Zuversicht – das Pfeifen der Seele im finsteren Wald: Leidfaden 2022, Heft 1 [1 ed.] 9783666407901, 9783525406373, 9783525406908, 9783525402597, 9783525407905


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Zuversicht – das Pfeifen der Seele im finsteren Wald: Leidfaden 2022, Heft 1 [1 ed.]
 9783666407901, 9783525406373, 9783525406908, 9783525402597, 9783525407905

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11. Jahrgang  1 | 2022 | ISSN 2192-1202

faden Leid

FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R

ZUVERSICHT Das Pfeifen der Seele im finsteren Wald

Andreas Kruse Möglichkeiten und Grenzen inneren Wachstums im Alter 

François Höpflinger Wie viel Alter kann und will sich unsere Gesellschaft

­leisten?  Anna Janhsen Alter als Dämon? – Alt werden als Herausforderung des Einzelnen und der Gesellschaft  Rolf D. Hirsch Wenn schon altern, dann mit Humor  Traugott Roser Falten auf der Leinwand – Altersbilder im Film

Edition Leidfaden

Matthias Schnegg

Was trägt?

Trauer und Spiritualität 2018. 158 Seiten mit Illustrationen des Autors, kartoniert € 17,00 D ISBN 978-3-525-40637-3 Auch als e-Book erhältlich.

Das Buch ermutigt, aus spiritueller Haltung Trauer als Leben mit einem unwiederbringlichen Verlust zu durchleben und zu begleiten. Beispiele aus der Trauererfahrung lassen den Begriff »Spiritualität« zur lebendigen Erfahrung werden.

Marianne Bevier / Christoph Bevier

Alfried Längle / Dorothee Bürgi

Trauer in der Seelsorge 2020. 135 Seiten, kartoniert € 17,00 D ISBN 978-3-525-40690-8 Auch als e-Book erhältlich.

Krise und Leid als existentielle Herausforderung 2016. 122 Seiten mit 5 Abb. und 10 Tab., kartoniert € 17,00 D ISBN 978-3-525-40259-7 Auch als e-Book erhältlich.

Selig sind die Trauernden

Seelsorge mit Trauernden bietet einen spezifischen Beitrag zur Begleitung von Trauernden. Sie gründet auf dem Reichtum der biblischen und christlichen Tradition und hat besondere Kompetenzen in der Gestaltung von Beziehung.

Wenn das Leben pflügt

Krise und Leid sind existentielle Erfahrungen. Warum sie das Leben so tief durchwühlen können und wie damit konstruktiv und bejahend umgegangen werden kann, ist das Thema dieses Buches.

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EDITORIAL

Zuversicht – das Pfeifen der Seele im finsteren Wald

Wir alle kennen und nutzen Begrifflichkeiten wie Optimismus, Hoffnung, Vertrauen, Glauben, Erwartung oder positives Denken. Alle weisen eine Nähe zur Zuversicht auf. Doch was genau ist Zuversicht? Ein anderes Wort für das Gleiche? Oder gibt es eine Nuancierung, die ein etwas anderes Bild als diese Begriffe zeichnet? Schauen wir uns die Wortherkunft an, erfahren wir: Im Mittelhochdeutschen bezeichnete das Wort zuoversiht, ebenso wie althochdeutsch zuo­firsiht, »ein ehrfurchtsvolles Aufschauen« und lenkte den Blick auf den Sehsinn. Nach vorn schauen, in die Zukunft blicken steckt im Präfix zuo. So ist es zunächst nur eine Bewegung, ohne selektive Steuerung, ohne Inhalt des Blicks, ohne Differenzierung und Bewertung, ob das Angesehene gut oder schlecht ist. Das Ehrfurchtsvolle liegt möglicherweise im nüchternen Respekt für diese Bewegung beziehungsweise in der kraftvollen Entscheidung für sie. Zuversicht sieht die Welt – und ihre Gestaltbarkeit – aus der Blickrichtung nach vorn, in die Zukunft hinein, ohne sie zu kennen oder genaue Erwartungen an sie zu haben. Sie beinhaltet eine Offenheit für das, was kommen kann. In Krisen, Leid und Trauer ist dieser vorsichtige oder auch vertrauende Blick in die Zukunft möglicherweise schon allein das Stärkende und Heilende: nicht in der Vergangenheit mit all den Ursachen für das Leid hängen zu bleiben und genauso wenig in der schmerzlichen Gegenwart zu verharren. Erst der Blick, dann der Schritt, der vielleicht aus dem Lähmenden und Fesselnden herausführt. Diese Erfahrung kennen viele von uns in Zeiten der Pandemie. Mit Fragen, differenzierten Gedanken und praktischen Erfahrungsbeispielen widmet sich dieses Leidfaden-Heft dem Themenschwerpunkt Zuversicht.

Umsichtig wird das Thema von vielen Seiten wahrgenommen, bedacht und die Vielfalt des Zuversichtsspektrums aufgezeigt. Die Lesenden erhalten aus den unterschiedlichsten Richtungen Navigationshilfen, um mit den Sorgen, die Krisen, Leid und Trauer mit sich bringen, umzugehen. Die Berichte von Menschen, die selbst ein schweres Schicksal erlebt haben und erleben, zeigen impulsgebend, dass der Krise selbst auch eine Chance innewohnen kann, die nicht selten mit der Hilfe der Zuversicht erkannt und ergriffen werden möchte. Diese Betroffenen zeigen uns, wie Zuversicht eine innere Haltung prägt und es möglich macht, dass Menschen auch in dunklen Stunden trotz Angst und Sorge zuversichtlich tastend der oft ungewissen Zukunft entgegen­ gehen können.

Monika Müller

Sylvia Brathuhn

Margit Schröer

Friedemann Nauck

Inhalt Editorial 1

4 Thorsten Adelt

Das Pfeifen im Walde

6 Martina Kern und Felix Grützner

Zuversicht ist mehr als ein Gefühl –

11 Ulrich Schnabel | Erzählt die Krankheit mich oder erzähle ich die Krankheit?

Annäherung an einen Begriff

11 Ulrich Schnabel

Erzählt die Krankheit mich oder erzähle ich die Krankheit? Von der Kraft der Zuversicht und wie man sie fördert

16 Eduard Zwierlein

Zuversicht, nicht Optimismus – Über einen wichtigen Unterschied

21 Benno Elbs

Zuversicht: Grundkategorie des Glaubens und Schlüssel gelingenden Lebens

25 Marianne Bevier und Christoph Bevier Zwischen Himmel und Hölle –

16 Eduard Zwierlein | Zuversicht, nicht Optimismus – Über einen wichtigen Unterschied

Bilder von Vertrauen und Angst

30 Claudia Altmann-Pospischek

Leuchtende Fixsterne am dunklen Krankheits­ firmament – Zur Bedeutung von Zuversicht bei Krebs

34 Christian Banse

Zuversicht im Kontext von Flucht und Migration

37 Oliver Staniszewski | »Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer« – Hoffnung und Zuversicht in der psycho­ therapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen

64  Christian Thiele | Zutaten für mehr Zuversicht in Zeiten des Zweifels

37 Oliver Staniszewski

»Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer« – Hoffnung und Zuversicht in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen

46

87 Manfred Gaspar

Zuversicht in Literatur und Musik

91 Susanne Haller

Mit Zuversicht – Eine Liebeserklärung an das multiprofessionelle Team in der Patient*innen­

Reiner Sörries

versorgung (Caregiver)

Zuversicht in der Katastrophe?

51 Andrea Bastian

Liebeskraft erzeugt Zuversicht

54 Jochen Kröhne

Yeswecan!cer … Die Diagnose Krebs und das Danach

57 Claudia Bausewein

Zuversicht am Lebensende

60 Margit Schröer und Susanne Hirsmüller

Zuversicht in Todes- und Traueranzeigen – geht

87 Manfred Gaspar | Zuversicht in Literatur und Musik

das zusammen? Ein Blick in ein besonderes Genre

64 Christian Thiele

Zutaten für mehr Zuversicht in Zeiten des Zwei­ fels – Wie Führungskräfte, Päda­gog*innen und

Evaluation von Trauerbegleitungsangeboten –

Eltern sich selbst und andere in Momenten von

Evaluationsstudie im Projekt TOBBI – Trauer­

­Ungewissheit, ­Umbruch und Unmut ­stützen und

land, Orientierung, Beratung und Bildung

stärken können

72

96 Aus der Forschung: Relevanz und Nutzen der

Thomas Jakubowski

99 Fortbildung: »Ich bin sommersprossiger

und schöner denn je. Wenn das so weiter­-

Zuversicht – »We serve«:

geht, werde ich direkt un­widerstehlich«

Dienst am Nächsten der LIONS

(Pippi Langstrumpf) – T ­ agesfortbildung

75 Chris Paul

Was geht, wenn nichts mehr geht

78 Otto Teischel

Zuversicht – im Leben wie im Film: Billy Elliot – I Will Dance

83 Petra Rechenberg-Winter Zuversicht schreiben

zum Thema »Zuversicht«

104 Rezension 106 Verbandsnachrichten 108 Cartoon | Vorschau 109 Impressum

4

Das Pfeifen im Walde Thorsten Adelt Da findet sich der Bub auf dem Titelbild dieses Leidfaden-Hefts, so nehmen wir einfach mal an, warum oder wie auch immer, in einem finsteren Wald wieder. Er hat keine Orientierung mehr, findet keinen Weg hinaus. Eine beängstigende Situation. Wenn es Nacht wird, ist er völlig verloren. Dazu die Angst vor wilden Tieren, die vielleicht in diesem Wald hausen. Je mehr er herumirrt, desto größer wird seine Angst. Panik keimt auf. Er versucht vergeblich sich selbst zu beruhigen. Er weiß, er muss irgendetwas tun. Er bleibt für einen Moment stehen, denkt nach. Ein guter Schritt, den Verstand einzuschalten und sich nicht von der jetzt hochaktiven Amygdala, dem Angstzentrum im Gehirn, regieren zu lassen. Er hat Angst vor wilden Tieren, aber vielleicht haben die ja auch Angst vor ihm. Irgendwie muss er auf sich aufmerksam machen und die Tiere, die in der Nähe sind, verscheuchen. Denn wenn er unerwartet vor ihnen steht, greifen sie vielleicht an. Wenn er sich Gehör verschafft, können sie ausweichen. Oder ein Mensch in der Nähe hört ihn und kann ihm helfen. Und so beginnt er zu pfeifen. Zaghaft und leise zunächst. Er spürt, dass er etwas ruhiger wird. Das Pfeifen tut gut. Er pfeift lauter, kräftiger. Statt sich der Bedrohung zu stellen oder die Ge�fahr zu umgehen, versucht er, sich durch das Pfei�fen einer Melodie Mut zu machen.  Und so wird er mutiger. Sollen sie doch kommen, die wilden Tiere, er wird es ihnen schon zeigen. Und irgendwie wird es einen Weg aus dem finsteren Wald geben. Er ist ja hier reingekommen. Also wird er auch wieder rauskommen. Er wird diese gefährliche Situation überstehen. Und so sieht oder hört man einen mutig durch den dunklen Wald stapfenden, laut pfeifenden Jungen auf dem Weg hoffentlich bald wieder ins Helle.

Was dieser Junge nicht wissen, ihm aber jemand sagen kann, wenn er hoffentlich heil wieder sein Zuhause erreicht hat, ist, dass er intuitiv das Richtige getan hat. Er hat zu einer Selbstwirksamkeit gefunden, in der er sich nicht ohnmächtig oder ausgeliefert von der Panik hat überwältigen lassen. Zunächst hat ihn sein Nachdenken, dann sein Aktivwerden durch das Pfeifen im finsteren Wald beruhigt. Musik kann das, ob gehört oder wie bei dem Jungen selbst gemacht. Er hat zu der Zuversicht gefunden, dass es für ihn am Ende gut ausgehen wird. Das Pfeifen der Zuversicht hat einen besonderen Klang. Es beginnt zaghaft, leise. Man hört die anfängliche Nachdenklichkeit. Eine Ängstlichkeit schwingt mit in den Tönen. Aus dem Denken erwächst der Glaube, dass es letztlich gut werden kann. Das ist auch im Pfeifen hörbar. Die Töne werden deutlicher, lauter. Der Glaube an einen letztlich guten Ausgang, an eine Sinnhaftigkeit verfestigt sich zur Zuversicht, und das Pfeifen klingt jetzt klar und bestimmt, weder zu laut noch zu leise. Klanglich unterscheidet sich das Pfeifen der Zuversicht sehr von dem Geräusch, das der Hoffnung entspringt. Zwar beginnt auch das zaghaft und leise, ebenfalls geprägt von Ängstlichkeit und Ungewissheit. Dann wird es plötzlich laut, wie ein Sich-selbst-Überzeugen, Die-Angst-­besiegenWollen. Doch dann kommen wieder Zweifel, und die Töne werden leiser, verstummen fast, weil die Angst zurückgekehrt ist. Um dann wieder laut zu werden, denn es ist nicht auszuhalten, in dieser Angst zu verbleiben. So schwankt das Pfeifen der Hoffnung zwischen laut und leise und liegt in seiner Lautstärke mal über, mal unter der der Zuversicht. 

Frank Duveneck, Whistling Boy, 1872

D a s P f e i f e n i m Wa l d e    5

Auch wenn das Pfeifen der Hoffnung verstummt ist, weil zum Beispiel keine Aussicht auf Heilung mehr besteht und das Sterben absehbar ist, können doch die Töne der Zuversicht weiterklingen, getragen von einem tieferen Glauben, der sich als Überzeugung äußert. Sei es das Überzeugtsein von der Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit des eigenen Seins, sei es davon, dass das Leben mit dem Tod nicht beendet ist, dass es ein Wiedersehen mit geliebten verstorbenen Menschen gibt. Diese tiefere Zuversicht hat eine individuelle spirituelle Dimension. Deshalb ist der Klang des Pfeifens,

das der Zuversicht entspringt, nicht aufdringlich, erklingt eher harmonisch in Dur als in Moll, und wenn man genau hinhört, wird die Schönheit der Melodie erkennbar. Immer ist sie berührend und schwingt im offenohrigen Zuhörer nach … Dipl.-Psych. Thorsten Adelt, ist Psycho­ logischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Bonn und Ausbilder von Trauer­ begleiter:nnen und Referent im Hospizund Palliativbereich in Deutschland und Österreich. Kontakt: [email protected]

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

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Zuversicht ist mehr als ein Gefühl Annäherung an einen Begriff

Martina Kern und Felix Grützner Sie ist keine Unbekannte. Wen auch immer wir während der Vorarbeiten zu diesem Beitrag angesprochen haben: Alle hatten eine Vorstellung davon, was Zuversicht ist, und konnten spontan bestimmte Gefühle damit verbinden. Eine Definition zu finden, fiel indes sehr viel schwerer. Keine schien passend, die Zuversicht entzog sich einer eindeutigen Beschreibung und widerstand jedem Vergleich. Vertrauen, Hoffnung, in Beziehung sein – die Unterscheidungen von großer und kleiner Zuversicht waren häufige Assoziationen, die aber immer unzureichend das Wesen der Zuversicht beschrieben. Was sich weiterhin zeigte, als wir mit Kolleginnen und Kollegen, mit Freundinnen und Freunden, Patientinnen und Trauernden, auch mit flüchtigen Zugbekanntschaften das Thema aufriefen: Gespräche über Zuversicht gehen rasch in die Tiefe, schnell ist man bei existenziellen Lebenssituationen und einschneidenden Erlebnissen angelangt und Fragestellungen wie: »Worauf gründet dein Leben? Was verleiht dir Sicherheit? Wie weit reicht deine Zuversicht angesichts von Bedrohungen wie zum Beispiel der Klimakrise?« Im Sommer 2021 war es vor allem die Flut­ katastrophe im Westen Deutschlands, in deren Verlauf viele neben aller Verzweiflung auch Zuversicht wahrnahmen. Die Opfer berichteten angesichts der vielen Freiwilligen und zum Teil von weither Angereisten: »Die vielen Helferinnen und Helfer, die Unterstützung, die Angebote, die wir erhalten, das macht uns zuversichtlich. Wir machen weiter!« Die sich in diesen Worten manifestierende Haltung war für viele ein Ausdruck von Zuversicht.

Benjavisa Ruangvaree Art / Shutterstock.com

Zuversicht kann ausstrahlen und sie kann »überspringen«. Die ansteckende Wirkung der Zuversicht vermag Menschen in einer krisenhaften Situation herauszuholen aus Angst, Zweifel, Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit.

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

Head of an angel / © Sylvie Allouche / Bridgeman Images

8   M a r t i n a K e r n u n d Fe l i x G r ü t z n e r

Zuversicht ist eine Lebenshaltung und haltgebend in Unsicherheit Aber auch im deutlich weniger Bedrohlichen zeigt sich, wie Zuversicht zu wirken vermag. Kathrin kam auf Krücken zu unserem Termin, die ambulante Knie-OP lag gerade zwei Tage zurück. Alles war glatt gelaufen. Besonders gut getan hatte es ihr, als der Operateur am Morgen des Eingriffs lächelnd hereinkam, vorsichtig das Knie berührte und sagte: »Das kriegen wir schon hin!« Da habe sie sich gleich besser gefühlt, die Zuversicht des Fachmanns hatte auf sie ausgestrahlt und alle Ängste vergessen lassen. Das schien noch jetzt anzuhalten. »Auch wenn es noch eine ganze Zeit dauern wird, aber dann werde ich wieder mittrainieren, da bin ich sicher«, erklärte sie mir mit einem selbstbewussten Lächeln auf dem Gesicht. Zuversicht kann offensichtlich ausstrahlen und sie kann »überspringen«. Die ansteckende Wirkung der Zuversicht vermag Menschen in einer krisenhaften Situation herauszuholen aus Angst, Zweifel, Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit. Und die durch sie geweckten guten Gefühle scheinen anhaltend lebendig zu sein. Der Schluss liegt nahe, dass Zuversicht über eine Art »Depotwirkung« wie manche Medikamente verfügt.

Beide bisher genannten Beispiele zeigen auch, dass Zuversicht an Beziehung geknüpft ist. Der Mensch kann sie empfangen, wo sie vorgelebt oder zugesprochen wird: »Ich bin zuversichtlich, dass du die Prüfungen gut hinter dich bringen wirst!« Doch auch in Beziehung zu sich selbst werden Menschen Zuversicht wachrufen können, nämlich dort, wo sie sich vergangener Krisenzeiten und ihrer Bewältigung erinnern: »Ich kenne Durststrecken wie diese. Irgendwann sind sie immer zu Ende gegangen!« Zuversicht ist an Beziehung gebunden – zu anderen und zu mir selbst Zuversicht ist auch an eine denkerische Leistung gebunden. Von einem aktuellen Zeitpunkt aus schaut der zuversichtliche Mensch auf Kommendes oder Vergangenes und setzt sich und seinen gegenwärtigen Zustand in Beziehung dazu. In der Vergangenheit lassen sich Erfahrungen »finden«, die zur Zuversicht ermutigen können, weil sie das eigene Vermögen der Krisenbewältigung belegen. Auf die Zukunft hin visualisiert der zuversichtliche Mensch einen Zustand, der positiv besetzt ist und gute Gefühle erwarten lässt oder zumindest die innere Gewissheit, dass Krisen zu überleben sind. »Mein Mann und ich waren zuversichtlich, dass wir seine Erkrankung gemeinsam durch­ stehen würden, dass sich keiner von uns vorzeitig aus dem Leben nimmt«, berichtete Christa.

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Z u v e r s i c h t i s t m e h r a l s e i n G e f ü h l    9

In den vielen Gesprächen zur Zuversicht tauchte immer wieder die Frage auf, wo denn der Unterschied zur Hoffnung liege. Auch diese kann ja in einer bedrohlichen oder als nicht gut empfundenen Gegenwart hilfreich wirken. Anders aber als die Zuversicht trägt die Hoffnung stärker die Möglichkeit des Scheiterns und NichtErreichens eines konkreten Zieles in sich. Wenn der Volksmund sagt: »Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her«, dann drückt dies die Hoffnung auf Hilfe oder Rettung von irgendwo aus dem »Außen« aus, mit der das Erwünschte dann doch noch eintreten kann. Die rheinländischen Sinnsprüche »Et kütt wie et kütt« (Es kommt wie es kommt) und »Et hätt noch immer jood jejange« (Es ist noch immer gut gegangen) drücken hingegen etwas anderes aus. Aus ihnen spricht die Überzeugung, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist und wir nicht wissen können, ob unsere Wünsche sich erfüllen. Sie sagen aber auch, dass unser Leben, unser Sein nicht vom Ausgang abhängig sind. Unabhängig von dem, was sich ereignen wird, kann »es« gut werden, können wir bestehen. Wer davon ausgeht, mit dem, was kommen wird, umgehen zu können, der bleibt oder wird im Hier und Jetzt auch handlungsfähig. Eine derart zuversichtliche Haltung stärkt die Selbstwirksamkeit. »Ich komme nicht aus dem Rheinland, aber dieses ›Et hätt noch immer jood ­jejange‹ ist wie ein Mantra für mich geworden, trägt mich« bestätigt Astrid, die an einem Hirntumor erkrankt ist und unsicher in die Zukunft schaut. Wo das Hoffen sprachlich oft mit dem Bangen zusammengeführt wird, scheint die Zuversicht eher der Sicherheit aufgrund der eigenen Kraft nahezukommen. »Zuversicht hat mit Selbstvertrauen zu tun, Hoffnung mit Gottvertrauen oder dem Vertrauen in eine höhere Macht. Wir brauchten beides«, sagt Christa, die um ihren verstorbenen Ehemann trauert. Im allgemeinen Sprachgebrauch verwenden wir die Zuversicht auf schicksalhafte Ereignisse hin ebenso wie auf vergleichsweise banale: »Ich

bin zuversichtlich, dass ich nach dem Tod meiner Partnerin irgendwann wieder in ein gutes Leben hineinfinden werde!« – »Ich bin auch zuversichtlich, dass ich mit den technischen Anforderungen von Online-Seminaren zurechtkommen werde!« So ist die Zuversicht an ein Gelingen gebunden. Wobei das Gelingen nicht eng definiert ist, es kann sich in unterschiedlicher Weise vollziehen. Nach dem schweren Autounfall ihres Mannes war Sabine tief erschüttert und verzweifelt. Die Ärzte hatten ihr keine Hoffnung machen können, dass Markus jemals wieder aktiv am Leben werde teilnehmen können, zu gewaltig sei das Schädel-Hirn-Trauma gewesen. Während ihrer monatelangen Zeit an Markus’ Seite – zunächst im Koma, dann bei den unterschiedlichen Reha-Maßnahmen – hatte sie seinen unbändigen Lebenswillen gespürt und seine unvermindert intensive Liebe ihr gegenüber. Die körperlichen Fortschritte verdienten kaum diesen Namen, anfänglich waren es nur kleine Bewegungen der Finger. Heute kann sie sich nicht mehr an den Zeitpunkt erinnern, an dem sie aus ihrer Verzweiflung herauskam. Vielleicht der Tag, an dem Markus ihr berichtete, dass er sich im Internet darüber informiert habe, welche Autos am besten für Menschen mit einer Schädigung des zentralen Nervensystems zu steuern seien. »Irgendwann wusste ich, dass wir das schaffen. Es wird nie mehr so sein wie früher, aber es wird sein. Und es wird gut sein!« Heute sitzt sie entspannt auf dem Beifahrersitz, wenn Markus sie am Steuer des Autos sicher ans Ziel bringt. Zuversicht stärkt das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit Wo es indes keine Indizien zum Guten hin gibt, wo Menschen in der Vergangenheit viel mehr das Scheitern als ein Wachstum in Krisen erfahren haben, wo das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gering ist, da wird sich Zuversicht nur schwer

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1 0   M a r t i n a K e r n u n d Fe l i x G r ü t z n e r

einstellen. Oder sie wird schwinden, wenn sie keine Stärkung erfährt. Schwindende oder verlorene Zuversicht zu stärken, kann zur Aufgabe von Begleitenden, Behandelnden ebenso wie von Angehörigen oder Freundinnen und Freunden werden. Wie im Beispiel des zuversichtlichen Operateurs können wir Zuversicht ausstrahlen oder sie stellvertretend einnehmen. »Wie geht es Ihnen heute, Frau Schneider?« Stationsschwester Maja hatte es gleich gesehen, dass es bisher kein guter Tag für die junge Patientin mit dem Mammakarzinom war. Die OP war gut gelaufen, morgen sollte sie entlassen werden, heute sollte der Befund aus der Histologie kommen. Frau Schneider seufzte: »Ich habe so ein schlechtes Gefühl. Und wenn ich daran denke, was die Ergebnisse bringen könnten, dann wird mir richtig übel!« Maja nimmt sich fünf Minuten Zeit. »Vielen Frauen geht das hier so. Die Zeit bis zum Arztgespräch ist kaum auszuhalten. Manche sind ganz nervös, andere strahlen eine große Zuversicht aus. Ich frage mich immer wieder, wie das geht. Kennen Sie auch solche Menschen?« Frau Schneider denkt nach: »Ja, meine Oma, die hat immer gesagt: Es kann passieren was will, weiter geht es immer. Sie war ein großes Vorbild für mich. Könnte ich mir mal ’ne Scheibe von abschneiden …« Zuversicht kann nicht nur überspringen, wo sie ausgestrahlt wird oder durch Zuspruch an einen Menschen – »Du wirst es schaffen!« – lebendig werden. Sie kann sich auch zaghaft einstellen, wo über das Phänomen der Zuversicht gesprochen wird. So scheint sie auch eine Möglichkeit zu sein, die erwogen werden oder vielleicht sogar gewählt werden kann, die sich einstellt, erweckt oder vertieft wird, wenn wir über sie sprechen. In diesem Sinne bedanken wir uns bei den Herausgebern für die Anfrage zu diesem Beitrag, die uns und denen, mit denen wir uns zu diesem Thema ausgetauscht haben, diese Möglichkeit eröffnet hat.

Zuversicht ist – wenn sie ein Gefühl sein sollte – sicher mehr als das. Mit ihr verbunden sind Vertrauen, Mut, Gelassenheit, Hingabe und Selbstvertrauen. Vermutlich ist sie eine Haltung dem Leben gegenüber, die wir einnehmen oder wiederfinden können, selbst wenn wir sie in Krisen verloren glauben. Sie ist aber auch verbunden mit dem Bild eines tragenden Bodens, eines Fundaments, auf dem der Mensch sicher wandeln kann, ohne das genaue Ziel zu kennen. Was kommen wird, ist ungewiss – aber Hier und Jetzt trägt sie mich, die Zuversicht. Zuversicht • bejaht, was ist • akzeptiert die Angst, siegt über sie • ist das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit • ist die Überzeugung: »Ich schaffe es!« • ist die Zusage: »Du schaffst es!« • ist Fühlen und Denken • kann gewählt werden als Ergebnis eines denkerischen Prozesses • ist eine (Lebens-)Haltung • kann ausgestrahlt und verschenkt werden • kann »überspringen«

Martina Kern, Gesundheits- und Krankenpflegerin, leitet das Zentrum für Palliativmedizin am Helios-Klinikum Bonn/ Rhein-Sieg und ist Leiterin von ALPHA Rheinland (Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung). Kontakt: [email protected] Dr. phil. Felix Grützner arbeitet bei ­ LPHA – Ansprechstellen im Land NRW A zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung in Bonn. Er ist Tänzer, Choreograf und promovierter Kunsthistoriker. Als »Lebenstänzer« gestaltet er seit über dreißig Jahren Gottesdienste und Trauerfeiern tänzerisch mit. Er ist Kursleiter für Palliative Care, hat eine Fortbildung in Spiritual Care absolviert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Palliativmedizin der Universität Bonn in der studentischen Lehre. Kontakt: [email protected] Website: www.lebenstaenzer.de

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Erzählt die Krankheit mich oder erzähle ich die Krankheit? Von der Kraft der Zuversicht und wie man sie fördert

Ulrich Schnabel Am Anfang einer existenziellen Krise steht meist der Schock. Wenn plötzlich die gewohnten Sicherheiten zusammenbrechen und alles infrage gestellt wird – durch eine Krebsdiagnose, einen schweren Unfall oder andere Katastrophen –, fühlt sich der betroffene Mensch zunächst wie gelähmt. Zugleich beginnt die Furcht den Rücken hochzukriechen; das Leben verwandelt sich in einen schwarzen Abgrund, dessen Ausmaße sich kaum erahnen lassen und der uns mit ohnmächtiger Angst erfüllt. Wer in dieser Situation mit hoffnungsvollen Sprüchen oder weisen Plattitüden aufwartet, kann einem in der Regel gestohlen bleiben. Wer die Zuversicht fördern will, sollte in diesem Moment wohlmeinende Ratschläge unterlassen. Sie prallen an der Angst schlichtweg ab, im seelischen Schockzustand geht es erst einmal ums reine Überleben. Statt kluger Worte ist da eher praktische Hilfestellung gefragt – körperliche Unterstützung, Schmerzlinderung, vielleicht ein Kaffee oder ein warmes Essen – und vor allem menschlicher Beistand. Wer spürt, dass er in der Krise nicht allein ist, kann der Angst schon etwas mutiger entgegentreten. Denn geteiltes Leid ist halbes Leid; das weiß nicht nur der Volksmund, das ist mittlerweile auch in einer Vielzahl wissenschaftlicher Experimente nachgewiesen (MacDonald und Jensen-Campbell 2011; Oishi, Schiller und Gross 2013): Schon wenn uns ein geliebter Mensch die Hand hält, lindert das nachweislich unseren Schmerz. Und wer intensiven Beistand von Partnern, Partnerinnen oder Freundinnen, Freunden

hat, kommt laut Studien mit Krebserkrankungen besser klar und benötigt nach Operationen im Schnitt weniger Schmerzmittel (Zaza und Baine 2002). Menschlicher Beistand ist so gesehen ein höchst wirkungsvolles Therapeutikum; es hilft, die Ohnmacht angesichts einer existenziellen Krise nicht nur zu bewältigen, sondern sie nach und nach sogar in eine zuversichtliche Haltung zu verwandeln. Was heißt überhaupt Zuversicht? Was hat es mit dieser Haltung auf sich, was macht sie aus und wie lässt sie sich stärken? Beginnen wir mit der Beseitigung eines Missverständnisses: Zuversicht ist nicht dasselbe wie Optimismus. Zwar wird im gewöhnlichen Sprachgebrauch Zuversicht oft umstandslos mit Optimismus, Hoffnung oder positivem Denken gleichgesetzt. Doch die Zuversicht – abgeleitet vom althochdeutschen zuofirsiht, was ursprünglich einfach so viel bedeutete wie das Voraussehen auf die Zukunft – beschreibt einen deutlich nüchterneren Geisteszustand. Sie setzt nicht, wie der Optimismus, automatisch auf einen guten Ausgang, sondern ist sich auch der Möglichkeit des Scheiterns bewusst. Dadurch schwingt in dem alten Wort Zuversicht ein Mollklang mit, der dem gutgelaunten, modernen Optimisten völlig fremd ist. Während dieser gleichsam mit fetten Fingern in die Zukunft weist, mit einem selbstzufriedenen »Achdas-wird-schon«, hat die Zuversicht schmerzliche Kenntnis von der großen Zahl ihrer Widersacher. Trotz dieses Wissens nicht den Mut und die Hoff-

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pessimistische Frosch denkt: »Oje, wir sind verloren, jetzt gibt es keine Rettung mehr.« Sagt’s und ertrinkt. Der Optimist hingegen gibt sich unerschütterlich: »Keine Sorge, nichts ist verloren. Wir müssen nur warten und die Hoffnung nicht verlieren; irgendjemand wird uns schon retten.« Er wartet und wartet – und ertrinkt ebenso sangund klanglos wie der erste. Der dritte, zuversichtliche Frosch hingegen sagt sich: »Schwierige Lage, da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu strampeln.« Er reckt den Kopf über die Oberfläche und strampelt und strampelt – bis die Sahne zu fester Butter wird, und er sich mit einem Sprung aus dem Topf retten kann. Zuversicht heißt also, einen klaren Blick für den Ernst der Lage zu behalten und keine illusionären Hoffnungen zu hegen; zugleich aber auch, sich nicht lähmen zu lassen, sondern die Spielräume zu nutzen, die sich auftun – und seien sie noch so klein.

Pixabay

nung zu verlieren und alle Kräfte für einen guten Ausgang zu mobilisieren (auch wenn er nicht garantiert ist) – das ist die Kunst der Zuversicht. Der optimistische Blick durch die rosarote Brille trübt dagegen die Sicht eher, als sie zu schärfen; wenn echte Katastrophen drohen, ist Optimismus sogar regelrecht kontraproduktiv: Wer etwa glaubt, ein Hochwasser werde schon nicht so hoch steigen – wie im Juli 2021 viele Verantwortliche im Ahrtal es taten –, unternimmt nichts dagegen; wer optimistisch davon ausgeht, niemals an Krebs zu erkranken, geht weniger zur Vorsorge und erhöht gerade dadurch sein Risiko, eines Tages eine schwerwiegende Krebsdiagnose zu erhalten. So bedeutet Zuversicht immer die Balance zwischen realistischer Sorge und hoffnungsvoller Vision. Am unterhaltsamsten kommt das in der bekannten Parabel von den drei Fröschen zum Ausdruck, die in einen Topf mit Sahne fallen. Der

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Zuversichtlich leben heißt Spielräume nutzen Dazu gehört es zunächst einmal, auch dunklen Gefühlen wie Schmerz, Trauer und Ängsten ihren Raum zu geben. Glücklich, wer in solchen Situationen liebende Partner, Partnerinnen oder gute Freunde und Freundinnen hat, denen er oder sie sich anvertrauen kann. Denn wer seine Ängste und Sorgen benennen und beschreiben kann, ist ihnen schon nicht mehr ganz so hilflos ausgeliefert. So kann sich im Reden das anfängliche Gefühl der Ohnmacht allmählich in das Gefühl der Selbstwirksamkeit verwandeln: Der betroffene Mensch erlebt sich nicht mehr nur als Opfer der Situation, sondern auch wieder als Gestalter. Dazu braucht es nicht einmal zwingend ein Gegenüber. Schon das einfache Aufschreiben der eigenen Gedanken kann Selbstwirksamkeit vermitteln. Denn beim Schreiben stellt sich unbewusst das Gefühl ein, es gäbe Verbündete – und wenn es nur die fiktiven Leserinnen und Leser der Zukunft sind. Zugleich gewinnt man im Schreiben gleichsam die Kontrolle über die eigene Geschichte zurück – zumindest über die Art und Weise, wie man diese Geschichte erzählt. Selbstwirksamkeit leben Ein plastisches Beispiel lieferte der Schauspieler Joachim Meyerhoff, der im Alter von 51 Jahren einen Schlaganfall erlitt. Zunächst war das für ihn ein Schock. Doch schon als er ins Hospital gefahren wurde, begann er, um seine Würde und Selbstwirksamkeit zu kämpfen: Bereits im Krankenwagen sagte er sich ellenlange Passagen aus Goethes »Faust« vor: »Schwindet, ihr dunklen / Wölbungen droben! Reizender schaue / freundlich der blaue / Äther herein!«. Das sei wie eine Aufforderung an das eigene Hirn gewesen, nicht wegzukippen, erzählt Meyerhoff (2020a), »als würde man es am Kragen schütteln«. Später im Krankenhaus habe er sogar nachts auf dem Gang der Intensivstation Ballett getanzt, um sich

über den Schlaganfall lustig zu machen. Und er begann, seine Geschichte aufzuschreiben, aus der später ein Buch wurde (Meyerhoff 2020b). »Ich wollte nicht der Büttel meiner Symptome sein«, sagt Meyerhoff. »Es geht um Deutungs­ hoheit. Erzählt die Krankheit mich oder erzähle ich die Krankheit?« Tatsächlich belegen auch Studien, dass schon das Führen eines Tagebuches heilsam sein und die Zuversicht stärken kann. Dabei zeigen sich nicht nur positive Auswirkungen auf die Psyche, sondern auch auf die körperliche Gesundheit. Das Schreiben fördert die Aktivität des Immunsystems, wirkt wohltuend bei Erkrankungen und kann depressive Symptome lindern (Frattaroli 2006). Natürlich ist die Wirkung des Schreibens nicht bei jedem Menschen gleich durchschlagend. Aber einen Versuch ist es allemal wert: Schließlich ist es eine ebenso simple wie nebenwirkungsfreie Methode, die überall und jederzeit einsetzbar ist und die keines großen Aufwands bedarf. Das Schreiben ist jedoch nur ein Beispiel für das Prinzip der Selbstwirksamkeit. Andere erleben es bei künstlerischen Aktivitäten, beim Malen, Dichten, Musizieren, oder auch bei praktischen Tätigkeiten wie dem Heimwerken oder der Gartenarbeit. Letztlich geht es stets darum, der Ohnmacht zu trotzen und einen – wenn auch noch so kleinen – Bereich zu finden, in dem man sich wieder selbst als gestaltend und wirksam erleben kann. Für meine Mutter zum Beispiel, die im Alter unter immer stärkeren Schmerzen litt, war ihr geliebter Gemüsegarten die wichtigste Quelle der Zuversicht: Wenn sie neue Pflänzchen zog, ihre Tomaten hegte oder das angepflanzte Gemüse erntete, erfuhr sie sich als ungebrochen selbstwirksam und vergaß häufig ihre Schmerzen. Und obwohl ihr die Arbeit immer schwerer fiel, wollte sie bis zum Schluss nicht darauf verzichten; denn die Gartenarbeit war ihr wichtigstes Therapeutikum, ohne das sie vermutlich niemals 88 Jahre alt geworden wäre. Solche Beispiele zeigen: Es gibt nicht das eine Patentrezept für die Zuversicht, aber viele Wege,

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Paul Cézanne, Topf mit Primeln und Obst, um 1889 / INTERFOTO / fine art images

Statt stets nur auf die eigene Person zu starren, auf das eigene Leid und die eigenen Defizite, gilt es, immer wieder den Blick zu weiten und auch anderes in den Blick zu nehmen – die Menschen um einen herum, die Natur, große religiöse Zusammenhänge oder auch einfach die kleinen Dinge des Alltags, die trotz allem Freude machen.

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sie zu stärken. Denn so unterschiedlich wir als Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Quellen, aus denen wir Zuversicht schöpfen. Und für alle ist es gleichermaßen essenziell, uns jeweils unserer individuellen Kraftquellen bewusst zu werden und sie zu pflegen – und das im Idealfall nicht erst dann, wenn uns eine Krise dazu zwingt. Kultivierung der inneren Haltung Es geht dabei weniger um äußere Fertigkeiten oder Aktivitäten, sondern um die Kultivierung einer inneren Haltung: Statt zu verzweifeln und sich vom tonnenschweren Gefühl der Vergeblichkeit niederdrücken zu lassen, gilt es immer wieder, Spielräume zu finden, auch da, wo zunächst keine zu sein scheinen – wie in der Geschichte von den drei Fröschen. Und oft ist der erste Schritt der schwerste: wenn man noch nicht genau weiß, wohin die Reise geht, wenn noch keine Lösung in Sicht ist; denn in unsicheren Situationen existieren in der Regel keine Patentlösungen – das ist ja gerade das Kennzeichen der Unsicherheit. Statt daher vergeblich nach einem Masterplan Ausschau zu halten, ist es sinnvoller, einfach einen ersten Schritt zu machen; aus diesem folgt der zweite Schritt, der dritte und so weiter, so dass im Gehen ein Weg entsteht, der aus der Ohnmacht allmählich herausführt – auch wenn er am Ende möglicherweise ganz anders aussieht, als zunächst gedacht. Zuversicht entsteht aus Perspektivwechsel Zugleich entsteht die Zuversicht auch aus einem Perspektivwechsel: Statt stets nur auf die eigene Person zu starren, auf das eigene Leid und die eigenen Defizite, gilt es, immer wieder den Blick zu weiten und auch anderes in den Blick zu nehmen – die Menschen um einen herum etwa, die Natur, große religiöse Zusammenhänge oder auch einfach die kleinen Dinge des Alltags, die trotz allem Freude machen. Denn wenn man sich stets nur auf die eigenen Schwierigkeiten, Sorgen

und Nöte konzentriert, erscheinen diese – wie unter einer Lupe – immer größer und beängstigender. Wer dagegen über den Tellerrand der eigenen Person hinauszuschauen vermag, verschafft sich Raum für positive Erlebnisse. Und vielleicht stellt man dabei auch fest: »Ich bin mit meinen Sorgen nicht allein, andere Menschen haben ähnliche (oder größere) Probleme, und ich kann sogar selbst positiv für andere Menschen wirksam werden.« Wie sagte einst der chinesische Philosoph Konfuzius? »Statt die Dunkelheit zu verfluchen, ist es besser, ein kleines Licht anzuzünden.« Und meist beginnt die Zuversicht mit der einfachen Frage: Welches kleine Licht könnte ich jetzt entzünden?

