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German Pages [108] Year 2018
7. Jahrgang 3 | 2018 | ISSN 2192-1202
faden Leid
FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R
Wer’s glaubt, wird selig!? Mystik, Mythen, Aberglaube
Edition LEidfadEn
Gina Krause | Mechthild Schroeter-Rupieper
Matthias Schnegg
Menschen mit Behinderung in ihrer trauer begleiten
Was trägt? trauer und Spiritualität
Ein theoriegeleitetes Praxisbuch 2018. Ca. 144 Seiten, Paperback € 15,00 D ISBN 978-3-525-40636-6
Wo finden sich Unterschiede in der Trauer von Menschen mit und ohne Behinderung? Welche andere Art von Unterstützung könnten Menschen mit Behinderung gebrauchen? Wie kann die begleitende Person diese Unterstützung gewährleisten? Grundlegend für eine gute Begleitung ist die Haltung. Die Autorinnen zeigen, wie man Menschen mit Behinderung in ihrer Trauer begleiten und dabei einen ressourcenorientierten und ganzheitlichen Blick einnehmen kann. Trauer wird dabei als Fähigkeit verstanden, die Umstrukturierung und Anpassung ermöglicht. Das Buch bietet sowohl Grundlagenwissen als auch Handlungskompetenzen.
Trauerbegleitung als verstehender Zugang und heilsame Zuwendung 2018. Ca. 128 Seiten, Paperback € 15,00 D ISBN 978-3-525-40637-3
Spiritualität ist für viele ein bewegendes Thema – sowohl im Durchleben der Trauer nach einem Verlust als auch im begleitenden Mitgehen mit Trauernden. Matthias Schnegg beschreibt das vielfältige Verständnis von Spiritualität als einer bestimmten Geisteshaltung. Spiritualität ist für ihn eine Grundhaltung, in der Menschen ihren Verlust aufnehmen und in der Menschen anderen Menschen in ihrem Verlust begegnen. Beispiele aus der Praxis eigener Trauerbegleitung verlebendigen diese Aussagen zur Spiritualität. Das Buch schließt ab mit einigen methodischen Beispielen – aus der Perspektive von Trauernden und auch aus der von Trauerbegleitenden.
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EDITORIAL
EDITORIAL »Aberglaube ist das andere Wissen, oft genug widerlegt und doch hartnäckig verankert in einem Alltagswissen, das die Welt in unumschränkter Bezüglichkeit deutet. Wo immer Medizin, Technik, Naturwissenschaften und Religion versagen, suchen Menschen Zuflucht zu einer Weltsicht, die keinen Zufall kennt.« Eva Kreissl Es war weder ein Freitag, der Dreizehnte, noch war ich mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden. Auch eine schwarze Katze, die beim Verlassen des Hauses meinen Weg hätte kreuzen können, war mir nicht begegnet. Dennoch war ich am Abend nach der Sitzung der Herausgeber des Leidfadens überzeugt, dass irgendetwas schiefgelaufen war. Ich hatte das große Los gezogen, denn an mir war die Verantwortung für eine Ausgabe hängen geblieben, die sich irgendwie mit dem weiten Feld des Aberglaubens befassen sollte. Nicht mein Thema, dachte ich bei mir, denn ich zähle mich eher zu den aufgeklärten Zeitgenossen. Und die Titelvorschläge für das Heft aus der Gruppe machten das Ganze nicht einfacher: Ich möchte gern an Wunder glauben oder Wer’s glaubt, wird selig!? Kann bei der Behandlung des Themas in einer seriösen Fachzeitschrift etwas anderes herauskommen als eine distanzierte Skepsis gegenüber allen Formen von Wahrsagerei, Wunderglaube oder Voodoo-Zauber? Ich hatte mir bis dahin keine Gedanken darüber gemacht, wieweit Aberglaube in der Gesellschaft verbreitet ist. Aber da hilft ja Google, und die Suchmaschine vermittelt rasch auf die Seiten von Meinungsforschungsinstituten, die dazu repräsentative Umfragen durchgeführt haben. Und welche Überraschung? Das renommierte Institut für Demoskopie Allensbach resümierte nach
einer Befragung 2005: »Auch in einer Zeit, die durch Technik und Wissenschaft geprägt ist, hat der Aberglaube seine Überzeugungskraft nicht verloren. Im Gegenteil, aus den Umfragen, die das Institut für Demoskopie Allensbach seit Jahrzehnten zu dem Thema durchführt, wird deutlich, daß der irrationale Glaube an gute und schlimme Vorzeichen in der Bevölkerung lebt und heute weiter verbreitet ist als noch vor einem Vierteljahrhundert.« Bis zu 42 Prozent der Befragten gaben an, bestimmten Vorzeichen vom vierblättrigen Kleeblatt bis zum Schornsteinfeger eine Bedeutung beizumessen. Kaum weniger interessant war indes die Reaktion jener Menschen, die sich absolut frei von jeglichem Aberglauben wähnten, auf die Nachfrage, ob sie denn einen Geburtstag vorfeiern würden. Nein, das würden sie auf keinen Fall tun, denn damit würde man ja das Schicksal herausfordern oder gar ein Unglück heraufbeschwören! Nun muss ich meinerseits gestehen, dass ich diese Ansicht durchaus teile. Wie weit verbreitet ist also Aberglaube unter uns tatsächlich? Umfrageergebnisse sind das eine, noch aufschlussreicher ist das Surfen durchs Netz, wo in Foren und Chatrooms über unerklärliche Dinge diskutiert und spekuliert wird. Es dauerte nicht lange, bis ich auf den Aberglaube-Knigge von Horst Hanisch (2016) gesto
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ßen bin, von dessen Sinnhaftigkeit mich der Autor alsbald überzeugte. Man solle einfach bestimmte Regeln beachten, selbst wenn man ihnen persönlich keine Bedeutung beimisst, denn rasch könnten andere Menschen dadurch verunsichert sein. Bei einer Begrüßung bringt es Unglück oder sogar den Tod, wenn sich die Menschen die Hand zum Gruß über Kreuz reichen, sagt der Aberglaube. Mag mir das ziemlich egal sein, so kann ein Mensch, der davon überzeugt ist, zutiefst irritiert sein, wenn es unbedacht geschieht. Demnach, so Hanisch, sei es schon angebracht, bestimmte Benimmregeln einzuhalten, selbst wenn man sie selbst einem unsinnigen Aberglauben zurechnet. Was Aberglauben ist, bestimmen übrigens immer die anderen, also die, die nicht daran glauben. Wer daran glaubt, hat die Gewissheit, dass es gilt. Historisch zeugen davon die ungezählten Amulette, Talismane und apotropäischen Zeichen, mit denen man das Glück herbeizwang und das Unglück abwehrte. Susanne Klemm, die Leiterin des Fränkischen Museums in Feuchtwangen, hatte dazu 2017 eine bemerkenswerte und anschauliche Ausstellung gezeigt, über die sie in diesem Heft berichtet: Drudenfüße, Korallenbäumchen, Wettersegen und Heilige Längen haben das Unheil abgewehrt. Garantiert. Zumindest für alle die, deren Vieh im Stall von Seuchen und das Haus vom Blitzschlag verschont blieben. Die Gewissheit ihrer Wirksamkeit war für sie durchaus empirisch untermauert. »… hat geholfen …« heißt es auf vielen Votivtafeln in katholischen Wallfahrtskirchen, und wer wollte das bestreiten, wenn ein übles Leiden wieder verschwunden ist. Mehr aber noch zeigen die Exponate dieser Ausstellung, wie nahe sich christlicher Glaube und unchristlicher Aberglaube gekommen sind – bis zur Deckungsgleichheit. Doch nochmal zurück zu den Umfragen. In ihrer Natur liegt es, dass sie nur sehr oberfläch-
lich die Beobachtung einiger Vorzeichen abfragen. Auf die Frage »Hatten Sie schon einmal Kontakt mit Verstorbenen?« wäre ein Interview wahrscheinlich schnell zu Ende. Und wäre das überhaupt Aberglaube? Liest man den völlig unaufgeregten Artikel von Vadim Tschenze, so ist man geneigt, den Kontakt mit dem Jenseits für die normalste Sache dieser Welt zu halten. Die Schwelle zwischen Aberglauben und nicht erklärbaren Vorkommnissen, die man wissenschaftlich paranormale Phänomene nennt, ist praktisch nicht vorhanden. Und manche halten die Esoterik für die jüngere Schwester des Aberglaubens. Sachliche Beiträge dazu stammen aus der Feder von Dieter Vaitl, dem Leiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg, und von Bernd Harder, dem Pressesprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V. (GWUP) und Redakteur der GWUP-Zeitschrift »Skeptiker«. Steigt man von den seichten Gewässern des banalen Aberglaubens in die Tiefen fantastischer Ereignisse, dann wird das Thema plötzlich spannend. Erinnerungen aus meiner Kindheit werden wach, wenn in den dunklen Stunden der Dämmerung eine Bekannte meiner Großmutter, eine evangelische Diakonisse, von unheimlichen Begegnungen der dritten Art erzählte. Als Titelvorschlag für das Heft war zeitweise auch Wenn im November die Nebel wallen im Gespräch, wenn die finsteren Heere der Totengeister durchs Land brausen, seien es die wilde Türst, die kinderrau bende Sträggele oder einfach die Armen Seelen, die im Tode keine Ruhe finden dürfen. Kurt Lussi, der Schweizer Volkskundler und Konservator am Historischen Museum in Luzern, bringt die Totenheere und magische Orte in der Schweiz miteinander in Verbindung. Die Anderwelt war und ist im Denken der Menschen präsent. Und sei es nur, weil Vampire,
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zum Thema zwischen Anerkennung und Kritik dieser vierten Dimension zu finden. Dass das mit den bereits an dieser Stelle genannten wie mit den noch nicht genannten Beiträgen gelungen sein möge, ist meine Hoffnung.
Reiner Sörries
PS: Immerhin verdanken wir der EU-Kommission doch eine Maßnahme, die zur deutlichen Reduzierung abergläubischer Praktiken führen wird. Gemäß der »Verordnung (EU) 2015/628 der Kommission vom 22. April 2015 zur Änderung von Anhang XVII der Verord nung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Par laments und des Rates zur Registrierung, Bewer tung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) hinsichtlich Blei und seiner Ver bindungen« wird künftig Bleigießen, ein beliebtes Orakel an Silvester, nicht mehr möglich sein. Der Verkauf von Erzeugnissen mit einem höheren Blei-Gehalt als 0,3 Prozent wird untersagt. Figuren zum Bleigießen enthalten jedoch bis zu 71 Prozent des giftigen Schwermetalls. Literatur Hanisch, H. (2016). Aberglaube-Knigge 2100. Von schwarzen Katzen, der linken Hand des Teufels und den Glücksbringern. Norderstedt. Institut für Demoskopie Allensbach (2005). Gute und Ungute Vorzeichen. Aberglaube existiert weiter. Allensbacher Berichte 5. https://www.ifd-allensbach.de/ uploads/tx_reportsndocs/prd_0507.pdf Kreissl, E. (Hrsg.) (2013). Kulturtechnik Aberglaube. Zwischen Aufklärung und Spiritualität. Strategien zur Rationalisierung des Zufalls. Bielefeld.
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Colourbox
Geister und anderer Horrorgestalten immer noch die Kinokassen füllen oder die Einschaltquoten für TV-Serien garantieren. Gehören eigentlich Hexen zu dieser Anderwelt, fragt man sich nach der Lektüre von Andrea Rudolph, der Leiterin des Museums für Alltagsmagie und Hexenverfolgungen in Mecklenburg in der Burg Penzlin bei Neubrandenburg, oder sind sie nicht ganz zu Recht zu unserer Hausgenossenschaft zu zählen, wie das Ernst Barlach in Prosa und Kunst eindrucksvoll dargestellt hat? Oder muss man der historisch-kritischen Sicht von Johannes Dillinger folgen, zu dessen wissenschaftlichen Schwerpunkten die Erforschung von Magie und Hexenverfolgung gehört? Und der Beitrag zur Wirklichkeit von Vampiren von Hans Meurer, einem der renommiertesten Mythenforscher Deutschlands, endet mit einem doppelten Satzzeichen, einem Ausrufe- und einem Fragezeichen. Praktiken, die man als magisch, abergläubisch bezeichnen kann, verfolgen letztlich zwei Ziele. Sie wollen Glück, Wohlergehen und Gesundheit herbeizwingen, sie wollen aber vor allem das Unheimliche, das Böse bannen. »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen« heißt es im Vaterunser, und dieser Passus wurde von Papst Franziskus kritisiert, denn es suggeriere, eine Verführung zum Bösen ginge von Gott aus. Dass es das Böse gibt, davon aber waren (und sind) Menschen überzeugt. Also tun wir gut daran, uns mit dem Bösen zu befassen und zu fragen, woher seine Faszination bis in die Unterhaltungsmedien reicht. Die Faszination, die vom Bösen bis heute ausgeht, beschreibt Isabel von Papen anhand der TV-Serie »Supernatural«. Im Herausgeberkreis waren wir uns einig, dass das Heft keinen Aufklärungsanspruch, eher einen Umgangsanspruch haben soll. Das machte dann die Arbeit am Heft für mich doch noch spannend, einen ausgewogenen Zugang
Inhalt Editorial 1
6 Susanne Klemm
»Wer’s glaubt wird selig« – Eine Ausstellung im Fränkischen Museum Feuchtwangen wird besichtigt
15 Isabel von Papen
Menschen retten, das Böse jagen – ein Familien
22 Ulrike Neurath | Wenn das Käuzchen ruft – Volkstümliche Todesvorboten
auftrag: Die Horrorserie Supernatural
18 Norbert Fischer
Von Gongern und Galionsfiguren – Aberglaube an der Küste
22 Ulrike Neurath
Wenn das Käuzchen ruft – Volkstümliche Todesvorboten
27 Horst Hanisch
Weshalb braucht es einen Aberglauben-Knigge?
32 Kurt Lussi
Die Wiederkehr der armen Seelen – Wo die Welt zwischen Diesseits und Jenseits Wirklichkeit ist
39 Johannes Dillinger
Der Wandel der Hexenvorstellung vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart
32 Kurt Lussi | Die Wiederkehr der armen Seelen
44 Andrea Rudolph
An Rändern, Grenzen und Schwellen – Positive Um deutungen der Hexe in Werken von Ernst Barlach
58 Vadim Tschenze Kontakte mit dem Jenseits
76 Gary Bruno Schmid | Der psychogene Tod – Abschied durch Vorstellungskraft
50 Hans Meurer
Vampire gibt’s doch gar nicht – oder!? Der dunkle Mythos und die Lust am Unheimlichen
55 Dieter Kremp
Gedanken rund um den Tod in Mythologie, Religion und Philosophie
58 Vadim Tschenze
Kontakte mit dem Jenseits
64 David Roth
Muss man Angst vor den Toten haben?
66 Interview mit Regina und Andreas Ströbl Von der Angst in der Gruft
70 Dieter Vaitl
Parapsychologische Phänomene
76 Gary Bruno Schmid
Der psychogene Tod – Abschied durch Vorstellungskraft
83 Bernd Harder
Wohlklingende Egozentrik – Was hat die Esoterik zu Krankheit, Verlust und Tod zu sagen?
88 Museen und Ausstellungen 91
Rezensionen und Buchtipps
97 BVT-Nachrichten
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Cartoon | Vorschau
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Impressum
83 Bernd Harder | Wohlklingende Egozentrik – Was hat die Esoterik zu Krankheit, Verlust und Tod zu sagen?
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»Wer’s glaubt wird selig« Eine Ausstellung im Fränkischen Museum Feuchtwangen wird besichtigt
Susanne Klemm Eine Ausstellung im Fränkischen Museum Feuchtwangen beleuchtete vom 16.09.2017 bis zum 10.12.2017 verschiedene Formen des Aberglaubens in Geschichte und Gegenwart. Die oft skurrilen Erscheinungsformen der im Volksglauben gebräuchlichen Objekte und Amulette, die Objektivationen magischen Handelns lassen kaum erahnen, dass das magische Denken ein überzeitliches ist, das sich in allen Kulturen der Menschheit vorfindet. participation mystique Dem magischen Denken liegt die »participation mystique« (Lévy-Bruhl) zugrunde, »das mystische Erlebnis der Verbundenheit von Dingen in der Welt, die sich deshalb im Guten wie im Bösen wirkungsvoll beeinflussen können« (Hansmann und Kriss-Rettenbeck, 1977, S. 8 f.). In diesem Denksystem sind Kosmos, Welt und Mensch miteinander verbunden, korrespondieren Makrokosmos und Mikrokosmos. Dieser Logik folgend kann die Sternenkonstellation das Schicksal von Menschen beeinflussen, können künftige Ereignisse aus Himmelserscheinungen oder dem Vogelflug herausgelesen werden. Umgekehrt kann der Mensch mittels spezieller Dinge, die auf okkulte Weise miteinander in Verbindung stehen, Einfluss nehmen auf sein Schicksal. Von Bedeutung war hier die Sympathielehre, wobei von äußeren Merkmalen und Ähnlichkeiten auf deren Verwandtschaft und auf innere Zusammenhänge geschlossen wurde. Man glaubte, die Bohne hätte eine Heilwirkung bei Nierenlei-
den, Gold könne Gelbsucht abwenden und die Walnuss tauge gegen Erkrankungen des Gehirns. Über die kosmische Sympathie – einen geheimen Zusammenhang von Sternenwelt, Luft und Erde, Welt und Mensch, Dingen und Kräften – hatten bereits die antiken Philosophen, die Mystiker, Naturphilosophen und Astrologen nachgedacht. Im Mittelalter wurde die Sympathielehre zu einer umfassenden Ideologie ausgebaut, die Analogien, Astrologie, Zahlenmagie, die Wirkungen von Edelsteinen, Kräutern und anderen Heilmitteln vereinte und in Form von Tabellen darstellte. Man sprach volkstümlich von »Sympathie machen« im Sinn von Krankheiten (magisch) besprechen, heilen durch Zaubersprüche. Die ländliche Bevölkerung suchte bei Krankheiten nicht den Arzt auf, sondern den »Sympathiedoktor«, der oftmals im Hauptberuf als Schäfer, Barbier, Totengräber oder Scharfrichter fungierte. post hoc ergo propter hoc Der Satz »post hoc ergo propter hoc« (lateinisch für: Nach diesem Ereignis, also wegen dieses Ereignisses) bezeichnet einen Fehlschluss, nämlich die Vorstellung, dass zwei Ereignisse, die zeitlich aufeinander folgen, auch kausal miteinander verknüpft seien, nach dem Muster: »Auf Ereignis A folgt Ereignis B, folglich hat Ereignis A das Ereignis B verursacht«. Das Sophisma ist für zahlreiche abergläubische Vorstellungen verantwortlich, etwa »Weil in der Nacht die Uhr stehen blieb, ist tags darauf der Großvater gestorben«. Der logische Fehlschluss ist weit verbreitet. Wie
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ein historisches Fallbeispiel aus der Medizin zeigt, können sich ohne kritische Prüfung der Umstände schnell Fehltherapien einstellen. In dem erwähnten Fall wurde 1895 einem an Kiefergelenkschmerzen leidenden Patienten eine arsenhaltige Lösung verabreicht. Da im folgenden Zeitraum die Schmerzen nachließen, wollte man daraus einen Behandlungserfolg ablesen – ein gefährlicher Trugschluss. Aus der Fülle der möglichen Themenfelder zum Volksglauben (allein der Bereich der Weissagungen kennt 47 Methoden der Wahrsagung, von Aeromantie/mit Hilfe von atmosphärischen Erscheinungen über die Ophiomantie/aufgrund der Bewegungen von Schlangen bis hin zur Spedomantie/mit Hilfe von Asche) musste sich die für Feuchtwangen konzipierte Ausstellung auf wenige Kernthemen beschränken. Diese waren: Grenzbereiche von Religion und Magie, Amulettgebrauch, Volksmedizin, Volksglauben rund um Schwangerschaft und Geburt, Volksglauben im evangelischen Franken, Volksglauben im 20. Jahrhundert. Aus privaten Sammlungen konnten hierzu etwa 300 Exponate gezeigt werden, die aus Altbayern, Franken und Schwaben stammen. Aus einem Bauernhaus in Nürtingen stammt eine grob gezimmerte Stalltür, die mit magischen Zeichen bemalt und mit zahlreichen Abwehrmitteln behängt ist (Abb. 1). Fellstücke, Tierklauen und Zunderschwämme sind aufgenagelt, eine eiserne Kette mit Gewicht hängt in der Mitte herab, im unteren Querbrett steckt ein spitzes Messer und oben ist mittig ein getrockneter Tierembryo aufgenagelt. Die Tür sollte das Eindringen von Hexen, Truden und Dämonen in den Stall verhindern, die als Verursacher von Seuchen und Krankheiten beim Vieh betrachtet wurden. Insbesondere scharfe und spitze Gegenstände aus Eisen waren in jedem Fall wirkungsmächtig gegen Hexenzauber. Handgeschmiedete Eisen nägel sollten Unheil verbannen, Krankheiten »vernageln«, Hexen vertreiben. Man schlug sie in Mauern, in Balken, in die Stalltür, steckte sie
Abb. 1: Stalltür mit magischen Zeichen und Abwehrmitteln, Nürtingen, wohl 19. Jahrhundert, Sammlung Dr. Stephan Bachter. © Günter Schmidt
Abb. 2: Eisennagel in einem Samtkissen steckend, Schwaben, 19. Jahrhundert, Sammlung Dr. Stephan Bachter. © Günter Schmidt
in kleine Kissen (Abb. 2) oder in Röhrenknochen oder formte aus ihnen ein Stallkreuz. Verstärkt wurde die Wirkung durch Verwendung von Sargnägeln oder Galgennägeln.
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Abb. 3: Korallenbäumchen mit Amuletten und Edelsteinen, Silber, gefasst, um 1800, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Auf Scheren, Messern (sogenannte Trudenmesser) und bäuerlichen Arbeitsgeräten findet man gelegentlich Heilszeichen (Kreuz, IHS) und magische Zeichen (Pentagramm, Hexagramm, Sterne, Monde) eingraviert. Wie die Autoren der Aufklärung häufig betonten, war vor allem das »gmain und unwüssend Volk« anfällig für den Aberglauben. Die magisch genutzten Objekte sind daher überwiegend der Lebenswelt der ländlichen Bevölkerung entnommen. Allerdings ist überliefert, dass auch Gelehrte, Ärzte, Fürsten, ja selbst Pfarrer nicht frei von Aberglauben waren. Arzney so man an Hals henckt Ein Korallenbäumchen mit Silbermontierungen, behängt mit 22 Amuletten (Abb. 3), belegt schon aufgrund seines Materialwertes diese These. Der sicher wohlhabende Eigentümer dieses Kompositamuletts war an Leib und Leben vor allen Gefahren und Krankheiten geschützt, denn Steine und Mineralien galten in der Volksmedizin als magisch wirksame Heilmittel. Nicht nur Edelsteine, auch fossile, tierische und pflanzliche Fundstücke sollten in Silber gefasst und am Körper getragen Heilung bringen. Das Amulett betrachtete man im 17. Jahrhundert als »Arzney so man an Hals henckt«. Form und Farbe der Korallenzweige wurden in Analogie zu den menschlichen
Adern gesehen. Sie galten seit der Antike als im Meer versteinerte Blutspritzer, die entstanden, als Perseus das Haupt der Gorgo abschlug. Demzufolge waren Korallen mächtige Mittel zur Abwehr des bösen Blicks und sie verliehen dem Menschen Kraft und Stärkung. Der geschliffene Ammonit sollte gegen Rheumatismus schützen. Der Karneol spendet Lebensfreude und Energie, nach Hildegard von Bingen hilft er gegen Blutungen, Kopfschmerzen und Erkältungen. Der ohrenförmige Deckel der Turboschnecke wurde als »Hochmutter« bzw. »Hochvater« bezeichnet. Als dreiteiliges, in Silber gefasstes Amulett sorgte es für Kindersegen und eine komplikationslose Schwangerschaft. Augensteine sind Achate in grüner und gelblicher Schichtung. Rundliche geschliffene Exemplare wiesen eine augenartige Zeichnung auf – begehrte Mittel gegen den »bösen Blick«. Moosachat verleiht im Volksglauben materiellen Besitz, Bergkristall schärft den Blick, ermöglicht Hellsehen und hilft gegen Pest und Epilepsie. Der Malachit, in Herzform gefasst, wurde von Frauen als Schreckstein getragen. Die sogenannten Krebsaugen (Kalkdeckel vom Nackenschild des Krebses) waren beliebte Amulette bei Wöchnerinnen, sie wurden zudem gegen Augenleiden eingesetzt. Der Penisknochen eines Marders sollte die Virilität erhöhen. Die »Natternzungen« (fossile Hai-
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Abb. 4: Taukreuz, Silber, 17. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Abb. 5: Zwei Reliquienkreuze, linkes Kreuz: aus Holz und Bein, Oberammergau, um 1830; rechtes Kreuz: Messing, mit Altöttinger Madonna, um 1870, Sammlung Robert Gasteiger. © Günter Schmidt
fischzähne) boten Schutz gegen Vergiftung und üble Nachrede. Das Korallenbäumchen dürfte wie vergleichbare Objekte um 1800 entstanden sein. Oft war es nur eine Frage des Standpunkts, der Bewertung, ob Dinge dem Aberglauben zugerechnet wurden. In der Ausstellung wurde dazu eine Reihe von Exponaten gezeigt, die durchaus in der Grauzone zwischen Glauben und Aberglauben anzusiedeln sind. Katholische Christen benutzten in ihrer täglichen Glaubenspraxis spezielle Kreuze (Ulrichskreuz, Caravacakreuz, Scheyrerkreuz, Wallfahrtskreuze), geweihte Rosenkränze, Segenszettel (Zachariassegen, Theklasegen), Votivgaben und Devotionalien, die in den Augen von Protestanten als äußerst fragwürdig galten. Die katholische Kirche spricht hier von den Sakramentalien, die die Frömmigkeit der Gläubigen unterstützen können, wenn sie in rechter Andacht und mit frommem Gebet verwendet werden. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben: Der katholische Christ unterstellte sich in seinen Frömmigkeitsäußerungen immer der Allmacht Gottes. Das ihm von Gott auferlegte Schicksal nahm er in Demut an. Der magisch denkende Mensch versuchte, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und mit Hilfe von zauberischen Praktiken Gesundheit, Glück und Wohlstand zu erlangen.
Und oftmals waren der fromme Christ und der magisch handelnde Mensch in einer Person miteinander verbunden. Das Taukreuz (Abb. 4) sollte gegen Fieber und tödliche Krankheiten helfen, insbesondere gegen die Pest. Schon Gregor von Tours (gestorben 594) schreibt, dass in der südfranzösischen Provinz Arelatum die Pest durch Anwendung des Taukreuzes erloschen sei. Das Tau galt als Sinnbild der Dreifaltigkeit. Auf dem Anhänger (Silber, 17. Jahrhundert) sind Beschwörungsformeln eingraviert: »PATER; FILIUS; SPRIRITUS SANCTUS« und rückseitig »Jesus, Maria, Franciscus, Joseph«. Beliebt waren die Reliquienkreuze, die im 19. Jahrhundert in Oberammergau und an anderen Orten hergestellt wurden (Abb. 5). Sie bargen in den hohl gearbeiteten Kreuzesbalken sorgsam montierte Heiligenreliquien, die mit Golddraht und Schmucksteinen ausgeziert waren. Die Kreuze ließen sich über ein Scharnier oder einen Schiebedeckel öffnen, so dass die Reliquien betrachtet und verehrt werden konnten. Diese fromme Praxis kritisierte bereits Martin Luther. Er spottete, Reliquien seien nichts als nutzlose »Hunds- und Rossknochen«, »ein tot Ding«, das nichts bewirken könne, jedenfalls kein Wunder. Weit verbreitet waren die Breverl, viermal gefaltete Schutzbriefe, die immer in einer kostbaren
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Abb. 6: Drei Breverl in unterschiedlicher Ausstattung: Kruzifixus, goldhinterlegter Glasschnitt, um 1800; Textil mit IHS in Perlenstickerei; herzförmiges Breverl mit Applikationen, 19. Jahrhundert, Sammlung Robert Gasteiger und Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Hülle aufbewahrt wurden (Abb. 6 und 7). Wer sie am Körper trug, glaubte sich sicher geschützt vor bösem Einfluss, Zauberei, Pest, Feuer und Besessenheit. Die Breverl enthalten einen neunteiligen Kupferstich, in dessen Mitte miniaturartige Madonnen- und Heiligenfigürchen eingeklebt sind, ferner Ulrichskreuze, Reliquien, Palmkätzchen, Samenkapseln, Medaillen, Münzen und Schmucksteine (Abb. 8). Ringsherum sind das Christusmonogramm und Heiligenbilder angeordnet. Breverl durften niemals geöffnet werden, sie verlören sonst nach dem Volksglauben ihre Schutz- und Heilswirkung. Die katholische Kirche lehnte den Gebrauch der Breverl stets ab. »… sicher vor allen Gift, Hex und Zaubereien«
Abb. 7: Zwei Breverl mit Kreuz und IHS, links: mit Schmucksteinen und Boullionstickerei; rechts: Silbertreibarbeit, 18. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Abb. 8: Geöffnetes Breverl, Kupferstich, mittig verschiedene Sacra, flankiert von den Heiligen Jakobus, Johannes Nepomuk, Ignatius, Franziskus, Antonius und dem Erzengel Michael, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Die magisch besetzten Objekte spiegeln in hohem Maß die Sorgen und Nöte der bäuerlichen Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert wider, die Furcht vor Krankheiten, Säuglingssterblichkeit, Viehseuchen, Verwüstung der Ernte durch Unwetter und Hagel, vor Blitzschlag, der Haus und Hof vernichtet. Diese existenziellen Bedrohungen wurden mit übernatürlichen Einflüssen erklärt und folglich suchte man sie mit zauberischen Mitteln abzuwehren. Ein Wettersegen sollte, im Dachstuhl des Hauses oder im Stall aufgehängt, Unwetter, Blitz und Hagel abwehren (Abb. 9). Das Kompositamulett enthält sowohl eine Vielzahl kleiner geweihter Gegenstände wie auch magischer Objekte. Es zeigt mittig ein »Agnus Dei«, ein Gotteslamm, Symbol Jesu Christi, auf Wachs geprägt. Für das »Agnus Dei« wurde ausschließlich geweihtes Wachs aus der Peterskirche zu Rom verwendet, das der Papst selbst im ersten und in jedem siebten Jahr seines Pontifikats weihte. Rückseitig befinden sich eine gedruckte Wetterbeschwörung und diverse Zauberformeln. Die Furcht vor Hexenzauber demonstriert insbesondere das Pentagramm (ein fünfzackiger Stern), das die Bauern zur magischen Scha-
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densabwehr an ihren Arbeitsgeräten anbrachten. Es findet sich zum Beispiel auf einem hölzernen Flachsriffel (Abb. 10), auf einem Schraubstock, an der Unterseite eines Melkschemels, auf Wetzsteinen, auf einem Fassdeckel, auf einem 1840 datierten Mangelbrett, sogar auf Türgriffen oder auf der Kinderwiege. In gleicher Weise wurde das Hexagramm verwendet. Um das Vieh magisch vor Schaden, vor Krankheiten und Seuchen zu bewahren, brachte man im Stall ein Stallkreuz an. Es konnte wahlweise aus Holzstöcken, aus geschmiedeten Eisennägeln oder aus Wirbelknochen eines Tieres gefertigt sein. Auch ein Mistherz sollte helfen oder die »Stall betten« (Abb. 11). Der Stallrosenkranz stammt aus Oberbayern und ist erkennbar von religiösen Vorbildern abgeleitet. Er besteht aus Hühnerknochen, Tierzähnen, Wirbelknochen, Borsten, Holzperlen, Münzen und Metallteilen. Der Gekreuzigte ist auf ein Knochenkreuz montiert. Soforthilfe in allen Lebenslagen versprachen kleine Amulettdöschen (Abb. 12), die ein magisch wirksames Inventar enthielten, hier etwa Drudensteine, »Teufelsfinger« (Belemniten), Knochen, Fell, eine geknotete Lederschnur und einen kleinen geschnitzten Totenschädel, der mit einem Eisennagel gepfählt ist. Damit konnte eine Krankheit »vernagelt«, also beseitigt, oder jemandem ein Kopfleiden angezaubert werden.
Abb. 9: Wettersegen, Komposit-Amulett mit Agnus Dei, 18. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Abb. 10: Flachsriffel, Holz, zur Abwehr von Hexen mit Pentagramm bezeichnet, 19. Jahrhundert, Sammlung Dr. Stephan Bachter. © Günter Schmidt
Abb. 11: Stallrosenkranz aus Hühnerknochen und diversen Materialien, Oberbayern, 19. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
»Caspar, Melchior, Balthasar, bittet für uns jetzt und in unsrer Stierbstund« Im Volk war die Meinung verbreitet, Leiden und Krankheiten seien durch Dämonen verursacht (Hexenschuss, Besessenheit, Wechselbalg). Man suchte sie daher magisch zu bekämpfen. Gedruckte Segenszettel, die in Massen im Umlauf waren, sollten vor Krankheit schützen und die Heilung befördern. Der Heilige Stapinus hilft gegen die Gicht – so der Volksglaube, die Heilige Apollonia bei Zahnschmerzen, der Heilige Valentin gegen die »fallende Krankheit« (Epilepsie). Die Heiligen Drei Könige boten universalen Schutz bei »Reise
Abb. 12: Amulettdose der Magdalena Minckin, Zinn, datiert 1782, Sammlung Dr. Stephan Bachter. © Günter Schmidt
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gefahren, Hauptweh, fallender Krankheit, Fieber, Zauberei und jähem Tod«, so jedenfalls verspricht ein auf Seide gedruckter Segenszettel, der vor Reiseantritt in die Kleidung eingenäht wurde (Abb. 13). Der Segenszettel war an den Häuptern der Heiligen Drei Könige zu Köln »anberühret« worden, was seine Wirkkraft ungemein erhöhte. Segenszettel wurden über Klöster und Wallfahrtsorte vertrieben. Ihre schiere Menge legt nahe, dass das Drucken der magischen Zettel im 18. Jahrhundert ein einträgliches Geschäft war. Als besonders heilswirksam galt die »Heilige Län
ge«, nämlich ein schmaler Papierstreifen in der überlieferten Länge Jesu Christi (163 cm) oder Mariens (142 cm), der mit Segensformeln und Gebeten bedruckt war. Im Volksglauben schützte die »wahrhafte Heilige Länge« vor Unglück und Zauberei, sie half in der Sterbestunde. Bei Schwangeren linderte sie die Wehenschmerzen während der Entbindung. Varianten waren die Länge des Fußes der Heiligen Maria, die Länge des Heiligen Speeres des Longinus und die Länge der Seitenwunde Jesu Christi (Abb. 14). Gefürchtet waren starke krampfartige Schmerzen, die im Volksmund als »Frais« oder »Fraisch« bezeichnet wurden. Ein Fraisbrief des 19. Jahrhundert soll durch »eine große Macht und den Namen Jesu« alle 77 Arten der Frais abtöten, darunter die »reißende«, die »abbrennende«, die »geschwollene« und die »wütende« Frais. Zur Abhilfe legte man den Erkrankten eine Fraisenkette um, die Kreuze, Breverl, Schrecksteine, Verschreifeigen und Amulette aller Art vereinigte (Abb. 15). Anfang und Ende des Lebens galten im Volksglauben als Zeiten besonderer Gefährdung. So wundert es nicht, dass sich gerade um Schwanger
Abb. 13: Dreikönigssegen, gedruckt auf Seide, »anberühret« an den Originalreliquien der Heiligen Drei Könige zu Köln, 19. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
Abb. 14: Heilige Länge der Seitenwunde Jesu Christi, kolorierter Kupferstich, 18. Jahrhundert, Sammlung Dr. Horst Heres. © Dr. Horst Heres
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»We r ’s g l a u b t w i r d s e l i g « 1 3
schaft und Geburt eine große Zahl abergläubischer Vorstellungen rankt. Schwangere Frauen gingen nicht unter einer Wäscheleine hindurch, denn man glaubte, dass sich dann die Nabelschnur um den Hals des Kindes schlingen würde. Die Schwangere vermied es, aus einer gesprungenen Tasse zu trinken, denn das hätte eine Hasenscharte beim Kind zur Folge. Man glaubte auch, dass ein ungetauft verstorbenes Kind dazu verdammt sei, für immer zwischen Himmel und Erde zu schweben. Sehr verbreitet war die Angst, die Trud (Hexe) könnte in der Nacht einen »Wechselbalg« in die Wiege legen, das heißt, das eigene Neugeborene herausnehmen und stattdessen ein schwächliches, missgestaltetes Kind hineinlegen, das bald sterben würde. Um zu verhindern, dass die Trud aus der Nachgeburt einen Wechselbalg formte, wurde die Plazenta sorgsam bestattet. Man legte sie in einen Tontopf, der unter Aufsagen von Gebeten an einem Ort vergraben wurde, »wo weder Sonne noch Mond hin scheint«. Die Nachgeburtstöpfe wurden meist im Lehmboden eines Kellers vergraben (Abb. 16). Pfarrer Heinrich Höhn aus Crailsheim überlieferte 1904
Abb. 15: Fraisenkette behängt mit Kreuzen, Breverl, Fraisenstein vom Sonntagsberg, Trudenstein und anderen Amuletten, Sammlung Dr. Horst Heres. © Günter Schmidt
diesen alten Brauch. In Schwaben und Franken wurden viele Nachgeburtstöpfe bei archäologischen Grabungen geborgen, oft in evangelischen Dörfern. Eine chemische Analyse der enthaltenen organischen Substanzen erbrachte einen hohen Anteil an Cholesterin, Östrogen und Hämoglobin, was die These der Nachgeburtsbestattung erhärtete. Kleine Kinder sollten durch Korallenzweige vor dem bösen Blick geschützt und ihre Lebenskraft gestärkt werden. Bei einem Amulettanhän ger wurden oftmals wirkmächtige Materialien mit unheilabwehrenden Gesten kombiniert (Abb. 17). Insbesondere die Darstellung von Geschlechtsteilen und obszöne Gesten sollten eine apotropäische Wirkung gegen Hexenwerk und Bösen Blick entfalten. Eine alte Abwehrgeste ist die »mano cornuta«, wobei Zeigefinger und kleiner Finger der ansonsten geschlossenen Hand wie Teufelshörner ausgestreckt werden. Die »Feige zeigen«, den Daumen zwischen Mittelfinger und Zeigefinger hindurchschieben, war ebenfalls eine obszöne Geste mit apotropäischer Wirkung. Sie geht auf die römische Antike zurück.
