Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen [1 ed.] 9783428477999, 9783428077991


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Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen [1 ed.]
 9783428477999, 9783428077991

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THOMAS DURCHLAUB

Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen

Schriften zum Steuerrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke

Band 45

Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen

Von Dr. Thomas Durchlaub

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Durchlaub, Thomas: Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen / von Thomas Durchlaub. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 45) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07799-7

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 3-428-07799-7

Vorwort Die vorliegende Arbeit lag im Sommersemester 1992 der Rechtswissenschaftlichen Abteilung der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation vor. Das Manuskript 'WUrde im April 1992 abgeschlossen. Besonderen Dank schulde ich meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Heinrich Wilhelm Kruse. Er hat mein Interesse am Steuerrecht geweckt und mich zu dieser Arbeit ermuntert, die von seinen zahlreichen wissenschaftlichen Anregungen profitieren konnte. Dank schulde ich ebenso Herrn Prof. Dr. Peter 1. Tettinger, der sich der Mühe der Begutachtung als Zweitberichterstatter unterzogen hat. Für finanzielle Unterstützung danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung e. v., die mir während der Anfertigung der Arbeit ein Stipendium gewährte, und dem Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.v. für einen Druckkostenzuschuß. Schließlich danke ich auch dem Verlag und den Herausgebern, den Herren Professoren Dr. Joachim Lang und Dr. Jens Peter Meincke, für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Bochum, im Dezember 1992 Thomas Durchlaub

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Einleitung

§1

Rechtfertigung und Ziel der Arbeit............ ...... .........................................................................

17 17

Zweites Kapitel

Besteuerung der VGe im System des EStG §2

§3

20

Veräußerungsgewinn als Gegenstand der Untersuchung......................................................... 20 I.

Begriff des Veräußerungsgewinns................... ................ .............. ............ ... ..................... 20

11.

Die Ennittlung des Veräußerungsgewinns allgemein....................................................... 21

Ursachen unterschiedlicher Besteuerung der VGe ....... ........... ................. ................................ 22 I.

Die Methode der Einkünfteennittlung und die Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen ............ ................. ......... ...... ... ... ...... ............ ....... ..... .......................... ........ ...... .... 23 1.

Zugehörigkeit des Veräußerungsobjektes zum Betriebsvermögen .............. :............ 23

2.

Zugehörigkeit des Veräußerungsobjektes zum Privatvermögen............................... 24

3.

EinkOnfteennittlungsdualismus als Ursache filr die unterschiedliche Veräußerungsgewinnbesteuerung? .............. .................................................. .................. 2S

11.

Veräußerungsgewinne als Steuerobjekt des deutschen Einkommensteuerrechts ............. 26 1.

Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen in den Einkilnftebegriff allgemein ........ 27

2.

Sondertatbestände als konstitutive Tatbestände der Steuerpflicht privater Veräußerungsgewinne................................................................................................ 28

InhaItsverzeiclmis

8

III. Steuerobjekt und Bernessungsgrundlage - Ursachen der unterschiedlichen Besteuerung von betrieblichen und privaten Veräußerungsgewinnen.............................. 28

Drittes Kapitel

Situation de lege Iata - Konsequenzen fiir die Untersuchung §4

30

Kritik der Literatur am EStG und Forderungen de lege ferenda.............................................. 30 I.

Aufhebung des Dualismus der Einkünfteermittlung und die Einfiihrung eines monistischen Systems......... ................. ................. ........................ .................. ................... 30

H.

§5

§6

Andere Reformvorschläge .. ............... ............................................................ ........... ...... ... 31

Handhabung durch die Rechtsprechung................................................................................... 33

1.

Das Bundesverfassungsgericht ................ ................... .... ................ ................. .......... ........ 33

H.

Die Finanzgerichtsbarkeit.................................................................................................. 33

Kritik an der Bewertung in der Literatur - Konsequenzen........ ............................................... 35

1.

Grenzen der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne ............................................... 35

H. Ursache filr die Steuerfreiheit privater Verllußerungsgewinne: Einkünfte(ermittlungs)dualismus - Einkommensbegriff'?........................................................................... 36 III. Das Leistungsfthigkeitsprinzip als tragender Grund filr eine Einbeziehung privater Veräußerungsgewinne in die Besteuerung? ........................................................ 38 IV. Ergebnisse und Konsequenzen der Kritik filr die Untersuchung.. ... ............... ........... ....... 40

Viertes Kapitel

Rechtfertigungen fUr die Steuerfreiheit privater VGe

41

§7

In Betracht kommende Veräußerungsobjekte... ................. .... ............ .... ................. .......... ....... 41

§8

Hindernisse einer Besteuerung von VGen................ ................................................................ 43

JnhaItsverzeiclmis

9

1. Abschnitt Der Veräußerungsgewinn als steuerliches Einkommen

§9

43

Entstehungsgeschichte des Einkommensbegriffs............ .......................................................... 44 I.

Das preußische Einkommensteuergesetz vom 24.6.1891 ................................................ 44

II. Das Reichseinkommensteuergesetz vom 29.3.1920......................................................... 45 III. Das Reichseinkommensteuergesetz vom 10.8.1925......................................................... 46 IV. Die Entwicklung vom Reichseinkommensteuergesetz vom 16.10.1934 zum EStG vom 27.2.1987 ......................................................................................................... 47 V. Die Forderung nach einer Besteuerung privater Veräußerungsgewinne vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Einkommensbegriffs....................... 47

§ 10 Einkommenstheorie und Gegenstand der Einkommensteuer................................................... 49 I.

Notwendigkeit einer einkommenstheoretischen Basis als Grundlage der Entscheidung über die Steuerwürdigkeit eines Gegenstandes................................................ 49

II. Anforderungen an eine einkommenstheoretische Grundlage zur Bestimmung des Besteuerungsgegenstandes - Verfassungsrechtliche Vorgaben?................................. 51 1.

Der wertungsjuristische Systemgedanke als Maßstab rur "richtiges" Steuerrecht............................................................................................................................ 52

2.

Gleichheit und Besteuerung....... ................................................................................

3.

Eigentumsschutz und Besteuerung............................................................................ 55

4.

54

Fazit: Verfassungsrechtliche Vorgaben und Sachgerechtigkeit der Besteuerung? - Tatsächliche Gesichtspunkte rur den Belastungsgrund der Einkommensteuer ............................................................................................................ 58

§ 11

Einkommenstheoretische Grundlage und Einkommensbegriff................................................ 58 I.

Vermögenszuwachs als tatsächliches (wirtschaftliches) Phänomen der Einkommensenielung....................................................................................................................

58

II. Die Ursache des Vermögenszuwachses als entscheidendes Merkmal des Belastungsgrundes ........ .......... ............... ..... .......................... ........... ......................................... 59 III. Die Mehrung des Sozialproduktes durch Leistungsaustausch als Belastungsgrund der Einkommensteuer .... ................................. ................................................................... 60

Inhaltsverzeichnis

10

§ 12 Belastungsgrund filr die EJfassung von VGen ................... ...................................................... 63 I.

Ansicht der Vertreter einer achten Einkunftsart...................................................... .......... 64 1.

Verlußerungsgewinne allgemein............................................................................... 64

2.

Gewinne aus der Verlußerung von Wirtschaftsgütem, die der Einkünfteerzielung gedient haben................................................................................................. 65

11. Eigene Stellungnahme ............................................................................................. .... ...... 66

1.

Tragfiihigkeit des verfassungsrechtlichen Schutzes der Privatsphlre gegen eine Besteuerung privater Verlußerungsgewinne? ................................................... 66

2.

Differenzierung zwischen Verlußerungsgewinnen in Ausübung und bei Gelegenheit der Marktteilnahme als Kriterium filr die EJfassung vom Belastungsgrund......................................................................................................... 68

§ 13 Fazit: Gehören private VGe zum Einkommen? ....................................................................... 70

2. Abschnitt Langfristig erzielte Verlußerungsgewinne und Preisniveaulnderungen

72

§ 14 Veräußerungsgewinne und Preisniveauänderungen................................................................. 72

1.

Gewinnennittlung und Geldwertstabilität.... ...................... .................. ............................. 72

11.

Veräußerungsgewinne und Scheingewinne....................................................................... 73

§ 15 QuantiflZierung der Scheingewinne... ................................................... ................ .......... ..... ..... 74 § 16 Weitere Auswirkungen der Inflation auf die Besteuerung.... .............. ...... ............ ................... 80 I.

"Heimliche Steuererhöhungen" durch "kalte Progression" .......... ..................................... 80

11. Die zwei Seiten der Inflation bei der Besteuerung.... .................. ............................ .......... 82 III. AfA-SAtze, Freibeträge und Freigrenzen in der Inflation.......... .................................. ...... 83

§ 17 Besteuerung nach der Leistungsf'ahigkeit und Besteuerung von Wertsteigerungen................ 84 § 18 Reale Wertsteigerungen contra Nominalwertprinzip............................................................... 85 § 19 Scheingewinnbesteuerung und Verbot der Substanzbesteuerung............................................ 87

InhaItsverzeiclmis

11

I.

Der Substanzeingriff durch die Besteuerung langfristiger Veräußerungllgewinne .......... 87

H.

Die inflationsbedingte Substanzbesteuerung und der Grundrechtsschutz nach Art.14GG .......................................................................................................................... 88

1. 2.

Der Steuereingriff und der Schutzbereich des Art. 14 GG ..... ....................... ............. 88 Eingriff in den Schutzbereich bei nur realem aber nicht nominalem Substanzeingriff - Substanzbesteuerung als Problem nicht des Steuer- sondern des Währungsrechts?................................................................................................. 93

§ 20 Kollision: Nominalwert-, LeistungllBhigkeitsprinzip, Substanzbesteuerung .......................... 94 I.

Die Kollisionslage .............................................. .................... .................. ......................... 94

H.

Maßstab filr eine Kollisionslösung.......... ........... ............................. ................ .................. 95

III. Lösung der Kollision im Sinne einer praktischen Konkordanz ...... ................ .......... ........ 96

§ 21

Veräußerungsgewinne im Betriebs- und Privatvermögen........................................................ 99 I.

§§ 6b, 6c EStG und die Vergleichbarkeit von betrieblichem und privatem Bereich ............................................................................................................................... 99

11.

Die dualistischen Auswirkungen der Inflation und systembedingte Unterschiede als Rechtfertigung der unterschiedlichen Veräußerungsgewinnbesteuerung ................... 102

III. Ennittlungsbedingte Unterschiede in der Bemessungsgrundlage als weitere Rechtfertigung filr die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungllgewinne............ 106 IV. Milderungen im betrieblichen Bereich ........... ......... ............................... ........ ...... ............. 109

§ 22 Steuerpflicht privater "VGe" mit hohem Inflationsanteil? ....................................................... 111

3. Abschnitt Die Besteuerung kurzfristig erzielter Veräußerungsgewinne

§ 23

113

Besteuerung der Spekulationsgewinne - Wegweiser ................................................................ 113 I.

Entstehungsgeschichte und Rechtsnatur der Vorschrift - Spekulations- oder allgemeine Veräußerungllgewinnbesteuerung? ...................... ......................... .................. 114

1.

Wortlaut und Entstehungllgeschichte des Tatbestandes.......... ................ ............... .... 114

2.

Rechtsnatur der Vorschrift........................................................................... .............. 115

Inhaltsverzeiclmis

12 II.

Kurzfristig erzielte Veräußerungsgewinne als Spekulationsgewinne - Gegenstand der Einkommensteuer?.................... .............. .......................................................... 115 I.

Die Relevanz des Verhältnisses von GewilUlen und Verlusten filr die Steuerwürdigkeit des Sachverhalts .. .......................................................................... 116

2.

Die Steuerbarkeit kurzfristiger Veräußerungsgewinne - Parallelen zwischen Spekulation, Lotterie, Glücksspiel und Wette ........................................................... 118

§ 24 Besteuerung kurzfristiger privater VGe - Fiskalische Konsequenzen ..................................... 119 1.

Objekte kurzfristiger Veräußerung . ........... ................ ........................ .............. ......... ........ 120 1. 2.

Typus kurzfristig gehaltener Veräußerungsobjekte .................................................. 120 Spezifische wirtschaftliche Merkmale kurzfristig gehaltener Veräußerungsobjekte ........................................................................................................................ 120

II.

Veräußerungsgewinne und Veräußerungsverluste ........................................................... 121

III. Nettoprinzip - Horizontaler und vertikaler Verlustausgleich ........................................... 123 IV. Die Einbeziehung der Verluste - Auswirkungen auf das Steueraufkommen.. ................. 125 1.

Auswirkungen auf das Aufkommen durch Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen ........................................................................................................ 126

2.

Auswirkungen auf das Aufkommen durch die allgemeine Wirtschaftslage Rezession und konjunkturelles Gleichgewicht ............. ............................................. 127

§ 25

a)

Auswirkungen in der Rezession ......................................................................... 127

b)

Auswirkungen bei konjunkturellem Gleichgewicht... ........................................ 127

Besteuerung kurzfristiger privater VGe - Widerstreitende Gesichtspunkte ............................. 128 1. 11.

Zweckverfehlung und Verhältnismäßigkeit? .................................................................... 128 Kollisionslage aus Gerechtigkeit - Ergiebigkeit - Praktikabilität und die Entscheidung des Gesetzgebers ............................................................................................... 130

§ 26 Besteuerung kurzfristiger betrieblicher VGe - Gleichheitsverstoß? ........................................ 131 § 27 Fazit: Sind kurzfristig erzielte private VGe zu besteuern?....................................................... 133

Inhaltsverzeichnis

13

4. Abschnitt Die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne und der Dualismus der Einkünfteermittlung - Kritik der Literatur im Rückblick der Untersuchung

135

§ 28 Dualismus der Einkünfteennittlung - Historische Rechtfertigung..... ............ .......................... 136 § 29 Einkünftedualismus: Systematische Berechtigung und Notwendigkeit .................................. 138

Fünftes Kapitel

Ausblick

141

Literaturverzeichnis

142

Abkürzungsverzeichnis a.A

Abs. Absclm. AG Anm. AO AöR Art. AT Aufl. AWD

andere Ansicht Absatz Abschnitt Die Aktiengesellschaft Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Außenwirtschaftsdienst

BB Bd. BdF BFH BFHE BGB!.! BMF 8StH!. ! 8StH!. II BStH!. III BT-Drucks. BVerfG BVerfGE

Betriebs-Berater Band Bundesminister der Finanzen Bundesfinanzhof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfmanzhofs Bundesgesetzblatt Teil! Bundesminister der Finanzen Bundessteuerblatt Teil! Bundessteuerblatt Teil II Bundessteuerblatt Teil III Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

DB ders. d.h. dies. Diss. DJT DÖV Drucks. DStJG DStR DStZ DStZ(A) DVB!.

Der Betrieb derselbe das heißt dieselben Dissertation Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Drucksache Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsche-Steuer-Zeitung Deutsche-Steuer-Zeitung (Ausgabe A) Deutsche Verwaltungsblätter

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte EinfUhrung Einkommensteuer Einkommensteuerdurchfiihrungsverordnung Einkommensteuergesetz

Einf

ESt EStDV EStG

15

FG FinArch. Fn. FR FS FuSt

folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Finanzgericht Finanzarchiv Fußnote Finanz-Rundschau Festschrift Finanzen und Steuern (Schriftenreihe des Instituts Finanzen und Steuern)

GewStR GG GrS

Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz Großer Senat

HFR Hrsg. HwStR

Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Herausgeber Handwörterbuch filr Steuerrecht

i.e.S.

im engeren Sinn Die Information in Verbindung mit

f.

FAZ ff.

Inf.

i.V.m. JA Jg. jur. JuS JZ

Juristische Arbeitsblätter Jahrgang juristisch, juristische Juristische Schulung Juristenzeitung

KStG

Körperschaftsteuergesetz

lat.

LS

lateinisch Leitsatz

MDR m.w.N.

Monatsschrift des Rechts mit weiteren Nachweisen

NJW

N.F.

Nr.

Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nummer

OFH o.g.

Oberfmanzhof oben genannt(e)/(es)

preuß.

preußisch, preußisches

RAO RdA Rdn. RegE REStG

Reichsabgabenordnung Recht der Arbeit Randnummer Regierungs-Entwurf Reichseinkommensteuergesetz Reichsfmanzhof Reichsgesetzblatt Teil I Recht der internationalen Wirtschaft rechtskräftig Reichsmark Reichssteuerblatt Reichstag-Drucksache

RFH

RGBI.I

RIW

rkr. RM RStBl. RT-Druc/cs.

Abkürzung.werzeiclmis

16

S. Sp. StbJb. StEntlG StKongRep. st. Rspr. StuW

Seite Spalte Steuerberater-Jahrbuch Steuerentlastungsgesetz Steuerberater-Kongress-Report ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft

Teilbd. Tz.

Teilband Textziffer

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v.

VG VGe vgl. v.H. VJSchrStFR VVDStRL VZ

vom Veräußerungsgewinn Veräußerungsgewinne vergleiche vom Hundert Vierteljahresschrift filr Steuer- und Finanzrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Veranlagungszeitraum

WährG WRV

Währungsgesetz Weimarer Reichsverfassung

z.8. ZfbF Ziff. ZRP

zum Beispiel Zeitschrift für betriebs wirtschaftliche Forschung Ziffer Zeitschrift filr Rechtspolitik

Erstes Kapitel

Einleitung

§ 1 Rechtfertigung und Ziel der Arbeit Die Diskussion um die steuerliche Behandlung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne ist während des nun über hundertjährigen Bestehens einer einheitlich kodifizierten deutschen Einkommensbesteuerung nie ganz zur Ruhe gekommen. Die im Gegensatz zum betrieblichen Bereich weitgehende einkommensteuerliche Verschonung privater Veräußerungsgewinne war stets Anfechtungen ausgesetzt. Dabei hat die exklusive Steuerfreiheit der privaten Veräußerungsgewinne durchaus rechtsgeschichtliche Tradition. Eingefiihrt durch das EStG von 1891 besteht sie mit einer Unterbrechung von etwas mehr als fünf Jahren während der Geltung des EStG 1920 1 bis zum heutigen Tag. Dennoch hat sich gerade in letzter Zeit die Kritik an der geltenden Rechtslage weiter verstärkt und sind immer wieder Bemühungen im Gange gewesen, die unterschiedliche Behandlung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne zu beseitigen. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre wurde die Forderung nach einer Besteuerung auch privater Veräußerungsgewinne erhoben. 2 Die Bestrebungen gingen sogar soweit, eine Bodenwertzuwachssteuer einzuführen, die schon ohne Gewinnrealisierung durch einen Veräußerungsvorgang jede WertsteigeI1Ing bei Grundstücken steuerlich erfassen sollte. Diese Erwägungen wurden

Das EStG 1920 vorn 29.3.1920 'MIrde durch das EStG 1925 vorn 10.8.1925 abgelöst. 2 Siehe dazu den Reforment'MIrf des BMF, Gutachten der Steuerreforrnkornrnission, 1971, S.83 ff.; D. Schneider, StuW 1971, S.326; noch deutlicher: Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Gutachten zur Reform der direkten Steuern, S.23 ff.; vgl. auch die Zusammenfassung der Stellungnahmen bei Marder, Die Erfassung privater Grundstücksveräußerungen im deutschen Einkonunensteuerrecht, Diss. 1977, S.105 ff. 2 Durchlaub

Erstes Kapitel: Einleitung

18

jedoch als verfassungsrechtlich bedenklich verworfen. 3 Gleichzeitig entwickelte sich eine Steuerrechtsprechung, die Veräußerungen privater Vermögensgegenstände, insbesondere Grundstücke, immer häufiger als Errichtung eines Gewerbebetriebes im Sinne des § 15 Abs.2 EStG ansah. 4 Hierdurch hat die Rechtsprechung Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens als betriebliche Gewinne qualifiziert und damit der Besteuerung unterworfen. 5 Nicht zuletzt durch diese Entwicklung wurden in neuerer Zeit die Stimmen immer lauter, die eine grundlegende Novellierung der Einkommensteuer forderten und in diesem Zusammenhang eine generelle Besteuerung privater Veräußerungsgewinne einführen wollten. 6 Schließlich hat sich auch der 57. Deutsche Juristentag in Mainz prinzipiell zu einer Besteuerung aller Veräußerungsgewinne bekannt.? Tipke/Lang bezeichnen dieses Bekenntnis als Anschluß an eine Auffassung, "die für Ökonomen im In- und Ausland seit langem selbstverständlich ist". 8 Trotz dieser fast erdrückenden Forderungen nach einer Besteuerung privater Veräußerungsgewinne ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber an dem derzeitigen Rechtszustand etwas ändern wird. Dieses Verhalten einfach mit gesetzgeberischem Beharrungsvermögen, Trägheit oder gar wahltaktischem Kalkül zu begründen,9 wäre zu einfach und würde der Sache nicht gerecht werden können. Die im Zusammenhang mit einer Besteuerung privater Veräu3 BMF, Gutachten der 8teuerrefonnkommission, 1971. 8.68 f.; siehe dazu auch Ebnet, Die Besteuerung des Wertzuwachses. 1978; Figel, Die Problematik einer Wertzuwachssteuer, 1975; Kosing, Die steuerliche Erfassung von Bodenwertsteigerungen; Leisner, Wertzuwachsbesteuerung und Eigentum, 1978; Weininger, Die Besteuerung von Bodenwertsteigerungen im geltenden Recht und die Probleme von Bodenwertzuwachssteuern, 1975; Zink, 8tuW 1973,8.150 ff. 4 BFH. B818I. Il 1988,8.244,245; BFH, B8tBI. Ill988, 8.293, 294 f.; BFH, B8tBI. Il 1990, 8.1054, 1055; ebenso die Finanzverwaltung: BMF-8chreiben, B8tBl. I 1990,8.884.

5 Die damit herbeigefilhrte Grenzverschiebung zwischen betrieblichem und privatem Bereich warf erhebliche Abgrenzungsprobleme auf. die bis heute in ihrer Handhabung umstritten sind, vgl. Marhofer-Ferlan, Veräußerung von Privatvermögen und § 15 E8tG, Diss. 1990.

6 Kirchhof, Gutachten F zum 57. Deutschen Juristentag 1988, 8.20; ders. in KirchhoflSähn, § 2 E8tG Rdn.A 364; Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes. 1985, 8.32 f.; ders., Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, 8.501; ders., Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987; Raupach, in: RaupachlTipkelUelner, Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts? 1985, 8.15; Söhn, ZRP 1988, 8.347; Tipke, NJW 1988,8.2091; Wendt. DÖV 1988,8.710.

7 Protokoll der Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentages in Mainz. 8teuerrechtliche Abteilung, 8.N 203 f.

8

9

TipkeiLang,8teuerrecht, 13.Aufl., 1991,8.370. Zum sog. Parlamentarismus- und Verbandssyndrom vgl. Tipke, 8tuW 1976,8.295.

§ 1 Rechtfertigung IUld Ziel der Arbeit

19

ßerungsgewinne einhergehenden (steuer-)rechtlichen und tatsächlichen Probleme sind immens. 10 An dieser Stelle soll nur exemplarisch das Problem der Scheingewinnbesteuerung genannt werden. II Nicht zuletzt deshalb wird die Entscheidung zwischen der Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne und der Forderung nach der Besteuerung aller Veräußerungsgewinne - ähnlich den "capital gains" im amerikanischen Steuerrecht - als schwer zu beurteilende Frage bezeichnet. 12 Es muß daher trotz aller Kritik auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne gerechtfertigt ist und entgegen aller kritischen Stimmen in der Reformliteratur mit einer an den Gesichtspunkten der Gerechtigkeit und Praktikabilität orientierten Besteuerung vereinbar ist. Der Verifizierung dieser Hypothese nachzugehen, soll das Ziel der vorliegenden Arbeit sein.

\0

Vgl. Mössner, RlW 1978, S.96 f.

II Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.370, halten dies ebenfalls filr eine Problematik, die mit der Einfilhrung einer Steuerpflicht filr private Veräußerungsgewinne gelöst werden muß, wenn auch der Vorschlag Langs (Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987, S.24 f. und Reformentwurfzu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.66 f.) zu ihrer Bewältigung nicht befriedigend ist, siehe dazu unten § 21 II. der Untersuchung.

12 2*

Wiemer, Nicht einkommensteuerpflichtige Einkünfte, 1962, S.22.

Zweites Kapitel

Besteuerung der VGe im System des EStG § 2 Veräußerungsgewinn als Gegenstand der Untersuchung

Die Untersuchung der steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen im geltenden Einkommensteuergesetz wirft zunächst die Frage auf, um welche Sachverhalte es in diesem Zusammenhang geht, d.h. wie Veräußerungsgewinne qualitativ zu charakterisieren und quantitativ zu erfassen sind. I. Begriff des Veräußerungsgewinns

Der Begriff des Veräußerungsgewinns ist im Einkommensteuergesetz nicht einheitlich definiert. Das Gesetz spricht an verschiedenen Stellen nur von Gewinnen aus der Veräußerung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteils, l einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft2 oder schlicht von Gewinnen aus der Veräußerung von Vermögen. 3 Gemäß § 23 EStG soll in gewissen zeitlichen Grenzen schließlich der Gewinn aus der Veräußerung jedes Wirtschaftsgutes als Veräußerungsgewinn der Einkommensteuer unterworfen sein. Von diesem Befund ausgehend könnte man unter einem Veräußerungsgewinn den Gewinn verstehen, der bei der Übertragung eines Gegenstandes auf eine andere Person entsteht. 4 Ein in dieser Form gefaßter Veräußerungsgewinnbegriff würde jedoch jeden Umsatzgewinn (mit-)erfassen und ist daher zu weit. Es gilt somit, die Gewinne auszuscheiden, die zwar auf einer Veräußerung beruhen, die jedoch 2 3 4

§§ 14, 14a, 16 EStG. § 17 EStG. § 18 Abs.3 EStG. So Kobs, Veräußerungsgewinne im Einkommensteuerrecht, 5.Aufl., 1974, S.19.

§ 2 Veräu~gewinn als Gegenstand der Untersuchung

21

in ihrer Entstehung nicht auf einem Wertzuwachs durch bloßen Zeitablauf, sondern auf einem "Handeltreiben", also auf einer aktiven und planmäßigen Tätigkeit gegründet sind. Während laufende Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen der betrieblichen Ertragskraft eines Unternehmens entspringen, entstammt der Veräußerungsgewinn i.e.S. aus der Realisierung eines außerordentlichen Wertzuwachses, der durch eine Änderung im Vermögensstamm erzielt wird. 5 Der Begriff des Veräußerungsgewinns ist daher eng mit dem Begriff der Wertsteigerung verbunden. 6 Unter einem Veräußerungsgewinn soll im nachfolgenden daher der bei der Übertragung eines Gegenstandes auf eine Person realisierte Wertzuwachs verstanden werden, der auf einer Vermehrung des Vermögensstammes1 beruht und nicht auf eine Änderung des Bestandes oder der Substanz des Gegenstandes während seiner Zugehörigkeit zum Vermögen des Veräußerers zurückzuführen ist. 11. Die Ermittlung des Veräußerungsgewinns allgemein

Auch die quantitative Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist im Einkommensteuergesetz nicht einheitlich geregelt. Sie hängt zum einen von der Zugehörigkeit des Veräußerungsobjektes zum Betriebs- oder Privatvermögen ab. Zum anderen bestimmt sie sich danach, ob die Veräußerung aus einem Gewerbebetrieb erfolgt und ob Bücher geführt werden müssen oder freiwillig geführt werden. Unabhängig von den sich hieraus ergebenden Unterschieden8 läßt sich der Veräußerungsgewinn allgemein aus dem Unterschiedsbetrag zwischen zwei Größen ermitteln: den gegebenenfalls fortgeführten Anschaffungs- oder Her-

Stahlschmidt, Die Anwendbarkeit der Reinvestitionsbegünstigung nach § 6b des Einkommensteuergesetzes in Grenzfallen, Diss. 1975, S.ll. 6 Cirkel, § 6b EStG im System der Besteuerung betrieblicher Veräußerungsgewinne, Diss. 1986, S.ll. 1 Fasselt, Wertsteigerungen und Veräußerungsgewinne als steuerpflichtiges Einkommen, 1948, S.2; Stahlschmidt, Die Anwendbarkeit der Reinvestitionsbegünstigung nach § 6b des Einkommensteuergesetzes in Grenzfallen, Diss. 1975, S.12 f 8

Siehe dazu im folgenden § 3 der Untersuchung.

Zweites Kapitel: Besteuerung der VGe im System des EStG

22

stellungskosten (im Fall des § 23 EStG gekürzt um die Werbungskosten) und dem Veräußerungspreis abzüglich der Veräußerungskosten. 9 § J Ursachen unterschiedlicher Besteuerung der VGe

Will man die Kritik der Reformliteratur an einer Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne einerseits nachvollziehen, andererseits möglichen Rechtfertigungen für die bestehende Rechtslage nachgehen, so ist zunächst Klarheit über die gesetzlichen Ursachen der unterschiedlichen Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgeschäfte zu gewinnen. Über die Normen oder Normgruppen, die zu der unterschiedlichen Besteuerung führen und die das äußere System der Besteuerung der Veräußerungsgewinne ausmachen, läßt sich das innere System, die der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen zugrunde liegenden Grundsätze und Prinzipien erschließen. 10 An diesem inneren System, das Garant für eine gerechte Ausgestaltung der Einkommensteuer und eine gerechte Lastenverteilung bei der Besteuerung der Veräußerungsgewinne sein soll, II haben dann etwaige Kritik und mögliche Rechtfertigungen für die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne anzusetzen. 12 Als Ursache für die unterschiedliche Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne kommen nach dem Tatbestand der Einkommensteuer l3 zwei Normgruppen in Betracht: die Normen zur Definition des Steuerobjektes, also die Ausgestaltung der Frage, was den Gegenstand der Einkommensteuer bildet, und die Normen zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Demnach können Veräußerungsgewinne durch Qualiflkations- und/oder Quantifikationsnormen einkommensteuerlich erfaßt werden.

9 10 11

S.18.

Boeker, Art. "Veräußerungsgewinne", HwStR, 2.Aufl, 1981. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S.61 ff. Zimmermann, Das Problem der Steuergerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, 1978,

12 Vgl. zum Systemgedanken und seiner Bedeutung fiir das Recht allgemein: Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969; fiir das Steuerrecht: Tipke, Stu W 197 I, S.4 ff. l3 Siehe dazu Crezelius, Steuerrecht 11, 1991, S.20; Kussmann/Lippross, Einkommensteuerrecht, S.7 f.

§ 3 Ursachen unterschiedlicher Besteuenmg der VGe

23

I. Die Methode der Einkünfteermittlung und die Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen

Grundlage der Besteuerung ist das zu versteuernde Einkommen. Der wesentliche Grundbestandteil dieser Größe ist die Summe der Einkünfte. 14 Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs.2 EStG legal definiert. Das Gesetz unterscheidet hier zwei Gruppen: Die Einkünfte, die einer betrieblichen Tätigkeit entspringen (§ 2 Abs.l Satz 1 Nr.l - 3 EStG),15 werden durch den Gewinn l6 ermittelt (§ 2 Abs.2 Nr.l EStG). Hingegen wird bei den nichtbetrieblichen, nichtunternehmerischen oder privaten Einkunftsarten (§ 2 Abs.l Satz 1 Nr.4 - 7 EStG)17 die Höhe aus dem Überschuß der Einnahmen über die Werbungskostenl 8 erfaßt (§ 2 Abs.2 Nr.2 EStG). Der Ermittlung der Bemessungsgrundlage liegt demnach in quantitativer Hinsicht kein einheitlicher Einkünftebegriff zugrunde. Er ist vielmehr dualistisch aufgebaut. Einmal ist der Gewinn die ausschlaggebende Größe, ein anderes Mal der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten. Diese unterschiedliche Ermittlung der Einkünfte bei den Neben- und Haupteinkunftsarten bleibt nicht ohne quantitative Auswirkungen.