© Martina van Kann

Ulrich Schnabel ist Redakteur im Ressort Wissen der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« und Autor mehrerer Sachbücher. Er schreibt vorwiegend über Themen im Grenzbereich zwischen Natur- und Geisteswissenschaft und wurde für seine Artikel mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Kontakt: [email protected]

Literatur Frattaroli, J. (2006). Experimental disclosure and its moderators: A meta-analysis. In: Psychological Bulletin, 132, 6, S. 823–865. MacDonald, G.; Jensen-Campbell, L. A. (Hrsg.) (2011). Social pain. Neuropsychological and health implications of loss and exclusion. Washington D. C. Meyerhoff, J. (2020a). »Ich wusste sofort, was mir widerfährt«. In: ZEITmagazin, Nr. 36/2020. https://www.zeit. de/zeit-magazin/2020/36/joachim-meyerhoff-schlaganfall-schriftsteller-schauspieler. Meyerhoff, J. (2020b). Hamster im hinteren Stromgebiet. Roman. Köln. Oishi, S.; Schiller, J.; Gross, B. (2013). Felt understanding and misunderstanding affect the perception of pain, slant and distance. In: Social Psycological and Personality Science, 4, 3, S. 259–266. Zaza, Z.; Baine, N. (2002). Cancer pain and psychosocial factors: A critical review. In: Journal of Pain and Symptom Management, 24, 5, S. 526–542.

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Zuversicht, nicht Optimismus Über einen wichtigen Unterschied

Eduard Zwierlein Optimismus als Naturell Optimismus ist etwas Wunderbares, aber doch eher eine Angelegenheit des Temperaments. Unter Temperament verstehe ich hierbei, etwa im Unterschied zum Charakter, der die Wertprägung und Wertorientierung umfasst, vor allem den erlernten Verhaltensstil, die Art und Weise, wie jemand sich verhält. Ist die Erlebnisprägung eines Menschen positiv oder besitzt er viele günstige Resilienzerfahrungen, so schlägt sich dies in seinem Temperament oder Naturell nieder. Das Temperament gewinnt allmählich, so könnte man vielleicht sagen, einen optimistischen Grundzug oder Grundton. Versprüht jemand mit rheinländischer Fröhlichkeit einen ansteckenden Optimismus, dann betrifft das in unserem Verständnis eine Färbung des Sprechens, Denkens und Handelns, die ihm wesentlich aus seinem Naturell oder Verhaltensstil erwächst. Was auch immer ein solcher Optimist sagt, es ist regelmäßig mit dem Ton oder der Note verbunden, dass »es schon (irgendwie) gut gehen wird« und dass »das Glas halb voll« ist. Für einen derartigen Optimismus, der in alles Leben ein Moment der Leichtigkeit und Unbekümmertheit eintragen möchte und stets von einem guten Ausgang überzeugt ist, kann man sicher etwas tun, wenn es einem daran mangelt und man diesen Mangel zu überwinden wünscht. Denn es gibt ja kein Verbotsschild, das bei der Geburt aufgestellt wurde: Du darfst nicht optimistisch sein! Dann kann man sich, wenn einem etwas daran liegt, beispielsweise in »chancen- und lösungsorientiertes Sprechen und Denken« so einüben, dass der eigene innere Spielraum authentisch erweitert wird.

Dagegen, so denke ich, muss man nichts haben oder einwenden. Im Gegenteil, ein solches Vorhaben kann durchaus lebensfördernd sein. Wird aber Optimismus nicht als Moment des Temperaments verstanden, sondern als Gesinnungs- oder Handlungspostulat aufgefasst, wird er rasch ideologisch. Nun wechselt der Optimismus von der Ebene des Wie, der Art und Weise, auf die Ebene des Inhaltlichen, des Was, Warum und Wozu. Dann verlangt der Unbekümmerte vom Kummervollen, dass es nun aber doch mal genug sein sollte mit seinem Kummer. Oder es kommt zu jenem verhängnisvollen Übergang, der vom mitgehenden Trost zu den instrumentellen falschen Vertröstungen wechselt, der mit dem Traurigen etwas machen will, damit dieser wieder anders funktioniert. Dialektik von Optimismus und Pessimismus Ins Große, ins Metaphysische gewendet, sprach Schopenhauer sogar vom »ruchlosen Optimismus«. Das heißt, genauer sprach er davon, dass der Optimismus als Geisteshaltung und Lebenseinstellung eine »wahrhaft ruchlose Denkungsart« wäre. Schopenhauer wandte sich damit gegen die Vorstellung von Leibniz, dass unsere Welt die beste aller möglichen Welten sei. Er wollte sagen, dass es einfach unanständig ist, sich in optimistischen Hoffnungen zu bewegen, wenn es doch überall und jederzeit unendlich viel Leiden und Übel gibt. Sein eigener Pessimismus als Denkungsart ist die beinahe buddhistisch anmutende Sichtweise, dass es das Leiden ist, welches den Grundzug von Leben und Welt prägt. Angesichts dieser Lage ver-

Paula Modersohn-Becker, Brustbild eines Mädchens in der Sonne vor weiter Landschaft, 1897 / akg-images

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bietet sich der Optimismus einfach als etwas, das ihr unangemessen ist. Ähnlich hatte bereits zuvor Voltaire, ausgelöst durch ein verheerendes Erdbeben in Lissabon im Jahr 1755, in seinem Roman »Candide oder der Optimismus« Leibniz scharf angegriffen. Das wird zwar Leibniz nicht gerecht, der ja gar kein Optimist war. Aber es ist zu Recht die Kritik einer optimistischen Weltbetrachtung im Blick auf eine Welt, in der es Erdbeben und Leiden und Qualen im Übermaß gibt. Wenn bei Schopenhauer die Gefahr besteht, dass die von ihm behauptete Grundtendenz des Leidens, die zu einer pessimistischen Grundhaltung oder Grundeinstellung führen muss, in Zynismus übergeht, so verhält es sich bei der optimistischen Grundsicht umgekehrt. Hier besteht die Gefahr eines fanatischen positiven Denkens, das jedes Böse und Übel und Leiden noch einmal schönredet, so dass durch diese Lüge zu jedem Schmerz noch ein neuer Schmerz hinzukommt. Ich selbst bevorzuge es, Pessimismus und Optimismus nicht als Geisteshaltungen und Lebenseinstellungen, auch nicht als Charakterfragen, sondern als Fragen des Temperaments oder Naturells zu betrachten. Um aber der Dialektik von Pessimismus und Optimismus als Denkhaltungen und Lebenseinstellungen zu entgehen, kommt die Zuversicht ins Spiel. Die Zuversicht hält zunächst

einmal realistisch an der gesamten erfahrenen Lebenswirklichkeit fest: Es gibt beides, Sinn und Sinnzerbruch, es gibt Glück und Unglück, Gut und Böse, Licht und Schatten. So anerkennt die Zuversicht die dissonante Lebenswirklichkeit mit beiden wirklichen Erfahrungen. Insofern ist die Zuversicht mit Weisheit verschwistert. Denn ein Merkmal der Weisheit ist ihre Fähigkeit, Widersprüche zu sehen, auszuhalten und klug, und dabei eben auch zuversichtlich, mit ihnen umzugehen. Der Primat des Sinns Wie steht es aber um die anderen Fragen: Was ist zuerst da, Licht oder Dunkelheit? Oder gibt es beide immer nur zugleich und miteinander? Was hat die Nase vorn und was das letzte Wort: Sinnerfahrung oder Absurditätserfahrung? Darauf antwortet die Zuversicht mit Ehrlichkeit: Wir wissen es nicht. Niemand weiß das. Natürlich auch Schopenhauer nicht. Man kann mit guten Gründen für das eine wie das andere argumentieren. Herrscht also am Ende vielleicht ein Patt zwischen beiden Möglichkeiten, was das Erste oder Mächtigere sei: Sinn oder Absurdität? Ich hoffe, es mutet nicht zu sophistisch an, wenn ich auf nur zwei Aspekte hinweise, die mir einen leichten Stellungsvorteil für den Primat des

Was ist zuerst da, Licht oder Dunkelheit? Oder gibt es beide immer nur zugleich und miteinander? Was hat die Nase vorn und was das letzte Wort: Sinnerfahrung oder Absurditätserfahrung? L E I D FA D E N   – FAC H M AG A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D, T R AU E R   H e f t  1  /  2 0 2 2

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hin. Wir sind, sehr überraschend, höchst erstaunlich, sinnbedürftige Wesen in einer (angeblich oder vermeintlich) sinnlosen Welt purer Faktizität. Dieses Göttergeschenk der Sinnsehnsucht bringen wir in Kontakt mit den Ereignissen unseres Lebens. Manche dieser Ereignisse befriedigen den Sinnhunger und geben ihm Recht. Manche widersprechen ihm und tun ihm weh. Was also tun? Die Frage offen lassen? Aber so leben wir ja nicht. Selbst die Theorienihilisten leben praktisch nicht nihilistisch. Die Geburt der Zuversicht aus dieser Situation und Lage des Menschen sagt also nicht nur: Ich weiß nicht, was gewinnt und stärker ist, sondern sie stellt sich auf eine Seite, die dem Menschen als Wesen mit Sinnsehnsucht und Sinnhunger am ehesten entspricht. Was heißt hier aber, sich auf eine Seite stellen? Wir wissen nicht, ob und wie sehr ein menschliches Leben glücken kann, aber wir wollen doch für möglich halten, dass es so ist oder sein kann, und etwas dazu beitragen, etwas dafür tun, dass es so wird. Mehr noch, von seiner erkenntnistheoretischen oder epistemischen Seite aus hält die Zuversicht den Sinnvorsprung nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlicher als das Gegenteil. Zuversicht ist die vernünftige Hoffnung, dass menschliches Leben, bei allen Widrigkeiten und Kümmernissen, sinnvoll

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Sinns nahezulegen scheinen. Zum einen macht es doch nachdenklich, dass der Streit, die Diskussion, das Gespräch über diese Fragen selbst ein Beleg dafür ist, dass der Sinn die Nase vorn hat. Denn warum sollte man sich überhaupt auf ein solches Gespräch einlassen, wenn man es nicht für sinnvoll halten würde. Es scheint so, als ob eine allgemeine Sinnunterstellung in jedem Gespräch mitläuft und wir der Sinnoption (unbewusst oder bewusst) einen Vorrang einräumen. Zum anderen erstaunt es, wenn man die Lebenspraxis derjenigen betrachtet, die in der Theorie die Fahnen des Absurden schwenken. Es sieht so aus, als ob sie in allem Möglichen, in der Kindererziehung, in ihrer persönlichen Gesundheitsvorsorge oder in der Urlaubsplanung, bei allen Gelegenheiten des Lebens, Sinnerwartungen und Sinnunterstellungen mit sich führen. Natürlich beweisen solche theoretischen oder praktischen Selbstwidersprüche, wenn sie denn vorliegen, am Ende nichts – außer, dass wir erstaunlicherweise sinnbedürftige, sinnsehnsüchtige Lebewesen in einer anscheinend sinnlosen oder sinnwidrigen Welt wären, die ihrer Sinnsehnsucht entsprechend dem Sinn immer wieder leicht Vorteile einräumen. Wie gesagt, es beweist nichts und zwingt niemanden zu einer bestimmten Einsicht und Ansicht. Aber es weist auf e­ twas

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gelingen kann. Dies etwa im Sinne V. Havels, dass Hoffnung nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht. Zuversichtlich aus guten Gründen Der Zuversichtliche bleibt aber nicht bei der begründeten Hoffnung allein, als würde er einem Schauspiel, dem Lebenstheater, wie von außen denkend und beobachtend beiwohnen, sondern er schlägt sich auf die Seite des Sinns, springt ihm zur Seite, unterstützt ihn und hilft durch eigenes Engagement, so dass der Sinn sich durchsetzt. Ganz im Sinne Lichtenbergs weiß die Zuversicht nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber sie weiß, dass es anders werden muss, damit es besser wird. Von der affektiven und ethischen Seite aus wählen wir dabei nicht die Seite der Furcht und Verzweiflung, auch wenn wir diese Seite sehr wohl kennen. Vielmehr kontextualisieren wir Furcht und Verzweiflung durch Bevorzugung von Mut, Vertrauen und Engagement so, dass wir an eine Rettung des Sinns und eine Rettung durch Sinn glauben. So treffen wir in der Zuversicht also eine entscheidende Wahl im Denken und im Handeln. Auch dieser Umstand dürfte deutlich machen, dass Optimismus nicht so etwas wie Zuversicht oder ihre gesteigerte Form ist. Ein fröhliches Wesen, ein unbekümmertes Temperament, eine optimistische Erlebnisprägung ist eben weder ein Charakterzug noch eine denkerisch eroberte Geisteshaltung, auch wenn natürlich ein optimistischer Ton sowohl Charakter als auch Denken mit dieser Qualität färben kann. Zuversicht aber ist eine mit guten Gründen gewählte spezifische Geisteshaltung und Lebenseinstellung, die Denken und Handeln navigiert und sich im Charakter als Wert und Haltung einwurzelt. Wie viele andere Wörter, die sich mit »Sicht« kombinieren, etwa Umsicht, Einsicht oder Vorsicht, ist auch Zuversicht ein Wort, das an das Sehen anknüpft. Zuversicht nimmt Sinn wahr und erwartet ihn in festem Vertrauen auch für die

Zukunft. So setzt sie gleichsam ein »wunderbares, gutmütiges Suchen« (Goethe) in Gang. Zuversicht ist allerdings nicht nur einfach ein Sehen, auch nicht nur einfach Vertrauen oder Hoffnung, sondern eine begründete Hoffnung, ein festes Vertrauen, ein starker und wirkender Glaube, ein schöpferisches Sehen. Ich setze meine Zuversicht in und auf Sinn und springe ihm in der Tat bei. Vielleicht bin ich dabei nicht gerade unbekümmert optimistisch, aber doch eben zuversichtlich. So verstanden, gehört Zuversicht ins Inventar einer weise gewordenen Lebens-Kunst. Zuversicht als denkerische Überzeugung und als ethische Maxime ist also eine begründete Hoffnung dafür, worauf ich setze und wofür ich mich einsetze. Woran ich festhalte, ist mein Wagnis. Eine solche Sicht ist dem Absurden abgerungen. Sie ist weder fanatisch noch zynisch, sondern nüchtern und gelassen gestimmt. Zuversicht ist eine entscheidende Wahl: an Sinn und seine Tragkraft zu glauben und ihm zugleich beizustehen. Daran festzuhalten, dass es ihn gibt und dass er in the long run stärker als der Nicht-Sinn und UnSinn sich erweisen möge – und sich auf seine Seite zu schlagen. Denn Zuversicht ist eine Art von engagierter Gelassenheit, ähnlich, wie Schiller es ausgedrückt hat, dass die Zuversicht »die Mutter großer Taten« ist. Die größte Tat aber ist es, immer wieder neu am Sinn festzuhalten und ihm immer wieder neu zur Hilfe zu kommen. Ganz praktisch heißt das aber, mit meiner Zuversicht für den anderen da zu sein, wenn seine Zeit der Zuversicht ins Wanken geraten ist. In diesem Sinne also können wir Zuversicht als eine Art von Lebenswette ansehen. Sie zeigt in einer existenziellen Wahl, wie und in welchem Licht ich die Welt und ihre Ereignisse zuletzt betrachten und wie ich in der Welt mit anderen zusammen leben will. Dr. phil. habil. Eduard Zwierlein, M. A., Studium der Philosophie, Psychologie und Theologie, ist apl. Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau sowie als Unternehmensberater tätig. Kontakt: [email protected]

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Zuversicht: Grundkategorie des Glaubens und Schlüssel gelingenden Lebens Benno Elbs »Ich bin zuversichtlich, dass …« Wenn Menschen sich in demonstrativer Zuversicht üben, ahnt man schon, dass es wohl anders kommen wird. Zuversichtsbekundungen ähneln in vielen Fällen letzten Zuckungen eines (Zweck-)Optimismus, der angesichts einer unaufhaltsamen Entwicklung der Realität nicht ins Auge blicken und das unweigerlich Kommende nicht wahrhaben will. Ist man noch so zuversichtlich – das nächste Spiel wird doch verloren, der Karrieresprung doch nicht geschafft, die nächste Schularbeit wieder verhaut. Daneben – und in scharfem Kontrast dazu – weist ein Blick in die biblischen Schriften Zuversicht als einen Zentralbegriff des Glaubens aus. Eine Spitzenaussage findet sich im Hebräerbrief, wo es heißt: »Werft eure Zuversicht nicht weg – denn sie hat reichen Lohn! Was ihr braucht, ist Ausdauer, damit ihr den Willen Gottes erfüllt und die Verheißung erlangt« (10,35). Das ist nicht nur ein Aufruf zum Durchhalten, um nicht überhastet die Flinte ins Korn zu werfen oder den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr ist die Ermahnung des Hebräerbriefs verbunden mit einer Veränderung des Blicks. Letztlich drückt sich darin die Grundüberzeugung aus, dass Gott in der Welt und gemeinsam mit dem Menschen handelt. Christliche Zuversicht ist nicht naiv oder realitätsfremd. Wer als Christin oder Christ die Haltung der Zuversicht einnimmt, hat auf der einen Seite einen klaren Blick auf den Ernst einer Situation, lässt sich aber auf der anderen Seite davon nicht lähmen. Die Begriffstrias Zuversicht – Hoffnung – Vertrauen bildet so eine Grunddimension des Glaubens, die nicht zuletzt in Krisen- und Verlusterfahrung ein großes Maß an Sinnpoten-

zialen bereithält. Worauf aber bauen gläubige Menschen ihre Zuversicht? Fundament: Menschwerdung – Kreuz – Auferstehung Christliche Zuversicht ist zunächst grundgelegt in der Überzeugung, dass Gott in der Person Jesu Mensch geworden ist und mit dem Menschen das Leben in all seinen Facetten geteilt hat. Gott verlässt gleichsam den Himmel und beginnt eine »Karriere nach unten« (Greshake 2020). In Jesus wird Gott mit der Welt solidarisch und macht die ganze Bandbreite des Lebens zu seiner eigenen. Das beginnt bei seiner Geburt, wo er in Armut und von der Gesellschaft nicht gewollt in einer Krippe zur Welt kommt. Das geht weiter zu seinem Einsatz für all jene, denen das Leben hart zusetzt: die Kranken, Trauernden und Entrechteten, die Ausgestoßenen, Verarmten und körperlich wie seelisch Verwundeten; und führt letztlich hin zu seinem Tod am Kreuz, dem großen Umschlagplatz, wo sich die Verzweiflung in Zuversicht wandelt und im Tod das Tor zum Leben sanft aufgestoßen wird. Dass Jesus nicht nur für die Leidenden eintrat, sondern die ganze negative Wucht des Lebens an seinem eigenen Leib erfahren hat, zeigt, dass dem Christentum von Anfang an jede Ausklammerung von Leid, Tod und Trauer fremd ist. Jesu Leben und seine Botschaft, besonders aber sein Tod am Kreuz machen vielmehr die dunkle Seite des Lebens sichtbar und stellen sich damit auch vehement gegen die weit verbreitete Tendenz, das Leid wegzuschieben und so zu tun, als ob es nicht da wäre.

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Gerade in den dunklen Momenten des Lebens leuchtet jedoch ein Licht auf. Denn in den biblischen Geschichten des Alten (man denke nur Hiob oder Jeremia) und Neuen Testaments wird deutlich: Gott lässt in der Not eine Erfüllung ahnen, die über unsere Verletzlichkeit und Sterblichkeit hinausgeht. Der Mensch wird daran erinnert, dass der Glaube an den Gott des Lebens für ihn in noch so großer Bedrängnis die Möglichkeit einer Wende zum Sinn bereithält. Die alte Klage »Warum lässt Gott das zu?«, die sich angesichts unsagbaren und unsäglichen Leids regt, erhält in besonderer Weise mit Blick auf Tod und Auferstehung Jesu eine Wandlung. Jesus ist vor dem Kreuz nicht bewahrt und auch nicht, als die Not und der Schmerz am größten waren, durch eine göttliche Regieanweisung von seinen Qualen befreit worden. Vielmehr ist Gott im Leid erfahrbar geworden als jemand, der Geleit gibt, mitgeht und im gemeinsamen Austragen des Schmerzes andere und weitere Horizonte ahnen lässt. Gott ist den Menschen gerade dann nahe, wenn sie schwach und verwundet sind. In der Seelsorge habe ich unzählige Male erlebt, wie gläubige Menschen in ausweglosen Situationen, ja im Angesicht des Todes sich in dieser Hoffnung geborgen wussten. Ich denke zum Beispiel an eine Frau, der ich am Sterbebett ein handgefertigtes Holzkreuz in die Hand gegeben habe. Später habe ich von den Ärzten erfahren, dass sie dieses Kreuz bis zu ihrem Tod nicht losgelassen hat und mit ihm in der Hand gestorben ist. Ihr Vertrauen darauf, dass durch die Auferstehung Jesu auch ihr Tod der Übergang in ein gewandeltes Leben bei Gott ist, hat sie versöhnt aus dieser Welt scheiden lassen.

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Vincent van Gogh, Die Wiedererweckung des Lazarus, 1890 / akg-images

Gott lässt in der Not eine Erfüllung ahnen, die über unsere Verletzlichkeit und Sterblichkeit hinausgeht.

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Konsequenzen: jesuanische Handlungsimpulse für heute

Betroffenheit

Die eben in aller Kürze entfaltete (theologische) Grundlegung möchte ich nun in einem zweiten Schritt konkret werden lassen und – in ebenso gedrängter Weise – zeigen, wie Jesus durch die Art und Weise, wie er vor allem kranken und leidenden Menschen begegnet ist, Zuversicht geschenkt hat. Ich tue das in der Überzeugung, dass die Haltungen Jesu auch für alle, die heute in der Begleitung von Kranken und Sterbenden engagiert sind, wertvoll sind.

Um das innere Ergriffensein Jesu vom Schicksal der Menschen auszudrücken, bedient sich das Neue Testament einer eindringlichen Sprache. Übersetzt man die entsprechenden Stellen wörtlich, heißt es: »Jesus war bis in seine Eingeweide erschüttert.« Das Leid anderer lässt ihn nicht kalt, sondern bewirkt in ihm einen Gefühlsausbruch. Es ging ihm sprichwörtlich durch Mark und Bein. Die Begegnungen Jesu mit Kranken vollziehen sich in einer Haltung des echten MitLeidens und Mit-betroffen-Seins.

Fünf Verben der Nähe

Weg und Ziel

Papst Franziskus hat einmal darauf hingewiesen, dass Jesu Verhältnis zu den Menschen durch folgende Wörter gekennzeichnet ist: sehen, rufen, sprechen, berühren, heilen (Papst Franziskus 2017). Jesus sieht zunächst Not und Sorge der Menschen. Denen, die von anderen gern übersehen werden – Arme, Sünder, Aussätzige, Kranke –, schenkt er im wahrsten Sinn des Wortes Ansehen. Er ruft die Menschen zu sich und spricht mit ihnen. Und schließlich berührt Jesus die Menschen und heilt sie. Oft genügt ein Kontakt, eine zärtliche Berührung, um gesund zu werden und einen neuen Anfang zu wagen (Huber 2016).

Zuversicht ist kein Automatismus. Auch Gläubige haben weder die Garantie, dass sie selbst zuversichtlich sind, noch dass durch ihre zuversichtliche Haltung das Erhoffte Realität wird. Jedoch zeigen die eben genannten Beispiele, dass Zuversicht genährt werden kann: durch die Erfahrung der Nähe von Menschen, aber auch durch Spiritualität und das Vertrauen, dass Gott tragender Ursprung und Begleiter des Lebens ist. Zuversicht ist ein Ziel und gleichzeitig ein Weg. Es lohnt sich in jeder Situation, neu aufzubrechen. Benno Elbs, Theologe und Psychotherapeut, ist seit 2013 Bischof der Diözese Feldkirch.

Persönliche Zuwendung Jesus fragt oft: »Was willst du, dass ich dir tue?« (zum Beispiel Lukas 18,41). Damit macht er deutlich, dass der Mensch, dem er begegnet, kein Patient X mit dem Symptom Y ist, den er mit der Therapie Z behandelt. Jesus erteilt dem Menschen das Wort und stellt eine Beziehung her. Die Begleitung von Menschen ist ein Beziehungsgeschehen. Damit Zuversicht wachsen kann, braucht es in jedem Gespräch ein sensibles Eingehen auf die Bedürfnisse der Menschen.

Kontakt: [email protected] © Reinhard Maier

Literatur Franziskus, Papst (2017). Predigt bei der Frühmesse am 30. Oktober 2017: https://www.vatican.va/content/francesco/­de/­ co­ti­die/­2017/­documents/­papa-francesco-cotidie_2­0­1­7­1­0 3­0_weg-des-guten-hirten.html (Zugriff am 18.09.2021). Greshake, G. (2020). Gottes Karriere nach unten. Was Weihnachten heute bedeutet. Freiburg/Breisgau. Huber, J. (2016). Es existiert. Die Wissenschaft entdeckt das Unsichtbare. München.

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Zwischen Himmel und Hölle Bilder von Vertrauen und Angst

Marianne Bevier und Christoph Bevier Hinabgestiegen in das Reiche der Hölle In einer seelsorglichen Begegnung fragt ein Patient, warum im Apostolischen Glaubensbekenntnis der Wortlaut verändert worden sei. Im ersten Artikel heiße es nicht mehr über Christus: »hinabgestiegen in das Reich der Hölle«, sondern »hinabgestiegen in das Reich des Todes«. Die Seelsorgerin ist über die Frage überrascht, überlegt, wie sie die Veränderung erklären könnte, spürt aber zugleich, dass es dem Mann um etwas anderes geht als um eine Information. Die Ebene, die er anspricht, ist nicht intellektuell, sondern existenziell. Deshalb fragt die Seelsorgerin: »Sie haben die Hölle schon öfter erlebt, nicht?« »Ja«, antwortet der Mann. Er hat eine lange, schwere Geschichte und manch großen Verlust erfahren. Hölle bedeutet für ihn: Ausweglosigkeit, Verlorenheit, Verlust aller Perspektiven, die Wiederkehr lange bekannten Elends, Verlust von Hoffnung, das Gefühl, eingesperrt und ausgeliefert zu sein, das Gefühl von Lähmung und Handlungsunfähigkeit und das Gefühl von Sinnlosigkeit. Hölle ist für ihn Enge, Bedrückung. Deshalb ist ihm das Bild von Christus wichtig, der in die Hölle hinabsteigt und dort die Leidenden, die im Elend sind, in der Einsamkeit und Verlorenheit, erlöst. Christus ist dort, wo man ihn gerade nicht denkt, und er geht zu denen, zu denen sonst niemand geht. Christus bringt das Licht in die Dunkelheit. Christus bringt Orientierung, Hoffnung, Halt. Christus erlöst und zeigt einen Ausweg. Für den Patienten bedeutet das Bild von der Höllenfahrt

Christi ein starkes Hoffnungsbild. Im ursprünglichen, lateinischen Text des Apostolikums heißt die betreffende Stelle: »descendit ad inferos«, hinabgestiegen in die Unterwelt, hinabgestiegen zu denen, die unten sind. Weil man das Wort »Hölle« mit falschen mythologischen Vorstellungen beladen wähnte, ersetzte man den Begriff »Hölle« durch »Reich des Todes«. Mit der Abwehr mythologischer Vorstellungen nahm man eine Rationalisierung vor und eine Neutralisierung von Gefühlen in Kauf. Der Patient holte sich das Bild von der Höllenfahrt Christi zurück als existenzielle Hilfe. Seine Erfahrung war nicht nur eine des Todesreiches, sondern eine Höllenerfahrung, und für ihn bedeutete die Vorstellung, Christus habe die Menschen in der Hölle gesehen, besucht und erlöst, die große Hilfe, der er sich im seelsorglichen Gespräch vergewissern wollte. Die Bedeutung von sprachlichen Bildern In dem Beispiel zeigt sich die Bedeutung von sprachlichen Bildern, in denen sich existenzielle Erfahrungen spiegeln und ausdrücken. Die Bedeutung dieser sprachlichen Bilder liegt manchmal jenseits ihres rationalen Zugangs und Inhalts. Hölle als ein Begriff, der einen jenseitigen Ort der Bestrafung – als Gegenort zum Himmel als jenseitigem Ort der Belohnung – beschreibt, hat heute bei den meisten Menschen seine Bedeutung verloren, während Hölle als ein Begriff, der eine Erfahrung beschreibt – Einsamkeit, Angst, Verlorenheit, Ausweglosigkeit, Schmerzen – nach wie vor seine Gültigkeit hat. Wenn man solche Begriffe negiert und mit nachvollziehbaren rationalen Gründen eliminiert, löscht man auch eine wichti-

Michelangelo, Die Verdammten werden in die Hölle gestürzt (Ausschnitt des Jüngsten Gerichts)

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Die Verdammten werden in die Hölle gestürzt (Michelangelo)

ge Möglichkeit für Menschen, ihre Erfahrung von Leiden, Einsamkeit Angst, Ausweglosigkeit, Verlorenheit etc. zu benennen. Die Angstbilder ergeben Sinn und haben Sinn, weil sie Sprache für scheinbar Unnennbares und sprachlos Machendes schenken. Es ist auch nicht wirksam, gegen solche Bilder rational zu argumentieren. Natürlich kann man sagen, dass Vorstellungen von Himmel und Hölle einem überholten mythischen Weltbild zuzuordnen seien, aber solches Argumentieren erreicht nicht den Menschen, der in Not ist und diese Bilder erfährt und benutzt, um seine Erfahrung zu beschreiben. Vielmehr ist es im Kontext von Seelsorge, Beratung und Begleitung wichtig, Vertrauensbilder, Hoffnungsbilder, Trostbilder und Bilder der Zuversicht zu finden und wirken zu lassen. Die Gegenbilder unterwandern die Schreckensbilder, machen sie erträglich,

indem sie ihnen ihren Anspruch auf Absolutheit nehmen, und lösen sie im besten Fall ganz auf. Schulderfahrung In einer anderen seelsorglichen Begegnung erzählt ein Mann dem Seelsorger von großer Schuld, es handelt sich um reale Schuld, nicht um Schuldgefühle. Der Mann sagt, seine Schuld sei so groß, dass er hoffe, dass Gott ihn ewig verurteilen würde und er im ewigen Gericht brenne. Der Seelsorger erinnert an die Vorstellung von der Gnade Gottes, erzählt biblischen Geschichten, die Gott als barmherzig beschreiben, aber der Mann wehrt ab, nein, nein, das mag für andere gelten, für ihn nicht. Auch hier zeigt sich, dass rationales Sprechen nicht gegen emotionale Bilder wirkt. Als der

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Mann immer wieder abwehrt, schlägt ihm der Seelsorger eine Übung vor: Einmal am Tag solle er für zwei, maximal drei Minuten sich selbst mit barmherzigen, liebevollen Augen anschauen. Als sich der Seelsorger und der Mann nach einer Woche wiedersehen, erzählt dieser, die Übung habe gewirkt, er sei zwar immer noch der Meinung, er müsse verurteilt werden, aber er habe wenigstens eine Ahnung von Barmherzigkeit bekommen. Die Übung tue ihm sehr gut. Bei diesem Mann ist es das Bild des nach menschlichen Maßstäben gerecht richtenden Gottes, das ihm einerseits ermöglicht, zu seiner Schuld zu stehen und sie nicht kleinzureden, andererseits aber auch eine Ausweglosigkeit und Verzweiflung schafft, die er kaum aushalten kann. Er muss in eine Depression gehen, um diese tiefe Verzweiflung auszuhalten. Auch in diesem Beispiel zeigt sich die Bedeutung scheinbar negativer Bilder – hier das Bild des hart richtenden, verurteilenden Gottes –, die Menschen eine Möglichkeit und Sprache geben, sich mit sich selbst, dem eigenen Verhalten und dem eigenen Fühlen auseinanderzusetzen. Die Aussage des Mannes, Gott verurteile ihn zu Recht zu ewiger Verdammnis, bietet ihm eine Möglichkeit, über die Größe seiner Schuld zu sprechen. Hilfreich ist für ihn die Zuwendung durch die Begegnung in der Seelsorge und die sich langsam öffnende Erfahrung von Gottes Nähe und Barmherzigkeit. In solchen scheinbar negativen Bildern setzen sich Menschen mit ihren Erfahrungen, ihrer Schuld, ihrem Scheitern, ihrer Angst auseinander, und die Aufgabe von Begleitenden ist nicht, diese Bilder als falsch oder überholt zu entlarven, sondern nach der Erfahrung zu fragen, die sie hervorgerufen hat und in ihnen angesprochen ist. Im nächsten Schritt können Gegenbilder zu den Schreckensbildern entstehen, Betroffene können solche Gegenbilder ausprobieren, ob sie zu ihnen passen oder nicht, sie können eigene Bilder suchen und finden.

Die schwarze Madonna in der Kathedrale von Chartres Wie stark die Wirkmacht von Bildern ist, kann man zum Beispiel an der schwarzen Madonna in der Kathedrale von Chartres sehen. Die schwarze Madonna war ein wichtiges Andachtsbild in der Kathedrale, wo Menschen in ihrer Armut, ihren Schmerzen, ihrer Not, ihrer Einsamkeit hingekommen sind und sich im Antlitz der Madonna mit ihrer Patina, die sich über die Jahrhunderte auf ihr gesammelt hatte, wiedergefunden haben. In den Spuren von Staub, Feuchtigkeit, Fett, Atem, Weihrauch – kurz: der Zeit, der Vergänglichkeit – fanden sich die Pilgerinnen und Pilger wieder und erkannten sich wieder. Nach der Restauration der Madonnenfigur strahlt ihr Antlitz rein und prinzessinnenhaft, aber die Identifikation ist gebrochen, die Figur ist zu einer Kunstfigur geworden und hat ihre Lebendigkeit, ihre Prägung durchs Leben eingebüßt. Die beseelte, authentische Andachtsfigur muss erst wieder durch die Gebete der Pilgerinnen und Pilger und die Patina der Zeit neu entstehen. Angst vor dem Tod – Einstimmen in Sterben In einer Sterbebegleitung äußert ein Mann große Angst vor dem Tod. Er habe sein Leben nicht vollkommen gelebt, er habe viele Fehler gemacht, er habe nicht das aus seinem Leben gemacht, was ihm möglich gewesen wäre, quält sich der Sterbende. Die Angst, Gott könne ihn verurteilen, macht ihn unruhig und belastet ihn stark. Er kann nur schlecht schlafen, hat Albträume, schwitzt. Die Begleitende ist ratlos und erzählt einer Freundin von dieser Sterbebegleitung. Im Erzählen stellt sich heraus, dass der Mann aus Italien stammt. Die Freundin erinnert sich, dass sie immer eine kleine Madonnenfigur im Portemonnaie trägt. Sie holt die Madonnenfigur hervor, gibt sie der Begleitenden und rät ihr, die Figur dem Ster-

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benden zu geben. Tatsächlich wirkt die Figur tröstend und entlastend auf den Sterbenden. Sie schenkt ihm Schutz und Geborgenheit, indem sie an sehr frühe kindliche Erfahrungen von Liebe und Fürsorge andockt und sie lebendig macht. Die Madonnenfigur schafft ihm einen Schutzraum, in dem die schweren Gedanken abgewehrt sind, sie schafft ihm einen Raum, in dem Qual außen vor gehalten wird und der Mann zu sich selbst findet und zum Frieden. Der Mann kann wieder schlafen, seine Angst verschwindet. Die Figur wird zu seiner Begleiterin im Sterben. Sie wird ihm so wichtig, dass er anordnet, die kleine Figur solle zu ihm in den Sarg gelegt werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie enorm wichtig kleine, sinnliche Gesten, Gegenstände und Symbole werden können und gegen Angstund Gerichtsbilder wirken können. Auch Abendoder Wiegelieder sind wichtig, die man mit Sterbenden oder für sie singen kann, Vertrauenspsalmen, die man mit ihnen oder für sie beten kann. Gegen Schreckensbilder – die ihren Sinn haben – wirken Bilder des Vertrauens. Öffnung für den Augenblick Oft sind Menschen, die leiden, die Angst haben, die im Sterben begriffen sind, mit der Frage beschäftigt: Wie stehe ich das durch? Begleitende

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George Frederic Watts, After the Deluge: The Forty-First Day, 1885 / akg-images

suchen dann mit den Betroffenen nach Ressourcen. Das ist sinnvoll. Es kann aber auch eine Veränderung der Fragestellung hilfreich sein. Nicht mehr perspektivisch, zielorientiert, auf eine Lösung hin orientiert zu fragen, sondern seinsorientiert: Was tröstet mich? Was unterstützt mich? Die Perspektive, etwas durchhalten oder aushalten zu müssen, wird losgelassen, und der Blick auf die Gegenwart, das momentane Sein gerichtet. Was steht mir im Moment zur Verfügung an Trost? Die Begegnung, die gerade stattfindet, der Blick aus dem Fenster, ein Psalm, miteinander lachen, sich erinnern, eine gute Mahlzeit, Musik, die man hört.