Abb. 16: Deckeltopf für eine Nachgeburtsbestattung, Irdenware, Dorfgütingen, 17./18. Jahrhundert, Fränkisches Museum Feuchtwangen. © Susanne Klemm
Abb. 17: Zwei Amulettanhänger, mit Korallenzweigen, Fica, Mano cornuta, Malachiten, in Silber gefasst, 18. Jahrhundert, Sammlung Robert Gasteiger. © Günter Schmidt
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1 4 S u s a n n e K l e m m
Aberglauben der evangelischen Bevölkerung Seit Max Weber hat man den Protestantismus mit einer Säkularisierung des Denkens identifiziert, die als Produkt einer rationalen und städtischen Kultur entstanden war und die rituelle Handlungen und überlieferte magische Vorstellungen verdrängte. Der protestantische Alltag sei entsakralisiert, gänzlich ohne heilige Zeiten, Orte, Personen und Dinge. Einer differenzierten Betrachtung hält diese These nicht stand. Historische Gerichtsakten und Archivalien aus dem evangelischen Fürstentum Ansbach berichten vielfach vom Hexenund Teufelsglauben, von magischen Bräuchen und abergläubischen Riten. Trotz der reformatorischen Kritik am Aberglauben war die evangelisch-lutherische Bevölkerung kaum weniger abergläubisch als die katholische. So verfasste der evangelischer Pfarrer Georg Christoph Zimmermann (1664–1744), Geistlicher in mehreren ansbachischen Dorfpfarreien, 1721 eine »Theologische Abhandlung des Aberglaubens« (Abb. 18). Darin beschreibt er 350 Fälle von Aberglauben, die er bei seinem evangelischen Pfarrvolk beobachtet hatte. Dabei ging es vorwiegend um Abwehr von Krankheiten der Kinder, Abwehr von Schadenszauber und Seuchen beim Vieh, um die Bereiche Schwangerschaft und Geburt sowie um Sterben und Tod. Die magischen Praktiken zählt Zimmermann in alphabetischer Reihenfolge auf und suchte sie theologisch zu widerlegen – ohne Erfolg, bei seinen Pfarrkindern konnte er nichts ausrichten. Der Pfarrer verfiel in tiefe Schwermut und verstarb 1744 in Crailsheim. Zum Thema Aberglauben erzählte der Kernphysiker Niels Bohr die folgende Geschichte: In der Nähe seines Ferienhauses in Tisvilde hatte ein Nachbar über seinem Haus ein Hufeisen hängen. Als Bohr ihn fragte, ob er so abergläubisch sei, dass er glaube, dass ihm das Glück bringe, sagte der Nachbar: »Nein, natürlich nicht! Aber man sagt doch, dass es auch dann hilft, wenn man nicht daran glaubt.«
Abb. 18: Georg Christoph Zimmermann: Theologische Abhandlung des Aberglaubens, Typendruck, Kupferstiche, Frankfurt, Leipzig, 1721, Studienbibliothek Dillingen. © Susanne Klemm
Susanne Klemm M. A. ist Kunsthistorikerin und leitet das Fränkische Museum Feuchtwangen. E-Mail: [email protected] Website: www.fraenkisches-museum.de
Literatur Bock, F. (1959). Zur Volkskunde der Reichsstadt Nürnberg. Lesefrüchte und Untersuchungen. Würzburg 1959 (hier besonders: »Aberglaube und Verwandtes«, S. 42–66). Doering-Manteuffel, S. (2008). Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web. München. (Rezension in diesem Heft) Gasteiger, R.; Kornprobst, H. (2016). Wer’s glaubt … Glaube trifft Aberglaube. Markt Indersdorf. Hansmann, L.; Kriss-Rettenbeck, L. (1977). Amulett, Magie, Talisman. München. Heres, H. (2007). Das private Andachtsbild. Devotionalie – Andenken – Amulett. Dachau. Kramer, K.-S. (1961). Volksleben im Fürstentum Ansbach und seinen Nachbargebieten (1500–1800). Eine Volkskunde aufgrund archivalischer Quellen. Würzburg. Kreissl, E. (2013). Kulturtechnik Aberglaube. Zwischen Aufklärung und Spiritualität. Strategien zur Rationalisierung des Zufalls. Bielefeld. Scribner, R. W. (2002). Protestantismus und Magie. In: Scribner, R. W.; Roper, L. (Hrsg.): Religion und Kultur in Deutschland 1400 bis 1800 (S. 303–398). Göttingen. Spamer, A. (1992). Zur Aberglaubensbekämpfung des Barock. Ein Handwörterbuch deutschen Aberglaubens von 1721 und sein Verfasser. In: Moser, D.-R. (Hrsg.): Glaube im Abseits. Beiträge zur Erforschung des Aberglaubens (S. 235–268). Darmstadt.
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Menschen retten, das Böse jagen – ein Familienauftrag: Die Horrorserie Supernatural Isabel von Papen Am 13.09.2005 erblickte mit Supernatural eine Serie das Licht der Fernsehbildschirme, die sich im Laufe ihres bisher 13-jährigen Bestehens zu einem Phänomen entwickeln sollte. Was die Langlebigkeit von fantastischen Serien betrifft, hat sie mittlerweile alle Rekorde eingestellt, und das, obwohl sie zu einem Randgenre gehört, das seit jeher keinen so großen Zuspruch erhält wie andere Genres: dem Horror. Horror beruht mehr als andere Gattungen auf einer Wirkästhetik. Horrorfilme wollen ekeln, sie wollen ängstigen, gruseln und Panik hervorrufen. Mit der Aktivierung von negativen Gefühlen steht Horror konträr zu der Intention der eigentlichen Unterhaltungsindustrie. Horror ist Teil der Fantastik und gilt vielen daher als platt und oberflächlich. Dennoch ist er sehr beliebt. Trotz seiner einfachen Prämisse, dem Kampf Gut gegen Böse, und seiner Negation der heilen Welt fühlen sich Menschen zu diesem Genre hingezogen. Denn Horror wohnt ein weiteres Element inne, das viele Zuschauer anspricht: Selbstreflexion. Indem man als Horrorkonsument auf seine eigenen negativen Gefühle zurückgeworfen wird, setzt man sich gleichermaßen mit dem bösen »Ich« auseinander. Dabei hat sich die Konsumentengruppe von einem überwiegend männlichen zu einem mehr gemischten Publikum gewandelt. Supernatural hat sogar zumeist weibliche Zuschauer. Für Serienfans mag das Ungewöhnlichste von Supernatural gleich am Beginn stehen. Viele Serien haben gerade in den ersten ein bis zwei Staffeln damit zu kämpfen, ihren Ton, ihren Stil und ihre Protagonisten zu definieren. Eric Kripke, der Begründer der Serie, wusste allerdings ganz ge-
nau, wohin er wollte: eine düstere Horrorwelt erschaffen, die sich in ihrer Qualität nicht an anderen Serien, sondern an Kinofilmen orientiert. Bereits in den ersten fünf Minuten legten die Verantwortlichen die Charakterisierung und den exakten Grundstein für die kommenden 13 Jahre. Die Serie beginnt mit der glücklichen Familie Winchester: Mutter, Vater, zwei kleine Söhne. Doch im Horror darf kein Glück existieren und so wird die Mutter ermordet, als sie einen Dämon in Menschengestalt an der Wiege des kleinen Sam entdeckt. John Winchester findet seine Frau unter der Decke hängend, während um sie herum Flammen züngeln. Eine Kultszene, wie sie sonst nur in Kinofilmen entsteht. Und während John dem vierjährigen Dean seinen jüngeren Sohn mit den Worten »Bring deinen Bruder raus, so schnell wie du kannst« in die Arme drückt, schafft Kripke so ganz nebenbei die Prämisse, die die gesamte Serie prägt: Dean wird sich den Rest seines Lebens für Sam verantwortlich fühlen und alles, was er tut, diesem Gefühl unterordnen. Es ist das einzige Familienband, das die beiden Jungen kennenlernen werden, denn ab nun ist ihr Vater kaum noch präsent, jagt wie ein Verrückter Monster, Dämonen und andere übernatürliche Wesen, um Rache zu nehmen an jenem Dämon, der seine Familie zerstört hat. Die Serie greift damit ein weiteres Motiv von Horror auf: das der Isolation. 22 Jahre später sind Dean und Sam allein. Sie gegen den Rest der Welt. Das geschieht zum einen durch ihr Gefühl der Verbundenheit, zum anderen durch ihr spezielles Wissen. Supernatural präsentiert eine Welt, in der selbst die Polizei nichts ausrichten kann, weil sie gar nicht weiß, gegen was sie kämpft.
Von Supernatural (season 7) / https://commons.wikimedia.org
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Damit steht Supernatural nicht nur in der Tradition des Horrors, sondern ist auch ein Teil jener Serien, die nach 09/11 entstanden und die sich durch eine Atmosphäre konstanter Bedrohung auszeichnen. Das Böse ist immer präsent. Während die Brüder in ihrem Chevrolet Impala durch die USA reisen und ihre Suche nach dem gelbäugigen Dämon fortsetzen, der ihre Mutter so grauenvoll ermordete, retten sie viele Menschen vor einem ähnlichen Schicksal. »Saving people, hunting things – our family business« (»Menschen retten, das Böse jagen – unser Familienauftrag«). Und wie retten sie Menschen? Indem sie kämpfen und niemals aufgeben. Sie benutzen dafür eher altmodische Waffen. Es gibt zwar Pistolen, aber die können oft nichts gegen die übernatürlichen Wesen ausrichten. Außer mit spezieller Munition wie zum Beispiel Silberkugeln bei Wer-
wölfen. Oder Steinsalz bei Geistern. Gegen die hilft auch Eisen. Dämonen bekämpfen die Winchesters mit klassischem Exorzismus. Oder mit einem symbolverzierten Messer. Engel können im Supernatural-Universum mit Engelsklingen getötet werden. In so einem körperlichen Genre wie dem Horror wird häufig auf Fäuste zurückgegriffen. Mano à mano. Das besitzt den größeren Schauwert. Die Verortung geschieht in Supernatural in Horrormanier. Die Serie ist dabei wie ein klassischer »Roadtrip« aufgebaut und dieser führt Sam und Dean in die amerikanischen Vororte der Mittelklasse, in die Nachbarschaft. Das Grauen findet direkt unter uns statt. Oder in verlassenen Häusern, der Kanalisation und oft auf Friedhöfen. Dort graben die Brüder immer wieder menschliche Überreste aus, wenn die Seele als böser Geist die Lebenden terrorisiert. Dann müssen
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diese verbrannt werden. Geister kündigen sich in Supernatural durch extreme Kälte an (symbolisiert mit Atemfahnen) und flackerndes Licht. Manche von ihnen haben nicht einmal begriffen, dass sie tot sind. Damit alles dunkel, düster und bedrohlich wirkt, spielen viele Szenen nachts. Die übernatürlichen Kreaturen rekrutierten sich in den 13 Jahren nicht nur aus traditionellen Horrormotiven (neben den Geistern gab es Vampire, Hexen und Dämonen), Supernatural schöpft aus der gesamten »Amerikanischen Folklore«, Geschichten wie die der Bloody Mary, in der man – vor einem Spiegel stehend – drei Mal den Namen »Bloody Mary« aufsagt und damit einen mordenden Geist herbeiruft. Oder die des »Hook Man«, der jugendlichen Tête-à-Têtes ein grausames Ende bereitet. Auf der anderen Seite krempelt die Serie bekannte Motive um und erschafft eine neue Mythologie: ein Phönix in Menschengestalt, der pizzaliebende personifizierte Tod, Monster, die nichts Böses tun, der Weihnachtsmann, der als mordender heidnischer Gott durch die Häuser zieht. Eindrückliche Beispiele für den Traditionsbruch sind die Engel, die als eiskalte Befehlsempfänger Gottes auf Erden wandeln. Wahre Soldaten, ohne flauschig-weiße Flügel, die auf Menschen keine Rücksicht nehmen und eher unwillig mit ihnen kommunizieren. Oder Luzifer, den man nach seiner ursprünglichen Charakterisierung als Lichtwesen darstellt und der, ebenso wie die Engel und im Gegensatz zu den Dämonen, die Hülle eines Menschen nur mit dessen Einverständnis in Besitz nehmen darf. Luzifer ist dabei auch weniger mordendes Monster als Retter der Schöpfung Gottes – er will die Apokalypse herbeiführen, um die Erde zu retten. Aber ohne die Menschen, die diese nur zerstören. Was die Bildlichkeit anbelangt, so baut Super natural auch blutige Splatterelemente ein. Wieso darf eine Fernsehserie das? Die Antwort auf diese Frage ist, dass Supernatural viel mit Humor und Selbstironie arbeitet. So wird die Düsternis ein ums andere Mal aufgebrochen. Die schaurigen
Erlebnisse hinterlassen dennoch eine Spur bei den Protagonisten. Opfertode gehen sie mehr als ein Mal ein, werden aber immer wieder – auch gegen ihren Willen – ins Leben zurückgeholt. Mal, indem man Dämonen an Kreuzwegen die eigene Seele verkauft, mal, indem ein Engel eingreift. Diese scheinbare Leichtigkeit, mit der die Grenze des Todes überwunden wird, ist typisch für die Fantastik. Der Tod ist präsenter als in allen anderen Genres, denn wo ein Protagonist einfach mit Tricks und Kniffen zurückgeholt werden kann, darf man ihn auch öfter sterben lassen. Die gesamte Farbgebung mit desaturierten Farben und die – vor allem in den Horrorszenen der ersten Staffeln – eingesetzten Aufnahmen mit extremer Kontrastierung gibt der Serie ein Gefühl von Anderweltlichkeit. Das Übernatürliche wird so greifbar. Die Fans identifizieren sich sehr mit den Winchester-Brüdern. Deren Motto »Saving people, hunting things – the family business« wird bei ihnen zu »Helping people, changing things: the fandom business«: Man stellt Spendenaktionen für erkrankte Fans auf die Beine, baut Waisenhäuser auf Haiti und ist darüber hinaus eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich selbst als Supernatural Family bezeichnet. Die gar nicht platte Botschaft dieser Horrorserie, nämlich die von persönlicher und sozialer Verantwortung, wird von den Fans in die Welt getragen und findet damit ein gesellschaftliches Echo. Das Übernatürliche, das Böse, das im Horror immer thematisiert wird, kann damit nicht gewinnen. Das Gute siegt, das Destruktive des Horrors wird ins Gegenteil verkehrt. Und vielleicht ist es genau das, was Zuschauer mit dem Schrecken dieser Serie leben lässt. Isabel von Papen ist Diplom-Bibliothekarin und arbeitet für die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V. Sie betreut dort seit über zwanzig Jahren die öffentlich zugängliche Spezialbibliothek des Museums für Sepulkralkultur. E-Mail: [email protected]
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Von Gongern und Galionsfiguren Aberglaube an der Küste
Norbert Fischer Die Nordsee und ihre Küsten sind voller Sagen und Mythen. Angesichts des bedrohlichen Wassers kreisen sie immer wieder um die Themen Tod, Trauer und Verlust. Dabei spielt der »nasse Tod« im Meer eine zentrale Rolle. »Blanker Hans« heißt an der Küste die tobende und gefährliche Nordsee mit ihren Sturmflutkatastrophen. Die Worte »Trutz, blanke Hans« entstammen einer Ballade des Dichters Detlev von Liliencron (1882/83) und thematisieren die gefährlichen Herausforderungen, die die Fluten für die Menschen bilden. Wenn die Deiche gebrochen waren, litten die Bewohner der Marschen länder an der Nordsee teilweise lange unter den dramatischen und tragischen Folgen von Sturmflutkatastrophen. Aus den Erfahrungen mit dem bedrohlichen Meer und dem maritimen Tod resultierte eine besondere Trauer- und Erinnerungskultur. Bis weit in die Frühe Neuzeit hinein wurden Sturmflutkatastrophen als göttliche Strafen empfunden. Trotz allen Gottvertrauens wurden sie als apokalyptische Ereignisse gesehen, die vom bevorstehenden Untergang einer »schlechten« Welt künden. Dies galt nicht zuletzt für Vertreter einer »schwärmerischen« Religiosität, wie sie die auf der Halbinsel Eiderstedt geborene Spiritualistin und Gegnerin der Amtskirche vertrat, Anna Ovena Hoyer (1585–1655). Weithin berühmt sind die Geschichten um den Untergang des nordfriesischen Rungholt im späten Mittelalter. Die »Rungholt-Sage« war, wie wir von den zeitgenössischen Chronisten wissen, bereits den Zeitgenossen im 17. Jahrhundert vertraut. Diese bekannteste deutsche Sturmflutsage erzählt davon, dass der Untergang Rungholts
als Strafe für frevelhaftes Verhalten gegenüber einem Inselgeistlichen interpretiert wurde. Letzterer konnte sich auf göttlichen Rat hin rechtzeitig vor der Flut in höher gelegene Gebiete retten. Wie die Sage berichtet, sollen Rungholts Einwohner über die Maßen reich gewesen sein und sündig gelebt haben. Zwar gilt als gesichert, dass Rungholt bei der Sturmflutkatastrophe von 1362 unterging, aber bis in die Gegenwart hinein ist immer noch nach der konkreten Lage von Rungholt geforscht worden. Der Untergang Rungholts fand vielfältigen Eingang in die Welt der Dichtung, unter anderem bei Theodor Storm und Detlev von Liliencron. Letzterer thematisierte den Untergang der Insel in seiner bereits erwähnten Ballade »Trutz, blanke Hans«. Aber man wollte Sturmflutkatastrophen keineswegs als rein willkürliche Strafen verstehen. Gott, so überliefern es die Chronisten, warnt die Menschen, gibt Zeichen. So hat das bedrohliche Wasser auch Eingang in die regionale Erzähl- und Sagenwelt gefunden – wenn etwa nach Anzeichen für eine herannahende Sturmflut gesucht wurde. Oftmals haben spukhafte Gestalten die Katastrophe begleitet. Viele Chroniken berichten von vorangehenden übernatürlichen Ereignissen oder Vorahnungen, die sich angeblich vor der Katastrophe abspielten und das bevorstehende Unheil ankündigten. Im Hintergrund steht die Idee, dass Gott das Naturgeschehen stets lenkt. Hier sind die Übergänge von der christlichen Religion zum Volksglauben, zur Welt der Sagen und Mythen fließend. Als solche Zeichen, die vor den Fluten warnten, galten in der Frühen Neuzeit veränderte Verhaltensweisen von Fischen (Aalen, Karauschen = Karpfenfische), aber auch die Erschei-
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nung seltsamer Schattenbilder und wundersamer Gestalten in den Bauernstuben. So ist die Sagenwelt stets eng mit dem Meer verbunden gewesen. Auf den Inseln Sylt und Amrum gibt es die Wiederkehrersage vom »Gonger«, einem so genannten Untoten. Wenn ein Insulaner auf hoher See ums Leben kommt, kehrt er der Sage nach als Gonger zurück, um die Nachricht seines Todes zu überbringen. Er kommt abends in jener nassen Kleidung, die er zum Zeitpunkt seines Todes trug. Dabei geht der Gonger um das Haus seiner Hinterbliebenen. Nach dem Betreten des Hauses legt er sich zu den schlafenden Bewohnern ins Bett. Am nächsten Morgen weist nur eine Wasserspur auf die Erscheinung hin. Die Gonger bedrohen niemanden, vielmehr möchten sie die Erinnerung an den Verstorbenen wachhalten. Sie kehren so lange wieder, bis sie die Heimgesuchten davon überzeugt haben. Eine filmische Abwandlung erfuhr diese Sage in dem Mystery-Thriller »Gonger – das Böse vergisst nie« von 2008 (zweiter Teil 2010). Eine weitere nordfriesische Sagengestalt ist Ekke Nekkepenn: Als »Meermann« lebte er auf dem Grund der Nordsee, von wo aus er mit Seeleuten und Inselbewohnern seine Scherze trieb. Die Geschichte dieser Sagengestalt wurde vom Sylter Heimatforscher Christian Peter Hansen literarisch verarbeitet. Zu den bekanntesten fiktiven Gestalten an der Nordsee gehört die literarische Figur des »Schimmelreiters« aus der gleichnamigen Novelle von Theodor Storm (1888). Sein Held, der Deichgraf Hauke Haien, kämpft vergeblich für den Fortschritt im Deichbau durch den Bau von breiteren und abgeflachteren Deichen. Dabei kommt er tragisch ums Leben. Mit dem »Schimmelreiter« wurde die an der Küste so bedeutende Persönlichkeit des Deichgrafen zum Mythos. Als Deichgraf wird der Vorsteher eines Deichverbandes in den Marschengebieten bezeichnet, für die der Deichbau von existenzieller Bedeutung ist. Nach der literarischen Figur aus Storms Novelle wurde1959 eine real eingedeichte Fläche
benannt: der so genannte Hauke-Haien-Koog, der in Nordfriesland zwischen Ockholm und Fahretoft liegt. Nicht zuletzt wurde die Novelle mehrfach verfilmt. Der »Schimmelreiter« ist letztlich zum Synonym für die Bedeutung des Deichbaus an der Nordsee geworden. Im Übrigen verweisen zahlreiche maritime Memorials entlang den Küsten und auf den Inseln auf die Gefahren des Meeres. In der Regel wird dabei den Opfern von Schiffbrüchen und Überschwemmungskatastrophen gedacht. Auf dem
Gekrönter Löwe als Galionsfigur der im 18. Jahrhundert unter Zar Peter dem Großen auf der Olonez-Werft gebauten Fregatte Schtandart. Nachbau nach originalen Plänen. © Reiner Sörries
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Büsumer Neuen Friedhof gibt es ein Memorial »im Gedenken an die auf See gebliebenen Fischer«, ebenso auf dem Kirchhof Ording (Bad Sankt Peter-Ording). Andere Memorials erinnern allgemein an die Gefahren des Meeres, zum Beispiel an der Schleuse des Speicherkoogs bei Meldorf. Gleiches gilt für die vielerorts an der Nordund Ostseeküste bekannten Sturmflutmarken wie Pfähle, Reliefs und andere. Natürlich versuchte man, sich symbolisch vor den Gefahren der Seefahrt zu schützen. Das bekannteste Beispiel ist die Galionsfigur – eine meist aus Holz geschnitzte Figur am Bug eines Schiffes. Sie soll den Kurs des Schiffes behüten und vor Unheil bewahren. Der Klabautermann hingegen ist ein maritimer Geist, der, wenn er an Bord gesichtet wird, auf den baldigen Untergang des Schiffes verweist. Ein bis heute lebendiger nordfriesischer Brauch ist das Biikebrennen am Abend des 21. Februars. An diesem Petri-Tag brennen an der Küste und auf den Inseln jährlich die sogenannten Biike-Feuer. Der friesische Begriff bedeutet »Feuerzeichen«. Die Ursprünge sind nicht geklärt, aber der Brauch gilt historisch als Abschied für die früher um diese Zeit in See stechenden Walfänger. Sie gingen auf entbehrungsreiche und gefahrvolle Fahrt ins Nordpolarmeer und brachten – wenn sie gesund zurückkehrten – viel Wohlstand auf die sonst ärmlichen Inseln. Nicht selten wurden auch unbekannte Strandleichen an den Küsten und auf den Inseln angeschwemmt. Sie wurden zunächst häufig an Ort und Stelle verscharrt, später teilweise auf besonderen Friedhöfen beigesetzt: den »Friedhöfen der
Loderndes Biikefeuer in Wassersleben im Kreis Schleswig-Flensburg. © Sönke Rahn
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Eingangstor zum Friedhof der Namenlosen in Westerland auf Sylt, der 1854 vom Strandvogt Wulf Hansen Decker angelegt wurde. © Norbert Fischer
Namen- und Heimatlosen«. Im Hintergrund stand dabei kulturhistorisch das so genannte »unehrliche Begräbnis«: Das Grundproblem bei unbekannten Ertrunkenen war, dass man nicht wusste, ob ein reguläres christliches Begräbnis möglich war. Bis weit in die Neuzeit hinein durften nämlich nur getaufte Christen auf den Kirchhöfen beigesetzt werden. Jemand, der einen Freitod gewählt hatte, war nach christlicher Tradition ebenso wie bestimmte Delinquenten und Nicht-Getaufte von einem »ehrlichen« Begräbnis auf einem kirchlichen Friedhof ausgeschlossen. Vielmehr handelte es sich in diesen Fällen um ein so genanntes »unehrliches« Begräbnis und verlangte grundsätzlich eine Beisetzung außerhalb des Friedhofs. Daher begrub man zunächst unbekannte Strandleichen in den Dünen oder allenfalls in abseitigen Ecken am Friedhof. Mit dem aufkommenden Seebäderwesen im Verlauf des 19. Jahrhunderts galt dies jedoch als wenig pietätvoll. Auch rückten nun hygienische Fragen immer stärker ins Blickfeld. So richtete man spezielle Namenlosen-Friedhöfe ein. Die bekanntesten unter ihnen sind heute Touristenattraktionen: zum Beispiel in Westerland auf Sylt und in Nebel auf Amrum. Auch auf Pellworm sowie auf der zu Hamburg gehörenden Insel Neuwerk in der Elbmündung sowie auf der Süddüne (Badedüne) von Helgoland und auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog befinden sich bis heute Namenlosen-Friedhöfe. Prof. Dr. Norbert Fischer ist Honorarprofessor am Institut für Volkskunde/ Kulturanthropologie sowie Privatdozent für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwer© Patrick Ohligschläger punkte sind Sepulkralkultur sowie die Landschaftsgeschichte und -theorie, die maritime Kultur und Geschichte an der Nordseeküste und in den Elbmarschen sowie der Strukturwandel im Hamburger Umland bzw. in der Metropolregion Hamburg. E-Mail: [email protected] Website: http://www.n-fischer.de/
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Wenn das Käuzchen ruft – Volkstümliche Todesvorboten Ulrike Neurath Seit jeher gilt der Tod als ein Mysterium. Er ist für die Lebenden nicht vorhersehbar, für sie praktisch nicht erfahrbar und dennoch ist er jedem gewiss. Kein Wunder also, dass der Tod die Menschen stets beschäftigt und deren Phantasie beflügelt hat. Wo genau auf der menschheitsgeschichtlichen Skala die Anfänge für eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod liegen und wann daraus erste allgemein übernommene Denkschemata und Handlungsmuster resultierten, lässt sich nicht sagen. Schlüssig aber dürfte sein, dass die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten wie Trauer und Emotionalität metaphysische Vorstellungen von einer sich an den Tod anschließenden Daseinsform – von einem Jenseits – herausgebildet, gefestigt, tradiert und somit einen entsprechenden Todes- und Jenseitsglauben geschaffen haben. Den Tod begreifen wollen – der Tod zwischen Kult …
sind, so weiß man aber, dass der Verstorbene im Zentrum dieser Auseinandersetzung stand und die Lebenden in meist besonderem Maße einbezogen wurden. So hatte sich beispielsweise bei den Germanen die Vorstellung von einer Welt der Götter durchgesetzt, in die die Toten eingehen, welche zu diesem Zweck an bestimmten Orten von den Göttern in Empfang genommen werden. Dazu war es notwendig, die Toten mit allerlei Grabbeigaben auszustatten. Diese sollten die Jenseitsreise so angenehm wie möglich machen, aber auch die Götter besänftigen, um den Eintritt der Toten in deren Welt zu erleichtern. Insofern stellen diese Beigaben gleichsam Opfergaben dar, die Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände, zusätzlich aber auch Menschen sowie Tiere umfassen konnten. Daran wird noch einmal deutlich, dass Kulthandlungen haptische Ausdrucksformen religiöser beziehungsweise spiritueller Anschauungen sind und innerhalb mehr oder weniger großer Personengruppen initiiert und tradiert werden. Dass gerade in vor- und frühgeschichtlicher Zeit Art und Anzahl der ausgeführten Handlungsformen aufgrund differenzierter oder differierender Jenseitsanschauungen unter den verschiedenen völkischen Gemeinschaften variieren konnten – nicht zuletzt auch in Abhängigkeit von ihrer geografischen und territorialen Ausdehnung –, ist dabei naheliegend.
Grundlegend für die Entstehung bestimmter Todes- und Jenseitsvorstellungen ist das Bedürfnis, den Tod (irgendwie) begreifen zu wollen. Zugleich waren und sind jene Vorstellungen aber auch eine Maßnahme, Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit ihm zu kanalisieren und dadurch zu minimieren beziehungsweise nicht unvorbereitet mit dem Tod konfrontiert zu werden. Grob lässt sich hierbei ein bestimmter Entwicklungsstrang in der kompensatorischen Auseinandersetzung mit dem Tod aufzeigen. So sind es in … und (Aber-)Glaube vor- und frühgeschichtlicher Zeit zunächst kultische Denkweisen und Handlungsmodi gewe- Für deutlich »geordnetere« Verhältnisse sorgte sen, die sich um den Tod formiert haben. Auch schließlich – der Einfachheit halber sei der Blick wenn diese nicht in allen Einzelheiten bekannt weiterhin auf den europäischen Kontinent ge-
Grave with grave goods in the Campovalano necropolis, Zeichnung, Italien, 6. / 7. Jh. v. Chr. / Bridgeman Images
Die Grabbeigaben sollten die Jenseitsreise so angenehm wie möglich machen, aber auch die Götter besänftigen, um den Eintritt der Toten in deren Welt zu erleichtern.
