einer Widmung (dedicatio) ein (V. 2), die aus einem Tristich besteht und vom Dichter / Sänger in 1. Person spricht. Dieser Vers charakterisiert das Lied, das er gedichtet hat, näher: Es handelt sich um das Lied eines Sängers am Königshof273, das er vor König und Königin und dem gesamten Hofstaat vorträgt274. Deshalb
270 271
272 273 274
Vgl. dazu auch Mulder, Studies, 22ff. So auch Weber, Werkbuch I, 208ff, vgl. zur Forschungsdiskussion zum Aufbau des Psalms Lim, Königskritik, 119ff, die verschiedene Vorschläge aufführt. Sie selbst plädiert für folgende Gliederung: V. 2 / V. 3–8 / V. 9–17 / V. 18 (ebd. 125). Zur Überschrift V. 1, die ursprünglich nicht zum Psalm gehört, s. unten S. 306ff. Zur Entstehung von Ps 45 am Königshof oder in dessen Umgebung vgl. Westermann, Wurzeln der Weisheit, 48 und unten S. 297ff. Dieser Tatsache wird in vielen Auslegungen nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Gerade V. 2 zeigt nämlich, dass die Königspsalmen „in konkrete Sprechsituationen gehörten, daß sie darüber hinaus aber auch schriftlich fixiert wurden, um den Nachruhm des Königs in aller Welt zu sichern“ (Saur, Königspsalmen, 116): „Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind damit zwei Seiten derselben Medaille: In der Mündlichkeit wird der aktuelle König in seiner historischen Situation besungen, in der Schriftlichkeit dagegen wird der Nachruhm des Königs in allgemeiner Weise geschildert und damit dem Vergessen gewehrt“ (ebd.).
Erster Teil: Text und Gestalt
57
wechselt der Psalm mehrfach die Sprechrichtung, um all diese versammelten Größen in den Blick zu nehmen275. V. 2 kann als allgemeine Einleitung angesehen werden276. Darauf folgt der Hauptteil, der sich zunächst dem König zuwendet (V. 3– 9)277. Hier lassen sich folgende Untergliederungen feststellen: V. 3 Der Preis des Königs beginnt ebenfalls mit einer allgemeinen Einleitung, die nun aber den König anredet und darum in die 2. P. Sg. wechselt. Sprecher dürfte hier und in den folgenden Versen der in V. 2 genannte Dichter sein278. Einer Beschreibung der Schönheit des Königs und der Anmut seiner Lippen folgt eine Begründung, wobei umstritten ist, was durch den Satz ausgesagt werden soll: Ist der Segen Grund für die Schönheit, geht er ihr also voraus, oder ist die Schönheit Voraussetzung des Segens, so dass dieser der Schönheit folgt? Wahrscheinlich wird, wie bereits vermerkt279, an der Schönheit das Gesegnetsein erkannt, so dass zwischen beiden Größen eine untrennbare Beziehung besteht280. Wichtig ist hier die zeitliche Qualifikation des Segens, der לְ עֹולָםergangen ist. V. 4–6 Die Verse 4–6, die die erste größere, zusammenhängende Einheit bilden, beziehen sich auf die kriegerische Erscheinung des Königs. Der König ist demnach eine militärische Instanz, die in der Abwehr der Feinde den Be275
276 277 278
279 280
Saur, Königspsalmen, 115, entscheidet sich aufgrund seiner Analyse der Sprechrichtungen für eine andere Gliederung des Psalms: V. 2 / V. 3–10 / V. 11–16 / V. 17 / V. 18, vgl. Chr. Rösel, Redaktion, 128; Salo, Königsideologie, 153ff; R. Müller, Schönheit, 23; Vette, „Wer ist wer“, 212; ders., „Who is Who“, 121; Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 164; Ueberschaer, Ich und mein König, 3f. Schröder, „A Love Song“, 431 spricht davon, dass das Gedicht ein anderes Gedicht einschließe. Vgl. das herausgehobene Themawort מלךin V. 2. Vgl. Salo, Königsideologie, 153, die dann aber für V. 5f „entweder Jahwe selbst oder einen kultischen Sprecher als seinen Stellvertreter als Sprecher“ voraussetzt, was unwahrscheinlich ist (vgl. dazu ebd. 155). Vgl. dazu oben S. 29. Dass „ עַל־כֵןdie Einsetzung des Königs“ begründe (so Salo, Königsideologie, 154), ist wenig wahrscheinlich.
58
Erster Teil: Text und Gestalt
stand des Staates sichert. V. 4f ist von Imperativen bestimmt, die die Zurüstung und den Aufbruch zum Kampf und diesen selbst in den Blick nehmen. Diese Imperative stellen die Verbindung zwischen den Versen 4–5a her. Der Vokativ גִּ ּבֹור, mit dem der König hier angesprochen und durch den er herausgehoben wird, behaftet ihn unmittelbar bei seiner kriegerischen Aufgabe. V. 6 stellt dann eine Momentaufnahme der Schlacht dar: Die geschärften Pfeile dringen ins Herz der Feinde, die hier als Antipoden des Königs genannt werden. Die Parenthese ע ִַּמים תַ חְ תיך יִּפְ לּוnimmt das Ergebnis der Schlacht gleichsam vorweg. Mit dem Stichwort מלךschließt dieser Unterabschnitt des ersten Hauptteils281. V. 7–9 Der zweite Unterabschnitt des ersten Hauptteils entfaltet eine andere grundsätzliche Aufgabe des Königtums. Hier kommt der Innenaspekt der Herrschaft in den Blick, wie der Verweis auf den Thron, der nicht von ungefähr zu Beginn des Abschnitts deutlich hervorgehoben ist, und die anderen königlichen Regalien zeigt. Demnach ist der König auch eine soziale Instanz, die sich in der Durchsetzung des Rechts und der Abwehr des Frevels manifestiert (vgl. das Antonym Gerechtigkeit lieben / Frevel hassen). Ähnlich wie in V. 3 dient die Begründung mit עַל־ ֵכןder Entfaltung von Ursache und Folge: Weil der König die Gerechtigkeit liebt, ist er von Gott gesalbt. Wie im ersten Unterabschnitt findet sich auch hier eine Personengruppe neben dem König. Nun sind es aber nicht mehr die Feinde, die zu unterwerfen sind, sondern die Gefährten des Königs. Ihnen gegenüber wird der König hervorgehoben. War die kriegerische Aufgabe des Königs mit der Anrede גִּ ּבֹורverbunden, so tritt nun in V. 7 der Vokativ אֱֹלהִּ יםan deren Stelle. Diese Anrede unterstreicht den Anspruch, der mit dem Königsamt verbunden ist. Wie schon im ersten Unterabschnitt (vgl. V. 4) wird auch hier die königliche Prachtentfaltung in den Blick genommen (V. 9). Sie zeigt sich in den köstlichen Düften, der kunstvollen Gestaltung der Räume
281
Lim, Königskritik, 117 sieht dagegen in den beiden עַל־כֵן-Sätzen (V. 3 und 8) eine Inclusio und wertet dies als Hinweis darauf, dass V. 3–8 als Einheit anzusehen sind. Zudem sei hier allein vom König die Rede ohne Bezug auf den weiblichen Part des Königtums, was allerdings auch für V. 9 gilt.
Erster Teil: Text und Gestalt
59
und der feierlichen Musik. Der Hinweis auf die Freude und die Paläste des Königs schließen den ersten Teil des Psalms markant ab282. Im ersten Hauptteil des Psalms geht es somit um die Durchsetzung der Herrschaft nach außen und nach innen, wobei sich die äußeren Verse in chiastischer Anordnung auf den König als Person, seine Schönheit und Pracht (V. 3a.9), sowie seine Ausstattung durch Gott mit Segen und Salbung (V. 3b.8b: vgl. zweimal )עַל־כֵןbeziehen. Die Verse 10–16 bilden den zweiten Hauptteil des Psalms283, der – ähnlich wie der Beginn des Psalms mit dem Stichwort ( מלךV. 2) – durch das Themawort ּבְ נֹותbetont eingeleitet wird. Dieser Abschnitt wendet den Blick nun der weiblichen Seite des Königtums zu, der Königin und ihrem Gefolge284. Auch dieser Abschnitt besteht aus einem Einleitungsvers (V. 10)285 und zwei größeren Unterabschnitten (V. 11–13 // V. 14–16). V. 10 V. 10 entspricht als Einleitungsvers des Abschnitts und als einleitender Themensatz V. 3. Der Blick geht weg vom König hin auf die Frauen in seiner unmittelbaren Umgebung, nämlich die „Töchter von Königen“ bzw. die Königin selbst286. Die Königin ist ähnlich wie der König unter den Menschen (ּבנֵי אָ דָ ם:ָֽ V. 3) nun gegenüber den Königstöchtern ( )ּבְ נֹות ָֽמלָכִּ יםherausgehoben287, und zwar sowohl durch ihren Platz neben dem König als auch durch ihren Schmuck. Dabei entsteht häufig die Frage, ob es sich bei der zuerst genannten שֵׁ ַגלund der dann angesprochenen ּבַ תum zwei Personen handelt, die eine je eigene 282 283 284 285
286 287
Vgl. die Wiederaufnahme dieser Stichworte am Ende des zweiten Teils des Psalms in V. 16 und unten S. 61. Anders Seybold, HAT I/15, 185; Vette, „Who is Who“, 121f, die V. 10 noch zur ersten Strophe rechnen. Vgl. das Themawort שֵׁ גַלV. 10. Auch Hupfeld, Psalmen 2, 358, der den Hauptteil des Psalms in V. 3–10.11–16 gliedert, sieht in V. 10 „den Übergang … zur Anrede der Königin“ (ebd. 365), vgl. ebenso Körting, Isaiah 62:1–7, 115, die V. 10 „as a link between the two parts of the psalm“ deutet. Vgl. Lim, Königskritik, 116. Die Stichworte ( ְּבנֵי אָ דָ םV. 3) bzw. ( ְּבנֹות ָֽמלָכִּ יםV. 10) sind aufeinander bezogen; vgl. auch Böhler, Psalmen 1–50, 816.
60
Erster Teil: Text und Gestalt
Bedeutung oder Funktion im Geschehen haben, oder ob es sich um ein und dieselbe Person handelt288. Ferner ist zu beachten, dass in V. 13 eine ּבַ ת־צר genannt wird. Ist sie identisch mit der vorher angesprochenen ּבַ תoder handelt es sich um eine weitere Person? Beachtet man jedoch den parallelen Aufbau des zweiteiligen Psalms, so spricht alles dafür, dass auch der zweite Teil des Psalms von einer zentralen Person handelt, der Königin, die neben dem König steht und so herausgehoben ist und im Folgenden mit der Bezeichnung ּבַ תbenannt wird289. Dieses statische Bild wird im Folgenden von einer dynamischen Szene, einer Art Festzug, abgelöst, in deren Mittelpunkt die als ּבַ תangesprochene Gemahlin steht, die zum König geleitet wird. Von ihm wird im Unterschied zu den vorangegangenen Versen nun in der 3. Person gesprochen. V. 11–13 Auffällig ist, dass ähnlich wie im ersten Teil des Psalms der einführende, beschreibende Vers von einer direkten Rede abgelöst wird, wobei zu fragen ist, wer als Sprecher fungiert: Der Dichter / Sänger des Psalms, der König oder die in V. 10 erwähnte שֵׁ גַל. Am wahrscheinlichsten ist es entsprechend dem ersten Hauptteil des Psalms auch hier den Dichter / Sänger als Sprecher anzunehmen. Auch hier wird durch die vokativische Anrede ( ּבַ תV. 11) die Hauptperson dieses Abschnitts direkt angesprochen und hervorgehoben. Diese Anrede wird im Folgenden durch den Vokativ ּבַ ת־צרnoch einmal aufgenommen. Zu Beginn fallen wie im ersten Hauptteil die Imperative auf, durch die zunächst erreicht werden soll, dass die Aufmerksamkeit der Angesprochenen auf die folgenden Mahnungen gerichtet ist. Diese Mahnungen beziehen sich einerseits auf die Herkunft der ּבַ ת, derer sie nicht mehr gedenken soll („Vergiss dein Volk“: 4. Imperativ), und zum andern auf ihre neue Zuordnung zum König („Er ist dein Herr“), die in ihrer Huldigung gipfelt (וְ הִּ ְשׁתַ חֲוִּ י־לֹו: 5. Imperativ). V. 11f zielt somit auf die grundsätzliche Bestimmung der Königin.
288 289
Vgl. Saur, Königspsalmen, 116.117 u.ö.; Müller, Herr, 109. Es kann somit keine Rede davon sein, dass ab V. 11 ein „metrisches[s] und strophische[s] Chaos“ vorliegt, „das noch niemand überzeugend zu bereinigen vermocht hat (so aber Becker, Israel, 87).
Erster Teil: Text und Gestalt
61
Die zweite direkte Anrede (V. 13) nimmt nochmals direkt Bezug auf die frühere Heimat der ּבַ ת, die aus Tyrus stammt. Ging es in V. 11 darum, diese zu vergessen, wird nun die neue Zuordnung der ּבַ תzum Volk des Königs in der Huldigung der Reichen manifest. Die alte Volkszugehörigkeit wird durch die neue abgelöst. War in V. 6 die kriegerische Unterwerfung der Völker beschrieben, so wird hier die freiwillige Huldigung der Umgebung der Königin zum Ausdruck gebracht. Die Erwähnung der ֲע ִּשׁ ֵירי עַםbildet eine Inclusio zu V. 11. Nach der direkten Anrede der ּבַ תfolgt ein Abschnitt, der über sie in der 3. Person spricht: V. 14–16 Betont eingeleitet durch כָל־כְ בּודָ הwird in V. 14 in einer Grundsatzaussage die Schönheit der Königstocher geschildert („Alle Pracht, Königstochter, ist drinnen / im Innern“), die nun nicht, wie in V. 13, hinsichtlich ihrer Herkunft (vgl. die Titulatur )ּבַ ת־צר, sondern in ihrer Zugehörigkeit zum König in den Blick genommen wird, wie die Titulatur ּבַ ת־מלךzeigt. Die Pracht ( )ְּכבּודָ הder Königstochter entspricht der des Königs (vgl. die Stichworte הֹוד וְ הָ דָ רin V. 4). Die Verse 15f beschreiben dann den feierlichen und prachtvollen Einzug der Königin, die zum König gebracht wird. Er korrespondiert dem Auszug des Königs in den Krieg. Im Zentrum dieser Prozession steht die Königin, die ähnlich wie der König von seinen Gefährten von ihrem Gefolge, ihren Gefährtinnen, umgeben ist. Zugleich stellt das Stichwort מלךeine Inclusio zu V. 10 dar. Der zweite Unterabschnitt endet ebenso wie im ersten Hauptteil mit dem Hinweis auf die Freude und dem Blick auf den הֵ י ָכלdes Königs. V. 16 bildet so eine Inclusio zu V. 9290. Hier fällt auf, dass anders als in V. 9 vom הֵ י ָכלim Sg. gesprochen wird. Gemeint ist wahrscheinlich das Gemach des Königs. Mit dem Hinweis auf ihn ( מלךist das letzte Wort von V. 16) und somit betont schließt der zweite Hauptteil.
290
Lim, Königskritik, 115 sieht dagegen in V. 9–16 eine „inhaltliche Einheit“ (vgl. ebd. 116), verkennt dabei aber die inclusive Funktion der – chiastisch angeordneten – Stichworte הֵ יכְ לֵי שֵׁ ן/ ( ִּשׂ ְמחּוךV. 9) bzw. ִּּב ְשׂמָ חת/ ( ְּבהֵ יכַל מלךV. 16) als Abschlussmarker der beiden Hauptteile.
62
Erster Teil: Text und Gestalt
V. 17 Der abschließende V. 17, der sich wieder an den König richtet und daher vom Vorhergehenden abzusetzen ist, gibt an, was der Zielpunkt des zweiten Hauptteils des Psalms ist: Der Dynastieerhalt. Mit dem Stichworte „Söhne“ stellt der Vers eine Verbindung zum Beginn des ersten Hauptteils her, wo von den ּבְ נֵי אָ דָ םdie Rede war. V. 3a und V. 17 bilden so eine Inclusio. Der dem König zugesprochene Segen (V. 3) verwirklicht sich demnach in seinen Söhnen. Insofern verknüpft der Vers auch die beiden Hauptteile des Psalms. V. 18 Der Schlussvers knüpft an V. 2 an und nimmt wieder das Ich des Dichters / Sängers in den Blick, das im Psalmkorpus nirgends vorkommt291. Der Sänger nimmt sich vor, des Namens des Königs preisend zu gedenken. Dieses Gedenken steht in Gegensatz zum Vergessen der Herkunft der Königin. Wiederum findet sich eine mit עַל־כֵןeingeleitete Begründung, die nun das Ziel der Dichtung entfaltet: Der Sänger „besingt den König, um die Völker zum Lobpreis zu animieren“292. 2. Zur Komposition a) Stichwortverbindungen und Leitworte Der Psalm ist verschiedentlich durch Stichwortverbindungen und diverse Leitworte miteinander verknüpft, wie die folgende Übersicht zeigt293. An wörtlichen Aufnahmen sind festzuhalten: 291
292 293
Vgl. Mulder, Psalm 45, 11; s. ferner Lim, Königskritik, 114 (vgl. ebd. 185f), für die aber das Ich in V. 18 nicht eindeutig bestimmbar ist. Sie hält es für möglich, dass das sprechende Ich der König sein könne, wenn Gott das angeredete Objekt wäre. Das ist im Gesamtduktus des Psalms aber eher unwahrscheinlich. Salo, Königsideologie, 156. Vgl. auch die Angaben bei Weber, Werkbuch I, 210, die allerdings um weitere Stichworte zu ergänzen sind, und die Übersichten bei Mulder, Psalm 45, 11ff; Lim, Königskritik, 119; Kremser, Hochzeit, 98ff. Zur poetischen Struktur des Psalms vgl. auch die Hinweise von Mulder, Studies, 9ff.
63
Erster Teil: Text und Gestalt
V. 3 V. 3 V. 3 V. 3 V. 5 V. 5 V. 6 V. 6 V. 9 V. 9 V. 11
יפה ּבָ נִּ ים עַל־כֵן לְ עֹולָם צדק יְ ִּמינְ ך ע ִַּמים תַ חַ ת הֵ כְ לֵי שֵׁ ן ִּשׂ ְמחּוך עַמֵ ך
V. 12 V. 17 V. 8 V. 7 V. 8 V. 10 V. 18 V. 17a V. 16 V. 16 V. 13
יָפְ יֵך ּבָ נִּ ים עַל־כֵן עֹולָם ָועֵד צדק ימינְך ִּ ִּל ע ִַּמים תַ חַ ת הֵ י ָכל ּבִּ ְשׂמָ חת ֲע ִּשׁ ֵירי עַם
V. 18 V. 18
עַל־כֵן לְ ע ָלם ָועֵד
Eine weitere Bezugnahme ist gegeben durch den Hinweis auf den Herkunftsort der Königin. Dieser wird einerseits mit „Haus deines Vaters“ (ּבֵ ית אָ בִּ יך: V.11) und andererseits durch die Ortsangabe ( צרV. 13) benannt. Es gibt ferner Parallelen in den Formulierungen. Besonders auffällig sind die beiden analog konstruierten Begründungssätze in V. 3b und V. 8b294: עַל־כֵן ּבֵ ַרכְ ך אֱֹלהִּ ים לְ עֹולָם bzw. עַל־כֵן ְמשָׁ חֲך אֱֹלהִּ ים אֱֹלהיך Aber auch auf das in Bezug auf Segen, Salbung und Lob verwendete Stichwort עֹולָםkann in diesem Zusammenhang verwiesen werden, Hinzu kommen folgende kontrastive Verbindungen: –
der Gegensatz Menschensöhne / Königstöchter (V. 3.10)
–
der Gegensatz zwischen den Feinden des Königs und seinen Gefährten (V. 6.8)
–
der Gegensatz Königstöchter / Gefährtinnen der Königin (V. 10.15)
294
Die analoge Satzkonstruktion in V. 3b und V. 8b nimmt Lim, Königskritik, 117, als Grund, V. 3–8 als thematische Einheit von V. 9ff abzusetzen, vgl. auch Salo, Königsideologie, 154.
64
Erster Teil: Text und Gestalt
–
der Gegensatz zwischen der Aufforderung an die Königin, ihr Volk zu vergessen ()שׁכח, und der Selbstverpflichtung des Sängers, die Erinnerung an den Namen des Königs zu pflegen ( זכרhif.)
–
der Gegensatz zwischen ּבֵ ית אָ בִּ יךund תַ חַ ת אֲבתיך
–
die unterschiedliche Sicht der Völker als Feinde (V. 6) bzw. als den König preisende Größe (V. 18)
Durchgängiges Leitwort des Psalms ist das Wort מלך295. Es erscheint in der Widmungsangabe in V. 2, dann – jeweils als letztes Wort betont – sowohl am Ende des ersten Unterabschnitts des ersten Hauptteils V. 6 als auch am Ende des zweiten Unterabschnitts des zweiten Hauptteils in V. 16 sowie in den Versen 12, 14 und 15 – insgesamt siebenmal. Das schon zeigt, dass der König die Hauptfigur in diesem Psalm darstellt296. Auch das Wort אֱֹלהִּ ים wird dreimal wiederholt, jeweils in direktem Bezug zum König, was unterstreicht, dass die Gott-König-Beziehung zentral für den Psalm ist297. Leitwort im zweiten Hauptteil ist das Nomen ( ּבַ תV. 10.11.13.14). Zentrales Thema ist hier ihr Bezug zum König, was auch dadurch unterstrichen wird, dass das Wort מלךhäufiger als im ersten Hauptteil erscheint298. b) Die Anordnung der Strophen Der Psalm weist eine kunstvolle Komposition auf, die aus zwei gleich langen Strophen besteht und sich der männlichen (V. 3–9) und der weiblichen Seite des Königtums (V. 10–16) zuwendet299. Diese Strophen bestehen jeweils aus einer Einleitung (V. 3 bzw. V. 10) und zwei gleich großen Unterabschnitten (V. 4–9 bzw. V. 11–16), die das Bild von König bzw. Königin näher entfalten. Während die Verse 4–9 den König als Garanten der Weltordnung in den Blick nehmen, zeigen die Verse 11–16 die Königin in ihrem Bezug zum König. Die Einleitung führt in das Thema der jeweiligen Stro295 296 297 298 299
Vgl. Mulder, Studies, 12; zu verweisen ist auch auf die ְמלָכִּ יםV. 10 und die מַ לְ כּות V. 7. Vgl. Trotter, The genre, 38. Vgl. Mulder, Studies, 12; Trotter, The genre, 38. Vgl. Mulder, Studies, 14. Vgl. Graetz, Psalmen, 316; H. Schmidt, HAT I/15, 85; für Augustin, Der schöne Mensch, 151, reicht der erste Teil des Psalms bis V. 10a.
Erster Teil: Text und Gestalt
65
phe ein. Wie die Tabelle der wörtlichen Aufnahmen zeigt, sind die beiden Strophen aufeinander zugeordnet, was sich besonders in den Endversen zeigt, die jeweils mit den Stichworten Palast und Freude schließen. Dieses Diptychon300 wird durch die Verse 2 und 18 gerahmt, die eine Art Auf- und Abgesang bilden301. In V. 2 tut der Sänger seine Absicht kund302, dem König ein kunstvolles Lied zu singen303. In V. 18 verspricht der Sänger, den Namen des Königs in Erinnerung zu halten. Da hier verschiedene Stichworte des Psalms erneut auftauchen, ergibt sich eine gute Abrundung der Gesamtthematik, so dass man feststellen kann, dass der Dichter seine Absicht, ein kunstvolles Lied zu schaffen (vgl. V. 2), voll erfüllt hat. V. 17 spielt eine gewisse Sonderrolle. Im Vers wechselt die Sprechrichtung. Nun ist nicht mehr die Königin im Mittelpunkt, sondern der Blick wendet sich wieder dem König bzw. seinen Nachfolgern zu. Der Vers bindet gewissermaßen die beiden Hauptteile unter den Aspekten Nachkommen und Dynastieerhalt zusammen304. Insoweit gehört er „zum Korpus des Psalms“305. c) Die Kompositionsstruktur Aus den oben im Einzelnen festgehaltenen Beobachtungen zum Aufbau des Psalms ergibt sich die folgende Kompositionsstruktur:
300 301 302 303 304 305
Vgl. Weber, Werkbuch I, 210. Vgl. Mulder, Psalm 45, 22. Dass der Sänger sich in einem Psalm zweimal selbst präsentiert, ist einzigartig im Psalter, vgl. Gerstenberger, Psalms I, 189. Vgl. Weber, Werkbuch I, 210. Augustin, Der schöne Mensch, 152, spricht von einem „Kunstlied“. Vgl. Kremser, Hochzeit, 89 mit anderer Akzentuierung; Saleska, Psalms 1–50, 688. Lim, Königskritik, 116, vgl. Weber, Werkbuch I, 208f.
66 V. 1
Erster Teil: Text und Gestalt Die Überschrift V. 2
Die Widmung des Dichters / Sängers
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– V. 3–9 Der Lobpreis des Königs V. 3: Allgemeine Einleitung + Begründung V. 4–9: Entfaltungen: Der König als Garant der Weltordnung A. V. 4–6: Der König als kriegerischer Held (kriegerische Funktion: Außenaspekt der Herrschaft) V. 4: Die Zurüstung zum Kampf V. 5: Der Auszug zum Kampf V. 6: Der Sieg über die Feinde B. V. 7–9: Der König als Sachwalter des Rechts (soziale Funktion: Innenaspekt der Herrschaft) V. 7: Die königlichen Regalien V. 8: Die Bindung an das Recht V. 9: Die königliche Prachtentfaltung V. 10–16 Der Lobpreis der Königin V. 10: Allgemeine Einleitung V. 11–16: Entfaltungen: Die Königin und ihr Bezug zum König A. V. 11–13: Die Bestimmung der Königin V. 11: Die Mahnung an die Königin V. 12: Die Hingabe und Huldigung der Königin V. 13: Die Anerkennung des neuen Status der Königin durch die Reichen im Volk B. V. 14–16: Die Hinwendung der Königin zum König V. 14: Die Herrlichkeit der Königin V. 15: Der feierliche Festzug V. 16: Der Abschluss des Festzuges V. 17 Ein Wunsch für die Dynastie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– V. 18
Die Schlussformel des Dichters / Sängers
Erster Teil: Text und Gestalt
67
II. Literarkritische und formgeschichtliche Beobachtungen 1. Literarkritik Trotz der klaren Komposition306 und der Verbindung der beiden Hauptteile durch eine Vielzahl von Stichworten werden in neuerer Zeit massive Einwände gegen die Einheitlichkeit des Psalms angeführt, die z.T. mit der Frage nach der Gattung verbunden sind. So geht z.B. E. Zenger davon aus, dass der Psalm uneinheitlich ist, und führt dafür zum einen stilistische und zum anderen inhaltliche Beobachtungen an307: 1. Die Verse 3–8 seien konsequent als Trikola gestaltet, wogegen in den Versen 11–16 Bikola vorlägen. 2. Zwischen V. 10 und V. 11–16 bestünde eine Spannung: V. 10 entwerfe eine statische Bildkonstellation. Es werde ein großer Harem mit der königlichen Gemahlin als Mit306
307
Damit weist auch Ps 45 die sonst in den Korachpsalmen zu beobachtenden poetischen Techniken auf (vgl. dazu Zenger, Korachpsalmen, 179ff.182 mit Anm. 26). Vgl. dazu Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 278 und ausführlich dazu Lim, Königskritik, 122–125. Zur Kritik an Zenger vgl. Höffken, Hohelied, 134, Anm. 51, der die von Zenger angeführten Gründe nicht für stichhaltig hält. Die These einer Neudeutung des Psalms, auf die sich Zenger offensichtlich partiell bezieht, findet sich auch schon bei Becker, Israel, 80–90: Für Becker sind die Verse 11–12bα.14b–16.18b spätere Ergänzungen, durch die das ursprüngliche Königslied in eine Brautallegorie auf Jahwe und die Tochter Zion verwandelt wurde (vgl. ebd. 86ff und ähnlich Becker, Deutung, 316; Chr. Rösel, Redaktion, 129); in diesen Versen sieht Becker, wie bereits erwähnt, ein „metrische[s] und strophische[s] Chaos, das noch niemand überzeugend zu bereinigen vermocht hat ...“. Becker führt dieses „Chaos“ darauf zurück, dass es „dem Bearbeiter eben nicht gelungen [ist], wenn es überhaupt seine Absicht war, seine Zusätze dem ihm vorliegenden Königslied anzugleichen“ (Becker, ebd. 87, vgl. ähnlich Gerstenberger, Psalms I, 188; Deissler, Psalmen, 184). Durch diese Begründung führt Becker seine These ad absurdum. – M. Müller, Herr, 113ff.120 modifiziert die These Zengers dahingehend, dass sie nur die Verse 11–13 als Erweiterung im Sinne „einer messianischen Braut-/Bräutigams-Metapher“ (120) ansieht. Für sie liegt in den Versen 1–10*.17f ein nordisraelitisches Königslied vor, das nach 722 durch die Zufügung von V. 14–16 „in Jerusalem an die dortigen Bedürfnisse angepaßt“ worden sei. „Erst nach dem Ende des judäischen Königtums wurde im Zuge der Ergänzung um V. 11f (+13) das ganze Geschehen durch Anklänge an die prophetische Brautmetaphorik auf eine bildliche Ebene gehoben“ (ebd. 124), vgl. zur These einer judäischen Adaption eines ursprünglichen Nordreichpsalms auch Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 254ff.
68
Erster Teil: Text und Gestalt
telpunkt gezeigt. V. 11–16 zeige dagegen ein dynamisches Geschehen, das kaum als ursprüngliche Fortführung von V. 10 betrachtet werden könne, „da ‚die Königstochter‘ von 11–16 eine weitere Königin wäre“308. 3. Würde der Psalm von vornherein auf das in den Versen 11–16 enthaltene Hochzeitslied zielen, so stelle sich die Frage nach dem Sinn des kriegerischen Königs. Das Hochzeitsthema sei dem in V. 2b angekündigten „Lied auf den König“ und der darin entfalteten „Theologie des königlichen Amtes“309 vielmehr untergeordnet. 4. Zudem sei in V. 17f wie in 3–10 wieder der König direkt angeredet, so dass diese Verse „eine thematisch konsequente Fortführung“310 von 10 darstellen könnten.
Aufgrund dieser Beobachtungen entwirft Zenger die folgende Fortschreibungshypothese: In V. 2–10.17f liege die Grundfassung des Psalms vor311. Es handele sich hierbei um „ein im vorexilischen Jerusalem entstandenes“ Königslied, das „bei Krönungsfeierlichkeiten bzw. bei anderen kultischen Anlässen“ verwendet wurde, „an denen der König mit seinem Hofstaat teilnahm“312. Sitz im Leben dieses Psalms sei ein Fest für den König. In nachexilischer Zeit sei dieser Psalm um die Verse 11–16 ergänzt worden313, so dass aus dem 308 309 310 311 312 313
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 278, vgl. ähnlich Saur, Königspsalmen, 117f. Zur Kritik an der Position Zengers vgl. jetzt Böhler, Psalmen 1–50, 21. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 278. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 278. So auch, im Anschluss an Zenger, Chr. Rösel, Redaktion, 129. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 279. Vgl. ebenso van Oorschot, Der ferne deus praesens, 419, der allerdings in der exilisch-nachexilischen Endfassung des Psalms das Verhältnis JHWH-Zion entfaltet sieht. – Eine etwas andere Rekonstruktion der Textgeschichte entwirft Zenger in seiner Auslegung von Ps 45 in Zenger u.a., Stuttgarter Altes Testament, 1090f: Er zieht hier die Grenze zwischen den beiden Psalmhälften nach V. 9. V. 3–9 würden vom König, V. 10–17 von der Königin bzw. der königlichen Braut handeln. Eine Variante dieser These bietet Saur, Königspsalmen, 118, der die Verse 11–16 ebenfalls als eine Aktualisierung des ursprünglichen Textes ansieht, wobei damit „noch nichts über das Alter der beiden Passagen v 2–10.17f und v 11–16“ (ebd. 118 Anm. 17) ausgesagt werden könne. Es sei durchaus möglich, Ps 45 als Kompilation zweier vorexilischer Traditionen zu verstehen (ebd. Anm. 17), die aufgrund der Zusammenfügung in nachexilischer Zeit eine neue Bedeutung erhielten. Diese These übersieht die deutlichen Stichwortbezüge zwischen den beiden Hauptteilen des Psalms, die der Annahme zweier ursprünglich selbständiger Psalmen widerstreiten. Würde Saur Recht haben, wäre zumindest mit einer angleichenden Überarbeitung der beiden ursprünglich selbständigen Größen zu rechnen. Seybold, HAT I/15, 185, erwägt nur für V. 17f mögliche Erweiterungen des Psalms. Im Übrigen hält er den Psalm für einheitlich. Loretz, Liebeslied, 68f, erkennt in Ps 45 diverse Glossen.
Erster Teil: Text und Gestalt
69
ursprünglichen Königspsalm ein Hochzeitslied wurde. In dieser Zeit sei „die Hoffnung auf eine erneuerte Gottesherrschaft JHWHs über Israel und die Völker“ und damit „die Sehnsucht nach einem erneuerten Königtum als ‚göttlichem‘ Bringer von Recht und Gerechtigkeit“314 erwacht. Und diese Hoffnung habe den Anstoß für eine relecture der alten Königstexte gegeben, die nun messianisch gelesen wurden. In diesem Sinne würden die Verse 11–16 beschreiben, wie „[d]em ‚messianischen‘ König ... eine neue ‚Königstochter‘ zugeführt [würde]: die Tochter Zion, die ihre Sündengeschichte hinter sich läßt ... und sich vorbehaltlos ihrem königlichen Herrn und Gemahl verbindet. Und mit ihr kommen die Völker zur Huldigung und zur Anerkennung dieser ‚messianischen‘ Liebe. So feiert der Psalm in seiner Endfassung zugleich das Ende jener Katastrophe, in der die ‚Frau Zion‘ verachtet, verlassen und kinderlos war; die vordem von den Völkern Verspottete und Vergewaltigte wird nun sogar zur Königin über die Völkerwelt“315.
Der königliche Gemahl ist dann entweder die „‚neue‘ messianische Dynastie oder der Gott-König JHWH selbst“316. Bei der Beschäftigung mit der These Zengers entsteht sofort die Frage: Warum wird die „Tochter Zion“ nicht namentlich genannt, wohl dagegen die ?ּבַ ת־צרSo bleibt die Annahme einer Fortschreibung von Ps 45, auf die erst die Themenmischung innerhalb des Psalms zurückgehe, problematisch. Die These Zengers hat in jüngerer Zeit mit unterschiedlichen Begründungen Modifikationen erfahren. So versucht C. Körting unter Berufung auf Jes 40–66 ein intertextuelles Verständnis von Ps 45 zu begründen317. Sie sieht in Ps 45 zwei Hauptteile (V. 2–10 // V. 11–16), die den König bzw. seine Braut in den Vordergrund
314 315
316
317
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 279. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 279. Eine andere Deutung vertritt Becker, Israel, 81ff, der im Psalm „das bräutliche Verhältnis Jahwes selbst zum alttestamentlichen Gottesvolk“ beschrieben sieht. Zur Allegorie JHWH – Israel vgl. bes. Hos 1–3; Jes 5,1–7; Jer 2,2f; Ez 16.23; Jes 50,1. Das Vergessen des Volkes // des Hauses des Vaters in Ps 45,11 interpretiert Becker, Israel, 87 als eine Anspielung auf „die Ursprünge Israels …, das Jahwe sich aus den Völkern ausgesondert hat“. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 279; Chr. Rösel, Redaktion, 129 und ebd. 156 Anm. 378. Zur Kritik an dieser Position vgl. auch M.P. Maier, Israel, 658 Anm. 12. Körting, Isaiah 62:1–7, vgl. dies., Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 165; zur Kritik an dieser These vgl. Ueberschaer, Ich und mein König, 2 Anm. 1.
70
Erster Teil: Text und Gestalt
stellen318. Da die Idee einer Hochzeit nur in V. 11–16 angelegt sei319, sucht sie die ihrer Meinung nach aus vorexilischer Zeit stammende ursprüngliche Fassung des Königspsalms in den Versen 2–10.17–18, wo ausschließlich die Schönheit und Macht des Königs gerühmt würden320. Dagegen würden die Verse 11–16 völlig neue Facetten in den Text einbringen: „The ideal king shall marry“321. Dabei würden alle Beschreibungen der Braut denen des Königs untergeordnet, so dass anzunehmen sei, dass die Verse 11–16 literarisch von V. 3–10.17–18 abhängig seien. Die auf die Braut bezogenen Passagen seien eine spätere und eigens für den Kontext geschaffene322 Weiterführung des vom idealen König handelnden Liedes, das in der überlieferten Letztfassung aus nachexilischer Zeit stammen dürfte323. Liest man Ps 45 vor dem Hintergrund von Jes 40–66, wo das Bild der Königin und der königlichen Braut entfaltet werden, ergäben sich folgende Konsequenzen: •
• • •
•
Die in V. 11 angesprochene Tochter könne auf Jerusalem gedeutet werden, das z.B. in Jes 54,4 aufgefordert werde, die Schmach seiner Jugend zu vergessen. Dies stelle eine Parallele dar zur Mahnung an die königliche Gemahlin, ihr Vaterhaus zu vergessen324. Der Gebrauch von ּבַ תerinnere daran, wie von Zion im Jesajabuch gesprochen werde (vgl. u.a. Jes 1,8; 3,16–17; 4,4; 62,11)325. Referenztext für die Hochzeit der Braut sei besonders Jes 62,1–7. Die den Status der Braut unterstreichende Prachtkleidung habe Parallelen in Jes 52,1ff, wo Zion aufgefordert werde, seine Trauerkleidung abzulegen und im Glanz einer Königin aufzutreten, die zudem mit Huldigungsgaben geehrt werde (vgl. Jes 60,5–7.9). Das Motiv der reichen Nachkommenschaft erscheine durchgehend in Jes 40–66 (vgl. Jes 49,20; 54,1–3; 66,7–12)326.
All diese Parallelen wiesen darauf hin, die „Braut“ in Ps 45 mit Zion gleichzusetzen. Damit aber wäre auch die Funktion von Ps 45 im Psalter geklärt: 318 319 320 321 322 323 324 325 326
Vgl. Körting, Isaiah 62:1–7, 114. Vgl. Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 165. Vgl. Körting, Isaiah 62:1–7, 114f. Körting, Isaiah 62:1–7, 115. Körting, Isaiah 62:1–7, 116 Anm. 67. Körting, Isaiah 62:1–7, 116. Vgl. Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 167. Vgl. Körting, Isaiah 62:1–7, 117 Anm. 72. Allerdings räumt Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 166f, selbst ein, dass das Motiv der Nachkommenschaft in Ps 45 mit dem König verbunden sei.
Erster Teil: Text und Gestalt
71
„The ideal king is connected to Zion, God’s city“327. Beide Hoffnungsfiguren heiraten, und so wird Zion zur Queen des messianischen Königs. Für diese Neuinterpretation von Ps 45 dürften die beiden folgenden Zionspsalmen 46 und 48 wichtig gewesen sein. Allerdings – und das sieht Körting selbst so – haben die Jesajastellen insofern einen anderen inhaltlichen Fokus, als sie Zion als Braut JHWHs und eben nicht als die des Königs in den Blick nehmen. Gerade Zion habe in den jesajanischen Texten „kein besonderes Verhältnis zu dem idealen König“, “ja, es scheint so, als würde sie selbst dessen Rolle einnehmen“328. Zudem gelte: „Ps 45 is in itself not configured to connect the bride only with Zion. Still, the way Zion is depicted in Isaiah opens up this possibility“329.
Ob das aber die ursprüngliche Intention von Ps 45 war, bleibt fraglich330. Auch R.S. Salo spricht sich für einen mehrstufigen Entstehungsprozess von Psalm 45 aus, den sie so zusammenfasst: „1) Der vorexilische Grundtext von Psalm 45 findet sich in den Versen 2–12*.14–17 (ohne ענוהin Ps 45,5). Dieser Text hatte seinen Sitz im Leben bei den Hochzeitsfeierlichkeiten am judäischen Königshof. 2) Eine perserzeitliche Bearbeitung hat eine universalistische Völkerperspektive in den Text vom [sic !] Ps 45,13.18 hinzugefügt. 3) Im 5. Jh. wurde der Psalm in die Gruppe der Korachpsalmen und dann in den elohistischen Psalter eingefügt. In diesem Zusammenhang erfuhr er eine relecture: Der König wurde jetzt als Jahwe und die Braut als Tochter Zion verstanden. 4) In Ps 45,5 findet sich eine hellenistisch zu datierende armentheologische Glosse“331. Die genannten literarkritischen Vorschläge sind bei der Analyse des Psalms im Blick zu behalten. Eine andere Deutung vertritt jüngst F. Ueberschaer, der ebenfalls davon ausgeht, dass der Passus V. 11–16 eine Erweiterung des Grundpsalms V. 3–10.17332 darstelle. Sein Ansatzpunkt ist allerdings bei der Wendung ( תַ חַ ת אֲבתיךV. 17). Diese Wendung deutet für ihn zunächst einmal darauf hin, „dass der Vater, der alte König, gerade verstorben ist und nun sein 327 328 329 330 331 332
Körting, Isaiah 62:1–7, 121. Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 167. Körting, Isaiah 62:1–7, 118, vgl. dies., Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 168. Vgl. Krusche, Königtum, 258. Salo, Königsideologie, 164f. Unklar bleibt, warum Ueberschaer, Ich und mein König, 28, V. 2 und V. 18 nicht zu diesem von ihm postulierten Grundpsalm rechnet.
72
Erster Teil: Text und Gestalt
Sohn die Nachfolge antritt“333. Die Annahme einer unmittelbaren Amtsnachfolge durch den Sohn nach dem Tod des Vaters würde zur Gesamtaussage des Psalms, insbesondere den Aufforderungen V. 4f sehr gut passen, da so vorausgesetzt sei, dass der König bislang noch keine Kriege „in eigenem Namen“334 geführt habe. Ihm werde der Sieg gewünscht und Wohlstand zugesagt. V. 17 schließlich würde dazu auffordern, „nicht zurückzublicken, sondern sein Amt anzutreten und nun seinerseits seine Herrschaft auszubreiten“335. Wenn dann der König kurz nach seiner Thronbesteigung noch geheiratet habe, dann wäre es denkbar, dass der Psalm anlässlich dieses Festes „wiederverwendet und dem Anlass entsprechend erweitert wurde“336. Für eine Erweiterung des ursprünglichen Königspsalms spreche auch, dass die im Psalm enthaltenen Topoi (Der König als kriegerischer Held und Herrscher und die Hochzeit des Herrschers) weder „literarisch, noch ikonographisch“337 miteinander verbunden wären. Ps 45 wäre so „ein erstes Beispiel dafür, dass Herrschaftsinszenierung und Hochzeit unmittelbar in Beziehung gesetzt werden“338 und zugleich ein Beleg für die sekundäre Wiederverwendung eines tradierten Textstückes und die Neukombination von Motiven. Gegen die These von Ueberschaer spricht vor allem, dass in V. 17 von den Vätern und den Söhnen die Rede ist, also der Abfolge der Generationen innerhalb des Herrschergeschlechts. Ging es um eine unmittelbare Amtssukzession, so wäre zu erwarten, dass das auch entsprechend formuliert wird. Damit sind wir bei der zweiten strittigen Frage: Handelt es sich bei Ps 45 insgesamt um ein Hochzeitslied? 2. Ps 45 – ein Hochzeitslied für den König? Zur Frage der Gattung Was die Gattung von Ps 45 betrifft, so scheint die Sachlage längst geklärt. Es handelt sich um einen Königspsalm339, genauer noch um ein Hoch333 334 335 336 337 338 339
Ueberschaer, Ich und mein König, 21. Ueberschaer, Ich und mein König, 21. Ueberschaer, Ich und mein König, 21. Ueberschaer, Ich und mein König, 21. Ueberschaer, Ich und mein König, 22 Anm. 72, vgl. ebd. 23.28. Ueberschaer, Ich und mein König, 23, vgl. ebd. 28. Kraus, BK XV/1, 488. Kraus sieht in מעשׂי למלךsogar die „hebräische Bezeichnung“ (ebd.) der Gattung.
Erster Teil: Text und Gestalt
73
zeitslied „zur Feier der Vermählung eines Königs mit einer Königstochter“340, wobei es aufgrund der Gesamtmotivik naheliegt, „an einen Davididen zu denken“341. Die Deutung als Hochzeitslied bestimmt die meisten Auslegungen – bis heute342. H. Gunkel beschreibt den Anlass hymnisch-preisend folgendermaßen – man fühlt sich fast an einen königlichen Hof der ausgehenden deutschen Kaiserzeit erinnert: „Die Stadt wogt vom Getümmel festlicher Menschen; die Königsburg oben erbraust von Jubel; der junge König hält Hochzeit. Aus fernem Lande ist die Braut gekommen, sie selbst eine Königstochter: der neue Bund soll die Freundschaft der Staaten fester schließen. Schon wird die Braut zum Schlosse emporgeleitet; schon steht sie dem Könige, der ihr entgegengezogen ist, zur Rechten: ihre bunten Kleider schimmern und leuchten. Alles huldigt und jauchzt. Da tritt der Sänger in den festlichen Kreis; in dieser Stunde der Begeisterung hat er dies Lied gesungen. Jene Menschen sind längst dahin, ihre Asche verweht, ihr Name vergessen. Niemand weiß den Namen des Sängers mehr, und selbst den König, auf den er gedichtet hat, kennen wir nicht. Aber das Lied, das er gesungen hat, ist geblieben.“343 340
341 342 343
Hupfeld, Psalmen, 2, 353. So auch Ewald, Psalmen, 88; Keßler, KK VI/1, 99; Baethgen, HK II/2, 127; Kittel, Psalmen, 172; Gunkel, HK II/2, 191; Kraus, BK XV/1, 488; Mulder, Studies, 155; Olivier, Sceptre, 45.53; Propp, Is Ps 45 an erotic poem?, 34; Seybold, HAT I/15, 185; Deissler, Psalmen, 185; Becker, Israel, 80; Loretz, Liebeslied, 67; Kaiser, Schönheit, 157; Vette, „Wer ist Wer“, 216; ders., „Who is Who“, 127; Süssenbach, Psalter, 365; Gerstenberger, Arbeitsbuch, 74; Lim, Königskritik, 179. Gerstenberger, Psalms I, 186, vgl. ebd. 189 sieht drei Möglichkeiten, den Psalm zu interpretieren: 1. als volkstümliches Liebes- und Hochzeitslied, das Braut und Bräutigam als Königin und König tituliert. 2. als königliches Hochzeitslied aus der Zeit der israelitischen Monarchie. 3. als allegorisches Lied der nachexilischen Gemeinde, das die Verlobung JHWHs / des Messias mit Israel preist. Möglichkeit 2 hält Gerstenberger allerdings für am überzeugendsten. Becker, Israel, 80 nennt noch eine 4. Interpretationsmöglichkeit, die besonders von der myth and ritual school ins Spiel gebracht wurde, nämlich die Deutung auf eine rituelle „Heilige Hochzeit“ des Königs im Rahmen des Neujahrsfestes (vgl. Gerstenberger, Psalms I, 188). Hengstenberg, Psalmen 2, differenziert: Der Psalm sei „beides, ein Hochzeit- und ein Loblied“ (399f). Auch Salo, Königsideologie, 162 spricht sich für ein Hochzeitslied aus. Sie räumt allerdings selbst ein, dass im Alten Orient ansonsten keine königlichen Hochzeitsrituale überliefert sind (ebd. 162 Anm. 58). Keßler, KK VI/1, 99. Vgl. zuletzt auch Ueberschaer, Ich und mein König, 3.17. Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 73.
74
Erster Teil: Text und Gestalt
Als Hochzeitslied wird der Psalm von einigen Auslegern „als das einzige Beispiel profaner Lyrik im Psalter“344 angesehen: „Er ist ein Preisgesang auf einen jungen König und seine Gemahlin, eine Prinzessin von Tyrus (V. 13), der von einem Hofsänger zur Hochzeit des Herrschers gedichtet und vorgetragen wurde“345. Die bestimmenden Elemente für diese Definition fand man in der Überschrift „Liebeslied“, in den Mahnungen an die Königin (V. 11–12), in der Prachtentfaltung des Geschehens, das mit der Übergabe von Geschenken und der prächtigen Kleidung der Königin verbunden war, und der weiblichen Begleitung, die sie zum König führt346. Vielfach bemühte sich die gattungsgeschichtliche Forschung, einen genauen Sitz im Leben und eine exakt zu bestimmende historische Situierung des Psalms auszumachen347 und fragte danach, „welcher König u.(nd) welche Königstochter anzunehmen sei“348. Man dachte an die Hochzeit Salomos, Jorams (2Kön 8,18)349 oder Ahabs350 und sah in ( אהבתV. 8) eine verborgene Anspielung auf diesen König351. Man identifizierte den König wegen des Hinweises auf das Lieben der Gerechtigkeit mit Hiskia352. Man lokalisierte den Psalm wegen der Erwähnung von Elfenbeinpalästen und der Nennung von Tyrus sowie wegen des fehlenden Bezuges auf den Zion im Nordreich353. Zudem seien die meisten bekannten Frauen judäischer 344
345 346 347
348 349 350 351 352 353
Weiser, ATD 14, 243, vgl. de Wette, Psalmen, 3; Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 249; Gerstenberger, Psalms I, 187: Es sei außerordentlich für das Alte Testament, dass hier „a religious hymn to a living person“ vorliege, vgl. ähnlich Schröder, „A Love Song“, 418; Lim, Königskritik, 134. Weiser, ATD 14, 243. Vgl. dazu Trotter, The genre, 43–45, der sich kritisch mit den genannten Argumenten für ein königliches Hochzeitslied auseinandersetzt. Vgl. den Überblick über unterschiedliche Versuche bei Baethgen, HK II/2, 127; M. Müller, Herr, 132; Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 163; Lim, Königskritik, 180 und Trotter, The genre, 36. Hupfeld, Psalmen 2, 355. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 333; Hupfeld, Psalmen 2, 401. Vgl. H. Schmidt, HAT I/15, 87; Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 254. Vgl. Kraus, BK XV/1, 489 unter Berufung auf den Kommentar von Hitzig. Vgl. Graetz, Psalmen, 316f. Teilweise nahm man an, das Lied sei an einen fremden König gerichtet, vgl. Olshausen, KEH 14, 199. So Ewald, Psalmen, 92; Hitzig, Psalmen 1, 246; Gunkel, HK II/2, 193; H. Schmidt, HAT I/15, 87; Spieckermann, Heilsgegenwart, 217; Seybold, HAT I/15, 185; ders., Poetik, 170; auch Ueberschaer, Ich und mein König, 22 Anm. 73 plädiert jüngst wieder für eine Nordreichverortung, „weil … angesichts der politischen und wirtschaftlichen Relevanz, die das Nordreich in der Mittleren Eisenzeit hatte, eine Hochzeit mit einer tyrischen Prinzessin eher wahrscheinlich
Erster Teil: Text und Gestalt
75
Könige „Judäerinnen, nicht fremde Prinzessinnen gewesen“354, was ebenfalls für die nordisraelitische Herkunft des Psalms spreche. Doch sind solche Versuche für das Verständnis eher hinderlich, weil sie die „biographisch-historische ... Deutung“ in den Vordergrund rücken, die eigentlich wichtigere „theologisch-poetische...“355 aber eher verstellen und letztlich rein spekulativ bleiben356. Nur selten erhob sich ein Widerspruch gegen die Einordnung des Psalms als Hochzeitslied. Eine der wenigen Ausnahmen war W.M. de Wette, der auf die besonderen Rollen des Königs in Ps 45 hinwies und fragte: „Was sollte doch .... das Lob seiner kriegerischen Tugenden (V. 4–6), und überhaupt alles, womit er gepriesen wird, in einem Hochzeitsliede?“357 Und er führt weiter an: „Sehr gezwungen ist die Hypothese, … daß die Veranlassung dieser Ode ein Kriegszug gegen ein benachbartes Volk ... sey, daß der Dichter seine Glückwünsche darbringe und verheisse, der König werde siegreich zurückkehren mit dem gefangenen Harem des feindlichen Königs“358. Zu Recht verweist de Wette darauf, dass der ganze Psalm „einen friedlichen, ruhigen Zustand“359 voraussetze. Er kommt dann in der 4. Auflage seines Kommentars zu dem Schluss: „ich halte den Ps.[alm] für ein Lobgedicht auf den König nebst seiner Gemahlin“360. Wäre der Psalm ein Hochzeitslied, so könnte man erwarten, dass zumindest die Termini Braut, Bräutigam und Hochzeit361 genannt würden. Warum wird stattdessen von der Gemahlin gesprochen und der Psalm als Liebesund nicht als Hochzeitslied ( )שׁיר ֲחתֻ ָנהbezeichnet? Diese Problematik bleibt auch bei der Annahme einer Fortschreibungsschicht. Zudem ist zu beachten, dass die Hochzeitsthematik in den ersten acht Versen des Psalms
354 355 356 357 358
359 360 361
erscheint und auch die erwähnten Elfenbeine für enge Beziehungen sprechen – doch lässt sich das durch nichts belegen“ (ebd.), vgl. ferner Gerstenberger, Psalms 1, 190. Zur Diskussion s. auch Schröder, „A Love Song“, 417. Gunkel, HK II/2, 193, vgl. ders., Ausgewählte Psalmen, 79. Spieckermann, Heilsgegenwart, 218. Vgl. Gerstenberger, Psalms I, 190 und schon Olshausen, KEH 14, 199. De Wette, Psalmen, 338, vgl. jetzt auch Trotter, The genre, 45f. De Wette, Psalmen, 338, vgl. dazu in jüngerer Zeit Schröder, „A Love Song“, 421, der die Verbindung der Themen von Krieg und Hochzeit darin sieht, dass im Krieg Frauen als Beute mitgenommen wurden. Die Hochzeit sei so Resultat des Krieges. Zum Frauenraub in der Antike s. das Themenheft „Frauenraub im Altertum“, AW 4 (2019). De Wette, Psalmen, 338. De Wette, Psalmen, z.St. Vgl. dazu z.B. Jes 62,5.
76
Erster Teil: Text und Gestalt
überhaupt keine Rolle spielt362. Wenn man aber von einer Fortschreibungsschicht in den Versen 11ff ausgeht und in diesen Versen eine königliche Hochzeit beschrieben sieht, so stellt sich die Frage nach dem logischen Zusammenhang von erstem und zweitem Teil des Psalms, der dazu berechtigt, den erweiterten Psalm als Hochzeitslied zu klassifizieren. Daher fragt J.M. Trotter zu Recht: „what ist the common setting for the combination of coronation and wedding elements in this psalm?“363 Auch die jüngste Arbeit von K. Kremser setzt, wie schon der Titel sagt, als Basis für Psalm 45 eine Hochzeit voraus: Psalm 45 sei ein „Lied zu einer Königshochzeit“364. Dabei werde der König mit „göttlichen Attributen“365 ausgestattet, die Königin dagegen habe „Züge einer Fremden“366 und werde zugleich „mit Attributen des Hohepriesters“367 versehen. Das führt Kremser zu der Annahme, bei Psalm 45 handle es sich um ein Rätsel368. Der Psalm müsse daher metaphorisch interpretiert werden: „Der König ist Gott, die Königin ist sein Volk. Gott zieht aus und richtet seine Herrschaft auf, er sorgt für Gerechtigkeit. Das Volk kommt aus der Fremde und zieht in den Tempel Gottes ein“369. Kremser benennt selbst eine Schwierigkeit dieser Deutung. Denn das Ineinander von Gott und König sei schwer vorstellbar, da ja der König „als eigene Person“370 geschildert werde. Dennoch betont er die Verbindung von JHWH-König-Idee und Erwartung eines messianischen Heilskönigs. Damit aber ergebe sich eine Spannung zwischen dem König, der menschlich geschildert werde, und der im Psalm ausgedrückten Vorstellung eines Bräutigams, die sonst JHWH zugeordnet sei. Analog sei auch die Identität der Königin offen: „Sie ist Israel, hat aber auch deutliche Züge einer Frem-
362 363 364 365 366 367 368
369 370
Vgl. Trotter, The genre, 43. Trotter, The genre, 43. Kremser, Hochzeit, 291. Kremser, Hochzeit, 291. Kremser, Hochzeit, 291. Kremser, Hochzeit, 291. So jetzt auch Böhler, Psalmen 1–50, 821f.826: „Ps 45 ist … ein Rätsellied über einen König und sein Verhältnis zu Gott und seiner Braut“ (ebd. 821). Die Identität von König und Braut bleibe unklar (ebd. 821). Zum „Rätselcharakter des Liedes“ gehöre, „dass der einerseits eindeutig von Gott unterschiedene König (V. 3 und 8) andererseits so nahe an Gott heranrückt, dass er mit ihm verschwimmt wie der erhoffte Prinz in Jes 7,14“ (ebd. 825). Kremser, Hochzeit, 291. Kremser, Hochzeit, 291.
Erster Teil: Text und Gestalt
77
den“371, wird sie ja Tochter Tyrus genannt, obwohl sie in ihrer Rolle eher der Tochter Zion gleichkomme. Diese Mehrdeutigkeit entspreche der des Königs. Für Kremser ergibt sich daraus als Resümee, dass man Ps 45 „als Text über Gott und Israel, über den messianischen König und Israel, über Gott und die Völker (repräsentiert durch Tyros) oder über den messianischen König und die Völker lesen“372 könne. Zudem leiste Ps 45 im Kontext der Königspsalmen „einen wichtigen Beitrag zur Verhältnisbestimmung Gott – König, in dem er den König zunehmend an Gott annähert und letztlich zu einer Gleichsetzung beider tendiert“373. In dieser Deutung ist der König nicht mehr „zwischen Mensch und Gott“ angesiedelt, sondern wird mehr und mehr Gott selbst. Die genannten forschungsgeschichtlichen Positionen sollen bei der folgenden motiv- und traditionsgeschichtlichen Analyse des Psalms im Blick behalten werden, um am Ende sowohl die Frage nach der Einheitlichkeit wie die nach der Gattung des Psalms noch einmal aufzunehmen.
