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German Pages 206 [208] Year 2005
Karin Hellwig Von der Vita zur Künstlerbiographie
Karin Hellwig
Von der Vita zur Künstlerbiographie
Akademie Verlag
Für Johanna und Iris
Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung ISBN 3-05-004173-0 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2005 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gestaltung: Dören + Köster, Berlin Satz: Rainer Ostermann, München Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
INHALT
VORWORT
9
I
EINLEITUNG
14
II
DIE ANFÄNGE DER KÜNSTLERBIOGRAPHIE IM 18. JAHRHUNDERT
23
Die ersten Künstlerbiographien
23
Historisierung
33
Verwissenschaftlichung
37
III
Autoren und Adressaten
37
„Wahrheit", „Neues" und „Vollständigkeit"
38
„Ordnung"
46
Das Künstlerbild: Erfinder und Erneuerer
54
Erste künstlerbiographische Reflexionen
57
DIE KÜNSTLERBIOGRAPHIE ALS DARSTELLUNGSFORM DER KUNSTGESCHICHTE 1800 BIS 1840
60
Die Stellung der Künstlerbiographien innerhalb der Schriften zur Kunst
60
Die Künstlerbiographien 1800 bis 1840
64
Italienische Meister
65
Deutsche und niederländische Meister
74
Biographiewürdigkeit
85
Autoren
88
Adressaten
91
IV
V
DIE DISKUSSION UM BIOGRAPHISCHE KONZEPTE 1800 BIS 1840
93
Gattungstheoretische Reflexionen zur Künstlerbiographie nach 1800
93
Der biographische Diskurs bei den Historikern um 1800
96
Programmatische Positionen zur Künstlerbiographie im Umkreis des „Schornschen Kunstblattes" 1820 bis 1840 Klassifizierung der Biographien
102 103
KONSOLIDIERUNG UND DIVERSIFIZIERUNG DER KÜNSTLERBIOGRAPHIE 1800 BIS 1840
115
Zur Praxis biographischen Schreibens Historisch-kritisches Arbeiten Quellenarbeit Systematisierung
116 116 120 123
Das Problem der „Leben-Werk"-Biographie Analogien und Interdependenzen zwischen Leben und Werk Schwierigkeiten mit der Werkchronologie
125 125 129
Der Einsatz des „künstlerischen Charakters"
133
Das Künstlerbild: Erfinder und Genie
141
Künstlerbiographie und Kunstgeschichte
147
Die Kritik an den Künstlerbiographien: Förster und Passavants „Rafael"
152
VI
DIE KÜNSTLERBIOGRAPHIE ALS LITERARISCHE GROSSFORM 1860 BIS 1900 BIS ZU IHRER ABLEHNUNG DURCH DIE WIENER SCHULE U N D WÖLFFLIN
159
Neue Darstellungsformen, andere Methoden - der Rückgang der Künstlerbiographien 1840 bis 1860
159
Die Künstlerbiographien 1860 bis 1890
163
Gattungstheoretische Überlegungen zur Künstlerbiographie 1860 bis 1900
166
Wissenschaftliche Kunstgeschichte versus literarische Kunstgeschichte
168
Die Rolle der Künstlerbiographie im Methodenstreit 1900 bis 1925: Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte
172
VII ZUSAMMENFASSUNG
180
QUELLEN- U N D LITERATURVERZEICHNIS
191
ABBILDUNGSNACHWEIS
201
PERSONENREGISTER
203
Quellen Ausgewählte Literatur
191 195
VORWORT Biographien haben in einer Zeit „biographischen Verlangens" Hochkonjunktur. 1 Nachdem in der Wissenschaft mehr als ein halbes Jahrhundert lang die „biographische Mode" abgelehnt wurde, die Siegfried Kracauer in seinem berühmten Essay 1930 als „neubürgerliche Kunstform" angeprangert hatte, läßt sich seit mehr als zwanzig Jahren ein zunehmendes Interesse an Biographien feststellen.2 So war in den 1980er Jahren in den Feuilletons wiederholt von der Wiederentdeckung des biographischen Genres in den Geisteswissenschaften die Rede. Inzwischen wird nicht nur die Rückkehr der Biographie konstatiert, sondern für die kommenden Jahre geradezu ein Boom vorausgesagt. Auch in Fachkreisen wird die jahrzehntelang verschmähte Gattung wieder geschätzt. Der französische Historiker Jacques Le Goff bemerkte im Vorwort seiner Biographie zu Ludwig dem Heiligen, daß „die historische Biographie eine der schwierigsten Weisen, Geschichte zu schreiben" sei.3 Walter Laqueur ging neuerdings so weit, unter den historiographischen Gattungen letztlich nur der Biographie eine sichere Zukunft zu prognostizieren.4 Kracauers und auch Pierre Bourdieus Kritik an der „biographischen Illusion", die durch die Konstruktion eines kohärenten, auf ein Telos ausgerichteten linearen Lebenslaufes erzeugt werde, der so nicht existiere, sind in den Hintergrund gerückt.5 Die methodologischen Debatten, die, geprägt von sozial- und strukturgeschichtlichen Perspektiven, zu massiver
1
Vgl. Ulrich Raulff, Der große Lebenshunger. Erlösende Literatur: Das biographische Verlangen wächst, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. März 1997, S. 33.
2
Vgl. Siegfried Kracauer, Die Biographie als neubürgerliche Kunstform, in: Ders., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt a.M. 1977, S. 75-80.
3
Vgl. Jacques Le Goff, Saint Louis, Paris 1996, S. 14f. Vgl. Tim B. Müller, Vergangene Welt, lebendige Zukunft. Deutsch-jüdische Kulturgeschichte: Ein Gespräch auf Schloß Elmau, in: Süddeutsche Zeitung N r . 166, 21. Juli 2004, S. 15. Vgl. Pierre Bourdieu, L'illusion biographique, in: Actes de la recherche en sciences sociales 62/63, 1986, S. 69-72.
4
5
10
VORWORT
Kritik an der in den Geistes- und Sozialwissenschaften gleichermaßen üblichen Darstellungsform geführt hatten, verloren an Gewicht. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgten in den letzten zwei Jahrzehnten mit ihren Schriften über historische Persönlichkeiten dem Ruf nach „Figuren", ließen also die „Strukturen" außer Acht, und dies trotz der umstrittenen Position der Biographie im Spannungsfeld „zwischen Wissenschaft und Kunst", ihres literarischen Charakters und ihrer fehlenden theoretischen Grundlage. Allmählich weicht das Mißtrauen gegenüber der Gattung und man betrachtet Biographien als Fallstudien mit „mikroskopischem" Zugriff, die Verbindungslinien zwischen der Auseinandersetzung mit Leben und Werk einer Person und ihren gesellschaftlichen Prägungen auf der einen Seite, und Struktur-, Sozial- und Ideengeschichte der Zeit auf der anderen Seite ermöglichen. 6 In der Kunstgeschichte, deren Anfänge in den „Vite" des „Vaters der Kunstgeschichte", Giorgio Vasari liegen, ist die Biographie, trotz jahrzehntelanger rein problemorientierter, formalistischer oder sozialwissenschaftlicher Kunstgeschichtsschreibung, die in Richtung einer menschenleeren Systematik tendierte, nie von der Bildfläche verschwunden. 7 Virginia Woolfs Feststellung, daß jede Generation ihre Biographie brauche, scheint sich hier zu bestätigen. 8 So schrieb bisher in der Tat noch jede Generation ihre Biographie über Dürer oder Raffael. Einen nicht zu übersehenden Aufschwung erfuhr die Gattung in den letzten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, die in der Kunstgeschichtsschreibung als Ära der „großen Biographen" gilt. Carl Justi und Herman Grimm veröffentlichten damals aufsehenerregende Schriften zu den „Genies" Velazquez, Michelangelo und Raffael, bei denen sich menschliche und künstlerische Größe uneingeschränkt entsprachen. Nicht zuletzt dar-
6
Vgl. Jan Romein, Die Biographie. Einführung in ihre Geschichte und ihre Problematik, Bern 1948 (1. Aufl. 1946); Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft, Köln, Weimar 2000 (= L'Homme Schriften 6), Vorwort, S. 11-27; dies., Bedeutende Männer und wahre Frauen. Biographien in der Geschichtswissenschaft, in: Irmela von der Lühe/Anita Runge (Hgg.), Biographisches Erzählen, Stuttgart, Weimar 2001 (= Querelles 6), S. 137-152; Einleitung der Herausgeber und die Beiträge in: Ebd., S. 9-17; Cristian Klein, Einleitung: Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Ders. (Hg.), Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart, Weimar 2002, S. 1-22.