1. Zugehörigkeit des Veräußerungsobjektes zum Betriebsvermögen Wenn im betrieblichen Bereich der Gewinn in § 4 Abs.l Satz 1 EStG als Differenz der Betriebsvermögen zwischen zwei aufeinander folgenden Wirtschaftsjahren definiert wird, so werden hierdurch nicht nur alltägliche Umsatzgewinne erfaßt, die auf der wiederkehrenden unternehmerischen Tätigkeit beruhen. Diese Ermittlungsmethode bezieht auch Gewinne aus der Veräußerung der dem Unternehmen dienenden Wirtschaftsgüter mit ein, die auf einem 14 Basis bei der Ennittlung des zu versteuernden Einkommens nach § 2 Abs.5 EStG ist die Summe der Einkünfte aus den Einkunftsarten. Nach Abzug der Beträge aus §§ 24a, 24b, 13 Abs.3, 34c Abs.2 bis 4 EStG ergibt sich der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs.3 EStG). Nach Abzug der Sonderausgaben und sonderausgabengieichen Beträge erhält man das Einkommen (§ 2 Abs.4 EStG). Nach der Kürzung dieses Betrages um den Kinderfreibetrag, Haushaltsfreibetrag und den freibleibenden Betrag nach § 46 Abs.3, § 70 EStDV erhält man schließlich das zu versteuernde Einkommen im Sinne des § 2 Abs.5, § 32 Abs.l EStG. 15 16 17

Diese werden auch als Haupteinkunftsarten bezeichnet.

18

§§ 8 bis 9a EStG.

§§ 4 bis 7g EStG. Diese werden auch Nebeneinkunftsarten genannt.

Zweites Kapitel: Besteuenmg der VGe im System des EStG

24

realisierten Wertzuwachs beruhen, der seinerseits auf eine Vermehrung des Vermögensstammes und nicht auf eine wirtschaftliche Tätigkeit zurückzuführen iSt. 19 Die aus diesen Veräußerungsgeschäften folgende Veränderung des Betriebsvermögens in Höhe der Differenz zwischen den Anschaffungskosten (abzüglich der Abschreibungen) und dem tatsächlich erzielten Veräusserungspreis (abzüglich der Veräußerungskosten) unterliegt daher ermittlungsbedingt der Besteuerung. 2o Der Hinweis auf die Steuerpflicht in besonderen Veräußerungsfallen durch die §§ 14, 16 und 18 Abs.3 EStG hat insoweit nur deklaratorische Bedeutung. 21 Bedeutsam ist jedoch der an diese Normen anknüpfende ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 Abs.l und 2 EStG.22 2. Zugehörigkeit des Veräußerungsobjektes zum Privatvermögen Im Gegensatz dazu entspricht es der Methode der Ermittlung der Nebeneinkünfte durch den Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten, private Veräußerungsgewinne steuerlich nicht zu erfassen. Bei einer Überschußrechnung werden nur Zahlungsvorgänge erfaßt. Bestandsveränderungen (Veränderungen im Wert eines Wirtschaftsgutes) können daher auch im Falle einer Realisierung dieser "stillen Reserven" auf Grund der Berechnung der Einkünfte steuerlich nicht berücksichtigt werden. Von diesem Grundsatz der Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne macht das EStG nur zwei Ausnahmen: 23 Eine betrifft die im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft (§ 17 EStG). Gewinne aus der Veräuße19

Siehe dazu oben die Begriffsbestimmung des Veraußerungsgewinns in § 2 der Untersuchung.

20 Dies gilt nicht nur filr die bestandsvergleichenden GewinnennittIer nach §§ 4 Abs.l, 5 Abs.l EStG, sondern auch filr die Pflichtigen, die ihren Gewinn nach § 4 Abs.3 EStG ennitteln, wie z.B. Freiberufler und Landwirte, soweit sie keine Bücher filhren, aber auch Kleingewerbetreibende, die auf Grund des Umfanges ihrer Tätigkeit nach den steuerrechtlichen Buchfilhrungsvorschriften der §§ 140 ff. AO nicht buchfilhrungspflichtig sind. Bei ihnen wird der Veräußerungsgewinn in der Weise ennittelt, daß die fortgefilhrten Anschaffungskosten zum Zeitpunkt der Veräußerung als Betriebsausgaben und der Veräußerungserlös als Betriebseinnahrnen angesetzt werden. Der Überschuß aus diesem Vorgang steUt dann den Veräußerungsgewinn dar. Vgl. auch Stobbe, DStR 1967, S.82 ff.

21 BFH, BStBI. 1I1 1967, S.70, 71; BlümichlFalk, EStG § 16 Rdn.2; D6tsch, Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe, 1987, S.13; Schmidt in: Schmidt, EStG, 10.Aufl., § 16 Anm.2. 22 Eine konstitutive Bedeutung kommt den §§ 14, 16 und 18 Abs.3 EStG auch insoweit zu, als

sie Freibetragsregelungen (§ 16 Abs.4 EStG, filr Land- und Forstwirtschaft i.V.m. § 14 Satz 2 EStG und filr Selbständige i.V.m. § 18 Abs.3 Satz 2 EStG) enthalten, die bei den genannten besonderen VeräußerungsfliUen zu einer Abschwächung der Besteuerung der Veräußerungsgewinne filhren.

23

Vgl. dazu auch Behrens, MDR 1978, S.633 f.

§ 3 Ursachen unterschiedlicher 8esteuenmg der VGe

25

rung dieser im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen werden steuertechnisch dadurch erfaßt, daß sie zu Einkünften aus Gewerbebetrieb fingiert24 werden und damit einer Gewinnermittlung unterliegen. 25 Eine weitere Ausnahme macht das Gesetz bei privaten Gewinnen aus Spekulationsgeschäften, die gemäß § 22 Nr.2 i. Y.m. § 23 EStG im Rahmen der sonstigen Einkünfte steuerpflichtig sind. 3. Einkünfteermitllungsdualismus als Ursache für die unterschiedliche Veräußerungsgewinnbesteuerung?

Wenn die Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen somit in der Regel davon abhängt, ob das Veräußerungsobjekt Betriebsvermögen war oder nicht, so drängt sich der Schluß auf, daß die Ursachen der unterschiedlichen Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne in der Methode der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu finden sind. 26 Diese Beurteilung wird von Kritikern des derzeitigen Rechtszustandes übernommen. 27 Doch ist zu berücksichtigen, daß die unterschiedliche Ermittlung der Einkünfte in erster Linie durch die Bedürfnisse der Praxis motiviert ist. Ais im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts die damaligen Staaten die Einkommensteuer einführten, wandten sich Teile des Handels und Gewerbes gegen eine für alle Steuerpflichtigen geltende Überschußrechnung. Aus Gründen der Vereinfachung wollten sie die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer mit dem Ergebnis der kaufmännischen Buchführung gleichsetzen. 28 24 HeuerlRaupach in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 17 Rdn.26. Daß auf Grund dieser Fiktion Privatvermögen nicht zu Betriebsvermögen wird, vermag man daran zu erkennen, daß Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen zwar zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, aber nicht der Gewerbesteuerpflicht unterliegen, vgl. Parczyk, StuW 1967, Sp.726; Abschn. 40 Abs.l Satz 2 Ziff.2 GewStR.

25 Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.367 bezeichnen die Zuordnung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb daher auch als "widersprüchlich und verfehlt".

26

Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.221.

27 Tipke, FS-Paulick, 1973, S.391 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.233, 235; Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981, S.43.

28 Vgl. dazu Barth, Die Entwicklung des deutschen Bilanzrechts, Bd. 11, Teildbd. 1, 1955, S.198; siehe zu weiteren Einzelheiten unten § 28 der Untersuchung.

Zweites Kapitel: Besteuerung der VGe im System des EStG

26

Insoweit ist daher nicht auszuschließen, daß die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne weniger ein Quantifikations-, als mehr ein Qualifikationsproblem ist, sie somit nur ein "Reflex" der Ermittlung der Einkünfte ist und die eigentlichen Ursachen mehr bei den das Einkommensteuerobjekt umschreibenden Qualifikationsnormen zu suchen sind. Beide Faktoren, Bemessungsgrundlage und Steuergegenstand, können derart zusammenwirken, daß sich die Bemessungsgrundlage als Ursache darstellt, strukturell die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne aber ein Problem der Ausgestaltung des Steuerobjektes ist. Aus diesem Grund darf der gefundene Befund nicht zufriedenstelIen. Er ist durch eine Untersuchung der Veräußerungsgewinne als etwaiges Steuerobjekt der geltenden Einkommensteuer zu ergänzen. 11. Veräußerungsgewinne als Steuerobjekt des deutschen Einkommensteuerrechts

Als Gegenstand der Einkommensteuer hat allgemein der wirtschaftlich relevante, die Leistungsfahigkeit des Steuerpflichtigen erhöhende Vorgang zu gelten, an den das EStG die sachliche Steuerpflicht knüpft. 29 Den Umfang der sachlichen Steuerpflicht bestimmt das EStG in § 2 Abs.l Satz l. Der Steuerpflichtige hat Einkommensteuer zu entrichten, wenn er während der Zeit seiner persönlichen Steuerpflicht im Sinne des § 1 EStG Einkünfte gemäß § 2 Abs.l Satz 1 Nr.l - 7 EStG erzielt hat und deshalb über Geldvermögen verfügt, aus dem er die Steuern entrichten kann. 30 Da auch Veräußerungsgewinne das Geldvermögen des Steuerpflichtigen erhöhen und ihn damit in die Lage versetzen, Steuern zu entrichten, sind sie Objekte der Einkommensteuer, wenn durch ihre Realisierung Einkünfte erzielt werden.

29 Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, S.8; Meincke in: Littmann/Bitz/ Meincke, EStG § 2 Rdn.3. 30

Kirchhof, Gutachten F zum 57. DJT 1988, S.F 12 f.

§ 3 Ursachen III1t=chiedlicher Besteuerung der VGe

27

1. Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen in den Einkünftebegriff allgemein Das durch den Katalog des § 2 Abs.l Satz I Nr.l bis 6 EStG umrissene Erscheinungsbild der Einkünfte3! weist keine Einkunftsart aus, die an die Veräußerung von Vermögensgegenständen eine Steuerpflicht knüpft. Charakteristikum des Erscheinungsbildes der Einkünfte ist die Erzielung von Entgelten aus einer Erwerbsgrundlage, 32 wie z.B. einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, Gewerbebetrieb, einer selbständigen oder nichtselbständigen Arbeit oder aus der Nutzung von Kapital- oder Grundvermögen. Daß die Veräußerung als Einkunftsart in den Nr.l bis 6 des § 2 Abs.l Satz I EStG nicht erscheint, hat seinen Grund darin, daß nach dem Erscheinungsbild der Einkünfte die Einkommensteuer keine Bereicherungsteuer ist, sondern lediglich die Teilhabe des Staates am persönlichen Erfolg der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ermöglicht. 33 Auf Grund dieses Merkmals der Einkünfte sind nicht bloße Vermögenszuflüsse, sondern nur solche, die durch eine Erwerbstätigkeit verursacht sind,34 Ausgangstatbestand der Einkommensbesteuerung. Will man das Objekt der Einkommensteuer daher allgemein als die durch individuelles, marktabhängiges35 Wirtschaften erzielten Vermögenszuflüsse beschreiben,36 fügt sich in diesen Befund eine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nicht ein.

3! Die sonstigen Einkünfte lassen auf Grund ihrer Benennung in § 2 Abs.l Satz 1 Nr.7 EStG und der wegen der Zusammenfassung verschiedenartigster Sachverhalte heterogenen Vorschrift des § 22 EStG keine Aussage über ihren Charakter zu.

32 Lang, Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987, S.23; ders., RefonnentwUlf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.31 ff. m.w.N. 33

Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 20.

34

Lang, Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987, S.23; ders., Refonnentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.31 ff. m.w.N.

35

Grundlegend rur das Merkmal der Leistungserbringung am Markt: Ruppe, DStJG 1 (1978),

36

Ebenso Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 20.

S.16.

28

Zweites Kapitel: Besteuerung der VGe im System des EStG

2. Sondertatbestände als konstitutive Tatbestände der Steuerpflicht privater Veräußerungsgewinne

Dennoch enthält das Einkommensteuergesetz Tatbestände, die als Ausnahmeregelungen Gewinne aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen zum Objekt der Einkommensteuer machen. § 22 Nr.2 EStG nimmt eine bestimmte Gruppe aus den nichtsteuerbaren Veräußerungsgewinnen aus und schlägt sie dem "Sammelbecken" der sonstigen Einkünfte zu: die Einkünfte aus Spekulationsgeschäften. Im Rahmen gewisser (Spekulations-)Fristen sind damit auch Veräußerungsvorgänge im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen und stellen ein Objekt der Einkommensteuer dar.

Mit § 17 EStG unterwirft das Einkommensteuergesetz in dem Spezialfall der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im Privatvermögen gehalten werden, unter bestimmten Voraussetzungen die Gewinne der Einkommensteuer. Gesetzestechnisch wird dies dadurch erreicht, daß die Gewinne zu Einkünften aus Gewerbebetrieb fingiert werden. Über diese Fiktion wird ein weiterer Ausschnitt der privaten Veräußerungsgewinne zum Objekt der Einkommensteuer. 111. Steuerobjekt und Bemessungsgrundlage Ursachen der unterschiedlichen Besteuerung von betrieblichen und privaten Veräußerungsgewinnen

Bezieht man die Behandlung der Veräußerungsgewinne durch die Qualifikationsnormen des Einkommensteuergesetzes in die Betrachtung der Ursachen der unterschiedlichen Besteuerung der Veräußerungsgewinne mit ein, so wird erkennbar, daß die teilweise Freistellung privater Veräußerungsgewinne nur vordergründig beim Einkünftedualismus liegt. Der fixierte Blick auf den Dualismus der Einkünfteermittlung lenkt von dem Umstand ab, daß die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne nicht ein Problem der Quantifikation, sprich der Ermittlung der Bemessungsgrundlage, sondern der Qualifikation des Lebenssachverhalts ist. 37 Entscheidend ist, daß eine Berück37 Vgl. Parczyk, StuW 1967, Sp.723 ff.; ebenso Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.222.

§ 3 U=hen Wlter.;chiedlicher Besteuerung der VGe

29

sichtigung privater Veräußerungsgewinne schon im Steuerobjekt der Einkommensteuer, wenn auch zum größten Teil nur latent, angelegt ist. So hat der Gesetzgeber bei den Nebeneinkunftsarten bestimmte Veräußerungsgewinne durch einen Einkünftetatbestand berücksichtigt, den er als Einkünfte aus Spekulationsgeschäften überschrieben hat (§ 23 i. V.m. § 22 Nr.2 EStG). Dem Normgehalt nach handelt es sich jedoch um Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften,38 die durch Besitzzeitspannen, die vom Gesetz als "Spekulationsfristen" bezeichnet werden, eingeschränkt sind. 39 Hinzu kommt, daß die Überschußrechnung in § 8 Abs.l EStG einen Einnahmenbegriff enthält, mit dem Veräußerungsgewinne durchaus zu erfassen sind,4O so daß die Nichterfassung durch eine Überschußrechnung, wie sie de lege lata besteht, nicht zwingend ist. Dies macht an verschiedenen Stellen bereits das geltende Einkommensteuergesetz deutlich: So ist die in § 23 Abs.4 Satz 1 EStG als Veräußerungsgewinn bezeichnete Größe kein Gewinn im Sinne des § 4 Abs.l EStG, sondern das Ergebnis einer Überschußrechnung,41 in deren Rahmen der Veräußerungspreis nach § 23 Abs.4 EStG eine Einnahme im Sinne des § 8 Abs.l EStG darstellt. 42 Andererseits kann der Gewinn im Sinne des § 2 Abs.2 Nr.l EStG auch durch die Überschußrechnung der Einnahmen über die Ausgaben nach § 4 Abs.3 EStG ermittelt werden. 43 Die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne beruht somit nicht systembedingt und zwingend auf der unterschiedlichen Einkünfteermittlung, insbesondere nicht auf der Überschußrechnung bei den Nebeneinkunftsarten.

38 39 40

41 42 43 Fn.2.

Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 23 Rdn.2, Näheres zum Charakter des § 23 EStG unten § 23 I. 2, der Untersuchung.

Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/88, S.222. Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 23 Rdn.2 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/88, S.221. Ebenso Lindenberg, Abgezinste Wertpapiere im Einkornrnensteuerrecht, Diss. 1990, S.131

Drittes Kapitel

Situation de lege lata - Konsequenzen für die Untersuchung § 4 Kritik der Literatur am EStG und Forderungen de lege ferenda I. Autbebung des Dualismus der Einkünfteermittlung und die Einführung eines monistischen Systems

Die in § 2 Abs.2 EStG angelegte Konzeption des Einkünftedualismus unterliegt scharfer Kritik in der Literatur,l die insbesondere von Tipke angeführt wird. 2 Tipke sieht in dem Einkünftedualismus ein Messen mit zweierlei Maß, 3 das auf zwei unterschiedliche Einkommensbegriffe hinauslaufe und einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstelle. Für Tipke verkörpern die Gewinne bzw. Überschüsse aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen sowohl im betrieblichen als auch im privaten Bereich wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Er sieht in dem Leistungsfahigkeitsprinzip nicht nur den Belastungsbzw. Steuerverteilungsmaßstab, sondern auch das Kriterium, das über eine Steuerwürdigkeit eines wirtschaftlichen Vorgangs entscheidet. 4 Er hält daher den Einkünftedualismus für verfassungswidrig und fordert eine ausnahmslose Besteuerung aller Veräußerungsgewinne durch die Einführung eines monistischen Systems. 5 Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteennittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981; Zimmermann, Das Problem der Gerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, 1978. 2 Tipke, FS-Paulick, 1973, S.391 ff.; Tipke, JuS 1985, S.347; ders., StuW 1980, S.289; Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl, 1991, S.233 ff. 3

S.23. 4

Ebenso Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, Ebenso wohl BierganslWasmer, FR 1985, S.62.

5 TipkeiLang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.233, 235; sehr zurückhaltend bezüglich einer Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Besteuerung der Veräußerungsgewinne: Herzog, StbJb. 1985/86, S.36 f

§ 4 Kritik. der Literatur am EStG und Fordenmgen de lege ferenda

31

11. Andere Reformvorschläge

Die Steuerreformkommission6 hat sich dafür ausgesprochen, es bezüglich der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne im Grundsatz bei den beiden Gruppen der Grundstücke und Wertpapiere/sonstige Gegenstände zu belassen, da bei diesen erfahrungsgemäß die meisten Umsätze getätigt werden. 7 Sie hält es auf Grund des Ausnahmecharakters der Besteuerung dieser außerbetrieblichen Veräußerungsgewinne nicht für richtig, diese zeitlich unbegrenzt zu erfassen. Dies würde nach Einschätzung der Kommission nur zu einer Erstarrung des Grundstücksmarktes und damit zu weiteren Preissteigerungen führen. Der Vorschlag der Kommission geht daher auf eine Ausdehnung der Spekulationsfrist lediglich für Grundstücke auf acht Jahre, wobei sich der Steuersatz mit zunehmender Besitzdauer vermindern soll. 8 Warum die "Spekulationsfristen" für sonstige Wirtschaftsgüter nicht ausgedehnt werden sollten, läßt die Kommission offen. Der Grund hierfür ist wohl darin zu sehen, daß ansonsten z.B. nahezu alle Verkäufe privater PKWs, die die größte Zahl privater Veräußerungen ausmachen, steuerlich erfaßt würden. In diesem Fall müßten Aufwendungen der Steuerpflichtigen, die die Lebensdauer des Gegenstandes verlängert, den Wert erhöht oder die Substanz erhalten haben, bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns ihren Niederschlag finden. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme der Abgrenzung abziehbarer Aufwendungen von den nicht abziehbaren der privaten Lebensführung (§ 12 EStG) sind nicht lösbar. 9 Daher will auch Merkenich 10 nur eine Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus Gegenständen, die der Einkünfteerzielung gedient haben, durch eine Ausweitung des Einnahmenbegriffs in § 8 Abs.l EStG erreichen. Gaddum 11 möchte zwar unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit private Veräußerungsgewinne in die Besteuerung miteinbeziehen, was nach 6

7

BMF, Gutachten der 8teuerreformkommission 1971, II TZ.981f. BMF, Gutachten der 8teuerreformkommission 1971, II TZ.96.

EbensoMönterlZiemer, Die Besteuerung der Bodenwertsteigerung, Fu8t 141, 8.32 f. 9 Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981, 8.53. 10 Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981,8.100.

Drittes Kapitel: Situation de lege lata - Konsequenzen fiir die Untersuchung

32

seiner Ansicht durch die Streichung der Spekulationsfristen in § 23 EStG geschehen sollte. Doch räumt er ein, daß eine zeitlich unbegrenzte Erfassung privater Veräußerungsgewinne, vor allem privater Grundstücke und Wertpapiere, mit großem Aufwand verbunden wäre. In Anbetracht dieses Umstandes plädiert Gaddum daher dafür, die Steuergerechtigkeit durch eine Verlängerung der Besitzzeiten in § 23 EStG zu verbessern, auch wenn dies letztlich unbefriedigend sei. Erst nach Ablauf der Besitzzeiten sollte eine gänzliche Steuerfreiheit eintreten. Gegen erweiterte Spekulationsfristen wendet sich das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler,12 da die Gefahr bestehe, daß die verlängerten Fristen von den Steuerpflichtigen bis zum Ablauf abgewartet werden und nur diejenigen getroffen würden, die durch eine Notlage zur Veräußerung gezwungen seien. Es wird daher vorgeschlagen, die bisherige Regelung beizubehalten. Diesen Vorschlägen tritt Lang 13 mit der Forderung einer grundlegenden Änderung des gesamten Einkommensteuergesetzes entgegen. Nach §§ 24 Abs.2, 26 seines EStG-Entwurfes sollen Veräußerungsgewinne aus privatem Erwerbsvermögen der Steuerpflicht unterliegen. Doch will Lang zwischen langfristig und kurzfristig erwirtschafteten Veräußerungsgewinnen differenzieren, um dem bei langfristigen Veräußerungsgewinnen auftretenden Problem der Scheingewinnbesteuerung entgegenzuwirken. Hierzu soll bei allen langfristig erwirtschafteten betrieblichen und privaten Veräußerungsgewinnen ein jährlich ansteigender Gewinnanteil freigestellt werden. 14

11

Steuerrefonn: einfach und gerecht!, Für ein besseres Einkommensteuerrecht, 1986, S.35.

12 Schelle/vArnim, u.a, Der Weg zu einem zeitgemäßen Steuersystem, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 20, S.159 f 13

14

Refonnentwurfzu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.53, 65 ff., 96 f Vgl. auch Lang, Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987, S.24.

§ 5 Handhabung durch die Rechtsprechung

33

§ 5 Handhabung durch die Rechtsprechung I. Das Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht Tipkes, der Dualismus der Einkünfteermittlung und die unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne verstieße gegen den Gleichheitssatz und sei darum verfassungswidrig, nicht gefolgt. 15 Es respektiert das duale System und akzeptiert die beiden Methoden der Einkünfteermittlung als Subsysteme. 16 11. Die Finanzgerichtsbarkeit

Auch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit haben an dem Dualismus keinen Anstoß genommen. Es ist bei ihnen im Gegenteil verstärkt die Tendenz festzustellen, sich die unterschiedliche Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten zunutze zu machen. Zum einen unterwerfen sie Veräußerungsgewinne aus dem privaten Bereich, insbesondere bei Grundstücksverkäufen, durch eine Umqualifizierung in gewerbliche Einkünfte der Besteuerung. 17 Die Finanzgerichtsbarkeit dehnt durch eine starre Typisierung den Begriff des Gewerbebetriebs aus, indem sie bei mehr als drei Grundstücksverkäufen in fünf Jahren gewerblichen Grundstückshandel annimmt. 18 Damit unterstellt sie, bei nach dem äußeren Anschein normalen Fällen der Vermögensverwertung, in denen ersichtlich ohne spekulative (und damit wohl auch gewerbliche) Absichten Privatvermögen veräußert wird, automatisch eine gewerbliche Tätigkeit. 19 Die Rechtsprechung übersieht dabei allerdings, daß die nur schwer widerlegbare Vermutung einer gewerblichen Tätigkeit eine Beweislasturnkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen darstellt,20 die gegen den 15 BVerfGE 26, S.302, 310 ff.; vgl. auch die Kritik Tipkes an dieser Rechtsprechung in: StuW 1971, S.8 ff. und in: Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 1981, S.72 ff. 16

BVerfGE 26, S.302, 310 ff.; BVerfGE 27, S.III, 127; BVerfGE 28, S.227, 237 ff.

17 Vgl. zur Problematik: Lang, StKongRep. 1988, S.49 ff.; Marhofer-Ferlan, Veräußerungen von Privatvermögen und § 15 EStG, Diss. 1990. 18 BFH, BStBl. II 1988, S.244, 245; BFH, BStBl. II 1988, S.277, 278 f; BFH, BStBl. II 1988, S.293, 294 f; BFH, BStBl. II 1990, S.1051, 1052; BFH, BStBl. II 1990, S.1054, 1055; ebenso die Finanzverwaltung: BMF-Schreiben, BStBl. I 1990, S. 884. 19

Vgl. Bähr, DStR 1969, S.618.

20 Weber-Grellet, StuW 1981, S.52; zur grundsätzlichen Beweislast der Finanzbehörde vgl. Hartung, StuW 1956, Sp.885;Metzler, Zur Problematik der Sätze "in dubio pro fisco" und "in dubio 3 Durchlaub

Drittes Kapitel: Situation de lege lata - Konsequenzen fiir die Unte!suchung

34

Amtsermittlungsgrundsatz des § 88 Abs.l AO verstößt. 21 Zum anderen hat der Bundesfinanzhof betrieblich ausgewiesene Veräußerungsverluste dadurch von der Saldierung mit anderen Gewinnen ausgeschlossen, daß er diese Verluste dem Privatvermögen zugeordnet hat. 22 Die unterschiedliche Besteuerung von Veräußerungsgewinnen wird daher in der Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit durchaus instrumentalisiert, um Gewinne und Verluste in die Betriebsoder Privatsphäre zu verlagern und sie so steuerlich zu berücksichtigen oder für unbeachtlich zu erklären. Dabei kann die Instrumentalisierung der unterschiedlichen Behandlung der Veräußerungsgewinne dazu führen, daß vornehmlich solche Veräußerungsvorgänge, die zu Gewinnen führen, in die betriebliche Sphäre eingeordnet werden und damit die Einkünfte erhöhen, und solche, die einen Verlust aufweisen, der Privatsphäre zugeordnet werden, in der sie die Einkünfte nicht mindern können. Ebenso muß die Tendenz der Rechtsprechung registriert werden, in Fällen einer "Vermeidung der Spekulationssteuer" nach § 23 EStG, also immer dann, wenn nach Ablauf der Spekulationsfrist erhebliche Veräußerungsgewinne erzielt werden, in der Regel einen Gewerbebetrieb anzunehmen. 23 Wenn sich dagegen der Steuerpflichtige die unterschiedliche Ermittlung der Einkünfte zunutze machen will, so reagiert die Finanzgerichtsbarkeit in der Regel ablehnend. Dies zeigt die Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung, deren steuerlichen Gründe nicht nur in einer Gewerbesteuerersparnis liegen, sondern auch von dem Gedanken getragen sind, Grundbesitz und andere Wirtschaftsgüter nicht einer Haupt-, sondern einer Nebeneinkunftsart zu unterwerfen, um einer Besteuerung der Veräußerungsgewinne zu entgehen. 24 Eine derartige Flucht vor der Besteuerung der Veräußerungsgewinne scheitert nach der höchstrichterlichen Steuerrechtsprechung, wenn alle Anteile am Besitz- und Betriebsunternehmen den gleichen Steuerpflichtigen im gleichen Verhältnis zustehen. 25 Zum gleichen contra fiscum", Diss. jur. 1959, S.98; Ohlms, Die Beweislast und die Verantwortung filr die Aufklärung der Besteuerungsgrundlagen, 1967, S.72 ff.; Tipke, StKongRep. 1967, S.47; zur Zulässigkeit einer Beweislastumkehr: Zapf, Beweislast und Beweisfilhrungslast im Steuerprozeß, 1976, S.74 ff. 21 Vgl. Marhofer-Ferlan, Veräußerungen von Privatvermögen und § 15 EStG, Diss. 1990, S.336 ff., 341 ff. 22

BFH, BStBI. II 1982, S.461, 462.

23 Vgl. hierzu als Beispiel BFH, BStBI. III 1964, S.137 f., wonach filr eine eingeschränkte Auslegung des Gewerbebetriebsbegriffs dann keine Veranlassung bestehen soll, wenn es sich um die Bodenspekulation am Rande wachsender GroßstäUe handelt. Siehe auch Bähr, DStR 1969, S.618. 24

Vgl. Jehner, DStR 1988, S.268.

§ 6 Kritik an der Bewertung in der Literatur - Komequenzen

35

Ergebnis kommt die Rechtsprechung aber auch, wenn dieselben Personen zu mehr als 50 v.R. am Betriebs- oder Besitzunternehmen beteiligt sind. 26 In diesen Fällen bejaht sie eine gewerbliche Tätigkeit des Besitzunternehmens, obwohl nach der äußeren Gestaltung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorliegen müßten. Der Kunstgriff einer unterstellten Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr des Besitzunternehmens mittelbar durch das Betriebsunternehmen auf Grund bereitgestellter wesentlicher Betriebsgrundlagen und personeller Verflechtungen macht dies möglich. 27 Dieser Umgang der Rechtsprechung mit dem Einkünftedualismus zeigt, daß ihm ein hoher Stellenwert zugebilligt wird. 28 Der Einkünftedualismus wird von der Rechtsprechung nicht nur hingenommen, sondern durch oben angeführte Entscheidungsbeispiele aufrechterhalten und ausgebaut. Ob diese Tendenzen der Rechtsprechung eine "fiskalische" Grundhaltung zum Ausdruck bringen oder vielleicht - bei aller Kritik an den oben genannten Rechtsprechungsbeispielen - gerade die systematische Konsequenz und Notwendigkeit der Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne zutage fördert, wird die anstehende Untersuchung noch zeigen müssen.

§ 6 Kritik an der Bewertung in der Literatur - Konsequenzen I. Grenzen der Besteuenmg privater Veräußenmgsgewinne

Die These Tipkes, alle privaten Veräußerungsgewinne einer Besteuerung zu unterwerfen, bedarf schon auf Grund des derzeitigen Systems des EStG einer Differenzierung. Der Ausgangspunkt dieser Forderung basiert auf einem vermeintlichen Verstoß gegen Art.3 Abs.l GG. Tipke sieht die unterschiedliche 25

BFH GrS, BStB\. 11 1972, S.63, 64 f.

