Zur Rolle der Gesundheitsselbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung in der gemeinsamen Selbstverwaltung gemäß § 140f SGB V: Eine explorative qualitative Studie und theoretische Einordnungen [1 ed.] 9783428553235, 9783428153237

Das vorliegende Buch ist als Ergebnis des Kölner Moduls eines vom BMG geförderten Forschungsprojekts im Forschungsnetzwe

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Zur Rolle der Gesundheitsselbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung in der gemeinsamen Selbstverwaltung gemäß § 140f SGB V: Eine explorative qualitative Studie und theoretische Einordnungen [1 ed.]
 9783428553235, 9783428153237

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Schriften der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V. Band 32

Zur Rolle der Gesundheitsselbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung in der gemeinsamen Selbstverwaltung gemäß § 140f SGB V Eine explorative qualitative Studie und theoretische Einordnungen

Von Frank Schulz-Nieswandt, Ursula Köstler, Francis Langenhorst und Anna Hornik

Duncker & Humblot · Berlin

SCHULZ-NIESWANDT/KÖSTLER/LANGENHORST/HORNIK

Zur Rolle der Gesundheitsselbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung in der gemeinsamen Selbstverwaltung gemäß § 140f SGB V

Schriften der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e. V. Band 32

Zur Rolle der Gesundheitsselbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung in der gemeinsamen Selbstverwaltung gemäß § 140f SGB V Eine explorative qualitative Studie und theoretische Einordnungen

Von Frank Schulz-Nieswandt, Ursula Köstler, Francis Langenhorst und Anna Hornik

Duncker & Humblot · Berlin

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Alle Rechte vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0435-8287 ISBN 978-3-428-15323-7 (Print) ISBN 978-3-428-55323-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85323-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Einleitung (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Aufbau der Studie (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht (Frank Schulz-Nieswandt) 14 3. Selbsthilfe im G-BA: Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe im Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 140 SGB V (Anna Hornik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4. Literaturstudie: Patientenbeteiligung gemäß § 140 f SGB V – Analyse zur Patienten­ beteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss auf Grundlage einer Literaturrecherche (Francis Langenhorst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5. Generierung von Hypothesen zum Wandel der Arbeitskultur im G-BA – Explorative Interviews (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6. Empirische Explorationen (Ursula Köstler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6.1 Design und Methoden (Ursula Köstler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum (Ursula Köstler/ Francis Langenhorst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene (Ursula Köstler) 98 6.4 Auswertung der qualitativen Interviews auf Bundesebene sowie Auswertung des Interviews mit der Stabsstelle im G-BA (Ursula Köstler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6.5 Auswertung der qualitativen Interviews und einer Gruppendiskussion auf Landes- bzw. Bezirksebene (Ursula Köstler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7. Gesamteinschätzung der Ergebnisse (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8. Reflexion und Schlussfolgerungen zur Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe in der gemeinsamen Selbstverwaltung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Kontroversen (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 9. Fazit: „Wer hat eigentlich das Sagen?“ (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . 151 10. Metamorphosen der Kritik (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 11. Was ist Selbsthilfe und was fördert der § 20h SGB V? (Frank Schulz-Nieswandt) . . 157 Schluss (Frank Schulz-Nieswandt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Einleitung (Frank Schulz-Nieswandt) Im Ärzteblatt berichtet Beerheide (2017) Eindrücke aus der Beobachterperspektive im Rahmen des öffentlichen Forums des G-BA. Das Gremium sei einerseits von zentraler Bedeutung, andererseits kaum bekannt. Besucht man die Homepage des G-BA (www.g-ba.de/), so werden die institutionellen Zusammenhänge auf einem formalen Niveau graphialisiert transparent dargelegt. Auch die Aufgaben werden deutlich. Man spürt das Bemühen um Transparenzmanagement (zur Bedeutung der Transparenz im Recht: Bröhmer 2004). Anlass dazu gibt die öffentliche Diskussion um die Legitimität genug. Die kritische Nachfrage zur Logik der Selbstverwaltung (als System der „Selbstbedienung“: Lange 2004) verstummt ja nicht. Aus rechtlichen Gründen gibt es Grenzen des Transparenzbemühens, da Vertraulichkeit das Geschehen beherrscht. Dennoch ist es ein gesellschaftlich wichtiges Anliegen, das Geschehen zu verstehen. Verstehen meint hier: Die Praxis und die Praktiken in ihrer Bedeutung aus einem System von Regeln im Sinne einer generativen Grammatik zu verstehen. Eine Grammatik als das Drehbuch einer performativen Inszenierung ist dann generativ, wenn sie die soziale Wirklichkeit des Prozessgeschehens erzeugt, so dass sich so über die semiotische Stufenschichtung von Grammatik (System der dispositiven Regeln), Pragmatik (Handlungsabläufe) und Semantik (sinnhafte Bedeutungszusammenhänge) das ganze Geschehen rekonstruieren lässt. Welches Spiel – um an der sich der Sprache der Theaterwissenschaften bedienenden Soziologie zu orientieren  – wird hier gespielt? Und vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Wirkung von Selbsthilfe im G-BA. Ein Beitrag von Mosebach (2005) ist als gesundheitspolitisches Rahmenkapitel mit Blick auf die Soziogenese im Kontext der in der Entstehungszeit des § 140 f SGV wirksamen rot-grünen Gesundheitspolitik informativ. Er stellt auf die politischen Hintergründe ab und macht mit dem Titel seiner Analyse auch die internen Spannungsfelder dieser rot-grünen Politik deutlich, die eine Reihe von Ambivalenzen und Widersprüchen generiert. Eine kritische Nachfrage bezieht sich auf die Rollenzuweisung im Rahmen der Patientenbeteiligung. Sollen sich die PatientInnen nunmehr marktkonform als Kunden (Paradigma von choice) – und wir ergänzen: systemkonform sozialisiert (enkulturalisiert) als Mit-Player – beteiligen oder als politische Opposition im Rahmen eines Paradigma von voice? Hier wäre auch die Frage einer adaptierten analytischen Nutzung der Kategorien von exit und voice bei Albert Hirschman (2004) sinnvoll. Die Nutzungsweise

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Einleitung

wäre hier in dem Sinne adaptiert, weil exit und voice nunmehr als zwei Abstufungen von politischer Haltung rezipiert werden. Exit meint nun nicht wirklich die Abwanderung als das Verlassen des politischen Raumes, sondern nur die Topographie einer sektorexternen Opposition. Voice meint Opposition durch sektorinterne Partizipation. Dies wäre im Rahmen des § 140 f SGB V der Fall. Beides ist aber voice: externe Verortung der Kritik und interne Verortung der Kritik. Die interne voice-Haltung wäre dennoch primär oppositionelle Kritik und nicht eine Mit-Spiel-Rolle: also Draußen-Sein im Innen-Sein, während exit ein Draußen-imDraußen-Sein, aber dennoch (also nicht eskapistisch: Schulz-Nieswandt (2017)) auf das Innen des Sektors kritisch bezogen. Es geht hier also um eine Topographie der Kritik und um Metamorphosen der Kritik. In Kapitel 10. kommen wir nochmals auf diese Debatte zurück. Die Legitimität des G-BA ist immer wieder ein Thema. So haben sich mehrere Rechtssymposien wie z. B. die „Berliner Gespräche zum Gesundheitswesen“ im Oktober sowie die „Deutsche Gesellschaft für Kassenarztrecht“ im November 2016 mit der Problematik der Legitimität des G-BA beschäftigt. Das Ärzteblatt (www.aerzteblatt.de/nachrichten; Zugriff am 25.2.2017) berichtet vom „Frontalangriff“ der Stiftung des Rhön-Gründers Münch auf die­ G-BA-Strukturen. Das von Justus Haucap (Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie) erarbeitete Gutachten sieht die Dominanz von Partikularinteressen über das Gemeinwohl (Hammer 2016) wirksam. Es soll wohl von der besagten Stiftung eine Reformkommission eingerichtet werden, die Reformvorschläge erarbeiten soll. Die Qualität des Gutachtens ist hier nicht das Thema. Eine gewisse Skepsis ist angebracht, wenn sich eine fachlich enge Ökonomie mit Gemeinwohlfragen beschäftigt, die sich in disziplinär komplizierteren Bezugssystemen der Politikwissenschaft und der politischen Philosophie topographisch bewegen. Die übliche Wohlfahrtsökonomik bietet nicht viel, um das Problem zu lösen. Mit mathematischen Aggregationen ist dem Thema in seiner Dynamik nicht beizukommen, muss der Wille doch gebildet werden. Pareto-Lösungen (auch dazu nochmals in Kapitel 10.) sind durchaus von Bedeutung, setzen aber im Rahmen einer Statik die gegebenen (sodann durch relative Macht gewichteten) Präferenzen der Gruppen voraus. Die Bildung des Gemeinwohls jedoch ist keine technische Herstellung, sondern Willensbildung, demnach eine dialogische soziale Konstruktionspraxis. Nicht die techne des homo faber ist gefragt, sondern die praxis des homo politicus in der kommunikativen polis. Genau deshalb stellen sich die Fragen nach dem realen Machtspiel in den Gremien. Wer dominiert wie den Diskurs? Wie werden welche Perspektiven ausgetauscht? Gibt es Schnittflächen auf der Meta-Ebene von Ideen, die sodann die Bewegungsrichtung der Interessen bahnen? Immerhin ist ein an Legitimationsfragen orientiertes legitimes öffentliches Interesse an der Funktionslogik dieser Entscheidungsmechanismen der Organe des staatsmittelbaren öffentlich-rechtlichen Sektors in Selbstverwaltung nicht zu

Einleitung

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leugnen und alles andere als überraschend, sondern normaler Standard einer selbst-reflexiven Demokratie. Am Ende des Forschungsberichts werden – im Lichte einer nüchternen Bilanz der qualitativen explorativen Bohrungen – diese auch verfassungsrechtlich geführten Diskussionen aufgegriffen (Kapitel 8. und 9.). Es wird sich die Frage nach der Mutation der Gesundheitsselbsthilfe stellen. Es geht dabei nicht um reine begriffstaxonomische Diskussionen. Es geht dabei vielmehr um morphologische Fragen, wobei die Strukturaspekte der Gebilde bedeutsam, aber nicht den entscheidenden Kern der Problematik darstellen: Es geht um die Sinnfunktion der Gebilde. Welche Aufgaben haben sie, welche Rolle spielen sie? Handelt es sich um Mitwirkung der Betroffenenselbsthilfe oder um die Integration von Patienten(fach)verbänden – deren Förderaufgabe in Bezug auf die Mitglieder (bis runter auf die Gruppenebene in einem förderbilanzwirtschaftlichen Sinne), um dies eindeutig an dieser Stelle zu konstatieren, hier nicht bezweifelt wird – in die korporatistische Governance-Logik der politischen Arena der Steuerung des Gesundheitswesens? Ähnliche Fragen werden auch in Österreich (Meggeneder 2011; vgl. die Dissertation von Rojatz [2017]) diskutiert, da die Diskussion dort (gerade mit einem suchenden Blick nach Deutschland) um die Frage geführt wird, ob und wenn (und um welchen Preis), wie die Selbsthilfe gefördert werden kann und soll. So wird am Ende ein Ausblick (das ist eine zur Kernforschungsfragestellung ergänzende Ebene von Schlussfolgerungen) geboten, der kritisch fragt, wie es um die Unmittelbarkeit der Selbsthilfeförderung gemäß § 20h SGB V steht. Damit wird die Rolle der Verbände im Verhältnis zur Rolle der Selbsthilfegruppenaktivitäten und der regionalen und lokalen Strukturen der Selbsthilfeförderung – dazu zählen auch die KISS (als Elemente einer generativen Infrastruktur lokaler sorgender Gemeinschaften im Sinne der Sozialkapitalbildung) – im Diskurskontext kommunaler Daseinsvorsorge neu zu buchstabieren sein (Kapitel 11.).

Literatur Beerheide, R. (2017): Ringen um die Gestaltungsmacht. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kliniken, Krankenkassen und Patientenvertretern gehört zu den wichtigsten Institutionen im Gesundheitssystem. Das Gremium ist aber kaum bekannt. Ein Bericht von einem Jahr G-BA aus der Beobachterperspektive. In: Deutsches Ärzteblatt Jg. 114. Februar 2017, S. 86–88. Bröhmer, J. (2004): Transparenz als Verfassungsprinzip, Grundgesetz und Europäische Union. Tübingen: Mohr Siebeck. Hammer, D. (2016): Gemeinwohl heute? Dresden: Text & Dialog. Hirschman, A. (2004): Abwanderung und Widerspruch. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Einleitung

Lange, J. (2004): Selbstverwaltung oder Selbstbedienung? Die Zukunft des Gesundheitssystems zwischen Korporatismus, Wettbewerb und staatlicher Regulierung. Loccum: Ev. Akademie Loccum. Meggeneder, O. (Hrsg.) (2011): Selbsthilfe im Wandel der Zeit. Frankfurt am Main: Mabuse. Mosebach, K. (2005): Patienten-Empowerment und rot-grüne Gesundheitspolitik: zwischen Patientenbeteiligung, Konsumentensouveränität und Privatisierung. In: Esser, M. u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften. Bd. 42. Hamburg: Argument-Verlag, S. 46–63. Rojatz, D. (2017): Kollektive Patientenbeteiligung als (Heraus-) Forderung. Eine qualitative Analyse von Selbsthilfeorganisation zur Reflexion ihrer Möglichkeiten und Grenzen. Diss. Universität Wien. Schulz-Nieswandt, F. (2017): Erhart Kästner (1904–1974). Griechenlandsehnsucht und Zivilisationskritik im Kontext der „konservativen Revolution“. Bielefeld: transcript.