Nataliia Antonova / Shuterstock.com
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richtet – die Ausbreitung der christlichen Kirche. Diese »neue«, sich nach der Zeitenwende im Abendland ausbreitende Religion wurde für die hiesigen Menschen zunehmend bindend, durchdrang deren Leben und Alltag, sodass sich bestimmte Handlungsmodi im Umgang mit der irdischen Vergänglichkeit, konkret aber auch im Umgang mit dem Leichnam, manifestieren und ebenso ritualisieren konnten. Diese wurden nicht zuletzt durch einen sich etablierenden Kanon an liturgischen Praktiken geprägt, welche auf dem zentralen christlichen Ethos der Fürsorge und dem ihm immanenten Barmherzigkeitsgedanken fußten. Doch auch wenn das Leben der Menschen Europas schon bald unter einem christlichen Nimbus stand, haben parallel dazu Denk- und Handlungsmuster existiert, die von der christlichen Lehre abwichen und die als Relikte vorchristlichen Denkens im Sinne magischer oder spiritueller Anschauungen angenommen werden
können. Es sind dies Glaubensformen und Praktiken, für die der Begriff des Aberglaubens greift, welcher sich stets aus der Perspektive der jeweils herrschenden Welt- und Glaubensauffassung definiert. Ab dem Spätmittelalter gewann das Thema Aberglaube – seinerzeit erstmals als Begriff belegt – dann zunehmend an Brisanz, wurde er doch verstärkt auf Ketzer und Häretiker angewandt, sodass diese eine Synonymisierung als Aber-, das heißt als Irrgläubige erfuhren. Todesvorboten – Beispiele aus der Welt des Aberglaubens Vor allem im Brauchtum wirkte abergläubisches Gedankengut fort. Im Kontext von Sterben und Tod ist die Liste dessen recht umfangreich. So gab es verschiedene Formen von Totenbeschwörungen, diverse Maßnahmen zur Abwehr lebender Leichen (sogenannte Wiedergänger), aber auch okkultistische und spiritistische Handlungsfor-
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We n n d a s K ä u z c h e n r u f t – Vo l k s t ü m l i c h e To d e s v o r b o t e n 2 5
men wie Wahrsagerei und Zauberei, die etwa im Kontext des sogenannten Heil- oder Schadenzaubers Anwendung fanden. (Schadenszauber meint die Zufügung von Schaden etwa durch Verwünschungspraktiken; Heilzauber hingegen Praktiken, die auf Schutz oder Heilung abzielen.) Der Glaube an die Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte trat außerdem im Glauben an Todesvorboten zutage. Manche Beispiele sind noch heute bekannt, darunter die Annahme, dass der plötzliche Stillstand einer Uhr den Tod ankündige. Umgekehrt wurden einst bei einem tatsächlich eingetretenen Todesfall die Uhren im Sterbehaus absichtlich zum Stillstand gebracht. Dies geschah, um der Seele den direkten Aufstieg gen Himmel zu ermöglichen, der bei einem tickenden, die Seele womöglich irritierenden Uhrwerk gefährdet gewesen wäre. Die Uhren wurden teils erst wieder nach der Bestattung in Gang gesetzt. Dies unterstrich in manchen Fällen die für die nachfolgende Angehörigengeneration eingetretene biografische Zäsur, die an die Zuweisung eines neuen sozialen und rechtlichen Status gekoppelt sein konnte. Bis heute ebenfalls noch einigen Menschen geläufig ist die mit dem Ruf des Wald- und Steinkauzes assoziierte Botschaft von einem ebenfalls bald eintretenden Todesfall. Die Ruflaute jener Eulenvögel – »kuwitt, kuwitt« – hatte man nämlich zu einem auffordernden »Geh mit! Geh mit! [mit dem Tod/ins Jenseits]« umgedeutet. Eulen waren für abergläubisches Gedankengut regelrecht prädestiniert, da sie eine Aura des Unheimlichen umgab. Dies geht etwa auf ihren starren Blick, ihre unheimlich anmutenden Reviergesänge und Balzrufe zurück oder auch darauf, dass es sich größtenteils um Nachttiere handelt, die angesichts ihrer fast geräuschlosen Flugfähigkeit und recht großen Flügelspannweite durchaus Schreckmomente bescheren konnten. Auch die schon frühe Vermutung, dass Eulen Krankheiten übertragen können, förderte ihr schlechtes Image. Sie galten als dämonische Tiere, indem ihnen Bündnisse mit Hexen und dem Teufel nachgesagt wurden.1
Überhaupt nehmen Tiere im Aberglauben eine wichtige Rolle ein. Heutzutage weiß man, dass es oftmals spezielle biologische Merkmale waren, die, sobald sie in bestimmten situativen Kontexten auffällig zu Tage traten, bestimmten Tieren einen schlechten Leumund bescheren konnten. Ähnlich wie Eulenvögel besaßen auch Krähen und Raben einen überwiegend schlechten Ruf: Sie galten gemeinhin als Totenvögel, wurden umgangssprachlich außerdem als Galgenvögel spezifiziert. Dies fußte auf der Tatsache, dass Raben und Krähen als Aas- und Allesfresser häufig Richtplätze, Schlachtfelder und Friedhöfe – quasi im Gefolge einer Beerdigung – anflogen. Wohl deshalb waren sie den Menschen schon immer suspekt, was auch als Grund dafür angesehen werden kann, dass einst der Ruf dieser Vögel als »Grab Grab« oder »starb starb« umgedeutet wurde und sie damit ebenso in den Ruf von Todesvorboten gerieten. Im »Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens« wird dazu näher ausgeführt: »(…) schreit sie (die Krähe) dreimal, be deutet es den Tod eines Mannes, wenn zweimal, Tod einer Frau«. Darüber hinaus war auch der Glaube an die sogenannte Totenuhr verbreitet. Wenn man sie hörte – es handelte sich um Klopfgeräusche aus der Wand –, galt dies ebenfalls als Ankündigung eines baldigen Todesfalls. In Wahrheit ist die Totenuhr ein Nagekäfer (Xesobium rufovillosum), zu dessen Paarungsverhalten es gehört, einen Geschlechtspartner mittels Klopfen seines Kopfes auf Holz anzulocken. Todesvorboten speisten sich – die angeführten Beispiele deuten es an – aus den unterschiedlichsten Lebenskontexten. Sie manifestierten sich in einer Vielzahl von Tieren, in Vorgängen in der Natur, wurden auf bestimmte beziehungsweise irreguläre Funktionsweisen von Sachgegenständen übertragen, in bestimmten Verhaltensweisen des Menschen gesehen und vieles mehr. Die Aufklärung sowie die fortwährende Erstarkung insbesondere naturwissenschaftlicher Disziplinen sorgten im Hinblick auf abergläubische
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Denk- und Handlungsmuster schließlich für einen grundlegenden Wandel. Zunehmend ließen sich nämlich immer mehr der bis dato geglaubten übernatürlichen Phänomene beweisen und somit schlüssig erklären. Doch auch schon Johann Georg Krünitz’ »Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft« beinhaltet ein Plädoyer für die Bekämpfung jener althergebrachten Denk- und Handlungsmuster. So heißt es im ersten Band von 1773 unter »Aberglaube«: »Aberglaube nimmt man in wirthschaftlichen Dingen für solche Meynungen und Handlun gen, welche allerhand falsche Sätze von der Natur aller Dinge, der Körper und Geister zum Grunde haben, denen man Wirkungen beileget, die durch ihre bekannten Kräfte und nach ihrem Wesen nicht möglich sind. Ja, man verdecket oft allerhand Laster mit solchen abergläubischen Meynungen. Der Ursprung dieser abergläubischen Dinge ist in der Un wissenheit der Natur= und Geister=Lehre der Alten zu suchen. Die Gelehrten sind es, welche diesen Aberglauben nach und nach bestreiten und ausrotten sollen.« Es bietet sich an dieser Stelle an, herauszustellen, dass abergläubische, also irrige und unver nünftige Denkweisen in erster Linie – Krünitz gibt dies bereits indirekt zu verstehen – dem einfachen Volk nachgesagt wurden. Erst sehr viel später, im 19. Jahrhundert, wurde dies als Diffamierung erachtet und jene lang tradierten Denkmuster mittels des Alternativbegriffs »Volksglaube« aufzuwerten versucht. Aber- und Volksglaube – Schnee von gestern? Sogar heutzutage ist jenes volkstümliche Gedankengut noch in den Köpfen vieler Menschen verankert. Dies allerdings nicht in einer solchen
Weise, dass davon das alltägliche Leben deutlich beeinflusst würde. So müsste jenen Menschen beispielsweise jedes Mal der Schreck in die Glieder fahren, sobald eine schwarze Katze ihren Weg kreuzt. Anders war dies in früheren Zeiten, wo in einer solchen (plötzlichen) Begegnung die Ankündigung eines Todesfalls gesehen wurde und die Unsinnigkeit eines solchen Ursache-Folge-Konstrukts für noch weitaus mehr Menschen irrelevant war. Es kann jedoch ebenso wenig behauptet werden, dass derartige Denkmuster längst in die absolute Bedeutungslosigkeit entschwunden wären; denn wie ließe sich sonst die Tatsache erklären, dass die Zahl 13 nach wie vor als Unglückszahl verschrien ist – »Unglück« auch im Sinne eines Todesvorboten – und deshalb nicht als Sitzplatznummer in Flugzeugen oder als Zimmernummer in Hotels vergeben wird? Ulrike Neurath M. A. ist Kulturhistorikerin und Kustodin am Museum für Sepulkralkultur Kassel. Dieses ist deutschlandweit das einzige Museum, das sich ausschließlich mit dem Tod und den sogenannten Letzten Dingen beschäftigt. E-Mail: [email protected] Website: www.sepulkralmuseum.de Literatur Hoffmann-Krayer, E.; Bächtold-Stäubli, H. (Hrsg.) (1936/ 1937). Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens, Band VIII. Stichwort »Todesvorzeichen« (Sp. 993–1010); Stichwort »Fledermaus« (Sp. 1579–1598). Berlin/Leipzig. Krünitz, J. G. (1773). Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, Band 1. Stichwort »Aberglaube«. Ohne Ort. – http:// www.kruenitz1.uni-trier.de (Zugriff am 27.12.2017). Schumann, G. (1980). Eulen und Käuze im Volksglauben. In: Landkreis Kassel (Hrsg.), Jahrbuch 81, Kassel, S. 107 f. Stiehler-Alegria, G. (2009). Totenvogel und Leichenhuhn. Eulen als Opfer abergläubischer Verfolgung. In: Eternity 15, S. 16 f. Anmerkung 1 Es sei darauf verwiesen, dass Eulen ebenso eine positive Konnotation besitzen. Sie stehen gleichermaßen für Klugheit und Weisheit, was allein schon aus der Optik ihrer Gesichtspartie hergeleitet wurde. Diese erinnert an ein menschliches Gesicht mit Brille.
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Weshalb braucht es einen Aberglauben-Knigge? Horst Hanisch Sobald zwei Menschen aufeinandertreffen, treten sie miteinander in Kommunikation; sie interagieren. Ein Mensch allein kann nicht überleben – er braucht den Austausch mit seinesgleichen. Das zeigte sich schon bei unseren Vorvorfahren, die in Kleingruppen miteinander lebten. Derjenige, der physische oder psychische Kraft zeigte, wurde zum akzeptierten Leiter der Gruppe. Er half durch die Widrigkeiten des Lebens, indem bestimmte Regeln und Vorgehensweisen vorgegeben und berücksichtigt werden. Der Einzelne in der Gruppe sorgte für den Zusammenhalt in seinem sozialen Umfeld und sicherte somit nicht nur sein eigenes Überleben. Dinge und Vorkommnisse, die die Gruppe nicht erklären konnten, wurden mit dem Glauben an höhere Mächte und Kräfte erklärbar gemacht. Demnach half der Glaube der Menschheit, sich entwickeln zu können, und hilft bis heute, vieles im Leben zu akzeptieren, was mit der eigenen mentalen Intelligenz nicht erklärbar war oder ist. Nun gab es allerdings auch Personen, die von den allgemeinen Glaubenslehren abwichen und an die Wirkung magischer, übernatürlicher Kräfte in Menschen oder Dingen glaubten. Gewissermaßen praktizierten sie einen gegensätzlichen Glauben. Der Aberglaube entstand Spätestens von jetzt an lässt sich von Aberglaube (auch Aberglauben) sprechen. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es in der spätmittelhochdeutschen Sprache den Begriff »abergloube«. Dabei steht das »aber« für »wider« und bezeichnet alles, was dem christlichen Glauben widerspricht. Solch ein
Missglaube wurde als Aberglaube bezeichnet und schnell als heidnisch betrachtet. In den Augen des Klerus galt dieser als ketzerisch. Schon bald entstand die Jagd auf Zauberer und Hexen, die im 15. Jahrhundert voll ausbrach und ihren Höhepunkt am Ende des 16. Jahrhunderts erreichte. Weshalb wurde denn überhaupt Aberglaube praktiziert? Das gesellschaftliche Leben wurde durch die politischen und religiösen Verantwortlichen geregelt. Durch abergläubisches Handeln konnte (vermeintlich) darüber hinausgehenden drohenden Gefahren aus dem Weg gegangen werden. So war es möglich, im Sinne des Aberglaubens, Unglück abzuwenden oder gar Glück herbeizuführen. Es baute sich eine Welt auf von Göttern, guten und bösen Geistern, vom Klabautermann, vom Wahrsager und Menschen mit dem Bösen Blick, Hexen und schließlich gar von Luzifer, dem Teufel. Aberglaube-Verhaltensmuster in der heutigen Zeit Selbst für den aufgeklärten Zeitgenossen, der rational denkend sein Leben genießt, gibt es eine überraschend große Zahl an Aberglaube-Verhaltensmustern. Die meisten Befragten werden antworten, dass sie nicht abergläubisch sind, aber »sicher ist sicher – toi, toi, toi – man kann ja nie wissen«. In unserem Leben gibt es auch heute noch viele Situationen, in denen der Aberglaube nach wie vor eine Rolle spielt. Um niemanden zu kompromittieren, wird alles Mögliche vermieden, was im Sinne des Aberglaubens ein Risiko bedeuten könnte. Hände nicht über Kreuz reichen – keine 13 Personen an derselben Tafel platzieren – Salz-
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streuer nicht umwerfen – nichts Böses beschwören – beim Tod eines Menschen die Spiegel im Haus verhängen – vierblättriges Kleeblatt zu Silvester verschenken – Hals- und Beinbruch wünschen und unendlich vieles mehr. Aber weshalb alle diese Aberglaube-Regeln? Irgendetwas muss es doch sein – oder gewesen sein –, dass diese Rituale entstanden. Weshalb sollen bei der Begrüßung die Hände nicht über Kreuz gereicht werden, wenn sich vier Personen untereinander begrüßen? Weil – bildlich betrachtet – ein Kreuz entsteht und dann, so der Aber-
glaube, jemand am Kreuz sein Leben aushauchen muss. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas heute passieren würde und vor allem gerade und genau im Moment des Händeschüttelns, außerordentlich gering ist, »muss man es ja nicht drauf anlegen«. Also: Hände zurück. Erst die ersten beiden, dann die anderen beiden den Gruß austauschen! Wenden wir uns stellvertretend für den Aberglauben drei Bereichen zu: der Zahl 13, den Ritualen um die Hochzeit und dem Brauchtum zu Silvester.
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Freitag, der Dreizehnte Die abergläubische Angst vor der Zahl heißt Triskaidekaphobie. Für die meisten Menschen ist 13 die Unglückszahl überhaupt. Einige Quellen behaupten, dass die Zahl 13 mit der Zahl der am letzten Abendmahl Sitzenden zu tun habe (Jesus und die 12 Jünger). Einer der Apostel war der Verräter Judas. Heute sitzen selten 13 Personen an einer Gästetafel zusammen. Entweder 12 (passt auch gut zur Zahl der Geschirrteile im Schrank) oder 14 und mehr. Sind tatsächlich 13 Gäste zusammen, muss einer bald sein Leben lassen, sagt der Aberglaube. Um das zu verhindern, lässt sich die Tafel splitten – an einem Tisch sitzen 8, am anderen 5 und schon ist der Bann gebrochen. Es gibt eine andere elegante Möglichkeit, der bösen Zahl zu entgehen. Es wird schlicht und einfach für 14 Personen eingedeckt. Auf den 14. Platz kommt ein Stofftier, zum Beispiel ein Teddybär, und der Bann ist gebrochen. Die »bessere« Gesellschaft Frankreichs des 19. und 20. Jahrhunderts lud in diesem Fall eine (meist gegen Bezahlung) 14. Person ein. Diese Person wurde »Quator zième« (die Vierzehnte) genannt. Als für manch einen ganz schlimm empfunden gilt »Freitag, der Dreizehnte«. Als wäre die 13 nicht schon schlimm genug: kombiniert mit Freitag – die reine Katastrophe! Am besten lieber gleich zu Hause bleiben. Angeblich soll die Kombination mit Freitag in Zusammenhang mit dem Tag der Kreuzigung Christi zu tun haben. Jesus soll am Karfreitag gekreuzigt worden sein. Aufgeklärtere Menschen meinen, Freitag, der Dreizehnte beziehe sich auf den schlimmen Börsencrash am 25. Oktober 1929 (»der schwarze Freitag«) in der New Yorker Wall Street. Wie auch immer: Viele Hochzeitspaare vermeiden es, an einem 13. zu heiraten; einige Geschäftsleute möchten an einem 13. keinen Vertrag unterschreiben. In einigen Hotels oder Kreuzfahrtschiffen wird die 13. Etage beziehungsweise das 13. Deck in der Nummerierung übersprungen. Bei einigen Flug-
gesellschaften wird die 13. Sitzreihe in der Nummerierung ausgelassen. Auch in manchen Krankenhäusern fehlt die Zimmernummer 13. Rund um die Hochzeit Alt, neu, geliehen, blau Die Braut in Weiß bedeutet Unschuld. Ein geliehenes Teil (ein Schmuckstück der Mutter oder der Oma) diente als Zeichen der Freundschaft und des Glücks. Dazu kam ein blaues Teil, zum Beispiel das Strumpfband (als Sinnbild der Treue in der Partnerschaft) und ein gebrauchtes beziehungsweise altes Teil (sinnvollerweise die Schuhe, dann gibt es auch keine ärgerlich störende Blasen). Das gebrauchte Teil symbolisiert den zurückliegenden Lebensabschnitt als ledige Frau. Und natürlich kommt noch etwas Neues dazu, welches schließlich das Symbol des neuen Lebensabschnitts der Braut darstellt, sozusagen den Übergang vom alten ins neue Leben: something old, something new, something borrowed, some thing blue. Der Brautstrauß Rund um den Brautstrauß ranken sich viele Bräuche und Aberglaube. Er muss vom Bräutigam gekauft werden. Der Strauß soll nicht ins Wasser gestellt werden (müssen), da sonst die Ehe nicht lange anhält. Sollte sogar eine Blüte während der Hochzeitszeremonie in der Kirche welken, so bringt das Unglück. Hält die Braut den Brautstrauß während des Hochzeitswalzers, so garantiert das eine glückliche Ehe. Wenn sie ihn rückwärts über ihren Kopf den Gästen zuwirft, wird diejenige die nächste Braut sein, die den Brautstrauß auffängt. Ein paar Tage nach der Hochzeit können Sie den Brautstrauß auf das Grab eines oder einer Angehörigen stellen. Dieser oder diese wird das Brautpaar in Zukunft beschützen. Alternativ kann der hinter Glas gerahmt aufgehängt werden.
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Die Hochzeitstorte Einer der vielen Höhepunkte einer Hochzeitszeremonie ist das Anschneiden der prachtvollen Hochzeitstorte. Klassisch sind fünf Etagen der Hochzeitstorte. Jede Etage symbolisiert einen Lebensabschnitt. Von unten nach oben: 1. Geburt, 2. Kommunion/Konfirmation, 3. Hochzeit, 4. Kindersegen, 5. Tod. Damit die Ehefrau sich in Zukunft nicht abplacken muss, darf sie an der Hochzeitstorte nicht selbst mitbacken. Beim Anschneiden einer mehrstöckigen Torte wird mit der obersten Lage begonnen. Das erste Stück erhält das Brautpaar selbst und wird von beiden verzehrt. Vor dem Anschneiden ist ein Kuss über der Torte auszutauschen! Dadurch soll reicher Kindersegen beschert werden. Und natürlich gibt es auch etwas Drohendes: Das Brautpaar soll die Torte nicht direkt berühren oder gar umstoßen. Dieses würde eindeutig den Verlust der Fruchtbarkeit bedeuten. So, der Kuss ist ausgetauscht. Bräutigam und Braut schneiden die Hochzeitstorte als Symbol ihrer Verbundenheit jetzt gemeinsam an. Dabei achten die Gäste genauestens darauf, wessen Hand obenauf liegt. Das zeigt klar, wer später in der Ehe das Sagen, sozusagen die Oberhand hat. Silvester Das vierblättrige Kleeblatt und der Schornsteinfeger Vierblättrige Kleeblätter sind äußerst selten, die meisten zeigen nur drei Blätter. Wer also tatsächlich eines mit vier Blättern findet, kann sich glücklich schätzen. Und solch ein seltenes Geschenk sollte an Silvester vorhanden sein, um den Jahreswechsel erfolgreich begehen zu können. Den Schornsteinfeger anfassen bringt Glück. Das Drehen an den Knöpfen seiner Uniform bringt mehr Glück. Feuer bringt Leben, aber auch Verderben. Um vernünftiges Essen zubereiten zu
können, musste das Feuer im Ofen gut brennen. War der Kamin verstopft, kam es zu Schwierigkeiten; gegebenenfalls sogar zu verheerenden Feuersbrünsten. So sahen es die Menschen als gut und (überlebens-)wichtig an, dass der Schornsteinfeger regelmäßig den Kamin reinigte. Er brachte ihnen sozusagen die benötigte Wärme und schützte vor Ruß und Brand. Prosit Neujahr! Kurz vor Mitternacht werden die Sekt- beziehungsweise Champagnerflaschen geöffnet. Die Korken knallen und verbreiten damit genauso Lärm wie die Feuerwerksknallerei. Natürlich auch, um die bösen Geister gleich zu Beginn des Jahres zu vertreiben. Mit klingenden Gläsern (denken Sie an das Vertreiben der Geister) wird auf das neue Jahr angestoßen. »Prosit!« (aus dem Lateinischen prosit = Es möge gelingen). Ein fulminantes Feuerwerk erleuchtet den schwarzen Himmel und projiziert fantastische und farbige Kunstwerke in die Höhe. Es gibt ein Geknarre und ein Geballere. Und weshalb dieses Spektakel? Nun, um die Geister zu vertreiben. Je mehr Lärm, desto besser! Unglück abwehren Sie mögen sagen: »Interessiert mich alles nicht, denn ich bin nicht abergläubisch.« In Ordnung. Dann sind Sie fein heraus. Vielleicht ist es so, wie Dr. Martin Luther King sagte: »Leichtgläubige Menschen verfallen leicht dem Aberglauben.« Möglicherweise treffen Sie auf einen Menschen, der abergläubisch ist. Wollen Sie jenen in eine (für ihn) unangenehme Situation bringen? Hoffentlich nicht. Die Konsequenz daraus lautet, Verhaltensmuster zu vermeiden, die für einen anderen unangenehm sind. Damit zeigen Sie Ihrem Gegenüber Einfühlungsvermögen und, so ganz nebenbei, höfliche Umgangsformen untereinander. So zeigt es sich also sinnvoll, den Glauben – und den Aberglauben – des anderen zu tolerie-
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Horst Hanisch ist selbstständiger Fachbuchautor, Coach und Dozent. Seine Trainingstätigkeit erstreckt sich unter anderem auf die Bereiche Kommunikation, Persönlichkeitsentfaltung, Soft Skills, soziale Kompetenz und Knigge/Etikette/ Umgangsformen. Er lebt in Bonn. E-Mail: h [email protected] Website: www.knigge-seminare.de
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ren. Einfühlungsvermögen und gegenseitiges Verständnis helfen dabei. Damit das Zusammenleben weiterhin klappt, ist es nötig, gewisse Umgangsformen einzuhalten. Deshalb braucht es den Aberglauben-Knigge. Und nicht vergessen: »toi, toi, toi!«
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Die Wiederkehr der armen Seelen Wo die Welt zwischen Diesseits und Jenseits Wirklichkeit ist
Kurt Lussi Arme Seelen und das Heer der unerlösten Toten: Im Grenzgebiet zwischen Alpen und schweizerischem Mittelland ist der Glaube an die Wiederkehr der Seele nach dem Tod tief verwurzelt. Das schweizerische Voralpengebiet ist reich an Sagen, Mythen und Legenden. Besonders häufig sind Erzählungen von den Seelen Abgeschiedener, die ihre Ruhe nicht finden können und die sich daher den Lebenden gegenüber bemerkbar machen. Ihr Auftreten ist seit jeher an bestimmte Zeiten und Plätze gebunden. Nach außen deutet zwar kaum etwas darauf hin, dass bestimmte Orte in einem engen Bezug zu den Wesen der Schattenwelt stehen. Zu sehen gibt es nichts außer merkwürdige Steine, vom Wetter gezeichnete Kreuze, gottverlassene Waldlichtungen und einsame Kapellen. Dort geschieht das Unheimliche und Unfassbare. Was sich dahinter verbirgt,
lässt sich in Erfahrung bringen, wenn man sich die Zeit nimmt und jenen Menschen zuhört, bei denen das Unerklärliche Teil der Lebenswirklichkeit ist. Der wilde Türst In die vorchristliche Zeit zurück reichen die Sagen vom wilden Türst. Das ist das Heer der Toten, das in dunklen Winternächten als stürmischer Wind über einsame Höhen und durch menschenleere Schluchten braust. In den Dörfern rüttelt der Zug der Toten an den Fensterläden und treibt lose Dinge vor sich her. Als heftiger Wind fegt er durchs Gebälk und spielt mit den Dachziegeln. Manchmal reißt er sie auch weg und zerschmettert sie am Boden. Dem unheimlichen Zug voraus stürmen schwarze Hunde. Mit ihrem hohlen Bellen warnen sie die Lebenden vor dem Kommen des Totenheeres, denn wer sich ihm in den
Mythische Napflandschaft im schweizerischen Voralpengebiet. Auf den abgelegenen und im Winter nur schwer zugänglichen Bauernhöfen sind Geschichten von den unruhigen Seelen der Toten und ihrer Wiederkehr bis heute präsent. © Kurt Lussi
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Weg stellt, wird krank und muss schlimmstenfalls selbst im geisterhaften Zug mitreiten. Die Sträggele Dem Türst zur Seite steht die kinderraubende Sträggele, die keine Hexe ist, sondern ein weiblicher Totendämon, der die Seelen der Abgeschiedenen ins wilde Heer eingliedert. Mit der Sträggele ist nicht zu spaßen. Als einst in Schüpfheim sieben Burschen im Namen des Türst und der Sträggele auf einem Schlitten ins Tal fuhren, gewahrten sie mit Schrecken, dass sie in der mondhellen Nacht acht Schatten warfen. Die Sträggele selbst, so schien es, ritt auf dem Schlitten mit. In ihrer Not gelobten die Sieben, oben auf dem Schüpferberg eine Kapelle zu bauen, wenn sie die nächtliche Fahrt unbeschadet überstehen würden. Kaum hatten sie das Gelübde getan, stürzte ihr Gefährt. Als sie sich wieder hochrappelten, war der achte Schatten verschwunden. Die jungen Männer lösten ihr Versprechen ein. Die Kapelle, die 1680 erbaut wurde, steht heute noch. Geweiht ist sie dem heiligen Josef. Er ist der Patron der Sterbenden, der Jugendlichen und der Menschen in verzweifelten Lebenssituationen. Sagen und Legenden wie diese waren bis vor einigen Jahren noch überall zu hören, nicht nur in den Bauernstuben, sondern auch in den Jagdhütten, in den Schulen und in Wirtschaften. In all diesen Geschichten, die fast immer Schilderungen von Bedrohung, bestandener Gefahr und ausgestandener Angst sind, ergibt sich das Eingreifen höherer Mächte von selbst. Gott und die Heiligen der Kirche werden als wirklich vorhandene Instanzen begriffen, deren Hilfe den Menschen in Zeiten der Not und der Bedrohung durch dämonische Mächte zuteilwird. In diesem Glauben, der tief im Volk verwurzelt ist, zeigt sich das Urvertrauen von Menschen, die seit jeher mit dem Walten der Natur zurechtkommen mussten.
Der Lochstein auf der Älbachegg zwischen Hofstatt und Flühlen im Luthertal. Der Legende nach braust der Türst, der Zug der ins Jenseits ziehenden Toten, durch die Öffnung im Stein, die angeblich Jahr für Jahr kleiner wird. Man sagt auch, dass hier einst einer vom Türst und den mitreitenden Geistern übel zugerichtet wurde. © Kurt Lussi
Die Älbachegg mit der 1784 gepflanzten Eiche, dem heiligen Baum des Wettergottes Donar. Zwischen dieser und einer vor Jahren vom Blitz getroffenen braust das Heer der Toten durch. Auch sonst ist der Ort unheimlich. Es wird erzählt, dass dort einst ein Störmetzger von dunklen Mächten gebannt wurde und seinen Weg nicht mehr fortsetzen konnte. © Kurt Lussi
Angesichts der mannigfachen Bedrohungen wird es verständlich, dass man in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht selten zu unchristlichen Mitteln griff, um einen etwaigen Schaden in Grenzen zu halten.
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Es soll im Spätsommer des Jahres 1912 geschehen sein. Das Korn war reif und hätte in den nächsten Tagen eingebracht werden sollen, als mit Einbruch der Dunkelheit ein Unwetter aufzog. Schnell verfinsterte sich der Himmel. Ein Toben und Brausen hub an. Drinnen saßen sie um den Tisch und hörten, wie der Wind immer heftiger ins Kornfeld fuhr. Der Bauer wurde unruhig. Er fürchtete um die Ernte. Plötzlich stand er auf, hetzte ins Schlafzimmer und griff zum Revolver, der dort schussbereit in einer Schublade lag. »Dir will ich«, schrie er und stürmte vors Haus. Vom Vorplatz aus schoss er mit der Waffe ins nahe Kornfeld, immer dorthin, wo das Toben am heftigsten war. – Nicht lange, dann hörte des Brausen auf und es wurde gespenstisch still. Als sich die Bauersleute am andern Morgen den Schaden besehen wollten, fanden sie das Korn unversehrt. Nichts deutete darauf hin, dass hier am Abend zuvor der Türst gewütet hatte. Unweit davon hatten sie schon vor Jahrzehnten zum Schutz gegen den unberechenbaren Zug der Toten ein Bildstöcklein errichtet. Hinter dem Eisengitter, das die Nische verschließt, erkennt
man eine Darstellung des Bauernheiligen Wendelin und ein Madonnenbild. Das Wegzeichen, das von den Anwohnern Armenseelen-Bildstöcklein genannt wird, trägt die Jahrzahl 1876. In früherer Zeit stand an dieser Stelle wohl eine kleine Kapelle, denn eine solche ist noch auf der Walser-Karte von 1764 eingezeichnet. Fronfasten Als besonders spukhaft gelten die Fronfasten. Sie treten viermal im Jahr ein, nämlich am Mittwoch, Freitag und Samstag der ersten Fastenwoche, der Pfingstwoche, der dritten Woche im September sowie der dritten Adventswoche. In diesen Tagen sind die jenseitigen Mächte am unruhigsten und gefährlichsten. Hexen ergeben sich dem Teufel. Sie fahren zum Tanz, hoppeln als gespenstische Hasen umher und zaubern vor allem denjenigen Krankheiten an, die nach dem Einnachten noch unterwegs sind. Auf einsamen Waldlichtungen tanzen Kobolde und teuflische Dämonen; an den Wegrändern, bei alten Wegkapellen und in verruchten und besonders in verlassenen Häusern machen sich in den Fronfasten die Seelen der unerlösten Toten bemerkbar.
Das verlassene Bauernhaus des verstorbenen Änziloch-Miggus. Im oberen Stockwerk geistert zu gewissen Zeiten eine weiße Jungfrau umher. Die ehemaligen Bewohner erzählen, dass sie sich in dunklen Winternächten durch ein pfeifendes Heulen den Lebenden gegenüber bemerkbar mache. © Kurt Lussi
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Arme Seelen Die Vorstellungen von den armen Seelen, die ihre Ruhe nicht finden können und daher wandeln und sich den Lebenden in vielerlei Gestalt zeigen müssen, sind bis heute lebendig geblieben. Oft erscheinen die Geister der Abgeschiedenen an Wegkreuzungen, wo sie in der Gestalt von Lichtern auftreten. Meist begegnet man ihnen jedoch dort, wo sie sich zu Lebzeiten aufgehalten hatten. Mit Kettengerassel, Gepolter, schleppenden Schritten oder eisigem Windhauch, oft in Gestalt umherirrender Lichter, seltener jedoch durch Gestöhn oder leises Klagen, machen sie nach Einbruch der Dunkelheit auf sich aufmerksam. Nach altem Glauben müssen vor allem die Seelen jener Toten wandeln, denen wegen ungesühnter Schuld und unterlassener Wiedergutmachung die Vereinigung mit dem Heer der erlösten Ah-
nen verwehrt ist. Auch vorzeitiger Tod und damit nicht erfülltes Leben stehen der ewigen Ruhe im Wege. Hilfe erhoffen sich die Toten von den Lebenden, die sie durch ihr Auftreten an die Pflichten ihnen gegenüber erinnern. All dies geschieht zuerst leise und rücksichtsvoll. Weigert sich der Mensch, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nimmt das Ausmaß des Spuks an Umfang und Intensität zu, bis der Lebende sich den Forderungen der Toten beugt. Tut er es nicht, wird er krank. Der Kopf schwillt an, er fällt hin, als ob ihn eine unsichtbare Macht niedergeschlagen hätte, oder dann befällt ihn eine Krankheit, die nach kurzem Siechtum oft den Tod zur Folge hat. Mit Gebeten und guten Werken können die unruhigen Toten von der Pein des Daseins im Geisterreich erlöst werden. Als besonders hilfreich gelten Wallfahrten und Heilige Messen, die man für die Verstorbenen lesen lässt, um ihnen zu helfen, aber auch, um Ruhe vor ihnen zu haben. »Ruhe in Frieden« ist daher nicht einfach ein hergesagtes Gebet, sondern eine Beschwörung, verbunden mit dem dringenden Wunsch, der Tote möge in der jenseitigen Welt seinen Frieden finden und die Lebenden in Ruhe lassen. Hilft alles Beten und Bitten nichts, schafft der Mensch mit gesegneten Kreuzen, Medaillen oder Bildern von Heiligen Abhilfe. Man lässt diese Dinge segnen und bringt sie an jenen Orten an, wo sich die unerlösten Toten den Lebenden besonders häufig zeigen.
Sterbebild des am 9. März 1913 verstorbenen Leonz Peter. Die aufgedruckten Ablassgebete werden von den Lebenden im Gedenken an den Verstorbenen und zum Heil seiner Seele gebetet. Die damit verbundenen Gnaden sind in einer Anzahl von Tagen ausgedrückt, die dem Toten an seiner Bußzeit angerechnet werden. © Kurt Lussi
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Grabstein des Hans Schuler, ver storben am 21. Dezember 1925. Die eingemeißelte Inschrift »Ruhe in Frieden!« ist mehr als ein frommer Wunsch. Sie ist ein dringendes Anliegen, eine Beschwörung, der Verstorbene möge seine Ruhe finden und nicht als unruhiger Totengeist zu den Lebenden zurückkehren. © Kurt Lussi
Im Tod löst sich die Seele von der sterblichen Hülle des Menschen. Während der Körper im Grab zerfällt, ist die Seele nach altem Glauben unsterblich. Damit der Tote seine Ruhe finden kann, ist die Befolgung der von der Tradition vorgegebenen Rituale und Gebräuche unerlässlich. © Kurt Lussi
Körper, Geist und Seele Alle diese Vorstellungen belegen den ungebrochenen Glauben an die Einheit von Körper, Geist und Seele. Der Körper ist die vergängliche Hülle des Menschen. Er entsteht mit der Zeugung und zerfällt mit dem Tod. Vergänglich ist auch der Geist. Damit wird die intellektuelle Denkfähigkeit bezeichnet, die nur dem Menschen eigen ist. Dem Geist unterliegen zum Beispiel die verstandesmäßige Berechnung, die willentliche Zügelung der Triebe, die Lenkung von Tun und Lassen, Lerneifer und Forschungsdrang. Der Geist ist jedoch kein Garant für das Handeln im Sinne der göttlichen Schöpfung, sondern er zeigt, gerade in der Entwicklung und Anwendung von Massenvernichtungswaffen, die Entgleisung des Genius in die Tiefe des Bösen und Zerstörerischen. Die Seele schließlich ist der lebensspendende Gottesfunke, der alles in der Natur vorkommende
Leben beseelt. Sobald sie aus dem Körper weicht, tritt der Zerfall ein. Die Seele ist also die Trägerin des Lebens und Inbegriff des Wesens mit seinen arteigenen Formen und Eigenschaften. Dazu gehören zum Beispiel der Selbsterhaltungstrieb, Liebe, Temperament oder schöpferische Gestaltungskraft. Der Tod und die Trennung von Körper und Seele Der Glaube, wonach zwischen dem Diesseits und dem Jenseits eine unsichtbare Welt existiert, ist in allen Kulturen beheimatet. Diese Welt ist überall und doch nirgends. Sie ist weit entfernt und zugleich mitten unter den Lebenden. In diese Zwischenwelt begeben sich die Seelen der Verstorbenen, nachdem sie sich von der sterblichen Hülle endgültig gelöst haben. Und aus dieser Welt kehren sie zu bestimmten Zei-
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ten und aus besonderen Beweggründen zu den Lebenden zurück. Den Sterblichen ist der Zutritt zur Geisterwelt verwehrt. Davon ausgenommen sind Menschen, die wie die Schamanen in den ursprünglichen Kulturen, die Priester der Antike oder die Mystiker und Heiligen der Kirche über die Fähigkeit verfügen, durch meditative Versenkung oder mithilfe von Ritualen und bewusstseinserweiternden Substanzen Reisen in andere Wirklichkeiten zu unternehmen. Im Zustand der Ekstase kommunizieren sie mit den jenseitigen Mächten. Sie erhalten deren Rat und gewinnen Erkenntnisse, die sie nach ihrer Rückkehr dem Auftrag der Ahnen oder höherer Mächte entsprechend zum Wohl der Lebenden umsetzen. Dies setzt nicht nur die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele und ihr Weiterleben in einer anderen Bewusstseinsdimension voraus. Damit verknüpft ist auch der Glaube an die Exis-
tenz eines allmächtigen Schöpfers, der die irdische Welt und das Geisterreich geschaffen und sich nach der Erfüllung seines Werkes in eine weit entfernte Welt zurückgezogen hat. Ohne den in traditionellen Gemeinschaften nach wie vor fest verankerten Glauben an die Existenz jenseitiger Welten wären die unzähligen Überlieferungen von den Seelen Verstorbener, die sich den Lebenden gegenüber bemerkbar machen, wie auch die in allen Kulturen vorhandenen Totenrituale nichts anderes als sinnentleerte Bräuche. Sagen und Legenden Die unsichtbare Welt der Dämonen, der Kobolde, der Hexen und Totengeister kann weder belegt noch bestritten werden. Dadurch entsteht Unsicherheit, wie die Spukerlebnisse zu deuten und einzuordnen sind. Sie mindert oder legt sich,
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Doppelbalkiges Wetterkreuz bei Sigigen im Kanton Luzern. Es erinnert die Lebenden daran, dass hier in stürmischen Nächten das Heer der Toten vorbeizieht. © Kurt Lussi
wenn dem Unfassbaren Gestalt gegeben wird. Um Beispiele sind wir nicht verlegen: Die Geräusche im Estrich werden mit dem verstorbenen Großvater in Verbindung gebracht; das unheimliche Licht am Wegrand ist die arme Seele eines unlängst verunfallten Nachbarn, dessen umher irrende Seele auf den Beistand der Lebenden hofft. Damit weicht die Angst der Lebenden. Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben und mit welchen guten Werken dem Toten soweit Trost verschafft werden kann, damit er den Lebenden nicht länger lästig wird. Alle diese Erzählungen ketten die Geisterwelt zudem an bestimmte Bezugspunkte, verknüpfen sie also mit der Wirklichkeit. Das Unfassbare geschieht nicht irgendwo, sondern an bestimmten Orten, die allein durch ihre Existenz dafür sorgen, dass die merkwürdigen Geschehnisse immer und immer wieder erzählt werden. Doch erst dann, wenn sich Geschichten von Daten und Fakten lösen, werden sie zu Sagen. Was bleibt, ist ihre Bindung an ein bestimmtes Haus, eine Kapelle, ein Waldstück oder eine Hügelkuppe – und die Tatsache, dass sie aufgrund wirklich geschehener oder geschehen geglaubter Ereignisse entstanden sind. In fast allen Sagen steckt daher ein Körnchen Wahrheit. Diese Tatsache trennt sie von den Märchen, mit denen sie vieles gemeinsam haben. Die Kettung an die Geisterwelt ist nicht verwunderlich, denn der Tod und mit ihm die Toten, die irgendwo in einer Anderwelt verortet werden, ist und bleibt die größte Herausforderung an die Lebenden. Kurt Lussi ist Konservator für Volkskunde am Historischen Museum in Luzern, Buchautor, Ausstellungsmacher und Referent. Sein hauptsächliches Forschungsgebiet sind die magisch-religiösen Vorstellungen des Alpenraums mit Schwergewicht auf der Entstehung und magischen Heilung von Krankheiten.