26 BFH, BStBI. 11 1972, S.796, 798; BFH, BStBI. 11 1986, S.611, 613; BFH, BStBl. 11 1987, S.120, 121. 27 Die Frage nach der eigentlichen Rechtsgrundlage dieser Rechtsprechung muß gestellt werden. Der Hinweis Schmidts in: Schmidt, EStG, 10. Aufl., § 15 Anm.142, die gesetzliche Grundlage des Rechtsinstituts der Betriebsaufspaltung sei ein in wertender Betrachtungsweise und unter verfassungsrechtlichen Aspekten (Art.3 GO) richtig verstandener Begriff des Gewerbebetriebs i.S.v. § 15 Abs.l Satz 1 Nr.l, Abs.2 EStG, ist nicht befriedigend. 28

Gleiche Einschätzung: Jehner, DStR 1988, S.268 und 270.

Drittes Kapitel: Situation de lege lata - Konsequenzen fiir die Untersuchung

36

Besteuerung von Veräußerungsvorgängen im Betriebs- und Privatvermögen als nicht zu rechtfertIgende Ungleichbehandlung an. Unterstellt man dies einmal als zutreffend,29 so schießt die Konsequenz, die er mit der Forderung der Besteuerung a1ler(!) privaten Veräußerungsvorgänge zieht, doch insoweit über das Ziel hinaus, als bei den betrieblichen Einkunftsarten nur Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen steuerbar sind, die zur Einkünfteerzielung gedient haben. Aus Art.3 Abs.l GG ließe sich daher wenn überhaupt, nur dann eine Besteuerung der privaten Veräußerungsvorgänge begründen, wenn sie auf Objekte beschränkt bliebe, die der Erzielung von Einkünften gedient haben. 30 Weitergehende Forderungen lassen sich aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht ableiten. Schließlich bleibt bei Tipkes Beurteilung der Gleichheitsproblematik bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen unberücksichtigt, daß die Nichtberücksichtigung von Wertveränderungen bei den Überschußeinkünften auch eine negative Komponente hat, da auch realisierte Wertverluste steuerunerheblich bleiben. 31 Diesen möglichen Rechtfertigungsgesichtspunkten wird im Verlauf der Untersuchung weiter nachzugehen sein. 32

n. Unaehe für die Steuerfreiheit privater Veräußenmgsgewinne: Einkünfte(ermittlungs)dualismus - Einkommensbegriff?

Die Ansicht, daß der Einkünftedualismus als Ursache für die unterschiedliche Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne zu beseitigen und ein monistisches System der Einkünfteermittlung zur Besteuerung aller Veräußerungsgewinne einzuführen wäre, ist die Schlußfolgerung aus einer Kritik am Einkünftedualismus, die, soweit sie auf die Besteuerung von 29

Daß das Gegenteil der Fall ist, wird im Verlauf der Untersuchung noch aufzuzeigen sein.

30 Für eine solche Lösung: Altoifer, Geschäftsvermögen und Privatvermögen im Einkommensteuerrecht, 1959; Höhn, Die Besteuerung der privaten Gewinne, 1955; Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.98 ff; Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981, S.51 ff

31

Crezelius, Steuerrecht Il, 1991, S.34.

32

Vgl. unten §§ 14 ff der Untersuchung.

§ 6 Kritik an der Bewertung in der Literatur - Konsequenzen

37

Veräußerungsgewinnen bezogen wird, um mit Meincke33 zu sprechen, "unter falscher Flagge segelt". Wer dafür eintritt, über die §§ 17, 23 EStG hinaus alle privaten Veräußerungsgewinne zu besteuern, der wendet sich der Sache nach nicht gegen die Methode der Einkünfteermittlung, sondern gegen den Gegenstand der Einkommensteuer. 34 Die Kritik Tipkes und anderer Vertreter in der Reformliteratur35 läuft somit auf die Forderung nach der Einführung einer achten Einkunftsart hinaus. Diese achte Einkunftsart "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften" ist teilweise bereits durch den BFH auf "kaltem Wege" eingeführt worden. Die Rechtsprechung 36 zur Besteuerung der Mitunternehmerschaft qualifiziert mit dem Argument des Beitraggedankens37 und der Gleichstellung von Mit- und Einzelunternehmer38 alle Wirtschaftsgüter, die der Gesellschaft vom Mitunternehmer zur Verfügung gestellt werden, als (Sonder-)Betriebsvermögen,39 obwohl sie im Eigentum des Mitunternehmers stehen und damit Privatvermögen wären. 40 Mit der Kreation des Sonderbetriebsvermögens, das in § 15 Abs.l Satz 1 Nr.2 EStG keine Grundlage hat,41 verfolgt die Rechtsprechung das Ziel, Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Mitunternehmers, die er der Mitunternehmerschaft zur Verfügung gestellt hat, einkommensteuerlich zu erfassen. Bei der Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung geht der BFH mit der gleichen Zielsetzung 33 34

in: LittmanniBitzlMeincke, EStG § 2 Rdn.l01.

Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG § 2 Rdn.l 0 1.

35 Vgl. Lang, Refonnentwurfzu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.23; Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteennittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981; Zimmermann, Das Problem der Gerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, 1978.

36 BFH, BStBI. II 1976, S.180; BFH, BStBI. II 1977, S.150; BFH, BStBl. II 1986, S.838; BFH, BStBl. II 1986, S.55 m.w.N. 37 Zum Beitraggedanken vgl. Woerner, BB 1974, S.596 ff.; ders., BB 1975, S.645 f.; D611erer, DStZ CA) 1974, S.211 ff.; ders., DStZ CA) 1976, S.435 ff.

38 Vgl. zur Gleichstellungsthese: BMF-Schreiben v. 20.12.1977, BStBI. I 1978, S.8 Tz.2; Bordewin, BB 1978, Beilage 2, S.8 f.; Kurth, StuW 1978, S.203; Lang, StuW 1978, S.216; S6ffing, StbJb. 1976177, S.247; Uelner, DStZ (A) 1978, S.259. 39

Sog. Sonderbetriebsvennögen I und II.

40 Die Einordnung dieser Wirtschaftsgüter als Betriebsvermögen wird damit begründet, daß § 15 Abs.l Satz 1 Nr.2 EStG die Vergütung als gewerbliche Einnahmen des Gesellschafters qualifiziert. Hieraus soll sich ergeben, daß notwendigerweise auch das Wirtschaftsgut, das zur Erzielung der gewerblichen Einnahmen eingesetzt wird, Betriebsvennögen ist. Dieser Schluß ist jedoch aus dem EStG nicht ableitbar. Gemäß § 17 EStG können auch ohne Annahme eines Gewerbebetriebes und eines Betriebsvennögens Einnahmen des Steuerpflichtigen als gewerblich qualifiziert werden. Vg1. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 6.Aufl., 1987, § 11 II. 2., S.335.

41 Vgl. hierzu die Kritik von Keuk, Besteuerung des Gewinns der Personengesellschaften und der Sondervergütungen der Gesellschafter, 1974, S.1 ff.; Kruse, DSUG 2 (1979), S.37 ff.; Thiel, StuW 1984, S.104 ff.

Drittes Kapitel: Situation de lege lata - Konsequenzen fiir die Untersuchung

38

vor. 42 Auf Grund dieser Beispiele wird deutlich, daß eine achte Einkunftsart "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften" von der Reformliteratur nicht nur propagiert wird, sondern von der Rechtsprechung bereits durch die problematische Handhabung der Besteuerung der Mitunternehmerschaft und der Betriebsaufspaltung auf "kaltem Weg" eingeführt worden ist. Entscheidend für die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne ist damit in erster Linie nicht der kritisierte Einkünftedualismus, sondern die Definition des Steuergegenstandes. Hier hätte eine Kritik anzusetzen. Doch ist dem Einkommensbegriff mit dem von den Kritikern gerügten Art.3 Abs.l GG nicht beizukommen. III. Das Leistungsfähigkeitsprinzip als tragender Grund für eine Einbeziehung privater Veräußerungsgewinne in die Besteuerung?

Schließlich ist Tipkes Sicht des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in bezug auf eine Einführung der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne klärungsbedürftig. Er begründet die Forderung nach der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne damit, daß Veräußerungsgewinne auch im Privatvermögen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen; wenn das EStG sich nun an dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit orientiert, so müßten diese Gewinne auch besteuert werden. 43 Diese Ableitung ist, so logisch sie zunächst anmuten mag, schief. Das EStG ist als Einkommensteuergesetz und nicht als Gesetz zur Besteuerung der Zunahme an wirtschaftlicher Leistungsfahigkeit konzipiert und ausgestaltet. 44 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist mit steuerlicher Leistungsfähigkeit zwar oft, aber nicht immer gleichzusetzen. 45 Die Frage der Definition des Einkommens und die Frage der Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind damit nicht deckungsgleich. Die Definition des Einkommens ist weitaus komplexer und hat eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Die Einkommensteuer will aus diesem Grund nicht ausnahmslos jede Zunahme an 42 43

S.235.

VgJ. oben § 5 11. der Untersuchung. VgJ. Tipke, Steuerrecht, 11.Aufl., 1987, S.223 und TipkeILang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991,

44

Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG § 2 Rdn.l02.

45

Lindenberg, Abgezinste Wertpapiere im Einkommensteuerrecht, Diss. 1990, S.150.

§ 6 Kritik an der Bewertung in der Literatur - Konsequenzen

39

wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfassen, sondern nur die Zunahme an Leistungsfähigkeit durch Erwerb von Einkommen. 46 Es soll also nur die Steigerung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden, die vom Einkommensteuerrecht als steuerrechtlich erheblich bewertet wird. Was als steuerrechtlich erheblich zu bewerten ist, bestimmt sich aber nach anderen Kriterien als nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Anders zu verfahren wäre ein Zirkelschluß. Die Einkommensteuer orientiert sich nur deshalb an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil nur dort mit der Besteuerung angesetzt werden kann, wo etwas zu holen ist und diese Verfahrensweise auf breitem Konsens beruht. 47 Eine Verpflichtung, jede wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu besteuern, folgt daraus nicht. Wird daher durch einen tatsächlichen Vorgang des Wirtschaftslebens, wie z.B. der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen erhöht, so liegt es nur am Einkommensteuerrecht, sprich an der Entscheidung des Gesetzgebers, ob er diese Steigerung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auch als Steigerung steuerlicher Leistungsfähigkeit bewertet. 48 Diese Kompetenz kann dem Gesetzgeber niemand absprechen. Wenn der Gesetzgeber hinsichtlich des Gleichheitssatzes zu entscheiden hat, was wesentlich gleich und was wesentlich ungleich ist,49 dann muß der Gesetzgeber auch entscheiden, ob ein Vorgang steuerliche Leistungsfähigkeit indiziert und die Besteuerung rechtfertigt. Primärer Anknüpfungspunkt für die Frage, ob private Veräußerungsgewinne zu besteuern sind, ist also nicht die Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch einen Vorgang, sondern die Frage, ob durch diesen Vorgang Einkommen bezogen wird, er also vom Einkommensbegriff - wie dieser auch zu definieren ist - erfaßt und daher als steuerlich belastungswürdig eingestuft wird. Erst hierdurch wird der Vorgang als ein die steuerliche Leistungsfähigkeit erhöhender Vorgang bewertet, der die Belastungswirkung auslöst. Es besteht also ein gestuftes Verhältnis zwischen wirtschaftlicher und steuerlicher Leistungsfähigkeit. Wer diese Stufenfolge mißachtet, läuft Gefahr, durch die primäre Ausrichtung am rein wirtschaftlich definierten Leistungsfähigkeits46

Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 20; Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG

47

Vgl. Arndt, FS-Mühl, 1981, S.29.

§ 2 Rdn.21.

48

Ebenso Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, S.357, der wirtschaftliche Leistungsflihigkeit mit dem zivilrechtlich erreichten Geschlftsergebnis gleichstellt, an das die Entscheidung anknüpft, in welchem Maße die Leistungsflihigkeit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen ins Steuergesetz einbezogen werden soll.

49

571.

So BVerfG st. Rspr.: BVerfGE 25, S.371, 400; BVerfGE 53, S.164, 178; BFHE 161, S.570,

Drittes Kapitel: Situation de lege lata - Konsequenzen fiir die Untersuchung

40

prinzip den Gerechtigkeitsgedanken im Steuerrecht auf das Gebot der (formalen) Gleichbehandlung zu reduzieren und damit andere für die innere Ausgewogenheit des Einkommensteuerrechts bedeutsame Gesichtspunkte zu unterschätzen. 50 IV. Ergebnisse und Konsequenzen der Kritik für die Untersuchung

Für die weitere Untersuchung lassen sich damit folgende Zwischenergebnisse zusammenfassen: Für eine Besteuerung auch der privaten Veräußerungsgewinne kommt als äußerste Lösung nur die Besteuerung der Veräußerungsvorgänge in Betracht, die Gegenstände betreffen, die der Einkünfteerzielung gedient haben. Andere Gegenstände, insbesondere Konsumartikel (privater PKW etc.), bleiben aus Gründen der Abgrenzung zwischen Erhaltungs- und Verbesserungsaufwendungen einerseits und unbeachtlichen Aufwendungen der privaten Lebensführung andererseits51 von vornherein weiterhin ausgenommen. Bei der Frage, wie eine einheitliche Besteuerung von Veräußerungsgewinnen erreicht werden kann, ist auf die Ursache für die unterschiedliche Behandlung abzustellen. Der Einkünftedualismus darf nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, was nicht in erster Linie durch ihn verursacht wird. 52 Das Augenmerk ist daher auf das Objekt der Einkommensteuer zu richten. Dabei muß jedoch vermieden werden, übereilt auf die durch Veräußerungsgewinne gestiegene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzustellen, damit der entscheidende Bezugspunkt, der Einkommensbegriff, nicht aus dem Auge verloren wird. Diesen gilt es, wohl auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, aber auch unter Berücksichtigung anderer Vorgaben des Einkommensteuerrechts, zu überdenken und herauszuarbeiten.

50

Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG § 2 Rdn.l02; vgl. auch Bayer, FR 1983, S.108.

51

Vgl. oben § 4 11. der Untersuchung.

52

Siehe oben § 6 11. der Untersuchung.

Viertes Kapitel

Rechtfertigungen für die Steuerfreiheit privater VGe Nach der Analyse der unterschiedlichen Besteuerung der Veräußerungsgewinne 1 und der hieran geltend gemachten Kritik2 sollen im Folgenden Rechtfertigungsmöglichkeiten für die derzeitige Besteuerung von Veräußerungsgewinnen untersucht werden.

§ 7 In Betracht kommende Veräußerungsobjekte Das Steuerrecht erfaßt eine Reihe von Lebenssachverhalten, die eine Vielzahl von Unterschieden und Eigenarten aufweisen, die sich auf die Besteuerung auswirken können. Für die Untersuchung der Rechtfertigung der Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne sollen daher Gruppen gebildet werden, die nach dem Veräußerungsobjekt differenzieren und auf Grund ihres Wertcharakters bei Veräußerungen häufig in Erscheinung treten. Dies sind hauptsächlich: 1. Grundstücke mit oder ohne aufstehende Bauten, 2. Wertpapiere, 3. Edelmetalle (in Barren oder Münzen), Kunstgegenstände und Antiquitäten.

Diese Veräußerungsobjekte lassen sich nach Eigenschaften wie Liquidität, Wertzuwachsmöglichkeiten pro Zeiteinheit und Ertragsfähigkeit differenzieren, die sich auf die Veräußerung auswirken können. So sind Grundstücke weitaus schwerer in Geld umzusetzen als Wertpapiere oder Edelmetalle. Wertpapiere weisen im Durchschnitt auch wesentlich kürzere Besitzzeiten auf als Grundstücke. Grundstücke und Wertpapiere erwirtschaften laufende Erträge 2

Siehe oben 2. Kapitel der Untersuchung. Siehe oben 3. Kapitel der Untersuchung.

42

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiIr die Steuedi'eiheit privater VGe

im Gegensatz zu den Gegenständen der dritten Gruppe. Wertpapiere sind spekulativer als Grundstücke. Letztere wiederum weisen eine höhere Spekulationsmöglichkeit auf als Edelmetalle etc. Zur Übersicht der Abhängigkeiten soll die folgende tabellarische Darstellung dienen: Tabelle J Übenicht über die relevanten Veräußerungsobjektgruppen und ihre veräuBerungsspezifischen Eigenschaften

Eigenschaft

Liquidität

möglicher Wertzuwachs

laufende Erträge

pro Zeiteinheit Objektgruppe Edelmetalle, Edelsteine,

gering

gering

nicht möglich

Grundstücke

gering

mittel bis gering

möglich

Wertpapiere

hoch

hoch

möglich

etc.

Diese Merkmale können bewirken, daß sich Veräußerungsgewinne wesentlich von allen anderen Einkünften unterscheiden. Die steuerliche Relevanz dieser Merkmale mag man auch daran sehen, daß Veräußerungsgewinnen in nahezu jeder Steuerrechtsordnung bei der Einkommensbesteuerung eine Sonderstellung eingeräumt wird. 3 So unterscheidet das Steuerrecht der angelsächsischen Staaten zwischen "long term gains"4 und "short term gains"5 und privilegiert erstere. 6 Die Unterscheidung zwischen kurzfristig und langfristig erzielten Veräußerungsgewinnen hängt wiederum mit der Spekulationsträchtigkeit, also dem Wertzuwachspotential pro Zeiteinheit zusammen. Eine Untersuchung der möglichen Rechtfertigungen für die Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne hat daher die in Tabelle 1 zusammengefaßten Gruppen von Veräußerungsobjekten mit ihren spezifischen Merkmalen und den sich hieraus fiir die Besteuerung ergebenden Folgerungen zu berücksichtigen.

Wiemer, Nicht einkonunensteuel]lflichtige Einkünfte, 1962, S.22. 4 5 6

S.20 f.

Veräußerung nach mehr als 6 Monaten nach der Anschaffung. Veräußerung innerhalb von 6 Monaten nach der Anschaffung.

Bühler, Die Begünstigung der "Capital Gains" im Steuerrecht der angelsächsischen Staaten,

§ 8 Hindernisse einer Besteuenmg von VGen

43

§ 8 Hindernisse einer Besteuerung von VGen Aus den unterschiedlichen Typen der Veräußerungsobjekte und ihren veräußerungsspezifischen Eigenschaften können sich verschiedene Schwierigkeiten für eine Besteuerung der Veräußerungsgewinne ergeben. Bei Objekten mit typischerweise nur langfristig zu erwartenden Wertzuwächsen kann der Inflationsanteil am Veräußerungsgewinn in Zeiten mangelnder Preisniveaustabilität erheblich sein, so daß es zu einer Scheingewinnbesteuerung kommt. Veräußerungsobjekte mit eher kurzfristigen Besitzzeiten und höheren Wertzuwächsen pro Zeiteinheit sind zwar weniger der Scheingewinnbesteuerung ausgesetzt, doch sind sie für Spekulationen anfaliiger, was nicht nur hohe Gewinne, sondern auch hohe Verluste in sich bergen kann. Diese wirken sich bei ihrer Berücksichtigung in der Bemessungsgrundlage negativ auf das Steueraufkommen aus. Schließlich stellt sich generell das Problem, ob und inwieweit Veräußerungsgewinne als Steuergegenstand in Betracht kommen und an welche Voraussetzungen dies anknüpft. Daher sind bei der Untersuchung der Rechtfertigungsmöglichkeiten der Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne drei Fragestellungen zu erörtern: Zum einen, ob Veräußerungsgewinne zum steuerlichen Einkommen gehören,1 darüberhinaus ob Preisniveauänderungen die Besteuerung der Veräußerungsgewinne beeinflussen8 und schließlich ob kurzfristige, spekulative und damit risikoreiche Veräußerungen Besteuerungsprobleme aufwerfen können. 9

1. Abschnitt: Der Veräußerungsgewinn als steuerliches Einkommen Die Erfassung von Veräußerungsgewinnen durch den Gegenstand der Einkommensteuer ist vor allen anderen Fragestellungen und Problemen, die sich im Zusammenhang mit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen ergeben können, vorgreiflich. Bereits Enno Becker hat die Bedeutung des Steuergegenstandes hervorgehoben: 10

7 9 10

Im folgenden 4.Kapitel1. Abschnitt der Untersuchung. Im folgenden 4.Kapitel 2. Abschnitt der Untersuchung. Im folgenden 4.KapiteI3. Abschnitt der Untersuchung.

Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, S.218.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuetfu:iheit privater VGe

44

"Wenn irgend ein Vorgang - Zufließen eines Gutes, Wegfal1 oder Verlust eines Gutes, Wertsteigerungen oder Wertminderungen - als das Einkonunen berührend angesehen werden sol1, so muß der Rechtsgrund hierfiir darin gefunden werden, daß der Vorgang innerhalb einer der sieben Arten nach der eigentümlichen Natur der betreffenden Art rechtserheblich ist."

Der Steuergegenstand bildet damit die Ausgangsbasis für den Umfang der Besteuerung. Der durch ihn festgelegte Besteuerungsumfang kann nur auf Grund besonderer Umstände durch Ausnahmen reduziert oder erweitert werden. Das Einkommen als Gegenstand der deutschen Einkommensteuer bildet damit auch die Basis für die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen.

§ 9 Entstehungsgeschichte des Einkommensbegriffs I. Das preußische Einkommensteuergesetz vom 24.6.1891 11

Die Geschichte des Einkommensbegriffs ist zugleich die Geschichte der Einkommensteuer. 12 Der Beginn ihrer Entwicklung bis zum geltenden deutschen Einkommensteuergesetz fällt mit dem von Johannes von Miquel 13 im Rahmen der preußischen Einkommensteuerreform geschaffenen Einkommensteuergesetz vom 24.6.1891 (preuß. EStG 1891)14 zusammen. Es war eine der ersten Kodifikationen der deutschen Einkommensteuer und der Prototyp der deutsehen Landeseinkommensteuergesetze vor dem ersten Weltkrieg. 15 Dem Einkommensbegriff des Preuß. EStG 1891 lag die auf Fuisting 16 zurückgehende Quellentheorie zugrunde. Nach dieser Theorie war steuerliches Einkommen nur dann gegeben, wenn es aus einer bestimmten Quelle entsprang und mit ei11 Siehe dazu Fuisting/Strutz, Einkonunensteuergesetz, 8.Aufl., 1915; Gesetzessammlung filr die Königlich-Preußischen Staaten 1891, S.17S ff.; vgl. auch die Aufstel1ung der Einkonunensteuergesetze in den deutschen Einzelstaaten bei H errmannIHeuerlRaupach, Einf ESt, Rdn.ll; zur Entwicklung des Reichssteuersystems vgl. Strotz, EStG, 2. Aufl., 1920 S.1 ff.; Wagner, FinArch. 8. Jg. (1891), S.sS 1 ff.; zur Entwicklung der Einkonunenstheorie und des steuerrechtlichen Gerechtigkeitsideals vgl. Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, 1980, S.S8 ff. und 6S ff.; Kirchhof in: KirchhoflSöhn, EStG § 3 Rdn.A 386. 12 Vgl. Großfeld, Die Einkonunensteuer, 1981; Neumark, Theorie und Praxis der modernen Einkonunensbesteuerung, 1947, S.169 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, 1980, S.S8 ff. 13

14 15

16

Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, später preußischer Finanzrninister. Gesetzessamm1ung filr die Königlich-Preußischen Staaten 1891, S.17S ff.

Tipke, Steuerrecht, 1 1. Aufl., 1987, S.168. Die preußischen direkten Steuern, Bd.4: Grundzüge der Steuerlehre, S.110, 147 ff.

§ 9 Entsteh\lllg1lgeschichte des Einkommensbegriffs

45

ner gewissen Regelmäßigkeit aus dieser hervorging. 17 Die Quellentheorie als Grundlage des Einkommensbegriffs unterschied damit zwischen der Quelle und den aus ihr hervorgehenden Erträgen. Nur letztere waren Einkommen. Sowohl einmalige Vermögenszugänge, die auf keine Quelle zUIÜckzuführen waren, als auch Gewinne aus der Veräußerung des Stamm- oder Quellvermögens stellten kein Einkommen dar. 18 Wertveränderungen dieses Vermögens waren nicht Erträge der Quelle, sondern betrafen die Quelle selbst. Nach dieser Theorie waren einmalige Vermögenszuflüsse und insbesondere private Veräußerungsgewinne nicht vom EinkommensbegrifI umfaßt und damit nicht steuerbar. 19 11. Das Reichseinkommensteuergesetz vom 29.3.1920

Das Reichseinkommensteuergesetz vom 29.3.1920 20 brachte bezüglich der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen eine Wende in den Einkommensbegriff. Nach § 5 EStG 1920 gehörten zum steuerbaren Einkommen die dort näher bezeichneten Einkünfte "ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einmalige oder wiederkehrende Einkünfte handelt oder aus welchem rechtlichen oder tatsächlichen Grunde sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind". Gemäß § 11 Nr.5 EStG 1920 waren die durch Veräußerungsgeschäfte erzielten Gewinne ausdrücklich steuerbar. Diese Änderung in der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen durch eine neue Fassung des Einkommensbegriffs ging auf die Schanz'sche Reinvermögenstheorie 21 zurück. 22 Sie suchte alle Reinerträge und Nutzungen, Geschenke, Erbschaften, Lotteriegewinne und realisierte Wertzu17

Fuisting, Die preußischen direkten Steuern, Bd.4: Grundzüge der Steuerlehre, S.110, 147 ff.

18 Fuisting, Die preußischen direkten Steuern, Bd.4: Grundzüge der Steuerlehre, S.ll 0, 151; Fasselt, Wertsteigerungen und Veräußerungsgewinne im Einkommensteuerrecht, 1949, S.5. 19 Dementsprechend lautete § 8 Preuß. EStG 1891: "Außerordentliche Einnahmen aus Erbschaften, Schenkungen, Lebensversicherungen, aus dem nicht gewerbsmäßig oder zu Spekulationszwecken unternommenen Verkauf von Grundstücken und ähnliche Erwerbungen gelten nicht als steuerliches Einkommen, sondern als Vermehrung des Starnmvermögens und kommen ebenso wie Verminderungen des Starnmvermögens nur insofern in Betracht, als die Erträge des letzteren dadurch vermehrt oder vermindert werden." 20 RGBI. I 1920, S.359; amtliche Begründung in: Verhandlungen der verfassungsgebenden

Nationalversammlung, RT-Drucks. Bd.340, Nr.1624.

21

v.Schanz, FinArch. Jg.13 (1896), S.1 ff.; ders., FinArch. Jg. 39 (1922), S.505.

22 So auch die Regierungsbegründung zum REStG-Entwurf vom 29.11.1919, Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, RT-Drucks. Bd.340, Nr.1624 = FinArch. Bd.37 (1920), S.591, 593, die ausdrücklich die Schanz'sche Reinvermögenszuwachstheorie als Grundlage des Gesetzentwurfes benennt.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

46

wächse, also jeden Vermögenszuwachs zu besteuern, ohne daß es auf den Ursprung aus einer Quelle ankam. Diese an der Reinvermögenszuwachstheorie orientierte Besteuerung aller Veräußerungsgewinne konnte sich jedoch nicht lange halten. Schon mit dem Gesetz zur Änderung des EStG vom 24.3.1921 23 wurde der Einkommensbegriff grundlegend geändert und die Besteuerung einmaliger Veräußerungsgewinne auf Spekulationsgewinne beschränkt. 24 Eine Besteuerung unter konsequenter Zugrundelegung der Reinvermögenszuwachstheorie hatte sich schon zu diesem Zeitpunkt unter anderem auch aus Gründen der Inflation in der Praxis als nicht durchführbar erwiesen. 25 III. Das Reichseinkommensteuergesetz vom 10.8.192526

Die Schanz'sche Reinvermögenszuwachstheorie wurde daher schließlich durch das Reichseinkommensteuergesetz vom 10.8.1925 wieder aus dem Einkommensteuerrecht beseitigt. Der von dieser Theorie geschaffene Einkommensbegriff wurde als wirtschaftlich nicht haltbar angesehen. Der Gesetzgeber wollte sich nicht weiter an finanzwissenschaftlichen Theorien orientieren, die für den Einkommensbegriff keine akzeptable Grundlage zur Verfügung stellten. Er schuf, nunmehr losgelöst von Theorien, einen Einkommensbegriff unter wirtschaftlichen und pragmatischen Aspekten,27 der auf einer Aufzählung von acht Einkunftsarten basierte und als Vorläufer unseres heutigen § 2 Abs.l EStG gelten kann. Der Gesetzgeber bewertete mit diesem auf kasuistischer Enumeration basierenden Einkommensbegriff den Grundsatz der Rechtssicherheit und Praktikabilität höher als die Lückenlosigkeit,28 die mit einer

23 24

25

RGBI. 1921, S.313 ff. Kritische Bemerkungen hierzu: v.Schanz, FinArch. Bd.38 (1921), S. 558 ff.

Vgl. zu den Problemen der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen im einzelnen unten 4. Kap. 2. und 3. Abschn. der Untersuchung. 26 Siehe dazu RGBI. I 1925, S.189 ff.; amtliche Begründung in RT-Drucks. IIV795, 1924125, Bd.400, Nr.795; E. Becker, EStG, 1933.

27 RFH, RStBl. 1927, S.198 f.; HerrmamvHeuerlRaupach, EStG § 2 Rdn.la; BlümichIFalk, Ein!., S.2;E. Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, S.205 ff., 213 ff. 28 Siehe die Begründung zum Entwurf des REStG vom 23.4.1925, RT-Drucks. IIV795, 1924125, Bd.400, Nr.795, S.39.

§ 9 Entsteh~geschichte des EinkonunensbegriflS

47

GeneraIklausel eher zu verwirklichen gewesen wäre. 29 Er stellte gleichzeitig klar, daß Gewinne aus Veräußerungsgeschäften nur besteuert wurden, wenn sie als Spekulationsgeschäfte einzuordnen waren, d.h. eine bestimmte Zeitspanne zwischen Erwerb und Weiterveräußerung nicht überschritten wurde. 30 IV. Die Entwicklung vom Reichseinkommensteuergesetz vom 16.10.193431 zum EStG vom 27.2.198732

Diese durch das Reichseinkommensteuergesetz vom 10.8.1925 eingeleitete Entwicklung wurde mit dem Reichseinkommensteuergesetz vom 16.10.1934 fortgeführt. Es wurden lediglich die acht Einkunftsarten des EStG 1925 auf sieben reduziert, indem die siebte und achte Einkunftsart des EStG 1925 zusammengefaßt wurden. Die Gesetzesbegründung zum Einkommensbegriff wies darauf hin, daß das Gesetz - ohne Anlehnung an wissenschaftliche Lehrmeinungen - den Einkommensbegriff im Anschluß an des EStG von 1925 ausschließlich in einer für die Zwecke der Besteuerung möglichst geeigneten Weise gefaßt habe. 33 Die kasuistisch enumerative Definition des Einkommens wurde ebenfalls aus Gründen einer für die Besteuerung möglichst praktikablen Einkommensdefinition auch im EStG 1987 beibehalten. 34 Das EStG 1934 ist somit auch das Grundgerüst für das geltende EStG 1987. V. Die Forderung nach einer Besteuerung privater Veräußerungsgewinne vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Einkommensbegriffs

Die Forderung nach einer Besteuerung aller privaten Veräußerungsgewinne beruht daher auf dem Anliegen der Wiedereinführung der Reinvermögenszuwachstheorie. Nach den Vertretern einer achten Einkunftsart gewährleistet nur die Reinvermögenszuwachstheorie die Erfassung der kompletten Leistungsfa29 Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteennittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, 1981, S.23. 30

§ 41 Abs.l Ziff.l i.V.m. § 42 Abs.l Satz 1 EStG 1925.