7
Zur Forschungslage der Künstlerbiographie vgl. Karin Hellwig, Künstlerbiographie und Historiographie, in: Kunstchronik 56, 3, 2003, S. 122-133.
8
Vgl. Virginia Woolf, Die Kunst der Biographie, in: Dies., Der Tod des Falters. Essays, Frankfurt a.M. 1997, S. 179-89.
VORWORT auf reagierte Heinrich Wölfflin 1915 mit seiner jeder biographischen Neugier entsagenden Forderung nach einer „Kunstgeschichte ohne Namen", die in den Fachkreisen scharfe Kontroversen auslöste. Danach schien die Künstlerbiographie als seriöses Genre zunächst abgetan. Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lediglich am Rande geäußerte Kritik der Kunsthistoriker am biographischen Zugang richtete sich vor allem gegen die fragwürdige Konstruktion einer Interdependenz zwischen Leben und Werk eines Künstlers. Das biographische Interpretationsverfahren wurde abgelehnt, weil es auf der Annahme beruhte, „dass das Werk eines Künstlers zugleich sein Leben spiegelt und dass das Leben sich unmittelbar im Werk vergegenständlicht".9 George Kubler betrachtete 1960 die Biographien nur noch als „Stationen auf dem Wege, die es uns erleichtern, den kontinuierlichen Fortgang künstlerischer Traditionen zu überblicken". 10 Man bevorzugte die problemorientierte Forschung und hielt biographisch angelegte Studien für weniger wissenschaftlich. Heute läßt sich auch bei den Kunsthistorikern eine veränderte Einstellung gegenüber der Gattung feststellen. Wilfried Wiegand beklagt den Rückgang der Biographien in den Jahrzehnten nach Wölfflin, dessen Versachlichung der Kunstwissenschaft diese vom großen literarischen Publikum isoliert hätte.11 Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der Künstlerbiographien zugenommen, Fachleute und Literaten verfaßten zahlreiche Biographien über große und kleine Meister. Auffällig ist vor diesem Hintergrund das Mißverhältnis zwischen der Zahl an Künstlerbiographien und den unzureichenden gattungstheoretischen Überlegungen zum Genre. Man hat die Biographien zwar als Informationsgrundlagen zu dem CEuvre der Künstler für Studien mit anderen methodischen Ansätzen benutzt, eine Erforschung ihrer Entstehung, Grundlagen und Geschichte ist jedoch bislang nicht geleistet worden. In diesem Buch wird die Entstehung der Künstlerbiographie als historiographische Darstellungsform im Laufe des 19. Jahrhunderts untersucht. Dabei wird der Strukturwandel nachgezeichnet, den die im 17. Jahr-
9
Vgl. Martin Warnke, Peter Paul Rubens. Leben und Werk, Köln 1977, S. 7f. Vgl. ebenfalls Jutta Held, Francisco de Goya in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1980, S. 144f. und Hanno-Walter Kruft, Die Künstlermonographie, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 131,11. Juni 1982, S. 30.
10
Vgl. George Kubler, Die Form der Zeit. Anmerkungen zu einer Geschichte der Zeit,
11
Vgl. Wilfried Wiegand, Väterchen, komm, klopf mit mir. Quellensteuerfrei: James H.
Frankfurt a.M. 1982. Beck weiß, was Michelangelo so wenig umgetrieben hat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 67,20. März 2001, S. L 22.
11
12
VORWORT
hundert noch verbreiteten Viten Vasarischer Prägung im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchliefen und der zur Entstehung der Gattung „Künstlerbiographie" führte. Anhand der Analyse des seit Beginn des 18. Jahrhunderts immer reicher werdenden Materials und seiner zunehmenden Rezeption durch die Fachwelt läßt sich ein Prozeß ihrer Historisierung und Verwissenschaftlichung rekonstruieren. Vornehmlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich entscheidende strukturelle Merkmale für die noch heute übliche Form des Genres heraus. Dementsprechend stehen die Biographien von 1800 bis 1840 im Mittelpunkt der Analysen, während die großen literarisch geprägten Künstlerbiographien des späteren 19. Jahrhunderts nur relativ knapp behandelt werden. Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker haben bis auf wenige Ausnahmen eine Bearbeitung dieses Themas nicht ohne Grund gescheut. Denn wie die Künstlerbiographie zwischen Kunst und Wissenschaft angesiedelt ist, so verlangt auch die wissenschaftshistorische Bearbeitung des Gegenstandes einen Balanceakt zwischen allgemeiner Historiographie, Kunsthistoriographie und Literaturwissenschaft. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erhebt die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hier werden grundlegende Aspekte zu den Entwicklungslinien des biographischen Modells exemplarisch aufgerollt. Die Studie versteht sich als Beitrag zur Erforschung der Geschichte der kunsthistoriographischen Darstellungsformen, aber auch als Anstoß für die weitere Bearbeitung des weitläufigen Themas „Künstlerbiographie".
Der vorliegende Versuch, einzelne Schritte des Weges von der Vita zur Künstlerbiographie nachzuzeichnen, geht auf meine Beschäftigung mit Diego Velazquez und damit auch mit Carl Justi, einem der großen Biographen des 19. Jahrhunderts zurück. Daß sich meine Ideen zum Thema „Biographie" in dieser Weise verdichten konnten, verdanke ich den Gesprächen mit Martin Warnke, dessen mein Thema berührende Forschungen mich in vielfältiger Hinsicht inspiriert haben. Rudolf Preimesberger und Martin Warnke haben diese Studie in der Entstehungsphase mit ihrem Vertrauen in die Realisierbarkeit entscheidend gefördert, wofür ich ihnen sehr verbunden bin. Michael Zimmermann hat das Projekt stets mit engagiertem Interesse verfolgt. Viele Freunde und Kollegen sind mir oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden, einige haben einzelne Kapitel des Buchs gelesen und kritisch kommentiert, andere wiederum haben mir noch unveröffentlichte Manuskripte zur Verfügung gestellt. Dafür gilt
VORWORT
mein Dank Wolfgang Beyrodt (Berlin), Gabriele Bickendorf (Augsburg), Maria de los Santos Garcia Felguera (Madrid), Ulrike Grammbitter (München), Renate Gutzmer (München), Jutta Held (Karlsruhe), Sigrid Hofer (Marburg), Eva Bettina Krems (Marburg), Luise Leinweber (Bonn), Gisela Noehles (Münster), Thomas Noll (Göttingen), Barbara Paul (Linz), Volker Schümmer (München), Andreas Tacke (Trier), Elisabeth WünscheWerdehausen (München) und Ines-Bianca Vogdt (Stuttgart). Mein besonderer Dank für viele fruchtbare Gespräche, kritische Lektüre der einzelnen Kapitel und weiterführende inhaltliche und methodische Anstöße in allen Phasen der Arbeit, aber auch für freundschaftliche Interventionen bei gelegentlich auftretenden „Biographiekrisen", gilt Angelika Schaser (Hamburg), deren eigene Beiträge zum Thema „Biographie" aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft diese Abhandlung in vielem beeinflußt haben. Ich danke auch Henrik Karge (Dresden), der als Kenner der Kunsthistoriographie des 19. Jahrhunderts mein Projekt in anregenden Diskussionen und mit ergänzenden Hinweisen unterstützt hat. Für klärende Gespräche konzeptioneller Natur, bei denen die Sicht des theoretisch geschulten Ideengeschichtlers sehr hilfreich war, aber auch dafür, dieses Buch in druckreife Form gebracht zu haben, möchte ich Rainer Ostermann (München) meinen Dank aussprechen. Diese Studie konnte aufgrund der großzügigen Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung, die auch die Druckkosten übernommen hat, realisiert werden. Für Hilfe bei der Bildbeschaffung danke ich Stephan Klingen und Ralf Peters aus der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte und Chris Korner von der Bildabteilung des Deutschen Literaturarchivs, Marbach. Gerd Giesler vom Akademie Verlag hat sich mit großem Engagement für die Veröffentlichung des Buchs eingesetzt. Meine Tochter Johanna hat durch ihr anhaltendes reges Interesse in vielen Gesprächen, meine Tochter Iris durch ihr wohlwollendes Verständnis das Ihre zum Entstehen der Arbeit beigetragen. Ihnen sei dieses Buch in Dankbarkeit gewidmet.