371 372 373
Kremser, Hochzeit, 291. Kremser, Hochzeit, 292. Kremser, Hochzeit, 307.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Welches Bild des Königtums entfaltet nun speziell Ps 45? Welche Motive und Traditionen werden aufgegriffen, wie werden sie miteinander verbunden und welchen Traditionslinien lassen sie sich zuordnen? Der Psalm zeigt eine höfische Pracht, die sich unterschiedlich entfaltet: In der Architektur und Ausstattung der Paläste, im Glanz und den Farben der Gewänder und kostbaren Stoffe und Schmuckgegenstände, in der erklingenden Musik, in den verschiedenen Wohlgerüchen, den grazilen Bewegungen, vornehmlich aber im König selbst, der als der „schönste“ der Menschen apostrophiert wird. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass all diese sinnenhafte Pracht den Sänger dazu inspiriert, sie in einem schönen Lied zu preisen, wie V. 2 bereits zu Beginn festhält. Ps 45 ist damit eine der wenigen Stellen im Alten Testament, die „von der Herstellung von Texten“1 sprechen. A) Die Widmung des Dichters / Sängers (V. 2) Der Psalm beginnt mit einer Selbstvorstellung des Dichters und / oder Sängers des Psalms2, was äußerst selten ist3. Er erzählt davon, dass sein Herz bewegt war ()רחשׁ4. Im Hintergrund steht die Vorstellung vom Herzen als
1 2 3
4
Seybold, Poetik, 20. Hossfeld, Festtraditionen, 169 spricht „von einem Priester und Schreiber am Hofe des Königs“, der das Lied „zur größeren Ehre des Staatsoberhauptes“ vortrug. Vgl. Seybold, Poetik, 280; Gerstenberger, Psalms 1, 189; Lim, Königskritik, 121, vgl. R. Müller, Schönheit, 13: „die Aussage sucht in der althebräischen Lyrik ihresgleichen“. Vgl. dazu Hengstenberg, Psalmen 2, 412; Delitzsch, BC IV/2, 335; R. Müller, Schönheit, 14.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
79
einem Gefäß5, in dem die Worte brodeln so wie die Flüssigkeit oder die Speise in einem Topf6. Vom Verb „ רחשׁbewegt sein, überwallen“, das nur in Ps 45,2 belegt ist, ist das Nomen „ מַ ְרחשׁתKochpfanne, Kochtopf“ abgeleitet7. Das Herz ist so bewegt, so erfüllt, dass es übersprudelt. „Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über“8. Der Inhalt dieses Körpergefäßes, das als Sitz des Verstandes und der Lebenskraft genannt wird9, ist דָ בָ ר טֹוב, das „schöne Wort“, das nach Spr 12,25 den Menschen erfreut10. Das Adjektiv טֹובumschreibt hier wie an vielen anderen Stellen „diejenigen Eigenschaften, die ein Objekt erstrebenswert machen“11. Es ist ein Qualitätsbegriff, der in Ps 45 die Anmut und Schönheit der Dichtung herausstellt. Dieses gute Wort, das das Innere des Dichters bewegt und das Herz erfüllt, drängt nach draußen, drängt zum Vortrag, wird zur Äußerung, die in die Form eines Liedes gegossen wird. Der Dichter nennt es, erfüllt vom Bewusstsein seiner Kunstfertigkeit12, „mein Werk“, wobei der Plural מַ עֲשַׂ יals Intensivplural anzusehen sein wird13. Der Dichter sieht sich als Urheber, als Autor, was auffällig ist. מַ עֲשׂהsteht für jede Form handwerklicher Kunst, sei es ein Backwerk (Gen 40,17), die Arbeit eines Gießers (2Chr 3,10) oder Töpfers (Thr 4,2), für wertvolles Geschmeide (Hld 7,2) oder sonst ein Kunstwerk14. Ein solches Kunstwerk ist auch das in Ps 45 vorliegende Gedicht (vgl. Ps 45,2), das, wie im Rahmen der Kompositionsanalyse gezeigt wurde, eine „sehr erlesene … Phraseologie und Diktion“15 erkennen lässt. Im Zusammenhang von Ps 45 ist מַ עֲשַׂ יsomit ein Fachausdruck für Literatur, ähnlich wie 5 6
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Vgl. dazu Gillmayr-Bucher, „Meine Zunge …“, 201 Anm. 20; Lim, Königskritik, 139f. Ein ähnliches Bild findet sich in Hi 32,18–20, vgl. dazu Lim, Königskritik, 140f. Zum alttestamentlichen Verständnis des Herzens vgl. Janowski, Der ganze Mensch, 15ff. Vgl. dazu auch Lev 2,7; 7,9 und Lim, Königskritik, 139f. Vgl. Mt 12,34 und zum Motiv des überquellenden Herzens auch Röhrich, Lexikon 2, 706. Gillmayer-Bucher, „Meine Zunge …“, 202; Fabry, Art. לֵב, 426.432f. Vgl. Lim, Königskritik, 141f; Ueberschaer, Ich und mein König, 4. Höver-Johag, Art. טֹוב, 318. Vgl. dazu Keel, AOBPs, 224 und ähnlich Ps 49,2–5; 78,1–6. Vgl. dazu GK 124 e; Schildenberger, Textkritik, 32f und oben S. 27. Vgl. Seybold, Die Psalmen, 45; Ringgren, Art. עָשָׂ ה, 427f. Seybold, Poetik, 58.
80
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
in Koh 12,12, wo sich עֲשֹׂות סֵ ָפ ִּריםauf die „Herstellung“ von literarischen Werken bezieht. Dieses Werk der Dichtkunst16 will der Dichter / Sänger vortragen und somit an die Öffentlichkeit bringen. Es ist „als Kunstwerk entstanden und als Kunstwerk zu lesen und zu hören“17. Schon dieser Hinweis gibt einen Fingerzeig auf den Ort der Entstehung des Liedes: Die Kunst der Dichtung18 wird in weisheitlichen Kreisen gepflegt, die u.a. an königlichen Höfen zu verorten sind19. Hier am Königshof wurde das Wissen bewahrt und weitergegeben und die Bildung gepflegt, hier am Königshof gab es eine „Sprachund Denkkultur“20, die die Voraussetzung war für die Entstehung eines solchen Gedichts. Hier waren „höfische Sänger und Dichter“21 beheimatet, die in einer den Hofstil repräsentierenden Traditionslinie22 standen und somit nicht als Gelegenheitsdichter, sondern als professionelle Literaten anzusehen sind23, denen sicherlich auch die vorexilischen Königspsalmen zu verdanken sind. Und am Königshof war auch der Ort, an dem ein solches Kunstwerk die rechte Würdigung fand. Dieses Lied hat als Adresse לְ מלך. Mit dem Stichwort מלךwird gleich zu Beginn ein Leitwort des gesamten Psalms eingeführt. Einem König gilt die Dichtung, und damit wird auch die Verortung des Gedichts und des Sängers am königlichen Hof manifest. Während nun das Herz so erfüllt ist, dass es gleichsam überfließt, ist die Zunge das Schreiborgan des Dichters. Sie lässt die Worte hervorsprudeln so wie der Griffel eines geschickten Schreibers sie niederschreibt. Vorausgesetzt ist bei diesem Bild wohl eine mit Wachs überzogene Holztafel, wie sie in Syrien/Palästina und in Mesopotamien seit dem 8. Jh. v.Chr. benutzt wurde24. Eine solche Tafel, die zum klassischen Handwerkszeug eines Schreibers oder Sekretärs gehörte, hatte den Vorteil, dass man sie mit einem einfachen Griffel beschreiben konnte. Das Geschriebene ließ sich aber leicht 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Allerdings bleibt die Art und Weise des Dichtens merkwürdig unbestimmt, vgl. dazu Hoftijzer, Some Remarks, 56–59. Seybold, Die Psalmen, 45. Vgl. dazu auch Spr 25,11 und unten S. 214. Vgl. R. Müller, Schönheit, 14; Gerstenberger, Arbeitsbuch, 74. Seybold, Die Psalmen, 45, vgl. für die Hofgesellschaft Ramses’ II. auch Raedler, Struktur, 65ff. Seybold, Poetik, 37, vgl. Niehr, Art. ספֵר, 926. Vgl. Seybold, Poetik, 97. Vgl. Seybold, Poetik, 97. Vgl. dazu Baumann, Art. ַלּוח, 495f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
81
wieder auswischen. „Auf der Tafel festgehaltene Notizen wurden anschließend auf ein Blatt oder eine Rolle ins Reine geschrieben“25. Abb. 1 zeigt zwei solcher Schreiber, die zwei verschiedene Arten des Schreibens pflegen. Der linke schreibt mit einem Pinsel auf Leder und Papyrus, der rechte dagegen mit einem Griffel auf Lehm oder auf eine Holztafel.
Abb. 1: Darstellung von zwei Schreibern auf einer Wandmalerei aus dem Palast von Tell Achmar aus dem 8. Jh. v.Chr.
Was in Ps 45,2 an Kunstfertigkeit und Formvollendung angedeutet ist, setzt der Dichter dann in seinem Poem (V. 3–18) um. Diese Umsetzung geschieht aber nicht schriftlich, sondern mündlich26. Somit ist in Ps 45 vorrangig der gefällige Vortrag des Gedichts im Blick und weniger dessen aktuelle Schaffung. Das fertige Gedicht ist vielmehr vorausgesetzt. Instrument der Umsetzung ist die Zunge des Dichters. Die Zunge ist im Alten Testament „das Sprachorgan des Menschen …, das Wort und Rede 25 26
Lemaire, Art. Schreibmaterial, 507, vgl. Rüger, Art. Schreibmaterial, 290; Zwickel, Welt, 59. Vgl. Seybold, Poetik, 20; anders R. Müller, Schönheit, 14.
82
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
hervorbringt“27. Sie hat Mächtigkeit und Kraft28, wobei beides ambivalent, positiv oder negativ sein kann: Die Zunge kann einer Waffe gleichen (Jes 54,17; Ps 52,4; 57,5), sie kann der Schmeichelei (Spr 28,23) oder Prahlsucht (Ps 12,4f; 52,6) dienen, sie kann aber auch – wie in Ps 45 – eingesetzt werden für Lob und Verherrlichung. Normalerweise ist die Zunge ein Redewerkzeug; in Ps 45,2 wird sie durch die verwendete Metaphorik gleichsam umgeprägt zu einem Schreibgerät. Sie „malt“ die poetisch preisenden Worte, so wie ein Schreiber in Schönschrift ein Dokument. Konkret wird sie verglichen mit einem Griffel ()עֵט. Wie die wenigen Belege des Wortes עֵטzeigen, konnte solch ein Griffel aus Eisen gefertigt sein (Jer 17,1; Hi 19,24)29. Der Begriff kann aber auch im Sinne von „Schreibrohr“ gebraucht werden, vgl. dazu neben Ps 45,2 auch Jer 8,830. Dort heißt es: Wie könnt ihr sagen: „Weise sind wir, und die Weisung JHWHs ist bei uns!“? Fürwahr siehe, zum Trug hat es gemacht der trügerische Griffel von Schreibern.
Der Trug ist allüberall und hat auch den Schreibergriffel erfasst. Doch wie äußert sich der Trug, wie wird er sichtbar? Was genau ist am Tun der Schreiber trügerisch? Das bleibt merkwürdig unbestimmt. In jedem Fall aber hat Gottes Weisung „unter der verfälschenden Amtsausübung der sie Überliefernden zu leiden“31. Das Tun der Schreiber ist in Jer 8,8 somit negativ besetzt. Anders ist es in Ps 45,2. Hier werden mit Herz und Zunge zwei Hauptorgane der Kommunikation angesprochen werden. Während das Herz für die Grundeinstellung des Dichters und sein daraus resultierendes Handeln steht, gibt die Zunge als Werkzeug der Mitteilung die Möglichkeit zur Kommunikation32. Sie ist somit das „Kommunikationsmittel“33 zwischen Dichter und König. „Die Zunge des Dichters bewegt sich in Folge der ihm
27 28 29 30 31 32 33
Marböck, Art. Zunge, 1228. Vgl. Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 157. Vgl. Fohrer, KAT XVI, 317. Vgl. GB18, 950. G. Fischer, Jeremia 1‒25, 335 (im Original kursiviert). Vgl. Gillmayr-Bucher, „Meine Zunge …“, 202 Anm. 23. Kedar-Kopfstein, Art. לָשֹׁון, 605.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
83
zuströmenden Gedanken so schnell, wie der Griffel eines Schnellschreibers“34. Der Hinweis auf den Griffel wird im Folgenden noch näher bestimmt durch die Wendung סֹופֵר מָ הִּ יר. Die Bedeutung des Adjektivs מָ הִּ ירgeht über die Schnelligkeit der Tätigkeit hinaus. Es bedeutet „geschickt, erfahren“35. So spricht z.B. Esr 7,6 von Esra als einem ספֵר מָ הִּ יר: Er (Esra) war ein gewandter Schreiber im Gesetz des Mose, das JHWH, der Gott Israels gegeben hatte.
Instruktiv für diesen Bedeutungsaspekt des Wortes ist auch Spr 22,29: Hast du einen in seiner Arbeit geschickten Mann gesehen? Vor Königen hat er sich hinstellen dürfen ( יצבnif.), nicht wird er sich hinstellen vor Unbedeutende.
Durch die einleitende Frage macht der Spruch auf ein Verhalten aufmerksam, das man immer wieder beobachten kann, nämlich dass Geschick und Tüchtigkeit einen Menschen zum Erfolg bringen können. Interessant ist dabei die Zuordnung des geschickten Mannes zum Bereich des Königs. Denn in erster Linie ist der König derjenige, „in dessen Dienst ein besonders Fähiger treten kann … Dessen Arbeitskraft ist bei einem niedriger Gestellten (= im Dunkeln Lebenden) verschwendet“36. Am ehesten trifft die Zuordnung des Tüchtigen zum königlichen Bereich auf einen Schreiber zu37, was durch einen Spruch aus der wohl aus der 26. Dynastie stammenden38 Lehre des Amenemope gestützt werden kann (27,16f)39. Ein Schreiber, der in seinem Amte erfahren ist, der wird würdig befunden, bei Hofe zu sein.
34 35
36 37 38 39
Baethgen, HK II/2, 127, vgl. Niehr, Art. ספֵר, 928. Vgl. Ringgren, Art. מהר, 717. Eine Parallele liegt vor in Achiqar I 1: „[Das Buch der Spr]üche eines weisen Schreibers und geschickten [Weisen] (spr ḥkym w[ḥkym] mhyr) und Kottsieper, TUAT III/2, 324. Hausmann, Menschenbild, 143. Zum Amt des königlichen Schreibers s. auch Rüterswörden, Die Beamten, 85– 89. Vgl. dazu Grumach-Shirun, Art. Lehre des Amenemope, 971. Vgl. dazu Shirun-Grumach, TUAT III/2, 250. Zur Verbindung von Spr 22,29 und Amenemope 27,16f vgl. jüngst Quack, Einflüsse, 23f.
84
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Dass Spr 22,29 von einer Mehrzahl von Königen spricht, kann bedeuten, „dass der Geschickte …. mehreren Königen einer Dynastie zu dienen“40 vermag. Dem könnte in Ps 45,2 die Unbestimmtheit der Widmung des Liedes („einem König“ ohne Namensnennung) entsprechen. Insgesamt stellt Ps 45,2 geradezu eine Umsetzung der in Spr 22,29 vorauszusetzenden Szenerie dar. Der Dichter tritt vor dem König auf und singt diesem zum Preis sein Lied. Und natürlich handelt das Lied auch vom König, wie bereits der Eingang der ersten Strophe zeigt. Auffällig ist, dass der Name des Königs nicht genannt wird, sondern unbestimmt von לְ מלךgesprochen wird41. Möglicherweise wird so schon zu Beginn des Psalms der Blickpunkt auf das königliche Amt gerichtet und nicht auf die Person des Königs42. Demzufolge stehen im Folgenden dann auch die Rolle des Königs bzw. die Erwartungen an seine Rolle im Vordergrund, wie etwa die Motivkonstellationen „Recht und Gerechtigkeit“ und die Regalien der Herrschaft, wie Thron und Szepter, zeigen43. B) Der Lobpreis des Königs (V. 3–9) I. Die Einleitung (V. 3) 1. Die Schönheit des Königs Das eigentliche Psalmkorpus beginnt mit dem Preis der Schönheit44 des Königs durch den Dichter / Sänger des Liedes, was Ps 45 gegenüber ande40 41 42 43
44
Meinhold, ZBK.AT 16/2, 385. Vgl. Hirsch, Psalmen 1, 216. So auch Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 229. Vgl. dazu Salo, Königsideologie, 165. Zur Definition von Rolle s. Lang, Art. Rolle, 460: Demzufolge meint Rolle ein Verhaltensmuster, „das mit einer sozialen Position, einem Amt oder Status in einem bestimmten sozialen System oder einer bestimmten Situation verbunden ist“. Wichtig sind dabei Rollenmuster und Rollenerwartungen, die das Verhalten der jeweiligen Amtsträger prägen (vgl. ebd. 461), Rechte und Pflichten, die mit einer Position verbunden sind, „Interaktionen eines Rollenträgers mit anderen Menschen, deren Verhalten natürlich ebenso rollengeprägt ist“ (ebd. 462). Zu einer Rolle gehören oft auch Signale, die Kleidung, Insignien, Gesten und Sprachformen betreffen (vgl. ebd. 465). Zu den Rollenkonstellationen in der altisraelitischen Gesellschaft vgl. Berlejung / Metz, Art. Sozialstatus / Gesellschaft und Institution, 55f. Zum Thema Schönheit im Alten Testament vgl. die Zusammenstellung von Grund, „Wie schön ...“, vgl. weiter Grzegorewsky, Elemente; von Rad, Theologie
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
85
ren Königspsalmen heraushebt: „Du bist der schönste unter den Menschensöhnen“, wobei hier die eigentümliche Formulierung ָ יָפְ יָפִּ יתauffällt. Wenn die Annahme stimmt, dass der Form ein ursprüngliches ָ יָפֹו יָפיתzugrunde liegt45, dann wäre die Aussage durch diese figura etymologica verstärkt und hervorgehoben. Die hier verwendete Wurzel יפהfindet sich mehrfach im Alten Testament46, bezogen auf die unterschiedlichsten Größen. Orte und Städte wie Tyrus (Ez 27,3.4.11) oder der Zion (Ps 48,3; 50,2)47 gelten als schön. Ein schöner Baum steht als Bild für Israel (Jer 11,16), eine schöne Zeder kann Ägypten verkörpern (Ez 31,3.7.8.9). Schönheit wird aber durchaus nicht immer als positiv gesehen. Sie kann Grund sein für Hybris und Gottesferne (Ez 27,3.4.11; 31). Immer wieder sind es vor allem Menschen, oft herausgehobene Menschen, die als schön bezeichnet werden48. Dabei zeigt sich die Schönheit in Aussehen (Gen 12,11; 24,16) und Gestalt eines Menschen (Gen 39,6), dann aber auch konkreter bezogen auf die Augen (1Sam 16,12) oder die Stimme einer Person (Ez 32,32). So heißt es Gen 39,6 von Josef49: Josef aber war schön von Gestalt ( )יְ פֵי־תאַ רund schön von Aussehen ()ויפֵי מַ ְראה. Damit ist nicht ein Sein, sondern ein Werden ausgedrückt, hier bezogen auf Gestalt und Aussehen. Und diese Schönheit ist verbunden mit der Aussage: JHWH war mit Josef. Und er war ein Mann, der Erfolg hatte ( ַ) ִּאישׁ מַ צְ לִּ יח. (Gen 39,2) In diesem Glück, das auch die Umgebung Josefs erfährt, zeigt sich der Segen JHWHs (V. 5).
45 46 47 48 49
I, 361–365; Westermann, Das Schöne; Augustin, Der schöne Mensch; ders., Art. Schönheit; Vollmer, Art. Schön; Gruber / A. Michel, Art. Schönheit; Krüger, Art. Schönheit; Wolff Anthropologie, 117–121; Kaiser, Schönheit; Höver-Johag, Art. טֹוב, 323ff; Grundmann / Bertram, Art. καλός, 539ff; Reinert, Körper als Baustelle; Tielesch, Der schöne Mann; Lim, Königskritik, 145–149; Loader, Art. Schön / Schönheit. Zur Schönheit des Königs und ihrer Bedeutung im Rahmen der judäischen Königstheologie vgl. Flury-Schölch, Lauter schöne Männer; R. Müller, Schönheit. Für Ägypten vgl. den Sammelband Schönheit im Alten Ägypten, hier vor allem die Beiträge von Assmann, „man gedenkt seiner …“; Verbovsek, Schönheit; Wilde, Schönheit und Schmitz, Grundzüge. Vgl. dazu oben S. 28. Vgl. Lim, Königskritik, 145ff. Vgl. dazu R. Müller, Herrschaftslegitimation, 202f; ders., Schönheit, 17. Vgl. Loader, Art. Schön / Schönheit, Abschnitt 2.1.1. Vgl. dazu Lux, Josef, 95f.
86
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Ps 45 bezieht die Aussage von der Schönheit nun auf den König. Mit diesem Bezug knüpft der Psalm an eine lange Traditionslinie an50, die auch an anderen Stellen des Alten Testaments aufscheint51 und die besondere Rolle des Königs in den Blick nimmt. So weiß auch Ez 28,12f.17 von der Schönheit, hier des Königs von Tyrus. In einem Gotteswort wird dieser gepriesen: Du warst ein vollendetes Siegel, von vollkommener Schönheit, voller Weisheit und über die Massen schön. In Eden, dem Garten Gottes, warst du. Von kostbaren Edelsteinen aller Art war dein Gewand … und aus Gold ward es gewirkt. (Ez 28,12f, vgl. V. 17)
Es ist ein besonderes Geschöpf, von dem hier gesprochen wird, ausgestattet mit königlichen Ehren und Attributen52. Diese Schönheitsaussage wird im Folgenden fortgeführt durch Hinweise auf die prächtige, mit Kleinodien durchwirkte Kleidung des Königs (V. 13)53. Ähnliche Aussagen finden sich bezogen auf Saul und auf David sowie auf andere Davididen54: So wird Saul mit den Worten gerühmt: Er war jung und stattlich. Es gab keinen Mann unter den Israeliten, der stattlicher gewesen wäre als er; um einen Kopf war er größer als das Volk. … Als Samuel Saul sah, tat JHWH ihm kund: „Siehe, das ist der Mann, von dem ich dir gesagt habe: Dieser soll über mein Volk herrschen.“ (1Sam 9,2.17, vgl. 10,23)
Schon die äußeren Merkmale Sauls zeigten den Menschen: Dieser muss der von JHWH bestimmte König sein, denn er ist größer als die anderen. Von den herausragenden Körpereigenschaften wird somit zurückgeschlossen auf die inneren Qualitäten, ja auf das Wesen eines Menschen: „Wer äußerlich groß, stark und schön ist, hat auch die entsprechenden Charakter50 51
52 53 54
Zu Parallelen im Alten Orient vgl. Salo, Königsideologie, 166ff; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 239ff. Vgl. dazu im Folgenden und Grzegorzewski, Elemente, 34ff; Kaiser, Schönheit, 156ff; Saur, Königspsalmen, 119 Anm. 19; Augustin, Der schöne Mensch, 122ff; Salo, Königsideologie, 165ff. Jes 33,17 bezieht sich nicht auf die Schönheit des Königs, sondern auf die des königlichen Gottes, vgl. dazu Wildberger, BK X/3, 1315; Lim, Königskritik, 148; anders Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 185. Vgl. dazu van Seters, Creation, 335f; zu Ez 28 s. auch Fauth, Garten, 60ff. Vgl. dazu Augustin, Der schöne Mensch, 176. Vgl. dazu Salo, Königsideologie, 165f; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 202f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
87
eigenschaften“55 und ist damit prädestiniert für eine Führungsposition56. Das aber bedeutet: „In der Schönheit wurde nicht die Körperlichkeit idealisiert als vielmehr die Anschauung von Jahwes Wohlgefälligkeit konkretisiert“57. Ähnlich ist es bei David, von dem es 1Sam 16,12 heißt58: Er war rötlich, mit schönen Augen und gut anzusehen. Und JHWH sprach: „Auf, salbe ihn, denn dieser ist es!“
Das aber bedeutet: David war gut gewachsen, seine rotbraune Haut war Zeichen von Gesundheit, und sein Aussehen insgesamt zeigte schon seine Vorherbestimmtheit an59. Eine ähnliche Beschreibung Davids findet sich in 1Sam 16,18 im Munde von einem der Männer Sauls. In „sechs beinahe rhythmisch aufeinanderfolgenden Wortpaaren“60 wird David „in den schillerndsten Farben“61 gezeichnet: Da habe ich doch einen Sohn des Isai aus Bethlehem gesehen, der versteht zu spielen, ein starker Held, ein tüchtiger Soldat, der ein verständiges Wort zu sagen vermag, von schönem Aussehen, und – JHWH ist mit ihm.
Über seine musikalischen Fähigkeiten hinaus sei David ein גִּ ּבֹור חַ יִּל,62 ein אישׁ ִּמלְ חָ מָ ה, redegewandt ( )נְ בֹון דָ בָ רund von schönem Aussehen ()אישׁ תאַ ר. ִּ Zudem habe er Gott auf seiner Seite ()יהוה עִּ מֹו63. Er wird also als ein Mann gerühmt, der mit vielerlei edlen Eigenschaften ausgestattet ist. Nicht nur Körperkraft und Tapferkeit gehören dazu, Basiskompetenzen für einen „fähige[n] Kriegsheld[en]“64, sondern auch Intelligenz und ein schönes Aussehen. Die Aufzählung liest sich geradezu „wie ein Katalog herrschaftslegitimierender Grundmotive“65. Darüber hinaus 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Stolz, ZBK.AT 9, 72, vgl. R. Müller, Schönheit, 20; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 219f. Vgl. Trotter, The genre, 39. Fritz, ZBK.AT 10/1, 22. Vgl. ferner die Wiederaufnahme in 1Sam 17,42. Seidl, „Schön bist du …“, 130. Zum männlichen Schönheitsideal nach alttestamentlichem Verständnis vgl. Loader, Art. Schön / Schönheit, Abschnitt 2.1.1.2. D. Wagner, Geist, 192, vgl. Schnocks, Musiker, 263f. D. Wagner, Geist, 192. Vgl. dazu unten S. 105–107. R. Müller, Schönheit, 20 hält diese Wendung für einen redaktionellen Nachtrag. Schnocks, Musiker, 264. R. Müller, Schönheit, 21.
88
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
wird er von ganz Israel und Juda geliebt (1Sam 18,16). Einige dieser Eigenschaften reklamiert auch Ps 45 für den König. Das Wichtigste aber nennt der letzte Satz in 1Sam 16,18, der an Gen 39,2 erinnert: Das Mitsein JHWHs66. Erinnert werden kann darüber hinaus an zwei weitere Stellen, die zwar keine Könige, aber immerhin Thronprätendenten67 im Blick haben, die prinzipiell mit Qualitäten für das Königsamt bestechen. So wird Absalom in 2Sam 14,25 gerühmt: Und wie Absalom, nicht gab es einen schönen Mann in ganz Israel, sehr zu rühmen. Von seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel war kein Makel an ihm. Der „Ruhm von Absaloms unvergleichlicher Schönheit ist darin begründet, dass ‚bei ihm von der Fußsohle bis zum Scheitel kein Makel‘ zu finden ist“68 (2Sam 14,25). Darüber hinaus zeigt sich seine Schönheit in der Pracht seines Haares (2Sam 14,26), das in besonderer Weise als Ausdruck der Manneskraft galt, ihm aber dann auch zum Verhängnis wird69. 1Kön 1,6 enthält ein ähnliches Motiv. Von Adonia, der die Nachfolge seines alternden und schwächelnden Vaters Salomo auf dem davidischen Thron anstrebt, wird dort festgestellt: Auch war er von sehr gutem Aussehen. Adonia unterstreicht seinen Glanz noch dadurch, dass er sich selbst mit einer Art Leibgarde und mit Reitern umgibt und – wie der König in Ps 45 – zusätzlich einen eigenen Streitwagen besitzt. Mit diesen Maßnahmen will er sich „ein königliches Auftreten“70 verschaffen und seine Stellung als Thronanwärter entsprechend untermauern. Der Kontext, insbesondere V. 6, fasst diese Aktionen als Hybris und als „Mangel des Charakters“71, ja „geradezu als Charakterschwäche“72 auf, die auch durch die Beschreibung der Schönheit Adonias nicht wettgemacht werden kann.
Nach Ri 8,18 ist das Aussehen „wie Königssöhne“ geradezu sprichwörtlich.
66 67 68 69 70 71 72
Vgl. Schnocks, Musiker, 264; W. Dietrich, David – König der Liebe, 6 mit Anm. 21. Vgl. Augustin, Der schöne Mensch, 165. Wolff, Anthropologie, 117. Vgl. Riede, Art. Haar, 227f; R. Müller, Schönheit, 22f. Fritz, ZBK.AT 10/1, 21. Fritz, ZBK.AT 10/1, 21. Fritz, ZBK.AT 10/1, 21.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
89
Die Schönheit des Königs, die in Ps 45,3 gepriesen wird, ist somit eine prädikative: „der König ist als König“73 schön. Seine Schönheit ist kein allein biographischer, in äußerlichen Eigenschaften der Person gründender Topos, sondern ein theologischer, „der eine ungestörte Beziehung zwischen Gottheit und König zum Ausdruck bringen“74 will. Schönheit ist „eine göttliche Qualität“75. Das Gegenteil dessen, nämlich körperliche Minderung und Schwächung und die damit verbundenen Folgen, entfaltet das Keret-Epos76 aus der 2. Hälfte des 2. Jt.s v.Chr., in dem das tragische Schicksal des ugaritischen Königs Keret beschrieben wird. Diesem König wird Nachkommenschaft versagt bzw. wieder genommen. Nachdem er erneut geheiratet hat und wiederum eine große Anzahl von Söhnen und Töchtern gezeugt hatte, wird er von einer todbringenden Krankheit ergriffen. Während dieser Erkrankung versucht sein ältester Sohn, selbst die Herrschaft über das Königreich zu erlangen, weil Keret wegen seiner Erkrankung seiner Königspflicht nicht habe nachkommen können. Da er zur Ausübung der Herrschaft nicht mehr befähigt sei77, sei die universale Ordnung im Reich gefährdet. Damit sind, in der Terminologie von E.H. Kantorowicz, sowohl body natural wie body politic des Königs gefährdet. Da die Krankheit darauf hindeutet, dass Keret von der Gottheit verlassen ist, kann er auch nicht mehr als Segensmittler fungieren78. Das zeigt insbesondere der Pflichtenkatalog, den Keret nicht mehr erfüllen kann79: Wenn die Räuber rauben, redest du nur, oder die Plünderer, hältst du still, lässt du tatenlos deine Hand sinken! Du richtest nicht den Streitfall der Witwe, 73 74
75 76
77 78 79
Augustin, Art. Schönheit, 497; Keel, AOBPs, 259; Loader, Art. Schön / Schönheit, Abschnitt 2.1.2; Ueberschaer, Ich und mein König, 5. Liwak, Herrscher, 170. Die Schönheit entfaltet sich in Ps 45 in verschiedenartiger Weise: Der Schönheit der Gestalt (V. 3.12), der Anmut der Lippen, der Pracht des Königs im Streit, dem lieblichen Öl (V. 8), den wohltuenden Gerüchen (V. 9), der Schönheit der Gebäude, der Musik (V. 9), dem schönen Wort des Sängers (V. 2). Gerstenberger, Arbeitsbuch, 74, vgl. für Ägypten Schmitz, Schönheit, 133. KTU 1.16 I 56, vgl. M. Dietrich / Loretz, TUAT III/6, 1213–1253; zum Epos s. Kinet, Ugarit, 111ff; Loretz, Theologie, 391ff; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 76f. Vgl. KTU 1.16 VI 43–50 und dazu M. Dietrich / Loretz, Kerets Krankheit. Vgl. M. Dietrich / Loretz, Kerets Krankheit, 123; Ahn, Herrscherlegitimation, 27.61 Anm. 208; Liwak, Herrscher, 170. Übersetzung: M. Dietrich / Loretz, TUAT III/6, 1252, vgl. dies., Kerets Krankheit, 126f; zum Text s. Liwak, Herrscher, 170; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 215; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 111f.
90
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte du entscheidest nicht den Rechtsfall des Verzagten! Du vertreibst nicht den Unterdrücker der Armen, … Vor deinem Antlitz speisest du nicht den Waisen, noch hinter deinem Rücken die Witwe. Du bist gefesselt ans Krankenbett, siechst dahin auf dem Siechenbett. Steig herab vom Königtum, ich will König sein. von deiner Herrschaft, ich selbst will regieren.
Da der König eine gerechte Amtsführung nicht mehr garantieren könne, habe er sein Königtum verwirkt. Mit diesem Hinweis wird aber das Königtum an sich nicht in Frage gestellt80. In Ägypten wird die physische Unversehrtheit und Leistungsfähigkeit des Königs insbesondere „in der wiederholten Feier der rituellen Herrschaftsausübung im Rahmen des Sedfestes“81 nachgewiesen. Dazu gehören verschiedene Läufe, Pfeilschüsse in alle Himmelsrichtungen etc., die jeweils als Beweis seiner Kraft dienten82.
Die besondere Beziehung zwischen Gott und König wird schließlich im Segen manifest, der sich in „Fülle, Reichtum, Gedeihen, Gelingen, Überschwang“83 konkretisiert, aber auch in der Gestalt des von Gott erwählten Königs84. Damit ist die Schönheit des Königs Ausdruck der immerwährenden Güte Gottes und Zeichen für Gottes Segen85, ja sie „ist Abglanz der ihm von Gott erwiesenen Zuneigung“86. An der Schönheit ist zu erkennen, dass Gott den König gesegnet hat87 (signifikative Dimension der Schönheit). Bei der Schönheit geht es somit nicht allein um etwas Äußerliches, Ästhetisches, auf die Gestalt oder den Körper Bezogenes, sondern es geht auch um innere Werte88, das rechte Verhalten, das gerade von den Königen 80 81
82 83 84 85 86 87 88
Vgl. Niehr, TUAT N.F. 8, 238. Vgl. Ahn, Herrscherlegitimation, 61 Anm. 208; Hornung, Der Pharao, 356f. Zum Thema „Schönheit“ im oben genannten Zusammenhang vgl. Assmann, Ikonographie. Vgl. Brunner, Religion, 71. Westermann, Das Schöne, 121. Für die Annahme Seybolds, HAT I/15, 186, V. 3 sei später ausgeschmückt worden, gibt es keinerlei Gründe. Auffällig ist auch die den Psalm durchziehende „Körpersprache“: Zunge (2); Lippen (V. 3), Hüfte (V. 4), Rechte (V. 5.10), Herz (V. 2.6), Angesicht (V. 13). Vgl. Westermann, Das Schöne, 127; Augustin, Der schöne Mensch, 153; Chr. Rösel, Redaktion, 130; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 240. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 281, vgl. Gerstenberger, Psalms I, 187. Vgl. Seybold, HAT I/15, 186; Keel, AOBPs, 259, betont: „Schönheit und Segen bedingen sich wechselseitig“. Vgl. Schmitz, Schönheit, 131.133.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
91
als Trägern der Macht, erwartet wurde, es „wird von der Schönheit des Königs als lebendiger Wirklichkeit geredet“89, somit ist auch das funktionale Verständnis der Schönheit im Blick90, ein Schönsein, das sich im Verhältnis zu jemandem auswirkt91. Schönheit und Ethos gehören daher ebenso zusammen92 wie Schönheit und Segen. Andererseits ist Schönheit auch eine „Distinktion der Elite, durch die sie sich strahlend von der Unscheinbarkeit der unteren Volksschichten absetzte“93. Ein ähnlich extraordinäres Schönheitsverständnis bezogen auf den König entwickelt der aus dem 1. Jt. v.Chr. stammende Text VAT 1701994, „der die Erschaffung der Menschen und des Königs zeigt“95 und wahrscheinlich in den Zusammenhang des Inthronisationsrituals des Königs gehört96, wie die Parallele im neuassyrischen Krönungstext VAT 13831 zeigt, wo Assurbanipal als māliku amēlu den Segen der Götter erhält97. Ea fing an zu reden und sprach, an die Herrin des Himmels richtete er das Wort: „Bēlet-ilī, du bist die Herrin der großen Götter. Du, ja du, hast den Lullû-Menschen geschaffen. Forme nun den König (šarru), den ratgebenden Menschen (māliku amēlu). Mit Schönem umhülle seine Gestalt, bilde sein Aussehen, schaffe seinen Körper!“ Bēlet-ilī schuf den König, den ratgebenden Menschen (māliku amēlu). Die großen Götter gaben dem König den Kampf. Anu gab seine Krone, Enlil gab seinen Thron, Nergal gab seine Waffen, Ninurta gab seinen Glanz. Bēlet-ilī gab sein Aussehen. Auch hier wird der König deutlich von den übrigen Menschen unterschieden. „Die Formel māliku amēlu ‚König – Mensch‘ dürfte in dem Sinne zu deuten sein, daß man mit māliku den göttlich-königlichen und mit amēlu den menschlichen Aspekt des Herrschers veranschaulicht. Die Formel māliku amēlu stellt nicht die Einheit des Königs in den Vordergrund, sondern seine göttlich-menschliche Duplizität“98. Im Mythos wird 89 90 91 92 93 94
95 96 97 98
Westermann, Das Schöne, 128. Vgl. Westermann, Das Schöne, 122.128; Seidl, „Schön bist du …“, 131. Vgl. Oeming, Art. Schönheit, 961; Loader, Art. Schön /Schönheit. Vgl. Verbovsek, Schönheit, 29. Assmann, Ikonographie, 28. Vgl. dazu W. Mayer, Mythos, 56–58; H.-P. Müller, Menschenschöpfungserzählung; van Seters, Creation, 337; Loretz, Theologie, 395ff; Fauth, Diener, 220; Cancik-Kirschbaum, Konzeption, 5–12. Salo, Königsideologie, 167. So Cancik-Kirschbaum, Konzeption, 15, vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 52. Zitat nach Salo, Königsideologie, 167, vgl. W. Mayer, Mythos, 57f; M. Dietrich / W. Dietrich, Zwischen Gott und Volk, 233f; M. Dietrich, Ritual, 142.149f. Vgl. Loretz, Götter, 707f; ders., Theologie, 396.
92
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
so „die Gattung ‚König‘ konstituiert“99, die sich von dem ersterschaffenen nichtköniglichen Lullû-Menschen unterscheidet, dem die Fronarbeit für die Götter obliegt100. Dabei kommt der Schönheit des Königs ein besonderes Augenmerk zu: Der König ist die Schönheit in Person. Aber auch seine Eigenschaft als Ratgeber steht unmittelbar mit seiner Führungsposition in Zusammenhang101. Bezeichnenderweise werden diese inneren und äußeren Eigenschaften mit dem Hinweis auf den Kampf fortgesetzt, was zeigt, dass diese mit seinen militärischen Fähigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Zudem wird der König sogleich mit den für seine Amtsführung notwendigen Attributen und Insignien ausgestattet102. Somit wird klargestellt, dass er zur Herrschaft als König (šarru) berechtigt ist. Eigentlich sind es die Attribute der Götter, die sie dem König übereignen und ihm so ihre Stärke und ihre Potenzen übertragen103. Dabei wird ähnlich wie in Ps 45 auf den Thron, die Waffen, den Glanz und das Aussehen des Königs verwiesen.
In jedem Fall wird der König auch in Ps 45 durch seine Schönheit von den übrigen Menschen abgehoben. Schon durch die Apostrophierung als „schönster Mensch“ zeigt sich seine Besonderheit. Wenn nämlich „bereits der body natural eine solche Ausstrahlung zeigt, dann ist er folglich geradezu für das Königsamt prädestiniert“104. Die Schilderung der Schönheit des Königs wird im Folgenden weiter ausgeführt. Denn nun kommt sein Reden in den Blick105. 2. Anmut auf den Lippen Die Schönheit zeigt sich besonders in der Anmut des Königs, die wie Öl auf seine Lippen ausgegossen ist und somit von seiner Rede106 ausgeht107.
99 100 101 102 103 104 105 106
107
Cancik-Kirschbaum, Konzeption, 15. Vgl. W. Mayer, Mythos, 62. Vgl. dazu W. Mayer, Mythos, 65. Vgl. W. Mayer, Mythos, 61; M. Dietrich, Ritual, 146.171–176.181.196. Vgl. Maul, König, 71. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 240. Vgl. Loader, Art. Schön / Schönheit, Abschnitt 2.2.3. Vgl. dazu auch Haag, Schönheit, 44: „Schönheit besteht ja darin, daß die einzelnen Teile zum Ganzen im rechten Verhältnis stehen“, vgl. auch Gerstenberger, Psalms I, 187. Anders Baethgen, HK II/2, 127, der חֵ ןnicht auf die Beredsamkeit des Königs bezieht, „sondern … auf das gewinnende Lächeln, das um seinen Mund spielt“.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
93
Dem von der Wurzel „ חנןjemandem gnädig sein, Gunst bezeigen“108 abgeleiteten Nomen חֵ ן, das im Alten Testament 67mal belegt ist, eignen zwei Grundbedeutungen: Anmut und Gunst109. Es ist ein Wort, das in den Bereich des Hofes gehört110. Während חֵ ןhäufig mit dem Angesicht verbunden ist, weil sich auf dem Angesicht eines Menschen die wohlwollende oder ablehnende Einstellung gegenüber einem anderen zeigt111, sind es in Ps 45 die Lippen, von denen חֵ ןausgeht. „In seiner ästhetischen Bedeutung bezeichnet ḥen eine Qualität“112, die u.a. einer Person zukommt. Vielfach steht im Alten Testament das freundliche Sprechen im Vordergrund. „Für den Menschen ist es ein Zeichen von Größe, huldvoll sprechen zu können“113. Insbesondere Könige sollen mit einer solchen חֵ ןausgestattet sein. Und auch diejenigen, die zur Elite im Umkreis des Königs gehörten, sollten solch ein Verhalten anstreben. Nicht umsonst schärfen weisheitliche Sprüche aus dem Umfeld des Königtums immer wieder ein: Worte aus dem Munde eines Weisen sind Anmut, aber die Lippen eines Toren verschlingen ihn selbst. (Koh 10,12) Wer ein reines Herz liebt, wessen Lippen anmutig sind, dessen Freund ist der König114. (Spr 22,11) An einem solchen Menschen hätte ein König Gefallen, „wie er auch die Eleganz der Rede bei Hof schätzt“115. Darüber hinaus kann חֵ ןauch für eine menschliche Haltung stehen, insofern jemand einem anderen gegenüber „positiv eingestellt ist“116. Diese Einstellung kann sich dem anderen gegenüber auch darin zeigen, dass diesem Gunst gewährt wird. חֵ ןkann sichtbar werden in konkreten Aktionen, z.B. der Erfüllung einer Bitte. In einer von Königen und Fürsten bestimmten Welt wie der des Alten Orients war man auf konkrete Akte der Gunstgewährung angewiesen117 und erbat diese, indem man dem Höhergestellten mit Ehrerbietung und Demut gegenübertrat.
Die Anmut des Königs ist ausgegossen ()יצק.
108 109 110 111 112 113 114 115 116 117
Freedman / Lundbom / Fabry, Art. חָ ַנן, 25. Freedman / Lundbom / Fabry, Art. חָ ַנן, 25. Vgl. 1Sam 27,5; 2Sam 14,22 und R. Müller, Schönheit, 15. Fabry, Art. חָ ַנן, 26. Fabry, Art. חָ ַנן, 27. Fabry, Art. חָ ַנן, 28, vgl. Augustin, Der schöne Mensch, 153. Zur Übersetzung vgl. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 367. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 370. Fabry, Art. חָ ַנן, 28. Vgl. dazu auch Raedler, Struktur, 54–64.
94
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Das Verb „ יצקausgießen“ bezieht sich in Alltagszusammenhängen auf Gefäße, in die Öl gegossen wird (2Kön 4,4), oder einen Topf, der mit Wasser gefüllt wird (Ez 24,3). Im Unterschied zu שׁפךwird dieses Verb vor allem dann gebraucht, wenn „die Flüssigkeit beim Ausgießen ein besonderes Ziel hat, z.B. ein Faß oder den zu salbenden Körperteil“118. Viele Stellen, die die Wurzel verwenden, haben einen kultischen oder sakralen Zusammenhang (vgl. z.B. Gen 28,18; 35,14). So wird das Verb beispielsweise auch in Zusammenhang mit der Salbung von Menschen oder Gegenständen verwendet, wobei dann jeweils das konkrete Ausgießen des Salböls im Blick ist (vgl. 1Sam 10,1; 2Kön 9,3), so z.B. bei der Salbung Jehus durch die Prophetenjünger.
In Ps 45,3 sind es die Lippen, denen יצקgilt. Umstritten ist hier die Bedeutung der Präposition ּב. ְ Steht ְּבanstelle von ?עַלBeide Präpositionen finden sich in Verbindung mit dem Nomen שָׂ פָה. „Dabei hat ‘al immer die lokale Bedeutung ‚auf, über die Lippen‘, während bᵉ entweder die lokale Bedeutung ‚auf, in‘ oder die mediale ‚durch, mittels‘ hat. Die Präposition bᵉ könnte also an sich die Übersetzung ‚Gnade fließt durch deine Lippen‘ andeuten, …, aber auch ‚Gnade, Anmut liegt in deinen Lippen (ein)gegossen‘“119.
Wenn die Gnade in Ps 45,3 verbunden ist mit den Lippen, so deshalb, weil diese Laute und Worte hervorbringen: „wer etwas sagen will, [muss] seine Lippen auftun“120. Lippen haben Macht, und zwar die Macht, die von einer Rede ausgeht121. Und diese Macht wirkt sich auf das menschliche Zusammenleben aus, insbesondere, wenn es um den König geht, der durch das gesprochene Wort wirkt. Der Terminus Lippen kann sich allgemein auf die Sprache beziehen122, er kann auch konkret für das Gesprochene stehen und auf dessen „Inhalt, Zweck und Charakter“123 abzielen. Von den Lippen des Königs ist auch in Spr 16,10 die Rede: Orakelwort ist auf den Lippen des Königs, beim Rechtsprechen entzieht sein Mund nichts Zustehendes.
118 119 120 121 122 123
Johnson, Art. ָיצַ ק, 826. Johnson, Art. ָיצַ ק, 829. K. Müller, Art. Lippen, Abschnitt 1.2. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. שָׂ פָ ה, 846; K. Müller. Art. Lippen, Abschnitt 2.3. Vgl. dazu Gen 11,1–9; Ps 81,6; Jes 19,18; 28,11; 33,19 und Kedar-Kopfstein, Art. שָׂ פָ ה, 842; K. Müller, Art. Lippen, Abschnitte 1.1. und 2.1. Gamberoni, Art. Lippe, 647.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
95
„Der König ist hier ein Mensch, der JHWH entspricht und in seinem Auftrag Recht und Gerechtigkeit übt und schützt“124. Was die Wirkmächtigkeit der Lippen angeht, kann auch auf Jes 11,4 verwiesen werden, wo es von dem angekündigten Herrscher heißt: Mit dem Hauch seiner Lippen wird er den Frevler töten. Auch hier ist die sich bereits in seinem Reden manifestierende Gerechtigkeit des Königs vorausgesetzt, die sich gegen frevlerisches Tun wendet125.
Ist es in Jes 11,4 die vernichtende Potenz der mit der Stärke der Lippen verbundenen herrscherlichen Wort- und Befehlsgewalt, so umschreibt Ps 45,3 mit dem Stichwort חֵ ןderen positive, freundliche Seite, die diejenigen erfahren, die in der unmittelbaren Umgebung des Königs sind126. Alle Sinne des Menschen werden von der Pracht und Anmut des Königs ergriffen: Sehend, riechend, hörend erfasst der Mensch diese Schönheit, die sich dann in verschiedenen Handlungen des Königs manifestiert127. Bevor diese näher in den Blick genommen werden, wird auf den Zusammenhang von Schönheit und Segen verwiesen: Der König ist nämlich von Gott gesegnet. Schon V. 3 zeigt somit seine besondere Stellung „zwischen Mensch und Gott“. Durch seine Schönheit ist der König vor allen Menschen herausgehoben, zugleich aber ist er abhängig von Gott, der ihn für sein Amt durch den Segen zugerüstet hat128. 3. Die Segnung durch Gott „Segnen ist eine Handlung und / oder Äußerung, die auf Lebenssicherung und Lebenssteigerung aus ist. Sie vermittelt Segen, d.h. heilschaffende Kraft“129. Nach Ps 45,3 geht der Segen von Gott aus: Er hat den König gesegnet. Und aus dieser Tatsache ergibt sich die Schönheit des Königs,
124 125 126 127 128
129
Meinhold, ZBK.AT 16/2, 269. Vgl. dazu Saur, Königspsalmen, 119 mit Anm. 22. Vgl. R. Müller, Schönheit, 16. Vgl. Kaiser, Schönheit, 157. Zur Segnung des Königs durch die Götter vgl. die entsprechenden Ausführungen im Aqat-Epos (KTU 1.17 I 23–28) und Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 80–82. Leuenberger, Art. Segen.
96
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
die als göttliches Geschenk anzusehen ist130. An der Schönheit also kann man erkennen, dass Gott den König gesegnet hat131. Segen als eine göttliche Kraft lässt sich mit verschiedenen Faktoren verbinden. Segen hat etwas zu tun mit Fruchtbarkeit und Wachstum, mit Glück und Erfolg, mit Wohlstand und Fülle, mit Macht und langem Leben132. Er kann „auch erweitert werden auf die Kraft, die Feinde zu besiegen“133 (Gen 27,29; 24,60). Im Segen zeigt sich, dass Gott mit dem Gesegneten ist, wie bereits die Erzählungen von Josef eindrücklich belegten134. Wichtig ist zugleich, dass der Segen nach Ps 45,3 die Lebenszeit eines Menschen übersteigt („Segnung für immer“); „solch zeitloser Segen ist nötig, damit der König seine Herrschaft im Sinne Jahwes ausüben kann“135. Auch andere Königspsalmen betonen die Segnung durch Gott, so z.B. Ps 21. Nach der an JHWH gerichteten Bitte um Leben stattet dieser den König mit den ihm gebührenden Zeichen der Macht aus. Dazu gehört zum einen die Königskrone (V. 4), zum anderen das königliche Amtskleid (V. 6). Beides sind Gaben des Segens, wie V. 4 betont136: Ja, du begegnest ihm mit Segensfülle an Gutem, setzt auf sein Haupt eine goldene Krone. (V. 4)
Die „Befähigung und die Beauftragung“ des Königs hat zur Folge, dass dieser „dem Königreich alle Gaben zu vermitteln [vermag], die dieses zu einem glücklichen Leben braucht“137. Wie V. 4a zeigt, wird dem König Segen und Gutes in Überfülle zuteil. Alles, was das Leben fördert und für das Leben notwendig ist, wird ihm von JHWH gewährt, „so daß er zur 130 131
132
133 134 135 136
137
Vgl. Augustin, Der schöne Mensch, 153. Anders Lim, Königskritik, 153, die davon ausgeht, „dass Gott den König segnet, weil er schön ist“. Vgl. dazu oben S. 29 und Keßler, KK VI/1, 97: „Die das Maß des Menschlichen überragende Schönheit des Königs kann nur als ein besonderer Segen von Gott begriffen werden“. Anders R. Müller, Schönheit, 14f. Vgl. Janowski / Scholtissek, Art. Segen, 826; Westermann, Segen, 24f; ders., Art. ברך, 362; Leuenberger, Art. Segen, Abschnitte 3.2. und 4; Salo, Königsideologie, 124f. Westermann, Segen, 25. S. dazu oben S. 85f. R. Müller, Schönheit, 15. Vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 219 und Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 89–93 mit vergleichbaren Passagen aus einem Krönungshymnus aus Emar (Msk. 74243) bzw. Ugarit (RS 1979–25). Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 143.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
97
schier unerschöpflichen (‚ewigen‘) Segensquelle für alle werden kann“138, wie dann V. 7a unterstreicht: Ja, du machst ihn zum Segen für immer, erhältst ihn mit Freude bei139 deinem Angesicht. (V. 7)
Der König wird so zum Segensmittler140, er „kann und soll weitergeben, was er von Jahwe empfangen hat“141. Dies ist nicht allein als Gunsterweis zu interpretieren für solche, die auf Seiten des Königs stehen oder von ihm abhängig sind, sondern diese Weitergabe hat eine ewige Dimension, die zugleich auch in Blick nimmt, woher der Segen des Königs kommt, von Gott nämlich, der ihn damit ausgestattet hat. Hier zeigt sich deutlich „die Kontinuität des unsterblichen body politic“142 des Königs, der in unmittelbarer Nähe zu JHWH steht143. „Segenswort und glückbringende Kraft“144 gehen auch in Ps 45,3 „eine unauflösliche Bedeutungseinheit“145 ein: Der gesegnete König ist von „segenspendenden Kräften“146 erfüllt, die sich, wie Ps 72 eindrücklich zeigt, in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit realisieren (V. 12–14) und die auch die Welt mit ihren Völkern und Nationen erfüllt147. Es sei sein Name in Ewigkeit, vor der Sonne wachse sein Name. Und sie sollen sich mit / in ihm Segen wünschen, alle Nationen sollen ihn glücklich preisen. (Ps 72,17)
Wie aber entfaltet sich die Schönheit des Königs als Zeichen des Segens? Die Verse 4ff schreiten verschiedene Bereiche ab, die Schönheit und Tüch138 139 140 141 142 143 144 145 146 147
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 143, vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 218; Salo, Königsideologie, 124f. Zur Übersetzung von אתvgl. Salo, Königsideologie, 97 Anm. 5. Zur Segensmittlerschaft des Königs im Alten Orient vgl. Salo, Königsideologie, 126ff. Spieckermann, Heilsgegenwart, 214, vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 199. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 233. Die Wendung „vor deinem Angesicht“ bezieht sich auf eine Audienzsituation, vgl. Hartenstein, Angesicht, 259. Scharbert, Art. ברך, 837. Scharbert, Art. ברך, 837. Scharbert, Art. ברך, 837. Vgl. dazu Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 51–100, 327 und unten S. 272.
98
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
tigkeit148 miteinander verbinden und so zeigen, dass der König imstande ist, sein Amt auszufüllen149. Zunächst einmal kommt der Bereich des Krieges in den Blick. II. Der König als kriegerischer Held (V. 4–6) 1. Die Zurüstung zum Kampf Der König erscheint zunächst in seiner Rolle als kriegerischer Held150, wie auch die Anrede גִּ ּבֹורund das von Feinden bestimmte Umfeld der Verse 4– 6 unterstreicht (vgl. dazu auch Ps 18.20.21). Dieser Themenwechsel vermag zunächst einmal verwundern. Was hat die Schilderung der königlichen Pracht und Schönheit mit den „hässlichen“ Bildern des Krieges zu tun? Wird hier nicht einseitig militärische Gewalt gerechtfertigt?151 Auf diese Frage wird zurückzukommen sein. Andererseits gehört es zu den wichtigsten Aufgaben des Königs, durch das Führen von Kriegen die Ordnung in der Welt zu erhalten152, symbolisieren die Völker, denen der Krieg gilt, doch häufig das noch immer und immer neu in der Welt präsente Chaos, dem der König im Auftrag seines Gottes zu wehren hat. So verweist das Volk Israel beispielsweise gegenüber Samuel auf die grundlegenden Pflichten eines Königs: Ein König soll über uns sein. Und wir, auch wir, wollen werden wie alle Völker, und unser König soll uns richten, und soll vor uns ausrücken und unsere Kriege führen. (1Sam 8,19b.20)
Hier werden die Erwartungen gegenüber einem König klar benannt: Es „ist nicht mehr nur Ausgleich und Friede im Innern („richten“), sondern Kampf 148
149 150 151
152
Vgl. Haag, Schönheit, 45; Gerstenberger, Psalms I, 187. Zur Herausstellung der Fähigkeiten des Königs als Krieger und Jäger vgl. bezogen auf Assyrien Frahm, Kabale, 319; Röllig, Königtum, 125. Vgl. dazu Ahn, Herrscherlegitimation, 65ff; für Ägypten vgl. Blumenthal, Göttlichkeit, 57 (Tutanchamun!). Vgl. Salo, Königsideologie, 169ff; Steymans, Fürstenspiegel, 17ff. Vgl. Gunkel, HK II/2, 10, der in derartigen Aussagen einen „Erdenrest“ sah, an dem sich die christliche Gemeinde „nur mit sehr großen Abstrichen erbauen“ könne. Zum Problem vgl. auch Janowski, Frucht, 99. Vgl. dazu Jungbluth, Im Himmel, 91ff.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
99
und Sieg gegen außen („ausrücken und Krieg führen“)“153. Dabei soll der König nicht im Hintergrund bleiben, „sondern seinen Soldaten vorangehen und sie zum Sieg führen“154. Er hat „Krieger und Held“155 zu sein und muss die Kriegskunst beherrschen. Dieser Auftrag des Königs zur Kriegsführung wird in Ps 45 besonders durch die vier Imperative konkret156, die ihm gelten und die die von ihm zu erfüllenden Rollenerwartungen in den Blick nehmen. Der erste dieser Imperative bezieht sich auf sein Schwert. a) „Gürte dein Schwert“ An den König ergeht zunächst die Aufforderung, sich zum Kampf zu rüsten157. Schon hier wird das Thema „Gewänder des Königs“ – in diesem Fall Kriegsgewänder – ins Spiel gebracht, das im Folgenden noch mehrfach in den Blick genommen wird. Das Verb „ חגרgürten“158 bezieht sich auf unterschiedlichste Objekte: „man gürtet den Gürtel um, bzw. den Sack, das Schwert, die Waffen, den Ephod“159. Das Gürten ist eine Art Anfangshandlung: Man macht sich für das Kommende bereit, für eine bevorstehende Arbeit genauso wie für eine Tätigkeit als Prophet (2Kön 4,29; 9,1)160. In besonderer Weise bezieht sich das Gürten auf militärische Kontexte, insbesondere das Umgürten mit Waffen. Hier ist vor allem das Gürten mit dem Schwert wichtig (vgl. Ri 3,16; 1Sam 17,39; 2Sam 20,8), wie eindrücklich 1Sam 25,13 zeigt, wo David gegenüber seinen Männern mit den Worten zitiert wird: „Gürtet ein jeder sein Schwert um!“ Und ein jeder gürtete sein Schwert um, und auch David gürtete sein Schwert um.
153 154 155 156 157 158 159 160
W. Dietrich, BK VIII/1, 373. W. Dietrich, BK VIII/1, 373. Steymans, Fürstenspiegel, 19 bezogen auf die Anweisungen im Testament Ḫattušilis I. (CTH 6, Z. 42ff). Kremser, Hochzeit, 65 erwägt, die Verse 4–7 als „nicht eingeleitete Gottesrede“ zu verstehen. Vgl. Gerstenberger, Psalms I, 188: „The imperatives of vv. 4–5 may go back to actual war instruction or incantation“. Vgl. dazu besonders Johnson, Art. חָ ַגר, 743–748; Bender, Sprache, 164f. Johnson, Art. חָ ַגר, 745. Dalman, AuS 5, 236.
100
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Zwei Gründe können für das Gürten angeführt werden: Der Kämpfer muss „zum einen zur Erhöhung der Bewegungsfreiheit sein langes Gewand aufschürzen und zum anderen seine Waffen am Gurt befestigen“161. Das Gürten ist so fest mit dem Kontext „Krieg“ verbunden, dass es in elliptischen Aussagen, also ohne Näherbestimmung durch ein Objekt, ohne Weiteres mit diesem Aussagekreis verbunden werden konnte (vgl. 1Kön 20,11 und evtl. auch Ps 76,11). Wie in 1Sam 25,13 geht es in Ps 45 um das Gürten des Schwertes, das meist an der linken Hüfte getragen wurde162. Auch Ex 32,27 fordert zum Wappnen mit dem Schwert auf, wenngleich für diese Aktion nicht das Verb הגר, sondern „ שׂיםanlegen“ verwendet wird: Jeder lege sein Schwert an die Hüfte. Zieht durch das Lager hin und her von Tor zu Tor. Jeder erschlage seinen Bruder, jeder seinen Freund, jeder seinen Nächsten.