1. Aufbau der Studie (Frank Schulz-Nieswandt) Das Forschungsdesign ist in seiner modularen Struktur zu verstehen. Entsprechend gliedert sich der Forschungsbericht auch als Spiegelung dieser modularen Architektur. Übergreifend ist zu beachten, dass es sich um ein qualitatives Projekt handelt, in dem hypothesenorientiert gestartet wurde, aber vermittels sequenzieller Datenerhebungen im Rahmen eines Mixed-Methods-Designs (vgl. Kuckartz 2014) permanent an der Hypothesenspezifizierung gearbeitet wurde. Es handelt sich also um ein Design der Mischung deduktiver und abduktiver (vgl. Reichertz 2013) Elemente. Denn einerseits gibt es Vorstudien, die im Rahmen der Recherchen aufgearbeitet wurden. Andererseits sind und bleiben die untergesetzliche Normierungsarbeit im G-BA und seine gegliederten Strukturen eine black box-Veranstaltung. a) Entscheidendes Eingangskapitel (Kapitel  2.) sind daher die Darlegung der Forschungsfragestellungen, des Forschungsdesigns und des Forschungsfeldberichts (Fischer 2002; Sutterlüty/Imbusch 2008), der im Kern eine Geschichte erzählt (vgl. dazu methodologisch Emerson/Fretz/Shaw 2011), wie sich das Design projektendogen verändern musste, weil die Feldzugänge politisch weitgehend verschlossen blieben. b) Es folgen dann (Kapitel 3.) eine kurze Deskription und erste Analyse des institutionellen Feldes des G-BA. c) Eine Literaturauswertung dokumentiert (in Kapitel 4.) den bisherigen Stand des explorierten Wissens. d) Der weiteren Hypothesenbildung dienen (in Kapitel 5.) die explorativen Oral History-Interviews, die weitgehend (sechs von sieben) telefonisch geführt worden sind und Mitwirkende des Geschehens über die ganze bisherige Entwicklungszeit der Selbsthilfemitwirkung im G-BA zu Wort und Reflexion kommen lassen. Die Hintergründe im politischen Vorfeld von 2004 sind hierbei ebenso von Interesse wie episodische Mitwirkungserfahrungen und übergreifende Reflexionen. Auch an dieser Stelle muss betont werden, dass es sich um qualitative Explorationen handelt, die nicht an den Gütekriterien repräsentativer Sozialforschung gemessen werden dürfen. Ein wesentlicher Hauptteil stellt Kapitel 6. dar. e) Nach der Designdarlegung (Kapitel 6.1) und nach der Berichterstattung von zwei teilnehmenden Beobachtungen im Forum des G-BA (Kapitel 6.2).

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1. Aufbau der Studie

f) kommt der Hauptteil der empirischen Analyse zur Darstellung. Dieser umfasst verschiedene Elemente (in Kapitel 6.3 bis 6.5): – Auswertung des Rücklaufs der teil-standardisierten Fragebögen, – qualitative Interviews auf der Bundesebene und ein Interview mit der Stabsstelle im G-BA, – qualitative Interviews und eine Gruppendiskussion auf der Landes- bzw. Bezirksebene. g) Der explorativ-empirische qualitative Bericht endet mit einer Reflexion der Ergebnisse als Gesamtbetrachtung (Kapitel 7.), erst in Kapitel 8. unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Kontroverse. Es werden (Kapitel 9. bis 11.) einige Schlussfolgerungen zur Selbsthilfebewegung insgesamt und zur Selbsthilfeförderung gemäß § 20h SGB V gezogen. Diese Kapitel runden die Studie in ihrer Darlegung ab. Dabei kommen auch einige ambivalenztheoretische (Haller 2011) Erörterungen zur Wirkung. Hiermit wird der Bogen von dieser ausblickenden Diskussionsebene wieder zurück zur Kernforschungsfragestellung geschlagen: Wie ist das Spiel, das dort gespielt wird, sinnhaft mit Blick auf die Funktionslogik zu beurteilen? Theoretisch anspruchsvoll wird nochmals die Perspektive einer Machtanalyse in der Butler-Foucault-Tradition (Butler 2001; Foucault 2005) eingenommen. Im Zentrum wird die Hypothese einer politischen Sozialisation (Hurrelmann u. a. 2015) der Gesundheitsselbsthilfe formuliert. In einem gewissen Sinne handelt es sich – definiert als das Erlernen einer neuen sozialen (Rollen-)Identität (zur Rollentheorie: Gerhardt 1971; Claessens 1974; Linton 1979; Merton 1957; Grieswelle 1974) – um eine (über die ursprüngliche Enkulturation hinausreichende) Akkulturation (Zick 2010). *  *  * Die jeweils verwendete Literatur wird am Ende der Kapitel angeführt.

Literatur Butler, J. (2001): Psyche der Macht. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Claessens, D. (1974): Rolle und Macht. München: Juventa. Emerson, R. M./Fretz, R. I./Shaw, L. L. (2011): Writing Ethnographic Fieldnotes, sec. ed. University of Chicago Press. Fischer, H. (2002): Feldforschungen. Berlin: Reimer. Foucault, M. (2005): Analytik der Macht. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gerhardt, U. (1971): Rollenanalyse als kritische Soziologie. Neuwied: Luchterhand.

1. Aufbau der Studie

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Grieswelle, D. (1974): Allgemeine Soziologie. Stuttgart: Kohlhammer. Haller, M. (2011): Dekonstruktion der „Ambivalenz“. Poststrukturalistische Neueinschreibungen des Konzepts der Ambivalenz aus bildungstheoretischer Perspektive. In: Forum Psychoanalyse 27, S. 359–371. Hurrelmann, K. u. a. (Hrsg.) (2015): Handbuch Sozialisationsforschung. 8., vollst. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz. Kuckartz, U. (2014): Mixed Methods. Wiesbaden: Springer VS. Linton, R. (1979): Mensch, Kultur, Gesellschaft. Stuttgart: Hippokrates. Merton, R. K. (1957): The Role-Set. In: British Journal of Sociology 8 (2), S. 106–120. Reichertz, J. (2013): Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Sutterlüty, F./Imbusch, P. (Hrsg.) (2008): Abenteuer Feldforschung. Frankfurt am Main-New York: Campus. Zick, A. (2010): Psychologie der Akkulturation. Wiesbaden: VS.

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht (Frank Schulz-Nieswandt) Nachdem die Ergebnisse von SHILD 2 veröffentlicht sind1, führte das Forschungskonsortium der Universität Hamburg, der Universität Hannover und der Universität zu Köln die SHILD-Studie 3 zur Wirkungsanalyse der Gesundheitsselbsthilfe durch. Köln realisierte, entsprechend des Forschungsantrages beim BMG, ein kleines qualitatives Modul ethnographischer Art zur Mitwirkung der Patientenvertretung, insbesondere der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA als untergesetzliche Normierungsinstanz im staatsmittelbaren Sektor der öffentlich-rechtlichen Selbstver­ waltung2.

2.1 Forschungsfragestellung In post-kolonialer Zeit3 wird die ethnographische Analyse4 auch auf die eigene Gesellschaft angewendet (Bourdieu u. a. 2008). Es geht darum, die kulturelle Grammatik des sozialen Geschehens zu verstehen (Schulz-Nieswandt 2016). Was sind die – latenten – Sinnstrukturen? Welche Drehbücher (Erving Goffman [2009]: „Wir alle spielen Theater“5) laufen in den performativen Prozessen sozialer Inszenierungen (Fischer-Lichte 2012) ab? Dabei ist die Ethnographie kritischer Sozialforschung verbunden, indem – quasi ethnomethodologisch6 – nach den Machtstrukturen in den Diskursen und Praktiken der Wirklichkeitskonstruktionen gefragt wird. Welche soziale Wirklichkeit wird in der Praxis der Ausschussarbeiten hergestellt? Sind Haltungen auszumachen? Sind spezifische Praktiken von generativer Bedeutung? Was ist Oberfläche, was sind Tiefenschichtungen des Geschehens? Wie wird Regie7 geführt (insb. die Rolle des Vorsitzenden ansprechend)? Was wird 1

Kofahl/Schulz-Nieswandt/Dierks 2015; Schulz-Nieswandt/Langenhorst 2015. Zimmermann 2012; Kluth 2015; zur Staatsentlastung durch Parafisci vgl. auch Krenzer 2004. 3 Kerner 2011; Castro Varela/Dhawan 2015. 4 Breidenstein u. a. 2015; Beer 2008. 5 Zu Goffman vgl. auch Dellwing 2014. 6 In der Tradition von Harold Garfinkel: Lehn 2012. 7 Hänzi 2013. 2

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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wie vorbereitet? Welche Begegnungen/Begegnungsorte sind auch außerhalb des Gremienarbeitens von konstitutiver Bedeutung? Welche Bedeutung hat Sprache? Nach welchen dispositiven Ordnungen (Bührmann/Schneider 2012) im Sinne von Michel Foucault (2006) laufen die Prozesse ab? Diese Sicht berücksichtigt die Frage nach der Eigenlogik von Institutionen/Organisationen als Settings von Akteuren und fragt auf der dergestalt eingebundenen Mikroebene auch nach möglichen habituellen (Pierre Bourdieu8) „Strickmustern“ der RollenspielerInnen. Von Interesse sind insbesondere kollektiv geteilte Deutungsmuster der ritualisierten9 Routinesituationen. Dabei sollen, neueren metaphorologischen Akzentuierungen (Schmitt 2017; Junge 2014; Kruse/Biesel/Schmieder 2011) folgend, ausgelöst von der Metapherntheorie von Hans Blumenberg (2013), in der qualitativen Sozialforschung in Verbindung mit Konzepten narrativer Identitätsbildung (angeregt durch die Studien von Paul Ricoeur [2004] und Wilhelm Schapp [2012]) von Personen, vor allem auch Metaphern des Erlebnisgeschehens berücksichtigt werden. Eine an den Theaterwissenschaften10 begriffsstrategisch orientierte Soziologie macht hier Sinn, zumal die Soziologie, dort, wo sie sich anthropologisch fundiert hat (Huizinga 1987; 2014), eine gewisse Tradition in der Spielmetapher hat. Der kulturellen Grammatik des Geschehens korrespondiert im Rückgriff auf Forschungen in der daseinsthematischen Tradition der Entwicklungs-/Persönlichkeitspsychologie (Schulz-Nieswandt 2015) die Frage nach der personalen Erlebnisgeschehensordnung im Sinne von Hans Thomae (1996). Deswegen stehen Fragen nach erlebter Atmosphäre (der leiblichen Anthropologie sozialer Zwischenräume von Gernot Böhme [2013] folgend) im Mittelpunkt der Analysen, die sich an der Frage des Erlebnisses von Interaktionsordnungen11 (Hierarchien/Asymmetrien/Insider-Outsider-Relationen) orientieren und dies als subjektives Wirksamkeitserleben des eigenen Rollenspielens erfassen lassen. Es geht somit um Wertschätzungserleben u. a. mit Bezug auf die Bildsprache „auf Augenhöhe“. Ohne hierbei validierte psychologische Skalendiagnostik anzuwenden, geht es um die Kohärenzdimensionen der Sinnhaftigkeit, der Verstehbarkeit und der Handhabbarkeit der Rollensituationen. Es geht also nicht um eine Messung der Wirkung der Patientenvertretung in Bezug auf konkrete Vorgänge der untergesetzlichen Normierungsaufgaben der Ausschüsse (da dies alles auch vertrauliche Interna des Gremiengeschehens dar­ stellt). Zu dem atmosphärischen personalen Erlebnisgeschehen gehört auch das in Bildsprache ausgedrückte Raumordnungsmuster, das im Modus der zwei (bzw. 8

Vgl. dazu Fröhlich/Rebein 2014. Belliger/Krieger 2013. 10 Kotte 2012; Fischer-Lichte 2010; Balme 2014. 11 Goffman 2005; 2008. 9

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

drei Bänke) artikuliert werden kann. Es kann an das Raumerleben u. a. an die Phänomenologie von Hermann Schmitz (2005; 2014) angeknüpft werden, auch in Bezug auf die räumliche Fraktionsanordnung an Studien von Philip Manow (2008) zur politischen Repräsentation. Hintergrund dieser qualitativen Analysen, die in der (trans-subjektiven12) wissenssoziologischen Tradition der Mannheim-Panofsky-Bohnsack-Linie angesiedelt sind, sind auch erkenntnisleitende Fragen, die im Zusammenhang mit der deutschen Korporatismus-Debatte im Gesundheitswesen im Vorfeld der 2004er SGB V-Reform mit Blick auf die Einfügung des § 140 f SGB V13 stehen. Hierbei geht es um die Fragen nach den Gründen/Motiven der Ministerialpolitik zur Patientenbeteiligung. Sollte  – mitunter durch Einfluss transnationaler Diskurse – der hinsichtlich Strukturverwaltung geschätzte Dritte Weg zwischen Markt und Staat, aber hinsichtlich der sozialen Innovationsdynamik der Versorgungslandschaften verkrustete, blockierende und pfadabhängige Korporatismus aufgebrochen werden? Sollte dies – die Selbsthilfebewegung14 und den Beitrag der Gesundheitsselbsthilfe zur Demokratisierung des Gesundheitswesens als NormWert korrelativ aufnehmend  – über transparente Partizipationsöffnung geschehen? Zu Beginn der Entwicklung der Gesundheitsselbsthilfe stand eine Kritik des medizinisch-technischen Komplexes. Die Kritik handelte von der Iatrogenität der Medizin. Ivan Illich15 – selbst durchaus eine ambivalente Persönlichkeit16 – avancierte zum Paten der Systemkritik, der Medizin, aber auch anderer gesellschaftlicher Subsysteme. Die Kritik galt der Medikalisierung des medizinisch-technischen Komplexes. Die Psychiatriereform war hierbei ein signifikanter Teil. Andere soziale Subsysteme waren ja auch betroffen, ich erinnere an die Heimrevolte in der Kinder- und Jugendhilfe. Die etablierte Medizinlogik und das Professionensystem (auch in anderen sozialen Sektoren17) sind heute nach wie vor ein Thema18. Insofern überrascht es, dass innerhalb der (überschaubaren) deutschen Selbsthilfeforschung der kritische post-strukturalistische Blick19 auf den dispositiven gouvernementalen Medizinkomplex – z. B. auch der im Sozialrecht verankerte 12

Zu Klaus Oevermann vgl. Garz/Raven 2015. Vgl auch Kauppert 2010. Wurde durch eine eigene Literaturstudie nochmals nachvollzogen. Vgl zu Begriff und Entwicklung des Korporatismus: u. a. Kaiser 2006; Spangenberger 2011; Niechoj 2003; Klenk u. a. 2012; Böckmann 2009; Manzei/Schmiede 2014. 14 Wenn man (mit Engelhardt 2011) von einer solchen (wie in den 1980er Jahren durchaus üblich: z. B. Gross 1982; Hauff 1989) soziologisch angemessen sprechen kann (was aus Sicht der Literatur zur Theorie sozialer Bewegungen durchaus problematisierbar ist. Die Literatur zur Theorie sozialer Bewegungen ist kontinuierlich angewachsen: vgl. u. a. Rammstedt 1978; Klein/Legrand/Leif 1999; Roth/Rucht 2008; Kern 2008; Görg 2013; Brand 1982; Leistner 2016; Stoll 2017; demnächst Beyer/Schnabel 2017. 15 Paquot 2017. 16 Kohn 2012. 17 Sanders/Bock 2009; Wendt 2017; Dewe/Stüwe 2016. 18 Z. B. Karsch 2015; Dellwing/Harbusch 2013; Schübel 2016. 19 Poczka 2017; Brunnett 2009; Lengwiler/Madarász 2010; Wiencke 2011. 13

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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diskursive Prozess der Subjektkonstitution20 des eigenverantwortlichen GKV-Versicherten  – kaum rezipiert wird. Ist das Thema gesellschaftspolitisch wirklich vom Tisch? Oder ist es nur verschwunden durch die Dominanz der mainstreamGesundheitsökonomie und der Hauptströmungen der klinischen Versorgungsforschung? Das Thema taucht oftmals wieder auf im Feld ethnographischer Patienten- und Angehörigenforschung, ist dort aber nicht vermittelt zu Fragen politischer Systemkritik in Verbindung mit zivilgesellschaftlichen Diskursen. Daher ergeben sich die forschungsleitenden Hypothesen quasi automatisch aus den bislang dargelegten Perspektiven; dabei können, das muss betont werden  – eher explorativ – nur einige Antwortrichtungsindikatoren generiert werden. – Ist die Betroffenenperspektive authentisch Agenda-bildend in der politischen Arena angekommen? – Ist eine entsprechende Kultur der Wertschätzung entfaltet worden? – Hat sich das korporatistische System im Zuge der Public Health-Entwicklung auf eine lebensweltlich verankerte versorgungspolitische Forschungsblickrichtung hin verändert? – Oder ist das ganze Spiel eine Chimäre? Geht es nach wie vor nur um das Management der Finanzströme? Wird die Betroffenenpartizipation hierzu – legitimatorisch – funktionalisiert/instrumentalisiert? – Ist die „Selbsthilfebewegung“, wenn man soziologisch von einer solchen sprechen kann, bereits systemkonform – im Sinne einer gouvernementalen „Korruption“ – sozialisiert worden? Sind diese Hypothesen bewusst überspitzt formuliert, so wird es zumindest um die Thematisierung/Problematisierung von Ambivalenzen im Gesamtgeschehen gehen.