Marianne Bevier, Diplom-Theologin, Studium der katholischen Theologie, war als Seelsorgerin in Gemeinde, Thoraxklinik und Psychiatrie tätig und arbeitet als Supervisorin und Kursleiterin in Klinischer Seelsorgeausbildung (KSA) und Trauerbegleitung. Kontakt: [email protected] Christoph Bevier war als evangelischer Pfarrer in Gemeinde, Gefängnis und Gymnasium tätig und arbeitet als Klinikpfarrer in einer psychiatrischen Klinik. Er ist Supervisor im Bereich von Hospiz, Krankenhaus, Seelsorge; Seelsorgeausbildung (KSA), Weiterbildung in systemischer Familientherapie, Bibliodramaleiter, Supervisor (DGfP). Kontakt: [email protected]

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Leuchtende Fixsterne am dunklen Krankheitsfirmament Zur Bedeutung von Zuversicht bei Krebs

Claudia Altmann-Pospischek Die schicksalhaften drei Worte »Sie haben Krebs!« in der einen oder anderen Form an den Kopf geschmettert zu bekommen, gehört zweifelsohne zu den absoluten Tiefpunkten im Leben. Oft reißen in dieser Situation Panik, Angst und Hoffnungslosigkeit das Steuer an sich. Im Initial­moment scheint die »Auseinandersetzung« bereits verloren, bevor sie überhaupt erst begonnen hat. Hier bedarf es einer großen Portion Mut, Motivation und Zuversicht, um die Balance nicht zu verlieren. Selbst mit einer Krebserkrankung ist ein qualitatives, ausgefülltes Leben möglich – ich darf hier aus eigener Erfahrung erzählen. Meine Diagnose kam 2013 aus dem Nichts und hat mir mit 38 Jahren sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Mein winziges Mammakarzinom hatte bereits in die Leber und in die Knochen gestreut. Das alles ohne genetische Vorbelastung und trotz regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen; prognostizierte Durchschnittsüberlebenszeit: zwei Jahre. Was folgte, war ein kräftezehrender Therapiemarathon mit Operationen, Zytostatika, Antihormon- und Antikörpertherapien, Bestrahlungen, Knochenaufbauspritze und so weiter. 2018 wurden zudem Bauchfellmetastasen entdeckt – wieder ein herber Rückschlag. Doch: Ich darf immer noch da sein. Zuversicht als Verbündete Getragen von viel positiver Energie und ausgestattet mit jeder Menge Lebensfreude, Zähigkeit und Optimismus gelingt es mir nun bereits seit acht Jahren, den Krebs im Zaum zu halten, mal

besser – mal schlechter. Und eines habe ich nie verloren: meine Zuversicht – sie agiert stets als enge Verbündete und spendet mir Hoffnung. Den Krebs bezeichne ich mittlerweile als meinen Beifahrer – ich werde ihn nicht mehr los, aber ich sitze hinter dem Steuer und gebe die Richtung und das Tempo vor. Diese Metapher beschreibt wohl am besten, wie sich mein Leben mit fortgeschrittenem Brustkrebs anfühlt. Ich möchte an dieser Stelle auf die Zuversicht näher eingehen, die mich von Anfang an begleitete. Was versteht man darunter? »Festes Vertrauen auf etwas zu erwartendes Gutes«, formuliert es der Duden. Und genau hier können Menschen mit einer Krebserkrankung ansetzen, arbeiten und aufbauen. Das Positive erkennen und verstärken und das Negative akzeptieren und es beiseiteschieben – so habe ich das stets gehandhabt. Immer mit Blick auf das nächste kleine Etappenziel auf der langen, kurvigen Straße des Lebens. Wenn ich den Krebs als meinen Beifahrer bezeichne, so ist die Zuversicht mein Navigationssystem, das mir den richtigen Weg weist, das mich in meinen (Bauch-)Entscheidungen bestärkt und mich sicher und beschwingt weiterfahren lässt. Wer es schafft, den Fokus vom Problem hin zu möglichen Lösungen zu verschieben, wird mit Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl belohnt werden. Jede gemeisterte schwierige Situation lässt mich wachsen. Jeder bewältigte steile Berg lässt mich stolz zurückblicken. Der Weg zur Zuversicht führt über unsere Gefühlswelt, die durch eine optimistische Grundhaltung und ein positives Umfeld gefördert wird. Es geht in erster Linie

darum, wertvolle Erfahrungen und schöne Erlebnisse zu sammeln – das gibt Kraft und schenkt Hoffnung. Ganz nach dem Leitsatz: »Collect memories and not things« – am besten zusammen mit lieben Menschen.

Mein Mann Peter, meine Familie und meine Freund*innen waren stets an meiner Seite. Denn: Es braucht ein Netz, in das man sich guten Gewissens fallen lassen kann und das einen sicher auffängt. Was ich damit meine? Ein ineinandergreifendes Beziehungsgeflecht, getragen von Herzensmenschen, die in dieser Notsituation ihre Hilfe anbieten. Familienmitglieder, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen, die Verständnis mitbringen, nach Kräften helfen oder einfach »nur« zuhören. All das ist von unschätzbarem Wert. Wer sich seine persönliche »Taskforce« aufbaut, wird davon enorm profitieren und nie das Gefühl haben, mit seinem Schicksal allein zu sein. In meinem Fall spricht man von einer fortgeschrittenen Erkrankung – das heißt, der Krebs hat bereits »gestreut« und im Körper Absiedlungen gebildet. Damit ist in der Regel der Status »unheilbar« verbunden; ich bevorzuge allerdings den Terminus »chronisch krank« – das klingt freundlicher. Der Rucksack, den man von einem auf den anderen Tag ungewollt umgeschnallt bekommt, wiegt äußerst schwer – physisch wie psychisch. Doch es bringt nichts, heute daran zu denken, was morgen möglicherweise eintreten könnte. Es gilt, das Leben zu gestalten und zu genießen – getreu meinem Motto: »Every day is an adventure!« Und das mache ich – mit zahlreichen Reisen, Konzertbesuchen, Treffen und allem, was mir sonst noch Spaß macht. Sternentage – so nenne ich jene Tage, an denen ich mich mit Herzensmenschen treffe, wir zusammen etwas Besonderes unternehmen und wertvolle Qualitätszeit verbringen. Diese

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Herzensmenschen und Sternentage

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Tage erscheinen mir als leuchtende Fixsterne am dunklen Krankheitsfirmament. Sie sind Quelle meiner Zuversicht, lassen mich anstrengende Therapien überstehen, weisen mir im Dunkeln den Weg und versprühen jede Menge Lebensfreude. So hantle ich mich auf meiner Lichterkette des Lebens immer weiter – von Stern zu Stern. 10-Punkte-Mutmachstrategie gegen dunkle Wolken In den letzten Jahren habe ich mir mein eigenes Resilienzkonzept erarbeitet. So sieht meine 10-PunkteMutmachstrategie aus:

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• Setz dir Fixsterne (Urlaube, Konzerte …) auf deiner Lichterkette des Lebens • Akzeptiere deine Krankheit und lebe mit ihr als »Beifahrer« • Lass dich in dein soziales Netz aus Familie und Freund*innen fallen • Finde eine/n kompetente/n und empathische/n Onkolog*in deines Vertrauens • Nimm psychoonkologische Hilfe in Anspruch • Suche dir eine Aufgabe, die dein Herz erfüllt (Arbeit, Hobby, Charity …) • Konzentriere dich auf deine Bedürfnisse und gehe deinen Weg • Versuche das Positive in all dem Negativen zu erkennen • Informiere dich über deine Krankheit und alle Behandlungsmöglichkeiten • Sei aktiv und lebe im Hier und im Jetzt Natürlich ziehen auch hin und wieder dunkle Wolken auf, was angesichts meiner Krankengeschichte wenig verwundert. Man kann nicht immer nur lächeln. Es gibt sie – diese Heultage, diese »Ich seh’ keinen Sonnenstrahl am Himmel«-Zeiten. Einer Krebserkrankung mit Verdrängen, Schönreden oder Totschweigen begegnen? Nun ja, keine dieser

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drei Strategien wird wohl dauerhaft funktionieren. Die Gewissheit, eine bösartige Tumorerkrankung in sich zu tragen, ist schmerzhaft. Man durchwandert tiefe, dunkle, steinige Täler, die Nichtbetroffene nie zu Gesicht bekommen werden. In diesen Niederungen angekommen, müssen Trauer, Wut und Angst ein geeignetes Ventil finden. Es tut gut, mal alle Emotionen rauszulassen, stundenlang zu weinen und mit seinem Schicksal zu hadern – danach wird die Welt wieder in einem helleren Licht erscheinen. Jede geweinte Träne reinigt die Seele. Jedes an die Wand geschmissene Kissen baut die Wut ein Stück weit ab. Mir hat es geholfen, qualifizierte psychoonkologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das ist keinesfalls ein Schwächeeingeständnis, sondern zeugt von Reflektiertheit und Problemlösungskompetenz.

Meetings – Treffen metastasierter Patientinnen mit onkologischer Begleitung an unvergesslichen Orten; zudem moderiere ich zwei Facebook-Gruppen und engagiere mich in der Frauenselbsthilfe Krebs (FSH). Denn: Der Austausch mit anderen Betroffenen ist ungemein wichtig. Man muss nicht lange erklären – das Gegenüber versteht. In unserer Runde herrscht ein offenes, herzliches Klima, wir teilen unsere Erfahrungen, lachen und weinen zusammen. Das bekommt der Seele gut und nährt die Zuversicht. Auf diese Weise entstanden wunderbare Freundschaften fürs ganze Leben. Ich kann nur jeder und jedem ans Herz legen, sich zu öffnen und sich zu vernetzen. Gemeinsam statt einsam!

Selbstwert durch eine Aufgabe

In den vergangenen acht Jahren gab es in meinem Leben zahlreiche Hochs und Tiefs, gute und schlechte Untersuchungsbefunde, inspirierende Begegnungen und interessante Erkenntnisse; aber auch schlimme Schockerlebnisse und niederschmetternde Diagnosen. Das Leben mit Krebs gleicht einer rasanten Achterbahnfahrt. Natürlich zollt ihr dem Krebs Raum und Zeit, aber ihr seid so viel mehr als eure Krankheit. Es gibt noch so viel zu erfahren, zu erleben und zu erreichen. Ich habe gelernt, das Positive in all dem Negativen zu erkennen; mich mit Zuversicht auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Wie es weitergeht? Die Zukunft wird es zeigen. Ich will leben – und das möglichst lange. Und: Ich will – wie wir alle – Spuren hinterlassen. Tiefe und erkennbare.

Im Laufe der Jahre reifte bei mir der Wunsch nach einer Aufgabe, die mein Herz erfüllt. Etwas Sinnstiftendes, das Selbstwert schenkt und von dunklen Gedanken ablenkt. So richtete ich meinen Fokus auf Brustkrebsaktivitäten. Dafür brenne ich. Ich will aus meiner Krankheit das Beste machen, möchte Brustkrebsbotschafterin sein, zur Vorsorge aufrufen und Solidarität mit Betroffenen einfordern. Ich liebe es, meine Erfahrung weiterzugeben, Pink-Ribbon-Aktionen zu unterstützen und als Vertreterin an Krebs erkrankter Menschen bei (inter-)nationalen Kongressen gehört zu werden. Damit einher geht die Arbeit an meinem »Sprachrohr« – meinem Blog »Claudias Cancer Challenge« – sowie an meinem Buch (Arbeitstitel: »Unheilbar, aber glücklich«). Schreiben ist für mich Teil des Verarbeitungsprozesses. Ich will meinen Blickwinkel und meine Tipps an Betroffene und Angehörige weitergeben sowie ein Gesicht und eine Stimme einer Krankheit sein. All das ist der Motor, der mich am Laufen hält. Zu Anfang meiner Erkrankung fühlte ich mich allein, schrecklich allein. Aus diesem Gefühl heraus initiierte ich Jahre später meine Meta-Mädels-

Leben mit Krebs als Achterbahnfahrt

Claudia Altmann-Pospischek studierte Publizistik und Englisch und war im Medienbereich tätig. 2013 erkrankte sie an metastasiertem Brustkrebs und engagiert sich seither als Brustkrebsaktivistin. Sie schreibt im Blog www.facebook.com/ © Marina Probst-Eiffe claudiascancerchallenge und wurde für ihre Arbeit mit dem myAID Award 2016 und dem Löwenherz 2017 ausgezeichnet. Kontakt: [email protected] Instagram: @claudiascancerchallenge

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Zuversicht im Kontext von Flucht und Migration Christian Banse »Wo alle Hoffnung endet – darf Zuversicht beginnen.« Heike Ullmann (*1967), Psychologin und Autorin

Zu den grundlegenden Erfahrungen von palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgern von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten gehört das Erleben von Grenzen bei der Umsetzung eigener Ansprüche an die psychosoziale Begleitung und medizinische sowie pflegerische Versorgung von Schwerstkranken. In Interviews mit Palliativversorger*innen haben wir überwiegend Ärzte und Ärztinnen, aber auch andere Mitarbeitende multiprofessioneller Teams mittels narrativer Interviews befragt, wie sich die Versorgung dieser Patientengruppe für sie darstellt und ob es spezifische Probleme im Zugang zu den Angeboten und bei deren Nutzung gibt (Jansky, Owusu-Boakye und Nauck 2017). In den ausführlichen Antworten der Befragten trat eindrücklich eine Argumentationsfigur hervor: Man hatte das Gefühl, das gelernte Wissen als Palliativarzt/-ärztin beziehungsweise Palliativkraft nicht so umsetzen zu können, wie man es aus anderen Versorgungssituationen gewohnt war, weil man auf diverse Barrieren stieß, die die eigenen Konzepte blockierten. Berichtet wurde von Sprachproblemen und fehlenden Dolmetscher*innen und von unterschiedlichen Einstellungen der Betroffenen zum Sterben. Betont wurden politisch-rechtliche Unklarheiten über die Aufenthalts- und Versorgungsbedingungen von Geflüchteten. Die spezifischen Anforderungen wurden verdeutlicht, wenn von Schwierigkeiten gesprochen wurde, die sich etwa darin ausdrückten, dass Patient*innen, die in ihrem Herkunftsland sterben oder sich

dort verabschieden wollten, nur unzureichend medikamentös eingestellt werden konnten. Die Gesetzgebung bezüglich der Abgabe von Betäubungsmitteln begrenzte die Versorgung mit Medikamenten, darüber hinaus waren einige Patient*innen kaum noch reisefähig. Es entstanden Konflikte im Umgang mit der Bewertung der Krankheit. Der Besuch religiöser Veranstaltungen etwa konnte dem Patienten oder der Patientin wichtiger sein als die palliativmedizinische Begleitung, die fürsorgliche und wertschätzende Bewirtung des SAPV-Teams wichtiger als die korrekte Medikamenteneinnahme und die gesicherte Aufenthaltsgenehmigung für die Kinder inklusive des damit verbundenen Aufwands wichtiger als medizinisch indizierte Maßnahmen, um eine bessere und schmerzgelinderte letzte Lebenszeit zu erzielen. Ressourcen finden, aber wo und wie? Wenn hier nach der Bedeutung von Zuversicht in dem skizzierten Kontext gefragt wird, in dem Schwerstkranken eine umfassende Begleitung ermöglicht werden soll, ist es wichtig zu verstehen, wie Versorgende mit dieser Einschätzung, durch die doch erheblich das eigene berufliche Selbstverständnis hinterfragt wird, umgehen. Woher wird Zuversicht genommen, den schwerstkranken Patient*innen auf bestmögliche Weise zu begegnen, obwohl die Versorgungssituation als eine Herausforderung erlebt wird? In diesem Zusammenhang muss auch das eigene Erleben selbst befragt werden: Wann und warum wird etwas als Belastung oder Einschränkung wahrgenommen? Was macht die Erschütterung aus? Und wie kann den vulnerablen Patient*innen Zuversicht ver-

Klaus Meinhardt

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mittelt werden, wenn man das Gefühl hat, nicht ausreichend helfen, nicht »seinen Job machen« zu können, wie eine Ärztin sagte? In der wissenschaftlichen Literatur, die sich mit der Handlungskompetenz und dem Selbstverständnis medizinisch-pflegerischer Berufe auseinandersetzt, wird vor allem »moral distress« als das Resultat einer Überforderung (Ulrich und Grady 2018) hervorgehoben, wenn Anforderungen und persönliche Werte im Konflikt stehen. Gefragt wird zunehmend nach mentalen Ressourcen, die es braucht, um Krisensituationen zu bewältigen, danach, ob Resilienz entstehen und wodurch sie gefördert werden kann. Wenn Zuversicht vor allem mit der Überzeugung verknüpft ist, dass das Handeln nicht von dem Ergebnis abhängt, sondern von der Erkenntnis, die man für

sich selbst gewinnt, so dass man einen Sinn sieht in dem, was man tut (Schnabel 2018), dann ist die Antwort auf die Frage entscheidend, was für einen selbst Sinn ergibt. Nicht ohne Grund wird in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung von Religion oder von Spiritualität allgemein diskutiert (Banse und Nauck 2020). Zuversicht und Ungewissheit In unserer Studie wurden zudem schwerkranke Patient*innen mit Migrations- und zum Teil auch Fluchterfahrungen befragt. Sie wurden in den Interviews ermutigt, uns ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und zwar auch unabhängig von der Erkrankung und dem Befund, nach denen wir ebenfalls gefragt hatten, gerade auch um mög-

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liche Unterschiede von Gesundheitsvorstellungen und Behandlungserwartungen zu begreifen. Wie kann sich für Menschen, die durch Migration, Flucht und eine bedrohliche unheilbare Erkrankung eine völlige Umwälzung ihres bisherigen Lebens erfahren mussten und manchmal zu wenig an den Versorgungsmöglichkeiten partizipieren konnten, angesichts dieser Umstände Zuversicht einstellen? In welchem Verhältnis stehen die teils traumatischen Erfahrungen der Patient*innen zu den Problemen der sie Versorgenden? Den Versorgenden blieb manchmal unklar, was die Patient*innen wirklich beschäftigt, so dass eine Barriere, eine Grenze empfunden wurde, während die Erkrankten zuweilen Scham empfanden. Geflüchtete aus unserer Stichprobe waren zum Teil traumatisiert sowohl von den Erlebnissen aus dem Herkunftsland als auch von der Flucht selbst und nicht zuletzt von dem Befund. In den Interviews wurde uns vermittelt, dass mit den biografischen Brüchen eine Unsicherheit einherging, die bedingt war durch den Statusverlust und den Verlust wichtiger sozialer Beziehungen und Bindungen. Auch für Menschen, die schon lange in Deutschland lebten, war die Verlustangst groß, weil zum Beispiel auch die Anerkennung über die Arbeit wegfallen konnte. Hoffnung und Trost, die mit religiösen Systemen verbunden werden, waren für die meisten Interviewten keine explizite Ressource. Zuversicht, die meist einer zeitgleichen Ungewissheit abgetrotzt war, wurde zunächst vor allem in die deutsche kurative Medizin gesetzt und der palliative Befund dann als Enttäuschung erlebt. Vertrauen in die Begleitung In diesen Momenten zeigte sich für die Patient*innen die Angst vor Ausgrenzung und weiterem Statusverlust. Sie formulierten, wie wichtig ihnen neben der familiären die professionell pflegerische und medizinische Betreuung waren. Was den Patient*innen Zuversicht gab, war, dass jemand da war, der oder dem man vertrauen konnte, dass sie oder er die spezifischen Grenzen der Versor-

gung aushielt und sich um Vermittlung bemühte. Zuversicht hat eine soziale Komponente. In der transkulturellen Grenzüberschreitung kann Offenheit (Schade, Banse, Rieder und Nauck 2019) erlebt werden, die es braucht, um das Gemeinsame zu erkennen: die Angst vor der Ungewissheit und der eigenen Hilflosigkeit. Zuversicht – so verstanden – ist etwas, das sich sowohl für die Betroffenen wie auch für die Behandelnden erst dann einstellt, wenn es nicht erzwungen, sondern an den Grenzen der Versorgung ge- und erlebt wird. Dr. disc. pol. Christian Banse ist Soziologe und arbeitet als Forschungskoordinator und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsabteilung der Klinik für Palliativmedizin Göttingen zu den Schwerpunkten Medizinsoziologie, Sterben/Tod, Migration, Grenzsoziologie, Moralsoziologie und Qualitative empirische Methoden. Wichtige Projekte waren unter anderem zur Palliativversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund (DKH) und zur Interkulturellen Öffnung der Hospiz- und Palliativversorgung. Kontakt: [email protected] Literatur Banse, C.; Nauck, F. (2020). Spirituelle Bedürfnisse schwer kranker Menschen mit Fluchterfahrung. Herausforderungen für die Palliativversorgung. In: Spiritual Care, 9, 4, S. 303–309. Banse, C.; Owusu-Boakye, S.; Schade, F.; Jansky, M.; Marx, G.; Nauck, F. (2020). Der Migrationshintergrund als Grenze der Palliativversorgung am Lebensende? In: DMW  – Deutsche Medizinische Wochenschrift, 145, S. 22–28. Jansky, M.; Owusu-Boakye, S.; Nauck, F. (2017). Palliative Versorgung von Menschen mit türkischem oder arabischem Hintergrund in Niedersachsen: eine Befragung spezialisierter Palliativversorger. Bundesgesundheitsblatt  – Gesund­ heits­forschung – Gesundheitsschutz, 60, 1, S. 45–54. Schade, F.; Banse, C.; Rieder, N.; Nauck, F. (2019). Was macht erfolgreiche interkulturelle Öffnung der Hospiz- und Palliativversorgung aus? Handreichung zu den Faktoren einer besseren interkulturellen Hospiz- und Palliativversorgung  – Ergebnisse eines qualitativen Forschungsprojekts. Göttingen. Schnabel, U. (2018). Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München. Ulrich, C. M.; Grady, C. (Hrsg.) (2018). Moral distress in the health professions. Cham. Anmerkung 1

Im Rahmen eines von der Deutschen Krebshilfe (DKH) geförderten Projekts zur Palliativversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund und einer fortgeschrittenen Krebserkrankung (Banse et al. 2020).

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»Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer« Hoffnung und Zuversicht in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen

Oliver Staniszewski In der Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ist es von entscheidender Bedeutung, mit ihnen eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive entwickeln zu können. Damit das aber gelingen kann, kommt der Person der Psychotherapeutin, des Psychotherapeuten eine besondere Bedeutung zu. Oftmals ist es dafür erforderlich, dass dieses Gefühl der Hoffnung zunächst in der/dem Psychotherapeut*in selbst hergestellt wird. Ich muss meinen, was ich sage. Und das ist dann sowohl eine wesentliche Grundlage für die Therapie als auch für die eigene innere Stabilisierung. So kann es gelingen, dass ich in den oft anstrengenden und belastenden Prozessen, die zudem über Jahre andauern können, innerlich stabil und beweglich bleibe. Auf der kleinen Insel Lummerland Ich nutze für diesen Beitrag die Geschichte von Michael Ende über »Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer« beziehungsweise den Text des Liedes »Eine Insel mit zwei Bergen«. Zum einen gefallen mir die Geschichte und auch das Lied, zum anderen finde ich sie hilfreich für das Thema. Es ist dieses Gefühl, auf einer Insel zu leben, in Distanz zu anderen, also ein Gefühl der Unverbundenheit und der Isolation, das Kinder und Jugendliche mit belastenden Beziehungserfahrungen begleitet. Das schützt sie teils vor dem, was belastet (hat), es macht es für sie aber auch schwierig, Hilfen annehmen zu können. Man muss also zunächst zu ihnen hinfinden. Für die-

sen Gedanken finde ich das Bild einer Insel sehr passend. Dabei ist es die eine Aufgabe, zu ihnen zu gelangen. Eine weitere ist es, ihnen einen Eindruck davon zu vermitteln, dass es mehr Inseln gibt, sie sich also quasi nicht allein im »großen weiten Meer« befinden. Und dass es auf einer Insel schön, sicher und geordnet zugehen kann. Bei Jim Knopf ist es eine Insel »mit viel Tunneln und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr«. Es gibt also geordnete Bahnen, in denen das Miteinander verläuft. Eine geradezu idyllische Vorstellung für Menschen, die das wenig kennen und die bis jetzt in einer chaotischen, unberechenbaren und unüberschaubaren Welt gelebt haben. Es ist also geordnet, und es gibt einen »schönen weiten Strand«. Noch so eine hoffnungsvolle, Zuversicht spendende Botschaft: Egal, was dort alles stattfindet – es hat auf jeden Fall etwas Schönes. Wichtig ist, dass damit eben nicht vorgegeben wird, dass alles gut ist. Es ist sozusagen die Basis, auf der etwas Gutes stattfinden könnte. Los geht’s also! »Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer Mit viel Tunnels und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr.« Eine Familie hat ein Problem und sucht nach Hilfe Familien, die sich an eine*n Psychotherapeut*in wenden, kommen in der Regel mit sehr konkreten Anliegen. Meist geht es um eine problemati-

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ver verläuft und alle zu dem zurückfinden, was sie sich ersehnt haben und was ihnen sehr gefehlt hat: ein gutes familiäres Miteinander. Das kann einige Wochen bis wenige Monate in Anspruch nehmen und sollte auch nicht zu früh beendet sein, sondern in der Regel werden die Therapietermine bis zum Ende der Behandlung in einer verringerten Frequenz weitergeführt. So kommt der Moment, in dem alle Beteiligten feststellen: »So wie es jetzt ist, ist es okay!« Diese Verläufe sind typisch, wenn eine herausfordernde Zeit mit eventuell ungewohnten Belastungen für Einzelne oder für die ganze Familie hinter ihnen liegt und die Familie das nicht – mehr – selbst bewältigen konnte. Dabei kann es sich um Partnerschaftskrisen der Eltern handeln, um berufliche und/oder finanzielle Überforderungen, manchmal geht es um einen Hausbau oder auch um die körperliche Erkrankung eines

Allie_Caulfield from Germany, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

sche Situation, um eine Reduzierung des aktuellen Leidensdrucks und um eine Beruhigung der aktuellen Symptomatik. Ich höre zu, lasse mir den Sachverhalt schildern und biete, soweit erforderlich, meine Unterstützung an. Ist die Sache nicht sehr komplex, bewirkt allein die Tatsache, sich der Problematik nun wirklich zu stellen und Hilfe aufzusuchen, schon an sich, dass ein konstruktiver Prozess in Gang kommt. Verfestigte Verhaltensmuster lockern sich, es wird in der Familie aktiv nach Lösungen gesucht und die Ressourcen werden aktiviert beziehungsweise weiter ausgebaut. Wenn das alles dann tatsächlich greift, sind Familien durchaus in der Lage, erst einmal »durchzuatmen« und, nach und nach, wieder Mut zu fassen. Es ist für alle Beteiligten schön zu sehen, wie das Miteinander wieder besser klappt, der Umgang mit den bisherigen Konflikten konstrukti-

Die kleine Insel Lummerland – eine Insel mit zwei Bergen

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Familienmitglieds. Auch ansonsten gelingende Familiensysteme können damit überfordert sein und die Hilfe von Fachleuten benötigen, wie wir Psychotherapeut*innen es unter anderem sind. Besonders an diesen Situationen ist, dass es sich um ein eigentlich gelingendes Miteinander in der Familie handelt und oftmals Bedrängungen von »außen« die Familie erschüttern. Klappt die Hilfe, können wieder alle auf das zurückgreifen, was vorher schon an familiären Ressourcen vorhanden war, und viele Familien kommen gestärkt aus der Krise heraus. Allerdings sind die Fälle mit derartig positiven Entwicklungen in meiner Praxis deutlich in der Minderheit. Meist ist es anders. Zu mir kommen Eltern, die jegliche Hoffnung auf eine Besserung verloren haben. Die sich sicher sind, dass es miteinander unaushaltbar ist, und die nur in die Praxis kommen, weil es Erzieher*innen, Lehrer*innen und/oder Ärzt*innen gesagt haben. Und sie sind dann oftmals davon überzeugt, dass es auch mit ihrem Kind nichts mehr wird. Ja, es mag an ihnen liegen oder am Kind oder an der Situation – es ist ihnen mittlerweile egal. Ändern lässt sich mit großer Gewissheit sowieso nichts mehr und sie versuchen mit der Vorstellung klar zu kommen, dass letztlich alle versagt haben. Und wie geht es den Kindern dieser Eltern? Diese Kinder sind zutiefst belastet. Sie wissen, Mama und Papa sind traurig, und sie kommen mit der festen Überzeugung: »Ich bin so ein böses Kind!« Manchmal versuchen sie auf die tausendfach wütend gestellte Frage »Wieso hast du das getan?« Antworten zu finden, obwohl sie eigentlich keine Antwort haben. Dann erklären mir die Kinder: »Ich mache das, weil ich böse bin. Und wenn ich mich dann aufrege, dann schreie ich und mache Dinge kaputt und haue Mama und Papa und kann das aber auch nicht sein lassen, sondern sage dann auch noch böse Worte.« Auch wenn sie nicht verstehen, was eigentlich wirklich geschieht, geben sie sich selbst die Verantwortung

für die Situation. Und das ist dann keine Annahme – sie sind sich dessen gewiss. Eigentlich sagt mir ein Kind das meist zunächst nicht so. Es sitzt vielleicht auf dem Sessel in meinem Kinderraum, traut sich nicht heraus, sagt vielleicht erstmal nichts. Oder es kann nicht eine Sekunde stillsitzen, sondern fegt durch den Raum, nimmt alles kurz in die Hand, fragt mich etwas, und bevor ich antworten kann, hat es das Nächste in der Hand und bringt sofort alles in Unordnung. Ein wieder anderes Kind ist sehr lieb, aufmerksam, angepasst. Es zeigt sich von seiner Sonnenseite. Wenn ich zuvor nicht das Gespräch mit den Eltern gehabt hätte, müsste ich mich fragen, worum es hier eigentlich geht. Alle diese Kinder kommen mit der inneren Überzeugung: »Ich bin an allem schuld!« Und sie brechen unter dieser Last schier zusammen. Was mache ich also? Zunächst versuche ich, mir mit den Erwachsenen ein möglichst genaues Bild über »das Große und Ganze« zu verschaffen. Partnerschaft der Eltern, persönliche Situation jedes Elternteils, der Entwicklungsverlauf des Kindes seit der Geburt, aber auch die Entwicklung der Familie in dieser Zeit und bis heute. Dabei interessieren mich keineswegs nur die jeweiligen Konfliktthemen. Mitunter wird sehr ausführlich über bereits bewältigte Krisen gesprochen. Hier lassen sich teils hilfreiche Ressourcen finden, die den Eltern gegebenenfalls weiter zur Verfügung stehen und die schon mal wirksam geholfen haben. Wenn die Eltern sich getrennt haben, kommt oft nur ein Elternteil. Manche ehemalige Paare führen die früheren Partnerschaftskonflikte unvermindert weiter. Da ist es manchmal schlicht tragisch, dass es durch die erforderlichen Kontakte, etwa um die Besuche des Kindes beim jeweiligen Elternteil abzusprechen, zu einem Austausch kommt, der den Eltern einfach nicht gelingt, den sie aber dennoch, teils moderiert vom Jugendamt, führen müssen. Allein eine derartige Konstellation

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birgt ein beständiges Konfliktpotenzial und ich kann verstehen, dass sich für manche Eltern hier ein unguter Kontakt über viele Jahre fortsetzt, den sie ohne das Kind schon lange für immer abgebrochen hätten. Das Kind, das dafür ja nichts kann, das nicht spüren zu lassen, kann sehr schwerfallen. »Eine Insel, da ist eine Insel! Wo denn? Wo denn? Eine Insel, da ist eine Insel! Wo denn? Wo denn?« Manchmal ist es meine Aufgabe, den Eltern dabei zu helfen, ihre Elternrolle stärker von der früheren Beziehung abzugrenzen. Es kommt vor, dass ich mir dabei wie in der Rolle eines Großelternteils vorkomme. Man kommt nach Hause und kann einfach nicht mehr und die eigene Mutter oder der eigene Vater sitzt am Tisch, hört geduldig zu und hat Verständnis. Das stärkt den Rücken und wenn Derartiges zumindest teilweise gelingen kann, ist oftmals schon viel gewonnen. Über die Stabilisierung der Eltern kann den Kindern manchmal ein erneuter und verbesserter Zugang zur Mutter oder zum Vater verschafft werden. Wenn sich ein Kind dann nichtsdestotrotz dagegen zur Wehr setzt und sich mir gegenüber abwehrend verhält, kann das auch den Grund haben, dass es tief innen spürt, dass es doch nicht an allem schuld ist und dass die ganze Situation gemein und unfair ist. Dann werden die Eltern, innerlich, mit bitteren Vorwürfen überhäuft. Da sie aber als Kinder noch nicht über ein starkes Ich verfügen und sich diese Vorwürfe nicht bewusst machen können, um sie zumindest vor sich selbst zu vertreten, geschweige denn gegenüber anderen, halten sie sich zurück – bis das Fass der Ungerechtigkeit überläuft. Und dann kommt es zu diesen Wutanfällen, bei denen sie sich selbst nicht kontrollieren können und denen auch die Erwachsenen oftmals hilflos gegenüberstehen. Wenn ein Kind mit diesem Hintergrund den Kontakt zu mir verweigert, ist das also kein Zeichen von »frech sein«, sondern ein Ausdruck, sich mir

und den ungerechten Zuschreibungen gegenüber wehren zu wollen. Das unterstütze ich dann natürlich. Ich lobe, dass es so oft »Nein!« sagen kann, wenn ich etwas vorschlage. Ich verhandle darüber, ob wir nicht auch etwas gemeinsam machen können, und vor allem nehme ich mir Zeit. Es kann viele Stunden dauern, bis mir, zögerlich, geglaubt werden kann, dass ich mich – vielleicht, eventuell, ein bisschen, tatsächlich – für dieses Kind interessiere. Und dass ich es nicht bereits schon vor unserem Kennenlernen verurteilt habe. Wenn dieser Moment

Ich muss mich ebenfalls den Monstern und Dämonen stellen, wenn ich dem Kind real beistehen will. Hier helfen Bilder. In der Sprache der Märchen, der Fabeln und Sagen lassen sich Dinge benennen.

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mich wenden. Manchmal passt es auch so bei mir nicht, treffe ich grundsätzlich den falschen Ton oder bin, so wie ich bin, und mit genau diesem Angebot nicht das, was benötigt wird. Ich halte die Psychotherapie für ein derart sensible Angelegenheit, dass ich jedem rate, sich so lange Therapeut*innen anzuschauen, bis es wirklich passt. Diese Gedanken entlasten mich und helfen mir, nicht sehr enttäuscht zu sein, wenn jemand sich gegen mich entscheidet. Es liegt dann einfach nicht in meiner Hand und ist vielleicht sogar die hier beste Entscheidung.

Prawny / Pixabay

gekommen ist, bin ich oftmals sehr erleichtert und dankbar. Dankbar für das Vertrauen, dass mir dieses Kind schenkt, obwohl es doch allen Grund hat, mir »nie und nimmer« auch nur ein Wort zu glauben. Und dann geschieht es eben doch. Ich bin immer wieder be- und gerührt von dieser inneren Kraft, die sich bei Kindern zeigt. Ihre Kraft, vertrauen zu können, ohne dass es regulär und logischerweise einen Grund dafür gäbe. Diese Kraft erreicht mich dann ebenfalls. Mir ist klar, dass ich nicht die richtige und passende Hilfe für jede und jeden bin, die sich an

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»König: Ich erkläre hiermit diese Insel zu meinem Königreich und wir bauen einen gemütlichen Palast! Seelöwe: Das oest ein wondervolles Thoema foer eine Balladoe!« Nun gibt es aber auch die Kinder, bei denen die Sachlage nochmals eine andere ist. Wo es um eine Situation geht, die schier unaushaltbar ist und die weiter anhält. Wenn die Mutter oder der Vater zum Beispiel selbst unter Problemen leiden, so dass ihnen das eigene Leben eine zu große Herausforderung darstellt. Hier haben Kinder teils Übergriffe erfahren, wurden vielleicht schwer vernachlässigt und haben Gewalt zwischen Erwachsenen und auch gegenüber sich selbst erlebt. Bei manchen ist dabei innerlich etwas nachhaltig beschädigt worden, so wie wir alle beschädigt wären, wenn wir Derartiges erlebt und miterlebt hätten. Wenn das Kind bereits bei Pflegeeltern ist, müssen diese sicherlich unterstützt werden. Oftmals ergeben sich viele Fragen erst im täglichen Miteinander in der Familie und so kommen auch Pflegeeltern zu mir, bei denen es um ihre eigene Supervision und nicht um eine Therapie des Kindes geht. Für mich als tiefenpsychologischen Psychotherapeuten ist es von großer Bedeutung, dass ich das wirklich verstehe, was in dem Kind vorgeht. Dazu gehört, dass ich zulasse, dass mich die inneren Bedrängungen und die innere Not des Kindes tatsächlich erfassen und ich zumindest teilweise nachspüren kann, was es erlebt hat und zu welch einem Schaden das führte. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich mich ebenfalls den Monstern und Dämonen stellen muss, wenn ich dem Kind real beistehen will. Und das geht immer wieder deutlich über das hinaus, was rein kognitiv zu erfassen ist. Hier helfen Bilder. In der Sprache der Märchen, der Fabeln und Sagen lassen sich Dinge benennen, die erst so in ihrer Tragweite etwas besser begreiflich werden können. Ein Junge, der seine Mutter verloren hat und der zudem davon weiß, dass das auf eine grau-

same Weise geschehen ist, benötigt nicht nur Worte, um diesen Verlust ­verarbeiten zu können. Er benötigt, um selbst gesunden zu ­können, ein inneres Bild davon, dass es der Mama jetzt aber gut geht. Dabei lässt sich eine positive innere Vorstellung davon nicht einfach für ihn erzeugen. Die Frage ist, was dieser Junge für eine Vorstellung davon entwickeln kann, wie das gehen kann, dass es der Mama jetzt besser geht. Wo ist sie jetzt also? Und was macht sie da? Welche Gedanken dazu trösten dieses Kind? Um Antworten auf derartig schwierige Fragen finden zu können, die für ein Kind irgendwie hilfreich sein können, sind eben Märchen und Geschichten von herausragender Bedeutung. Auch mit den Jugendlichen in meiner Praxis versuche ich da, wo es benötigt wird, hilfreiche Bilder zu finden, die trösten und eine Verarbeitung ermöglichen können. Natürlich hat mich meine Ausbildung auf das alles vorbereitet. In meinen langjährigen Selbsterfahrungsprozessen war es mir möglich, mich den eigenen, ganz persönlichen Bedrohungen zu stellen. Hierbei gibt es keinen Abschluss und so schließe ich mich der Überzeugung vieler Vordenken*innen an, dass eine kontinuierliche

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Selbsterfahrung eine conditio sine qua non ist für alle, die therapeutisch und insbesondere psychotherapeutisch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. So lässt sich, bildlich gesprochen, eine Rüstung erarbeiten, mit Schild und Schwert, um mich dem Drachen stellen zu können, der gekommen ist, die Jungfrau zu fressen. Ich muss all die hier aktuell bei ut Sh t /  r diesem Kind zerstörerisch wirkenden _A am S »Dämonen des Kinderzimmers« (Papoušek a in te r a 2004), also all den Vampiren, Drachen oder den Ek schleimigen, alles zersetzenden Quallen, selbst begegnen, damit ich sie erkennen kann. Erst dann kann ich verstehen, worum es sich hier handelt. Diese Bedrohungen sind keinesfalls »Kinderkram«, sondern es handelt sich immer wieder um etwas Grausames und um die Äquivalente von dem Erleben lebensbedrohlicher Zustände. Sich dem zu stellen ist weder einfach noch gibt es daran etwas Gutes. Nur lässt es sich eben auch nicht umgehen. Sobald klar ist, was hier gerade am meisten bedrängt, müssen angemessene Abwehrmaßnahmen gesucht, gefunden und eingesetzt werden. »Lukas, da ist ja Lummerland! Ich bin’s, Jim Knopf, wir kommen!« In der späteren Kindheit bis zum Beginn der Pubertät sprechen wir von der »Latenz«. In dieser Zeit haben sich die Dinge stabilisiert, das Kind weiß mittlerweile, was es gut kann und gern mag. Es mag zum Beispiel Musik, kann gut Fahrrad fahren, mag Schwimmen und mag keinen Brokkoli. Man hat Freund*innen, geht zu Familienfeiern, besucht gern die eine Oma, die andere weniger gern und so weiter. Mit dieser inneren Stabilität tritt man dann in die nächste Entwicklungsphase ein. Zwischen

dem ca. zehnten und dem zwölften Lebensjahr beginnen bei den meisten Kindern tiefgreifende körperliche und psychische Veränderungsprozesse. Der Begriff »Pubertät« ist enger gefasst und legt den Schwerpunkt auf die körperliche Entwicklung. In der psychodynamischen Psychotherapie wird oft der Begriff »Adoleszenz« genutzt. Sie umfasst die komplette Entwicklung vom Kind zum Erwachsenenalter und erstreckt sich dementsprechend vom ca. zehnten Lebensjahr bis zum Alter von etwa 24 bis 25 Jahren. In der Adoleszenz schließt das sogenannte Transitionsalter die Lücke zwischen Pubertät und Erwachsenenalter. In der Psychotherapie haben wir es zumeist mit Jugendlichen zu tun, deren Lebenssituation sich in der Latenz eben nicht stabilisieren konnte. Freunde und Hobbys lassen sich nur schwer finden und festigen, wenn das Familienleben von jährlichen Umzügen geprägt ist. Eigene Interessen lassen sich nicht einfach verfolgen, wenn man beständig darum bemüht ist, auf den eigenen labilen Vater aufzupassen. Oder wenn es eine ständige Herausforderung darstellt, zwischen den streitenden Eltern eine Position zu finden. Oder sie leiden unter zahlreichen Auffälligkeiten, sie streiten viel, schreien und hauen, sind in der Schule auffällig. Und im Gespräch mit den Eltern sind dann Aussagen zu hören wie: »Wenn wir uns nicht ständig darum kümmern müssten, was unser Sohn wieder angestellt hat, wären wir schon längst nicht mehr ein Paar. Aber so können wir uns ja nicht trennen.« Da gibt es zum Beispiel Dennis, der bisher viel zu oft seine Bedürfnisse zurückstellen musste und sehr darum bemüht war, beständig die Gunst der Eltern zu erhalten. Tat er das nicht, oder war er sogar mal aufmüpfig, wurde er mit Liebesentzug bestraft und es wurde teils tagelang nicht mehr mit ihm gesprochen. Diese Kinder auf der Schwelle zur Jugendlichkeit sind Spezialisten für sehr viele Dinge – nur leider nicht für die eigenen Bedürfnisse, für den Umgang mit anderen Kindern, den Umgang mit altersgemäßen Herausforderungen