Mit dem Schwert an der Hüfte begeben sich die Brüder Dinas in den Kampf, um ihre Ehre wiederherzustellen (Gen 34,25). Wo das Schwert an der Hüfte getragen wird, besteht somit die Bereitschaft zum Kampf163. Das Gürten ist die Vorbereitung dazu. Das unterstreicht auch Hld 3,8164, wo es von der Begleitung der Braut heißt: Sie alle tragen ein Schwert, sie sind kundig des Krieges. Jeder hat sein Schwert an seiner Hüfte wegen des nächtlichen Schreckens.
Das wird von den „Helden“ Salomos, also seinen Elitesoldaten, ausgesagt, die zum Schutz seiner Sänfte aufgeboten werden. Sie werden durch ihre besonderen Qualifikationen näher hervorgehoben: Sie sind nicht nur geübt und erfahren im Gebrauch von Stichwaffen („sie tragen ein Schwert“), sondern auch bereit, diese im Kampf zu gebrauchen („sie sind kundig des Krieges“). Das Gürten des Schwertes zeigt an all diesen Stellen den „kämpferische[n] Zusammenhang“165 auf. 161 162 163 164 165
Bender, Sprache, 164, vgl. Hönig, Bekleidung, 76. Vgl. Kaiser, Art. חרב, 166; anders ist es bei Ehud, dem Linkshänder, der das Schwert an seiner Rechten trägt (Ri 3,16). Vgl. Zakovitch, Das Hohelied, 175. Vgl. dazu ausführlich unten S. 254f. Lim, Königskritik, 154.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
101
Das meist zweischneidige Schwert166 ( )חרבwar die übliche Nahkampf- und Angriffswaffe. Man unterschied Kurz- und Langschwerter167. Generell bestanden Schwerter aus einer Klinge und dem Griff mit dem Heft168. Umfasste das Schwert eine Länge von ca. 40 cm, so handelte es sich eher um einen Dolch bzw. ein Kurzschwert, das als Stichwaffe benutzt wurde, ab 40 cm Länge spricht man von einem Schwert, das auch zum Hieb verwendet wurde. Das Sichelschwert ( )כִּ ְידֹוןdagegen hatte eine stark gekrümmte Klinge und eine Schneide an der Außenseite. Es wurde als reine Hiebwaffe verwendet. Man trug das Schwert in einer Scheide am Gürtel (1Sam 17,51; 2Sam 20,8), um Selbstverwundungen des Waffenträgers zu verhindern. Die Wendung „die das Schwert ziehen“ für kampferprobte Männer (Ri 8,10) zeigt schon die besondere Bedeutung dieser Waffe für den Krieg, ja חרבkann metonymisch für Krieg stehen (Lev 26,6; Jer 48,2).
Abb. 2: Herrscherstatue aus Sam’al aus dem 10. Jh. v.Chr. (?) mit Schwert und Herrscherstab als Zeichen der Königswürde
166 167 168
Vgl. Fohrer, Art. Schwert, 1750f; Vollmer, Art. Schwert, 1220; Piller, Art. Schwert, 544f; Riede, Vom Erbarmen, 236f. Vgl. Obermayer, Art. Waffen, Abschnitt 1.2. Vgl. dazu H. Weippert, Dolch und Schwert, 58f; Schrakamp, Art. Schwert, 333.
102
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Das Schwert kann aber auch, wie der Herrscherstab, Zeichen der Königswürde sein, wie eine Herrscherstatue aus Sam’al nahelegt169 (vgl. Abb. 2). Wo vom Schwert die Rede ist, ist der Kampf nicht fern. Die Hinweise auf die militärische Ausrüstung des Königs gehen aber noch weiter, wenn im Folgenden der königliche Schreckensglanz in den Blick genommen wird, der Teil seiner Ausrüstung ist. b) Der königliche Lichtglanz Die Ausrüstung des Königs ist von Glanz und Pracht ( )הוד וְ הָ דָ רbestimmt170, was wiederum auf die repräsentative Funktion des Schönen anspielt171. Hierbei spielt der Begriff הָ דָ רeine wichtige Rolle, der in Bezug auf Gott und Menschen verwendet wird. הָ דָ רist bezogen auf Menschen eine Gabe, die diesen von Gott verliehen wird, wie insbesondere Ps 8,6 zeigt172: Mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt.
Der königliche Mensch wird durch הָ דָ רgeziert. Damit sind die Konnotationen „Schmuck“, „Kleidung“ und „Licht“ verbunden173. Dieser „Glanz“ kommt, wie mesopotamische Texte zeigen, ursprünglich in Zusammenhang mit thronenden oder kämpfenden Göttern vor174 und wird dann auch dem König übertragen, wie z.B. aus einem Annalentext Adadniraris II. (911–891 v.Chr) hervorgeht. Darin heißt es175: Nachdem die großen Götter (mein Schicksal) bestimmt hatten, (nachdem) sie das Szepter, das die Menschen für Dauer weidet, in meine Hände gegeben hatten, (nachdem) sie mich über die Könige (mit) Kronen gehoben hatten, (nachdem) sie mich mit dem Schreckensglanz (me-lam-mu) des Königtums versorgt hatten.
169 170 171 172 173 174 175
Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 139. Zum Wortpaar vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 66–68; Mulder, Psalm 45, 103–105; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 255f. Vgl. Westermann, Das Schöne, 128; anders Augustin, Der schöne Mensch, 154f, der הֹוד וְ הָ דָ רauf das Schwert bezieht. Vgl. Janowski, Psalm 8, 22 und Hi 40,10. Vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 67. Zum Glanz, der in Ägypten die Anwesenheit von Gottheiten markiert, vgl. Hornung, Der Eine und die Vielen, 123. Vgl. RIMA 2, Addad-Nirari II., Z. 7–9 und Salo, Königsideologie, 142.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
103
Ähnliche Aussagen finden sich auch in assyrischen Königsinschriften. So wird Assarhaddon (680–669 v.Chr.) mit folgender Titulatur gepriesen176: der mit Schreckensglanz bekleidete Held, dessen Waffen zur Vernichtung der Feinde Assyriens Assur, der König der Götter, sich erheben ließ.
Und von Sargon II. (721–705 v.Chr.) heißt es177: Der Schreckensglanz [Assurs], meines [Herrn], warf ihn (sc.: Jamani von Asdod) nieder.
Gerade das letzte Beispiel zeigt besonders das Ineinander von assyrischer Kriegsführung und dem „in ihr wirksame[n] Handeln des Gottes Assur“178. Wie in Mesopotamien der Begriff melammu als Kennzeichnung des königlichen body politic179 so zeichnet auch das hebräische הָ דָ רeine ambivalente Bedeutungsstruktur auf: „für das eigene Volk die Verehrungswürdigkeit der Gottheit“180, gegenüber den Feinden die Zerstörungskraft. Der Schreckensglanz in Ps 45 wird nun anders als beispielsweise in Ps 93,1 nicht für das Königsamt JHWHs181 in Anspruch genommen, sondern für den königlichen Helden, der ihn sich in einem Bekleidungsakt anlegt182. Das Anlegen des Schreckensglanzes geht auch in Ps 45 mit einer Bewaffnung einher. „Daß der Schreckensglanz gerade dem zum Kampf ausziehenden König bei seiner Bewaffnung verliehen wird, ist auch in Mesopotamien eine geläufige Vorstellung“183. Der Schreckensglanz nämlich war der eigentliche Garant des Erfolgs in der Schlacht. Vor ihm mussten die Gegner erfolglos kapitulieren. So rühmt sich Tiglatpileser I. (1114–1076 v.Chr.), die feindlichen Städte seien von ihm schon allein durch die Bot-
176 177 178 179 180 181 182 183
Borger, Inschriften, 81, vgl. Fauth, Diener, 226f. Ninive-Prisma Sargons II., vgl. Borger, TUAT I, 381f, 382. Ähnliche Aussagen finden sich auch bezogen auf Assurbanipal, vgl. Adam, Held, 142 Anm. 83. Hartenstein, JHWH und der „Schreckensglanz“, 89. Vgl. dazu Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 54.60.255; Salo, Königsideologie, 140ff mit weiteren altorientalischen Belegen. Adam, Held, 141, vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 69–76; Kremser, Hochzeit, 64. So ferner in Ps 104,1; 96,6; 111,3; 145,5 und Lim, Königskritik, 157f; Krusche, Königtum, 296f. Vgl. Adam, Held, 141. Adam, Held, 141.
104
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
schaft seines Kommens mit seinem heldenhaften „Schreckensglanz“ umgeben und so besiegt worden184. Auch in Ps 21,6 erscheint der (Schreckens-)Glanz ( )הָ דָ רin Zusammenhang mit einer Aussage über die Ausrüstung des Königs: Groß ist sein כָבֹודdurch deine Hilfe, הֹוד וְ הָ דָ רlegst du auf ihn.
Der König erhält nach Ps 21 durch die rettende Hilfe JHWHs nicht nur seine Krone, sondern auch Herrlichkeit und Pracht und Hoheit185, also Eigenschaften, die JHWH selbst zukommen. Der König soll sich „mit diesen Qualitäten umgeben“186, soll sich damit konkret umhüllen. Damit hat er Teil an „der Macht und Herrlichkeit des Weltenkönigs JHWH“ (Ps 93,1, vgl. 104,1) und übt – „mit dieser Würde ausgestattet – als dessen Stellvertreter entsprechende herrscherliche Funktionen“187 aus. Das ist für den Beter Anlass zum Dank. Im von Gott verliehenen הָ דָ רdrückt sich nämlich „Ruhm, Segen und Glück des Königs aus (V. 4.5.7.)“188. Auch der Begriff הֹודist eng auf das Königtum bezogen189, wie beispielsweise die Klage um den toten König Jer 22,18 zeigt: Deswegen, so spricht JHWH über Jojakim, den Sohn Joschias, König von Juda: Nicht werden sie um ihn klagen: „Ach, mein Bruder!“ oder „Ach, Schwester!“ Nicht werden sie um ihn klagen: „Ach, der Herr!“ oder: „Ach, seine Majestät (“!)הדה.
Die Totenklage, die normalerweise Verstorbenen gilt und Ausdruck der Wertschätzung ist, wird Jojakim nicht entgegengebracht, weder aus „mitmenschlicher Empfindung oder verwandtschaftlicher Nähe … noch aus Respekt“190. Hier spielt die Bezeichnung „ הֹודMajestät, Hoheit“, die Königen zukommt, eine wichtige Rolle. Nach der bereits zitierten Stelle Ps 21,6 wird diese Würde von Gott verliehen, so z.B. nach 1Chr 29,25 an Salomo: 184 185 186 187 188 189 190
Vgl. Adam, Held, 142 und Cassin, La splendeur, 74. Vgl. Krusche, Königtum, 297; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 199; Adam, Held, 150. Podella, Lichtkleid, 265. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 83, vgl. Janowski, Psalm 8, 22. Warmuth, Art. הָ דָ ר, 360. Vgl. dazu Warmuth, Art. הֹוד, 377f; Vetter, Art. הֹוד, 472–474. G. Fischer, Jeremia 1–25, 663.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
105
Und JHWH machte Salomo überaus groß vor den Augen ganz Israels und er legte auf ihn königliche Majestät ()הֹוד, wie sie auf keinem König über Israel vor ihm war.
Angefangen von dem äußeren Glanz repräsentativer Macht- und Prachtentfaltung des Hofes bis hin zu den letzten religiösen Hintergründen königlicher Befehlsgewalt, Würde und Autorität in der Gestaltung des äußeren und inneren Lebens kennzeichnet „ הֹודdie Sonderstellung des Königs als Stellvertreter Gottes“191 auf Erden. הֹודsteht so ebenso wie הָ דָ רfür die Herrlichkeit des Königs192. Ps 45 beschreibt im Folgenden die Aktivierung der von Gott verliehenen Kräfte, die die eines גִּ ּבֹורsind. Exkurs 1: Der Titel גִּ ּבֹור Auch der Vokativ „ גִּ ּבֹורHeld“ spricht den König hinsichtlich seiner kriegerischen Fähigkeiten und Aufgaben an. Das Wort ist abgeleitet vom Verb „ גָבַ רstark sein“, legt also den Schwerpunkt auf „Kraft und Stärke“ bzw. „Vortrefflichkeit und Überlegenheit“193 und knüpft damit an die Aussagen über die überragende Schönheit des Königs an. Das Nomen, „mit Verdoppelung des mittleren Radikals, ist eine Intensivform … und bedeutet daher eine besonders starke oder mächtige Person, die große Taten vollführt, vollführen kann oder ausgeführt hat, und die darin andere überragt“194. In militärischen Zusammenhang ist der גִּ ּבֹורein Mann, der im Gebrauch der Waffen geübt ist, darüber hinaus kampferprobt und durch heldenhafte Taten ausgezeichnet195, ja er gehört geradezu „zur Grundausstattung einer Stadt“196. Darüber hinaus kann aber auch jeder andere, der in besonderer Weise „physische ... Macht, Kraft, Gewalt und Pracht“197 aufweist, wie z.B. der Löwe, der König unter den Tieren, als גִּ ּבֹורbezeichnet werden
191 192 193 194 195 196 197
Weiser, ATD 14/15, 144. Vgl. Warmuth, Art. הֹוד, 377. Kosmala, Art. גָבַ ר, 902. Kosmala, Art. גָבַ ר, 909. Vgl. Kühlewein, Art. גבר, 400. Lim, Königskritik, 156, vgl. die Wendung גִּ ּבור חַ יִּלfür einen tapferen Krieger Jos 1,14; 8,3; 10,7; Ri 6,12; 11,1; 1Sam 9,1 u.ö. Kosmala, Art. גָבַ ר, 909.
106
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
(Spr 30,30). Daher werden auch Saul und Jonathan von David in einem Klagelied mit den Worten besungen: Die Edelsten in Israel sind auf deinen Höhen erschlagen. Wie sind die Helden gefallen (( !)נָפילּו2Sam 1,19, vgl. V.21.25)
Und im Folgenden werden deren Heldentaten geschildert, wenn auf ihren Bogen verwiesen wird, der nie gefehlt hat, und das Schwert, das nie leer zurückgekehrt ist (V. 22). Die Heldentaten beziehen sich somit auf den Krieg (V. 25), sie sind verbunden mit Krafttaten (vgl. Ps 33,16f), die, wenn sie sich verselbständigen und zum Selbstruhm führen, auch der Kritik unterliegen können198. Dass der Titel auch für Könige Verwendung finden konnte, unterstreicht das Beispiel Davids. Zumindest „im Volke [war er] angesehen wie ein ‚Held‘“199. Das zeigt in besonderer Weise die bereits zitierte200 Beschreibung Davids in 1Sam 16,18. Hier wird er von einem Knecht u.a. als גִּ ּבֹור חַ יִּל bezeichnet. Während dieser Begriff sich auf die ökonomische, soziale und militärische Hochrangigkeit einer Person bezieht201, nehmen die weiteren Epitheta seine praktischen Fähigkeiten im Krieg und als wortgewandter, schlagfertiger Mann im Rahmen von politischen Angelegenheiten in den Blick202. In 2Sam 22,26 spricht David in einem Sieges- und Danklied von sich selbst als einem גִּ ּבֹור. Auch in Ps 89,20b wird der König als Held gerühmt, der von Gott gekrönt wurde, wobei hier eine direkte Anspielung auf die Erwählung Davids vorliegt: Aufgesetzt habe ich die Krone dem Helden, habe den Erwählten aus dem Volk erhöht.
Dieses Held-Sein in Zusammenhang mit dem Königtum ist durchaus positiv konnotiert, ist es doch geradezu Aufgabe des Königs, als Held gegen seine Feinde vorzugehen. 198 199 200 201
202
Zur kritischen Sicht eines גִּ ּבֹורvgl. neben Ps 33,16f auch Jer 9,22. Kosmala, Art. גָבַ ר, 911. Vgl. dazu oben S. 87. Vgl. dazu W. Dietrich, Königszeit, 150f. Zu den verschiedenen Deutungen der Wendung vgl. auch Augustin, Der schöne Mensch, 169f. Augustin sieht in dem Begriff einen Terminus technicus „für den vollberechtigten, grundbesitzenden Israeliten“ (ebd. 170). Vgl. dazu 2Sam 16,15–17,14.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
107
In Jes 9,5 ist אֵ ל גִּ ּבֹורgar Königstitel203 und Thronname. Als Funktionstitel zeigt er auf, „was Gott am Träger bewirkt und was er für dessen Amtsführung bedeutet“204. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Titel גִּ ּבֹורin Ps 45 eine vorrangig militärische Funktionszuschreibung für den angesprochenen König enthält, wie sich eindeutig aus dem Kontext ergibt. c) „Tritt (den Bogen) und habe Erfolg“ Die Aufforderung, das Schwert zu gürten, wird im Folgenden weitergeführt durch einen weiteren Imperativ205, der sich ebenfalls auf die Vorbereitung zum Kampf bezieht, wie z.B. Ps 7,13 zeigt, wo es vom Frevler heißt206: Fürwahr, wieder schärft er sein Schwert, bespannt seinen Bogen und zielt.
Das Verb דרךist ein Spezialterminus, der das Treten des Bogens, also dessen Bespannen mit der Sehne umschreibt207, wobei „zwischen Spannen und Schießen keine lange Pause liegt“208. Der Bogen als Kriegswaffe wurde vor dem Auftreten der Assyrer vor allem von Personen der Oberschicht verwendet (2Kön 13,15), so u.a. dem König Joasch, der auf Aufforderung Elischas hin Bogen und Pfeile nimmt, um damit zu schießen. Hergestellt wurde der Bogen aus einem Holzstab, der besonders biegsam war und der durch Sehnen und Schnüre und zur Erhöhung der Spannkraft durch Hornplatten verstärkt wurde (Kompositbogen)209. So erreichte man, „daß die Muskelkraft … in der Elastizität eines Stabes aufgespeichert und in ihrer Gesamtmenge für den Antrieb des
203 204 205 206 207 208 209
Wildberger, BK X/1, 382. Beuken, Jesaja 1–12, 253, vgl. ebd. 251 und K. Schmid, ZBK.AT 19/1, 109. Zur Textrekonstruktion vgl. die Ausführungen im Rahmen der Textkritik oben S. 30f. Vgl. Riede, Im Netz, 133ff; Rüterswörden, Bogen, 148. Vgl. Rüterswörden, Bogen, 147f. Rüterswörden, Bogen, 148f. Vgl. Rüterswörden, Bogen, 142; Obermayer, Art. Waffen, Abschnitt 1.2.; Decker, Art. Bogen, 842f. Zu den Materialien, die für die Herstellung eines Bogens benötigt wurden, vgl. schon das Aqat-Epos KTU 1.17 IV 20–23 und Albright / Mendenhall, Creation, 227–229; Rüterswörden, Bogen, 143.
108
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Pfeiles verwendet wird“210, und konnte damit zielgerichtet auf eine Entfernung von etwa 100m schießen. Auf einem außergewöhnlichen Siegel aus dem 7. Jh. v.Chr. (Abb. 3), das im judäischen Bergland gefunden wurde, ist ein Bogenschütze dargestellt, mit einem Dolch an der Seite und einem Köcher voller Pfeile auf dem Rücken. Gerade spannt er den Bogen und legt den Pfeil an, um auf ein Ziel zu schießen, das erhöht sein muss. Wahrscheinlich gehörte das Siegel dem Kommandeur der Bogentruppe einer Provinzgarnison zur Zeit der assyrischen Vorherrschaft namens Hagib.
Abb. 3: Bogenschütze mit Dolch und Köcher Die Bogensehne, die aus tierischen und pflanzlichen Materialien hergestellt wurde, fixierte man erst unmittelbar vor dem Gebrauch des Bogens an diesem, um zu vermeiden, dass sie schlaff wurde. Vor dem Schuss wurde der Bogen mit der Hand gespannt (2Kön 13,16). Eine andere Möglichkeit des Spannens des Bogens bestand darin, dass man den Fuß gegen den Bogen stemmte, wobei dabei das Körpergewicht gegen dessen Innenseite gedrückt wurde (Jes 5,28; 21,15; Jer 46,9; 50,14.29; Thr 2,4; 3,12; Ps 7,13; 11,2; 37,14)211. Geschärfte Pfeile und gespannte Bogen stehen für „große Effizienz“212 in der Kriegsführung, wie Jes 5,28 zeigt213. Gezückte Schwerter und gespannte Bogen unterstreichen die „Wucht des Krieges“214 (Jes 21,15).
Ps 45,5 weist insofern eine Besonderheit auf, als hier – wie bereits im Rahmen der Textkritik gezeigt215 – von einer elliptischen Redeweise auszugehen ist: Das Objekt zu דרך, der Bogen, wird nämlich nicht eigens genannt. 210 211 212 213 214 215
Rüterswörden, Bogen, 139; zur Technik vgl. ebd. Vgl. Kronholm, Art. קשׁת, 221. Beuken, Jesaja 1–12, 156. Vgl. zur Stelle Rüterswörden, Bogen, 149. Berges, Jesaja 13–27, 238. Vgl. dazu oben S. 30f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
109
Auffällig ist ferner, dass das Verb דרךhier im Hif. verwendet wird216: וְ הַ ְד ֵרך, wogegen sonst das Q. üblich ist. Jer 9,2 allerdings enthält eine Parallele zu Ps 45,5: Sie spannten ( דרךhif.) ihre Zunge, ihr Bogen (ist) Trug, und nicht für / mit / durch Wahrhaftigkeit sind sie stark im Land.
Die mit dem Bogen verglichene Zunge wird hier zum „Kampfinstrument“217. Durch den Vergleich wird ihre gefährliche, mit Unehrlichkeit verbundene Wirkung deutlich. Der Bogen als königliche Waffe erscheint auch in Ps 18,35, wo es allerdings JHWH selbst ist, der den König im Kampf unterrichtet218: Er lehrt meine Hände den Krieg und meine Arme das Spannen des ehernen Bogens.
Diese Unterrichtung ist nötig, um die kostbaren und komplizierten Waffen überhaupt einsetzen zu können219. Für das Spannen des Bogens wird hier das Verb נחתpi. verwendet, dem als semantischer Grundgehalt „eine Bewegung von oben nach unten eignet“220. Die Rede vom König als Bogenschützen findet sich im gesamten Vorderen Orient221. Mit dem Bogen kämpft er gegen Feinde und wilde Tiere und steht so für die Sicherheit des Landes ein222. Die Schönheit des Königs manifestierte sich geradezu in der Kunst des Schießens und Laufens, wie beispielsweise ein Preislied auf Amenophis II. (1428– 1397 v.Chr.) zeigt223: Es war aber seine Majestät als König erschienen, als er ein vollkommener Jüngling war und seinen Leib austrainiert hatte; er hatte achtzehn Jahre in Tapferkeit auf seinen Schenkeln vollendet und war einer, der jede Tätigkeit des (Kriegsgottes) Month kannte, 216 217 218 219 220 221 222 223
Vgl. dazu oben S. 31. G. Fischer, Jeremia 1–25, 350 (im Original kursiviert). Vgl. zum Thema „Göttlicher Kriegsunterricht“ (Salo, Königsideologie, 50), ebd. 50ff mit Hinweis auf außerbiblische Parallelen. Vgl. Adam, Held, 73.99. Adam, Held, 46. Vgl. Adam, Held, 73. Vgl. Adam, Held, 77. Decker, Sportliche Elemente, 4, vgl. Schott, Liebeslieder, 91; Decker, Art. Bogen, 843.
110
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte ohne dass es seinesgleichen auf dem Schlachtfeld gab. Er kannte Pferde, ohne dass es seinesgleichen im ganzen Heere gab. Es gab (auch) keinen darunter, der seinen Bogen spannen konnte. Nicht konnte man ihn im Laufen erreichen.
Dabei galt der Bogen vielfach nicht nur als Waffe, sondern auch als Symbol der Herrschaft und Macht224. Das dokumentiert in besonderer Weise ein Siegelabdruck aus der Eisenzeit II C Zeit225, der auf dem Ofel in Jerusalem gefunden wurde (Abb. 4). Er zeigt links eine Person, die durch ihr prächtiges Gewand und das um die Hüften gegürtete Schwert auffällt. Während die Rechte den Schwertknauf umfasst, hält die Linke einen Bogen mit drei Pfeilen. Dieser Person gegenüber ist eine kleinere Person dargestellt, die ihren rechten Arm huldigend grüßend oder zum Empfang von Waffen emporstreckt. Unter dieser Figur findet sich in einer ovalen Kartusche die Bezeichnung śr hʿr „Gouverneur der Stadt“ bzw. Stadtkommandant.
Abb. 4: Der judäische König mit Pfeil und Bogen als Herrschaftssymbolen
224 225
Vgl. Salo, Königsideologie, 40; Keel, Bogen, passim, bes. 167ff; Lee, Symbole, 145ff. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 166–168; Avigad / Sass, Corpus, Nr. 402; Avigad, Hebrew Bullae, 30–33 (Nr. 10); ders., Bulla, 138–140; Barkay, Bulla, 141–144; Lee, Symbole, 149; Adam, Held, 78; Keel / Uehlinger, GGG, 409.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
111
Die linke Person dürfte dagegen den judäischen König darstellen, der Pfeile und Bogen als Herrschaftssymbol in der Hand hält. So wird unterstrichen, „daß die legitime Macht in der Hand des Königs liegt, wogegen der Beamte … in Loyalität zu seinem König nur eine ihm delegierte Macht ausübt“226. Die von assyrischen Vorbildern227 inspirierte Szene verdichtet „den Anspruch des Herrschers auf die militärische Potenz, die symbolisch durch die Präsentation der Insignien vor dem Beamten übertragen wird. Die Macht der Königsherrschaft bleibt in der Hand des Königs selbst, die Autorität wird jedoch durch den Präsentationsgestus an den Untergebenen übertragen“228.
Ging es in Ps 45 zunächst um die Vorbereitung der Nahkampfwaffen, so ab V. 5 um die Fernkampfwaffen229, deren Einsatz dann in V. 6 mit dem Stichwort „Pfeile“ in den Blick genommen wird. An die Aufforderung, sich zum Kampf zu rüsten, schließt sich ein Wunsch an. Der Wunsch ist ausgedrückt durch das Verb צלח, das die Bedeutungen „eindringen ˃ durchdringen ˃ gelingen“230 umfasst, wobei die letztere Bedeutung sowohl im Q. wie im Hif. vorherrschend ist. Schon bei der konkreten Bedeutung „eindringen“ drückt das Verb „eine Bewegung des Subjekts nach vorwärts oder auf ein Ziel hin aus …“231. Diese Bedeutung steht beispielsweise im Hintergrund von Jes 54,17, wo das Verb im Rahmen einer Segenszusage232 auf eine Waffe bezogen ist, der nichts gelingt: Keine Waffe, gegen dich gebildet, wird Erfolg haben ( צלחq.).
Vorausgeht ein Zuspruch für Zion / Jerusalem, dem ein Zustand des Heils verheißen wird, wobei allein die Pracht der Bauten und nicht die Sicherheit und Stärke der Festungsanlagen im Zentrum der Betrachtung steht. Weil Zion in Heil und Frieden gegründet ist, haben dagegen gerichtete Waffen von Angreifern keinen Erfolg. Während es hier also um die Erfolgslosigkeit der von außen kommenden Kämpfer geht, wünscht Ps 45,5 dem zum Kampf gerüsteten König Erfolg.
226 227
228 229 230 231 232
Keel / Uehlinger, GGG, 409. Zu verweisen ist z.B. auf eine Darstellung Salmanassars III. (858–823 v.Chr.) auf dem Schwarzen Obelisken, wo der König zwei Pfeile in seiner Rechten hält und sich zugleich mit seiner Linken auf seinen Bogen stützt (vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 107; Adam, Held, 79) und unten S. 237–239 mit Abb. 31. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 167. Vgl. Keel, Bogen, 175. Vgl. Sabø, Art. צלח, 552; Hausmann, Art. צָ לַח, 1042. Sabø, Art. צלח, 553, vgl. Blau, Wurzeln, 100f. Vgl. dazu Westermann, ATD 19, 224.
112
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Anders verhält es sich in Jer 22,30. Auch hier ist von einem König die Rede, nur dass diesem kein Gelingen zuteilwerden soll. In einem JHWHWort wird Jojachin angesagt: So spricht JHWH: „Schreibt diesen Mann kinderlos, einen starken Mann ()גבר, der nicht Gelingen findet ( )לא־יִּ צְ לַחin seinen Tagen. Denn nicht gelingen wird ( )יִּ צְ לַחvon seiner Nachkommenschaft einem Mann, zu sitzen auf dem Thron Davids ( )עַל־כִּ סֵ א דָ וִּ דund wieder zu herrschen über Juda.“
Diese hoffnungslose Aussage stellt den stärksten Kontrast zu den Wünschen in Ps 45 dar. Entwickelt Psalm 45 die Zukunft der Dynastie, so Jer 22 deren Ende. Dieser Text beginnt mit einem Befehl zum Schreiben; somit ist auch hier der Schreiberstand am Königshof im Blickpunkt. „Das Wort ‚kinderlos‘ … für einen Vater vieler Söhne verwundert“233, wurde doch schon in V. 28 von seinen Nachkommen gesprochen. Der Hinweis auf die Kinderlosigkeit geht in Jer 22,30 aber in eine andere Richtung, steht er doch für die Thronnachfolge, deren Ende angekündigt wird. Interessant ist zudem die Titulatur „ גֶבֶ רstarker Mann“, die an גִ ּבֹורin Ps 45,4 erinnert. Besonders die Chronikbücher haben eine Vorliebe für das Verb צלחhif. Mehrfach wird es hier in Zusammenhang mit dem Tun von Königen verwendet234 und dann mit deren Frömmigkeit und Toraobservanz in Verbindung gebracht (vgl. z.B. 2Chr 32,30)235. Beispielsweise heißt es von Salomo in 1Chr 29,23236: Und Salomo setzte sich auf den Thron JHWHs als König an Stelle ( )תַ חַ תseines Vaters David. Und er war erfolgreich ( צלחhif.) und ganz Israel hörte auf ihn. Das Gelingen wird auch verbunden mit Kämpfen (vgl. 2Chr 13,12; 20,20) oder mit der Bautätigkeit der Könige (vgl. 1Chr 22,11.13; 2Chr 7,11; 14,6).
Einige Stellen, wie z.B. 1Chr 22,11.13, bringen das Gelingen eines Menschen bzw. das eines Königs direkt oder indirekt mit Gott in Zusammen-
233 234 235 236
G. Fischer, Jeremia 1‒25, 671. Vgl. 1Chr 29,23; 22,11.13; 2Chr 7,11; 13,12; 14,6; 20,20; 24,20; 31,20; 32,30. Vgl. Sabø, Art. צלח, 554; Willi, Chronik, 171.177.227f. Zu den Unterschieden zur Parallelüberlieferung in 2Kön 2 vgl. Japhet, 1Chronik, 460.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
113
hang, „insonderheit so, daß Gott ‚mit‘ jemandem ist“237. Und in diesem Mitsein238 zeigt sich sein Segen, so z.B. auch in Gen 39,2.6: 2 3 6b
JHWH war mit Josef. Und er war ein Mann, der Erfolg hatte. … Und sein Herr ( )אֲ דנָיוsah: JHWH war mit ihm, und alles, was er tat, ließ JHWH seiner Hand gelingen. Josef aber war schön von Gestalt und schön von Aussehen.
„JHWHs Mit-Sein realisiert sich darin, dass Josefs ganzes Tun glückt“239. Umgekehrt wird man dann auch sagen können, dass – wie im Falle von Psalm 45 – sich in einem Gesegneten Gottes Mitsein zeigt, so dass der Wunsch nach Gelingen sich daraus selbstverständlich ergibt. Diese Grundtendenz zeigt sich auch bei der Verbindung des Verbs צלחmit dem Nomen דרך. So enthält Jer 12,1bβ eine klagende Frage, die das Geschick der Frevler thematisiert und auf den Widerspruch zwischen ihrem Tun und ihrem Ergehen abzielt: Warum hat der Weg der Frevler Erfolg gehabt, haben Ruhe alle Treulosen, die Treuebruch begehen?
In dieser Frage wird der Grund für das Glück der Frevler gesucht, wobei die Verbindung von דרךund צלחq. einmalig ist, lässt die Formulierung doch wohl bewusst „Gott aus dem Spiel, der beim gebräuchlichen Hi. (‚gelingen lassen‘ …) meist Subjekt ist“240, wie beispielsweise Gen 24,21 zeigt, wo es um eine Reise geht, die gelingt: Der Knecht Abrahams ist auf der Suche nach einer Frau für Isaak zur Stadt Nahors aufgebrochen. Als er Rebekka erstmals sieht, schaut er ihr bei ihrem Tun zu, um zu erkennen, ob JHWH seine Reise wohl würde gelingen lassen oder nicht.
Dieselbe Formulierung findet sich dann noch dreimal (V. 40.42.56), jeweils verbunden mit dem Hinweis auf JHWH: Ist es hier das göttliche Wirken, das einen Weg gelingen lässt, so gibt es auch Stellen, wo das Gelingen von Menschen ausgesagt wird. In Jos 1,8b wird Josua an die Tora Gottes 237 238 239 240
Sabø, Art. צלח, 555, vgl. Westermann, Segen, 16ff; Preuß, „… ich will mit dir sein!“, 139ff; Vetter, Jahwes Mit-Sein. Vgl. ferner Gen 39,21.23. Ebach, Genesis 37–50, 167. G. Fischer, Jeremia 1‒25, 430.
114
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
erinnert und ihm aufgetragen, nicht von ihr abzuweichen, um Erfolg zu haben (V. 7). Wo er gemäß der Tora handelt, so die Verheißung, wirst du deine Wege zu einem guten Ende führen ( צלחhif.) und Erfolg haben ( שׂכלhif.).
Aber auch das Gegenteil wird vor Augen gestellt. Wo Israel nicht auf die Stimme JHWHs hört, steht es unter dem Fluch, der laut Dtn 28,15ff alle Bereiche des Lebens erfasst. Dieser Fluch hat für Israel einschneidende Konsequenzen: Auf deinen Wegen wird dir nichts gelingen ( צלחhif.), und du wirst nur ein Unterdrückter und Ausgeraubter sein alle Tage, und niemand wird dir helfen. (Dtn 28,29)
Das Stichwort „Wege“ steht hier natürlich für den Erfolg, der sich nicht einstellt, im Gegenteil: der Fluch, wo er eintritt, bewirkt, dass Israel zu den Unterdrückten gehört und aufgrund des fehlenden Retters keine Aussicht auf Besserung der Lage hat241. Wichtig ist nun, dass das Verb צלחmit Objekt דרךimmer wieder auch im Zusammenhang mit dem Wirken von Königen erscheint. Besonders interessant ist hierbei eine Selbstaussage JHWHs in Jes 48,15. Nach einem kurzen Rückblick auf die Berufung des Kyros hält JHWH, betont herausgestellt durch das zweimalige Ich, fest: Ich, ich habe geredet, ihn (Kyros) auch berufen, habe ihn kommen lassen, dass gelinge sein Weg () ִּהצְ לִּ יחַ דַ ְרכֹו.
Dass sein Weg gelingt, ist letztlich die „Konsequenz der Berufung des Kyros“242, von dem V. 14 zusätzlich feststellte, dass JHWH ihn „liebt“. Diese Prädikation des Perserkönigs drückt sein besonderes Verhältnis zu JHWH aus, das sich in der Berufung durch diesen niedergeschlagen hat. JHWH lässt das Wirken von Kyros in der Welt und an Israel gelingen. Auf dieses Gelingen laufen die drei vorausgehenden Aussagen zu243.
241 242 243
Vgl. dazu Rose, ZBK.AT 5/2, 539. Hermisson, BK XI/2, 275. Zu צלחim Jesajabuch vgl. Berges, Jesaja 40–48, 535f, bes. 536.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
115
Auf eine konkrete königliche Aktion, die an die Aufforderung zur Kampfvorbereitung in Ps 45 erinnert, zielt ein in 1Kön 22,12b überlieferter Spruch von Heilspropheten an Zedekia: Ziehe ( ) ֲעלֵהhinauf nach Ramot-Gilead, und es wird dir gelingen ()וְ הַ צְ ַלח. Ja, JHWH wird (es) in die Hand des Königs geben.
Der Auszug wird also gemäß dem prophetischen Spruch von Erfolg gekrönt sein. Der Sieg ist dem König verheißen. Das Gegenteil dessen hat ein von Zedekia zitiertes Gerichtswort im Blick: Wenn ihr mit den Chaldäern kämpft, werdet ihr keinen Erfolg haben. (Jer 32,5b)
Es wird hier zwar ein Kampf vorausgesetzt, der allerdings als aussichtslos eingestuft wird. „Das verneinte ‚Gelingen‘ drückt die Vergeblichkeit des militärischen Unterfangens aus“244. Der Wunsch nach Gelingen passt somit einerseits sehr gut in den unmittelbaren Zusammenhang der Zurüstung des Königs zum Kampf. Andererseits ist das Gelingen des Weges ein Thema, das immer wieder auch grundsätzlich für einen König wichtig ist und sich auf allen Ebenen des Daseins zu bewähren hat. Zugleich manifestiert sich im Gelingen auch der Segen245. Der Wunsch „habe Erfolg“ wird im Folgenden weitergeführt durch die Aufforderung „ ְרכַבfahre einher“. Hier geht es um das Ausfahren bzw. Ausreiten zum Kampf, also um den Kriegszug, dessen Gelingen dem König durch die vorangehende Wendung gewünscht wurde. 2. Der Auszug zum Kampf a) Das Fahren / Reiten des Königs Der „Aufbruch des Königs im Schreckensglanz“ wird im Folgenden weiter ausgeführt. Zunächst wird der königliche Krieger – wie häufig in Ägypten und Mesopotamien – als Streitwagenkämpfer gezeigt (vgl. Abb. 5ff). Er wird aufgefordert, dahinzufahren. 244 245
G. Fischer, Jeremia 26‒52, 195. Vgl. Kremser, Hochzeit, 134f; Sæbø, Art. צלח, 551–556; R. Müller, Schönheit, 17.
116
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Das hier verwendete Verb – רכבhäufig mit der Präposition עַלkonstruiert – hat die wörtliche Bedeutung „reiten“, „ein Reittier besteigen“; in übertragenem Sinne kann es auch mit „(auf einem Wagen, insbesondere einem Streitwagen) fahren“ übersetzt werden246. Festzuhalten ist, dass wie bei דרך „treten“ (V. 5) ein elliptischer Sprachgebrauch vorliegt, da das zugehörige Objekt fehlt247. Als Reittiere fungierten vor allem Esel, Maultiere und Kamele. Pferde dienten insbesondere als Zugtiere von Streitwagen ( רכבbzw. )מ ְר ָכבָ הund wurden so fast ausschließlich militärisch genutzt 248. Auch in Ps 45 dürfte mit רכב עַלdas Besteigen des Streitwagens oder das Fahren auf diesem gemeint sein249, da Pferde als Reittiere im Krieg in Palästina erst relativ spät (kaum vor dem 9./8. Jh. v.Chr.) belegt sind250, und dann vor allem von Kundschaftern (2Kön 9,18), Boten oder Übermittlern von Befehlen verwendet wurden (Sach 1,8ff)251. Zudem sind reitende Könige im Alten Orient selten und in der Regel im Zusammenhang der Jagd belegt252. In Ägypten galt das Reiten für den Pharao oder andere hochrangige Personen eher als „nicht standesgemäß“253. Streitwagen waren zudem ein machtvolles Herrschaftssymbol254. Sie drückten die Stärke und Kraft eines Herrschers aus. Mit ihrer Hilfe konnte er gegenüber seinen Feinden triumphieren. Immer wieder wird daher im Alten Testament der Besitz von Pferden und Streitwagen herausgestellt, sowohl im Nordreich (2Kön 10,2) wie im Südreich (2Kön 8,21)255. Das Militär des Nordens wird mit den Worten gerühmt:
246 247 248 249 250 251 252
253 254 255
Vgl. Barrick / Ringgren, Art. ר ַכב,ָ 508f; Ficker, Art. רכב, 777–781; H. Weippert, Art. Pferd und Streitwagen, 253. Vgl. dazu oben S. 31. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 127; Uehlinger, Art. Reiter, Reiten, 340. Vgl. dazu z.B. Keel, OLB 1, 127f; anders Lim, Königskritik, 161–163, die durchgehend vom König als Reiter ausgeht, was eher unwahrscheinlich ist. Vgl. Uehlinger, Art. Reiter, Reiten, 340; Lee, Symbole, 252f. Zum Schlachtross vgl. z.B. Hi 39,19–25 und Obermayer, Art. Waffen, Abschnitt 1.3. Vgl. Uehlinger, Art. Reiter, Reiten, 340; für Ägypten vgl. Decker, Art. Reiten, 224; für Mesopotamien vgl. Weszeli, Art. Reiten, 306. Vgl. z.B. verschiedene Darstellungen Assurnasirpals II. (883–859 v.Chr.) bei Magen, Königsdarstellungen Tf. 2,10.12; 3,1–5; zu reitenden Königen auf der Jagd vgl. ferner ebd. Taf. 2–4. Decker, Art. Reiten, 224; Hornung, Der Pharao, 345. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 115. Vgl. Lang, Art. Streitwagen, 717.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
117
Ihr habt die Wagen und die Pferde, eine befestigte Stadt und Waffen. (2Kön 10,2b)
Die herausgehobene Bedeutung der Streitwagen unterstreicht auch 1Kön 10,26 mit dem Hinweis, Salomo habe 1400 Wagen und 12000 Streitwagenkämpfer aufbieten können256. Stellenweise konnten Streitwagen geradezu „den Status eines mobilen Thrones“257 einnehmen. Nicht umsonst verweist das Alte Testament an vielen Stellen auf den Zusammenhang von Königtum und Streitwagen258. Denn in den Streitwagen manifestierten sich nicht nur die militärische Macht eines Königs und die kriegerischen Möglichkeiten des Königtums an sich, darüber hinaus waren sie auch Prestigeobjekte und Statussymbole259. Davids Söhne legen sich Pferde und Wagen zu (2Sam 15,1; 1Kön 5,6; 9,19). Und Adonia untermauert seinen Anspruch auf das Königtum durch die Anschaffung von Streitwagen und Gespannen (1Kön 1,5). In der Schlacht von Qarqar 853 v.Chr., in der König Ahab zusammen mit einer Koalition von syrisch-palästinischen Königen gegen den assyrischen König Salmanassar III. (858–823 v.Chr.) vorging, soll er 2000 Streitwagen260 ins Feld geführt haben261. Und nach 1Kön 18,45 fährt Ahab auf seinem Streitwagen nach Jesreel; in seinem Streitwagen stirbt er schließlich auch (1Kön 22,34f). Auch die Inschrift auf der Tell-Dan-Stele aus dem 9. Jh. v.Chr. unterstreicht die Bedeutung von Streitwagencorps, wenn Hasael sich rühmt262: (Ich) führte 2[000 Streit]wagen und 2000 Pferde fort.
256 257 258 259 260 261
262
Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 194. Schroer, IPIAO 3, 61. Vgl. Lang, Art. Streitwagen, 717f. Vgl. Keel, AOBPs, 215 und Lee, Symbole, 252. Vgl. dazu den ausführlichen Bericht auf der Stele von Kerh-i-Dicle RS. 78–102 und Borger, TUAT I, 360f.363f; M. Weippert, Textbuch, Nr. 106. Dagegen bildete sich eine eigene „Kavallerie“ als Kampftruppe bei den Assyrern erst seit dem 9. Jh. v.Chr. (Tukulti-Ninurta) heraus, vgl. Weszeli, Art. Reiten, 306; dies., Art. Pferd, 474; W. Mayer, Gedanken, 181–186. Zu Kavalleriepferden vgl. M. Weippert, Textbuch, Nr. 107ff. Kottsieper, TUAT Ergänzungslieferung, 176–179, 178; M. Weippert, Textbuch, Nr. 116, vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 115.
118
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Das berühmte Lachisch-Relief Sanheribs das die Eroberung der judäischen Stadt 701 v.Chr, zeigt, stellt einen solchen Wagen dar, wahrscheinlich ein in die Hände der Assyrer gefallenes judäisches Beutestück263 (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Relief aus Ninive mit der Darstellung der Eroberung der judäischen Stadt Lachisch. Im mittleren Register ein erbeuteter Streitwagen
263
Vgl. Keel, OLB 2, 898; Lang, Art. Streitwagen, 718.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
119
Innerhalb des Kampfgeschehens kam den Streitwagen eine besondere Bedeutung zu, waren sie doch eine mobile Plattform für die Bogenkämpfer. Vom Streitwagen aus konnten Feinde aus verschiedenen Richtungen mit Pfeilen beschossen werden. Anstürmende Streitwagenheere verbreiteten u.a. wegen des damit einhergehenden Lärms Angst und Schrecken. Nah 3,2 beschreibt dies eindrücklich, wenn dort bezogen auf die assyrischen Truppen vom „Gedröhn rasselnder Räder“, von rennenden Pferden und holpernden Wagen gesprochen wird. Die eigentliche Schlacht beginnt mit dem „Anspannen und Besteigen des königlichen Streitwagens“264, wobei dieser Auftakt nur selten beschrieben wird. Ex 14,6 ist vom Anspannen des Streitwagens die Rede, und in 2Kön 9,21 ist gar der Befehl „Lass anspannen!“ überliefert (vgl. auch Mi 1,13). Nur in Ps 45,5 findet sich die Aufforderung an den König, den Streitwagen zu besteigen und dahinzufahren. In jedem Fall aber gilt: „In der geballten Kraft der gezügelten Pferde und im Aufsteigen auf das elegante Gefährt manifestieren sich die Schönheit und Herrlichkeit des Königs“265. Auch dieses Bild ist somit Bestandteil der königlichen Prachtentfaltung.
Abb. 6: Amenophis IV. (1351–1334 v.Chr.) auf seinem königlichen Streitwagen
264 265
Schroer, IPIAO 3, 61 (im Original z.T. kursiviert), vgl. Salo, Königsideologie, 170 Anm. 94. Keel, AOBPs, 259.
120
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der königliche Kämpfer auf dem Streitwagen ist auch in der ägyptischen Kunst häufig dargestellt. Spätestens seit der 18. Dynastie (ca. 1570–1345 v.Chr.) wird der König immer wieder in seinem Streitwagen gezeigt, so auf einem Relief Amenophis’ IV. (ca. 1351–1334 v.Chr.: Abb. 6)266. Der König ist deutlich größer als seine Truppen auf seinem herrlich geschmückten Kriegswagen bereit zum Kampf. Zeigt sich hier die königliche Prachtentfaltung als Ausdruck der herrscherlichen Macht, so ergänzt die Darstellung aus der Zeit Königs Ramses’ II. (1279–1213 v.Chr.) aus dem Ramesseum in Theben West das Bild des siegreichen Herrschers in der Schlacht (vgl. Abb. 7).
Abb. 7: Ramses II. als siegreicher Kämpfer in der Schlacht
Der Herrscher in seinem Streitwagen, mit seinem Bogen auf die Feinde zielend, ist dabei von einem Gewirr von kämpfenden Truppen umgeben, „Kein einziger Feind wagt ihm entgegenzutreten, kein einziger wagt, auf ihn zu zielen. Von seinen Pfeilen hingestreckt liegen sie vor ihm, wenden sich entsetzt ab oder strecken Gnade flehend ihre Arme aus“267. Interessanterweise ist der König auf Seiten der Ägypter alleiniger Akteur268, der das Chaos in Gestalt der feindlichen Völker besiegt. Das unter266 267 268
Vgl. Keel, AOBPS, 259 mit Abb. 384. Keel, AOBPs, 278, vgl. Hornung, Der Pharao, 353. H. Weippert, Art. Pferd und Streitwagen, 253.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
121
streicht seine Bedeutung und Einzigartigkeit. Folgt man hingegen schriftlichen Quellen, so sah die Realität im Krieg wohl anders aus: Mindestens ein Lenker des Streitwagens begleitete den König in die Schlacht, und die Gegner werden sich heftig gewehrt haben. Anders sind die Darstellungen in Mesopotamien: Auch hier erscheint der König in seinem Streitwagen, allerdings nicht wie in Ägypten allein, sondern er ist umgeben von seinem Schildhalter und dem Wagenlenker (vgl. Abb. 8)269. Auch die Sicht des Kampfgeschehens ist deutlich anders als in Ägypten. Auf assyrischen Reliefs wird gezeigt, wie die Gegner der Assyrer heftigen Widerstand leisten, wobei auch sie letztlich gegenüber der Macht und Gewalt des Königs keine Chance haben270. Dass der König als Stellvertreter Assurs handelt, wird darin erkennbar, dass der Gott in einer parallelen Haltung, ebenfalls bogenschießend, dargestellt wird.
Abb. 8: Assurnasirpal (883–859 v.Chr.) als Streitwagenkämpfer
Die Zurüstung und Vorbereitung zum Kampf durch das Besteigen des Streitwagens sind „nicht Selbstzweck“271. Letztlich bereiten diese Handlungen die Stabilisierung und Durchsetzung der Weltordnung durch den König vor, wie auch Ps 45 zeigt, wenn im Folgenden von Wahrheit und Demut-Gerechtigkeit die Rede ist.
269 270 271
Vgl. dazu W. Mayer, Gedanken, 178. Vgl. dazu z.B. Keel, AOBPs, 278f und Taf. XX; Salo, Königsideologie, 47. Keel, AOBPs, 259.
122
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
b) Um der Sache der Wahrheit und Demut-Gerechtigkeit Die Intention und der Rahmen des kriegerischen Einsatzes des Königs wird durch die Trias ֱאמת, עַנְ וָהund צדקumschrieben. Der Krieg – hier konkretisiert im Besteigen des Streitwagens – dient somit der Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit auf Erden, also letztlich der Bewahrung der von Gott gesetzten Heilsordnung272, ein Handeln, das im Alten Orient zu den Grundaufgaben des Monarchen und königlichen Kriegers gehörte273. Zugleich zeigt dieses Handeln die Legitimität des Herrschers an274. Es geht also nicht um eine imperialistische Kriegsführung, die darauf aus ist, die Ressourcen anderer Völker unter Kontrolle zu bekommen, sondern darum, Wahrheit und Gerechtigkeit zurückzugewinnen bzw. zu erhalten und dem Einbruch des Chaos zu wehren. Auch in Ägypten war der Krieg gegen Rebellen und die von außen andringenden feindlichen Völker „Teil der königlichen Aufgabe der Förderung der Gerechtigkeit Ma’at und des Kampfes gegen das Chaos Isfet“275. So beschreibt eine kulttheologische Abhandlung aus der Zeit des Neuen Reichs das Amt des Königs folgendermaßen276: Re hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig beim Rechtsprechen der Menschen, beim Befriedigen der Götter, beim Entstehenlassen der Ma’at, beim Vernichten der Isfet. Er (der König) gibt Gottesopfer den Göttern und Totenopfer den Verklärten. Der Text nennt explizit zwei Aufgabenbereiche, die zum Pflichtenkanon der Könige gehören: Einerseits den Kult für Götter und Tote und andererseits die Gewährleistung von Recht und Wahrheit und die Abwehr der Isfet. Ein dritter Aufgabenbereich, der nur implizit angesprochen ist, ist die kriegerische Verteidigung vor äußeren Feinden277, die „nicht siegen, aber auch nicht besiegt werden konnten“278 und als ständige Chaos-
272 273 274 275 276 277 278
Vgl. Salo, Königideologie, 170. Vgl. Röllig, Königtum, 123. Vgl. Ahn, Herrscherlegitimation, 65. Salo, Königsideologie, 171. Vgl. zum Text Assmann, Der König als Sonnenpriester; Blumenthal, Göttlichkeit, 58f und unten S. 164f. Vgl. Blumenthal, Göttlichkeit, 59. Assmann, Ägypten, 278; vgl. ders., Herrschaft, 96.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
123
bedrohung agierten. Insofern kann man den Kampf gegen sie als Teil der „Isfet-Vertreibung“279 ansehen.
Interessant ist in Ps 45,5 die einleitende Präposition ַל־דבַ ר ְ „ עum willen, wegen“280, die sich auf die folgenden Werte bezieht, die durch das Tun des Königs zu verwirklichen sind. Gemeint ist somit nicht, dass אמתals „Reittier“281 oder „Gefährt“282 des Königs fungiert, so dass man übersetzen müsste „reiten auf“. Vielmehr geht es darum, dass der König durch das Besteigen des Wagens Wahrheit und Gerechtigkeit in der Welt verwirklichen soll. Natürlich sind ֱאמתund צדקZiele und zugleich „Programmworte für die richtige Ausübung des Amtes des Königs“283. Wo der König sie verwirklicht, erhält seine Herrschaft Stabilität und Dauer. Das von der Wurzel אמןabzuleitende Nomen אֱמתhat ein Bedeutungsspektrum, das sowohl Festigkeit / Zuverlässigkeit, Beständigkeit / Dauer als auch Treue bzw. Wahrheit umfasst284. אֱמתist ein Wert, „der im Menschen sein kann und sein sollte“285. Vor allem wenn אֱמתnicht vorhanden ist, fehlt ein wichtiges Grundmerkmal menschlichen Zusammenlebens. Besonders die Rede soll von אֱמתgeprägt sein (Sach 8,16). Wenn ein Mensch mit Worten der אֱמתin Verbindung gebracht wird, ist das Ausdruck höchsten Lobes (Koh 12,10). Ein anderer Anwendungsbereich ist der der Rechtsprechung und des Gerichts (vgl. Jes 16,5; Spr 14,25). So fordert Sach 8,16b: Redet in Wahrheit ()אֱמת, ein jeder mit seinem Nächsten! (Nach) Wahrheit ( )אֱמתund Recht des Friedens () ִּמ ְשׁפָט שָׁ לום richtet in euren Toren!
279 280 281
282 283 284 285
Assmann, Ägypten, 278. Vgl. Hupfeld, Psalmen 2, 361; Bergman / Lutzman / W.H. Schmidt, Art. דָ בָ ר, 113; Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 229. So aber schon Hupfeld, Psalmen, 2, 361 und Lim, Königskritik, 166, für die in V. 5 „die Ausstattung und Ausrüstung des Königs“ (ebd.) im Vordergrund steht. Der König sei demnach ausgestattet „mit dem Reittier des Wortes der Wahrheit, der Demut und der Gerechtigkeit“. Dafür würde aber die Präposition עַלreichen. So M. Müller, Herr, 114f; Kremser, Hochzeit, 136; Böhler, Psalmen 1–50, 817, der diese Auffassung aber ebd. 824 relativiert. Lim, Königskritik, 168. Vgl. Wildberger, Art. אמן, 201; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 181. Jepsen, Art. אָ מַ ן, 335.
124
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Und in Sach 7,9 wird dazu aufgerufen: Richtet ein ! ִּמ ְשׁפָ ט אֱ מת
Das heißt: „fällt Urteile, die der ֱאמתentsprechen“286, die sich auf einen wirklichen Tatbestand gründen und nicht auf Lüge und Betrug (Jer 9,4), „so daß sie sich als richtig und Rechtens bewähren“287. אֱמתist vor allem ein Verhalten, das mit dem König in Verbindung gebracht wird. So verheißt Spr 29,14288: Ein König, der die Geringen in Wahrheit ( )אֱמתrichtet, dessen Thron ist für immer fest gegründet.
Und Spr 20,28 betont: Güte ( )חסדund Wahrheit ( )אֱמתbehüten den König, und er stützt durch Güte ( )חסדseinen Thron.
Während ein sein Amt schlecht ausübender Herrscher sich auf Trug stützt, so ein sein Amt positiv füllender auf das Recht, wobei hier auch die Rechtsverhältnisse mitgemeint sind289. Besonders im Umgang mit den Armen und Geringen zeigt sich die Qualität der Amtsführung. „Wenn vom Recht schaffen für die Bedürftigen der Bestand des Thrones … abhängig gemacht wird, bedeutet das schwerlich ein Infragestellen der Zusage für den Bestand der Daviddynastie (2.Sam 7,16 u.a.), sondern es vergewissert den Bestand der Herrschaft für den jeweiligen König“290. Güte und Treue / Wahrheit, die häufig als Hendiadyoin zusammengestellt sind, umgeben schützend den König. Sie handeln hier gleichsam als „selbständige Wesen“291, die ihm von Gott her „zukommen und beistehen“292. Dieser Zueignung von Seiten Gottes entspricht das Handeln des Königs, der seinen Thron durch Güte stärkt. Güte meint dabei „die den Menschen zugewandte, an ihrem Leben interessierte, hilfreiche Seite der Gerechtigkeit“293. Durch sie wird mensch286 287 288 289 290 291 292 293
Jepsen, Art. אׇ מַ ן, 336. Jepsen, Art. אׇ מַ ן, 336. Vgl. auch Spr 29,4 und Steymans, Fürstenspiegel, 42. Vgl. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 487. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 487. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 345. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 345. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 345.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
125
liches Zusammenleben und menschliche Gemeinschaft gefördert und ermöglicht. Dass mit אֱמתauch eine Außendimension verknüpft sein kann, zeigt neben Ps 45,5 auch Jes 39,9 // 2Kön 20,19. Dort wird das Wort parallel zu שָׁ לום gebraucht. Angesichts der Ankündigung von Unheil für Jerusalem und die Königsfamilie wird von Hiskia der Gedanke überliefert: Wenn nur in meinen Tagen Friede und אֱמתvorhanden ist.
Mit שָׁ לוםund אֱמתwird hier ein auf Dauerhaftigkeit und Beständigkeit angelegter „Heilszustand“294 beschrieben, der die „Sicherheit vor Feinden“295 und das Gedeihen des Landes umfasst. Im Blick ist somit „ein Friede, der Sicherheit garantiert“296. Um dieser beständigen Sicherheit willen soll der König nach Ps 45,5 gegen seine Feinde vorgehen. Auch der Begriff צדקist zentral für das Amt des Königs297 als „Hüter der Weltordnung“298. Dabei – und darauf wird im Rahmen der Analyse von V. 8 noch zurückzukommen sein – bezieht sich צדקzum einen auf die Innenseite des Staates299, wie beispielsweise Spr 16,12 zeigt: Ein Greuel für Könige ist das Tun von Frevel, denn durch Gerechtigkeit wird der Thron fest gegründet.
Andererseits kann auch der Kampf des Königs gegen von außen kommende, chaotische Mächte, die das Land bedrohen, mit dem Terminus „Gerechtigkeit“ verknüpft sein300. Es ist daher geradezu eine Idealbeschreibung des Königs, wenn es von David am Ende des Berichts über die Siege über die Nachbarvölker heißt: Er war König über ganz Israel. Und David übte Recht und Gerechtigkeit an seinem ganzen Volke. (2Sam 8,15)
294 295 296
297 298 299 300
Wildberger, BK X/3, 1480. Wildberger, BK X/3, 1480. Wildberger, Art. אמן, 202, vgl. Jer 14,13, wo vom „zuverlässigen Heil“ ()שָׁ לום אֱמת die Rede ist, und zugleich angekündigt wird: „Ihr werdet das Schwert nicht sehen“. Vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 213. Maul, König, passim. Vgl. dazu unten S. 159ff. Vgl. dazu H. Schmid, Gerechtigkeit, 21.