2.2 Forschungsdesign und Forschungsfeldbericht Ausgangspunkt der ganzen Forschungsbemühungen war der Eindruck eines weitgehenden black box-Charakters des Themas. 2.2.1 Modularstruktur Das ganze Forschungsdesign ist modular angelegt und ergibt sich aus einem sequenzlogischen Lernprozess innerhalb des Forschungsvorgehens.

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Bechmann 2007, S. 175 f.

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

→ Literaturanalyse: Eine Literaturanalyse (Kapitel  4.) zur bisherigen Erforschung der Selbsthilfebeteiligung in den G-BA-Strukturen ist durchgeführt worden. Die Befunde bleiben bislang relativ oberflächlich und der ganze Ertrag ist von begrenzter Reichweite. Einige spannende Aspekte sind aber geborgen worden und liefern passende Hypothesen. Das Forschungsdefizit wird sich auch durch dieses Forschungsmodul nicht gravierend ändern lassen; dennoch werden wohl tiefergehende Frageperspektiven aufgeworfen. Dies dürfte der Inter-Disziplinarität nicht nur des Designs, sondern der Fragengenerierung als permanente Arbeit an den Hypothesen im Zuge der qualitativen Explorationen im Methoden-Mix (Kuckartz 2014) geschuldet sein. Insofern folgt die Studie zu einem wesentlichen Teil  dem Selbstverständnis der Grounded Theory (Strübing 2014). → Deskription und erste Analyse der Institution G-BA: Auch wird (Kapitel 3.) die ganze G-BA-„Welt“ zunächst nochmals rein deskriptiv dargelegt und erste Aspekte werden andiskutiert. Die diesbezügliche vor allem verfassungsrechtliche Diskussion der öffentlichrechtlichen Selbstverwaltung als untergesetzliche Normierungspraxis wird zum Ende der Arbeit (Kapitel  8.) mit Blick auf mögliche Schlussfolgerungen (Kapitel  9. bis 11.) reflektiert, wenn eine Gesamtinterpretation der Projektergebnisse vorgelegt wird. → Oral History-Telefoninterviews: Obwohl Fragestellungen und erste Hypothesen den Forschungsantrag begründet haben, erfolgte  – gemäß der angesprochenen endogenen Weiterentwicklung des qualitativen Projekts im Zuge der Projektdurchführung  – eine Spezifizierung der Hypothesenbildung (Kapitel  5.) für die weitere explorative qualitative Sozialforschung zunächst über einige telefonische Oral-History-Interviews (N = 6) sowie über ein face-to-face-Interview. Dazu wurde in Kapitel 1. zum Aufbau der Arbeit schon ausgeführt. – So wurde ein Interview zur ministerialpolitischen Hintergrundgenese des § 140 f SGB V vor 2004 durchgeführt. – Drei entsprechende Akteursinterviews wurden telefonisch mit TeilnehmerInnen der ersten Jahre nach 2004 realisiert; ein telefonisches Interview wurde mit einem durchgängig von 2004 bis heute in einem Unterausschuss mitwirkenden Vertreter durchgeführt. Die Auswertung konnte die Hypothesenbildung perspektivisch schärfen. – Parallel wurde zur Rolle der Patientenvertretung auf der Landesebene im Internet recherchiert. Die Erträge waren bemerkenswert gering. – Ein telefonisches Interview mit einem langzeitig involvierten Patientenvertreter in einem Bundesland konnte das Problemfeld besser strukturieren helfen.

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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Diese gesamte Landesebene scheint unterentwickelt, entsprechend unterbelichtet zu sein und weist innerhalb dieser Unterbelichtung wohl erhebliche Landesunterschiede auf. Deshalb wurde entschieden, hier einige qualitative Datenerhebungen durchzuführen. → Teilnehmende Beobachtung im Forum: Zur hospitierenden Qualifizierung der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, aber auch zur ersten ethnographischen Felderkundung wurden zwei teilnehmende Beobachtungen (Martin/Wawrinowski 2014) in der Plenarsitzung des G-BA durchgeführt. Die Eindrücke wurden analysierend verschriftlicht und fließen trotz begrenzter Aussagekraft in die Gesamtanalyse ein. 2.2.2 Die weitere Dynamik der Designentwicklung Eine erste Erhebungsphase systematischer Art sollte eine Gesamterhebung aller PatientenvertreterInnen im G-BA und den Unterausschüssen durch einen teilstandardisierten Fragebogen (online oder postalisch) sein. Die Ergebnisse sollten die Basis für weitere modulare Erhebungsschritte darstellen. Es ergaben sich erhebliche Feldzutrittsprobleme, die, wenngleich mit Zeitverlust, jedoch transdisziplinär behoben werden konnten. So sah es jedenfalls zunächst aus. Zumal mit einem Text zur Forschungsfragestellung und zum modularen Design nicht nur die Fehlwahrnehmung korrigiert werden konnte, wonach sich die Untersuchung angeblich beschränke auf einen teil-standardisierten Fragebogen. Vor allem konnte durch Darlegung der kulturtheoretischen und methodologischen Überlegungen die wohl mit Lächeln kolportierte Interpretation unseres Forschungsanliegens korrigiert werden, wir würden nach dem Wohlfühl-Erleben der Selbsthilfevertretung fragen. Das Lächeln müsste wohl belächelt werden, wenn man sich z. B. die anspruchsvollen Studien21 zur Forschungsmethodologie anschaut. Derartige Forschungen22 können forschungsstrategisch auf das hier interessierende Feldgeschehen übertragen werden. Wer kennt nicht – auch außerhalb systemischer Aufstellungsarbeit23 – die Bedeutung von Sitzordnungen zur Ordnung der Ordnungen24? Zusammen mit Herr Dr. Danner (BAG SH) in seiner zentralen Verantwortungsrolle im Koordinationsausschuss wurde die ganze Forschungsfragestellung nach längeren Vorklärungen in Düsseldorf in einer Gruppenarbeit diskutiert, der Fragebogen sowie der Stellenwert dieses ersten Analyseschrittes im Gesamtdesign diskutiert. 21 Wie die von Uzarewicz (2016; 2013) zum Forschungsthema des Raumerlebens (wenngleich in der Pflegeforschung angesiedelt), u.a.im Rekurs auf Schmitz (2014). 22 Vgl. auch Binder u. a. 2010. 23 Drexler 2015. 24 Richter 2003.

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

Passend zu in den durchgeführten Oral History-Interviews (Kapitel 5.) selbst generierten Hypothesen zu den Kulturunterschieden der Ausschussarbeit in thematisch unterschiedlichen Unterausschüssen wurden drei Biotope gemeinsam ausgesucht. Diese Zusammenarbeit wurde im Lichte der neueren Debatte um trans-disziplinäre Forschung25 als außerordentlich fruchtbar eingeschätzt. Aber offensichtlich fehlten hier die Voraussetzungen, nämlich das Erkenntnisinteresse an eigener entwicklungsoffenen Selbstreflexionsarbeit der etablierten verbandlichen Praxis. Was war nun als Resultat dieses Arbeitstreffens die explizit vereinbarte Absicht: – Es wird mit einem überarbeiteten teil-standardisierten Fragenbogen postalisch eine erste Erhebung durchgeführt und analysiert. Mit einem N von 60 wurde gerechnet. – Die Ergebnisse werden sodann in drei Fokusgruppenanalysen in den drei Unterausschüssen vertieft und validiert. – Qualitative Einzelinterviews werden danach noch weitere Tiefenbohrungen vornehmen. – Wenngleich der Forschungsauftrag auf die Betroffenenselbsthilfe in der Patientenvertretung fokussiert, werden auf Wunsch alle „Sparten“ der Patientenvertretung (also auch der Verbraucherschutz) erfasst. – Um interne institutionelle Eigendynamiken zu beachten, sollen auch Akteure der Stabsstelle interviewt werden, um eigenlogische Strukturbildungen in der gremienkulturellen Dynamik zu erfassen. Die Durchführung dieser zuletzt genannten Bausteine der modular aufgebauten Gesamtanalyse soll sich erst im sequenzlogischen Zuge der ersten Ergebnisse der Fragebogenaktion und sodann der Fokusgruppen schrittweise im modularen Vollzug ergeben. Zur permanenten Selbstreflexion wird über die gesamte Projektlaufzeit eine relativ große Zahl von Abschlussarbeiten zu verschiedensten Dimensionen und Aspekten des Forschungsfeldes betreut. Hierzu werden auch weitere Personal­ kapazitäten des Lehrstuhls in Köln heran gezogen. Was ist nun aus der vereinbarten Forschungsarchitektur geworden? Nichts. Weitgehend nichts. Die Türöffnung über den Koordinierungsausschuss hat nicht funktioniert. Der Rücklauf der Fragebögen war gering, aber dennoch ergiebig (vgl. Kapitel 6.3). Die drei Fokusgruppen und daher die nachfolgenden Tie-

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Bergmann u. a. 2010; Defila/Di Giulio 2016; Bogner/Kastenhofer/Torgersen 2010; Hanschitz/Schmidt/Schwarz 2009; Lerchster/Krainer 2016; Bergmann/Schramm 2008; Tröger 2017).

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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fenbohrungen im Rahmen von qualitativen Interviews konnten nicht realisiert werden. Ein Interview mit der Stabsstelle konnte trotz langen Hin und Her und nach Überwindung von Sperren realisiert werden. Über die Gründe und Hintergründe dieser Feldzugangsprobleme kann politisch spekuliert werden. Einige Eindrücke scheinen dem Kölner Forschungsteam doch nicht ohne Evidenz zu sein. Im Lichte der bereits im Vorwort erwähnten ständigen Legitimitätskontroversen sollten wohl keine tieferen Einblicke in die Welt der­ G-BA-Arbeit eröffnet werden. Souverän ist diese Haltung nicht. Aber der krönende Stolz der Verbände, von dem in einigen Interviews die Rede war, nunmehr in der Gremienwelt der Machtzentren der gemeinsamen Selbstverwaltung mitwirken zu dürfen, motiviert zur angstbesetzten Verteidigung der black box des Geschehens. Auch die Befürwortung der Professionalisierung der Patientenbeteiligung durch ExpertInnen seitens der BAG SH gehört zu dieser Stresssituation der Verbände. Denn sie wissen genau, dass sie sich damit von der eigentlichen Gesundheitsselbsthilfe entfernen, sich aber immer explizit als Selbsthilfeorganisation – also als Organisation der Selbsthilfe – darstellen. Sie seien Selbsthilfe, sie fördern ja intern-mitgliederorientiert die Selbsthilfe auf unteren Ebenen des Mehr-EbenenSystems. In der spannungsvollen Abgrenzung zur DAG SHG und den sozialen Selbsthilfeaktivitäten wird dies immer wieder betont: NAKOS und die KISS sind keine Selbsthilfe, das sind professionelle Einrichtungen, nicht selbst Selbsthilfe. Darauf wird noch im Rahmen theoretischer Anmerkungen zur lokalen Daseinsvorsorge als mittelbare Infrastruktur lebensweltlich unmittelbarer Selbsthilfe einzugehen sein.

2.2.3 Die alternative Erarbeitung einer Modularstruktur Das Forschungsteam hat daraufhin zur Vertiefung und Überprüfung der gewonnenen Einsichten der explorativen Interviews (N = 7) und auf der Grundlage der Eindrücke der teilnehmenden Beobachtungen (N = 2) auf der Basis von Recherchen, Empfehlungen und Netzwerknutzungen eigene Wege der Rekrutierung von InterviewpartnerInnen entwickelt. Durchgeführt wurden: – Auswertung des limitierten Rücklaufs der Fragebögen auf der Bundesebene (N = 18), – Interviews auf der Bundesebene der Patientenbeteiligung (N = 10), – Interview mit der Stabsstelle im G-BA (N = 1), – Interviews (N = 5) und eine Gruppendiskussion auf der Landes- bzw. Bezirksebene der Patientenbeteiligung (N = 1). Die Details – zum Feldzugang, zu methodischen Fragen und zur Reflexion der Feldbarrieren – sind dem entsprechenden Berichtskapitel zu entnehmen.

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

2.3 Fazit zum Feldbericht Der ganze Forschungsprozess war steinig und voller Barrieren. Im Lichte der vorausgegangenen Literaturrecherchen ist das Kölner Forschungsteam keineswegs naiv an die Frage des Feldzugangs herangegangen. Der Literatur konnten diverse Erfahrungsberichte und Erfahrungsreflexionen über die Zugangsprobleme entnommen werden. Dennoch waren wir überrascht über die Blockadekultur. Plausible Argumente aus der Alltagswelt des Feldes wurden vorgeschoben. Letztendlich war es u. E. das politische Interesse, den black-box-Charakter zu erhalten. Im Hintergrund spielen Ängste angesichts der permanenten verfassungsrechtlichen Problematisierung des G-BA eine Rolle. Damit spielen auch Ängste um den Erhalt erreichter Mitspielrechte in der politischen Arena eine Rolle. Diese Erfahrungen waren frustrierend und enttäuschend. Der Analyseanspruch war auf einem methodologisch hohen Niveau ausformuliert. Das anvisierte und sodann trans-disziplinär vereinbarte Design der Methoden hätte eine Annäherung an eine Beantwortung der Forschungsfragestellungen ermöglicht. So fielen wir dann auch auf ein relativ traditionelles, wenngleich durchaus ergiebiges Design zurück. Die Interviews wurden mit der Methode von Witzel26 erhoben, da sich Witzels Methode als extrem anpassungsfähig in der Idiosynkratie einzelner Interviewsituationen nutzen lässt. Auch ist Witzels Methode der qualitativen Datenerhebung im Sinne der Generierung von Archivwissen und latenten Reflexionswissen kombinierbar mit unterschiedlichen Datenauswertungsmethoden. So waren wir offen für die Exploration kollektiver (kollektiv geteilter) Deutungsmuster im Zuge der dokumentarischen Methode27, konnte aber angesichts der begrenzten Erkenntnistiefen dann doch eher den Weg inhaltsanalytischer28 Auswertungen gehen. Gerade die Fokusgruppen29 – so, wie wir sie methodologisch ausrichten wollten30 – hätten in Verbindung mit anschließenden leitfaden-gestützten Interviews eine gewisse kultursemiotische Hermeneutik der Prozessgeschehen in der G-BAWelt ermöglicht. So war jedenfalls unsere Erwartung. Unsere Enttäuschung haben wir bereits zum Ausdruck gebracht.