31 Amtliche Begründung im RStB\. 1935, 8.33 ff.; Vangerow, Einkommensteuergesetz vom 27. Februar 1939, 1943. 32 33

BGB\. I 1987, S.657 ff.

34

BGB\. I 1987, S.657 ff.

Begründung in RT-Drucks. III Nr.795 (1924/25).

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

48

higkeit, die der Steuer zu unterwerfen ist. 35 Die Reinvennögenszuwachstheorie hätte jedoch nur unter der Prämisse eine Berechtigung, daß das Leistungsfahigkeitsprinzip der (einzige) Rechtfertigungsgrund für die Einkommensbesteuerung wäre. 36 Dem ist jedoch nicht so. Steuerwürdig ist nur die Zunahme wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, die vom Einkommensteuerrecht, also vom Gesetzgeber, als steuerrechtlich erheblich bewertet wird. Was als steuerrechtlich erheblich zu bewerten ist, bestimmt sich aber nicht nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, da ansonsten ein Zirkel schluß vorläge. 37 Auf diesen gedanklichen Fehler ist auch der fehlgeschlagene Versuch zurückzuführen, die Reinvennögenszuwachstheorie im EStG 1920 durchzusetzen. Zahlreiche Ausnahmen in § 12 EStG 1920 ließen dies damals schon absehen. 38 Die schon nach kurzer Zeit wieder eingeführte Steuerfreiheit einmaliger Veräußerungsgewinne39 durch das Änderungsgesetz vom 24.3.1921 und die endgültige Verbannung der Reinvennögenszuwachstheorie durch das EStG 1925 haben es bestätigt. Enno Becker4° hat die Abkehr des Einkommensteuergesetzes von finanzwissenschaftlichen Theorien unter Hinwendung zu einem abschließenden enumerativen Einkommensbegriff als "großen Fortschritt" bezeichnet. Der Diktion seines letzten Werkes "Die Grundlagen der Einkommensteuer" ist deutlich zu entnehmen, daß er zufrieden war, das Kapitel der Reinvennögenszuwachstheorie in der Einkommensteuergeschichte überwunden zu wissen. Auch die Quellentheorie hat sich nicht halten können. Ihr Anknüpfungspunkt war ebenfalls zu radikal, als daß er sich in aller Konsequenz hätte praktikabel durchsetzen können. Damit steht fest, daß die traditionellen Einkommensbegriffe der Quellenund Reinvennögenszuwachstheorie in der Entwicklung des deutschen Einkommensteuerrechts nie richtig Fuß fassen konnten. Einen traditionellen Einkommensbegriff, der richtungsweisend für die Besteuerung der Veräußerungs35 36 37

TipkeILang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.233 ff.; Tipke, FS-Paulick, 1973, S.391 f. Vgl. Crezelius, Steuerrecht 11, 1991, S.24. Siehe oben § 6 111. der Untersuchung.

38 Insbesondere § 12 Nr.12 und Nr.13 EStG 1920 stellten eine Reihe von Veräußerungsgewinnen unter bestinunten Voraussetzungen von der Besteuerung frei. 39

Mit Ausnahme der SpekulationsgewilUle.

40

Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, S.213.

§ 10 Einkommenstheorie und Gegemtand der Einkommensteuer

49

gewinne de lege ferenda sein könnte, hat es nie gegeben. 41 Dem preußischen Einkommensteuergesetz lag zwar die Quellentheorie und dem Reichseinkommensteuergesetz von 1920 weitgehend die Reinvermögenszuwachstheorie zugrunde. Der Gesetzgeber hat sich jedoch bereits vom Reichseinkommensteuergesetz von 1925 an von wissenschaftlichen Einkommenstheorien getrennt und vom EStG 1934 an den Einkommensbegriff wirtschaftlich und für die Zwecke der Besteuerung pragmatisch gefaßt. 42 Die beiden finanzwissenschaftlichen Theorien haben in der Praxis versagt. Der Streit darüber, ob dem derzeitigen Einkommensteuergesetz mehr die Quellen- oder Reinvermögenszuwachstheorie zugrunde liegen sollte,43 ist daher müßig. Ihm fehlt die historische und praktische Legitimation. 44

§ 10 Einkommenstheorie und Gegenstand der Einkommensteuer I. Notwendigkeit einer einkomrnenstheoretischen Basis als Grundlage der Entscheidung über die Steuerwürdigkeit eines Gegenstandes

Auch wenn der geltende wirtschaftlich pragmatische Einkommensbegriff des § 2 Abs.l EStG keiner traditionellen finanzwissenschaftlichen Einkommenstheorie folgt, so muß ihm doch ein Konzept zugrunde liegen, an Hand dessen die Steuerwiirdigkeit der Veräußerungsgewinne beurteilt werden kann. Das Bedürfnis einer einkommenstheoretischen Basis wird um so deutlicher, betrachtet man die Beziehung zwischen Steuertatbestand und zu besteuerndem Sachverhalt. In vielen Bereichen des öffentlichen Eingriffsrechts wird der Regelungsgehalt der Norm dem Gesetzgeber durch den zu regelnden Sachverhalt 41 Ebenso Friauf, FR 1967, S.447; Lindenberg, Abgezinste Wertpapiere im Einkommen· steuerrecht, Diss. 1990, S.148; D. Schneider, StuW 1971, S.330; a.A: BMF, Gutachten der Steuerreforrnkommission 1971, S.72 (Tz 1146). 42 43

Begründung zum EStG 1934, RStBI. 1935, S.34 f Siehe dazu Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.233; Tipke, FS-Paulick, 1973, S.391 f

44 Nach Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.233 ff.; Tipke, FS-Paulick, 1973, S.391 f, entspringt die unterschiedliche Erfassung der Wertveränderungen im Betriebs- und Privatverrnögen dem Einkünftedualismus, den er seinerseits auf die bei den fmanzwissenschaftlichen Einkommenstheorien zurückfuhrt, die Reinverrnögenstheorie sei in der Gewinnermittlung und die Quellentheorie in der Überschußrechnung wiederzufinden. Tipke will den Einkünftedualismus im Sinne einer Durchsetzung der Reinverrnögenszuwachstheorie überwunden sehen. Jedoch ist die Einkünfteerrnittlung keine Frage des Einkommensbegriffs. Qualitative Merkmale (Einkommensbegriff) und quantitative Merkmale (Ermittlung des Einkommens) müssen auseinander gehalten werden, auch wenn Quantität gelegentlich in Qualität umschlagen kann. 4 Durchlaub

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

50

bereits in groben Zügen vorgegeben. Das Polizei- und Ordnungsrecht ist von dem aus dem Sachverhalt drohenden Schaden und seiner Vermeidung bestimmt. 45 Das Baurecht ist durch die Erfordernisse der Sicherheit und die Nachbarschaftslage, das Recht der Berufszulassung wiederum durch die nötigen Anforderungen und Kenntnisse fiir die ordentliche Erfiillung der beruflichen Aufgabe geprägt.46 In all diesen regelungsbedürftigen Sachverhalten ist bereits ein grobes Regelungsprograrnm angelegt, in dessen Rahmen sich der Gesetzgeber bewegen muß, wenn er nicht willkürlich und unverhältnismäßig handeln will. Der Tatbestand einer steuerlichen Belastung ist keinen vergleichbaren Weisungen im Tatsächlichen unterworfen. 47 Ihm liegt kein aus sich heraus regelungsbedürftiger Sachverhalt zugrunde. 48 Der Steuereingriff ist frei von Regelungszwecken und Sachgesetzlichkeiten. 49 Somit ist nicht der Sachverhalt, an den das Steuergesetz anknüpft, regelungsbedürftig, sondern die Deckung des staatlichen Finanzbedarfs. 50 Auch die Einnahmenerzielung als begriffliche Voraussetzung der Steuer ist damit nicht Zweck der Steuergesetze, sondern lediglich ihr Motiv. 51 Steuergesetze, soweit sie aus dem primären Motiv der Einnahmenerzielung entspringen, also Fiskalnormen darstellen, sind damit zweckfrei. Dies bedeutet, daß es in der Freiheit des Gesetzgebers liegt, einen Lebenssachverhalt zu besteuern und einen anderen nicht. 52 Es gibt damit keine Sachverhalte, die ihrer Natur nach besteuert werden müßten 53 oder nicht besteuert werden dürfen. 54 Da das Steuerrecht nicht durch seinen Zweck oder durch seine Eignung, diesen Zweck zu erreichen, begrenzt werden kann, 55 ist es nicht so eng an materielle verfassungsrechtliche Vorga45

46

Bühler, FS-Thoma, 1950, S.4; Kirchhof, NJW 1987, S.3218; Ossenbühl, DÖV 1976, S.464. Vgl. Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 10.

47 Bodenheim, Der Staat 1978, S.505; Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung und formeller Gesetzesbegriff, 1982, S. 109; Kirchhof, NJW 1987, S.3218. 48 Crezelius, FS-Felix, 1989, S.51; ders., Steuerrecht 11, 1991, S.22; Flume, StbJb. 1967/68, S.64; ders., StbJb. 1985/86, S.279; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III 2. b), S.47.

49 Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III 2. b), S.46 f; ders. Steuerrecht I AT, 3.Aufl., 1973, S.45.

50

51

Kruse, BB 1985, S.1082. Kruse, DSUG 5 (1982), S.82; ders., StuW 1980, S.231.

Das ist die Folgerung, die aus der Rechtsprechung des BVerfG zu ziehen ist, siehe Kruse, DSUG 5 (1982), S.151, 152; Tipke, FS-Stoll, 1990, S.230. 52 53

S.107. 54

55

Brinkmann, Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung und formeller Gesetzesbegriff, 1982, Kruse, DSUG 5 (1982), S.73; ders., StuW 1990, S.324. Vogel in: JsenseeiKirchho[(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, S.49.

§ 10 Einkommenstheorie und Gegenstand der Einkommensteuer

51

ben gebunden wie andere Rechtsbereiche. Das willkürliche Anknüpfen des Steueranspruchs an den Tatbestand wird nur durch den Gesetzesvorbehalt beschränkt. 56 Dennoch ist der Steuereingriff nicht nur an eine parlamentarische Mehrheit gebunden. Die "Konturenarmut des Steuerrechts"57 fordert, um einer gerechten und akzeptierten Einkommensteuer willen, einen erkennbaren Belastungsgrund, eine legitime Basis, die bestimmt, warum die Steuer an diesen Sachverhalt anknüpft. 58 Eine klare Definition des Steuergegenstandes "Einkommen" hilft auch bei der Gesetzesanwendung in Einzel- und Grenzfällen. Das Einkommen muß daher auf einer theoretischen Grundlage basieren, mit deren Hilfe für jeden einzelnen Sachverhalt die Entscheidung getroffen werden kann, ob er vom Steuergegenstand der Einkommensteuer erfaßt werden soll oder nicht. Nur der im Einkommensteuergesetz konsequent verwirklichte Belastungsgrund in der Form einer einkommenstheoretischen Basis bietet die Gewähr für eine gerechte und gleichmäßige Besteuerung. Auf Grund der Ermittlung des dem geltenden Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Belastungsgrundes ist die Besteuerung der Veräußerungsgewinne, insbesondere die weitgehende Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne, zu überprüfen. Ergibt sich aus der Aufzählung der Einkunftsarten in § 2 Abs.l EStG ein einheitlicher Belastungsgrund, so muß dieser auch die Grundlage für die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne sein, muß also auf diese Lebenssachverhalte konsequent angewandt werden. Inkonsequenz würde einen Systembruch bedeuten und das indizieren, was der g~ltenden Rechtslage häufig vorgeworfen wird: eine ungleichmäßige Besteuerung. 11. Anforderungen an eine einkommenstheoretische Grundlage zur Bestimmung des Besteuerungsgegenstandes - Verfassungsrechtliche Vorgaben?

Bei der Beurteilung, welche Voraussetzungen ein gerechter einkommensteuerlicher Belastungsgrund erfüllen muß, gehen die Ansichten auseinander. Hier liegt der Kern des Streits um das "richtige" Steuerrecht. In diese Fragestellung ist notwendigerweise auch die Steuerbarkeit der Veräußerungsgewinne einbe56 57 58 4'

Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts 1,1991, § 2 III 2. b), S.46; ders., DSUG 5 (1982), S.76 f Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 11. Vgl. Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 11.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

52

zogen. Dies gibt daher Anlaß, sich vor der Ermittlung des Belastungsgrundes mit den wesentlichen Ansätzen näher auseinanderzusetzen. I. Der wertungsjuristische Systemgedanke als Maßstab für "richtiges" Steuerrecht

Bei der Frage, welche Anforderungen an eine gerechte Einkommensteuer und damit an einen gerechten Belastungsgrund zu stellen sind, hat Tipke59 den wertungsjuristischen Systemgedanken von Canaris60 aufgegriffen, ihn auf das Steuerrecht übertragen und im Sinne einer Methode steuerrechtlicher Systematisierung fortentwickelt. Der Kern dieses Ansatzes liegt in der Überzeugung, daß dem Recht ein Wertesystem zugrunde liegt. Die Rechtsordnung müsse hiernach auf einige Grundgedanken, allgemeine Rechtsprinzipien und Leitprinzipien zurückzuführen sein. Auch das Steuerrecht soll solche systemtragenden Prinzipien enthalten. 61 Sie sollen das innere System der Besteuerung bilden, das den Besteuerungsvorschriften zugrunde liegt und das durch das äußere System, also aus den Ordnungsbegriffen des Gesetzes, die den Rechtsstoff rechtstechnisch und deskriptiv ordnen, 62 erschlossen werden kann. 63 Diese Prinzipien seien die Maßstäbe und Garanten für eine gerechte Ausgestaltung der Einkommensteuer im allgemeinen und für eine gerechte Lastenverteilung bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen im besonderen. 64 Da die Prinzipien als inneres System der Besteuerung durch das äußere System, also durch die Rechtsnormen selbst geschaffen werden, läge die Prinzipienbildung in der Hand des Gesetzgebers. Deshalb müßten dem Gesetzgeber bei der Schaffung von Systemprinzipien nach Tipke Schranken gesetzt werden. Läge die Ausgestaltung der Prinzipien allein im Ennessen des Gesetzgebers, so würde dies für Tipke65 nur eine fonnale Gerechtigkeit66 gewährleisten. Eine inhaltliche materielle Gerechtigkeit könnte dann allenfalls 59

Tipke, StuW 1971, S.4 ff.; ders., StuW 1988, S.264 ff.

60

Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969.

61

Tipke, Steuerrecht, 1 I. Aufl., 1987, S.23 ff.

62

Vgl. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S.61 ff.

63

KritischMennel, StuW 1973, S.l.

64 Ebenso Zimmermann, Das Problem der Steuergerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, 1978, S.18. 65 66

Tipke, Steuerrecht, 1 I. Aufl. , 1987, S.25. Im Sinne einer Gesetzesbindung der VelWaltung und Gerichtsbarkeit.

§ 10 Einkommenstheorie Wld Gegenstand der Einkonunensteuer

53

stillschweigend vorausgesetzt, nicht aber gewährleistet werden. Bei der Prinzipienbildung soll der Gesetzgeber daher nach Tipke auf sachgerechte Prinzipien beschränkt sein. 67 Nur die Sachgerechtigkeit eines Prinzips sei der Garant für eine inhaltliche materielle Gerechtigkeit der Steuemorm, die auf diesem Prinzip basiert. Die Frage, ob ein vom Gesetzgeber vorgegebenes Prinzip sachgerecht ist, will Tipke aus dem Zweck der Norm ableiten, der das Prinzip zugrunde liegt, die es also konkretisiert hat. 68 Die Anwendung des wertungsjuristischen Systemgedankens unter Aufstellung sachgerechter Prinzipien auf die Regelungsmaterie des Steuerrechts ist jedoch problematisch. Wenn die Sachgerechtigkeit eines Besteuerungsgrundsatzes, wie zum Beispiel des Belastungsgrundes der Einkommensteuer, Maßstab für seine gerechte Ausgestaltung sein soll, so ist dies nur möglich, wenn die Rechtsmaterie gewisse Sachgesetzlichkeiten aufweist, was im Steuerrecht, wie bereits gezeigt, nicht der Fall ist. Ohne solche Sachgesetzlichkeiten vermag niemand zu sagen, was sachgerecht ist. Auch Tipke selbst wird angesichts dieses Umstandes in der Bestimmung der Kriterien der Sachgerechtigkeit unscharf, wenn er einräumt, daß die Meinungen darüber, was sachgerecht ist, auseinandergehen können. Für die Sachgerechtigkeit jedenfalls solle sprechen, "wenn ein Prinzip in der Gesellschaft durch Gerechtigkeitskonvention anerkannt ist". DaTÜberhinaus seien bei der Beurteilung der Sachgerechtigkeit "die Auswirkungen auf den Rechtsfrieden" zu beTÜcksichtigen. 69 Hier gerät die Argumentation in einen außerjuristischen, politischen Bereich. Rechtliche Wertungen setzen rechtliche Wertmaßstäbe voraus. Wo diese, wie im Steuerrecht, mangels Sachgesetzlichkeit fehlen, können sie nicht durch scheinbar evidente, ungeprüfte Postulate ersetzt werden, will man nicht in eine bloße Gefühlsjurisprudenz abgleiten. 7o Der Ansatz Tipkes zeigt somit keine geeigneten Maßstäbe für eine überprüfbare gerechte Einkommensteuer auf.

67 68 69 70

Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.48. in: Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.48.

Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl., 1989, S.26 f Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III 2. b), S.46.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

54

2. Gleichheit und Besteuerung Auf Grund der fehlenden Sachgesetzlichkeiten des Steuerrechts ist auch der Gleichheitssatz aus Art.3 Abs.l GG kein effektiver Maßstab für eine gerechte Einkommensteuer. Wenn wesentlich Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit ungleich behandelt werden soll, so muß einerseits festgestellt werden, was gleich und ungleich ist, andererseits worin und in welchem Ausmaße die Ungleichbehandlung besteht. Die Fehlerfreiheit dieser Feststellung kann jedoch aus den oben genannten Gründen nicht, wie Tipke es fordert,?1 an Hand des Kriteriums der Sachgerechtigkeit überprüft werden. Die Feststellung dieser Fragen obliegt vielmehr der Entscheidungsgewalt des Gesetzgebers,72 der hier nur die Willkür ausschließende Erwägungen anstellen muß, die freilich nicht völlig sachfremd sein dürfen, aber ihm weitgehend im Rahmen dieses Entscheidungsspielraums freigestellt sind. Diesem von Tipke13 kritisierten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegen wohlerwogene Überlegungen zugrunde. 14 Das gesetzte Recht ist nach dem Willen der Verfassung stark von einem Kompromißcharakter geprä~, der sich aus dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren ergibt, das nicht, wie Tipke es fordert, Systemreinheit, sondern - ganz im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG - willkürfreie Regelungen garantiert. 15 Hinzu kommt, daß das von Tipke im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz geforderte Systemgerechtigkeitsurteil über einen Sachverhalt stets ein Vergleichsurteil ist und daher von einem individuellen Vergleichsmaßstab abhängt, was absoluten Konsens ausschließt. Dies bringt Tipke auch selbst zum Ausdruck, wenn er einräumt, daß die Meinungen darüber, was sachgerecht ist, auseinandergehen können.16 Wer anders als der demokratisch legitimierte Gesetzgeber soll aber dann letztendlich die verbindliche Entscheidung treffen? Nur der Gesetzgeber kann bei der Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne die Gesichtspunkte aus dem Lebenssachverhalt auswählen, die für eine Gleich-

11

72 13 14

Tipke, Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 1981,8.52. BVerfUE 25, 8.371, 400; BVerfUE 53, 8.164, 178; BFHE 161, S.570, 571. in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.46 ff.

Vgl. auch Crezelius, Steuerrecht 11, 1991, S.14 f

15

Uelner in: RaupacWTipkelUelner, Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, 1985,8.175 ff. 16

Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl., 1989, S.26 f

§ 10 Einkommemtheorie Wld Gegenstand der Einkommensteuer

55

oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen. 77 Da dies wiederum keine juristische, sondern eine politische Entscheidung ist,78 können objektive juristische Kriterien als Prüfungsmaßstab nicht fruchten. 3. Eigentumsschutz und Besteuerung An der Doppelfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte einerseits und objektive Wertentscheidungen andererseits setzt schließlich der Versuch Kirchhofs79 an, mittels Art. 14 GG die Einkommensbesteuerung nicht nur durch die Eigentumsgarantie zu beschränken (subjektiv-rechtlicher Abwehrgehalt der Grundrechte), sondern ebenso durch die objektiven Wertungen des Grundgesetzes, insbesondere mit dem objektiven Wertgehalt der Eigentumsgarantie zu begründen und zu legitimieren. Aus der Eigentumsgarantie des Art.14 GG folge, daß der Staat, soweit er privatnütziges Eigentum gewährleiste und deshalb der staatlichen Erwerbswirtschaft als Einnahmequelle eine Absage erteile, auf die Einnahmenerzielung durch Steuern angewiesen sei. 80 Art. 14 GG gewährleiste daher nicht nur den Schutz des Privateigentums. Das Grundrecht enthalte darüberhinaus auch eine Wertentscheidung fiir eine Einkommensteuer, wenn ein auf laufende Einnahmen angewiesener Sozialstaat sich zugunsten des Privateigentums gegen eine Staatswirtschaft entscheide. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, daß die Einkommensteuer eine gegen Art. 14 GG verstoßende Enteignung darstelle, weil sie an bereits zugeflossene 81 oder rechtlich verfestigte, zugeordnete Wirtschaftswerte, 82 also an bereits erworbenes Eigentum anknüpfe, das sie in die öffentliche Hand überführe. 83 Die Entscheidung des Staates für eine Gewährleistung privatnützigen Eigentums unter Verzicht auf eine staatliche Erwerbswirtschaft begründe eine gesteigerte Sozialpflichtigkeit des auf Grund des geschützten Eigentums neu hinzuerworbenen Einkommens. An diesem Einkommen dürfe der Staat daher 77 BVerfGE 25, S.371, 400; BVerfOE 71, S.255, 271; BVerfGE 74, S.182, 200; BVerfGE 75, S.108, 157; BVerfOE 76, S.256, 330; BVerfGE 78, S.249, 287; BVerfOE 81, S.108, 117.

78 79

Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III 2. b), S.45. in: KirchhopSöhn, EStG § 2 Rdn.A 6, A 30, A 39 und A 153 ff.; ders. in: Gutachten F zum

57. Off 1988, S.F 14 ff. 80

Kirchhof, Gutachten F zum 57. Off 1988, S.F 15.

81

Zuflußprinzip nach § 11 EStG im Rahmen der Überschußeinkünfte.

82

83

Bilanzierung nach §§ 4, 5 EStG im Rahmen der Gewinneinkünfte.

Kirchhof, Gutachten F zum 57. Off 1988, S.F 14.

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

durch die Erhebung der Einkommensteuer partizipieren, ohne daß dies eine Enteignung darstelle. Diese Sichtweise entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, wonach Art. 14 GG nicht vor einer Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze. 84 Aus dem Umstand, daß der Staat dem einzelnen die Möglichkeit zum Eigentumserwerb und damit auch zur Einkommenserzielung gebe, Einkommenserzielung somit eine Veranstaltung nicht allein des Steuerpflichtigen, sondern des Staates sei, leitet Kirchhof die Befugnis des Staates ab, an den Ergebnissen der Einkommenserzielung teilzunehmen. In Art.14 GG sei daher auf Grund der Sozialpflichtigkeit des Einkommens die Rechtfertigung und Legitimation für die Einkommensteuer zu sehen, aus der der Belastungsgrund der Einkommensteuer abzuleiten sei. Die Sozialpflichtigkeit des Einkommens sei somit das entscheidende (verfassungsrechtlich vorgegebene) Kriterium für die Frage, welche Sachverhalte einer gerechten Einkommensteuer unterliegen sollen und welche nicht. Gegen diese Interpretation des Art.14 GG sprechen jedoch zwei Gesichtspunkte: Zum einen darf nicht übersehen werden, daß die Einkommensteuer und der Einkommensbegriff nicht erst unter der Geltung des Grundgesetzes entstanden sind, sondern in der heute vorliegenden Form spätestens seit dem EStG 1934 bestehen. Hier im Nachhinein so zu tun, als ob Art. 14 GG für eine Schaffung der Einkommensteuer und des Einkommensbegriffs als Wertentscheidung gedient hat, täuscht über diesen Sachverhalt hinweg. Man kann nicht ein Jahrzehnte vor dem Grundgesetz entstandenes Einkommensteuerrecht in die Verfassung hineinlesen, um als Ergebnis das Steuerrecht wieder aus der Verfassung abzuleiten. 85 Daß die Einkommensteuer mit dem Grundgesetz und insbesondere mit Art. 14 GG vereinbar sein muß, ist selbstverständlich. Aus dieser Vereinbarkeit aber eine Begründung für die Fassung des Gegenstandes der Einkommensteuer abzuleiten, ist nicht zwingend. Dies wird daraus ersichtlich, daß das (Einkommen-) Steuerrecht auch illegal erworbene Einkünfte der Besteuerung unterwirft,86 was mit der von Kirchhof 84 BVerfDE 4, S.7, 17; BVerfDE 10, S.89, 116; BVerfDE 14, S.221, 241; BVerfDE 70, S.219, 230; BVerfDE 72, S.200, 248.

85 Auch Meincke, DB 1988, S.1869, sieht in diesem Versuch Kirchhofs die Gefahr, daß "VerfassungsrechtIer dazu übergehen könnten, das Steuerrecht in ein von i1men ersonnenes Korsett einzuschnüren".

86 Dies gilt nach § 40 AO fur das gesamte Steuerrecht und wird fur die Einkommensteuer auf Grund des § 160 AO besonders deutlich. § 160 AO soll sicherstellen, daß Schmier- und Bestechungsgelder, die von einem Steuerpflichtigen gezahlt und bei der Steuer in Abzug gebracht worden

§ 10 Einkommenstheorie wtd Gegenstand der Einkonunensteuer

57

angeführten Sozialbindung als Wertungsgrundlage für die Einkommensteuer nicht vereinbar ist. 87 Auch wird durch Kirchhofs Ansatz der Anschein erweckt, daß eine Änderung der Grundentscheidungen über die Steuerbarkeit bestimmter Sachverhalte, wie sie im geltenden EStG angelegt sind, einer Verfassungsänderung bedürfte. Hier werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Steuerrecht überschätzt. 88 Hinzu kommt, daß Kirchhofs Interpretation des Art.14 GG bezüglich seiner Reichweite bei der Auferlegung von Geldleistungspflichten die Entstehungsgeschichte der Vorschrift unberücksichtigt läßt. Es bedarf nicht der Begründung einer besonderen Sozialpflichtigkeit des Einkommens auf Grund der Gewährleistung privatnützigen Eigentums, um die Besteuerung nicht als Enteignung und Verstoß gegen Art.14 GG erscheinen zu lassen. Aus der im Anschluß an den Beschluß und die Veröffentlichung des Grundrechtskataloges durch den Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates von Thoma89 abgegebenen gutachtlichen Stellungnahme geht hervor, daß die heutige Fassung des Art. 14 GG in ihrem Wortlaut nicht unumstritten war. Thoma bezeichnete die heutige Fassung als Mindestregelung und machte einen Alternativ-Vorschlag, in dem er unter anderem zur KlarsteIlung den Schutz von Eigentum und Erbrecht "unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt" formuliert sehen wollte. 90 Dieser Vorschlag Thomas hat in das Grundgesetz schließlich nur deshalb keinen Eingang gefunden, weil man das Besteuerungsrecht neben der Eigentumsgarantie für so selbstverständlich hielt, daß die Einfügung eines Besteuerungsvorbehalts nicht für notwendig gehalten wurde. Aus Art. 14 GG können somit entgegen der Ansicht Kirchhofs keine positiven Vorgaben für den Belastungsgrund der Einkommensteuer abgeleitet werden. Der Gesetzgeber muß nur den Grundsatz einer schonenden und nicht übermäßigen Besteuerung bei der Abfassung des Einkommensbegriffs und des Belastungsgrundes berücksichtigen. sind, beim Empfanger versteuert werden, obwohl sowohl die Bestechung als auch das Bestechenlassen nach § 12 UWG strafbar sind. 87

Ebenso TipkeiLang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.160.

88

Meincke, DB 1988, S.1869.

89 Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rats beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs, 25.10.1948, Rek 167 Deutscher Bundestag 11.7.56. 90

16.

Thoma, Kritische Würdigung v. 25.10.1948, Rek 167 Deutscher Bundestag 11.7.56., S.lO u.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

58

4. Fazit: Verfassungsrechtliche Vorgaben und Sachgerechtigkeit der Besteuerung? Tatsächliche Gesichtspunkte fi1r den Be/astungsgrund der Einkommensteuer Somit steht fest, daß alle materiell- und verfassungsrechtlichen Ansätze zur Gewinnung fester Maßstäbe für eine gerechte Einkommensteuer fehlschlagen. Aus dem Erörterten kann lediglich resümiert werden, daß, wenn einem Steuergesetz auch kein Regelungszweck zugrunde liegt, es doch auf Grund des Motives der Einnahmenerzielung für den Belastungsgrund der Einkommensteuer Voraussetzung ist, daß er eine kontinuierliche, langfristig sichere Einnahmenerzielung des Staates gewährleistet. Dem Erfordernis einer gerechten Besteuerung wird insoweit im Wesentlichen durch die Notwendigkeit eines formellen Gesetzes zur Auferlegung der Steuerlast Folge geleistet. Dieses Steuergesetz unterliegt insoweit einer vollen materiellen verfassungsrechtlichen Überprüfung, als es den Steuerpflichtigen nicht mehr als nötig einschränken darf und ihm soviel Freiheit wie möglich belassen muß.