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und so weiter. Da kann ein Mädchen dadurch auffallen, dass es frech ist, dass es seine Eltern terrorisiert – aber es ist nicht in der Lage zu balancieren, zu klettern, sich in Momenten der Ruhe auf eigene Spiele zu konzentrieren und eine Situation spielerisch kreativ zu gestalten. Kommen Jugendliche zu mir, die eine derartige Entwicklung vollzogen haben, sind sie sich sicher, dass sie sich nicht auf Erwachsene verlassen können. Mit all ihren Schuldgefühlen haben sie sich auf eine innere Insel zurückgezogen. Hier können sie keinem anderen schaden und sind auch selbst soweit sicher und geschützt. Irgendwie. Eigentlich gibt es keine Hoffnung, wenn wir uns kennenlernen, sie haben längst resigniert. Zu mir kommt man dann, weil man »muss« und »soll«. Da höre ich lange Vorträge der Eltern über die jahrelangen Missetaten ihrer Kinder und die Jugendlichen erwarten zumeist wenig bis nichts von mir, außer, dass ich auch, wie alle anderen, feststelle, welch ein schlechter Mensch sie oder er ist. Die ersten Sitzungen verlaufen meist in einem vorsichtigen Abtasten und »aus dem Wege gehen«. Dass ich mich auf die/den Jugendliche*n einstelle und mich für mein Gegenüber interessiere, wird mir natürlich nicht geglaubt, dennoch ist ihnen ein Gespräch über ihre Interessen und Hobbys meist lieber, als immer wieder über die belastenden Themen zu sprechen. So kommen wir also meist doch recht bald in einen Austausch. Parallel zu dem gesprochenen Worten läuft etwas ab, das ich als Subtext bezeichnen möchte. Wie ein Laufband bei Nachrichtensendern im Fernsehen findet ein Dialog über das gesprochene Wort statt wie auch zugleich einer, der nicht ausgesprochen wird. Wie ist Vertrauen der jungen Klient*innen zu gewinnen? Manchmal stockt das Gespräch, beginnt mehrfach von vorn und ist beständig in Gefahr, für immer abgebrochen zu werden. Dann kann es

vorkommen, dass eine Sitzung endet, eine nächste wird gegebenenfalls verabredet und wir sehen uns nie wieder. Manche machen hier die Erfahrung, dass sie sich mir gegenüber abwehrend verhalten können, ohne von mir bedrängt zu werden, und müssen das bis zum Ende durcherleben. Meine ich das ehrlich, was ich ihnen sage und mitteile? Und wenn sie sich nicht darauf einlassen? Meine ich es immer noch? Und wenn sie endgültig alles ablehnen und das Zu-mir-Kommen völlig verweigern, stehe ich trotzdem zu meinem Wort? Diese Jugendlichen müssen gehen können, und zwar ohne Vorhaltungen, ohne Kritik, ohne ein »Du hättest aber zumindest …« von mir. Meine Hoffnung ist dann, dass sie die hier gemachten Erfahrungen bei einer/einem anderen Psychotherapeut*in quasi fortsetzen können und die Zeit dann »reif« ist, dass es dort zu einer echten Hilfe kommen kann. Und manchmal kommt jemand zu mir, der oder die zuvor mehrere Angebote von anderen abgelehnt hat und jetzt bereit ist, meine Hilfe anzunehmen. Die große Frage, die über allem schwebt ist: »Kann ich Ihnen vertrauen? Meinen Sie es ernst mit mir? Interessieren Sie sich wirklich für mich?« Da hilft es nicht viel, das zu sagen. Es muss mir gelingen, dieses Gefühl in mir zu erzeugen, damit es auch wirklich so ist. Nur dann bin ich authentisch und nur dann kann mir geglaubt werden. Genau das ist zu Beginn einer Behandlung oftmals die eigentliche Herausforderung. Nicht Probleme zu lösen, nicht die Situation zu beruhigen, nicht Ängste zu bewältigen. Das alles wird oftmals erst später wichtig. »Nun, wie mag die Insel heißen, rings herum ist schöner Strand, jeder sollte einmal reisen in das schöne Lummerland!« Sich selbst gut zu kennen, gehört zum Repertoire einer/eines jeden Psychotherapeut*in. Dieser Prozess ist niemals abgeschlossen und daher

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gehört für zahlreiche Kolleg*innen eine beständig den Arbeitsprozess begleitende Selbsterfahrung zwingend zur psychotherapeutischen Tätigkeit dazu. Hier lerne ich, was mir bekannt oder unvertraut ist, was mich anspricht oder abstößt, was mich in Aufregung versetzt oder mich langweilt. Ich lerne zu differenzieren und zu identifizieren, was in diesem Moment in dieser Sitzung aus mir heraus zu erklären ist und was eventuell von meinem Gegenüber kommt. So ist es nicht selten, dass Patient*innen Emotionen in ihren Gegenüber induzieren. Kinder, die oft von anderen Kindern gehänselt werden. Jugendliche, die immer wieder die Erfahrung machen, von anderen abgelehnt, verlacht und bloßgestellt zu werden. Dabei spreche ich hier nicht von bewusst gesteuerten Prozessen, niemand möchte andere dazu bringen, dass sie einen ablehnen. Manchmal sind es die schlimmen, grausamen, widerwärtigen Erlebnisse, die Spuren in der Psyche eines Menschen hinterlassen und die dazu führen können, dass andere etwas von dem spüren, was mir widerfahren ist und mich seither begleitet. Manchmal haben diese Menschen das Gefühl, dass sie eine Aura der Feindseligkeit, der Niedertracht oder der Missgunst umgibt. Es ist dann so wie im Märchen vom Dornröschen, in dem es eine böse Fee gibt, die einen Fluch über das Neugeborene ausspricht. Insbesondere wenn es sich um intensive und unangenehme Gefühle handelt, löst das bei anderen Menschen schnell Ablehnung aus. Der da ist »komisch« und mit dem will man nichts zu tun haben. Das geht nicht nur anderen so. Auch wir Psychotherapeut*innen kennen das, wenn wir ablehnend auf diesen anderen reagieren. In der Psychotherapie erleben wir uns immer wieder angestrengt und gestresst nach einer Sitzung. Wenn es mir dann nicht gelingt, das Kind innerlich annehmen zu können, werde ich die Empfehlung aussprechen, eine*n andere*n Therapeut*in aufzusuchen. Ich folge dabei den Gedanken von Ferenczi (1999), der feststellt: »Ohne Sympathie keine Heilung«.

Meist ist es andersherum und meist gelingt es, dieses Mädchen, diesen Jungen, diese junge Frau oder diesen jungen Mann annehmen zu können und ins Herz zu schließen. Mal etwas mehr, mal etwas geringer. Mit diesem Menschen ein Stück des Lebensweges gehen und dabei helfen und ihr/ihm zur Seite stehen zu können, ist in dieser Art und Weise sicherlich eine besondere Tätigkeit. Wenn sich aus einer hoffnungslos erscheinenden Situation nach und nach dann doch eine konstruktive Perspektive entwickelt, hilft das zum einen meinem Gegenüber und zum anderen bereichert es auch immer mich selbst. Und auch meine Rüstung schützt vor den Dämonen und Ungeheuern der anderen, aber auch vor den eigenen. So bewahre ich mir meine Hoffnung und so gelingt es mir zu vermitteln, dass es da einen Ort gibt mit »schönem Strand«, zu dem jede*r einmal reisen sollte. Dipl.-Soz.-Päd. Oliver Staniszewski ist begeisterter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in eigener Praxis und vertritt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen in der Psychotherapeutenkammer NRW und in der Kassenärztlichen Vereinigung (KVWL). Er ist Tiefenpsychologe und Integrativer Psychotherapeut (FPI), Selbsterfahrungsleiter, Supervisor, Dozent, Gutachter. Kontakt: [email protected] Website: www.ppos.de Literatur Ende, M. (1960). Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Mit Illustrationen von F. J. Tripp. Stuttgart. Ferenczi, S. (1999). Ohne Sympathie keine Heilung. Das klinische Tagebuch von 1932. Frankfurt a. M. Papoušek, M. (2004). Regulationsstörungen der frühen Kindheit. Frühe Risiken und Hilfen im Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Beziehungen. Bern u. a. Weinberg, D. (2014). Psychotherapie mit komplex traumatisierten Kindern. Behandlung von Bindungs- und Gewalttraumata der frühen Kindheit. Stuttgart.

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Zuversicht in der Katastrophe? Reiner Sörries Die Zuversicht der Deutschen wächst – Eine Mehrheit der Deutschen startet mit Zuversicht ins neue Jahr – Zuversicht der Verbraucher in Deutschland wächst – Zuversicht der Deutschen ist beachtlich – Zuversicht bleibt … Das sind einige Headlines von »Handelsblatt« bis »Domradio« über Artikel, die repräsentative Umfragen unter den Deutschen zu ihrer Zuversicht kommentieren. Sie stammen sämtlich aus den Jahren 2020 und 2021 und damit aus Monaten, in denen die Pandemie die allgemeine Stimmung eigentlich eher trübte. Um aber dieser Pandemie zu trotzen, scheint neben Hygienemaßnahmen und Lockdown die Zuversicht, dass alles wieder besser wird, das bestimmende Instrument zu sein. Doch welchen Wert besitzen repräsentative Umfragen und statistische Werte, wenn eine Kata­ stro­phe das individuelle Leben auf den Kopf stellt, scheinbar sämtliche Lebensgrundlagen entzieht und sogar Menschenleben fordert? In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 haben Menschen im Ahrtal und anderen Regionen eine solche Katastrophe erlebt, als gigantische Sturzfluten über ihnen hereinbrechen und in Minutenschnelle alles zerstören. Für nicht wenige wird Zuversicht zum Fremdwort, wenn es ums nackte Überleben geht. Die Tage danach Angesichts zerstörter Lebensgrundlagen schildern Notfallseelsorger*innen die Situation der Menschen, die nicht nur Haus und Hof, sondern alle Erinnerungen verloren haben: »Dann ist das Urvertrauen in die Welt gestört. Und die Gefahr

ist, dass das langfristig bleibt. Dann kann ich kein Vertrauen mehr in diese Welt haben«, sagte der evangelische Pfarrer und Koordinator der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg, Albrecht ­Roebke, im Deutschlandfunk. Freilich ist der Einsatz von

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Kriseninterventionsteams hier unverzichtbar, um im besten Fall dauerhafte psychische Belastungen zu lindern, aber mehr als Gespräche haben sie nicht anzubieten, die Zuversicht bringen sie nicht zurück. Dann kamen die Politiker*innen, zeigten sich erschüttert und sprachen ihre Anteilnahme aus. Und sie versprachen unbürokratische Soforthilfe. Und sie ließen natürlich wissen, dass – koste es, was es wolle – die Infrastruktur, die Straßen, Brücken und öffentlichen Einrichtungen wiederhergestellt würden. Keimt da schon Zuversicht

bei denen, die alles verloren haben? Natürlich ist es wichtig, dass die Infrastruktur wiederhergestellt wird, doch was wird aus meinem Haus, das in Trümmern liegt? Dann wächst die Zuversicht, wenn man eine Elementarversicherung abgeschlossen hat und mit Leistungen aus dieser Versicherung rechnen darf. Der Besuch des Versicherungsvertreters war für nicht wenige weit bedeutsamer als die von Kameras begleiteten Auftritte der Politiker*innen. Wie hoch der Anteil versicherter Haushalte im aktuellen Krisengebiet ist, kann nur geschätzt werden. Bundesweit sind nur für etwa 46 ­Prozent aller Gebäude Versicherungen gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmung abgeschlossen. Was bleibt denen, die ohne Versicherungsschutz dastehen? Angedacht sind Kredite, deren Zinssätze auf 0,01 Prozent gesenkt sind. Die persönlichen Katastrophen sind nicht abzuschätzen, wenn auf dem gerade gebauten Häuschen noch die Hypothek lastet und selbst bei geringen Zinssätzen das Haus ein zweites Mal gebaut und bezahlt werden soll. Zuversicht ist daraus nicht zu schöpfen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Zuversicht der Betroffenen ganz entscheidend von ihrer finanziellen Situation abhängt.

Mete Basar / photocase.de

Eine gute Woche später Am 23. Juli gedachte das ganze Land der von der Flut betroffenen Menschen mit zwei sehr unterschiedlichen Aktionen. Eine spirituelle Anteilnahme wählten katholische und evangelische Kirchen, die bundesweit um 18 Uhr die Glocken läuten ließen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der ARD wählten die materielle Variante, riefen an diesem Tag zu Spenden auf und ließen ihr Programm in die dreistündige Benefizgala unter dem Motto »Wir halten zusammen!« münden. Mehr als 6,5 Millionen Euro lautete die vorläufige Bilanz. Bereits drei Tage zuvor hatte das ZDF einen Themenabend ausgestrahlt und etwa 20 Millionen Spenden verbucht. Das soll keines-

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sitzt, so sehen sich die staatstragenden Organe in der Pflicht, ihre Handlungsfähigkeit sichtbar und hörbar unter Beweis zu stellen. Es geht bei weitem nicht allein um die wiederzugewinnende Zuversicht der von der Flut Geschädigten, sondern um die zu bewahrende Zuversicht aller Bürger*innen. Das Agieren in der Katastrophe hat demnach zwei Zielgruppen. Hat die bundesweite Zuversicht in der Pandemie lediglich eine leichte Delle erfahren, so darf sie durch Naturkatastrophen dieser Art nicht weiter beschädigt werden. Zwei Wochen später Die meisten Fachleute waren sich schnell darin einig, dass die aktuelle Flutkatastrophe dem Klimawandel geschuldet sei und man deshalb in Zukunft vermehrt mit vergleichbaren Ereignissen rechnen müsse. Als Konsequenz hat unter an-

eamesBot / Shutterstock.com

wegs kleingeredet werden, aber angesichts der entstandenen Schäden in Milliardenhöhe sind die Spendenerlöse marginal. So stellt sich die Frage, an wen sich sowohl das spirituelle Signal der Kirchen als auch die medialen Spendengalas richten? Immerhin ist nicht nur das Grundvertrauen der betroffenen Flutopfer zerstört, sondern auch das der gesamten Bevölkerung erschüttert oder zumindest beschädigt. Wo plötzlich kleine Bäche zu reißenden Strömen werden konnten, so kann das überall und jederzeit auch andernorts geschehen. Es geht demnach um Botschaften an das ganze Volk, dass in solchen Fällen immer und überall solidarische Hilfe zu erwarten ist. Auch die Präsenz der Politiker*innen in den Krisengebieten galt keineswegs nur den Betroffenen, sondern der ganzen Nation. Selbst wenn man davon absieht, dass dies in Wahlkampfzeiten noch eine eigene Note be-

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derem der nordrheinwestfälische Innenminister Herbert Reul am 23. Juli eine Verbesserung der Warnsysteme angemahnt. Neue Sirenen und andere Warnsysteme müssten aktiviert werden. Andere forderten, die Kompetenzen von den Ländern auf den Bund zu verlagern. Immerhin sollte so die Zuversicht genährt werden, zumindest vor den Auswirkungen von Naturereignissen besser geschützt zu sein. Verantwortliche wie Gefährdete müssten verstärkt für entsprechende Warnungen sensibilisiert werden. Kamen diese Erkenntnisse für die Betroffenen zu spät, so ist auch hier die Botschaft wir schützen euch an die Allgemeinheit gerichtet. Hatten bereits die in der Coronapandemie ergriffenen Maßnahmen bei vielen Menschen das Vertrauen in die handelnden Personen erschüttert, so muss Ähnliches angesichts krisenhafter Erscheinungen des Klimawandels unbedingt verhindert werden.

Es gibt unter den Betroffenen solche, die vor allem und zuallererst ihre Zuversicht auf die eigene Tatkraft setzen.

Es sei den Politiker*innen gar nicht unterstellt, das Leid der von der Flut Betroffenen berühre sie nicht, aber ihre Handlungsweisen zielen eindeutig auf das gesamte Wahlvolk, dessen Zutrauen man nicht verlieren dürfe. Drei Wochen später Es zählt zu den immer wiederkehrenden Reflexen, bei Katastrophen jedweder Art nach Schuldigen zu suchen. Im übertragenen Sinne könnte man natürlich die Versäumnisse in der Klimapolitik auf die Anklagebank setzen, aber greifbarer ist die Schuldfrage bei konkreten Personen zu suchen. Am 7. August hat die Staatsanwaltschaft Koblenz Ermittlungen gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, eingeleitet. Es bestehe der Verdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung, weil die Gefahrenwarnung und Aufforderung zur Evakuierung zweieinhalb Stunden zu spät erfolgten. Gleichermaßen ist nach Behördenangaben gegen ein Mitglied des Krisenstabs ein Verfahren eingeleitet worden. Schon kurz zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Köln nach dem schweren Erdrutsch in Erftstadt-Blessem ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Es scheint so, als könnten menschliches Fehlverhalten oder Versagen Katastrophen leichter erträglich machen, denn dann müsste man ja nur diesen menschlichen Unsicherheitsfaktor ausschalten, um Ähnliches zu vermeiden. Die Stufen der Krisenbewältigung Für den Umgang mit der Flutkatastrophe im Sommer 2021 sind dieselben Mechanismen auszumachen wie bei anderen Arten von schweren Unglücken. Am Anfang stehen der Beistand und die Trauer mit den Opfern, denen Trost gespendet und finanzielle Entschädigung zugesagt wird. Nach kurzer Zeit rückt diese Solidarität mit den Betroffenen medial in den Hintergrund (während sie gewiss im Hintergrund abläuft), wäh-

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rend der Fokus des Handelns sich auf die nicht unmittelbar betroffene, aber potenziell gefährdete Allgemeinheit verlagert. Sie muss beruhigt und ihre Zuversicht in die Fürsorgepflicht der Verantwortlichen soll bewahrt werden. Dies sind Ursachenforschung, das Aufzeigen präventiver Maßnahmen und die Schuldzuweisung an konkrete Personen. Zurück an Anfang Bilder, die aus den Flutgebieten zu sehen waren, zeigen nicht nur die Unwetterschäden, sondern viele Menschen, die zwischen den Trümmern mit Aufräumen beschäftigt sind. Betroffene und Helfer*innen, die aus allen Teilen der Republik kamen, sind nicht zu unterscheiden. Eins haben sie gemeinsam: Sie packen an. Dies zeigt ebenfalls eine Facette des Geschehens. Es gibt unter den Betroffenen solche, die vor allem und zuallererst ihre Zuversicht auf die eigene Tatkraft setzen. Bilder von Menschen, die paralysiert die Hände in den Schoß gelegt haben, kennt man hingegen nicht, obwohl es vielleicht auch sie gegeben hat und gibt. Man kann sich als Außenstehender nur fragen, wo man sich selbst finden würde. Es ist faktisch nicht möglich, eine solche Erfahrung vorwegnehmend einzuschätzen. Ob und wann in einer solchen Situation überhaupt wieder so etwas wie Zuversicht keimt, ist kaum zu sagen. Vielleicht wird eher die Haltung es muss ja irgendwie weitergehen vorherrschen. Und soweit es nur um materielle Schäden geht, setzt man darauf, dass sie dank der Versicherungsleistung oder mit staatlicher Hilfe beseitigt werden können. Ohne finanzielle Absicherung und ohne materiellen Beistand bleiben alle seelsorgenden Gespräche, Trauerbekundungen und symbolischen Akte der Solidarität hohle Gesten. Erwartungen in der Zuversicht Vorausgesetzt, Menschen finden aus der Phase des Schockzustands, vieles oder alles verloren zu

haben, zu einer Haltung, die man mit Zuversicht umschreiben kann, so können die Erwartungen an die Zukunft weit auseinander liegen. Manche werden sich wünschen, dass alles wieder so wird, wie es war. Andere ziehen die Konsequenz, dass alles anders werden soll und muss. Bleibt man und möchte das Häuschen an derselben Stelle wieder aufbauen, oder wird man der gefährdeten Heimat den Rücken kehren? Die Entscheidungen sind geprägt von mentalen Befindlichkeiten. Stellt sich diese Frage für die Betroffenen ganz unmittelbar, so hat sie als politische Diskussion auch die Öffentlichkeit erreicht. Man beschließt schon Milliarden für den Wiederaufbau, doch sollte überhaupt alles wieder so aufgebaut werden, wie es einmal war? Hier prallen die unterschiedlichen ideologischen Meinungen aufeinander, ob es einen Klimawandel gibt und wie ihm gegebenenfalls zu begegnen ist. Fazit Seelsorge oder Krisenintervention müssen sich damit bescheiden, traumatische Erfahrungen vielleicht lindern zu können. Akte der Bekundung von Trauer und Solidarität gehören zur Staats­ räson und sind wie der Glockenklang schnell verklungen. Zuversicht der Betroffenen keimt erst, wenn Aussicht auf eine umfassende finanzielle Hilfe besteht. Weil sich auch die Allgemeinheit in ihrer vertrauten Sicherheit gefährdet sieht, zielen die politischen Maßnahmen darauf ab, Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher und kommunaler Organe zu bewahren. Prof. Dr. Reiner Sörries, Theologe, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, apl. Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen. Er war von 1992 bis 2015 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal und Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel. Er lebt in Kröslin an der Ostsee. Kontakt: [email protected]

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Liebeskraft erzeugt Zuversicht Andrea Bastian Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich an jenem Oktoberabend 2003 in das Gesichtchen meines gerade geborenen Sohnes Luca blickte. Schreibe ich darüber, dann spüre ich es wieder, dieses einmalige Glücksgefühl, das mich damals erfüllte. »Schaut er nicht schön aus?!«, fragte ich meinen Mann, der dies ebenso selig nur kopfnickend bestätigen konnte. Wir würden gemeinsam auf eine Abenteuerreise gehen, von der wir als Eltern natürlich nur das Beste für unser Kind erhofften. Heute liegen bereits achtzehn gemeinsame Jahre hinter uns, und es gab besonders in den vergangenen vier Jahren Zeiten, in denen wir an die Grenzen des Machbaren kamen, in denen wir so verzweifelt waren, in denen wir nicht weiterwussten. Doch Aufgeben war nie eine Option für uns. Ging es doch um nichts weniger als um das Leben unseres Sohnes. Und dann war sie wieder da, die Hoffnung, die Zuversicht, dass es irgendwann besser werden würde, ja musste. Dazu sei erklärt, dass unser Sohn die Diagnose »hochfunktionaler Asperger« hat, welche zum Autismusspektrum gehört. Man mag jetzt denken: »Okay, Autismus, da gibt es doch Hilfe und Unterstützung.« Das kann es geben, doch dafür bedarf es erst einmal einer Diagnose. Unser Sohn erhielt seine erst vor drei Jahren. Man erklärte uns, dass gerade die Hochfunktionalität dies erschwere, da die Betroffenen in der Lage seien, viele Jahre ihre Probleme zu kompensieren. So war es auch bei Luca. Seine Kindergarten- und später seine Grundschulzeit waren für ihn überwiegend schwierig. Einerseits suchte er den Kontakt zu Gleichaltrigen, andererseits war das gemeinsame Spielen nicht einfach, verfolgte er doch primär seine eigenen Interessen, welche oft nicht die der anderen Kinder waren. Der Kinderarzt diagnostizierte ihm in

dieser Zeit eine durchgehend gute Entwicklung. Eine auf unsere Bitte durchgeführte Testung ergab laut Kinderarzt: Es sei wichtig darauf zu achten, dass keine Inselbegabungen entstehen, Punkt. Luca erhielt daraufhin Ergotherapie. Eine spätere – laut Lehrerinnen notwendig geworden – Schulbegleitung wollte der Arzt nicht unterstützen, da er keine Belege für Asperger sah. Hilfe bekamen wir von einer anderen Kinderärztin mit dem O-Ton: »Wenn überhaupt, dann streift Ihr Sohn den Asperger«. Die Schulbegleitung wurde trotzdem attestiert, da die Therapeutin die Notwendigkeit sah. Wie hatten wir unseren Sohn in dieser Zeit wahrgenommen? Als kreativ, als sehr sensibel, als eigenbrötlerisch, als sehr hartnäckig im Verfolgen seiner Ziele. Erweckte etwas sein Interesse, war er mit Leib und Seele dabei. War dem nicht so, wandte er sich oft ab. Letzteres traf auch auf seine Schulsituation zu. Letztendlich hingen wir, was Lucas Diagnose betraf, in all den Jahren in der Luft. Es war von allem so ein bisschen. Dass es sich bei ihm um »hochfunktionalen Asperger« handelte, diese Diagnose wurde damals von keinem der Fachleute gestellt. Mit Hilfe von Schulbegleitung und Heilpädagogik versuchten wir das immer größer werdende Loch von Reizüberflutung, Anspannungen und Schlafstörungen bei unserem Sohn auszubessern. Je mehr er auf die Pubertät zuschritt, um so schwieriger wurde dies, bis es dann im Herbst 2017 zu eskalieren begann. Luca bekam massive Panikattacken bis hin zu unvorstellbaren Schüttel- und Schreikrämpfen. Heute wissen wir, dass es sich dabei um gewaltige Overloads handelte. Damals standen wir dem hilflos und schockiert gegenüber. Es folgte eine mehrmonatige, erfolglose ambulante psychiatrische Behandlung in Form von

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Fratzen. Und dennoch reihte sich ein Tag an den anderen, wechselten die Jahreszeiten. Immer wieder sagten wir uns: Es muss weitergehen. Es gab Tage, da ging es unserem Sohn scheinbar besser. Diese Tage ließen uns hoffen, ja sogar so et-

Andrea Bastian

Medikamenten, deren Dosis von Mal zu Mal erhöht wurde. In dieser Zeit fühlten wir uns dem Abgrund oft sehr nahe, der sich nach allem, was erträglich und machbar war, vor uns auftat. Nicht selten schauten wir in die aus ihm blickenden

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was wie Kraft schöpfen. Doch ihnen folgten die Tage, an denen alles ins Bodenlose stürzte; Tage, an denen Hoffnung eine leere Hülle war. Dieser Wechsel, dieses Auf und Ab reichte aus, um uns als Eltern immer wieder aufstehen zu lassen. Es entstand auf skurrile Art und Weise so etwas wie Alltag; mit dem, was möglich war, richteten wir ihn ein. Doch es wollte nicht besser werden. Heute wissen wir, dass damals die so genannten sekundären psychischen Störungen unseres Sohnes behandelt wurden. Diese stellen sich ein, wenn das eigentliche Problem über sehr lange Zeit nicht erkannt wird. Als unser Sohn erstmalig in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) aufgenommen wurde, verschaffte das uns als Eltern nach Monaten des Grauens erstmals Raum und Zeit. Wir konnten zur Ruhe kommen, durchatmen und erneut Hoffnung, ja Zuversicht schöpfen. Die richtige Diagnose wurde dort leider nicht getroffen. Woraufhin für unseren Sohn und für uns nochmals viele Monate des Leidens, des Wechselbads aus Hoffen und Mutlosigkeit entstanden. Als Luca endlich die richtige Diagnose erhielt, waren seine sekundären psychischen Störungen so stark ausgeprägt, dass selbst behandelnde Therapeut*innen in einer angesehenen Jugendhilfeeinrichtung seine Asperger-Diagnose anzweifelten und ihn falsch behandelten, zum Teil versuchten, ihn mit Medikamenten ruhigzustellen. In der Zeit, die es brauchte, bis dies für uns eindeutig wurde, waren Grauen und Hoffen, gepaart mit Verzweiflung und Zuversicht, unsere ständigen Begleiter. Nun ist unser Sohn seit fast einem Jahr wieder zu Hause. Vieles ist noch zu tun, Rückschläge tauchen immer noch auf. So viel kostbare Zeit ist vergangen, nicht mehr zurückzugewinnen. Vieles erfordert nach wie vor Kraft. Deshalb verzagen hieße für uns aufgeben, was an jenem Oktoberabend 2003 begonnen hatte: die Unterstützung unseres Sohnes auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Auch sind es die kleinen kostbaren Momente, in denen wir sehen, dass es sich lohnt, dass Luca auf dem richtigen Weg ist.

Ist es eine Glaubenssache? Ja – in vielerlei Hinsicht. Ich trage den Glauben an das Gute in mir, daran, dass Leben gut werden können, so wie sie sind. Den Glauben an etwas, dessen Summe mehr ist als unser irdisches Leben, daran, dass wir begleitet werden, dass wir, auch in der größten Not, im größten Schmerz nie allein sind. Dies sowie meine Malerei, meine Gedichte, die mir durch Freunde entgegengebrachte Liebe gaben und geben mir Kraft, ließen und lassen mich in all meiner Verzweiflung das Hoffen nicht aufgeben. Schenken mir Zuversicht. Dass wir als Paar einander haben, beieinander sind, füreinander da sind, dass wir tatsächlich immer noch miteinander lachen können und uns solche Momente geschenkt werden, das hat uns sehr getragen und trägt uns auch heute noch. Nach wie vor ist Aufgeben keine Option für uns. Wir glauben und hoffen darauf, dass es gut wird. Wir werden alles in unserer Macht Mögliche tun, damit Lucas Lebensplan gelingt. Nach wie vor sind wir zuversichtlich. Im Internet habe ich nach Definitionen zur Zuversicht gesucht. Zwei möchte ich hier anführen: »Zuversicht (…) spricht weniger von einer Erwartung von Zukünftigem, sondern von einer persönlichen Haltung, die (…) durch Beharrlichkeit und Festigkeit gekennzeichnet ist.« (www.sound words.de)

»Auch wenn die Dinge nicht gut ausgehen, lassen sich Spielräume finden. Das ist der Kern der Zuversicht«. (Ulrich Schnabel, Zuversicht. München, 2018).

Andrea Bastian, Diplom-Pädagogin, ist Schreibgruppenleiterin im Raum Freiburg/Breisgau im Hochschwarzwald. Kontakt: [email protected]

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Yeswecan!cer … Die Diagnose Krebs und das Danach

Jochen Kröhne Nach dem Schock kommen die Sprachlosig- ren, das Treffen zur falschen Zeit am entfernten keit und Lähmung, natürlich die Angst und der Ort mit Menschen, die ich mir nicht wirklich ausWunsch, etwas Gutes und Zuversichtliches zu hö- suchen konnte. Passt das heute noch? Man verren, Tröstendes und eine Perspektive, die Mut abredet sich per WhatsApp zum Feiern, per App macht. Dann, nach der Krebsdiagnose, wird es zum Sport, zum Date, zum Sex. Für die Seelentechnisch, operativ und es bleibt wenig Zeit, sich nöte bei einer ganz spezifischen, vielleicht sogar in Ruhe Gedanken zu machen. Die Behandlun- seltenen Krebserkrankung kann der Austausch in gen sind fordernd, anstrengend, oft schmerzhaft der Gruppe hilfreich sein, gleichwohl kann das und der Weg gepflastert mit Unsicherheit. Fach- intensive Gespräch in unterschiedlichsten Konsbegriffe umschwirren das googelnde Gehirn. Was tellationen Resonanz und Verstehen ermöglichen. heißt denn das schon wieder? Und bedeutet es Nein, dachte sich im Sommer 2018 ein MeHoffnung oder eine weitere Runde in der Ach- dienmacher, ein Jahr zuvor plötzlich an Krebs terbahn, die eigentlich auch eine Geisterbahn ist? erkrankt: Jörg A. Hoppe, Fernsehproduzent vieOhne Frage bieten Ärzt*innen und Kliniken, ler renommierter Shows, Musikverleger und Apparate und Analysen, MRTs und Scans die wis- -journalist, nach einer komplikationsreichen senschaftsgeprüfte Sicherheit, in guten Händen Leukämieerkrankung mit einer anschließenzu sein, aber das lässt noch keine Zuversicht auf- den Stammzellentransplantation wieder halbkommen, denn wie wird es werden: Gut oder wegs bei Kräften. Sein Handy war sein ständigeht hinter der nächsten Tür die Achterbahnfahrt ger Begleiter, Hauptverbindung zur Außenwelt wieder von vorne los? Es heißt, man solle kämp- und half, die notwendige Isolation zu überwinfen. Aber gegen wen? Und könnte das je ein fairer den. Ich will zurück ins Leben. YES! Und seine Kampf sein? Bin ich denn allein mit diesem gan- Frau Simone, selbst Fernsehredakteurin, sagt ihm, zen Tohuwabohu? Wer fühlt denn wie ich und mit wie auch die vielen Freunde: Wir schaffen das! wem kann ich sprechen? Partner, Familie, Freun- Nicht du schaffst das, wir schaffen das. YES we de, sie alle haben Verständnis für mich, aber sie can! Es klang uns allen Obamas Mantra noch im können mich doch nicht ganz verstehen, sind Ohr. YES, we can, yes we can-cer. Das cer durchgeauch seltsam achtsam, viele gehemmt. strichen. Jörg lässt T-Shirts drucken. In schräger Also kommt doch bald der Wunsch nach dem Schrift der Sex Pistols. Denn Musik und Marken Gespräch mit den Leidensgenoss*innen auf, der haben sein bisheriges Leben geprägt. So kommen Austausch und am besten die Bestätigung, wie die Shirts in die Welt. gut es doch nach einem Jahr aussieht. Wie ÄngsDoch da ist noch mehr. Das kann doch wohl te verfliegen und der herrlich gewöhnliche All- nicht wahr sein, dass man nicht per App andetag wieder einkehren darf. Doch wie findet man re Leukämiepatient*innen mit der gleichen Dia­ die, mit denen es sich am besten sprechen lässt? gno­se, der gleichen Achterbahnfahrt irgendwo in Das »Rundgespräch« als alleinige Methode für Deutschland finden kann. Als früherer Arbeitsden Austausch will nicht so richtig funktionie- kollege und Weggefährte Hoppes, Gründer und

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auch weit darüber hinaus aus. Von Mensch zu Mensch, aber auch in Gruppen mit gleichem Thema. Seit einiger Zeit gibt es auch wöchentliche Video-­Gesprächsrunden mit Ärzt*innen und eine Hotline zur Unterstützung bei sozialen Themen, Möglichkeiten zur finanziellen Unterstüt-

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m.schröer

Geschäftsführer vieler Fernsehsender, erkrankte ich 2017 selbst an Prostatakrebs. Auch nicht gerade ein Thema, über das man gern mit jedem spricht. Inkontinenz, zeitweise Impotenz, auf jeden Fall Unfruchtbarkeit. Und die gleichen Fragen. Ist das in einem Jahr wieder alles okay? Wir beiden sprechen miteinander über Krebs, über die Ängste, über das Tabu – ja: immer noch das Tabu der Krebserkrankung. Krebs ist keine normale Erkrankung. Die Diagnose macht Angst, sprachlos und ein kalter Todeshauch hängt über diesem Begriff. Krebs ist ein reales Phänomen, sogar ein sehr reales. Jeder zweite Deutsche erkrankt in seinem Leben daran, zumindest statistisch. Eine halbe Million pro Jahr. Also lass uns aus dem Shirt eine App machen, mit der sich an Krebs erkrankte Menschen und auch Angehörige finden, um darüber zu reden. Aber lass uns die Sache wirklich bekannt machen, mit medialen Mitteln, mit der Kraft der Medien, mit der Stimme der Vielgesehenen und Meistgehörten. Frech, jung, provozierend, stylisch, aufmerksamkeitsstark. Eine Lifestylemarke für Krebs. Undenkbar? Nein, genau richtig. So wird in 2018 mit yeswecan!cer eine gemeinnützige Patienten- und Selbsthilfeorganisation gegründet, die sich für einen offenen und angstfreien Umgang mit der Krankheit Krebs einsetzt. Getragen von dem Wunsch und der Überzeugung einer notwendigen Digitalisierung des Gesundheitswesens, wird die YES!APP ins Leben gerufen, mit der sich an Krebs Erkrankte und deren Angehörige miteinander vernetzen können. Von Anfang an ist der integrative Bestandteil der Bewegung, dass sie von zahlreichen bekannten Personen des öffentlichen Lebens und einigen Hörfunk- und Fernsehsendern unterstützt wird (www.yeswecan-cer.org). Die YES!APP funktioniert praktisch wie die Dating-App Tinder, nur eben für Menschen mit einer Krebserkrankung. Menschen finden sich, sie daten sich jedoch nicht, sondern sprechen über Krebs, über das Leben, tauschen sich über die Behandlung, über das Leben mit Krebs und