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Witzel 1982; Witzel/Reiter 2012. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013; Nohl 2017. 28 Früh 2017; Gläser/Laudel 2010. 29 Schulz/Mack/Renn 2012. 30 Bohnsack/Przyborski/Schäffer 2010. 27

2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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2. Forschungsfragestellung, Forschungsdesign und Feldbericht 

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3. Selbsthilfe im G-BA: Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe im Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 140 SGB V (Anna Hornik)

3.1 Einleitung Die neue Selbsthilfebewegung wird als Erfolgsgeschichte gesehen. Auf politischer Ebene hat das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vor über zehn Jahren dafür einen Meilenstein gesetzt. Einige Dachorganisationen der gesundheitlichen Selbsthilfe und andere Sozialverbände erhielten als Patientenvertreter 2004 im damals neu ins Leben gerufenen Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durch § 140 f SGB V ein Mitberatungsrecht und haben damit die Möglichkeit direkter Einflussnahme auf die Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitssystem und ihrem wohl wichtigsten Gremium, wenn auch kein Stimmrecht. Die Kernaufgabe des G-BA liegt in der Konkretisierung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland. Als Bewegung, die in ihren Anfängen aus einer kritischen Haltung gegenüber dem paternalistisch geprägtem Gesundheitswesen entstanden war, hat die Gesundheitsselbsthilfe so innerhalb weniger Jahrzehnte einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: Im Gesundheitswesen selbst konnten sich Selbsthilfegruppen von einem Status der „Konkurrenz“ und „Gegenmacht“ (Kofahl u. a. 2011) zum Kooperationspartner (Trojan/Kofahl 2012) entwickeln. Auch in der Bevölkerung haben sich Selbsthilfegruppen als Bewältigungsressource zunehmend etabliert (Trojan/Kofahl 2012, 362). Beide Faktoren führten dazu, dass Zahl und Organisationsgrad der Selbsthilfegruppen und anderen Selbsthilfeaktivitäten seit ihren Anfängen stark gestiegen sind. Parallel verlief ein Wandel des Patientenbildes. Selbsthilfegruppen haben selbst zu dieser Entwicklung beigetragen, indem sie durch Erfahrungsaustausch und Information mündige Patienten heranzogen (Matzat 2010). Gleichzeitig setzt sich auch seitens der Behandelnden die Erkenntnis durch, dass Behandlungsentscheidungen, die gemeinsam von Arzt und Betroffenen getroffen werden, die Compliance und damit den Behandlungserfolg erhöhen (Hart 2003). Das schnelle Wachsen der Gesundheitsselbsthilfe und ihr neuer politisch gesellschaftlicher Status stellt sie allerdings auch vor neue Herausforderungen. Organisationsstrukturen werden komplexer, Selbsthilfegruppen und Dachorganisation mit ihren politischen Vertretern rücken weiter auseinander. Die Zielsetzung

3. Selbsthilfe im G-BA

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von Selbsthilfegruppen gerät durch die Möglichkeiten finanzieller Förderung unter Druck oder verschiebt sich gar. Das vorliegende Kapitel möchte insbesondere die Chancen und Herausforderungen im Hinblick auf diese Entwicklung skizzieren. Obgleich PatientenvertreterInnen auch Mitwirkungsmöglichkeiten auf Landesebene eingeräumt wurden, wird sich das vorliegende Kapitel auf die Mitwirkung im G-BA konzentrieren. Dabei soll zunächst ein Überblick darüber geben werden, welche Mitwirkungsmöglichkeiten der § 140 f SGB V PatientenvertreterInnen und damit auch der gesundheitlichen Selbsthilfe im G-BA einräumt. Der zweite Teil dieser Skizze soll einige Besonderheiten der Patientenvertretung durch Selbsthilfevereinigungen beleuchten. Im letzten Teil werden daraus Herausforderungen für die Gesundheitsselbsthilfe erarbeitet und mit verschiedenen empirischen Studien und Erfahrungsberichten abgeglichen.

3.2 Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss – Grundlagen Der Gemeinsame Bundeausschuss ist heute das zentrale und wohl einflussreichste Organ des gesetzlichen Gesundheitssystems in Deutschland. Um zu verstehen, warum Patienten dort erst seit wenigen Jahren Einfluss nehmen können, scheint ein Blick in die Geschichte des G-BA beziehungsweise seiner Vorgängerorganisationen hilfreich. Danach kann genauer geklärt werden, welche Aufgaben der G-BA heute hat und welche Rechte Patientenvertretern in den letzten Jahren eingeräumt wurden.

3.2.1 Historische Einführung Mit der Einführung eines Sozialversicherungssystems im späten 19. Jahrhundert in Deutschland wurde auch das Prinzip der sozialen Selbstverwaltung aus der Taufe gehoben, das in seinen Grundzügen nach wie vor besteht. Maßgeblich für die Entwicklung des G-BA beziehungsweise seiner Vorgängerorganisationen war jedoch das Sachleistungsprinzip, das Versicherte davon befreite, Arztrechnungen vorstrecken zu müssen, sondern eine direkte Abrechnung zwischen Krankenkasse und behandelndem Arzt vorschrieb. Die gesetzlichen Krankenkassen schlossen hierzu privatrechtliche Verträge zur Regelung der Abrechnung mit ausgewählten Ärzten. Mit steigender Zahl gesetzlich Versicherter und stärkerem Organisationsgrad kam die Ärzteschaft zunehmend unter Druck, ihre Interessen gegenüber den Krankenkassen(-verbänden) durchsetzen zu können, sodass sie sich Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls in einem Interessenverband zusammenschloss. Die darauf folgenden Streitigkeiten und Spannungen zwischen Krankenkassen und Ärzten konnten erst durch das Eingreifen der Reichsregierung und das Berliner

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3. Selbsthilfe im G-BA

Abkommen 1913 beigelegt werden. Damit wurde der Grundstein für ein institutionalisiertes Verfahren zur Aushandlung von Konflikten zwischen Versicherungen und Ärzten gelegt (vgl. Zimmermann 2012; Hänlein/Schroeder 2010, 55) Aus dieser historischen Perspektive liegt die mangelnde Beteiligung von PatientInnen an Entscheidungsfindungsprozessen bezüglich des Leistungsspektrums Gesetzlicher Krankenkassen (GKV) auf der Hand. Für das Aufbrechen dieser Strukturen werden in der Literatur verschiedene Gründe genannt. Der Wandel des Patientenbildes hin zu mehr Mündigkeit auf individueller Ebene verlangte auch mehr Mitsprache auf einer kollektiven Ebene. Diese Diskussion wurde teilweise auf der Grundlage der patient rights-Bewegung geführt und durch internationale Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation und dem Europarat forciert (Hänlein/Schroeder 2010; Hart 2003, 378). Gleichzeitig wurde aber auch innerhalb des deutschen Gesundheitssystems die Legitimität der beschlussfassenden Organe zwischen Krankenkassen und Ärzten hinterfragt. Hierbei schien vor allem die Unterstützung der Bevölkerung eines auf dem Solidaritätsprinzip basierenden Gesundheitssystems durch mangelnde Transparenz gefährdet. Neben der Lösung des Transparenzproblems wollte der Gesetzgeber durch die Beteiligung von PatientenvertreterInnen auch ein Informationsdefizit mildern und dadurch die Qualität des Gesundheitswesens verbessern (Trojan 2011). Die Erfahrungen betroffener Laien sollten das Wissen über die Auswirkungen von Beschlüssen des G-BA verbessern und zur Steigerung der Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen beitragen (Helms 2014b, 8). 3.2.2 Organisation des G-BA und Stellung der PatientenvertreterInnen Seinen rechtlichen Ursprung hat der G-BA im GMG, das am 1. Januar 2004 in Kraft trat. Hintergrund verschiedener Umstrukturierungsmaßnahmen des gesetzlichen Gesundheitssystems war eine Kostendämpfungspolitik, im Speziellen eine Senkung der Lohnnebenkosten zur Verbesserung der Konjunktur. Das GMG zentralisierte die verschiedenen Gremien der Selbstverwaltung für ambulante und stationäre medizinische Behandlungen im G-BA mit der Absicht, so die Abstimmungsprozesse effizienter zu gestalten. Mitglieder des neu errichteten zentralen Gremiums waren auch erstmals PatientenvertreterInnen. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) von 2007 setzte die Bemühungen zur Zentralisierung fort mit dem Ziel, die Strukturen weiter zu professionalisieren und zu verschlanken1 (Steinbronn 2005). Die zentrale Aufgabe des G-BA ist das Erlassen von Richtlinien zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Diese sind rechtlich bindend und damit das 1 Im Folgenden wird die aktuelle Struktur des G-BA beschrieben, unabhängig davon, ob die gesetzlichen Grundlagen dafür im GMG oder im GKV-WSG geschaffen wurden.

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wichtigste Handlungsinstrument des Gremiums. Die Richtlinien des G-BA sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen konkretisieren. Diese bestimmen unter anderem, welche diagnostischen und therapeutischen Mittel von den Krankenkassen finanziert werden. Weitere Aufgaben des G-BA bestehen in der Trägerschaft des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das unter anderem den medizinischen Nutzen, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen der GKV wissenschaftlich bewertet, und der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen durch Empfehlungen an Ministerien und die Erstellung von Gutachten (Helms 2014a, Zimmermann 2012). 3.2.2.1 Das Plenum Das Plenum des G-BA ist dessen oberstes Beschlussgremium und besteht aus 13 stimmberechtigten Mitgliedern. Es tagt ein- bis zweimal im Monat. Die Seite der Leistungsträger wird dabei durch fünf Vertreter des GKV-Spitzenverbandes repräsentiert. Die Seite der Leistungserbringer setzt sich aus einem Vertreter der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und je zwei Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zusammen, sodass sie ebenfalls aus fünf Mitgliedern besteht. Um Pattsituationen im Plenum zu vermeiden, werden darüber hinaus drei unparteiische Mitglieder von den Trägerorganisationen des G-BA berufen. Den PatientenvertreterInnen kommt eine Sonderstellung im Plenum zu. Sie dürfen mit maximal derselben Anzahl an Personen wie Leistungsträger beziehungsweise Leistungserbringer vertreten sein, momentan also fünf. Sie haben jedoch kein Stimmrecht im Plenum, sondern lediglich ein Mitberatungsrecht. Das Mitberatungsrecht entspricht einer weitgehenden Beratungsbeteiligung. Die PatientenvertreterInnen verfügen über ein Rede- und Antragsrecht und haben ein Recht auf Anwesenheit bei der Beschlussfassung. 3.2.2.2 Unterausschüsse Die inhaltliche Vorbereitung für die Beschlüsse im Plenum findet in neun Unterausschüssen statt, die jeweils Themen festgelegter Bereiche diskutieren. Auch hier kommen Vertreter der GKV und der Leistungserbringer mit PatientenvertreterInnen zusammen. Je nach Sitzung können auch VertreterInnen weiterer Organisationen hinzugeladen werden. Im Gegensatz zu den Sitzungen des Plenums sind die Beratungen der Unterausschüsse nicht öffentlich und tagen unregelmäßig (Gemeinsamer Bundesausschuss 2015).

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3.3 Selbsthilfeorganisationen als PatientenvertreterInnen im G-BA 3.3.1 VertreterInnen von SHG im G-BA Als PatientenvertreterIn eingesetzt sind sachkundige Personen, die von denen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen benannt werden. Welche Organisationen „maßgeblich“ sind, legt die Patientenbeteiligungsverordnung fest. Sie versucht durch sieben Kriterien sicherzustellen, dass die beteiligten Organisationen hinreichend stabil und unabhängig sind, um Patienteninteressen zu vertreten. Erfüllt eine Organisation diese Kriterien, so kann sie einen Antrag auf Anerkennung stellen. Aktuell sind vier Organisationen anerkannt: – Der Deutsche Behindertenrat (DBR), – die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP), – die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (DAG SHG) e. V. und – der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv). Der Deutsche Behindertenrat ist ein Aktionsbündnis verschiedener Verbände behinderter oder chronisch kranker Personen und Sozialverbände (vgl. Helms 2014a). Insgesamt sind in allen Gremien des G-BA je nach Quelle zwischen 100–300 sachkundige Personen vertreten (Meinhardt u. a. 2009; Fuß-Wölbert 2012). Da der Gesetzgeber vorschreibt, dass PatientenvertreterInnen im Einvernehmen benannt werden müssen, tagt vor den Plenumssitzungen der Koordinierungsausschuss der Patientenvertretung, um die Benennung sachkundiger Personen vorzunehmen und grundsätzliche Positionierung zu relevanten Themen zu diskutieren. 3.3.2 Besonderheiten der Gesundheitsselbsthilfe im Gegensatz zu anderen Interessengruppen Nicht alle Organisationen, die PatientenvertreterInnen im G-BA stellen, sind im engeren oder ausschließlichen Sinne Selbsthilfeorganisationen (SHO)2. So tritt beispielsweise der VdK Deutschland e. V. (Teil des Aktionsbündnisses DBR) für Patienteninteressen ein, widmet sich aber nicht explizit gesundheitlicher Selbst 2 Hier wird die von Schulz-Nieswandt angesprochene Kontroverse, ob Verbände Selbsthilfeaktivitäten sein können, außer Acht gelassen (Schulz-Nieswandt u. a. 2015, 26). Ausgegangen wird hier von drei Ebenen in der Gesundheitsselbsthilfe: Der Mikroebene, auf der tatsächlich Selbsthilfe geleistet wird, wie beispielsweise durch Selbsthilfegruppen, der Mesoebene mit Selbsthilfekontaktstellen und der Makroebene, die aus politischen Verbänden besteht (Schulz-Nieswandt 2011).