§ 11 Einkommenstheoretische Grundlage und Einkommensbegriff Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis ist nun der Frage nachzugehen, auf welcher einkommenstheoretischen Grundlage, auf welchem Belastungsgrund der Besteuerungsgegenstand des Einkommensteuergesetzes basiert. I. Vermögenszuwachs als tatsächliches (wirtschaftliches) Phänomen der Einkommensenielung

Einkommenserzielung kann mit der Vermehrung von Geld oder geldwerten Gütern umschrieben werden. Diesen Befund hatten auch die überkommene Quellen- und Reinvermögenstheorie gemeinsam. Das Einkommensteuerrecht belastet das Vermögen des Steuerpflichtigen grundsätzlich nur dann, wenn es in Bewegung ist, d.h. von einem Rechtssubjekt auf ein anderes übertragen wird. Dies entspricht auch der einhelligen Ansicht, daß als Fonds der Besteuerung nicht das vorhandene Volksvermögen, sondern nur neu produzierter Reichtum oder genauer nur ein annehmbarer Teil von diesem als Zugriffsobjekt für die Einkommensteuer in Betracht kommt. 91 Der Steuerzugriff auf ru91

Lotz, Finanzwissenschaft, I.Auft., 1917,8.445 f

§ 11 Einkommenstheoretische Grundlage und Einkommensbegriff

59

hendes Vermögen im Bestand des Steuerpflichtigen ohne einen Übertragungsvorgang liegt nicht in der Natur der Einkommensteuer. Das hat zwei Gründe: Zum einen soll das Vermögen des Steuerpflichtigen geschont werden. Der Steuerpflichtige ist anders als bei einer Belastung des ruhenden Vermögens nicht zu einer Veräußerung gezwungen, um die Steuerlast entrichten zu können, sondern kann auf Grund der Anknüpfung an Vermögensbewegungen die Steuer aus dem Entgelt entrichten, das ihm zufließt. 92 Zum anderen gewährleistet die Schonung der Vermögenssubstanz die notwendige zeitliche Kontinuität des Einnahmenflusses für den Staat. 93 11. Die Ursache des Vermögenszuwachses als entscheidendes Merkmal des Belastungsgrundes

Die Schaffung eines Mehrwertes im Sinne eines Vermögenszuwachses in der Hand des Steuerpflichtigen ist jedoch nur ein Teil des Einkommensbegriffs. Für seine Bestimmung ist weiterhin von Bedeutung, durch welche tatsächlichen Vorgänge dieser Mehrwert verursacht, also erzielt wird. Insoweit bestand auch der Unterschied zwischen Reinvermögens- und Quellentheorie. Erstere knüpfte nur an den Vermögenszuwachs an und ließ damit jegliche Ursache der Vermögensmehrung für die einkommensteuerliche Erfassung zu. Letztere forderte die Verursachung der Vermögensmehrung durch eine Einkommensquelle. Unterschiedlich weite Ursachen für die Einbeziehung der Vermögensmehrung bilden damit das entscheidende Merkmal für die Abfassung des Einkommensbegriffs. Zur Ermittlung einer einkommenstheoretischen Grundlage sind daher im Zusammenhang mit den tatbestandlichen Anknüpfungspunkten des geltenden Einkommensteuerrechts die einkommensteuerlich relevanten Ursachen für eine Vermögensmehrung herauszuarbeiten, um sodann Rückschlüsse auf den der Einkommensteuer zugrunde liegenden Belastungsgrund ziehen zu können.

92

Kirchhof, Gutachten F zum 57. Dff 1988, S.F 14.

Auch die Vermögensteuer ist auf eine solche Kontinuität angewiesen. Trotz der Anknüpfung an die Vermögenssubstanz als Steuerobjekt wird dies dadurch gewährleistet, daß die Vermögensteuer so bemessen ist, daß nur ein solcher Steuerbetrag erhoben wird, der einem Sollertrag der Vermögenssubstanz entspricht und damit (in der Regel) aus den Erträgen des Vermögenstamrnes entrichtet werden kann. 93

Viertes Kapitel: Rech1fertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

60

III. Die Mehrung des Sozialproduktes durch Leistungsaustausch als Belastungsgrund der Einkommensteuer

Das geltende EStG erfaßt die Vennögenszuwächse einer Periode, die im Rahmen der an tradierten Berufsgruppen orientierten94 Einkünfte angefallen sind. 95 Aus der Anknüpfung an diese beruflichen Tätigkeiten, die auf die Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage gerichtet sind, ergibt sich, daß nur Vennögenszuwächse erfaßt werden, die auf einen Leistungsaustausch zurückzuführen sind. 96 Bereits Roscher97 hat unter Einkommen nur den Vennögenszuwachs in der Hand des einzelnen verstanden, der aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit herrührt. Ebenso hat der Reichsfinanzhof in seinem Grundsatzurteil zur Liebhaberei vom 14.3.192998 betont, daß die Einkommensteuer nur Einkünfte aus einer "Beteiligung am Wirtschaftsleben" mit "ernstlichem Gewinnstreben" erfassen kann. 99 Diese Postulate entspringen dem Erfordernis einer kontinuierlichen Einnahmenerzielung des Staates, da der Staat seine laufend wiederkehrenden Ausgaben nur aus solchen Steuereinnahmen langfristig gesichert bestreiten kann, die von den Steuerpflichtigen aus dem im Laufe des Steuerabschnittes Hinzuerworbenen bezahlt werden können. loo Anderenfalls wäre es nur eine Frage der Zeit, wann die "Steuerquelle" versiegen würde. Eine Vennögensmehrung beim Steuerpflichtigen ist aber nur eine Komponente zur Sicherung kontinuierlicher Steuereinnahmen des Staates. 101 An ihre Seite muß noch eine zweite hinzutreten: Zur kontinuierlichen Einnahmenerzielung durch die Einkommensteuer ist nicht nur eine Vennögensmehrung beim Steuerpflichtigen entscheidend. Vielmehr muß diese Vennögensmehrung beim einzelnen Steuerpflichtigen Teil einer Vennögensmehrung der 94 Siehe dazu Littmann, DStR 1962, S.17; ders., DStR 1962, S.94; Schmidt-Liebig, "Gewerbe" im Steuerrecht, Diss. jur. 1977, S.70 ff.; ders., StuW 1977, S.304 ff. 95

§ 2 Abs.l Satz 1 Nr.l - 7 EStG.

VgJ. BFH GrS, BStBI. III 1964, S.500, 501; BFH, BStBl. II 1980, S.114, 115; HerrmannIHeuerlRaupach, EStG § 22 Rdn. 71 (1); Keuk, DB 1972, S.1130; Heinicke in: Schmidt, EStG, 1O.Auft., § 22 EStG Anm.3l. 96

97

System der Volkswirtschaft, 1864, S.292.

98 99

RStBl. 1929, S.329. Der große Senat des BFH, BStBl. II 1984, S.754, 766 hat hieran angeknüpft.

100

Lotz, Finanzwissenschaft, l.Auft., 1917, S.445 f.

101

Siehe oben § 11 11. der Untersuchung.

§ 11 Einkommenstheoretische Grundlage und Einkonunensbegriff

61

Volkswirtschaft insgesamt sein, wenn der Steuerzugriff das Volksvermögen nicht aufzehren und damit die Einnahmenkontinuität in Frage stellen soll. Vermögensmehrungen in der Hand des Steuerpflichtigen können auch dadurch entstehen, daß er in der Lotterie gewonnen, eine Erbschaft erhalten oder eine Wertsteigerung ausgenützt hat. Diese wirtschaftlichen Vorgänge zur Vermögensmehrung im Bereich des Steuerpflichtigen sind nicht Teil einer Vermehrung des Volksvermögens, tragen zu einer solchen nicht bei und stellen sich somit aus der Perspektive des gesamten Volksvermögens als "Nullsummenspiele" dar. Dies folgt daraus, daß nur vorhandene geldwerte Güter übertragen werden. Dadurch wird innerhalb einer Volkswirtschaft ein Pflichtiger um den Betrag reicher, also steuerkräftiger, um den ein anderer ärmer wird und damit Steuerkraft einbüßt. 102 Aus diesem Grund forderte auch Neumark l03 zum Gegenstand der Einkommensteuer nur solche Vermögensmehrungen des einzelnen zu machen, die das Ergebnis einer Teilnahme des Steuerpflichtigen an der Bildung des Sozialproduktes sind. 104 Bereits Lotz l05 hat erkannt, daß in einem Land, das nur aus Spekulanten, Spielern und Erben und nicht (auch) aus Produzenten besteht, kein Fonds über das vorhandene Volksvermögen hinaus gebildet würde, aus dem der Staat kontinuierlich Steuern einnehmen könnte. Die Volkswirtschaft kann kontinuierlich nur dann Mittel für Steuern freisetzen, wenn die Produktion gesteigert worden ist und dadurch per Saldo mehr geldwerte Güter, Nutzungen und Dienstleistungen geschaffen worden sind als für diesen Prozeß aufgewandt werden mußten,106 also ein Sozialprodukt erwirtschaftet worden ist. Aus dieser finanzwissenschaftlichen Erkenntnis hat der Gesetzgeber des EStG seit 1925/34 möglicherweise unbewußt das Einkommen - wenn auch durch pragmatische Aufzählung von Einkunftsarten statt durch eine generalklauselartige Definition - an tradierten Berufsgruppen und an einem Leistungsaustausch orientiert. 107 Hierdurch wurde gewährleistet, daß das Einkom102 103

Latz, Finanzwissenschaft, LAuft., 1917, S.446. Theorie und Praxis der modemen Einkonunensbesteuerung, 1947, S.41.

Ebenso Papitz, Art. "Einkonunensteuer" Handwörterbuch der Staatswissenschaft, 3.Bd., 4.Auft., 1926, S.402. 104 105

106

Finanzwissenschaft, LAuft., 1917, S.446.

Latz, Finanzwissenschaft, LAuft., 1917, S.446.

107 Zu einer allgemeinen Einkonunensdefinition war der historische Gesetzgeber des EStG Grund der noch nicht hinreichend fortgeschrittenen wissenschaftlichen Durchdringung Belastungsgrundes der Einkonunensteuer nicht in der Lage und angesichts der Erfahrungen mit Quellen- und Reinvermögenszuwachstheorie auch nicht mehr willens. Gleichwohl hat er durch

auf des der die

62

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

mensteuergesetz nur solche Vermögenszuwächse erfaßt, die mit einer Steigerung des Sozialproduktes einhergehen. Das Sozialprodukt ist der Teil des Jahreserzeugnisses einer Volkswirtschaft, der auf die Märkte gelangt und dort mittels der Preismechanismen in den Verteilungsprozeß eintritt. 108 Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz Ruppes \09 zu sehen, daß allen Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes die Eigenschaft gemeinsam ist, daß sie auf einer entgeltlichen Verwertung von Wirtschaftsgütem und Dienstleistungen am Markt beruhen. Die aus dieser Erkenntnis entwickelte Markteinkommenstheorie ist nur die erstmalige konsequente auf das geltende EStG bezogene Formulierung des dem Gesetz seit 1934 zugrunde liegenden Belastungsgrundes. Seitdem hat die Markteinkommenstheorie immer mehr Zustimmung gefunden llo und die daneben bestehenden Ansätze verschiedener Einkommenstheorien verdrängt.111 Nach ihr um/aßt das Einkommen all jene VerAnknüpfung an tradierte Berufsgruppen und damit an einen Leistungsaustausch der wissenschaftlichen ErkelUltnis Rechnung getragen, daß nur eine Teilhabe des Staates an der Vermögensmehrung der Gesamtheit (Sozialprodukt) und nicht schon an der bloßen Vermögensmehrung des einzelnen PfIichtigen dem Motiv fiir die Steuer, der EilUlahmenerzielung, auf Dauer gerecht werden kann.

108 \09

110

Neumark. Theorie und Praxis der modemen Einkommensbesteuerung, 1947, S.42. DStJG 1 (1978), S.16.

Biergans/Stockinger, FR 1982, S.5 f; Giloy, Vieldeutige Einkommensbegriffe, 1978, S. 15 ff., 27 ff., 28; Lang, StuW 1981, S.229 ff.; Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.31 f; ähnlich auch Kirchhof in: KirchhopSöhn, EStG § 2

Rdn.365 ff., der statt des Markteinkommens auf das Erwerbseinkommen abstellt, das jedoch auch durch ein Auftreten am Markt erzielt werden soll; Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 20 ff.; Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG § 2 Rdn.27; Tipke, StuW 1977, S.298 ff.; Tipke, NJW 1988, S.2091 f; TipkeiLang, Steuerrecht, 13. Aufl., 1991, S.158 ff.; Wendt, DÖV 1988, S.714 f

111 Haller, Die Steuern, 3.Aufl., 1981, S.42 ff., vertritt einen Einkommensbegriff, der sich an der Möglichkeit der Bedürfuisbefriedigung als Ausprägung der steuerlichen Leistungsfahigkeit orientiert. Das Potential der Bedürfuisbefriedigungsmöglichkeit indiziere das Einkommen, so daß alle Elemente zum Einkommen gezählt werden müßten, die fiir die Bedürfuisbefriedigung zur Verfiigung stehen. Zum Einkommen seien daher neben Geld und Sachgütem die Eigenversorgung der Betriebe, häusliche Dienste, der Nutzwert langlebiger Verbrauchsgüter ebenso zu rechnen wie Wertzuwächse bei Privatvermögen, Erbschaften und Schenkungen.

Hackmann, Die Bestimmung des steuerrechtlichen Einkommensbegriffs, in: Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfmanzierung im Wandel, 1983, S.661 ff., wendet sich gegen einen nutzenorientierten Ein-

kommensbegriff und sieht in der ökonomischen Verfiigungsmacht das entscheidende Kriterium zur Konkretisierung der Leistungsfahigkeit als übergeordnetem Gesichtspunkt der Steuerwürdigkeit. Einkommen sei danach die wertmäßige Änderung des Bestandes an veräußerbaren bzw. übertragbaren Eigentumsrechten einer Person in einer bestimmten Periode, welUl die Person nicht konsumiert hätte. Beide Ansätze gehen sogar über die überkommene Reinvermögenszuwachstheorie hinaus, indem sie über das Kriterium des Konsums oder der wirtschaftlichen Verfiigungsmacht auch nicht realisierte Vermögenszuwächse der Steuer unterwerfen. Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine Besteuerung nichtrealisierter Wertzuwächse autwirft, sprechen gegen diese Ansichten die Gründe, die zu einer Verwerfung der Reinvermögenszuwachstheorie gefiihrt haben.

§ 12 Belasb.irJg'lgrund filr die Erfassung von VGen

63

mögenszuwächse in der Hand des Steuerpflichtigen, die auf einem Auftreten am Markt beruhen und in Ausübung der Marktteilnahme realisiert werden.

Dieser Belastungsgrund der Einkommensteuer erfullt allein die wesentlichen Anforderungen im Sinne eines ergiebigen und schonenden Steuereingriffs, indem nur Einnahmen bei den Personen erfaßt werden, die auf Grund einer aktiven Marktteilnahme in der Volkswirtschaft insgesamt zu einer Vermögensmehrung geführt haben. Die Forderung, der Einkommensteuer de lege ferenda einen anderen Belastungsgedanken zugrunde zu legen, erscheint nicht geboten. Alle unter dem Gesichtspunkt des Art.3 Abs.l GG erhobenen Forderungen nach einer verstärkten Berücksichtigung des Reinvermögenszuwachsgedanken nur in der Person des einzelnen im Zusammenhang mit der Besteuerung der Veräußerungsgewinne müssen daher verworfen werden. Zum einen ist Art.3 Abs.l GG auf Grund fehlender dem Steuerrecht zugrunde liegender Sachgesetzlichkeiten kein hilfreicher Orientierungsmaßstab; das wird durch die Entwicklungsgeschichte der Einkommensbegriffe belegt. I 12 Zum anderen kann der Reinvermögenszuwachsgedanke insbesondere bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen zu einer übermäßigen Besteuerung durch eine Verringerung des der Steuer insgesamt zur Verfügung stehenden Fonds führen, da ein Vermögenszuwachs beim einzelnen oft nicht mit einer Vermögensmehrung der Volkswirtschaft insgesamt einhergehen muß.

§ 12 Belastungsgrund für die Erfassung von VGen Hat der Gesetzgeber den Belastungsgrund des Markteinkommens der Einkommensteuer zugrunde gelegt, so muß er ihn grundsätzlich konsequent anwenden, um nicht dem Grundsatz einer gleichmäßigen Besteuerung zuwiderzuhandeln. Zwar kann Art.3 Abs.l GG dem Gesetzgeber auf Grund fehlender Sachgesetzlichkeiten im Steuerrecht keine bestimmte Entscheidung vorgeben. Doch entfaltet das Willkürverbot, soweit eine Entscheidung durch den Gesetzgeber getroffen ist, unter dem Gesichtspunkt ihrer folgerichtigen Durchführung eine gewisse Bindung des Gesetzgebers. l13 Der Gesetzgeber muß danach ein aufgestelltes Prinzip, wie im Falle des Belastungsgrundes, folge112

Siehe oben § 9 der Untersuchung.

113

Battis, FS-H. P. Ipsell, 1977, S.ll ff.; Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S.5, 14 ff., 19 ff., 49 ff., 89; Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, S.47, 76.

64

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

richtig, d.h. konsequent durchführen und darf es nicht ohne "überzeugende Gründe" durchbrechen. 114 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Veräußerungshandlungen vom Belastungsgrund des Markteinkommens erfaßt werden. I. Ansicht der Vertreter einer achten Einkunftsart

I. Veräußerungsgewinne allgemein

Tipke l15 geht davon aus, daß Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes steuerliche Leistungsfähigkeit messen soll; daraus folgert er, daß der Begriff des Einkommens (und damit wohl auch das Verständnis des Belastungsgrundes im Sinne eines Markteinkommens) sich an diesem "Zweck" zu orientieren habe. Hieran knüpfen Tipke und andere die Forderung nach einer Aufhebung der unterschiedlichen Besteuerung privater und betrieblicher Veräußerungsgewinne. 116 Nach diesem Ausgangspunkt sei nur ein Verständnis des Markteinkommens möglich: Veräußerungsgewinne, private und betriebliche, entstünden dadurch, daß der Veräußerer das Wirtschaftsgut auf den Markt bringt, um einen Abnehmer zu finden. Der Veräußerer wende sich somit bei jeder Veräußerung an den Markt und nutze die Nachfrage zum eigenen Erwerb. Diese bei jeder Veräußerung vorliegende Berührung mit dem Markt erfülle den Belastungsgrund und müsse daher zu steuerbaren Veräußerungen führen, gleichgültig, ob sich der Gegenstand im Betriebs- oder Privatvermögen befinde. Die Nichtbesteuerung privater Veräußerungsgewinne stelle sich damit als Verstoß gegen die folgerichtige Anwendung des Belastungsgrundes dar und indiziere einen Gleichheitsverstoß.

114 BVerfDE 13, S.331, 340 (Sachgerecht und hinreichend gerechtfertigt sei "eine Abweichung in einem Falle, in dem das Steuergesetz die von ihm selbst statuierte Sachgesetzlichkeit aufgibt, nur dann, wenn sie von überzeugenden Gründen getragen ist."); BVerfGE 15, S.313, 318; BVerfDE 32, S.157, 168 ff; BVerfGE 34, S.103, 115; BVerfGE 36, S.383, 393 ff 115

Steuerrecht, II.Aufl., 1987, S.168.

Böckli, DSUG 3 (1980), S.339 ff; Höhn, Die Besteuerung der privaten Gewinne, Diss. 1955; Tipke, Steuerrecht, I I. Aufl., 1987, S.168. 116

§ 12 Belastun~grund fiir die Etfassung von VGen

65

2. Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschajtsgütern, die der Einkünjteerzielung gedient haben

Diesem Verständnis des Markteinkommens im Sinne auch einer Besteuerung aller privaten Veräußerungsgewinne tritt Kirchhofll7 mit dem verfassungsrechtlichen Argument des Schutzes der Privatsphäre entgegen. Markteinkommen bedeute marktoffenbares Erwerben, das öffentlichem Beobachten, Fragen und Ermitteln zugänglich sei. 118 Die Privatsphäre sei jedoch durch die Verfassung vor einkommensteuerlichem Beobachten und Zugreifen geschützt. Dem entspreche auch das Abzugsverbot der Aufwendungen der privaten Lebensführung durch § 12 EStG. Der Staat dürfe in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen nicht eindringen. Daraus hat Kirchhof zunächst gefolgert, daß private Veräußerungsgewinne, gleich, ob die Veräußerungsgegenstände der Einkünfteerzielung gedient haben oder nicht, von der Besteuerung ausgeschlossen sind. 119 Später hat er nur noch die Veräußerungsgewinne von der Steuerbarkeit ausgenommen, die Gegenstände betreffen, die nicht der Einkommenserzielung gedient haben. 120 Den Grund hierfür sah Kirchhof nun darin, daß auch der Privatmann bei Gegenständen, die der Einkünfteerzielung gedient haben, sich durch diese Einkünfteerzielung dem Markt geöffnet habe. Diese Gegenstände verblieben nicht mehr in der Privatsphäre, sondern seien, obwohl Privatvermögen, durch die Einkünfteerzielung marktoffenbar geworden und unterlägen damit auch im Fall der Veräußerung dem Steuerzugriff. Damit hat Kirchhof die Gleichsetzung von Privatsphäre und Privatvermögen aufgegeben. 121 Nach seiner neueren Auffassung werden vom Markteinkommensbegriff betriebliche und solche privaten Veräußerungsgewinne erfaßt, die aus der Veräußerung von Gegenständen herrühren, die zuvor der Einkünfteerzielung gedient haben. Zu diesem Ergebnis kommt auch Lang,122 wenngleich mit einer anderen Begründung. Lang geht im Gegensatz zu Kirchhof davon aus, daß es sich bei 117 29 ff.

118 119 120 121

in: KirchhoflSähn, EStG § 2 Rdn.665 und 676 und in: Gutachten F zum 57. Off 1988, S.F Kirchhof, Gutachten F zum 57. Off 1988, S.F 29. Kirchhofin: KirchhoflSähn, EStG § 2 Rdn.665 und 676.

Gutachten F zum 57. Off 1988, S.F 29. Gutachten F zum 57. OIT 1988, S.F 3 \.

122 in: Refonnentwurfzu Grundvorschriften des Einkonunensteuergesetzes, 1985, S.66 f. und in: Oie einfache und gerechte Einkonunensteuer, 1987, S.22 f. 5 Durchlaub

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

66

dem Markteinkommen nicht um einen verfassungsrechtlich aus der Sozialbindung des Eigentums und dem Schutz der Privatsphäre abgeleiteten Begriff, sondern um einen einfachgesetzlichen Strukturbegriff des Einkommensteuerobjektes "Summe der Einkünfte" handelt. 123 Sein Verständnis des Markteinkommens beruht auf dem Gedanken, daß der Einkommensteuer nur Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit mit Gewinn- oder Überschußerzielungsabsicht unterliegen (Erwerbseinkommensprinzip).124 In dieser Hinsicht sei Markteinkommen nur durch solche privaten Veräußerungsgewinne gegeben, die aus der Veräußerung von Gegenständen herrühren, die der Einkünfteerzielung, also dem Erwerb gedient haben. Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern der privaten Lebensführung sollen, weil sie keinem Erwerb gedient haben, außer Ansatz bleiben. 11. Eigene SteUungnahme

1. Tragfähigkeit des verfassungsrechtlichen Schutzes der Privatsphäre gegen eine Besteuerung privater Veräußerungsgewinne ? Der Vorschlag Kirchhofs, Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen der privaten Lebensführung weiterhin von der Besteuerung auszunehmen, vermag nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zu überzeugen. Das Recht des Staates zur Besteuerung ist in der Verfassung anerkannt. 125 Daß die Besteuerung durch den Schutz, den die Verfassung der Privatsphäre zuteil werden läßt, beschränkt wird, ist im Grundgesetz nicht ersichtlich. Zu der vom Grundgesetz geschützten Privatsphäre gehören zwar die Intimsphäre,126 das Privat- und Familienleben,127 Wohnung,128 Briefgeheimnis,129 Glaubens- und 123

Tipke/Lang, Steuerrecht, l3.Aufl., 1991, S.159 f.

124 Lang, Refonnentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, S.31 ff; ders., Die einfache und gerechte Einkommensteuer, 1987, S.23; ebenso Bayer, FR 1983, S.106; ders., BB 1988, S.1.

125 Siehe dazu den X. Abschnitt des GG und die oben § 10 II. 3. der Untersuchung dargelegte Auffassung zum Verhältnis der Eigenturnsgarantie zur Besteuerung. 126 127 128 129

Art. 1 Abs.l i.V.m. Art.2 Abs.l GG. Art. 1 Abs.l i.V.m. Art.2 Abs.l GG und Art.6 Abs.l GG. Art.l3 GG. Art. 10 GG.

§ 12 8e1~gnmd fiir die Erfassung von VGen

67

Gewissensfreiheit,130 nicht aber Einkommen und Vermögen. \31 Zu Recht merkt Tipke\32 an, daß sich aus der Verfassung nicht ableiten lasse, daß Einkünfte aus privatem Vermögen und das private Vermögen selbst (durch die Vermögensteuer) besteuert werden dürfen, Einkünfte aus der Veräußerung privaten Vermögens aber nicht. Wie theoretisch und widersprüchlich das Konstrukt des Schutzes der Privatsphäre bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen ist, zeigt der Umstand, daß die Besteuerung auch sonst auf die Privatsphäre des Steuerpflichtigen keine Rücksicht nimmt. Zur Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen ist der Steuerpflichtige gezwungen, insbesondere im Zusammenhang mit Krankheitskosten, Umstände aus dem Kembereich seiner Privatsphäre zu offenbaren. Für die Nachprüfung der Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung nach § 26 Abs.l Satz I EStG gilt das gleiche. Auch hier muß in Zweifelsfällen rur die Zwecke der Besteuerung in den Kembereich der Privatsphäre eingedrungen werden. 133 Soweit das rechtsstaatlich nicht zu beanstanden ist, da der Steuerpflichtige die Nachprüfung durch seinen Rechtsbehelf gerade zu erreichen sucht,134 kann das Registrieren eines offenkundigen Vorgangs, wie z.B. der Verkauf einer selbst bewohnten Villa, rur Zwecke der Besteuerung ebensowenig rechtsstaatswidrig sein wie der Verkauf eines Mietshauses. Der verfassungsrechtliche Ansatz Kirchhofs bei der Auslegung des Markteinkommens und der Subsumtion der privaten Veräußerungsgewinne kann daher nicht überzeugen.

130

Art.4 00. 131 Daß Kirchhof wohl auch partiell Einkorrunen und Vennögen vom Schutz der Privatsphäre umfaßt sieht, beruht auf seinem Verständnis des Art. 14 00, aus dem er sogar den Belastungsgrund des Einkorrunensteuerrechts ableiten will. Aus Art.14 00 gehe hervor, daß der Sozialbindung und damit dem Steuerzugriff nur die Gewinne unterliegen, die das Ergebnis einer marktoffenbaren Betätigung bei der Veräußerung sind. Diese Marktoffenheit hängt nach Kirchhof davon ab, ob das veräußerte Wirtschaftsgut der Einkünfteerzielung gedient hat oder nicht: "Ein zum privaten Wohnen genutztes Grundstück oder ein allein in der Privatwohnung aufbewahrtes und genutztes Wirtschaftsgut hingegen ist nicht durch eine Zweckwidmung dem allgemeinen Markt verbundenes Gut und bleibt deshalb auch privat, wenn es durch einmalige Erwerbshandlung mit Gewinn veräußert wird." (Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 31). 132 Steuerrecht, I1.Aufl., 1987, S.201. 133 Zu den in diesem Zusammenhang bedeutsamen Umständen der Privatsphäre vgl. Seeger in: Schmidt, EStG, 10.Aufl., § 26 Anm.5. 134 Niedersächsiches FG, EFG 1974, S.146, 147; Friedlaender, StbJb. 1959/60, S.110;Kruse in: Tipke/Kruse, AO § 4 Rdn.135. 5·

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen rur die Steuerfreiheit privater VGe

2. Differenzierung zwischen Veräußerungsgewinnen in Ausübung und bei Gelegenheit der Marktteilnahme als Kriterium for die Erfassung vom Belastungsgrund Bei der Frage, ob Veräußerungsgewinne vom Belastungsgrund eines Markteinkommens erfaßt werden und daher einkommensteuerbar sein müssen, ist losgelöst von verfassungsrechtlichen Erwägungen am Begriff des Markteinkommens selbst anzusetzen, da es sich bei dem Markteinkommen nach Langs Ansicht zu Recht nicht um einen verfassungsrechtlichen, sondern um einen einfachgesetzlichen Begriff des Einkommensteuergegenstandes handelt. 135 Die Vertreter der ersten Ansicht l36 bejahen die Steuerbarkeit aller Veräußerungsgewinne auch vor dem Hintergrund eines Markteinkommens, in dem sie das Markteinkommen auf das Theorem beziehen, daß jede Vermögensmehrung die steuerliche Leistungsfähigkeit erhöht und, soweit sie auf einem Leistungsaustausch beruht, auch dem Markteinkommensprinzip entspricht. Sie lösen den Veräußerungsvorgang im Betriebsvermögen einerseits und im Privatvermögen andererseits aus seinen spezifischen Zusammenhängen und bejahen, nachdem sie beide Lebenssachverhalte auf die Begriffe "Veräußerung" und "Teilnahme am Markt" bzw. "Leistungsaustausch" reduziert haben, vorschnell das Eingreifen des Belastungsgrundes in beiden Fällen. Zur Erfüllung des Belastungsgrundes genügt jedoch nicht nur, daß der Veräußerer über den Veräußerungsvorgang am Markt in Erscheinung tritt. 137 Vielmehr muß er den Veräußerungsgewinn gerade aus der Teilnahme am Markt erzielen. 138 Der Veräußerungsgewinn muß im Rahmen einer dauernden festen Verbundenheit mit dem Markt, also in Ausübung der Teilnahme am Markt, und nicht nur bei Gelegenheit erzielt werden. 139

135

136 137

Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.159 f. Siehe oben § 12 1. 1. der Untersuchung.

Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 29 ff.

138 Ebenso Neumark, Theorie und Praxis der modemen Einkommensbesteuerung, 1947, S.44, rur die Beteiligung an der Bildung des Sozialproduktes. 139 Dem entspricht auch die umsatzsteuerliche Behandlung von Jahreswagenverkäufen durch Werksangehörige. Hier verneint der BFH, UR 1991, S.288 f., eine unternehmerische Tätigkeit der Werksangehörigen wohl aus den gleichen Erwägungen.

§ 12 Belaslun~grund fiir die Etfassung von VGen

69

Dies ist zweifellos bei Veräußerungen von Wirtschaftsgütern im Rahmen von Haupteinkünften der Nr.l - 3 des § 2 Abs.l EStG der Fall. Hier ist der Veräußerungsgewinn das Ergebnis einer bewußten gerade auch auf seine Erzielung gerichteten Tätigkeit,14O das Ergebnis des Gewinnstrebens, das eben nicht nur durch Waren- und Dienstleistungsumsätze, sondern auch durch Wertzuwächse im Bestand verfolgt wird. Seine Erfassung vom Belastungsgrund eines Markteinkommens im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft, selbständigen Tätigkeit und eines Gewerbebetriebes steht daher außer Zweifel. Hingegen kennzeichnet gerade den Privatmann und Bezieher von Nebeneinkünften der Nr.4 - 7 des § 2 Abs.l EStG, daß seine Tätigkeit nicht auf die Erzielung und Realisierung von Wertzuwächsen ausgerichtet ist. Die von ihm erzielten Veräußerungsgewinne sind im Gegensatz zu solchen eines Gewerbetreibenden, selbständig Tätigen oder Land- und Forstwirts zufällig und nicht das Ergebnis finaler Handlungen. Anders als bei den Haupteinkünften läuft die Veräußerung von Wirtschaftsgütern nur neben dieser Einkünfteerzielung her und ist kein Bestandteil von ihr. Sie erfolgt nicht im Rahmen einer dauernden festen Verbundenheit mit dem Markt, also nicht in Ausübung der Teilnahme am Markt, sondern nur bei Gelegenheit. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, 141 wenn sie bei der Abgrenzung des gewerblichen Grundstückshandels von der privaten Vermögensverwaltung konstatiert, daß die private Vermögensverwaltung nur dann überschritten sei, "wenn sich die Bau- und Veräußerungsmaßnahmen nicht mehr als Nutzung von Grundbesitz im Sinne einer Fruchtziehung darstellen, sondern die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung entscheidend in den Vordergrund tritt" .142 Diesen Unterschied zwischen Veräußerungen aus dem Betriebsvermögen und solchen aus dem Privatvermögen lassen die Vertreter einer achten Einkunftsart, die den Belastungsgrund auch bei Veräußerungen von Gegenständen des Privatvermögens erfüllt sehen wollen, gänzlich unberücksichtigt. Damit wird verkannt, daß die Gewinne nicht, wie bei Veräußerungen aus dem Betriebsvermögen, aus der Teilnahme 140

141

Neumark, Theorie und Praxis der modemen Einkomrnensbesteuerung, 1947, S.44.