126
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der hier für das Gerechtigkeitshandeln des Königs verwendete Begriff צְ דָ קָ ה, dürfte sich nicht nur auf sein Wirken nach innen beziehen, sondern wird auch die den Siegen vorangehenden kriegerischen Aktionen einschließen. Auch das kriegerische Handeln von Kyros wird mit Gerechtigkeit verbunden (Jes 41,2). Und der von Israel ersehnte gerechte Herrscher wird dafür sorgen, dass sein Volk sicher wohnen kann (Jer 23,5f; 33,15f). Der dritte Terminus, der genannt wird, ist ( ַענְ ָוהV. 4)301. Inhaltlich unterscheidet er sich von den anderen beiden Begriffen, geht es doch hier eher um das Thema „Selbstbescheidung“302. ענוהkann sich auf „eine menschliche Qualität“303 beziehen, die ganz praktische Aspekte der Lebensführung umfasst und die man ebenso wie צְ דָ קָ ה suchen kann. Es ist eine „Qualität, die Einfügung in die Weltordnung ermöglicht und verwirklicht“304, nun allerdings nicht durch kriegerische Mittel. So verbindet Zef 2,3 Demut und Gerechtigkeit305, wenn dazu aufgefordert wird: Sucht JHWH, all ihr Demütigen des Landes ()כָל־עַנְ וֵי הָ אָ רץ, die sein Recht getan haben. Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut (;) ֲע ָנוָה vielleicht bleibt ihr geborgen am Tag des Zornes JHWHs.
Angesprochen sind hier „über die ökonomische Abhängigkeit und soziale Armut hinaus allgemeiner schutz- und hilfebedürftige Menschen …, die über keine Machtmittel verfügen und letzten Endes nur von Gott notwendige Hilfe erwarten können“306. Was aber bedeutet es, wenn ענוהin Ps 45 auf den König bezogen wird?
301 302 303 304 305 306
Zur Form vgl. oben S. 33f. Gerstenberger, Art. עָ ָנהII, 259. Gerstenberger, Art. עָ ָנהII, 258. Gerstenberger, Art. עָ ָנהII, 258. Vgl. dazu Irsigler, Zefanja, 205f. Irsigler, Zefanja, 205, vgl. R. Kessler, Art. Armut / Arme (AT), Abschnitt 2.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
127
Bei der Beantwortung dieser Frage kann exemplarisch auf den ersten Davidpsalter (Ps 3–41) verwiesen werden307, dessen armentheologische Prägung308 besonders auffällt. Das zeigt sich vor allem an der Vielzahl von Bezeichnungen für Arme, die von der Wurzel ענהII „elend sein“ abgeleitet sind309. Der Beter der Psalmen steht dabei in enger Solidarität zur Gruppe der Armen, ja er bezeichnet sich selbst als Armer (Ps 9/10; 25; 31; 40/41) oder sieht sich der Gruppe der Armen zugehörig (Ps 12; 14; 22 etc.)310. Die als arm apostrophierten Menschen, die Verfolgung und Not erleiden und sich selbst nicht helfen können311, haben zudem einen engen Bezug zu JHWH, der rettend an ihnen handelt ( ישׁע// )נצלund zu einer Wende ihrer Not beiträgt. Sie haben geradezu „einen Rechtsanspruch auf Gottes Hilfe und wissen, dass sie sich auf diese Hilfe verlassen können“312. Z.T. ist auch eine Änderung der gesellschaftlichen Umstände im Blick. Die Teilgruppen dieser Komposition (3–14 / 15–24 / 25–34 / 35–41) schließen zudem jeweils mit einem armentheologisch geprägten Psalm313. Auffällig ist weiterhin die positionelle Nähe zwischen Armenpsalmen und Königspsalmen314. Besonders der Doppelpsalm 9/10, der als Paradigma herangezogen werden soll, entfaltet in großem Maße armentheologische Aspekte315. Dazu gehören „soziale Not und Ausbeutung ([Ps] 9,10.13), Verfolgung (10,2), Rechtsnot (10,7.8), Ausgeliefertsein an die hinterhältige feindliche Übermacht (10,9–10)“316. Zudem enthält der Psalm eine Fülle von Armentermini, darüber hinaus ist die „Qualität der Armentheologie“317 gegenüber anderen Psalmen dieser Gruppe stärker ausgeprägt, was für eine Vielzahl von Forschern auf eine Datierung in die hellenistische Zeit schließen lässt318. Inhaltlich ist für Ps 10 wichtig, dass das Lob des Beters, die Richtertätigkeit JHWHs und die Rettung des Armen in einem engen Bezugsverhältnis zueinanderstehen: 307 308
309
310 311 312 313 314 315 316 317 318
Vgl. dazu Hossfeld / Zenger, „Selig …“, passim. Zur Armenfrömmigkeit im Psalter vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 569ff; ders., Sozialgeschichte, 188; Gerstenberger, Armut, passim; ders., Arbeitsbuch, 99ff; Ro, Armenfrömmigkeit, 133ff; Bremer, Armentheologie und Intertextualität; ders., Strukturbeobachtungen; ders., The „Theology of the Poor“, 323ff; Groenewald, „Happy are those …“ und den Forschungsüberblick bei Sticher, Rettung, 307ff. Zum Wortfeld „arm“ vgl. Botterweck, Art. א ְביון, 31; Kraus, BK XV/1, 109; Bremer, Strukturbeobachtungen, 6ff; ders., „Armenredaktion“, 191; ders., The „Theology of the Poor“, 323ff; Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 14f. Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 56–60. Vgl. Jeremias, Theologie, 424 Anm. 52. Jeremias, Theologie, 424. Vgl. Bremer, „Armenredaktion“, 185.191; ders., Strukturbeobachtungen, 23f. Vgl. Gillingham, Singers, 44. Vgl. Bremer, „Armenredaktion“, 186; Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“, 255. Hossfeld / Zenger, „Selig…“, 47. Bremer, „Armenredaktion“, 187. Vgl. z.B. Hossfeld, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 81; Oeming, NSK.AT 13/1, 90 und Bremer, „Armenredaktion“, 187; Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“, 253–258.
128
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte 16 17 18
JHWH ist König für immer und ewig, verschwunden sind die Völker aus seinem Land. Das Verlangen der Gebeugten ( ) ֲענָוִּ יםhast du vernommen, JHWH, fest machst du ihr Herz, du neigst dein Ohr, um Recht zu schaffen dem Waisen und Bedrückten. Nicht möge er fortfahren, wegzuschrecken Menschen aus dem Lande.
Das zeigt: „der Königsgott JHWH steht auf der Seite der Armen“319. Zu ihren Gunsten greift er ein. 19
Denn nicht auf Dauer soll der Arme vergessen werden, [noch] die Hoffnung der Elenden zugrunde gehen für immer.
Wenn Ps 45 nun die ענוהmit dem König in Verbindung bringt, so wird er gleichsam selbst ein Teil des leidenden Volkes320. Die in dem Begriff aufscheinende Armuts- bzw. Demutstheologie mutet auch „dem Messias die Einordnung ganz unten beim leidenden Volk zu …“321. Diese Vorstellung unterscheidet sich deutlich vom vorexilischen Königsbild, wie es beispielsweise Ps 72 entwickelt, wo die Armen der Fürsorge des Königs anheimgestellt werden322. Und natürlich zeigt sich auch ein Unterschied zu den übrigen Erwartungen, die Psalm 45 selbst bezogen auf das königliche Tun nennt, so dass die Annahme naheliegt, dass ענוהeine spätere Deutung des Königsamtes im Sinne der nachexilischen Armen- und Demutstheologie in den Psalm einbringt323. Darauf wird im Rahmen der Rezeptionsgeschichte von Ps 45 noch zurückzukommen sein324. Das kriegerische Handeln des Königs findet seine Fortsetzung im Hinweis auf die Taten seiner Rechten.
319 320
321
322 323 324
Janowski, Konfliktgespräche, 116. Vgl. auch Rudolph, KAT XIII/4, 180f; Deissler, Psalmen, 185: „Die ‚Demut‘ weist darauf hin, daß der König selber ‚gebeugt‘ (im religiösen Sinne) ist (Zach 9,9), aber zugleich ‚den Geringen ein gerechter Rechtshelfer ist und in Geradheit das Urteil spricht für die Gebeugten im Lande‘“ (Jes 11,4). Gerstenberger, Art. עָ ָנהII, 259. Anders Ueberschaer, Ich und mein König, 9: „Der Herrscher soll in die Pflicht genommen werden, sich für die Armen und Demütigen einzusetzen“. Vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 569. Vgl. Salo, Königsideologie, 164 und die Ausführungen oben S. 126ff zu ענוה־צדק „Sanftmut-Gerechtigkeit“. Vgl. dazu unten S. 323ff.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
129
c) Die Taten der Rechten Die Rechte ist die Hand, mit der Menschen normalerweise etwas tun325, da in der Regel Rechtshändigkeit vorausgesetzt ist. Die Rechte führt den Sieg herbei (Hi 40,14). Mit der Rechten führt man das Schwert, „hält man die Pfeile und spannt die Sehne“326, wie in Ez 39,3 vorausgesetzt: Ich will deinen Bogen aus deiner linken Hand schlagen, und deine Pfeile lasse ich aus deiner rechten Hand fallen.
Dies ist die übliche Kampftechnik. Der Bogenschütze hält den Bogen mit der linken Hand, die rechte holt den Pfeil aus dem Köcher, der normalerweise über der linken Hüfte befestigt war. Dann legt er ihn auf die Sehne des Bogens und schießt ihn ab. Mit der Rechten überwindet der König die Feinde327. So verheißt Ps 21,9 dem König: Deine Hand wird alle deine Feinde ( )איְ ביךfinden, die dich hassen, deine Rechte trifft sie.
Es sind Kampfbilder, die die Aktion des Königs zur Niederringung der das Chaos repräsentierende Feinde umschreiben328 und die in engem Zusammenhang stehen mit der Übereignung des Königsamtes durch JHWH (vgl. Ps 21,4.7). Zugleich wird durch diese Bilder die militärische Kraft des Königtums beschworen, durch die die das Chaos repräsentierenden Feinde überwunden werden und die Weltordnung aufrechterhalten wird329. Das Niederschlagen der Feinde durch den König330 ist ein im Alten Orient und vor allem in Ägypten zu findendes, zentrales Motiv. Bei dieser Aktion des Königs findet häufig die Keule als Vernichtungsinstrument Verwendung. So zeigt beispielsweise die ins 3. Jt. v.Chr. zu datierende Narmerpalette (Abb. 9) den König, der durch seine Größe
325 326 327 328 329 330
Vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 656; Fabry / Soggin, Art. י ִָמין, 658ff. Fabry / Soggin, Art. י ִָּמין, 659. Vgl. auch Ps 89,26; 110,5. Vgl. Keel, AOBPs 273 mit Abb. 398f. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 111. Vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 110ff; Schoske, Erschlagen der Feinde; Decker, Art. Feindsymbolik, 146; Wildung, Art. Erschlagen der Feinde, 14ff; Assmann, Axiomatik, 16; Riede, Art. Feind; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 208f; Quack, Einflüsse, 7.10.
130
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
hervorgehoben das Zentrum der Darstellung bildet331. In der Rechten hält er eine Keule, mit der Linken fasst er einen Feind am Haarschopf. Feindliche Krieger, die fielen oder bereits getötet sind, nehmen den unteren Teil der Darstellung ein.
Abb. 9: Der ägyptische König beim Niederschlagen der Feinde Textlich findet sich diese Tradition in Ps 2,9 belegt332, wo es vom König heißt: Du sollst sie zerschmettern mit eisernem Szepter. Vom 2. Jt. an ist das Motiv des Niederschlagens der Feinde im gesamten Mittelmeerraum ikonographisch belegt. Durch die Vermittlung der Phönizier gelangte es auch 331 332
Vgl. zur Interpretation Gundlach, Pharao, 74–76; Salo, Königsideologie, 301. Vgl. dazu auch unten S. 154.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
131
nach Palästina, wie Bildzeugnisse der Kleinkunst belegen333. Auffällig bei diesen Darstellungen ist, dass die Keule durch ein Sichelschwert ersetzt wird, das der König in seiner Rechten hält, wie die Szene auf einem in Beth Schean gefundenen Skarabäus zeigt (Abb. 10).
Abb. 10: Der König schlägt den Feind mit einem Sichelschwert nieder.
Abb. 11: Elfenbeinarbeit aus dem Palast von Samaria mit dem Motiv des Niederschlagens der Feinde 333
Vgl. Keel, AOBPs, 275.
132
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der ägyptischen Tradition folgt dagegen eine Szene auf einer Elfenbeinarbeit aus dem Palast von Samaria aus der Eisenzeit II B (Abb. 11). Der König packt wiederum mit der Linken einen Feind, der mit erhobenen Händen um Gnade bittet, und hat die Rechte zum Schlag erhoben334. Hinter dem König ist eine stilisierte Lotusblüte dargestellt. In Zusammenhang mit dem Palast ist die Funktion dieser Artefakte eindeutig. Sie „realisieren zu einem die Macht und Stärke des Königtums, den Triumph über die Feinde, und evozieren gleichzeitig die Sicherung der Fruchtbarkeit durch das eng mit dem Königtum verbundene florale Motiv“335. Eine Darstellung aus der Zeit des Ahmose (1550–1525 v.Chr.) aus Theben dokumentiert eine allerdings sehr selten belegte Variante des Erschlagens der Feinde, nämlich deren Erstechen durch den König (Abb. 12).
Abb.12: Das Erstechen von Feinden als Variante zum Motiv des Niederschlagens
In all diesen Szenen agiert der König immer mit seiner Rechten, die die Feinde in die Knie zwingt. Daher steht die Rechte bildlich auch für Kraft oder Macht336, auch wenn diese in ihrer korrumpierten Form wahrzunehmen ist, wie Ps 26,10 zeigt, wo es von den Übeltätern und den Blutmenschen heißt: 334 335 336
Vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 112; Salo, Königsideologie, 302. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 112. Vgl. Fabry / Soggin, Art. י ִָּמין, 660.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
133
Ihre Rechte ist voll von Bestechung.
Oder von einer feindlichen Besatzungsmacht in Ps 144,8: Ihre Rechte ist eine Rechte des Truges.
Mit der Rechten des Königs sollen Handlungen verbunden sein, die des Weiteren qualifiziert werden. Mit dem Terminus נו ָראwerden im Alten Testament häufig furchtbare und furchterregende Taten Gottes umschrieben (vgl. Ps 145,6; Ex 15,11f). Z.T. sind das Machttaten in der Geschichte wie die Landnahme (Ex 34,10), die Ereignisse am Schilfmeer (Ps 66,5f; 2Sam 7,23), Geschehnisse in der Geschichte allgemein (Ps 76,8) oder auch das göttliche Wirken im Kosmos (Jer 5,22.24 u.ö.). Ps 65,6 spricht von den furchterregenden Taten der Gerechtigkeit Gottes, wobei Gerechtigkeit hier die rettende Gerechtigkeit meint, „wie sie sich idealerweise in der gesellschaftlichen Ordnung manifestiert“337. Auch Dtn 10,21 rühmt Gottes „große und wunderbare Taten“, die er in Israels Geschichte vollbracht hat. „Diese herausragenden Taten werden nicht weiter konkretisiert, und sie werden wohl auch ganz umfassend gemeint sein“338, wie Ps 66,3 zeigt: Sprecht zu Gott, wie furchterregend sind deine Werke! Vor der Fülle deiner Macht müssen sich dir deine Feinde ( )איְ ביךbeugen.
Hier sind es die Werke Gottes, die Furcht erregen und die die Feinde dazu bringen, Gott anzuerkennen, auch wenn dies widerwillig geschieht339. Immer wieder bezieht sich das Verb יראaber auch auf die Furcht vor dem König (vgl. Jer 26,21; 1Kön 1,50f). „In kriegerischen Auseinandersetzungen sind es die Feinde, die Furcht und Schrecken verbreiten“340. Entsprechende Aussagen finden sich beispielsweise in Bezug auf die Philister (1Sam 7,7; 28,5). Oder die Syrer beenden aus Furcht vor Israel die militärische Unterstützung der Ammoniter (2Sam 10,19). Ps 45,5 verbindet das Handeln des Königs mit seinen furchterregenden Kriegstaten. Wenn der Terminus hier auf das militärische Handeln des Königs übertragen wird, 337 338 339 340
Hossfeld, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 51–100, 216. Rose, ZBK.AT 5/2, 344. Vgl. auch Jes 64,2. Fuhs, Art. ָי ֵרא, 875.
134
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
dann deshalb, weil dieses Handeln Furcht bei den davon Betroffenen hervorruft. Das Verb „ ירהetwas lehren“ bezieht sich auf das Vermitteln des Kriegshandwerks. Im Blick ist insbesondere die „Aufforderung an die Rechte (gemeint ist die rechte Hand bzw. der rechte Arm des Königs), den noch untätigen König anzuweisen, mit Krafttaten im Sinne von erfolgreichen Regierungstaten aktiv zu werden. Es ist der Appell an den Willensentschluß des Königs, als Herrscher seine Macht zu gebrauchen“341. Das Bild fügt sich somit sehr gut ein in den Zusammenhang der verschiedenen Aufforderungen an den König. Beginnt V. 4 mit dem Blick auf das Gürten des Schwertes, so bezieht sich V. 5b auf dessen Einsatz. Von der Nahkampfwaffe wird der Blick weitergelenkt zu den Pfeilen als Fernkampfwaffen, von denen dann im Folgenden die Rede ist. 3. Der Sieg über die Feinde a) Die geschärften Pfeile Ziel des Aufbruchs in den Kampf ist die Unterwerfung der Völker, die mit der Wendung ע ִַּמים תַ חְ תיך יִּ פְ לּוumschrieben wird (vgl. Ps 2,8f; 18,38–40). Die furchterregenden Taten, die sonst, wie bereits gezeigt, zu den Propria Gottes gehören342 und sich im Kontext auf die kriegerischen Unternehmungen des Königs beziehen, werden konkretisiert durch den Hinweis auf die geschärften Pfeile, also Fernwaffen (Jes 13,18; Ez 39,9; Hos 1,7) mit großer Durchschlagskraft, die schon bereitgestellt sind343. Der Pfeil ( )חֵ ץbestand aus drei Teilen: der Pfeilspitze, die aus Knochen, Feuerstein oder Metall gefertigt war, einem etwa 80–100 cm langen Schaft aus Holz oder Rohr und dem hinteren Teil, für den Vogelfedern verwendet wurden, um den Flug zu stabilisieren. Vor dem Einsatz wurden die Pfeilspitzen geschärft (Jer 51,11; Spr 25,18), z.T. auch mit Widerhaken versehen, um ihre tödliche Wirkung zu verstärken344. Das Verb “ שׁנןschärfen“ ist im Alten Testament viermal mit dem Objekt „Pfeile“ belegt345, wobei natürlich stets im engeren Sinne die Pfeilspitzen gemeint sind. Durch das Schärfen erst erhalten die Pfeile die notwendige Qualität und werden zu einer nütz341 342 343 344 345
S. Wagner, Art. III ָי ָרה, 925, vgl. schon Hupfeld, Psalmen 2, 362. Vgl. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 282 und oben S. 133. Vgl. dazu auch Behrens, Art. Pfeil, 1006. Vgl. Obermayer, Art. Waffen, Abschnitt 1.2. Vgl. Kellermann / Ringgren, Art. שָׁ ַנן, 344.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
135
lichen Waffe: „Ein leichter gerader Schaft und eine schwere scharfe Spitze erzielen zusammen eine gute Flugbahn und Durchschlagskraft“346. Zur sicheren Handhabung der Waffe übte man den Gebrauch der Pfeile durch das Schießen auf Zielscheiben (1Sam 20,20). Aufbewahrt wurden die Pfeile in einem Köcher.
Wo von Pfeilen die Rede ist, sind Kriegsschilderungen nicht fern347. Jes 5,28 spricht daher von Feinden, die mit geschärften Pfeilen und mit gespannten Bogen heranstürmen. Und Ps 120,4 wünscht dem Feind des Beters „geschärfte Kriegerpfeile und glühende Ginsterkohlen“. Spr 25,18 verbindet Keule, Schwert und scharfe Pfeile metaphorisch mit der Falschheit des Redens. Die Verbindung von Königtum und Pfeilschießen findet sich textlich im Alten Testament sehr selten. Anders ist es im Alten Orient, wo der Kampf mit Pfeilen häufig vom König ausgesagt wird: So heißt es von Assurbanipal (668–627 v.Chr.): Ich hielt den Bogen, ließ schwirren den Pfeil, den Schmuck meines Heldentums348.
Der König als mit seinen Pfeilen die Gegner überwindender Bogenschütze ist auch ein ikonographisch gut belegtes Motiv, das zudem, wie bereits gezeigt349, immer wieder mit dem Motiv des im Streitwagen fahrenden Herrschers verbunden ist. So sehen wir in der Darstellung aus dem Grab Thutmosis’ IV. (1397–1388 v.Chr.; Abb. 13) den König, wie er auf dem Streitwagen stehend mit seinem Bogen auf die bereits geschlagenen fliehenden Feinde schießt. Einige Pfeile haben die Gegner bereits getroffen. Der Kriegsgott Month steht ihm bei dieser Aktion zur Seite350.
346 347 348 349 350
H. Weippert, Art. Pfeil, 249, vgl. Hübner, Art. Pfeil, 129f; Hoffner, Art. ;חֵ ץRiede, Art. Pfeil. Vgl. Mulder, Studies, 115. M. Streck, Assurbanipal 2, 256 Z. 11. Vgl. dazu oben S. 120f. Vgl. dazu Keel, AOBPs, 243 mit Abb. 357.
136
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 13: Der König als die Feinde bekämpfender Pfeilschütze Nur kurz sei noch bezüglich der Pfeile auf einen metaphorischen Sinngehalt hingewiesen, der u.a. in Zusammenhang mit dem zweiten Teil des Psalms wichtig werden könnte. Bogen und Pfeil sind nämlich als männliches Symbol weit verbreitet351. Und das Schießen mit Pfeil und Bogen kann bildlich auch für den Zeugungsvorgang stehen352. Nicht umsonst „werden Kinder als deutlichster Beweis männl.[icher] Geschlechtskraft mit einem Köcher voller Pfeile verglichen (Ps 127,4f)“353. Sollte im Verweis auf die Pfeile – ähnlich wie in den Jagddarstellungen auf dem Statuettenschrein Tutanchamuns354 – eine solche „verschlüsselte Wiedergabe des Leben schaffenden männlichen Zeugungsaktes“355 angedeutet sein?356 Auch im hethitischen und hurritischen Bereich sind Rituale und Beschwörungen belegt, in denen Männern „Bogen, Pfeil und andere Waffen zugeordnet [werden], die jeweils als Symbol für Potenz und Mannsein überhaupt stehen“357, so z.B. in einer Wunsch351 352 353 354 355 356 357
Vgl. Hoffner, Art. חֵ ץ, 133; ders., Symbols, 326ff; ders., Art. Sexualität. B. Bei den Hethitern, 430f; Westendorf, Bemerkungen, 139f. Vgl. Behrens, Art. Pfeil, 1006; Westendorf, Bemerkungen, 142; ders., Schießen, 481ff, bes. 485; Störk, Art. Erotik, 7. Hoffner, Art. חֵ ץ, 133. Vgl. dazu unten S. 293ff. Wildung, in: Settgast (Hg.), Tutanchamun, 114. Zu weiteren Darstellungen des „Schieß-Zeugungs-Motivs“, bei dem Pfeil und Bogen von entscheidender Bedeutung sind, vgl. Westendorf, Schießen, 485f. Vgl. Taracha, Art. Pfeil und Bogen A II. In Anatolien, 460; Hoffner, Art. Sexualität, B. Bei den Hethitern, 430; Paul, Sexual metaphors, 493.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
137
formel, die die Fähigkeit, mit Pfeil und Bogen zu schießen, als Ausdruck männlicher Vitalität ansieht358. Dies verwundert nicht, gab es doch grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Männlichkeit zu beweisen: die Tapferkeit im Kampf und die Fähigkeit, Kinder zu zeugen359.
Insgesamt geht es bei dem in Ps 45 geschilderten Kampfgeschehen um die Durchsetzung der Welt- und Lebensordnung gegenüber Mächten, die diese bedrohen. Ziel sind die Völker. b) „Völker fallen unter dich“ Das Nomen ע ִַּמיםbezeichnet hier fremde Völker360, die als Repräsentanten des Chaos galten. Ihnen hatte der König zu wehren, eine Zentralaufgabe des Königtums, wie die Königspsalmen immer wieder betonen361. Von den Völkern heißt es in Ps 45: „Sie sollen fallen“ Das hier verwendete Verb נפלist ein Allerweltswort und damit mehrdeutig, doch weisen viele Belege „in den Bereich der Destruktion, zumal in den des Todes, aber auch in den des Abträglichen“362. Zum einen kann das Fallen im kriegerischen Kontext mit tödlichen Konnotationen verbunden sein. So setzen mehrere Stellen Gefallene im Krieg voraus (vgl. Jos 8,25; Ri 8,10; 20,46; 1Sam 4,10; 31,8; 2Sam 1,4; 17,9)363. Man kann durch das Schwert „fallen“364. Und auch in Jer 46,16 ist im Zusammenhang mit einem Kriegsgemetzel vom Fallen die Rede. Daneben kann נפלauch eine Demutsbezeugung ausdrücken365, z.B. in der Wendung „aufs Angesicht fallen“, oder wenn jemand zu Füßen eines Höheren niederfällt (1Sam 25,24; 2Kön 4,37; Est 8,3).
Wenn in Ps 45,6 vom „Fallen der Völker“ die Rede ist, geht es darum, dass diese durch Krieg unterworfen werden, was dann letztlich zu einer „erzwungenen Huldigung“366 führt. Ähnliche Herrschaftsaussagen finden sich in Ps 18,40 // 2Sam 22,40 und in Ps 18,48 // 2Sam 22,48, wo es ebenfalls von JHWH heißt: 358 359 360 361 362 363 364 365 366
KBo 10, 37 II 32f, vgl. Haas, Materia Magica, 719. Vgl. dazu auch Hoffner, Symbols, 327. Vgl. Lipiński, Art. עַם, 193. Vgl. dazu im Folgenden. Seebass, Art. נפל, 522. Vgl. Seebass, Art. נפל, 528; Riede, Im Netz, 112–114 und oben S. 106. Vgl. Num 14,43; 2Sam 1,12; Ps 78,64 und Kremser, Hochzeit, 143. Vgl. Seebass, Art. נפל, 524. Lim, Königskritik, 170.
138
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte du beugst die sich gegen mich erheben unter mich ()תַ ְחתַ י. (V. 40b) –
bzw. Er unterwarf Völker unter mich ()תַ ְחתַ י. (V. 48)
„Der Beter wendet sich in der Bedrängnis durch Feinde (18,4) und durch die Mächte des Chaos (18,5) an JHWH (18,4–7)“367. Dieser steht ihm bei durch die Ausrüstung zum Kampf und die Belehrung im Kriegshandwerk (18,33.35), was den König letztlich befähigt, gegen seine Feinde vorzugehen. Eine deutlich anders ausgerichtete Formulierung wie in Ps 45,6 findet sich in Ps 47,4, wo es von JHWH heißt: Er unterwirft Völker unter uns, Nationen unter unsere Füße. Hier ist es ebenfalls der Königsgott JHWH, der seinem Volk Völker unterwirft, wobei die Unterwerfung nicht auf deren Vernichtung zielt, sondern auf ihre Einbindung in die von JHWH als Götter- und Weltenkönig gesetzte Ordnung368, wie insbesondere das Syntagama תַ חַ ת ַרגְ לֵנּוzeigt, das auf Dauerhaftigkeit zielt.
Vergleichbar mit Ps 45,6 ist auch Ps 18,38f (// 2Sam 22,39f). In diesem königlichen Siegeslied369, in dem der König als kämpfender Held erscheint, sagt dieser von sich: 38 39
Meinen Feinden jage ich nach und hole sie ein, und ich kehre nicht um, bis sie vernichtet sind. Ich schlage sie nieder, dass sie nicht mehr aufstehen können, sie fallen unter meine Füße.
Das „Fallen unter die Füße“ umschreibt „den Endpunkt des Spannungsbogens“370, den die vorherige Kampfschilderung entwickelt, und somit „die
367 368 369 370
Jungbluth, Im Himmel, 94, vgl. Adam, Held, 48ff.69.71. Vgl. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 98; Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 292. Vgl. Hossfeld, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 120 und im Anschluss daran Salo, Königsideologie, 19. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 97.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
139
endgültige Unterwerfung der Feinde“371. Die Wendungen ( תַ חְ תיךPs 45,6) und ( תַ חַ ת ַרגְ לַיPs 18,39) sind somit nicht identisch. Das erstere ist auf eine Kampfhandlung zu beziehen, die zweite Wendung dagegen auf die dadurch erreichte dauerhafte Situation. Insgesamt zeigt Ps 45,6 die Übermacht des Königs gegenüber den feindlichen Völkern, die hier erstmals als Zielpunkt seines militärischen Eingreifens ausdrücklich genannt sind. Dabei unterstreicht die Wendung תַ חְ תיךdas angestrebte Ergebnis seines Handelns: Der König erringt „die Oberhoheit“372 über die Feinde, indem er sie im Kampf unterwirft. „Was also in V. 4 mit einem Aufruf zu den Waffen begann und sich in V. 5 mit dem Wunsch, dass der König Erfolg habe möge, fortgesetzt hat, findet in V. 6 seinen siegreichen Abschluss: Der König, der für Wahrheit und Gerechtigkeit in den Kampf gezogen ist, ist siegreicher Herrscher“373. Ähnlich wie auf den bereits behandelten ägyptischen (vgl. Abb. 6f.13) und assyrischen (vgl. Abb. 8) Kampfdarstellungen wird nun betont, wie die vom König besiegten Feinde vor ihm hingestreckt auf dem Kampffeld liegen. Bei diesem Sieg spielt besonders der König als Bogenschütze, der die Feinde mit seinen Pfeilen niederstreckt, eine wichtige Rolle. c) Die Feinde des Königs Das Ziel der Pfeile, die Völker374, wird im Folgenden noch näher charakterisiert, wenn von ihnen als den Feinden des Königs375 gesprochen wird376, die in ihrem Innern getroffen werden sollen. Die Feindbezeichnung אֹויֵבwird häufig wie auch in Ps 45 für einen von außen kommenden, feindlichen Gegner verwendet, der mit militärischen Mitteln gegen ein anderes Volk vorgeht377. Geleitet sind diese Feindmächte „von dem Vertrauen auf ihr Machtpotential (‚Waffen und Rosse‘ 371 372 373 374 375 376 377
Neumann-Gorsolke, Herrschen, 97. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 98. Ueberschaer, Ich und mein König, 11. Anders Lim, Königskritik, 171, für die „vom Text her unklar“ ist, wer die Feinde des Königs sind. Zur Bezeichnung „Feinde des Königs“ vgl. 1Sam 18,25; 29,8; 2Sam 18,32 und Häusl, Art. Feind, 137. Vgl. dazu Kraus, BK XV/3, 157–161. Vgl. Ringgren, Art. אָ יַב, 231; Jenni, Art. איֵב, 119; Kraus, BK XV/1, 157–161; Riede, Art. Feind.
140
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Ps 20,8)“378. Die feindlichen Unternehmungen der Völker kommen aber nun durch die kriegerischen Aktivitäten des Königs an ihr Ende, denn der König trifft die Feinde ins Herz. Die Aussage, dass das Herz ( )לֵבvon Pfeilen oder anderen Wurfwaffen getroffen wird, findet sich mehrfach im Alten Testament. So heißt es von Absalom: (Joab) nahm drei Stäbe in seine Hand und schleuderte sie Absalom ins Herz, während der noch lebend inmitten der Terebinthe war. (2Sam 18,14b) Ein ähnliches Schicksal trifft Joram in der kriegerischen Auseinandersetzung mit Jehu: Jehu aber spannte den Bogen und traf Joram zwischen seinen Schultern, so dass der Pfeil aus seinem Herzen herausdrang und er auf seinem Wagen zusammenbrach. (2Kön 9,24) Der Pfeilschuss hat also den Tod Jorams zur Folge.
Im Rahmen des Tun-Ergehens-Zusammenhangs ist die Aussage von Ps 37,15 zu verstehen, wo es von den Frevlern heißt: Ihr Schwert dringt ins eigene Herz, und ihre Bogen werden zerbrochen.
All diese Stellen verdeutlichen, dass die Pfeilschüsse (oder andere Waffen), die das Herz zum Ziel haben, tödliche Verletzungen hervorrufen. Während aber der Sänger von Ps 45 nach V. 3 in seinem Herzen aufgewühlt ist wegen seiner den König preisenden schönen Worte, so werden nun die Völker im Herzen379 von den Pfeilen getroffen. Das Stichwort ( אֹויְבֵ י הַ מלךV. 6), das zu V. 2 zurücklenkt, zeigt zugleich an, dass das Thema „Der König als kriegerischer Held“ abgeschlossen ist. Im Folgenden kommt eine andere Grundaufgabe des Königs in den Blick, die vor allem nach innen gerichtet ist.
378 379
Kraus, BK XV/3, 157f. Zu לֵבals Personzentrum vgl. Fabry, Art. לֵב, 425.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
141
III. Der König als Sachwalter des Rechts (V. 7–9) 1. Die königlichen Regalien Mit V. 7 erscheint ein neues Thema, wie auch die erneute Anrede des Königs unterstreicht380. Nun sind es nicht mehr wie in V. 4–6 die feindlichen Völker ( )ע ִַּמיםund somit antagonistische Elemente, gegen die der König anzukämpfen hat381, sondern das Umfeld, in dem er auftritt, ist positiv bestimmt. Erstmals ist auch von seinen ֲחבֵ ִּרים, seinen Gefährten, die Rede (V. 8)382. Der in V. 3 angesprochene Segen Gottes verwirklicht sich am König. Außerdem kommen nun wichtige Symbole, Embleme und Insignien in den Blick, die das Königtum als Institution ausmachen. Diese nichtkriegerischen Herrschaftssymbole, zu denen die Krone, das Szepter, die (Amts-)Kleidung und der Thron „als Ort der Herrschaftsausübung“383 gehören und die dem Auserwählten übergeben sind, machen seine „göttliche Legitimation nach außen sichtbar“384. Sie sind zugleich Elemente der königlichen Herrschaftsrepräsentation. a) Der königliche Thron Teil der königlichen Ausstattung ist vor allem sein Thron ()כִּ סֵ א385. Dieser ist zum einen ein prunkvolles Möbelstück und so Ausdruck der königlichen Prachtentfaltung, andererseits Inbegriff der Königsherrschaft und somit als Teil des königlichen body politic ein Machtsymbol des Königs386. Wie M. Metzger eindrücklich herausgestellt hat, sind in Ägypten wie im Alten Orient vor allem drei Grundvorstellungen mit dem Thron verbunden: 380
381 382 383 384 385 386
Anders Ueberschaer, Ich und mein König, 12. Für ihn „läuft der Duktus der VV. 4–6 auf V. 7 zu“. Dazu verweist er u.a. auf das Relief mit der Eroberung von Lachisch durch Sanherib, wo die „gesamte Darstellung auf den thronenden König“ konzentriert sei, „dem sich die Besiegten zu Füßen werfen“ (ebd.). Beide Konstellationen fehlen aber in Ps 45. Vgl. Vette, „Who is Who“, 122. Umstritten ist, wer damit gemeint ist, vgl. dazu unten S. 178. Ott, Herrschaftszeichen, 1690. Magen, Königsdarstellungen, 19; zu den Insignien vgl. auch Levin, Königsritual, 246–248; M. Müller, Herr, 115. Vgl. auch Krusche, Königtum, 294–296; Day, King, 132ff. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 253ff; Jungbluth, Im Himmel, 46.
142
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
„1. Im Thron ist der Herrschafts- und Wirkungsbereich des Throninhabers präsent; 2. Der Thron repräsentiert den Herrscher selbst; 3. Der Thron repräsentiert den Palast bzw. den Tempel als Stätte der Macht, der Heiligkeit und der Präsenz des Königs bzw. der Gottheit“387. Besonders augenscheinlich wird diese Vorstellung in dem Segenswunsch, den die königlichen Hofbeamten David nach der Inthronisation Salomos zuteilwerden ließen: Dein Gott mache den Namen Salomos herrlicher als deinen Namen, und er mache seinen Thron größer als deinen Thron. (1Kön 1,47, vgl. schon V. 37)
Der Thron und der Name des Königs stehen hier in synonymen Parallelismus. Da „der Thron den Herrschaftsbereich repräsentiert, schließt der Wunsch: ‚Er mache deinen Thron größer‘ ein: Festigung der Herrschermacht, Mehrung der Machtfülle, Sicherung und Ausweitung des Herrschaftsbereiches“388. Letztlich ist es Gott, der den König auf den Thron setzt (vgl. 1Kön 10,9; 2,24). Damit befindet sich dieser „in einer Zwischenwelt“389, denn er bewegt sich zwischen der politisch-geschichtlichen und der transzendenten Sphäre390. Als signum regale391 findet sich der Thron vor allem in der davidischen Dynastie, wie feststehende Wendungen zeigen: So ist vom „Thron für Davids Haus“ (Ps 122,5) die Rede oder vom „Thron meines Herrn und Königs David“ (1Kön 1,20.27.37)392. Der Terminus „Thron“ ist an vielen Stellen geradezu „Inbegriff für die von Gott erwählte Königsherrschaft Davids und der Davididen in Jerusalem“393 und kann daher synonym zu Königsherrschaft ( מַ ְמ ָל ָכה/ )מַ לְ כּותstehen, wie beispielsweise 2Sam 7,13.16; Jes 9,6 und Ps 103,19 zeigen. Der Thron des Königs bildet das „Herz der Macht“394, gleichsam ihr „energetisches Zentrum“395. Der Thron manifestiert geradezu die Herrschaft396. Vom Thron aus führt der König seine Regierung. Ent387 388 389 390 391 392 393 394 395 396
Metzger, Der Thron als Manifestation, 101. Metzger, Der Thron als Manifestation, 117; Jungbluth, Im Himmel, 48. Berlejung, Art. Thron, 338, vgl. dies., Die Macht der Insignien, 23; Salo, Königsideologie, 198. Vgl. Jungbluth, Im Himmel, 48. Vgl. Fabry, Art. כִּ סֵ א, 259. Vgl. Görg, Art. Thron, 841. Fabry, Art. כִּ סֵ א, 259, vgl. Salo, Königsideologie, 194f. Lux, Der König als Tempelbauer, 114. Lux, Der König als Tempelbauer, 114. Zur Bedeutung des Thrones vgl. auch 1Kön 7,7. Vgl. Metzger, Der Thron als Manifestation, 101; Salo, Königsideologie, 196.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
143
sprechend ist die Wendung „der, der auf dem Thron sitzt“ (1Kön 1,48; Jer 22,2; 29,16) eine königliche Titulatur. Und das Sich-Setzen auf den Thron bezeichnet den Beginn der Königsherrschaft397, so dass man resümieren kann: „Der Thron macht den König zum König“398. Besonders aufschlußreich für die Bedeutung des Thrones ist 1Kön 10,18– 21, wo vom Thron Salomos die Rede ist: (18) Und der König machte einen großen Thron aus Elfenbein, und er überzog ihn mit gediegenem Gold. (19) Sechs Stufen führten zum Thron hinauf, und der Kopf eines Jungstiers befand sich auf seiner Rückseite, und Lehnen befanden sich zu beiden Seiten des Sitzes, und zwei Löwen standen neben den Lehnen, (20) und zwölf Löwen standen dort zu beiden Seiten der sechs Stufen. So etwas war noch nie für irgendein Königtum angefertigt worden.
Die Beschreibung des Thrones und seiner Umgebung und die Kostbarkeit der Materialien, die für seine Anfertigung aufgewendet wurden, unterstreichen seine Bedeutung. Der Thron gehörte nicht nur zum Staatsschatz, sondern diente auch dazu, „die königliche Selbstdarstellung und Inszenierung der Macht“399 zum Ausdruck zu bringen, wie besonders die Tierapplikationen zeigen. Auch andere Königspsalmen rekurrieren auf den Thron des Königs. So verheißt JHWH Ps 89,5 (vgl. V. 30.37): Auf ewig will ich festigen deinen Samen, und von Geschlecht zu Geschlecht deinen Thron bauen.
Und Ps 132,11f nimmt dieses Thema auf, wenn dort von JHWH in einem „Schwur“ betont wird: Von der Frucht deines Leibes werde ich dir auf den Thron setzen. Wenn deine Söhne meinen Bund bewahren und mein Zeugnis, das ich sie lehre, dann werden auch ihre Söhne für immer sitzen auf dem Thron für dich.
397 398 399
Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 253 und ebd. 151 mit Bezug auf die Inschrift Panamuwas I. KAI 214 Z. 20. Keel, AOBPs, 247. Lux, Der König als Tempelbauer, 115, vgl. Werlitz, ZBK.AT 8, 129.
144
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
In beiden Fällen wird die Beständigkeit der davidischen Dynastie herausgestellt, die sich in der Beständigkeit des Thrones artikuliert. Es geht somit nicht „einfach um Fortleben Davids in einer Nachkommenschaft, sondern um das davidische Königtum als Dynastie (der ‚Thron‘ ist Realsymbol der Dynastie)“400 und damit um den body politic des Königs401. Das hatte schon 2Sam 7,13.16 im Blick402, wenn dort David in Bezug auf seine Nachfolger von JHWH zugesagt wird: Er wird bauen ein Haus meinem Namen, und ich werde festgründen den Thron seines Königtums in Ewigkeit –
bzw. V. 16: Dein Haus und deine Herrschaft werden in Ewigkeit vor mir Bestand haben, dein Thron wird in Ewigkeit feststehen.
In dieser Traditionslinie ist auch Ps 45,7a zu sehen, wenn dem König verheißen wird, dass sein Thron „immer und ewig“ bestehe und somit „der menschlichen Vergänglichkeit enthoben ist und der göttlichen Zeitsphäre angehört“403. Die Verbindung des Thrones mit Recht und Gerechtigkeit zeigt schließlich eindrücklich Jes 16,5404: … dann wird durch Huld ein Thron fest hingestellt. Darauf wird in Treue – im Zelt Davids – ein Richter sitzen, der das Recht sucht und sich der Gerechtigkeit befleißigt.
Auch in diesem Text geht es darum, dass nach einer Zeit der Unterdrückung durch fremde Mächte eine davidische Herrschaft restituiert wird, die auf Dauer angelegt und durch Recht und Gerechtigkeit geprägt ist. 400 401
402 403 404
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 101–150, 625, vgl. Gerstenberger, Psalms 1, 388; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 204f. Vgl. ähnlich die aus dem 9. Jh. v.Chr. stammende Inschrift vom Tell Fekheriye (KAI 309, Z. 6ff), wo ebenfalls die Themen „Stabilität des Thrones“ und „Erhalt der Dynastie“ miteinander verbunden sind, vgl. zur Deutung Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 163f. Vgl. auch Thr 5,19; Jes 9,6 und Lim, Königskritik, 174; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 267. R. Müller, Schönheit, 16, vgl. Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 251. Vgl. dazu Wildberger, BK X/2, 623f; Beuken, Jesaja 13–27, 135ff.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
145
Auch in der Bildkunst findet sich die Verbindung von Königtum und Thron405. Von besonderer Bedeutung ist eine Darstellung auf einem Vorratsgefäß aus dem Palast in Rāmat Rāḥēl aus der Zeit um 600 v.Chr.406, die einen Mann im Profil darstellt (Abb. 14). Dieser sitzt auf einem Thron, der sich durch eine hohe Rückenlehne auszeichnet. Exklusiv ist sein mit einem Gürtel versehenes Obergewand, das an den Ärmeln mit Streifen abschließt.
Abb. 14: Thronender König auf einer Darstellung aus Rāmat Rāḥēl
Auch wenn der Kopf der Person nur noch fragmentarisch erhalten ist, so kennzeichnen ihn die gepflegte Haar- und Barttracht. Möglicherweise ruhten die Füße des Mannes auf einem Fußschemel, wie es auf assyrischen Darstellungen üblich ist. „Obwohl der Kontext der Szene nicht mehr erkennbar … ist, stellt das Fragment … den hoheitsvoll thronenden König 405 406
Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 63f.95–99.161ff. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 161ff mit Bezug auf Aharoni, Excavations, 94; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 214f.
146
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
als Zelebrant einer höfischen Szene oder eines Rituals dar“407. Für die Darstellung eines Königs sprechen sowohl Haltung und Gesten der Person, seine aufwändige Kleidung, der Thron, aber auch der Fundkontext im Palast von Rāmat Rāḥēl. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte der König in der ursprünglichen Darstellung in der linken Hand einen Gegenstand, vielleicht einen Stab als Symbol seiner Herrschaft, wogegen die rechte Hand „im rituellen Gestus der Handausstreckung erhoben ist“408 und wohl keinen Gegenstand hielt. Auch wenn die Darstellung stark assyrisch beeinflusst ist, so besteht kein Zweifel, dass es sich bei dem Thronenden um einen judäischen König handelt409. Sicherlich soll die abgebildete Person nicht für einen bestimmten König aus Juda stehen; sie ist eher als Verkörperung der Idee des Königtums und damit des body politic des Königs anzusehen410. Vergleicht man die Art der Wiedergabe mit zeitgenössischen Bilddokumenten aus dem Bereich der assyrisch-babylonischen Herrschaftsrepräsentation, so wäre die Möglichkeit gegeben, dass die Darstellung des thronenden Königs ursprünglich zu einer höfischen Szene gehört haben könnte, die vielleicht ein rituelles Bankett, eine Audienz oder einen Huldigungsakt abbildete411. Die Aussage, die das Bild vermitteln will, ist eindeutig: Analog
407 408 409 410
411
Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 162. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 162. Zu einem zweiten, kleineren Fragment, das wohl eine ähnliche Konstellation abgebildet hat, vgl. ebd. 161f. Vgl. Keel / Uehlinger, GGG, 409f; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 163. Vgl. Cornelius, Revisiting, 39; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 163; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 214f. Für das Motiv des thronenden Königs gibt es auch frühere Beispiele im Bereich von Israel und Juda, so z.B. das Bild eines sitzenden Mannes aus Kuntillet ͑Ağrūd aus der Eisenzeit II B, der möglicherweise eine Lotusblüte oder eine Trinkschale zum Mund führt und als thronender Herrscher zu identifizieren ist (vgl. dazu Keel / Uehlinger, GGG, Abb 238b und Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 95f; Salo, Königsideologie, 118f; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 213f). Des Weiteren ist auf das Fragment einer Elfenbeineinlage aus Samaria aus derselben Zeit zu verweisen, das ebenfalls einen Thronenden zeigt (vgl. Keel / Uehlinger, GGG, 278ff; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 96f). In beiden Fällen dürfte die Darstellung ein rituelles oder höfisches Geschehen mit dem König als zentralem Handlungsträger gezeigt haben, das aber aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes beider Objekte nicht näher erfasst werden kann. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 164. Vergleichbar ist die Darstellung des thronenden Sanherib auf dem Relief, das die Eroberung der judäischen Stadt Lachisch zeigt.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
147
der Herrschaft des assyrischen Königs dokumentierte sie den Herrschaftsanspruch des judäischen Königs. Sollte der König in seiner Rechten ein Szepter oder einen Stab gehalten haben, so ergäbe sich eine weitere Verbindung zu Ps 45, findet sich in V. 7 mit dem „Szepter der Geradheit“ doch die unmittelbare Bezugnahme auf ein derartiges Herrschaftssymbol. Exkurs 2: Der Titel אֱֹלהִּ ים In Zusammenhang mit den königlichen Regalien wird nach מלךund גִּ ּבֹור ein neuer Titel für den König eingeführt. Er wird אֱֹלהִּ יםgenannt. Häufig wurde an dieser Titulatur für den König Anstoß genommen; ja manch ein Ausleger sah darin gar eine geradezu „peinliche“ Aussage412. Man schlug daher verschiedene Textkorrekturen bzw. Interpretationen vor, um einer Vergöttlichung des judäischen Königs zu entgehen413, ohne zu berücksichtigen, dass der überlieferte Text keinerlei Anlass zu textkritischen Eingriffen bietet. Zudem fällt auf, dass kaum der Kontext des Psalms gewürdigt wird, wird doch gleich zu Anfang betont: „Du bist der Schönste unter den Menschensöhnen“. Von einer Vergöttlichung des Königs als Person kann somit keine Rede sein. Wie aber ist V. 7 dann zu verstehen? Schon F. Delitzsch stellte fest, „der in unserm Ps.[alm] gefeierte König [könne] um so mehr אלהיםheißen, als er in seiner himmlischen Schöne, seiner unwiderstehlichen Macht, seiner sittlichen Reinheit und Hoheit dem S.[änger] als die vollendete Wirklichkeit des engen Verhältnisses erscheint, in welches David und sein Same zu Gott gestellt ist“414. Wie zu Beginn mit der Schilderung des kriegerischen Helden, so wird auch hier auf eine Grundfunktion des Königtums und damit den body politic des Königs, nicht aber auf ihn als Person Bezug genommen415.
412 413
414 415
Vgl. Trautwein, in: Mit der Bibel durch das Jahr 2001, 133. Vgl. dazu oben S. 36ff. Zur Vergöttlichung von Königen in der Umwelt Israels vgl. die umfassenden Ausführungen von Salo, Königsideologie, 173ff, die allerdings für die Auslegung von Ps 45 nicht immer in gleicher Weise herangezogen werden können. Delitzsch, BC IV/1, 339. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 249.
148
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der König als Person ist ein Mensch416. In seiner Funktion, als Amtsträger, aber ist er Gott, insofern sein Thron und damit seine Herrschaft entsprechend der judäischen Herrschaftstheologie ewigen Bestand417 haben418. Es dürfte auch dem preisenden Stil des Psalms entsprechen, den König überhöhend, in einer Art Spitzenaussage „Gott“ zu nennen. Eine Parallele dazu findet sich in Ez 28,2a: Hier bezeichnet sich der König von Tyrus in einer Selbstprädikation als Gott, der auf einem Gottesthron mitten im Meer sitze. Ein Gott bin ich, wie auf einem Göttersitz sitze ich im Herzen des Meeres.
Demgegenüber weist Ez 28,2b darauf hin, dass der König ein Mensch ist. Auch dieser Text betont die besondere Stellung des Königs, der sich dieser aber bewusst sein muss419. Belege für die Bezeichnung eines Menschen als „Gott“ finden sich auch in der Liebeslyrik. So beginnt ein Liebeslied auf dem aus dem Neuen Reich stammenden Ostrakon Kairo 25218 mit der Anrede: „Mein Gott, mein Lotus ...“420. Was die Königsaussagen betrifft, so ist an Stellen wie Jes 9,5 und Sach 12,8 zu erinnern421. In Jes 9,5 heißt es: Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter, und man ruft seinen Namen: „Wunderplaner“, „Gottheld“, „Vater in Ewigkeit“, „Friedefürst“.
Angespielt wird auf die Geburt eines Kindes, das königlich-göttliche Züge trägt. Zu den königstheologischen Aspekten gehören die Königstitel, die
416 417 418
419 420 421
Day, King, 84, verwendet den Begriff „superhuman“. Vgl. das dreimalige עֹולָםV. 3b.7a.18 und Niehr, Körper, 142. Vgl. Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 75. Die Verbindung von Thron, Gerechtigkeit und Königtum „deutet für einen zeitgenössischen Leser oder Hörer zur Genüge an, daß die Göttlichkeit des Königs als Ergebnis seiner Inthronisation aufzufassen ist“ (Loretz, Theologie, 399). Auch in Ägypten kommt die Göttlichkeit des Pharaos dann zur Geltung, „wenn er sein Amt antritt und ausübt“ (Blumenthal, Göttlichkeit, 54). Vgl. dazu Lang, Der vergöttlichte König, 52f; Salo, Königsideologie, 174f. Vgl. Schott, Liebeslieder, 65; Keel, ZBK.AT 18, 39 und Hld 6,8f. Vgl. Kraus, BK XV/1, 490f; Salo, Königsideologie, 174.271.309.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
149
ihm im Rahmen der Inthronisation verliehen wurden422. Diese Namen erinnern – bei allen Unterschieden – an die ägyptische Königstitulatur423, ohne dass von einer direkten Abhängigkeit auszugehen wäre. Immer wieder wurde bei der Exegese dieser Namen betont, dass diese eigentlich nur Gott selbst zukommen könnten424. Doch muss dabei die Vorstellung der zwei Körper des Königs berücksichtigt werden. Dem König eignet in seiner Funktion ein body politic, der unsterblich ist425, was auch durch seine Namen unterstrichen wird. „Die Namen bezeichnen die Stellung des Inthronisierten einerseits in ihrer unvergleichbaren Beziehung zu Gott, andererseits in ihrer Bindung an das Heilsinteresse der Menschen“426. Schon der erste Titel „Wunderplaner“ „rückt den Eingesetzten … eng an die göttliche Sphäre heran, sofern das Wunderbare v.a. zum Handeln Gottes an Israel gehört“427. Der zweite Titel „Gottheld“ bzw. „starker Gott“ ist demgegenüber eine Bezeichnung, die die kriegerische Kraft des Angesprochenen ausweist. Dagegen beziehen sich die Titel „Vater in Ewigkeit“ und „Friedefürst“ eher auf die Untertanen dieses Herrschers, der für diese dauerhaft („Ewigkeit“) umfassendes Heil („Friedefürst“) garantieren wird428. Auf der Linie von Jes 9,5 ist auch Ps 2,7 zu interpretieren, wo der König in einer Gottesrede als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird429, eine Vorstellung, die auch in 2Sam 7,14a; Ps 89,27f und in Ps 110,3 belegt ist: So kündigt JHWH bezogen auf die Nachkommenschaft (wörtlich: „den Samen“) des davidischen Königs an430: Ich, ich werde ihr Vater sein, und sie, sie wird mir Sohn sein. (2Sam 7,14a)
422
423
424 425 426 427 428 429
430
Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 250. Was die Titel von Jes 9,5 umschreiben, findet sich inhaltlich auch in Ps 45: zu Gott-Held vgl. V. 4 und 7, zu Ewig-Vater vgl. V.17; anders Seebass, Herrscherverheißungen, 13, der in den Namen den „Rang eines Wesirs“ beschrieben sieht. Vgl. dazu K. Koch, König, 6f; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 251; Quack, Einflüsse, 35, der aber Bezüge zur fünfgliedrigen (!) ägyptischen Königstitulatur abweist, vgl. ebd. Anm. 25. Zur ägyptischen Königstitulatur vgl. z.B. Hornung, Der Pharao, 329ff. Vgl. Beuken, Jesaja 1–12, 252. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 252. Höffken, NSK.AT 18/1, 107. Höffken, NSK.AT 18/1, 107 und oben S. 133f. Vgl. Höffken, NSK.AT 18/1, 107. Vgl. Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 110; Salo, Königsideologie, 311; Liwak, Herrscher, 171f; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 201; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 248f; Quack, Einflüsse, 30f. Vgl. dazu M. Weippert, Königsprophetie, 107.
150
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Somit erhält der König „durch einen Willensakt Gottes Anteil am Göttlichen“431. In dieser Traditionslinie steht auch Ps 89,27f432, wo es vom königlichen Samen ()ז ַרע, also den Nachkommen des Königs, heißt: Er wird zu mir rufen: Mein Vater bist du! Mein Gott und der Fels meiner Hilfe. Ja, ich, zum Erstgeborenen mache ich ihn, zum Höchsten unter den Königen der Erde. Auch hier ist es eine Erklärung JHWHs, durch die die Nachkommenschaft Davids zum Erstgeborenen wird. Damit verbunden ist die Vorherrschaft des Königs über die übrigen Könige der Erde, wie der Titel עלְ יוןzeigt. Dagegen verheißt Sach 12,8 in einem Heilswort: An jenem Tag wird JHWH die Bewohner Jerusalems beschirmen; Und so wird sein, wer strauchelt unter ihnen, an jenem Tage, wie David und das Haus Davids wie Gott, wie JHWHs Bote vor ihnen. Interessant ist an dieser Aussage, dass die Göttlichkeit mit dem „Haus Davids“, also der Königsfamilie, verbunden wird. Dass diese Wendung schon früh als problematisch empfunden wurde, zeigt sich in der hinzugefügten Wendung „JHWHs Bote“, mit der der Vergleich des Hauses Davids mit Gott abgeschwächt werden sollte433. Gerade diese Hinzufügung aber macht deutlich, dass der Titel „Gott“ für den König bzw. der Vergleich des königlichen Hauses mit Gott durchaus möglich war. Aber auch der Vergleich mit einem Boten Gottes hebt den König bzw. das Königtum von anderen Menschen ab. Dieser Vergleich ist häufig. Er wird insbesondere verwendet in Bezug auf David: Du bist in meinen Augen lieb wie der Bote Gottes. (1Sam 29,9) Wie der Bote Gottes ist mein Herr, der König. (2Sam 14,17) Mein Herr ist weise wie die Weisheit des Boten Gottes. (2Sam 14,20) Doch mein Herr König ist wie der Bote Gottes. (2Sam 19,28) Auch diese Formulierung ist mehr als „eine übertriebene Höflichkeitsformel“434. Sie will „eher als eine unbewußte Anerkennung dessen, was David wirklich war, verstanden werden“435. 431 432 433 434 435
W. Dietrich, BK VIII/3, 671; Salo, Königsideologie, 311. Vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 200. Vgl. Reventlow, ATD 25/2, 116. Stoebe, KAT VIII/1, 500 mit Verweis auf Hertzberg, ATD 10, 178. Stoebe, KAT VIII/1, 500.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
151
Letztlich kann auch an Ps 8,6 erinnert werden, wo es vom königlichen Menschen heißt436: Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott, und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt.
Mit dieser Zuschreibung hat der Psalm die Zwischenstellung des königlichen Menschen im Blick, wobei sich diese auf seine Nähe zu Gott / zu göttlichen Wesen437 und sein Übergeordnetsein gegenüber den Werken Gottes, insbesondere den Tieren, bezieht438. Diese Zwischenstellung, die mit einer besonderen Verantwortung gegenüber dem ihm übertragenen Herrschaftsbereich verbunden ist, erhält der Mensch von JHWH, „dem Schöpfer und königlichen Weltenherrscher“439. Es geht somit in Psalm 8 „um die Relation von Schöpfer und Geschöpf und um die Stellung des Menschen in der vom Schöpfer geschaffenen Welt“440. Bei der Charakterisierung der Stellung des Menschen ist wichtig, dass der Psalm deutlich zwischen JHWH und אֱֹלהִּ יםdifferenziert441. Eine Gleichsetzung des Königs bzw. des Menschen mit JHWH wäre in der judäischen Herrschaftstheologie undenkbar gewesen442. Dies wird auch in Ps 45 deutlich, wenn im Folgenden der אֱֹלהִּ יםgenannte König von Gott ()אֱֹלהִּ ים אֱֹלהיך unterschieden wird. Die unterschiedliche Stellung beider zeigt sich auch darin, dass der König von Gott gesalbt wird und „damit in Erwählung und Abhängigkeit zugleich“443 steht. Nach dem Thron benennt V.7b ein weiteres zentrales Element der königlichen Amtsausstattung: Das Szepter ()שֵׁ בט444. Der König erscheint nun in seiner Rolle als Sachwalter des Rechts (V. 7). Damit wird an eine seiner Grundaufgaben als irdischer Statthalter JHWHs erinnert.