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hilfe. Ebenso beschäftigt sich der Bundesverband der Verbraucherzentralen zwar unter anderem mit dem Thema Gesundheit, hat dort aber weder einen speziellen Schwerpunkt, noch widmet er sich nach außen hin dem Thema Selbsthilfe. Die Aussagen, die hier über die Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA getroffen werden, können und sollten also nicht auf alle Sozialverbände, die im G-BA vertreten sind, angewendet werden, auch wenn viele der thematisierten Probleme nicht ausschließlich auf die Gesundheitsselbsthilfe anwendbar sind. Die Abgrenzung von Sozialverbänden im Allgemeinen wird hier angesprochen, da in der Gesundheitsselbsthilfe ein starkes Spannungsfeld zwischen gesundheitlicher Selbsthilfearbeit auf der Mikroebene und politischer Vertretung von Patienteninteressen auf der Makroebene besteht. Aus einer verbandstheoretischen Sicht haben Gesundheitsselbsthilfevereinigungen auf der Mikroebene selten den Charakter einer Interessenorganisation (Rudzio 2015). So definiert die DAG SHG die Zielsetzung von SHG als „vor allem auf ihre Mitglieder und nicht auf Außenstehende“ gerichtet (Matzat 2010, 553). Auch ein Blick in die empirische Literatur zeigt, dass die Motivation in Gesundheitsselbsthilfegruppen überwiegend nach innen gerichtet ist und sie „im Wesentlichen unpolitisch sind“ (Borgetto 2015, 56). Es agieren jedoch nicht nur SHG auf der Mikroebene. Auch PatientInnenstellen basieren häufig auf dem Prinzip der Selbsthilfe. Unabhängig von der konkreten Form der Gesundheitsselbsthilfe ist die Außenwirkung dieser Aktivitäten begrenzt, da der Primärzweck die gegenseitige Hilfe ist. Damit steht die Mikroebene in ihrer Funktion Vereinigungen mit geringer Ambition in der politischen Interessenvertretung nahe, während auf der Makroebene Verbände wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe in politisch hoch relevanten Gremien mittlerweile fest eingebunden sind. Ein Grund für die Beteiligung im G-BA ist die Tatsache, dass Selbsthilfeaktivitäten in den vergangenen Jahren mehr und mehr Anerkennung erringen konnten, sodass sie heute unter anderem durch Gelder der GKV unterstützt werden. Dies ist ein Schritt in Richtung auf eine Institutionalisierung im deutschen Gesundheitswesen. Ein weiterer Grund ist die Einzigartigkeit des Wissens, das auf der Mikroebene generiert wird. Es ist eine Mischung aus Fach-, Laien- und Betroffenenwissen, das an keiner anderen Stelle im Gesundheitswesen existiert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass eines der Ziele von Selbsthilfeaktivitäten der Austausch und die Generierung eben diesen Wissens ist. Wie bereits gesehen, ist es jedoch nicht der Primärzweck der Selbsthilfe dieses Wissen nach außen zu tragen. Es ist zwar durchaus erstrebenswert, wenn diese besonderen Kompetenzen Eingang in die Gremien des Gesundheitswesens finden, die sehr unterschiedlichen Ausrichtungen in Zielsetzung und Organisation von Mikro- und Makroebene der Gesundheitsselbsthilfe bergen allerdings auch Probleme. Im Folgenden sollen die Ambivalenzen und Probleme, die in der Gesundheitsselbsthilfe zwischen Mikro- und Makroebene und der zunehmenden Institutionalisierung näher beleuchtet werden (Hänlein/Schroeder 2010).

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3.4 Mitwirkung von Patientenvertretern im G-BA – eine Praxisanalyse Im folgenden Teil  sollen zunächst Spannungsfelder, denen die Gesundheitsselbsthilfe ausgesetzt ist, aus der relevanten Literatur identifiziert werden, bevor auf verschiedene empirische Studien und Einzelbeiträge zur Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe an den Gremien des G-BA eingegangen wird.

3.4.1 Ambivalenzen zwischen Mikro- und Makroebene der Gesundheitsselbsthilfe im Lichte zunehmender Institutionalisierung Die Gesundheitsselbsthilfe ist in den vergangenen Jahrzehnten von ihrer Position des Gegenspielers immer näher ans „klassische“ Gesundheitswesen herangerückt, sodass Selbsthilfegruppen heute mitunter als „vierte Säule“ des Gesundheitswesens beschrieben werden (Matzat 2010, 551). Diese Entwicklung bringt zwar auf der einen Seite Vorteile für die gesundheitliche Selbsthilfe, wie finanzielle Unterstützung und Mitspracherechte, führt aber auf der anderen dazu, dass sich die Strukturen der Gesundheitsselbsthilfe unter den neuen Gegebenheiten verändern. Eine Triebfeder dieser Entwicklung ist die Ökonomisierung des Gesundheitssystems. Die Tendenz zur Vermarktlichung des Gesundheitswesens hat ein Patientenbild befördert, in dem der Patient Kunde ist und als solcher auch umworben wird (Wohlfahrt 2015). Die Etablierung von Selbsthilfegruppen in der Gesellschaft als akzeptierte und nun überwiegend positiv bewertete Ressource im Gesundheitswesen hat die Nachfrage nach ihnen erhöht und sie werden damit zum begehrten Partner traditioneller Gesundheitsdienstleister, die im Zuge finanziellen Drucks damit ihre Attraktivität gegenüber ihren Patienten erhöhen wollen. So werden Selbsthilfevereinigungen nicht nur auf politischer, sondern auch auf der Meso- und Mikroebene zu Professionalisierung angehalten. Gleichzeitig führt dies jedoch dazu, dass Selbsthilfe dazu neigt, verstärkt den Charakter einer Dienstleistung zu bekommen und nicht mehr ausschließlich auf dem Gegenseitigkeitsgedanken beruht (Wohlfahrt 2015). Geld und finanzielle Förderungen spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle. Durch die finanzielle Förderung verändert sich die Position der Gesundheitsselbsthilfe auf verschiedenen Ebenen. Schulz-Nieswandt u. a. beschreiben dies prägnant mit der Feststellung: „Wer fördert, der kontrolliert!“ (Schulz-Nieswandt u. a. 2015, 22). Auf der politischen Ebene bedeutet dies, dass sich die Position gegenüber der GKV verschiebt, da ein Teil der Fördergelder über Krankenkassenbeiträge finanziert wird. Selbsthilfeorganisationen verlieren so ein Stück ihrer Autonomie als Patientenvertreter gegenüber der GKV. Gleichzeitig bedeutet (öffentliche) Förderung auch zu einem gewissen Grad immer Bürokratie. Für deren Bewältigung müssen auf allen Ebenen Ressourcen geschaffen werden.

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Wohlfahrt (2015) stellt fest, dass dies in Selbsthilfegruppen unter Umständen tiefgreifende Auswirkungen hat: Der Fortbestand einer SHG wird in der Abhängigkeit von Fördergeldern gesehen, die wiederum von Mitgliedszahlen abhängen. Durch diese Sichtweise ändert sich die Funktionslogik von SHG. Mitgliederwerbung und Fördergelder erhalten einen Stellenwert, der in SHG, die bis dahin nur mit den eigenen Ressourcen gearbeitet haben, nicht in dieser Form bestand. Gleichzeitig bedürfen diese „neuen Ziele“ auch personeller Ressourcen innerhalb der SHG, die sich dieser Aufgaben annehmen. Dieser Druck zur Professionalisierung steht im starken Gegensatz zum Ursprung der Selbsthilfe, die ihr Wesen aus dem Laien-Sein, eben der Nicht-Professionalität zieht. Die Tendenz, Selbsthilfe aus finanziellem Druck ins traditionelle Gesundheitswesen zu integrieren, und die Konsequenzen für das deutsche Gesundheitswesen werden diskutiert und kritisiert. Zum einen wird die Gefahr benannt, dass Gesundheitsselbsthilfe dem Pfad von anderen Engagementbereichen folgt und zum billigen Ersatz für ansonsten professionell erbrachte Dienstleistungen wird (Wohlfahrt 2015). Zum anderen bleibt die Frage, in wie weit Selbsthilfe dies leisten könnte. Gesundheitsselbsthilfe ist per Definition Gegenseitigkeitshilfe. Die Hilfe, die beispielsweise in SHG geleistet wird, entsteht aus der Gruppe heraus. Sie ist dabei kein Ersatz für andere Behandlungsformen und auch nicht gleichermaßen für alle Personen geeignet. Eines der praktisch erfahrbarsten und naheliegenden Probleme ist die Überforderung der Selbsthilfe durch die Teilnahme in politischen Prozessen (Borgetto 2015, 52). Dazu tragen verschiedene Faktoren bei: Erstens ist die Patientenvertretung ein Ehrenamt, das zwar durch Reisekostenerstattung und Verdienstausfallszahlungen unterstützt wird, aber dennoch einen erheblichen zeitlichen Aufwand bedeutet. Zweitens kommt hinzu, dass die Patientenbeteiligungsverordnung vorschreibt, dass „mindestens die Hälfte [der sachkundigen Personen, Anm. d. Verfasserin] selbst Betroffene sein sollen“ (PatBeteiligungsV § 4 (1)). Mit dieser Vorgabe will der Gesetzgeber die Betroffenenkompetenz sicherstellen. Dies bedeutet jedoch, ohne die Sinnhaftigkeit dieser Vorgabe in Frage stellen zu wollen, eine Zusatzbelastung für die EhrenamtlerInnen. Die Betroffenenbeteiligung führt zu einer dritten Herausforderung. Der G-BA diskutiert mitunter hoch spezialisierte Fachthemen. Um in diesem Kontext das eigene Betroffenenwissen einbringen zu können, müssen sich Betroffene und PatientenvertreterInnen Fachwissen aneignen. Um ihre Interessen vertreten zu können, ist die Betroffenenkompetenz allein also nicht ausreichend – PatientenvertreterInnen müssen sich also zur Teilhabe zu einem gewissen Grad professionalisieren (Jagusch 2015; Kofahl u. a. 2011). Eine Professionalisierung im G-BA wird dann problematisch, wenn die politische Vertretung den Bezug zur Basis verliert. Ein möglicher Weg die Ressourcenengpässe zu beheben, wäre der stärkere Einbezug hauptamtlicher Unterstützer. Die Einrichtung einer Stabsstelle Patientenbeteiligung 2008, die PatientenvertreterInnen in organisatorischen und inhaltlichen Fragen unterstützt, zeigt einerseits

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den Bedarf an zusätzlichen Ressourcen, verdeutlicht aber andererseits, dass die reine Betroffenenkompetenz für die Mitwirkung im G-BA kaum ausreichend ist. Sollte diese Entwicklung sich weiter fortsetzen, wird ebenfalls die Gefahr der Entfremdung zur Basis größer. Ohne Rückkopplung zur Mikroebene stellt sich jedoch die Frage der Vertretungslegitimation (Borgetto 2015).

3.4.2 Auswertung empirischer Beiträge und Erfahrungsberichte Nicht alle in der Literatur genannten Ambivalenzen werden im selben Maße von PatientenvertreterInnen wahrgenommen. Um einen besseren Einblick zu gewinnen, wie PatientenvertreterInnen ihre Rolle im G-BA wahrnehmen, wurden ergänzend zur theoretischen Perspektive drei empirische Studien (Köster 2005; Meinhardt u. a. 2009; Jagusch 2015) und drei Erfahrungsberichte von PatientenvertreterInnen (Danner/Matzat 2005; Fuß-Wölbert 2012; Holtkamp 2015) ausgewertet. Keiner dieser Beiträge erhebt den Anspruch auf Repräsentativität, sondern soll lediglich die Wahrnehmung der PatientenvertreterInnen in den Fokus rücken. In allen genannten Beiträgen herrscht eine grundsätzlich positive Stimmung bezüglich der Einflussmöglichkeiten: Die Zusammenarbeit im G-BA habe sich „erstaunlich“ gut entwickelt (Köster 2005). Obwohl die PatientenvertreterInnen über kein Stimmrecht verfügen, sind sie überwiegend der Meinung, Einfluss auf die Entscheidungen der Gremien üben zu können (Meinhardt u. a. 2009). Dennoch bleibt das Ungleichgewicht in Bezug auf das fehlende Stimmrecht gegenüber Kostenträgern und Leistungserbringern ein dominantes Thema. In der Mehrheit wird ein Stimmrecht angestrebt, wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn hier werden erhebliche Probleme gesehen. Der Erfahrungsbericht von Holtkamp schildert den großen Arbeits- und Zeitaufwand, der mit einer Patientenvertretertätigkeit einhergeht: „Der Zeitaufwand für die Patientenbeteiligung ist sehr groß. Durchschnittlich bin ich an einem Tag in der Woche im G-BA in Berlin“ (Holtkamp 2015, 151). Der hohe Zeitaufwand ist vor allem durch zwei Faktoren zu erklären. Zusätzlich zu den eigentlichen Sitzungen müssen sich die PatientenvertreterInnen untereinander abstimmen, um sich auf die erforderliche gemeinsame Linie und die Benennung von sachkundigen Personen zu einigen (Jagusch 2015). Darüber hinaus ist die inhaltliche Vorbereitung zeitraubend, da methodisch komplexe Sachverhalte diskutiert werden, deren Diskussion von den PatientenvertreterInnen vor- und nachbereitet werden muss. Hier hat sich zwar die Einrichtung der Stabsstelle Patientenbeteiligung als „sehr wertvoll“ erwiesen (Holtkamp 2015), dennoch herrscht nach wie vor Bedarf an Schulungen (Meinhardt u. a. 2009). Ebenfalls häufig problematisiert werden personelle Engpässe. Fuß-Wölbert berichtet, dass auf Landesebene (NRW) ungefähr ein Drittel der Patientenvertreterposten nicht besetzt werden kann (Fuß-Wölbert 2012). Auch alle von Jagusch un-

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tersuchten Selbsthilfeorganisationen klagen über Schwierigkeiten, Engagierte für die Patientenvertretung zu gewinnen. Immer wieder finden sich auch Hinweise auf die Probleme sachkundiger Personen, gleichzeitig als PatientenvertreterIn und als Betroffene bzw. Betroffener zu agieren. So kristallisiert sich in den Interviews von Köster die Frage heraus, wie sachkundige Personen, die ausdrücklich Laienwissen einbringen sollen, den teilweise sehr komplizierten Beratungsgegenständen ohne Fachexpertentum folgen können sollen. Inwieweit könnten vorgetragene Einzelkasuistiken überhaupt systematisch interpretiert werden (Köster 2005, 83). In der Befragung von Meinhardt u. a. (2009, 99) sprechen sich zwei der Befragten gegen ein Stimmrecht für PatientenvertreterInnen aus, da sonst Partikularinteressen nicht mehr vertreten werden könnten und sich bei Entscheidungen eher an übergeordneten Kriterien orientiert werden müsste.