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zung oder psychoonkologischer Hilfe. yeswecan!cer versteht sich als Dachmarke und bindet ein. Blogger, Youtuber, Erkrankte, die persönlich und ausführlich über ihre Erkrankung, ihren Weg zurück ins Leben schreiben oder in Podcasts sprechen. Bei yeswecan!cer heißen sie Mutmacher*innen. Niemand sollte mit der Erkrankung allein bleiben. Du bist nicht allein ist daher Botschaft, Claim und Hashtag. Es gilt das Primat der Wissenschaft. Daher bittet yeswecan!cer renommierte Ärzt*innen und Vordenker*innen des Gesundheitswesens in den wachsenden Beirat. Die gemeinnützige Organisation versucht unkonventionell, ergebnisoffen und integrativ mit dem Tabuthema umzugehen, allerdings auch immer mit dem Kompass der Evidenz, der Wahrhaftigkeit und Seriosität. Keine Kompromisse für vermeintliche Alternativen, aber offen für hilfreiche Ergänzungen der Schulmedizin. Das Wohlbefinden an Krebs erkrankter Menschen im Kopf und im Herzen. So ist das klare Anliegen, die Stimme der Erkrankten hörbarer zu machen, deren Rechte zu stärken und den selbstbestimmten Entscheidungsweg zu ebnen. yeswecan!cer ist auch offizieller Unterstützer der Nationalen Dekade gegen Krebs. Das digitale Angebot zur Optimierung der Patientenselbsthilfe ist kein Selbstzweck und selbstverständlich offen für klassische Selbsthilfegruppen, die ihre Aktivitäten in der YES!APP spiegeln können. Gerade in Coronazeiten, wo persönliche Treffen nur eingeschränkt möglich waren, werden digitale Tools willkommen geheißen und sind inzwischen alltägliche Realität. Das kann auch gerade für seltenere Krebserkrankungen weitere Perspektiven eröffnen. Mit ortsunabhängigen digitalen Mitteln können Patient*innen aus ganz Deutschland, dem deutschsprachigen Raum und weit darüber hinaus leichter zueinander finden. Seit dem Jahr 2020 wird im Herbst die Patientenveranstaltung YES!CON veranstaltet. Diese interaktive Patient*innen-Convention fand bereits zweimal in einer Berliner Event-Location statt, wurde aber auch parallel auf yescon.org und

von zahlreichen Medienpartnern gestreamt. Teilnehmende sind neben vielen an Krebs erkrankten Menschen renommierte Personen aus Medizin, Wissenschaft, Sozial- und Gesundheitspolitik sowie Künstler*innen und Moderator*innen, die sich für das Thema engagieren. Die YES!CON fand bislang zweimal unter der Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn statt. In Diskussions-Panels, Gesprächsrunden und Meditationen wurde eine breite Themenpalette behandelt, wie zum Beispiel Impfen gegen Krebs, Partnersuche trotz der Erkrankung, die Frage der eigenen Schuld an der Erkrankung, Digitalisierung und Krebs, Chancen einer verbesserten Krankenhausküche oder auch der offene Umgang mit dem Thema Tod. Im kommenden Jahr beabsichtigt yeswecan!cer das Konzept der YES!CON 3.0 noch einmal zu erweitern. Es ist geplant, die Convention in einer neuen Location und grundsätzlich zweisprachig (deutsch und englisch) durchzuführen. Als neuer Veranstaltungsort ist München vorgesehen und zwei parallele Veranstaltungen in Zürich und in Wien geplant. Die gemeinnützige Organisation yeswecan!cer versteht sich als Patientenorganisation, sieht sich als eine kommunikationsstarke Bewegung für Patientenrechte und als eine landes- und europaweit digital tätige Selbsthilfegruppe. Es ist das erklärte Ziel, die Stimme gegen die Sprachlosigkeit zu erheben, gemeinsam die Lähmung und die Angst zu überwinden und den Raum für Zuversicht und Ermutigung zu schaffen. Die Digitalisierung ist dabei nicht nur eine technologisch erforderliche Strukturreform, sondern das notwendige Licht für den individuellen Weg eines jeden an Krebs erkrankten Menschen und für seine nächsten Angehörigen. Jochen Kröhne ist Geschäftsführer der yeswecan!cer gGmbH, Deutschlands größte digitale Selbsthilfegruppe. Kontakt: [email protected]

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Zuversicht am Lebensende Claudia Bausewein Die letzte Lebensphase wird von vielen als hoffnungslose Zeit gesehen, in der es im Angesicht des nahenden Lebensendes keine Zuversicht geben kann. Abschiednehmen von Menschen, von Wünschen und Zukunftsvorstellungen, ja vom Leben ist schmerzhaft und traurig. Und trotzdem kennen wir alle Menschen, die auch in dieser Lebensphase oder vielleicht sogar gerade im Bewusstsein des Sterbens Zuversicht ausstrahlen. Aber was bedeutet Zuversicht eigentlich? Im Duden ist zu lesen, dass es sich um ein »fes­ tes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen« handelt. Synonyme wären Glaube, Heiterkeit, Hoffnung, und Lebensbejahung. In seinem Buch »Zuversicht« weist Ulrich Schnabel (2018) darauf hin, dass in der Definition des Dudens »ein entscheidendes Element der ursprünglichen Bedeutung verloren gegangen ist, da im alten Wort Zuversicht ein Mollklang mitschwingt« (S. 17). Für Schnabel bedeutet Zuversicht nicht, »illusionäre Hoffnungen zu hegen, sondern einen klaren Blick für den Ernst der Lage zu behalten«. Es bedeutet auch, »sich nicht lähmen zu lassen, sondern die Spielräume zu nutzen, die sich auftun – und seien sie noch so klein«. Zuversicht ist wie Hoffnung oder der Umgang mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung etwas sehr Individuelles, jeder Mensch reagiert anders und jede*r hat seine oder ihre eigene Zuversicht. Zuversicht hilft, Boden unter den Füßen zu spüren. Zuversicht hat man nicht einmal für immer, man kann sie nicht festhalten, sondern sie ist dynamisch, verändert sich, ist mal stärker und mal schwächer, sie kann ein zartes Pflänzchen oder ein starker Baum sein. Und: Zuversicht

kann nicht gemacht oder verordnet werden. Sie ist vielmehr ein Geschenk. Was bedeutet dies für uns als Begleitende? Unsere Aufgabe ist es, einen Raum und eine unterstützende Atmosphäre zu schaffen, damit bei den Begleiteten ein Prozess entstehen kann, in dem sich Zuversicht entwickeln kann. Um bei Ulrich Schnabel zu bleiben: Es bedeutet nicht, illusionäre Hoffnungen zu schüren, etwa auf Heilung oder längeres Leben, sondern die Erwartungen behutsam an die Realität heranzuführen und Spielräume aufzuzeigen, die sich auftun beziehungsweise den und die Betroffene darin zu unterstützen, diese Spielräume selbst zu entdecken und zu nutzen. Dabei ist es wichtig, nicht so sehr die Defizite zu betonen, die durch eine Erkrankung entstehen, sondern die Ressourcen und Kraftquellen zu fördern, die Menschen in sich haben und die ihnen beispielsweise geholfen haben, durch frühere schwere Zeiten im Leben zu kommen. Ressourcen und Kraftquellen können vielfältig sein: Familie und Freunde, die Natur, Glaube und Spiritualität, Musik, Literatur und Poesie … Fürsorgliche Begleitung, liebevolle Zuwendung und wertorientierte, respektvolle Begegnungen können bei Menschen Prozesse auslösen, die vielleicht undenkbar erscheinen, und Zuversicht kann entstehen, wo vorher Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit vorherrschten. Lassen Sie mich an drei Fallbespielen verdeutlichen, was dies bedeuten kann. Frau M. ist eine 68-jährige Dame mit einem fortgeschrittenen Mammakarzinom. Aufgrund der ausgedehnten Lebermetastasierung leidet sie an Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbre-

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chen, die aber mit der entsprechenden medikamentösen Therapie auf der Palliativstation gut kontrolliert werden können. Frau M. ist sich ihrer fortgeschrittenen Erkrankungssituation bewusst, ist aber zuversichtlich, dass sie die Geburt des ersehnten ersten Enkelkindes in vier Monaten erleben wird. Das gibt ihr Kraft und sie träumt mit ihrer Tochter, den Enkelsohn im Arm zu halten. Als sie zwei Monate später wieder auf die Palliativstation kommt, ist sie deutlich schwächer und die Symptome haben wieder zugenommen. Sie ist immer noch zuversichtlich, die Geburt des Enkelsohns zu erleben, aber es schleichen sich auch Zweifel ein. Gemeinsam mit der Psychologin der Station traut sie sich erstmals hinzuschauen, was wäre, wenn sie doch vorher stirbt. Große Trauer überkommt sie bei dem Gedanken, das ersehnte Enkelkind nicht mehr erleben zu können. Im Lauf des Gesprächs schlägt ihr die Psychologin vor zu überlegen, ob es etwas gibt, was sie ihrem Enkelsohn hinterlassen möchte. Sie kommen auf die Idee, dass sie ihm Briefe schreibt, zum ersten Geburtstag, zum fünften, zehnten und achtzehnten Geburtstag. Frau M. sammelt ihre ganze Kraft, diese Briefe zu schreiben. Sie bittet sogar ihre Tochter, Fotos zu bringen, aus denen sie für den Enkelsohn ein kleines Album zusammenstellt, damit er sieht, wer sie war. Es ist eine tränenreiche Zeit, die Frau M. erlebt, aber sie findet auch innere Ruhe und freut sich, dass sie so die letzte Lebenszeit noch gestalten kann. Frau M. stirbt sechs Wochen vor der Geburt ihres Enkel­sohnes. * Herr S. ist ein 46-jähriger Ingenieur, der an einem Hirntumor leidet. Nach Operation und Bestrahlung erhält er eine Chemotherapie. Er hat aus der Zeitung erfahren, dass Methadon einen hemmenden Effekt auf das Wachstum von Hirntumorzellen haben kann. Er bespricht dies mit seinem behandelnden Onkologen, der sich einverstanden erklärt, Herrn S. Methadon

zu verschreiben. Herr S. ist sehr zuversichtlich, dass das Methadon seinen Tumor weiter verkleinert. Auch seine Frau unterstützt ihn in dieser Meinung. Wegen zunehmender Kopfschmerzen und einer Lähmung der rechten Hand kommt Herr S. auf die Palliativ­station. Er ist weiter fest überzeugt, dass das Methadon hilft, und will die Verschlechterung seines Zustands nicht recht wahrhaben. Im Gespräch versucht der Palliativarzt, den einseitigen Blick von Herrn S., der die Entwicklung nur in die eine erhoffte Richtung sieht, zu weiten. Er schlägt ihm vor, weiter auf das Beste zu hoffen, aber gleichzeitig auch zu überlegen, wie er sich darauf vorbereiten kann, wenn sich sein Zustand doch weiter verschlechtert. Im Englischen heißt es »hope for the best and prepare for the worst«. Herr S. kann sich nur bedingt mit dieser Sichtweise anfreunden, und den-

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Matthis Dierkes / photocase.de

noch ab und zu auch in diese Richtung schauen. Es trägt ihn aber weiter die Zuversicht, dass der Tumor auf das Methadon anspricht, bis er wenige Wochen später stirbt. * Herr K. ist ein 85-jähriger Herr mit einem fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hat eine Familie mit vier Kindern und zwölf Enkelkindern, die sich alle liebevoll um ihn kümmern. Auf sein Leben schaut er mit Dankbarkeit zurück, auch wenn er schwere Zeiten erlebt hat. Sein ältester Sohn ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, seine Frau vor drei Jahren ebenso an einer Krebserkrankung verstorben. Mit der Unterstützung der Familie und von Freunden hat er sich in diesen schweren Zeiten ins Leben zurückgekämpft. Sein Glaube war ihm dabei eine wichtige Stütze und trägt ihn auch jetzt. Er weiß, dass er ster-

ben wird, aber er ist voller Zuversicht, dass es mit dem Tod nicht zu Ende ist, sondern dass er danach mit seiner Frau und seinem Sohn vereint sein wird. Außerdem ist er überzeugt, dass er im Gedächtnis seiner Lieben bleibt und er immer einen festen Platz in der Familie haben wird. Alle drei Patient*innen hatten eine sehr unterschiedliche Zuversicht am Lebensende und nutzen für sich die Spielräume, die ihnen das Leben ließ, auf unterschiedliche Weise. Frau M. konnte mit Unterstützung der Psychologin ihre Zuversicht, die Geburt des Enkelsohns zu erleben, soweit anpassen, dass sie etwas für ihn geschaffen hat, was sie ihm hinterlassen kann. Herr S. lebte bis zum Schluss in der Zuversicht, dass sich der Hirntumor durch Methadon eindämmen lässt, auch wenn dies nicht eintrat. Und Herr K. war von der Zuversicht getragen, im Leben etwas zu hinterlassen und mit seiner Frau und seinem Sohn im Jenseits vereint zu sein. Es geht also nicht allein um die Zuversicht, ein Ziel zu erreichen, sondern, wie Ulrich Schnabel schreibt, »um eine grundsätzlichere Hoffnung, die sich vom vordergründigen Scheitern nicht beeindrucken lässt, gefragt ist eher eine positive Haltung dem Leben gegenüber, die es ermöglicht, sich mit Unabwendbarem abzufinden und den Fokus zu verändern, falls notwendig auch auf andere als die ursprünglich angestrebten Ziele« (S. 108). Prof. Dr. med. Claudia Bausewein, Internistin und Palliativmedizinerin, ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am LMU-Klinikum München und Inhaberin des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der LMU München. Sie ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Kontakt: C  laudia.Bausewein@med. uni-muenchen.de Literatur Schnabel, U. (2018). Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München.

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Zuversicht in Todes- und Traueranzeigen – geht das zusammen? Ein Blick in ein besonderes Genre

Margit Schröer und Susanne Hirsmüller Todes- beziehungsweise Traueranzeigen (wie sie heute wegen des veränderten Akzents und der Vermeidung des oft als zu hart empfundenen ersten Teil des Wortes »Todes«anzeigen bezeichnet werden) sind neben der Information der Gesellschaft Teil unserer Trauer- und Erinnerungskultur. Die Information über den Tod eines Menschen ist von Bedeutung für die Gemeinschaft, in der er gelebt hat, da sich durch den Tod die sozialen Rollen verändern. Sie spiegeln Aspekte des Zusammenlebens einer Gemeinschaft von Menschen wider mit ihren Rollenverteilungen (Funktionen und Tugenden von Frauen und Männer), über gesellschaftlich akzeptierte Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen, Einstellungen zu Gesundheit, Krankheit, Alter, Sterben und Tod sowie der Religiosität und Jenseitsvorstellungen. Zudem sind die Anzeigen auch ein Abbild des gesellschaftlichen Wandels, der zunehmend von Säkularisierung und Pluralität gekennzeichnet ist. Viele Todesanzeigen vermitteln heute die Botschaft: Jetzt ist alles vorbei, danach kommt nichts mehr. Manche Hinterbliebene oder auch Verstorbene selbst drücken es pointiert und lapidar in Kurzform über ihrer Anzeige stehend etwa mit den zwei Worten aus: »Das war’s«. Ähnlich plakative Formulierungen lauten: »Schluss. Aus. Amen.«; »Finito!«; »Shit happens«; »Plötzlich ist man weg«;

»Jetzt kommt nichts mehr« oder »Ganz großer Mist – alles aus«. Es ist zu vermuten, dass die Verstorbenen selbst oder ihre Hinterbliebenen nicht an ein Weiterleben in irgendeiner Form nach dem Tod glauben – denn der christliche Glaube an die Auferstehung und das ewige Leben wird zunehmend von unterschiedlichen, meist sehr »alltagsnahen« Vorstellungen vom Jenseits abgelöst. Andererseits wird damit vielleicht auch dem Empfinden der Trauernden Ausdruck verliehen, dass im Hier und Jetzt keine gemeinsame Zukunft mehr möglich ist. Wie den Anzeigen der letzten Jahre immer häufiger zu entnehmen ist, führen die Verstorbenen einfach ihr bisheriges Leben »woanders« weiter. Dies wird in den folgenden lebensnahen Umschreibungen und Tätigkeiten in vielen Farben und Facetten ausgemalt: »Ich bin im Studio«; »Da sitzt du nun mit deinem so charmanten, verschmitzten Lächeln im Gesicht, in deinem Bentley Cabrio dem Regenbogen entgegenfahrend …«; »Irene sitzt jetzt bei ihrem Helmut auf dem Sonnen­bankerl.« In etlichen Todesanzeigen wird Zuversicht in unterschiedlichen Formen und Zusammenhängen erwähnt, dieser Begriff hat in vielen Fällen

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den früher üblichen Begriff des Glaubens (an die Auferstehung) abgelöst. Hier zeigt sich ein Wandel, denn das Wort »Zuversicht« ist erst in den letzten ca. zwanzig Jahren aufgetaucht, früher wurden nahezu ausschließlich Glauben und Hoffnung erwähnt. Täglich findet man dazu neue Beispiele bei der Durchsicht deutschsprachiger Zeitungen. Zuversicht ins Leben Eine beständige Zuversicht als Charaktereigenschaft der Verstorbenen, die sie durchs Leben getragen hat, wird von den Hinterbliebenen positiv hervorgehoben und als Vorbild fürs eigene Leben gerühmt: »Fast 70 Jahre Ehe, gerne Köln und immer Münster verbunden, schlank, wendig, schnellen Schrittes ging sie mit Zuversicht durchs Leben.« (94-Jährige Frau)

»An Deinem unerschrockenen Optimismus und Deiner kämpferischen Zuversicht aufs Leben hat sich die Krank­heit lange Zeit die Zähne ausgebissen.« (Frau ohne Altersangabe)

»Das Leben nahm er mit Zuversicht. Er brachte uns zum Lachen.«

Zuversicht im Kampf gegen die Krankheit Immer wieder wird von den Hinterblieben die Zuversicht der Verstorbenen trotz oder gerade wegen der schweren Erkrankung und dem oftmals langen Kampf erwähnt:

(85-jähriger Mann)

»Mit Deiner Zuversicht und Deinem intelligenten Pragmatismus, mit Deinem ­Humor, Deiner Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit hast Du uns und so vielen Menschen stets Mut gemacht und so vieles bewegt.«

»Wie von den Comedian Harmonists in einem ihrer Lieblings­lieder besungen, hat sie die Hoffnung niemals aufgegeben – kraftvoll, stark, voller Zuversicht und Vertrauen.« (84-jährige Frau)

»Deine Lebensfreude, Deine Zuversicht, Dein unerschütterlicher Optimismus … werden uns immer ein Beispiel sein.«

»Während vieler Jahre hat sie mit uner­ schütterlichem Optimismus, mit Zuver­ sicht sich immer wieder auf neue Heraus­ forderungen eingelassen, die diese unersättliche Krankheit an sie stellte.«

(91-jährige Frau)

(79-jährige Frau)

(80-jähriger Mann)

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

»Es gibt uns Kraft zu wissen, dass er trotz finsterer Diagnose in den letzten Monaten wieder an Zuversicht gewann und mit Lebensfreude in die Zukunft schaute.« (78-jähriger Mann)

Trotz des finalen oder fatalen Ausgangs der Erkrankung bleibt für die Hinterbliebenen die Zuversicht der Erkrankten so wichtig, dass sie in den Todesanzeigen gewürdigt und den Leser*innen als Ermutigung und Auftrag vermittelt wird. Zuversicht ins Jenseits Neben der Zuversicht ins Leben allgemein wird häufig auch in der Krankheit die Zuversicht in das Jenseits zum Teil detailliert beschrieben: • Wiedersehen mit Vorverstorbenen (meist Ehepartnern) und ein gemeinsames Weiter­leben • Fortführung eines Lebens wie bisher • zukünftiges Leben in Frieden, ohne Schmerzen, Angst, Leid • Geborgensein in Gott, Gottes Liebe, Gottes Erbarmen, Gottes Barmherzigkeit

Brücke der Zuversicht und in der Gewissheit, dass ihre Erlösung eine Gnade war, in die ewige Glückseligkeit gehen lassen.« (52-jährige Frau)

»Und eines Tages spürst du genügend Kraft, Mut und Zuversicht, um dich von den Fesseln des Zögerns und der Angst zu befreien und etwas Neues zu beginnen.« (33-jähriger Mann)

»Getragen von seiner Familie, durch den christlichen Glauben gestärkt, fand er Geborgenheit, Rückhalt, Liebe und Zuversicht – auch für ein Leben nach dem Tod.« (89-jähriger Mann)

»In tiefer Dankbarkeit und Zuversicht, dass es Dir gut geht, da, wo Du jetzt bist.« (98-jährige Frau)

»Sie hat gekämpft und gelitten, gemeinsam haben wir voller Zuversicht gehofft und gebetet, doch zum Ende hin verließen sie die Kräfte und so mussten wir (Name) über die

»Mit Zuversicht, dass der Tod nicht das Ende ist, geben wir die traurige Nachricht …« (92-jähriger Mann)

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In Anzeigen, in denen der christliche Glaube betont wird, sind viele unterschiedliche Zitate aus den Psalmen oder den Briefen des Apostels Paulus zu finden: »… muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Ps 23,4« »Ich bin ebenso in guter Zuversicht, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird auf den Tag Christi Jesu.« Philipper 1,6 (28-jährige Frau)

Zuversicht in der Trauer Auch für die Hinterbliebenen wird die Zuversicht als Unterstützung in ihrer Trauer erwähnt und bei Anzeigen, die nicht von Angehörigen aufgegeben werden, wird diese den Hinterbliebenen oft gewünscht. »Von diesem Grab wir gehen, in stiller Zuversicht, dass wir uns wiedersehen, vor Gottes Angesicht.« (88-jährige Frau)

»Trauer heißt den Schmerz annehmen, dem Schmerz Raum geben, ihm Zeit geben. Dieser Schmerz, er wird vergehen. Nicht heute, nicht morgen. Er hat seinen eigenen Weg. Und dieser Weg heißt Hoffnung, Geduld und Zuversicht.« (53-jährige Frau)

»Trost erwächst aus der Zuversicht, dass wir in Gottes Hand gehalten sind.« (86-jährige Frau)

Fazit Die Zuversicht wird in Zusammenhang mit folgenden Adjektiven geschildert: grenzenlose, un-

endliche, starke, beständige, österliche, stille, feste, große, tiefe, kämpferische, unerschütterliche, ansteckende, hoffnungsvolle und kraftvolle Zuversicht. Häufiger steht über einer Anzeige die Anerkenntnis, dass trotz aller Zuversicht jeder Mensch eines Tages sterben muss: »Trotz Willen und Zuversicht, die Kraft reichte nicht. Das Leiden war so schwer, es gab keine Heilung mehr.« Zusammenfassend kann man sagen, dass in Todesanzeigen Zuversicht als Gegenpol zur Ungewissheit und Unsicherheit in der Vulnerabilität des Lebens und Sterbens gesehen wird. Die Autorinnen sichten seit mehr als dreißig Jahren täglich (zunächst als Printversion) ausgewählte und seit ca. sechs Jahren alle Todes- und Trauer­anzeigen in 17 deutschsprachigen Tageszeitungen online. Die stetig wachsende Sammlung umfasst mittlerweile ca. 80.000 Anzeigen. Dazu kommt eine größere Sammlung gedruckter Totenbriefe.

Dipl.-Psych. Margit Schröer ist psychologische Psychotherapeutin, Psycho­ onkologin, Supervisorin und Ethikerin im Gesundheitswesen. Sie war leitende Psychologin in einem großen Krankenhaus in Düsseldorf und lehrt an zwei Universitäten. Dr. Susanne Hirsmüller ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Psychoonkologin und Ethikerin im Gesundheitswesen. Sie ist Dozentin in den Studiengängen »Pflege« und »Hebamme« an der Hochschule Bremen und Lehrbeauftragte für Palliative Care an der Universität Freiburg.

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Zutaten für mehr Zuversicht in Zeiten des Zweifels Wie Führungskräfte, Päda­ gog*innen und Eltern sich selbst und andere in Mo­ menten von ­Ungewissheit, ­Umbruch und Unmut ­stützen und stärken können

Christian Thiele Die Pandemie mit ihren Gefahren, Ängsten, Einschränkungen. Die neuen Formen des Zusammenarbeitens, mit neuer Technik und neuen Herausforderungen. Die Hochwasserkatastrophe, die den einen Leben oder das Reihenhäuschen nahm – und die Waldbrände, die anderen den lange ersehnten Sommerurlaub raubten. Bevor dann die Horrorbilder aus Afghanistan die Weltbevölkerung schaudern machten: Wir leben in Zeiten der Ungewissheit, der Umbrüche und des häufigen Unmutes. Was heißt das für Führende? Wie können Sie als Chefin oder Chef in turbulenten Zeiten, in denen sich die Mitarbeitenden nochmal mehr als sonst nach Orientierung sehnen, Kraft, Stärke und Zuversicht finden? Für sich selbst und für andere? Wie können Sie konstruktiv mit ihren Zweifeln und Nöten umgehen, wie können Sie ängstliche, überforderte oder gar trauernde Mitarbeitende stützen, authentisch, echt und wirksam? Impulse aus der Positiven Psychologie In meiner Arbeit als Coach, Trainer und Dozent setze ich mich mit diesen Fragen viel auseinander. Ich suche dabei vor allem in der Haltung,

den Erkenntnissen und den Methoden der Positiven Psychologie nach Antworten, also in der Wissenschaft und Praxis des gelingenden Lebens, und werde dabei glücklicherweise immer wieder fündig. Einige Rezepte, Übungen und Gedankenanstöße für ein stimmiges Stützen, Stärken und Halten finden Sie im Folgenden – ich hoffe, Sie können mit manchen Ideen oder Vorschlägen etwas anfangen. Starten wir mit ein paar Reflexionsfragen: • Was waren für Sie die größten Herausforderungen, Verluste, Einschränkungen seit

Walter Leistikow, Schwäne, 1900 / akg-images

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dem Frühjahr 2020, als die Coronapandemie sich hierzulande immer stärker bemerkbar machte? • Welche früheren großen, schmerzhaften, schwierigen Herausforderungen konnten Sie bereits meistern? • Wie haben Sie sich aus diesen »Sümpfen des Lebens« herausgekämpft, welche Ihrer inneren Ressourcen (wie etwa Stärken oder Überzeugungen oder Werte) konnten Sie dafür nutzen? Welche äußeren Ressourcen (zum Beispiel Freunde, Verwandte, Vorbilder) haben Sie damals gestärkt?

• Wie konnten Sie diese Quellen der Hilfe in der Coronapandemie mit ihren Lockdowns, Umbrüchen, Einschränkungen wirksam werden lassen oder wirkungsvoll umsetzen? Wie könnten Sie das künftig noch mehr oder anders tun? Und wer – in der Familie, in der Belegschaft, unter den Kolleg*innen – könnte da auf welche Weise von Ihren Erfahrungen lernen oder profitieren? Vielleicht mögen Sie sich ja ein paar Notizen machen zu diesen Fragen, bevor Sie weiterlesen. Oder mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin bei einer

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6 6   C h r i s t i a n T h i e l e

Tasse Tee darüber sprechen. Oder sich mit Ihrem Team zu diesen oder ähnlichen Fragen austauschen. Posttraumatisches Wachstum

momosu / photocase.de

Denn hinter diesen Fragen steckt eine Annahme, genauer gesagt ein Faktum, das die Forschung erst seit den 1990er Jahren systematisch untersucht: das so genannte posttraumatische Wachstum. Es besagt, dass wir Menschen an schlimmen oder schlimmsten Erfahrungen nicht zwangsläufig dauerhaft Schaden nehmen, in unseren Fähigkeiten zu handeln, zu denken oder zu fühlen

keinesfalls eingeschränkt bleiben, nachdem wir Schwieriges erfahren haben. Viele Menschen erleben sich nach der Heilung von einschneidenden Erlebnissen als stärker und gefestigter als vor dem Schmerz, dem Leid, dem Kummer. So wie das Schienbein, der Unterarm oder ein anderer Knochen nach der Heilung sogar stabiler sein kann als zuvor, sagen manche Menschen von sich, nachdem sie eine schwierige Erfahrung bewältigt haben: »Ich bin jetzt reifer und stärker als zuvor.« Das ist nicht das Gleiche wie die in diesem Zusammenhang gern genannte Resilienz: Wie die Berliner Psychologin Judith Mangelsdorf (2020) mit ihrer Dissertation über posttrauma-

Viele Menschen erleben sich nach der Heilung von einschneidenden Erlebnissen als stärker und gefestigter als vor dem Schmerz, dem Leid, dem Kummer.

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tisches Wachstum nachgewiesen hat, bedeutet Resilienz, dass Menschen im Anschluss an traumatische Ereignisse nach einer kürzeren Zeit der Beeinträchtigung zurückkehren auf ihr ursprüngliches Funktionsniveau. Echtes posttraumatisches Wachstum bedeutet aber, dass Menschen nach tiefen, starken Einbußen während Phasen der Verleugnung, der Wut, des Trauerns irgendwann ein Mehr, Besser, Anders erleben. Eine stärkere Wertschätzung für das Leben an sich, für die sozialen Kontakte, ein Mehr an Mitgefühl, Altruismus, Spiritualität, Kreativität und ein (verstärktes) Gefühl für das Wozu der eigenen Existenz: Das ist das, was posttraumatisches Wachstum bedeuten kann, es sind die typischen Erfahrungen eines reiferen (Er-)Lebens nach Krisen. Das passiert keinesfalls automatisch, nicht aufgrund eines schmerzhaften Ereignisses an sich – sondern es erwächst aus einem konstruktiven Umgang, aus der aktiven Suche nach Sinn und letztlich aus einem daraus verwandelten Blick auf die Welt in Folge schwieriger und schwierigster Lebensmomente. Sie als Führungskraft, als Partner*in, als Eltern, als Freund*in können möglicherweise zu diesen Stehaufmännchen-Erlebnissen beitragen. Dankbarkeit und andere positive Emotionen stärken In und trotz schwieriger Zeiten können Sie sich Fragen stellen wie: • Was ist Ihnen in der vergangenen Woche an (kleinem oder kleinstem) Gutem widerfahren? • Wer hat dazu beigetragen, wem können Sie dafür dankbar sein? Und wem noch? Und wem noch? • Wie fühlt sich diese Dankbarkeit an, wo spüren Sie diese? Kosten Sie den Zustand vielleicht noch intensiver aus, indem Sie für einen Moment die Augen schließen und ein paar bewusste Atemzüge nehmen.

• Vielleicht mögen Sie diese Dankbarkeit ge­ gen­über einer Person auch zum Ausdruck bringen – mit einem Anruf, mit einer E-­Mail, in einem Brief – oder gar persönlich mit einem Besuch? Fragen und Übungen wie diese stärken die Dankbarkeit. Dankbarkeit ist neben Interesse, Heiterkeit, Gelassenheit und anderen eine der zehn stärksten sogenannten positiven Emotionen, die Barbara Fredrickson als wesentlich für unser Wohlbefinden identifiziert hat. Frust, Ärger, Zweifel und andere negative Gefühle machen nicht nur unser Denken enger, sondern vermindern auch die Auswahl an Handlungsoptionen, die wir zu Verfügung zu haben glauben. Das bewusste gelegentliche oder häufige Hervorrufen von kleinen Momenten der Positivität hingegen weitet unser Denken, stärkt unsere mentalen und emotionalen Ressourcen und lässt uns schneller und nachhaltiger aus negativen Phasen erholen. Dankbarkeit ist dabei eine der Schlüsselressourcen, sie kann nachgewiesenermaßen unsere mentale Gesundheit stärken. Der weltweit führende Vertreter der Dankbarkeitsforschung Robert Emmons hat herausgefunden, dass sich aus Dankbarkeit eine verringerte Anfälligkeit für Depression, für Angststörungen und für Substanzmissbrauch ergeben kann. In einer Studie im Frühjahr 2020, also in den frühen Monaten der Coronapandemie, fanden Emmons und Kollegen (Watkins et al. 2021) heraus, dass • 56 Prozent der Befragten über größere Dankbarkeit als zuvor berichteten; • jene, die sich als dankbar erlebten, auch über ein höheres Wohlbefinden berichteten und • sogar 69 Prozent der Befragten davon ausgingen, dass sie im nächsten Vierteljahr noch dankbarer sein würden. Offenbar hilft es uns Menschen zu bemerken, was wir haben und sind, wenn wir uns gelegentlich klar machen, was uns alles abhandenkommen könnte.

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DANKE AUCH DAFÜR! Die Dankbarkeitsforscherin Lilian Jans-Beken und der Psychologe Paul Wong (2019) haben eine »Existential Gratitude Scale« entwickelt, mit der sich eine ganzheitliche Form von Dankbarkeit messen lassen kann, die auch die schwierigen Aspekte unserer Existenz umfasst. Dazu gehören Aussagen wie: • Auch wenn Schwierigkeiten und Leid in meinem Leben vorkommen, kann ich Dinge wertschätzen. • Ich bin auch in Zeiten des Leidens für mein Leben dankbar. • Ich bin dankbar für innere Ressourcen, die sich aus der Überwindung von schwierigen Momenten ausgebildet haben. • Ich bin dankbar für die Menschen in meinem Leben – auch für jene, die mir großen Schmerz zugefügt haben. • Ich bin dankbar, dass jede Krise auch eine Gelegenheit des Wachstums für mich bietet. • Auch für Tage, an denen alles schiefgegangen ist, kann ich Dank empfinden. Welchen dieser Aussagen können Sie zustimmen? Welchen nicht? Wie verändert sich Ihr Blick auf Ihr Dasein, wenn Sie sich mit diesen Aspekten auseinandersetzen?

Dankbarkeit ist übrigens nicht ein egotrophes, selbstzentriertes Feiern meiner Güter wie »mein Haus, meine Jacht, mein Pferd«. Ganz im Gegenteil gehören zu Dankbarkeit, wie sie Robert Emmons definiert, vor allem zwei Dinge: das Gute, Gelungene, Glückende im Leben anerkennen und die Quellen des Guten wahrnehmen, sprich: die Menschen, denen ich das Gute zu verdanken habe. In seiner Coronastudie konnte Emmons daher auch nachweisen, dass Menschen umso hilfsbereiter sind, je dankbarer sie sind. So ist Dankbarkeit nicht nur der schicke Halogenstrahler in guten Zeiten – sie ist auch ein wärmendes Licht in der Dunkelheit. Sinn sehen und säen Wozu waren frühere schwierige Phasen in Ihrem Leben oder in Ihrer Firma gut? Was ist das große Wozu Ihres Tuns und Seins, wer hat was von Ihren Angeboten, Produkten, Handlungen? Was ist Ihr persönlicher Beitrag oder der Ihrer Abteilung oder Ihrer Organisation zu einer – seien wir mal so pathetisch – besseren Welt? Mit Fragen wie diesen kommen Sie möglicherweise Ihrem Sinn auf die Spur, dem Wozu oder Wofür. »Wer ein Wofür zu leben hat, erträgt fast jedes Wie«: Diesen Satz hat Viktor Frankl zwar nicht erfunden, aber bekannt gemacht, jener jüdische Wiener Arzt und Therapeut, der fünf Konzentrationslager überlebte, seine ganze Familie an den Mordwahn der Nazis verlor, dem im Lager sein im Mantel verstecktes Buchmanuskript geraubt und zerstört wurde – und der all diesen unsagbaren Grausamkeiten und Abgründen des Lebens widerstand und im gesetzten Alter, trotz Höhenangst, noch das Bergführerpatent machte. Schon aufgrund seiner Biografie müssen wir uns vor Frankls Denken und Schreiben über den Sinn verneigen. Diese enorme Bedeutung des Wozu, die Frankl aus der nüchternen Beobachtung des Lageralltags und aus seiner persönlichen Erfahrung erschloss, konnte in den vergangenen Jahren mit empirischen Studien nachgewiesen werden.

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die oder der ist in der Pandemie weniger stark belastet, kann Nachbar*innen mehr unterstützen, hat eine bessere Stimmung. Die Umbrüche der Pandemie, Gefühle von Ungewissheit und Ohnmacht und die Be- und Einschränkungen vieler Tätigkeiten haben das Sinnerleben in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Gleichzeitig ist das Schöpfen von Sinn aus dem Erlebten ein weiterer Leitfaktor, um die Aussicht auf Wachstum und Zuversicht nach Krisen zu begünstigen.

Jarama / Shutterstock.com

Zum Beispiel hat die in Innsbruck und Oslo forschende Psychologin Tatjana Schnell mit ihrem Buch »Psychologie des Lebenssinns« (2020a) ein tiefgehendes und zugleich verständliches Werk vorgelegt, das Frankl sicher gut gefallen hätte. Schnell erforscht seit den ersten Lockdowns das Sinnerleben und Wohlbefinden in der Pandemie, ihr Schluss: Wer Sinn in seinem Leben sieht, wer sich also • sozial eingebunden fühlt, • mit seinem Leben Ziele verfolgt, • einen Beitrag zu leisten glaubt, • sein Leben als insgesamt stimmig, also kohärent erlebt,

Geteiltes Leid ist halbes Leid, das weiß der Volksmund. Die Forschung zu posttraumatischem Wachstum belegt, dass positive soziale Interaktionen und Beziehungen dazu beitragen können, dass Menschen aus Krisen gestärkt hervorgehen.

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7 0   C h r i s t i a n T h i e l e

Wirksame Wir-ologie Zu Ferienbeginn im Stau an der Brenner-Mautstation oder in der Fußgängerzone am Adventssamstag mag man dies eher bezweifeln – aber als Menschen sind wir ausgesprochene Gemeinschaftswesen! Einsamkeit macht uns so krank, dass die britische Regierung bereits vor Jahren ein eigenes Ministerium zur Bekämpfung der gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen von chronischer Einsamkeit gegründet hat.

Wie haben wir auf die sozialen Beschränkungen während der Pandemie reagiert? Wir haben VonBalkon-zu-Balkon-Konzerte wie in Italien abgehalten. Wir sind mit dem Wohnheimnachbarn oder der WG-Mitbewohnerin in einen familienähnlichen Zustand eingetreten. Wir haben Tablets für die Großmutter angeschafft und sie gelehrt, mit den Enkelkindern zu zoomen. Oder wir haben, wie in meinem Fall, einen Lesezirkel aus sechs Bekannten, jetzt Freunden, gegründet, in dem wir sonntags vor dem »Tatort« ein zuvor gelesenes Buch per Videokonferenz bereden. Dies

MEIN SOZIOGRAMM: ZU WEM ICH WIE STEHE(N WILL) Diese Übung kann dabei helfen, die Verbindungen zu wichtigen Mitmenschen zu klären. Sie brauchen dazu ein Blatt Papier, einen Stift und ca. 20 Minuten Zeit. • Zeichnen Sie einen Kreis, den Sie dann mit Linien in ungefähr gleich große Segmente halbieren, vierteln und dann achteln. • Schreiben Sie auf die Außenseite der acht Kreissegmente jeweils die Namen der für Sie besonders wichtigen Personen in Ihrem Leben, zum Beispiel Wanderfreunde, Personen aus Ihrer Familie oder aus dem Job. • Wenn Sie die acht Namen aufgeschrieben haben, machen Sie in der Mitte jedes Kreissegments eine Markierung (Kreuzchen, Stern, Herzchen oder Ähnliches) entsprechend der Nähe und Intensität des Kontakts, die Sie gerade empfinden: Je weiter innen am Kreiszentrum das Kreuzchen, desto »näher« fühlen Sie sich gerade der Person. Je weiter außen











am Rand, desto kühler, distanzierter oder gestörter ist das Verhältnis derzeit. Wenn Sie nun die Punkte zu einer Spinnengrafik verbinden: Was empfinden Sie dabei? Wie gut aufgehoben fühlen Sie sich gerade durch Ihre sozialen Kontakte? Gibt es Unwuchten? Entscheiden Sie sich für mindestens eine Person, mit der Sie heute noch in Kontakt treten wollen: Welche Möglichkeit der Verbindung gibt es? Das kann von der Sprach- oder Videonachricht über ein Dankeskärtchen bis hin zum Geschenk oder der Verabredung zu einer gemeinsamen Bergtour reichen. Gibt es auch Verbindungen, die Sie verflachen, verringern oder gar kappen möchten, weil sie Ihnen nicht gut tun? Was wäre ein Schritt in diese Richtung? Wiederholen Sie die Übung in ein, zwei Monaten. Vergleichen Sie beide Grafiken: Was hat sich verändert? Was ist gleich geblieben? Was sollte sich verändern?