BFH, BStBl. II 1973, S.260, 261; BFH, BStBl. II 1980, S.106, 107; BFH, BStBI. II 1980, S.318, 319; BFH, BStBl. II 1984, S.137, 139.

142 Siehe dazu HerrmanniHeuerlRaupach, EStG § 15 Rdn. 13 ff.; Schmidt in: Schmidt, EStG, 10.Aufl., § 15 Anm.10; Schmidt-Liebig, "Gewerbe" im Steuerrecht, Diss. jur. 1977, S.92 ff.; Tipke, Grundstücksveräußerungen im Steuerrecht, Gewerbebetrieb oder Vermögensverwaltung?, 1974, S.23 ff.; ZachariaslRinnewitz, FR 1984, S.377; dies., DStR 1984, S.193.

70

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

am Markt erzielt werden, sondern nur gelegentlich einer solchen Teilnahme. 143 Der Privatperson und dem Bezieher von Nebeneinkünften kann im Gegensatz zum Gewerbetreibenden keine dauernd verfestigte Verbundenheit mit dem Markt bescheinigt werden. l44 Seine Beziehung zum Markt ist nicht so hinreichend eng, daß man den Veräußerungsgewinn aus einer Teilnahme am Marktgeschehen bejahen könnte. Private Veräußerungsgewinne sind daher realisierte Vermögenszuwächse, die den Belastungsgrund im Sinne eines Markteinkommens nicht erfiillen. § 13 Fazit: Gehören private VGe zum Einkommen?

Der Gegenstand der Einkommensteuer ist zwei stufig aufgebaut. Einmal will er den Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfahigkeit erfassen, der durch Vermögenszuwächse verkörpert wird. Einkommensteuer soll nur der zahlen müssen, der sie auch bezahlen kann. 145 Diese Bedingung für sich gesehen wäre jedoch zu primitiv, sollte sie allein den Gegenstand der Einkommensteuer umschreiben. 146 Die Einkommensteuer wäre nur eine Steuer zur Abschöpfung des Vermögenszuwachses, wie sie sich im Falle einer konsequenten Verwirklichung der überkommenen Reinvermögenszuwachstheorie darstellen würde. Daher wird dieses Merkmal des Vermögenszuwachses ergänzt durch die Beschreibung der Ursache, die für den Vermögenszuwachs gesorgt hat: der Erzielung des Zuwachses aus der Teilnahme am Markt. Sie stellt das Kriterium dar, ob ein Sachverhalt dem Gegenstand der Einkommensteuer unterliegt oder nicht. Dieses Kriterium wird nicht bereits mit der Realisierung eines Gewinns durch die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes erfiillt. 147 Vielmehr kommt es auf die Umstände und Verhältnisse an, in die dieser Veräußerungsvorgang eingebettet ist. Die Veräußerung des Wirtschaftsgutes muß Teil der Gesamttätigkeit sein, durch die eine Teilnahme am Markt erfolgt, so wie dies bei Veräußerungen von Wirtschaftsgütern im Rahmen einer Haupteinkunftsart 143

144

Neumark, Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteuerung, 1947, S.44 f Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, S.F 27.

145 Deshalb wird die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch als bloße Besteuerung nach der Zahlungsfiihigkeit angesehen: Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III. 2. d), S.49; Kirchhof, StuW 1985, S.324. 146

Vgl. dazu auch Bayer, FR 1983, S.106 f

147 So aber die einhellige Ansicht in der Refonnliteratur, siehe oben § 12 I. und 11. der Untersuchung.

§ 13 Fazit: Gehören private VGe zum Einkormnen?

71

der Fall ist. Private Veräußerungsgewinne sind in eine solche in das Marktgeschehen integrierte Gesamttätigkeit, die der Erzielung von Einkünften dient, nicht eingebunden. Dies gilt auch für den Fall, daß das private Veräusserungsobjekt der Erzielung von Nebeneinkünften gedient hat. Anders als bei den Haupteinkünften läuft die Veräußerung des Wirtschaftsgutes nur neben dieser Einkünfteerzielung her und ist kein Bestandteil von ihr. Die Veräusserung erfolgt hier nicht im Rahmen einer dauernden festen Verbundenheit mit dem Markt, also nicht in Ausübung der Teilnahme am Markt, sondern nur bei Gelegenheit. Daher gehören private Veräußerungsgewinne nicht zum Einkommen. Damit ist jedoch noch kein abschließendes Ergebnis über die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen de lege ferenda gefunden. Der Belastungsgrund im Sinne eines Markteinkommens zur Definition des Gegenstandes der Einkommensteuer ist nur die derzeit geltende systematische Grundlage der Besteuerung, die konsequent l48 bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen im geltenden EStG durchgeführt worden ist. Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes unbenommen, diese Grundlage zu modifizieren oder durch eine andere zu ersetzen, so daß auch Veräußerungsgewinne des Privatverrnögens von dieser urnfaßt sein könnten. 149 Doch auch in einern solchen Fall wäre damit nicht die endgültige Entscheidung über eine Besteuerung privater Veräußerungsgewinne gefallen. Die Einkommenstheorie bildet zwar den Belastungsgrund für die Einkommensteuer. Jedoch auch wenn alle Veräußerungsgewinne von diesem Belastungsgrund erfaßt würden, wäre dies nur ein Indiz für die Steigerung der steuerlichen Leistungsfähigkeit und damit für die Steuerwürdigkeit des Veräußerungsvorgangs. Sie kann Modifikationen und gerechtfertigte Durchbrechungen erfahren, die ihren Grund in den Besonderheiten des Veräußerungsobjekts und den mit ihm einhergehenden spezifischen Rahmenbedingungen finden können. Mögliche Gründe für solche Modifikationen und Durchbrechungen sind daher in den Eigenarten des zu besteuernden Sachverhalts zu suchen und müssen in die Beurteilung miteinbezogen werden. 150 Dies soll in den folgenden beiden Abschnitten geschehen.

148

§§ 17 und 23 EStG bilden hier die Ausnahme.

149

BVerfGE 26, S.302, 312; BVerfGE 27, S.III, 126.

150

Siehe dazu bereits oben § 8 der Untersuchung.

72

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fur die SteuerlJeiheit privater VGe

2. Abschnitt: Langfristig erzielte Veräußerungsgewinne und Preisniveauänderungen Eine Besteuerung aller Veräußerungsgewinne unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit setzt die Möglichkeit einer quantitativ zutreffenden Ennittlung des tatsächlichen Gewinns voraus. Wenn der Gesetzgeber Veräußerungsgewinne in die Besteuerung miteinbezieht, so darf er nur die durch den Veräußerungsvorgang gestiegene wirtschaftliche Leistungsfahigkeit der Besteuerung zugrunde legen, muß also den Veräußerungsgewinn im wesentlichen zutreffend ermitteln können. 151 Kann er dies nicht, aus weIchen Gründen auch immer, so muß er auf die Besteuerung verzichten.

§ 14 Veräußerungsgewinne und Preisniveauänderungen I. Gewinnermittlung und Geldwertstabilität

Das Einkommensteuerrecht ennittelt den Veräußerungsgewinn de lege lata unabhängig von der Einkunftsart im wesentlichen durch die Gegenüberstellung der fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit dem Veräußerungspreis abzüglich der Veräußerungskosten.1 52 Veräußerungsgewinne werden somit durch den Unterschiedsbetrag von Geldwerten in zwei Zeitpunkten ennittelt. Hierfür dienen die Anschaffungs- und Herstellungskosten und der Veräußerungspreis als Wertbegriffe. Sie sind relativ leicht zu handhaben und werfen keine Probleme auf, da sie den tatsächlichen Lebenssachverhalten zu entnehmen sind. Die EnnittIung eines zutreffenden Veräußerungsgewinns verlangt aber nicht nur nach praktikablen Wertbegriffen, sie verlangt auch nach einem Wertmaßstab, der über den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung oder Herstellung einerseits und Veräußerung andererseits gleich ist. Für die Ennittlung der Veräußerungsgewinne ist der Geldwert die entscheidende Bezugsgröße, die Meßlatte, die an die Sachverhalte AnschaffungIHerstellung und Veräußerung angelegt wird. Dieser Maßstab muß daher, will man zutreffende Ergebnisse erzielen, immer gleich sein, darf also 151 Zulässige Typisierungen, die in Einzelfällen zu von der Wirklichkeit abweichenden Wertennittlungen fuhren können, sind als zutreffende Ennittlung anzusehen.

152 Siehe § 16 Abs.2, § 17 Abs.2, § 18 Abs.3 i.V.m. § 16 Abs.2, § 23 Abs.4 EStG und oben § 2 II. der Untersuchung.

§ 14 Veräußenmgsgewinne und Preisniveauänderungen

73

nicht länger oder kürzer werden. Es ist aber allgemein bekannt, daß dem nicht so ist. Der Geldwert als Maßstab für die Besteuerung ist nicht gleichbleibend. Er verändert sich ständig. Wie in nahezu jeder expandierenden Volkswirtschaft 153 ist seit Beginn der fünfziger Jahre ein stetiger Anstieg der Preise in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen. 154 Der Maßstab Geld wird, gleich einem Gummiband, immer länger. 155 Der Preissteigerung entspricht keine gestiegene Gegenleistung. Es tritt das ein, was die Volkswirtschaftslehre als Inflation 156 bezeichnet. 157 11. Veräußerungsgewinne und Scheingewinne

Die Inflation wird im Steuerrecht allgemein ignoriert. Das geltende Einkommensteuerrecht ist nach der Art der Einkünfteermittlung ein Schönwetterrecht, 158 das auf stabile Geldwertverhältnisse zugeschnitten iSt. 159 Es geht davon aus, daß das Geld stabil bleibt. Es gilt der Grundsatz "Mark = Mark". Das ist realitätsfremd. Das durch den Grundsatz "Mark = Mark" als Nominalismus in § 3 WährG fixierte Grundprinzip l60 ist somit eine Fiktion. 161 Es gefahrdet 153 154 155 156

Bettermann, ZRP 1974, S. 13; Hartz, DB 1973, S.1519; KaI/hasser, JA 1983, S.49. Vgl. Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1988, S.494 ff

Kruse, DStJG 7 (1984), S.5. Inflation, lat. intIare, meint die Aufblähung des Geldvolumens.

157 Die Ursache der Inflation ist auf ein Mißverhältnis der Steigerung des GeldumlaufVolumens zur Steigerung des Angebots an Waren und Dienstleistungen (Sozialprodukt) zUTÜckzufiihren, das auf Nachfragesog und Kostendruck beruht (Bell, Die Problematik der ScheingewiJUlbesteuerung, Diss. 1963, S.104; Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.25; Schmölders, Die schleichende Inflation· ein Ausdruck unserer Ungeduld, in: Schleichende Inflation?, 1965, S.132 f). Solange Geldvolumen und Gütennengen proportional zueinander wachsen, bleibt die Kaufkraft des Geldes konstant, wächst das Geldvolumen jedoch schneller, so sinkt der Geldwert, weil der größeren Geldmenge ein relativ geringeres Waren· und Dienstleistungsangebot gegenübersteht (Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.2). 158 Gemper, BB 1972, S.761. 159

BFH, BStBl. III 1967, S.690, 696.

160 Es besagt, daß der Geldwert weder dem Wert von Gold noch dem einzelner Güter oder Leistungen entspricht, sondern als Zahlungsmittel und Wertmesser ein Gut eigener und nur sich selbst gleicher Art ist (vgl. Fögen, NJW 1953, S.1321; Hahn, Währungsrecht, 1990, S.77). 161 Dies war jedoch nicht immer so. Wie alle wirtschaftsrechtlichen Prinzipien, so ist auch das

Nominalwertprinzip nur vor dem Hintergrund der Vorstellung einer bestimmten wirtschaftlichen Wirklichkeit verständlich. Die Entstehungszeit des Nominalismus fallt in die Zeit des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts und reicht bis in die Anfange dieses Jahrhunderts hinein. Diese Zeit war durch eine außerordentliche Geldwertstabilität gekennzeichnet. Der Preisindex hatte 1875 genau den gleichen Wert wie 1913. Diese Geldwertstabilität bildete die Basis fiir die Entwicklung des Nominalwertprinzips.

74

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

die materielle Gerechtigkeit, wenn bei der Ermittlung der Veräußerungsgewinne so getan wird, als sei der Geldwert stabil. 162 Sinkt inflationsbedingt der Geldwert, so ist nach einer Veräußerung für die Wiederbeschaffung des veräußerten Wirtschaftsgutes mehr Geld aufzuwenden als zum Zeitpunkt seiner Anschaffung. Die Wiederbeschaffungskosten haben sich infolge des Geldwertschwundes gegenüber den Anschaffungskosten erhöht. 163 Diesem Phänomen wird bei der Ermittlung der Veräußerungsgewinne auf der Basis des Nominalwertprinzips nicht Rechnung getragen. Das Steuerrecht setzt als Ausgangswert nicht den Wiederbeschaffungspreis an, sondern den niedrigeren Anschaffungspreis und wirft damit geldziffemmäßige Überschüsse und Gewinne aus, die unter Sachwertgesichtspunkten nur als Scheingewinne bezeichnet werden können. l64 Während substantielle Gewinne durch einen Umsatz am Markt entstehen, bilden sich Scheingewinne allein durch inflationsbedingte Preissteigerungen. 165 Je mehr Zeit zwischen Anschaffung/Herstellung und Veräußerung liegt, desto weiter ist die Geldentwertung fortgeschritten, desto größer ist der Scheingewinnanteil am ermittelten Veräußerungsgewinn. Bei langfristigen Veräußerungen kann dies dazu führen, daß Veräußerungsgewinne real gar nicht mehr vorhanden sind, der ermittelte Gewinn nur aus dem inflationär bedingten Scheingewinn besteht. Der quantitativen Größenordnung der Preisniveauänderungen ist daher für die Frage der Steuerwürdigkeit von Veräußerungsgewinnen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. 166

§ 15 Quantif"lZierung der Schein gewinne Die Quantifizierung der Scheingewinne erfordert die Erfassung und Abgrenzung realer Wert- und inflationsbedingter Preissteigerungen bei Veräuße162 163

Bettermann, RdA 1975, S.3; v.Wallis, DStR 1975, S.271. Wertverluste durch Abnutzung, technische Überholung etc. einmal in Abrede gestellt.

164 Vgl. zum Begriff des Scheingewinns: Grotherr, Die Scheingewinnbesteuerung im internationalen Vergleich, 1987, S.32 und 51 f

165

Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.40.

Im Schrifttum wird daher die Auffassung vertreten, daß das ständige Fortscmeiten der Inflation das einzige Element der künftigen Wirtschaftsentwicklung bilde, das mit Sicherheit vorhersehbar sei und als wirtschaftlicher Faktor erster Ordnung anzuerkennen ist, der nicht wegdiskutiert werden könne (v.Bockelberg, BB 1971, S.713 f; Friauf, StbJb. 1971/72, S.428; Rüfner, DVBI. 1970, S.883). 166

§ 15 Quantifizierung der Scheingewinne

75

rungsobjekten. Die Statistik arbeitet hier in der Regel mit Indexzahlen, die ein bestimmtes Basisjahr und Gut betreffend mit 100 angenommen und fiir andere Jahre entsprechend des geänderten Preisniveaus hoch- oder runtergerechnet werden. 167 Als Merkmal fiir das allgemeine Preisniveau werden die Steigerungsraten und Indexzahlen fiir die Lebenshaltungskosten angenommen (Warenkorbindex). Das Preisniveau der allgemeinen Lebenshaltung hat sich von 1949 bis heute ungefähr verdreifacht. Bezogen auf 1924 sind die Preise gar um das Fünffache gestiegen. 168 Diese Preisindizes sind jedoch fiir den vorliegenden Zweck nur bedingt geeignet. Sie geben allenfalls die allgemeine Tendenz wieder. Güter der täglichen Lebenshaltung stellen überwiegend keine typischen (langfristigen) Veräußerungsobjekte dar. Hierfür kommen, von Schmuck, Edelsteinen und Edelmetallen einmal abgesehen, hauptsächlich Immobilien, also bebaute und nicht bebaute Grundstücke in Betracht. Eindeutige quantitative Aussagen sind daher nur aus diesen Indizes zu erwarten. So sind die Baupreise im Verhältnis zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten überproportional gestiegen. Als Maßstab fiir die Preisentwicklung können hier die Feuerkassenrichtzahlen herangezogen werden, mit denen in der Gebäudeversicherung die Versicherungssumme bestimmt wird. Die Versicherer gehen bei der gleitenden Neuwertversicherung von einer Versicherungssumme nach Baupreisen des Jahres 1914 aus, die unter Anwendung der Richtzahl auf den Gegenwartswert hochgerechnet wird. 169 Dieser Index für Bauleistungen an Wohngebäuden ist von 1914 bis 1991 um mehr als das Siebzehnfache gestiegen, von 1948 bis 1991 immer noch fast um das SiebenfacheYo Im einzelnen stellt sich die Preisentwicklung folgendermaßen dar:

167

Vgl. Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik: Deutschland 1988, S.494.

168 V g1. den Preisindex fur die Lebenshaltung in langjähriger Übersicht, Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik: Deutschland 1988, S.520. 169

Vgl. Boldt, Die Feuerversicherung, 3.Aufl., 1979, S.20.

170 Vgl. Tabelle 2 und den Preisindex fur Wohngebäude (Bauleistungen am Bauwerk), Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik: Deutschland 1988, S.509.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

76

Tabelle 2 Mittlerer Baupreitlndex fUr Wobagebiude (Feuerkassenrichwhl), 1914 ~ 1,0 171 Jahr

Richtzahl

f1 Richtzahl zwn

WertinDM I72

Preisanstieg in % im Vergleich zwn

VOIjahr

Voljahr

1948

2,6

-

81.250,-

1949

2,5

- 0,1

78.125,-

1950

2,3

- 0,2

71.875,-

- 8,7

1951

2,7

+0,4

84.375,-

+ 14,8

1952

2,9

+ 0,2

90.625,-

+ 6,9

1953

2,8

-0,1

87.500,-

- 3,6

1954

2,8

+ 0,0

87.500,-

+0

1955

3,0

+ 0,2

93.750,-

+ 6,7

1956

3,0

+ 0,0

93.750,-

+0

1957

3,2

+ 0,2

100,000,-

+ 6,3

1958

3,3

+ 0,1

103.125,-

+ 3,0

1959

3,4

+0,1

106.250,-

+ 2,9

1960

3,7

+ 0,3

115.625,-

+ 8,1

1961

4,0

+ 0,3

125.000,-

+ 7,5

1962

4,3

+ 0,3

134.375,-

+ 7,0

1963

4,5

+0,2

140.625,-

+4,4

1964

4,7

+ 0,2

146.875,-

+4,3

1965

4,9

+ 0,2

153.125,-

+4,1

1966

5,1

+ 0,2

159.375,-

+ 3,9

1967

5,0

- 0,1

156.250,-

- 2,0

1968

5,2

+ 0,2

162.500,-

+ 3,8

1969

5,5

+ 0,3

171.875,-

+ 5,5

6,4

+ 0,9

100,000,-

+ 14,1

1970

-4,0

171 Quelle: Statistik und Rundschreiben der Westftilischen Provinzial Feuersozietät und eigene Berechnungen. 172 Das Zahlenbeispiel bezieht sich auf die Anschaffungs-/Herstellungskosten eines Einfamilienhauses im Jahr 1957, die mit 100.000 DM angenommen wurden.

§ 15 Quantifizierung der Scheingewimte

77

(Fortsetzung Tabelle 2) 1971

7,0

+0,6

218.750,-

+ 8,6

1972

7,5

+ 0,5

234.375,-

+6,7

1973

8,1

+ 0,6

253.125,-

+ 7,4

1974

8,6

+0,4

268.750,-

+ 5,8

1975

8,8

+ 0,2

275.000,-

+2,3

1976

9,2

+0,4

287.500,-

+4,3

1977

9,6

+0,4

300.000,-

+4,2

1978

10,2

+ 0,6

318.750,-

+ 5,9

1979

11,5

+ 1,3

354.375,-

+ 10,1

1980

12,5

+ 1,0

390.625,-

+9,3

1981

13,0

+ 0,5

406.250,-

+ 3,4

1982

13,4

+0,4

418.750,-

+ 3,0

1983

13,6

+0,2

425000,-

+ 1,5

1984

14,0

+ 0,4

437.000,-

+ 2,8

1985

14,0

+ 0,0

437.000,-

+0

1986

14,3

+ 0,3

446.875,-

+ 2,2

1987

14,5

+ 0,2

453.125,-

+ 1,4

1988

14,9

+0,4

465.625,-

+2,7

1989

15,4

+ 0,5

481.250,-

+ 3,3

1990

16,3

+ 0,9

509.375,-

+ 5,5

1991

17,4

+ 1,1

543.750,-

+ 6,3 0+5,8

Die Übersicht über die Preisentwicklung macht deutlich, daß sich die Baupreise seit dem Ende der fünfziger Jahre bis heute ca. alle 10 Jahre verdoppelt haben. 173 Diese Entwicklung des Preisniveaus im Bausektor ist maßgeblich für die hohen Gewinne bei der Veräußerung bebauter Grundstücke verantwortlich. Bei einer durchschnittlichen Kostensteigerung um ca. 6 % jährlich ist der 173 Vgl. die Kennzahlen und die berechneten Beispielwerte fiir die AnschatfungfHerstellung eines Einfamilienhauses in den Jahren 1957, 1970, 1981 und 1991 in Tabelle 2.

78

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fur die Steuerfieiheit privater VGe

Scheingewinnanteil an langfristig erzielten Gewinnen bei der Veräußerung bebauter Grundstücke dermaßen hoch, daß man den realen Wertzuwachs fast vernachlässigen kann. Mit einem 1970 für 200.000 DM erworbenen und heute für 550.000 DM veräußerten bebautem Grundstück würde ein nominaler Gewinn von 350.000 DM realisiert, der jedoch in Höhe von 343.750 DM nur ein inflationsbedingter Scheingewinn wäre. 174 Diese Zahlenbeispiele lassen sich beliebig fortführen. Bei langfristig erwirtschafteten Veräußerungsgewinnen ist es daher unmöglich, die angefallenen Steuern aus dem realen Gewinn des Veräußerungsgeschäfts zu entrichten. Die Preisentwicklung bei unbebauten Grundstücken zeigt ein fast identisches Bild: Tabelle .3 Baulandpreisentwicklung 1962 - 1987 im Durchschnitt rur alle Baulandverkäufe insgesamt: 175

Jahr

Preis in DMlqm Bauland

Index

1962 = 100

174

1962

11,54

100

1963

13,42

116

1964

14,25

124

1965

17,04

147

1966

18,93

164

1967

20,26

176

1968

22,52

195

1969

23,38

203

1970

25,29

219

1971

27,02

234

1972

31,41

272

Vgl. in Tabelle 2 die Richtzahlen und Anschaffungskosten rur die Jahre 1970 und 1991.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1968, S.443, 1975, S.441, 1982, S.500, 1988, S.510; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Wirtschaft und Statistik 1990, S.31 (Tabellenteil); eigene Berechnungen (Index). 175

§ 15 Quantifizierung der Scheingewimte

79

(Fortsetzung Tabelle 3) 1913

32,14

284

1914

30,11

261

1915

35,09

304

1916

39,98

346

1911

43,80

380

1978

46,58

404

1919

53,98

468

1980

62,43

541

1981

12,66

630

1982

82,99

119

1983

88,52

161

1984

81,12

160

1985

18,69

682

1986

84,00

128

1981

85,40

140

1988

88,25

165

1989

91,93

797

Auch hier verdoppelt sich ca. alle 10 Jahre das Preisniveau. 116 Der inflationsbedingte Scheingewinnanteil ist somit bei den Grundstücksgewinnen, die den größten Anteil langfristiger Veräußerungsgewinne ausmachen, besonders hoch. Damit wird erkennbar, daß reale Gewinnanteile bei langfristigen Veräußerungen und insbesondere im Fall von bebauten und unbebauten Grundstücken gegenüber inflationsbedingten Scheingewinnen quantitativ eindeutig in den Hintergrund treten, wenn nicht gar gänzlich keine Rolle mehr spielen. Dies gibt dazu Anlaß, die "zweitbeste Lösungsmöglichkeit" im Sinne von v.Arnim

176

VgJ. die hervorgehobenen Jahre in Tabelle 3.

80

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen rur die Steuerfreiheit privater VGe

und Borell 177 in Betracht zu ziehen, in dem auf die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne weiterhin verzichtet wird.

§ 16 Weitere Auswirkungen der Inflation auf die Besteuerung Die Besteuerung von Scheingewinnen, die zwar nominal aber nicht real vorliegen, stellt jedoch nicht die einzige Auswirkung der Inflation auf die Besteuerung dar. Die zentrale Bedeutung des Geldwertes als Wertmaßstab verfalscht die Ermittlung der Bemessungsgrundlage insgesamt und wirkt sich damit an all den Stellen bei der Besteuerung aus, die an die nominale Ermittlung der Bemessungsgrundlage anknüpfen. I. "Heimliche Steuererhöhungen" durch "kalte Progression"

Unmittelbar mit der Besteuerung von Scheingewinnen hängt die Verursachung einer Progressionssteigerung durch die inflationären Preissteigerungen zusammen. Nominale aber nicht reale Anteile am Veräußerungsgewinn blähen die Bemessungsgrundlage auf und drücken den Steuerpflichtigen in eine höhere Progressionsstufe. 178 Dies bedeutet, daß der Pflichtige infolge der Scheingewinne nicht nur Gewinne versteuern muß, die er real gar nicht erwirtschaften konnte, sondern diese Scheingewinne auch noch bei der progressiv ausgestalteten Einkommensteuer verschärft belastet werden. 179 Quantitativ ergibt sich für die Erhöhung des Steuersatzes folgendes: Zerlegt man den gesamten nominalen Gewinn in seinen realen und seinen Scheingewinnanteil und setzt den realen Gewinnanteil zu der tatsächlich auf den nominalen Gewinn gezahlten Steuer in Beziehung, so erhält man den tatsächlichen auf den realen Gewinn bezogenen Durchschnittssteuersatz. Dies ist der in Wirklichkeit maßgebende Steuersatz, da der Pflichtige die Steuer nur aus

177 vArnimIBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.40. 178 vArnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der SteuerzahJer, Heft 40, 1978, S.16; Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.28; Neumark, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970, S.53 f; Wagner, StuW 1976, S.229; v.Wallis, DStR 1975, S.272. 179

FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.24.

§ 16 Weitere Auswirkungen der Wla1ion auf die Besteuerung

81

realen Gewinnen entrichten kann, wenn sich seine Vermögenssubstanz nicht verringern soll. Zur Verdeutlichung soll folgendes Beispiel dienen: 180 Ein Veräußerungsgegenstand wurde in 01 für 2.000.000 DM angeschafft. Die jährliche Inflationsrate beträgt 2%. Der Gegenstand wird in 02 für 2.120.000 DM veräußert. Der nominale Veräußerungsgewinn beträgt somit 120.000 DM, also 6% des Anschaffungspreises des Gegenstandes. Die durchschittliche Steuer auf diesen Gewinn soll 33,3 % betragen, so daß die Steuerschuld 40.000 DM beträgt. Infolge der Inflation in Höhe von 2% ist in dem nominalen Gewinn in Höhe von 120.000 DM jedoch ein Scheingewinn von 40.000 DM enthalten. Der reale Gewinn beträgt daher nur 80.000 DM. Der PfIichtige hat somit die Steuerschuld in Höhe von 40.000 DM aus einem realen Gewinn von 80.000 DM zu begleichen. Dies entspricht einem durchschnittlichen Steuersatz von 50 %. Durch die nur 2%ige Inflation hat sich also der durchschnittliche Steuersatz betreffend dieses Veräußerungsvorganges um ca. 17% erhöht.

Aus dem Verhältnis von nominellem Steuersatz in Höhe von 33,3% und realem Steuersatz in Höhe von 50% wird deutlich, daß die inflationsbedingte "kalte Progressionsverschärfung" von erheblicher Bedeutung ist,181 obwohl dem Beispiel eine sehr niedrige Inflationsrate zugrunde gelegt wurde. Dem Steuerpflichtigen werden so Steuerzahlungen für Einkommensteile abverlangt, die seine tatsächliche Leistungsfähigkeit nicht verändert haben, sondern nur nominell vorhanden sind und dem Ausgleich der Geldentwertung dienen. 182 Das der Steuerprogression zugrundeliegende Leistungsfähigkeitsprinzip wird durch die Inflation verzerrt, da eine höhere Belastung des Steuerpflichtigen auch dann eintritt, wenn sein reales Einkommen sich überhaupt nicht oder nicht in dem der Besteuerung zugrundeliegenden Maße erhöht hat. 183 In dem gewählten Beispiel könnte die Steuer noch aus dem realen Gewinn gezahlt werden. Ist jedoch die Inflationsrate höher und die Besitzzeit länger, so kumulieren die Scheingewinne Jahr für Jahr und weiten sich im Verhältnis zum realen Gewinnanteil immer weiter aus. 184 So wird sehr schnell der Punkt erreicht, von dem an die Steuerschuld nicht mehr aus dem real erwirtschafteten Gewinn gezahlt werden kann. Der Pflichtige müßte die Substanz angreifen. 18S Zu einer Substanzbesteuerung kommt es daher immer dann, wenn die nach 180 181 S.15.

182 183 184 185

S.105.