3.5 Fazit Die Gesundheitsselbsthilfe hat durch das GMG als Patientenvertretung nun seit über zehn Jahren ein Mitberatungsrecht im G-BA. Die Beteiligung an einem der wichtigsten Gremien des deutschen gesetzlichen Gesundheitswesens hat die Selbsthilfe vor neue Herausforderungen gestellt. Insbesondere der damit verbundene Druck zur Professionalisierung stellt die gesundheitliche Selbsthilfe vor neue Herausforderungen. PatientenvertreterInnen müssen als Laien Betroffenenwissen in Gremien, die sich mit komplexen Fachthemen auseinander setzen, hineintragen. Als EhrenamtlerInnen stehen ihnen dabei jedoch nicht dieselben Ressourcen zur Verfügung wie den anderen „Bänken“ im G-BA. Durch eine stärkere Professionalisierung, beispielsweise durch das Hinzuziehen von Hauptamtlichen, droht die „Selbstentfremdung“, denn das Wissen, das in die Gremien des G-BA hineingetragen werden soll, entsteht an der Basis. Ohne weitere Ressourcen ist jedoch das Stimmrecht, das die PatientenvertreterInnen anstreben, nicht durchsetzbar. Dieses Dilemma ist nicht aufzulösen, es sei denn, man setzt klare Prioritäten, wie Holtkamp in ihrem Erfahrungsbericht: „Im Gesamtkontext einer Selbsthilfeorganisation ist und bleibt dieses Tätigkeitsfeld [die Beteiligung im G-BA] aber dennoch ein Thema von vielen.“ (Holtkamp 2015, 151).

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4. Literaturstudie: Patientenbeteiligung gemäß § 140 f SGB V – Analyse zur Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss auf Grundlage einer Literaturrecherche (Francis Langenhorst)

4.1 Einleitung Die Patientenbeteiligung im G-BA  – ein Kraftakt ins Leere? Vor mehr als zehn Jahren ist die Patientenbeteiligung auf der Makroebene im G-BA und anderen Gremien und Ausschüssen der gemeinsamen Selbstverwaltung gesetzlich festgelegt worden. Damit wurde erstmals eine Möglichkeit zur Beteiligung von PatientenvertreterInnen bei Fragen der gesundheitlichen Versorgung gesetzlich geregelt.1 Das Ziel liegt in der Stärkung der Patientensouveränität sowie von Patientenrechten und somit in einer stärkeren Steuerung des Gesundheitswesens über die Nachfrageseite.2 Zudem zeigt sich durch die Patientenbeteiligung eine „gelungene Form von Bürgerbeteiligung“3. Die Beteiligung räumt den Patientenvertre­ terInnen ein Mitberatungsrecht ein, das heißt, sie können sich aktiv in die Beratung einbringen, haben aber bei Beschlüssen kein Stimmrecht. Zudem besteht neben dem Mitberatungsrecht ein Antragsrecht. Die anerkannten Organisationen haben dadurch das Recht, Anträge zu stellen. Besonders in den frühen Jahren wurden Stimmen gesucht, die Erfahrungen und Kenntnisse preisgaben, um dem ganzen Geschehen ein Gesicht zu geben. Einheitlich war der Klang nicht. Eine Stimme gab die Erfahrung wieder, dass eine Sitzung bereits tagte und keine Stühle mehr frei waren, als Patientenvertreter fühlte man sich als Störfaktor.4 Ebenso wurden entgegengesetzte Erfahrungen gemacht, die eine durchaus positive, freundliche Begrüßung berichteten; Redebeiträge mit Einwänden und auch Vorschläge fanden gebührende Berücksichtigung.5 Insgesamt gilt bis heute: Es fehlen bis zum heutigen Zeitpunkt systematische Studien zur Mitwirkung der Selbsthilfebewegung im G-BA.

1

SGB V § 140 f (NAKOS 2014). Vgl. Maier-Rigaud 2014, vgl. auch Zimmermann (2012), S. 29 f. 3 Deutscher Behindertenrat u. a. 2014, S. 11. 4 Matzat (2014), S. 16 f. 5 Danner/Matzat (2005). 2

4. Literaturstudie

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Vor diesem Hintergrund besteht großes Interesse zu analysieren, inwieweit die Partizipation der PatientenvertreterInnen im G-BA Wirkungen gezeigt hat und entsprechend auch aus Sicht der PatientenvertreterInnen etwas bewirkt hat. Hierzu wurde eine offene Literaturrecherche durchgeführt. Grundlegend wurde anhand der Schlagwörter: Patientenvertreter, Patientenbeteiligung, (Bürgerbeteiligung), G-BA, Gemeinsamer Bundesausschuss etc. gesucht. Hierbei sind vor allem Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden gefunden worden. Zunächst aber folgt ein Einblick über die Voraussetzungen und Gegebenheiten der Patientenvertretung (dazu auch ausführlicher in Kapitel 3.).

4.2 Grundlagen der Patientenbeteiligung Die Beteiligung von PatientenvertreterInnen im G-BA und anderen Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens auf Bundes- und Landesebene wurde mit dem GMG im Jahre 2003 beschlossen (§ 140 f SGB V). Das Gesetz ist dann am 1. Januar 2004 in Kraft getreten, damit wurde erstmals eine Möglichkeit zur Beteiligung von PatientenvertreterInnen bei Fragen der gesundheitlichen Versorgung gesetzlich geregelt.6 Die Beteiligung räumt den PatientenvertreterInnen ein Mitberatungsrecht ein, das heißt, sie können sich aktiv in die Beratung einbringen, haben aber bei Beschlüssen kein Stimmrecht. Zudem besteht neben dem Mitberatungsrecht ein Antragsrecht. Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes zum 1. Januar 2009 (SBG V § 90 a) ist auch die Interessenvertretung der PatientenvertreterInnen in den gemeinsamen Landesgremien geregelt.7 Die PatientenvertreterInnen, die in den entsprechenden Gremien aktiv sind, wurden zuvor als sogenannte sachkundige Personen benannt. Die Benennung erfolgt durch eine der jeweils vier anerkannten Organisationen: – den deutschen Behindertenrat (DBR), – die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (BAGP), – die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) und – die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (DAG SHG). Dabei müssen folgende Voraussetzungen von den Patientenorganisationen erfüllt sein, damit eine Beteiligung am G-BA und somit die Benennung von sachkundigen Personen gegeben ist: – Gemeinnützigkeit; – demokratische innere Ordnung; 6

SGB V § 140 f (NAKOS 2014). NAKOS 2014, S. 9.

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4. Literaturstudie

– mindestens dreijähriges Bestehen der Organisation; – Mitgliederkreis auf Bundesebene; – Neutralität und Unabhängigkeit der Organisation – Offenlegung der Finanzen; – möglich auch Überprüfung durch das BMG, ob die Organisation die Kriterien (weiterhin) erfüllt. Damit es nun nach den Regelungen der Patientenbeteiligungsverordnung zur Ausübung des Benennungsrechts kommt, muss die Auflage erfüllt sein, dass die Benennung einer sachkundigen Person jeweils einvernehmlich erfolgt. Dies geschieht dann durch den Koordinierungsausschuss der Patientenvertretung, der die gemeinsamen Aufgaben der maßgeblichen Organisationen wahrnimmt. Dieser tagt auf Bundesebene monatlich in den Räumen des G-BA. In jedem Bundesland existiert ebenfalls ein Koordinierungsausschuss. Die Beteiligungsrechte wurden mit § 140 f SGB V in unterschiedlichen Gremien auf Landes- und Bundesebene geregelt. Laut Gesetz ist dies auf der Bundesebene in folgenden Gremien möglich: – G-BA – IQWiG – AQUA Institut – GKV-Spitzenverband Und auf der Landesebene: – Landesausschüsse gemäß § 90 SBG V – Erweiterte Landesausschüsse § 116 Abs. 3 SGB V – Gemeinsame Landesgremien gemäß § 90 a SGB V – Landesgremien Qualitätssicherung gemäß § 115 a SGB V – Recht zu Stellungnahmen zum Bedarfsplan gemäß § 99 SGB V Weiter wurde durch die Einführung des GKV-WSG der Einfluss von PatientenvertreterInnen gestärkt. Die PatientenvertreterInnen verfügen nun über eine eigene Stabsstelle in der Geschäftsstelle des G-BA für die Organisation und Vorbereitung ihrer Gremienarbeit.

4. Literaturstudie

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4.3 Sichtung der Literatur Die einzelnen Beiträge aus der Literatur – z. T. auch schon in Kapitel 3. aufgerufen – werden chronologisch angeordnet dargelegt. Damit kann ein Trend in der Einschätzung der Arbeit und der Rolle der Patientenbeteiligung innerhalb der Gremienstrukturen gemäß § 140 f SGB V abgeschätzt werden. 4.3.1 Entstehung und Entwicklung der Patientenbeteiligung im G-BA Die Anfänge der Reformdiskurse zu mehr Beteiligung von BürgerInnen und PatientInnen an den Entscheidungen über Maßnahmen und Leistungen im Gesundheitssystem liegen sicherlich schon weitaus mehr als 20 Jahre zurück. Das Thema Bürger- und Patientenorientierung wird seit Anfang der 1990er Jahre nicht nur national sondern international von unterschiedlichen Akteuren zunehmend angemahnt. Die BürgerInnen wollen in gesundheitspolitische Entscheidungen eingebunden werden. So wurden erste Forderungen der Weltgesundheitsorganisation bspw. durch die Ljublijana-Charta im Jahre 1996 laut (siehe hier auch das Gutachten von Forster [2015, insbesondere S. 34 f.), eine Forderung, die mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 1. Januar 2004 aufgegriffen wurde. 4.3.2 Studien im Vorfeld Vor Inkrafttreten des GMG 2004 führten Dierks und Seidel im Jahr 2003 eine Telefonbefragung hinsichtlich der Beratungsbeteiligung der Gesundheitsselbsthilfe am Gesundheitssystem im Sinne einer „Status-Quo-Erhebung“ durch (Dierks/Seidel 2005). Aus den teilstandardisierten Telefoninterviews konnten 387 (Response-Rate 77,1 %) mittels qualitativer Inhaltsanalysen für die Untersuchung herangezogen werden. Die Interviewpartner aus den Bereichen der Selbsthilfegruppen, Beratungs- und Kontaktstellen sowie Verbände/Organisationen waren zu 63,9 % in Leitungspositionen, SprecherInnen (13 %), ReferentInnen (3,9 %), 19,2 % bezeichneten sich selbst als Mitglied oder Mitarbeiter der Organisation. Bei der Befragung wurden die Interviewpartner u. a. gebeten, ihre Einschätzung zum Thema Patientenrechte abzugeben. Hierzu wurde besonders im Zusammenhang mit einer Verbesserung der Patientenrechte, eine bessere Aufklärung und Beratung erwartet. Zudem fordern 15,6 % mehr Mitspracherechte. Weiterhin wurden alle Selbsthilfegruppen- und Selbsthilfeorganisationen zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit mit externen Partnern befragt. Hierbei zeigt sich, dass die Mit- bzw. Zusammenarbeit mit Landes- und Bundesgremien, Gesundheitskonferenzen, Ethikkommissionen, Koordinierungs-/Bundesausschuss, Qualitätszirkel erwartungsgemäß selten ist, wobei einheitlich die Aktivität der Selbst-

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4. Literaturstudie

hilfeorganisationen hinsichtlich der Zusammenarbeit mit „übergeordneten bzw. politischen“ Partnern häufiger genannt wurde (zwischen 5–20 %) als von Selbsthilfegruppen (zwischen 2–14 %). Wird hinsichtlich dieser Zusammenarbeiten hinterfragt, wer den Kontakt zu der jeweiligen Kooperation hergestellt hat, so zeigt sich, dass auch hinsichtlich der Gremien auf Landes- und Bundesebene diese von den Selbsthilfe- und Beratungseinrichtungen initiiert wurden (35–50 % Eigeninitiative und 15–20 % Partner). Die Entscheidungsbeteiligung variiert in diversen Kooperationsbezügen. Von den Interviewten gaben in den hier interessierenden Zusammenarbeiten meist mehr als die Hälfte (48–62 %) an, bei den Entscheidungen beteiligt gewesen zu sein. Wird nun nach der Akzeptanz der VertreterInnen im Rahmen der Kooperation gefragt, so wird diese insgesamt gut bis zufriedenstellend bewertet. Abschließend zeigt die Gesamtbewertung, dass die Einschätzung der Partizipationsmöglichkeiten durch PatientenvertreterInnen im deutschen Gesundheitswesen vor Einführung des GMG nicht sehr positiv bewertet wurde. Lediglich 11,9 % sehen sich gut und sehr gut, aber 61,4 % schlecht beteiligt. Für die Zukunft wollen die Befragten vor allem noch mehr an der Gestaltung der Gesundheits- und Sozialversorgung beteiligt werden. Den regionalen SHG ist es am wichtigsten, bei Entscheidungen der Krankenkassen mitzuwirken, gefolgt von mehr Einfluss bei der Mitgestaltung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsund Sozialversorgung. Die Kontakt- und Beratungsstellen sowie SHO haben für die Zukunft als ersten Wunsch, die Beeinflussung der Politik, gefolgt vom Interesse an der Gestaltung einer guten Versorgung aktiv mitzuwirken. „Die Befragten werden nach eigenen Angaben im Rahmen der bislang bestehenden Formen der Zusammenarbeit gut akzeptiert, allerdings finden viele der Kooperationen statt, ohne dass die Selbsthilfe in diesen Zusammenhängen an den hier getroffenen Entscheidungen definitiv beteiligt ist.“ (Dierks/Seidel 2005, 148). Hervorgehoben wird, dass die Selbsthilfe in erster Linie hinsichtlich des Informationsund Erfahrungsaustausches und der Interessenvertretung wirksam ist. Die Studie konnte zudem offenlegen, dass aus Sicht der Selbsthilfe eine Ausweitung von Kooperationen und Entscheidungsbeteiligung vor allem eine Frage personeller und finanzieller Ressourcen ist.8 Kurz: Die Studie zeigt, dass 80 % der VertreterInnen der Selbsthilfe Mitbestimmung und Partizipation fordern, und dabei vor allem bei politischen Entscheidungen (52,5 %), Entscheidungen der Krankenkassen (27,4 %) und zu allen Fragen der Gesundheits- und Sozialversorgung (26,7 %) gehört werden wollen.9

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Vgl. Dierks/Seidel (2005). Aus Robert Koch-Institut 2003: Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 32, S. 8.