Schädel und gekreuzte Knochen an einem Epitaph auf dem Friedhof der Stiftskirche St. Michael in Beromünster. Symbole des Todes erinnern den Besucher an seine eigene Vergänglichkeit: Memento mori – sei dir der Sterblichkeit bewusst. © Kurt Lussi
E-Mail: [email protected] Website: http://www.kurtlussi.ch
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Der Wandel der Hexenvorstellung vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart Johannes Dillinger Historische Realitäten Jeder glaubt sie zu kennen, die Hexen. Waren Hexen nicht Vorkämpferinnen der Emanzipation, die von bösen Inquisitoren auf den Scheiterhaufen geschickt wurden? Waren sie nicht rothaarige Kräuterweiber? Oder Kannibalen in Lebkuchenhäusern? Hexen sind für die Geschichtswissenschaft schlicht die Opfer der Hexenprozesse. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert sind weltweit etwa 50.000 Personen, davon rund 80 Prozent Frauen, hingerichtet worden, weil man ihnen Hexerei zur Last legte. Hexerei war ein Sammeldelikt: Es bestand aus einem Pakt mit dem Teufel, Geschlechtsverkehr mit Dämonen, Teilnahme am sogenannten Hexensabbat, einer Versammlung aller Hexen einer Region, dem Hexenflug und Schadenszauber. Der Glaube an Hexerei entstand im 15. Jahrhundert aus älteren Versatzstücken der kirchlichen Lehre von Dämonen, der Ketzerverfolgung, weltlichen Gesetzen gegen schädigende Magie und dem volkstümlichen Zauberglauben. Die Realität der Verfolgung, wie die Geschichtswissenschaft sie in den letzten fünfzig Jahren freigelegt hat, entsprach keinem der üblichen Klischees. Fast alle Hexenprozesse fanden vor weltlichen Tribunalen, den Gerichten des Adels und der Städte statt. Die Inquisition der katholischen Kirche war nur sehr selten beteiligt und hat sogar Verfolgungen ausgebremst. Die sogenannten »einfachen« Leute, die große Mehrheit der Bürger und Bauern, hat Hexenprozesse nicht schweigend hingenommen, sondern sie unüberhörbar verlangt. Angeklagt werden konnte jede und jeder, den die lokale Gemeinschaft als besonders aggressiv erlebte. Der Pakt mit dem Teu-
fel wurde zugetraut, nicht unterstellt. Nach Aussehen, sozialer Herkunft oder Alter wurde von den Anklägern und Richtern, die Jagd auf Hexen machten, nie gefragt. Das einzig zutreffende Klischee ist, dass vorwiegend Frauen wegen Hexerei belangt wurden. Bestimmte Formen von Schadenszauber, die Hexen zur Last gelegt wurden, betrafen nämlich die weibliche Lebenssphäre vormoderner Gesellschaften mehr als die männliche. Die Realität der Verfolgungen wurde rasch vergessen. Nachdem die Prozesse im 18. Jahrhundert allmählich ausgelaufen waren, begannen Vorstellungen von Hexen und Hexenverfolgern zu wuchern, die heute für viele realer als die reale Geschichte sind. Neben der dämonischen Hexe der Hexenverfolgungen stand in der Vormoderne bereits der Glaube an böse Magierinnen, denen nicht explizit der Pakt mit dem Teufel nachgesagt wurde. Aus ihnen entwickelten sich die Märchenhexen, die ab dem 19. Jahrhundert die Kinderstuben des Bürgertums bevölkerten. Polemik gegen den Katholizimus Ein Mann mit den besten Absichten entstellte die Erinnerung an die Hexenprozesse wohl am nachhaltigsten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts versuchte der protestantische Jurist Christian Thomasius wenigstens die Fürsten seiner eigenen Konfession davon zu überzeugen, dass Hexenprozesse Unrecht waren. Er griff dabei zu einem reichlich unfairen, aber sehr effektiven Trick. Thomasius behauptete, dass Hexenverfolgungen eine katholische Erfindung seien. Hexerei sei, so Thomasius’ zentrales Argument, von den Päpsten
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und von der Inquisition erfunden und vornehmlich von diesen verfolgt worden. Die Konsequenzen waren klar: Protestantische Autoritäten sollen sich verpflichtet sehen, die Hexenprozesse abzubrechen. Wir wissen heute, dass sich Herrscher, Wissenschaftler und Richter aller Konfessionen aktiv an den Hexenjagden beteiligten. Dennoch waren die Auswirkungen von Thomasius’ Polemik immens. Die staatstragende Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts ignorierte die offensichtliche Verantwortung der Fürstenstaaten für die Hexenprozesse und schob sie eifrig der geschwächten katholischen Kirche zu. Der Kulturkampf, mit dem Bismarck den politischen Katholizismus mundtot machen wollte, nahm das Argument begeistert auf. Bis heute gehört es zum Repertoire einfach gestrickter Kirchenkritiker. Fantastereien über Hexen und Heiden Ein weiteres folgenreiches Missverständnis des Hexenwesens unterlief dem Germanisten Jacob Grimm. Ausgehend von Thomasius’ Behauptung, dass die Kirche hinter den Hexenverfolgungen stecke, fragte Grimm, was denn die Opfer der Hexenprozesse getan haben sollten, das ihnen Angst und Hass christlicher Machthaber eintrug. Grimm, bewandert in germanischer Mythologie, glaubte in der Magie, die den Hexen unterstellt wurde, vorchristliche Rituale zu erkennen. Das Stichwort gab Goethe: Der hatte in seinem Gedicht »Die erste Walpurgisnacht« Hexerei als christliches Missverständnis heidnischer Rituale präsentiert. Ein genialer Unsinn mit Langzeitfolgen. Grimm erklärte, die Opfer der Hexenprozesse seien die letzten Erben eines heidnischen Kultes gewesen. Dass es keine Belege für eine Kontinuität des Heidentums aus grauer germanischer Vorzeit bis zumindest ins 16. Jahrhundert gab, hat Grimm ignoriert. Grimms Märchen von heidnischen Hexen riss der Nationalsozialismus an sich. Er verschob den Akzent freilich von Religion auf »Rasse«. Aus der als Hexe verfolgten Heidin wurde eine Germanin
beziehungsweise Deutsche. Die Hexen seien Trägerinnen urdeutschen Brauchtums gewesen. Das »rassefremde«, weil »jüdische« oder zumindest »orientalische« Christentum habe seinen Herrschaftsanspruch mit Hilfe der Hexenverfolgung gegen die heidnische Kultur durchzusetzen versucht. Die Hexenverfolgungen dienten also der Beseitigung der Reste germanischer Religion. Es ist bezeichnend, wie selbstverständlich die Nationalsozialisten mit einem zynisch geplanten Massenmord rechneten. Himmler, stets aufgeschlossen für Abwegiges, ließ von 1935 bis 1943 eine Forschergruppe an der Erfassung aller Hexenprozessen arbeiten: das SS-Sonderkommando »H« (»H« für »Hexen«). So sollte Beweismaterial für die »Schuld« der Kirche gesammelt werden. Sieht man von der üblichen ideologischen Hohlraumversiegelung ab, blieb die SS-Hexenforschung eine schlampig erledigte Fleißarbeit: Zehntausende von Formularen wurden mit knappen Angaben zu Opfern von Hexenprozessen gefüllt. Himmlers Hexenkarthotek liegt heute im Archiv von Poznań. Auch die britische Ägyptologin Margaret Murray (1863–1963) griff Grimms Paradigma auf. Murray deutete die Opfer der Hexenverfolgungen als Anhänger eines steinzeitlichen Fruchtbarkeitskultes. Dieser Kult sollte bis in die Frühe Neuzeit tradiert worden sein. Der ehemalige britische Kolonialbeamte Gerald Gardner (1884–1964) ging 1954 mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, dass die von Murray beschriebene prähistorische Religion noch immer existiere. Gardner gab ihr den Namen »Wicca« (angelsächsisch: »Zauberer«). Verehrt wurden eine (Erd- oder Mutter-) Göttin und ein männlicher Gott, die mit Winter und Sommer assoziiert wurden. Gardners WiccaKult ist eine erfundene Tradition, zusammengesetzt aus Murrays Schriften, folkloristischen Werken und dem Okkultismus des 19. Jahrhunderts. Aufgeklärte Wiccans haben die Behauptung langer Kontinuität oder gar der Identität mit den Hexenprozessopfern aufgegeben. Sie sehen sich selbst als die Erben der paganen Antike.
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Falschmeldungen über Kräuterhexen
Hexenszene, Umkreis des David Teniers d. J. (1610–1690), um 1700, Berlin, Deutsches Historisches Museum
Auch der Romancier Jules Michelet schrieb Mitte des 19. Jahrhunderts von Hexen, was kein Historiker sich je würde träumen lassen. Die Hexen seien Volksheilerinnen und Kräuterkundige gewesen. Aber nicht nur das: Dank ihrer profunden Kenntnisse von Pflanzengiften hätten sie Rauschdrogen zubereitet. Nur mit Hilfe dieser Drogen, so stellte Michelet schaudernd fest, habe man die Frühe Neuzeit aushalten können. Der Hexenflug
und der Hexentanz seien Rauscherlebnisse gewesen, ausgelöst von pflanzlichen Drogen. Die Hexen waren also nicht nur Heiler, sondern auch Dealer. Aber die Hexen waren noch mehr: Michelets französische Hexen waren revolutionär. Allein schon die Möglichkeit der Flucht aus der sozialen und politischen Realität in einen Rauschtraum hinterfragte bereits die absoluten Ansprüche kirchlicher und weltlicher Herrschaft. Mit Petitessen wie historischer Dokumentation gab sich Michelet nicht ab.
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Clara Siewert, Die Apotheose der Hexe, um 1910/20 / akg-images
D e r Wa n d e l d e r H e x e n v o r s t e l l u n g v o m 1 5 . J a h r h u n d e r t b i s z u r G e g e n w a r t 4 3
Bei Michelet hatten Hexen medizinische Kenntnisse, sie standen gegen die etablierten Ordnungen von Staat und Kirche und sie waren Frauen. Als die Rolle von Frauen in der Gesellschaft neu diskutiert, die etablierte Ordnung als Unfreiheit kritisiert wurde und Drogen eine neue Popularität gewannen, kam Michelets Argumentation mit gewaltiger Breitenwirkung zurück. 1973 veröffentlichten die Journalistinnen Ehrenreich und English ihre Geschichte der Hexen. Wieder sollten die Opfer der Hexenprozesse dörfliche Volksheilerinnen gewesen sein. Durch die Kräuterfrauen fanden die gelehrten männlichen Ärzte keine Kundschaft. Die Hexenverfolgungen, so die Journalistinnen, waren ein Verdrängungskampf der männlichen Mediziner gegen die weiblichen Heiler, bei dem es um Geld und Geschlechterrollen ging. 1985 schrieben die deutschen Soziologen Heinsohn und Steiger diese absurden Argumente fort. Die Hexen, so heißt es bei ihnen, waren nicht einfach Heilerinnen. Sie waren Hebammen. Hebammen, so die Soziologen, machten ihr Geld eigentlich nicht damit, Kinder auf die Welt zu bringen, sondern mit Empfängnisverhütung und Abtreibung. Heinsohn und Steiger machten Michelets Kombination von medizinischen Kenntnissen und Revolution zu Kenntnissen bezüglich Empfängnisverhütung und sexueller Revolution. Flugs hängten die von historischer Sachkenntnis unbelasteten Soziologen noch eine Verschwörungstheorie an: Die Hexenverfolgungen dienten einzig und allein dem heimlichen Zweck, das Wissen über Empfängnisverhütung aus der Welt zu schaffen. Wer sollte gegen Empfängnisverhütung sein? Die Staaten, die seit dem Mittelalter eine Peuplierungspolitik betrieben hätten. Und natürlich waren diejenigen, die 1985 gegen Empfängnisverhütung waren, auch um 1600 dagegen. Bei Heinsohn und Steiger durfte die Mär von der katholischen Kirche als spiritus rector hinter den Verfolgungen fröhliche Urständ feiern. Man braucht kaum zu sagen, dass das zeitgeistige Gerede von Heinsohn und Steiger durch keine Quellen gestützt ist. Der »Spiegel« propagierte diesen Unfug in Konvul-
sionen der Begeisterung und trompete, dass die Parallele zwischen Innozenz VIII. (einem spätmittelalterlichen Papst, auf den sich frühe Dämonologen beriefen) und Johannes Paul II. völlig klar sei: Beide seien »Fruchtbarkeitsprediger«. Feminismus und Geschichtswissenschaft Wenn auch wenig Brauchbares an den Spekulationen über Heilerinnen ist: Mit ihnen hat die Frauenbewegung die Hexenforschung eingeholt. Teile der Frauenbewegung unternahmen eine metaphorische Inbesitznahme der Hexen. Die Opfer der Hexenprozesse wurden Identitätsangebot und Projektionsfläche. Sie sollten die exemplarisch unbequemen Frauen gewesen sein, die das »Pa triarchat« eliminierte. So simpel und fragwürdig diese Idee heute erscheint, sie hat bleibende Verdienste: Die Frauenbewegung machte die Beschäftigung mit den Hexenprozessen zur dringlichen Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Johannes Dillinger ist Historiker für Frühe Neuzeit und Professor für frühneuzeitliche Geschichte an der Oxford Brookes University. Neben der Geschichte des bäuerlichen Lebens und der politischen Kriminalität befasst er sich vor allem mit der Geschichte von Magie und Hexenverfolgung. Zu diesem Thema hat er zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. E-Mail: [email protected] Literatur Dillinger, J. (2013). Kinder im Hexenprozess. Magie und Kindheit in der Frühen Neuzeit. Stuttgart. Dillinger, J. (2018). Hexen und Magie. 2. Auflage. Frankfurt a. M. Ehrenreich, B.; English, D. (1973/1986). Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. 12. Auflage. München. Frenschkowski, M. (2012). Die Hexen. Eine kulturgeschichtliche Analyse. Wiesbaden. Gardner, G. (1954). Witchcraft today. London. Heinsohn, G.; Steiger, O. (1985/1994). Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit 6. Auflage. München. Michelet, J. (1862/1987). La sorcière. Paris. Murray, M. (1921). The witch cult in Western Europe. Oxford. Thomasius, C. (1986). Vom Laster der Zauberei = De crimine magiae [1701]. Über die Hexenprozesse = Processus inquisitorii contra sagas [1712]. München.
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An Rändern, Grenzen und Schwellen Positive Umdeutungen der Hexe in Werken von Ernst Barlach
Andrea Rudolph Das Werk des Bildhauers, Literaten und Grafikers Ernst Barlach (1870–1938) ist – wie er selbst – im Norden verwurzelt. Frankreich, Russland und Italien waren Barlachs Zwischenstationen. Er kehrte jedoch wieder nach Norddeutschland zurück, um in Güstrow, wo er seit 1910 lebte, sein Hauptwerk zu schaffen. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts Maler und Bildhauer im Fernen und Exotischen das »Neue« suchten, schöpfte Barlach aus seiner tief »eingewachsene[n] Zugehörigkeit« zu seinem Geburtsland und aus ideengeschichtlichen Entwicklungen. Anknüpfungen an den Expressionismus und die Neue Mystik verband er mit beobachteten mecklenburgischen Landschaften und Menschen. Barlach hatte über vierzig Jahre hinweg sich immer wieder auf die Hexenmotivik eingelassen, der man sich an der mecklenburgischen Seenplatte nicht entziehen kann. Die Hexenfiguren in Barlachs Werken verdanken ihre Existenz Eingebungen, die der Künstler aus der Geschichte Mecklenburgs bezog, einem Land, das – wie Herzog Christian Louis von Mecklenburg-Schwerin (1658–1692) in einem Edikt wider die Hexenprozesse vom 16.02.1688 beklagte – mit seinen über 4000 Hexenprozessen »mehr denn zuviel beschrieen« war. Die Erinnerung daran hält die ständige Ausstellung des kulturgeschichtlichen Fachmuseums »Burg Penzlin. Museum für Alltagsmagie und Hexenverfolgungen in Mecklenburg« für jährlich etwa 25.000 Besucher fest. Ein umfangreicher Ausstellungsbereich, der in Kooperation mit der Ernst Barlach Stiftung in Güstrow, namentlich mit Dr. Volker Probst, 2017 neu gestaltet wurde, ist den Hexen- und Dämonengestaltungen Ernst Barlachs gewidmet.
Hexen in Barlachs literarischen Arbeiten Den Hexen, denen die Aufklärung das Bürgerrecht genommen hatte, räumt Barlach in Prosa und Dramatik das Recht der Hausgenossenschaft ein. Sie bilden einen Themenkatalog schon in der Titelgebung seiner kurzen Prosastücke: »Die Stundenhexe« (1895 oder später); »Die Dämmerungshexe« (1899); »Die Hexe Einsamkeit« (1899); »Unsere lieben Haushexen« (1895 und 1899). In diesen lebt der Erzähler mit Hexen, die sein Haus führen und verwalten. So unterschieden sie sind, weisen sie eine Familienähnlichkeit darin auf, dass sie den Künstler nötigen, Grenzen, Ränder und Schwellen bei allen künstlerischen Vollzügen immer wieder in Richtung »wahre Kunst« zu überschreiten. Sie beherrschen die Kunst der Veränderung von Zuständen. Diese Wirkung bringt auch die Stundenhexe hervor. Sie entsteigt zu mitternächtlicher Stunde dem Uhrenkasten einer altehrwürdigen Familienuhr. Über den Weg der Ekstase und Besessenheit tritt sie in Verbindung mit dem »Weltenräderwerk«, das Sekunden »durch den Raum« sprühen lässt, dringt sie zu Weltgesetzen vor, ergreift sie »die harmlosen Sekundenworte«, um sie »wie Nüsse« zu knacken. Nun kann der »eingeschlossene Sinn frei seine Fittiche strecken, die schwere Wucht und Flugkraft seiner Bedeutung sich entfesseln«. Saß der Ich-Erzähler zuvor nur »einfältiges Gerede« im Ohr am Schreibtisch, horcht er nun »scharf« auf, mitredend »in Gedanken«, ist doch »jede Silbe immer neu und voll immer wieder gewaltigen Sinns«. In der mechanischen Zeitmessung und in der geschäftigen oder geschäftlichen Sprache bringt die bürgerliche Gesellschaft
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ihre auf Effizienz und Verwertung gerichtete Struktur zum Ausdruck. Im Rekurs der »Stundenhexe« auf die eigentliche Sprache und die eigentliche Zeit rückt für Augenblicke ein substanzielles Leben und Schreiben in den Vordergrund. In Bezug auf Philistertum bieten Hexen den von Barlach immer wieder gestalteten Gegenpol. Barlach als Gottsuchender Hinter seinem Bestreben, Alltagsbegriffen eine tiefere Sinnschicht abzugewinnen, steht noch in späteren Jahren eine spezifische, gottsuchende Gläubigkeit. Diese ist im Sinne der »Neuen Mystik« universalistisch auf die Schöpfung als letzte Seinsstruktur ausgerichtet: »Doch gehöre ich zu den gläubigen Menschen, deren Letztes sich nicht in Worte bringen ließe, indem ich der Überzeugung bin, daß die mir gegebene Sprache und Darstellung – wenn auch stammelnderweise – von Etwas zeugt, das von Wort, von Wille, Verstand und Vernunft überhaupt nicht berührt wird. Es sei denn wiederum in der Art der Kunstsprache, indem innewohnt und übertragen wird aus ihr, vermöge übervernünftiger Eigenschaften als Schönheit, Größe, Majestät oder erschütternde Eindringlichkeit, was vom Jenseits der Wort mathematik kommt, nicht gewollt, gelernt, gewonnen oder ursächlich erkannt werden kann, sondern zweckfreie Gnade ist.« Grenzziehungen zwischen Mythos und Alltag, zwischen Sakralem und Profanem werden auch in der Zeichnung »Die Zeit als Kinderamme« (1897/98) und Barlachs anrührender Plastik »Die gefesselte Hexe« (1925/26) überschritten. In der Zeichnung sitzt eine durch Pendel und Katze als Hexe ausgewiesene hakennasige Alte in einem Sessel, dessen Lehne von einer Uhr gebildet wird. Diese Hexe ist vita activa, sie ist Tätiges, und sie ist vita contemplativa, indem sie weiß und wacht. Magie dient hier dem Kindeswohl, nicht der »schwarzmagischen« Entwendung von kollektiven Kräften zum Schaden anderer. Das Blatt lässt eine Trinität erkennen aus der Vorzeit, er-
Ernst Barlach, Die Zeit als Kinderamme, Blei, Tusche und Feder, 1897 / 98, Hamburger Kunsthalle
kennbar in der archaischen Symbolik der Spindel, Gegenwart und Zukunft, schicksalsbestimmend schwingt ein Wahrsageinstrument über dem Wiegenkorb. Die Uhr kündigt die mitternächtliche Stunde an, in der Hexen herkömmlicherweise aktiv werden. Das Zifferblatt enthält mehr Zeitintervalle als gewöhnlich. Es entlässt den Betrachter aus der realistisch gegliederten Zeit in eine mythische der Tiefe, des ungegliederten Ganzen, die nur im Traum erlebt werden kann. Beide Dimensionen gehören zur Geburtsausstattung: die zivilisatorisch-bürgerliche, die sinnliche Qualität im zeittypisch geformten Sessel erhält, und die vorzeitliche, archaische. Letztere ließe sich vielleicht auf das »ältere Blut« beziehen, das R. M. Rilke in seiner dritten Duineser Elegie (1912/1922) besingt. Das Blatt steht in Zusammenhang mit dem Prosastück »Die Stundenhexe«, das 1895 in Paris entstand. Beide Arbeiten greifen vom Gehäuse
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der Wohnstube auf die Welt der Magie aus. Beide Arbeiten lassen kontroverse Zeitbegriffe in Spannung geraten. Beide nutzen den Typus der alten Hexe als Personifikation sinnvoller Zeit. Realität und Traum sind jedes Mal gleichberechtigte Wahrnehmungsbereiche. Erdverbundene Hexen Die »Drei Hexen« bilden drei ineinander Schutz bietend zusammengekauerte Wesen. Erst durch den Namen des Blatts wird eine mythische Qualität betrachtbar gemacht, da Barlach auf die Verwendung hexischer Requisiten verzichtet. Allein in der Dreizahl könnte ein Bezug zum Hexenwesen liegen. Auch Parzen oder Nornen wirkten häufig in der Dreizahl auf menschliches Geschick. Doch scheint das herkömmliche Machtgefälle zwischen ihnen und den Menschen nicht nur gemildert, sondern umgekehrt. Diese Figuren scheinen als Hilfsbedürftige auf eine Epoche erfahrenen oder bevorstehenden Leids zu blicken.
Die Verbindung der vorderen Gestalt mit der unteren Bildhälfte lädt ein, in den Hexen Naturmütter einer Erdreligion zu erblicken. Eine Bindung von Hexen an das Erdhafte, an die chthonische beziehungsweise tellurische Natur wie die Sphäre des Dunklen, gehörte zur zeitgenössischen Bestimmung von Weiblichkeit, wie sie der Schweizer Rechtshistoriker und Altertumswissenschaftler Johann Jakob Bachofen in seinem Werk »Das Mutterrecht« (1861) folgenreich entwickelt hatte. Es verband die Erde mit Mutterschaft. Womöglich verschmolzen hier Barlachs Eindrücke von russischer Landschaft, auf der in Tüchern gehüllte Menschen lagerten, mit Bachofens Neuentdeckung im frühen 20. Jahrhundert. Auf sein Blatt »Sitzende Frau« griff Barlach zurück, als er 1925/26 eine seiner ausdrucksvollsten Holzplastiken, »Die gefesselte Hexe«, schuf. Realistische Detailtreue verbindet sich in der »Sitzenden Frau« noch nicht mit einer die Wirklichkeit steigernden Formensprache. Für die plastische Ausführung wurde die Frauenfigur in die Frontale gekehrt und erhielt so eine betrachterorientierte Position. Zudem ersetzte Barlach den Stuhl durch einen einfachen Holzklotz, so dass »Die gefesselte Hexe« bedeutend isolierter und ihrem alltäglichen Lebensumfeld enthoben wirkt. Zeitlosigkeit und Erhöhung der Hexenfigur
Ernst Barlach, Drei Hexen, Kohle 1807 / 08, Ernst und Hans Barlach GbR Lizenzverwaltung, Ratzeburg
Unterlebensgroß und aus unheroischem Holzmaterial gefertigt, strahlt diese Hexe dennoch Würde und Größe aus. Die Plastik wirkt monumental aus der Kraft ihrer Geistigkeit heraus. Die im Schoß liegenden gefesselten Hände bilden eine Acht, ein Symbol der Ewigkeit. Die Gestalt ist streng symmetrisch angelegt, der geometrische Zuschnitt der Falten um eine Mittelachse gruppiert. Diese ordnen-
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de Achse führt vom Haarscheitel über den Mittelpunkt der V-förmig eingegrabenen Stirnfalten und weiter über den V-förmig drapierten Kleiderausschnitt hin zu einem Faltenwurf, der auf die im Schoß gefesselten Hände fällt, um schließlich zwischen den Beinen und einem wiederum geometrischen Zuschnitt der Kleiderfalten auszulaufen. Symmetrie fasst die optischen Einzelzüge zu einer Einheit zusammen.
Die Unendlichkeit und Dauer ausdrückende Rundungsform der Acht ist in eine Figur eingegangen, deren Zugriff auf die Dinge sich nicht im Gestus des Besitzergreifens vollzieht. Exemplarisch wird in solcher Rundungsform nicht Zeitfluss, sondern Zeitlosigkeit, nicht Mannigfaltigkeit, sondern Beschränkung auf das Wesentliche und im Mittelachsenprinzip eine geschlossene Ordnung festgehalten. Die Rundungsform der Acht und die strenge Symmetrie lassen erkennen, dass mit dieser Hexengestalt nicht ein empirisches Hexenopfer gemeint ist, sondern eine Idee in die Plastik umgesetzt wurde. Zeitrealistische Eigenschaften wie der sogenannte böse Blick sind noch erkennbar. Doch hier ist der starr wirkende Augenspiegel kein magisches Werkzeug. Die neu gedeuteten Hexenaugen wandelten sich in die blinden Augen einer Seherfigur, die ihre Blindheit selbst gewählt hat. Exemplarisch werden so blinde Augäpfel und die Gebundenheit der Hände als Einheit vorgeführt. Es entsteht der Eindruck, als habe die Figur das Begrenzte, ihre Blindheit und Fesselung – als Teil des Suchens und der Konzentration – auf sich genommen. Nur dem reinen, nicht mehr ich-süchtigen Erkennen ist die unbefangene Anteilnahme am Ganzen vergönnt. Die Figur blickt in die Brunnentiefe alles Gewordenen, Vergangenen und Werdenden. Sie verkörpert eine konzentrative Lebensweise statt der zeitüblichen lineararisierten. Wer sich der visuellen Anziehung der Skulptur aussetzt, spürt deren moralische Botschaft. Dass Barlach sich dieses Bild der Hexe als einer ethischen, zuweilen auch sakralisierten Figur erarbeitet hat, solErnst Barlach, Die gefesselte Hexe, 1925 / 26, Ernst Barlach Stiftung len abschließend zwei Blätter zeigen. Güstrow
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Ernst Barlach, Gang zum Scheiterhaufen, 1922, Ernst Barlach Stiftung Güstrow
Ernst Barlach, Gefesselte Bäuerin, Zeichnung, 1918, Privatbesitz mit unbekanntem Standort
Barfüßig und im Büßergewand tritt diese Figur ihren Gang zum Scheiterhaufen an. Das gesenkte Haupt drückt Gebrochenheit aus, kraftvoll aufsetzende bloße Füße wie auch der hoch aufgerichtete Körper vermitteln dieser Gestalt dennoch innere Stärke und Würde. Barfuß galt als Kennzeichnung in Gefangenschaft genommener Menschen, selbst im Bauernstand waren barfüßige Erwachsene nicht anzutreffen. Zugleich waren bloße Füße auch Zeichen der Buße, der asketischen Übung, der Pilgerschaft. Die betonte sichtbare Barfüßigkeit der Gefangenen verbindet den Verlust der Würde in der Gesellschaft mit christlicher Würde. Die umwertende Freiheit, derer sich hier Barlach bedient, ist die Freiheit des Künstlers. Dies gilt auch für das folgende Blatt.
Die Flammen bilden eine Glorie oder Aura um die Figur und verherrlichen so die gefesselte Bäuerin. Barlach gestaltet die Flammen in der Form einer Mandorla. Sie galt insbesondere in der Kunst des Mittelalters als Hoheitszeichen des christlichen Gottes wie auch der Heiligen Maria. Die Ausweitung der Aussage über den hexischen Bereich hinaus ins Christliche lässt ästhetische Hochwertung erkennen. Umdeutung des Hexentanzes Wie in der »Stundenhexe« wurde in der Zeichnung »Junge Hexe und Lautenspielerin« (Feder, um 1905) vom Erlebniskontext zum ideengeschichtlichen Kontext geweitet. Im Tanz, wo
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der Mensch wieder zur kindlichen und künstlerischen Spontaneität findet, hatten Zeitgenossen Barlachs ein neue Ganzheit stiftendes Element gesehen. Nietzsche hatte die Kulturgebärde des Tanzes seiner Philosophie zugeordnet. Im Kind, das die Hüllen abstreift, und im Tanz, der zugleich gefühlsmäßige Selbsterfahrung und mythische Annäherung an das Göttliche ist, manifestiert sich die Überwindung der Krise jenseits der Philosophie durch das Spiel des Körpers. Wer zu tanzen versteht, tötet den Geist der Schwerkraft, den Teufel, durch den die Dinge fallen. Auch die Entwicklung des Ausdruckstanzes gehört in diese Zeit, die gleichsam nach einem neuen Arkadien suchte und das Arkadien im tanzenden Arkadien sah. Der Tanz als Projektion auf die Zukunft, die Flugsehnsucht des im Tänzer personifizierten Geistes, die Überwindung der Schwerkraft als Befreiungsakt des Geistes – dies alles findet sich in Henri Matisses Gemälde »Der Tanz« (1909 und 1909/10) ebenso wieder wie in Barlachs zur »Dämmerungsstunde tanzenden Mädchen« und in seinem Titelblatt zur »Walpurgisnacht« (Kohle 1919/20). In diesen Arbeiten hat Barlach das traditionelle ikonografische Element des Hexentanzes geistig umgedeutet. Außerordentliche Kräfte der Magie, die die Aufklärung bekämpft und verabschiedet hatte, treiben in Barlachs Werk fort zu Grenzerfahrungen und verkörpern den Auftrag zu Aufbruch und Suche. Die Hexe als Fordernde, die die Illusionen der Zeit durchschaut, als Gestalt märtyrerhaft Leiden auf sich nimmt und auch Leiden zufügt, weil sie Leiden als einen Reinigungsvorgang betrachtet, der den Suchenden vorwärtstreibt – das ist bei Barlach der Schwerpunkt des Symbols, der eine neue Auffassung der Hexe konstituiert. »Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst. Damals wurde der Kranke zum Ketzer und zur Hexe: Als Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen«. Mit dieser Deutung hatte Friedrich Nietzsche der Hexe und dem Ketzer einen neuen Mythos geschaffen. Während Nietzsche aber mit der Figur des Zarathustra auf eine
Überwindung der Zeitlichkeit orientiert, stellt sich Barlach den Begrenzungen durch die Realität in einer Epoche, die die Probleme der Moderne zugespitzt hatte. Seine Figuren sind Suchende, aber sie entziehen sich nicht der Schwere, die aus dem Ringen um die Form erwächst. Sie vergegenwärtigen den Prozess des Suchens, keine utopische Übersteigerungsform. Sie sprengen nicht das menschliche Maß, sondern treiben fordernd zur Grenzerfahrung. Ihre Utopie ist nicht mehr der antizipierende Denkraum des klassischen Kosmos der Vollkommenheit, sondern gerade die Akzeptanz des Daseinsraums, der in sich alle menschliche Sinnhaftigkeit birgt. Andrea Rudolph ist Lehrstuhlinhaberin für neuere deutsche Literatur und Kultur am germanistischen Institut der Universität Opole (Polen) und wissenschaftliche Leiterin des kulturgeschichtlichen Museums Burg Penzlin sowie des Johann-Heinrich-Voß-Literaturhauses in Penzlin. E-Mail: [email protected] Website: http://alte-burg.amt-penzliner-land.de/ Literatur Bachofen, J. J. (1861). Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Stuttgart. Beyer, C. (1903). Kulturgeschichtliche Bilder aus Mecklenburg. Zauberei und Hexenprozesse im evangelischen Mecklenburg. Berlin. Nietzsche, F. (1973). Vom Schreiben und Lesen. In: Nietzsche, F.: Werke in zwei Bänden. 2. Auflage. München. Rudolph, A. (1998). Die Hexe als Mythos. Der Zweifel und der Wille zum Selbst. Hexenfiguren im Werk von Ernst Barlach. Dettelbach. Seligmann, S. (1910). Der böse Blick und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker, Bd. 1. Berlin.
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Vampire gibt’s doch gar nicht – oder!? Der dunkle Mythos und die Lust am Unheimlichen
Hans Meurer Der Tod ist die größte Krise im Leben der Menschen. Aber wir kennen ihn nicht, es gibt ihn nur in unseren Vorstellungen, denn »solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr. Folglich betrifft er weder die Lebenden noch die Gestorbenen, denn wo jene sind, ist er nicht, und diese sind ja überhaupt nicht mehr da. So ist also der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts. Ein Nichts, das uns oft nicht schlafen lässt.« So sprach schon Epikur (Ausgabe von 1973, S. 40) über den Tod. Obwohl wir jeden Tag vom Tod umgeben sind, versuchen wir ihn zu negieren. Alle Zivilisationen hatten und haben ihre Probleme mit dem Tod. Entweder sie überhöhen ihn oder sie versuchen ihn auszuschalten. Die Entwicklung des Todesmotivs ist ein wesentliches Moment. Zwei Faktoren spielen in unserem Zusammenhang eine große Rolle: die Dämonisierung des Todes als etwas Schlimmes und Unheilbringendes sowie die Erotisierung des Todes, deren Höhepunkt die schwarze Romantik darstellte und deren Nachwirkungen bis in die heutige Zeit reichen. Dunkle Dämonen kennt jeder Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter schrieb: »Es gehört zu den archaischen Mustern, tiefer Angst dadurch zu entfliehen, dass man sich konkrete Objekte sucht, die es uns erlauben, die Stimmung diffuser Hilflosigkeit und Verzweiflung in gerichtete Furcht zu verwandeln« (1992, S. 35). Alles, was wir nicht verstehen konnten, haben wir personifiziert. Aus diffusen Ängsten werden konkrete Gestalten, die Dämonen entstehen. Sie kommen aus dem Dunkeln, der Finsternis.