436 437 438 439 440 441 442 443 444
Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 313–315; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 79ff; Janowski, Mensch, 20ff. Vgl. zu אֱֹל ִּהיםals Gattungsbegriff Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 293. Vgl. Janowski, Mensch, 22; ders., Psalm 8, 23ff. Neumann-Gorsolke, Mit Ehre, 51. Janowski, Psalm 8, 31. Vgl. schon Bernhardt, Königsideologie, 263. Vgl. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 175. Wälchli, Salomo, 170. Vgl. dazu Olivier, Sceptre, 46.
152
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
b) Das Szepter der Geradheit Das Szepter des Königs, das metonymisch seine Amtsführung versinnbildlicht, ist wie der Thron Teil seiner Regalien. Es steht zum einen für die Leitungsaufgabe des Königs, zum anderen auch für den durch den ihn vermittelten Schutz des Landes vor Angreifern von außen445. Beide Aufgabenbereiche verbinden sich in dem häufig für das Königtum verwendeten Bild des Hirten. Das Nomen שֵׁ בטkann je nach Kontext unterschiedlichste Bedeutungen haben446. Ursprünglich bezog es sich vielleicht auf eine Keule „als Urwaffe“447, also einen kurzen Schlagstock. Daneben kann שֵׁ בטgenauso ein Dreschwerkzeug oder die Keule des Hirten (Ps 23,4)448 meinen, mit dem er die Herde vor wilden Tieren beschützt. שֵׁ בטkann auch für ein Herrschaftssymbol stehen449, die Zeremonialkeule, den Amtsstab (z.B. des Schreibers: Ri 5,14), das Szepter eines Stammesführers oder Königs. Ikonographisch sind lange, etwa bis an die Brust reichende Stützstäbe (hebr. )מַ טה, die Teil der Ausrüstung von Hirten waren, als Würdezeichen und Herrschaftsattribut immer wieder belegt450. „Solche Stäbe waren in der Regel recht einfach gearbeitet, begegnen in höfischen und kultischen Kontexten aber auch mit kunstvollen Aufsätzen verziert“451. Gen 49,10 setzt solch einen Stützstab voraus, wenn es im Rahmen des Jakobssegen bezogen auf Juda heißt: Nicht weichen soll das Szepter von Juda und der Herrscherstab ( )מחקקzwischen seinen Füßen. Hier wie an anderen Stellen (Num 24,17; Jer 48,17) ist das Szepter Symbol für das Königtum. „Szepterträger“ werden in Am 1,5.8 die Stadtfürsten von Aschkelon und Ekron genannt, wobei diese Titulatur wohl an ein Keulenszepter als Würdezeichen denken lässt:
445 446
447 448 449 450 451
Vgl. dazu auch Salo, Königsideologie, 300; Jungbluth, Im Himmel, 33ff; Kremser, Hochzeit, 163–166. Vgl. Zobel, Art. שֵׁ בט, 967f; Simian-Yofre / Fabry, Art. מַ טה, 818–826; Day, King, 136f; Salo, Königsideologie, 195f; Uehlinger, Art. Zepter, 967; Lim, Königskritik, 175f. H. Weippert, Art. Keule, 185, vgl. Keel, AOBPs, 208. Vgl. Riede, Trost, 91f. Vgl. Jungbluth, Im Himmel, 34. Vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 100ff; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 139. Uehlinger, Art. Zepter, 1205.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
153
Ich rotte aus den Thronenden von Asdod und den Szepterträger von Askalon. (Am 1,8) Und Jes 14,5 betont: JHWH hat zerbrochen den Stock ( )מַ טהder Frevler, der Herrscher Stab ()שֵׁ בט. Wie auch sonst werden die Begriffe מַ טהund שֵׁ בטhier mehr oder minder synonym452 gebraucht. Auch Jes 10,5 spricht in ähnlicher Weise vom Stock des Fronvogts. Ikonographische Belege für Szepter in der Hand von Königen finden sich sowohl im Alten Orient wie in Ägypten, so z.B. in Bezug auf Tutanchamun, Merneptah, Tiglatpileser I., Assurnasirpal, Salmanassar III., Šamši-Adad, Adadnirari, Sanherib oder Assarhaddon453. Z.T. wird das den body politic entscheidend bestimmende454 Szepter von den Göttern übergeben, wie im Falle des Königs Panamuwa455. „Durch ein solch aufgeladenes, machtvolles Zepter gelang dem König alles, was er in Angriff nahm, so z.B. seine Gebietserweiterungen oder in Eroberungen, und seine Herrschaft war begleitet von Fruchtbarkeit und Gedeihen in seinem Lande“456. Exemplarisch soll auf die Darstellung Assarhaddons von Assyrien auf einer auf das Jahr 671 v.Chr. datierten Stele aus Samʾal verwiesen werden457 (Abb. 15). Der König im Königsschmuck, bekleidet mit einem langen Hemd, das mit Quasten besetzt ist, und einem fransengesäumten Schalgewand, das durch ein um Leib und Schulter geführtes Band fixiert ist, hält in seiner rechten Hand ein Kultsymbol (einen Kultbecher?) und dankt den Göttern, die durch ihre Symbole repräsentiert werden; in seiner linken trägt er ein keulenförmiges Szepter sowieso zwei Seile, an denen zwei gefangene, flehende Herrscher geführt werden. Sie sind deutlich kleiner als der König dargestellt. Nach dem Text der Steleninschrift ist dem König „ein zorniges Szepter zum Zerschmettern der Feinde“ in die Hand gegeben458. Zudem wird er mit dem Epitheton „der die Könige an Leitseilen festhält“ bezeichnet459.
452 453 454 455 456 457
458 459
Vgl. Salo, Königsideologie, 195f. Vgl. Olivier, Sceptre, 46, sowie die entsprechenden Bildnachweise ebd. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 135. Vgl. KAI 214, Z. 2f. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 135. Vgl. Börker-Klähn, Altvorderasiatische Bildstelen, 213. Zur Stele und ihrer Komposition vgl. Staatliche Museen zu Berlin (Hg.), Das Vorderasiatische Museum, 180–182; Hrouda, Der Alte Orient, 356f; ANEP 447–449; ANET 293; Uehlinger, Image, 169f mit Abb. 19. Vgl. Uehlinger, Image, 170; Riede, David und der Floh, 82f. Vgl. Uehlinger, Image, 170.
154
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 15: König Assarhaddon (680–669 v.Chr.) mit dem Szepter
Dass auch das Königsszepter des judäischen Königs460 mit dem Begriff שֵׁ בטbezeichnet werden konnte, geht u.a. aus Ps 2,9 hervor, wo abzielend auf die Feinde angekündigt wird: Du sollst sie zerschmettern mit eisernem Szepter, sie zerschlagen wie Töpfergefäß.
460
Vgl. dazu auch Levin, Königsritual, 247.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
155
Hier ist eher an den kurzen, keulenartigen Schlagstock zu denken, der in militärischen und administrativen Kontexten Verwendung fand. Damit kommt aber die militärische Funktion des Königs in den Blick, der gegen die Völker in „der Pose des ägyptischen Pharao“461 vorgeht und dabei sein Szepter entsprechend einsetzt. Diese Geste hat mit willkürlicher Gewalt oder despotischer Unterwerfung wenig zu tun462. Vielmehr eignet dem Szepter auch hier eine Schutzfunktion. Darüber hinaus dient es im Rahmen der altorientalischen Herrschafts- und Ordnungssymbolik dazu, die Weltordnung gegenüber allen chaotischen Mächten zu bewahren und Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen463. Zu nennen ist aber auch Ps 110,2, wo für den Herrschenden analog zu assyrischen Vorbildern464 ein langer Herrscherstab als Zeichen der Königswürde und der Machtbefugnis vorausgesetzt wird465. Das Szepter ( )מַ טהdeiner Kraft streckt JHWH aus von Zion her. Herrsche inmitten deiner Feinde ()איְ ביך.
Die Stelle zeigt die enge Verbindung von JHWH und König: Die Herrschaft des Königs ist abhängig von der Aktivität JHWHs, sie wird durch ihn erst eigentlich ermöglicht. „Metaphorisch steht das Z.(epter) für kraftvolle Herrschaft“466, wobei diese unterschiedlich qualifiziert sein kann: Sie kann genauso unterdrückerische Züge haben, wie im Falle Assurs (Jes 9,3; 10,5 u.ö.) oder Ägyptens (Sach 10,11) bzw. einer frevlerischen Fremdherrschaft (Jes 14,29; Ps 125,3467)468. Sie kann aber auch als „gerechtes Regiment des eigenen Königs“469 (Ps 45,7; Jes 11,4) wahrgenommen und so zur Quelle von 461 462 463 464 465
466 467 468 469
Seybold, HAT I/15, 33, vgl. Salo, Königsideologie, 301. Vgl. Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 110. Vgl. dazu Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 111f; Janowski, Der barmherzige Richter; ders., JHWH, der Richter, 92–124. Vgl. Uehlinger, Art. Zepter, 1205 Abb. 31a. Vgl. dazu Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 138f, die auf die Herrscherstatue aus Sam’al hinweist, wo der König mit solch einem Stab dargestellt ist, vgl. dazu oben S. 101. Uehlinger, Art. Zepter, 1207, vgl. Lim, Königskritik, 175; Olivier, Sceptre, 47; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 258. Vgl. dazu Riede, „Die auf JHWH vertrauen …“, 430f. Vgl. Salo, Königsideologie, 195. Uehlinger, Art. Zepter, 1207; Olivier, Sceptre.
156
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Leben und Wohlstand werden. In Ps 45 ist das Szepter „Insignie der Königsherrschaft“470. Zur näheren Charakterisierung des Szepters dient das Nomen „ ִּמישׁרGeradheit / Gerechtigkeit“, das sich auf „eine […] konkrete […] Herrschaftsaufgabe“471 bezieht. Die Wurzel „ ישׁרgerade, recht sein“ ist ursprünglich oft bezogen auf eine lineare Größe, z.B. einen Weg oder eine ebene Fläche und bezeichnet das Gerade bzw. Flache, Ebene im Gegensatz zum Gekrümmten bzw. Unebenen472. Aus dieser konkreten Bedeutung entwickelte sich dann die übertragene, die sich „auf das Gebiet der menschlichen Werte, des Ethischen und Religiösen“473 bezieht. Insbesondere im Bereich des Rechts und der Rechtsprechung ist Geradheit notwendig, damit sich nicht Willkür und rechtliche Missstände ausbreiten und das Zusammenleben gefährden. An anderen Stellen wird mit dem Terminus ישׁרunmittelbar auf Königs- oder Regierungsfunktionen rekurriert. Solche Fälle hat beispielsweise Mi 3,9–11 vor Augen, wo die Repräsentanten des Volkes angeklagt werden. Der Vorwurf lautet, sie würden das Recht verabscheuen und alles Gerade verdrehen: Hört doch dies, ihr Häupter des Hauses Jakob, ihr Anführer im Hause Israel, die ihr das Recht verabscheut und alles Gerade verdreht, der Zion mit Blut baut und Jerusalem mit Unrecht. Seine Häupter sprechen Recht nach Bestechung, seine Priester lehren um Bezahlung, seine Propheten wahrsagen für Geld … Es ist also das Gegenteil einer das Recht in den Vordergrund stellenden Elite, die hier angesprochen ist. Auch in Hi 33,27 geht es um die Missachtung des Rechtes, wenn Hiob betont: Ich habe mich verfehlt und habe Rechtes verkehrt … Im Hintergrund könnte „Hiobs Tätigkeit als Scheich“474 stehen und somit die Funktion des Regierens und Richtens im Blick sein, die aber nicht in rechter Weise wahrgenommen wurde. Der König von Byblos wird in einer Inschrift aus dem 10. Jh. v.Chr im Gegensatz dazu gerühmt475: 470 471 472 473 474 475
Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 112. Salo, Königsideologie, 195. Vgl. Ringgren / Alonso-Schökel / W. Mayer, Art. יָשַׁ ר, 1062. Vgl. Ringgren / Alonso-Schökel / W. Mayer, Art. יָשַׁ ר, 1062. Ringgren / Alonso-Schökel / W. Mayer, Art. יָשַׁ ר, 1064. KAI 4,6f, vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 213; Olivier, Sceptre, 53.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
157
Ein gerechter König ( )מלך צדקund ein rechtschaffener König ( )מלך ישׁרvor den heiligen Göttern von Byblos [ist er]. Und Jes 11,3f kündigt vom kommenden Davididen an: Er wird nicht richten ( שׁפטq.) nach dem, was seine Augen sehen, und nicht Recht sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern er wird die Geringen ( )דַ ליםrichten ( שׁפטq.) in Gerechtigkeit ()ּבצדק ְ und für die Elenden des Landes ( )לְ עַנְ וֵי־אָ רץRecht sprechen in Geradheit ()ּב ִּמישׁור. ְ Er wird das Land schlagen mit dem Stab ()ּבשֵׁ בט ְ seines Mundes, und mit dem Hauch seiner Lippen den Frevler ()רשָׁ ע ָ töten. Auch für diesen Text, der Szepter / Stab und Rechtsprechung in „Gerechtigkeit“ bzw. „Geradheit“ miteinander verbindet, ist entscheidend, dass diese den „konkreten Schutz der Rechtlosen und die Bestrafung der Rechtsbrecher“476 im Blick zu haben hat. Dabei zeigt der Hinweis auf den „Stab des Mundes“ an, dass hier die „verbale Kommunikation“477 im Vordergrund steht, und nicht eine plumpe Gewaltanwendung mit einer Art Zuchtrute.
Das Szepter der Geradheit ist gleichsam die Grundlage der Herrschaft des Königs, die auf Gerechtigkeit gegründet ist478. Das zeigt insbesondere die Gleichsetzung der beiden Wendungen שֵׁ בֶ ט ִּמישׁרund שֵׁ בֶ ט מַ לְ כּו ְתך479. Anders als das Szepter des Frevels (Ps 125,3) gründet sich das Szepter der Geradheit „auf das Lieben der Gerechtigkeit und das Hassen des Frevels“ (Ps 45,8). Die Wendung „Szepter der Geradheit / Gerechtigkeit“ (ḫattu išartu bzw. ḫattu mēšarum) findet sich mehrfach in akkadischen Texten. In vielen Briefen an neuassyrische Könige begegnet die gleichförmige Formulierung480, wie z.B. in dem folgenden Wunsch: Nabū ù Marduk umē arkūti šanāti darāti ḫaṭṭu išartu kussu dāru ana šar matāti bēlija liddinū 476 477 478
479 480
Beuken, Jesaja 1–12, 311. Beuken, Jesaja 1–12, 312. Vgl. Gerstenberger, Psalms I, 188. Zur Verbindung der Motivik „ewiger königlicher Thron“ und „gerechtes Szepter“ im Königshymnus von Ur-Ninurta vgl. Römer, „Königshymnen“, 117; Salo, Königsideologie 197. Vgl. 2Kön 10,3 die Parallele von טובund ישׁר, beides fördert die Tüchtigkeit des Königs, vgl. ferner Höver-Johag, Art. טוב, 326. Vgl. dazu Olivier, Sceptre, 49; Langdon, Königsinschriften, 128; Mulder, Studies, 118, vgl. ferner das Ritual für die Krönung Assurbanipals VAT 13831, Z. 16ff und M. Dietrich, Ritual, 131.135; ders., „Lebe, mein König!“, 375f.
158
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte Mögen Nabu und Marduk lange Tage geben, ewige Jahre, ein gerechtes Szepter, einen ewigen Thron dem König, meinem Herrn.
Das königliche Szepter symbolisiert hier die lange und prosperierende Herrschaft eines šar mēšarim. „It is also a symbol of regal power bestowed by the gods upon the ruler thereby giving him the authority to enlarge his country and to set his country in order“481. So bezeichnet sich beispielsweise Tukulti-Ninurta (1233–1197 v.Chr.) als wahrer Hirte, der durch die Gerechtigkeit seines Szepters die Menschen und die Wohnstätten bewahrt482. Ähnlich heißt es von einem babylonischen König, vermutlich Nebukadnezar I., der vom Sonnengott Šamaš mit einem Kriegszug gegen Elam beauftragt wird483: Er verlieh ihm ein gerechtes Szepter, einen ewigen Thron und lange dauernde Regierungstage. Er beauftragte ihn, Elam zu plündern. In der Stierinschrift Sanheribs484 findet sich ebenfalls die Verbindung von gerechtem Szepter und Kriegsführung485. Es heißt dort: (Assur) hat das gerechte Szepter, das erweitert mein Land, und die schonungslose Keule, um meine Feinde niederzuwerfen, in meine Hand gegeben Der Ausdruck „Szepter der Gerechtigkeit“ ist so eine metaphorische Umschreibung einer gerechten Herrschaft, die auch den Kampf gegen chaotische Mächte umfasst. Wo ein solches Szepter in Händen eines šar mēšarim ist, steht es für Frieden, Wohlstand und Rechtsschutz gegenüber dem Volk486, so dass man resümieren kann: „A kingship of justice is a kingship of longevity, stability and prosperity. Therefore, the ideal destiny of kingship is for it to be a kingship of justice“487.
Ps 45,7 endet mit dem Hinweis auf das Szepter der Königsherrschaft, die durch die Geradheit des Königs Bestand hat. Mit dieser Aussage wird auf V. 7a Bezug genommen, wo von der Ewigkeit des Thrones die Rede war. Der Terminus „ מַ לְ כּותKönigsherrschaft“, eine Denominativbildung von מלך, umfasst die Aspekte Herrschaft, Residenz, Regierung und Machtapparat, somit alles, was mit 481 482 483 484 485 486 487
Olivier, Sceptre, 49, vgl. Kremser, Hochzeit, 163f.166. Vgl. Olivier, Sceptre, 48. Vgl. dazu RIMB 2, Nebukadnezar I., 10, Z. 13f und Salo, Königsideologie, 171f. RINAP 3/1, 34, 3b–6a, vgl. dazu Frahm, Einleitung, 115; Olivier, Sceptre, 48. Vgl. Salo, Königsideologie, 172. Vgl. Olivier, Sceptre, 49. Olivier, Sceptre, 49.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
159
der Institution Königtum zusammenhängt488. Zusammen mit מַ ְמ ָלכָהist der Begriff „der gängigste Ausdruck für die monarchische Staatsform (‚Königreich‘)“489. Zu verweisen ist beispielsweise auf folgende Stellen: Solange der Sohn Isais auf der Erde lebt, wirst du deine Königsherrschaft nicht festmachen können. (1Sam 20,31) Salomo saß auf dem Thron Davids, seines Vaters; und seine Königsherrschaft stand sehr fest. (1Kön 2,12) Vom Anfang der Königsherrschaft – bezogen auf die Herrschaft Zedekias – spricht Jer 49,34490.
Im Folgenden wird das Thema „Gerechtigkeit des Königs“ weitergeführt und vertieft. 2. Die Bindung an das Recht a) Gerechtigkeit lieben – Frevel hassen Die Antithese in V. 8 mit dem Gegensatz von „lieben“ und „hassen“491 nimmt das Wortfeld Gerechtigkeit aus V. 5 auf. „Wer jemanden oder etwas liebt, der hängt ihm an“492 (דבק: Dtn 11,22; 30,20), der jagt ihm (רדף: Jes 1,23) oder geht ihm nach (הלך אחרי: Jer 2,25). Dem Begriff eignet somit ein unbändiges Sehnen „nach äußerer Nähe“493. Die Liebe kann sich in entsprechendem Verhalten oder Handeln konkretisieren, wobei z.T. „nicht das Vorgehen, sondern das durch dieses Handeln angestrebte Ziel selbst“494 genannt wird. Dieses Ziel kann z.B. ein ethischreligiöser Wert sein oder eine bestimme Verhaltensweise, im Falle von Ps 45,8 ist es die Gerechtigkeit ()צדק, die nun nach V. 5495 zum zweiten Mal in den Blick genommen wird. Das Lieben von Gerechtigkeit zeigt sich in vielen konkreten Einzelhandlungen, wobei Gerechtigkeit natürlich ein 488 489 490 491 492 493 494 495
Vgl. Ringgren / Seybold / Fabry, Art. מלך, 941. Ringgren / Seybold / Fabry, Art. מלך, 941. Vgl. ähnlich Jer 52,31. Vgl. Kremser, Hochzeit, 166. Wallis / Halder / Bergman, Art. אָ הַ ב, 109. Wallis / Halder / Bergman, Art. אָ הַ ב, 109. Wallis / Halder / Bergman, Art. אָ הַ ב, 114. Vgl. dazu oben S. 125f.
160
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Auftreten umschreibt, das die Gemeinschaft fördert496 und von allen Angehörigen des Volkes zu erwarten ist (vgl. Am 5,15; Mi 3,1)497. Besonders dem König kam dabei die entscheidende Aufgabe zu, wie die bereits zitierte Stelle Spr 16,12 zeigt: Ein Greuel für Könige ist das Tun von Frevel, denn durch Gerechtigkeit wird der Thron fest gegründet.
Gerechtigkeit meint hier das umfassende Regierungshandeln des Königs. Und der Thron vergegenwärtigt wie auch in Ps 45 „den Herrscher und seinen Herrschaftsbereich“498. Dass Thron und Gerechtigkeit zusammengehören, betont auch Ps 89,15, wo aber der göttliche Thron im Blick ist: Gerechtigkeit ( )צדקund Recht ()מ ְשׁפָט ִּ sind die Stütze deines Thrones, Gnade ( )חסדund Wahrheit / Treue ( )אֱמתtreten vor dein Angesicht.
Das aber bedeutet, dass auch JHWH seine Königsherrschaft auf Recht und Gerechtigkeit gründet. Sie sind die Fundamente des göttlichen Thrones und haben somit geradezu „kosmische Dimensionen“499. „Dementsprechend darf der König weder selbst Unrecht tun ([Spr] 20,28; 29,14) … noch es bei anderen dulden“500 (Spr 20,8; 25,5), denn er handelt als Stellvertreter Gottes auf Erden und verwirklicht die göttliche Ordnung in der Welt501. Auch nach mesopotamischer und ägyptischer Tradition502 war es Aufgabe des Königs, Gerechtigkeit im Staat zu verwirklichen und gegen Unrecht vorzugehen503. Dabei trat der König „als Stellvertreter der Gottheit auf Erden …. in deren Pflichten ein …“504. 496 497 498 499 500 501 502
503
504
Vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 213. Vgl. Gerstenberger, Psalms 1, 188. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 270. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 214. Was Ps 89 mit den Begriffen צדקund ִּמ ְשׁפָטausdrückt, wird im Ägyptischen mit dem Terminus Ma’at formuliert. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 270. Vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 214. Zu den Unterschieden der ägyptischen und mesopotamischen Rechtskonzepte vgl. Cancik-Kirschbaum, König, 60ff.65 und Assmann, Ma’at, 245 sowie Janowski, Frucht, 115.119. Vgl. dazu Krusche, Königtum, 196; Maul, König, 202f; Cancik-Kirschbaum, König, 52–68; Prechtel / Graetz, Art. König / Königtum (Alter Orient), Abschnitt 3.4. Röllig, Gleich und ungleich, 45.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
161
Hingewiesen werden kann beispielsweise auf den Epilog des Kodex Hammurapi (18. Jh. v.Chr.), wo der babylonische König Hammurapi von sich sagt505: Ich, der heilbringende Hirte, dessen Stab gerecht ist (ša ḫaṭṭušu išarat) – mein guter Schatten ist über meine Stadt gebreitet, auf meinem Schoß hielt ich die Einwohner von Sumer und Akkad, von meiner Schutzgöttin geleitet gedeihen sie, in Frieden lenkte ich sie, in meiner Weisheit barg ich sie. Damit der Starke den Schwachen nicht schädigt, um der Waise und der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen (ešēru st.), habe ich in Babel, der Stadt, deren Haupt Anu und Enlil erhoben haben, in Esagil, dem Tempel, dessen Grundfesten wie Himmel und Erde fest sind, um dem Lande Recht zu schaffen, um die Entscheidung(en) des Landes zu fällen, um dem Geschädigten Recht zu verschaffen (ešēru st.), meine überaus wertvollen Worte auf (m)eine Stele geschrieben und vor meiner Statue (namens) „König der Gerechtigkeit“ aufgestellt. (Kol. XLVIII 42–78)
Hammurapi zeigt sich hier als „Schützling des Sonnengottes“ Šamaš, des „großen Richters des Himmels und der Erde, der die Lebewesen recht leitet“ (muš[tē]šer šaknat napištim). In seinem Auftrag handelt Hammurapi, und ihm, dem „König der Gerechtigkeit“ (šar mīšarim), schenkt Šamaš daher Beständigkeit (kīnātum)506, wie im Prolog des Kodex hervorgehoben wird (Kol. I 27–49). Bildlich wird dies dokumentiert in der Investiturszene, die auf dem Relief auf der Stele Hammurapis oberhalb der Inschrift angebracht ist (Abb. 16). Dieses Relief zeigt Šamaš, wie er dem König seine Regalien, Stab und Ring, verleiht. Bei der Deutung der Bildszene ist der folgende Hinweis wichtig: „Die durch den direkten Blickkontakt hervorgerufene enge Beziehung zwischen den Figuren erhebt den König in eine besondere Position und stellt ihn in eine ungewöhnlich vertraute Nähe zum Gott. Die Darstellungsachsen verdeutlichen die vom Gott ausgehende Aktion, sprich die Erteilung des Auftrags an den König. Die Augenhöhe schließlich, die den König auf den Gott hinab sehen lässt, stellt in Verbindung mit der durch die extreme Glättung des Materials erreichten, geradezu mystisch verklärten, strahlenden Wirkung der Figuren auf subtile Weise eine Überhöhung Ḫammurapis als Person dar“507.
505 506 507
Übersetzung Borger, TUAT I, 76, vgl. Liwak, Herrscher, 169; Röllig, Gleich und ungleich, 42. Vgl. Janowski, Frucht, 116; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 261f. Elsen-Novák / Novák, Der „König der Gerechtigkeit“, 145f.
162
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
So wird ikonographisch zum Ausdruck gebracht, dass der Herrscher „über den einzelnen Rechtsvorschriften [steht], sein body politic verkörperte quasi das Recht“508.
Abb. 16: Relief auf der Stele Hammurapis mit der Verleihung von Stab und Ring durch den Sonnengott
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Begriffspaar kittum „Wahrheit, Recht“509 (< kânum „fest, beständig sein“510) und mīšarum „Gerechtigkeit“511. Letzteres, abgeleitet von ešēru „gerade sein, gera508 509 510 511
Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 63. Vgl. AHw 494ff; CAD K, 468ff. Vgl. AHw 438–440; Maul, König, 66f; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 62f. Vgl. M. Dietrich, Ritual, 139.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
163
deaus gehen“, hat die Bedeutung „Akt oder Instrument des Geradewerdens, Instrument, um etwas gerade werden zu lassen“512. „Es bezeichnet also einen Akt, durch den die Dinge ‚in Ordnung kommen‘ im Sinn von Gerechtigkeit als einem dynamischen, aktiven Prinzip“513. Und diese Gerechtigkeit ist dem König gewissermaßen in die Hände gelegt in Gestalt von Ring und Stab. Was es konkret heißt, Gerechtigkeit zu verwirklichen, hält schon der Prolog des Kodex Hammurapi fest: Danach bedeutet „Gerechtigkeit (mīšarum) im Lande sichtbar zu machen“ (Kol. I 32–34) den Bösen (raggum) und den Schlimmen (ṣīnum) zu vernichten, den Schwachen (enšum) vom Starken (dannum) nicht schädigen zu lassen … (Kol. I 35–39)
Vor allem den Armen und Schwachen galt somit das Rechtshandeln des Königs; sie sollten vor Unterdrückung und Willkür geschützt werden514. Die Vorstellung von diesem königlichen Rechtshandeln, das Teil des von der Gottheit verliehenen Herrschaftsamtes ist, ist in Mesopotamien breit belegt: Es findet sich beispielsweise auch in neuassyrischer Zeit, wenn Assurbanipal (668–627 v.Chr.) die Einsetzung seines Bruders Šamaššumukīn als König von Babylon ebenfalls mit dem Hinweis begründet515: damit der Starke den Schwachen nicht schädige …
In Ägypten ist es dagegen die Ma’at, die vom König – und zwar von jedem (!) König – im Lande zu verwirklichen ist516. Ma’at ist „das Prinzip der von den Göttern durch die Schöpfung hergestellten und stets gefährdeten Ordnung der Welt“517. Damit die Gemeinschaft der Menschen gelingen kann, war es nötig, diese Ordnung immer neu umzusetzen und ihr im Alltag zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Umsetzung ist vor allem verbunden mit
512 513 514 515 516 517
Maul, König, 66, vgl. AHw 659f s.v.; Renger, ‚Kodex’ Ḫammurapi, 47; Janowski, Frucht, 117. Janowski, Frucht, 117, vgl. auch Maul, König, 66f; Niehr, Rechtssprechung, 62. Vgl. Krusche, Königtum, 196f; Röllig, Gleich und ungleich, 44f mit weiteren Beispielen. M. Streck, Assurbanipal, 226, 11f, vgl. Röllig, Gleich und ungleich, 45. Vgl. Assmann, Ma’at, 245. Hartenstein / Krispenz, Art. König, 273.
164
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
der Versorgung des Landes und dem Einsatz für Gerechtigkeit, wie z.B. Ramses III. (1183–1152 v.Chr.) betont 518: Ich habe das ganze Land am Leben erhalten, Fremde, Untertanen, p‘t-Leute und ḥnmmt-Leute, Männer und Frauen. Ich errettete jedermann von seinem Vergehen, ich gab ihm Luft; ich errettete ihn vor dem Starken, der ihn unterdrückte. Ich stellte jedermann an seinen Platz in ihren Ortschaften, ich belebte die Anderen in der Halle der Unterwelt.
Um der Ma’at willen ist der König vom Sonnengott Re selbst auf Erden bestellt, wie besonders die bereits zitierte kulttheologische Abhandlung aus der Zeit des Neuen Reiches (Hatschepsut, 1479–1458 v.Chr.) zeigt. Hier wird vom König gesagt519: Re hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig beim Rechtsprechen der Menschen, beim Befriedigen der Götter, beim Entstehenlassen der Ma’at, beim Vernichten der Isfet. Er (der König) gibt Gottesopfer den Göttern und Totenopfer den Verklärten. Der Name des Königs ist im Himmel wie (der des) Re. Er lebt in Herzensweite wie Re-Harachte. Die p‘t-Menschen jubeln, wenn sie ihn sehen, die rhjjit-Menschen machen ihm Ovationen in seiner Rolle des Kindes.
In diesem Zentraltext zur „Mittlerrolle des Königs“520, der gleichsam als „Sonnengott auf Erden“521 agiert, werden Leitlinien des ägyptischen Kö518
519 520 521
pHarris I, 78, 13–79, vgl. dazu Assmann, Ma‘at, 231; Liwak, Herrscher, 168f, vgl. dazu auch die Lehre für Merikare und Brunner, Religion, 68; Assmann, Ma’at, 234f; Hornung, Der Pharao, 358 und Janowski, Frucht, 96. Vgl. dazu Assmann, Ma’at, 206; Salo, Königsideologie, 233ff und oben S. 122f. Assmann, Ma’at, 205. Janowski, Frucht, 118, vgl. ebd. 96.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
165
nigtums festgehalten, die mit B. Janowski so zusammengefasst werden können522: „Orientiert man sich an der vertikalen Gliederung (Himmel – Erde, Erde – Himmel), so ergibt sich eine deutliche Zweiteilung: während der erste Teil die Einsetzung des Königs von oben nach unten darstellt (der Himmelsgott Re hat den König auf der Erde eingesetzt), thematisiert der zweite Teil die Sonnenhaftigkeit des Königs, der die Erde in abbildhafte Beziehung zum Himmel bringt und dem die Menschen (am Morgen) zujubeln. Die Mittlerrolle des Königs wird dabei durch die korrelativen Begriffspaare Menschen/Götter und Ma’at/Isfet entfaltet, die sich mit ihren konkreten (1. Begriffspaar) und abstrakten Einzelgrößen (2. Begriffspaar) gegenseitig erklären.“
Geht man von den von den auf den König bezogenen Zuschreibungen (Rechtsprechen – Befriedigen – Entstehenlassen – Vernichten) aus, so ergibt sich eine klare Definition seiner Funktion: Der König ist dazu bestimmt, die Ma’at, also „Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit“523, auf Erden umzusetzen und die Isfet, also die Bosheit, zu vernichten. Bezogen auf die Menschen heißt das Rechtssprechung durch Gerechtigkeit, bezogen auf die Götter Verehrung und Opfer. So werden die Welt der Götter und die der Menschen durch den König „in abbildhafte Beziehung zueinander“524 gebracht. Das Königtum ist somit auch in Ägypten „als die am Höchsten stehende Instanz in allererster Linie eine Schutzinstitution“525, die für die Schwachen einzutreten hat. Schematisch kann man die Rolle des ägyptischen Königs mit J. Assmann so darstellen526:
522 523 524 525 526
Janowski, Frucht, 118, vgl. K. Koch, König, 21. Janowski, Frucht, 119. Janowski, Frucht, 119. Assmann, Axiomatik, 23. Vgl. dazu Assmann, Ma’at, 207.
166
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 17: Die Mittlerrolle des ägyptischen Königs nach dem kulttheologischen Traktat aus dem Neuen Reich
Was Juda anbelangt, so ist besonders Ps 72, der als „herrschaftstheologische ‚Magna Charta‘ des altisraelitischen Königtums“527 bezeichnet wurde, für das Königsamt aufschlussreich, geht es in diesem Text doch darum, dass der König Recht und Gerechtigkeit für die Elenden und Armen durchsetzt (V. 2–4), ja Arme, Elende und Geringe errettet (V. 12–14) und so seine soziale Verantwortung wahrnimmt, indem er für gerechte Urteilssprüche sorgt. Gerade die Fürbitte für den König zeigt, dass Gerechtigkeit die Leitlinie für das Königsamt darstellt: „Gott ist aufgefordert, das, was ihm eigen ist, nämlich Recht und gerechtes Handeln, dem König zu übereignen“528: 527 528
Liwak, Herrscher, 168, vgl. Janowski, Psalm 72, 101; Levin, Königsritual, 248. Saur, Der gerechte König, 125, vgl. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 217f. Zum Text von Ps 72 vgl. Arneth, Solarisierung; ders., Psalm 72; Janowski, Frucht, 102ff; zur literarkritischen Problematik vgl. ebd. 100.104–108. Danach besteht der Psalm aus einer spätvorexilischen Grundschicht in den Versen 1aβ.b–
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte 1 2 3 4
12 13 14
167
Gott, deine Rechtsentscheide gib dem König und deine Gerechtigkeit ( )צִּ ְדקָ ְתךdem Königssohn! Er richte dein Volk in Gerechtigkeit () ְּבצדק und deine Elenden ( )עֲנִּ ייךmit Recht! Es sollen Heil tragen die Berge für das Volk und die Hügel – durch Gerechtigkeit (!)ּבצְ דָ קָ ה ִּ Er richte die Elenden des Volkes () ֲענִּ יֵי־עָם, er rette die Söhne des Armen und zerschlage den Unterdrücker. … Ja, er rette den Armen, der (um Hilfe) schreit, und den Elenden ( )עָנִּיund den, der keinen Helfer hat. Er erbarme sich des Geringen und Armen und rette das Leben der Armen. Aus Bedrängnis und Gewalt erlöse er ihr Leben, und kostbar sei ihr Blut in seinen Augen. (Ps 72,1–4.12–14)
Es sind somit Gottes Rechtsordnungen und seine Gerechtigkeit, die dem König übergeben werden sollen529. Sie befähigen ihn erst eigentlich, Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen, und stehen so in unauflösbarem Zusammenhang mit seinem body politic530. Damit entsteht eine Entsprechung zwischen göttlichem und königlichem Gerechtigkeitshandeln531, wobei „die Anerkennung des [irdischen] Königs durch JHWH von seiner Ausübung von Gerechtigkeit abhängt“532. Königliches Rechtshandeln und die Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit sind so unauflöslich miteinander verbunden. Durch den König wird Gottes Gerechtigkeit auf Erden verwirklicht. Damit hat er eine Mittlerstellung; er repräsentiert die göttliche Gerechtigkeit, er stiftet sie nicht. Das bedeutet zugleich, dass die Gerechtigkeit aus der sozialen und politischen in die theologische Sphäre transponiert „und dem unmittelbaren Willen Gottes“533 unterstellt wird. Es ist daher geradezu eine Idealbeschreibung eines Königs, wenn es von David heißt:
529 530 531 532 533
7.12–14.16–17aαβ und einer spätnachexilischen Ergänzungsschicht in den Versen 8–11.15.17aγ.b sowie der ebenfalls spätnachexilischen Schlussdoxologie V. 18f und dem Kolophon V. 20. Zur Komposition des Psalms vgl. ebd. 104ff. Vgl. Salo, Königsideologie, 233; M. Dietrich, „Lebe, mein König!“, 192–194. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 261f. Vgl. Janowski, Frucht, 122; Saur, Der gerechte König, 125; Levin, Königsritual, 248. Krusche, Königtum, 300. Assmann, Herrschaft, 69.
168
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte Er war König über ganz Israel. Und David übte Recht und Gerechtigkeit an seinem ganzen Volke. (2Sam 8,15)
Dass das Rechtslieben des Königs in einem Korrespondenzverhältnis zur Rechtsliebe JHWHs steht, zeigt auch Ps 99,4: Seine Königsmacht ist (das) Recht, das er liebt. Du, ja du hast die Weltordnung ( )מֵ שָׁ ִּריםbegründet. Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast du, ja du gewirkt.
Wichtig ist dabei der Begriff מֵ שָׁ ִּרים, der von der bereits im Zusammenhang mit dem Szepter des Königs behandelten534 Wurzel ישׁרabgeleitet ist und hier bezogen auf die Welt- bzw. Gerechtigkeitsordnung JHWHs erscheint. So wie der König JHWH „die Liebe zum ‚Recht‘ zur Leitidee und zum Maßstab seines Wirkens gemacht“535 hat, so auch der König von Ps 45, der als irdischer Repräsentant JHWHs tätig wird536. Die Gerechtigkeit ist somit die Voraussetzung der Königswürde. Das aber bedeutet: „Herrschaft und Heil sind nicht identisch, sondern aufeinander bezogen, abgestuft und von Gott, Ordnung und Gerechtigkeit abhängig“537.
534 535 536 537
Vgl. dazu oben S. 156f. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen, 51–100, 701 und Ps 33,5. Vgl. Janowski, Frucht, 120. Liwak, Herrscher, 167; Gerstenberger, Psalms 1, 388. In Ägypten zeigt sich die „Mittlerrolle des Königs zwischen Göttern und Menschen … und seine Fürsorgepflicht gegenüber Menschen und Göttern“ (Ahn, Herrscherlegitimation, 73) in der Verwirklichung der Ma’at, vgl. dazu Hornung, Der Pharao, 358 und oben S. 163ff. In Mesopotamien wird der König ebenfalls auf die göttliche Weltordnung verpflichtet, wie der sogenannte „Babylonische Fürstenspiegel“ zeigt (vgl. dazu Steymans, Fürstenspiegel, 30ff), der zeitlich zwischen 1200 und 800 v.Chr. anzusetzen sein wird (vgl. von Soden, TUAT III/1, 71): „Wenn der König auf das Recht nicht achtet, werden seine Menschen in Verwirrung geraten; das Land wird verwüstet werden. Wenn er das Recht in seinem Lande nicht achtet, wird Ea, der König der Schicksale, sein Geschick verkehren und ihn mit Mißgeschick verfolgen. Wenn er auf seine Magnaten nicht achtet, werden seine Tage verkürzt werden. Wenn er auf seine Sachkundigen nicht achtet, wird sich sein Land gegen ihn empören. Wenn er auf einen Schurken achtet, wird sich der Sinn des Landes ändern. Wenn er auf das Werk des Ea achtet, werden die großen Götter ihm mit Umsicht und auf den Wegen der Gerechtigkeit folgen“ (von Soden, TUAT III/1, 170–173). Zur Fürstenspiegeltradition im AT (und im Alten Orient) vgl. Ps 101 und R. Müller, Herrschaftslegitimation, 215f; Kaiser, Erwägungen; Steymans, Fürstenspiegel, 15ff.40ff. Für Ägypten vgl. Quack, Merikare; Hadol, Für-
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
169
Diese Gerechtigkeit ist, wie Ps 72,1–4 zeigt, in weiterem Sinne Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft und schließt so deren Versorgung und Schutz mit ein538: Indem die Herrschaft des Königs gerecht ist, ermöglicht sie umfassendes Heil, ein Heil, das sich auch auf die Natur auswirkt539. Das Gegenbild macht Jes 1,23f deutlich, wo korrumpierte Spitzenbeamte angesprochen werden, die „zum Gegenteil dessen werden, was sie sein sollen“540: Deine Beamten ( )שָׂ ַריִּ ךsind widerspenstig ()סו ְררים und Gesellen ( )חַ ְב ֵריder Diebe. Jeder liebt Bestechung und jagt Geschenken nach. Der Waise verhelfen sie nicht zum Recht, der Rechtsstreit der Witwe kommt nicht vor sie. Durch Bestechungsgelder und Verweigerung der Rechtsausübung verdrehen die Angesprochenen die Rechtsordnung. Infolgedessen bleiben die Schwachen des Landes, „die rechtlich Wehrlosen“541, für die stellvertretend Witwen und Waisen genannt werden, auf der Strecke und sind so der Willkür der Mächtigen anheimgegeben. Diese Beschreibung verdeutlicht den Frevel, der sich im Lande ausgebreitet hat.
Ps 45,8 thematisiert nun nicht nur die Liebe des Königs zur Gerechtigkeit, sondern spricht auch an, was er hasst und somit ablehnt. Im Gegensatz zu „Lieben“ meint „Hassen“ einen Zustand größtmöglicher Distanz542: Es ist ein „Zustand der Aversion, der Abneigung“543, die das Alte Testament im Herzen oder in der נפשׁeines Menschen lokalisiert. Der, die oder das zu Hassende soll möglichst „aus der Umgebung des Hassenden“544 entfernt werden, damit keine Kontamination entsteht, die andere erfasst.
Ziel des Hassens ist in Ps 45,8 der Frevel ()רשַ ע.
538 539 540 541 542 543 544
stenspiegel, 558. Zum Ideal des gerechten Königs in Ugarit, vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 110–112. Vgl. Liwak, Herrscher, 167f; ders., „Sonne der Gerechtigkeit …“, 116f; Salo, Königsideologie, 251ff. Vgl. Janowski, Frucht, 120; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 262. Höffken, NSK.AT 118/1, 44. Wildberger, BK X/1, 61. Vgl. Lipiński, Art. שָׂ ֵנא, 829. Lipiński, Art. שָׂ ֵנא, 829. Lipiński, Art. שָׂ ֵנא, 829.
170
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der Wurzel רשעeignet generell ein forensischer Hintergrund. Der ָרשָׁ עist beim Gerichtsverfahren der Schuldige (Dtn 25,1). Das Nomen „ רשַׁ עFrevel, Unrecht“ dagegen bezieht sich auf das Wesen des ( ָרשָׁ ע1Sam 24,14)545. Es wird gebraucht, um Menschen und ihre Taten zu charakterisieren (Hi 34,8; Ps 14,4). Zu diesen Taten gehören das Verdrehen des Rechts (Jes 26,10; Hab 1,4), Lug und Trug (Spr 11,11; 12,25) und Gewalttat (Spr 10,6.11)546. Nicht umsonst betont die Weisheit: Zuverlässigkeit murmelt mein Gaumen, aber der Greuel meiner Lippen ist Frevel. (Spr 8,7) Wenn vom König gesagt wird, er hasse רשַׁ ע, dann bringt diese Aussage zum Ausdruck, dass er sich in jeder Hinsicht von einem solchen Verhalten distanziert, weil es seinem Auftrag grundlegend widerspricht. Ähnlich prägnant heißt es in einer Selbstprädikation des assyrischen Königs Assarhaddon (680–669 v.Chr.)547: Ich, Assarhaddon, König von Assyrien, König der vier Weltufer, der das Recht liebt und dem Frevel ein Greuel ist.
Frevel und Königsamt schließen sich grundsätzlich aus, ja stehen in völligem Widerspruch zueinander. Demgemäß ist das Hassen des Frevels gleichbedeutend mit dem Aufrechterhalten der göttlichen Ordnung. Denn wo sich der Frevel durchsetzt, gerät die Welt, der Kosmos in Schieflage, und zwar sowohl politisch-sozial als auch bezogen auf die Kreisläufe in der Natur. b) Die Salbung mit Freudenöl Weil die Königswürde des Königs identisch ist mit dem Ausüben der Gerechtigkeit548 und weil der König dem Recht zur Geltung verhilft und dem Unrecht wehrt, ist er von „seinem“ Gott gesalbt ( מָ שַׁ חq.)549, was wiederum die enge Beziehung zwischen Gott und König550 unter545 546 547 548 549
550
Vgl. Ringgren, Art. רשַׁ ע,ָ 982; zur Bedeutung des Begriffs s. Keel, Feinde, 109ff. Zur frevlerischen Herrschaft vgl. auch oben S. 155. Vgl. Borger, Inschriften 54 und Kutsch, Salbung, 64. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 339. Vgl. Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 76; Wälchli, Salomo, 169; Saur, Königspsalmen, 120; ders., Der gerechte König, 127. Es ist ungewöhnlich, dass משׁח nicht mit ְּבkonstruiert ist, vgl. Weinel, משׁח, 7. Insofern ist es für mich fraglich, ob man sagen kann, dass es sich bei der Salbung, auch wenn sie im Rahmen eines Festzeremoniells geschieht, „nicht um eine religiöse handelt“, so Ueberschaer, Ich und mein König, 14.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
171
streicht551. עֵל־כֵןdrückt so die „heilvolle … Folge … eines positiv … zu wertenden Verhaltens“552 des Königs aus, der dafür gerühmt wird553. Die Salbung in Ps 45 ist somit weniger als Grundlage oder Voraussetzung für das Rechtshandeln des Königs554 anzusehen555, sondern resultiert aus diesem und ist Teil eines Festzeremoniells556. Sie unterstreicht das besondere Königsamt und unterstützt die damit verbundenen Königspflichten, ohne sie zu begründen. Man könnte auch sagen: Gerechtigkeitsliebe und Salbung stehen in einem unaufhebbaren Korrespondenzverhältnis. Was aber hat es mit der Salbung des Königs auf sich? Das Salben hat im Alten Orient und im Alten Testament eine mehrdimensionale Bedeutung. Es kann mit mit der Körper- und Schönheitspflege (Rut 3,3; Ez 16,9) verbunden sein und dann eine reinigende, heilende oder kräftigende, ja lebenssteigernde557 Funktion haben, es kann aber auch Wohlbefinden und Freude ausdrücken (Ps 23,5; 133,2). Sowohl in Ägypten wie in Mesopotamien war es üblich, dass Könige die Häupter ihrer Gäste salben ließen und so deren Freude und Wollust steigerten. So heißt es von Assarhaddon (680–669 v.Chr.): Die Magnaten und die Leute meines Landes ließ ich alle an festlichen Tafeln bei Schmaus und Gastmahl darin (in dem neuerbauten Palast) Platz nehmen; ich ließ ihr Herz jauchzen, tränkte ihr Inneres mit Weißwein (?) und Rotwein (?) und ließ mit vorzüglichem Öl und …-Öl ihren Kopf benetzen558.
551 552
553 554
555 556 557 558
Vgl. Gilligham, The Messiah, 218. Die Erwähnung von אֱֹלהים ִּ V. 8 ist gewissermaßen ein „Gegenpol“ zu den Feinden in V. 6. Jenni, Abtönungspartikel, 121 und schon oben S. 38. Die Partikel ist somit etwas anders zu deuten als in V. 3 oder in V. 18, vgl. Kutsch, Salbung, 64 zu V. 8: Danach bildet die Aussage von V. 8a „die Motivation für die jeweils mit ַעל־כֵן ‚deshalb‘ eingeleitete Folgerung“. Sofern man davon ausgeht, dass die Salbung im Rahmen des in Ps 45 vorauszusetzenden Festzeremoniells stattfindet. Was prinzipiell auch möglich wäre. Dann würde עַ ל־כֵןwie in V. 3 den Erkenntnisgrund einleiten: Am Rechtshandeln erkennt der Dichter, dass der König gesalbt ist (so Kremser, Hochzeit, 282). So auch Lim, Königskritik, 178; anders D. Michel, Tempora, 225. Zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vgl. auch Chr. Rösel, Redaktion, 130f. Vgl. Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 84; Groß / Reinelt, GSL 18/1, 213; Wilde, Schönheit, 93ff. Borger, Inschriften, 63: Ninive A-F Episode 23, Z. 49–53, vgl. dazu Kutsch, Salbung, 5; Meißner, Babylonien und Assyrien 1, 71.
172
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Königssalbungen559 sind auch sonst im Alten Testament immer wieder bezeugt. In ihnen spiegelt sich eine besondere Form der Heraushebung eines Menschen, die mit der Verleihung von Amtsgewalt verbunden war560. Von folgenden alttestamentlichen Königen wird berichtet, dass sie gesalbt wurden: Saul David [Abschalom Salomo Jehu Joasch Joahas
1Sam 9,16; 1Sam 10,1; 1Sam 15,1.17 1Sam 16,13; 2Sam 2,4.7; 2Sam 3,39; 2Sam 5,3.17; 2Sam 12,7; Ps 89,21; 1Chr 11,3; 1Chr 14,8 2Sam 19,11] 1Kön 1,34.39.45; 1Kön 5,15; 1Chr 29,22 1Kön 19,16; 2Kön 9,3.6.12; 2Chr 22,7 2Kön 11,12; 2Chr 23,11 2Kön 23,30
Darüber hinaus soll auch Hasael von Damaskus von Elia zum König von Aram gesalbt worden sein (1Kön 19). Die Salbung, bei der das Öl aus einem Gefäß über den Kopf des zu Salbenden gegossen wurde (יצק, vgl. 1Sam 10,1; 16,12; 2Kön 9,3.6)561, ist in der Regel mit der Amtsübernahme des Königs verknüpft. Bei David beispielsweise wird von unterschiedlichen Salbungen berichtet. Der junge David wird von Samuel im Auftrag JHWHs gesalbt (1Sam 16,13). Weitere Salbungen erfolgen bei der Übergabe des Königtums durch das Volk bzw. die Repräsentanten des Volkes, genauer: die Männer Judas (2Sam 2,4) bzw. die Ältesten Israels (2Sam 5,3). Durch die Salbung geschieht eine Ermächtigung562, allerdings mit deutlichen Unterschieden: „Wo der König vom Volk bzw. von den Ältesten gesalbt wird, ist es das Volk, das ihn ‚ermächtigt‘. Das Volk setzt ihn als König über sich ein; der Akt der Salbung bringt ihn in eine Beziehung zum Volk“563. Dieser Vorgang kann 559
560 561 562 563
Vgl. dazu auch Salo, Königsideologie, 200f; Jungbluth, Im Himmel, 24ff; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 247ff; Levin, Königsritual, 242ff; Lee, Symbole, 91ff, für die alttestamentlichen Belege ebd. 102ff, vgl. auch den Exkurs „Der Messias“ bei Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 82ff Vgl. dazu R. Müller, Herrschaftslegitimation, 196ff; Levin, Königsritual. Vgl. Hartenstein / Janowski, BK XV/1, 83. Vgl. Kutsch, Salbung, 55. Kutsch, Salbung, 55.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
173
wie in 2Sam 5,3 mit einem Bundesschluß verbunden sein, also einer vertraglichen Vereinbarung zwischen zwei Parteien. Anders ist es bei der Salbung des Königs564 durch JHWH bzw. durch einen Propheten, der im Auftrag JHWHs tätig wird. Auch hier ist mit der Salbung eine Einsetzung ins Königsamt gegeben, die Salbung bringt den Gesalbten aber in eine Beziehung zu JHWH. Der König wird zum „Gesalbten JHWHs“ (1Sam 24,7), und damit ist eine konkrete Beauftragung verbunden, bei Saul z.B. die Errettung Israels vor den Philistern (1Sam 9,16), bei Jehu die Ausrottung des Hauses Ahabs (2Kön 9,7). „Auf der anderen Seite bedeutet die Salbung für den Gesalbten die Gewähr für Jahwes Schutz und Hilfe“565 (vgl. Ps 20,7; 89,21ff). Sehr schön wird dieser Aspekt der Salbung in Ps 20,7a zum Ausdruck gebracht. Dort wird in einem Bekenntnis betont: Jetzt weiß ich, dass JHWH seinem Gesalbten hilft.
Unabhängig davon, wer hier spricht, ob das Ich des Königs oder eine WirGruppe, in jedem Fall wird deutlich, „das das Amt des Gesalbten ein heilvolles ist, weil es die Hilfe des göttlichen Oberherrn garantiert“566. Zu verweisen ist auch auf Ps 89,20b–23. Hier hat das Salböl keine reinigende Wirkung, sondern eine kräftigende Funktion567. In einer Gottesrede heißt es: 20 21 22 23
Aufgesetzt habe ich die Krone dem Helden ()גִּ ּבֹור, habe den Erwählten aus dem Volk erhöht. Ich fand meinen Knecht David, mit meinem heiligen Öl salbte ich ihn, an dem meine Hand festhalten wird, ja, mein Arm wird ihn stärken. Kein Feind kann ihn überlisten, kein Ruchloser ihn bezwingen.
Diese Gottesrede, die die erste Begegnung JHWHs mit David im Blick hat, fällt durch mehrere Details auf. JHWH erzählt, wie er David fand und wie er ihn salbte. Besonders das Königsepitheton „Held“ sticht hier heraus, aber auch die Folge dieses Erwählungsgeschehens ist bemerkenswert: Gott 564 565 566 567
Vgl. Riede, Salbung. Kutsch, Salbung, 56. Seybold, HAT I/15, 90. Vgl. Paszthory, Salben, 38.
174
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
sorgt dafür, dass kein Feind sich gegen den König wendet. Die Salbung ist nach diesem Text Teil eines umfassenden Erwählungsgeschehens, das auch die Ausrüstung des Königs in den Blick nimmt (V. 22)568. Diese verleiht ihm militärische Überlegenheit gegenüber den Feinden. Auch in Ps 45,8 ist JHWH Subjekt des Salbungsgeschehens. Anders als in den eben genannten Stellen, die sich auf die Salbung des Königs bei seiner Einsetzung ins Amt beziehen569, hat die Salbung hier eine andere Funktion. Sie ist kaum Teil eines rituellen, mit der Zuwendung von Macht verbundenen Einsetzungsaktes570, z.B. im Rahmen des Krönungsrituals, sondern ein Element des im Folgenden beschriebenen Festgeschehens571, das durchgängig im Psalm vorausgesetzt ist. Im Hintergrund dürfte die Vorstellung stehen, „daß durch das Übergießen mit Öl Menschen erfreut werden“572. Natürlich kann die Erinnerung an die Königssalbung bei der Salbung im Rahmen des Festzermenoniells mitschwingen573, ja letztere kann gleichsam eine Bestätigung der Erwählung des Königs darstellen und die Beziehung zwischen Gott und König erneuern und stärken. Die Salbung selbst geschieht mit „Freudenöl“. שׁמן, „Öl“, genauer Olivenöl, ist ein wichtiges Mittel zur Körperpflege. Immer wieder wird in Bildworten darauf Bezug genommen, so in Hld 1,3, wo es von dem Geliebten heißt:
568 569
570
571
572
573
Vgl. Seybold, HAT I/15, 353; R. Müller, Herrschaftslegitimation, 198f. Auch Salo, Königsideologie, 154 bezieht Ps 45,8 auf die Einsetzung des Königs, vgl. schon Delitzsch, BC IV/1, 339; Augustin, Der schöne Mensch, 156; Krusche, Königtum, 339. Vgl. Kutsch, Salbung, 65; Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 76; Graetz, Psalmen, 319; Delitzsch, BC IV/1, 339, sowie Seybold, HAT I/15, 187; Saur, Königspsalmen, 120 Anm. 27. Anders Becker, Israel, 85; Weiser ATD 14/15, 244; Kraus, BK XV/1, 492; Trotter, The genre, 42; Groß / Reinelt, GSL.AT 18/1, 252. So auch Duhm, KHK XIV, 188; Olshausen, Psalmen, 202; Hengstenberg, Psalmen 2, 421; Keßler, KK VI/1, 98; Hupfeld, Psalmen 2, 304; Baethgen, HK II/2, 128. Kutsch, Salbung, 65. Vgl. aus Mesopotamien die Anweisung zur Herstellung von Salben: „Verarbeitung von Blüten, Öl, Kalmus für den Festtag, um auf den König [zu schütten], nach der Vorschrift der Tappûti-Bêlatêkallim, der Parfumbereiterin“ (KAR 230) und Paszthory, Salben, 29. Vgl. ähnlich Gunkel, HK II/2, 191; Mulder, Studies, 124; Chr. Rösel, Redaktion, 131, für den der Hinweis auf die Salbung bewusst doppeldeutig ist.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
175
Ausgegossenes Salböl ist dein Name. Darum lieben dich die jungen Frauen. Für das Salben von Kopf und / oder Körper wurde spezielles Salböl verwendet, das mit Duftstoffen oder Gewürzen angereichert war und einen besonderen Geruch verlieh. Man presste beispielsweise wohlriechende Blüten aus oder benutzte Harze zur Parfümierung; zuletzt kochte man all diese Stoffe, um Salben zu gewinnen. Wenn in Hld 1,3 das Salböl mit dem Namen des Geliebten verglichen wird, dann wird wohl auf dessen Ruf angespielt, der „sich wie der Duft des ausgeschütteten Salböls verbreitet und die Liebe der jungen Frauen erregt“574. Konkreter noch benennt Hld 4,10 das Salböl: Wieviel besser ist der Duft deiner Salben als alle Balsamdüfte. Auch hier ist das Salböl im Blick, das bei festlichen Anlässen als wohltuende Gabe die Festteilnehmer erfreute. Nicht umsonst wird es verschiedentlich wegen dieser Wirkung gerühmt: Salböl und Räucherwerk erfreuen das Herz, betont beispielsweise Spr 27,9. Und in Koh 9,8 heißt es: allezeit seien deine Kleider weiß, und Öl soll deinem Haupte nicht fehlen. Hatte Koh 9,7 mit Essen und Trinken den Alltag im Blick, so erinnert V. 8 mit dem Öl und den weißen Festkleidern an den Festtag575. Gerade das Salböl markierte einen Höhepunkt im Leben. Solch besonderes Öl hat auch Am 6,6 vor Augen: 1
6
Weh den Sorglosen auf Zion, den Vertrauensseligen auf dem Berg Samarias, den Vornehmen des Erstlings der Völker, an die sich das Haus Israel hält576 … die Wein aus Schalen trinken und erstklassiges Öl versalben. (Am 6,1.6)
Das Öl, von dem hier die Rede ist, ist ein Spitzenprodukt, das dem Streben nach Luxus, das die angesprochenen Angehörigen der Oberschicht auszeichnet, entspricht. Und dieser Hang zum Luxus kam besonders in den Gastmählern zum Ausdruck, die von diesen gefeiert wurden. Das Öl, das das Gesicht glänzend macht, findet sich auch unter den Gaben, die JHWH für die Menschen bereitstellt (Ps 104,15). 574 575 576
Keel, ZBK.AT 18, 52. Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 458. Zur Übersetzung vgl. Jeremias, ATD 24/2, 83.