Vgl. auch Bell, Die Problematik der Scheingewinnbesteuerung, Diss. 1963, S.64 f. Vgl. auch Dürr, Geldentwertung und Steuerbelastung, in: Steuerprobleme Heft 10, 1947, v.Wallis, DStR 1975, S.272. FranzerVMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.26. Feuerbaum, OB 1973, S.739. Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.35; Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974,

6 Durchlaub

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

dem Nominalwertprinzip berechnete Steuerschuld größer ist als der inflationsbereinigte Gewinn. 186 Eine Veräußerung des Wirtschaftsgutes hätte somit erhebliche, nicht hinnehmbare Folgen. In diesem Fall erlangt die Steuer einen prohibitiven Charakter. 187 11. Die zwei Seiten der Inflation bei der Besteuerung

Die Inflation zeigt überall dort ihre Wirkung, wo das Geld als Wertrnaßstab eingesetzt wird. Sie verschont daher keinen. Weder den Steuerpflichtigen noch den Staat selbst. Doch sind die Auswirkungen der Inflation nicht einheitlich, sie hat zwei Seiten, Vor- und Nachteile: 188 Den Inflationsverlust und den Inflationsgewinn. 189 Es gibt demnach Benachteiligte aber auch Begünstigte ("Inflationsgewinnler").190 Geldsparer verlieren durch den Geldwertverfall, Schuldner gewinnen, da sich die Rückzahlung der Schulden nur nach dem Nominalwert richtet, der Realwert aber infolge des Wertverfalls abgenommen hat. 191 Diese Konsequenz wirkt sich auch auf die Besteuerung aus. Erfaßt die Besteuerung auf Grund der Inflation im aktivischen Bereich infolge der Einbeziehung durch das Nominalwertprinzip Scheingewinne, die real nicht vorhanden sind, so wirkt sie im passivischen Bereich umgekehrt und bewirkt das Gegenteil. Passiva, also insbesondere Verbindlichkeiten, die auch zum Nominalwert angesetzt werden, verringern sich durch die Inflation in bezug auf den Realwert. Dies führt dazu, daß nominal nicht erfaßte, aber real vorhandene Schuldnergewinne entstehen, die bei der Besteuerung unberücksichtigt bleiben. 192 Der Pflichtige erleidet somit infolge der Inflation bei einer Besteuerung der Veräußerungsgewinne einbußen. Bei der steuerlichen Erfassung der Ver-

186 187

Kirschner, BB 1983, S.475. Feuerbaum, OB 1973, S.739.

188 Wobei in der Regel nur die Nachteile beklagt und die Vorteile schweigend genossen werden, vgl. Zacher, Verhandlungen des 50. OIT 1974 in Hamburg, Band 1I: Sitzungsberichte, S.N 15. 189

190

v.Wallis, OStR 1975, S.274. Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.19.

191 vArnimIBorell, Inflation, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 23, S.lI; Fltimig, StKongRep. 1969, S.437; Müller, StKongRep. 1975, S.378; Teufel, Inflation und Steuerrecht, Oiss. 1974, S.68.

192

Müller, StKongRep. 1975, S.386.

§ 16 Weitere Auswirkungen der Inflation auf die Besteuerung

83

bindlichkeiten erzielt er aber einen Vorteil,193 da Schuldnergewinne auf Grund des Nominalwertprinzips steuerlich nicht erfaßt werden können. IU. AfA-Sätze, Freibeträge und Freigrenzen in der Inflation

Die Inflation wirkt sich schließlich auch insoweit auf die Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus, als das Einkommensteuerrecht fiir die Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne Beträge angibt, die die Bemessungsgrundlage mindern oder die Steuerpflicht ausschließen können. Dies gilt fiir Freibeträge und Freigrenzen ebenso, wie fiir die Höhe der MA-Sätze. Die überproportionalen Preissteigerungen im Hochbau 194 fuhren in besonderem Maße dazu, daß die in § 7 EStG vorgesehenen MA-Sätze dem wirklichen Wertverzehr nicht entsprechen. 195 In Zeiten der Inflation liegt der steuerlich anerkannte Anschaffungswert unter dem unter Substanzerhaltungsgesichtspunkten wirtschaftlich maßgebenden Wiederbeschaffungswert, so daß die Summe der MABeträge, die auf dem Anschaffungswert beruhen, zu niedrig ist. Geht man von den Anschaffungswerten aus, so müßten zumindest die Abschreibungsbeträge erhöht, d.h. die Abschreibungsdauer verkürzt werden. In Zeiten steigender Preise sind die gesetzlich zulässigen Abschreibungen daher zu niedrig bemessen,196 sie müßten entsprechend der Inflation angehoben werden. Da dies jedoch nicht der Fall ist, wird hierdurch die Erfassung von Scheingewinnen begünstigt. 197 Daneben verlieren die eingeräumten Freibeträge und Freigrenzen Jahr für Jahr von ihrer Wirkung, da sie mit der inflatorisch aufgeblähten Bemessungsgrundlage nicht mitwachsen.

193 194

FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.61. Siehe oben § 15 der Untersuchung.

195 vArnim, Die Besteuerung von linsen bei Geldentwertung, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 40, S.17.

196 197 6·

Bierle, lnflation und Steuer, 1974, S.44. Teufel, lnflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.149.

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

§ 17 Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und Besteuerung von Wertsteigerungen Daß die beschriebenen Auswirkungen, die bei der Besteuerung von Veräusserungsgewinnen im Zusammenhang mit der Inflation auftreten können, nicht im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind, liegt auf der Hand. 198 Das Einkommensteuergesetz ist unter anderem auch durch das Leistungsfähigkeitsprinzip geprägt. 199 Es basiert auf dem Grundgedanken, daß jede Person nur insoweit mit Steuern belastet werden soU, wie sie in der Lage ist, die Steuern zu entrichten. 2oo Steigende Leistungsfähigkeit des einzelnen geht daher in der Regel mit einer steigenden Steuer einher. Sofern Veräußerungsgewinne auf realen Wertzuwächsen beruhen, ist ihre Besteuerung, betrachtet man sie allein unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit, berechtigt. Soweit sie allerdings nur von einer inflatorischen Aufblähung des Veräußerungspreises herrühren, liegt die Ungerechtigkeit der Besteuerung auf der Hand. 201 Hier muß der Pflichtige Scheingewinne als Einkommen versteuern, die er nach der realen Kaufkraft des Geldes überhaupt nicht erhält. Hinzu kommt, daß er diese "Gewinne" auch noch progressiv versteuern muß, was die Ungerechtigkeit noch weiter verschärft. Je nach Inflationsrate und Besitzdauer kann dies dazu führen, daß die Steuern nicht mehr aus den realen Gewinnen gezahlt werden können, sondern die Substanz angreifen. Hier wird besonders evident, daß beim Steuerpflichtigen auf diese Weise Einkommensteile besteuert werden, die nur seine nominelle, nicht aber seine tatsächliche Leistungsfähigkeit erhöht 198

Vgl. H. Vogel, BB 1956, S.32.

Albers, FinArch. N.F. Bd.18 (1957/58), S.423; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuemonn, 1983; Haller, FinArch. N.F. Bd.31 (1972173), S.461 ff.; Hensel, VSchrStFR 1930, S.441; Klein, Gleichheitssatz und Steuerrecht, 1966, S.208 ff.; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/88, S.97 f.; Neumark, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970, S.121 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.II, 1980, S.1109; Tipke/Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.57 ff.; Tipke, Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 1981, S.57 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, 1980, S.155 ff.; kritisch: Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III. 2. d), S.51; Leisner, StuW 1983, S.97 ff. 199

200 Kruse. Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III. 2. d), S.49. Diese Absage an die Kopfsteuer, die als sozial ungerecht angesehen wird, da sie alle PfIichtigen absolut und nicht relativ (nach ihrer Leistungsfähigkeit) gleichmäßig belastet, ist im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung im Grundgesetz nicht direkt erwähnt. Sie folgt jedoch indirekt aus dem Sozialstaatsprinzip, das den Gesetzgeber mit der Schaffung einer sozial gerechten Ordnung beauftragt (BVerIDE 22, S.180, 204). Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt daher das Leistungsfähigkeitsprinzip fiir die Einkommensteuer an (BVerIDE 6, S.55, 67; BVerIDE 9, S.237, 243; BVerfGE 13, S.290, 297).

201 vArnimIBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.14.

§ 18 Reale Wertsteigerungen contra Nominalwertprinzip

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haben. 202 Der Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip bei der Besteuerung langfristig erzielter Veräußerungsgewinne mit hohem inflationsbedingtem Scheingewinnanteil ist damit schwerwiegend und unübersehbar. Der Staat würde sich bei den langfristig erzielten Veräußerungsgewinnen im Fall ihrer Besteuerung im privaten Bereich an der Inflation bereichern. 203 Da der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung der Einkommensteuer neben anderen Gesichtspunkten auch für das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab für die Besteuerung entschieden hat,204 ist er im Rahmen des Gebots des folgerichtigen Handeins als Konkretisierung des Willkürverbots (Art.3 Abs.l GG) an die Einhaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips grundsätzlich gebunden. 205 Hiervon abzuweichen, würde einen sachlichen Grund erfordern. Da die inflationsbedingten Scheingewinne bei langfristig erzielten Veräußerungsgewinnen einen hohen Anteil nehmen, müßte ein solcher Grund von entsprechendem Gewicht sein, um den schweren Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigen zu können.

§ 18 Reale Wertsteigerungen contra Nominalwertprinzip Der Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip infolge einer Scheingewinnbesteuerung könnte durch das Nominalwertprinzip gerechtfertigt sein. Das Scheingewinnproblem bei Besteuerung aller Veräußerungsgewinne ist durch den Nominalismus bedingt. Scheingewinne könnten durch eine Indexierung der Preise und die Zulassung von Wertsicherungsklauseln neutralisiert und die realen Wertzuwachsgewinne allein erfaßt werden. Doch stellt sich hierbei die Frage, ob eine Aufgabe des Nominalwertprinzips möglich ist oder ob nicht gar gravierende Gründe gegen einen Valorismus sprechen. 202 vArnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 40, S.39; FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.26; Kirschner, BB 1983, S.480; Kröger, NJW 1974, S.2306; Schildbach, ZfbF 1981, S.969 ff.

203 vArnimiBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.14. 204

S.211 f.

205

Vgl. die RegierungsbegJiindung zum Einkommensteuergesetz 1975, BT-Drucks. 7/1470, Siehe zum Grundsatz der Folgerichtigkeit: oben § 12 der Untersuchung.

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

Das Nominalwertprinzip dient der Stabilität und Klarheit und damit dem reibungslosen Funktionieren des wirtschaftlichen Verkehrs und der Rechtssicherheit. 206 Die im Falle einer Indexierung ständig erforderlichen Umrechnungen der Preise auf den Realwert würden zu erheblichen Komplizierungen und Erschwerungen führen. 207 Die Leichtigkeit und Schnelligkeit des Wirtschafts- und Geschäftsverkehrs würde eine bedeutende Beeinträchtigung erfahren. Ein Waren- und Leistungsaustausch in einer fortentwickelten und komplexen Gesellschaft wird erst durch ein Rechnen mit Geld auf nominaler Basis möglich. 208 Das Geld bildet damit den Maßstab für jedes wirtschaftliche Handeln. Es stimmt die einzelnen Wirtschaftsrechnungen einer Volkswirtschaft aufeinander ab und reguliert den gesamten Wirtschaftsprozeß. Das Nominalwertprinzip ist somit ein hochrangiges Ordnungsprinzip des Währungs- und Wirtschaftsrechts und tragende Säule einer jeden Verkehrswirtschaft. 209 Seine Aufgabe würde schwerwiegende Nachteile für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft nach sich ziehen. In Anbetracht dieser Umstände scheidet die Aufgabe des Nominalismus trotz immerwährender Inflation sowohl aus währungspolitischen als auch aus praktischen Gründen aus. 210 Die Besteuerung unter dem Nominalwertprinzip ohne Berücksichtigung inflationsbedingter Preissteigerungen ist in Kauf zu nehmen. Das Geldwertproblem ist derzeit noch nicht gelöst, eine Lösung auch nicht in Sicht. 211 Die für das Nominalwertprinzip sprechenden gewichtigen Gründe können als sachgerechte Erwägungen somit auch Verstöße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigen. Sie setzen den Gesetzgeber bei einer Besteuerung von Scheingewinnen nicht dem Vorwurf mangelnden folgerichtigen, willkürlichen Verhaltens aus.

206

Beisse, lnf. 1973, S.338.

207

vArnimIBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, Karl-Bräuer-1nstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.12. 208 FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.2. 209 BFH, BStBl. III 1967, S.690, 696; FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.3. 210

BVerIDE 50, S.57 ff.;Pohmer, FS-Brandt, 1983, S.383 rn.w.N.

211

Vgl. Kruse, DSUG 7 (1984), S.5.

§ 19 Scheingewinnbesteuerung Wld Verbot der Substanzbesteuerung

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§ 19 Scheingewinnbesteuerung und Verbot der Substanzbesteuerung Sieht man den Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip durch die herausragende Bedeutung und Funktion des Nominalismus als gerechtfertigt an, so verbleibt immer noch die Frage, ob die Fiktion einer stabilen Währung unter Geltung des Nominalwertprinzips nicht zu Ungerechtigkeiten fuhrt, die angesichts der verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte nicht zu rechtfertigen sind. 212 Es ist daher zu prüfen, ob nicht aus anderen verfassungsrechtlichen Erwägungen eine Besteuerung der (privaten) Veräußerungsgewinne zu unterbleiben hat. I. Der Substanzeingriff durch die Besteuerung langfristiger Veräußerungsgewinne

Die Untersuchung der Auswirkungen der Besteuerung langfristiger, den Einflüssen der Inflation unterliegender Veräußerungsgewinne hat ergeben, daß es schon bei einer nur geringen Inflationsrate in Verbindung mit langen Besitzzeiten unter Umständen unmöglich werden kann, die durch den Veräusserungsvorgang angefallenen Steuern aus dem realen Gewinn des Veräußerungsgeschäfts zu entrichten. 213 Die von langfristigen Veräußerungsgewinnen vorzugsweise betroffenen Grundstücke mit aufstehenden Bauten waren in den letzten 40 Jahren überproportional vom Preisauftrieb betroffen. 214 Der inflationsbedingte Scheingewinnanteil ist bei den Grundstücksgewinnen, die den größten Anteil langfristiger Veräußerungsgewinne ausmachen, besonders hoch. In diesen Fällen ist somit nicht nur die Gefahr einer Substanzbesteuerung zu besorgen, sondern sie wird hier regelmäßig eintreten. 215 Die Abschöpfung nicht nur aller realen Erträge, sondern auch noch der Eingriff in die Substanz, muß aber zu der Frage führen, ob die Besteuerung langfristiger Veräußerungsgewinne nicht einen Verstoß gegen Art. 14 GG darstellt. 216

212

Vgl. Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.5.

213

Siehe oben § 15 und § 16 I. der Untersuchung.

214 215 216

Siehe oben § 15 der Untersuchung. Vgl. Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.35; Friauf, StbJb. 1971172, S.437.

Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.105.

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

11. Die intlationsbedingte Substanzbesteuerung und der Grundrechtsschutz nach Art. 14 GG

Ob und unter welchen Voraussetzungen Steuergesetze gegen die Eigentumsgarantie des Art.14 GG verstoßen können, gehört zu den umstrittensten und noch nicht abschließend geklärten Fragen des Verfassungsrechts. 217 1. Der Steuereingriff und der Schutzbereich des Art. 14 GG Problematisch ist bereits, ob die Eigentumsgarantie überhaupt vor einer Besteuerung schützt und nicht nur vorbehaltlich des Besteuerungsrechts gewährleistet wird, so daß der Schutzbereich des Art. 14 Abs.l GG den Vermögensverlust durch Besteuerung nicht erfaßt. 218 Nach früher vorherrschender, der Zivilrechtsdogmatik219 entlehnter Auffassung war das Vermögen als solches durch das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG nicht geschützt. Vermögensbeeinträchtigungen durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten in der Form von Abgaben und Steuern waren nicht an Art. 14 GG zu messen. 220 Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG durch die Steuergewalt war nach dieser Ansicht schon begriftlich weder unmittelbar221 noch mittelbar222 möglich. In neuerer Zeit wird jedoch immer dringlicher die Ansicht vorgetragen, daß das Vermögen als solches in den Eigentumsbegriff einzubeziehen sei, damit die Frage der Bezogenheit der Steuerforderung auf ein bestimmtes Gut nicht entschieden werden müsse und so der Eigentumsschutz auch auf Eingriffe durch die Steuergewalt erstreckt werden könne, damit diese "offene Flanke" der Eigentumsordnung (Hesse) abgedeckt werde. 223

217 Eine umfassende Behandlung dieser Problematik würde sicher den Rahmen sprengen. Sie ist jedoch auch fiir die vorliegende Problematik der Zu lässigkeit einer Substanzbesteuerung nicht erforderlich. Es werden daher nur die fiir eine Lösung der vorliegenden Fragestellung relevanten Gesichtspunkte aufgenommen. 218 So Forsthoff, BB 1953, S.421; Bellstedt, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung durch Steuern, 1962, S.124; Ehlermann, Wirtschaftslenkung und Entscheidung, 1957, S.91; Hettlage, VVDStRL 14 (1956), S.33 LS 5; vgl. zum folgenden: Leisner in: Isensee/Kirchhoj(llisg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 149 Rdn.124 ff. 219 220

Vgl. BGHZ 6, S.270 (LS 111 1). BVerfGE 27, S.326, 343.

221

BVerfGE 4, S.7, 17; st. Rspr. bis BVerfGE 30, S.250, 271 f

222

BFHE 92, S.495, 505.

§ 19 Scheingewinnbesteuerung und Verbot der Substanzbesteuenmg

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Diese neuere Auffassung entspringt dem Gedanken, daß der Staat, um handlungsfähig zu bleiben, zwar auf Steuern angewiesen ist, was das GG in seinem X. Abschnitt auch anerkennt, auf der anderen Seite der Staat aber auch Rechtsstaat (Art.20 Abs.l GG) ist, der Eigentum und Erbrecht in Art. 14 Abs.l GG gewährleistet. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage zu betrachten, inwieweit der Staat in seinem Besteuerungsrecht durch die Eigentumsgarantie beschränkt ist. 224 Das Spannungsverhältnis aus dem Sachzwang des Einnahmenbedarfs eines Rechtsstaates einerseits und des Grundrechtsschutzes des einzelnen gegen den Staat andererseits wollte Thoma225 in seiner gutachtlichen Stellungnahme zum Beschluß des Grundrechtskataloges dadurch gelöst wissen, daß er zur KlarsteIlung den Schutz von Eigentum und Erbrecht nur "unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt" im heutigen Art.14 GG festschreiben wollte. 226 Dieser Vorschlag Thomas fand jedoch in den Grundrechtstext keinen Eingang. Man hielt das Besteuerungsrecht für derart unverzichtbar und selbstverständlich, daß man nicht auf den Gedanken einer Kollision mit dem Eigentumsrecht kam. Eine ausdrückliche Regelungsbedürftigkeit im Grundrechtstext wurde daher verneint. Auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde von einem ungeschriebenen Steuervorbehalt in Art. 14 GG als Bestandteil des geltenden Verfassungsrechts ausgegangen. 227 Das BVerfG hat ebenfalls Art. 14 GG nicht als Abwehrrecht gegen Eingriffe in das Vermögen durch die Auferlegung staatlicher Geldleistungspflichten angesehen. 228 Hieraus jedoch den Schluß zu ziehen, daß die Besteuerung Art. 14 GG unberührt lasse, ist mißverständlich. 229 Ein Verstoß gegen Art.14 GG durch den

223 vArnim, VVDStRL 39 (1980), S.300 f.; Denninger, Die AG 1978, S.72; Friauf, JbFSt 1971/72, S.72 ff.; Kirchhof, VVDStRL 39 (1980), S.235; Schenke, FS-Annbruster, 1976, S.186 f.; Wendt, NJW 1980, S.2113; 224 VgJ. Friauf, StbJb. 1971/72, S.426. 225 Siehe dazu bereits oben § 10 11. 3. der Untersuchung; Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rats beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs, 25.10.1948, Rek 167 Deutscher Bundestag 11.7.56. 226 Thoma, Kritische Würdigung v. 25.10.1948, Rek 167 Deutscher Bundestag 11.7.56., S.l 0 u. 16. 227

Klein, StuW 1966, Sp.436 ff. m.w.N.

228 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 4, S.7, 17; BVerfGE 19, S.119, 129; BVerfGE 23, S.12, 17; BVerfGE 26, S.327, 338; BVerfGE 28, S.119, 142; BVerfGE 30, S.250, 271; ebenso der BFH, BFHE 89, S.422, 441.

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Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

Steuereingriff kann nach dem BVerfG dann angenommen werden, wenn die Geldleistungspflichten den Steuerpflichtigen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen, mithin konfiskatorisch wirken würden. 230 Der Schutzbereich des Art.14 GG erfaßt daher zwar nicht die notwendige und verhältnismäßige Besteuerung, die übermäßige, über das notwendige Maß hinausgehende, konfiskatorische Steuer fallt jedoch unter den Schutzbereich des Art.14 GG. Bei einem richtigen Verständnis der Eigentumsgarantie kann somit diese Rechtsprechung nur dahingehend interpretiert werden, daß sie in ihrem Kern nicht auf das "Ob", sondern nur auf das "Inwieweit" der Anwendbarkeit des Art. 14 GG abstellt. 231 Schulte hat bereits richtig erkannt, daß das Spannungsverhältnis zwischen Besteuerung und Eigentumsgarantie nur dann sachgerecht gelöst werden kann, "wenn nicht die FoIgen 232 einer Maßnahme diese Maßnahme als Enteignung charakterisieren, sondern der Zweck der Maßnahme 233 für die Einordnung maßgebend ist. "234 In die gleiche Richtung geht die Forderung Kirchhofs nach einer "eigentumsschonenden Deckung des staatlichen Finanzbedarfs".235 Dieser Gedanke geht mit der Forderung des GG in Art. 106 Abs.3 Satz 4 Nr.2 einher, wonach bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder bei der Frage der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens "eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden" werden soll. Hiernach darf ein Fehlbedarf des Bundes oder der Länder erst dann durch Steuererhöhungen gedeckt werden, wenn keine andere Möglichkeit zur Deckung des Fehlbedarfs, auch nicht durch eine veränderte Verteilung der Umsatzsteuer, möglich ist. 236 Art. 106 Abs.3 Satz 4 Nr.2 GG gilt jedoch als Wertentscheidung nicht nur für die Umsatzsteuer, sondern für alle Steuern. 237 Zudem kann aus der Natur der

229

Ebenso TipkeILang, Steuerrecht, 12.Aufl., 1989, S.53.

BVerfGE 17, S.135, 137; BVerfGE 19, S.119, 129; BVerfGE 23, S.288, 314; BVerfGE 30, S.250, 271; BFHE 92, S.495, 505. 230

, 231

Kirchhofund vArnim, VVDStRL 39 (1980), S.213 ff., 286 ff.; Birk, StuW 1980, S,366; TipkeILang, Steuerrecht, 12.Aufl., 1989, S.53. 232 233

Hervorhebungen diesseits.

234

Schulte, Zur Dogmatik des Art. 14 00,1979, S.42.

Hervorhebungen diesseits.

235

Kirchhof, VVDStRL 39 (1980), S,213 ff. LS I.

236

Maunz in: MaunzlDüriglHerzoglScholz, 00 Art. 106 Rdn.60.

§ 19 Scheingewinnbesteuerung und Vetbot der Substanzbesteuerung

91

Sache die Wertentscheidung des Art.106 Abs.3 Satz 4 Nr.2 GG bei anderen Steuern weniger die Steuerverteilung als nur die Steuerbelastung betreffen. Wie eine Überbelastung der Steuerpflichtigen bei der Verteilung der Steuern nach bereits stattgefundener Belastung vermieden werden kann, ist nicht einsichtig. Über die Belastung des Steuerpflichtigen wird nicht bei der Steuerverteilung (Art.106 GG), sondern bei der Ausgestaltung der Steuertatbestände und Steuersätze entschieden. 238 Das entscheidende Kriterium für eine Beschränkung der Besteuerung durch Art. 14 GG ist somit das Übermaßverbot. 239 Jedoch läßt sich eine zu hohe Steuerlast und damit eine rechtsstaatlieh unzulässige Steuerbelastung mit juristischen Maßstäben schwerlich qualifizieren. Lang hat daraus zutreffend den Schluß gezogen, daß die Eigentumsgarantie weniger ein Schutz gegen die Höhe der Gesamtsteuerlast "als vielmehr gegen die Art und Weise der Steuerlastausteilung" sein kann. 24O Hieraus zieht er die Konsequenz, daß die Gesamtsteuerlast nach dem einkommensteuerlich systemimmanenten Verteilungsschlüssel der Leistungsfähigkeit so auf die einzelnen Steuerpflichtigen zu verteilen ist, daß sie der Eigentumsfreiheit des einzelnen Steuerpflichtigen möglichst wenig Nachteile zufiigt.241 Im Anschluß an Kirchhof242 kann die Steuerlast vom Gesetzgeber auf die Steuerpflichtigen nach ihren Anknüpfungspunkten derart verteilt werden, daß die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bei der Vermögenssubstanz, beim Vermögenszuwachs oder beim Konsum erfaßt wird. Die Wahlmöglichkeit zwischen diesen Anknüpfungspunkten schränkt die Eigentums- und Erbrechtsgarantie dahingehend ein, daß die Leistungsfähigkeit, die aus der Vermögenssubstanz entsteht, zum primär ungeeigneten Indikator steuerlicher Leistungsfähigkeit wird. 243 Solange das Steueraufkommen auch aus einer Belastung des Vermögensertrags bestritten werden kann, ist ein Eingriff in die Vermögenssubstanz unzulässig, weil nicht erforderlich und deshalb übermäßig. Hiermit stimmt auch die Rechtsprechung des

237

BK VogellWalter, GG Art. 106 Rdn.181.

238

239

BK VogellWalter, GG Art. 106 Rdn.182. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.157.

240

Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.159.

242

Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.159. Kirchhof, VVDStR139 (1980), S.213 ff.

243

Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981188, S.160.

241

92

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

BVerfG und des BF1F44 überein, wenn von den Gerichten festgestellt wird, daß Art.14 GG nicht durch die Auferlegung bestimmter Geldleistungspflichten verletzt wird, "solange die Substanz durch die Besteuerung unangetastet bleibt. "245 Art.14 GG verbürgt daher eine Substanzgarantie, die den Steuereingriff beschränkt und am Grundsatz des Übermaßverbotes ausgerichtet ist. Dieses prinzipielle Verbot der Substanzbesteuerung achtet sowohl den Anspruch des Staates auf finanzielle Unabhängigkeit, wird aber auch gleichzeitig dem rechtsstaatlichen Gebot geringstmöglichen Eingriffs in die (Eigentums-)Freiheit des Bürgers gerecht. Eine in diesem Sinne verstandene Eigentums- und Erbrechtsgarantie kann einen Steuereingriff in die Vermögenssubstanz verhindern. 246 Aus dem so abgeleiteten Verbot einer Substanzbesteuerung kann hinaus gefolgert werden, daß sich die Gewährleistung der Eigentumsgarantie auch auf einen angemessenen Ertrag aus dem Eigentum erstrecken muß. 247 Der Substanzwert steht in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ertragswert. Eine übermäßige Besteuerung des Ertrages kann daher auch insoweit auf die Substanz durchschlagen und sie entsprechend mindern, als durch die Wegsteuerung der Erträge die Eigennützigkeit des Eigentums aufgehoben würde. 248 Die Besteuerung aller langfristig erzielten Veräußerungsgewinne ist somit vom Schutzbereich des Art. 14 GG erfaßt.

244

BFH, BStB\. III 1967, S.690, 698.

245

BVerlG, HFR 1969, S.347.

246

Lang, Die Bemessungllgrundlage der Einkonunensteuer, 1981188, S.160.

247 Bettermann, ZRP 1974, S.18; Bundessteuerberater-Kammer, DStR 1978, S.21O; Papier, AöR 98 (1973), S.559 ff.; Rüjher, DVB\. 1970, S.882; Seimer, Steuerinterventionismus und Verfassungllrecht, 1972, S.326; Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.115; v.Wallis, DB 1973, S.846.

248 Papier, Der Staat 11 (1972), S.514 (LS 7); K. Vogel, Finanzverfassung und politisches Ermessen, 1972, S.42 f.

§ 19 8cheingewinnbesteuerung und Verbot der 8ubstanzbesteuerung

93

2. Eingriff in den Schutzbereich bei nur realem aber nicht nominalem Substanzeingriff - Substanzbesteuerung als Problem nicht des Steuer- sondern des Währungsrechts? Auch wenn man den Schutzbereich des Art. 14 GG im Fall einer Substanzbesteuerung für eröffnet hält, wird der Grundrechtsschutz teilweise mit der Begründung verneint, daß es im Falle einer inflationsbedingten Substanzbesteuerung an einem Eingriff in Art.14 Abs.l GG mangele. 249 Hierzu wird angeführt, daß der Substanzeingriff nicht nominal, sondern nur real vorhanden sei und der Steuergesetzgeber die Geldentwertung nicht selbst verursacht, sondern sie lediglich vorgefunden habe. 25o Aus diesem Grunde sei die Besteuerung im Hinblick auf Art. 14 Abs.l GG "eingriffsneutral", da für den Substanzeingriff nicht das Steuerrecht, sondern nur die Geldentwertung ursächlich sei. 251 Dieses Argument trifft jedoch nicht den Kern des Vorwurfs des Substanzeingriffs durch die Besteuerung. Zwar ist richtig, daß es nicht zu den Aufgaben des Steuerrechts gehört, die durch die Inflation hervorgerufenen Ungerechtigkeiten auszugleichen. Die Kritik an einer Besteuerung auf der Basis inflationsverzerrter Bemessungsgrundlagen wird jedoch auch nicht von diesem Gedanken getragen. 252 Es geht vielmehr um die Frage, ob das Steuerrecht durch ein Anknüpfen an die inflatorisch verfälschten Bemessungsgrundlagen die durch den Geldwertverfall an sich schon bestehenden Ungerechtigkeiten noch verstärken darf. 253 Unter dem Gesichtspunkt einer gerechten und an Art.14 Abs.l GG orientierten Besteuerung ist es unhaltbar, daß das Steuerrecht Erträge erfaßt, die wirtschaftlich keine Erträge sind254 und deshalb keine steuerliche Leistungsfähigkeit begründen. 255 Auch wenn die Substanzbesteuerung nur im Zusammenhang mit der Inflation eintritt, ist sie als Folge des Steuerrechts anzusehen, denn dies knüpft an inflatorisch "verwässerte" Bemessungsgrundlagen an. Zudem hat der Gesetzgeber die Inflation nicht nur vor249 BFH, B8tB\. II 1974, 8.572, 581; Kirchhof, Gutachten F zum 57. DIT 1988, 8.F 38 f.; Leisner in: IsenseeiKirchho[(Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 149 Rdn.131; Papier, AöR 98 (1973), S.565 f. 250 Papier, AöR 98 (1973), S.565 f. 251

252 253

BFH, B8tB\. II 1974,8.572,581. 80 aber Papier, AöR 98 (1973), 8.566. Vg\. Kröger, NJW 1974, 8.2308.

254 Spanner, D8tR 1975, 8.481 weist zu Recht daraufhin, daß es um die Rechtmäßigkeit der Besteuerung eines Ertrages geht, der zumindest zum Teil kein solcher ist. 255

8iehe dazu oben § 17 der Untersuchung.