13
I EINLEITUNG Der Kulturwissenschaftler Jacob Burckhardt unterschied in seinem Lexikonartikel „Kunstgeschichte" von 1845 zwei Tendenzen, die ihm für die neuere Geschichte des Faches grundlegend erschienen. E r betonte zunächst die Bedeutung des Beitrags des Altertumsforschers Johann Joachim Winckelmann, mit dem die „Geschichte des Stils" beginne. Dessen Verdienst sei es, die „Kunstentwickelungen historisch zu betrachten, um in den einzelnen Perioden das Gemeinsame der Künstler zu erkennen". 12 Als zweite maßgebliche Richtung erwähnte er die „biographische Behandlung", die mit dem „Vater der Kunstgeschichte" Giorgio Vasari eingesetzt habe und in der „neueren Kunstgeschichte fortdaure". Bis heute wird der Anfang der Kunstgeschichte als Wissenschaft gemeinhin ins 18. Jahrhundert mit der Einführung der Stilgeschichte durch Winckelmann gelegt.13 Dieser hatte mit seinen Schriften eine Kunstgeschichte initiiert, die es ermöglichte, die Kunstwerke unabhängig von Schöpfer, Quellen und
12
Vgl. Jacob Burckhardt, Kunstgeschichte, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände 8, 1845, S. 435f. und den Kommentar von Wolfgang Beyrodt, Kunstwissenschaft, in: Wolfgang Beyrodt u.a. (Hgg.), Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Texte und Dokumente, Bd. 1: Werner Busch/ Wolfgang Beyrodt (Hgg.), Kunsttheorie und Malerei, Kunstwissenschaft, Stuttgart 1982, S. 280-284. Vgl. auch den Kommentar der Burckhardt-Stelle von Ernst Heidrich, in: Ders., Beiträge zur Geschichte und Methode der Kunstgeschichte, Basel 1917, S. 28-49, hier S. 30f.
13
Vgl. Heidrich, Beiträge 1917; Hans Robert Jauß, Geschichte der Kunst und Historie, in: Ders., Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt a.M. 1970, S. 209-243; Heinrich Dilly, Kunstgeschichte als Institution, Frankfurt a.M. 1979; Heinrich C. Seeba, Johann Joachim Winckelmann. Zur Wirkungsgeschichte eines ,unhistorischen' Historikers zwischen Ästhetik und Geschichte, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56, 1982, S. 168-201; Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte, München 1983; Wolf Lepenies, Der andere Fanatiker. Historisierung und Verwissenschaftlichung der Kunstauffassung bei Johann Joachim Winckelmann, in: Herbert Beck (Hg.), Ideal und Wirklichkeit der bildenden Kunst im späten 18. Jahrhundert, Berlin 1984 (= Frankfurter Forschungen zur Kunst 11), S. 19-29.
I
EINLEITUNG
Aufbewahrungsort, allein anhand der Untersuchung der Stilveränderungen in einen Zusammenhang zu bringen. Wie Winckelmann im Vorwort der „Geschichte der Kunst des Altertums" von 1764 betonte, beabsichtigte er „Geschichte der Kunst" und nicht „Geschichte der Künstler" zu schreiben. Gleichzeitig äußerte er den Anspruch, die Geschichte der Kunst solle keine „bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderung in derselben sein" und von „äußeren Umständen reden", sondern das „Wesen der Kunst" aus den Kunstwerken destillieren und zur Anschauung bringen.14 Damit wandte sich der Gelehrte sowohl von den Viten als der bis dahin dominierenden Darstellungsform der Kunstgeschichte als auch vom Schema additiver Materialsammlungen ab. Wie Ernst Heidrich formuliert hat, traten mit Winckelmann die allgemeinen Probleme historischer Erkenntnis in den Vordergrund. 15 Die Kunstgeschichtsschreibung hörte auf, interne Angelegenheit eines Standes und der ihm unmittelbar zugewandten Kreise zu sein. Ihre Fragestellungen und Ergebnisse gingen nunmehr jeden Gebildeten an. Winckelmanns Forderung spiegelt für die Kunstgeschichte den Prozeß der Historisierung wider, der in allen Wissenschaften im 18. Jahrhundert stattfand, und im Laufe dessen sich mit dem Niedergang der Chronologie und dem Aufkommen entwicklungsgeschichtlicher Denkweisen eine historische Betrachtungsweise durchsetzte.16 Reinhart Koselleck hat anschaulich dargelegt, wie sich zwischen 1760 und 1780 ein begriffsgeschichtlicher Wandel von „Geschichten" zum Kollektivsingular „Geschichte" vollzog, in dessen Verlauf die „Universalhistorie", die eine Summe von Singulargeschichten enthielt, in die „Weltgeschichte" mündete. 17 Dieses neue
Vgl. Jauß, Geschichte der Kunst 1970, S. 213 und Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München 1995, S. 129. Vgl. Heidrich, Beiträge 1917, S. 31. Vgl. Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1976 und Dilly, Kunstgeschichte 1979. Grundlegende Erkenntnisse zur Historisierung und Verwissenschaftlichung des Faches sowie zur kunsthistorischen Praxis im 18. Jahrhundert verdanke ich den Untersuchungen von Gabriele Bickendorf. Vgl. Gabriele Bickendorf, Der Beginn der Kunstgeschichtsschreibung unter dem Paradigma „Geschichte". Gustav Friedrich Waagens Frühschrift „Ueber Hubert und Jan van Eyck", Worms 1985 (= Heidelberger Kunsthistorische Abhandlungen N.F. 18) und dies., Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1998 ( = Berliner Schriften zur Kunst 11). Hier folge ich den Darstellungen von Reinhart Koselleck, Historia Magistra Vitae. Uber die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979,
15
16
I
EINLEITUNG
Verständnis von Geschichte und Geschichtsschreibung führte dazu, daß man das planlose Aggregat menschlicher Handlungen und chronologischer Reihen in ein logisches System der universellen Verkettung von Ursachen und Wirkungen überführte, dem eine innere Ordnung zugrundelag. Im Laufe dieses Prozesses gab man den moralisch-didaktischen Anspruch der „Historia magistra vitae" auf, da das Ziel der Geschichtsschreibung nun nicht mehr war, Exempla zur Belehrung zu präsentieren, sondern eine Darstellung der Geschichte der Menschheit selbst. In diese wissenschaftsgeschichtliche Situation fiel das Erscheinen der ersten historischen Künstlerbiographien als selbständige Publikationen im 18. Jahrhundert. Diese wurden aufgrund ihrer Tendenz, Ereignisse und Werkbeschreibungen „nur durch eine chronologische Anordnung zu verbinden", bereits von Burckhardt als antiquierte Darstellungsform bewertet, deren Entwicklung zu dem Zeitpunkt, als sich die Kunstgeschichte mit Winckelmann zur Wissenschaft wandelte, letztlich stagniert hätte.18 Aufgrund solcher Einschätzungen wird die Künstlerbiographie noch heute in den Methodenuntersuchungen entweder totgeschwiegen oder als die früheste Form der Kunstgeschichte unter dem Motto „Kunstgeschichte als Künstlergeschichte" subsumiert, die dann von der „Kunstgeschichte als Stilgeschichte" gewissermaßen abgelöst worden sei.19
18 19