176
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Der Terminus שׇׂ שֹׂוןkann für ungezügelte, ungehemmte Freude stehen, so z.B. in Jes 22,12f in Zusammenhang mit einem Gelage577: Der Herr, JHWH Zebaoth, rief an jenem Tag zum Weinen und zur Wehklage auf, zum Kahlscheren und zum Umgürten mit dem Sack. Aber siehe, Frohsinn und Freude, Rindertöten und Schafeschlachten, Fleischessen und Weintrinken: „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!“.
Der Ausdruck „Freudenöl“ ist selten. Nur einmal noch ist im Alten Testament davon die Rede, und zwar in einem Selbstlob eines Königs in Jes 61,1–3a578: Der Geist des Herrn JHWH ist auf mir, weil JHWH mich gesalbt hat. Frohe Botschaft den Armen ( ) ֲענָויםzu bringen, hat er mich gesandt, zu heilen, die zerbrochenen Herzens sind. Auszurufen für die Gefangenen die Freilassung und für die Gefesselten die Öffnung. Auszurufen ein Jahr des Wohlgefallens in Bezug auf JHWH, einen Tag der Vergeltung in Bezug auf unseren Gott, zu trösten alle Trauernden, zur Freude den Trauernden Zions. Ihnen zu geben Zierde statt Staub, Öl der Freude statt Trauerhülle, Lobgesang statt Verzagtheit …
Mit dem sich rühmenden Gesalbten soll eine Heilswende einhergehen, die mit dem Ende der Trauer, mit Trost und einem Neuanfang verbunden ist. Zu diesem Neuanfang gehört, dass den bislang Trauernden „Öl der Freude“ statt Trauerhülle und Lobgesang statt Verzagtheit zuteilwird. Ein direkter Bezug zu einer Salbungshandlung findet sich nicht, vielmehr steht das Freudenöl hier zusammen mit den Freudenkleidern kontrastiv zur vorher herrschenden Trauer. Beides markiert den Umschwung, der die Tochter Zion erfasst hat579. 577 578 579
Vgl. dazu Fabry, Art. שׂושׂ/ שׂישׂ, 727. Vgl. dazu Höffken, NSK.AT 18/2, 220; Koenen, Ethik, 103ff. Das Gegenbild entfaltet Joel 1,12, wenn die Freude der Menschen verdorrt wie Bäume auf dem Felde.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
177
Auch in Ps 45 unterstreicht das Freudenöl „den festlichen Akt der Salbung, die einen Ausdruck der Freude darstellen soll“580. Beim „Freudenöl“ kann man konkret an die aus dem ägyptischen Bereich bekannten Salbkegel denken, die „beim Warmwerden vom Kopf auf die ‚Kleider‘ ... träufeln und starken Duft verbreiten“581. Die Grabmalerei aus dem Grab des Thot-nofer aus der Zeit Amenophis’ II. (ca. 1428–1397 v.Chr.) enthält eine Szene mit einem Bankett, bei dem einer der Gäste solch einen Salbkegel auf dem Kopf trägt (vgl. Abb. 18).
Abb. 18: Salbkegel
Die Salbung des Königs im Rahmen des Festes, eine Parfümierung mit duftendem Öl, ist, wie die bisherigen Ausführungen zeigten, gleichsam eine erneute göttliche Bestätigung des Herrschers. Sie „verleiht Glanz“582 und unterstreicht zugleich die hervorgehobene Schönheit des Königs. Insofern leitet V. 8 auf den Ausgangspunkt des Psalms in V. 3 zurück, wo von der Anmut seiner Lippen die Rede war. Die Salbung des Königs durch Gott paßt sich aber auch sehr gut in das Gesamtbild des Psalms und die darin entfaltete Sonderrolle des Königs ein: „Der göttlich Ausgezeichnete ..., der göttliche Gerechtigkeits- und Heilsbringer ist selbst auch Elohim, Gott. Freilich hat er diese Würde von Gott her und durch Gott und im Auftrage Gottes“583. 580 581 582 583
Fabry, Art. שׂושׂ/ שׂישׂ, 727, vgl. Kraus, BK XV/1, 492, Saleska, Psalms 1–50, 681. Seybold, HAT I/15, 187, vgl. Kügler, Macht, 26; Wilde, Schönheit, 93ff. Keel, AOBPs, 236. Gunneweg / Schmithals, Herrschaft, 34.
178
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Durch die Salbung ist der König vor seinen Gefährten hervorgehoben, die nun ebenfalls in den Blick genommen werden. Dabei ergibt sich die Frage: Sind es die Königskollegen584, also „andere Könige, die weniger erfolgsbegünstigt sind“585, oder die „vornehmen, fürstlichen Führer des Bräutigams“586, oder sind es nicht eher die Begleiter aus der unmittelbaren Umgebung des Königs als Teil des Hofstaats? Das Nomen חָ בֵ רbezeichnet allgemein eine Gruppe von Menschen, die untereinander eng verbunden sind (vgl. Ez 37,16)587, negativ kann es sich auf eine mordende Rotte beziehen, positiv auf die Gefährten, Genossen eines Menschen588. Negative Konnotationen hat das Wort z.B. in Jes 1,23, wo von den Fürsten / Anführern ( )שָׂ ִּריםdes Volkes gesagt wird, sie seien widerspenstig ( )סו ְר ִּריםund Gesellen von Dieben589. Damit korrumpieren sie ihre richterlichen, militärischen und administrativen Aufgaben. Anders ist es in Hld 1,7; 8,13, wo die Gefährten des Geliebten in den Blick genommen werden, oder in Koh 4,10, wo sich der Gefährte eines Menschen dadurch auszeichnet, dass er dem anderen hilft. In Ps 119,63 bezeichnet das Nomen die Genossen des Beters, die im Halten der Tora „die Erfüllung ihres Lebens erfahren“590. Insgesamt ist festzuhalten: „‚Gefährten‘ sind alle, die an einer gemeinsamen Sache teilhaben, mag sie gut oder schlecht sein“591. In Ps 45,8 umschreibt das Wort die unmittelbare Umgebung des Königs, die ihm am nächsten kommt, sein Gefolge, das ihn umgibt592.
Wenn der König „vor seinen Gefährten“ gesalbt wird, dann zeigt das einmal mehr seine „besondere Erwählung“593 und seine extraordinäre Stellung im Rahmen des Hofstaates. Schon die Nennung des Thrones zeigte an, dass wir uns bereits im Palast, genauer im Thronsaal594 befinden. Der Blick wendete sich nun mehr und mehr dem Innenbereich des Staates zu.
584 585 586 587 588 589 590 591 592 593 594
So de Wette, Psalmen, 273; Delitzsch, BC IV/1, 366; Baethgen, HK II/2, 123; Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 282f; Böhler, Psalmen 1–50, 818. So Böhler, Psalmen 1–50, 826. Bei dieser Annahme ergibt sich die Frage, warum gerade andere Könige vom Gott Judas gesalbt sein sollten. Duhm, KHK XIV, 188. Vgl. ferner Gen 14,3; Ri 20,11 und Kremser, Hochzeit, 171. Vgl. dazu Cazelles, Art. חָ בַ ר, 721–726. Vgl. dazu oben S. 169. Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 101–150, 371. Keel, ZBK.AT 18, 257. Das entspricht dem Gefolge der Königin im zweiten Teil des Psalms. M. Müller, Herr, 121. Vgl. Deissler, Psalmen, 185.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
179
Das genaue Aussehen des Palastes geht aus Ps 45 nicht hervor. Orientiert man sich hilfsweise an der Beschreibung des Salomonischen Palastes in 1Kön 7,1–12, so könnte er folgende Bauten umfasst haben595: Das Libanon-Waldhaus, eine Säulenhalle mit Vorhalle, die Thronhalle, den Wohnpalast und den Palast für die Frauen. Zwar läßt die Kürze der Beschreibung eine Rekonstruktion der einzelnen Elemente nicht zu, „deutlich sind aber die Weitläufigkeit, die hochwertige Bauausführung und die Trennung von Repräsentations- und Wohnteil. Außerdem sind weitläufige Höfe vorauszusetzen, auch wenn diese nicht eigens erwähnt sind“596. Der Palast bildete gegenüber der Stadt einen eigenständigen Bereich, der wohl mit einer Mauer umgeben und so von ihr abgesondert war. Wie das Hofleben in einem Kleinkönigtum der frühen Eisenzeit (I A–I B) aussah, belegen zudem einige Elfenbeinpaneele aus einem Hortfund aus dem Palast von Megiddo. Sie enthalten Hofszenen, die das Festgeschehen im Palast von Ps 45 erhellen können597. So zeigt Abb. 19 ein großes Bauwerk mit einem von vier Säulen getragenen Vordach, das man als Palast identifizieren kann. Daran schließt sich eine thronende Person an, der gehuldigt wird, wie die geneigten Körper der vor und hinter dieser Person stehenden Menschen zeigen. Sie tragen alle dieselbe Kleidung. Dass es sich bei der Szene um ein Geschehen am Hof handelt, dafür spricht zum einen der Palast, zum anderen die thronende, als Herrscher zu deutende Person und deren Umgebung, die dem Herrscher zugeordnet ist. Der thronende Herrscher empfängt die Huldigung und Gaben seiner Untertanen. Da die Kleidung der Gabenspender und der den Hofstaat repräsentierenden Diener sich nicht unterscheiden, dürften es die eigenen Untertanen sein, die dem König huldigen. „Die Szene rekurriert also primär auf das Herrschertum des Königs über seine Untertanen. Symbolisch objektiviert werden der durative Anspruch auf Ehrerweisung und Tribut“598.
Abb. 19: Eisenzeitliches Elfenbeinpaneel aus Megiddo mit einer Hofszene Rechts schließt sich eine weitere Szene an. Dabei fällt links die sitzende Person in einem langen Gewand auf. In der rechten Hand hat sie eine Schale, in ihrer linken befindet sich eine Lotusblüte. Vor der Person steht ein mit Speisen bestückter Tisch. Ein Diener reicht dem Sitzenden vermutlich eine Art Handtuch. Ein weiterer Diener richtet das Mahl. Hinter ihm ist ein Mischgefäß dargestellt sowie eine weitere Person, deren 595 596 597 598
Vgl. dazu Lux, Der König als Tempelbauer, 111f; Zwickel, Leben, 34f; Werlitz, ZBK.AT 9, 84f. Fritz, Stadt, 137. Vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 52f. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 52.
180
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Arm vor der Brust angewinkelt ist. Zwei weitere Personen auf Hockern halten Trinkgefäße. Sowohl die linke wie die rechte Szene sind am Hof zu lokalisieren: Der Thronende mit der Lotusblüte (rechts), der mit dem ebenfalls sitzenden Herrscher der linken Szene identisch sein dürfte, nimmt den Dienst der vor ihm stehenden Menschen entgegen. Die Männer (rechts) dagegen sind in einer intensiven Unterhaltung. Es ist davon auszugehen, dass es sich um eine höfische Festgesellschaft handelt, wobei deren Teilnehmern innerhalb der Hofhierarchie ein unterschiedlicher Status zukommt. Während die sitzenden Personen einen höheren Rang einnehmen und wohl als Würdenträger zu interpretieren sind, gehören die stehenden dem Kreis des Hofpersonals an. Insgesamt dürfte die Szene ein Festmahl zeigen. Die mit der Darstellung verbundene Symbolik intendiert „Wohlergehen, Reichtum, Fest und Freude am Hof“599. Dafür sprechen vor allem der übervoll gedeckte Tisch und das große Weingefäß. Insgesamt realisiert das Paneel „zwei Aspekte der Herrschaft innerhalb und außerhalb des Palastes: Nach außen den eher formellen, herrschaftlichen Aspekt, der die Forderung des Königs nach Tribut und Ehrerweisung realisiert, und nach innen denjenigen des höfischen – und damit auch allgemeinen – Wohlergehens“600. Ein zweites, ebenfalls schlecht erhaltenes Paneel aus demselben Fundkontext bietet eine weitere typische Palastszene (Abb. 20)601. Links ist andeutungsweise der thronende Herrscher zu erkennen. Ihm nähern sich fünf Personen in aufrechter Haltung, eine sechste nimmt die entgegengesetzte Laufrichtung ein. Dem Herrscher zugewandt ist eine weitere, mit einem Wulstgewand bekleidete Person dargestellt. Die nach rechts und links ausgebreiteten Arme sind evtl. als Präsentationsgestus zu interpretieren602. Ihm folgend sind wiederum fünf Personen dargestellt. Alle führen Gänse als Gaben mit sich. Vermutlich handelt es sich bei den Dargestellten auch hier um Personen, denen im Rahmen des Hofzeremoniells ein unterschiedlicher Rang zukam. Während es sich bei der linken Gruppe von Menschen evtl. um Beamte oder hochrangige Personen handelt, sind die gegenüberstehend dargestellten Personen dagegen wohl als Diener anzusehen. Der im Präsentationsgestus agierende Mann weist auf die Gaben der zweiten Personengruppe hin. Durch seine Positionierung wird gleichzeitig der Abstand „zwischen dem Herrscher, dem Hofpersonal und den Tributären“603 betont.
Abb. 20: Eisenzeitliches Elfenbeinpaneel aus Megiddo mit einer Hofszene
599 600 601 602 603
Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 53. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 53. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 53. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 54. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 54.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
181
Abb. 21: Tributszene des Echnaton aus dem Grab der Merire mit einer Darstellung des königlichen Hofes
182
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Natürlich unterschied sich das Hofleben in den levantinischen Kleinfürstentümern deutlich von dem in den Residenzen der Großmächte. Als Beispiel dafür sei eine Tributszene aus dem Jahre 12 des Echnaton (1351–1334 v.Chr.) angeführt (Abb. 21), die dem Grab des Merire in Amarna entstammt604. In zentraler Position befindet sich das königliche Paar, das in einer Art „Kiosk“ thronend abgebildet ist, wobei die Königin fast völlig von ihrem Gemahl verdeckt ist. Über dem Kiosk ist die Aton-Sonne dargestellt. Hinter dem Paar befinden sich seine sechs Töchter, die stellvertretend für die königliche Familie stehen. Dann kommen die ägyptischen Beamten, die Soldaten und das Dienstpersonal. Unter ihnen hat die wichtigste Position der Grabherr Merire, der auf der rechten Rampe vor dem Königspaar in huldigender Stellung erscheint. Auch in dieser Hofszene wird Wert gelegt auf die Darstellung der Streitwagen und Sänften des Königspaares und weiterer wichtiger Personen aus seiner unmittelbaren Umgebung, darunter der Leibgarde, die sich „in demütig gebückter Haltung“605 präsentieren. Rechts vom königlichen Paar sind die Vertreter der „südlichen Fremdvölker“ mit ihren jeweiligen Tributen festgehalten, links davon die Vertreter der „nördlichen Fremdvölker“. Auffällig ist, dass das Nahen der Südvölker äußerst bewegt dargestellt ist und mit Ringkämpfen und Freudentänzen verbunden ist, die Nordvölker dagegen gemessen schreitend daherkommen. Wichtig sind die verschiedenen Gaben, aus dem Süden vor allem Gold, aus dem Norden Wagen und Waffen, Pferde und Gefäße. Dargestellt sind zudem Gefangene und gezähmte Tiere. Die Szene könnte veranschaulichen, was es heißt, wenn Ps 45,18 vom Lobpreis der Völker gegenüber dem König spricht.
Die folgenden hymnisch-beschreibenden Verse schreiten weiter nach innen, in den Palast. Der König kommt von außen hinzu, er ist prächtig geschmückt. In vollem Ornat steht er „an der Spitze der Hofgesellschaft, aus den Räumen des Palastes erklingt Musik“606 zur Freude des Königs. Sowohl die königlichen Gewänder wie die kostbaren Duftstoffe weisen hin auf den Reichtum des Königs607.
604 605 606 607
Vgl. dazu Gundlach, Hof, 6f; Keel, AOBPs, 283f. Keel, AOBPs, 283. Saur, Königspsalmen, 122. Vgl. Groß / Reinelt, GSL 18/1, 253.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
183
3. Die königliche Prachtentfaltung a) „Myrrhe und Aloe, Kassia sind deine Gewänder“ Von der Salbung des Königs ist es nicht weit zur Schilderung seiner Kleidung. Der für diese verwendete Terminus ּבגדist ein Allgemeinbegriff für Textilien mit breiter Bedeutung608. Textilien, also gewebte Stoffe im engeren Sinne, und daraus gefertigte Kleider waren aufgrund der verwendeten Materialien und der guten Verarbeitung Kostbarkeiten609, die sich nur Reiche und Vornehme in größerer Anzahl leisten konnten. Sie erfreuten sich besonders „an importierten Leinenstoffen und bestickten Kleidern“610. Häufig wird daher Kleidung neben Gold und Silber als Wertgegenstand genannt611. Paläste konnten mit eigenen Kleiderhäusern für die Aufbewahrung der Kleidervorräte ausgestattet sein, wie z.B. in Samaria (2Kön 10,22). Arme dagegen hatten meist nur wenige Kleidungsstücke, manchmal allein einen Mantel, der auch als Decke in der Nacht Verwendung finden konnte612. Mit Kleidern konnte man sich schmücken; sie waren aber auch Ausdruck von Würde und Ehre und sagten etwas aus über den sozialen Status des Trägers613. Insofern waren sie ein wichtiges Kommunikationsmittel. Eine weitgehende Körperbedeckung war Ausdruck einer hohen Stellung und der sozialen Anerkennung einer Person614. Das Kleiden in bestimmte Gewänder bewirkte „einen Wechsel der Persönlichkeit“615. Königliche Gewänder waren Teil der Herrschaftsrepräsentation616. Nicht umsonst ist nach 1Kön 10,5 die Königin von Saba u.a. von den Gewändern beeindruckt, die die Diener des Königs Salomo getragen haben. Sie waren „der Umgebung des Königs angemessen“617, und sagten etwas aus über die Bedeutung seiner Herrschaft. 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617
Vgl. Kersken, Töchter Zions, 57: Hönig, Bekleidung, 57. Vgl. Bender, Sprache, 82; Schäfer, Art. Kleidung, 743; Riede, Bilder, 19ff. Staubli, Kleider, 12. Vgl. Staubli, Kleider, 13–15. Vgl. dazu Ex 22,25f; Dtn 24,12f und H. Weippert, Art. Textilproduktion, bes. 142; dies., Art. Kleidung. Vgl. Bender / Bieberstein, Art. Kleidung, 295; Podella, Art. Be-, Entkleiden, 382. Vgl. Bender / Bieberstein, Art. Kleidung, 297. Waetzoldt, Art. Kleidung, 18. Vgl. Bender / Bierberstein, Art. Kleidung, 299; Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 105. Noth, BK IX/1, 225; Werlitz, ZBK.AT 9, 106.
184
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Ein besonders sprechendes Beispiel für die Kleiderpracht, mit der sich der königliche Hof umgab, findet sich auf einer Elfenbeinplakette mit einer Ritzdarstellung aus Megiddo aus dem 13. / 12. Jh. v.Chr., die den König umgeben von seinem Gefolge zeigt (Abb. 22)618. Der König ist zweimal dargestellt, einmal auf dem Streitwagen, wie er siegreich von der Schlacht zurückkehrt, und einmal auf seinem Sphingenthron, wo er die Huldigung des Hofes entgegennimmt. Der König trägt ebenso wie seine vor ihm stehende Gattin aufwändige Kleidung, die mit Borten und Bändern reich verziert ist.
Abb. 22: Elfenbeinplakette aus Megiddo aus dem 13. / 12. Jh. v.Chr. mit der Darstellung einer höfischen Szene
Welcher Art die Kleidung ist, die Ps 45,9 im Blick hat, ob es sich um ein Festgewand handelt, einen Mantel, ein Ober- oder Wickelgewand, wird nicht näher erläutert. Stattdessen hebt sich die Kleidung des Königs durch ihre besonderen Duftnoten619 hervor, die in die vorausgesetzte Festsituation passen: Seine Gewänder duften, ja, sie „sind so von Wohlgerüchen erfüllt, daß sie gewissermassen daraus bestehn“620. Gerüche kennzeichnen ja Anlässe, spezifizieren sie auf ihre eigene Weise. Gerade der an der Kleidung haftende Geruch sagte etwas aus über ihren Träger. Wenn es in Ps 45,9 von den Gewändern heißt, sie seien gleichsam Myrrhe, Aloe und Kassia, so deutet das darauf hin, dass auch ein Duft als Stoff verstanden werden konnte, der den Körper umhüllt621. Myrrhe ()מר622, das harzige Öl des in Südarabien und Nordabessinien vorkommenden Myrrhenbaumes (Commiphora), wurde als sakrales wie profanes Räuchermittel verwendet (vgl. Hld 3,6)623. Pulverisiert wurde Myrrhe in Duftbeutelchen getragen 618 619 620 621 622 623
Vgl. dazu auch unten S. 286ff. Zur Welt der Düfte vgl. auch A. Wagner, „Wie ein Duft …“; Zakovitch, Das Hohelied, 172 bezogen auf Hld 3,6. Baethgen, HK II/2, 129, vgl. GK 141 d und Delitzsch, BC IV/1, 340; Kremser, Hochzeit, 174; zu den einzelnen Duftstoffen vgl. ebd. 172ff. Vgl. dazu D. Michel, Grundlegung 2, 240. Vgl. dazu Maiberger, Art. Myrrhe, 860. Vgl. dazu Keel, ZBK.AT 18, 68–70.142–144.182.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
185
(Hld 1,13) und diente zur Parfümierung des Körpers (Hld 5,5.13), der Kleider (Ps 45,9), von Betten (Spr 7,17) und als Bestandteil des heiligen Salböls (Ex 30,23), aber auch als Gewürz. Aus Myrrhe gewonnenes Duftöl schätzte man als Schönheitsmittel (vgl. Hld 3,6; 4,14; 5,5); es fand besonders im Harem Verwendung (vgl. Est 2,12f). Wegen ihres würzigen, angenehmen Duftes war Myrrhe auch ein beliebtes, aber teures und kostbares Handelsobjekt. Kassia ()קְ צִּ יעָה624 bzw. Zimtöl dagegen ist ein durch Wasserdampfdestillation aus der Rinde, den Blättern, Blüten und den unreifen Früchten des chinesischen Zimtbaumes (Cinnamomum cassia) gewonnener kostbarer Duftstoff, der nur in Ps 45 Erwähnung findet. Aloe ()אֲהָ לֹות625 – nicht zu verwechseln mit Alore vera626 – oder besser Adlerholzöl627 (vgl. Hld 4,14) schließlich steht kollektiv für die aromatischen Hölzer des Adlerholzbaumes (Aquilaria agallocha Roxb.). Das daraus gewonnene Öl wurde ebenfalls zur Parfümierung von Betten (Spr 7,17) und Kleidern (Ps 45,9) verwendet. All diesen Duftstoffen wohnt eine erotisierende bzw. aphrodisierende Bedeutung inne628.
Der Duft, der den König umgibt, ist „ein Zeichen des Lebens“629. Denn durch die Salbung mit duftendem Öl wird ihm göttlicher Wohlgeruch verliehen, so dass er geradezu göttlicher Kraft teilhaftig wird630. „Wie man die dem Menschen gnädige Gottheit an ihrem Wohlgeruch erkennt, so drohend und widrig ist der Geruch der Verwesung, des Todes“631. Olfaktorische Sinneseindrücke sind somit für die Inszenierung einer bestimmten Wirklichkeit nicht zu unterschätzen, wie z.B. Jes 63,1–6 zeigt, wo von stinkenden und schmutzigen Kleidern die Rede ist. Gerade in diesem Text wird deutlich, dass der Geruch, der an Kleidung haftet, in diesem Fall: der saure Geruch der Kleidung, wichtige Aussagen über den Träger der Kleidung enthält632. Negative Gerüche stehen häufig für Verwesung und Tod633. Sie sind somit das Gegenteil der Kraft und Lebensfreude vermittelnden wohlriechenden Duftstoffe, die auch in der Welt der Liebenden eine wichtige Funktion hatten. So heißt es von der in Rolle der Königin gezeichneten Geliebten:
624 625 626 627 628 629 630 631 632 633
Vgl. Maiberger, Art. Kassia, 453. Vgl. Maiberger, Art. Aloe, 79. Das ist eine Sukkulentenart. Vgl. Keel, ZBK.AT 18, 168; Zakovitch, Das Hohelied, 203. Vgl. Westendorf, Bemerkungen, 141; Seidl, „Schön bist du …“, 142. Kügler, Macht, 29. Vgl. dazu Lang, Der vergöttlichte König, 45f; Lohmeyer, Wohlgeruch, 12. Paszthory, Salben, 12. Vgl. Podella, Art. Be-, Entkleiden, 383. Vgl. Jes 34,3; Am 4,10; Joel 2,18–20 und A. Wagner, „Wie ein Duft…“, 9f.
186
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte Bis dorthin, wo der König an seiner Tafel (weilt)634, gab meine Narde ihren Duft. (Hld 1,12)
Die Düfte unterstreichen in besonderer Weise die Anziehungskraft und die Beziehung zwischen den Liebenden. Ja, sie betonen geradezu die Attraktivität des oder der anderen. So auch in einem ägyptischen Liebeslied, in dem die Geliebte ihrem Geliebten verspricht635: Ich lasse dich meine Schönheit sehen, im Gewand von bestem Königsleinen, das mit Balsam getränkt und mit Öl genetzt ist.
Wohlriechende Duftstoffe vermitteln somit positive Sinneseindrücke. Sie vitalisieren636 diejenigen, die von ihnen umgeben sind, und sind daher stets auch „göttliche Emanationen“637, zugleich aber auch Statussymbole, die das Ansehen und Selbstwertgefühl ihrer Nutzer steigern638. Die Erwähnung des Duftes in Ps 45 ist somit mehr als ein schmückendes Beiwerk. Wie der Glanz ist der Duft zumindest in Ägypten ein „mildere[s]“ 639 Zeichen göttlicher Anwesenheit. Erinnern kann man beispielsweise an die Reliefzyklen aus dem Totentempel der Hatschepsut (1479–1458 v.Chr.) in Deir el-Bahari, die von der Zeugung des ägyptischen Königs erzählen640. Interessant ist, wie der Akt der Vereinigung des Gottes, der die Gestalt des menschlichen Königs angenommen hatte, mit der menschlichen Königin geschildert wird641: Er (Amun) fand sie, wie sie ruhte im Innersten ihres Palastes. Sie erwachte wegen des Gottesduftes, sie lachte Seiner Majestät entgegen. Er ging sogleich zu ihr, er entbrannte in Liebe zu ihr. Er ließ sie ihn sehen in seiner Gottesgestalt, nachdem er vor sie gekommen war, so daß sie jubelte beim Anblick seiner Vollkommen634 635 636 637 638 639 640
641
Vgl. zur Übersetzung Keel, ZBK.AT 18, 67. Vgl. Schott, Liebeslieder, 65 und dazu Schottroff, Zugriff, 283. Vgl. Löning, Geruch, 808; Wilde, Schönheit, 95. Paszthory, Salben, 12, vgl. Lohmeyer, Wohlgeruch. Vgl. Keel, ZBK.AT 18, 69. Hornung, Der Eine und die Vielen, 122. Vgl. dazu Brunner, Geburt, 33ff; Hornung, Der Eine und die Vielen, 122f.124; Assmann, Zeugung; Paszthory, Salben, 12; Kügler, Pharao, 18ff: ders., Macht, 31–36; Salo, Königsideologie, 314f; Quack, Einflüsse, 33, vgl. auch Kilian, Tau, 418f. Vgl. dazu auch Ahn, Herrscherlegitimation, 39f; Assmann, Zeugung, 27.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
187
heit. Seine Liebe, sie ging ein in ihren Leib. Der Palast war überflutet von Gottesduft. Und alle seine Gerüche waren solche aus Punt. Auffällig ist, dass der göttliche Duft sich im Palast ausbreitet. „Als Ort eines heiligen Geschehens ist der Palast ein heiliger Ort. Wie in einem Tempel findet hier eine direkte Begegnung von Gott und Mensch statt, und deshalb ist der Palast wie ein Tempel vom Wohlgeruch des göttlichen Weihrauchduftes ganz und gar erfüllt, ‚überflutet‘“642. Der Duft, der die Götter auszeichnet und sie von den Menschen unterscheidet643, weckt die Königin und wird ihr zum Signal für die Gegenwart Gottes. Die Königin aber sagt über den Gott Amun, „nachdem die Majestät dieses Gottes alles, was er wollte, mit ihr getan hatte“644: „Dein Duft ist in allen meinen Gliedern“. Und Amun antwortet: Amun-ist-zufrieden, Herrscher von Theben, ist der Name dieses Kindes, das ich in deinen Leib gegeben habe ... Er wird dieses wohltätige Königtum in diesem ganzen Lande ausüben. Mein Ba gehört ihm, mein Ansehen gehört ihm, meine weiße Krone gehört ihm, er ist es, der die beiden Länder beherrschen wird wie Re ewiglich. Während die bildliche Darstellung jede direkte Schilderung sexueller Beziehung meidet, und „sich auf eine symbolische Andeutung von Gemeinschaft und Übertragung von Lebenskraft (beschränkt)“645, ist die Darstellung des Textes etwas deutlicher, was die Zeugung des Kindes betrifft, doch „auch hier wird jede direkte Schilderung des Sexualaktes vermieden“646. So geht es in dieser Szene „um eine symbolische Überlagerung von Göttlichem und Menschlichem“, die zeigt, dass sich gerade in der Person des Königs die Verbindung von Himmel und Erde realisiert647. Und dabei spielt der Duft eine besondere Rolle.
Möglicherweise ist es in Ps 45 sogar der Duft eines göttlichen Wesens, der von dem König ausgeht und die nächste Szene, in der die Königin im Mittelpunkt steht, vorbereitet. Und dieser Duft erfüllt den Palast. 642 643 644
645 646 647
Kügler, Macht, 35. Vgl. Brunner, Geburt, 51. Zur Interpretation vgl. Quack, Einflüsse, 34, der sich dafür ausspricht, dass „die Königin / Kronprinzessin den Gott bereits wahrnimmt … und die ihn umgebende Aura insbesondere olfaktorischer Art sie bereits voll erreicht hat, der direkte Körperkontakt aber noch aussteht“. Das „nachdem“ bzw. „danach“ würde sich dann auf eine neu einsetzende Handlung beziehen. Kügler, Macht, 32. Kügler, Macht, 32. Vgl. zur Rolle des Königs in Ägypten Assmann, Ma’at, 200–236.
188
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Zum Hofleben gehörte aber auch die Musik648, von deren wohltuenden Klängen im Folgenden die Rede ist. b) Saitenspiel aus Elfenbeinpalästen Der Ort der Musik sind die הֵ יכְ לֵי שֵׁ ן. Der Terminus הֵ יכָלwird im Alten Testament sowohl für Tempelgebäude als auch – allerdings in weit geringerem Maße – für Residenzen und Paläste von Königen verwendet (vgl. Spr 30,28)649. So nennt 1Kön 21,1 beispielsweise den Palast Ahabs in Samaria. In 2Kön 20,18 ist vom Palast des Königs von Babel die Rede650. Und Joel 4,5 erwähnt die Paläste von Tyrus, Sidon und der Philisterstädte als Orte herrlichster Kostbarkeiten. Paläste und Residenzen mit ihrer monumentalen Größe, ihren vielen Räumen651 und der luxuriösen und teuren Ausstattung sind Ausdruck von königlicher Macht und Prachtentfaltung652 und zugleich mit Herrschaftsansprüchen und der Inszenierung des body politic verbunden. So wies z.B. Barrakib, der König von Sam’al, in einer Orthostateninschrift aus dem 8. Jh. v.Chr. darauf hin, dass sich seine Prachtbauten von denen seiner Vorgänger unterschieden653. … Und ich nahm in Besitz den Palast meines Vaters und ich machte ihn schöner als den Palast irgendeines der großen Könige. Und es verlangten meine Brüder, (die) Könige, nach aller Pracht meines Palastes. Und einen prächtigen Palast hatten meine Väter nicht, die Könige von Sam’al. Siehe, der Palast des Kulamuwa war für sie und zwar als Winterpalast für sie, 648 649 650 651 652 653
Vgl. 2Sam 19,36 und Becker, Israel, 85. Zur Musik als Bestandteil des Hoflebens vgl. auch unten S. 195ff. Vgl. dazu Ottosson, Art. הֵ יכָל, 408–415, 409; Zwickel, Art. Palast, 59–61; Deissler, Psalmen, 186, bezieht die Elfenbeinpaläste von Ps 45,9 auf den Tempel. Vgl. ferner den Palast von Ninive Nah 2,7. Am 8,3 ist in diesem Zusammenhang nicht zu nennen, vgl. dazu ausführlich Riede, Vom Erbarmen, 160ff. היכליmeint die verschiedenen Räume innerhalb des Palastes, „aus denen Musik in den Thronsaal herüberschallt“ (vgl. Saur, Königspsalmen, 122 Anm. 33). Vgl. dazu Gerstenberger, Psalms 1, 188; Jungbluth, Im Himmel, 96ff. Vgl. dazu Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 136f und zudem KAI 215, Z. 8f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
189
und er war auch Sommerpalast. Aber ich baute diesen Palast! (KAI 216, Z.11–20) In diesem Palast waren zudem an den Seiteneingängen Orthostatenstelen aufgestellt, die den König zum einen als gerechten Herrscher darstellten654 und zum anderen wohl bei einem Festbankett zeigten655.
Immer wieder sind Paläste im Alten Testament aufgrund ihres luxuriösen Gepränges auch Zielpunkt prophetischer Kritik, so z.B. in Hos 8,14, einem judäischen Zusatz zum Hoseabuch: Israel vergaß seinen Schöpfer und erbaute Paläste, und Juda vermehrte befestigte Städte. Doch ich sende Feuer in seine Städte, dass es deren Palastfestungen verzehrt.
In Aufnahme dessen, was bei Amos breit entfaltet wurde, werden in diesem Wort die Verfehlungen Israels für die Zeitgenossen in Juda aktualisiert. Darum werden beide Staaten, Israel und Juda, bei ihrer Schuld behaftet. Und besonders „die prunkvollen Paläste der Großen und Reichen im Staat“656 sind geradezu Manifestationen solcher Verfehlungen. Vielfach sind die Paläste mit besonderen künstlerischen Dekorationen, wie z.B. zugehauenen oder geschnitzten (Eck-)Säulen657 (vgl. Ps 144,12) oder Elfenbeinpaneelen an Wänden und Möbeln versehen gewesen658. Am 3,15 erwähnt Winter- und Sommerpaläste der Oberschicht von Samaria und daneben Elfenbeinhäuser659, Am 6,4 spricht von Elfenbeinbetten, also mit kostbaren Elfenbeinarbeiten verzierten Liegen, die das luxuriöse Leben der Oberschicht herausstellen660. 1Kön 22,39 hat neben Städten auch das Elfenbeinhaus, das Ahab gebaut hat, im Blick, und Tiglatpileser III. (745–
654 655 656 657 658 659 660
Vgl. dazu die Stele Barrakibs: Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, Abb. 31 und dazu Ueberschaer, Ich und mein König, 27. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, Abb. 28 und Wartke, Sam᾽al, 88 Abb. 99. Jeremias, ATD 24/1, 112. Vgl. Schroer, Frauenkörper, 426f. Vgl. dazu Schroer, Art. Elfenbein, 514; Riede, Art. Elfenbein; Petrasch / Thimme, Elfenbeine, VIII. Vgl. dazu Mittmann, Am 3,12–15, passim. Vgl. Mittmann, Am 3,12–15, passim; Lang, Prophetie, 53.60. Zu „Elfenbeinpalästen“ in neuassyrischen Königsinschriften vgl. Mulder, Studies, 125.
190
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
727 v.Chr.) spricht in seinen Annalen von den aus Syrien stammenden Elfenbeintributen661. Wie die Elfenbeinpaläste, die Ps 45,9 erwähnt, im Einzelnen aussahen, welche ikonographischen Szenen die Reliefs schmückten etc., darüber gibt uns der Psalm keine Auskunft. Es ist aber davon auszugehen, dass dem Sänger und Dichter des Psalms solche Darstellungen bekannt waren, ja vielleicht unmittelbar vor Augen standen662, auch wenn er keine Einzelheiten dazu mitteilt. Doch können wir, was Elfenbeinarbeiten in Palästen angeht, einiges an Informationen zeitgenössischen Artefakten aus Megiddo, Samaria, Tell el-Fara’ (Süd), sowie aus Nimrud und Arslan Tasch entnehmen, die mit entsprechender Vorsicht auch zur Interpretation von Ps 45 herangezogen werden können. So sind bei den Ausgrabungen in Samaria Elfenbeinarbeiten im Bereich des Palastes zahlreich zutage getreten663. Die Masse der eisenzeitlich zu datierenden Funde zeigt eine enge Beziehung zur Herrschaftsschicht auf. Unter den aufgefundenen Gegenständen befinden sich u.a. Salb- und Spielgeräte, Kämme, Intarsien für Holzkästen und Möbel etc. Ferner wurden diverse Wand- und Möbeldekorationen, „die als typisches Merkmal des betreffenden Baus gegolten haben“664, gesichert. Die Stilmerkmale dieser Gegenstände weisen syrischen, phönizischen und ägyptischen Einfluss auf. Zu den Funden, die Möbel verziert haben, dürften die sich wiederholenden Pflanzenornamente (Abb. 23), die Löwenplastik (Abb. 26) und die meisten der Plaketten gehören, wie z.B. die mit dem auch aus Nimrud und Nordsyrien bekannten erotischen Motiv der „Frau im Fenster“ (Abb. 24)665. Nordsyrischen Einfluss zeigen die Tierkampfszene (Abb. 25) und die Sphingenplakette (Abb. 27). Die Motive der Elfenbeine, v.a. Löwe und Sphinx, haben lebensfördernden und zugleich unheilabwehrenden Charakter. Gerade auch die die Lebensbaummotivik aufnehmenden Palmettbäume stehen in Zusammenhang mit „Kontinuität und Gedeihen des Lebens“666 und haben eine „enge Verbindung zum Königtum, zu dessen Hauptfunktionen die Sicherung der Fruchtbarkeit des Landes gehört“667. Mehr noch: „Die Anbringung dieser Symbole auf Gegenständen in 661 662 663 664
665 666 667
Vgl. Pritchard, ANET, 282, Z. 150–157. Vgl. Ueberschaer, Ich und mein König, 16. Vgl. dazu Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 78ff.140ff; Riede, Art. Elfenbein. Fritz, ZBK.AT 10/1, 199; Kapelrud, Art. שֵׁ ן, 317f, vgl. zu den Elfenbeinarbeiten aus Samaria auch Barnett, Ivories; Parrot, Samaria, 49–57; H. Weippert, Art. Elfenbein, 67–72. Vgl. zu dem in Samaria aufgefundenen Exemplar Winter, Frau, Abb. 310. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 81. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 82.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
191
Benutzung des Königs und seiner Umgebung, wie auf Möbeln, Gebrauchsgegenständen und Wandpaneelen etc., überträgt Fruchtbarkeit und Sicherung des Lebens auf den Herrscher, aber auch auf die Reichweite seiner Herrschaft, sein Land, seine Untertanen“668. Und wenn beispielsweise die üblicherweise an Bauten verwendeten Volutenkapitelle in Miniaturform auch Möbel und Gebrauchsgegenstände im Palast zierten, so zeigt sich darin, dass der Herrschaftsanspruch des Hofes „auch im inneren Bereich des Palastes en miniature“669 dokumentiert wurde. All diese Gegenstände zeugen von der hochentwickelten Schnitzkunst, die im Vorderen Orient zwischen dem 9. Jh. v.Chr. und dem Ende der Eisenzeit ihre Blüte erlebte und gerade im Bereich der Paläste für eine künstlerisch hochstehende Prachtentfaltung sorgte.
Abb. 23: Pflanzenornamente: links Palme, rechts Baum (Samaria; 9./8. Jh. v.Chr.).
668 669
Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 82. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 78.
192
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 24: „Frau im Fenster“ (Elfenbeinplakette aus Arslan Tasch, Nordsyrien; 9./8. Jh. v.Chr.)
Abb. 25: Ein Löwe tötet einen Stier (Elfenbeinschnitzerei; Samaria; 9./8. Jh. v.Chr.).
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
193
Abb. 26: Löwenplastik als Teil einer Möbelapplikation aus Samaria
Abb. 27: Menschenköpfiger Sphinx, der einen heiligen Baum flankiert (Samaria; 9./8. Jh. v.Chr.)
194
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Auf solche Ausschmückungen wird in Ps 45 mit dem Terminus „Elfenbeinpaläste“ angespielt670, der in prägnanter Kürze die herausgehobene Wohn- und Lebensweise der Könige umschreibt. Diese Ausschmückungen und das durch sie zum Ausdruck gebrachte Bildprogramm sind Teil der Herrschaftsrepräsentation und unterstreichen den Anspruch des Königtums, die kosmische Ordnung und die Prosperität im Lande zu sichern. In besonderer Weise hatte Elfenbein aufgrund seines Wertes eine repräsentative Funktion. Der Besitz von Elfenbein (vgl. 1Kön 22,39) war ein Privileg des Hofes und der Staatseliten671 und verdeutlichte den Wohlstand der herrschenden Schicht. „Dem Elfenbein kam somit, neben der symbolischen Ebene der Motive, wohl auch materialiter eine Funktion der Objektivierung der Prosperität des Hofes und analog dazu auch des Gesamtstaates zu“672. Die Elfenbeinarbeiten in den Palästen mit ihren verschiedenen Motiven hatten die Aufgabe, die verschiedenen Aspekte und Funktionen des Königtums „primär an eine höfische Audienz und die Benutzer selbst [zu kommunizieren]“673 und „im Sinne einer magischen Sicherung“674 zu realisieren. Insofern passt die Rede von den Elfenbeinpalästen in Ps 45,9, auch wenn deren Bildprogramm nicht im Einzelnen näher beschrieben ist, bestens in das Sujet, das der Psalm zeichnet. Königliche Paläste beeindruckten aber nicht nur durch ihre künstlerische Gestaltung. Sie konnten als „Orte der Wonne“ Stätten der sensuellen Lusterfahrung675 werden, wo die Sinne berauscht und von mancherlei Wahrnehmungen erfüllt wurden. Eindrucksvoll setzt das Gerichtswort Jes 13,22a einst und jetzt kontrastiv gegenüber, wenn es Ninive ankündigt: Schakale werden in ihren Wohnpalästen hausen und Wildhunde in den Palästen der Wonne () ְּבהֵ יכְ לֵי ענג.
670 671 672 673 674 675
Vgl. Kremser, Hochzeit, 178f. Nicht umsonst stammen die weitaus meisten Funde von Elfenbeinarbeiten aus den Palastbereichen der jeweiligen Städte. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 141. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 143. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 143. Vgl. dazu Kronholm, Art. עׇ ַנג, 231.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
195
Es ist eine düstere, ja geradezu makabre Szenerie, die hier entworfen wird. Dort wo einst liebliche Gesänge die Hallen der Paläste erfüllten676, schafft sich nun das unheimliche, Angst erzeugende Heulen von Schakalen und Wildhunden Raum. Dort, wo sonst höfische Kultur ihren Ausdruck fand, ist nun eine Stätte des Chaos und der wilden Natur. Worin sich diese Kultur des Wohllebens und der Wonne im Einzelnen festmacht, zeigt besonders schön Koh 2,8. Der hier sprechende König rühmt sich u.a. mit den Worten: Ich häufte mir Silber und Gold an und das Eigentum von Königen und Ländern. Ich besorgte mir Sänger und Sängerinnen und die höchste Lust der Menschensöhne: Brüste über Brüste677.
Der Text schildert die Maßnahmen des Königs zur Steigerung seines Lebensgenusses. Nicht nur die kostbarsten Materialien sind darunter sowie Ländereien, auch „Sänger und Sängerinnen gehören zum Palastpersonal und verleihen der Tafel und den Festen des Königs Glanz und Stimmung“678. Auch Sänger und Sängerinnen stehen, wie Diener und Höflinge, im Dienst der Repräsentation des Königs679, wie bereits die Elfenbeinarbeit aus Megiddo zeigt, wo eine Leierspielerin das königliche Siegesfest musikalisch umrahmt680. Wie sehr gerade die Sänger und Sängerinnen das Hofleben ausmachten, unterstreicht 2Sam 19,36681: Barsillai, der Gileaditer, ein wohlhabender, einflussreicher Mann, wird von David an seinen Hof eingeladen. Doch Barsillai lehnt diese Einladung mit den Worten ab: „Ich bin nun 80 Jahre alt. Sollte ich da noch unterscheiden können zwischen gut und böse, oder sollte dein Knecht noch schmecken können, was ich esse und trinke, oder sollte ich noch die Stimme der Sänger und Sängerinnen hören können?“ 676 677 678
679 680 681
Vgl. dazu Wildberger, BK X/2, 523f. Zur Übersetzung vgl. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 212; Krüger, BK XIX Sonderband, 125. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 212. Zur Musikkultur Altisraels vgl. auch Hartenstein, Musikinstrumente; J. Braun, Musikkultur; Wallis, Art. Musik / Musikinstrumente, 1261f. Vgl. Augustin, Art. Schönheit, 497. Vgl. dazu oben S. 184 und R. Kessler, David musicus, 83f. Vgl. dazu Neumann-Gorsolke, Barsillai, 383.
196
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Alles, was das Leben ausmacht, aller Lebensgenuss, der mit dem Geschmack und dem Hören zusammenhängt, ist für Barsillai nicht mehr zu erwarten. Zu den „Annehmlichkeiten am Jerusalemer Hof“682 gehört, wie ganz nebenbei erwähnt wird, besonders auch die Musik, von der Barsillai aber nichts mehr hat. 1Kön 10,11f unterstreicht ebenfalls die große Bedeutung der Musik am Königshof, wenn es dort von Salomo heißt: (11) Auch brachten die Schiffe Hirams, mit Gold aus Ophir beladen, aus Ophir Almuggim-Hölzer in großer Menge und Edelsteine. (12) Es machte der König aus Almuggim-Hölzern Täfelungen (?) für das Haus JHWHs und für den Palast des Königs und Leiern ( )כִּ נרֹותund Harfen ( )נְ בָ לִּ יםfür die Sänger.
Die genannten Almuggim-Hölzer683 wurden auch für die Anfertigung von Saiteninstrumenten benötigt, wie sie in Ps 45,9 vorausgesetzt sind. Die Verbindung von prachtvollen Intarsien und hochwertigen Materialien, die auch für die Herstellung von Musikinstrumenten als Quelle des Vergnügens Verwendung fanden, findet so in der „Lieferliste“ 1Kön 10,11f einen weiteren Beleg. All diese Stellen verdeutlichen die Prachtentfaltung eines königlichen Hofes. Gold und Edelsteine und wertvolle Hölzer unterstreichen den Luxus, der mit dem Königtum verbunden war. Und professionelle Orchester mit Instrumenten aus teuren Materialien untermalen einmal mehr das Prestige eines altorientalischen Königshofes684. Auch in Ps 45 ist mit den Elfenbeinpalästen nicht von ungefähr gerade die Musik als Quelle der Freude verbunden. Besondere Erwähnung finden hier die Saiteninstrumente685.
682 683 684 685
Stoebe, KAT VIII/2, 429. Vgl. dazu Riede, Sandelholz. Vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 142. Vgl. dazu und zu Gegenvorschlägen der Deutung Kremser, Hochzeit, 180–184.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
197
Abb. 28: Leierspieler (Detail aus dem Relief mit der Darstellung der Eroberung der Stadt Lachisch aus dem 8. Jh. v.Chr.) Das hebräische *„ מֵ ןSaite“, im Pl. „Saiteninstrument“ ist im Alten Testament nur selten belegt. Neben Ps 45,9 findet sich das Wort noch in Ps 150,4 und in Sir 39,15. In Ps 150,4 kommt es im Rahmen eines Aufrufs zum Gotteslob in einer Aufzählung mehrerer Instrumente vor. Es heißt dort: Lobet ihn mit Handtrommel und Reigentanz, lobet ihn mit Saiten und Flöte! Die beiden letztgenannten Instrumente sind nicht klar zu definieren. „Entweder handelt es sich um Gattungsbezeichnungen für Saiteninstrumente und Blasinstrumente …, oder auch das zweite Instrument ist ein Saiteninstrument“686. Saiteninstrumente spielten im Alten Orient eine große Rolle687. Belegt sind vor allem die Harfe, die Leier und die Laute. Während die Harfe im Alten Testament nicht genannt wird, ist die Leier mit über 42 Nennungen das am meisten in den Blick genommene Musikinstrument überhaupt. Nicht von ungefähr erscheinen auch auf einem Re686 687
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 101–150, 880, vgl. Mathys, Psalm CL. Vgl. Rüger, Art. Musikinstrumente, 234f; B. Schmid, Art. Musikinstrumente.
198
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
lief Sanheribs, das die Eroberung der judäischen Stadt Lachisch zeigt, unter den aus der Stadt herausgeführten Gefangenen Leierspieler (vgl. Abb. 28). Und die Tributliste Hiskias, die aufführt, was dieser an Sanherib 701 v.Chr. ausliefern musste, weist neben wertvollen Gegenständen wie elfenbeinernen Betten, elfenbeinernen Lehnsesseln, Elefantenhaut, Elfenbein, Ebenholz, Buchsbaumholz, Schätzen, königlichen Töchtern und Palastdamen auch Sänger und Sängerinnen auf, die in die Deportation nach Ninive ziehen mussten688. Diesen kam aufgrund ihrer Nähe zum Königshaus „sicherlich ein hoher Status“689 im Rahmen der höfischen Gesellschaft zu.
Der Duft, die prächtigen Kleider, die architektonische Pracht der elfenbeingeschmückten Räume und die Musik betonen den festlichen Charakter und dienen zur Erfreuung des Königs, zur Herzenserhebung. All diese Sinneseindrücke lösen zugleich ehrfürchtige Schauer und Wirkungen im Herzen der Menschen aus. Der letzte Teil der in Koh 2,8 enthaltenen Aufzählungen von königlichen Lustbarkeiten ist auch für die Erklärung von Ps 45 besonders interessant, wenn diese durch die Wendung „ ִּשׁדָ ה וְ ִּשׁדֹותBrüste über Brüste“ näher konkretisiert werden. „Zu einem altorientalischen Königshaus gehörte ein gut geführter Harem (vgl. Est 2)“690. So ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass nach der Schilderung der königlichen Pracht in Ps 45,9 im Folgenden der Blick auf die Frauen im königlichen Palast geworfen wird (vgl. V. 10). Dementsprechend führt der zweite Teil des Psalms eine andere Personenkonstellation vor Augen. Hier geht es um die königliche Gemahlin, die zur Rechten des Königs stehend angesprochen wird. Diese Anrede der Gemahlin steht in Parallele zur Anrede des Königs im ersten Teil des Psalms. IV. Zusammenfassung Der erste Teil des Psalms führt den König in seiner kriegerischen und juridischen Funktion vor Augen. Vorausgesetzt ist eine offizielle Zeremonie, innerhalb derer die Herrlichkeit des Königs und seines Hofes gerühmt wird691. 688 689 690 691
Vgl. dazu TUAT I, 390; Kiesow, Löwinnen, 79f; Pruzsinszky, Musikerinnen, 27‒ 29. Pruzsinszky, Musikerinnen, 28. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 212. Vgl. Gunkel / Begrich, Einleitung, 155; Salo, Königsideologie, 155 Anm. 29.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
199
Schon seine Schönheit hebt ihn von anderen Menschen ab. Allerdings ist diese Schönheit nicht allein eine biographische Note oder Eigenschaft der Person, sondern Zeichen und Realisation der unmittelbaren Beziehung zwischen König und Gott. Gleichzeitig zeigt die Schönheit den herausgehobenen Status des Königs an. Seine besondere Stellung wird auch in seinem Reden deutlich. Die „Anmut seiner Lippen“ drückt die positive Potenz der herrscherlichen Macht aus. An der Schönheit des Königs ist aber auch zu erkennen, dass Gott den König gesegnet hat. Dieser Segen kann sich immer neu in der Amtsführung des Königs manifestieren, z.B. indem er zum Segensmittler für sein Volk wird, und dies auf Dauer. Der vom König ausgehende Segen kann verschiedenste Lebensbereiche umfassen, z.B. auch die Natur (Ps 72). Nach der grundsätzlichen Beschreibung folgen verschiedene Konkretionen: Die Rolle des Königs ist mit besonderen Aufgaben verknüpft692: Zum einen hat er als kriegerischer Held auch militärisch die Ordnung der Welt zu sichern, die ständig von feindlichen, chaotischen Mächten bedroht wird. Der König wird daher in Ps 45 aufgefordert, sich zum Kampf zu rüsten und zum Kampf auszuziehen. Hierbei kommen auch seine Waffen in den Blick, zunächst das Schwert. Zur Ausrüstung des Königs gehört aber auch sein Lichtglanz. Ihn soll der der König wie ein Kleid anziehen, das ihn umgibt und ihn zum strahlenden Helden macht, der die Feinde überwindet und das Recht sichert. Dieser Lichtglanz, der die Feinde in Schrecken versetzen soll, garantiert den Erfolg der Schlacht. Durch den Lichtglanz partizipiert der König an der Macht des Weltenkönigs JHWH und amtiert als sein Stellvertreter in der Welt. Nach dem Schwert als Nahkampfwaffe kommt mit dem Bogen auch die Fernkampfwaffe des Königs in den Blick, die er ebenfalls für den Kampf vorbereiten soll. Nah- und Fernkampfwaffen unterstreichen die allumfassenden Möglichkeiten des königlichen Handelns. Auch der Bogen ist ein Herrschaftssymbol. Der Wunsch „Habe Erfolg!“ bezieht sich auf das kriegerische Handeln des Königs. Er passt in den Zusammenhang der Zurüstung und Amtsführung des Königs. Auch der Auszug zum Kampf wird in den Blick genommen: Der König soll „dahinfahren“, gemeint ist sicherlich auf dem Streitwagen, der im Alten Orient ein machtvolles Herrschaftszeichen darstellte. Gerade in den Streitwagen manfestierten sich die militärische Macht eines Königs, aber
692
Vgl. Gunkel / Begrich, Einleitung, 155.
200
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
auch seine Schönheit und Herrlichkeit693. Sie galten daher auch als Statussymbol. Mit dem Bespannen und Besteigen des Streitwagens beginnt ein Kriegszug. Der Kampf im Krieg ist nach Ps 45 aber nicht Selbstzweck oder Ausdruck eines selbstherrlichen Potentatentums. Der Kampf dient vielmehr der Durchsetzung von Wahrheit und Gerechtigkeit in der Welt. Damit wird auf die von Gott gesetzte Weltordnung Bezug genommen, deren Garantie und Durchsetzung Aufgabe des königlichen Helden ist. Die königliche Kriegsführung soll mit furchterregenden Taten einhergehen (V. 5b). Hier wird das Motiv des Niederschlagens der Feinde aufgenommen, das im Alten Orient mit dem Königtum verbunden ist. Durch das Niederschlagen werden die Feinde in Furcht versetzt. Zugleich wird der Herrscher auch aufgefordert, seine Machtmöglichkeiten umzusetzen. „Der König, der siegreich gegen seine Feinde ins Feld zieht und seine militärischen Möglichkeiten ausbaut, zeigt Macht, Stärke und militärische Potenz. Das Bild des siegreichen, königlichen Kriegsherrn drückt demzufolge einen politischen Herrschaftanspruch aus …“694. Es ist eine Bewegung nach vorwärts intendiert, die auf ein Ziel ausgerichtet ist. Der Kampf richtet sich gegen die äußeren Feinde, das Ziel dieser Bewegung sind die Völker, die letztlich die Herrschaft des Königs huldigend anerkennen müssen (vgl. V. 18). Ein letzter Abschnitt nimmt den Sieg über die Feinde in den Blick. Dabei kommen dann auch die Pfeile des Königs zum Einsatz. Wiederum sind es also Fernkampfwaffen, wobei nun auch deren Ziel näher genannt wird: Es sind die Völker, die der König unterwirft. Ihre feindlichen Unternehmungen werden durch die kriegerischen Aktivitäten des Königs beendet. Bei all dem spielt das Heer des Königs keine Rolle695. In seiner kriegerischen Funktion ist er allein im Blick. Nach den Rollenbeschreibungen des Königs als „kriegerischer Held“ kommt eine zweite Bestimmung seines Amtes hinzu: Der König als Sachwalter des Rechts. Nun werden Thron, Szepter und Amtskleidung als königliche Regalien eingeführt. Diese Regalien sind Ausdruck einer dauerhaften Herrschaft. Dabei steht der Thron für das Zentrum der Macht, von hier aus führt der König seine Amtsgeschäfte. Durch die Inthronisation durch Gott wird der König in eine Zwischenwelt zwischen politisch-ge693 694 695
Vgl. Keel, AOBPs, 259 und oben S. 115ff. Jungbluth, Im Himmel, 94. Vgl. Gunkel / Begrich, Einleitung, 160, vgl. ebd. 163.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
201
schichtlicher und transzendenter Sphäre versetzt. Wenn Ps 45 zusätzlich von der Ewigkeit des Thrones spricht, dann wird damit die Beständigkeit der davidischen Dynastie thematisiert. Das Szepter des Königs dagegen steht für seine Leitungsaufgabe, für kraftvolle Herrschaft, die durch das Nomen ִּמישֹׁורals „geradlinig“ interpretiert wird und so das Gegenteil einer unterdrückerischen Gewaltherrschaft darstellt. Der Hinweis auf das Lieben der Gerechtigkeit und das Hassen des Frevels umschreibt treffend diese ideale Form der Herrschaftsausübung, gründet das Königtum doch buchstäblich auf der Gerechtigkeit als Säule des Staates. Im ersten Abschnitt des Psalms stehen somit räumliche (Ausweitung des königlichen Herrschaftsbereichs), zeitliche (Ewigkeit) und relationale (Recht und Gerechtigkeit) Aspekte des königlichen Amtes im Vordergrund der Betrachtung696. Im Rahmen der Salbung als Teil des Festzeremoniells wird die besondere Stellung des Königs „vor seinen Gefährten“ nochmals betont. Sie ist die göttliche Bestätigung des Herrschers. Auch die Gewänder des Königs sind wie Thron und Szepter Teil der Herrschaftsrepräsentation; ihr Wohlgeruch stellt einmal mehr den besonderen Status des Königs „zwischen Mensch und Gott“ heraus. Insgesamt ist die Szene, die die Verse 3ff vor Augen haben, im königlichen Palast zu lokalisieren, dessen architektonische Pracht ebenfalls die besondere Stellung des Königs (body politic) unterstreicht697. Gerade in der Architektur und der luxuriösen Ausgestaltung des Palastes durch Elfenbeinarbeiten zeigen sich der Wohlstand des Hofes und der Herrschaftsanspruch des Königtums698, während das Bildprogramm der Schnitzereien einer magischen Sicherung der Herrschaft gleichkommt699. Wohlriechende, erotisierende Düfte und erhabene Klänge, der Glanz von Farben und Lichtern700, die Darstellung von Reichtum und Pracht, ja, die „ganze Herrlichkeit des wundervollen Raumes mit seiner ehrwürdigen Pracht, die kostbaren, buntfarbigen Gewänder aller der versammelten Edeln, darunter die erste Person des Staates in vollem Ornat, … die aufwirbelnden Wolken
696 697 698 699 700
Vgl. Krusche, Königtum, 301; Schröder, „A Love Song“, 420f. Vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 136f bezogen auf die Könige von Samʾal. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 36. Vgl. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 139ff. Vgl. Keel, AOBPs, 259.