94

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

gefunden, sondern selbst mitverursacht, indem er seine Haushalts- und Wirtschaftspolitik nicht an den in Art.109 Abs.2 GG festgelegten Anforderungen gemessen hat. Wenn dem nun entgegengehalten wird, daß der Steuergesetzgeber nicht für die Versäumnisse des Währungsgesetzgebers einstehen könne,256 so wirkt dies befremdend. Es gibt nur einen Gesetzgeber, den die Gesamtverantwortung für die Gesetzgebung trifft. Etwas anderes ist Art.20 Abs.3, Art.76 ff. und Art.105 GG nicht zu entnehmen. Der Ansatz, den Gesetzgeber durch eine ihm "unterstellte Schizophrenie" aus der Verantwortung fur die steuerrechtlichen Folgen der Inflation herauszudividieren, um so das verfassungsrechtliche Problem inflationsbedingter Substanzbesteuerung zu überspielen, kann nicht ernstlich diskutiert werden. Der Gesetzgeber muß die Wechselwirkungen verschiedener Rechtsbereiche, hier des Währungs- und des Steuerrechts, bei seiner Gesetzgebung berücksichtigen und aufeinander abstimmen. Ist eine optimale Stabilität im Sinne des Art. 109 Abs.2 GG nicht zu erreichen, dann muß der Gesetzgeber dies bei seiner Gesetzgebung, insbesondere bei der Abfassung der Steuergesetze, berücksichtigen, nicht um etwaige Fehler bei der Stabilisierungspolitik durch steuerliche Gegenmaßnahmen zu kompensieren, wie Kirchhof meint,257 sondern um eine gerechte Besteuerung zu gewährleisten. Ein Eingriff in Art. 14 Abs.l GG durch eine inflationsbedingte Substanzbesteuerung kann daher nicht damit verneint werden, daß das Steuerrecht diese nicht verursacht hat. 258

§ 20 Kollision: Nominalwert-, Leistungsfäbigkeitsprinzip, Substanzbesteuerung I. Die Kollisionslage

Eine Besteuerung aller langfristig erzielten Veräußerungsgewinne zieht daher infolge der Scheingewinnbesteuerung nicht nur einen Verstoß gegen das Leistungsfahigkeitsprinzip nach sich, sondern fuhrt auf Grund der eintretenden Substanzbesteuerung auch zu einem Eingriff in Art. 14 Abs.l GG. Auf der 256

Kirchhofin: Kirchho[!Söhn, EStG § 2 Rdn.104.

257

Kirchhofin: Kirchho[!Sähn, EStG § 2 Rdn.104.

258

Ebenso FG Hamburg, EFG 1974, S.425, 426; vArnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 40, S.37; Friauf, StuW 1975, 8.269.

§ 20 Kollision: Nominalwert-, ~gk.eitsprinzip, Substanzbesteuerung

95

anderen Seite sollte der Nominalismus, der wegen der fehlenden Berücksichtigung der Geldentwertung zu Scheingewinnen und Substanzbesteuerungen führt, nicht aufgegeben werden. Für eine Besteuerung aller privaten Veräußerungsgewinne ergibt sich damit eine Kollision zwischen dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfahigkeit und dem Verbot der Substanzbesteuerung einerseits und dem Nominalwertprinzip als Säule einer stabilen Wirtschaft andererseits. 11. Maßstab für eine Kollisionslösung

Diese Kollision führt jedoch nicht zu einem unauflöslichen Widerspruch zwischen den kollidierenden Werten oder gar dazu, daß von vornherein das Nominalwertprinzip zu Gunsten einer gerechten Besteuerung zurücktreten müßte. Denn trotz des Gewichtes des Gerechtigkeitsprinzips innerhalb der grundgesetzlichen Wertordnung, das durch Art.l Abs.2 GG zu einem verfassungsimmanenten,259 hinter den positivierten Rechtssätzen stehenden260 Prinzip statuiert wird, ist nicht jedes Gesetz, das einen Gerechtigkeitsverstoß enthält, zwangsläufig auch verfassungswidrig. Das Grundgesetz erkennt auch andere Werte an, die mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit in Kollision treten können. Dies wurde bereits oben bei der Rechtfertigung des Verstoßes gegen das Leistungsfahigkeitsprinzip festgestellt. Verletzt der Gesetzgeber daher durch die Einführung der Besteuerung aller privaten langfristig erzielten Veräußerungsgewinne und der damit einhergehenden Substanzbesteuerung den Grundsatz der Gerechtigkeit, so kann dieser Verstoß verfassungsrechtlich tolerabel sein. 261 Da jedoch trotz der guten Gründe, die der Gesetzgeber haben kann, ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit bleibt, muß sich der Verstoß nach seinem Grund und Ausmaß legitimieren lassen. 262 Dies bedeutet, daß ein Gerechtigkeitsverstoß nur dann als gerechtfertigt anzusehen ist, wenn er geeignet und erforderlich ist, andere wichtige Belange zu fördern und er darüberhinaus auch nicht außer Verhältnis zu diesen Belangen steht. 263 Auf Grund des mit der Substanzbesteuerung erfolgenden Eingriffs in Art.l4 259

260

Hesse, FS-8mend, 1962, S.73. Scheuer, VVD8tRL Bd.22 (1965), S.51.

261 Vgl. vArnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 40, S.48. 262

263

Vogel, StuW 1977,8.115.

Vgl. Benda/Kreuzer, DStZ (A) 1973, 8.52.

96

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fUr die Steuerfreiheit privater VGe

Abs.l GG muß sich das Gewicht der Rechtfertigung zur Schwere des Verstoßes in einem angemessenen Verhältnis befinden. Es ist daher zu untersuchen, ob der Nominalismus auch geeignet ist, einen eklatanten Eingriff in Art.14 GG zu rechtfertigen, der im Fall der Besteuerung aller privaten langfristig erzielten Veräußerungsgewinne auf Grund der Substanzbesteuerung vorläge. Um den Eingriff zu rechtfertigen, müßte die Substanzbesteuerung zur Erreichung der mit der Aufrechterhaltung des Nominalwertprinzips verfolgten Vorteile geeignet sein. Außerdem dürfte es keine andere Lösung der Kollision geben, die zu keiner oder einer auch nur geringeren Beeinträchtigung des Gerechtigkeitsprinzips führen würde. Schließlich dürfte der Gerechtigkeitsverstoß im Vergleich zu den mit der Aufrechterhaltung des Nominalismus verfolgten Zielen nicht unverhältnismäßig schwer sein. III. Lösung der KoUision im Sinne einer praktischen Konkordanz

Auf die Bedeutung und Funktion, die das Nominalwertprinzip für die Rechts- und Funktionssicherheit unserer Wirtschaftsordnung hat, wurde bereits eingegangen. 264 Das Nominalwertprinzip ist jedoch, wie weitgehend anerkannt ist, kein Grundsatz mit Verfassungsrang,265 so daß formal eine unterschiedliche Wertigkeit zu Art. 14 GG besteht. Dies führt aber nicht dazu, daß es für eine Abwägung mit dem Gerechtigkeitsprinzip von vornherein ausscheidet. Die mit einer Aufgabe des Nominalismus verbundenen Folgen können zur Beeinträchtigung anderer Verfassungsgüter, wie zum Beispiel des in Art. 109 Abs.2 GG festgesetzten Ziels eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, führen. 266 Art.109 Abs.2 GG begründet eine Rechtspflicht des Staates, sein Handeln nach der Zielvorstellung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, wie es in § 1 StabG näher konkretisiert ist,267 auszu264 265

Siehe dazu § 18 der Untersuchung.

BFH, BStBl. III 1967, S.690, 695; Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.22; Friau[, StbJb. 1971/72, S.442; ders., StuW 1975, S.265 f; Kröger, NJW 1974, S.2305; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts I, 1991, § 2 III. 2. d), S.50 f; Spanner, DStR 1975, S.479; a. A: Eckhardt, DStR 1973, S.492.

266 Insoweit ist die Kritik Krögers, lZ 1979, S.633, daß der Nominalismus mangels Verfassungsrang zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Verfassung nicht herangezogen werden kann, unberechtigt. 267

Sponheuer, FuSt Heft 95, S.11; SternIMünchiHansmeyer, StabG, 2.Aufl., 1972, S.34, 66.

§ 20 Kollision: NominaJwert-, Leistunglifahigkeitsprinzip, Substanzbesteuerung

97

richten. 268 Diese Ausstrahlungswirkung verfassungsrechtlicher Werte qualifiziert das Nominalwertprinzip zu einem Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff in Art. 14 GG. Das Nominalwertprinzip hat, wie bereits angesprochen, einen hohen Stellenwert. Die erforderliche Abwägung mit der materiellen Gerechtigkeit, die durch ein Festhalten am Nominalwertprinzip beeinträchtigt wird, kann auf Grund der dem Gesetzgeber zuzugestehenden Einschätzungsprärogative nicht mit mathematischer Präzision und Unbestreitbarkeit erfolgen. 269 Doch ist zu beachten, daß im Falle einer Anerkennung eines Ausgleichs für Geldwertverluste im Steuerrecht die Wirtschaftsordnung durch die Aufgabe einer eindeutigen und bestimmten Recheneinheit in Frage gestellt wäre. Zudem würde der Inflationsprozeß durch eine staatliche Anerkennung und damit einer Institutionalisierung des Geldwertschwundes beschleunigt. Dies würde den in Art. 109 Abs.2 GG aufgestellten Forderungen an ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht widersprechen. 27o Hinzu kommen Probleme der Praktikabilität, die bei der Ermittlung eines allgemein für alle Bereiche gültigen Preisindex auftreten, wenn ein solcher überhaupt möglich sein sollte. 271 Berücksichtigt man diese Gesichtspunkte, so kann man den Verstoß gegen das Verbot der Substanzbesteuerung zur Erreichung der mit der Aufrechterhaltung des Nominalwertprinzips verfolgten Vorteile, insbesondere unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraumes, als geeignet ansehen. Die Kollision könnte somit dahingehend gelöst werden, daß eine Besteuerung der Vermögenssubstanz auf Grund des unverzichtbaren Nominalismus in Kauf zu nehmen wäre. Diese Kollisionslösung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn sie das mildeste Mittel darstellt. Es verbleibt daher die Frage, ob nicht auch eine andere Lösung der Kollision möglich wäre, die zu keiner oder einer auch nur geringeren Beeinträchtigung der Steuergerechtigkeit führen würde. Hier bietet sich der Verzicht auf die Besteuerung langfristig erzielter privater Veräuße268 Möller, StabG, 2. Aufl., 1969, Art.l09 Abs.2 Rdn.8 ff.; Sponheuer, FuSt Heft 95, S.6; SternIMünchiHansmeyer, StabG, 2.Aufl., 1972, S.103 ff., 120 f; vgl. weiter zum StabG: Beyfuss, StabG, 1971; Zuck, StabG, 1970. 269 vArnimiBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, Karl-Bräuer-lnstitut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.40. 270

SternIMünchiHansmeyer, StabG, 2.Aufl., 1972, S.122 ff.

271

Siehe dazu oben § 18 der Untersuchung.

7 Durchlaub

98

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

rungsgewinne als weitere Lösungsmöglichkeit an. Die Eingriffe in das Leistungsfähigkeitsprinzip und in das Verbot der Substanzbesteuerung sind nur Folgen der Besteuerung unter der Geltung des Nominalismus. Durch einen Verzicht auf die Besteuerung könnten diese Gerechtigkeitsverstöße unter Aufrechterhaltung des Nominalismus beseitigt werden. Ein Verzicht auf die Besteuerung privater langfristig erzielter Veräußerungsgewinne hätte zwar auf der anderen Seite zur Folge, daß reale Anteile der Gewinne nicht besteuert würden, was seinerseits auch als Verstoß gegen das Prinzip einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung anzusehen ist. Doch wiegt dieser Gerechtigkeitsverstoß nicht so schwer, da die Scheingewinnanteile die realen Gewinne bei langfristig erzielten Veräußerungsgewinnen bei weitem überwiegen oder gar allein den Veräußerungsgewinn ausmachen. 272 Diese Lösung der Kollision wird in der Reformliteratur oft unter Hinweis auf die schon seit langem eingeführte Steuerpflicht für Veräußerungsgeschäfte im europäischen Ausland abgelehnt. 273 Dabei berücksichtigen die Kritiker jedoch nicht, daß die Besteuerung langfristig erzielter Veräußerungsgewinne in europäischen Nachbarstaaten in der Regel unter Verzicht auf den Nominalismus erfolgt, Geldwertverluste bei der Besteuerung somit ausgeglichen werden. 274 Nur unter Verzicht auf den Nominalismus bei gleichzeitiger Inkaufnahme der damit verbundenen negativen volkswirtschaftlichen Folgen ist die Einbeziehung aller langfristig erzielten Veräußerungsgewinne in die Besteuerung möglich. 275 Dies wurde in den europäischen Nachbarländern ebenfalls erkannt. 276 Die Bundesrepublik Deutschland hat den Nominalismus, unter anderem aus Gründen des Inflationsschutzes, 277 nicht aufgegeben. 278 Sie bildet in

272

Siehe dazu oben § 15 der Untersuchung.

273 Allerdings ist man auch im Ausland überwiegend der Ansicht, daß Veräußerungsgewinne, zumindest soweit sie die Realisierung eines mehIjäluigen und nicht spekulativen Vennögenszuwachses darstellen, nicht in vollem Umfang von der Einkommensteuer erfaßt werden sollten, vgl. Mennel, DStZlA 1973, S.89 ff. 274 Vgl. Feuerbaum, DB 1973, S.795 f. 275 In den Staaten, in denen das Norninalwertprinzip beibehalten wurde, bestehen zumindest Bewertungsregeln, die die negativen Folgen der Scheingewinnbesteuerung abschwächen, vgl. Grotherr, Die Scheingewinnbesteuerung im internationalen Vergleich, 1987, S.32. 276 Wo man sich dieser Erkenntnis verschlossen hat, wie Z.B. in Großbritannien, wo der

Wertzuwachs unter Nichtberücksichtigung der Inflationsrate besteuert wird, war die "capital gains tax" bei ihrer Einfiihrung sehr umstritten und ist in der Literatur auch als schwierig und nicht voliziehbar bezeichnet worden, vgl. Barnick, RIW/AWD 1975, S.211.

§ 21

Veräu~gewinne im Betriebs- und Privatvennögen

99

Europa eine "Insel der Nominalrechnung".279 Entscheidet man sich aber für das Nominalwertprinzip, was im Rahmen der gesetzgeberischen Entscheidungsprärogative nicht angreifbar ist, so muß als mildeste Lösung der Kollision zur Vermeidung der Substanzbesteuerung die Steuerpflicht der langfristig erzielten privaten Veräußerungsgewinne unterbleiben. Die Steuerfreiheit langfristig erzielter privater Veräußerungsgewinne ist somit der Preis für die Aufrechterhaltung des Nominalwertprinzips. Sie ist daher gerechtfertigt.

§ 21 Veräußerungsgewinne im Betriebs- und Privatvermögen Der Befund einer gerechtfertigten Freistellung privater langfristig erzielter Veräußerungsgewinne läßt konsequenterweise auf den ersten Blick die Forderung aufkommen, auch betriebliche Veräußerungsgewinne von der Besteuerung freizustellen. Ist die Freistellung langfristiger Veräußerungsgewinne auf Grund des hohen Scheingewinnanteils geboten, so bedarf es einer Begründung, warum de lege lata nur private langfristige Veräußerungsgewinne von der Einkommensteuer nicht erfaßt werden. Die Kritik der Vertreter einer achten Einkunftsart, das EStG messe bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen mit zweierlei Maß,280 kann daher trotz des Arguments einer Scheingewinnbesteuerung langfristiger Veräußerungsgewinne nur ausgeräumt werden, wenn der gerügte Gleichheitsverstoß auch angesichts unterschiedlicher Regelungen im betrieblichen und privaten Bereich nicht vorHegt. I. §§ 6b, 6c EStG und die Vergleichbarkeit von betrieblichem und privatem Bereich

Für das Urteil über eine ungleichmäßige Besteuerung betrieblicher und privater Veräußerungsgewinne ist die Vergleichbarkeit des betrieblichen und pri277 Vgl. Gemper, BB 1972, S.764; Hartz, Arunerkung zu BFH Beschluß v. 19.5.1971 I B 10171, OB 1971, S.1797; Meyer-Wegeling, OB 1982, S.2052; Teufel, lnflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.153.

278 Daß diese Entscheidung sich auch in der Praxis gegenüber der Aufgabe des Nominalwertprinzips in den anderen europäischen Staaten bewährt hat, mag der Umstand einer mit Abstand geringsten lnflationsrate in Europa verdeutlichen. 279

280 7·

Feuerbaum, OB 1973, S.795 f

vg1. oben § 4 der Untersuchung.

100

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

vaten Bereichs entscheidend. Eine ungleichmäßige Besteuerung liegt nicht bereits dann vor, wenn das Gesetz betriebliche Veräußerungsvorgänge der Besteuerung unterwirft und private nicht. Für eine ungleichmäßige Behandlung ist zudem erforderlich, daß auch vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Eine unterschiedliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne ist nur dann ungleichmäßig, wenn das Vergleichspaar Betriebs- und Privatsphäre richtig ist. Für das Gleichheitsurteil muß man daher wissen, was man vergleicht und hierfür die Besteuerung im betrieblichen und privaten Bereich insgesamt miteinbeziehen und nicht nur die Entscheidung für oder gegen eine Erfassung der Veräußerungsgewinne. Betrachtet man aber die tatsächlichen steuerlichen Auswirkungen und verengt nicht die Betrachtungsweise auf die konzeptionelle Ausgestaltung der unterschiedlichen Besteuerung der Veräußerungsgewinne im EStG, so stellt sich die Kritik der Vertreter einer achten Einkunftsart an der geltenden Rechtslage als falsch heraus. Die Annahme einer Vergleichbarkeit betrieblicher und privater Sachverhalte bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen trifft insoweit nicht zu, als de facto in der Praxis die Besteuerung betrieblicher Veräußerungsgewinne in den meisten Fällen durch die Übertragung der Veräußerungsgewinne auf Ersatzwirtschaftsgüter gemäß §§ 6b, 6c EStG vermieden wird. 281 Die Übertragung des Veräußerungsgewinns erfolgt dadurch, daß in Höhe des Gewinns die Anschaffungskosten des Ersatzwirtschaftsgutes vermindert werden. Steuertechnisch bewirkt damit § 6b Abs.l Satz 1 EStG zwar keinen Steuererlaß, er führt aber zu einem Hinausschieben des Zeitpunktes der Gewinnverwirklichung. 282 Eine vollständige Besteuerung tritt bei einem nicht abnutzbaren Anlagegut im Zeitpunkt der Veräußerung oder Entnahme, bei einem abnutzbaren Anlagegut zeitlich verteilt mit der jeweiligen Abschreibung ein. 283 Bei einer Übertragung der stillen Reserven auf nicht abnutzbare Anlagegüter, die längere Zeit im Betriebsvermögen verbleiben, ist die Laufzeit der Steuerstundung jedoch praktisch unbegrenzt. Durch wiederholte Inanspruchnahme des § 6b EStG (sog. § 6b-Kette) kann die Versteuerung der stillen Reserven bis zur Liquidation des 281 Vgl. Bordewin, BB 1978,8.1353; Kurth, Die Besteuerung des Mituntemeluners, 1978, 8.587 ff.; Kruse, D8tJG 2 (1979), 8.66; L. Schmidt, FR 1978, 8.360.

282 Rieden, Die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Übertragung stiller Rücklagen gemäß § 6b des Einkommensteuergesetzes, Diss. 1972, S.121 ff. 283 Cirkel, § 6b EStG im System der Besteuerung betrieblicher Veräußerungsgewinne, 1986, S.53; Meincke in: LittmannIBitzlMeincke, EStG § 6b Rdn.5.

§ 21 Veräußerung'>gewime im Betriebs- Wld Privatverrnögen

101

Unternehmens aufgeschoben werden. 284 Kommt es zur Liquidation, so liegen Aufgabegewinne vor, die nach § 34 Abs.l EStG nur mit dem halben Steuersatz zu versteuern sind. Damit wird deutlich, daß Betriebs- und Privatsphäre schon auf Grund der unterschiedlichen Möglichkeiten, eine Gewinnrealisierung bis in alle Ewigkeit hinauszuschieben, nicht vergleichbar sind, so daß insoweit keine gleichheitswidrige Behandlung angenommen werden kann. Nur für den Fall, daß eine Übertragung der stillen Reserven nicht (oder nur auf abnutzbare Wirtschaftsgüter) erfolgen kann, kommt es (mit zeitlicher Verschiebung) zu einer Besteuerung der Veräußerungsgewinne. Nur insoweit verbleibt also die Frage, warum lediglich betriebliche langfristige Veräußerungsgewinne trotz hoher Scheingwinnbestandteile besteuert werden, da das ausgeführte Problem eines inflationsbedingten Scheingewinnausweises im privaten wie betrieblichen Bereich gleichermaßen besteht. Die Scheingewinnbesteuerung als Begründung für die alleinige Steuerfreiheit privater Veräußerungsgewinne de lege lata verliert damit als Argument zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Besteuerung der Veräußerungsgewinne im Betriebs- und Privatvermögen scheinbar seine Kraft. Dies gilt jedoch nur, soweit die betriebliche Sphäre von den durch das Steuerrecht in Verbindung mit Preisniveauänderungen hervorgerufenen Ungerechtigkeiten ebenso betroffen ist wie die private. Das Auftreten von Scheingewinnen sowohl im betrieblichen als auch im privaten Bereich bedeutet nicht notwendig, daß sich bei ihrer Steuerbarkeit auch die gleichen Folgen ergeben, die zu der oben genannten nicht hinnehmbaren Konsequenz einer gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verstoßenden Substanzbesteuerung führen. Die Stichhaltigkeit des Arguments der Scheingewinnbesteuerung als Rechtfertigung für die Steuerfreiheit langfristiger privater Veräußerungsgewinne im Gegensatz zu Veräußerungsgewinnen aus dem betrieblichen Bereich kann sich erst erweisen, wenn insgesamt Klarheit über die Folgen der Besteuerung bei inflationären Preissteigerungen im Betriebsvermögen besteht.

284 Grotherr, Die Scheingewinnbesteuerung im internationalen Vergleich, 1987, S.268; Rieden, Die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Übertragung stiller Rücklagen gemäß § 6b des Einkommensteuergesetzes, Diss. 1972, S.126; Thiel, DStJG 4 (1981), S.185.

102

Viertes Kapitel: Redrtfertigungen fiir die Steuerfreiheit privater VGe

11. Die dualistischen Auswirkungen der Inflation und system bedingte Unterschiede als Rechtfertigung der unterschiedlichen Veräußerungsgewinnbesteuerung

Das Problem der Preisniveauänderungen unter Beibehaltung des Nominalwertprinzips hat, wie bereits angesprochen, zwei Seiten. 285 Preisniveauänderungen verursachen nicht nur nominale (Schein-)Gewinne, die im Fall der Veräußerung zum größten Teil oder überhaupt nicht real vorhanden sind. Vielmehr muß der Schuldner eines langfristigen Geldschuldverhältnisses unter der Geltung des Nominalwertprinzips bei laufender Geldentwertung im Zeitpunkt der Leistung real weniger zahlen, als wenn die Leistung sofort bei Entstehen der Schuld bewirkt worden wäre. 286 Durch Preisniveauerhöhungen entstehen somit bei Schuldnern reale Gewinne,287 die auf Grund des Nominalwertprinzips für die Einkommensteuer nicht erfaßt werden können. 288 Bei der Beurteilung der Auswirkungen der Inflation darf der Blick somit nicht auf der Aktivseite stehen bleiben und nur die Scheingewinnbesteuerung fixieren. Man muß auch die Passivseite sehen und den sich hier vollziehenden Entschuldungseffekt einbeziehen. 289 Die Inflation beeinflußt unter Beibehaltung des Nominalwertprinzips die Einkommensbesteuerung somit in zwei entgegengesetzten Richtungen. Zum einen bewirkt sie auf der Vermögenseite infolge der Scheingewinnbesteuerung ein zu weites Ausgreifen der Steuer, auf der Schuldenseite hingegen ist sie dafür verantwortlich, daß die Steuer infolge der Nichterfassung realer, aber nicht nominaler Schuldengewinne zu kurz greift. 290 Da ein Pflichtiger einmal Schuldner und ein anderes mal Gläubiger sein kann, hängen die Auswirkungen der Einkommensbesteuerung in der Inflation von der Saldierung der aktiven und passiven Wertgrößen ab. 291 Netto-

285 FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.61; siehe dazu auch oben § 16 11. der Untersuchung. 286 Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.33; FranzenIMeyer, Nominalwertprinzip, Geldentwertung und Besteuerung, FuSt Heft 134, S.IO;Hartz, DB 1973, S.1523.

287 vArnimIBorell, Inflation, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 23, S.ll; F/timig, StKongRep. 1969, S.437; Müller, StKongRep. 1975, S.378; Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.68.

288

Müller, StKongRep. 1975, S.386.

289

Mayer-Wegeling, DB 1982, S.2052.

290 291

Müller, StKongRep. 1975, S.386. vArnim, ZRP 1980, S.203.

§ 21

Veräu~gewinne im Betriebs- und Privatvermögen

103

gläubiger einer Volkswirtschaft werden daher von der Inflation und der Einkommensteuer benachteiligt, Nettoschuldner hingegen begünstigt. 292 Dieser Grundsatz gilt zwar für Unternehmer wie Privatpersonen gleichermaßen. Doch wirkt die Inflation dennoch gruppenspezifisch differenziert. Sie trifft nicht nur eine Gruppe mehr und die andere weniger, sondern auch manche gar nicht und wiederum andere außergewöhnlich stark. 293 Auch Unternehmer und Privatpersonen sind von ihr nicht gleichmäßig betroffen. Infolge des unterschiedlichen Verhältnisses von Schulden- und Eigenmitteln und der unterschiedlichen steuerlichen Berücksichtigung infolge der verschiedenen Einkünfteermittlung wirken sich die zwei Seiten der Inflation im betrieblichen und privaten Bereich unterschiedlich aus: Bilanzierende Unternehmer decken ihre Investitionen in der Regel nur zu einem geringen Teil aus Eigenkapital, bedienen sich also zum größten Teil der Fremdfinanzierung. 294 Sie sind daher Nettoschuldner. 295 Im Falle der Realisierung eines Gewinns durch die Veräußerung eines fremdfinanzierten Wirtschaftsgutes werden sie daher nicht nur von der inflationsbedingten Besteuerung der Scheingewinne (übermäßig) belastet, sondern auch von der inflationsbedingten Nichtbesteuerung nominell auf der Passivseite nicht erfaßter Realgewinne ungerechtfertigt begünstigt.296 Bezieher von Haupteinkünften können daher durch Fremdfinanzierung von Investitionen die Scheingewinne auf der Aktivseite mit nominell nicht erfaßten Realgewinnen auf der Passivseite ausgleichen. 297 Dies bedeutet, daß die Auswirkungen der Scheingewinnbesteuerung nur beurteilt werden können, wenn die in den Verbindlichkeiten enthaltenen Geldentwertungsgewinne von den aktiven Scheingewinnen abgezogen werden. 298 Für den Fall einer vollständigen oder weit überwiegenden Fremdfinanzierung des Veräußerungsobjektes, wie es bei der geringen Eigen292 293

vArnimIBorell, Inflation, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 23, S.ll. Bettermann, ZRP 1974, S.13.

294 Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, November 1990, S.20 fund 24 f; siehe auch Grotherr, Die Scheingewinnbesteuerung im internationalen Vergleich, 1987, S.34 f 295

296

Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Mai 1991, S.15.

Vgl. auch vArnim, BB 1973, S.624; vArnimIBorell, Geldentwertung und Steuerrecht, KarlBräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 24, S.17; Eckhardt, DStR 1973, S.492.

297

S.204.

298

Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.140; TipkeILang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, Ebenso Bierle, Inflation und Steuern, 1974, S.52.

Viertes Kapitel: Rechtfertigungen filr die Steuerfreiheit privater VGe

104

kapitalausstattung bundesdeutscher Unternehmen die Regel ist,299 heben sich die Inflationsgewinne und -verluste auf. 3oo Das zu weite Ausgreifen der Einkommensteuer auf der Aktivseite wird durch das zu kurze Ausgreifen auf der Passivseite kompensiert. Steuerliche Ungerechtigkeiten durch die Besteuerung von Scheingewinnen können daher nur bei der Veräußerung von eigenfinanzierten Vermögensgegenständen entstehen. 301 Auf Grund der überwiegenden Fremdfinanzierung tritt das Problem der Substanzbesteuerung bei der Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen damit per Saldo bei Unternehmern nicht wesentlich in Erscheinung. Zuviel besteuerte Scheingewinne werden durch die Nichtbesteuerung der auf der Passivseite infolge der Inflation real entstandenen aber nominal nicht erfaßten Gewinne weitgehend neutralisiert. Als Paradebeispiel fur diesen Effekt im unternelunerischen Bereich müssen Banken angesehen werden. Als bloße Geldvennittlungsstellen sind sie von der Inflation und ihren Auswirkungen auf die Besteuerung nicht betroffen. Die Entwertungsraten schlagen sich gleichermaßen auf beiden Seiten der Bilanz nieder. Die Scheingewinnbesteuerung wird somit vollständig durch die unterbliebene Besteuerung der realen, aber nicht nominalen Schuldengewinne neutralisiert. 302

Ganz anders stellt sich dies jedoch bei den Beziehern von Nebeneinkünften dar. Sie sind in unserer Volkswirtschaft Nettogläubiger, wobei der Schuldanteil besonders gering ist. 303 Hinzu kommt, daß, systembedingt auf Grund der Ermittlung der Einkünfte durch den Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten, keine Ausgleichsmöglichkeiten mit realen, steuerlich nicht berücksichtigten Gewinnen auf der Schuldenseite bestehen. 304 Im Falle einer Besteuerung der privaten Veräußerungsgewinne kann diese Gruppe der Steuerpflichtigen die "Zuvielbesteuerung" der Scheingewinne daher aus tatsäch299 Die Inflationsbegünstigung von Schulden im Zusanunenhang mit der Einkommensbesteuerung kann auch als ein Grund fur den Umstand der zu geringen Eigenkapitalausstattung bundesdeutscher Unternehmen angesehen werden. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich: Unter Zugrundelegung einer Inflationsrate von 8 % und einem Schuldzinssatz von 12 % fuhrt die 50 %ige Gewinnbesteuerung dazu, daß die Steuer bereits 6 % der Schuldzinsen trägt. Unter Berücksichtigung der Inflation fuhrt dies zu einem Plus von 2 %, (vgl. Teufel, Inflation und Steuerrecht, Diss. 1974, S.132).

300 Grotherr, Die Scheingewinnbesteuerung im internationalen Vergleich, 1987, S.103; vgl. auch Loos, BB 1973, S.303, der aus diesem Grund im Falle einer Aufgabe des Nominalismus eine Indexierung nur fur den Anteil der Wirtschafts güter zugestehen will, die mit Eigenkapital fmanziert worden sind.

301

Kirschner, BB 1983, S.475; aus betriebswirtschaftlicher Sicht ebenso: D. Schneider, DB

1974, S.1076.

302 303 304

Vgl. Friauf, StuW 1975, S.266. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Mai 1991, S.15. Vgl. Tipke!Lang, Steuerrecht, 13.Aufl., 1991, S.204 f.

§ 21 Veräußerung.