Dämonen und Geister waren überall. Niemand hatte auch nur den geringsten Zweifel, dass in jedem Winkel und in jeder Ecke ein Geist, ein Mahr oder was auch immer gesessen hat. Und so musste Licht ins Dunkel gebracht werden.
Der erste Schöpfungsakt war die Schöpfung des Lichts, das die Dunkelheit vertreibt. Doch ein Teil der ursprünglichen Finsternis blieb. Die Nacht war ihr Relikt, ihre Mahnung.
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lehrten. Und auch der Mensch, geschützt vor der äußeren Nacht, zog sich in seine Nachtwirklichkeit zurück im Traum oder im Albtraum. Eine andere Möglichkeit waren der Rausch, die Ekstase oder die Trance. Es war immer der Wunsch des Menschen, die Grenzen der Natur zu überschreiten. Und diese Grenzen setzen uns Sexualität und Tod, die totale Hingabe und Verausgabung. Die Überschreitung dieser Grenzen »geschah in der Angst des Herzens und mit der Aggressivität eines Willens, der sich im Bruch der Gesetze selbst verzehrte. Immer war die Überschreitung des Todes erotisch und die der Sexua-
m.schröer
In den Vorstellungen der Menschen über die Anfänge der Welt findet sich überall der Glaube an eine Urnacht. Bevor Leben entstand, herrschten dort die allumfassende Finsternis und grenzenlose Leere. Der erste Schöpfungsakt war die Schöpfung des Lichts, das die Dunkelheit vertreibt. Doch ein Teil der ursprünglichen Finsternis blieb. Die Nacht war ihr Relikt, ihre Mahnung. Die Menschen betrachteten die Aufeinanderfolge von Licht und Dunkelheit als göttlichen Kampf. Und immer dann, wenn das Licht den Kampf verlor, brach die Nacht herein, begleitet von schaurigen Gestalten, die den Menschen das Fürchten
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lität in gewisser Weise tödlich«, so drückt es Dietmar Kamper aus (1977, S. 28). Die andere Wirklichkeit gibt es wirklich Wir ahnen, dass es diese andere Wirklichkeit gibt – aber in sie einzudringen, macht uns Angst. Traum und Mythos liegen dicht beieinander. Und von dort ist es nicht weit zum Märchen, zur Sage, zur Legende und zur Religion. »Der Mythos entsteht, wenn sich der Traum, die Vision, die Dichtung des Einzelnen zu einem großen Traum erhebt, in dem die Symbolsprache der Traumbilder nicht nur den Niederschlag individueller Erfahrung widerspiegelt, sondern zugleich die Erlebnisse einer größeren Menschengruppe verdichtet, deutet und vorgreifend gestaltet.« So beschreibt es Eugen Drewermann (1997, S. 132). Der wesentliche Unterschied zwischen Märchen und Mythen ist der Umgang mit dem Tod. Während es im Märchen zum Schluss heißt: »Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute«, so ist es im Mythos gerade der Umgang mit dem Tod, sind es die Erklärungsversuche des Lebens, die ihn auszeichnen. Jeder weiß, dass es eine andere Realität gibt als die, die wir im hellen Tageslicht Wirklichkeit nennen, zumindest jeder, der schon einmal geträumt hat. Beim Träumen kann man Dinge tun, die wir im sogenannten richtigen Leben niemals schaffen oder sehen könnten. Für die Menschen früherer Generationen war es völlig plausibel, dass es diese zweite Welt gibt. In allen alten Schriften ist von Visionären die Rede, die der uralten Menschheitsvorstellung nachjagen, es müsste doch möglich sein, diejenigen Orte zu besuchen, die den Göttern und den Toten vorbehalten sind. Diese Jenseitsreise dient aber nicht nur dazu, die jenseitige Welt besser zu erkennen, sondern auch, die eigene besser kennenzulernen. Immer wieder folgen prophetische Menschen ihren Träumen und es treten Dinge ein, die ihr Leben verändern, verbessern oder Gott näher bringen. So nimmt es nicht wunder, dass es einen Bruder dieses Traums
gibt, der uns die Abgründe auftut: der Albtraum. Während Träume Kraft geben, rauben Albträume Kraft und Lebendigkeit, symbolisch in Form von Blut, dem Sitz des Lebens. Träume und Albträume sind die beiden Seiten derselben Medaille oder anders ausgedrückt: unser Versuch, der Banalität des diesseitigen Lebens zu entfliehen. Es ist aber auch das Umherirren in einem anderen Universum, in einer anderen Wirklichkeit, der Wirklichkeit der Götter und Dämonen, der Engel und Vampire, der Feen und Hexen oder um mit Mircea Eliade zu sprechen: Wir befinden uns im Sakralen. Genau deshalb sind Mythen zeitlos. Die Aufklärung und darauf folgende rationale Strömungen haben versucht, diese zweite Realität oder andere Wirklichkeit zu negieren, zu leugnen. Diese Entzauberung der Welt hat aber zur Folge, dass alles, was nicht verstandesmäßig erklärt werden kann, negiert werden muss. Genau da liegt das Problem. Denn obwohl gern gewünscht, schafft es der Verstand nicht, gewisse Dinge zu erklären, seien es Liebe, Angst oder Hass. Wir brauchen die Wesen, die uns helfen, das Unerklärliche zu erklären. Die Geschichte der Mythen ist voll von solchen Gestalten und Albträumen. Dadurch, dass sich die Welt ändert, ändern sich die Gestalten, aber nicht die Inhalte. Während wir früher nur vor der Natur Angst zu haben brauchten, müssen wir jetzt Angst haben vor Natur und Technik. Wir haben die Natur noch nicht verstanden und sind bereits zur »Humanware« geworden, eine spezielle Art von Software, die noch gebraucht wird. Und damit taucht die Sinnfrage erneut auf. Leben wir oder werden wir gelebt? Was hat das Ganze für einen Sinn, wenn der Sinn des Lebens der Tod ist? Sind wir der Technik und Natur ausgeliefert? Das Böse ist faszinierend Mit der Sinnfrage stellt sich die Frage nach Gut und Böse, dem Mythos der Schuld und der Moral, dem Weiterleben nach dem Tod, dem My-
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Francisco de Goya, The Caprices, plate 48, 1799 / akg-images / Album / Oronoz
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thos der Unsterblichkeit. Und wenn es um diese Themen geht, kommen wir an dem Bösen nicht vorbei. Die Suche nach dem Ursprung des Bösen bestimmt den Anfang der Religionen und des menschlichen Denkens. Und das Alte Testament erklärt dies mit der Vertreibung aus dem Paradies. Die Menschen, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten und selbstständig Gut und Böse unterscheiden konnten, durften nicht länger in der träumenden Unschuld verharren. Modern ausdrückt: Das Böse ist der Preis der Freiheit. Wenn der Teufel ursprünglich zum Hofstaat Gottes gehört hatte, dann war das Böse von Gott. Und so wird in der Menschheitsgeschichte immer vom Bösen erzählt. Sie kennt das Böse, sie braucht das Böse, vor allem braucht sie eine Verkörperung des Bösen. Die Menschen verzichten nicht wegen ein paar Philosophen auf die Realität des Bösen in ihren Geschichten. So wenig wie der Wolf aus den Märchen verschwindet, so wenig verschwindet das Böse aus den Gedanken oder dem Volksglauben. Und die gelungenste Projektionsfigur dieses Bösen ist der Vertreter des Teufels auf Erden, der Vampir. Im theologischen Kosmos des Christentums ist er ein würdiger Gegenspieler zu Christus. Blut ist der Sitz des Lebens und der Seele. Und so wie Jesus sein Blut gibt zur Seelenrettung der Menschen, nimmt der Vampir das Blut (sprich: die Seele) der Menschen zum eigenen, nichttoten Überleben. Das Böse ist faszinierend, denn die Auffassung, dass der Mensch sich nur durch eine Verschreibung an das Böse über die Schranken, die durch Natur und Gesellschaft gesetzt sind, hinwegsetzen kann und dadurch der Sünde verfällt, für die er zumindest schwer büßen muss, herrscht nach wie vor. Und das Böse ist immer gekoppelt an die Sexualität. Das hat sich seit Augustinus nicht geändert. Sie ist es, die uns das Verderben bringt. Und wenn wir auch nicht mehr zugeben, dass uns das Böse in Gestalt von Vampiren, Hexen und Dämonen besucht, so kann es doch passieren, dass uns Zweifel kommen. Denn wo kommen diese bösen Gedanken her, diese Gelüste,
diese unmoralischen Anwandlungen? Also ist es doch gut, dass es diese Nachtgeschöpfe noch gibt, denn sie ent- und verführen uns. Sie nehmen uns die Schuld. Sie sind es, die uns veranlassen, Dinge zu tun, die wir eigentlich gar nicht wollten. Oder vielleicht doch? Der Übergang zwischen Furcht, Angst und Grusel ist fließend. Für uns heute ist Gruseln die angenehme Art des Fürchtens, denn wenn wir uns gruseln, wissen wir, dass es für uns gut ausgeht. Wir brauchen diese Geschichten, um uns mit diesen Themen zu beschäftigen, denn wir verstehen die Welt noch viel weniger als unsere Vorfahren. Die Schere zwischen dem, was wir an Wissen verarbeiten können, und dem, was wir wissen müssen, öffnet sich immer weiter. Das Unverständliche wächst schneller als das Verständliche. Also suchen wir uns wieder Projektionen, die es uns erleichtern, mit den Dingen umzugehen. Ob es nun Computer sind oder Dämonen, ob es die Genforschung ist oder Nachtmahre sind, die uns beherrschen: Egal – es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als noch einmal davongekommen zu sein. Aber Vampire gibt’s doch gar nicht!? Hans Meurer, Historiker, Pädagoge und Psychologe ist einer der bekanntesten und renommiertesten Mythenforscher Deutschlands. Neben seiner Haupttätigkeit als Hochschullehrer und Führungskräftetrainer beschäftigt er sich seit mehr als dreißig Jahren mit den Gestalten des Volks- und Aberglaubens und der Mythologie. E-Mail: [email protected] Website: www.hans-meurer.de Literatur Drewermann, E. (1997). Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 1. Olten. Epikur (1973). Brief an Menoikeus. Zitiert nach: Epikur. Philosophie der Freude. Eine Auswahl aus seinen Schriften, übersetzt, erläutert und eingeleitet von J. Mewaldt. Stuttgart. Kamper, D. (1977). Über die Wünsche. Ein Versuch zur Archäologie der Subjektivität. München. Richter, H.-E. (1992). Umgang mit der Angst. Hamburg.
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Gedanken rund um den Tod in Mythologie, Religion und Philosophie Dieter Kremp Vor etwa 60.000 Jahren, zur Zeit des mittleren Paläolithikums, begann der Mensch – damals noch in Form des Neandertalers – seine Toten zu bestatten. Es waren Akte der Fürsorge und der Liebe, denn die Toten wurden stets geschmückt und deren Gräber gekennzeichnet. Dies war ein Wendepunkt in der Geschichte. Der Mensch beschäftigte sich jetzt offensichtlich erstmals mit spirituellen Problemen, die geistige Entwicklung nahm ihren Lauf. Für unser Denken war der Tod von Anfang an ein irritierendes wie gleichermaßen inspirierendes Faktum, ein Wetzstein, an dem sich eine Vielfalt theoretischer Gedanken entzünden konnte, ein »Wegweiser der Philosophie«, wie Schopenhauer einmal sagte. Allgemein gesprochen ist mit dem Tod eines Menschen das Aufhören des individuellen Lebens gemeint, im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet er das Sterben des Menschen. Im Akt des Sterbens erscheint der Tod als ein Moment, als Übergang des Lebens zum Nicht-mehr-Leben. Doch in der Folge, nachdem der Akt vorüber ist, kann uns der Tod auch als ein Zustand gelten, der nach dem Leben und dem Sterben folgt. Als Zustand nach dem Leben entzieht der Tod sich freilich jeder philosophisch-rationalen Überlegung. Demgemäß fällt seine Betrachtung im Sinne eines Zustands in das Gebiet der Mythologie, der Religion sowie der Metaphysik, welche zwar ebenso Gegenstand der Philosophie ist, diese aber letztlich spekulativ überschreitet. Was immer Philosophen auch über die Tatsache des Todes geschrieben haben, in einem Punkt sind sie sich einig: Der Weise wird den Tod weder fürchten noch ersehnen, sondern ihn als natürlichen Schlusspunkt des Lebens betrachten und in
unerschütterlicher intellektueller Festigkeit gelassen erwarten. Der Weise wird weder jeden Gedanken an den Tod verdrängen, noch ständig an ihn denken, sondern vor allem ein rechtes Leben zu führen suchen, weil er weiß, dass nur ein gut verbrachtes Leben dem Tod den Schrecken zu nehmen vermag. Die durchgängig geforderte Gelassenheit angesichts des eigenen Todes kann somit nur durch ein fruchtbares und gerechtes Leben erreicht werden. Die Kunst des Sterbens ist demnach mit der Kunst des Lebens gleichgesetzt. Von den Anfängen bis in die Gegenwart ist freilich immer auch ein »traurig Lied« gesungen worden: Das Leben sei nichts anderes als ein permanentes Sterben, ein stetes, unaufhaltsames Zugehen auf den Tod, ein »Sein zum Tode«. Aber auch jenes »traurig Lied« führt letztlich hin zur Kunst des Lebens. Ihm gilt es, Sinn zu geben, dieses gilt es aufzugreifen und zu gebrauchen. Gerade deshalb, weil unser Leben letztlich Sterben ist, hat unsere Existenz einen nicht zu überbietenden Stellenwert und muss geformt werden. Im Hinblick auf den Tod sind hinsichtlich philosophischer Überlegungen zwei prinzipielle Grundhaltungen zu unterscheiden. Einerseits kann gesagt werden: Der Tod ist ein naturgemäßes und unveränderliches Faktum. Dieses ist aber, weil es unser Ende bedeutet, hochgradig bedrohlich. Die Bedrohung wird durch die prinzipielle rationale Undurchdringbarkeit des Todes noch verstärkt. Metaphysische und religiöse Debatten stiften diesbezüglich bestenfalls Unsinn und Verwirrung, schlechtestenfalls jedoch zusätzliche Angst. Der einzig brauchbare Weg, philosophisch mit dem Faktum des Todes umzugehen, ist daher, die Angst im Laufe unseres Lebens auf rationa-
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lem Weg zu bewältigen, quasi gedanklich zu neutralisieren. Die Philosophie zeigt sich dadurch als Trösterin in Zeiten der Not, als Seelsorgerin angesichts der Stunden existenzieller Verzweiflung. Sie wird zum Gegengift gegen die Lähmungen der Melancholie, gegen die Ratlosigkeit der Resignation. Andererseits ist der Tod zwar ein Faktum, aber nicht das Ende des Lebens, weil unsere Seele unsterblich ist. Der Tod ist der Anfang eines neuen »Lebens«, ein Übergang in eine andere, bessere Daseinsform, in eine zukünftige, transzendente und qualitativ hochwertige Daseinsform. So wäre der Tod ein Übergang und eine Übersiedelung der Seele von dieser Stätte an eine andere und verheiße ewiges Glück und Seligkeit. Die Philosophie vom Glauben an die Unsterblichkeit der Seele dominiert. Demnach sei die Seele ein für sich bestehendes, schlechthin unkörperliches Wesen, ihre Trennung vom Körper durch den Tod eine Befreiung. Der Körper sei nur ein Abbild, eine Strafe, ein Gefängnis und ein Grab, gleich einer unheilbaren Krankheit bloß lebenslang hinderlich. Generell waren die Darstellungen des Todes innerhalb der christlichen Kultur ungleich hässlicher als jene innerhalb der griechischen Antike. Dies verwundert insofern, als das Christentum die Tatsache des Todes durchaus zu mildern suchte, etwa durch die Vorstellung eines Paradieses, eines ewigen Lebens und einer Auferstehung. So war der Tod den Griechen »ein schöner Genius, der Bruder des Schlafs, verewigt in Monumenten über den Gräbern«, den Christen hingegen »ein Knochenmann, dessen grauer Schädel über allen Särgen paradiert« (Hegel 1793–1796). Der Tod erinnerte die Griechen »an den Genuss des Lebens«, uns daran, es uns zu entleiden; er war ihnen Geruch zum Leben und zum Tode. Wie dem auch sei: Bereits vor 60.000 Jahren war das Wissen um unser Ende fest in unserer Vorstellung verankert. Die Tatsache, dass der Mensch einst begann, für seine Toten Gräber auszuheben, war Grund genug, den Tod als einen
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Feind zu fürchten. Metaphysisches Denken in Form tröstender Worte über den Tod entwickelte sich jedoch vor allem im asiatischen Kulturkreis. Die Philosophie des Buddhismus beschwor in unzähligen Bildern immer wieder die Nichtigkeit des Todes sowie die tiefe Unvergänglichkeit allen Lebens. Ein Mensch, welcher jene Unvergänglichkeit nicht erkenne, gleiche »dem Blatte am Baum, welches im Herbst welkend und im Begriff abzufallen, jammert über seinen Untergang und sich nicht trösten lassen will durch den Hinblick auf das frische Grün, welches im Frühling den Baum bekleiden wird, sondern klagend spricht: ›Das bin ich nicht! Das sind ganz andere Blätter!‹« (Schopenhauer 1819). Auszug aus: Dieter Kremp, Wenn im November die Nebel wallen. Gevatter Tod, Totenmond und Seelenmond. Leipzig, Engelsdorfer Verlag, 2013.
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E-Mail: [email protected] Literatur Hegel, G. W. F. (1793–1796). Frühe Schriften. Fragmente über Volksreligion und Christentum. Bern. Schopenhauer, A. (1819). Die Welt als Wille und Vorstellung. Leipzig.
Die letzte Stunde Ein schwarzer Trauerschleier hüllt meine Seele ein, ein dicker, grauer Wintermantel erdrückt mein Herz. Auf den nahen Nebelfeldern tausend Krähen schrei’n, wie schwarze Ungeheuer, wie in der Nacht die Todesgeier. Der Kauz ruft in der dunklen Nacht: Komm mit! Komm mit! Er hat den nahen Tod gebracht, mit einem kurzen Schritt, von einem Tag zum andern Tag: Weil Gott es so mag. Ein wenig Frieden in der allerletzten Stunde des fast verflossenen Tages, ein wenig Ruhe am Ende: Es kommt die Wende. Die Flut kommt, die Wellen spülen und treiben das Leben, wenn wir noch liegen, in den tiefen Grund, wenn wir zum letzten Male beten und treten ein in den tiefen Schlund, in des Hades Unterwelt, wo es dem Tod gefällt. Ich falte die Hände, sie werden steif. Die Zeit ist reif, in aller Stille heimwärts zu geh’n, wenn sich die Lebensfäden dreh’n. Alles ist Gottes Wille! Dieter Kremp
Christiane Knoop
Dieter Kremp war über vierzig Jahre lang im Schuldienst als Biologielehrer und Rektor tätig und verfasst als anerkannter Kräuterexperte und Pilzsachverständiger bereits seit mehreren Jahrzehnten Artikel über Heilkräuter und biologischen Gartenbau in Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Außerdem beschäftigt er sich mit Heimatkunde und alten bäuerlichen Sitten und Bräuchen.
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Kontakte mit dem Jenseits Vadim Tschenze
Liebe Leser, als ich die Anfrage von »Leidfaden« für diesen Artikel erhielt, freute ich mich sehr, aus ethnomedizinisch-schamanischer Sicht über das The-
ma »Jenseits« berichten zu dürfen. Kontakte zu Verstorbenen oder auch zu Engelwesen sind kein neues Thema. Darüber wurde schon vor Hunderten von Jahren berichtet. Solche Kontakte werden allerdings oft als Aberglaube abgetan. Schamanen sagen dazu jedoch: »Aber … glaube.« Wir arbeiten beinah jeden Tag mit unseren Ahnen und Verstorbenen. Immer mehr Menschen berichten glaubwürdig davon, solche Kontakte zu haben, und immer mehr Menschen glauben daran. Diese Kontakte gehören auch zu meinem Alltag.
A tuvan shaman woman / akg-images / Universal Images Group / Sovfoto
Jeder Mensch ist ein Engel auf Erden – ein Engel mit zwei Flügeln. Diese Flügel sind unsere Eltern, die uns tragen. Wenn unsere Eltern gehen, verlieren wir diese Flügel und suchen nach ihnen. Doch sie sind bei uns. Sie sind unsichtbar.
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Statistisch gesehen, hat jeder zweite Mensch mindestens einmal in seinem Leben etwas Mystisches erlebt. Vor allem Geister, Channeling, Telepathie und Wahrträume gehören zu den Phänomenen, die man bis heute kaum erklären kann. Doch gibt es sie, die Dinge zwischen Himmel und Erde, die einfach passieren und mit dem Verstand nicht erklärt werden können. Aber was man nicht wiederholbar darstellen kann, wird man auch nur schwer rein wissenschaftlich nachweisen können. Wir sind bislang nur fähig, einen geringen Teil von dem zu entschlüsseln, was wir in unserem Universum vorfinden. Wir hören immer wieder etwas über Geister und Engel und denken, dass dies alles nur Märchen wären. Bis heute sind Grenzwissenschaften deshalb mit einem unseriösen Anstrich behaftet − völlig zu Unrecht. Denn auch den Glauben an Gott, unabhängig von der Religion, kann man nicht wissenschaftlich beweisen. Er ist aber in unseren Herzen. Warum fällt es uns dann so schwer, andere nichtgreifbare Dinge zu akzeptieren? Mystische Erlebnisse und Quantenphysik Als Parapsychologe, Autor, Seminarleiter, Lebensberater und Schamane arbeite ich täglich mit Menschen, die Hilfe gerade auch in solchen Angelegenheiten suchen. Und das seit über zwanzig Jahren. Es gibt eine Vielzahl von Klienten und Klientinnen, die im Gespräch von mystischen Erlebnissen berichten, die sie mit niemandem aus ihrem Umfeld besprechen können. Aus Furcht, als unglaubwürdig abgestempelt zu werden, tragen diese Menschen das Erlebte in ihrer Seele. Diese Befürchtungen werden bald der Vergangenheit angehören, denn mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Quantenphysikern vor allem aus dem russischen und deutschen Raum, die das Mystische für real halten. Die heutige Forschung kann noch keine Antworten geben, was genau hinter paranormalen Erscheinungen steckt und welche Energien dabei auf welche Weise wirken. Einige Wissenschaftler bieten aber bereits seit geraumer Zeit mögliche Antworten.
Zum Beispiel beschäftigt das sogenannte quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung, über das schon Albert Einstein berichtete und es als »spukhafte Fernwirkung« beschrieb, mehrere Wissenschaftler. Rolf Froböse erwähnt in seinem Buch »Die geheime Physik des Zufalls« (2008) einige Namen: »Einer der renommiertesten Quantenphysiker von heute, Professor Dr. Hans-Peter Dürr, meint, dass der Dualismus kleinster Teilchen nicht auf die subatomare Welt beschränkt, sondern vielmehr allgegenwärtig ist. Der Dualismus zwischen Körper und Seele ist für ihn ebenso real wie der ›Welle-Korpuskel-Dualismus‹ kleinster Teilchen. Konsequenterweise glaubt Dürr an eine Existenz nach dem Tode (…) Indirekte Schützenhilfe erhält Dürr von dem Heidelberger Forscher Prof. Dr. Markolf H. Niemz. Er vertritt die These, dass sich nach dem Tod eines Menschen die Seele mit Lichtgeschwindigkeit verabschiedet (…) Auch Dr. Christian Hellweg ist von der Existenz der Seele überzeugt.« Was befindet sich jenseits des erkennbaren Universums? Weshalb ist unsere Erde beseelt? Warum ist überhaupt etwas da und nicht einfach nichts? Haben wir eine Antwort darauf? Die Kosmologie liefert einige Theorien: Unser Universum sei nur eines von vielen, es gebe Multiversen. Und zwischen Geist, Seele und Materie bestehe ein tiefer Zusammenhang! Man kann auch vermuten, dass wir in vielen Welten gleichzeitig leben. Der Kosmos ist gigantisch und endet nirgendwo. Es geht um Dimensionen, die für uns schlecht oder gar nicht vorstellbar sind. Die Menschen wollen sich jedoch ein Bild davon machen können, wie das ist, und dies passt nicht in unser alltägliches Strukturdenken hinein. Ich möchte in diesem Bericht einige Beispiele für sogenannte übersinnliche Phänomene aus meinem Leben sowie aus meiner parapsychologischen Praxis vorstellen. Es ist nicht immer der Fall gewesen, dass ich an das Leben nach dem Tod geglaubt habe. Doch im Alter von zwölf Jahren, als ich in einen Unfall verwickelt war und kurzfristig meinen Körper verlassen hatte, war plötzlich alles klar:
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Mein erster Kontakt zu Verstorbenen war meine Urgroßmutter Anastasia. Alles begann ganz harmlos an einem schönen Vormittag. Ich fuhr zu meiner Oma und sah auf einmal ein Licht − ein Licht von unheimlicher Schönheit. Als Kind denkt man nicht viel darüber nach, was es wohl darstellen könnte. Aber die Wärme reichte bis in meine Knochen. Ich fühlte pure Liebe. »Die Urgroßmutter hat sich dir gezeigt«, meinte meine hellsichtige Oma Baba Walja im Nachhinein. Sie verstarb später in hohem Alter, doch sie begleitet mich noch heute täglich und zeigt sich gern in meinen Träumen. Auch mein verstorbener Vater gibt sich immer häufiger zu erkennen. Nach seinem Tod im Jahr 2008 stellten wir nach einem alten russischen Brauch ein Glas Wodka zu Ehren des Verstorbenen für vierzig Tage zu seinem Porträt. Traditionellerweise liegt auf dem Glas eine Scheibe Brot, damit sich der Wodka nicht verflüchtigen kann. Danach werden das Glas mit dem Brot sowie das Foto weggeräumt. Man sagt, dass sich die Seele noch vierzig Tage lang auf der Erde aufhält und sich von uns verabschiedet. Eines Tages rief mich meine Mutter an und erzählte mit zitternder Stimme: »Ich hatte schon geschlafen, aber ich spürte auf einmal einen Druck auf meinen ganzen Körper, vom Kopf bis zum Fuß, jede Zelle meines Körpers wurde betroffen. Ich konnte nichts sagen, ich hörte nur das Quietschen der Matratze durch den Druck seiner Umarmung …« Meine Mutter war überzeugt, dass mein verstobener Vater sie in dieser Nacht besucht hatte. Am nächsten Tag entdeckte sie auch noch eine andere traditionelle Bestätigung dafür, denn als sie wie gewöhnlich morgens eine Kerze am Bild meines Vaters anzünden wollte, fand sie das Wodkaglas fast leer vor. Eine andere Geschichte erlebte ich als Jugendlicher mit siebzehn. Ich besuchte damals meine Tante in Kasachstan, die dort ein großes Haus besaß. Der Hauseingang war eigenartig:
Man kam erst durch eine zweite breite Tür in den Korridor, und die war immer verschlossen. Ihr Schwiegervater war zu dieser Zeit mit einem Gallenblasenproblem ins Krankenhaus eingeliefert worden. Alle saßen am Abendtisch, und da passierte es: Jemand klopfte an die zweite, die innere Abschlusstür. Meine Tante ging dorthin und öffnete sie, doch dahinter war niemand zu sehen. Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder an den Tisch. Ich erinnere mich, dass ich noch auf die Uhr geschaut habe − es war genau 18:33 Uhr. Kurze Zeit später klopfte es wieder an der Innentür. Aber wieder war niemand zu sehen, als meine Tante nachsah. Sie wollte nun die Außentür abschließen, damit uns keiner mehr stören konnte; sie war nämlich überzeugt davon, dass die Nachbarskinder sich einen kleinen Scherz erlaubt hätten. Zu ihrem großen Erstaunen musste sie jedoch feststellen, dass die Außentür bereits zugesperrt war … Schließlich sagte sie leise flüsternd: »Ich spüre eine unangenehme Nachricht.« Einige Stunden später erreichte sie dann die Mitteilung, dass ihr Schwiegervater exakt um 18:33 Uhr verstorben war. Dahingeschiedene können sich auf verschiedenste Weise von uns verabschieden. Meine 2007 verschiedene Oma Walja verabschiedete sich von mir sogar mehrmals, und ich spüre noch heute täglich, dass sie mich als Schutzengel begleitet. Zu ihren Lebzeiten war sie Schamanin gewesen, eine Heilfrau in ihrem Dorf. Zuerst habe ich Oma Walja in einem Traum sehen dürfen. Ich sah sie in ihren jüngeren Jahren. Sie ging auf mich zu und legte ihre Hand auf meinen Kopf, ohne etwas zu sagen. Ich fühlte unendliche Liebe, das Gefühl kann man kaum beschreiben. Es war unsagbar schön, warm, liebevoll, gigantisch … all das und noch viel mehr. Selbst nach dem Aufwachen fühlte ich mich noch, als würde ich schweben.
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Auch in meiner Praxis erlebte ich mehrere mystische Geschichten. Eine Klientin erzählte mir Folgendes: »Ich hatte ein unheimliches Erlebnis, als ich sieben Jahre alt war. Dieses Erlebnis macht mir noch bis heute Angst, da ich leider nie dahintergekommen bin, was ›es‹ gewesen sein könnte. Damals starb mein Großvater, und als ich mich in der Nacht danach schlafen legte, sah ich in der Ecke meines Zimmers eine unheimlich blinkende, helle Gestalt stehen, die etwa so groß war wie ein fünfjähriges Kind. In den Nächten danach hörte ich immer leise Schritte auf dem Boden, so als ob jemand barfuß laufe. Ich habe nie herausbekommen, was das wohl gewesen sein könnte, aber es belastet meine Seele auch nach so vielen Jahren noch.« Ich konnte die Klientin sehr schnell beruhigen. Sie hatte die Seele ihres Großvaters gesehen, die sich von ihr verabschieden wollte. Wir sehen unsere Verstorbenen sehr oft jünger und kleiner, als sie tatsächlich als Menschen waren … Sie merken, dass sich viele Geschichten auffallend ähneln, obwohl sie von verschiedenen Personen erzählt wurden. So auch hier: Mit dreißig lebte ich in einer Münchner Wohnung, in der immer wieder unerklärliche Geräusche entstanden. Ich dachte jedoch, es seien Energien, die aus meiner Energiearbeit resultierten. Bis sich eines Nachts Folgendes ereignete: Gegen 3:00 Uhr wurde ich plötzlich wach, weil ich ein Klopfen hörte. Nur wenige Meter von meinem Bett entfernt stand eine mittelgroße weibliche Gestalt, die ein blaues Kleid trug. Ihr Gesicht war jung, und sie kam mir sehr bekannt vor. Ich war in diesem Moment wie gelähmt und konnte mich überhaupt nicht bewegen. Nach ein paar Minuten sagte sie zu mir: »Gib mir deinen kleinen Finger.« Ich sah, dass meine Hand ihrer Aufforderung automa-
tisch Folge leistete, ich konnte mich nicht dagegen wehren. Sie berührte meinen kleinen Finger und sprach: »Ich gebe dir meine Gabe. Ich bin Alexandra.« Und dann verschwand sie schnell. Erst eine Woche später erreichte mich die Nachricht aus meiner Heimat: Unsere damalige Nachbarin Alexandra war kürzlich gestorben. Sofort danach habe ich mich gefragt, um welche Gabe es denn gehen könnte … Denn ich wusste kaum etwas von der Verstorbenen. Ich rief meine Großmutter an, und sie erzählte mir, dass Alexandra sich schon seit zwanzig Jahren mit Heilung befasst hatte. Sie pflegte Kontakte zum Jenseits und konnte Engel sehen. Warum sie ihre Gabe ausgerechnet mir geben wollte, bleibt ihr Geheimnis. Verstorbene können sich in unserer Welt bemerkbar machen An dieser Stelle möchte ich noch einmal erwähnen, dass Verstorbene diese Welt nicht sofort verlassen. Sie können uns begleiten und noch sogenannte »unerledigte Dinge« zu regulieren versuchen. Sie zeigen sich uns oft, weil sie noch nicht gehen wollen. Schließlich existiert für eine Seele keine Zeit. Viele meiner freundlichen verwitweten Kundinnen erzählen oft ähnliche Geschichten. Sie bekommen mehrmals das Jahr über im Traum angenehmen Besuch von ihren verstorbenen Männern. Bei einigen dauert das länger, bis der Liebste sich zeigt, und bei anderen geschieht es kurze Zeit nach seinem Tod, wie es zum Beispiel auch bei meiner Mutter war, der sich mein Vater sehr bald nach dem Dahingehen zeigte. Auch das Phänomen des Poltergeists ist für mich etwas völlig Selbstverständliches. Die Bezeichnung »Poltergeist« steht für Jenseitige, die den Weg ins Licht noch nicht gefunden haben. So kommt es dazu, dass sie sich in unserer Wohnung, unserem Haus oder auch auf der Straße bemerkbar zu machen versuchen. Einen Fall aus meiner Kindheit werde ich nie vergessen:
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Eines Tages war meine gesamte Klasse zu einer kranken Mitschülerin nach Hause eingeladen. Bei dem Besuch erlebten wir Folgendes: Wir standen in ihrem Zimmer, und plötzlich fing ein Besen an, sich durch den Raum zu bewegen. Er spazierte gelassen und ruhig von links nach rechts. Zuerst dachten wir, es wäre ein Trick. Doch nachdem Olga uns erzählt hatte, dass solche Sachen in ihrem alten Haus immer wieder passierten, waren alle außer sich. Einige gingen sofort wieder nach Hause. Wenn ich das nicht selbst gesehen hätte, hätte ich es wahrscheinlich nicht geglaubt. Informationen aus dem Jenseits Im Januar 2004 channelte ich zum ersten Mal gezielt. Die Momente der Kontakte sind für mich seitdem immer wahre Höhepunkte. Die Informationen, die man so erhält, kommen aus der göttlichen Quelle, der Wiege des Universums, aus dem Jenseits unserer Wirklichkeit. Andere würden behaupten, dass diese aus der sogenannten Akasha-Chronik oder von unseren Schutzengeln kämen. Die Nächsten sagen, dass die Informationen aus der geistigen Welt gesendet werden. Jeder hat recht. Diese Quelle impliziert mehrere Schichten. Wir können sie individuell nutzen und die großartige Energie so benennen, wie es für uns am besten passt. Für die Quelle existieren keine Materie und keine Zeit. Sie können auch entscheiden, ob Sie sich überhaupt mit diesem Thema befassen wollen. Der Mensch will das Unfassbare greifbar machen und öffnet sich möglicherweise irgendwann für dieses Thema. Beispielsweise bringt der Kontakt zu einem Verstorbenen oft eine Lösung von unseren Alltagsproblemen, die mit dem Abschied zusammenhängen können. Finden Sie selbst heraus, ob eine Jenseitssitzung beziehungsweise ein Kontakt zu Verstorbenen Sie in Ihrem Leben weiterbringen kann – und ob Sie es überhaupt wollen. Eine weitere Frage ist auch, was die Seelen dort im Jenseits eigentlich so alles machen. Meiner
Meinung nach gehen sie da ihrer Lieblingsbeschäftigung nach oder dem, was sie schon immer tun wollten. Sie begleiten uns, um uns zu schützen oder in einigen Lebensabschnitten zu führen. Erst später gehen sie zur nächsten Dimension der Entwicklung oder zu einer Wiedergeburt. Man kann sagen, dass die Seelen sich die erste Zeit ausruhen und weiterentwickeln, uns zur Seite stehen und immer offen dafür sind, uns einen Rat zu geben. Die Seele ist das Gut eines jeden Menschen. Dieses Gut braucht einen ständigen Schutz. Dafür sorgen unsere Ahnen, aber auch wir selbst. Schon vor der Geburt sucht sich jede Seele ein Schicksal, einen Körper und eine Umgebung aus. Die Seele weiß genau, was sie für ihre Entwicklung braucht. Wenn sie in den Körper einkehrt, ist ihr vollkommen klar, was für eine Erfahrung sie sich für diese Inkarnation ausgesucht hat und wie ihre Biografie sich gestalten wird. Auch wenn sie dies im Laufe ihres Lebens vergisst. Genießen Sie dieses Leben. Die Seele ist unsterblich. Und wer weiß … vielleicht werden auch Sie einmal ein Schutzengel für jemand anderen sein. Eine schöne Zeit für Sie und vielen Dank für Ihr Interesse. Vadim Tschenze arbeitet seit Jahren als russischer Geistheiler und Schamane am Bodensee in der Schweiz. Er leitet seit zwanzig Jahren Workshops und Seminare in den Bereichen Impulslehre, schamanische Karmaheilung, Vetucha-Heilung, Channeling, Kräuter- und Edelsteinlehre und leitet seine Akademie für Geistheilen, Schamanismus und Medialität in Tägerwilen in der Schweiz. Außerdem moderiert er TV-Sendungen bei verschiedenen deutschsprachigen Sendern und hat Bücher, DVDs, CDs publiziert. E-Mail: [email protected] Website: www.vadimtschenze.ch Literatur Froböse, R. (2008). Die geheime Physik des Zufalls. Quantenphänomene und Schicksal. Norderstedt. Tschenze, V. (2016). Vetucha-Heilung. Die russische Magiemethode zur Selbstheilung. München. Tschenze, V. (2018). Meine 100 Seelenschützer. Spirituelle Praktiken, die uns stark machen. München.