S. 38-66; ders., Geschichte, Historie, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Otto Brunner u.a. (Hgg.), Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 593-717; Bickendorf, Beginn der Kunstgeschichtsschreibung 1985 und Gabriele Bickendorf, Die Anfänge der historisch-kritischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Peter Ganz u.a. (Hgg.), Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 359-374. Vgl. Jauß, Geschichte der Kunst 1970, S. 208. Vgl. die allgemeinen Methodenuntersuchungen von Udo Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte: der Weg einer Wissenschaft, München 1990; Hans Sedlmayr, Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte, Mittenwald 1978, S. 14-18; Hermann Bauer, Kunsthistorik. Eine kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte, München 1976, S. 61-72; Kunstgeschichte. Eine Einführung, Hans Belting u.a. (Hgg.), Berlin 1986; Clemens Früh u.a. (Hgg.), Kunstgeschichte aber wie?, Berlin 1989; Henrik Karge, Karl Schnaase. Zum Verhältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert, unveröff. Habil. Schrift, Univ. Kiel 1993. Henrik Karge danke ich dafür, daß er mir seine Habilitationsschrift zur Verfügung gestellt hat. Vgl. des weiteren Marlite Halbertsma, Die Kunstgeschichte in den deutschsprachigen Ländern und in den Niederlanden 1764-1933: ein Uberblick, in: Marlite Halbertsma/Kitty Zihlmans (Hgg.), Gesichtspunkte. Kunstgeschichte Heute, Berlin 1995, S. 36-41; Belting, Ende der Kunstgeschichte 1995, S. 128-139; Henrik Karge, Karl Schnaase und die Entfaltung der wissenschaftlichen Kunstgeschichte, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 2001, Heft 7-8, S. 87-100; Hubert Locher, Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750-1950, München 2001 und Regine Prange, Die
I
EINLEITUNG
Dabei ignorierte man freilich, daß gleichzeitig mit Winckelmann auch jene Autoren, denen es weiterhin ein Anliegen blieb, primär „Geschichte der Künstler" zu vermitteln, sich von der Vasarischen Tradition verabschiedet und innerhalb dieser Gattung Möglichkeiten entdeckt hatten, neue Ansätze zu entwickeln. Die Künstlergeschichte ist nie von der Bildfläche verschwunden, jedoch fanden während der drei Jahrhunderte nach dem Erscheinen von Vasaris „Le Vite de' piü eccellenti Architetti, Pittori et Scultori Italiani da Cimabue insino a' tempi nostri" innerhalb dieser ebenfalls entscheidende Transformationen statt. Die Künstlerbiographie erwies sich bereits im 18. Jahrhundert als anerkannte Gattung der Kunstgeschichte, die sehr wohl an den Fortschritten von deren Methodik teilhatte. Nachdem Viten in der durch Vasari geprägten Form nahezu zwei Jahrhunderte als Vorbild gedient hatten, begann nach 1700 ein Wandel in der Künstlergeschichte, der einen Jahrzehnte währenden Prozeß einleitete. Die Untersuchung der Künstlerbiographien des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt, daß der Weg von der Vita zur Biographie eng mit der Historisierung und Verwissenschaftlichung der Kunstgeschichte zusammenhing. 20 Nicht zufällig erfolgte die Abwendung von
Geburt der Kunstgeschichte. Philosophische Ästhetik und empirische Wissenschaft, Köln 2004. Zwei Untersuchungen zur Künstlerbiographie erschienen im letzten Jahrzehnt. Gabriele Guercio hat anhand von Einzelanalysen repräsentativer Künstlerbiographien von Vasari bis Bernhard Berenson einzelne Veränderungen und Weiterentwicklungen des Vasarischen Modells aufgezeigt. Den Schwerpunkt legt er auf die Untersuchung der Bedeutung der sich wandelnden Auffassung des CEuvre-Begriffs für die Konstruktion der künstlerischen Individualität. Vgl. Gabriele Guercio, The Identity of the Artist: A Reading of Monographic Studies Devoted to the Old Masters during the Nineteenth Century, Ann Arbor, Mich. 1995 (= Univ. Diss., New Haven, Conn. 1995). Catherine M. Soussloff geht es in „The Absolut Artist" um die Perzeption der Rolle des Künstlers und seiner Biographie in den unterschiedlichen methodologischen Diskursen der Kunstgeschichte. Vgl. Catherine M. Soussloff, The Absolut Artist. The Historiography of a Concept, Minneapolis u.a. 1997. Vgl. auch Renate Gutzmer, Die Künstlermonographie im 19. Jahrhundert. Untersuchung zu einer kunsthistorischen Gattung, unveröff. Magisterarbeit, Univ. München 1999 und Damian Dombrowski, Giuliano Finelli oder das Vergnügen der Zeitgenossenschaft, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2000 (2001), S. 133-149. Renate Gutzmer hat mir dankenswerterweise ihr unveröffentlichtes Manuskript zur Verfügung gestellt. Zum neueren Forschungstand zur Künstlerbiographie vgl. Hellwig, Künstlerbiographie 2003, S. 122-133. 20
Es ist bislang nicht möglich, in der historiographischen Literatur eine Antwort auf diese Frage zu erhalten. Das mag primär daran liegen, daß sich die Forschung seit Jahrzehnten intensiv mit der Vitenliteratur auseinandergesetzt hat, und das Problem in den wenigen Untersuchungen zur Künstlerbiographie keine Rolle spielt.
17
18
I
EINLEITUNG
der Künstlergeschichte Vasarischer Prägung in der Zeit, als auch Winckelmann mit seinem Werk den Anspruch erhob „Geschichte der Kunst" und nicht „Geschichten der Künstler" zu liefern. Der allmähliche Wandel der Vitenform fand im Kontext dieser neuen Anforderungen und einer sich verändernden Funktion der Schriften statt. Dabei waren bereits im 17. Jahrhundert bei Joachim von Sandrart, Filippo Baldinucci, Giovan Pietro Bellori, Giovanni Battista Passeri und Andre Felibien neue Ansätze zu beobachten.21 So kam dem CEuvre immer größere Bedeutung zu, und es gab erste Tendenzen, das Material durch die Trennung von Lebensgeschichte und Werkanalyse zu systematisieren. Weitere Veränderungen, denen man das Vasarische Modell im 18. Jahrhundert unterwarf, betrafen Bereiche wie Publikationsform, Wahl der Künstler, Arbeitsweise, Ziele der Autoren, Adressatenkreis und Bedeutung, die man den Quellen zumaß. Die Ablösung der Sammelbiographien durch Einzelbiographien im Laufe des 18. Jahrhunderts ist vor dem Hintergrund des sich wandelnden Verständnisses von Individualität zu begreifen. Während sich Individualität bis dahin noch durch die ständische Inklusion in die Gesellschaft definierte - was die Künstlerbiographien in berufsständischen Sammelwerken des 16. und 17. Jahrhunderts dokumentieren - wurden Individuen nun außerhalb der Gesellschaft piaziert und besaßen Individualität ausschließlich in sich selbst.22 Als eine Folge dieses Wandels ist die von Johann Gottfried Herder formulierte Forderung zu verstehen, in einer Lebensbeschreibung sei die besondere Leistung eines Individuums zu würdigen. Herder plädierte für Lebendigkeit und Gegenwartsbezug, für Singularität und die Herausarbeitung der Vorbildfunktion in einer Biographie und brachte damit die neuen Maßstäbe, die man an diese Gattung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anlegte, auf den Punkt. 23 Nicht mehr hauptsächlich der Stand war für die Biographiewürdigkeit einer Person entscheidend, sondern ein neuer bürgerlicher Tugendkatalog, der sich auf Sittlichkeit und Humanität, Aufrichtigkeit und Toleranz, Vernunft und
Eine Übersicht über die Vitenliteratur findet sich bei Julius von Schlosser, Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien 1924. Vgl. Niklas Luhmann, Individuum, Individualität, Individualismus, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Frankfurt a.M. 1989, S. 149-258. Vgl. Helmut Scheuer, Biographie. Studien zur Funktion und zum Wandel einer literarischen Gattung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979, S. 9-35; ders., Biographie, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Gert Ueding (Hg.), Bd. 2, Darmstadt 1994, Sp. 30-43, hier Sp. 39; Thomas Winkelbauer (Hg.), V o m Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik. Tagung Horn 1997, Horn-Waidhofen/Taya 2000.