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sind ein paar wenige Beispiele für die Kreativität, mit der wir Menschen unser Bedürfnis nach Nähe zu anderen Menschen stillen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, das weiß der Volksmund. Die Forschung zu posttraumatischem Wachstum belegt, dass positive soziale Interaktionen und Beziehungen dazu beitragen können, dass Menschen aus Krisen gestärkt hervorgehen. Vielleicht helfen Ihnen dabei Anregungen wie diese: • Wie kann ich dazu beitragen, dass verzweifelte, unsichere, trauernde Mitarbeitende nicht allein sein müssen mit ihrem Leid? • Welche Rituale – Check-In-Runden, CheckOuts, Spiele, Lunch-Verabredungen – können wir auch virtuell aufrechterhalten oder neu schaffen, um informellen Austausch und menschliches Miteinander zu ermöglichen? • Wie können ich und andere Führende, Lehrkräfte oder sonstige Verantwortliche Vertrauen stiften, Empathie vermitteln, Freundlichkeit und Respekt vorleben – oder auch einfach nur einmal miteinander lachen, Banales bereden? Was Sie vermeiden sollten Gras, das wissen wir alle, wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Was Sie also nicht tun sollten: Menschen in Not und Verzweiflung mit »toxischer Positivität« überfordern, ihnen auf Teufel komm raus in einem Zwangs-Hurra zu begegnen. Das verleugnet in deren Augen möglicherweise die Realität, denn die »Schs« des Lebens, um mit Schulz von Thun zu sprechen – der Schmerz, das Scheitern, die Schuld – gehören zur menschlichen Existenz dazu. Zu positives Denken und Reden kann Frustrationen, Rückschläge, Enttäuschungen, Verlust und Trauer nicht nur nicht aus unserem Leben entfernen, sondern es kann Menschen sogar noch einsamer und verzweifelter machen, wenn wir ihnen zu früh oder zu laut »Kopf hoch!« zurufen.

Vielleicht ist stattdessen der Vorschlag von Viktor Frankl gar nicht so schlecht, sich gerade in schwierigen Zeiten an dem zu versuchen, was er »tragischen Optimismus« nennt: »irgendwie muss es eigentlich auch noch angesichts der tragischen Aspekte unseres Daseins die Möglichkeit geben, (…) das Beste daraus zu machen; das Beste jedoch heißt auf lateinisch das Optimum und jetzt verstehen Sie, wie ich auf den Ausdruck tragischer Optimismus gekommen bin« (Frankl 1983). Machen Sie also das in Ihrem Sinne Beste draus – es muss nicht das Schnellste oder Schönste sein. Viel Erfolg und Freude dabei! Christian Thiele beschäftigt sich als Coach, Trainer und Speaker mit Positiver Psychologie und Positive Leadership. Er arbeitet für kleinere und größere Organisationen im In- und Ausland. Er gehört zum Trainerteam der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. Leidenschaftlicher, aber untalentierter Kletterer, begeisterter Skitourengeher, (meist) zuversichtlicher Patchwork-Vater; er lebt in Garmisch-Partenkirchen. Weitere Informationen unter po�sitiv-fuehren.com. Kontakt: [email protected] Literatur Frankl, V. (1983). Argumente für einen tragischen Optimismus. CD. Müllheim-Baden. Frankl, V. (2017). Wer ein Warum zu leben hat. Lebenssinn und Resilienz. Weinheim. Fredrickson, B. (2011). Die Macht der guten Gefühle. Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Frankfurt a. M. Jans-Beken, L.; Wong, P. (2019). Existential Gratitude Scale. https://lilianjansbeken.nl/artikelen/Existential%20Gratitude%20Scale%20(EGS).pdf Mangelsdorf, J. (2020). Posttraumatisches Wachstum. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, 19,  S. 21– 33. Schnell, T. (2020a). Psychologie des Lebenssinns. 2., überarb. und erw. Auflage. Berlin. Schnell, T. (2020b). Sinnerleben und Wohlergehen in Zeiten von COVID-19. https://www.sinnforschung.org/archive/ 3302. Schulz von Thun, F. (2021). Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee. München. Thiele, C. (2021). Positiv führen. Stärken erkennen und nutzen. Stuttgart. Thiele, C. (2021). Positiv führen für Dummies. Weinheim. Watkins, P.; Emmons, R.; Amador T.; Gromfin, D.; Fre­de­ rick, M. (2021). Growth of gratitude in times of trouble: Gratitude in the pandemic. Conference: International Positive Psychology World Congress.

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Zuversicht »We serve«: Dienst am Nächsten der LIONS

Thomas Jakubowski »Dienst am Nächsten« hört sich erst einmal sehr christlich an und ist es auch. Demgemäß kann ich auch keinen Widerspruch zwischen meinem Glauben, meinem Dienst als evangelischer Pfarrer und meinem ehrenamtlichen Engagement bei LIONS feststellen. Der Dienst am Nächsten verbindet diese beiden Lebensfelder. Es geht nicht um die Unterschiede in Kultur, Religion, Sprache und Klimazone, sondern um die Motivation des Dienstes am und für den Nächsten. Als Zwischenbemerkung sei darauf hingewiesen, dass natürlich meine persönliche Glaubenszuversicht die Basis meines Handelns für andere ist und bleibt. Hier geht es jedoch nicht um mich und die vielen Christ*innen und Pfarrer*innen unter den mehr als 1,4 Millionen LIONs weltweit, sondern um das Geheimnis des Erfolgs dieser Organisation, die es seit mehr als hundert Jahren gibt. Visionen mit Zuversicht Das Thema Zuversicht spielte bei der Gründung des Lions Clubs International eine große Rolle. Melvin Jones, ein Versicherungsmakler in Chicago, wurde geleitet von der Zuversicht, dass sich die Welt ändern könne, wenn Menschen sich zum Wohle anderer engagieren. Seine Vision – die ohne Zuversicht in ein Gelingen keine Gestalt hätte werden können – führte am 7. Juni 1917 zur Gründung dieser weltweiten Organisation. Im Laufe der Organisationsgeschichte gibt es viele Beispiele und Vorbilder für Zuversicht, auf die ich hier nur kurz eingehen kann. Besonders beeindruckt hat mich Helen Keller, die im Jahr 1925 eine Rede aus tiefer Überzeugung hielt, von der Zuversicht geleitet, dass die LIONS bei

ihrem Projekt »Kampf gegen die Dunkelheit« mitmachen werden. Seit dieser Zeit setzen sich die LIONS zusammen mit der Christoffel-Blindenmission für die Bekämpfung der der Blindheit ein. Helen Keller, blind und taub, hat seit 1925 viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewonnen. Im Jahr 1971 wurde der 1. Juni zum »Helen-­KellerTag« erklärt. Jedes Jahr werden an diesem Tag weitere Projekte gestartet. Helen Keller hat vor fast hundert Jahren den Anstoß gegeben und bis heute werden von LIONS Operationen finanziert, Schulen für Blinde gebaut und medizinische Aufklärung betrieben. Alles dies, weil Helen Keller damals die Herzen für den Dienst am Nächsten in nah und fern geöffnet hat. Sie hat beharrlich, immer geführt von Vertrauen und Zuversicht in ihre Vision, insistiert, genervt, geworben, bis das Projekt als »Sight first« ein Selbstläufer wurde. Ein eher modernes Beispiel für den Dienst der LIONS ist der PAUL (Portable Aqua Unit for Lifesaving). Dieser Wasserfilter, der ohne Chemie, ohne Strom und ohne Kraftstoff auskommt, kann viele Jahre Menschen vor Krankheiten schützen, die durch verunreinigtes Wasser entstehen. Nebenbei können durch die Stationierung eines solchen Wasserfilters neben einer Schule die Bildungschancen verbessert und weite Wege zu sauberem Wasser überflüssig werden. An einer Universität in Deutschland entwickelt und mittlerweile weltweit exportiert, macht der PAUL auf die Wichtigkeit von Wasser aufmerksam. Kopf und Hand haben dafür gesorgt, dass andere Menschen lebenspendendes Wasser erhalten. Mittlerweile gibt es weitere Projekte für Brunnen, Solarbrunnen, Wasserbehälter. All diese Projekte sind Unterstützungsmaßnahmen, damit Men-

Glasmalerei in der Kathedrale Saint-Pierre, Beauvais (Frankreich), 16. Jh. / akg-images

7 4   T h o m a s J a k u b o w s k i

schen in Not sich selbstbestimmt und selbst helfen können. Es werden Hilfen zur Selbsthilfe gegeben. Mit Verstand, Mut und Zuversicht haben LIONS hierdurch einen Anstoß gegeben, damit Hilfe überflüssig wird. Diese Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensumstände vor Ort trägt viele Aktionen im Kern. Sofortige Hilfe für Notleidende Ein besonderes Kennzeichen der LIONS ist die schnelle Hilfe in Krisen und bei Katastrophen. Die Betonung liegt dabei auf schnell. Seit meiner Mitgliedschaft bei LIONs habe ich viele Spendenaufrufe erlebt, die sofort umgesetzt werden konnten: das Erdbeben in Haiti, die verheerende Explosion in Beirut und die Flutkatastrophe in Deutschland. In nah und fern werden bei diesen Krisen unbürokratisch und spontan Geldund Sachspenden direkt vor Ort oder durch zuverlässige Partnerorganisationen verteilt. Und gleichzeitig packen LIONS auch da mit an, wo es Not-wendend sein kann. Bei diesen Aktionen wird nicht das schlechte Gewissen entlastet, sondern die Sorge für den notleidenden Menschen bestimmt das Handeln. Wo es geht, werden Begegnungen organisiert und Menschen vor Ort besucht, wobei die anfallenden Kosten selbstverständlich nicht aus Spendengeldern finanziert, sondern privat getragen werden. Alles im Einsatz für den Nächsten, der Not leidet. Von Dankbarkeit getragen Die Herzen können nur geöffnet werden, der Kopf und die Hand können nur eingesetzt werden und der Geldbeutel nur geöffnet werden, wenn alles andere stimmt. Im Inneren haben die LIONS die feste Zuversicht, dass ihre Hilfe wirkt. Und es wird sehr viel dafür getan, dass der Erfolg der Hilfe zur Selbsthilfe überprüft wird. Dennoch bleibt die Frage, warum Menschen dies tun. Biblischchristlich-kirchlich können dafür viele Gründe angeführt werden, die aber hier nichts zur Sa-

che beitragen. Bei den LIONS hat dies im Prinzip einen Grund: Dankbarkeit. Den LIONS Mitgliedern geht es überwiegend ganz gut und auch finanziell meist sehr gut. Aus dieser Situation ist der Dienst am Nächsten ein Dank dafür, dass es das Schicksal, das Leben gut mit einem meint. Ein Teil des persönlichen Erfolgs wird dafür eingesetzt, dass es auch anderen Menschen besser beziehungsweise gut gehen kann. Kurz gesagt: Gemeinsam geht es besser. Dahinter steht ein positives Menschenbild, in dem Menschen zur Selbsthilfe befähigt werden. Und wer Pech hatte im Leben durch Krankheit, Behinderung, Krisen, Kriege oder Naturkatastrophen, der bekommt von dem Glück der anderen etwas ab. Nicht damit der Glückliche damit angeben kann, sondern damit die Welt durch den Dienst am Nächsten besser wird. LIONS helfen anderen Menschen in nah und fern aus der tiefen Zuversicht, dass ihre Hilfe andere Menschen glücklich machen kann und damit die Folgen von Unglück gemildert werden. Anderen Menschen zu helfen sind Wohlfühlmomente: So beschreibt es Douglas X. Alexander in der Erinnerung an seine Kindheit. Er hat Menschen geholfen, die Einkaufstüten nach Hause zu tragen. Aus dieser Erfahrung heraus will er als Weltpräsident LIONS 2021/2022 führen, wie er sein Leben geführt hat: mit Mut und Freundlichkeit. Direkt aus seinem Herzen. So sind die LIONS. Männer und Frauen, die aus dem Herzen heraus helfen, gern, mit Zuversicht und Mut. Thomas Jakubowski, Evangelischer Pfarrer, Behindertenseelsorger, Inklusionsbeauftragter, Coach, Vorsitzender des Personalrats (Pfarrerinnen und Pfarrer in der Ev. Kirche der Pfalz), Schwerbehindertenvertreter. Er ist Mitglied im LIONS Club Schifferstadt Goldener Hut und Landesbeauftragter der KLASSE2000 sowie Bundesbeauftragter für den Jugendbotschafter (LYA). Kontakt: [email protected] Anmerkung 1

LION, Offizielles Magazin von LIONS Clubs International, S. 58 f.

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Was geht, wenn nichts mehr geht Chris Paul Ich begleite eine Freundin zu einer Untersuchung mit ungewissem Ausgang. Wir sitzen im Wartebereich und warten schon ziemlich lange auf die Ärztin. Ich fühle die Hilflosigkeit mit jeder Minute belastender. »Was geht, wenn nichts mehr geht« – kommt mir die selbstgewählte Überschrift dieses Artikels in den Sinn. Und ich denke frustriert: »Dann geht nichts!« Im nächsten Augenblick bemerke ich, was ich unwillkürlich getan habe – meine Hand hält schon eine ganze Weile die Hand meiner Freundin. Auch ihr Blick fällt jetzt auf unsere Hände, sie dreht sich zu mir und zwinkert, wir grinsen beide ganz kurz. Das geht also, wenn nichts mehr geht. Wenn auch der Notfallkoffer nicht mehr hilft In Seminaren für Suizidhinterbliebene, die ich mit einem Team von Kolleg*innen seit vielen Jahren mit den Verein »AGUS e. V.« anbiete, nutzen wir verschiedenen Methoden, um Ressourcen immer wieder spürbar zu machen. Einer dieser methodischen Zugänge ist der »Notfallkoffer« aus der Trauma- und Stressbewältigung. Man kann tatsächlich einen »Koffer« oder eine Schachtel packen mit Dingen, die beruhigen, trösten und weiterhelfen. In der Regel wird aber eine Vorlage mit Impulsfragen ausgefüllt: »Was mich beruhigt«; »Menschen, die ich anrufen kann«; »Was in anderen Krisen geholfen hat« sind einige dieser Impulsfragen (Paul 2021, S. 137). Die ausgefüllte Liste der unterstützenden Dinge kann an eine gut sichtbare Stelle in der eigenen Wohnung geheftet werden, oder auch noch einmal ganz klein abgeschrieben, damit sie in die Geldbörse oder

Hosentasche passt, wenn es gerade eine sehr krisenhafte Zeit ist. Im Gespräch mit den Teilnehmenden hörten wir immer wieder, dass so eine Liste ja ganz schön sei – aber! Das Aber bezog sich auf die Situationen, in denen es keinen vernunftgesteuerten Zugang mehr zu solch einer Liste gibt, in der die Verzweiflung und Einsamkeit so groß geworden sind, dass Vorschläge von der Liste nicht mehr umsetzbar sind. Situationen, in denen zum Beispiel der Griff zum Telefon einfach nicht mehr möglich ist, weil tiefe Scham über die eigene Krise und ein umfassendes Bewusstsein von »mir kann niemand helfen« das verhindern. Auch der garantiert wohltuende Tee oder die vertraute Entspannungsmusik wirken in der tiefsten Krise zu lächerlich, um angewendet zu werden, und manchmal ist der Körper so verkrampft, dass er sich einfach nicht in die gewünschte Richtung bewegen kann. Das, so benannten es unsere Teilnehmenden, sind die Situationen, in den wir etwas brauchen. So entstand die Frage nach dem, was geht, wenn alles, was sonst hilft, nicht mehr geht. Kleine Eisbrecher entdecken Der Blick auf das ganz Kleine und das völlig Unspektakuläre, sogar fast Peinliche ist ein guter Weg hin zum Machbaren in der ausgelieferten Situation. Die zweite Komponente ist ein ganzheitlicher Blick auf den Menschen mit seinen körperlichen und seinen kognitiv-emotionalen Anteilen. In der Trauerbegleitung erlebe ich, dass Schmerz und Verzweiflung in bestimmten Momenten als allesverschlingend erlebt werden können – dann bietet (nur?) der Körper die minimalen Auswege, nach denen wir hier suchen. Etwa die Faust ballen,

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Meine Freundin muss wieder ins MRT. Stillliegen trotz der Schmerzen. Sie sagt: »Ich stell mir immer vor, ich bin in einem Bergwerk mit lauter kleinen Heinzelmännchen, die bauen da die unterschiedlichsten tollen Rohstoffe ab. Und manche haben keine Lust zu arbeiten und ich sehe denen zu, wie sie sich verstecken. Und es gibt es auch Stimmengewirr, aber das höre ich nicht so richtig wegen dem ganzen Geklopfe.« Was geht, wenn mit dem Körper nichts mehr geht, ist Fantasieren. Der menschliche Geist kann auf Reisen gehen: »Die Gedanken sind frei.« Das laute Heinzelmännchen-Bergwerk hat sich meine Freundin von ganz allein ausgedacht. Menschen tun so etwas, wenn sie sich physisch nicht raus-

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sich kneifen, sich umdrehen, mit den Augenlidern klimpern, einen Ton machen (Seufzen, Stöhnen) kann »den Bann brechen« und den Weg frei machen für die nächste, etwas größere Aktion zur Ressourcenwahrnehmung. Über einige Stationen hinweg kann die Reaktionskette so schließlich zum Beispiel bei dem Telefonat mit einer Vertrauensperson landen oder beim Schaumbad mit Tee und dem Tagebucheintrag. Es geht in solchen Situationen emotionaler und gedanklicher Überflutung um die »Eisbrecher«, die das Selbst und den Moment wieder erlebbar machen. Was dabei entsteht, ist nicht automatisch eine zuversichtliche Grundhaltung oder gar ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft. Doch es bereitet den Boden dafür, auch längere Zeitabschnitte in den Blick zu nehmen, ohne zu verzweifeln.

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bewegen können aus einer Situation, die Leid und Schmerz bringt. Viele Therapieformen nutzen diese Fähigkeit, sich zu distanzieren und Dinge umzudeuten. Meine Freundin setzt darüber hinaus den Humor ein: Die faulen Heinzelmännchen und ihr Versteckspiel bringen sie zum Lachen; das übermächtige medizinische Gerät, dem sie ausgeliefert ist, wird so verkleinert. Die Angst, die dem Ausgeliefertsein folgt, wird unterlaufen durch die Erheiterung, der Körper entspannt sich. Wenn die Situation vorbei ist, wird weniger Schock da sein. Ein großer Vorteil. Als meine Freundin aus dem MRT kommt erzählt sie: »Es gibt was Neues. Die haben jetzt bei jeder Sequenz angesagt, wie lange sie dauert, also der nächste Durchlauf hat eine Minute oder drei.« Das hat sie als beruhigend empfunden. Es war so leichter für sie gewesen, still zu liegen, nichts zu tun, auszuhalten. Gemacht haben das die Menschen, die die Maschine bedienen und die Untersuchung durchführen. Diese Helfenden, die gar nichts tun können, als die Patient*innen in die Röhre hineinzuschieben, weil sie für eine Diagnosestellung nötig ist, diese Helfenden haben herausgefunden, was sie noch tun können. Sie können besser kommunizieren. Sie können sich hörbar machen und noch in der Röhre spürbar in Kontakt bleiben. Und sie können mehr Informationen als bisher geben. Denn Informiertsein mindert das Bewusstsein von Ausgeliefertsein. Das geht also auch, wenn jemand dachte, dass nichts mehr geht. Es kann ein Hin und Her entstehen zwischen Körper und Geist, zwischen Bewusstsein und Abspaltung, zwischen Moment und Vergangenheit. Dieser Kreislauf setzt jeweils an der Stelle an, wo Hilflosigkeit und subjektive Ohnmacht gerade starkes Leid erzeugen. Von dort aus pendelt der Mensch selbst – oder von außen dazu angeregt – zu einem der anderen Punkte. Der schlichte Richtungswechsel zeigt, dass etwas geht, wenn eigentlich nichts mehr geht: den Körper einbeziehen. Den Verstand mit all seinen Funktionen aktivieren. Die Fantasie nutzen.

Zuallererst: in Kontakt gehen Aus der Sicht der Unterstützer*in eines Menschen, für den subjektiv »nichts mehr geht«, muss der Kontakt an allererster Stelle stehen, bevor etwas anderes angeregt werden kann. Ein Kontaktangebot voller Geduld und Anerkennung. Ein »sich dem aussetzen«, dass jemand nicht weiterweiß und wütend darüber ist. Ein Aushalten des Widerspruchs zwischen dem Wunsch nach einem kleinen Schritt und dem »ich kann nicht« beim Gegenüber. Abstand von schnellen Lösungen und trotzdem Ideen im Hinterkopf. Die Bereitschaft, erst mal selbst die Füße auf den Boden zu stellen und den Atem zu vertiefen, bevor ich das meinem Gegenüber als ersten kleinen Schritt anbiete. Denn auch für Unterstützende gilt: den Körper einbeziehen, das Denken wertschätzen, Fantasie und Humor nutzen, allerkleinste Schritte akzeptieren, Kontakt zu mir selbst – zu einer höheren Macht – zu anderen Lebewesen – zur Natur: wenigstens ein Punkt davon geht, wenn alles andere nicht mehr geht. Darauf zu vertrauen, das ist vielleicht (m)eine Form von Zuversicht. Chris Paul ist Soziale Verhaltens­wis­ senschaftlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Trauerberatung. Als Trainerin und Fachbuchautorin setzt sie sich seit über 20 Jahren für die angemessene Begleitung von © Ananda Dahms trauernden Menschen ein. Sie ist eine der renommiertesten Trauerbegleiterinnen Deutschlands. Sie ist Leiterin des TrauerInstituts Deutschland und der Online-­ Akademie FacettenReich. Kontakt: [email protected] Website: www.trauerinstitut.de Literatur Croos-Müller, C. (2018). Kopf hoch – das kleine Überlebens­ buch. München. Croos-Müller, C.: body2brain (kostenlose App). Paul, C. (2021). Ich lebe mit meiner Trauer. Das Kaleidoskop des Trauerns für Trauernde. Gütersloh. Websites Verschiedene Stabilisierungsübungen zum Download: www.trauerkaleidoskop.de Inspiration für Humor in schweren Lebenslagen: www.aphrodite-clownin.de

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Zuversicht – im Leben wie im Film Billy Elliot – I Will Dance

Otto Teischel

Szenenfoto Billy Elliot © Working Title c/o Allstar Pictures

be an die Kunst zu sich selbst befreien kann und dadurch Schönheit und Zuversicht in die Welt zu bringen vermag.

Billy Elliot – I Will Dance Die Entwicklungsgeschichte eines elfjährigen Jungen aus der englischen Arbeiterklasse, dem es gelingt, seinen Traum vom Balletttänzer wahrzumachen – allen Widerständen und der Perspektivlosigkeit seiner Familie zum Trotz. Mit der Unterstützung einer Tanzlehrerin, die sein Talent erkennt und sich gegenüber Vater und Bruder für ihn einsetzt, gelingt es Billy, sich den Glauben an die eigene Bestimmung zu bewahren und seinen Weg zu gehen. Zuletzt, bei seiner großen Premiere in London, hat er seinen Angehörigen im Theater ebenso wie dem Publikum im Kinosaal bewiesen, dass der Glau-

In all den Jahren, da ich mittlerweile in ganz unterschiedlichen therapeutischen Settings sowie bei Vorträgen und Seminaren mit dem Medium Film arbeite, gibt es ein Werk, das für mich zu einem Musterbeispiel für die ungeheuer tiefgreifend und potenziell lebensverändernde Kraft der Filmkunst geworden ist: Billy Elliot von Stephen Daldry, nach dem Drehbuch von Lee Hall (Großbritannien, 2000). Dieser Film berührt sein Publikum überaus lebensnah, ergreift einen geradezu körperlich und kann eigene, längst vergessene Träume und Gefühle wieder wachrufen. Dabei inszeniert der Film die inneren und äußeren Konflikte der Protagonisten so anrührend, stimmig und leidenschaftlich, dass sich an der unglaublichen Wirkung dieser Geschichte wieder einmal überdeutlich zeigt: allein die Wahrhaftigkeit eines Kunstwerks macht dessen Glaubwürdigkeit aus. Dafür bedarf es keiner fantastischen, effektvollen, spektakulären Storys oder Schauplätze, die uns auf möglichst spannende oder verblüffende Art unterhalten. Um Menschen zu erreichen, kann eine ganz einfache, unspektakuläre Geschichte erzählt werden, die sich irgendwo auf der Welt zwischen wenigen Einzelnen schicksalhaft abspielt und deren konkreter Alltag einfühlsam nachvollziehbar ist. Wir teilen die Sorgen und Freuden wahrhaftiger Menschen, ihre Sehnsucht und ihre Verzweiflung, ihren Wunsch, als sie selbst beachtet zu werden, und ihre Angst vor einem endgültigen Scheitern.

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Wir erkennen uns wieder in den existenziellen Ereignissen und Konflikten, wie sie sich im Leben jedes einzelnen Menschen ereignen können und auf ganz eigene, individuelle Weise bewältigt werden müssen. Wir fühlen mit den persönlichen Überlebensstrategien und schöpferischen Antworten der Protagonisten in einer glaubwürdig erzählten Filmgeschichte und erleben hautnah, wie sich deren eigentliche Potenziale oft erst durch existenzielle Krisen und Erschütterungen in ihrem Leben zu entwickeln beginnen. Die Freiheit, sich zu entscheiden und seinen eigenen Weg zu gehen – trotz widriger Lebensverhältnisse und mangelnder Unterstützung –, ist die schicksalhafte Herausforderung für jeden einzelnen Menschen. Und die Protagonisten eines Films, die uns womöglich mit gutem Beispiel vorangehen, können Zuversicht ausstrahlen und dazu ermutigen, es ihnen gleichzutun. Zuversicht braucht einen »wissenden Zeugen« Eine zentrale Botschaft, die Billy Elliot seinem Publikum überaus glaubwürdig vermittelt, ist die von der Notwendigkeit wenigstens einer helfenden, liebevoll zugewandten Person, die jeder Mensch im Leben braucht. Die ihn nicht nur wirklich wahrnimmt und an seine Potenziale glaubt, sondern die auch um die Widrigkeiten und inneren Konflikte im Alltag dieses Menschen weiß, ihn mit seinen Sorgen und Nöten bedingungslos annimmt und treu zur Seite steht. Erst dadurch bekommt seine Zuversicht stabilen Halt und kann sich sein Selbstvertrauen zu entfalten beginnen. Alice Miller nannte diese unterstützend wirkende Person den »wissenden Zeugen« im Leben eines Menschen (Miller 1988, S. 214 ff.). Billy findet sie im Film vor allem durch die Tanzlehrerin Mrs. Wilkinson, die sein Talent auf den ersten Blick schon erkennt, ihn zu sich ermutigt und begleitet – auch gegen den Widerstand seiner Familie. Außerdem trägt Billy den Glauben seiner früh verstorbenen Mutter an ihn tief in sei-

nem Herzen. Sie hat ihm einen Brief hinterlassen, den er eigentlich erst zu seinem 18. Geburtstag lesen sollte. Doch Billy hat ihn gleich nach ihrem Tod geöffnet und kann ihn längst auswendig. Mrs. Wilkinson liest diesen Brief in einer dramaturgisch entscheidenden Szene des Films laut vor (auch für das Publikum), wodurch sich ein vertrauensvolles Band in Billys Vergangenheit knüpft. Als könne er in diesem Moment die mitfühlende Person der Lehrerin wie einen rettenden Engel erleben, den ihm seine Mutter geschickt hat. Diese Szene vor dem ersten gemeinsamen Tanztraining in der Turnhalle ist zu Beginn in ein weiches blauweißes Gegenlicht getaucht, das eine magische Atmosphäre erzeugt. Und einen Moment lang erscheint es so – auch weil Billy schließlich den Wortlaut des Briefes mit der Lehrerin gemeinsam zitiert –, als ob sich beide Frauen gemeinsam für Billy wünschen, dass er sich mit all seiner Kraft und Zuversicht für den eigenen Weg zu entscheiden getraut. »An meinen Sohn Billy« Lieber Billy, ich weiß, dass ich für Dich nur eine entfernte Erinnerung bin, was vermutlich ganz gut ist. Es ist viel Zeit vergangen, und ich habe nicht gesehen, wie Du aufwächst, wie Du weinst und lachst und schreist. Ich konnte Dir nicht helfen, aber bitte glaub mir, ich war immer da, bei Dir, zu jeder Zeit, und ich werde es immer sein. Und ich bin stolz darauf, Dich gekannt zu haben, und darauf, dass Du mein Junge warst. Bleibe stets Du selbst. Ich liebe Dich für immer. Mom. Billy und Mrs. Wilkinson brauchen sich durchaus gegenseitig. Denn durch ihre gemeinsame Leidenschaft für das Tanzen und die Ernsthaftigkeit, mit der Billy nach seinem anfänglichen Misstrauen schließlich sein Training aufnimmt, erwachen auch die Lebensgeister der Lehrerin wieder.

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Durch ihre unglückliche Ehe und den tristen Alltag in der Provinz drohte sie zunehmend in Depression zu versinken. Das einfühlsame Drehbuch vermittelt das leidvolle und konfliktträchtige Handlungsgeschehen einer gesellschaftlichen Epoche an einem realen Ort zwischen bestimmten Charakteren wie ein archetypisches Szenario für das dynamische Zusammenwirken äußerer und innerer schicksalhafter Faktoren. Leidenschaft und Entschlossenheit – Potenziale der Zuversicht Weil die Filmerzählung die unterschiedlichen Existenzängste, Wünsche und Hoffnungen aller Protagonisten so glaubhaft einfühlsam vermittelt, lässt sie allen Beteiligten ihre Würde und vermittelt so nur noch eindringlicher, welcher zuversichtlichen und liebevollen Energie es in der Tat bedarf, um die Verhältnisse zum Guten zu wenden. Wir spüren die unbändige Leidenschaft Billys für das Tanzen und sind dankbar für die unbeirrbare Entschlossenheit von Mrs. Wilkinson, die an sein Talent glaubt. Wir nehmen die Verlorenheit seines schüchternen Freundes Michael wahr, der in Billy verliebt ist – und erleben mit, wie diese beiden füreinander zu »wissenden Zeugen« ihrer familiären Unterdrückung werden. Wir können die wütende Empörung des Bruders Tony nachvollziehen, der die Ohnmacht dieser kleinen Familie nicht länger erträgt und in ihr das Kommando übernehmen will. Und wir fühlen zunehmend sogar mit Billys autoritärem Va-

Szenenfoto Billy Elliot © Working Title c/o Allstar Pictures

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Mrs. Wilkinson erkennt Billys Talent gleich auf den ersten Blick

ter, der zwischen Liebe und verzweifelter Sorge hin und her gerissenen ist – tief verunsichert von der Not seiner Familie und den Erschütterungen seines traditionellen Weltbildes. Am Ende lässt er sich doch von Billys Freiheitsdrang überzeugen und verkauft sogar den Hochzeitsschmuck seiner verstorbenen Frau, um Billy die Tanzausbildung finanzieren zu können. Zweimal wird im Film ausdrücklich betont, dass Billys Mutter seinen Weg auf jeden Fall unterstützt hätte. »Mom hätte mich gelassen«, sagt Billy voller Wehmut zum Vater – und eines Nachts spricht es auch Tony gegenüber seinem Bruder offen aus: »Mom hätte dich gelassen.« Die Tanzlehrerin übernimmt schließlich die nicht mehr mögliche mütterliche Fürsprache an offizieller Stelle. Für die Kommission der Königlichen Ballettschule, die nach Billys Vortanzen über seine Aufnahme entscheidet, hat Mrs. Wilkinson ihrerseits einen langen enthusiastischen Brief verfasst, in dem sie auch die schwierigen Lebensverhältnisse der Familie Elliot beschreibt. Doch zuletzt sind es Billys eigene Entschlossenheit und sein außergewöhnliches Talent, womit er alle überzeugt. Das letzte Drittel des Films wird schließlich zu einer Art Bündelung aller zuvor auseinanderdriftenden, gegensätzlichen Energien in eine – nämlich Billys – Richtung, dessen Entwicklung schließlich auch alle anderen Menschen seiner Umgebung zu sich selbst ermutigt. In solidarischer Verbundenheit mit diesem begabten Jungen, der einer von ihnen ist und den sie am Ende – jeder auf die ihm mögliche Weise – alle gemeinsam unterstützt haben werden, seinen eigenen künstlerischen Weg zu gehen, fin-

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Zuletzt über­zeugt Billys große Leidenschaft auch den Vater

det nicht nur jeder in Billys Umgebung, sondern potenziell auch jeder Zuschauer, jede Zuschauerin im Kinosaal neu und verändert zu sich selbst. Wie tiefgreifend übertragbar und universell gültig diese Filmerzählung auf Menschen unterschiedlicher Herkunft und denkbar schwieriger, leidvoller Lebensumstände zu wirken vermag, sei hier abschließend noch mit vier ausgewählten Gedächtnisprotokollen aus den filmtherapeutischen Patientengruppen der Reha-Klinik für Seelische Gesundheit (Klagenfurt) aufgezeigt. Gerade mit Billy Elliot ist es immer wieder gelungen, trotz der im Film unübersehbaren existenziellen Widrigkeiten und verhängnisvollen Lebensumstände, eine heilsam wirkende, Zuversicht verbreitende Grundstimmung wachzurufen. Aus den Tränen der Wehmut, dass Billy seine Angehörigen und seine Heimat verlässt, werden am Ende Tränen der Mitfreude darüber, dass es einem Menschen wahrhaftig gelingen kann, sein Leben zu verändern und seinen ureigenen selbstbestimmten Weg Richtung Freiheit zu gehen. Zum Künstler des eigenen Lebens zu werden.

nicht durfte – seinerzeit wurden junge Tänzerinnen ermordet! –, doch sie hat bei uns im Haus wieder Freude an der Bewegung erlebt und wieder zu Tanzen begonnen. Frau St. bewundert Billy, dass er gegen alle Widerstände seiner Sehnsucht treu bleibt. Frau S. findet die Wandlung des Vaters besonders erstaunlich, der sich von seinem Sohn überzeugen lässt. Frau A. ist überwältigt von der Kraft des Films und will ihn sich noch heute bestellen. Herr K. sieht, wie Frau W., die Unterstützung durch die Lehrerin als entscheidend an. Wir brauchen im richtigen Moment jemanden, der an uns glaubt und uns unterstützt – wie auch Billys Mutter aus der Ferne, die immer wollte, dass er sich selbst treu bleibt –, doch auch der eigene unbezwingbare Wille ist entscheidend, damit etwas Großes entsteht. Herr K. fand besonders die Schlussszene ergreifend, die zeigt, dass Billy über die Jahre seinem Ziel gefolgt ist und seinen Traum wahrgemacht hat. Auch wir können uns heute noch Träume erfüllen, es geht nicht um Perfektion, sondern um das bloße Tun des für uns Richtigen! (11.06.2007)

Wirkungen des Films

Eine lebendige Diskussion über die Heilkraft unserer Träume und Visionen und die Frage, wie wir es schaffen können, ihnen treu zu bleiben und sie in die Tat umzusetzen. Bewegend ist, dass Billy es mit seinem Willen und Talent vermag, seinen Vater von sich zu überzeugen (Herr C.), und dieser dann tatsächlich seine Meinung ändert. Obwohl er keine Offenheit gelernt hat und womöglich selbst seine Träume aufgeben musste, wächst der Vater über sich hinaus, glaubt an seinen Sohn und unterstützt ihn (Frau E.). Gibt es einen richtigen Zeitpunkt für

Billy Elliot wird einhellig von allen als sehr wohltuender und Hoffnung schenkender Film erlebt, der nicht nur an die eigenen Kämpfe der Jugendzeit erinnert, sondern vor allem auch die Lebensfreude wachruft und Zeugnis ablegt von der Kraft des Einzelnen und menschlicher Solidarität, die alles vermag. Frau W. fühlt sich an ihre eigene Kindheit erinnert, da sie Balletttänzerin werden wollte und wegen eines schicksalhaften Zusammentreffens

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Szenenfoto Billy Elliot © Working Title c/o Allstar Pictures

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die Verwirklichung eines Talents (fragt Frau K.), wäre Billy auch später noch in der Lage gewesen, seine Träume wieder auszugraben? Künstlerische Talente müssen gewiss möglichst früh gefördert werden, doch es hätte sicher einen Weg gegeben, wenn Billy den starken Wunsch aufrichtig empfunden hätte, diesem auch später noch gerecht zu werden. Aber mit einem Menschen, der an einen glaubt und einen fördert, ist es leichter. Obwohl ­Billy auch mit der Lehrerin zunächst seine Probleme hat. Auch der Brief der Mutter ist eine starke Kraft (Frau O.), ihr Glaube an den Sohn muss schon früh für ihn spürbar gewesen sein. Ein Talent ist auch Verpflichtung und will verwirklicht sein, der Zeitpunkt dafür ist nicht entscheidend, sondern die Erkenntnis der Notwendigkeit. Frau E. fällt auf, dass der Film konsequent endet, als Billy tänzerisch vom Boden abhebt – Tanzen hatte er bei der Prüfung als »Fliegen können« bezeichnet … (20.08.2007) Auch diesmal wird die Geschichte keineswegs als Märchen erlebt, sondern als sehr realistisch empfunden: der Kampf mit den Umständen und gegen die Bevormundungen durch die Eltern, die den Kindern ihren Lebensweg vorschreiben wollen. Auch heute noch ist eine solche Haltung sehr verbreitet, Kinder werden oft gar nicht gefragt und erhalten gar nicht erst die Chance, Talente zu entdecken und zu erproben. Ein Studium koste nur Zeit und Geld, Mädchen heiraten sowieso eines Tages, der Älteste habe den Hof zu übernehmen etc. Dabei sollten Kinder spielerisch herausfinden können, was ihnen Freude bereitet. Wenn man sie nur ließe und sichtbare Zeichen unterstützend aufgreifen würde – wahrnehmen, was da ist –, könnte sich wahres Talent entfalten. Frau E. glaubt, Billy hatte so viel Kraft und Leidenschaft, dass er einfach beim Tanz landen musste; auch Frau K. erlebt die Geschichte als einen Triumph des Willens; doch die meisten haben sehr wohl ihre Bedenken, ob Billy es ohne Unterstützung geschafft hätte. Vor allem auch der Brief der Mutter, den er wie einen Schatz mit sich herumträgt, zeigt, dass jemand

wirklich fest an ihn geglaubt hat und schon früh in seinem Willen bestärkte, sich nichts gefallen zu lassen; sein Trotz und Widerstand haben Frau G. besonders imponiert, und durch die Lehrerin bekommt B ­ illy zusätzlich die entscheidende Bestärkung. Zuletzt überzeugt er alle mit seinem Talent. Follow your dreams … (17.03.2008) Wieder eine andere Diskussion, und wie so oft wird ein Schwerpunkt bereits mit den ersten Assoziationen gesetzt. Alle empfinden den Film als realistisch, aber Herr H. wirft ein, dass es ohne Unterstützung niemals gelingen kann, sich zu befreien. Frau E. bemerkt nach einer Weile zu Recht, dass die Härte der »Familienoberhäupter« nur zum Schein bestehe, dass es eigentlich ein Band der Liebe gebe zwischen ihnen, das trotzdem trage und auf das sich Billy vielleicht sogar insgeheim verlasse (wie Frau D. vermutet). Die abwesende Mutter sei eigentlich anwesend durch ihren Glauben an den Sohn (im Brief aufbewahrt) und durch die Werte, die sie Billy vermittelt hat – Musik, Leidenschaft für den Tanz etc. – und die für ihn noch immer durch die Oma präsent sind, die ihn auf ihre Weise unterstützt. Trotzdem gab es die Gefahr zu scheitern oder aufzugeben, ohne Billys starken Willen und seine Leidenschaft für den Tanz wäre auch mit Unterstützung nichts aus ihm geworden. Das Schicksal ereignet sich, aber was wir daraus machen, liegt auch in unseren Händen. 05.05.2008 Dr. Otto Teischel, Philosoph, Germanist und Schriftsteller, ist Psychotherapeut in eigener Praxis in Klagenfurt am Wörthersee. Er war dort langjähriger Leiter einer filmtherapeutischen Patientengruppe in einer psychosomatischen Klinik. Kontakt: [email protected] Literatur Miller, A. (1988). Das verbannte Wissen. Frankfurt a. M.