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Muss man Angst vor den Toten haben? David Roth Tausende Tote habe ich gesehen und kein einziger hat mir Angst gemacht. Da ich in unserem Bestattungshaus mehr oder weniger aufgewachsen bin, war der Anblick Verstorbener von frühster Kindheit an für mich etwas ganz Normales. Mein Vater und meine Mutter pflegten mit den Toten und den Lebenden einen ungezwungenen, ungekünstelten, herzlichen Umgang, der frei war von jedem falschen Pathos. Der Tod gehört zum Leben und er gehört auch ins Leben und die Menschen täten gut daran, sich ihm zu stellen und hinzuschauen, wenn jemand gestorben ist. Bei uns im Haus der menschlichen Begleitung haben wir viele Gäste, die meisten sind am Leben, aber auch etwa 900 Besucher und Besucherinnen im Jahr sind tot. Wir waschen die Toten, wir kleiden sie ein und wir betten sie in die Särge. Früher waren diese Tätigkeiten ein letzter Liebesdienst, den Angehörige und Nachbarn übernommen haben. Heute ist das unsere Aufgabe und wir erfüllen sie mit großem Respekt und Hingabe. Wir laden Verwandte und gute Freunde des Verstorbenen oder der Verstorbenen immer wieder dazu ein, bei diesen alten Ritualen dabei zu sein, was leider viel zu selten angenommen wird. Einen Toten anzuschauen und ihn zu berühren, hat etwas Befreiendes. Das, was da im Sarg liegt, ist nur eine Hülle. Die Seele, das Karma, die Lebensenergie des Menschen hat den Körper verlassen. Anschauen und Anfassen helfen dabei zu begreifen, dass in dem Körper nichts Lebendiges mehr steckt und man ihn guten Gewissens und ohne Angst weggeben kann. Man kann den Verstorbenen im wahrsten Sinne des Wortes loslassen. Schon als Fünfjähriger bin ich bei Überführungen auf dem Notsitz im Leichenwagen mitgefahren. Ich habe in unserem Sarglager Verstecken
gespielt und habe später tagelang am offenen Sarg zusammen mit meinen Kindern von meinem verstorbenen Vater Fritz Roth Abschied genommen. Ich kenne den Tod nicht nur als Bestatter, ich kenne ihn auch als trauernder Mensch. Die Gesichtszüge der Verstorbenen entspannen sich und die Toten sehen wirklich oft ein bisschen so aus, als würden sie schlafen. Schaut man genauer hin, sieht man, dass sich da keine Brust durch die Atmung hebt und senkt, dass keine Bewegung mehr stattfindet. Es gibt kaum einen friedlicheren Anblick als das Antlitz eines Toten. Wir raten allen Angehörigen, sich an den offenen Sarg zu setzen. Wenn jemand bei einem schweren Unfall ums Leben kommt und der Leichnam stark entstellt ist, dann decken wir die entsprechenden Körperteile ab. Selbst wenn nur eine vertraute Hand zu sehen ist, hilft das den Trauernden, den Tod als Tatsache zu akzeptieren. Gegruselt vor einem vermeintlich Toten habe ich mich zum ersten Mal vor dem Fernseher. Ich habe den Vorteil, dass ich die Realität kenne. Die meisten Menschen kennen den Tod nur aus der Glotze, sie schauen »Tatort«, »Bones«, »Dracula« oder »Walking Dead« und da begegnen einem Tote meistens als ermordete Leichen, als zerfetzte Zombies oder triefäugige Vampire. Die Realität ist kein Horrorfilm. Der echte Tod ist friedlich und still. Die meisten Menschen haben eine Vorstellung vom Tod, die sie sich über Jahre aus Filmschnipseln, Zeitungsartikeln und Erzählungen zusammengebastelt haben. Die meisten haben noch nie einen echten Toten zu Gesicht bekommen. Auch weil von Bestattern und Ärzten geraten wird, den Toten so in Erinnerung zu behalten, wie er war. Dieser Rat ist grundverkehrt.
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Moment. Beim Anblick des oder der Verstorbenen fließen oft Tränen, weil den Trauernden klar wird, dass diese Person im Sarg nie mehr aufstehen wird. Nach kurzer Zeit stellt sich dann aber in den meisten Fällen eine spürbare Entlastung ein. Die Trauernden beruhigen sich und verstehen intuitiv, dass man den Verstorbenen oder die Verstorbene zur Einäscherung weggeben oder ins Grab betten kann. Der Tod gehört zum Leben. Wenn wir die Angst vor dem Anblick des Todes überwinden und uns trauen hinzuschauen, dann kann das unser Leben besser machen, weil wir uns unserer eigenen Endlichkeit bewusst werden. David Roth, geboren 1978, Bestatter und Trauerbegleiter, Diplom-Betriebswirt; Ausbildung zum Trauerbegleiter bei Jorgos Canacakis. Nach dem Tod seines Vaters Fritz Roth übernahm er dessen Platz in der Geschäftsleitung des Bestattungshauses Pütz-Roth. Er hält Vorträge über die Themen Sterben, Tod und Trauer und leitet Seminare in der dem Haus angeschlossenen »Privaten Trauerakademie Pütz-Roth«. Mit seiner Lebenspartnerin hat er vier Kinder. E-Mail: [email protected] Website: www.puetz-roth.de
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Viele werden vierzig Jahre alt, ohne sich in irgendeiner Form mit dem Tod vertraut gemacht zu haben. Und dann sterben die Eltern und man traut sich nicht wirklich, Abschied zu nehmen. Man wird von Schuldgefühlen und Ängsten gequält und dann kommen die Professionen, die an dieser Schnittstelle zwischen Leben und Tod arbeiten, und nehmen einem alles aus der Hand. Mein Vater hat immer gesagt, den Menschen werden ihre Toten gestohlen. Er hatte Recht. Den Menschen wird in vielen Fällen auch bewusst Angst gemacht, damit sie den Entsorgungsprozess nicht unnötig aufhalten und Beerdigungsunternehmern und Behörden nicht das Leben schwer machen. Der Tod ist so immer mehr hinter den Kulissen verschwunden und wir haben uns als Gesellschaft von einem ganz natürlichen Vorgang entfremdet. Alles, was wir nicht kennen, macht uns natürlich Angst. Manchmal hört man auch von Leichengift und ansteckenden Krankheiten, die von Toten übertragen werden können. Die Sache mit dem Leichengift ist einfach ein Märchen. In unseren Körpern passiert nichts anderes, als in den Körpern aller anderen Lebewesen. Bakterien und Mikroben machen ihre Arbeit und sie machen sie in der Regel gut, sonst wäre das biologische Gleichgewicht, das aus ständigem Werden und Vergehen besteht, schon längst aus den Fugen. Verstorbene sind kein ansteckender Sondermüll, der sofort entsorgt werden muss. Menschen, die man eben noch im Arm gehalten, denen man die Hand gestreichelt hat, denen man zu trinken und zu essen gegeben hat, werden nicht auf einmal, da sie gestorben sind, zu einer toxischen Leiche, von der eine Ansteckungsgefahr ausgehen könnte – womit auch immer. Im Haus der menschlichen Begleitung bringen wir die Trauernden mit ihren Toten zusammen. Zuerst ist da natürlich Furcht, weil die Menschen nicht wissen, was sie erwartet. Sie werden von uns in dieser Situation nicht allein gelassen. Wir begleiten die Angehörigen in diesem schweren
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Von der Angst in der Gruft Interview mit Regina und Andreas Ströbl Leidfaden: Frau und Herr Ströbl, Sie sind Andreas Ströbl: Na ja, es gibt auch schon im Archäologen und Kunsthistoriker und betreiben Mittelalter Familiengrüfte, aber die befanden sich in Lübeck die »Forschungsstelle Gruft«. Sie unter eher in Klöstern oder sind oft verloren. Richtig suchen und dokumentieren historische Gruftanla los geht es im 16. Jahrhundert und die hohe Zeit gen, die sich meist unter Kirchen befinden und die der Familiengrablegen ist in der Tat das 17. und sterblichen Überreste der adligen Patrone beher 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert nimmt diese bergen. Nun sagen Sie bitte einmal, wie wird man Bestattungsform dann allmählich ab. eigentlich Gruftarchäologe? Leidfaden: Was bewegt Sie eigentlich, wenn Sie Regina Ströbl: Die Frage hören wir ganz oft. Of- so eine Gruft das erste Mal betreten? Sie wissen fenbar sind wir exotischer, als es uns selber er- doch noch gar nicht, was Sie da erwartet? scheint. Aber tatsächlich ist die Gruftarchäologie Regina Ströbl: Stimmt, es gibt immer Geheimja eine Nische und wir haben uns in den letzten nisse, die einen erwarten. Es ist immer wieder 17 Jahren da hineinspezialisiert. Wir haben bei- spannend, weil wir in jeder Gruft Dinge finden, de unabhängig voneinander angefangen und ge- die wir aus anderen Grablegen nicht kennen. Das merkt, dass das etwas Besonderes ist und dass der können unbekannte Sargformen sein, ungewöhnBereich nicht wirklich gut erforscht ist. In vielerlei liche Ornamente oder auch die Art und Weise, Hinsicht betritt man da immer wieder Neuland. wie die Toten hergerichtet worden sind. Leidfaden: Was ist denn so faszinierend an den Leidfaden: Haben Sie dabei gar keine Angst? Grüften und den Verstorbenen, die sich dort häu Regina Ströbl: Vor den Toten sicher nicht. fig als Mumien erhalten haben? Sonst wären wir als Wissenschaftler im falschen Andreas Ströbl: So seltsam es sich anhört – Beruf gelandet. Die Leichname sind eher sowas man hat mit Menschen zu tun! In den Grüften wie unsere Schutzbefohlenen, denen wir ihre sind, anders als im Erdgrab, die Särge und Leich- meist durch Vandalismus und Fäulnis oft stark name ja oft ganz hervorragend bewahrt. Häufig beschädigten Särge wiederherstellen wollen. Grüfeben auch als Trockenmumien; das ist etwas ganz te haben eigentlich immer Belüftungsöffnungen, anderes als ein »abstraktes« Skelett. Menschen damit die Feuchtigkeit abziehen kann. Die sind mit Gesichtern und Geschichten, oft wunderbar oft aus Unkenntnis zugemauert worden. ornamentierten Särgen, Textilien, Beigaben … Leidfaden: Wenn ich mir Ihre Arbeitsfotos so an Wir lernen ganz viel über das Verständnis frü- sehe, dann tragen Sie Schutzanzug und Atemmas herer Zeiten von Vergänglichkeit und der Hoff- ke. Wovor müssen Sie sich denn schützen? nung auf die möglichst fröhliche Auferstehung. Andreas Ströbl: Die eben angesprochene Leidfaden: Bevor wir unser Gespräch etwas ver Feuchtigkeit ist ein guter Nährboden für Schimtiefen, müssen Sie uns noch sagen, in welcher Zeit melpilze aller Art. »Der Fluch des Pharao«, das ist wir uns eigentlich bewegen. Wenn ich recht infor ja bekannt. Das war ein Schimmelpilz, der nicht miert bin, dann sind diese Grüfte mit ihren Mumien nur den lungenkranken Lord Carnarvon erwischt gar nicht so alt, sondern stammen hauptsächlich aus hat, sondern auch polnische Kollegen, die seinerder Frühen Neuzeit, also so 17. und 18. Jahrhundert. zeit Königsgräber in Krakau untersucht haben.
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Beim Sichern einer Gruft wie hier in der Maria-Magdalena-Kirche in Vilmnitz auf Rügen ist das Tragen von Schutzkleidung unverzichtbar, um sich gegen gesundheitliche Gefahren zu wappnen.
Die haben keine Masken getragen und der »Aspergillus flavus«, so heißt der Pilz, konnte dann ungehindert seine tödliche Wirkung entfalten. Davor haben wir tatsächlich Respekt. Leidfaden: Wenn Sie heute selbst keine Angst vor den Toten haben, muss man natürlich fragen, ob das früher anders war? Andreas Ströbl: Es gibt ja jede Menge Geschichten von Nachzehrern, Vampiren, Untoten oder dergleichen. Wir haben wenig handfeste Nachweise, wie die Menschen früher getickt haben, was das angeht. Aber gerade in der Friedhofsarchäologie werden immer wieder Befunde beobachtet, wo möglicherweise, vorsichtig ausgedrückt, eine Distanz zu den Toten hergestellt werden sollte. Leidfaden: Welche Maßnahmen haben die Men schen damals getroffen, um sich vor den Toten zu schützen?
Regina Ströbl: Da gibt es ein ganzes Spektrum von in den Mund gelegten Steinen, auf den Bauch gedrehten Leichnamen oder solchen, denen der Kopf nach dem Tod abgetrennt wurde. Sowas haben wir in unseren Grüften aber noch nie gefunden. Was wir beobachten, sind pflanzliche Beigaben mit gefahrabwehrendem Charakter, sogenannte apotropäische Beigaben. Wir wissen aber nicht: Wollte man sich vor den Toten schützen oder vielmehr diese vor schädlichem Einfluss bewahren? Leidfaden: Würden Sie das nicht als Aberglau ben bezeichnen? Regina Ströbl: Wir verwenden lieber den Begriff »Volksglauben«, weil solche Bräuche weitverbreitet waren und sich über lange Zeit erhielten. Das ist auch alles viel schlechter erforscht, als man denken sollte. Die letzten beiden Kriege haben
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unfassbar viel zerstört an Traditionen, Brauchtum und Vorstellungen, die womöglich noch in heidnische Zeiten zurückreichen. Leidfaden: Wie verträgt sich das mit dem christ lichen Glauben, dem die Menschen damals doch anhingen? Andreas Ströbl: Machen wir uns nichts vor – das Christentum ist durchzogen von paganen, also heidnischen Bräuchen, Ritualen und Gedanken. Seit der Christianisierung ist auch bei uns ein Synkretismus zu beobachten, also eine Vermischung von Aspekten aus unterschiedlichen Religionen. Vielleicht auch im Sinne von »doppelt genäht hält besser«. Da setze ich ein schönes Kruzifix auf den Sarg und lege noch ein Sträußchen mit Kolbenbärlapp dazu. Das sogenannte »Hexenkraut« hilft sicher gegen diese oder jene Gefahr, wer weiß? Leidfaden: Nun aber nochmal zurück zu Ihrer Arbeit. Warum tun Sie das eigentlich – vom Brot erwerb einmal abgesehen. Was wollen Sie letzt lich erreichen?
Regina Ströbl: Wir wollen Grüfte retten. Das sind einmalige Zeugnisse unserer Kulturgeschichte, die immer noch undokumentiert ausgeräumt werden oder langsam, aber stetig verfallen. Allein vor der Handwerkskunst sollte man sich verneigen – solche Särge, wie wir sie oft finden, können Sie heute nicht bezahlen. Außerdem sehen wir es als unsere Pflicht, die Totenruhe zu achten und gegebenenfalls wiederherzustellen. Leidfaden: Tun Sie das eigentlich auch für die Verstorbenen? Und wenn ja, ist das nicht selbst et was abergläubisch, denn die Toten sind doch tot? Andreas Ströbl: Unbedingt für die Verstorbenen! Wir gehen mit denen so um, wie wir das auch für unsere Leichname wünschen würden. Natürlich sind sie tot, aber sie haben sich eine würdige Ruhestätte bis zur Auferstehung gewünscht – und oft teuer bezahlt. Jetzt liegen sie meist im Dreck, zwischen Bierdosen, alten Schuhen und anderen Dingen, die ich gar nicht nennen will. Das haben sie nicht verdient und wir sind froh, wenn wir
Andreas Ströbl bei der zeichnerischen Dokumentation eines geöffneten Sarges in der Wunderblutkirche in Bad Wilsnack.
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sie wieder in gut erhaltene oder restaurierte Särge rückbetten können und die Gruftkammer vor weiteren Plünderungen geschützt ist. Leidfaden: Jetzt aber ganz zum Schluss möch ten unsere Leserinnen und Leser noch ein Beispiel Ihrer Arbeit kennenlernen. Haben Sie für uns ein eindrückliches Exempel so nach dem Motto »vor her – nachher«? Regina Ströbl: Ein kleines, aber feines Beispiel wäre die Gruft derer von Graevenitz im brandenburgischen Schilde bei Perleberg. Die Grablege hat alles mitgemacht, was man sich vorstellen kann: Maschinengewehrstellung, Plünderung durch russische Soldaten, Besuche von neugierigen Jugendlichen, Müllentsorgungsplatz und Fäulnisschäden – es sah schlimm aus! Zusammen mit allen Verantwortlichen vom Landesdenkmalamt, Kirche, Familie und der Dorfbevölkerung konnten wir die Gruft wiederherrichten, die Särge, soweit das möglich war, wieder zusammenbauen und die Leichname rückbetten. Und was für uns
immer ganz wichtig ist – da sind wir uns sicher, dass wir da im Sinne der Verstorbenen handeln –, es gab einen schönen Festgottesdienst zum Ostermontag und der Pastor hat den Segen gesprochen. Für uns und die Toten in der restaurierten Gruft. Leidfaden: Vielen Dank für dieses aufschluss reiche Gespräch. Das Interview mit dem Ehepaar Ströbl führte Reiner Sörries im November 2017. Dr. Regina Ströbl und ihr Mann Dr. Andreas Ströbl sind Archäologen und Kunsthistoriker. Mit Kolleginnen und Kollegen betreiben sie die Forschungsstelle Gruft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, neuzeitliche Gruftanlagen wissenschaftlich zu dokumentieren und interdisziplinär zu untersuchen. In Zusammenarbeit mit Restauratoren setzt sie sich dafür ein, die historischen Särge zu erhalten und die Würde der Begräbnisstätten wiederherzustellen. E-Mail: [email protected] Website: www.forschungsstelle-gruft.de
Regina Ströbl bei der Restaurierung eines Sargbeschlags in der Gruft der Familie von Graevenitz in Schilde (Brandenburg).
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Parapsychologische Phänomene Dieter Vaitl Paranormale Phänomene wie Spukerscheinungen, außersinnliche Wahrnehmungen, telepathische Fähigkeiten oder Hellsehen üben seit jeher eine starke Faszination aus. Ihnen wohnt etwas Un- oder Übernatürliches inne, an das zu glauben von den Skeptikern mit dem Schlagwort »Irroder Aberglauben« abgetan wird. Auf der anderen Seite finden sich all jene, deren Glaube an diese Phänomene unerschütterlich ist. Zwischen diesen Polen steht die Erkenntnis, dass es in unserem Alltagsleben Grenzfälle (physikalische, biologische, psychologische) geben kann, für die es keine Erklärung gibt, vielleicht sogar nie geben wird. Es gibt kaum eine Wissenschaftsdisziplin, in der nicht solche unerklärlichen Grenzbereiche bekannt wären. Die Disziplin, die sich damit wissenschaftlich beschäftigt, ist heute nicht mehr allein die traditionelle Parapsychologie, sondern das weit umfassendere Forschungsfeld der Anomalistik (Mayer et al. 2015). Sie konzentriert sich auf die interdisziplinäre Erforschung von bisher unzureichend verstandenen Phänomenen und Anomalien an den Grenzen unseres Wissens, und zwar unter Einbeziehung des sozialen, kulturellen und historischen Kontexts aus den Gebieten von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften. Im Folgenden werde ich den Schwerpunkt nicht auf paranormale Phänomene, wie zum Beispiel Telepathie oder Spuk, legen, sondern auf die Erlebnis- und Glaubenswelt von Menschen, die außergewöhnliche Erfahrungen gemacht haben. Was sind außergewöhnliche Erfahrungen? Damit sind Erfahrungen gemeint, die in ihrer subjektiven Erlebnisqualität so außergewöhnlich
sind und von den Wirklichkeitsdeutungen der Betroffenen so drastisch abweichen, dass sie trotz aller Bemühungen nicht in vorhandene kognitivemotionale Schemata passen und mit unseren Alltagsvorstellungen von Realität brechen. Daher werden sie gern mit Begriffen wie »übernatürlich«, »außersinnlich«, »mystisch« oder »transzendental« belegt. Die oben gewählte Definition ist wertfrei; sie macht keinerlei Aussagen, weder über den Wahrheitsgehalt noch über die Ursache des Erlebten. Dass es solche außerordentlichen Erlebnisse gibt, gehört seit jeher zum Wissensschatz der Menschheit. Was aber bislang fehlte, war eine empirisch fundierte Phänomenologie und Taxonomie dieser ungewöhnlichen Erlebniswelten. 1996 wurde daher am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das diesen Phänomenbereich systematisch untersuchen sollte. Es lieferte die bis heute umfangreichsten und konzeptuell fundiertesten Studien zu diesem Thema. In der unten angefügten Literaturliste finden sich alle wichtigen deutschsprachigen Publikationen zu diesem Forschungsprojekt. In einem Zeitraum von zehn Jahren (1996– 2006) wurden 1465 Fälle von Ratsuchenden in der Beratungsstelle und im beratungspsychologischen Forschungsbereich des Instituts dokumentiert und deren außergewöhnliche Erfahrungen in sechs Formenkreise unterteilt. • »Spuk« und Erscheinungen (53 Prozent). Hierzu zählen alle im Wachzustand auftretenden Formen von optischen (zum Beispiel Lichterscheinungen, Gestalten), akustischen (zum Beispiel Klopfen, Schritte, Stimmen)
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und kinetischen (zum Beispiel Verschwinden oder Auftauchen von Gegenständen) Phänomenen. Es kommt zu taktilen oder olfaktorischen Eindrücken, für die die Betroffenen keine natürliche Ursache finden. Die berichteten Phänomene werden oft mit Verstorbenen und Geistern in Verbindung gebracht. • »Außersinnlich« wahrgenommene Phäno mene (41 Prozent). Im Wachzustand werden Koinzidenzen von internalen Phänomenen (gewöhnlicher wie ungewöhnlicher Art) mit zukünftigen Ereignissen (Präkognition, Wahrträume) oder mit gegenwärtigen oder vergangenen Ereignissen sowie Ver-
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Voneinander zu trennen sind der religiöse Glaube an über natürliche Phänomene, zum Beispiel an Engel, Wunder oder die Wirkung von Gebeten, und der Glaube an para normale Phäno mene, zum Beispiel an außersinnliche Wahrnehmung oder an Spuk.
haltensweisen anderer Lebewesen wahrgenommen. Sie werden von den Betroffenen als Hellsehen, Telepathie oder Präkognition interpretiert. • Internale Präsenz und Beeinflussung (38 Prozent). Die Betroffenen hören Stimmen »im Kopf« (Wörter, Sätze, Botschaften oder Befehle) oder haben somatische Empfindungen (zum Beispiel Hitzesensationen, Prickeln, Schmerzen, Energieströme), für die es keine objektive beziehungsweise medizinische Grundlage gibt und die oft als eine übernatürliche Fremdeinwirkung (auf Körper und Geist) interpretiert werden. Sie vermuten meist, dass sie von Geistern oder fremden Dämonen beherrscht seien oder dass schwarze Magie im Spiel sei. • Externale Präsenz und Albdrücken (15 Prozent). Die Betroffenen verspüren die Anwesenheit eines sinnlich nicht wahrnehmbaren Lebewesens oder sie fühlen eine beängstigende Unfähigkeit, sich zu bewegen, häufig gepaart mit taktilen Sensationen wie zum Beispiel Druck auf der Brust, Kälteschauer
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und Berührungsempfindungen (im Volksmund »Albdrücken« oder »Nachtmahr« genannt). • Sinnvolle Fügungen (10 Prozent). Die Betroffenen berichten über Situationen, in denen es zu »sinnvollen« Koinzidenzen verschiedener, einzeln betrachtet konventioneller Ereignisse oder anscheinend schicksalhaft beziehungsweise von höheren Mächten vorherbestimmten Ereignissen kommt, ohne dass es dafür eine plausible Erklärung gibt. • Automatismus und Mediumismus (7 Prozent). In einem veränderten Bewusstseinszustand treten unwillkürliche, koordinierte und autonome Verhaltensweisen auf (zum Beispiel automatisches Schreiben, Gläserrücken). Dies geschieht meist während okkulter oder spiritistischer Praktiken und wird von den Beteiligten als Fähigkeit interpretiert, mit Verstorbenen, Geistern oder Dämonen in Kontakt zu treten. Etwa 50 Prozent der Ratsuchenden berichten über Phänomene aus nur einem Formenkreis, die andere Hälfte dagegen von solchen, an denen zwei oder mehr Formenkreise beteiligt sind. In der Gesamtstichprobe fanden sich folgende überzufällige Besonderheiten: hoher Frauenanteil (65 Prozent) und hohes Bildungsniveau, belastende Lebensumstände sowie psychische Auffälligkeiten (bei jedem zweiten der Ratsuchenden). In 85 Prozent der Fälle treten die außergewöhnlichen Erfahrungen spontan und ohne Vorankündigung auf. Sie werden meist mit einem Ereignis von großer persönlicher Bedeutung in Zusammenhang gebracht oder es entwickelt sich die Vorstellung, von fremden Mächten (Magie) oder von Menschen, die die Fähigkeit zur Fernbeeinflussung besitzen, beeinflusst zu sein. Relativ selten (9 Prozent) sind demgegenüber die Fälle, bei denen diese Erfahrungen selbstinduziert sind. Hier finden sich häufig Hinweise auf den Umgang mit okkulten oder spiritistischen Praktiken. Ebenfalls relativ selten (6 Prozent) sind
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fremdinduzierte außergewöhnliche Erfahrungen. Sie sind meist die Folge von intensiven Kontakten mit Angeboten aus der Esoterik- und Psychoszene (Bioenergetik, Kontakte mit Geistheilern, Medien oder Hellsehern, holotropes Atmen). Außergewöhnliche Erfahrungen, wie die oben geschilderten, sind keineswegs, wie man vermuten würde, selten. Fast 75 Prozent der deutschen Bevölkerung hatten in ihrem Leben mindestens ein außergewöhnliches Erlebnis. Mehr als 50 Prozent der Befragten berichteten von klassischen paranormalen Erfahrungen, wie Wahrträume, Erscheinungen, Spuk oder außersinnliche Wahrnehmung. Das Auftreten solcher Erlebnisse ist unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion. Überraschend war die Tatsache, dass die Bevölkerung solchen außergewöhnlichen Erfahrungen überaus aufgeschlossen gegenübersteht: Sie gehören zur Lebenswirklichkeit. Das »Außergewöhnliche« besteht nach diesen Befunden nicht in der Seltenheit, sondern darin, dass es an zufriedenstellenden Erklärungen mangelt.
Der Glaube an das Paranormale wird in der Regel als Glaube an Phänomene definiert, für die es, falls sie tatsächlich existieren, keine wissenschaftlich akzeptierte Erklärung gibt. In einem Fragebogen zu paranormalen Überzeugungen wird zum Beispiel gefragt nach Glauben an Spiritismus, Aberglaube, Glauben an Psi-Phänomene, Hexerei, außergewöhnliche Lebensformen und Präkognition. Voneinander zu trennen sind der religiöse Glaube an übernatürliche Phänomene, zum Beispiel an Engel, Wunder oder die Wirkung von Gebeten, und der Glaube an paranormale Phänomene, zum Beispiel an außersinnliche Wahrnehmung oder an Spuk. Diejenigen, die daran glauben, bezeichnet man in der Fachliteratur als »Schafe« (sheep), während die sogenannten Skeptiker »Ziegen« (goat) heißen. Der viel diskutierte Sheep-Goat-Effekt äußert sich so, dass die skeptischen »goats« in para-
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Paranormale Überzeugungen
Zustände einer vorübergehenden Destabilität können unter Um ständen ein Potenzial für Wachstum und E ntwicklung im Sinne von Neuorientierung in sich bergen.
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psychologischen Experimenten im Durchschnitt schlechtere Ergebnisse erzielen als die gläubigen »Schafe«. Welche Faktoren hier am Werk sind, ist nach wie vor noch ein Rätsel! Dennoch gibt es einige Hinweise auf kognitive Unterschiede zwischen beiden Gruppen. So neigen beispielsweise »Schafe« dazu, den Zufall falsch einzuschätzen, Koinzidenzen zu überschätzen, auf Täuschungen rascher als »Ziegen« hereinzufallen und zu glauben, paranormale Fähigkeiten zu besitzen beziehungsweise bei parapsychologischen Tests gut abzuschneiden. Außergewöhnliche Erfahrungen und paranormale Überzeugungen: Ihr Stellenwert im Lebensplan Hier stellt sich die Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen paranormalen Überzeugungen und außergewöhnlichen Erfahrungen? Es gibt in der Tat Überschneidungen, doch ist Vorsicht geboten; denn nicht jeder, der von der Existenz paranormaler Phänomene überzeugt ist, muss auch außergewöhnliche Erfahrungen gemacht haben, wohl aber können solche Erfahrungen die Entwicklung von paranormalen Glaubenshaltungen begünstigen. Auf der Suche nach Kausalbeziehungen fand man, dass die außergewöhnlichen Erfahrungen ihrerseits mit Kindheitstraumata und der regen Phantasietätigkeit in der Kindheit in Zusammenhang stehen. Somit wären die außergewöhnlichen Erfahrungen eine Konsequenz der Phantasieneigung und die paranormalen Überzeugungen eine Konsequenz der außergewöhnlichen Erfahrungen. Neben dieser Erklärung gibt es noch eine andere, ebenfalls empirisch untermauerte Erklärung. Sie beruht auf der Annahme eines Inkonsistenzdrucks. Hat eine irritierende, unter Umständen sogar traumatisierende Erfahrung einen solchen Intensitätsgrad erreicht, dass sie nicht mehr in bestehende kognitiv-emotionale Schemata eingebaut werden kann, entsteht eine Inkonsistenzspannung (etwa ein Konflikt zwischen verschie-
denen Bedürfnissen wie zwischen Bindungs- und Autonomiewünschen oder zwischen Bedürfnis und Realität). Sie nimmt kurzfristig ab, sobald Konsistenz durch die Abspaltung aus dem bewussten Erleben (Dissoziation) hergestellt wird. Es entsteht kurzfristig ein neues psychisches Ordnungsschema. Wiederkehrende außergewöhnliche Erfahrungen oder die Zuhilfenahme von paranormalen Phänomenen zu ihrer Erklärung sind solche neuen Schemata; denn sie helfen, den Inkonsistenzdruck zu mindern. Dadurch gewinnen sie eine gewisse Wertigkeit; sie befriedigen grundlegende Bedürfnisse wie Kontrolle, Bindung, Verstehen oder Selbstwerterhöhung. Im Laufe der Zeit wird dieses Ordnungsschema immer stabiler, da immer mehr Teilbereiche des Erlebens und Verhaltens in das Netzwerk der außergewöhnlichen Erfahrungen eingebaut werden. Unabhängig von ihrer Art (siehe Formenkreise) haben die außergewöhnlichen Erfahrungen als solche einen hohen Stellenwert im Lebensplan der Betroffenen (nach Belz 2009). Sie dienen dazu: 1. Probleme zu externalisieren, indem zum Beispiel Misserfolge oder Missempfindungen fremden Kräften (Hexerei, Magie, UFO-Entführung), nicht aber ihnen selbst zugeschrieben werden, 2. belastende Gefühle zu vermeiden, indem Negatives bagatellisiert und auf Positives, wie die eigenen außergewöhnlichen Fähigkeiten, ausgewichen wird, 3. zu zeigen, dass man selbst eine außergewöhnliche Person ist, die über besondere Fähigkeiten verfügt, 4. dem Leben einen neuen Sinn zu geben, indem belastende und nur schwer zu verstehende Lebensereignisse durch paranormale Erklärungsweisen erträglicher werden, und schließlich 5. zu zeigen, dass die außergewöhnlichen Erfahrungen »echt« sind und ihre Schilderungen nicht für unglaubwürdig gehalten werden.
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Psychopathologie und Salutogenese Eine zentrale Frage betrifft die Psychopathologie von außergewöhnlichen Erfahrungen und paranormalen Überzeugungen. Einige Symptome, wie Stimmenhören, Gefühle der Beeinflussung von außen oder die Palette verschiedenster somatischer Beschwerden, legen dies nahe und lassen an dissoziative oder gar psychotische Störungsformen denken. Doch ist man heute weit davon entfernt, diesen Erfahrungen und Weltsichten den Status einer klinischen Störung beizumessen. Natürlich gibt es Ausprägungsgrade, die die Unterscheidung »klinisch unauffällig« vs. »klinisch auffällig« nahelegen. Es sind die Bizarrheit, die Detailliertheit und Unkontrollierbarkeit der Erlebnisse, die kognitiven und sozialen Einschränkungen, die sie nach sich ziehen, sowie der permanente Leidensdruck, die die außergewöhnliche Erfahrungen zu einer klinisch ernst zu nehmenden Störung werden lassen, also Faktoren, die – wie bei jeder anderen psychischen Störung und Erkrankung auch – den Schweregrad der Psychopathologie ausmachen. Bei mittlerem, nichtpathologischem Ausprägungsgrad fand man bei diesen Menschen eine Neigung, auf äußere Reize hypersensibel zu reagieren, eine höhere Suggestibilität (Hypnotisierbarkeit) und intensivere Phantasietätigkeit sowie die Fähigkeit, ganz in einer Sache aufzugehen (Absorptionsfähigkeit). Es gibt mehrere, sehr zuverlässige Indikatoren dafür, wann eine außergewöhnliche Erfahrung mit Sicherheit nicht als pathologisch zu bewerten ist: Die Betroffenen sollten keinen psychischen Leidensdruck oder komorbide psychische Störungen aufweisen, ihre Erlebnisse, die gewöhnlich von geringer Dauer sind, kontrollieren können und in der Lage sein, das Ungewöhnliche ihrer Erfahrung richtig einzuschätzen. Zum Schluss noch ein Gedanke, der den Blick auf die positiven, weniger irritierenden und verängstigenden Aspekte von außergewöhnlichen Erfahrungen richtet, nämlich auf die Transfor-
mationsprozesse, die durch sie angestoßen werden können. Es ist der zeitlich begrenzte Übergang in eine Randzone des Erlebens und damit in einen Bereich, der dem Kanon der heutigen wissenschaftlichen Lebenswelt fremd ist. Zustände einer vorübergehenden Destabilität können unter Umständen ein Potenzial für Wachstum und Entwicklung im Sinne von Neuorientierung in sich bergen. Darauf zielen auch die Hilfestellungen ab, die die Ratsuchenden in unserer Beratungsstelle angeboten bekommen: Nach Entdramatisierung und Entmythologisierung des Erlebten wird versucht, die außergewöhnlichen Erfahrungen in das Selbst- und Weltbild der Betroffenen zu inte grieren und ihnen so einen neuen Sinn zu geben. Prof. em. Dr. Dieter Vaitl ist Klinischer Psychologe und Neurowissenschaftler. Er studierte Philosophie und Psychologie, hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Klinische und Physiologische Psychologie an der Universität Gießen inne und war dort Gründer und Direktor des Hirnforschungsinstituts »Bender Institute of Neuroimaging«. Zurzeit ist er Leiter des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Die Schwerpunkte seiner klinischen Tätigkeit waren die Verhaltenstherapie und psychosomatische Erkrankungen, der wissenschaftliche Schwerpunkt lag auf der Emotionsforschung und veränderten Bewusstseinszuständen. Er war Gründer und Leiter des internationalen Forschungsverbunds »Veränderte Bewusstseinszustände«. E-Mail: [email protected] Literatur Bauer, E.; Belz, M.; Fach, W.; Fangmeier, R.; Schupp-Ihle, C.; Wiedemer, A. (2017). Arbeitsbericht der IGPP-Abteilung »Beratung und Information« – eine Dokumentation (2008). In: Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie, 50, S. 141–211. Belz, M. (2009). Außergewöhnliche Erfahrungen. Göttingen. Fach, W.; Belz, M. (2015). Außergewöhnliche Erfahrungen und Klinische Psychologie. In: Mayer, G.; Schetsche, M.; Schmied-Knittel, I.; Vaitl., D. (Hrsg.), An den Grenzen der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik (S. 467–479). Stuttgart. Mayer, G.; Schetsche, M.; Schmied-Knittel, I.; Vaitl, D. (Hrsg.) (2015). An den Grenzen der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik. Stuttgart. Vaitl, D. (2012). Veränderte Bewusstseinszustände. Grundlagen – Techniken – Phänomenologie. Mit einem Geleitwort von Niels Birbaumer. Stuttgart.