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EINLEITUNG
Gelehrsamkeit, Bescheidenheit und Großmut, Studium und Arbeit sowie Wagemut und Neugier gründete. Für die Lebensbeschreibungen zogen diese neuen Erwartungen eine Reihe von Veränderungen mit sich. Der Anspruch, Leben und Werk eines einzelnen Künstlers speziell hervorzuheben, konnte mit berufsständischen Kompendien, wie es die Künstlervitensammlungen waren, kaum erfüllt werden. Die Gleichförmigkeit in den Sammelbiographien hatte zu einer gewissen Entindividualisierung geführt. Vorerst versuchte man das zu vermeiden, indem man in Sammelbänden Biographien bedeutender Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher Berufsgruppen zusammentrug. 24 Am ehesten jedoch wurden die neuen Erwartungen mit der Individualbiographie erfüllt, die die besondere Leistung eines Künstlers ebenso wie seine historische Bedeutung für die Kunst seiner Zeit angemessen herauszustreichen suchte. Die Tradition der Lebensbeschreibungen von Künstlern als Einzelpublikationen läßt sich in Italien bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen, und diese waren auch im 18. Jahrhundert immer wieder anzutreffen. Zu erwähnen wären die Schriften von Antonio Manetti über Filippo Brunelleschi aus dem 15. Jahrhundert, Ascanio Condivi über Michelangelo von 1553, Giovanni Mitelli über seinen Vater Agostino Mitelli von 1660-1680, Filippo Baldinucci über Gianlorenzo Bernini von 1682, Domenico Bernini über seinen Vater Gianlorenzo Bernini von 1713 und Bernardo de Dominici über Luca Giordano von 1720.25 Dieses waren allerdings inhaltlich eng an den Viten orientierte Lebensbeschreibungen zeitgenössischer Meister, verfaßt von Zeitgenossen aus deren unmittelbarem Umfeld, meist selbst Künstler, die Informationen aus erster Hand besaßen und sich mit einer primär didaktischen Botschaft an die Künstlerschaft selbst wandten. 26 Anders handelte es sich bei den Autoren im 18. Jahrhundert durchweg um Gelehrte mit humanistischem Hintergrund, manche waren zudem Sammler und dilettierende Künstler. Ihre Biographien zeichneten
24
Köhler nimmt in den Sammelband „Lebensbeschreibungen merkwürdiger deutscher Gelehrten und Künstler" die Biographie Cranachs als einzigem Künstler auf. Vgl. Johann Friedrich Köhler, Einige Nachrichten von des berühmten Malers Lucas Kranachs Leben und Kunstwerken, in: Ders., Lebensbeschreibungen merkwürdiger deutscher Gelehrten und Künstler besonders des berühmten Malers Lucas Kranachs. Nebst einigen Abhandlungen über deutsche Litteratur und Kunst, 2 Teile, Leipzig 1794, hier Teil 2, S. 173-235.
25 26
Vgl. die vollständigen Angaben bei Schlosser, Kunstliteratur 1924. Koselleck sieht es als Aufgabe der Geschichtsschreibung bis ins 18. Jahrhundert, aus den ,Geschichten' der Vergangenheit eine Sammlung von moralischen Lehrbeispielen für das gegenwärtige und zukünftige Leben zu erstellen. Vgl. Koselleck, Historia Magistra Vitae 1979, S. 38-66.
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sich durch Breite der Darstellung und neue inhaltliche Schwerpunkte aus. Es ging nicht mehr vornehmlich darum, einen erzählenden, didaktischapologetischen Bericht über Leben und Werk eines Zeitgenossen zu liefern, und diesen als nachahmenswertes Vorbild zu präsentieren. Die Künstlerbiographien des 18. und 19. Jahrhunderts zeigten in der Regel keinen Bezug zum zeitgenössischen Kunstgeschehen. Sie betrachteten ihre Beiträge als Schriften, deren Fragestellungen und Ergebnisse vor allem für Gelehrte und für ein gebildetes Publikum von Bedeutung waren. Zu der Neugier, mehr über Lebensgeschichte und Werk eines einzelnen Künstlers zu erfahren, trat das Bedürfnis nach historischer Erkenntnis. Demnach waren die Biographen bestrebt, nicht nur über ein Einzelschicksal zu berichten, sondern Leben und Werk in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Der Künstler war zwar vor allem als Schöpfer seines Werkes von Interesse, es ging jedoch auch um seine historische Einordnung. Der Weg von der Vita zur Biographie bedeutet auch insofern eine Verwissenschaftlichung, als die Diskussionen der Ergebnisse im 18. Jahrhundert streng von der Biographie des Autors getrennt waren. 27 Bereits damals zeigten die Biographen Ansätze eines historisch-kritischen Vorgehens, indem sie ihre Ergebnisse auf Quellenstudium, Quellenkritik, Kritik der älteren Literatur und Werkkenntnis aus eigener Anschauung stützten. Sie wiesen auf die Übernahme von Informationen und Textstellen aus anderen Schriften hin. Während die Viten oft voller Lücken und bruchstückhaft waren, war man in den Biographien bestrebt, Informationen über Leben und Werk des Künstlers möglichst vollständig zu liefern. Abgesehen von der „Vollständigkeit" waren „Neues" und „Wahrheit" Ziele, die sich die Autoren des 18. Jahrhunderts setzten. Auf das „Neue" ihrer Ergebnisse wiesen sie explizit hin. Der Anspruch, mit den Schriften „Wahrheit" zu vermitteln, dokumentiert sich auch in der mehrstimmigen Anlage der Biographien, um mittels der Vielperspektivität eine vermeintliche Objektivität zu erreichen. Ein Quellenanhang sollte dem Leser zudem eine Uberprüfung der Resultate ermöglichen. Mit dem Verzicht auf alles Anekdotische und Legendenhafte sowie der bewußten Distanzierung vom Narrativen wandten sich die frühen Autoren von der literarischen Vergangenheit ab und behaupteten die Wissenschaftlichkeit ihrer Biographien. Die Klassifizierung und Systematisierung des reichen Materials haben sich als eine weitere Veränderung auf dem Weg von der Vita zur Biographie
V g l . Lepenies, D e r andere F a n a t i k e r 1984, S. 24.