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4. Literaturstudie

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4.3.3 Die erste Phase nach Einführung (2004–2005) Mit der ersten Phase nach Einführung der Patientenbeteiligung beim G-BA wird der Fokus auf die ersten zwei Jahre gelegt. Oftmals wird ein Ein-Jahres-Resümee gegeben, um einen Einblick in die anfänglichen Gegebenheiten zu erhalten. Vor diesem Hintergrund haben Danner und Matzat (2005) nach einem Jahr Patientenbeteiligung ein Resümee auf Basis eigener Erfahrung als Patientenvertreter gegeben.10 Hierbei stellen sie ebenfalls zunächst die Gegebenheiten zur Patientenbeteiligung vor. Die Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern und Krankenkassen (den traditionellen Bänken) des G-BA funktioniert laut Danner und Matzat erstaunlich gut, ebenso mit der Geschäftsstelle des G-BA. Jedoch werden Probleme hinsichtlich der Beratungspraxis festgestellt, z. B. dass umfangreiche Materialien oft sehr kurzfristig vor den jeweiligen Sitzungen versandt werden. Problematisch ist dies für die PatientenvertreterInnen bezüglich der Diskussion der zum Teil schwierigen und komplexen Tagesordnungspunkte. Die Beteiligung fand im Unterausschuss Psychotherapie statt. Die persönlichen Einschätzungen (als Sammlung höchst subjektiver Eindrucksformen) sind vielgestaltig: Die Form der Beteiligung sei noch jung, erst wenige Male wurde in der Konstellation getagt. Dabei werden durchaus positive Eindrücke gesammelt, eine freundliche Begrüßung sei erfolgt, Redebeiträge mit Einwänden oder Vorschlägen fanden gebührende Berücksichtigung. Eine eigene Kultur scheint vorzuherrschen: Prägend sei eine extrem hohe Abstraktheit der Diskussion. Die PatientenvertreterInnen mussten lernen, dass etwas schon immer so gewesen sei oder dieser Unterausschuss nicht dafür zuständig sei. Sehr kritisch wird zum Ausdruck gebracht: Gewöhnungsbedürftig für einen praxisnah tätigen Menschen waren die quasi-religiöse Anbetung der evidenzbasierten Medizin (EBM). Um den Goldstandard, randomisierte kontrollierte Studien (RCT) wird kultisch getanzt, als sei es das allein selig machende Goldene Kalb. Dagegen wird die Meinung artikuliert: Die bestmögliche Behandlung eines Patienten kann nicht ausschließlich nach den Regeln von Forschungslabors stattfinden. Die ganzheitliche Sicht (Vorerfahrungen, Wünsche, Präferenzen, soziale und kulturelle Einbindung etc.) von Patienten wird daher zu sehr außer Acht gelassen und ist dadurch nicht wirklich patientenorientiert. Hier wird deutlich, dass zu Beginn der Patientenbeteiligung tatsächlich die Erwartung im Vordergrund stand, die Lebenswelt der Betroffenen in die Debatte des Versorgungsgeschehens einzubringen. Insofern galt die Erwartung: Das Hinzukommen von Dritten, also den PatientenvertreterInnen, wird das bestehende System sicherlich verstören. Fragen werden gestellt, Zweifel angemeldet, der Argumentationsbedarf wächst. Neue Ideen, Erfahrungen und Rückmeldungen fließen mit in Entscheidungsprozesse ein. 10 Vgl. Danner/Matzat (2005) sowie gleiche Vorstellungen der subjektiven Erfahrungen vgl. Matzat (2014).

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4. Literaturstudie

Jetzt weht ferner ein Hauch von Transparenz durch den G-BA. Deutlich ist jedoch auch die strukturelle Unterlegenheit (hauptamtliche Mitarbeiter, wissenschaftliche Abteilungen, leichteren Zugang zu Informationen, auch informelle Kommunikationskanäle der etablierten Bänke). Die PatientenvertreterInnen sind dagegen ehrenamtlich und ohne Aufwandsentschädigung (als Ursache einer strukturellen Logik des Misslingens) aufgestellt. Die Einschätzungslage ist demnach insgesamt gemischt: Dennoch sei man gespannt auf die Zukunft, dies einerseits verbunden mit der Hoffnung auf etwas qualitativ Neues und Produktives, da die Rolle der PatientenInnen gestärkt wurde, aber andererseits werden auch die Gefahren gesehen, Energien und Engagement zu binden, die für andere Formen der alltäglichen Patientenvertretung dringend gebraucht werden. Ein weiterer Erfahrungsbericht kommt von Ingo Heberlein, der u. a. einen Vortrag beim 28. Deutschen Krankenhaustag (Heberlein 2005) über „Institutionelle Mitwirkungsrechte der Patienten – ein Erfahrungsbericht aus der Arbeit des GBA“ gehalten hat.11 Darin berichtet er, wie die Gegebenheiten der Patientenbeteiligung sind und welche Notwendigkeit sie hat. Konkrete Beispiele werden genannt, die verdeutlichen, dass es nach einem Jahr auch Positionen der PatientenvertreterInnen geben hat, die auch durchgesetzt werden konnten. Zudem gibt er wieder: „Im Hinblick auf die inhaltlichen Ergebnisse haben die Patientenorganisationen das erste Jahr ihrer Beteiligung verhalten positiv bewertet.“12 Auch wenn sich die Positionen der Patientenseite nicht immer durchsetzen konnten, so wird von Heberlein angebracht, dass bei der Chronikerrichtlinie, Fahrtkostenerstattung, Heilmittelrichtlinie sowie dem Ausschluss verschreibungspflichtiger Arzneimittel doch Änderungen, Verbesserungen aus Patientensicht erreicht werden konnten.13 Dies deutet sicherlich darauf hin, dass bereits in der frühen Phase der Patientenbeteiligung auch Wirksamkeit des Mitberatungsrechts festgehalten werden können. Jedoch steht dies nun nicht in einem Verhältnis, da die Positionen ohne erfolgreiche Durchsetzung in ihrer Anzahl nicht bekannt sind. Ein weiterer Erfahrungsbericht aus den frühen Anfängen der Beteiligung von PatientenvertreterInnen im G-BA von Jänichen (2007) zeigt, dass die Patientenvertretung als Mitglied im Unterausschuss Heil- und Hilfsmittel eben auch keinen erfreulichen Start erlebt hat. Aus der Dokumentation einer Podiumsdiskussion auf der 18. Gesundheitskonferenz 2007 in München geht hervor, wie von Jänichen über die ersten Gremienerfahrungen aus dem Jahr 2004 berichtet wurde. Die Beteiligung der PatientenvertreterInnen war nicht erwünscht und dies wurde auch deutlich vermittelt. Der bisher kleine Kreis, „… ein eingeschworener Trupp!“ ­(Jänichen 11

Vgl. Heberlein (2005), Verschriftlichung seines Vortrags des 28.  Deutschen Krankenhaustages am 16.–19. November 2005 in Düsseldorf. 12 Heberlein (2005a), S. 75. 13 Vgl. hierzu ausführlich Heberlein (2005) und (2005a).

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2007, 71), konnte die Anwesenheit bzw. den Grund der Beteiligung von PatientenvertreterInnen nicht verstehen. „Man gab uns durch die Blume zu verstehen, wir könnten jetzt verschwinden.“ (Jänichen 2007, 71). Erfreulicherweise hat sich diese abweisende Haltung im Verlauf der Zeit laut Jänichen dann aber wesentlich gebessert (Jänichen 2007). Dass vor der Patientenbeteiligung, die durch das GMG 2004 in Kraft getreten ist, kaum Einflussmöglichkeiten von PatientenvertreterInnen auf Entscheidungen der damaligen Bundesausschüsse bestand, beschreibt Köster (2005). Sie konstatiert, „sowohl die Kassen als auch Leistungserbringer hatten für sich in Anspruch genommen, Patienteninteressen zu vertreten.“ (Köster 2005, 78). Köster geht zunächst auf die Neustrukturierung des G-BA ein und diskutiert die Hypothesen zu den Grundlagen der Einflussnahme von PatientenvertreterInnen auf Grundlage von zehn Interviews. Diese wurden mit verschiedenen Akteuren des G-BA sowie einem Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) Ende 2004/Anfang 2005 geführt, ohne eine nähere Vorgehens- und Durchführungsbeschreibung zu den Interviews anzugeben. Bzgl. der Hypothesen wird der Frage nachgegangen, „wie es um den Einfluss der Patientenvertreter bestellt ist und worauf er überhaupt beruhen kann.“ (Köster 2005, 78). So wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob die gesetzlichen Vorgaben nun tatsächlich zu einem Einfluss innerhalb der Strukturen des G-BA führen. Oder eben, ob „… Einfluss durch Überzeugen, Verhandeln oder Ausüben von Druck erfolgen kann.“ (Köster 2005, 87). Des Weiteren wird geprüft, ob sich aus den staatlichen Aufsichts- und Interventionsrechten gegenüber dem G-BA eine „zusätzliche“ Quelle von Einflussnahme ergibt. Bei den Untersuchungen liegt der Fokus auf den konkreten Auswirkungen auf die Arbeit im G-BA und sind daher von Köster nicht weiter ausführend auf grundsätzliche Probleme der Konflikt- und Organisationsfähigkeit von Patienteninteressen betrachtet worden (Köster 2005, 78). Grundsätzlich sind sich die befragten Akteure einig, dass sich die Präsenz der PatientenvertreterInnen im G-BA auf die Beratung auswirke. Dies bestätigen ebenfalls InterviewpartnerInnen, die im Vorfeld in den ehemaligen Bundesausschüssen tätig waren; diese konstatieren, dass es zu einer veränderten Gesprächskultur gekommen sei. Die Mutmaßung hierbei liegt in der Annahme, dass für die Seiten der Kassen- und Leistungserbringer ein stärkerer Zwang zur Begründung und Rechtfertigung von Positionen sowie Entscheidungen bestehe. Eine kaum nachzuweisende weitere Annahme daraus besteht darin, dass vor diesem Hintergrund bessere und durchdachtere Beschlüsse getroffen werden (Köster 2005, 84). Positiv wird von den befragten PatientenvertreterInnen auch die deutlich höhere Wahrnehmung durch Presse und Öffentlichkeit seit der Beteiligung im G-BA angebracht. Wenngleich die stärkere Wahrnehmung aufgrund von Vertraulichkeit der Beratungsunterlagen, des Abstimmungsverhaltens und die begrenzten Ressourcen zur Öffentlichkeitsarbeit nicht dazu genutzt werden kann, den öffentlichen Druck auf die Prozesse im G-BA zu verstärken. Lediglich die Öffentlichkeitsarbeit des

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4. Literaturstudie

G-BA selbst führe dazu, dass abweichende Positionierungen der Patientenvertretung auch nach außen kommuniziert werden. Möchte ein Patientenvertreter Kritik üben, so müsse diese eher „allgemein formuliert werden, da man ansonsten den Unwillen der stimmberechtigten Mitglieder des G-BA auf sich ziehe.“ (Köster 2005, 84). Die Möglichkeit, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, wird von den InterviewpartnerInnen differenziert bewertet. Hier werden auch Beispiele angebracht, bei denen Einwände berücksichtigt wurden. Hierzu zählen die Chroniker-Richtlinie und die Krankenhaustransport-Richtlinie. An dieser Stelle wird interessanterweise von einigen PatientenvertreterInnen angebracht, dass die Willensbildung entgegen der stimmberechtigten Mitglieder stark vom BMG abhängt. Daher ist hier nicht eindeutig klar, was nun bei den genannten Beispielen dazu geführt hat, bzw. ob die Argumente der PatientenvertreterInnen ohne den politischen Druck der Genehmigungsbehörde auch dazu geführt hätten. Ebenfalls differenziert wird die Frage nach dem Stimmrecht für PatientenvertreterInnen beantwortet. Die befragten stimmberechtigten InterviewpartnerInnen sind sämtlich gegen ein Stimmrecht für PatientenvertreterInnen. Die Seite des BMG argumentiert, dass die PatientenvertreterInnen frei von Entscheidungsdruck seien und nicht in die Verantwortung genommen würden. Dagegen halten allerdings die PatientenvertreterInnen, die sich teilweise wohl von der Öffentlichkeit oder ihrem Verband in die Pflicht genommen fühlen. Als größtes Problem bei Einführung des Stimmrechts für PatientenvertreterInnen wird gesehen, „dass man bei der dann geschaffenen Drittelparität niemals eine saubere Konfliktlösung hinbekommen könne.“ (Köster 2005, 85). So könnte eine Bank sich mit den PatientenvertreterInnen „verbünden“ und dies neue Konflikte auslösen. Daher müsste bei der Einführung des Stimmrechts für PatientenvertreterInnen die Besetzung des G-BA überdacht und neu strukturiert werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Köster die zentrale Frage, ob die Einwände, Argumente, Fragen der Patientenvertretung vom G-BA adäquat aufgegriffen werden und dies eben auch unter Beweis gestellt werden kann. Dies macht wiederum deutlich, dass die Wirksamkeit der Beteiligung von PatientenvertreterInnen weiter keine direkte Antwort erhält, da auch diese vermeintlichen Erfolge vor dem Hintergrund der Aktivitäten des BMG nicht gänzlich und ohne diesen Aspekt der Beteiligung von PatientenvertreterInnen im G-BA zu betrachten sind. Die Beispiele der Chroniker-Richtlinien, OTC-Liste und der Krankentransport-Richtlinie werden hier gerne angebracht, um die anfängliche Situation zu erfassen. So hatte der G-BA durch Einschränkungen beim Leistungskatalog der GKV die Aufgabe, Einsparpotentiale zu realisieren. Hierzu wurden dem G-BA ungewöhnlich große Entscheidungsspielräume gelassen. So kam es dazu, dass durch diverse Beschlussvarianten erhebliches Skandalisierungspotential entstand und der G-BA im Kreuzfeuer der öffentlichen und politischen Wahrnehmung und Kritik stand. Diese Entscheidungsspielräume konnten laut PatientenvertreterInnen durchaus erfolgreich genutzt werden (Köster 2005, 86). „Ursache für die letztlich erzielten Ergebnisse waren nach einhelliger Meinung der Akteure im G-BA der Umstand, dass die Politik angesichts des öffentlichen Drucks ‚Ruhe‘ haben wollte.“ (Köster 2005, 86). Von Köster wird hier auch an-

4. Literaturstudie

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gebracht, dass die PatientenvertreterInnen sich sehr wohl der Einflussmöglichkeiten des BMG bewusst sind und auch versuchen, dies für ihre Anliegen zu nutzen und um Unterstützung bitten. Durch die Erfahrung in der ersten Hälfte des Jahres 2004 mit den beispielhaft genannten Richtlinien stand die Politik laut Befragung der stimmberechtigen Mitglieder des G-BA unter starkem Druck. In einem kurzen Bericht von Rühmkorf (2004) im Deutschen Ärzteblatt vom April 2004 werden im Anschluss an ein Symposium vom Februar, bei dem es um das Thema Chancen und Grenzen im Gemeinsamen Bundesausschuss ging, einige kurze Einblicke hinsichtlich der ersten Einsätze der PatientenvertreterInnen im G-BA wiedergegeben. So wird die Situation bedauert, kein Stimmrecht zu haben. Dennoch wird davon ausgegangen, dass die Arbeit der Selbsthilfegruppen durch die Beteiligung besser wahrgenommen wird. Grundsätzlich wird angebracht, dass die personellen und finanziellen Ressourcen nicht ausreichend sind. Zudem führt dies u. a. zu schlechteren Vorbereitungsmöglichkeiten und so unweigerlich zu einer unerwünschten Situation für eine gelungene Beteiligung. Dies mag besonders durch ein Zitat von Balke, der als Vertreter der Selbsthilfegruppen von Rühmkorf wie folgt zitiert wird: „Wir befinden uns noch lange nicht auf gleicher Augenhöhe.“14 Weiter werden die kurzen Erfolge hinsichtlich bereits angebrachter Richtlinien gegeben, wichtiger ist an dieser Stelle aber auf die Zukunftssicht einzugehen, die recht offen, aber nicht unkritisch gesehen wird. Vor allem wird eine skeptische Haltung eingenommen, wie sich in Zukunft die Lage entwickeln wird, wenn es zu Entscheidungen mit größerer Tragweite bzw. negativem Ausmaße für die PatientInnen kommt. Dies wird von Storf als Vertreterin der PatientInnenstelle sehr deutlich durch ihre Aussage, die von Rühmkorf ebenfalls zitiert wird: „Wenn wir nach einem Jahr feststellen, wir werden verheizt und von sinnvoller Arbeit abgehalten, dann steigen wir aus.“15 Der Beitrag von Mosebach (2005) sei hier angeführt, obwohl er nichts zum internen Wirkungsgeschehen im G-BA unter Fokussierung auf die Patientenbetei­ ligung gemäß § 140 f SGB V aussagt. Der Beitrag ist aber als gesundheitspolitisches Rahmenkapitel mit Blick auf die Soziogenese im Kontext der rot-grünen Gesundheitspolitik informativ. Er stellt auf die politischen Hintergründe ab und macht mit dem Titel seiner Analyse auch die internen Spannungsfelder dieser rotgrünen Politik deutlich, die eine Reihe von Ambivalenzen und Widersprüche generiert. Eine kritische Nachfrage bezieht sich auf die Rollenzuweisung im Rahmen der Patientenbeteiligung. Sollen sich die PatientInnen nunmehr marktkonform als Kunden (Paradigma von choice) beteiligen oder als politische Opposition im Rahmen eines Paradigma von voice? Diese Frage wird die vorliegende Analyse durchgängig aufzeigen.