202
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
köstlicher Wohlgerüche: alles dies muss man sich vor Augen stellen“701, um Ps 45 zu verstehen. Die Epitheta, die dem König zugesprochen werden, unterstreichen seine herausgehobene Stellung. Der König erscheint zum einen in der Rolle des kriegerischen Helden. Damit ist ein mächtiges, kraftvolles Auftreten verbunden, das sich in entsprechenden Taten manifestiert. Der Gebrauch von Waffen, die es dem König erlauben, gegen seine Feinde vorzugehen, ist dabei von großer Bedeutung. Der Titel אֱֹלהִּ יםdagegen unterstreicht die besondere Stellung, die der König zwischen Mensch und Gott hat. Er bezieht sich auf die Grundfunktion des Königtums, nicht auf den König als Person. In seiner Funktion als Amtsträger ist der König „Gott“. אֱֹלהִּ יםist so eine funktionale, auf die Dauerhaftigkeit der Amtsführung und den body politic bezogene Bestimmung, keine biographische. Somit wird dem König auch keine Unsterblichkeit zugesprochen702, sondern auf die Beständigkeit des Amtes abgehoben. Den Psalm mit einem bestimmten König in Verbindung zu bringen, ist nicht möglich, „[e]infach weil hier kein bestimmter König geschildert wird, sondern der König, der ideale Typus“703. Es ist also ein „Herrscherideal“704, was Ps 45 vor Augen führt. So war es grundsätzlich möglich, die Aussagen über den König auf verschiedene Könige anzuwenden. Die allgemeine Zuschreibung לְ מלךist u.U. ein Hinweis auf diese Übertragungsmöglichkeit, ja vielleicht ist sie geradezu als eine Art Platzhalter705 anzusehen, um bei der Inbezugnahme auf einen bestimmten König durch dessen Namen ersetzt zu werden.
701 702 703 704 705
Gunkel / Begrich, Einleitung, 144. Anders Gunkel / Begrich, Einleitung, 160 mit Verweis auf Ps 21,5; 45,5.7; 61,7f; 72,5; 110,3f. Mowinckel, Psalmenstudien III, 99. Gunkel / Begrich, Einleitung, 159. Dies ist z.B. für ägyptische liturgische Handschriften nachweisbar, wo statt eines konkreten Königsnamens als „Platzhalter“ der Titel „Pharao“ erscheint, vgl. dazu Quack, Einflüsse, 30.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
203
C) Der Lobpreis der Königin (V. 10–16) Die Hinweise auf den Glanz des Königtums finden ihre Fortsetzung im zweiten Teil des Psalms, der mit dem Themawort ּבְ נֹות ְמלָכִּ יםbeginnt. Durch dieses Themenwort wird angezeigt, dass nun die weibliche Seite des Königtums in den Blick genommen wird1. So wie der König unter allen Menschen ( )ּבְ נֵי אָ דָ םherausgestellt wird (V. 3), so die Königsgemahlin ( )שֵׁ גַלunter den Königstöchtern (V. 10)2, wobei diese zuerst genannt werden. Auffällig ist, dass in V. 10–15 verschiedene Bezeichnungen von Frauen3 aus dem königlichen Umfeld angeführt werden4: V. 10a
die ּבנֹות ְמלָכִּ ים: ְ Sie sind wohl Teil des königlichen Harems.
V. 10b
שֵׁ גַל
V. 11
ּבַ תin einer Anrede. Auf sie beziehen sich die Pronominalsuffixe in V. 12.
V. 13a
ּבַ ת־צר: vermutlich eine präzisierende Aufnahme von ּבַ תin V. 11.
V. 14
ּבַ ת־מלך: Diese Person ist mit der ( ּבַ תV. 11) gleichzusetzen. Bei der ּבַ ת־מלךhandelt es sich um einer der ְּבנֹות ְמלָכִּ יםaus V. 10a. Auf die ּבַ ת־מלךnimmt V. 15a Bezug.
V. 15
ֵרעות → ְּבתּולֹות: Bei diesen Frauengruppen handelt es sich um das Gefolge der ּבַ ת. Auf sie nimmt V. 16 Bezug.
Abb. 29: Bezeichnungen für Frauen im Umfeld des Königs
Natürlich ist die Gemahlin eine der Königstöchter5, die dem König entgegengehen. Das bedeutet: Bei der ( שֵׁ גַלV. 10), der ( ּבַ תV. 11), der ּבַ ת־צר (V.13a) und der ( ּבַ ת־מלךV. 14) handelt es sich um ein und dieselbe Person6. „Wenn man annehmen wollte, dass es sich dabei um vier verschiedene Personen handelt, wäre eine sinnvolle Interpretation des Psalms kaum noch zu erreichen“7. 1 2 3 4 5 6 7
Lim, Königsideologie, 180. Vgl. Kraus, BK XV/1, 492; M. Müller, Herr, 117. Vgl. zur folgenden Zusammenstellung Kiesow, Löwinnen, 84ff; Vette, „Wer ist wer“, 213; ders., „Who is Who“, 123; Salo, Königsideologie, 156. Bei Salo, Königsideologie, 159, führt dies zur Annahme eines Textwachstums. Vgl. Vette, „Wer ist Wer“, 213; ders., „Who is Who“, 123. Vgl. Kremser, Hochzeit, 210. Kremser, Hochzeit, 210.
204
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
So wie der König durch Pracht und Glanz unter den Menschen hervorgehoben ist, so die Königin durch ihren Goldschmuck8 und ihre golddurchwirkten Prachtgewänder9 (vgl. V. 10–14) gegenüber den anderen Frauen des königlichen Harems, der ebenfalls Ausdruck der königlichen Machtfülle ist10. I. Die Einleitung (V. 10) 1. „Königstöchter sind unter deinen Kostbarkeiten“ Der Terminus ּבְ נֹות ְמלָכִּ יםfindet sich im Alten Testament nur selten. In Jer 41,10 (vgl. ebenso Jer 43,6) umschreibt die Wendung „ ּבְ נֹות הַ מלךwohl die verbliebenen weiblichen Angehörigen des Königshauses“11, also Prinzessinnen, die von Ismael gewaltsam von Mizpa weggeführt werden: Ismael führte gefangen fort den ganzen Rest des Volkes, der in Mizpa war, die Töchter des Königs und das ganze Volk, das übriggbelieben war in Mizpa ...
Die Stelle trägt für die Interpretation von Ps 45,10 allerdings nur wenig aus, da die weiblichen Nachkommen der judäischen Königsfamilie im Blick sind. Ps 45 dagegen dürfte mit dem Ausdruck ּבְ נֹות ְמלָכִּ יםauf Prinzessinnen12 aus anderen, ausländischen Königshäusern anspielen, so wie in 2Kön 9,34, wo die Bezeichnung ּבַ ת מלךsich auf Isebel bezieht, die durch diese Titulatur gegenüber anderen Frauen herausgehoben wird. Jehu fordert die Höflinge Ahabs in Samaria auf: Seht nach dieser Verfluchten und begrabt sie, denn schließlich ist sie eine Königstochter.
8
9 10
11 12
Vgl. Westermann, Das Schöne, 128. Zu כתםvgl. unten S. 212f. Auch in Ägypten war die Königin gegenüber anderen Frauen am Königshof durch ihr Ornat herausgehoben, vgl. Roth-Hoffmann, Art. Königin (Ägypten), Abschnitt 2.2. Vgl. dazu bes. Ez 28,12f. Vgl. Augustin, Der schöne Mensch, 157; zum Harem des Königs s. 2Sam 15,16; 16,21f; 1Kön 11,3; Koh 2,8. Zur Problematik des Ausdrucks „Harem“ vgl. Kiesow, Löwinnen, 67ff. G. Fischer, Jeremia 26‒52, 390; Wanke, ZBK.AT 20/2, 366. Vgl. Graetz, Psalmen, 320; R. Müller, Schönheit, 24.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
205
Aufgrund der besonderen Herkunft Isebels als phönizischer Prinzessin (1Kön 16,31) soll ihr zumindest ein Begräbnis zukommen. Dass am königlichen Hof Frauen aus Königsgeschlechtern anderer Staaten lebten, zeigen verschiedene andere Stellen, so z.B. Hld 6,8f: 8 9
Sechzig Königinnen ()מלָכֹות ְ sind es und achtzig Konkubinen ()פִּ י ַלגְ ִּשׁים und junge Frauen ( ) ֲעלָמֹותohne Zahl. Eine ist meine Taube, mein Alles, die einzige für ihre Mutter, ohne Fehler für jene, die sie gebar. Die Töchter ( )ּבָ נֹותsehen sie und nennen sie glücklich, die Königinnen ()מלָכֹות ְ und Konkubinen ( )פִּ ילַגְ ִּשׁיםrühmen sie.
Drei unterschiedliche Ränge von Frauen am Königshof werden aufgeführt: Zunächst werden die Königinnen ()מלָכֹות ְ genannt, dann die Konkubinen ()פִ ילגְ ִשׁים13 und schließlich die jungen Frauen () ֲעלָמֹות14, die ebenfalls zum Palast gehörten und z.T. mit musikalischen Aufgaben betraut waren15. Der Terminus „Königin“ ( )מַ לְ כָהist im Alten Testament selten und kommt nur in Bezug auf ausländische Königinnen vor16. Erwähnt werden die Königin von Saba (1Kön 10) und dann im Buch Esther die Königinnen Vashti (Est 1) und Esther (Est 2,17)17. „Neben Ausländerinnen können somit eine judäische Königin ausländischer Herkunft und eine persische Königin judäischer Herkunft als ‚Königin‘ bezeichnet werden“18. Doch war die Bezeichnung „offensichtlich nicht gebräuchlich“19, so dass selbst die Königin Athalja nicht mit dieser Titulatur versehen wird, wenngleich ihre Regierungstätigkeit mit dem Partizip von מלךq. ausgedrückt wird (2Kön 11,3). In Hld 6,8f überrascht zunächst die große Zahl von Königinnen, gab es doch an den altorientalischen Höfen immer nur eine „Große königliche Gemahlin“ bzw. eine Königin (vgl. Est 2,17), und bezogen auf die Kö13 14 15 16 17 18 19
Vgl. Engelken, Frauen, 74ff; dies., Art. ;פִּ לגשׁRabin, The Origin; Lee, Symbole, 226f; Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.3.2.1. Vgl. Engelken, Frauen, 44ff. Vgl. Engelken, Frauen, 72. Für die Verhältnisse in Assyrien vgl. Ziffer, Belts, 652. Vgl. Smith, „Queenship“, 143; Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.1.1. Vgl. Ringgren / Seybold / Fabry, Art. מלך, 940. Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.1.1. Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.1.1.
206
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
nigreiche in Israel und Juda wird in der Regel von den „Frauen des Königs“ gesprochen (2Sam 12,8; Jer 38,23), aber nicht von der Königin. Der Terminus „Königinnen“ in Hld 6,8 dürfte daher „eine etwas pathetische Bezeichnung für das sonst übliche ‚Frauen des Königs‘ bzw. ‚Fürstinnen‘ sein“20. Zusätzlich zu diesen Frauen, denen eine besondere Stellung zukam, gab es Nebenfrauen, „die einen sozial niedrigeren Rang“21 einnahmen, zugleich aber das Prestige des Herrschers mehrten. In Hld 6,8 werden sie פִ ילגְ ִשׁיםbzw. ֲעלָמֹותgenannt. Die פִ ילגְ ִשׁיםdürften eine Gruppe von Nebenfrauen bezeichnen, die durchaus Verantwortung übertragen bekommen konnten, wie das Beispiel der zehn Nebenfrauen zeigt, die David bei seiner Flucht vor Absalom in Jerusalem zurückließ, um das Haus zu bewachen (2Sam 15,16; 16,21f; 20,3)22. Die „jungen Frauen“ dürften eine weitere Klasse von Frauen im königlichen Harem darstellen, ohne dass deren genauer Status klar wird23. Im folgenden Vers werden sie „Töchter“ genannt. Wahrscheinlich handelte es sich bei dieser Gruppe von Frauen um Hoffräulein, „um Töchter, die am Hofe allerlei Dienste leisten und dafür eine Erziehung erhielten“24. Sie bildeten die Begleitung von höherstehenden Frauen am Hofe. Auch 1Kön 11,3 ermöglicht einen Blick auf den weiblichen Teil des Königtums: Salomo hatte 700 Frauen von Rang ( )שָׂ רֹותund 300 Konkubinen ))פִּ ַלגְ ִּשׁים.
Mit dem Begriff שָׂ רֹותsind nicht Fürstinnen gemeint, sondern „offizielle Frauen“, solche also, „die den Rang von Gemahlinnen des Königs bekommen hatten“25. Auffälligerweise ist in dieser Notiz die Herkunft der Frauen nicht im Blick. Interesse besteht allein „an der großen Zahl, und zwar im 20 21 22 23 24
25
Keel, ZBK.AT 18, 203. Engelken, Art. פִּ לגשׁ, 587. Vgl. Engelken, Art. פִּ לגשׁ, 598. Vgl. Zakovitch, Das Hohelied, 236. Keel, ZBK.AT 18, 203. In Assyrien finden sich im Gefolge der Königin beispielsweise Köchinnen, Kelchträgerinnen, Musikantinnen und Sängerinnen, Weberinnen und Schatzverwalterinnen, vgl. Ziffer, Belts, 652; belegt sind ferner Frauen in der Funktion von Schreiberinnen, Haushälterinnen und Salbenmischerinnen, vgl. Schottroff, Zugriff, 281f und 1Sam 8,13; Landsberger, Wortgleichungen, 202f. Für Sumer vgl. Vogel, Frauen in Mesopotamien, bes. 13. Für Ägypten vgl. Helck, Art. Palastverwaltung, 651; für Juda vgl. Jost, Königin, Abschnitt 2.3.6. Noth, BK IX/1, 241, vgl. Engelken, Frauen, 81; Zwickel, Leben, 37f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
207
Sinne einer bewundernden Darstellung des auch in dieser Hinsicht erstaunlichen Reichtums Salomos“26, der eben nicht nur eine große Menge an Gold (1Kön 10,21) oder an Streitwagen (1Kön 10,26) umfaßt haben soll. Auch in diesem Text wird zwischen offiziellen Frauen und nicht offiziellen Konkubinen unterschieden. Unter all diesen Frauen hebt Hld 6,9 die eine Geliebte hervor, die von ihrem Geliebten „seine Taube“ und „sein Alles“ genannt wird. Interessanterweise wird diese Sonderstellung wie in Ps 45 von anderen bestätigt. „Dazu braucht es den Hofstaat“27. Angefangen vom untersten Rang der Frauen bei Hofe bis hin zu den hochstehenden Damen, den Königinnen und Konkubinen, wird die eine Geliebte gerühmt und glücklich gepriesen, ja sie wird in einem kleinen Lied besungen (vgl. V. 10). Dadurch erhält die so Gepriesene einen „absolut superlativischen Status als einsame Spitze an der Stufenpyramide“28 der Damen des Hofes. Dass der Reichtum des Königs auch an einem großen Harem sichtbar wird29, könnte nun auch in Ps 45,10 in dem Stichwort „ יִּ קְ רֹותיךdeine Kostbarkeiten“ mitschwingen30. Solche Kostbarkeiten können aus wertvollen Kultur- und Luxusgütern bestehen, wie etwa Jer 20,5 nahelegt, wo sie neben Schätzen der Könige von Juda erwähnt werden. Als besonders kostbar wurden beispielsweise Edelsteine angesehen (1Kön 10,2.10f; Ez 27,22; 28,13ff)31; z.T. steht das Wort יקרauch allgemein für Reichtum. Immer wieder hat die Wurzel יקרzudem „die Funktion, Hoheit, herrscherliches Ansehen, den herausgehobenen Status einer Person zu prädizieren“32, wobei dabei materielle und immaterielle Werte ineinander übergehen können bzw. die materiellen Werte die ideellen unterstreichen und konkretisieren. Besonders deutlich wird die Durchdringung dieser Wertvorstellungen im Estherbuch beim Gastmahl des Ahasveros, wo dessen Macht, Ehre und Ansehen gepriesen wird als Reichtum der Ehre seines Königtums und Kostbarkeit des Schmuckes seiner Größe ()יְ קָ ר ִּתפְ ארת גְ דּולָתֹו. (Est 1,4)
26 27 28 29 30 31 32
Noth, BK IX/1, 247. Keel, ZBK.AT 18, 204. Keel, ZBK.AT 18, 205.207. Vgl. dazu de Vaux, Lebensordnungen I, 187; Hupfeld, Psalmen 2, 365; R. Müller, Schönheit, 24. Anders Kremser, Hochzeit, 186, der davon ausgeht, dass die Königstöchter mit Kostbarkeiten ausgestattet sind oder sich in Kostbarkeiten präsentieren. Vgl. S. Wagner, Art. יָקַ ר, 856–858. Zum Wortfeld gehört auch die Wurzel כבד. S. Wagner, Art. יָקַ ר, 861.
208
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Wenn Ps 45,10 von den Königstöchtern als Kostbarkeiten des Königs spricht, dann ist dieser Sprachgebrauch mit den bisherigen Beobachtungen zur Wurzel יקרgut in Einklang zu bringen. Gerade an den vielen Königstöchtern im Harem des Königs wird nämlich seine königliche Sonderstellung besonders virulent33. Dass auch Menschen als „kostbar“ bezeichnet werden können, zeigt beipielsweise Jer 31,20, wo Ephraim als „teurer Sohn“ ( )ּבֵ ן יָקִּ ירbezeichnet wird. Ist Ephraim mir ein teurer Sohn oder ein Lieblingskind, dass, sooft ich es erwähne, ich wieder stark mich seiner erinnere? Durch diese Bezeichnung – das Adjektiv ist nur hier belegt – wird der „besondere Wert“34 dieser Person zum Ausdruck gebracht, so dass bei „jedem Aussprechen des Namens“35 ein heftiges Erinnern die Folge ist. Hinzuweisen ist aber auch auf Thr 4,2, wo die Kinder Zions als „edel“, dem Golde gleichgeachtet beschrieben werden.
Ähnlich wie in Hld 6,8f wird in Ps 45 die eine unter den Königstöchtern durch ihren Platz an der Rechten des Königs hervorgehoben36. 2. Das Stehen der שֵׁ גַלzur Rechten Die hervorgehobene Frau an der Seite des Königs wird mit dem Terminus שֵׁ גַלbezeichnet (V. 10), der zugleich das Thema das zweiten Teils des Psalms aufnimmt und weiterführt. Dieser Begriff ist vermutlich abzuleiten von akkadisch ša ekalli „zum Palast gehörige Königsfrau“37. Es handelt sich somit wohl um ein Fremdwort, das eine Palastdame oder die Königsgemahlin38 bezeichnet. Andere leiten 33
34 35 36
37 38
Anders Salo, Königsideologie, 155, die kommentiert: „Die Königstöchter haben eine erlesene Herkunft und sind hier entsprechend mit den Schmuckstücken der königlichen Schatzkammer geschmückt“. G. Fischer, Jeremia 26–52, 161; Wanke, ZBK.AT 20/2, 288, vgl. Keßler, Psalmen, 98. G. Fischer, Jeremia 26–52, 161. Vgl. M. Müller, 110, zu V. 10: „Dieser klimaktische Parallelismus hat durch die Gegenüberstellung von den vielen (ohne Attribute) und der einen in ihrem Schmuck zugleich auch adversativen Charakter“. Zur Diskussion vgl. auch Kiesow, Löwinnen, 127–130; Lim, Königskritik, 180– 182; Svärd, Women, 177–223. Vgl. AHW 193; GB18, 1323.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
209
den Begriff ab39 vom eher pejorativ gebrauchten Verb „ שׁגלbeischlafen“ (vgl. Dtn 28,29b.30)40, was wenig wahrscheinlich ist. Chr. Schröder wiederum setzt die Begriffe שֵׁ גַלund גְ בִּ ָירהgleich und kommt zu dem Schluss, in V. 11ff rede die Königinmutter41, die die „Braut“ ermahne42. Diese Gleichsetzung von שֵׁ גַלund גְ בִּ ָירהist aber unzutreffend43, da שֵׁ גַלimmer die Hauptgemahlin des Königs bezeichnet44. Es wäre zudem verwunderlich, dass, anders als üblich45, die Ermahnungen an die Braut nicht von ihrer eigenen Mutter, sondern von der Schwiegermutter erfolgen. Da Nomen שֵׁ גַלfindet sich nur selten im Alten Testament46. In Neh 2,6 heißt es: Da sagte der König, während (seine) Lieblingsfrau neben ihm saß …
In diesem Text wird die Königin dadurch von anderen Personen abgehoben, dass sie neben dem König ( )אצְ לֹוsitzt. Dabei stellt sich ebenso wie in Ps 45 die Frage, warum der Text nicht das zu erwartende Nomen מַ לְ כָהbenutzt47, sondern stattdessen שֵׁ גַל. So wird z.B. in Est 1,9.11–18 für die Hauptfrau des persischen Königs, d.h. die Königin, das Wort מַ לְ כָהverwendet48. „Wahrscheinlich … bezeichnet das Nomen שֵׁ גַלwohl eine Frau des Königshofes, die die besondere Zuneigung und Liebe des Königs genießt, d.h. seine Lieblingsfrau ist. Sie konnte mit der Person der Königin identisch 39 40 41
42 43 44
45 46 47 48
Vgl. dazu auch Schunck, BK XXIII/2, 38. Zur Diskussion vgl. HAL 1314f; Kiesow, Löwinnen, 128ff. Zur Königinmutter vgl. auch Donner, Königinmutter; Salo, Königsideologie, 157 Anm. 35f; Levin, Königinmutter; Smith, „Queenship“, 143–145; Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.1.3; dies., Art. Königinmutter, Abschnitt 1 und Kiesow, Löwinnen, 96ff, die גְ ִּב ָירהeher als Relationsbegriff ansieht, „der die soziale Vorrangstellung einer Frau kennzeichnet“ (ebd. 187). So Schröder, „A Love Song“, 428; Salo, Königsideologie, 156f; Ueberschaer, Ich und mein König, 20f. Vgl. M. Müller, Herr, 125f; Böhler, Psalmen 1–50, 826. So schon Graetz, Psalmen, 320; Hengstenberg, Psalmen 2, 425; Keßler, KK VI/1, 98; Hitzig, Psalmen 1, 252; Böhler, Psalmen 1–50, 826, vgl. R. Müller, Schönheit, 24 mit Anm. 48. Vgl. Schröder, „A Love Song“, 429. Zu den Belegen vgl. Kiesow, Löwinnen, 128ff; Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.1.2. Vgl. dazu auch Salo, Königsideologie, 156f. Vgl. dazu Schunck, BK XIII/2, 9.
210
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
sein“49. Der Gebrauch des Wortes in Ps 45,10 würde sich dann so erklären, dass „die fremde Königstochter als die vom König zugleich besonders geliebte und begehrte Frau herausgestellt werden soll“50. Die Erzählung vom Gastmahl Belschazzars in Dan 5,2 erwähnt Frauen und Nebenfrauen des Königs: (1) König Belschazzar veranstaltete für seine tausend Gewaltigen ein großes Festessen und trank in ihrer Gesellschaft Wein. (2) Als der Wein ihnen schmeckte, ließ Belschazzar die goldenen und silbernen Gefäße holen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem als Beute gebracht hatte; der König und seine Gewaltigen, seine Frauen ( )שֵׁ גְ לָתֵ הund seine Nebenfrauen ( )לְ חֵ נָתֵ הsollten daraus trinken.
Hier werden die Lieblingsfrauen Belschazzars ( )שֵׁ גְ לָתֵ הvon seinen Dienerinnen und Konkubinen ( )לְ חֵ נָתֵ הunterschieden. Noch einmal, nun aber in anderer Hinsicht als in V. 5, wird die Rechte des Königs betont. In Ps 45,10 findet sich der Hinweis, dass die Königin zur Rechten des Königs steht. Durch diese Verortung wird ihr Herausgehobensein unter den anderen Frauen deutlich herausgestellt51. Die rechte Seite ist die gute, die „günstige Seite“52; wer sich an der rechten Seite eines anderen, zumal eines Höhergestellten, befindet, der hat den Ehrenplatz. So ist es beispielsweise in 1Kön 2,19 Batseba, die Mutter des Königs Salomo, die so geehrt wird: So ging denn Batseba hinein zum König Salomo, um mit ihm zu reden wegen Adonia. Und der König stand auf, ging ihr entgegen und verneigte sich vor ihr; dann setzt er sich auf seinen Thron, und man stellte auch für die Mutter des Königs einen Thron hin, und sie setzte sich zu seiner Rechten.
Dieser Stelle kann man entnehmen, dass der Königinmutter eine besondere Ehrenstellung zukam, die „bei öffentlichen Auftritten dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Inhaberin dieses Amtes neben dem König thronte. Damit wurden gleichzeitig die Rivalitäten unter den Frauen zurückgedrängt, die einzeln oder gemeinsam in einem besonderen Teil des
49 50 51 52
Schunck, BK XXIII/2, 38. Schunck, BK XXIII/2, 9, vgl. M. Müller, Herr, 122 Anm. 67. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 341; Hupfeld, Psalmen 2, 367; Krusche, Königtum, 240. Vgl. dazu auch Fabry / Soggin, Art. י ִָּמין, 661.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
211
Palastes wohnten“53. Eine ähnliche Ehrenstellung erhält auch der König selbst eingeräumt, wenn er in Ps 110,1 von JHWH aufgefordert wird: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich mache deine Feinde ( )איְ ביךzum Schemel deiner Füße.
Auch der שֵׁ גַלin Ps 45 kommt somit als Gemahlin des Königs eine ehrenvolle Stellung zu54, ein „Ehrenplatz“55 an der rechten Seite des Königs, zu. Doch unterscheidet sich Ps 45,10 insoweit entscheidend von 1Kön 2,19, dass die שֵׁ גַלnicht sitzt, sondern steht ()נצב. Das Verb נצבnif. beschreibt etwas, „was jetzt, in diesem Augenblick zu sehen ist; jmd. hat sich hingestellt und steht nun da“56. Diesem Stehen kann eine Bewegung vorausgegangen sein. „Noch häufiger drückt niṣṣāḇ allerdings die spannungsvolle Erwartung eines Geschehens aus“57. Es geht also nicht um die Beschreibung eines Zustandes, also eine Art „Feststehen“, „Verharren“, sondern eher um eine darauf folgende Dynamik. Verweisen könnte man beispielsweise auf Ps 119,89: In Ewigkeit, JHWH, steht dein Wort bereit im Himmel. Das Wort JHWHs steht im Himmel und entfaltet darauf seine Wirkung. Das Stehen kann also in eine unmittelbare Aktion der betroffenen Person übergehen. Und eine solche wird dann in den folgenden Versen von Ps 45 ja auch beschrieben.
Zunächst verharrt der Blick aber auf der äußeren Erscheinung der שֵׁ גַל. Und ihr Aussehen, insbesondere auch ihre Kleidung und ihr Schmuck, drücken ihren Status und Rang aus58. Sie ist gehüllt in Ophirgold. 3. „In Ophirgold …“ Gold bzw. Goldschmuck ist in der Antike immer Realsymbol für Reichtum (Spr 22,1) und Pracht59, ja für Luxus überhaupt. Artikel aus Gold waren 53 54 55 56 57 58 59
Fritz, ZBK.AT 10/1, 34. Vgl. M. Müller, Herr, 117. Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.3. Reindl, Art. נצב/ יצב, 558. Reindl, Art. נצב/ יצב, 558. Vgl. Wilde, Schönheit, 98. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 543; Hübner / Zangenberg, Art. Metall / Metallverarbeitung, 384; M. Weippert, Art. Metall. Zur Goldsymbolik vgl. auch Lurker,
212
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
eine exzellente Wertanlage. „Schmuckgegenstände [finden sich] häufiger in Zusammenhang mit Frauen“, wobei „der Schmuck von (Ehe-)Frauen nicht selten den ökonomischen Status der (Ehe-)Männer“60 zum Ausdruck brachte. Besonders in zwei Bereichen spielte Schmuck eine wichtige Rolle, in Zusammenhang mit der Hochzeit61 und in Verbindung mit dem Königtum. Immer wieder berichtet das Alte Testament davon, dass Bräute mit Schmuck beschenkt wurden (vgl. Jes 49,18). Beispielsweise erhält Rebekka von einem Beauftragten Abrahams einen goldenen Nasenring, einen halben Schekel schwer, und zwei Armspangen zehn Goldschekel schwer (Gen 24,22, vgl. V. 53). Noch kostbarere Brautgeschenke erwähnt Ez 16,11f62. Dazu gehören neben wertvoller Kleidung und kostbaren Schuhen Spangen, eine Kette, Nasen- und Ohrenringe und ein prächtiger Kopfkranz. Solche Geschenke konnten auch vom König als Auszeichnung weitergegeben werden (vgl. Gen 41,42), der damit zugleich zum Ausdruck brachte, dass er sich ein solches Handeln leisten konnte (vgl. 2Sam 1,24). Generell wurde Schmuck einem andern meist von einer höhergestellten Person verliehen.
Schmuck, insbesondere Goldschmuck, verdeutlicht das Ansehen und die Bedeutung einer Person63, aber natürlich unterstreicht er auch deren Schönheit und bewirkt generell Freude (Hld 3,11; 4,9; Spr 20,15)64. Kronen und Szepter waren aus Gold (2Sam 12,30; Est 4,11; 8,15), z.T. wird Gold – wie auch in Ps 45,10–14 – zusammen mit anderen Pretiosen wie Edelsteinen (1Kön 10,2; Ez 27,22) oder Prachtgewändern (Ez 28,12f) genannt. Mehrfach finden sich im Alten Testament Überlieferungen, die listenartig Gegenstände aus Gold aufzählen, so z.B. Ex 35,22, wo Ohrringe, Ringe, Ketten und goldene Geräte aller Art Erwähnung finden65. Anders als das Nomen זָהָ בist der Begriff „ כתםGold“ nur selten belegt66. Parallel mit זָהָ בerscheint er in Hi 31,24; Spr 25,12. Von Kleidern aus כתם
60 61 62 63 64 65 66
Lexikon, 83f; Singer, Die Metalle Gold …, 63; ders., Art. Gold, 898; Markl, Art. Gold. Bender / Bieberstein, Art. Schmuck, 502. Vgl. Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 4.1. Vgl. dazu unten S. 247–249. Vgl. Shaw / Nicholson, Lexikon, 266; Bender / Bieberstein, Art. Schmuck, 502. Vgl. Jaroš, Art. Schmuck, 495; zur Bedeutung und Wertigkeit von Schmuck s. auch Hld 3,11; 4,9; Spr 20,15; Ez 16,11–13. Vgl. ferner Num 31,50; Spr 25,12; Ri 8,26 und Bender / Bieberstein, Art. Schmuck, 502. Zu den Stellen vgl. GB18, 580.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
213
spricht Sir 6,29, von כ ת ם אֹופִּ ירist in Jes 13,12 (// ) ָפ זund in Hi 28,16 (// שׁ ַח םund ) ָס פִּ ירdie Rede. Mit Gold als dem wertvollsten Metall (Hi 28,16.19) verbinden sich Eigenschaften wie wertvoll, begehrenswert, glänzend und schön67. Im Goldbesitz kann sich geradezu der Segen Gottes realisieren (vgl. Dtn 8,13; Jos 22,8). Gold gilt als Fleisch der Götter68. Gegenstände aus Gold oder mit Goldüberzug waren im Kult (Ex 11,2; 37,6.16f; 1Sam 6,8; Sach 4,2) und am Königshof hochgeschätzt69. Wegen seiner Seltenheit und Kostbarkeit70 wird das Gold daher immer wieder gerühmt, so z.B. im Gerichtswort Jes 13,12: Ich mache die Menschen kostbarer als Feingold und die Menschenkinder als Ophirgold.
Thr 4,1 nennt Gold in Zusammenhang mit dem Gegensatz zwischen einst und jetzt. „Einst waren die Menschen Jerusalems dem blank geputzten Gold edler Gegenstände vergleichbar, jetzt ist das Gold rauchgeschwärzt und unansehnlich geworden“71. Darum stimmt der Dichter die erschütternde Klage an: Ach, wie ist das Gold verdunkelt, wie ist entstellt das kostbare Feingold.
Gold ist „Vermögen“ im eigentlichen Sinn des Wortes: es verleiht Kraft (Esr 1,6; Sir 40,25) und Wohlergehen (Hi 42,11)72. Gerade mit dem Königtum war der Besitz von wertvollen Materialien verbunden73, wie z.B. 1Kön 10,14 zeigt, wo der sagenhafte (vgl. 1Kön 10,21f) Goldreichtum Salomos gerühmt wird, der 666 Talente (etwa 22825 / 27390 kg) pro Jahr umfaßt haben soll. Als erstes Metall unter den übrigen bot Gold sich „für die Präsentation des Monarchen“74 in idealer Weise an. Ja, 67 68 69 70 71 72 73 74
Vgl. Singer, Art. Gold, 898 und Spr 11,22; Hld 5,11. Vgl. Hornung, Der Eine und die Vielen, 124. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 542. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 541. Boecker, ZBK.AT 21, 77f. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 541. Zur Verbindung von Gold und Königtum vgl. auch Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 541. Singer, Die Metalle Gold …, 158.
214
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
„Gold ist das königliche Metall“75 überhaupt. Solch ein Besitz unterstrich die Selbständigkeit der Könige, er war aber auch begehrt, wie 1Kön 20,3.7 zeigt: Angesichts der Belagerung von Samaria stellt Ben-Hadad, der Aramäerkönig, an Ahab die Forderung: Dein Silber und dein Gold gehören mir, deine Frauen und deine Söhne.
Diese Forderung entspricht der Praxis altorientalischer Kriegsführung. Ben-Hadad fordert die Auslieferung der königlichen Schätze, daneben auch der Frauen und der edlen Knaben, also vermutlich von Prinzen. „Solche dienten oft als Geiseln, während die Frauen dem Harem des Siegers zugeführt wurden“76. Dass Gold in den Kontext des Hofes gehörte, zeigt ebenso Hi 3,15, wo der sich im Goldbesitz manifestierende Reichtum der königlichen Beamten erwähnt wird. Schließlich spiegelt auch Spr 25,11 das Leben am Hof wider. Die „Welt des Luxus“77, die wir hier finden, zeigt sich beispielsweise in kostbaren Kunsthandwerksarbeiten: Goldene Äpfel an silbernen Schaustücken (so) ist ein Wort …
Gemeint ist eine kostbare Metallarbeit, „ein Prunkstück aus Silber …, in das aus Gold gearbeitete Darstellungen von Äpfeln eingraviert oder eingelegt waren“78. Mit solch kunstvollen Arbeiten vergleicht Spr 25,11 das Bilden von Sprüchen. Genauso wie eine Schmuckarbeit aus Gold oder Silber einen ästhetischen Reiz vermittelt, so auch „die gründliche und kunstfertige Arbeit des Sprüchemachens“79, die natürlich nur von weisen und kundigen Dichtern geleistet werden konnte. Und so gehören die Kunstfertigkeit des Wortes wie die von erlesenen, aus Gold gefertigten Schmuckstücken80 zur Ausstattung eines königlichen Hofes. Bezogen auf Psalm 45 könnte man daher resümieren: Genauso erlesen wie der Psalm des Sängers ist auch die Ausstattung der Königin. Beides ist Aus75 76 77 78 79 80
Singer, Die Metalle Gold …, 159. Würthwein, ATD 11/2, 238. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 424. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 424. Meinhold, ZBK.AT 16/2, 425. Vgl. dazu auch Spr 11,22.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
215
druck von Schönheit und Ästhetik, beides unterstreicht einmal mehr die besondere Szenerie, die Ps 45 entwirft. Besonders kostbar war Gold aus Ophir. Ophir galt in der Antike als das Goldland überhaupt81, eine Auffassung, die auch in Hi 22,24 ihren Niederschlag gefunden hat, wo Gold als kostbarstes Edelmetall82 durch den elliptischen Hinweis auf Ophir(-gold) gesteigert wird83. Hier genügt schon der bloße Hinweis auf das Herkunftsland, um die Konnotation „Gold“ zu evozieren. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Salomo von Ezjon Geber am Golf von Akaba Expeditionen nach Ophir gesandt haben soll, um dort Gold und Edelsteine zu holen (1Kön 9,28; 10,11). Und auch mit Joschafat werden Schiffsexpeditionen ins Ophirland in Verbindung gebracht, die „wegen des Goldes“ unternommen werden sollten. Doch war ihnen kein Erfolg beschieden (1Kön 22,49). Welches Gebiet genau mit der Bezeichnung Ophir gemeint ist, ist umstritten84. Der Terminus könnte sich auf einen Ort am Roten Meer, also noch in Arabien beziehen85. „Insbesondere die Gegend von Asīr mit ihren Gold führenden Flußtälern käme für die Lokalisierung … in Frage“86. Andere denken an ein Gebiet an der Ostküste Afrikas (Somaliland bzw. Äthiopien)87.
Der Terminus „Ophirgold“ (vgl. dazu auch 1Chr 29,4; Sir 7,18) war geradezu eine Qualitätsbezeichnung. Aufgrund seiner Kostbarkeit war Ophirgold eine legendäre Größe; es wurde aber auch als Zahlungsmittel verwendet, wie ein aus dem 8. Jh. v.Chr. stammendes Dokument vom Tell elQasīle zeigt, das den einzigen außerbiblischen Beleg für Ophirgold enthält. In dieser nördlich von Tel Aviv gelegenen antiken Hafenstadt fand man 1946 ein Ostrakon mit folgender Inschrift88: zhb ʼpr lbjt ḥrn s 10 10 10
81 82 83 84 85 86 87 88
Gold (aus) Ophir, für Beth-Horon: 30 Šeqel
Vgl. dazu Fritz, ZBK.AT 10/1, 110. Vgl. Singer, Art. Gold, 898. Vgl. Kedar-Kopfstein, Art. זָהָ ב, 539. Vgl. dazu auch Görg, Art. Ofir, 26. Vgl. dazu Gen 10,29; 1Chr 1,23, wo Ophir zwischen Saba und Hawila aufgeführt wird, und Rost, Art. Ophir, 1353. Fritz, ZBK.AT 10/1, 110. So Lemaire, InscHeb, 253ff, vgl. Ges18, 25. Vgl. zu dieser Inschrift HAHE I, 229f; Smelik, Dokumente, 147; Jaroš, Inschriften, Nr. 39.
216
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Man vermutet, dass in diesem Text „auf eine Sendung reinen Golds“89 Bezug genommen wird, das in die Hafenstadt importiert wurde. Der Text dürfte von der Gattung her als Lieferschein oder Rechnung zu interpretieren sein90. Ophirgold ist wegen seiner Kostbarkeit für die Königin ein herausragender Schmuck91, der als durchweg positive Größe anzusehen ist. Angetan mit diesem Schmuck überragt sie „alle anderen an Glanz und Kostbarkeit“92. Gleichzeitig steigert der Hinweis auf das Ophirgold das zu Beginn des Verses genannte יקר. Allerdings wird die Königin im folgenden nie um ihrer selbst willen genannt, sondern stets in ihrer engen Beziehung zum König: Er begehrt ihre Schönheit93, sie wird zum König gebracht. Zusammenfassend könnte man Ps 45,10 so deuten: Die שֵׁ גַלsteht zur Rechten des Königs in Erwartung dessen, was nun kommt. Sie steht bereit, auf die nun folgenden Worte zu hören. II. Die Bestimmung der Königin (V. 11–13) 1. Die Mahnung an die Königin a) Die Einleitung der Mahnung Zu Beginn wird die Königin direkt angeredet (V. 11–13) mit den drei Imperativen „höre und sieh und neige dein Ohr“. Ihre Aufmerksamkeit wird ausschließlich auf den König ausgerichtet94.
89 90 91 92 93
94
Smelik, Dokumente, 147. HAHE I, 230. Zum Schmuck von Frauen allgemein vgl. auch Jer 4,30; Ez 16,13; Hld 1,11. Keel, ZBK.AT 18, 187 bezogen auf Hld 5,11. In der Spätzeit dient die Schönheit der jüdischen Frauen, v.a. von Esther, Judith und Susanna, „der Verherrlichung des Volkes vor den Heiden“. Sie sind „der leibhaftige Erweis des göttlichen Wohlgefallens, das auf dem ganzen Volk ruht“ (Haag, Schönheit, 36). Das führt schließlich Jud 10,19 zum Urteil der Heiden: „Wer könnte dies Volk geringachten, das solche Frauen hat“. Vgl. Körting, Zion zwischen Psalmen und Jesaja, 164f, die allerdings die Beziehung Bräutigam – Braut voraussetzt.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
217
Dabei bleibt unklar, wer hier spricht95: Ist es der König selbst? Oder spricht die שֵׁ גַלihre Schwiegertochter, die Tochter von Tyrus, an96, die mit einer Gabe, möglicherweise der Mitgift, vor ihr steht97? Dann wäre der König, der im Lied gepriesen wird, ihr Sohn98. Am wahrscheinlichsten wird es sein, wie schon in V. 2 den Dichter und Sänger des Liedes als Sprecher anzunehmen99, ebenso wie im ersten Teil des Psalms, wo seine Worte dem König galten. Offensichtlich soll der Schwerpunkt im Folgenden auf die Mahnungen gelegt werden, die zunächst darauf gerichtet sind, Aufmerksamkeit zu erwecken100, um dann durch inhaltliche Näherbestimmungen weitergeführt zu werden. Angesprochen ist in jedem Fall eine weibliche Person, die mit dem Vokativ ּבַ תangeredet wird. Bei ihr handelt es sich um eine ausländische Prinzessin. Immer wieder hat man sich an der Anrede ּבַ תgestört101, deren Bezug auf eine Königin unpassend sei102. Andere haben darin eine prophetische oder weisheitliche Redeform gefunden, ähnlich der mahnenden Anrede des Lehrdichters an seine Schüler103. Andererseits könnte man auch an Rut 2,8 erinnern, wo Boas Ruth mit den Worten anspricht: „Hast du nicht gehört, meine Tochter? Geh nicht auf ein anderes Feld und bewege dich nicht weg von hier, sondern hänge dich an meine junge Frauen.“ Durch die Anrede ּבַ תin Rut 2,8 wird eine Differenz in der Sozialstruktur ausgedrückt. „Der wohlhabende Grundherr spricht so zu einer offenkundig jüngeren Frau von niedrigerem sozialem Stand“104. Die Anrede markiert also den unterschiedlichen Sozialstatus, aber auch die nicht selbstverständliche Großzügigkeit: „Der wohlhabende, inlän95 96
97 98 99
100 101 102 103 104
Vgl. auch die Hinweise bei Ueberschaer, Ich und mein König, 17f und oben S. 209. Vgl. Lim, Königskritik, 182; Vette, „Wer ist Wer“, 217f; ders., „Who is Who?“, 128f, wobei er „zwischen der impliziten Sprecherin / Sängerin und dem realen Autor“ unterscheiden will. Vgl. Lim, Königskritik, 183. So Ueberschaer, Ich und mein König, 21. So Hupfeld, Psalmen 2, 367; Olshausen, Psalmen, 203; Hengstenberg, Psalmen 2, 399; Hitzig, Psalmen 1, 252; Gunkel, HK II/2, 192; Groß / Reinelt, GSL 18/1, 253; Kraus, BK XV/1, 492; Kremser, Hochzeit, 195. Vgl. Lim, Königskritik, 182. Vgl. dazu GB17 s.v. ּבֵ ןI nr. 4. ּבַ תals Anrede findet sich nur Rut 2,8 und Ps 45,11. Zur Selbstbezeichnung ּבֵ ןals Ausdruck der Ehrerbietung vgl. 2Kön 8,9; 16,7. Vgl. dazu schon Hupfeld, Psalmen 2, 367. Vgl. Spr 2,1; 3,1.21; 4,10.20; 5,1; 6,1; 7,1 und Saur, Königspsalmen, 123; Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 283; Becker, Israel, 87; M. Müller, Herr, 117. I. Fischer, Rut, 172.
218
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
dische Mann steht im Kontrast zur armen, ausländischen Frau“105. Die Anrede spiegelt alle die Hierarchie einer patriarchalen Gesellschaft bestimmenden Faktoren: „Geschlecht, sozialer Stand, Alter, ethnische Zugehörigkeit – und Religion“106.
Ähnlich könnte auch in Ps 45 die Statusdifferenz gegenüber dem König zum Ausdruck bringen und zugleich auf die Änderung des Zugehörigkeitsverhältnisses verweisen107. Statt dem Haus des Vaters weiterhin anzugehören, ist die Königin durch ihre Heirat eine neue Bindung eingegangen, an die nun erinnert wird, wie auch der folgende Satz zeigt: הּוא אֲד ַניִּ ך. Die Anrede ּבַ תdrückt genau diese neue Zugehörigkeit aus, die in der intimen Beziehung der Königin zum König konkret wird108. Zudem entspricht die Anrede ּבַ תdem Kontext des zweiten Hauptteils, gehört die ּבַ תdoch zu den ּבְ נות ְמלָכִּ ים, die zu dessen Beginn genannt sind109. Unter diesen wird die nun Angesprochene hervorgehoben. Sie ist somit identisch110 mit der שֵׁ גַל. ּבַ תund שֵׁ גַלsind somit ein und dieselbe Person, die aus „zwei Blickwinkeln“111 präsentiert wird: „Zum einen in der aktuellen Situation der שׁגלan der Seite des Königs, zum anderen als בת־מלךim Kontext der zurückliegenden Hochzeit mit dem König“112. „Die Rückblende auf das Hochzeitsfest 105 106 107 108
109 110 111
112
I. Fischer, Rut, 172. I. Fischer, Rut, 172. Vgl. auch Vette, „Wer ist Wer“, 213f; ders., „Who is Who“, 123f. Schröder, „A Love Song“, 423, spricht in diesem Zusammenhang von einem „act of consummation of marriage“ und den Momenten, die dem unmittelbar vorangehen. So erkläre sich auch die Bezeichnung des Psalms als Liebeslied. Vgl. M.P. Maier, Israel, 658. Die Anrede ּבַ תkönnte somit auch für „Königstochter“ stehen, vgl. Hengstenberg, Psalmen 2, 426. Anders Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 229. Saur, Königspsalmen, 128. Anders Vette, „Wer ist Wer“, 214f; ders., „Who is Who“, 124f, der vor allem eine Spannung sieht zwischen dem „statische[n] Bild der Königin“ und der in V. 14–16 geschilderten Prozession mit der ּבתim Mittelpunkt. Er entscheidet sich für zwei Personen. Es handele sich einmal um die königliche Gemahlin, dann um eine Königstochter. Vorausgesetzt sei die Polygamie als „fester Bestandteil des königlichen Hofes“ (ders., „Who is Who“, 126). Der Psalm schildere, wie „eine Nebenfrau in das eheliche Verhältnis mit dem König eingeführt“ (ebd. 126) werde. Diese Nebenfrau werde von der Hauptfrau als Sprecherin der Verse 11–13 bzw. als Sängerin des Gesamtpsalms ermahnt (vgl. ebd. 128ff). Durch sie erhalte die Nebenfrau „wichtige Ratschläge“ (ebd. 129). Die Einführung der Hauptfrau in V. 10 sei eine „Eigenreferenz …, mit der die Hauptfrau des Königs auch sich selbst zur Vervollständigung der Szene ... ins Bild setzt“ (ebd. 130). Zur Kritik an Vette vgl. jetzt Böhler, Psalmen 1–50, 820. Saur, Königspsalmen, 128, vgl. jetzt Böhler, Psalmen 1–50, 820.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
219
… hat innerhalb des Gesamttextes die Funktion, zum einen die Herkunft und Ankunft der gegenwärtigen Königin zu erhellen und zum anderen den Wunsch für die Nachkommenschaft des Königs … durch Erinnerung an die Hochzeit des Königs Nachdruck zu verleihen. Aufgrund der vollkommenen Zuwendung der Braut zum König kommt es zu einer dauerhaften Stabilität der Dynastie, die sich in der königlichen Nachkommenschaft manifestiert“113. Die V 11f zitieren so gewissermaßen einen anderen Kontext, den der längst zurückliegenden Hochzeit114 des Königs mit der Königstochter, und erinnern an die damals gegebenen Mahnungen, die im Rahmen des in Ps 45 vorausgesetzten Festkontextes aktualisiert werden. Ebenso wie die Aufforderungen an den König entsprechen die Mahnungen an die Königin ihrer Rolle im Rahmen des Königshofes. Insofern braucht es dann auch nicht zu verwundern, dass Begriffe wie Hochzeit, Braut und Bräutigam fehlen, ist die Situation der Hochzeit doch längst vorüber. Die damals vermittelten Mahnungen aber haben dennoch bleibenden Bestand. In den Mahnungen an die ּבַ תwerden wichtige Sinnesorgane des Menschen angesprochen. Interessant ist dabei, dass die Aufforderung zu sehen von den beiden Mahnungen zum Hören gerahmt ist. „Hören und Sehen gehen oft Hand in Hand“115 (Num 24,16; Jes 6,9f). Beide Sinneseindrücke können als „zwei Aspekte eines umfassenden Wahrnehmens und Verstehens“116 interpretiert werden. „Allerdings hat das Sehen gegenüber dem Hören einen stärkeren Realitätsbezug: Das Gehörte kann sich beim Sehen als wahr oder als Lüge erweisen“117. Das Sehen kann das Hören verifizieren. Sonst bleibt „[d]as Gehörte … totes Wissen“118. Durch den „Akt des Sehens“ wird es „zur lebendigen, das Leben bereichernden Erfahrung“119. Andererseits entsteht durch wirkliches Hören und Gehörtwerden eine starke Beziehung, eine Zusammengehörigkeit120. Worauf aber zielt das Sehen in dieser dreistufigen Mahnung? Das Sehen dürfte sich auf die unmittelbare Szenerie beziehen. Zum Hören des mah113 114 115 116 117 118 119 120
Saur, Königspsalmen, 128f. Die Rückblende auf die längst vollzogene Hochzeit umfasst allerdings nur die Verse 11f. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 201. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 201. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 201. Janowski, Konfliktgespräche, 88. Janowski, Konfliktgespräche, 88. Vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 207.
220
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
nenden Wortes kommt die sehende Wahrnehmung der Szenerie hinzu, in der sich der ganze Vorgang abspielt. Das Sehen zielt auf einen Erkenntnisprozeß ab, den Prozeß des Wahrnehmens dessen, was geschieht, und der Verarbeitung des Wahrnehmens. Es geht also in der Aufforderung „sieh“ nicht nur um Beobachtung, sondern auch um ein Beurteilen und Verstehen von Realität121. Die dritte Mahnung nimmt noch einmal das Hören auf: „Neige dein Ohr“. Das Ohr ist Organ des Erkennens und Verstehens und somit auch der Einsicht122. Es steht in Konkurrenz zum Herzen. „Das Ohr neigen“ bedeutet soviel wie „aufmerksam zuhören“. Vor allem in weisheitlicher Literatur wird mit der Wendung eine besondere Form des Achtgebens ausgedrückt123. So wird der Schüler etwa aufgefordert: Mein Sohn, merke auf meine Rede und neige dein Ohr zu meinen Worten. (Spr 4,20)
Oder: Mein Sohn, merke auf meine Weisheit und neige dein Ohr zu meiner Lehre. (Spr 5,1)
Oder: Ich will einem Spruch mein Ohr neigen, kundtun beim Klang der Harfe mein Rätselwort. (Ps 49,5)
Im Gebet ist die Bitte „neige dein Ohr“ darauf gerichtet, Gott möge seine Aufmerksamkeit auf den Beter richten (vgl. Ps 17,6 u.ö.). Im Höraufruf in Ps 45 klingt die Mahnung zum Gehorsam mit. Ähnlich wie in den Mahnungen des Weisheitslehrers gegenüber seinem Schüler (Spr 1,8f) wird durch den Höraufruf das Folgende eingeschärft124 und be-
121 122 123 124
Vgl. dazu Staubli / Schroer, Menschenbilder, 202. Vgl. Stipp, Art. Ohr, 27; Liedke, Art. אזן, 95–98. Vgl. Ringgren, Art. נָטָ ה, 413 und Spr 22,17. Anders Steiner, „Des Nachts singe ich seine Lieder“, 228 Anm. 38, der fragt „Was soll die Tochter/Braut hören? Es gibt zum Imperativ kein Objekt“. Demgegenüber ist festzuhalten: Natürlich soll die angesprochene Gemahlin die Mahnung des Sängers hören.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
221
tont. Von der ּבַ תwird „Wichtiges und Schweres“125 verlangt. Denn beide Mahnungen, die zum Hören und die zum Sehen, haben Konsequenzen, nämlich das Vergessen. b) Das Vergessen der Herkunft Die Aufforderung zum Hören und Sehen wird weitergeführt durch die Mahnung: „Vergiss dein Volk und das Haus deines Vaters“. Dass die Königin ihr Volk vergessen soll126, „bedeutet nicht unbedingt, daß sie eine Ausländerin ist, denn עָםist oft auch Familie, Sippe“127 (vgl. z.B. 2Kön 4,13; Jes 3,13). Dennoch spricht der Kontext, vor allem die spätere Anrede „Tochter von Tyrus“, deutlich für eine ausländische Herkunft128, zumal der Bezug auf die Familie bereits durch den folgenden Hinweis auf das „Haus des Vaters“ gegeben ist129. Mit diesem Begriff ist die Großfamilie gemeint, der die Frau entstammt. Die Töchter waren zunächst einmal Mitglied der Familie ihres Vaters (Dtn 22,19.29) und unterstanden der Autorität der Eltern, insbesondere aber der des Vaters (Gen 29,21ff; Num 30,4– 6). „Durch die Heirat trat die Frau mit ihrem Mann in eine neue Familiengemeinschaft ein und verließ damit im Grunde die väterliche Autorität“130. Die Mahnung an die Königin zu vergessen, betont ihre Verpflichtung, sich von ihrer Herkunft zu lösen und sich völlig auf die Seite des Königs zu
125 126 127
128 129 130
Hengstenberg, Psalmen 2, 426. שׁכחist in diesem Zusammenhang nicht negativ konnotiert, sondern bezieht sich auf eine Handlung, die aus der Begegnung mit einer neuen Situation erwächst. Duhm, KHK XIV, 188, vgl. Graetz, Psalmen, 321; Hirsch, Psalmen 1, 219. Anders Zenger, in: Hossfeld / Zenger, NEB 29, 283, der die angeredete Tochter auf die Tochter Zion deutet. Der Satz ziele so darauf, dass diese ihre nichtisraelitische Herkunft und die Schande ihrer Jugend vergessen solle (vgl. dazu Ez 16,3.45; Jes 54,4), „um nun in der Vermählung mit dem messianischen König oder mit dem ‚Gott des Zion‘ ein ‚neues‘ Leben voller Liebe und Glück zu beginnen (vgl. Ez 16)“ (ebd., vgl. schon Deissler, Psalmen, 187). Infolgedessen denkt Zenger bei dem in V. 16 genannten Palast an den JHWH-Tempel (ebd. 283, so auch Becker, Israel, 88; Deissler, Psalmen, 185). Dieses endzeitliche Israel empfange Huldigungsgeschenke (vgl. Jes 60,5; 61,6; 66,12). Vgl. Kittel, Psalmen, 172; Körting, Isaiah 62:1–7, 116 Anm. 65. Vgl. dazu Lang, Art. Verwandtschaft, 1028; Kremser, Hochzeit, 196ff. Lövestam, Art. Tochter, 1999.
222
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
stellen131. Das aber bedeutet, keine andere als die im Folgenden beschriebene Bindung einzugehen. Die Aufforderung zu vergessen ist somit mit einer Ablösung von allen bisherigen Bindungen und dem Eintritt in eine neue Beziehung verbunden. Es ist in Ps 45,11 „ein Sich-Distanzieren oder Unbeachtet-Lassen“132 von Menschen, die einem bisher vertraut waren und die nun aus der Erinnerung getilgt werden sollen133. Hinweisen könnte man beispielsweise auf Hi 19,14, wo Hiob beklagt: Meine Freunde haben mich vergessen.
Vergleichbar ist auch Ps 31,13, wo der Beter betont, er sei bei seinen Mitmenschen bereits schon so vergessen wie ein Toter. Beide Texte zeigen die Trennung von vorherigen zentralen Bindungen. Auch die Loslösung von einem vertrauten Lebensbereich, den man in der Fremde vergisst und der als schmerzhaftes Geschehen empfunden wird, kann mit שׁכחbezeichnet werden, wie beispielsweise Jer 50,6 oder Ps 137,5 belegen134. Die Mahnung zu vergessen bezieht sich in Ps 45 aber nicht auf ein negatives oder gar unheilvolles Geschehen, wie an den eben genannten oder anderen Stellen, sondern auf eines, das geradezu Zukunft eröffnet. Es ist ein aktiver Akt. Im Folgenden wird die Beziehung des Königs zur Königin thematisiert. 2. Die Hingabe und Huldigung der Königin a) „Wenn der König deine Schönheit begehrt“ Das Verb אוהhitp. „wünschen, begehren, gelüsten“, das häufig synonym zu חמדgebraucht wird (vgl. Gen 3,6), hat die Bedeutung „aus sein auf“135. Das mit diesem Wort umschriebene Streben des Menschen, „ist zutiefst in der menschlichen Existenz verwurzelt“136: „Es richtet sich auf Grundbedürfnisse wie Essen (Mi 7,1; Hi 33,20), Trinken (2Sam 23,15 = 1Chr 11,17) 131 132 133 134 135 136
Vgl. Vette, „Who is Who“, 124; Körting, Isaiah 62:1–7, 115. Preuß, Art. שָׁ ַכח, 1323. Vgl. dazu Schottroff, Art. שׁכח, 900. Vgl. Schottroff, Art. שׁכח, 900. Vgl. G. Mayer, Art. אָ וָה, 146. G. Mayer, Art. אָ וָה, 146.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
223
und auf das andere Geschlecht (Ps 45,12, vgl. Jer 2,24)“137. Daneben kann sich das Begehren auch auf jegliche Form von Besitz (Dtn 5,21), vor allem aber auf „Reichtum und Schätze und Vermögen“ (Koh 6,2) erstrecken. Eine enge Parallele zu Ps 45,12 findet sich in der Warnung vor der fremden Frau in Spr 6,25, wenn auch hier statt אוהdas synonyme Verb חמדgebraucht wird: Begehre ihre Schönheit nicht in deinem Herzen, und nicht nehme sie dich mit ihren Wimpern ein.