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Der psychogene Tod Abschied durch Vorstellungskraft
Gary Bruno Schmid »Worauf der Zauberer kühn den Mann ansah, ihm die unwiderlegbare Tatsache erklärte und sein Todesurteil sprach, indem er im Weggehen sagte: ›Ich befehle dir zu sterben!‹ Moneapik war ein starker, gesunder Mann in der Blüte seines Lebens und auf dem Gipfel seiner Kraft. Normalerweise hätte er ein reifes Alter erreicht. Aber der Glaube an den Zauberer und dessen Macht, mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten, war so eingefleischt, dass der Befehl so gut wie tödlich war. Er sagte: ›Mir ist befohlen worden zu sterben.‹ Er gab seine aktiven Beschäftigungen auf, zog sich in sein Zelt zurück, aß und trank sehr wenig und war nach vier Tagen tot.« Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte gibt es zahlreiche Überlieferungen, dass Menschen durch Suggestion sowohl getötet als auch geheilt werden können. In der Neuzeit sind derartige psychogene Todes- und Heilungsfälle in der schulmedizinischen Literatur gut dokumentiert.
Selbstverständlich gibt es keine übernatürlichen Todesfälle: Ein physiologisches Korrelat ist letztendlich für jeden Tod verantwortlich, auch wenn die Obduktion keine Erklärung liefert. Statt von übernatürlichen Todesursachen sprechen Wissenschaftler von unerwarteten oder außergewöhnlichen Todesfällen (AGT; englisch »Sudden Unexpected Death Syndrome« mit der Abkürzung SUDS). Ein AGT ist zwar für die Medizin ein unerwarteter Todesfall, muss aber nicht unbedingt mit einem negativen Obduktionsbefund einhergehen. So ist zum Beispiel auch ein Mord ein AGT. Unerklärliche Todesfälle haben Rechtsmediziner und Pathologen seit jeher beschäftigt. Wir können all jene plötzlichen, unerwarteten Todesfälle psychogen nennen, bei denen die Autopsie keine eindeutigen Befunde als Ursache liefert und ein psychologisches Motiv für den Tod naheliegend ist. Der Begriff »psychogen« soll hier noch etwas präzisiert und auf sämtliche, mit Hilfe der Vorstellungskraft potenzierte Todes- und Heilungsprozesse erweitert werden.
Todesursache Der Volksglaube unterteilt die Todesursachen in natürliche und übernatürliche Arten. Zu den natürlichen Todesarten gehören Altersschwäche, Krankheit und gewaltsamer Tod (Totschlag, Unfall, Vergiftung usw.). Zu den übernatürlichen Todesarten gehören Fernzauber, etwa das Totbeten, das »Nachgezogenwerden« vom Nachzehrer – durch das seelische Zehren an einem vorher Verstorbenen – sowie die Begegnung mit Geistern und andere »unheimliche« Ursachen oder Verursacher: Voodoo, Tabu, Heimweh und Besessenheit.
Trauer/Heimweh/Gebrochenes Herz/ Liebestod Der psychogene Tod ist im Alltagsleben nichts Unbekanntes. Keineswegs müssen wir ihn nur aus zweiter Hand kennen. Hierzu verweise ich auch auf die folgende Geschichte der beiden Schwestern, die als Beispiel für den Tod durch Trauer angeführt werden kann. Die eine bekam Tuberkulose und starb; bis dahin wurde sie liebevoll von der anderen Schwester betreut, die ihre Sorge allem Anschein nach unterdrückt hatte. Ungefähr vierzehn Tage nach dem Tod der ers-
Caravaggio, Martyrium Matthäi, 1599 / 1600, Ausschnitt Hand / akg-images / Mondadori Portfolio / 1993 / Electa
ten Schwester wurde die überlebende tot im Bett gefunden. Zu Lebzeiten hatte sie keinerlei Symptome gezeigt und die Autopsie ergab keinen Hinweis auf Krankheit. Ihr Tod wurde auf den bedrückenden Einfluss der verdrängten Trauer zurückgeführt. Beispiele für den Verlust des Lebenswillens oder den Verlust des »Willens, nicht zu sterben« kennt fast jeder aus dem eigenen Bekanntenkreis. Wer hat nicht schon einen alten Menschen in der Familie oder in der Nachbarschaft gekannt, der kurz nach dem Tod des Ehegatten plötzlich und unerwartet aus scheinbar voller Gesundheit gestorben ist, ohne dass irgendeine zwingende Todesur-
sache vorhanden war? Es ist, als ob der psychogen verstorbene Mensch zu Lebzeiten seine eigene Lebenskraft so fest mit, in und durch den Lebensgefährten erlebt hat, dass Letzterer diese Lebenskraft sozusagen ins Grab mitgenommen und den Hinterbliebenen ohne Lebensprinzip zurückgelassen hat. Dem Verlassenen blieb keine Wahl: Er musste sterben! Häufig spielen auch Erwartungen und Suggestionen des unmittelbar beteiligten Sozialkreises eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Fall des Nachzehrers sehen wir, welch verheerende Konsequenzen eine zu starke Projektion in der Liebe haben kann. Der psychogene Effekt, der zum Tod des Hinterbliebenen führt, ist
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das psychologische »Aufzehren«. Von außen betrachtet wirkt es so, als wenn der nachtrauernde Mensch – der dadurch seelisch aufgezehrt wird – vom Geist des verstorbenen geliebten Menschen ins Grab gezerrt wurde. Führt das Ausmaß jeder Trauer zum Verlust eines ebenso großen Stücks Lebenswillens? Ähnliches mag auch für eine »Überdosis« an Heimweh gelten. Hier projiziert man das Lebensprinzip in die Heimat und erlebt die Gegenwart in der Fremde wie in einem Käfig: ausweglos, hilflos, hoffnungslos, sozial isoliert und schließlich resigniert. Auch in Westeuropa ist Heimweh immer noch ein aktuelles Thema – wenn auch heutzutage nicht mehr gerade als Todesursache, so doch als ernstzunehmender, beim Sterbensprozess mitwirkender Faktor in Krankheit und im Alter. Die quälende, in den Tod mündende Sehnsucht nach einer/einem verstorbenen Geliebten ist sicher für den Leser/die Leserin nicht schwierig vorzustellen. Hier projiziert man sein eigenes Heimweh nach einer über alles geliebten Person in das Grab mit ihr hinein: »Liebe ist Heimweh!« Das Sterben aus Heimweh scheint auch in moderner Zeit stark in Zusammenhang mit der Ausweg-, Hilf- und Hoffnungslosigkeit einer belastenden Situation außerhalb des üblichen sozialen Umfelds und der damit verbundenen Resignation zu stehen. Hier sieht man, wie sich die rund um psychogene Todesphänomene gebildeten Begriffe überlappen und ineinander übergreifen. Beim sogenannten Gebrochenen-Herz-Syndrom stirbt die eine Person gleichzeitig oder innerhalb von wenigen Monaten nach dem Ableben der Partnerin/des Partners scheinbar aus reiner Trauer. Pauline, die streitsüchtige Frau von Richard Strauss, folgte ihrem Mann acht Monate nach seinem Tod ins Grab. Seit Anfang der 1990er Jahre weiß man, dass der Tod an gebrochenem Herzen – auch Broken-Heart-Syndrom oder Stress-Kardiomyopathie genannt – ein medizinisches Korrelat hat. Im Fachjargon nennt man es die Takotsubo-Kardiomyopathie. Die Symptome gleichen denen eines Herzinfarkts. Die Patien-
ten und Patientinnen klagen oft über Schmerzen hinter dem Brustbein, Atemnot und ein Engegefühl in der Brust. Während beim Herzinfarkt eine verschlossene Herzkranzarterie Ursache für die Symptome ist, ist beim Broken-Heart-Syndrom ein Überschuss an Stresshormonen für die Problematik verantwortlich. Auslöser für die übermäßige Freisetzung von Stresshormonen – auch Katecholamine genannt – im Körper kann ein emotionaler oder psychischer Ausnahmezustand sein, zum Beispiel eine Beziehungskrise, deshalb der Name »Broken-HeartSyndrom«. Die Betroffenen reagieren übermäßig heftig mit Ausschüttung von Stresshormonen, warum genau, bleibt noch abschließend zu klären. Man vermutet, dass die »Broken-HeartPatienten« eine erworbene erhöhte Sensibilität gegenüber Stressreizen aufweisen, möglicherweise als Folge einer über Jahre entwickelten Überforderung der körpereigenen Stresssysteme. Sowohl die Fallberichte aus der Medizin als auch die Anekdoten aus den Medien sprechen für eine nicht übersehbare Prävalenz des Phänomens. Der Liebestod ist schlussendlich auch das Motiv für den Freitod des Dichters Heinrich von Kleist, zusammen mit Henriette Vogel. Der Tod aus Liebeskummer wird vor allem in Johann Wolfgang von Goethes Roman »Die Leiden des jungen Werthers« (1774) ausführlich behandelt. Darin bringt sich ein unglücklich Liebender um. Diese Geschichte löste damals einen starken Nachahmungseffekt (Werther-Effekt) aus. Die Liebende muss nicht unbedingt physisch sterben, damit ihr Geliebter psychogen stirbt und sie endgültig verliert. Auch der vorgestellte Verlust durch Untreue, der eigenen oder der der geliebten Person, kann einen psychogenen Tod auslösen. In der Saga des Staufenbergers Peter Simringer aus dem 14. Jahrhundert tritt er in dem Augenblick ein, als der Protagonist seiner geheimnisvollen Herrin untreu wird. Es ist, als ob er dadurch seiner eigenen Seele untreu geworden wäre und somit sie – und entsprechend auch sein Leben – verlieren musste.
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Abschiedsrituale Im volkskundlichen Aberglauben enden die Funktionen des Toten nicht mit dem physischen Tod. Der Glaube an die Einwirkung des Verstorbenen auf die Lebenden, vor allem dass er seine Angehörigen, also seinen engeren Familienkreis oder seine Gemeinschaft/Siedlung nachträglich mit sich ziehen kann, wurde mit der schon erwähnten Vorstellung des Nachzehrers erklärt: Die soeben Gestorbene wurde vom toten Geliebten, dem Nachzehrer, auf irgendeine Art mit ins Grab hineingerissen. Ritualisierte Aktivitäten helfen den Hinterbliebenen, ihre Trauer zu verarbeiten und zum Beispiel den Nachzehrer abzuwehren. Unverhältnismäßig heftiges und langes Nachtrauern kann – so der Aberglaube – den Nachzehrer heraufbeschwören. In der Tat versteht der Abergläubige das Verhungern nach dem Tod eines geliebten Angehörigen nicht als Suizid, sondern dass der Tote die Seele dieses Menschen hinter sich her gezerrt hat. Der Leichenschmaus ist ein Ritual, das den Trauernden hilft, den Verstorbenen loszulassen und somit den Nachzehrer zu umgehen. Sogar die Bibel warnt vor dem Unheil eines zu ausgedehnten Kummers um einen Verstorbenen (Sir 38, 15–23). So verbirgt sich hinter einem unverhältnismäßig großen Kummer über den Verlust des Toten häufig eine Angst vor dem Verstorbenen beziehungsweise vor seiner Rückkehr in die Welt der Lebenden. Eine andere »Vorsichtsmaßnahmen« gegen den Nachzehrer ist auch das Tod-Ansagen, um den Tod anzuhalten. Unsere heutigen Todesanzeigen haben ihren Ursprung im Brauch des Tod-Ansagens: Wenn angesagt wird, dass Herr XY verstorben ist, wird die Gefahr umgangen, dass eine nicht informierte Person versehentlich seiner Erscheinung ins Totenreich folgt. In volksgläubigen und spiritistischen Kreisen ist es ein häufiges Bestreben der Angehörigen, dem Verstorbenen den Abschied aus dem Diesseits zu erleichtern. In Europa gehören dazu das Fensteröffnen und ähnliche Handlungen, damit
die Seele hinausfliegen kann. Ein weiteres häufiges Ritual ist das Anhalten der Uhr, damit die Seele im Jenseits nicht aufgehalten werde. Ein weiterer Brauch fordert, dass alle Möbel und Geräte im Haushalt gerückt werden, unter anderem, damit die Seele ungehindert entweichen könne. Vielleicht gehört auch das Verhängen des Spiegels sowie alles Glänzenden und Roten, aller Bilder und anderes mehr im Haus dazu – kurzum all dessen, was den soeben Verstorbenen noch sehnsuchtsvoll ans Diesseits fesseln könnte. Im katholischen Glauben dient das Sakrament der »Letzten Ölung« als Ritual zur Vorbereitung auf das jenseitige Leben. Entsprechend herrscht der Volksglaube, dass ein plötzlicher, unerwarteter Tod vom Teufel stammen könnte, der die Betroffenen wegen ihres lasterhaften Lebens möglichst unvorbereitet abholt. Aber schon die priesterliche Durchführung dieses letzten Sakraments an sich konnte tödlich sein. Demzufolge hat das Katholische Konzil hier eine Reform eingeleitet: Das Sakrament wird jetzt »Krankensalbung« genannt, da es für alle Kranken und nicht erst für die Sterbenden bestimmt ist. Auch in anderen Kulturen gibt es sehr differenzierte und ausführliche religiöse Riten und Gebräuche, die dem Verstorbenen den Abschied aus dem Diesseits und den Eintritt ins Jenseits ermöglichen sollen, wie sie beispielsweise im Totenbuch der Ägypter und im Tibetanischen Totenbuch festgehalten sind. Nach dieser Tradition liest man diese Bücher dem Frischverstorbenen laut vor, damit er sich nach dem Tod richtig verhält. Das Wissen soll den verstorbenen Menschen in die Lage versetzen, jenseitigen Gefahren erfolgreich zu begegnen, seine Urbedürfnisse zu befriedigen und sich im Jenseits zu regenerieren. Suggerierter Tod Der psychogene Tod ist als Phänomen seit über einem Jahrhundert in der medizinischen Literatur dokumentiert: Information kann töten, wenn sie als tödliche Suggestion geschickt vermittelt
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wird (Nocebo-Effekt). Kein psychologischer Einfluss auf den Körper kann größer sein als jener, der den Tod herbeiführt. Ausgelöst durch psychische Beeinflussung, verstärkt durch die Vorstellungskraft und vollzogen durch die eigene Physiologie: Der psychogene Tod stellt das dramatischste Beispiel für die Macht der Suggestion über menschliches Leben dar. Die Wechselwirkung soziopsychologischer und psychobiologischer Faktoren beim Tod
durch Vorstellungskraft ist belegt, obwohl über den genauen physiologischen Wirkungsmechanismus noch spekuliert wird (Vagustod, Nierenversagen und anderes). Psychodynamisch gesprochen bringen die tragischen Konstellationen eines Todestriebs oder Todesarchetypus einen normalen, aber entsprechend eingestellten Menschen in einen hypnotisch veränderten, außergewöhnlichen Bewusstseinszustand, der schließlich in den psychogenen Tod mündet. Diese exorbitant
Alchemy Illustration / akg-images / Science Source
Ausgelöst durch psychische Beeinflussung, verstärkt durch die Vorstellungskraft und vollzogen durch die eigene Physiologie: Der psychogene Tod stellt das dra matischste Beispiel für die Macht der Suggestion über menschliches Leben dar.
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negative, gespannte (bewusste) Erwartungshaltung treibt den verzweifelten Menschen in eine (unbewusste) Käfigsituation. Diese ist charakterisiert durch Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie emotionale Isolation ohne erkennbaren Ausweg, was zusätzlich resignieren lässt. Eine Käfigsituation auf der persönlichen wie kulturellen Ebene in Kombination mit der negativ-suggestiven Aura (Ehrfurcht-Effekt; englisch: awe effect) einer wichtigen Person, eines speziel-
len Objekts, eines besonderen Orts oder einer stark geprägten Einbildung funktioniert für die Mind-Body-Zweieinigkeit wie eine Art »Informationskompressor«, der den Menschen buchstäblich in den Tod führen kann. Die Jahrtausende lange Geschichte des psychogenen Todes und die Fülle an wissenschaftlicher Literatur aus der Neuzeit belegen diese Wirkung in allen erdenklichen kulturellen und wissenschaftlichen Kontexten. Manche Menschen erleben ihre Pensionierung im Sinne einer Käfigsituation. Vom Alter her stehen sie den Umständen hilflos gegenüber, haben keine Hoffnung mehr auf eine weitere berufliche Beschäftigung und werden zunehmend sozial isoliert, insbesondere wenn sie alleinstehend sind. Irgendwann sehen sie keinen Ausweg mehr aus der Situation und resignieren. Dies nennt man Pensionierungsbankrott, Pensionierungsschock oder im Extremfall Pensionierungstod. Seelisch bedeutet sowohl eine Kündigung wie auch eine Pensionierung den Ausschluss aus der eigenen Sozialgruppe, der sogenannten »home group«. In früheren Zeiten kam dies einem Todesurteil gleich. Besonders im ersten Ruhestandsjahr steigen die Herztode bei Männern drastisch an. Der Verlust sozialer Rollen führt nicht selten zu einem Selbstwertmanko und zu einer Ausweg-, Hilf- und Hoffnungslosigkeit, die einem emotionalen Schock gleichkommen kann. Dagegen kann im Großen und Ganzen eine positive Korrelation zwischen Rollenbefriedigung und Lebensdauer erwartet werden, also je zufriedener, desto langlebiger. Das japanische Wort »karojisatsu« bedeutet »Selbstmord durch Überarbeitung«. Das japanische Wort »karoshi« bedeutet »Tod durch Überarbeitung«. Karoshi fordert in Japan alljährlich bis zu 40.000 Menschenleben. In einer Arbeit über 203 Karoshi-Opfer werden die lange Arbeitszeit zusammen mit emotionaler Belastung am Arbeitsplatz, etwa aufgrund von Karrierestreben, und die Angst vor Entlassung oder Arbeitsplatzveränderungen als Hauptursache des Phänomens genannt (Uehata 1991). Das Resultat ist eine
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tödliche Käfigsituation, wobei Suizid auch kein Ausweg ist im Sinne von: »Wer macht die Arbeit (oder zahlt die Hypothek) nach meinem Tod?« Krankheit bis hin zum Tod durch Überarbeitung ist auch ein aktuelles Thema in Westeuropa. Schwarze Magie/Zauberei/Tabubruch Zauberer und Priester bei den Naturvölkern wissen um das tödliche Potenzial ihrer Voodoopraktiken und Tabus. Sie kombinieren dieses geschickt mit der Kenntnis des Opfers über kulturelle Implikationen von Gefühl, Handlung und Sinn. Wissen und autosuggestiver Einfluss des Opfers plus eine käfigartige Situation aus kulturellen Faktoren und Suggestionskräften des böswilligen Täters optimieren die Effizienz des todbringenden Rituals. Ich habe im Verlauf meiner Untersuchung psychogener Todesfälle bei den Naturvölkern, in biblischen Überlieferungen, im Alltag des modernen zivilisierten Lebens und in der klinischen Praxis festgestellt, dass das Spektrum des psychogenen Mortalitätssyndroms, also des Tods durch Vorstellungskraft, vier klassische Kategorien überspannt: Voodootod, Tabutod, Heimwehtod und Seelentod, das bedeutet der Verlust des Lebenswillens durch einen inneren Ruf aus dem Unbewussten und klinische Phänomene wie perniziöse Katatonie und AGT/SUDS. Kurz kann man den Seelentod als »Tod durch den Verlust der Bindung an sich selbst« bezeichnen. Beim Voodootod wird der Lebenswillen des Betroffenen vom Schamanen buchstäblich wegbefohlen. Handelt es sich um den Fall, dass der Lebenswille des Betroffenen von der Sozialgruppe in Folge einer Strafe wegen eines Sittenbruchs wegbefohlen wird, spricht man vom Tabutod. Der Mensch kann auch selbst seinen Willen zum Leben abgeben. Dieser Extremfall wird beim Heimwehtod durch die Situation bedingt, beim Seelentod durch die Umstände. Der erwähnte Pensionierungstod ist ein klassisches Beispiel für einen Seelentod.
Fazit Der endgültige Tod kann ebenso wie eine physiologische Heilung suggeriert und psychogen bewirkt werden. Allgemein kann gesagt werden: »Health and death are matters of mind as well as questions of body when psychology becomes physiology.« Die Macht zu beidem – sich selbst durch Vorstellungskraft zu heilen sowie zu töten – liegt in uns. Das letzte Wort möchte ich nun dem Dichter Theodor Storm (1817–1888) mit seinem erschütternden Gedicht »Beginn des Endes« geben: »Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz, Nur ein Gefühl, empfunden eben; Und dennoch spricht es stets darein, Und dennoch stört es Dich zu leben. Wenn Du es anderen klagen willst, So kannst Du’s nicht in Worte fassen, Du sagst Dir selber: ›Es ist nichts!‹ Und dennoch will es Dich nicht lassen. So seltsam fremd wird Dir die Welt Und leis verläßt Dich alles Hoffen, Bis Du es endlich, endlich weißt, Daß Dich des Todes Pfeil getroffen.« Die Langfassung dieses Artikels findet sich im D ownload- Bereich der Zeitschrift »Leidfaden«. Dr. Ph.D. Gary Bruno Schmid, Physiker, Tiefenpsychologe, analytischer Psychologe, Hypnotherapeut, Supervisor, arbeitet in eigener Praxis in Zürich. Seine hypnotherapeutische Arbeit basiert auf jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung und klinischer Erfahrung. E-Mail: [email protected] Website: www.mind-body.info Literatur Schmid, G. B. (2009). Tod durch Vorstellungskraft. Das Geheimnis psychogener Todesfälle. 2. Auflage. Wien. Schmid, G. B. (2010). Selbstheilung durch Vorstellungskraft. Wien. Uehata, T. (1991). Long working hours and occupational stress-related cardiovascular attacks among middle-aged workers in Japan. In: Journal of Human Ergology, 20, S. 147–153.
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Wohlklingende Egozentrik Was hat die Esoterik zu Krankheit, Verlust und Tod zu sagen?
Bernd Harder Ein Kind verschwindet. Es taucht nicht mehr auf. Nicht nach Tagen, nicht nach Wochen. Es gibt keine Spur. Der Albtraum aller Eltern. Und eine Situation, die »Hellseher« sich gern zu Nutze machen. »Ich kann sehen, wo die vermissten Kinder Inga oder Elias sind«, trompetete etwa eine gewisse Evelyn Störzner (»Hellseherin und Medium«) in einem offenen Presseportal. Die fünfjährige Inga verschwand am 2. Mai 2015 in einem Wald bei Stendal, Elias im Juli desselben Jahres im Potsdamer Stadtteil Schlaatz. Von Inga fehlt nach wie vor jede Spur. Elias’ Leiche wurde Ende Oktober 2015 in einer Gartenanlage bei Luckenwalde gefunden. Der Täter war im Zusammenhang mit einer Entführung in Berlin festgenommen worden und hatte dabei auch die Ermordung des Sechsjährigen gestanden. Evelyn Störzner trug zur Lösung des Falls nicht das Geringste bei. Ebenso wenig wie zahllose andere »Vermisstenhellseher«, die der Polizei Hinweise geben, was angeblich mit verschwundenen Personen passiert sein soll. Der schamlosen Eigenwerbung solcher »übersinnlichen Ermittler« treten zwei Experten im Fachblatt »Die Kriminalpolizei« (Dezember 2007) entschieden entgegen: »Die Zahl entsprechender Angebote an die Polizei (steigt) mit zunehmendem massenmedialem Interesse am betreffenden Vermisstenfall stark an (…) Besonders wichtig ist dem Autor in diesem Zusammenhang der Befund, dass – nach Angaben der befragten Polizeidienststellen – die entsprechenden Hellseher in keinem einzigen Falle
einen brauchbaren Hinweis gegeben oder auch nur im Entferntesten weitergeholfen hätten.« »Medien« als aufdringliche Störpersonen Und nicht nur das. Die perfide Aufdringlichkeit einer Evelyn Störzner (die über sich selbst in der dritten Person schrieb: »Das Schicksal der Kinder und deren Angehörigen lässt sie nicht los und sie möchte gerne helfen. Was wäre denn so schlimm, einfach mal nachzufragen, ob die Eltern einem Telefonkontakt zustimmen?«) lässt schon erahnen, wie »Hellseher« mit falschen »Schauungen« hoffende, bangende, verzweifelte Angehörige immer wieder emotional schwer belasten. Die Eltern der seit 1978 in England verschwundenen Genette Tate geben dafür ein aufrüttelndes Zeugnis (Kelly 2005). All die »Medien« und »Sensitiven«, die die Familie heimsuchten, entpuppten sich als Störpersonen: »Am Anfang griffen wir nach jedem Strohhalm. Doch die Versprechungen erwiesen sich allesamt als Lügengespinste. Sie weckten nur falsche Hoffnungen. Manchmal glaubten wir wirklich, wir hätten eine Spur. Doch immer, wenn es konkret wurde, führten die angeblichen Spuren nirgendwo hin, außer in tiefste Verzweiflung (…) Die Hellseher, die vor unserer Haustür standen, trampelten rücksichtslos auf unseren Gefühlen herum, die ohnehin schon an der Grenze der Belastbarkeit waren. Innerhalb kürzester Zeit versetzten sie uns seelisch völlig in Aufruhr. Wir merkten bald, dass die Tätigkeit der vorgeblich übersinnlich Begabten nicht nur unsinnig und lächerlich war –
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sie war übel und bösartig. Nichts von alledem führte jemals zu irgendetwas, außer zu immer neuen Enttäuschungen und Verwirrungen. Die Hellseher und Wahrsager hatten uns mit ihren Suggestionen zu Sklaven und Abhängigen gemacht.« Betrüger und Narzissten Die Kölner Kriminalpsychologin Lydia Benecke geht mit »Vermisstenhellsehern« denn auch hart ins Gericht. Menschen, die behaupten, Hellseher oder Hellseherin zu sein, ließen sich aus psychologischer Sicht in zwei Typen einteilen: Die Betrüger und die, die wirklich daran glauben. »Die Betrüger wollen Geld und Anerkennung und versuchen mit allen Mitteln in Kontakt mit den Familien zu treten. Das gibt ihnen ein Gefühl der Wichtigkeit und der Macht über andere.« Denen, die an ihre Fähigkeiten glauben, könne man zumindest nicht unterstellen, schaden zu wollen. Aber: »Auch ihnen geht es darum, im Mittelpunkt zu stehen und einen wichtigen Beitrag zu leisten.« Beide Typen wiesen oft histrionische (übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Lob) und narzisstische Persönlichkeitsmerkmale auf. Halten wir fest: Alle objektiven Fakten, die Erfahrungswerte der Wissenschaft und der Polizei belegen eindeutig: Es gibt nicht einen einzigen Vermisstenfall auf der Welt, der aufgrund einer konkreten Angabe eines »Hellsehers« gelöst wurde. Was also können »übersinnlich Begabte« in persönlichen Krisensituationen leisten? Oder machen sie alles noch schlimmer? Der Journalist Holger Kreitling besuchte für die »Welt«-Reportage »Esoterik selbst getestet« das »Jenseitsmedium« Hildegard Matheika und erlebte Folgendes: Matheika setzt sich in die Mitte. Sie schließt die Augen, atmet tief ein und aus. Nach einer Minute sagt sie »Ja«. Nun habe sie in Volltrance Zugang zum Jenseits, sagt sie, zu den Seelen der Toten. Jeder solle den Namen des Verstorbenen sagen, welche Beziehung, wann
gestorben, welche Frage. Eine Krankenschwester erzählt von ihrer Freundin, die vor sechs Monaten gestorben sei und drei Kinder zurückgelassen habe. Warum? Sie habe nicht länger leiden wollen, sagt Matheika. Aber sie habe Schutzengel für die Kinder gesandt. Die Antworten sind knapp und offen. Manchmal gibt Matheika Tipps. Zwischen März und September komme es zu einer positiven Entwicklung für die Fragende, lässt eine Seele ausrichten. Eine Enkelin erfährt, dass die Großmutter Wissen über Heilkräuter gehabt und verborgen habe, sie will, dass sie ebenfalls diesen Weg gehe. Die meisten Frauen hauchen ein ehrfürchtiges »Danke«. Cold Reading nach Schema F Danke wofür? Matheikas »Treffer« wahrsagerischen Erratens lassen sich mit psychologischen Techniken wie Cold Reading sowie dem Barnum-Effekt erklären und benötigen keine zusätzlichen Fähigkeiten, die sich der wissenschaftlichen Erforschung entziehen oder wissenschaftlich unbekannt sind. Von der ratgebenden Person wird eine Feststellung getroffen, welche die ratsuchende Person für sich eher zu bestätigen als zu falsifizieren sucht – zumeist handelt es sich um positive Feststellungen. Auch die Superstars der Szene arbeiten so. Der Schweizer »Spirit Messenger« Pascal Voggenhuber, der bei »Medialitätskongressen« vor mehreren Hundert Besuchern angeblich mit den Toten kommuniziert, ist von Skeptikern beispielhaft entzaubert worden. Ein kurzer Auszug aus der Analyse eines Voggenhuber-Auftritts: Voggenhuber beginnt: »Ich habe einen jungen Mann hier und er sagt mir, dass seine Mutter heute hier ist, also eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat.« Offenbar melden sich einige, nicht überraschend bei zweihundert Personen, die alle gekommen sind, um einer Séance beizuwohnen. Voggenhuber schränkt ein: »Er
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Spirit medium photography, 1900 / akg-images / Science Photo Library
Es gibt nicht einen einzigen Vermisstenfall auf der Welt, der aufgrund einer konkreten Angabe eines »Hellsehers« gelöst wurde. Was also kön nen »übersinnlich Begabte« in persönlichen Krisensituationen leisten?
sagt, er hatte einen Unfall, also nicht irgendwie Selbstmord oder so. Es war ein Unfall.« Eine Frau meldet sich, eine andere weiß es nicht, Voggenhuber macht, so scheint es, mit beiden weiter. Er sagt: »Okay. Was ich einfach spüre, und deshalb kam ich auf Unfall: Der Tod ging sehr schnell. Und es gab von außen Verletzungen.«
Seelische und finanzielle Abhängigkeit Das Fazit des Journalisten Tin Fischer1: »Man muss nicht allzu viel recherchieren. Man braucht nur den Wikipedia-Eintrag zum Thema Cold Reading lesen (…) und Voggenhubers Séancen haben nichts Übersinnliches mehr. Es ist Cold Reading nach Schema F. Voggenhuber verwen-
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gefühlsmäßiger Überforderung bei inszenierten »Jenseitskontakten« bis hin zu emotionaler und finanzieller Abhängigkeit reicht. Trauerarbeit ist schmerzhaft, mühsam und meistens langwierig. Die Konsultation eines »Mediums« kann da als verlockende Abkürzung erscheinen – ist aber oftmals nur eine seelische Schlaglochstrecke, an deren Verpflegungsstationen dauernd Kassenhäuschen stehen2. Entsolidarisierungs-Hetzschriften »Vermisstenhellsehen«, »Jenseitskontakte« – ist das nicht bloß die Schmuddelecke der Esoterik, der zwielichtige Trip ins Übersinnliche? Keineswegs. Esoterik gilt als irgendwie lieb. Doch Ein-
Medieval Fortune Teller / akg-images / Science
det – ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt – eine Frage/Antwort-Technik, die spirituelle Medien und Magier seit über hundert Jahren einsetzen, um ihnen unbekannte Verstorbene gegenüber Angehörigen scheinbar präzise zu beschreiben.« Allerdings räumt auch Fischer ein, dass Voggenhuber »die seelsorgerische Arbeit eigentlich ganz gut« mache. Wirklich? Solange nicht belegt ist, dass es »Hellsehen« überhaupt gibt, ist jede Form von »Hellseherei« per se unseriös – und zwar völlig unabhängig von der persönlichen Integrität des Anbieters. In einer Lebenskrise sind esoterische Praktiken keine taugliche Bewältigungshilfe, sondern stellen selbst ein mitunter erhebliches psychosoziales Problem dar, das von
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hornstäbe, Quantenschmuck und Engelessenzen sind das gegenweltliche Äquivalent zu den nutzlos-überteuerten Rheumadecken von Kaffeefahrten-Abzockern. Auch wenn die Esoterik heute einem »Supermarkt«, einem »Steinbruch« oder einem »unüberschaubaren Krautwuchs« gleicht – ein verbindendes Element lässt sich unschwer feststellen: die rücksichtslose Egozentrik. Bestes Beispiel sind die »Wünsche-Coaches«, die beim Universum lieber einen Autoparkplatz fürs Innenstadt-Shopping in Auftrag geben als den Weltfrieden oder ein Heilmittel gegen Krebs3. Völlig zu Recht nennen Kritiker4 die »Wunschbestellungs«- und »Positiv Denken«-Schwarten à la Rhonda Byrne oder Bärbel Mohr »Entsolidarisierungs-Hetzschriften«. Der »Spiegel Online«-Kolumnistin Sibylle Berg5 stößt sauer auf, dass Esoteriker »jeden Satz mit ICH beginnen«. Und was haben selbstbezogene Ideologeme6 wie »Energie«, »Heilen«, »Stille«, »Fluss«, »Sanftheit«, »Harmonie«, »Ausgleich«, »Reinheit« et cetera zu Themen wie Krankheit, Verlust und Tod zu sagen? Wenig – außer »Victim blaming« und ein paar wohltönenden Klischees. Der Griff nach dem Strohhalm Die Autorin des esoterikkritischen Romans »Vier Frauen und ein Scharlatan«, Eva S. Bernauer (ein Pseudonym), erklärte in einem Interview7: »Bis vor einigen Jahren hielt ich Esoteriker für harmlose Spinner. Dann erkrankte ich an Krebs, und plötzlich hagelte es von allen Seiten Ratschläge. Diäten, Vitamine, positives Denken, sogar die Neue Germanische Medizin wurde mir angedient. Und ich nahm erst mal alles ernst, googelte tagelang den obskursten Wundermitteln hinterher. Dann hatte ich einen lichten Moment und begriff, was los war: Ich griff nach Strohhalmen. An diesen ganzen Unfug hätte ich vor der Krebsdiagnose keinen einzigen Gedanken verschwendet. Und genau das ist das Perfide daran. Diese Angebote erwischen einen im schwächsten Moment und nutzen diese Schwäche schamlos aus.«
Vielen Menschen geht es nach esoterischen und alternativ-psychologischen Behandlungen schlechter als zuvor. »Finde dein inneres Selbst, reinige dich, löse die Blockaden und lass die Energie fließen. Sie ist eins, und du bist Teil des Ganzen …« – Klingt nett, meint aber übersetzt8: »Den Krebs hast du dir selbst manifestiert, denk mal drüber nach« oder »Dein Mann hat dich verlassen, weil er für seinen Seelenplan eine andere Frau braucht«. So eine Krisenbegleitung braucht niemand. Bernd Harder ist Pressesprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V. (GWUP) und Redakteur der GWUPZeitschrift »Skeptiker«. Er hat zahlreiche esoterikkritische Bücher geschrieben. E-Mail: [email protected]
Literatur Bernauer, E. S. (2014). Vier Frauen und ein Scharlatan. Satirischer Esothriller. Aschaffenburg. Byrne, R. (2007). The secret. Das Geheimnis. München. Harder, B. (2010). Warum die Uhr stehenblieb, als Opa starb. Merkwürdige Zufälle und unerklärliche Phänomene. München. Harder, B. (2018). Verschwörungstheorien. Ursachen – Gefahren – Strategien. Aschaffenburg. Kelly, L. (2005). The skeptic’s guide to the paranormal. New York. Mohr, B. (1998). Bestellungen beim Universum. Ein Handbuch zur Wunscherfüllung. Düsseldorf. Anmerkungen 1 https://herrfischer.net/2013/12/10/pascal-voggenhuberund-cold-reading/ 2 www.svz.de/ratgeber/mode-lifestyle/der-esoterik-wahnid4070361.html 3 https://blog.gwup.net/2010/11/06/gwup-in-der-bunten/ 4 https://futurezone.at/meinung/wer-positiv-denkt-bleibtgluecklicher-dumm/107.627.218 5 www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/s-p-o-n-fragen-siefrau-sibylle-sie-finden-sich-furchtbar-und-das-zu-rechta-758594.html 6 http://derstandard.at/1350259492196/Esoterik-im-AlltagGrosskonzern-Great-Spirit 7 https://hpd.de/artikel/10258 8 http://buhl-coaching.de/author/2015/04/19/esoterikersind-keine-resilienten-menschen-und-umgekehrt/
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Museen und Ausstellungen Wer sich anschaulich mit Aberglaube, Magie und Mythen befassen will, dem sei die Direktbegegnung mit einschlägigen Objekten in Museen und Ausstellungen sehr empfohlen. Drei Museen und zwei aktuelle Ausstellungen seien hier kurz vorgestellt.