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herausgestellt. Auf eine Trennung und Unterteilung der Bereiche Lebensgeschichte und Werkanalyse hatten die Vitenschreiber verzichtet. Ihre Texte zeigten sich als erzählende Blöcke, die additiv aneinandergereihte, nicht nach bestimmten Gesichtspunkten geordnete Informationen zu Leben und Werk eines Künstlers enthielten. Anders wurde in den Biographien der Stoff nach inhaltlichen Kriterien strukturiert und in einzelne Teile gegliedert. Man erwartete eine geschlossene, konsequent durchgeführte Konzeption sowie eine Systematisierung des Materials anhand übergeordneter Kategorien. Auch inhaltlich zeigen die Biographien eine Erweiterung im Vergleich zu den Viten. In ersteren spielten Fragen nach den künstlerischen Voraussetzungen und der Entwicklung erstmals eine Rolle. Das starke Zurückdrängen des Biographischen, die zunehmende Bedeutung des Werkes, die sich in der ausführlichen Beschreibung und Interpretation sowie dessen strengeren historischen Verknüpfung spiegelte, das alles waren weitere Merkmale, die sich als Unterschiede zwischen Biographien und Viten herauskristallisierten. Die Persönlichkeit des Künstlers wurde nicht mehr als statische, sondern als dynamische Entität aufgefaßt. Während die Viten sich als pragmatische Tatsachenberichte lasen, erwuchs in den Biographien über die Darstellung der äußeren Begebenheiten im Leben eines Künstlers und seines Werkes hinaus ein psychologisches Interesse an seiner Persönlichkeit, man versuchte ein „inneres Bild" des Künstlers zu entwerfen. Es zeigt sich, daß man gleichzeitig die Aufmerksamkeit verstärkt auf das CEuvre als Ganzes richtete. Um dieses zu erfassen, ordnete man es nach verschiedenen Kriterien, zunächst topographisch, dann nach Themen oder nach Gattungen, später auch chronologisch. In den Biographien stützte sich die Beschreibung der künstlerischen Identität nicht mehr vorrangig auf Persönlichkeit und Charakter, vielmehr spielte die Werkanalyse eine entscheidende Rolle. Vor dem Hintergrund der Entdeckung der Einheit des Individuums begriffen die Biographen Leben und Werk als einer Substanz entstammend. Anhand von Analogien und Interdependenzen zwischen den kategoriell unterschiedlichen Bereichen Leben und Werk, zwischen persönlicher und künstlerischer Entwicklung, waren sie bestrebt, diese in der Person des Künstlers zusammenzuführen. Damit etablierten die Autoren das biographische Interpretationsverfahren, das auf der Annahme beruhte, es ließe sich von der Persönlichkeit des Künstlers auf das Werk schließen und umgekehrt. Sie gingen davon aus, das Leben könne als Vergegenständlichung des Werkes und umgekehrt das Werk als Spiegel des Lebens gesehen werden. Das Ergebnis dieses Prozesses der Verwissenschaftlichung der Viten, der im 18. Jahrhundert einsetzte und weitgehend in der ersten Hälfte des
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19. Jahrhunderts vollzogen wurde, war die Künstlerbiographie in ihrer bis heute üblichen Form. Nach 1800 begann auch eine theoretische Beschäftigung mit der Biographie, als man versuchte, diese als maßgebliche Darstellungsform für die Kunstgeschichte zu etablieren. Nicht allein mit dem Werk Winckelmanns fand im 18. Jahrhundert eine grundlegende Veränderung der Kunstauffassung statt. Auch innerhalb der Künstlergeschichte setzte eine Historisierung und Verwissenschaftlichung des Vasarischen Modells ein, die letztlich den Wandel von der Vita zur Künstlerbiographie ausmachten. Die Terminologie ist traditionell unscharf. Im 18. Jahrhundert war für die wissenschaftliche oder literarische Gesamtwürdigung einer meist bekannten, das allgemeine Interesse beanspruchenden Person sowohl der Begriff „Lebensbeschreibung" als auch „Biographie" üblich. 28 Nach 1800 wurden zudem die Begriffe „Biographie" und „Monographie" undifferenziert verwendet. Es bleibt kein Einzelfall, daß ein Autor dasselbe Werk mit beiden Termini bezeichnet. 29 Eine gewisse Beliebigkeit in der Wortwahl zeigt sich nicht zuletzt darin, daß Begriffe wie „biographische Monographie" oder „monographische Biographie" geprägt wurden. 30 Die Terminologie „Biographie" und Biographik" wird ebenfalls meist undifferenziert eingesetzt.31 In der vorliegenden Studie steht der Begriff „Biographie" für die Gesamtwürdigung von Leben und Werk einer historischen Person in einem selbständigen Buch, während mit „Biographik" die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Biographie gemeint ist.
28
Vgl. Scheuer, Biographie 1994, Sp. 30.
29
Vgl. Anton Springer, Hans Holbein und sein neuester Biograph, in: Zeitschrift für
30
Vgl. Carl Justi, Brief an Otto Hartwig vom 20. Dezember 1862, in: Rupprecht Leppla
Bildende Kunst 2 , 1 8 6 7 , S. 63-69, hier S. 63f. (Hg.), Carl Justi und Otto Hartwig. Briefwechsel 1858-1903, Bonn 1968, S. 122-127 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 5), hier S. 123 und Hans Tietze, Die Methode der Kunstgeschichte. Ein Versuch, Leipzig 1913, S. 77. 31
Scheuer betont, daß anstelle von „Biographie" gern der Begriff „Biographik" verwendet werde. Seltener meint - mit dem Gebrauch von „Historik" vergleichbar - „Biographik" die Beschäftigung mit der Biographie. Vgl. Scheuer, Biographie 1994, Sp. 30.
II DIE ANFÄNGE DER KÜNSTLERBIOGRAPHIE IM 18 JAHRHUNDERT Die ersten Künstlerbiographien Grundsätzlich gilt das, was für die Biographien des 18. Jahrhunderts generell bemerkt wurde, nämlich, daß diese überwiegend als literarische Kleinform existierten, in gleicher Weise für die Künstlerbiographien dieser Zeit. 32 Diese erschienen als „Charakteristik", „Skizze" oder als biographischer Abriß in Enzyklopädien und Lexika. Knappe, annalistisch angelegte Biographien von Malern, Bildhauern und Architekten wurden in die Künstlerlexika, Enzyklopädien und Sammelbände mit Lebensbeschreibungen „deutscher Gelehrter und Künstler" aufgenommen. 33 Bedingt durch das neue Interesse der Sammler und Kenner an druckgraphischen Werken Dürers und Cranachs erstellte man auch die ersten Werkkataloge der Künstler. 34 Doch scheint es gleichzeitig ein Bedürfnis gegeben zu haben, mehr über diese Meister zu erfahren, als in den Kurzbiographien
32 33
Vgl. Scheuer, Biographie 1979, S. 54f. In den Künstlerlexika übersteigt der Umfang der einzelnen Beiträge nur in Ausnahmefällen eine Spalte. Zu erwähnen sind die Beiträge von Georg Wolfgang Knorr, Johann Rudolph Füssli und Carl Heinrich von Heinecken. Vgl. Georg Wolfgang Knorr, Allgemeine Künstler=Historie oder berühmter Künstler Leben, Werke und Verrichtungen mit vielen Nachrichten von raren alten und neuen Kupferstichen, Nürnberg 1759; Johann Rudolph Füssli, Allgemeines Künstlerlexikon, oder: Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgiesser, Stahlschneider, Zürich 1763; Carl Heinrich von Heinecken, Nachrichten von Künstlern und Kunst-Sachen, 2 Bde., Leipzig 1768-1769.
34
Vgl. Georg Wolfgang Knorr, Alberti Dureri opera omnia oder alle Werke welche vom Albrecht Dürer in Kupfer gestochen und in Holz geschnitten, in: Ders., Allgemeine Künstler=Historie, Nürnberg 1759, S. 32-94; Heinrich Sebastian Hüssgen, Raisonnirendes Verzeichnis aller Kupfer- und Eisenstiche so durch die geschickte Hand Albrecht Dürers selbsten verfertigt worden, Frankfurt, Leipzig 1778.