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Zuversicht schreiben Petra Rechenberg-Winter

Zuversicht – Haltung und Herausforderung Sie stützt uns in unsicheren Zeiten, lässt uns hoffen, wenn Sicherheiten wegbrechen, setzt Lichtblicke inmitten von Bangen, bietet Sicht bei verzweifelten Ängsten: Die Zuversicht ist wie ein Sehen, wenn erst einmal nichts mehr zu sehen ist oder verlässliche Konturen verschwimmen. Zuversicht meint Vertrauen in unvertrauten Situationen, Zutrauen in ein größeres Vertrauenswürdiges, Glauben an tragende Zusammenhänge. Dieses Zutrauen birgt Erwartungen an eine Kraft, die die menschliche weit übersteigt, ist ein SichTrauen, den nächsten Schritt zu wagen, auch wenn unklar ist, ob die Welt weiterhin trägt. Zuversicht ist ein unerschütterlicher Persönlichkeitsanteil, der Erschütterungen standhält und im Chaos Haltepunkte zu setzen vermag, vielleicht nur als kleiner Funken Zutrauen ins Ungewisse hinein oder in Form leiser Hoffnung. Gelegentlich mag sie närrisch erscheinen, als unrealistisch abgetan oder blauäugig genannt werden. Gelegentlich läuft sie in die Irre, und manches feste Vertrauen darauf, dass etwas von der Zukunft Erwartetes eintritt, erfüllt sich nicht. Und oft genug löst sich gutgemeinter Zuspruch »Das wird schon werden« nicht ein. Die Zuversicht lässt offen, was sie bereithält, spielt mit unseren Plänen, um sie dann auf den Kopf zu stellen. Konkrete Wunscherfüllung lehnt sie ab, während sie zukunftsoffene Möglichkeitsräume dem Nochnicht-Vorstellbaren öffnet. Auswege öffnet sie erst, wenn wir sie begehen. Der Religionsphilosoph Martin Buber sah in der Zuversicht eine Kraft in uns selbst, die über unser Aktuelles hinausweist, die sich mit übersinnlichen Kräften verbindet und unser mensch-

liches Beziehungsnetz kosmisch weitet. Eine spirituelle Haltung, die darauf weist, dass das, was gerade ist, bei weitem nicht alles ist. Eine Erfahrung, wie aus Leidvollem Neues erwächst, und eine Zusage, dass wir an Widrigem wachsen. Das althochdeutsche zuofirsiht fasst es weit: sich zu jemandem versehen, ehrfurchtsvolles Aufschauen (in göttliche Fügung). Darin lässt sich Demut erahnen und Lebensmut, Erwartung und Warten, Dulden und Geduld in Besseres, SichVerlassen auf etwas, auf das letztendlicher Verlass ist, Aussicht im Dunkel. Pragmatisch kleidet sich die Zuversicht gern in Selbstvertrauen, um im Meinungsgewitter auf die eigene Stimme zu hören, zeigt sich als Mut, eine klare Richtung einzuschlagen, wenn sich unübersichtlich viele Möglichkeiten auftun, oder sie erscheint als beherzte Entscheidung allen Zweifeln und Mahnungen zum Trotz. Manchmal hüllt sie sich in Optimismus oder bescheidener in Alltagstapferkeit. Immer bietet sie Anker, im Leben fest zu machen, Stand zu halten, auszuhalten, durchzuhalten. Zuversicht bietet Halt und ist Haltung. Zuversicht – Grundausstattung und Entscheidung Zuversicht ist elementar in uns Menschen angelegt, ist Ressource, die genutzt werden möchte, ist Potenzial, das sich lebenslang entsprechend individuellen Anforderungen ausbildet. Zuversicht ist Basis und Prozess. Wie nun nähere ich mich meiner Zuversicht? Wie nähre ich sie? Das kreative-biografische Schreiben bietet hier vielfältige Möglichkeit, sich der eigenen Zuversicht zu versichern, mit ihrer Kraft zu verbinden und sich zuversichtlich

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zu stärken. Dieses Schreiben verlangt Selbstachtsamkeit und befördert diese gleichermaßen. Es geht dabei keinesfalls um Leistungen, wie wir sie aus unserer Schulzeit erinnern. Kein Rotstift ist in der Nähe, und auch strenge Mienen, miese Zensuren haben hier nichts zu suchen, sondern bleiben in der Vergangenheit. Jetzt geht es allein um spielerisches Tun, nicht um ein gefordertes Ergebnis. Der persönliche künstlerische Prozess einer Begegnung mit sich selbst steht im Mittelpunkt.

Was uns beeindruckt, verlangt nach Ausdruck. Und Schreiben bietet diesen Zugang achtsamer Selbstzuwendung, aufmerksamer Selbstbegegnung und freundlicher Selbstbetrachtung. Es eröffnet Zugang zu eigener Intuition, tiefem Wissen unterhalb des Verstandeswissens und innerem Kompass. Ich schreibe mir Belastendes von der Seele, begegne mir selbst, und nicht selten werde ich davon überrascht, was da so alles in mir steckt. Versuchen Sie es:

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Schreibimpuls 1 – Zuversicht gibt Halt

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Bitte beantworten Sie schriftlich die folgenden Fragen, am besten schreiben Sie mit der Hand, und vielleicht mögen Sie dies auf farbigem Papier tun:

Schritt

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Was, wer gibt mir Halt? Was, wer hält/bindet mich? Was, wen halte ich? Was, wer hält mich auf? Was, wer hält mich an? Wann, wo halte ich inne? Was, wen halte ich zurück? Was, wen halte ich besetzt? Was, wer nimmt mir meine Haltung? Was gibt mir Anhalt? Wen halte ich hin? Wer hält mich hin? Welche mir bedeutsamen Regeln sind unbedingt einzuhalten?

Lesen Sie Ihre Antworten und markieren Sie all die Worte, Sätze oder Gedanken, die Sie besonders anzupfen, das heißt, bei denen Sie (feine) Körperreaktionen spüren. Damit legen Sie ein persönliches Bedeutungsnetz an, das zum Ausgangspunkt wird für:

Schritt

Stellen Sie sich vor, eine wohlmeinende Beobachter*in betrachtet Sie in Ihrer aktuellen Situation, sie ist weise und liebevoll. Aus dieser Perspektive schreibt Sie Ihnen einen stärkenden Zuspruch. Notieren Sie dies und lesen Sie sich Ihren Text anschließend laut vor. Was erkennen Sie in Ihrer Stimme? Was stimmt Sie zuversichtlich?

manun / photocase.de

Schritt

Zuversichtlich gestimmte Menschen strahlen diese Haltung aus. Sie können damit andere bestärken, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, die nicht auf den ersten Blick gesehen werden. Sie können ein Vorbild sein, wenn Allzuschweres den Zugang zur eigenen Zuversicht versperrt, denn mit ihrem Erfahrungsvorsprung bezeugen sie Mutmachergeschichten als Überlebende existenzieller Nöte. Ein Beispiel ist Hannah Arendt: Sie verweist nach Haft und Flucht im Exil auf das Geborensein des Menschen, auf seine elementare Natalität. Gebürtigkeit bedeutet für sie, das Leben jedes Menschen ist ein Neubeginn, und dieser Anfang spiegelt sich lebenslang in seinen Handlungen, die jede für sich jeweils einen Neubeginn darstellen. In dieser Fähigkeit, immer neu zu beginnen und Entscheidungen zu korrigieren, sieht Hannah Arendt ein Heilmittel gegen Unabsehbarkeit – und damit gegen die chaotische Ungewissheit alles Zukünftigen. Für sie ergibt sich daraus die geistige Grundhaltung, mit sich selbst identisch zu leben, »mit sich selbst zusammen stimmen« (Arendt 1960, S. 55).

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Schreibimpuls 2 – Vorbild für Zuversicht Wen bewundern Sie als Hoffnungsträger*in? Welche Menschen beeindrucken Sie mit ihren Fähigkeiten wie Mut, Optimismus, Hoffnung und der Bereitschaft, immer wieder aufzustehen? Notieren Sie deren Namen.

Schritt

Wählen Sie spontan eine Person Schritt Ihrer Liste aus und beschreiben Sie diese so, dass ein anderer Mensch, der sie nicht kennt, sie am Bahnhof identifizieren kann. Vielleicht zeichnen Sie eine kleine Skizze. Schreiben Sie, möglichst ohne den Stift abzusetzen, all das auf, das Sie an ihr bewundern – so lange, bis all das Ihnen Bedeutsame benannt ist. Lesen Sie anschließend Ihren Text, eventuell ergänzen Sie.

Schritt

Verdichten Sie nun die Ihnen wesentlichen Aspekte Ihres Textes in einem Elfchen, einem Gedicht aus elf Worten, bei dem die erste Zeile aus einem, die zweite aus zwei, die dritte aus drei und die vierte Zeile aus vier Wörtern beseht. Die fünfte und letzte Zeile wird aus einem Wort gebildet. Lesen Sie sich Ihr Gedicht laut vor, und möglicherweise möchten Sie es mit jemand Vertrautem teilen?

Schritt

Wir sind als Menschen dazu begabt, uns immer wieder aufzurichten. Schreiben vermag mich darin unterstützen, Nähe zu mir selbst (wieder) herzustellen, innezuhalten, nachzudenken, nachzuempfinden, Erlebtes nach- und neu zu erzählen. Im Schreiben ist eine performative Kraft, eine Quelle zuversichtlicher Möglichkeiten. »Das Erlebte schaut mich im Schreiben noch einmal an, mit einem anderen Blick« (Herta Müller, zitiert nach Unterholzer 2017, S. 45).

Petra Rechenberg-Winter, Diplom-Pädagogin, M. A., ist Psychotherapeutin, Supervisorin, Mediatorin, Lehrtherapeutin und Lehrsupervisorin, Psychoonkologin, Dozentin für Palliative Care und Trauerbegleitung. Sie ist klinische Poesietherapeutin, Schreibwissenschaftlerin und Autorin. Sie ist im Leitungsteam des Hamburgi� schen Instituts für systemische Weiterbildung und in eige� ner Praxis tätig. Literatur Arendt, H. (1960). Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart. Arendt, H. (2019). Sokrates. Apologie der Pluralität. Berlin. Buber, M. (1984). Das dialogische Prinzip. Heidelberg. Unterholzer, C. (2017). Es lohnt sich, einen Stift zu haben. Schreiben in der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg.

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Zuversicht in Literatur und Musik Manfred Gaspar Welch weites Feld tut sich auf unter dieser lapidaren Überschrift. Google benennt im Oktober 2021 für die Verknüpfung von Zuversicht mit Literatur 1.750.000 Einträge – für die mit Musik gar annähernd drei Millionen. Da mag es nicht verwundern, wenn an dieser Stelle nicht mehr als der Hauch einer Anmutung des Themas entstehen kann. Musik als Seelenbalsam Zur Einstimmung soll ein Ereignis aus eigenem Erleben dienen, das mir blitzartig bei der ersten gedanklichen Beschäftigung mit dem Thema in Erinnerung kam. Das Jahr 1985: Bei dem Schauspieler und Lyriker Mario Wirtz (1956– 2013), dem engen Freund eines liebsten Freundes, wird eine HIV-Infektion diagnostiziert. Nach neun symptomarmen Jahren entwickelt sich bei diesem ein infektionsassoziiertes Hodgkin-Lymphom. Große Verzweiflung erfasst Mario. Angst. Hoffnungslosigkeit. Des Freundes Spontanreaktion, wohl wissend, dass Mario eher ein Mensch des Wortes als der Musik ist, besteht in der Übersendung zweier Musikwerke, deren positiver Wirkung er sich ganz sicher ist. Dem Streichquartett C-Dur (D 956) von Franz Schubert und dem Klarinettenkonzert A-Dur (KV 622) von Wolfgang Amadeus Mozart. In beiden Spätwerken der Komponisten sind es insbesondere die zweiten Sätze, die als Seelenbalsam gelten. Aber nährt sich daraus gleich Zuversicht? Sicher nicht so ohne weiteres. Doch es gibt neben unmittelbaren selbstverständlich auch mittelbare Effekte. Betrachten wir als affektiven Ausgangspunkt Marios Angst, so handelt es sich dabei physiologisch um Stress, also um massive Anspannung,

der insbesondere mit gezielter Entspannung entgegengewirkt werden kann. Und dazu kann Musik in erheblichem Maß beitragen. So auch bei einem eher dem Wort verbundenen Menschen. Eine Zeit der Remission setzt ein, in der Mario mit Hilfe selbst verfasster Literatur Stabilität wahren kann. »Es nährt mich die Manna der Wolken / Tag für Tag / bin ich / was ich träume« (2006) heißt es in einem seiner Gedichte, mit denen er sich täglichen Mut zuspricht. Von Dur und Moll Von Angst und Hoffnungslosigkeit war bisher im Text die Rede – von Zuversicht im Titel. Sind also die Begriffe Hoffnung und Zuversicht gleichzusetzen? Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Von einer Begriffsverwirrung »zwischen Hoffnung, Optimismus und Zuversicht« spricht Ulrich Schnabel (2018), da dabei der der Zuversicht unabdingbar zugehörige »Mollklang« fehle. Etymologisch bedeutet Zuversicht ein neutrales, weder gutes noch schlechtes »Voraussehen auf die Zukunft«, abgeleitet vom althochdeutschen zuofirsiht. Im Laufe der Zeiten mutierte dieser neutrale Zukunftsbegriff zu einer hoffnungsvoll geprägten Erwartung an die Zukunft. Religiös geprägte, geradezu selbstverständliche Zuversicht in eine himmlische Zukunft findet sich musikalisch zum Beispiel in Johann Sebastian Bachs Choral »Jesus, meine Zuversicht«, deren dritte Strophe lautet: »Ich bin durch der Hoffnung Band zu genau mit ihm verbunden, meine starke Glaubenshand wird in ihn gelegt befunden, dass mich auch kein Todesbann ewig von ihm trennen kann.« Im Laufe sozialen und gesellschaftlichen Wandels wächst dann zuneh-

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mend das Vertrauen in die Kraft eigener Fähigkeiten, die vielfachen Wurzeln entstammen. In meinem Hauptbetätigungsfeld der Psychoonkologie gehören Belastungs- und Ressourcenanalysen zum Standardinstrumentarium. Spirituelle Quellen werden dabei häufig genannt, literarische und musikalische seltener. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen dabei allerdings möglicherweise unbewusst eingesetzte Ressourcen, die in der Rezeption von Schlagern und Trivialliteratur liegen. Bewusst benannte Kraftquellen aus Musik und Literatur zeigen sozialisations- und interessenbedingt große Unterschiede. Ein Motivationskoloss im Hinblick auf das Generieren von Zuversicht dürfte Stephen Hawking gewesen sein. Nach seiner niederschmetternden ALS-Diagnose (Amyotrophe Lateralsklerose) mit der Überlebensprognose von wenigen Monaten hörte der damals 21-Jährige überwiegend Musik von Richard Wagner, ohne zu spezifizieren, um welche Werke es sich dabei gehandelt hat. Da er im Zusammenhang mit der Schilderung dieser musikalischen Vorlieben Träume erwähnt, in denen er sich aufgeopfert habe, um andere zu retten, und daraus ableitete, wenn schon sterben zu müssen, wenigstens noch Gutes tun zu können (Hawking 2013), liegt es nahe, an den »Ring des Nibelungen« zu denken. Allerdings ließen sich bei Wagner noch zahlreiche andere Werke benennen, die im Hinblick auf Zuversicht bedeutsam sind, wie im Übrigen ein Großteil der irdischen Existenz dieses Ausnahmekomponisten als gelebte Zuversicht gesehen werden könnte. Über Musik nur zu schreiben, ohne sie hörbar machen zu können, beraubt sie ihrer größten Macht – der nämlich, direkt in das emotionale Zentrum eines Menschen zu treffen. Das macht sie so wertvoll, aber auch so gefährlich, wie sich gerade bei Wagner in Deutschlands unrühmlicher Vergangenheit zeigt. Woody Allen hat dieses Phänomen in gleichermaßen erschreckender wie auch faszinierender Weise bereits vor Jahren formuliert: »Immer wenn ich Wagner höre, überkommt mich nach wenigen Minuten das Bedürf-

nis, in Polen einzumarschieren«. Musik kann also auch missbraucht werden – wie natürlich auch Literatur und Film. Das Erwecken von Zuversicht als Propaganda- und Manipulationsinstrument ist eine Dimension, die, wenngleich von größter Bedeutung, hier inhaltlich nicht weiter vertieft werden kann. Grundprinzip der Homöopathie Erwähnenswert sind aber zwei Prinzipien, die sich auf die individuellen Wirkmechanismen von Musik übertragen lassen. Da ist zunächst das wesentliche, von Samuel Hahnemann aufgestellte Grundprinzip der Homöopathie zu nennen, das »Similia similibus curentur« – »Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden«. So hilft es vielen Menschen, in schweren Zeiten Zuversicht zu gewinnen, wenn sie Musik hören, die ihrer Traurigkeit entspricht. Als populärstes Beispiel mag der »Trauermarsch« von Frédéric Chopin dienen. Das Gegenteil liegt im hippokratischen Prinzip des »Contraria contrariis curentur« – »Entgegengesetztes möge durch Entgegengesetztes geheilt werden«. Welch großartige Wirkung könnte da das Klarinettenquintett von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 581) erzielen. Natürlich gäbe es unzählige gute Beispiele aus musikalischen Genres fernab der Klassik, zu der ich hier auch den Jazz zähle. Daraus besonders bemerkenswert sind die »jazz funerals«, die ihren Ursprung in New Orleans haben. Die klassische »Jazz-Beerdigung« beginnt mit Trauermärschen und endet nach der Beisetzung mit ausgesprochen fröhlicher Musik. Texte als Quelle von Zuversicht Als eine Gattung der Weltliteratur taugen Märchen nahezu pauschal als Quelle der Zuversicht. In seinem Standardwerk »Kinder brauchen Märchen« (1976) führt Bruno Bettelheim aus, wie unsere positiven Gefühle uns die Kraft verleihen, unseren Verstand zu entwickeln. Nur die

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Adi Holzer, Mozart Engel, 2006 (aus der Mappe »Mozart Suite«).

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Mozart Engel (Adi Holzer)

Hoffnung auf die Zukunft lasse uns den Widrigkeiten standhalten, denen jeder von uns unvermeidlich ausgeliefert sei. »Dass man trotz anfänglicher Rückschläge nicht aufgeben darf, ist eine für Kinder so wichtige Erkenntnis, dass sie in vielen Fabeln und Märchen enthalten ist.« Weder kindliche Projektionen noch die in der Fantasie lebendigen, beschützenden Gestalten – zum Beispiel Schutzengel, die einen behüten, wenn man schläft oder wenn die Mutter fort ist – würden vermögen, wahre Sicherheit zu bieten, solange man sich selbst noch keine völlige Sicherheit schaffen kann. Vorstellungen und Projektionen seien deshalb bei weitem der Unsicherheit vorzuziehen. »Wenn diese (teilweise eingebildete) Sicherheit genügend lange erlebt wird, befähigt sie das Kind, die Zuversicht zum Leben zu ent-

wickeln, die es braucht, um sich selbst zu trauen« (1976/2020, S. 26). Ebenfalls fast als Gattung zu bezeichnen, wenn es darum geht, Zuversicht zu vermitteln, ist das Werk von Astrid Lindgren. Selbst vom nahen Sterben bedrohte Erwachsene und deren Angehörige empfinden häufig »Die Brüder Löwenherz« (1974) als extrem hilfreich in Situationen, die von großer Unsicherheit bestimmt sind. Am Ende sei noch auf ein kleines Büchlein verwiesen, das in keiner Abhandlung zum Thema Zuversicht fehlen darf. Heute ist dieses Werk vielleicht noch aktueller als zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1953. Die Rede ist von Jean Giono und seinem Klassiker »Der Mann, der Bäume pflanzte«. Die Geschichte handelt von dem Schäfer Elzéard Bouffier, der kurz

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vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einem verödeten Teil der Provence nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes Zuflucht in der Einsamkeit sucht. Dort beginnt er, neben dem Hüten der Schafe, Eicheln in den kargen Boden zu pflanzen, um die ausgebrannte Landschaft wieder zu bewalden. Unermüdlich. Unbeirrbar. Jahrzehntelang. Mittels schier unendlicher Geduld erreicht er schließlich sein Ziel. Schön wäre hier jetzt ein musikalischer Schlusspunkt. Stattdessen folgt in gebührender Abruptheit einer der wesentlichen lyrischen Texte zum Thema Zuversicht.

Stufen Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf ’ um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden … Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Literatur

Manfred Gaspar M. A., Studium der Psychologie, Soziologie, Geschichte der Medizin, Sozialpädagogik, ist Psycho­ onkologe im Städtischen Krankenhaus Kiel. Kontakt: [email protected]

Bettelheim, B. (1976/2020). Kinder brauchen Märchen. 36. Auflage. München. Giono, J. (1953/2006). Der Mann, der Bäume pflanzte. München. Hawking, S. (2013). Meine kurze Geschichte. Reinbek. Lindgren, A. (1974). Die Brüder Löwenherz. Hamburg. Schnabel, U. (2018). Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München. Wirtz, M. (2006). Sturm vor der Stille. Gedichte. Berlin.

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Giovanni / Colourbox

Hermann Hesse, Mai 1941

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Mit Zuversicht Eine Liebeserklärung an das multiprofessionelle Team in der Patient*innenversorgung (Caregiver)

Susanne Haller In meiner Praxis als Supervisorin und Kursleiterin von Weiterbildungen im Bereich Palliative Care und Trauerbegleitung erlebe ich multiprofessionell aufgestellte Teams der Gesundheitsversorgung in ihrer täglichen Auseinandersetzung, die bestmögliche Therapie und Begleitung ihrer Patient*innen und deren Angehörigen zu ermöglichen. Sie sind die tragenden Säulen im Gesundheitssystem. Unbestritten sind die Anstrengungen, die Care­giver täglich für unsere Gesundheit und für die Gesellschaft leisten. Besonders sichtbar wurden die Leistungen dieser Berufsgruppen unter Pandemie­ bedingungen. Zum einem haben sie sich zum Wohle aller dem extremen Ansteckungsrisiko zu Beginn der Pandemie ausgesetzt und zum anderen haben sie sich der Covid-­Erkrankten angenommen und ihnen im Sterben die Hand gehalten. Dem gegenüber stehen die Arbeitsbedingungen, mit denen sie sich tagtäglich auseinandersetzen müssen. Dabei wirkte die Pandemie nur wie ein Brennglas – spürbar auch auf den deutschen Intensivstationen. Pflegekräfte wie auch Ärzt*innen, haben von Haus aus ein großes Verantwortungsbewusstsein, zeigen eine hohe Einsatzbereitschaft und großes Engagement in ihrer beruflichen Praxis. Dieser Anspruch an die eigene Arbeit kommt zu den hohen Anforderungen der täglichen Arbeit hinzu. Die Fülle der anfallenden Aufgaben in der verfügbaren Zeit (meist unter Zeitdruck) zu absolvieren und die vielen Unterbrechungen im Ablauf ihrer Aufgaben bringen die Caregiver an den Rand ihrer Belastbarkeit (Soto-Rubio, Giménez-Espert und Prado-­ Gascó 2020). Zusätzlich sind sie damit beschäftigt,

sich mit der emotionalen Last der Patient*innen und deren Angehörigen, der Teammitglieder sowie mit ihren eigenen Gefühlen und Gedanken auseinanderzusetzen und diese zu differenzieren, zu begleiten und zu verarbeiten. Wahrscheinlich hat die Arbeit mit der Gefühlsvielfalt eine stärkere Auswirkung auf das Wohlbefinden und die gesundheitlichen Belange der Protagonist*innen dieser Berufsgruppe als bisher angenommen. Diese und weitere private oder strukturelle Gründe können ein gutes Argument für einen beruflichen Wechsel sein (der tatsächlich immer schneller stattfindet) und eignen sich hervorragend für ausgedehnte Burnout- oder Cool-outSyndrome! Es stellt sich deutlich die Frage, warum dennoch so viele ihrem Beruf treu bleiben. Um der Zuversicht der Caregiver auf die Spur zu kommen, habe ich eine kleine, nicht repräsentative Umfrage unter 42 Pflegenden gestartet. Teilgenommen haben Absolvent*innen aus den vergangenen Kursen zur Palliative-Care-Fachkraft. Sie haben meist eine langjährige Berufserfahrung, sind in unterschiedlichsten Arbeitsbereichen tätig (beispielsweise Intensivstation, Palliativstation, Geriatrie, Innere Medizin, Pflegeheim, ambulanter Dienst, Hospiz, Dialyse) und sind vertraut mit Selbstreflexion und Selbsterfahrung. Auf die Frage »Was hält Sie in diesem herausfordernden Beruf?« habe ich wunderbare Antworten von den Pflegenden erhalten, die aufzeigen, wie wichtig Zuversicht für ihre innere Balance ist. Bestätigt hat sich für mich, dass den Menschen, die sich diesen Berufen zuwenden, eine große Menschenliebe innewohnt.

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Ich habe die Antworten im Folgenden kategorisiert und kodiert sowie nach der Häufigkeit der Nennungen zusammengetragen. Zudem habe ich sie mit meinen Erfahrungen aus den Super­ visions­sitzungen in Beziehung gesetzt.

storben, und man bekam keine Mehr-Zeit für die Bewohner*innen vom Betreiber, da konnte man nur in der Freizeit ein wenig Beistand leisten; mein Leitspruch lautet: In der Zeit, wo ich da bin, versuche ich, mein Bestes zu geben.«

Freude und Spaß (hält mich in diesem herausfordernden Beruf)

»Außerdem haben wir in der Covidkrise erlebt, was für einen sicheren Arbeitsplatz wir haben.«

»Ich arbeite seit 1995 in diesem Beruf, und es macht mir immer noch Spaß.« »Weil er mich trotz allem jeden Tag aufs Neue herausfordert, es mir in über zwanzig Jahren noch keine Minute langweilig war (…) ich es immer noch total interessant finde.« Eine positive Lebenseinstellung, Freude und Optimismus – die Erwartung, dass gute Dinge passieren – wirken sich auf die physische wie psychische Gesundheit aus. Beispielsweise kann ein gesunder Optimismus physiologische Regulationen im Körper unterstützen. Dies haben in einer Langzeitstudie James et al. (2019) untersucht. Eine positive Lebenseinstellung unterstützt uns dabei, die Emotionen und das Verhalten besser verstehen und verarbeiten zu können (James et al. 2019).

Ein Selbstläufer in Teamsupervisionen ist »zu viel Arbeit/zu wenig Personal« und »anhaltend starke Arbeitsbelastung«. Die starke Arbeitsbelastung ist häufig eine Gemengelage, die in Super­visions­ sitzungen genauer geklärt werden kann, um daraus entsprechende Konsequenzen ziehen zu können. Strukturen, die vorgegeben sind, können wir nicht ändern. Was wir ändern können, sind der Arbeitsbereich, der Arbeitsplatz sowie die

»Letztendlich ist es das Gefühl, grundsätzlich etwas Sinnvolles zu tun.«

Vielfalt der Arbeitsplätze (hält mich in diesem herausfordernden Beruf) »Außerdem ist die Freiheit entscheidend, das Arbeitsgebiet wählen zu können und daher eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, unter welchen Arbeitsbedingungen ich arbeiten kann und will, um meine berufs­ ethischen Grundsätze realisieren zu können.« Selbst unter den erschwerten Bedingungen von Covid-19 blieb die Zuversicht: »Es war sehr schwer in der ersten Corona­zeit, da sind echt viele Bewohner*innen einsam ge-

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Klärung, was zu einer Entlastung für das Team und für Einzelne führen könnte. »Jede Organisation, die hochmotivierte Mitarbeitende beschäftigt, sollte sich im Klaren sein, dass sie in diese investieren sollte, um den Verlust von wertvollem Fach- und Organisationswissen zu vermeiden« (von Schmude und Kern 2017). Caregiver erleben unter Pandemiebedingungen zusätzlich extremen psychosozialen Stress: Sie sind einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt, tragen dabei große Sorge, ihre eigenen Angehörigen diesem ebenfalls auszusetzen, haben vermehrt Überstunden abzuleisten und sind mit folgenreichen ethischen Fragen konfrontiert sowie in diese involviert. SotoRubio et al. (2020) kommen zu dem Schluss, dass es von ungeheurer Wichtigkeit ist, ein Programm für Caregiver zu entwickeln, um den komplexen Anforderungen, dem krisenhaften Gesundheitssystem, der Pandemie und ihrer laufenden Ent-

wicklung sowie den damit einhergehenden seelischen Belastungen etwas entgegenzustellen. Auch in der Studie von Jose, Dhandapani und Cyriac (2020) wurde benannt, wie notwendig Interventionen zur Stärkung der Resilienz und zur Entlastung gegen Burn­out-Syndrome unter der laufenden Pandemie für Pflegekräfte sind. Wir, die Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie, antworten mit einem Angebot »Empower the caregiver« zur Entlastung. Um gesund zu bleiben unter Belastungen und in schwierigen Situationen hat die Resilienzfähigkeit von Caregivern immer mehr an Bedeutung gewonnen. Resilienzfaktoren für Caregiver rücken immer mehr in den Fokus der Forschung und gewinnen in der täglichen Arbeit an Bedeutung. Dankbarkeit (hält mich in diesem herausfordernden Beruf): »Das positive Feedback der Angehörigen, die Dankbarkeit, die man von den Gästen und ihren Angehörigen bekommt.«

Bei der Frage »Was hilft Ihnen zuversichtlich zu bleiben in Bezug auf Patient*innen-Schicksale?« war die häufigste Antwort: Humor. Er hat die Kraft, dem Schweren, Nicht-Aushaltbaren die Schärfe zu nehmen, ohne es abzuwerten. Humor zählt zu den großen Schutzfaktoren in der Arbeit (Müller und Pfister 2014). Weiterhin wurden ge-

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Photo-Beagle / photocase.de

Dankbarkeit fördert die Resilienz. »Dankbarkeit gilt als eine Fähigkeit, die am meisten hilft, zufrieden zu sein« (Reddemann, 2015). Eine Strategie für eine positive und gelassene Grundhaltung kann sein, dass positive Ereignisse mehr bewusstgemacht werden. Wir blicken oft auf das, was nicht gelungen ist, was schwierig war. In Teamsupervisionen lenke ich den Blick auch auf das, was alles gut gelaufen ist und was geleistet wurde. Hier kommt die offizielle Erlaubnis: Die positiven Ereignisse dürfen mehr gefeiert werden.

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m.schröer

nannt: Erfahrung, Familie/Freunde, Kolleg*innen/Team und die Fähigkeit zur Abgrenzung. Zudem wollte ich wissen: »Was hilft Ihnen, zuversichtlich zu bleiben in Bezug auf strukturelle Herausforderungen?« Hier erhielt die Antwort »Weiterbildung« die meiste Zustimmung, gleichauf gefolgt von Abgrenzung und Engagement. Die nächste Frage war »Was hilft Ihnen zuversichtlich zu bleiben in der stetigen Konfrontation mit Krankheit, Sterben, Tod und Trauer?« Auch hier spielt die Erfahrung eine wichtige Rolle – sie wurde am häufigsten genannt. Weitere hilfreiche Aspekte für die Befragten sind Familie/Freunde, Hoffnung, Spiritualität sowie wieder die Abgrenzung. Von Schmude und Kern haben in ihrer Studie »Zufriedenheit von Mitarbeitenden in Hospizarbeit und Palliativversorgung« (2017) festgestellt, dass die wichtigsten Faktoren dafür, in diesem Tätigkeitsfeld zu bleiben, »der Sinn der Arbeit und das Team« sind. Dieses Ergebnis kann ich mit unserer kleinen Umfrage deutlich bestätigen.

Team/Kolleg*innen (halten mich in diesem herausfordernden Beruf): »Meine exzellenten Kollegen vom Pflegeteam«. »… ich ganz großartige Kolleg*innen habe«. Begegnung mit Menschen/Lebensschule/ Sinn und Sinnhaftigkeit (hält mich in diesem herausfordernden Beruf): »Dass jedes Lächeln, jede freundliche Geste und Berührung einen Unterschied macht.« »In der Begegnung mit kranken Menschen ­lerne ich nicht nur sehr verschiedene Indi­ viduen kennen, sondern auch immer mehr über mich als Person. Diese Begegnungen haben daher auch eine verändernde Wir­kung auf mich selbst.« »Es sind immer wieder die Nähe zu den Menschen und ihren individuellen Lebens­geschichten und die Vielfalt der Lebens­entwürfe, die mich faszinieren im Umgang mit Menschen am Ende des Lebens«. »Die Liebe zum Menschsein – Men­ schen in ALLEN Lebensbereichen begleiten zu dürfen. Am Leben anderer teilhaben zu dürfen, ihre Geschichte zu erfahren und dabei die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln – im ständigen Austausch mit anderen bildete

Optimismus und Zuversicht können gelernt und trainiert werden, etwa durch mehr Selbstfürsorge und Innehalten im Alltag.

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und bildet sich meine Lebens­erfahrung aus. Hier vermischt sich die berufliche Entwicklung mit der persönlichen. Dadurch ist es für mich eben nicht NUR ein Beruf, sondern Lebenszeit, ein Teil meines Lebens. Was gibt es Schöneres, als damit Geld zu verdienen, was man zu tun liebt.« Die Zuversicht hat einen großen Einfluss darauf, im Beruf gesund zu bleiben. Ich habe in der Auseinandersetzung mit den Fragen eine große Quelle an Zuversicht und Optimismus entdeckt. Tatsächlich bietet eine positive und bejahende Lebenseinstellung die Möglichkeit, entspannter und gelassener im Beruf zu sein und zu bleiben. Optimismus ist erlernbar – die natürliche Disposition dient uns, aber es braucht auch die Klarheit: »Was ich mache, braucht ein Warum« (Cox 2019). »Letztendlich ist es das Gefühl, grundsätzlich etwas Sinnvolles zu tun.« Dieses Gefühl trägt dazu bei, alle Bemühungen und Anstrengungen auszuhalten (Cox 2019). Optimismus und Zuversicht können gelernt und trainiert werden, etwa durch mehr Selbstfürsorge und Innehalten im Alltag mit gesundem Essen, Ruhe, Selbstreflexion, Übungen und allem, was hilft, um die Batterien aufzuladen. Hier ein paar Ideen für den Inhalt einer »Happybox« für den stressigen Stationsalltag für das Team von Jessica Schäfer (Schäfer 2020): • • • • • • •

Schokolade und Nüsse Tee Anleitung für Atemübungen Aromaöl Stressball Aufbausprüche Telefonnummern für weitere Hilfsangebote

Zuversichtlich sein bedeutet, sich jeden Tag bewusst zu entscheiden, die guten Dinge im Leben wahrzunehmen.

»die Herausforderung – die Arbeit mit Menschen – Dankbarkeit – dadurch lerne ich fürs eigene Leben, erfahre viel.« Zuversicht speist sich aus Vertrauen. In stationären Hospizen und auf Palliativstationen verdichtet sich die Zuversicht deutlich. Wer hier arbeitet, erlebt die Erfahrung »Am Ende wird es gut« (Zitat aus der Teamsitzung einer Palliativstation). Diese Zuversicht gibt die Erfahrung mit dem Wissen »es geht vorüber« und trägt das Team. Nur so kann auf Zuver-SICHT langfristig gearbeitet werden! Susanne Haller ist Leiterin der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie des Hospiz Stuttgart und findet ihre Zuversicht auf der Yogamatte. Sie ist ausgebildete Krankenschwester und Supervisorin.

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Kontakt: [email protected] Literatur Cox, S. (2019). Choosing optimism. In: Nursing Mangagement. DOI-10.1097/01.NUMA.0000554342.78131.97. James, P.; Kim, E.; Kubzansky, L.; Zevon, E.; Trudel-Fitzgerald, C.; Grodstein, F. (2019). Optimism and healthy aging in Women. In: American Journal of Preventive Medicine, 56, 1, S. 116–124. doi:10.1016/j.amepre.2018.07.037. Jose, S.; Dhandapani, M.; Cyriac, M. C. (2020). Burnout and resilience among frontline nurses during COVID-19 pandemic: A cross-sectional study in the emergency department of a tertiary care center, North India. In: Indian Journal of Critical Care Medicine, 24, 11, S. 1081–1088. Müller, M.; Pfister, D. (2014): Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin. Göttingen. Reddemann, L. (2015). Resilienz. In: Zeitschrift für Palliativmedizin, 16, S. 20–25. Schäfer, J. (2020). Muss nur noch kurz die Welt retten. Eine Happybox, die Kraft schenkt. Ein Praxisprojekt. Unveröffentlichte Abschlussarbeit der Zusatz-Weiterbildung Palliative Care für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene 2020–2021 an der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie. Schmude, A. von; Kern, M. (2017). Zufriedenheit von Mitarbeitenden in Hospizarbeit und Palliativversorgung  – eine quantitative Studie. Zeitschrift für Palliativmedizin, 18, S. 305–309. Soto-Rubio, A.; Giménez-Espert, M.; Prado-Gascó, V. (2020). Effect of emotional intelligence and psychosocial risks on burnout, job satisfaction, and nurses’ health during the COVID-19 Pandemic. In: International Journal of Environmental Research and Public Health, 17, 7998; doi:10.3390/ ijerph17217998.

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AUS DER FORSCHUNG

Relevanz und Nutzen der Evaluation von Trauerbegleitungsangeboten Evaluationsstudie im Projekt TOBBI – Trauerland, Orientierung, Beratung und Bildung

Martina Stöver und Jaqueline Bomball Einleitung Das primäre Ziel der Studie besteht darin abzubilden, inwieweit die vom Bremer Trauerland e. V. eingesetzten familienorientierten Trauerinterventionen wirksam sind, um psychische, körperliche und soziale Probleme bei den von Verlust betroffenen Kindern nachhaltig zu verhindern. Es liegen nur vereinzelt wissenschaftliche Studien vor, die sich mit der Wirksamkeit von Trauerbegleitung befassen. Insbesondere die trauernden Kinder finden bisher nur wenig Beachtung. Dabei ist unbestritten, dass der Verlust eines Elternteils oder einer anderen engen Bezugsperson in der Kindheit oder im Jugendalter einen Risikofaktor für die psychische und physische Gesundheit

der betroffenen Heranwachsenden und späteren Erwachsenen darstellt. Kinder gelten im Zusammenhang mit der Trauerbewältigung auch deshalb als vulnerabel, weil sie altersbedingt über ein eher geringes Bewältigungspotenzial verfügen und sich zudem ihr bislang vertrautes Familiensystem komplett verändert. Darüber hinaus fällt es den Eltern aufgrund der eigenen intensiven Trauer und den vielfältigen Belastungen schwer, ihren Kindern Stabilität und Sicherheit zu vermitteln. Trauerland e. V. bietet den von Trauer betroffenen Familien eine Reihe von Trauerinterventionen an. Der Fokus liegt auf unterstützenden Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Zudem beziehen sie die verbliebenen Elternteile mit ein, um deren Fähigkeiten zu erhöhen, die Bedürfnisse ihrer trauernden Kinder zu erkennen und darauf einzugehen. Methodisches Vorgehen

Abbildung 1: Zielgruppen und Instrumente

Aufgrund der Komplexität der von Trauerland e. V. genutzten Trauerinterventionen wird ein methodischer Mix aus qualitativen und quantitativen Elementen der empirischen Sozialforschung eingesetzt (vgl. Abbildung 1). Zur Datenauswertung wurde ein Kategoriensystem entwickelt, das sich an den von Antonovsky (1997) und Wissert, Müller, Pfister und Müller (2009) angelehnten Dimen-

Wassily Kandinsky, Himmelblau, 1940 / INTERFOTO / fine art images

sionen und Wirkbereichen orientiert und weitere, explorativ erschlossene Kategorien beinhaltet. Um anhand der Ergebnisse die Möglichkeit einer Prognose über die Schwere der Trauer treffen zu können, wurde die Definition der unterschiedlichen Trauerverläufe von Paul (2011) verwendet. Zusammengefasst sind dies die Begriffe »Nichterschwerte Trauer«, »Erschwerte Trauer«, »Komplizierte Trauer« und »Traumatische Trauer«.