Der angesprochene Weisheitsschüler wird gemahnt, nicht die Schönheit dieser Frau zu begehren138. Der Platz des Begehrens ist das Herz, also nach weisheitlichem Verständnis der Sitz von Verstand und Wille139. Auch an dieser Stelle geht es um die Schönheit einer Frau, die das Herz eines Mannes in Beschlag nehmen kann. Aber auch die Geliebte sehnt sich nach ihrem Geliebten und spricht: Nach seinem Schatten hat mich verlangt. (Hld 2,3)
In ähnlichem, aber übertragenem Sinn findet sich die Wurzel אוהin Jer 2,23f: 23 24
Eine schnelle Kamelstute, verdrehend ihre Wege [bist du], ein Wildesel, gewohnt [an die] Wüste. Im Begehren ihrer Seele schnappt sie nach Luft, ihre Brunst, wer kann sie umkehren machen?
„Im Begehren deiner Seele“ ist eine Wendung, die geradezu stereotyp im Dtn vorkommt (vgl. Dtn 12,15.20f; 18,6), in Jer 2,23f wird dieses Ansinnen allerdings ins Negative gewendet. Daher ist das nur an dieser Stelle belegte Nomen תַ ֲאנָהals „Brunst“ zu übersetzen140: Gemeint ist also ein ungezügeltes (Liebes-)Begehren, das in seiner Gier kaum gestillt werden kann141. Ein anderer wichtiger Zusammenhang findet sich in Ps 132,13f. Es heißt dort: 137 138 139 140 141
G. Mayer, Art. אָ וָה, 146, vgl. auch Spr 23,3.6. Vgl. Bons / Kampling, Art. Begierde, 260. Vgl. Meinhold, ZBK.AT 16/1, 118. Vgl. dazu G. Fischer, Jeremia 1‒25, 168. Vgl. Wanke, ZBK.AT 20/1, 41.
224
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte 13 14
Ja, erwählt hat JHWH Zion, er hat sie begehrt als Wohnstätte für sich. „Dies ist die Stätte meiner Ruhe für immer, hier werde ich wohnen, denn ich habe sie begehrt …“
Zion ist als weibliche Gestalt vorgestellt, in die sich JHWH gleichsam „verliebt“ hat. Ihre Erwählung zeigt sich, wie besonders V. 13b zeigt, „in seiner geradezu emotional-affektiven Begierde“142. Bedenkt man, dass in den Versen zuvor die an das Geschlecht Davids ergehende Dynastieverheißung thematisiert wurde, so ergibt sich ein wichtiger Aussagezusammenhang. Die in der Liebe JHWHs zum Zion gründende Erwählung wird zur Grundlage der ewig bestehenden davidischen Dynastie. Dies wird dann im Folgenden (vgl. V. 17) noch durch die Bilder von Horn und Leuchte metaphorisch entfaltet. Diese Bilder stehen für „Kraft, Stärke und machtvolle Nachkommenschaft des davidischen Geschlechts; sie stellen eine Kurzform der Dynastiezusage in Form von Metaphern dar“143. Das Verb אוהfindet sich auch im Umkreis des Königs (1Sam 23,20). Nach deuteronomistischer Auffassung zeigt sich darin ein wesentlicher Teil des königlichen Amtes, insofern „der Durchführung seiner Absichten durch kein Gesetz irgendwelche Grenzen gesetzt sind“144. Das Begehren des Königs richtet sich nach Ps 45 auf die Schönheit der angesprochenen Frau. Es geht also allein um die funktionale und relationale Bedeutung der Schönheit „in Richtung auf den Mann“145, „was wiederum die Machtfülle des Königs hervorhebt“146 und zugleich von der Asymmetrie der Geschlechter zeugt, geht doch die sexuelle Aktivität wie z.B. auch in alttestamentlichen Rechtstexten von Seiten des Mannes aus147. In einem solch patriarchalen Konzept sind „Männer die Subjekte sexuellen Begehrens und sexueller Handlungen“148, Frauen Objekte149. Die Beziehung zwischen König und Königin ist somit „kein herrschaftsfreier Raum“150. 142 143 144 145 146 147 148 149 150
Zenger, in: Hossfeld / Zenger, Psalmen 101–150, 626. Waschke, Der Gesalbte, 70. G. Mayer, Art. אָ וָה, 147. Seidl, „Schön bist du …“, 131. R. Müller, Herrschaftslegitimation, 202. Vgl. dazu Müllner, Kein herrschaftsfreier Raum, 30f. Müllner, Kein herrschaftsfreier Raum, 32. Vgl. Müllner, Kein herrschaftsfreier Raum, 32. So der Titel der Untersuchung von Müllner. Zum Verhältnis von Ehefrau und Ehemann „innerhalb der Parameter des Patriachats“ (Berlejung / Metz, Art. Ehe, 136), vgl. ebd.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
225
Erneut findet sich hier wie schon bei der Beschreibung des Königs die Wurzel יפה. Viele Stellen im Alten Testament nehmen das Thema „Schönheit einer Frau“ auf151. Von Sara (Gen 12,11) und Rahel (Gen 29,17), von Abigail (1Sam 25,3) und Tamar (Gen 38) heißt es, sie seien schön, aber auch von Judith (Jdt 8ff; 10,19), die sich schön macht „zur Betörung der Augen aller Männer“ (Jdt 10,4). Zu diesem Schönmachen gehört, dass sie sich salbt und festliche Gewänder anzieht und darüber hinaus auch „Fußkettchen und Armbänder, Fingerringe und Ohrgehänge und ihren ganzen Schmuck“152. Hinzuweisen ist ferner auf Batseba. Sie wird in 2Sam 11153 eingeführt als „Tochter Eliams, Frau des Hethiters Uria“, eines Mannes, der möglicherweise dem alten Jerusalemer Stadtadel entstammte und schon in Jerusalem wohnte, als die Stadt noch nicht israelitisch war154. Und auch Batseba entstammte wahrscheinlich diesen Kreisen. Batseba wird zudem als schöne Frau gepriesen und so herausgehoben; und sie wird, als David sie begehrt, zu ihm in den Palast ( )ּבֵ ית־הַ מלךgebracht: er lässt sie holen (2Sam 11,3). Die schöne Frau wird „zum Objekt von Davids Begierde“155, was für Uria gleichbedeutend mit dem Todesurteil ist. Nach seinem gewaltsamen Tod in der Schlacht mit den Ammonitern, läßt David sie erneut holen und nahm sie in sein Haus, und sie wurde seine Frau … (2Sam 11,27).
Der schöne David und die schöne Batseba156 kommen zusammen und aus dieser Verbindung entspringt später Salomo, der künftige Erbe und Nachfolger Davids, der zudem den Beinamen „Geliebter JHWHs“ ( )יְ ִּדי ְד ָיהerhält157. Allgemein bezieht sich Am 8,13 und Spr 11,22 auf die Schönheit von Frauen, ohne dass Personen namentlich genannt sind. Während Spr 11,22 betont, dass Schönheit ohne guten Geschmack keinen Wert besitzt, bezieht 151 152 153
154 155 156 157
Vgl. Loader, Art. Schön / Schönheit, Abschnitt 2.1.1.1. Vgl. dazu Schmitz / Engel, Judit, 318f. Zum Verhältnis von David und Batseba vgl. Kunz, Frauen 152ff. Zum Text von 2Sam 11,1ff vgl. ebd. Kunz sieht den Deuteronomismus als Entstehungshintergrund von 2Sam 11f (ebd. 199). Vgl. Stolz, ZBK.AT 9, 236. R. Müller, Schönheit, 28, vgl. Smith, „Queenship“, 151; W. Dietrich, David – König der Liebe, 13. Batseba wird im Übrigen nochmals in dem ebenfalls zum zweiten Psalmbuch gehörigen Ps 51,2 genannt. Vgl. dazu unten S. 310f.
226
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
sich Am 8,13 auf junge Mädchen, deren Schönheit Ausdruck ihrer vollen Lebenskraft ist. Die Schönheit von Frauen ist dann besonders in der alttestamentlichen Liebeslyrik Thema. Sie taucht hier in Bewunderungsrufen auf, die klar auf die ästhetische Bedeutung von Schönheit abzielen (Hld 1,15f; 4,1, vgl. 1,8; 5,9; 6,1.4)158: Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön.
Schönheit ist nicht nur bezogen auf die Gestalt, sie kann, wie auch in Ps 45, durch die Besonderheit der Kleidung oder von Schmuck hervorgehoben werden. In Ps 45 steht die Schönheit der Königin im „Dienst der Repräsentation des Königs“159. Diese Schönheit kann in einem Brief des Rib-Addi von Byblos mit dem Terminus ḫamudu „begehrenswert“ umschrieben werden160, was den engen Zusammenhang beider Vorstellungen unterstreicht, wie er auch in Ps 45 vorausgesetzt ist. Ging es in den bisherigen Mahnungen um eine Art Vergangenheitsbewältigung, so wird im Folgenden das künftige Verhältnis zwischen Königin und König benannt. Die Königin soll auf das Begehren des Königs rollengemäß reagieren, indem sie ihm huldigt. b) „Huldige ihm“ V. 12 erinnert an eine grundsätzliche Aufgabe der Königin, die mit dem Verb חוהhist. ausgedrückt wird: חוהist einerseits Terminus der Huldigung vor dem König161, andererseits auch Unterwerfungs- und Auslieferungsgestus162, wobei nicht der „Akt des Sich-Niederwerfens“ zentral ist, sondern der „Aspekt der Huldigung“163. 158 159 160 161
162 163
Vgl. dazu Keel, ZBK.AT 18, 71. Augustin, Art. Schönheit, 492. EA 138,126, vgl. Knudtzon, Die El-Amarna-Tafeln, 586. Vgl. z.B. 1Kön 1,16 ausgesagt von Batseba, vgl. auch M. Müller, Herr, 127; Preuß, Art. חוה, 788f; Jungbluth, Im Himmel, 62; Stähli, Art. חוה, 530–533; Kreutzer, Bedeutung, bes. 43ff. Vgl. Gerstenberger, Psalms 1, 188; Jungbluth, Im Himmel, 63 und 2Sam 1,2; 9,6; 14,4.22; 15,5; 16,4; 18,28; 24,20; 1Kön 1,23.31 u.ö. Kreutzer, Bedeutung, 53.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
227
Das mit חוהumschriebene Tun kann sehr unterschiedliche Aspekte umfassen. Im Rahmen einer Begrüßung164 („Ehrengruß!“165) bringt man durch das Niederfallen die Achtung gegenüber einem anderen Menschen oder gegenüber seiner hervorragenden Stellung zum Ausdruck. Gerade in einer Kultur der Ehrerbietung war es wichtig, seinem Gegenüber den gebührenden Respekt entgegenzubringen, wie es z.B. Abraham gegenüber den ihm begegnenden drei Männern tut, die ihn aufsuchen. Gen 18,2f umschreibt diese Respektbezeugung mit den Worten166: Er lief ihnen entgegen von der Öffnung seines Zeltes, und er verneigte sich zur Erde und sagte: „Mein Herr, habe ich Gnade in deinen Augen gefunden, so gehe doch nicht an deinem Knecht vorüber“.
Gesten und Worte stimmen hier in ihrer Intention völlig überein. Dies zeigt einerseits die Anrede „mein Herr“, aber auch der darauffolgende Satz: „Immer findet man חןin den Augen des Höhergestellten“167. Darin ist der „Grund zur Zuwendung“168 zu finden, hier konkret: die Annahme der Einladung. Ähnlich ist es in Gen 19,1f: Zwei Boten kommen zu Lot. Und er erhebt sich, als er sie sieht, und verneigte sich mit dem Gesicht zur Erde und sprach: „Siehe, ihr Herren, kehrt doch im Hause eures Knechtes ein und übernachtet“.
Geschieht das Verneigen hier im Kontext von Begegnung und Einladung, so handelt es sich in Gen 23,7 um eine andere Form des Respekts. Im Hintergrund steht die Szenerie einer Verhandlung um ein Grundstück, innerhalb der die Anerkennung der angestammten Rechte der Ursprungsbevölkerung, die hier Hethiter genannt wird, vorausgesetzt ist. Ohne diese Anerkennung wäre ein Eintreten in die Verhandlungen unmöglich. Auch Rut 2,10 gehört in diesen Zusammenhang. Nachdem Boas Ruth als „meine Tochter“ angeredet hatte und so die soziale Differenz zwischen sich und ihr ausgedrückt hat, „verwischt Rut die Standesunterschiede zwischen
164 165 166 167 168
Vgl. Keel, AOBPs, 289; Willi-Plein, Ehrenbezeugung, 370. Willi-Plein, Ehrenbezeugung, 370. Vgl. dazu Westermann, BK I/2, 336f. Willi-Plein, חֵ ן, 93. Willi-Plein, חֵ ן, 95, vgl. Lande, Formelhafte Wendungen, 96.
228
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
sich und Boas nicht“169. Daher „behandelt [sie] ihn wie einen König, indem sie vor ihm niederfällt und sich bis zur Erde neigt“170. Die Mehrzahl der Belege zeigt nun, „daß diese Geste des Niederwerfens vor allem hochstehende Leute mit Zugang zu den politisch führenden Kreisen vor Autoritätspersonen leisten und nicht Menschen aus niedrigem Stand, mit geringem Selbstbewusstsein oder aufgrund großer Demut“171. Um Anerkennung einer höheren Stellung geht es auch beim Aufeinandertreffen von Abigail und David 1Sam 25,23.41172, das eine gefährliche Vorgeschichte zur Voraussetzung hat. Nabal, der Mann Abigails, hatte die zu Davids Freischärlern gehörenden Leute brüsk abgewiesen, als sie die für ihre Schutzmaßnahmen üblichen Gegenleistungen einfordern wollten (1Sam 25,10f). Daraufhin entschließt sich David zu einem Kriegszug gegen Nabal. Abigail hört von diesem Entschluss, bringt den geforderten Lebensmitteltribut auf und zieht David entgegen. Beim Aufeinandertreffen beider stieg sie eilends vom Esel, fiel vor David auf ihr Angesicht und neigte sich zur Erde; sie fiel zu seinen Füßen nieder. (1Sam 25,23f)
Ausdrücklich bittet sie David, „den sie „als eigentliche[n] Herrscher Israels und Statthalter Jahwes“173 ansieht, um Vergebung für die Schmach, die Nabal David angetan hat. Das Verneigen ist als Gestus der Unterwerfung anzusehen. Diese Szene wird am Schluss der Geschichte in 1Sam 25 nochmals wiederholt, wenn ihr die Nachricht von Davids Boten ausgerichtet wird: (40b) „David hat uns zu dir geschickt, um sich dich zur Frau zu nehmen.“ (41) Da stand sie auf, neigte ihr Gesicht zur Erde und sagte: „Siehe, deine Magd taugt zur Dienerin, um die Füße der Knechte meines Herrn zu waschen.“
Während die Boten Davids Wunsch übermitteln, Abigail zur Frau zu nehmen, formuliert diese in ihrer Entgegnung den größtmöglichen Gegensatz, wenn sie in einer Form von Selbsterniedrigung von sich als Magd spricht, die die Füße von Davids Abgesandten waschen will. 169 170 171 172 173
I. Fischer, Rut, 174. I. Fischer, Rut, 174. I. Fischer, Rut, 175. Vgl. dazu Riede, Eselreiterin, 122f. Stolz, ZBK.AT 9, 161.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
229
Gerade die Proskynese ist in Zusammenhang mit dem Königtum wichtig174, wo sie mit entsprechenden sprachlichen Formulierungen, wie der Anrede „mein Herr und mein König“ verbunden sein kann (vgl. 1Sam 24,9b). Ist es in der Szene mit Abigail die Huldigung gegenüber dem Höherstehenden und späteren König, so findet sich der Hinweis auf eine vergleichbare Szene auch in direktem Zusammenhang mit einem herrschenden König, dem die Könige fremder Völker ihre Ehrerbietung erweisen (Ps 72,9–11): 9 10 11
Vor ihm sollen sich beugen die Wüstenbewohner und seine Feinde sollen Staub lecken. Die Könige von Tarschisch und von den Küsten sollen Gaben bringen, die Könige von Scheba und Seba sollen Tribut errichten. Es sollen ihm huldigen alle Könige, alle Nationen ihm dienen.
Die Huldigung ist verbunden mit dem Bringen von Geschenken bzw. Tributen. Was nach Ps 72,11 durch die fremden Könige vollzogen wird, wird in Ps 45 von der „fremden“ Königsgemahlin erwartet. Ihre Huldigung ist also Zeichen der Anerkenntnis und Selbsterniedrigung, wie sie „jeder Untertan leisten musste, der dem König in der Audienz begegnete“175. Die Darstellung einer solchen Huldigung im Rahmen einer Audienz findet sich auf einer Szene aus einem Grab in Abd el-Qurna176 (Abb. 30) aus der Zeit Thutmosis’ IV. (1397–1388 v.Chr.). Die Szene zeigt eine lange Reihe von Personen aus Asien, die vor den Pharao kommen. Die ersten drei in jedem der Register huldigen, die übrigen bringen landestypische Geschenke wie einen Köcher oder verschiedene Gefäße, wie sie für Kreta oder auch für Syrien belegbar sind, darunter auch ein Ölhorn aus Elfenbein, das mit einem Goldband verziert ist. Unter den Huldigungsgaben ist auch ein Kind. Die Huldigung der Königin in Ps 45 aber gilt ihrem אָ דֹון.
174
175 176
Vgl. Kreutzer, Bedeutung, 53; Heiler, Körperhaltung, 171ff; Grube, Aspects, 191.193; zur Definition von symbolischen Handlungen und Gesten vgl. auch Malul, Studies, 20ff. R. Müller, Schönheit, 25 und Est 3,2. Vgl. Keel, AOBPs, 282 mit Abb. 344; s. auch die Huldigungsszene aus dem Grab des Haremhab: Riede, David und der Floh, 79, Abb. 2.
230
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 30: Huldigungsszene aus einem Grab aus Abd el-Qurna
Exkurs 3: Der Titel אׇ דֹון Die Bezeichnung אָ דֹוןstellt nach גִּ ּבֹורund אֱֹלהִּ יםeine dritte Funktionsbestimmung des Königs dar. Innerhalb des Alten Testaments findet sich verschiedentlich die Titulatur „ אָ דֹוןHerr“ für Menschen177, so z.B. in Gen 24,18 und in Ri 4,18. Dabei wird als Gegenbegriff häufig das Nomen „ עבדKnecht“ verwendet178, z.T. als unterwürfige Selbstbezeichnung. Mit diesen polaren Bezeichnungen, die sich sowohl in Anreden wie in Aussagen finden, wird ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis umschrieben, mit dem zugleich soziale Ordnun177 178
Vgl. Jenni, Art. אָ דֹון, 32; Eißfeldt, Art. אָ דֹון, 65. Vgl. dazu Jungbluth, Im Himmel, 54f; Ballhorn, Von David, 290ff; Rohde, Art. Dienen / Diener (AT), Abschnitt 2.2.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
231
gen und Rollen festgelegt werden. Die Anrede אׇ דֹוןkann daneben auch als Ausdruck von Höflichkeit gegenüber anderen Personen verwendet werden. Nicht von ungefähr findet sich diese Bezeichnung vielfach für Könige, und dies vor allem in der Literatur, die von Königshöfen stammt bzw. vom Königtum handelt179. So bezeugt beispielsweise David gegenüber Saul seine Ehrerbietung mit den Worten: „Mein Herr König!“ (1Sam 24,9)
Diese Formel findet sich im Zusammenhang des Königtums 58mal und ist hauptsächlich beschränkt auf die Samuel- und Königebücher180, wo sie die übergeordnete Stellung des Königs und die untergeordnete der Anredenden zum Ausdruck bringt181. Dies zeigt sich beispielsweise auch in Ps 110,1, wo ein Priester oder Prophet den König mit den Worten anspricht: Ausspruch JHWHs für meinen Herrn –
und dabei an das Rollenspiel anknüpft, das „den Sitten des Hofes (folgt)“182. Wo es um die Verhältnisbestimmung zwischen einer Frau und einem Mann in einer höhergestellten Position geht, finden sich statt עבדandere Bezeichnungen wie „ ִּשׁפְ חָ הSklavin“ oder „ אָ מָ הMagd, Dienerin“183. So nennt sich Abigail gegenüber ihrem „Herrn“ David „Magd“ (1Sam 25), wobei auffällt, welches Gewicht diese Bezeichnungen innerhalb der Erzählung haben: 14mal wird David „mein Herr“ genannt, 6mal spricht Abigail von sich als „Magd“. Das Verhältnis von Menschen mit unterschiedlichem Status steht auch im Hintergrund von Rut 2,13184. Ruth spricht zu Boas: „Möge ich doch Gnade ( )חֵ ןfinden in deinen Augen, mein Herr, denn du hast mich getröstet. Und du hast zum Herzen deiner Sklavin geredet. Ich aber: Ich bin nicht wie eine deiner Sklavinnen.“ 179
180 181 182 183 184
Zu einer Parallele im Baal-Zyklus (KTU 1.6 VI 57–58), wo der König Niqmaddu evtl. mit der Bezeichnung adn versehen wird, vgl. Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 93–95. Die Deutung der Bezeichnung ist allerdings umstritten. Vgl. M. Rösel, Adonaj, 28; Jungbluth, Im Himmel, 53 mit Anm. 141; Lande, Formelhafte Wendungen, 32, vgl. ferner Jer 37,20; 38,9; Dan 1,10. Vgl. Jungbluth, Im Himmel, 54. Levin, Königsritual, 245. Zu den Bezeichnungen vgl. Engelken, Frauen, 127ff, bes. 166f. Vgl. Janowski, Ethos der Hingabe, 106.
232
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Auch hier ist es geprägte Sprache, die sich auf den Umgang mit einem Höhergestellten bezieht, wie die Stichworte „Gnade finden“ und die Selbstbezeichnung „Sklavin“ deutlich machen. Dabei ist die vorliegende Selbsterniedrigung nicht gleichzusetzen mit dem Sozialstatus einer Sklavin. Deutlich tritt stattdessen die Sozial- und Geschlechterhierarchie zutage185. „So reden Menschen zu Höhergestellten, auch wenn sie freie Bürgerinnen und Bürger sind“186. Dabei fällt auf, dass Ruth den niedrigsten möglichen sozialen Rang für sich wählt, den der Sklavin ()שׁפְ חָ ה. ִּ Diese Selbstbezeichnung findet sich zweimal. Nur wenige Stellen gibt es, in der von einem Ehemann187 als אׇ דֹוןder Frau gesprochen wird188. So heißt es Gen 18,12: Sara lachte bei sich und dachte: „Nun ich verbraucht bin, soll ich noch Liebeslust empfinden, und mein Herr alt ist.“
Und in Am 4,1 werden die vornehmen Frauen Samarias folgendermaßen angesprochen: „Hört dies Wort, ihr Baschanskühe auf Samarias Berg, die Elende unterdrücken, Arme schinden, zu ihren Herren189 sagen: ‚Schaff her, dass wir trinken!‘“
In dieser Einleitung eines prophetischen Gerichtswort haben wir in äußerst polemischer Zuspitzung eine Aufforderung, die sich an die adligen Damen der Hauptstadt Samaria richtet. Der Terminus „Baschanskühe“ bezieht sich dabei auf eine Lebensart, die egoistisch und rücksichtslos allein das eigene Wohlergehen im Blick hat und auch vor ausbeuterischer Unterdrückung von Armen und Abhängigen nicht zurückschreckt. Der Begriff „Herren“, der sich in Am 4,1 im Munde der führenden Damen findet, ist eine Bezeichnung für deren Ehemänner190. Möglicherweise sind diese eben zugleich auch die „Führer des Volkes …, die bei Trinkgelagen ihre eigentliche Aufgabe vergessen“191. 185 186 187 188 189 190 191
Vgl. I. Fischer, Rut, 181. I. Fischer, Rut, 180. Der übliche Terminus ist ּבַ עַל. Vgl. daneben auch Ri 19,26f. Zum Problem des maskulinen Suffixes anstatt des zu erwartenden femininen vgl. M. Rösel, Adonaj, 74; Wolff, BK XIV/2, 65. Vgl. dazu Jeremias, ATD 24/2, 44; zu einer anderen Deutung vgl. Fleischer, Von Menschenverkäufern, 92. M. Rösel, Adonaj, 74.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
233
In Ps 45 wird der Terminus אׇ דֹוןin zweifacher Hinsicht verwendet: Einerseits ist er entsprechend der rituellen Kommunikation am Hofe eine Bezeichnung für den König, andererseits wird dieser durch das Suffix der 2. P. f. Sg. („dein“) auch in seiner Rolle als Ehemann angesprochen192. – Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die in Ps 45 entfaltete Szenerie bezieht sich nicht konkret auf die unmittelbar bevorstehende Hochzeit des Königs mit einer ausländischen Prinzessin, sondern kann die längst zurückliegende Situation der Hochzeit193 und vor allem die damals an die Braut gegebenen Mahnungen, die dauerhaft gelten, aktuell in Erinnerung bringen194 und so die grundsätzliche Aufgabe der Königsgemahlin herausstellen. Durch die Erinnerung an diese Rollenbestimmung der Königin wird diese geradezu programmatisch erneuert. Dies zeigt einmal mehr, dass Ps 45 eben kein Hochzeitslied ist. Zugleich werden in diesen Versen die Herrschaftsverhältnisse geklärt: Die Huldigung der Gemahlin gilt allein dem König. Diese Huldigung hat aber eine Parallele in der darauffolgenden Anerkennung des neuen Status der Königin durch den Hofstaat. 3. Die Anerkennung des neuen Status der Königin durch die Reichen im Volk In V. 13 wird die Frau an der Seite des Königs nach V. 11 ein zweites Mal direkt angeredet, wobei nun ihre geographische bzw. genealogische Herkunft im Blick ist195: Nun wird sie Tochter von Tyrus196 genannt197. Wie auch sonst oft im Alten Testament heißen die Mädchen oder Frauen eines Volkes oder einer Stadt dessen bzw. deren Töchter. Unwahrscheinlich da192 193 194
195 196 197
Vgl. dazu Ueberschaer, Ich und mein König, 19. Vgl. dazu Saur, Königspsalmen, 128; Gerstenberger, Psalms I, 190: „The text probably served for more than one wedding“. Vgl. dazu Graetz, Psalmen, 321: „Dieser Hymnus braucht nicht zu einer Zeit gedichtet worden sein, als die Braut zuerst dem Könige zugeführt wurde, sondern kann auch später gedichtet sein, als sie bereits die Krone trug, aber ihr Vaterhaus noch immer nicht vergessen konnte“. Vgl. Ueberschaer, Ich und mein König, 18. צֹורspielt im Übrigen in Ps 83,8 und 87,4 (Korachpsalm!) eine wichtige Rolle. Vgl. dazu oben S. 44–46. Anders z.B. Saur, Königspsalmen, 124 Anm. 49; Böhler, Psalmen 1–50, 828, der die „Tochter von Tyrus“ als Hochzeitsgast ansieht.
234
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
gegen ist, dass sich, wie oft angenommen wird, die Bezeichnung ּבַ ת־צרauf ein Kollektiv198 bezieht, also die Einwohnerschaft der Stadt Tyrus, die anders als die Tochter vorher ja nicht erwähnt wird, oder dass Tyrus hier wie andernorts Zion / Jerusalem „unter dem Bild einer בתpersonifiziert wird“199. Gerade durch die gehäufte Verwendung des Terminus ּבַ תbzw. ּבְ נֹותim zweiten Teil des Psalms liegt auch für V. 13 ein wörtliches Verständnis im Sinne von Zugehörigkeit oder Herkunft näher. Schon V. 11 deutete darauf hin, dass die angesprochene Königstocher aus einem fremden Volk stammte. Das muss nicht weiter verwundern, hatten Ehen mit Prinzessinnen aus anderen Königshäusern durchaus eine diplomatische Bedeutung200. 1Kön 11,1 nennt zudem unter den Frauen des Königs auch phönizische („sidonische“) Prinzessinnen201, so dass die Herkunft aus Tyrus auch aufgrund der guten nachbarlichen Verbindungen erklärbar wäre. Tyrus, die phönizische Inselstadt am Mittelmeer, 9 km südlich des Nahr el-Liṯānī und 50 km nördlich des Karmel gelegen, ist eine der in unterschiedlichen und aus verschiedenen Zeiten stammenden Quellen des Alten Orients am besten bezeugten Städte der Levante202. Ihre besondere Bedeutung erhielt Tyrus durch den Handel und den daraus resultierenden Reichtum und Luxus dieser Stadt (vgl. Ez 27f). Die in Juda und Israel herrschenden Könige hatten zu ihr verschiedentliche Kontakte. Schon Salomo schloss nach 1Kön 5,16ff mit dem tyrischen Stadtfürsten Hiram I. (969–936 v.Chr.) einen engen Handelskontrakt, der die Lieferung von Bauholz und die Gestellung von Handwerkern vorsah. Im Gegenzug soll Salomo Teile seines nördlichen Territoriums, insbesondere die Ebene von Akko, an Hiram abgetreten haben. Von beiden Königen wird auch berichtet, dass sie Schiffsexpeditionen ins Goldland von Ophir aussandten (1Kön 9,26– 28). Etbaal I. (887–856 v.Chr.) stärkte die Bande zum nordisraelitischen Königtum, als er seine Tochter Isebel König Ahab zur Frau gab (1Kön 6,26–28). Vermutlich ging es bei dieser Heiratspolitik auch um die Sicherung der Handelskontakte.
Mit der Erwähnung der Reichen kommt nun der königliche Hof in den Blick. Wenn in V. 13 der Tochter Tyrus von den Reichen als den Angehörigen der Oberschicht der Königin mit einer Gabe203 bzw. mit Geschenken
198 199 200 201 202 203
Vgl. dazu oben S. 44f. Haag, Art. ּבַ ת, 869. Unwahrscheinlich ist ferner, dass die ּבַ ת־צרzu den Gabenbringern gehört. Vgl. dazu auch unten S. 304 mit Anm. 62. Vgl. dazu Knauf, 1Könige 1–14, 328. Vgl. Zwickel, Art. Tyrus, 1382; Görg, Art. Tyrus, 937–940; Saur, Art. Tyrus. Zu Tyrus und seiner Bedeutung vgl. auch Saur, Königspsalmen, 128. Zu ִּמנְ חָ הals freiwilligem Geschenk, Tribut vgl. Fabry / Weinfeld, Art. מנְ חָ ה, ִּ 995f.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
235
gehuldigt wird, so wollen diese damit ihre Gunst erlangen204. Es geht also um die Huldigung der führenden Repräsentanten des Volkes205, zu dem die Königin nun gehört206, im Unterschied zu dem Volk ihrer Abstammung, das sie vergessen soll. Dabei bezieht sich ָפנַיִּ ךmit dem Personalpronomen 2. Sg. f. eindeutig auf die im Vokativ angesprochene ּבַ ת־צרzurück. Ging es in V. 11 um die Abkehr von der bisherigen Familie – die Autorität des Vaters als Familienoberhaupt wird durch die des Königs ersetzt –, so geschieht durch die Huldigung der Reichen die Integration der tyrischen Prinzessin auch äußerlich sichtbar (V. 13). Der Reichtum von Menschen ist im Alten Testament eine ambivalente Größe207. An vielen Stellen hat Reichtum ein negatives Image, besonders wenn damit Ungerechtigkeit gegenüber Armen verbunden ist, wie die folgenden Stellen verdeutlichen: Süß ist der Schlaf des Arbeiters, ob er wenig oder viel gegessen hat. Doch die Sattheit des Reichen lässt ihn keine Ruhe finden zum Schlafen. (Koh 5,11) Flehentlich muss der Arme reden, aber der Reiche antwortet mit Härte. (Spr 18,23) Wer den Geringen bedrückt, um sich zu bereichern, wer einem Reichen (Geschenke) gibt – nur zum Mangel (ist beides). (Spr 22,16) Besser ein Armer, der tadellos lebt, als einer, der die Wege verkehrt und reich ist. (Spr 28,6) Weise in seinen Augen mag ein Reicher sein, ein Geringer, der versteht, durchschaut ihn. (Spr 28,11) Ein eher ambivalentes Bild eines reichen Menschen zeichnet dagegen Spr 14,20: Sogar seinem Freunde ist der Arme verhasst, aber die Liebhaber des Reichen sind zahlreich. 204 205 206
207
Vgl. Gunkel, Ausgewählte Psalmen, 78; Vette, „Who is Who“, 124; Saleska, Psalms 1–50, 687. „Die Reichsten im Volk“. Anders Kremser, Hochzeit, 207, der die Reichen des Volkes mit Angehörigen des Volkes der Königstochter identifizieren will, vgl. zur Huldigung durch die Reichen des Volkes Saur, Königspsalmen, 124 Anm. 49. Festzuhalten ist, dass die Wendung ע ֲִּשׁ ֵירי עַםim Alten Testament nur hier vorkommt. Zu den verschiedenen Aspekten von Reichtum vgl. Sæbø, Art. עָשַׁ ר, 451f; Jungbauer, Art. Reichtum, 1125.
236
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Hier wird Reichtum als bestehendes Faktum hingenommen, z.T. ist er auch ein erstrebenswerter Idealzustand. Häufig findet sich die Verbindung von Weisheit und Reichtum (Spr 3,16; 8,18; 14,24), wobei gerade der Reichtum als Gabe Gottes und als Ausdruck des göttlichen Segens angesehen werden kann (Koh 5,18; 6,2)208. Reiche gehörten generell der „Herrschaftsschicht“209 an, wie man e contrario Koh 10,6 entnehmen kann: Die Torheit wurde auf höchste Höhen gestellt, Reiche aber sitzen in Erniedrigung. Im Hintergrund dieser auf schmerzliche Erfahrungen gründenden Sentenz steht die Tatsache, „dass in traditionalen und aristokratischen Gesellschaften … politischer und sozialer Einfluss und Vermögen miteinander verbunden waren“210. Koh 10,6 beklagt nun die Umwertung des Idealzustandes. Nicht die Besten herrschen, sondern das Gegenteil ist der Fall. „Reiche und Fürsten, denen politischer Einfluss und Kompetenz zukommen, werden ins politische Abseits gestellt“211, während ungebildete Sklaven „hoch zu Ross“ sitzen.
Reiche gehörten somit in den Kontext des Königtums. Und es verwundert daher nicht, dass gerade sie die Königin mit einem Geschenk ehren. Dieses Geschenk wird mit dem Terminus ִּמנְחָ הumschrieben. a) Zur Bedeutung von ִּמנְחָ ה Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten überbringen die Reichen der Königin ein Geschenk. Das Wort ִּמנְחָ הkann sich auf verschiedene Formen von Gaben beziehen. Damit können zum einen die Tribute feindlicher Völker gemeint sein, die diese überbringen, andererseits auch Geschenke, wie aus Ps 72,10 hervorgeht212. Die Könige von Tarsis und den Küsten sollen Gaben bringen, die Könige von Scheba und Seba sollen Tribut darbringen. Und es sollen ihm huldigen alle Könige, alle Nationen ihm dienen.
208 209 210 211 212
Vgl. Görg / Schottroff, Art. Reichtum, 313; R. Kessler, Art. Armut / Arme (AT), Abschnitt 3. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 506. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 490. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 491. Vgl. oben S. 229 und Salo, Königsideologie, 261ff.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
237
Jakob schickt seinem Bruder Esau vor ihrer Wiederbegegnung eine große Viehherde als Gabe entgegen. Damit will er ihn als Landesherrn anerkennen und gleichzeitig milde stimmen (Gen 32,14)213. Diese ִּמנְחָ הhat somit das Ziel, das Wohlwollen ( )חֵ ןEsaus zu erringen. Zugleich soll die wohlgefällige Annahme (רצָ ה:ָ Gen 33,10) dieses Geschenkes erreicht werden. Auch Josefs Brüder wollen seine Gunst gewinnen, indem sie ihm nicht nur die von ihnen gewünschten Getreidelieferungen bezahlen, sondern ihm zudem eine großzügig bemessene ִּמנְחָ הzukommen lassen. Diese besteht aus Balsam, Honig, Tragakanth, Ladanum, Pistazien und Mandeln (Gen 43,11.15.25f). Dadurch soll der Beschenkte gegenüber dem Geber zu einer besonderen Haltung kommen und positiv gestimmt werden. Mit einer ִּמנְחָ הkonnte somit ein bestimmtes Ziel verbunden sein, z.B. die Absicht, eine bestimmte Person für sich einzunehmen oder einen Bündnispartner zu gewinnen (vgl. 2Kön 16,8)214. Eine solche ִּמנְחָ הhat aber keinen Freiwilligkeitscharakter. Höhergestellten, wie Königen oder Angehörigen des Hofes oder auch der Königin (Ps 45), kam eine solche Gabe zu, „insbesondere, wenn Untergebene ihre Loyalität bezeugen sollten oder als Bittsteller auftraten und sich besonders um Gunst bemühen mussten“215. Diese Gaben waren symbolische Handlungen, sie unterstrichen und sicherten geradezu „die Machtposition des Empfängers“216 und die untergeordnete Stellung des Gebers217 (vgl. Ps 72,10). Beispielsweise war es üblich, im Rahmen des diplomatischen Verkehrs das Landesoberhaupt eines befreundeten Nachbarstaates mit einer ִּמנְחָ הzu ehren und so an seinem persönlichen Ergehen Anteil zu nehmen (2Kön 20,12). „Wenn ausländische Völker einem König Gaben bringen, so ist dies ein Zeichen der Pracht- und Machtentfaltung dieses Königtums“218. Nicht umsonst finden sich Darstellungen von Gabendarbringungen auch ikonographisch, so z.B. auf dem Schwarzen Obelisken Salmanassars III.
213 214 215 216 217 218
Vgl. dazu Janowski, Sühne, 111. Vgl. Fabry / Weinfeld, Art. מנְ חָ ה, ִּ 945; Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 1.2. Grund, Homo donans, 62, vgl. Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 2. Grund, Homo donans, 63. Vgl. Jungbluth, Im Himmel, 72. Grund, Homo donans, 64, vgl. Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 4.4.
238
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Abb. 31: Gabenbringer auf dem Schwarzen Obelisken Salmanassars III. (858–823 v.Chr.)
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
239
Am Bekanntesten ist die Darstellung auf dem 2. Register, die Jehu von Israel zeigt, wie er sich vor dem assyrischen König niederwirft219 (Abb. 31). Dieser Gestus ist nicht im Sinne einer Demütigung zu verstehen, sondern ist Ausdruck einer besonderen Nähe und der freiwilligen Loyalität des Vasallen220. Das zeigt sich auch daran, dass die drei weiteren Register dieser Seite die Tribute zeigen, die der König dem assyrischen Herrscher darbringt. Die zugehörige Beischrift zählt auf Silber, Gold, eine goldene Schale, ein goldenes Gefäß, Goldbecher, Goldeimer, Zinn, einen Holzstab für die Hand des Königs und Speere. Auffällig ist im Übrigen, dass der König im obersten Register „in voller Bewaffnung mit Waffenträgern und hohen Militärs“221 erscheint, im darunter liegenden „in einem zeremoniellen Schalgewand, den Becher erhebend und nur von Eunuchen begleitet“222. Die Darstellungen zeigen ihn so einmal als siegreichen Krieger, zum anderen als Friedensfürsten.
Abb. 32: Syrische Gabenbringer Darstellung an der Osttreppe des Apadāna in Persepolis
Auch auf den Reliefs der achämenidischen Großfürsten aus Persepolis finden sich Gabenbringer. So zeigt Abb. 32 Syrer, die verschiedene Metallgefäße und zwei Widder als Geschenke mit sich führen, um diese dem persischen Großkönig zu übergeben223. Diese Gaben sind Ausdruck der „Huldigung und Respektbezeugung“224 und erfüllen eine wesentliche soziale 219 220 221 222 223 224
Vgl. Robker, Art. Salmanassar III.; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 215f. Das erste Register bezieht sich auf Sua aus Gilzanu. Vgl. dazu Keel / Uehlinger, Salmanassar III., 414; Uehlinger, Bildquellen, 52; Schroer, IPIAO 4, 658; Kühn, Die „Zwei Körper des Königs“, 215. Uehlinger, Bildquellen, 52. Uehlinger, Bildquellen, 52. Vgl. dazu H. Koch, Es kündet, 107; zum Bildprogramm vgl. auch Salo, Königsideologie, 267f. Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 4.4.
240
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Funktion im Gegenüber von Oberherrn und Vasallen. „Der Herr hat einen Anspruch auf die Gabe, die ihm die Vasallen schuldeten“225. Wo aber eine solche Gabe und damit die gebührende Reverenz abgelehnt wurden, galt dies als entwürdigend, wie 1Sam 10,27 zeigt. Anlässlich der Wahl Sauls zum König verweigern einige Leute die Anerkennung seiner neuen Position durch ein Huldigungsgeschenk mit den Worten: „Was kann der uns helfen?“
Diese Verweigerung ist verbunden mit Verachtung und „kommt einer Illoyalität gleich“226. So kann festgehalten werden: Die Huldigung des Hofes gegenüber der Königin, die in einer ִּמנְחָ הihren Ausdruck findet, dient der Anerkennung ihres neuen Status. War die Königin in V. 11 aufgefordert, dem König zu huldigen, so zeigt V. 13 nun die Anerkennung ihrer neuen Rolle und der damit verbundenen hohen Stellung durch den durch die Reichen repräsentierten Hofstaat. Damit ist der Rollen- und Statuswechsel vollzogen. Nicht mehr die Herkunft („dein Volk“ // „das Haus deines Vaters“) steht nun im Mittelpunkt des Interesses, sondern die neue Funktion, die vom Hof eigens durch die Gabe anerkannt wird. Stellvertretend für den Hof werden „die Reichen des Volkes“ explizit genannt. Mit dieser Anerkennung kommt nun auch der Königin eine Art Zwischenstellung zu: Sie rangiert in der Hierarchie zwischen dem König, dem sie huldigt, und dem Volk, das ihr huldigt. Das aber zeigt: „In jedem Fall war ihre Macht als Hauptfrau des Königs größer als die anderer Frauen des Herrschers“227. In diesem Zusammenhang kann noch einmal auf die Hofszene auf dem Elfenbeinpaneel aus Megiddo hingewiesen werden (Abb. 20), das Menschen zeigt, die dem Herrscher ihre Gaben darbringen. In ähnlicher Weise könnte man sich die Gabendarbringung vorstellen, die der Königin gilt.
225 226 227
Sigismund, Art. Geschenk, Abschnitt 4.4. Fabry / Weinfeld, Art. מנְ חָ ה, ִּ 995. Jost, Art. Königin, Abschnitt 2.3. In diesem Zusammenhang kann man vielleicht auf Ägypten verweisen, wo das „Königtum … im Prinzip durch König und Königin verkörpert [wurde], wobei der maskulinen Komponente jedoch eine deutliche Vorrangstellung zukam“ (Roth-Hoffmann, Art. Königin [Ägypten)], Abschnitt 3.1.).
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
241
b) Zur Bedeutung der Wendung חלה ָפנַיִּ ך Mit der Gabe der Reichen wird die herausgehobene Stellung, die Autorität der Königin zum Ausdruck gebracht. Das bedeutet aber: Die Königin ist dem König untergeordnet, aber nur ihm, wie die Huldigung zeigt. Die Anerkennung der Königin durch die Reichen spiegelt sich auch in der Wendung „ חלה פָנִּיםhuldigen, mild stimmen, umschmeicheln“, gehört sie doch in den Kontext einer Audienzszenerie228 und damit zum üblichen Hofzeremoniell, wo sie bestimmte Konstellationen der handelnden Personen umschreibt229. Der Handelnde hat immer den sozial niedrigeren Rang, der „Behandelte“, also der, der zuschaut, ist dagegen der sozial Höherstehende230. Der passive, mächtigere Teil des Geschehens wird immer im Singular, der schwächere, aktive Teil meist im Plural genannt. Nur selten findet sich die Formel bezogen auf Menschen231, so beispielsweise in Spr 19,6: Viele schmeicheln dem Angesicht eines Vornehmen ()נ ִָּדיב, und jeder ist der Freund für den Mann des Geschenks ()מַ תָ ן. Viele werben um die Gunst des einen Herausgestellten, und versuchen sie mittels eines Geschenks zu erreichen. Und Hi 11,19 betont: Es schmeicheln viele dein Gesicht dir weich. In allen profanen Belegen bedeutet die gemeinte Handlungsweise eine Ehrung, „selbst für die Königin, aber auch für den von so viel Gefolge Umgebenen“232. Die Stellenbesetzung innerhalb der Formel weist darauf hin, „daß es zwei Sprachspielarten sind, in denen diese Wortfügung ihren Sitz im Leben hat: der Bereich höfischer Umgangsformen, zumindest der ‚Höflichkeit‘, und der Bereich kultischen Lebens“233. Die Formel zeigt an, dass man auf einen Höherstehenden einwirken will, um dessen Gunst zu erlangen und ihn für sich einzunehmen234. In diesem Sinn wird sie auch in Ps 45 gebraucht. 228
229 230 231
232 233 234
Vgl. zur Situierung der Formel auch Hartenstein, Das „Angesicht“ Gottes, 161 mit Anm. 21f sowie Mal 1,6–14. Zur möglichen Ableitung der Wurzel חלהvgl. Seybold, Referenz, 244f. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich in Ps 45 um das Verb חלהII pi. „schmücken“, vgl. auch Kremser, Hochzeit, 205. Vgl. Seybold, Referenz, 252; ders., Art. חׇ לׇה, 970; Stolz, Art. חלה, 570. Für Ägypten vgl. Brunner, Art. Hofzeremoniell, 1238; Hornung, Der Pharao, 333f. Vgl. Seybold, Referenz, 248. Vgl. neben eben Ps 45,13; Spr 19,6 und Hi 11,19 auch Sir 30,20.22; bezogen auf JHWH ist die Wendung 13mal belegt (zu den Belegen vgl. Seybold, Referenz, 241). Seybold, Referenz, 248. Seybold, Referenz, 248. Vgl. Seybold, Referenz, 257 und ebd. 248.
242
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Die Reichen des Volkes235 huldigen der Königin durch ihre Gaben, mit denen sie ihre neue Stellung anerkennen. Durch diese Huldigung wird ihr Übergang in einen anderen Sozialstatus manifest. Nun ist sie nicht mehr „Tochter ihres Vaters“, sondern „Frau ihres (Ehe-)Herrn“ und damit Teil des neuen Hofstaates236. Aber auch die wertvolle, bewunderungswürdige Kleidung der Königin markiert einen sozialen Unterschied zu ihrer Umgebung. Es geht somit beim Empfangen von Gesandtschaften und Geschenken darum, den „Status als offizielle Hauptgemahlin und Königin“237 herauszustellen. III. Die Hinwendung der Königin zum König (V. 14–16) 1. Die Herrlichkeit der Königin a) „Alle Pracht“ Während sich das bisherige Geschehen im Freien oder in einem Vorraum des Palastes abgespielt haben dürfte, wird im Folgenden der Blick auf Geschehnisse im Palastinneren gerichtet. Noch einmal wird die Königstochter angesprochen. Dabei weist die Anrede ּבַ ת־מָ לךauf den Vokativ ּבַ תbzw. die Bezeichnung ּבַ ת־צרzurück. Nun aber ist von der Herrlichkeit, der Pracht ( )כְ בּודָ הdie Rede, ein Wort das nur selten im Alten Testament vorkommt. In Ri 18,21 bezeichnet es den Tross bzw. die Habe. Interessanter ist Ez 23,41. Dort wird an die Vergehen der beiden Frauen Ohola und Oholiba erinnert. Von ihnen wird gesagt, dass sie sich fremden Männern zugewandt hätten, 40 41
235 236 237 238
für die du dich gebadet, dir die Augen geschminkt und Schmuck angelegt. Du saßest auf einem Prunkbett238, gedeckte Tafel davor, mein Räucherwerk und mein Öl hattest du darauf getan.
Vgl. dazu Sæbø, Art. עׇשַׁ ר, bes. 450f. Vgl. R. Müller, Schönheit, 25. M. Müller, Herr, 128. Häufig wird wie in Spr 7,16 „ רבודהbezogen“ statt כְ בּודָ הgelesen, das ist aber eine Textvereinfachung.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
243
Im Hintergrund steht der Vorwurf einer „Liebesorgie“239, wobei sich die zitierten Verse auf deren Vorbereitung beziehen. Das Baden, Schminken und das Anlegen von Schmuck gehören wesentlich zu dieser Vorbereitung. Dann wendet sich der Blick auf das Prunkbett, wohl ein Bett, das besonders mit Kissen oder Decken verziert war oder sich vielleicht auch sonst in seiner Ausstattung und seinem Zierrat von anderen Betten unterschied. Dieses Lager war mit Räucherwerk und Öl, also mit Duftstoffen parfümiert, ähnlich wie bei der Verführerin von Spr 7,17, die sich rühmt, sie habe ihr Lager mit Myrrhe, Aloe und Zimt bestreut. Das Lager, auf dem die Frau ihre Liebhaber empfängt, wurde in Ez 23,17 „Liebeslager“ genannt oder wörtlicher: „Liegen zum Liebesakt“ ()לְ ִּמ ְשׁכַב ד ִּדים240, wobei ד ִּדיםvor allem die sexuelle Liebe umschreibt241. Wendet man diese Beobachtungen auf Ps 45 an, so könnte man כְ בּודָ הals Umschreibung für ein Liebeslager ansehen. In Zusammenhang mit dem Begehren des Königs in V. 12 könnte der Passus somit „auf einen sexuellen Unterton und die Vereinigung beider Partner abzielen“242, so dass man den Passus dann so deuten könnte: „ihr voller Glanz wird sich innen erweisen“243. Was genau der Passus „alle Herrlichkeit ist drinnen“ (im Innern244 des Palastes) meint, ist nicht ganz klar. A. Malamat vermutet, dass mit פְ נִּ ימָ ה der Frauentrakt des Palastes gemeint sein könnte245, wie er beispielsweise im Estherbuch belegt ist (Est 2,3.9.11.13.14)246. Danach war das „Haus des (persischen) Königs“, also sein Privatbereich, „vom Frauenhaus räumlich getrennt“247. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Wendung den Innenbereich des königlichen Palastes in den Blick nimmt. Dafür spricht z.B. 2Kön 7,11, wo sich die Wendung ּבֵ ית הַ מלך פְ נִּ ימָ הauf das Innere des königlichen Palastes bezieht248. Dorthin melden die Wächter nächtens die Botschaft vom verlas239 240 241 242 243 244 245 246 247 248
Greenberg, Ezechiel 21–37, 128. Vgl. Greenberg, Ezechiel 21–37, 118; Paul, Sexual metaphors, 493. Vgl. Greenberg, Ezechiel 1–20, 334; Schellenberg, „In seinen Garten …“, 66 und Ez 16,8; Hld 4,10; 7,13 u.ö. M. Müller, Herr, 111, die sich letztlich gegen diese Möglichkeit entscheidet. M. Müller, Herr, 111. Zum Begriff פְ נִּימָ הvgl. Soden, Herkunft, 310f und Kiesow, Löwinnen, 76f sowie 1Kön 6,18. Vgl. Malamat, Harem, 785–787; Solvang, A Woman’s Place, 53f; M. Müller, Herr, 111. Vgl. dazu Ego, BK XXI, 11–14; Schottroff, Zugriff, 284f. Ego, BK XXI, 12. Vgl. dazu auch Saur, Königspsalmen, 124f; Kiesow, Löwinnen, 77.
244
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
senen aramäischen Feldlager. Auch 2Chr 29,16.18 könnte diese Annahme stützen. In diesem Text wird überliefert, dass die Priester anlässlich einer von Hiskia beauftragten Tempelreinigung in den Innenbereich des Hauses JHWHs kamen. Nach der Erfüllung dieses Auftrages heißt es dann, dass sie „(zum) Innenbereich, zum König Hiskia“ kommen. Diese Ortsbestimmung hat sicherlich das Innere von Hiskias Palast im Blick; „ob es sich möglicherweise um den Wohntrakt der ‚Frauen des Königs‘ handelte“249, lässt sich aus den genannten Stellen nicht klar erkennen.
Abb. 33: Frauentrakt im Palast des Pharao (Relief im Grab des Ai in Amarna, ca. 1340 v.Chr.)
Dass es für hochstehende Frauen besondere Wohnbereiche gab, zeigt der Hinweis auf das „Haus der Tochter des Pharaos“ (1Kön 7,8, vgl. 9,24)250. 249 250
Kiesow, Löwinnen, 77. Vgl. Schipper, Art. Tochter Pharaos.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
245
Nicht in diesen Zusammenhang gehört 2Sam 15,16, wo von den zehn Nebenfrau Davids die Rede ist, die „das Haus bewachen“251. Wie man sich den Harem, das Frauenhaus in einem Königspalast, in etwa vorstellen kann, zeigt eine Darstellung aus dem Grab des Ai in Tell el-Amarna252, das das Frauenhaus des Pharaos zeigt (vgl. Abb. 33). Es besteht aus unterschiedlichen Gemächern, an deren Türen sitzende oder stehende Wächter platziert sind. Die Frauen in den einzelnen Räumen sind mit unterschiedlichen Tätigkeiten beschäftigt. Neben dem Essen und Frisieren gehören dazu auch der Tanz und das Musizieren. Auffällig sind die Haartrachten der dargestellten Frauen. Sie lassen auf syrische und nicht auf ägyptische Herkunft schließen, was zeigt, dass im Harem auch Sängerinnen aus anderen Ländern zu finden waren. An Instrumenten finden sich u.a. eine Schulter- und eine Standharfe, außerdem eine Laute.
Die Beschreibung der Königin wird fortgesetzt durch einen Hinweis auf ihre prächtigen Gewänder. b) Das golddurchwirkte Gewand Besonders ihre Kleidung unterstreicht die Schönheit und den Status der Königin253. Ihr Glanz entspricht dem des Königs (vgl. V. 4) genau wie ihr Gewand seinen kostbaren Kleidern (V. 9). Die prachtvolle Erscheinung der Königin steht der des Königs in nichts nach254. Hatte V. 10 den Goldschmuck der Königin gerühmt ()כֶתֶ ם אֹופִ יר, so kommt nun ihre golddurchwirkte oder mit goldenen Einfassungen versehene Gewandung255 in den Blick (V. 14). Insofern geben die beiden unterschiedlichen Beschreibungen der Pracht der Königin keinen Anlass für die Annahme von zwei unterschiedlichen Personen256 oder gar für Textschichtungen innerhalb des Psalms.
251 252
253 254 255 256
Anders Kiesow, Löwinnen, 72. Vgl. dazu Greßmann, AOB, Abb. 77; Erman / Ranke, Leben, 80; Keel, ZBK.AT 18, Abb. 145; Schottroff, Zugriff, 279; Staubli / Schroer, Menschenbilder, Abb. 7d. Zum Harem in Ägypten vgl. auch Seipel, Art. Harim, 983; Robins, Frauenleben, 46f. Vgl. Ringgren, Art. ָיפָ ה, 788. Vgl. M. Müller, Herr, 120. Vgl. Delitzsch, BC IV/1, 343. Anders Vette, „Wer ist Wer“, 214f; ders., „Who is Who“, 125; Ueberschaer, Ich und mein König, 17.
246
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
Das hebräische Nomen לְ בּושׁ, abgeleitet vom Verb לבשׁ, bezeichnet eine Kleidung bzw. Gewandung, der durchaus etwas Exquisites zukommen konnte, worauf die Zusammenstellung mit anderen Begriffen aus dem Bereich des Textilen oder die nähere Charakterisierung der Gewandung hindeuten257. Solch edle Kleidung findet sich gerade als Geschenk des siegreichen Königs nach erfolgreichen Feldzügen. Das rühmt noch in der Rückschau das Klagelied um Saul 2Sam 1,24: Töchter Israels, weint um Saul, der euch in feines Karmesinrot gekleidet, der goldnen Schmuck an eure Kleider geheftet.
In ähnlicher Weise finden sich prachtvolle Kleider als Geschenke des Königs in Est 6,8–11 und Est 8,15. Ps 45 charakterisiert die Prachtgewandung der Königin noch näher mit dem Terminus מ ְשּׁבְ צֹות. ִ ִּמ ְשׁ ְּבצֹותist ein eher seltener Ausdruck, vermutlich ein Fachterminus258. Prominent erscheint er in Ex 28 in Zusammenhang mit der Schilderung des Efods, dessen Schulterstücke mit zwei Onyx-Steinen versehen waren, die goldene Fassungen aufwiesen, wobei זָהָ בdas Material bezeichnet, aus dem die ִּמ ְשׁ ְּבצֹותbestehen. Dem Ausdruck ִּמ ְשׁ ְּבצֹותliegt die Wurzel שׁבץI zugrunde, deren genaue Bedeutung schwer zu bestimmen ist. Möglicherweise ist bei ִּמ ְשׁ ְּבצֹותein Gewand im Blick, das ähnlich wie das Priestergewand goldene Einfassungen enthielt, also vielleicht „mit Goldfäden durchwirkte Borten und Säume des Gewandes“259. Vielleicht sind aber auch „gänzlich golddurchwirkte Gewänder“260 gemeint. Dass mit dem Ausdruck auf das hohepriesterliche Gewand Aarons angespielt wird, wie K. Kremser vermutet261, ist unwahrscheinlich. Eher ist davon auszugehen, dass die Königin ebenso wie Aaron mit prächtigen Kleidern ausgestattet ist, die ihren Rang und ihre Stellung unterstreichen262.
Solche Kleider wie die beschriebenen sind Ausdruck von Luxus. Darstellungen von mit Metallfäden und Goldplättchen versehenen Gewändern finden sich beispielsweise auf neuassyrischen Reliefs. So zeigt die bekannte Bankettszene aus dem 7. Jh. v.Chr. (vgl. Abb. 34)263 die Königin Libbališarrat, die Gemahlin Assurbanipals, auf einem hohen Thron sitzend, ange257 258 259 260 261 262 263
Vgl. dazu Bender, Sprache, 95. Vgl. Kremser, Hochzeit, 215; Hönig, Bekleidung, 139. Hönig, Bekleidung, 139. Hönig, Bekleidung, 139f. Vgl. Kremser, Hochzeit, 215. Vgl. dazu auch Schmitz, Schönheit, 138. Vgl. Svärd, Machtvolle Frauen, 34f; Ornan, The Queen, 463ff.
Zweiter Teil: Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte
247
tan mit einer „Mauerkrone“ als Zeichen der Vorherrschaft Assyriens und in wertvolle, kunstvoll verzierte Kleider gehüllt. In Jes 3,18–23 haben wir eine umfassende Liste von weiblichen Pretiosen überliefert264, die eine Ahnung davon vermittelt, wie die modische Ausstattung der Frauen der Oberschicht ausgesehen hat, wobei manche der hier zu findenden Ausdrücke in ihrer genauen Bedeutung unklar sind265. Die Liste hebt u.a. hervor: Den Schmuck der Fußspangen, die kleinen Sonnen und Monde; die Ohrgehänge, Armkettchen und Schleier; die Turbane, Fußkettchen und Prachtgürtel, die Riechfläschchen und Amulette, die Fingerreife und Nasenreife; die Festkleider und Umhänge, die Umschlagtücher und Täschchen; die Spiegel und feinen Schleier, die Schals und Kopftücher.
Einen besonderen Wert erhalten die Gewänder zusätzlich, wenn sie auffällige Musterungen oder Wirkarbeiten aufweisen, die ihre Kostbarkeit betonen. So gefertigte Stoffe waren ein begehrter Handelsartikel (Ez 27,16.24), der natürlich hochgestellten Persönlichkeiten zukam. Entsprechend wird auch von den Gewändern der Königin gesagt, sie seien buntgewirkt ()רקְ מָ ה. Das hebräische )רקם