24
II DIE ANFÄNGE DER KÜNSTLERBIOGRAPHIE
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Abb. 3: Johann Ferdinand Roth, Leben Albrecht Dürers, 1791, Titelblatt
als Aufsatz in der ,,Neue[n] Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste" zu veröffentlichen. Die Schrift erwies sich dann als zu umfangreich für eine Aufnahme in die Zeitschrift und wurde schließlich sowohl als gesonderte Publikation als auch als Anhang zum 42. Band der Zeitschrift veröffentlicht. Roth setzte es sich zum Ziel, „Dürers Leben möglichst vollständig liefern". In dem in dreizehn Kapitel untergliederten Text konzentrierte er sich auf die Lebensbeschreibung und Würdigung der Werke des Künstlers. Dank Murrs Veröffentlichung des Tagebuchs Dürers konnte Roth einige Punkte der Biographie des Malers richtigstellen, beispielsweise, daß ihn seine Frau Agnes während der niederländi-
DIE ERSTEN KÜNSTLERBIOGRAPHIEN
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Abb. 4: C. E. Reimer, Historisch-critische Abhandlung über [...] Lucas Cranach, 1761, Titelblatt sehen Reise begleitet hatte. 49 Im elften Kapitel liefert der Autor ein topographisch geordnetes Verzeichnis der Gemälde Dürers in öffentlichen Sammlungen. 50 Roth strebte nach eigener Äußerung keinen Katalog von Dürers druckgraphischem Werk an, weil das bereits Knorr, Hüssgen und Heinecken geleistet hatten. 51
49
Vgl. Christoph Gottlieb von Murr, Reisejournal Albrecht Dürers von seiner niederländischen Reise 1520 und 1521, in: Journal zu Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur 7,1779, S. 53-98.
50
Bei Roth umfaßt das alphabetisch nach Aufbewahrungsort geordnete Verzeichnis der Werke nur 19 Seiten.
51
Vgl. Roth, Dürer 1791, Vorerinnerung, S. 5.
29
30
II
DIE ANFÄNGE DER KÜNSTLERBIOGRAPHIE
Neben Dürer war Cranach im 18. Jahrhundert ein Künstler, dem gleich mehrere Biographien gewidmet wurden. Die erste Individualbiographie über Cranach von C. E. Reimer erschien 1761 unter dem Titel „Historisch-critische Abhandlung über das Leben und die Kunstwerke des berühmten deutschen Mahlers, Lucas Cranach". 52 Uber den Autor sind keine Daten überliefert. Er selbst gab im „Vorbericht" „Schriftsteller" als Beruf an, und man kann aufgrund zahlreicher Zitate gelehrten Inhaltes auf eine humanistische Bildung schließen.53 Reimer war im Besitz einer Gemäldesammlung, zu der zwei Werke Cranachs gehörten. Seine Studie über den Maler war ursprünglich als Teil des Katalogs seiner Gemäldesammlung gedacht, er publizierte diese jedoch wegen ihres beachtlichen Umfangs als Monographie. 54 Reimer stützte sich dabei nach eigenen Angaben auf die ältere Literatur und während seiner Reisen „Gehörtes".55 Die insgesamt 105 Seiten umfassende Biographie ist in Vorbericht, Einleitung und drei Hauptteile, diese wiederum sind in einzelne Paragraphen gegliedert. Im ersten Teil präsentierte er chronologisch geordnet die Lebensgeschichte Cranachs, berichtete zunächst über Kindheit und Jugend, über verschiedene Lebensstationen, fürstliche Mäzene, bedeutende Freunde und schließlich über den Tod des Malers, sein Wappen und seine Signatur. Dabei ging Reimer weit über Joachim von Sandrarts knappe Darstellung in der „Teutschen Akademie der edlen Bau-, Bild- und MalereyKünste" von 1675-1679 hinaus. Im zweiten Teil geht es um die Würdigung Cranachs als Maler. Den Schwerpunkt legte der Biograph freilich auf das Werk, dem er im zweiten Teil eine ausführliche Würdigung und im dritten Teil ein ausführliches, nach Aufbewahrungsorten und Gattungen geordnetes Verzeichnis widmete. Zwei weitere Beiträge über Cranach erschienen in Sammelwerken. Bei dem einen handelt es sich um Christs „Leben des berühmten Malers Lucas Cranach", das 1726 in den „Fränkischen Acta erudita e curiosa" veröffent-
52
Vgl. C. E. Reimer, Historisch-critische Abhandlung über das Leben und die Kunstwerke des berühmten deutschen Mahlers, Lucas Cranach, Hamburg, Leipzig 1761.
53
Der Vorbericht ist mit C.E.R. unterzeichnet. Daß Reimer kein Künstler war, läßt sich auch daraus schließen, daß er es verteidigt, als Nichtkünstler über Kunst zu urteilen. Dabei setzt er sich in die Tradition von Bernard Lamy, der als Gelehrter einen Traktat über Perspektive verfaßt und auch die Malerei behandelt habe. Reimer ist in einer Stadt mit dem Anfangsbuchstaben „A" wohnhaft, die nach eigener Aussage nahe an Holland und weit entfernt von Dresden liegt. Möglicherweise handelt es sich dabei um Aachen. Vgl. Reimer, Cranach 1761, Vorbericht, o.S.
54
Vgl. ebd.
55
Vgl. ebd.
DIE ERSTEN KÜNSTLERBIOGRAPHIEN
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Abb. 13: Gustav Friedrich W a a g e n , Ueber Hubert und Jan van Eyck, 1822, Titelblatt
kum der „Kunstfreunde" und ,,kunstliebende[n] Frauen".269 Demgegenüber verfaßte Gustav Friedrich Waagen die Schrift „Uber Hubert und Jan van Eyck" für ein Fachpublikum, nämlich „die wenigen Kenner in diesem Fache".270 Der „Van Eyck" gilt noch heute als der bedeutendste
269 270
Schopenhauer, in: Kunstblatt 2, 1821, Nr. 33, S. 129 und Ludwig Schorn, Rezension Schopenhauer, Van Eyck, Frankfurt a.M. 1822, Kunstblatt 3, 1822, Nr. 35, S. 137-139. Zu Johanna Schopenhauer (1766-1838) vgl. Guercio, Identity 1995, S. 120-123. Vgl. Schopenhauer, Van Eyck 1,1822, S. 5. Vgl. Waagen, van Eyck 1822, VIII-270 S. Hagen kündigt den Band an, Boisseree rezensiert ihn im Kunstblatt. Vgl. Friedrich Heinrich von der Hagen, Ankündigung
DIE KÜNSTLERBIOGRAPHIEN 1800 BIS 1840
Beitrag auf dem Gebiet der Künstlermonographie der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. Waagen, der Historiker und Philosoph war und ab 1830 die Berliner Gemäldegalerie leitete, wurde 1844 zum außerordentlichen Professor der philosophischen Fakultät der Berliner Universität für das Fach „Moderne Kunstgeschichte" ernannt.271 „Van Eyck" blieb seine einzige umfangreiche Künstlerbiographie, dazu kamen mehrere kleinere monographische Studien zu Rubens, Mantegna, Signorelli, Leonardo, Raffael und Schinkel. Zu Waagens zahlreichen Schriften gehören Handbücher der verschiedenen Malerschulen und Reisebriefe mit ausführlichen Beschreibungen der Bestände europäischer Sammlungen und Museumskataloge. Sein Interesse für van Eyck wurde durch Friedrich Schlegel und die Brüder Boisseree geweckt, deren Sammlung mit einem reichen Bestand an Gemälden der Alten Niederländer ihm aus seiner Studienzeit in Heidelberg vertraut war. Waagen verfaßte seine Biographie in Anbetracht einer Forschungslücke.272 Er gliederte seinen Beitrag in zwei Teile. Im ersten, übertitelt „Einleitung", der, in drei Kapitel unterteilt, etwa ein Viertel des Gesamtumfangs einnimmt, präsentierte der Autor zunächst den Forschungsstand und ging anschließend auf die historischen und geographischen Verhältnisse sowie auf die Entwicklung der niederländischen Malerei bis zu der Zeit van Eycks ein.273 Im zweiten Teil „Ueber Hubert und Jan van Eyck" behandelte er Lebensumstände, Verdienste, Wirkung und Schaffen der
Waagen, Van Eyck, Frankfurt a.M. 1822, in: Kunstblatt 3, 1822, Nr. 82, S. 326-328; Sulpiz Boisseree, Rezension Waagen, Van Eyck, Frankfurt a.M. 1822, in: Kunstblatt 4, 1823, Nr. 54, S. 213-216, Nr. 55, S. 217-219 und Nr. 56,222-224. Vgl. dazu die Sekundärliteratur über Waagen, vor allem bei Bickendorf, Beginn der Kunstgeschichtsschreibung 1985 und Guercio, Identity 1995, S. 123-145. 271
Zu Gustav Friedrich Waagen (1794-1868) vgl. Alfred Woltmann, Gustav Friedrich Waagen. Eine biographische Skizze, in: Gustav Friedrich Waagen, Kleine Schriften, Stuttgart 1875, S. 1-52; Allgemeine Deutsche Biographie 40, Leipzig 1896, S. 410-414; Waetzoldt, Kunsthistoriker 2, 1924, S. 29-45; Bickendorf, Beginn der Kunstgeschichtsschreibung 1985; die Vorträge eines Waagen-Symposiums aus dem Jahre 1994, publiziert in: Jahrbuch der Berliner Museen 37, 1995; Guercio, Identity 1995, S. 183-187; Metzler Kunsthistoriker Lexikon 1999, S. 436-439. Waagens „Van Eyck" bleibt dessen einzige umfangreichere Künstlerbiographie. Vgl. Zimmer, Waagen Bibliographie 1995, S. 75-91.