Untersuchungsschwerpunkte Der Hauptfokus der Evaluation ist auf nachfolgende Forschungsfragen ausgerichtet: 1. Lassen sich Risikofaktoren und Ressourcen identifizieren, die den Trauerprozess nachhaltig beeinflussen? 2. Inwieweit bestehen Belastungen und psychosomatische Reaktionen bei den trauern-

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den Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und deren Angehörigen? 3. Inwieweit ist das Konzept einer familienorientierten Trauerbegleitung zur Reduktion von Belastungen und psychosomatischen Beschwerden geeignet? 4. Inwieweit hat die familienorientierte Trauerbegleitung Einfluss auf eine Kompetenzerweiterung der Trauernden? 5. Wie zufrieden sind die Trauernden sowie das Fachpersonal mit den von Trauerland angebotenen Beratungs-, Gruppen- und Bildungsangeboten? 6. Werden Optimierungsmöglichkeiten von Trauerbegleitungs- und Bildungsangeboten deutlich? 7. Welche Effekte und Nutzen entstehen für die Teilnehmenden der Bildungsangebote? 8. Ist das Konzept der familienorientierten Trauerbegleitung als neuer Präventionsansatz geeignet?

sagen zur Wirksamkeit einer familienorientierten Trauerbegleitung getroffen werden. Dies ist insbesondere für die Anerkennung durch die Krankenkassen als eine präventive und damit nachhaltig finanzierte Intervention bedeutsam. Der praktische Nutzen der Evaluation ergibt sich aus empirisch gestützten Empfehlungen für eine Weiterentwicklung der Trauerbegleitungsangebote. Dr. phil. Martina Stöver, Krankenschwester und Diplom-Berufspädagogin, war langjährige Mitarbeiterin am Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Projektentwicklung und -evaluation, Gesundheitsförderung und -prävention, Modernisierung von Aus-, Fort- und Weiterbildung. Konatkt: [email protected]

Relevanz und Nutzen der Evaluation

Dr. Jaqueline Bomball, Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin, war als langjährige Mitarbeiterin am Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen vor allem im Bereich Bildungsevaluation und Kompetenzerfassung tätig. Derzeit leitet sie ein Bildungsinstitut für Fort- und Weiterbildung in Gesundheitsfachberufen.

Die Ergebnisse der Studie (Zeitraum: 2018–2021) liefern umfangreiche Daten zur Nutzerzufriedenheit und zu Risikofaktoren und Ressourcen der in die Untersuchung einbezogenen Trauernden. Ferner geben die Daten Auskunft über den Einfluss der Trauerbegleitung hinsichtlich eines Belastungsabbaus und zur präventiven Wirksamkeit. Anhand der Ergebnisse zu den einzelnen Wirkbereichen von Trauer können Kriterien definiert werden, mit deren Hilfe eine Einschätzung zur Schwere der Trauer bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen möglich wird. Damit können genau die jungen Menschen identifiziert werden, die infolge eines Verlustes eine Komplizierte Trauer erleben werden beziehungsweise die tatsächlich von einer Trauerintervention profitieren. Des Weiteren können die Ergebnisse für eine Impulsgebung auf der gesundheitspolitischen Ebene genutzt werden: Auf der Basis wissenschaftlicher Evaluationsergebnisse können Aus-

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche Herausgabe von Alexa Franke. Tübingen. Müller, H.; Willmann, H. (2020): Trauerforschung. Basis für praktisches Handeln. Göttingen. Paul, C. (2011). Trauerprozesse benennen. In: Paul, C. (Hrsg.): Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung. Hintergründe und Erfahrungsberichte für die Praxis. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage (S. 69–84). Gütersloh. Trauerland e. V. (2017/2018). Kinder trauern anders  – Wir geben ihnen Raum dafür. Wirkungsbericht nach dem Social Reporting Standard. http://www.https://www.trauerland.org/wp-content/uploads/2019/09/TL_SRS-Bericht_ 2017_2018_web_ohneU.pdf (Zugriff am 14.11.2021). Wagner, B. (2015). Trauernde Geschwister  – die vergessenden Trauernden. In: Psychotherapeuten, 4/2015, S. 352– 357. http://www.trauerforschung.de/images/pdf/wagner_ 2015.pdf (Zugriff am 12.11.2021). Wissert, M.; Müller, S.; Pfister, D.; Müller, M. (2009). Wirkt Trauerbegleitung überhaupt? Und wenn ja, wie bzw. wodurch? Eine Untersuchung der Wirkfaktoren von Trauerbegleitung. Hochschule Ravensburg-Weingarten, Institut für Angewandte Forschung (IAF) Angewandte Sozialund Gesundheitsforschung. Projektbericht unter: https:// alpha-nrw.de/wp-content/uploads/2014/05/wirkt-trauerbegleitung-ueberhaupt.pdf (Zugriff am 12.11.2021).

Kontakt: [email protected] Literatur

L E I D FA D E N   – FAC H M AG A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D, T R AU E R   H e f t  1  /  2 0 2 2

  9 9

FORTBILDUNG

»Ich bin sommersprossiger und schöner denn je. Wenn das so weitergeht, werde ich direkt un­widerstehlich« (Pippi Langstrumpf) Tagesfortbildung zum Thema »Zuversicht« (8 Unterrichtseinheiten)

Markus Starklauf

Geschenkte Erfahrungen als Quelle von Zuversicht bilden Ausgangspunkt und Mitte der Fortbildung. Mögliche »Zuversichtsbrücken« bei Dunkelheitserfahrungen werden methodisch erfahrbar gemacht und mit inhaltlichen Impulsen verknüpft. Als roter Faden inspirieren Zitate von Astrid Lindgren.

Ziel: Auseinandersetzung mit den eigenen Quellen von Zuversicht und Transfer in die Welt der anvertrauten Menschen. Zielgruppe: Menschen, die sich mit dem Thema Zuversicht – auch angesichts der Fragilität des Lebens – auseinandersetzen.

1 0 0   Fo r t b i l d u n g

Zeit

(Mi­nuten)

Lernziel

Inhalt

Methode

Material

UE 1+2 Vorbereitung: Stuhlkreis stellen, Mitte mit Tuch gestalten

Goldenes Tuch

5 TN kommen an

Begrüßung und erste Runde: »Welcher ›goldene‹ Augenblick in den vergangenen Tagen fällt mir ein?«

Plenum

2

Das Tuch symbolisiert die Goldene Mitte in uns und in denen, die uns anvertraut sind. Es steht auch für das Urvertrauen, aus dem sich Zuversicht speist.

Input

5 TN erhalten Zu- »Ich bin sommersprossiger und schöner denn gang zum Thema je. Wenn das so weitergeht, werde ich direkt unwiderstehlich« (Lindgren 2020) 15 TN erinnern Stärkungen im Leben

Selbstvergewisserung: Fantasiereise »Welche Botschaften haben mir Zuversicht verliehen?« »Mit welchen Menschen verbinde ich diese Stärkung?«

15 Transfer in die Lebenswirklichkeit der Klient*innen

Die TN tauschen sich über Zuversicht/Urvertrauen/positive Ich-Botschaften der Klient*innen aus.

Plenum

5

Existenzielle Gefährdungen brechen ins Leben ein. Menschen werden mit dunklen Herausforderungen konfrontiert.

schwarze ­Tücher

5

Im Buch »Die Brüder Löwenherz« lesen wir: Textvortrag »Natürlich wurde ich traurig und bekam furchtbare Angst, und das wollte ich Mama nicht zeigen. Aber als Jonathan nach Hause kam, erzählte ich es ihm. ›Weißt du, dass ich bald sterben muss?‹ fragte ich ihn und weinte. Jonathan dachte ein Weilchen nach. Er antwortete mir wohl nicht gern, doch schließlich sagte er: ›Ja, das weiß ich.‹ Da weinte ich noch mehr. ›Wie kann es nur so was Schreckliches geben?‹ fragte ich« (Lindgren 1974).

15 TN setzen sich mit Gefährdungen auseinander

Die TN sammeln in Kleingruppen Beispiele für existenzielle Zuversichtsgefährdungen

GA

15 TN tauschen sich aus

TN präsentieren Ergebnisse

Plenum

Blick auf die Goldene Mitte

Lied: »Wunder« von Andreas Bourani

3

15 Pause

L E I D FA D E N   – FAC H M AG A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D, T R AU E R   H e f t  1  /  2 0 2 2

1 Flipchartblatt/Kleingruppe

CD-Player/ Bluetoothbox

Fo r t b i l d u n g   1 0 1

Zeit

(Mi­nuten)

Lernziel

UE 3+4

Inhalt

Methode

Material

Zuversichtsbrücken 10

Bewegungsspiel

5

»Und wir spielten und spielten und spielten, sodass es das reine Wunder ist, dass wir uns nicht totgespielt haben« (Lindgren 1977). Humor und Spiel können eine Zuversichts­ brücke sein.

10 TN tauschen sich aus

»Wo habe ich Humor/Ausgelassenheit als Zuversichtsquelle in Gesprächen mit Klient*innen erlebt?«

Zuversichtsbrücke »Humor/Spiel« wird in die Mitte gelegt Murmelgruppen im Plenum

5

»Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen« (Epiktet 1994). Mit unseren Wahrnehmungen, Gedanken und Bewertungen haben wir die Möglichkeit, unsere Welt mehr oder weniger zuversichtlich zu sehen.

5 TN lernen Geschichte kennen

»Die Geschichte mit dem Hammer« (Watzlawick 1983)

Textvortrag

1. Sammeln Sie negative Botschaften von Menschen über sich selbst, andere und die Welt. 2. Finden Sie korrespondierende Zuversichts­ botschaften und entdecken Sie wertschätzende Aussagen, die – auch in Bedrohungen des Lebens – dessen Wert und Würde hochhalten. 3. Tauschen Sie sich über Gedanken und Bewertungen von Ihnen anvertrauten Menschen aus.

Gruppenarbeit

Zettel mit Impulsen

30 TN setzen sich mit Gedankenwelten auseinander TN tauschen sich über berufliche Erfahrungen aus

Zuversichtsbrücke »Die Welt der Gedanken«

15

Austausch im Plenum

10 TN entdecken Zuversichtsgedanken für sich

Gedankenbrücke zur Goldenen Mitte: Ein zuversichtlicher Satz über und für mich für diesen Tag.

EA

1 Flipchartblatt/TN, Stifte

5

TN ertasten einen in ein Tuch eingehüllten Gegenstand (Stimmgabel).

Wahrnehmungsspiel

Stimmgabel/ Tuch

5

»Wie soll ich das wissen, wenn ich es noch nie versucht habe?« (Lindgren 2020).

5 TN setzen sich mit Neugier auseinander

Worauf möchte ich in meinem jetzigen Leben wieder neugierig werden? TN überlegen sich einen konkreten Punkt und notieren ihn.

60 Mittagspause UE 5+6

Zuversichtsbrücke »Neugier« EA

1 Flipchartblatt/TN

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

1 0 2   Fo r t b i l d u n g

Zeit

(Mi­nuten)

Lernziel

Inhalt

Methode

Material

10 TN spüren sich; kommen zur Ruhe

Achtsamkeits-/Atemübung SelbsterfahLindgren: »Und dann muss man ja auch noch rung Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen« (Strömstedt 2012).

Stimmgabel Zuversichts­ brücke »Achtsamkeit und ­Stille«

25 TN entdecken sich in der Natur

Mögliche Impulse für die Wegerfahrung: »Was höre, sehe, rieche ich? Welche Geschwindigkeit tut mir gut?«

Achtsamkeitsspaziergang (EA)

Zuversichtsbrücke »Natur«

10 TN erzählen

Erfahrungstauschtausch: »Was habe ich auf dem Weg erfahren?«

Plenum

5 TN erhalten einen Zugang zum Thema Sinnhaftigkeit

»Das Leben ist etwas, das man hüten und bewahren muss, begreifst du das denn nicht?« (Lindgren 1982). Gerade bei existenziellen Bedrohungen sind Sinnkonstrukte eine wichtige Ressource. Manchmal zerbrechen Menschen unter der Last, und manchmal finden sie n ­ euen Sinn → Fallbeispiel

15 TN setzen sich mit Fall auseinander

Helmut S. ist an ALS erkrankt. Zuversicht findet der Patient in einer neu entdeckten Ressource: Er schreibt Gedichte und lässt Bekannte an dem teilhaben, was ihn bewegt. Dass seine Gedanken weiterleben, erfüllt ihn mit neuem Sinn in scheinbarer Sinnlosigkeit. Impulsfrage: »Wie kann aufgrund persönlicher ­Erfahrungen Sinnhaftigkeit eine Zuversichtsbrücke sein oder werden? Beispiel?«

10 TN bereichern sich gegenseitig

Austausch im Plenum

Zuversichtsbrücke »Sinnhaftigkeit«

PA

Fallbeispiel

15 Kaffeepause UE 7+8 10 5 TN erhalten einen Zugang zur Zuversichtsbrücke »Beziehungen«

10 TN setzen sich mit Beziehungen auseinander

Die TN geben im Kreis einen freundlichen Augen-Blick weiter.

Erfahrungsspiel

»Aber im Katthult-See, zwischen weißen Seerosen, schwammen Michel und Alfred in dem kühlen Wasser herum, und am Himmel hing der Julimond wie eine rote Laterne und leuchtete ihnen. ›Du und ich, Alfred‹, sagte Michel. ›Ja, du und ich, Michel‹, sagte Alfred. ›So soll’s sein!‹« (Lindgren 2019). Meine Netzwerkkarte: TN schreiben Menschen auf einen Zettel, die ihnen Zuversicht ­schenken.

Zuversichtsbrücke »Beziehungen«

EA

L E I D FA D E N   – FAC H M AG A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D, T R AU E R   H e f t  1  /  2 0 2 2

Zettel, Stift

Fo r t b i l d u n g   1 0 3

Zeit

Inhalt

Methode

Material

5

Überleitung mit Lied

Lied: »Sein«

CD-Player/ Bluetoothbox

5

»›Weißt du, Krümel, ich glaube nicht, dass es so schrecklich ist‹, sagte Jonathan. ›Ich glaube, es wird herrlich für dich.‹ ›Herrlich?!‹, sagte ich. ›Tot in der Erde liegen, das soll herrlich sein?!‹ ›Aber geh‹, sagte Jonathan. ›Was da liegt, ist doch nur so etwas wie eine Schale von dir. Du selbst fliegst ganz woandershin‹« (Lindgren 1974).

(Mi­nuten)

Lernziel

15 TN tauschen sich über Spi­ ritualität aus

»Spiritualität ist für mich …« »Wie kann Spiritualität Zuversicht schenken (Beispiel)?«

10

Feedback im Plenum

10 TN entdecken Brücken der Zuversicht

Die TN tragen weitere Zuversichtsbrücken zusammen, diese werden vom KL auf Flipchartblätter geschrieben und zu dem leeren Zettel gelegt.

20

Tagesfeedback im Plenum

5

Zuversichtsbrücke »Spiritualität«

GA

Brain­ storming

Leerer Zettel wird in die Mitte gelegt/ Flipchartpapier CD-Player/ Bluetoothbox

Abschluss: Impuls für die Entscheidung für die Zuversicht

Lied: »Zweifel und Zuversicht«

Abkürzungen: UE = Unterrichtseinheit, KL = Kursleitung, TN = Teilnehmer, EA = Einzelarbeit, PA = Partnerarbeit, GA = Gruppenarbeit

Markus Starklauf, Diplom-Theologe, ist Leiter der Hospiz-Akademie Bamberg, zertifizierter Kursleiter Palliative Care und arbeitet in einer eigener Praxis für Psychotherapie (HPG). Kontakt: m  [email protected] Literatur Epiktet (1994). Handbüchlein der Moral. Stuttgart. Kett, F. (Hrsg.) (2021). Jahrbuch: Ganzheitlich sinnorientiert erziehen und bilden. Gröbenzell. Lindgren, A. (1974). Die Brüder Löwenherz. Hamburg. Lindgren, A. (1977). Das entschwundene Land. Hamburg. Lindgren, A. (1982). Ronja Räubertochter. Hamburg. Lindgren, A. (2019). Michel muss mehr Männchen machen. Hamburg. Lindgren, A. (2020). Pippi Langstrumpf. Alle Abenteuer in einem Band. Hamburg.

Maio, G. (Hrsg.) (2016). Die Kunst des Hoffens. Kranksein zwischen Erschütterung und Neuorientierung. Freiburg u. a. Strömstedt, M. (2012). Astrid Lindgren. Ein Lebensbild. Hamburg. Schnabel, U. (2018). Zuversicht. Wie wir in Krisenzeiten die innere Freiheit bewahren. München. Schwartz, D. (2002). Gefühle verstehen und positiv verändern. Gießen. Watzlawick, P. (1983). Anleitung zum Unglücklichsein. München. Lieder »Hey«, aus: Bourani, A. (2014). Hey. »Sein«, aus: Bourani, A. (2014). Hey. »Wunder«, aus: Bourani, A. (2011). Staub & Fantasie. »Zweifel und Zuversicht«, aus: Wartke, B. (2020). Wandelmut.

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

REZENSION

Trauer und Freude

Ulrike Backhaus

Klaus Onnasch (2021). Trauer und Freude. Das eigene Leben nach schwerem Verlust gestalten. Stuttgart: Klett-Cotta, 179 Seiten

Um es vorwegzunehmen: Zunächst war ich skeptisch diesem Band gegenüber, doch seit ich ihn gelesen habe, bin ich nachhaltig inspiriert und begeistert. Doch der Reihe nach: Klaus Onnasch lebt als Pastor im Ruhestand in Norddeutschland. Seit den 1970er Jahren bietet er Trauergruppen an und ist auch in seinem eigenen Leben von schweren Verlusten nicht verschont geblieben. Nach seinem mit der Ärztin Ursula Gast zusammen verfassten Buch »Trauern mit Leib und Seele« will er in seiner neuen Veröffentlichung »zeigen, wie Trauer und Freude zusammenhängen können« (S. 12). Er berichtet von »persönlichen Erfahrungen und Begegnungen« (S. 14) und davon, wie er in seiner eigenen Lebensgeschichte nach schweren Schicksalsschlägen Trauer und Freude erlebt hat und sein Leben damit erfüllen und bereichern konnte. So möchte er trauerden Menschen Anregungen geben, ihr Leben nach gravierenden Verlusten zu gestalten. In zwei einführenden Kapiteln fächert der Autor mittels persönlich erlebter Geschichten und Eindrücken aus verschiedenen Kulturen Facetten des Themas auf. In den Abschiedswegen vor und nach dem Tod mischen sich hier Trauer und Freude: Hinterbliebene erleben Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit mit der verstorbenen Person und die dauerhafte innere Verbindung mit

ihr, freuen sich für sie über ihr neues Leben nach dem Tod; neue Lebensmöglichkeiten scheinen aber auch für die Trauernden selbst auf und geben Anlass zu Freude, Zuversicht und Hoffnung. Die sich anschließenden ­neurobiologischen Ausführungen verdeutlichen, dass unsere menschlichen Gefühle und Verarbeitungsprozesse letztendlich darauf angelegt sind, unser inneres Gleichgewicht zu erhalten und zu verhindern, dass uns Stress und Schock überwältigen. So kann nach einer (zunächst schützenden) Erstarrung die Trauer mit ihrem Ausdruck und sinnlich wahrnehmbaren Vollzügen, etwa in Ritualen, dazu beitragen, Geschehenes allmählich in das eigene Lebenskontinuum zu integrieren. Freude dient dabei als Ausgleich zu Trauer und Klage und unterstützt die zwischenzeitliche Erholung in diesem Prozess. Ein ausführliches Kapitel über Trauer und Freude im Spiegel verschiedener geschichtlicher Epochen und Religionen stellt das längste des Buches dar und zeugt von der großen Detailkenntnis des Autors und seinen freundschaftlichen Verbindungen zu Gemeinden in Uganda und der Türkei. Eindrücklich wird geschildert, wie in den verschiedenen Traditionen aus dem Teilen der Trauer und der Klage Kraft, Gemeinschaft und Freude entstehen. Trauer wird hier nicht geleugnet, sondern ausgedrückt und ins Fließen gebracht, wie zum Beispiel in afrikanischen Tänzen, so dass

R e z e n s i o n   1 0 5

neue Perspektiven entstehen, die gemeinsam ge- nach dem Spielraummodell schildern, runden feiert werden. »Durch Auseinandersetzung mit das Buch ab. Schmerzen, die tief in Leib und Seele liegen, könIch war also skeptisch: Trauer und Freude – nen Lösungen erfolgen und neue Bahnungen er- was sollte das miteinander zu tun haben? Ich möglicht werden« (S. 80), schreibt Onnasch bei- selbst habe nach zwei schweren Verlusten in meispielsweise bezogen auf das christliche Osterfest. nem Leben damit ringen müssen, leben zu lernen Ein weiteres Kapitel des Buches widmet sich mit dem, was ist, und hatte die Befürchtung, dass dem vom Autor entwickelten Spielin diesem Buch Trauer verharmlost Durch raummodell der Trauer und der wird, indem sie mit Freude in eine Freude. Der konstruktive Umgang Auseinandersetzung Reihe gestellt wird. mit Schmerzen, mit Verlusten wird hier geschildert Das Gegenteil aber ist der Fall: die tief in Leib als ein Pendeln zwischen den Polen Der Autor verpflichtet sich dem und Seele liegen, »Verlustorientierung und Neuorien(kreativen) Ausdruck von Trauer tierung«, »Arbeit und Erholung«, und Klage mit ihrer Verbindung können Lösungen »Ich selbst und die anderen«, »Ich zur darin aufscheinenden Freude. erfolgen und selbst und die verstorbene Person« Er hat mich mit den vielen Beispieneue Bahnungen und »Realität des Alltags und spiri- ermöglicht werden. len und Geschichten nachhaltig intuelle Wirklichkeit« (S. 124 ff.). Den spiriert und durch seine bildhaften Trauerprozess kann man sich wie ein Mobile Beschreibungen dafür gesorgt, dass ich wirklich mit fünf Balken vorstellen, in dem sich die ver- spüren konnte, wie heilsam es ist, Trauer und schiedenen Teile immer wieder neu auspendeln Freude in sich fließen zu lassen. So ist das Leben: (S. 124). Verschiedenste Gefühle und Erlebensweisen miIn abschließenden Ausführungen nimmt On- schen sich und machen in ihrer Vielfalt Lebennasch Bezug auf die spezifisch deutsche Schwie- digkeit aus. rigkeit mit dem Trauern, auf neuere fachliche Ich danke Klaus Onnasch von Herzen für dieTrauertheorien und auf (politische) Erfahrun- sen inspirierenden und mutigen Band. Ich kann gen in der Coronakrise. ihn wärmstens Menschen empfehlen, die einen Zwei Berichte von Menschen, die ihre Erfah- lebendigen und ungewohnten Zugang zum Therungen mit ihrer Trauer und der Trauergruppe ma suchen.

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

VERBANDSNACHRICHTEN

Trauerarbeit und ­Leierspiel Ein Märchen der Zuversicht und ein Blick auf die Trauerarbeit in der Zeit von Covid-19

Foto: Christoph Bevier

Christoph Bevier Vor einigen Monaten machte ich eine Reise zur Ka­ the­ dra­le von Chartres und entdeckte an der ­Außenfassade r, sfigu Esel e der Kirche die Figur, die Sie lend spie r Leie rtres Cha von auf dem Bild sehen. Ich fand Kathedrale die Figur faszinierend. Ein Esel, der auf zwei Beinen steht und eine Leier spielt. Als ich der Geschichte der Figur nachging, stieß ich auf das Märchen »Das Eselein« der Brüder Grimm. Darin wird von einem Königspaar erzählt, das sich sehnlichst ein Kind wünscht. Als nach vielen Jahren der Sehnsucht ein Kind geboren wird, hat es die Gestalt eines Eseleins. Die König-Mutter will das Eselein töten lassen, aber der König-Vater sagt: Es ist unser Kind und es soll mit uns leben. In dem Eselein wächst die Liebe zum Leierspiel. Als es davon spricht, wird es ausgelacht: Was willst du mit Musik? Guck dir mal deine Hufe an! Gegen alle Widerstände erlernt das Eselein das Spielen der Leier. Als es in einem Brunnen das eigene Antlitz sieht, erschrickt das Eselein, kann es zu Hause nicht mehr aushalten und geht auf eine lange Wanderschaft.

    

Später, nach vielen Jahren der Wanderschaft, kommt es an ein Schloss und findet durch seine wunderbare Musik Einlass. Der König wird von der Musik tief angerührt und bittet das Eselein zu bleiben. Wenn ich deine Tochter zur Frau bekomme, bleibe ich, sagt das Eselein. In der Hochzeitsnacht streift das Eselein seine Eselshaut ab und wird zu einem jungen, schönen Prinz. Der König verbrennt die Eselshaut. Das ist eine Kurzversion des Märchens, das ich Ihnen empfehle, ganz zu lesen. Das Märchen ist im Internet frei zugänglich. Ein Motiv des Märchens greife ich an dieser Stelle auf. Gegen alle Erwartungen, gegen alle realistischen Einsichten behält das Eselein den Glauben an sich selbst und die Zuversicht. Das Eselein glaubt, dass es lernen kann, die Leier zu spielen. Diese Zuversicht ist die Grundlage dafür, dass das Eselein zu sich selbst und seine wahre Gestalt findet. Und es bleibt seinem Traum treu. Die Zuversicht ist die große Kraft dieser Treue. Auch Verwandlung ist ein Thema des Märchens. Vom Prinzen in ein Eselein (grundlos, es geschieht einfach) und vom Eselein in einen Prinzen (hier wirken Eigenkräfte und fremde Kräfte ineinander).

Ve r b a n d s n a c h r i c h t e n   1 0 7

Beides sind auch in der Trauer zentrale Motive: Die Zuversicht als eine Kraft, die in der Trauer die Integration des Schmerzes und das neue, veränderte Sein in sich trägt, und die Verwandlung, die Trauernde durch die Intensität ihrer Erfahrung erleben. Und es ist ein langer, mühseliger und einsamer Weg, den das Eselein mit der Leier gehen muss, bis es zum Prinzen werden kann. Am Ende erschrickt es, als es die Eselshaut nicht wiederfindet, weil sie der König verbrannt hat. Die Zuversicht ist die Grundlage für die Verwandlung. Die Zuversicht gibt dem Eselein Handlungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume. Die Zuversicht hilft dem Eselein gegen die Festschreibungen der anderen. Im Märchen wird nicht erklärt, woher das Eselein seine Zuversicht hat. Kann man Zuversicht lernen? Sie einüben? Ist die Treue zu sich selbst eine Folge der Zuversicht oder die Zuversicht eine Folge der Treue zu sich selbst? Zuversicht und Treue zu sich selbst sind ineinander verwoben. Die vergangenen zwei Jahre waren für die Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter von der Covid-19-Pandemie geprägt. Unersetzbare Strukturen brachen weg. Kontakte waren nicht mehr möglich wie zuvor. Trauercafés konnten nicht mehr angeboten werden. Treffen und Begleitungen fielen aus, weil die Räume zu klein waren oder die Hygienebedingungen es nicht erlaubten. Bei vielen herrschte anfangs Hilf­losig­keit und Lähmung. Trauerbegleitung in der Pandemie war ein wenig, wie wenn ein Eselein Leier spielen lernen will. Der Verband selbst reagierte auf zweierlei Art, einmal nach innen und einmal nach außen. Nach innen wurden Fortbildungen angeboten, die Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleitern halfen, digitale Seminare oder überhaupt digitale Kontakte anzubieten. Ein digitaler Stammtisch

wurde ins Leben gerufen. Er bietet Gelegenheit zum Austausch und ist zugleich eine Ideenwerkstatt. Nach außen wandte sich die Petition »Trauer ist systemrelevant«, die Trauer sichtbar und sie als gesellschaftliches Thema bewusstmachen wollte. Die Veröffentlichung der Petition glich dem Spiel der Leier. Viele haben unterschrieben und eine Folge der Petition war, dass sie Trauernden Raum gab, ihre Meinung und ihre Empfindungen zu äußern. Auch hat die Petition die Verbindung aller, denen das Thema Trauer am Herzen liegt, gestärkt. Im Moment, da ich dies schreibe, weiß niemand, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Die Aufhebung der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die im März 2020 beschlossen wurde, wird breit diskutiert und die Meinungen dazu wechseln teilweise rasch. Alle Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter werden aber auch in diesem Winter mit veränderten Bedingungen ihrer Tätigkeit leben müssen, und die Trauernden umso mehr. Dazu ist die Zuversicht, die aus dem Engagement und der Kreativität der Trauerarbeit während der Hochphase von Covid-19 mitgenommen wird, eine wichtige Grundlage. Trauerarbeit ist systemrelevant und Menschen setzen sich für sie ein und setzen sich für Trauernde ein. Christoph Bevier war als evangelischer Pfarrer in Gemeinde, Gefängnis und Gymnasium tätig und arbeitet als Klinikpfarrer in einer psychiatrischen Klinik. Er ist Supervisor im Bereich von Hospiz, Krankenhaus, Seelsorge; Seelsorgeausbildung (KSA), Weiterbildung in systemischer Familientherapie, Bibliodramaleiter, Supervisor (DGfP). Kontakt: [email protected]

Z u v e r s i c h t – d a s P f e i f e n d e r S e e l e i m f i n s t e r e n Wa l d

Leid faden

Thema: Erinnerung

11. Jg. | 2 | 2022

Vorschau Heft 2 | 2022

Alles, was zählt, ist das gelebte Leben Der Lebensrückblick in Therapie und Beratung Arbeit mit traumatisierenden Verlust­ erinnerungen Ist Verweigerung des Erinnerns möglich? Nichterinnern als psychische Stabilisierung

Gestaltung von Erinnerungen: »Einfach so weg« Geschichten von und mit Jugendlichen

Körpergedächtnis Wenn aus verlässlicher Gegenwart plötzlich Erinnerung wird Flut in NRW

u. a. m.

KRAFT UND LAST DER ERINNERUNGEN

Rekonstruktion der gelebten Beziehung

11. Jahrgang

2 | 2022 | ISSN 2192-1202

Leidfaden

FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R

KRAFT und LASTder

ERINNERUNGEN

Impressum Herausgeber/-innen: Monika Müller M. A., KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Zentrum für Palliativmedizin, Von-Hompesch-Str. 1, D-53123 Bonn E-Mail: [email protected] Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Frauenselbsthilfe Krebs e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. Schweidnitzer Str. 17, D-56566 Neuwied E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Arnold Langenmayr (Ratingen), Dipl.-Sozialpäd. Heiner Melching (Berlin), Dipl.-Päd. Petra Rechenberg-Winter M. A. (Hamburg), Dipl.-Pflegefachfrau Erika Schärer-Santschi (Thun, Schweiz), Dipl.-Psych. Margit Schröer (Düsseldorf), Rainer Simader (Wien), Prof. Dr. Reiner Sörries (Erlangen), Peggy Steinhauser (Hamburg) Bitte senden Sie postalische Anfragen und Rezensionsexemplare an Monika Müller, KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Colin Murray Parkes (Großbritannien), Dr. Sandra L. Bertman (USA), Dr. Henk Schut (Niederlande), Dr. Margaret Stroebe (Niederlande), Prof. Robert A. Neimeyer (USA) Redaktion: Ulrike Rastin M. A. (V. i. S. d. P.), BRILL Deutschland GmbH Vandenhoeck & Ruprecht Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen Tel.: 0551-5084-423, Fax: 0551-5084-454 E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Leidfaden erscheint viermal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 360 Seiten. Bestellung durch jede Buchhandlung. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn das Abonnement nicht bis zum 01.10. bei der HGV gekündigt wird. Bestellungen und Abonnementverwaltung: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Leserservice, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen; Tel.: 07071-9353-16, Fax: 07071-9353-93, E-Mail: [email protected] Preise und weitere Informationen unter www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com. Verlag: BRILL Deutschland GmbH, Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen; Tel.: 0551-5084-40, Fax: 0551-5084-454 www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2192-1202 ISBN 978-3-525-40790-5 ISBN 978-3-666-40790-1 (E-Book) Umschlagabbildung: Frank Duveneck, Whistling Boy, 1872 Anzeigenverkauf: Ulrike Vockenberg, Kontakt: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. © 2022 by Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen, Germany, an imprint of the Brill-Group (Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Germany; Brill Österreich GmbH, Vienna, Austria) Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress. Gestaltung, Satz und Lithografie: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany

Einem weit verbreiteten Problem des 21. Jahrhunderts auf der Spur: Alleinsein und Einsamkeit

Rainer Gross

Allein oder einsam?

Die Angst vor der Einsamkeit und die Fähigkeit zum Alleinsein 2021. 232 Seiten mit 2 Grafiken, kartoniert € 28,00 D | € 29,00 A ISBN 978-3-205-21394-9 E-Book | E-Pub € 22,99 D | € 23,70 A

In Zeiten der Corona-Pandemie ist die zunehmende Vereinsamung in der Gesellschaft in den Mittelpunkt politischer und medialer Debatten gerückt. Rainer Gross beleuchtet dieses Phänomen aus soziologischer, psychologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive und beantwortet die Frage, wie es im Zeitalter von Lockdowns, sozialen Netzwerken und zunehmender Entfremdung um unser soziales Gefüge bestellt ist. Mit fundiertem Fachwissen und vielfältigen kulturellen Exkursen – etwa zu Jean-Jacques Rousseau und Hermann Melville, zu den Beatles oder zu Game of Thrones – werden die vielen Facetten des Alleinund Zusammenseins anschaulich dargestellt. Das Buch ist nicht nur ein Wegweiser durch die Krise, sondern auch ein Plädoyer für mehr Solidarität und Toleranz sich selbst und anderen gegenüber.

Klimawandel, Klimakrise, Klimaängste: die existenzielle Bedrohung rückt näher

Martin Scherer / Josef Berghold / Helmwart Hierdeis (Hg.)

Klimakrise und Gesundheit

Zu den Risiken einer menschengemachten Dynamik für Leib und Seele Mit einer Einleitung von Martin Herrmann. 2022. 213 Seiten mit 2 Abb. und 2 Tab., kartoniert € 30,00 D ISBN 978-3-525-40771-4 Auch als e-Book erhältlich.

Die Klimakrise läuft allen Verleugnungen und aller Ignoranz zum Trotz auf eine ökologische, ökonomische und soziale Katastrophe zu. Bestandsaufnahmen aus Klimaforschung, Geografie, Psychologie, Psychoanalyse und Medizin stellen die Frage, welche Folgen dies für die Gesundheit der Menschen schon hat und zunehmend haben wird. Besonderes Interesse gilt dabei den wachsenden Ängsten, ihren Ursachen und ihren Konsequenzen für Einzelne, für das gesellschaftliche Zusammenleben und für die Generationenverhältnisse. Die Beiträge machen deutlich: Auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Klimakrise auf Leib und Seele und ihre Bewältigung wird sich erweisen, ob die Menschheit ausreichend Intelligenz und Entschlusskraft aufbringen kann, um ihren Fortbestand zu sichern.

Coronamüde? Die Pandemie-Erschöpfung verstehen und überwinden

Dagmar Kumbier / Constanze Bossemeyer

Zuversicht trotz Corona-Blues Psychologisches Handwerkszeug für Pandemiegeschüttelte

Mit einem Vorwort von Friedemann Schulz von Thun. 2021. 150 Seiten mit zahlreichen farb. Abb., kartoniert € 20,00 D ISBN: 978-3-525-40859-9 Auch als E-Book erhältlich.

Die Pandemie hat uns aus unserem Alltag gerissen und in eine andere Welt geworfen. Trotz erheblicher Einschränkungen und Bemühungen erweist sich der Weg zurück in eine Normalität als quälent langsam. Was löst all das in uns aus? Was genau macht die Situation so unerträglich, warum gewöhnen wir uns nur begrenzt an die äußere und innere Situation? Warum werden so viele mehr oder weniger depressiv? Was kann uns helfen, diese Situation psychisch möglichst gut zu überstehen und anderen in Therapie, Beratung, Schule und Klinik dabei zu helfen? Und was können wir aus diesen Erfahrungen für die Bewältigung anderer Krisen lernen? Wer nach passender Ausrüstung für die Reise in die Nach-Corona-Zeit sucht, wird hier fündig.

Einfühlsame und mutige Traumatherapie rund um das Ego-State-Modell

Susanne Leutner / Elfie Cronauer

Traumatherapie-Kompass

Begegnung, Prozess und Selbstentwicklung in der Therapie mit Persönlichkeitsanteilen Mit einem Vorwort von Wolfgang Wöller. 2022. 405 Seiten mit 38 teils farb. Abb. und 2 Tab., gebunden € 45,00 D | € 47,00 A ISBN 978-3-525-45332-2 Auch als e-Book erhältlich.

Die Behandlung von Menschen mit komplexen Traumatisierungen stellt Therapeutinnen und Therapeuten vor große Herausforderungen. Über die etablierten traumatherapeutischen Konzepte hinausgehend stellen die beiden Autorinnen ihren schulenübergreifenden Ansatz zur entwicklungs- und prozessorientierten Arbeit vor. Der besondere Akzent liegt auf der vernetzend-systemischen Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen sowie der Kombination mit EMDR. Der therapeutischen Beziehung kommt dabei ein ebenso hoher Stellenwert zu wie dem konsequenten Blick auf die Stärken der Klientinnen und Klienten. Die Therapeutin kann in der Begegnung mit der Klientin herausfinden, was diese braucht, wie viel Belastung sie bewältigen kann und wie viel Stärkung nötig ist für den passenden nächsten Schritt auf ihrem ganz eigenen Weg. Eine Fülle von Anleitungen, Fallbeispielen und Übungen bereichert den Traumatherapie-Kompass.

Eine philosophische Reise durch unsere notwendig unsichere Welt hin zu einem gelingenden Leben Rainer Zech

Gelingendes Leben in einer unsicheren Welt Ein ethischer Kompass 2022. 182 Seiten mit 1 Tab., kartoniert ca. € 23,00 D ISBN 978-3-525-40795-0 Auch als e-Book erhältlich.

Klimawandel, Terrorismus, Finanzkrisen, Demokratiekrise, Viruspandemie prägen unsere Welt. Aus der grundlegenden Unsicherheit des Lebens und der Fluidität des menschlichen Selbst lassen sich Aufgaben für ethisch verantwortliches Handeln ableiten. Rainer Zech plädiert für den Übergang von einer Ethik der Arbeit zu einer Ethik des Lebens. Ethisch verantwortliches Handeln hat dabei nicht nur die eigene Würde, sondern die Würde alles Lebendigen im Blick. Zechs Reflexionen gipfeln im Ziel gelingenden Lebens, das zugleich Ziel der Ethik ist. Sogar ein gelingendes Sterben könnte möglich sein.

ISBN 978-3-525-40790-5

9 783525 407905