ich das befindet s g r u b n e d eits an qm einers on Neubr v 0 0 it 3 e f w u n a u s a t igen Stad nburg«, d dererseits in Meckle et und an gleichnam it r n e e e b g d r n fa u in u lg n a ffnet ch erfo enzli iert. Es erö enschaftli d Hexenv m s n r en Burg P is u lt fo w A ie in g g r r a e n u e d nb n tik n ertagsm in Meckle aßnahme chen Prak e m für All M is s u s g e n e a s e z u g m ro ti m n p h h e ic en »Fac stümlich ieses Munur die r erten Hex er die volk g macht d enn man r b okumenti u w ü d , B r 0 d r e 0 e ir h 0 d c w 4 f u au ünstler sen Bes die nen und ll überlas enverliese ng dem K x u fa in e r il u e H Z te h n b c e m u A n e s e e ung alt ein hts d die Be andersetz üglich erh sein, dass z in in der nic r e g , s o a lt v u e m r A e W d n d n e e nz he sich ein itrag von er intensiv Überrasc die Existe zu den Be ) und sein hen Ort. a esondere 8 c d b 3 s s 9 e ti 1 h n In – e . ic 0 7 le th ift g gre lach (18 inem au et ist. Ver Ernst Bar leich zu e n gewidm e s e w n seum zug e x He Heft! mit dem in diesem h lp o d u R Andrea
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M u s e e n u n d A u s s t e l l u n g e n 8 9
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u erwähnen ist schließlich das 1988 gegründete private Museum für dörfliche Alltagskultur im saarländischen Rubenheim, dem seit 2013 das Museum des Saarländischen Aberglaubens angeschlossen ist. Seine reiche Sammlung, die von Bauopfern über Hausgeister, Amulette und Talismanen bis zu Zauberzetteln reicht, wird jeweils in kleinen Sonderausstellungen gezeigt.
r tagskultu fliche All r ö d r fü Museum straße 3 Erfweiler benheim 66453 Ru ltenkirch Gunter A . g n ltur.de -I l. ip -alltagsku m u Leitung: D se u .m w http://ww Website: : 8:00 Uhr zeiten t 14:00 –1 a Öffnungs n o M onntag im Jeder 3. S
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ür die Leserinnen und Leser dieser Ausgabe des »Leidfadens« ist noch bis 15. Dezember 2018 die Ausstellung »Monster und Geister vom Mittelalter bis heute« im Städtischen Museum in Überlingen am Bodensee zu sehen. »Poltergeister, Werwölfe und Mischwesen – all diese Kreaturen sind keine Erfindungen der modernen Unterhaltungsindustrie. Bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert glaubten die Menschen aller Bildungsschichten an die reale Existenz von Monstern und Geistern. Schon Martin Luther beschäftigte sich mit dem Phänomen der gefürchteten Poltergeister, die er als Teufelserscheinungen deutete. Zur gleichen Zeit wurden in Europa hunderte Männer als vermeintliche Werwölfe grausam hingerichtet. Mehr als 500 menschliche und animalische Monsterrassen werden seit dem Mittelalter identifiziert. Unter den Geisterformen ragen die Totengespenster und Naturgeister als dominierende Gruppen heraus. Die Ausstellung in Überlingen präsentiert eine vielfältige Auswahl an Monstern, Geberlingen useum Ü M spenstern, Misch- und Geisterwesen vom s e h c s ti Städ e 30 Mittelalter bis heute. Rund 100 Gemälde, bergstraß Krumme erlingen Skulpturen, Dokumente, Fotografien und 88662 Üb magische Objekte aus zahlreichen öffenten.de -ueberling m u se u .m lichen und privaten Sammlungen führen www Website: nd zeiten: eindrucksvoll vor Augen, dass die Welt der 0 –12:30 u Öffnungs g von 9:0 ta s zum a n S e bis unheimlichen Wesen die Gemüter seit dem chloss ; Dienstag ntags ges o m ; r to h Ok ber: 0 U Mittelalter bis heute immer wieder aufs Neue chließlich s 14:00 –17:0 in e is b r on April bewegt.« (Museumstext) –15.00 Uh sätzlich v von 10.00 s g ta r ie d fe sonn- un
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useum.de epulkralm .s w w w : e Websit r; Mittzeiten: –17:00 Uh 0 Öffnungs :0 0 1 g ssen bis Sonnta gs geschlo ta n o Dienstag m ; r h 0 –20:00 U woch 10:0
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ine Aberglauben-Ausstellung plant das Museum für Sepulkralkultur in Kassel vom 27.10.18 bis zum 17.03.19 unter dem Titel »Tutenfruh! Aberglaube im Angesicht von Sterben und Tod«.
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REZENSIONEN
Rezension »Das Okkulte« von Sabine Doering-Manteuffel
Sabine Doering-Manteuffel: Das Okkulte. Eine Er folgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web. München, Siedler, 2008, 352 Seiten Das Buch von Sabine Doering-Manteuffel steht in der Forschungsliteratur zum Okkultismus ohne Parallele da. Die Autorin verfolgt das okkultistische Denken vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart. Dabei hält sie die Darstellung für die ganze Breite dieses Bereichs offen. Doering-Manteuffels Thema ist nicht der Okkultismus im engen Sinn esoterischer, theosophischer, spiritistischer oder neopaganer Weltdeutungen, die sich im 19. Jahrhundert formierten. Es geht ihr vielmehr um das Okkulte selbst, also um den hartnäckig florierenden Gegensatz zum Argumentations- und Wissensgebäude von organisierter und theologisch reflektierter Religion, von Wissenschaft und Staat. Das magische Denken und der Geisterglauben, Zukunftsdeutereien, die Beschäftigung mit scheinbar »unerklärlichen Phänomenen« und elaborierten Pseudowissenschaften sind das Thema des Buches. Sichtbar gemacht und gedeutet werden diese durch das beste – Doering-Manteuffel würde wohl sagen: das einzige – Mittel, das sie in ihrer Gesamtheit erfassen kann: eine Mediengeschichte. Das Okkulte, so eine zentrale Feststellung, ist keineswegs, wie das Wort es nahe legt, das Verborgene. Es ist das Veröffentlichte. Wie groß das Publikum des Okkulten tatsächlich ist, muss freilich auch Doering-Manteuffel offen lassen. Ohne sich auf fruchtlose Spekulationen über den Rezipientenkreis magischer oder esoterischer Schriften einzulassen, hält die
Johannes Dillinger
Autorin fest, dass diese durchgängig auf ein Massenpublikum ausgerichtet waren. Die Feststellung, dass zunehmendes Interesse an Okkultem zur Reaktion auf private und gesellschaftliche Krisen gehört, dürfte niemanden überraschen. In der Moderne ist Liminalität geradezu ein Charakteristikum von Magie. Doering-Manteuffel zeigt Okkultes jedoch auch als Unterhaltung, als Sensation, als Hobby. Vor allem deutet sie okkultes Pseudowissen als Ware, welche eine sich wandelnde Medienindustrie vertreibt. Doering-Manteuffel strukturiert ihre Mediengeschichte des Okkulten chronologisch. Es geht ihr dabei nicht so sehr um eine durchgehende Erzählung als vielmehr darum, den Bedingungen der jeweiligen Epoche gerecht zu werden. Sie arbeitet daher mit jeweils gut ausgewählten Problemfeldern, die durch narrativ ausgebreitete Beispiele erläutert werden. Der Stoff wird in einer ausführlichen Einleitung und acht Kapiteln präsentiert. Das erste Kapitel ist quasi eine Vorgeschichte, die vor Gutenbergs Erfindung einsetzt. Doering-Manteuffel untersucht, wie die mittelalterliche Alchemie von einem ganzheitlichen, Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft und Kunst umfassenden Konzept infolge der Pestzüge zu einer Rezept- und Ratgeberliteratur heruntergebrochen wurde. So fragmentiert und banalisiert traten Teile der magia naturalis den Weg in magische Gebrauchsschriften an. Im zweiten Kapitel werden Teufelsschriften des 17. und 18. Jahrhunderts gesichtet, die nach Art von Erbauungsliteratur die Kraft des christlichen Glaubens gegen dämonische Anfechtungen feierten. Auch wenn
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diese Publikationen nicht mehr wie die älteren Dämonologien ins unmittelbare Umfeld der Hexenverfolgung gehörten, war der Teufel in ihnen doch noch sehr konkret und materiell gedacht. Befreit von der Verbindung zum Hexenglauben konnte der Teufelsspuk zum Vorbild für spätere Poltergeist- beziehungsweise Spukhausnarrative werden. Man hätte hier freilich betonen können, dass ältere Geschichten um lärmende Geisterwesen – in der Regel verstanden als Totengeister – die Motive sowohl für die Publikationen über dämonische Heimsuchungen als auch spiritistisch-okkultistische Narrationen vorgaben. Die Dekriminalisierung von Magie als solcher im 18. Jahrhundert – der die Autorin mehr Aufmerksamkeit hätte widmen können – rückte nun die Möglichkeit in den Vordergrund, magische Handlungen als Betrug zu bestrafen. Dies geschah immer wieder, tat jedoch den Möglichkeiten für Magier, sich dem Publikum neu zu präsentieren, offenbar keinen nachhaltigen Abbruch. Das dritte Kapitel erläutert, wie im 18. Jahrhundert gerade in Städten ein Hintertreppengewerbe von Wahrsagern und ein neuer Büchermarkt entstanden. Nebenerwerbsbuchhändler boten massenhaft produzierte billige Schriften okkulten Inhalts an, die von einem erweiterten Lesepublikum nachgefragt wurden. Analog der aufgeklärten Reduktion der Religion auf die Ethik wurde das Mirakulöse verkürzt und entstellt. Alte Wundergeschichten wurden ihres theologischen Sinns beraubt und als Sensationen vermarket. Doering-Manteuffel stellt sich hier dem Überlieferungsproblem: Da seriöse Bibliotheken diesen magischen »Schund« nicht ankauften, dürfte er heute nur noch zu einem geringen Teil fassbar sein. Das 19. Jahrhundert präsentiert Doering-Manteuffel im vierten Kapitel als geprägt von der bewussten Aneignung und Abwandlung magischen Denkens. Wesentliche Arten dieser Aneignung waren die Romantik und der Spiritismus. Die Vieldeutigkeit der Vokabel »Geist« verunklarte die Diskussion im deutschen Sprachraum und leistete damit okkultistischen Strömungen Vor-
schub. Als einen der unfreiwilligen Wegbereiter des Spiritismus sieht Doering-Manteuffel den Protestantismus, der die katholische Dreiheit von Himmel, Fegefeuer und Hölle aufgelöst und die Gläubigen mit einem allzu abstrakten Jenseitskonzept allein gelassen habe. Die okkultistischen Milieus des Kaiserreichs und der Einfluss des Ersten Weltkriegs auf diese werden im fünften Kapitel untersucht. Sie erwiesen sich großenteils als kleinbürgerlich geprägt. Sozial Schwache konnten sich den billigen Trost von Kartenlegen und Kaffeesatzlesen gerade noch leisten. Dass sich auch Möchtegern-Prominenz, wie der »Hof« von Karl May, an diesen Aktivitäten beteiligte, bestätigte deren aussichtslose gesellschaftliche Position. Der Krieg steigerte das Interesse an magischen Dienstleistungen. Anders als die komplexen und zunehmend publikumsfernen Bereiche von Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie bot der Glaube an das Okkulte stets einfache Antworten auf schwierige Fragen. Im 19. und 20. Jahrhundert präsentierten Okkultisten ihre Verkürzungen komplexer Probleme immer wieder aggressiv als Abkürzungen auf dem Weg zur Wahrheit. Zum Okkultismus gesellte sich die Verschwörungstheorie: Okkultistische Pseudowissenschaft wurde von Fachleuten abgelehnt. Diese wurden daraufhin flugs als Ignoranten oder sogar als Mitglieder einer Verschwörung denunziert, welche die wahre Erkenntnis um des eigenen Machterhalts willen behindern wollte. Im sechsten Kapitel geht Doering-Manteuffel okkultistischen Kosmologien mit naturwissenschaftlichem Anstrich nach. Im Vordergrund steht dabei die »Welteislehre« von Hanns Hörbiger, die gewissen Anklang in der Führung der NSDAP fand. Das lag wohl weniger daran, dass sich einige Parteigänger Hitlers intensiv mit dem Okkultismus befassten, wie Doering-Manteuffel annimmt, sondern resultierte eher daraus, dass Hörbigers Lehre den Rassismus rechtfertigte. Hörbiger und seine Nachahmer, insbesondere Edgar Dacqué (nicht zu verwechseln mit Darré oder d’Alquen), setzten höchst eigenwilli-
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ge Interpretationen von Mythen gegen die naturwissenschaftliche Forschung. Autoren wie Erich von Däniken gegenüber gilt gemeinhin die ungeschriebene akademische Regel, man solle sie »noch nicht mal ignorieren«. Ihre Thematik legt Doering-Manteuffel aber die Verpflichtung auf, sich mit Däniken auseinanderzusetzen. Die Autorin erfüllt diese Pflicht engagiert und belegt, dass seine Spekulationen denen Hörbigers erschreckend ähnlich sind. Kapitel Sieben untersucht die Kornkreise, ein weiteres hartnäckig »unerklärliches Phänomen«, dessen Entstehung doch so ermüdend offensichtlich ist. Doering-Manteuffel weckt das Interesse jedoch neu, indem sie vorschlägt, die Kornkreise im Kontext von belehrend-mirakulösen Geschichten aus dem 17. Jahrhundert zu sehen, in denen ein Teufel firmierte, der Korn in großen Kreisen abmähte. Weiter bringt sie die Kreisformen mit dem Glauben an den Reigentanz der Naturgeister in Verbindung. Wichtiger für das Verständnis der Kornkreise der Gegenwart ist jedoch ihre eigentümliche Vermischung von Okkultismus, Kunst und Umweltbewusstsein, die Doering-Manteuffel ausführlich nachzeichnet. Man ist beruhigt zu erfahren, dass Bauern sich mittlerweile gegen die Ernteschäden, die dieser Unfug jedes Jahr verursacht, versichern können. Es ist den Aufwand nicht wert, den populären Bücherkult und sein dümmliches Sprüchlein »Lesen bildet«, zu kritisieren. Doering-Manteuffel baut das letzte Kapitel ihrer Mediengeschichte des Okkulten jedoch zu einem frontalen, und angesichts der Macht dieses Mediums, mutigen Angriff auf das Internet aus. Nicht nur, dass im Netz Esoterikprodukte vertrieben werden. Das Medium erweist sich als hochgradig anfällig für okkultistische Inhalte. Zum einen besteht die Gefahr der Selbstreferenzialität in zirkulären Verweisen beziehungsweise Links, die Fehlinformationen produzieren. Zum anderen ist das Problem der Anonymität der Autoren beziehungsweise der Leichtigkeit, mit der sich die Identität desjenigen, der Beiträge ins Netz stellt, verschleiern
lässt, nicht zu lösen. Mehr noch: Die weitgehend ungeregelte Informationsproduktion im Internet führt zum Gegenteil von kritisch reflektiertem Wissen, nämlich zum Okkulten. Den Optimismus von Wikipedia weist Doering-Manteuffel als naive Übernahme aus kapitalistischen Ideologien zurück. Ebenso wenig, wie sich Märkte von allein regelten, blieben Wissensbestände wissenschaftskonform, wenn sie Communities von anonymen oder schwer identifizierbaren Autoren überlassen würden. Richtiges und Falsches lasse sich nicht durch Mehrheitsentscheidung differenzieren. Doering-Manteuffel geht noch weiter: Das Internet sei das erste Medium, das nicht nur das Okkulte transportiere, sondern in sich selbst, in seiner Anonymität und Regellosigkeit, okkult sei. Hier ist Doering-Manteuffels Urteil sicherlich sehr hart, zumindest aus der Perspektive des keineswegs anonymen Autors dieser für das Internet bestimmten Rezension. Doering-Manteuffel beweist, dass man bestens lesbare Bücher schreiben kann, ohne die Standards der Fachwissenschaft zu kompromittieren. Sowohl ihr Stil als auch ihr Anmerkungsapparat entsprechen höchsten Ansprüchen. Das einzige Manko ist, dass ein Literaturverzeichnis fehlt. Zwar findet sich alle verwendete Literatur in den Anmerkungen, gleichwohl hätte man sich einen Überblick in einer Bibliografie gewünscht. Das Register, das sowohl Orte und Personen als auch Sachlemmata verzeichnet, erhöht die Benutzbarkeit des Bandes. Der Text wird durch zahlreiche Abbildungen gut illustriert. Der Siedler-Verlag demonstriert, dass man gebundene und sehr gut ausgestattete Bücher auch preiswert machen kann. Sabine Doering-Manteuffels Mediengeschichte des Okkulten ist rundherum gelungen. Der Band verdient die Aufmerksamkeit der Fachwissenschaft und des breiten Lesepublikums uneingeschränkt. Erschienen in: H-Soz-Kult, 16.07.2008, www.hsozkult.de/ publicationreview/id/rezbuecher-10759. – Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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Rezension »Kulturtechnik Aberglaube«, hrsg. von Eva Kreissl
Eva Kreissl (Hrsg.): Kulturtechnik Aberglaube. Zwischen Aufklärung und Spiritualität. Strategien zur Rationalisierung des Zufalls. Bielefeld, Tran script, 2013, 584 Seiten In den Kulturwissenschaften wie in den Nachbardisziplinen galt Aberglaube lange Zeit eher als Kuriosum, mythologisch kontaminiert oder als Spezialgebiet für einige Volkskundler vom alten Zuschnitt, die sich noch nicht der neuen europäischen Kulturanthropologie zugewandt hatten, wie man das Fach Volkskunde jetzt neudeutsch nennt. Wer nun angesichts eines üppigen Buffets an spirituellen Angeboten mit synkretistischem Charakter einen zeitgemäßen, facettenreichen und interdisziplinären Zugang zum Thema sucht, der kommt um dieses anzuzeigende Buch nicht herum. Dabei ist schon bemerkenswert, wie Eva Kreissl, die Herausgeberin des Sammelbandes mit den Referaten einer Tagung in Graz, mit dem Begriff »Aberglauben« hadert. Denn Aberglaube ist immer eine Fremdbenennung von Praktiken durch Institutionen, die Definitionsmacht und Deutungshoheit für sich beanspruchen und gegebenenfalls mit Gewalt durchsetzen, wie das etwa über lange Jahrhunderte mit den Hexenprozessen geschah. »Aberglaube« hingegen bezeichnet sich eben nicht als Aberglaube, sondern versteht sich als ein in sich
Reiner Sörries
geschlossenes, logisches System von Beobachtungen, Regeln und Folgerungen. Aberglaube, so Kreissl, sei deshalb ein ungeeigneter Begriff. Aber auch die kirchliche Bezeichnung als Superstitio oder die moderne Benennung als Popularmagie sind nicht minder falsch und schwer oder zumindest missverständlich. Kein Ausdruck spiegelt adäquat das Selbstverständnis der Menschen, deren Denk- und Handlungsweisen auf einem Weltwissen des vormodernen Denkens basieren. Und um es gleich hinzuzufügen: Alle gegenwärtigen Wissensstandards haben allenfalls vorläufigen Charakter – bis zur nächsten Entdeckung oder neuen Erklärungshypothese. Mit seinen insgesamt 21 Beiträgen renommierter Fachwissenschaftler/-innen, die in die Abschnitte »Aberglaube als Symptom«, »Diagno sen«, »Schauplätze«, »Zwischen den Kulturen« und »Museale Präsentationen des Aberglaubens« gegliedert sind, eröffnet das Buch einen differenzierten Zugang zu historischen und gegenwärtigen Phänomenen dessen, was man nicht immer zu Recht als Aberglauben bezeichnet. Eva Kreissl bezeichnet Aberglaube deshalb als Kulturtechnik. In einem Interview beschrieb sie das mit folgenden Worten: »Das Buch greift Traditionslinien des Aberglaubens auf und liest sie aus heutiger Sicht neu als kulturelle Überlebensstrategie zwischen Religion und Aufklärung.«
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Buchempfehlung »Was ist Aberglaube?« von Hansjörg Hemminger und Bernd Harder
Hansjörg Hemminger/Bernd Harder, Was ist Aber glaube? Bedeutung – Erscheinungsformen – Bera tungshilfen. Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 2000, 144 Seiten (Band 4 der Reihe »Sekten – Son dergruppen – neue weltanschauliche Bewegungen«) Als ich Bernd Harder, einen der beiden Autoren dieses Buches, um einen Beitrag für dieses Heft bat (den er dann auch geschrieben hat) und ihm die Konzeption des Heftes vorlegte, fiel ihm auf, dass auch eine Rezension zu diesem Buch vorgesehen war. Seine Reaktion war ernüchternd: »Bisschen erschrocken bin ich ehrlich gesagt über die geplante Rezension des ›Aberglauben‹-Buches. Das ist fast 20 Jahre alt, schon lange nicht mehr erhältlich und inhaltlich (von meiner Seite, wie Dr. Hemminger das sieht, weiß ich nicht) eine Anfängerarbeit, die ich nicht mal meinen engsten Freunden in die Hand geben würde.« Dann fand ich noch eine Rezension bei Amazon (mit nur 1 Stern): »Was ist zu erwarten, wenn der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Kirche (Hemminger) sich zum Thema ›Aberglauben‹
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ausläßt? Genau. Simples Esoterik- sprich: Konkurrenzbashing, das den Aberglauben innerhalb der etablierten Religionen/Kirchen völlig außen vor läßt.« Vielleicht haben mich aber gerade beide Statements bewegt, dieses Buch unter die Empfehlungen mit aufzunehmen, auch weil es nicht viel anderes dazu gibt. In der Tat war Hansjörg Hemminger von 1984 bis 1996 wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) und von 1997 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2013 Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Von 1996 bis 1998 gehörte er als Sachverständiger der Enquete-Kommission »Sogenannte Sekten und Psychogruppen« des Deutschen Bundestages an. Der Politikwissenschaftler Bernd Harder ist Pressesprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Berücksichtigt man, dass beide Autoren qua Amt den Formen des Aberglaubens skeptisch gegenüberstehen, ist die Lektüre des Buches bis heute empfehlenswert.
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Extratipp »Aberglaube«, hrsg. vom Förderverein LWL-Museum für Archäologie in Herne Reiner Sörries Förderverein LWL-Museum für Archäologie in Herne (Hrsg.): Aberglaube. Moderne Kunst trifft archäologische Funde. Ausstellungskatalog des Museums für Archäologie in Herne. Herne, 2015, 232 Seiten Einen höchst ungewöhnlichen Zugang zum Aberglauben wählte man im Archäologiemuseum in Herne. In der Erkenntnis, dass die Archäologen oft auf Gegenstände treffen, die offenkundig nicht dem praktischen Gebrauch des Alltags gedient haben und deshalb religiösen, kultischen oder magischen Praktiken zugeordnet werden, stellte man in einer Ausstellung solche rätselhaften Gegenstände vor. Sie können vielfach nicht ge-
deutet werden und wecken deshalb die Phantasie der Betrachtenden. Ist dieser Zugang eigenwillig genug, so wird das Seherlebnis noch dadurch bereichert, dass den archäologischen Funden Kunstwerke und Environments der Künstlerinnen Ines Braun (http://ines-braun.com/) und Iris Stephan (http://iris-stephan.com/) beigesellt werden. Ihre künstlerischen Reaktionen auf archäologische Artefakte sind nicht minder rätselhaft als diese selbst. Dies ist eher kein Buch für Leserinnen und Leser, die objektive oder objektivierbare Antworten erwarten. Aber es mag jene ansprechen, die sich auf geheimnisvolle Zwischenwelten einzulassen bereit sind und ein gewisses Faible für zeitgenössische Kunst besitzen.
Lektüretipp für die, die es genau wissen wollen »Das Unheimliche« von Sigmund Freud (1919)
Sigmund Freud (1919): Das Unheimliche. Studien ausgabe, Bd. IV. Psychologische Schriften. Hrsg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Fischer, Frankfurt am Main, 1982, S. 241–274. Alle Praktiken, die sich außerhalb dessen bewegen, was man gemeinhin als real und vernünftig erachtet, stellen den Versuch dar, das Unbekannte nicht nur zu verstehen, sondern zu bewältigen. Freud nennt das »Unbekannte«, das, was uns nicht vertraut ist, das Unheimliche und entwickelt es sprachlich aus dem Gegensatz zu »heimlich« im Sinne von »heimisch, vertraut«. Unheim-
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lich ist nach Freud vor allem alles, was mit Tod, Leichen, Wiederkehr der Toten, Geistern und Gespenstern zusammenhängt, weil der lebende Mensch sich unsterblich wähnt. Ebenso sind für die Angst vor dem Unheimlichen die Kastrationsangst, der Wunsch, im Mutterleib zu bleiben, und andere tiefenpsychologische Erklärungsmuster verantwortlich. Um sich mit dem Aberglauben und seinen Phänomenen zu befassen, ist die Lektüre von Freud zwar nicht unbedingt notwendig, aber man sollte seine Thesen als Grundlage dafür begreifen, dass jegliche Form des Aberglaubens seinen Ursprung in tief sitzenden menschlichen Ängsten hat, in der Angst vor dem Unheimlichen.
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Suche Frieden – Frieden schließen Der BVT auf dem Katholikentag 2018 in Münster »Frieden schließen – Die Bedeutung der Versöhnung in der Trauerbegleitung« lautete der Titel einer interaktiven Werkstatt, die Ulrike Backhaus und Norbert Mucksch gleich zweimal angeboten und mit der Maximalzahl von 30 Teilnehmenden durchgeführt haben. Interessant war die bunte Mischung der Teilnehmenden, zu der zum Teil auch sehr junge Menschen gehörten, die sich durch dieses Thema intensiv angesprochen fühlten. Die Bandbreite der Teilnehmenden reichte von trauernden Menschen bis hin zu ehrenamtlich wie auch hauptamtlich engagierten Trauerbegleitenden.
Katholikentag in Münster 2018
© Norbert Mucksch
Mit zwei Angeboten an unterschiedlichen Standorten war der Bundesverband Trauerbegleitung e. V. auf dem Katholikentag vertreten, der vom 9. bis 13. Mai 2018 in Münster unter dem Motto »Suche Frieden« stattfand. Für die Mitwirkenden des BVT gab es vielfältige Möglichkeiten, die Arbeit des Bundesverbandes vorzustellen und mit zahlreichen sehr interessierten Menschen in guten Kontakt und inhaltlichen Austausch zu kommen. Sowohl auf der Kirchen meile als auch im Programmbereich Lebenswel ten war der BVT deutlich sichtbar mit seiner Arbeit und mit seinen Angeboten präsent.
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schen) konnten Nicole Friederichsen, Christian Fleck, Walburga Schnock-Störmer, Doris Kruck, Caren Baesch, Eva Kersting-Rader, Mechthild Schroeter-Rupieper und andere zahlreiche Menschen erreichen und über die Arbeit des BVT eingehend informieren. An Erfahrung bleibt: Der Bundesverband Trauerbegleitung hat ein wahrnehmbares Profil, ist inzwischen bekannt und etabliert und wird mit seinem Engagement wahrgenommen. BVT-Vorstandsmitglied Norbert Mucksch, Diplom-Theologe, Diplom-Sozialarbeiter, Pastoralpsychologe (DGfP), ist Fachbereichsleiter »Sterbe- und Trauerbegleitung« an der Kolping-Bildungsstätte Coesfeld/Heimvolkshochschule und Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Münster.
© Norbert Mucksch
Wie auch schon bei anderen Anlässen zeigte sich auch bei diesem Katholikentag in Münster, dass das Thema »Trauer« eine starke Aktualität hat und auf großes Interesse stößt. Eindrucksvoll war, dass in den beiden Werkstätten zum Thema »Versöhnung« sehr schnell eine wahrnehmbare Intensität und Vertrautheit entstanden. So entwickelten sich persönliche Begegnungen, die menschlich bereichernd und lehrreich waren. Das Pagodenzelt des BVT auf der Kirchenmeile des Münsteraner Schlossplatzes hatte an den drei Tagen, an denen die inhaltliche Arbeit des Katholikentages stattfand, regelmäßigen und intensiven Zulauf sowie eine hohe Anziehungskraft. Mit diversen Angeboten (auch für junge Men-
BVT-Stand an der Kirchenmeile (Norbert Mucksch, Doris Kruck, Walburga Schnock-Störmer, Eva Kersting-Rader, Christian Fleck, Caren Baesch)
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Das 1. Charity Dinner des BVT meinsam mit unserem assoziierten Mitglied Frau Prof. Dr. Begemann dafür gesorgt, dass dieses so schwere Thema auch Leichtigkeit bekam. An allen Tischen wurde bei dem vorzüglichen Dinner viel gelacht, über Trauer und das Leben diskutiert, sich vernetzt und auch gespielt – das Choco-Hopper-Spiel geht auch für Große und hat an den Tischen augenscheinlich für viel Freude gesorgt. An dieser Stelle möchten wir auch besonders den vielen Spender*innen für die wunderschönen Auktionsgegenstände danken. Unseren rund 50 Gästen haben diese so gut gefallen, dass sie uns bei der Auktion und durch Spenden einen unglaublichen Betrag von 4.555,59 Euro beschert haben! Wir sind überglücklich und dankbar für die so wichtige finanzielle Unterstützung unserer Arbeit und den wirklich gelungenen Abend. Nicole Friederichsen ist Krankenschwester mit Palliative Care, Sozialwirtin, systemische Trauerbegleiterin, Traumapädagogin.
Preisübergabe (Madita van Hülsen, Nicole Friederichsen, Matthias Brodowy, Marianne Bevier und Stefan Schostok)
We r ’s g l a u b t , w i r d s e l i g ! ? – M y s t i k , M y t h e n , A b e r g l a u b e
Merle Friederichsen
E-Mail: N [email protected]
Merle Friederichsen
fand im Kastens Hotel Luisenhof in Hannover im Rahmen unseres Jubiläumsprogramms statt. Durch den gleichermaßen interessanten wie berührenden Abend führte die Moderatorin und BVT-Mitglied Madita van Hülsen mit ihrer erfrischenden Art. Ein Höhepunkt des Abends war die Verleihung des BVT-Ehrenpreises. Unser Schirmherr, Oberbürgermeister Stefan Schostok, hielt eine wunderbare Laudatio auf den Ehrenpreisträger, den Hannoveraner Kabarettisten Matthias Brodowy, und bedankte sich herzlich für dessen vielfaches Engagement. Matthias Brodowy ist somit schon der dritte Preisträger des BVT-Ehrenpreises für »Engagement in der Öffentlichkeit für Trauernde«. Bewegend war seine Dankesrede, in der er unter anderem Menschen in der Trauerbegleitung als Leuchttürme unserer Gesellschaft bezeichnete. Gesanglich gab es mit Lilla Molnar-Nadj und Jochen Pietsch Highlights für die Seele und fürs Ohr. Die Vorsitzende Marianne Bevier, anwesende Mitglieder und der Vorstand haben ge-
Vorschau Heft 4 | 2018 Thema: Empathie Empathie – Mitgefühl – Mitleiden schaft: Landkarten des einfühlenden Verstehens Die dunklen Seiten der Empathie Entwicklung von Empathiefähigkeit im Kindesalter – und was es verhindern kann Empathie für einen Mörder? Begegnungen eines Journalisten mit Opfern und Tätern Wie viel Empathie verträgt ein trauernder Mann? Trauma und Empathie: eine unver trägliche Paarung? Man darf sich nicht vorenthalten Reflexionen zu Martin Buber u. a. m.
Impressum Herausgeber/-innen: Monika Müller M. A., KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Zentrum für Palliativmedizin, Von-Hompesch-Str. 1, D-53123 Bonn E-Mail: [email protected] Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. Schweidnitzer Str. 17, D-56566 Neuwied E-Mail: [email protected] Dr. Dorothee Bürgi (Zürich), Prof. Dr. Arnold Langenmayr (Ratingen), Dipl.-Sozialpäd. Heiner Melching (Berlin), Dr. Christian Metz (Wien), Dipl.-Päd. Petra Rechenberg-Winter M. A. (Hamburg), Dipl.-Psych. Margit Schröer (Düsseldorf), Prof. Dr. Reiner Sörries (Erlangen) Bitte senden Sie postalische Anfragen und Rezensionsexemplare an Monika Müller, KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Colin Murray Parkes (Großbritannien), Dr. Sandra L. Bertman (USA), Dr. Henk Schut (Niederlande), Dr. Margaret Stroebe (Niederlande), Prof. Robert A. Neimeyer (USA) Redaktion: Ulrike Rastin M. A., Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen, Tel.: 0551-5084-423, Fax: 0551-5084-454 E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Leidfaden erscheint viermal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 360 Seiten. Bestellung durch jede Buchhandlung oder beim Verlag. Jahresbezugspreis € 70,00 D / € 72,00 A. Institutionenpreis € 132,00 D / € 135,80 A / SFr 162,00, Einzelheftpreis € 20 D / € 20,60 A (jeweils zzgl. Versandkosten), Online-Abo inklusive für Printabonnenten. Preisänderungen vorbehalten. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht eine Abbestellung bis zum 01.10. erfolgt. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen; Tel.: 0551-5084-40, Fax: 0551-5084-454 www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2192-1202 ISBN 978-3-525-40654-0 ISBN 978-3-666-40654-6 (E-Book) Umschlagabbildung: Judith Carlin, The Future Is What We Say It Is (Creative Common/Wikimedia Commons: Ouija) Anzeigenverkauf: Anja Kütemeyer, E-Mail: [email protected] Bestellungen und Abonnementverwaltung: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Servicecenter Fachverlage, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen; Tel.: 07071-9353-16, Fax: 07071-9353-93, E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. © 2018 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Gestaltung, Satz und Lithografie: SchwabScantechnik, Göttingen Druck: a Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen Printed in Germany Beilagen von V&R und vom Institut für Psychotherapie, Spiritualität und Erwachsenenbildung (IPSE)
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