272
Vgl. Waagen, Van Eyck 1822, S. V.
273
Vgl. den Teil „Einleitung": 1. Von der Behandlung der Kunstgeschichte, so wie von den Schriftstellern über Hubert und Johann van Eyck und des letzten Schule (S. 1-28); 2. Ueber den Schauplatz auf welchem und die Verhältnisse, unter denen sich Johann van Eyck und seine Schule entwickelt haben (S. 29-59); 3. Ueber die Ausübung der Malerei in den Niederlanden vor den Zeiten der Brüder van Eyck (S. 60-73).
81
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DIE KÜNSTLERBIOGRAPHIE 1800 BIS 1840
Brüder. 274 Dabei setzte er sich mit Vasaris These von der Erfindung der Ölmalerei durch Jan van Eyck auseinander. Im letzten Kapitel des zweiten Teiles, das ebenfalls ein Viertel des Gesamtumfangs einnimmt, stellte Waagen die Werke in mehreren Gruppen vor: nur durch Quellen belegte Gemälde, nachgewiesene Gemälde auf Holz, die er chronologisch ordnete, zugeschriebene, aber nicht gesicherte Gemälde sowie angezweifelte Gemälde. 275 Die Neuerung von Waagens Monographie bestand darin, daß der Autor den Vasarischen Prototyp änderte, indem er die kritische Sicht der Quellen steigerte und zum anderen das Modell „Biographie" stärker in Richtung Geschichte öffnete. 276 Ahnliche Tendenzen zeigte auch Ulrich Hegner mit der 1827 erschienenen Biographie Hans Holbeins d.J. 277 Der in Winterthur wirkende Hegner war Doktor der Medizin, Landschreiber und Inhaber städtischer und kantonaler Ämter. 2 7 8 E r verfaßte Romane, einen Beitrag über Johann
274
Vgl. den Teil „Ueber Hubert und Joh. Van E y c k " : 1. Namen und Lebenszeit der Brüder van E y c k (S. 74-82); 2. Lebensumstände der Brüder van E y c k (S. 83-87); 3. Erfindung der Ölmalerei durch Johann van E y c k ; 4. Johann's van E y c k Verdienst um die Linienund Luftperspektive; 5. Johann's van Eyck Verdienste um die Glasmalerei; 6. Ueber den künstlerischen Charakter des Johann van E y c k (S. 139-169); 7. Verhältnis des Jan van E y c k zu den anderen vorzüglichsten Malerschulen seiner Zeit; 8. Einwirkung des J a n van Eyck auf die Richtung der Malerei in den Ländern, wo dieselbe mit Erfolg betrieben wurde; 9. Gemälde des Hubert und Jan van Eyck, so wie Nachbildungen derselben in Kupferstich oder Steindruck (S. 195-270).
275
Das W e r k behandelt Waagen im letzten Kapitel des zweiten Teiles. Die einzelnen Gemälde werden nicht als N u m m e r n eines Katalogs, sondern einfach hintereinander präsentiert. Waagen ordnet die Werke in drei Gruppen: N u r durch Quellen belegte Gemälde (S. 195-204); nachgewiesene Gemälde auf Holz, nach Aufbewahrungsorten geordnet (S. 205-252); zugeschriebene Gemälde, die als Werke van Eycks gelten, jedoch nicht signiert sind (S. 252-257); angezweifelte Gemälde, die der Autor weder als echt oder unecht zu bestimmen vermag (S. 257-270).
276
Vgl. Bickendorf, Beginn der Kunstgeschichtsschreibung 1985, S. 148-187.
277
Vgl. Hegner, Holbein 1827, V I I I - 3 7 2 S. Das Frontispiz schmückt ein Porträt Holbeins d.J. Hegner gliedert seine Monographie in 35 (nicht gezählte) Kapitel; die Schrift wird von Boisseree rezensiert. Vgl. Sulpiz Boisseree, Rezension Hegner, Holbein, Berlin 1827 in: Kunstblatt 10, 1829, N r . 41-43, S. 161-164, 165-167, 170-171. Zu Hegners „Holbein" vgl. Pascal Griener, Holbein and the Paradigms of Art-Historical Interpretation, in: Hans Holbein d.J., Akten des Internationalen Symposiums, Kunstmuseum Basel 1997, Basel 1999, S. 9 9 - 1 1 0 sowie Marianne S. Meier, Das Familienporträt Hans Holbeins des Jüngeren im Spiegel der Rezeption, Basel 2001 (zugl. Diss. Univ., Zürich 1999/2000).
278
Zu Ulrich Hegner ( 1 7 5 9 - 1 8 4 0 ) vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 11, Leipzig 1880, S. 288-291 und Neue Deutsche Biographie 8, Berlin 1968, S. 235-236. Hegner wirkt zwischen 1789 und 1834 als Stadtbibliothekar in Winterthur. E r hinterläßt ein vielfältiges
DIE KÜNSTLERBIOGRAPHIEN 1800 BIS 1840
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Abb. 14: Ulrich Hegner, Hans Holbein der Jüngere, 1827, Frontispiz und Titelblatt
Kaspar Lavater und Kurzbiographien von Künstlern. Hegner kündigte mit „Holbein" die „erste vollständige Biographie" des Malers an, denn tatsächlich gab es bis zu dem Zeitpunkt nur die Viten van Manders und Sandrarts sowie einige kürzere Schriften über den Künstler. Bei diesen Berichten über das Leben Holbeins stieß Hegner auf Widersprüche. Der Autor gliederte seine Monographie in einzelne Kapitel, wobei er nicht streng zwischen Lebensgeschichte und Werkdarstellung trennte. Nach einer Einführung in die historische Situation in Basel am Ende des 15. Jahrhunderts beschrieb er Holbeins Leben an seinen zahlreichen Wirkungsstätten in der Schweiz, Frankreich und England und brachte dabei jedes Mal die dort entstandenen Hauptwerke zur Sprache. Hegner erwies sich als innovativ, indem er nicht chronologisch vorging, sondern das Leben des Malers nach inhaltlichen Aspekten in Lebens- und Wirkungsbereiche schriftstellerisches Werk, zu dem Romane wie „Die Molkenkur" (1812) und „Salys Revolutionstage" (1814) gehören. Vgl. Ulrich Hegner, Gesammelte Schriften, 5 Bde., Berlin 1828-1830.
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