14

Balke (2004) zitiert nach Rühmkorf (2004), S. 156. Storf (2004), zitiert nach Rühmkorf (2004), S. 156.

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4. Literaturstudie

4.3.4 Das große Mittelfeld (2006–2013) Nachfolgendes langes Zitat mag eine gute Zusammenfassung der Situationsund Engwicklungseinschätzung seitens Trojan (Trojan 2006) darstellen: „Die andere tragende Welle für Selbsthilfe ist die Welle der neuen Mitbestimmungs­rollen im Rahmen von Qualitätsmanagement und Steuerung des Gesundheitswesens. Diese Welle ist u. E. stark genug, um die Selbsthilfebewegung und die Patienteninteressen ‚hochzutragen‘. Allerdings ist sie auch nicht ungefährlich; man muss sie zu ‚reiten‘ wissen. Andernfalls droht man in den Strudeln einer neuen Expertokratie von Ökonomen, Evaluatoren, Qualitätsmanagern und ähnlichen ‚neuen Herrschern‘ im Gesundheitswesen unterzugehen. Und auch hier lauert die Gefahr der Überforderung der Selbsthilfe: Mit der Beteiligung in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses und ähnlicher Instanzen ist die Grenze zu Bereichen überschritten, in denen das ‚Erfahrungswissen‘ durch Selbstbetroffenheit nicht mehr ausreicht. Hochspezifische Wissensbestände, Kompetenzen und Verbindlichkeiten gehören zu diesen Rollen, die dem eigentlichen Wesen der Selbsthilfe fremd sind. Gruppen, die sich auf den lockenden Bedeutungszuwachs dieser neuen Rollen einlassen, müssen mit Verformung und Verfremdung der ursprünglichen Selbsthilfearbeit rechnen.“ (Trojan 2006, 102). Die Studie von Plamper/Meinhardt (2008) wurde mit dem Ziel durchgeführt, einen ersten Überblick über die Mitwirkung und Zufriedenheit der Patientenvertreterbeteiligung in den Strukturen des G-BA zu erhalten. Da bis dato lediglich einzelne Erfahrungsberichte zur Patientenvertreterbeteiligung vorliegen, sollte das Ziel anhand einer systematischen Untersuchung erreicht werden. Hierzu wurde eine teilstandardisierte, schriftliche Befragung16 der PatientenvertreterInnen durchgeführt, die im G-BA oder in der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung in der stationären Versorgung (BQS) beteiligt sind. Von 73 Befragten wirken 65 PatientenvertreterInnen in den Gremien des G-BA, 21 in Fachgruppen der BQS und 13 waren sowohl im G-BA als auch in der BQS vertreten. Das ergibt eine Quote von 48 % der aktiven G-BA VertreterInnen, die im Median 18–24 Monate im Amt waren. Da die Auswertungen zum großen Teil differenziert nach G-BA und BQS vorliegen, wird im Folgenden der Fokus auf den G-BA gelegt. Hierzu wurden die folgende Prozess- und Zufriedenheitskriterien abgefragt: – Einführung in die Funktion als Patientenvertreter, – Ziele der Patientenbeteiligung, – Verständlichkeit der Beratungsunterlagen und Informationsprozess, – Akzeptanz in den Gremien und Ausschüssen,

16 Die Befragung ist mit einer 4-teiligen Skalierung (1: „trifft voll und ganz zu“, 2: „trifft eher zu“, 3: trifft eher nicht zu“ und 4: „trifft überhaupt nicht zu“) durchgeführt worden, vgl. hierzu Plamper/Meinhardt (2008), S. 84.

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– Transparenz, – Zufriedenheit mit der Mitwirkung, – Arbeitsklima, – Ressourcen und Verbesserungsvorschläge. Die Ergebnisse der Befragung zur Einführung in die Funktion als PatientenvertreterIn zeigen, dass die Mehrheit der Befragten sich nicht gut in die Aufgaben eingeführt und auch nicht gut vorbereitet gefühlt hat, die Aufgaben wurden als nicht genau definiert empfunden. Die vom Gesetzgeber anvisierten Ziele der kollektiven Patientenbeteiligung17 sind als relevant bewertet worden, hingegen der Ziel­erreichungsgrad wurde grundsätzlich als gering eingeschätzt. Die Akzeptanz in den Gremien und Ausschüssen wird unterschiedlich zum Ausdruck gebracht. So fühlte sich die Mehrheit als ernst genommen und war der Meinung, dass ihre Beiträge von den anderen Ausschuss- und GremienteilnehmerInnen wertgeschätzt wurden. Hingegen knapp die Hälfte hatte nicht das Gefühl, mit ihrer Meinung gleichberechtigt dazustehen und mehr als ein Drittel gab an, ihre Erfahrungen nicht einbringen zu können. Die Entscheidungsfindung wurde von einer knappen Mehrheit (51 %) als nicht transparent bewertet. Die Mitwirkung im G-BA wird ebenfalls unterschiedlich eingeschätzt. Werden von mehr als der Hälfte die Möglichkeiten der Mitwirkung als gut eingeschätzt (58 %), waren 61 % mit der tatsächlichen Mitwirkung eher unzufrieden. Drei Viertel waren der Meinung, durch ihre Mitwirkung keinen wesentlichen Einfluss auf Entscheidungen zu haben. Das Arbeitsklima im G-BA wird überwiegend als gut erlebt. Hingegen wurden die finanziellen Ressourcen und die Anzahl der PatientenvertreterInnen von mehr als der Hälfte der Befragten als nicht ausreichend empfunden. Ein regelmäßiges Fortbildungsangebot wird von der Mehrheit gewünscht (Plamper/Meinhardt 2008). So stellen Meinhardt, Plamper und Brunner in einer weiteren Studie (2009) die Rahmenbedingungen und aktuellen Änderungen für die Patientenbeteiligung im G-BA vor. Grundlage hierfür stellen das GMG (2004), VÄndG (2007) und das GKV-WSG (2007) dar. Um die Beteiligung von PatientenvertreterInnen im G-BA zu untersuchen, führten sie eine qualitative Befragung durch. Hierzu wurden teilstandardisierte Experteninterviews mit PatientenvertreterInnen durchgeführt, die in Gremien des G-BA mitwirken. Der Fokus lag nicht in der Erhebung großer Datenmengen sondern bei qualitativen Aussagen, die die persönlichen Empfindungen, Einschätzungen und Erfahrung beleuchten. Zur Orientierung wurde ein Gesprächsleitfaden entwickelt mit vorgegebenen Themenkomplexen und offen formulierten Fragen. Der Leitfaden umfasste zehn Fragenkomplexe:

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Zu diesen Zielen zählen „unter anderem mehr Transparenz schaffen, Patientenorientierung stärken, Ergebnisqualität fördern, Aspekte der Lebensqualität integrieren und die Berücksichtigung alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifischer Belange von Patienten gewährleisten.“ Plamper/Meinhardt (2008), S. 84.

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4. Literaturstudie

– Einweisung von PatientenvertreterInnen, – Einfluss auf Entscheidungen, – Zufriedenheit mit Entscheidungen, – Ressourcen für PatientenvertreterInnen, – Zufriedenheit mit der Mitwirkung, – Kommunikation und Vernetzung, – Wege und Verfahren der Entscheidungsfindung, – Ziele der Patientenvertretung, – Arbeitsklima, – Öffentlichkeitsarbeit. Die Auswertung erfolgte mittels der qualitativen, strukturierten Inhaltsanalyse, die schrittweise, regelgeleitet und systematisch durchgeführt wurde. Es wurden acht Interviews durchgeführt, wobei jeweils zwei Personen pro Entsendeorganisation ausgewählt wurden. Die Befragten beraten in Beschlussgremien und Unterausschüssen und sind zudem häufig auch in Arbeits- und Themengruppen vertreten. Ihre Mitwirkungsdauer beträgt 14–45 Monate. Die Ergebnisse werden in Anlehnung an die o. g. zehn Themenkomplexe aufgeführt und vorgestellt, eine Tabelle zeigt dies übersichtlich. Insgesamt wird gesagt, dass der Ausbau der finanziellen und strukturellen Unterstützung der Patientenvertretung von großer Bedeutung für die Zufriedenheit mit der Mitwirkung ist. Zudem ist auch die Einrichtung einer Stabsstelle Patientenbeteiligung zur inhaltlichen und organisatorischen Unterstützung positiv zu sehen. Das Votum für ein Stimmrecht wird von den meisten PatientenvertreterInnen unter bestimmten Voraussetzungen (Ausbau der personellen Unterstützung, eine Verbesserung der Organisationsstrukturen, intensivere Schulungen, Verbesserung des Austausches innerhalb der Selbsthilfe und der Patientenvertretung) befürwortet. Behoben werden sollte die bemängelte Intransparenz der Entscheidungswege und -verfahren. Es geht auch hervor, dass die Beratungsbeteiligung und das Recht auf Antragsstellung der Patientenvertretung dennoch Einfluss auf Entscheidungen im G-BA Beschlussgremien, in seinen Unterausschüssen und Arbeitsgruppen bewirken. „Insgesamt ist die Patientenbeteiligung im G-BA ein gesundheitspolitischer Erfolg. Die spezifischen Sichtweisen der Patienten und Versicherten finden Eingang in die maßgeblichen Entscheidungsprozesse.“ Etgeton (2009) beschreibt in seinem Text zunächst die Einführung bzw. Reform der partizipativen Elemente in der GKV vor dem Hintergrund einer Stärkung der Eigenverantwortung der PatientInnen und somit entsprechend der Idee, die Betroffenen zu Beteiligten werden zu lassen. Somit gehen mit den zunehmenden Vorwürfen der Intransparenz ebenso die Forderungen einher, an den Beratungen der

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Gremien beteiligt zu werden. Des Weiteren werden drei Formen der Beteiligung vorgestellt: (1)  Verfahrensbeteiligung (schriftliche oder mündliche Anhörungsrechte, schwächste Form), (2) Beratungsbeteiligung (Rede- und Antragsrecht, kein Stimmrecht, stärkere Form) und (3) Entscheidungsbeteiligung (volle Rechte, also Sitz und Stimme, stärkste Form). Zudem wird über die im GMG schlussendlich durchgebrachte Entscheidungsbeteiligung und deren Kriterien reflektiert. Zur Thematisierung der Erfahrungen im G-BA legt Etgeton zunächst nahe, dass oftmals Auseinandersetzungen im G-BA von ökonomischen Interessen getrieben sind und dies keineswegs immer parallel zum Frontverlauf der Bänke (KK, KH, Kassen/zahn/ärzte, Psychotherapeuten). Auch die Qualität und Effizienz der Versorgung stehen nicht immer im Zentrum der Auseinandersetzungen, sondern Nebeneffekte: Sektor- und Gruppeninteressen, Wettbewerbsvorteile sowie Fragen der Vergütung oder der Datenhoheit. Dennoch konstatiert Etgeton, dass die Beratungsbeteiligung im G-BA und somit die Präsenz von PatientenvertreterInnen im G-BA zu mehr Selbstbesinnung der Akteure geführt hat. Dann wiederum gibt es Fragen, bei denen die PatientenvertreterInnen sich nicht oder kaum durchsetzen können, aber auch Beschlüsse, die sich im Patienteninteresse beeinflussen ließen. Hierzu nennt er einige Beispiele: Zuzahlungsrichtlinie: Die Richtlinie zur Definition „schwerwiegender chronischer Erkrankungen“ wurde nach massiver öffentlicher Kritik vonseiten der PatientInnen (im Januar 2004) mit Patientenbeteiligung erneut beraten. Ergebnis: Zum Grad der Behinderung und Pflegestufe kommt hinzu, dass auch eine krankheitsbedingte erhebliche Einschränkung der Lebensqualität als Kriterium für den Schweregrad einer chronischen Erkrankung gilt. Bei einer weiteren Überarbeitung wurden die Erleichterungen beim jährlichen Nachweis chronischer Erkrankungen erreicht. Ausnahmeliste nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel: Bei Erstellung und regelmäßiger Überarbeitung der Liste konnten einige Verbesserungen erreicht werden, z. B. für Menschen mit Ichthyosen. Allerdings wird die gesamte Regelung von den Patientenorganisationen abgelehnt. IQWiG: Die Patientenbeteiligung im IQWiG ist unzureichend geregelt worden. Lediglich sei ein Recht zur Stellungnahme und ein Antragsrecht gegeben. Enterale Ernährung: Der Grundansatz, klare Indikationen für eine enterale Ernährung zu definieren, wurde von PatientenvertreterInnen mitgetragen. Die erwünschte Ausweitung des Leistungsanspruchs ist ausgeblieben. Ausschluss von Analoginsulinen: Nach intensiver Diskussion und Abwägung kam es zu einer Übereinstimmung der etablierten Akteure im G-BA und den PatientenvertreterInnen. Sektorübergreifende Qualitätssicherung: Die Teilnahme an Fachgruppen der BQS (Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung) und entsprechenden Unterausschüssen des G-BA war engagiert. Diese Beteiligung ist bis dato noch offen geblieben.

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Die Zwischenbilanz zur Beteiligung von PatientenvertreterInnen im G-BA fällt insgesamt positiv aus. Sie hat auch zu einer Veränderung der Kultur des Gremiums geführt (z. B. eingefahrene Diskussionsabläufe zu durchbrechen). Zudem haben auch die PatientenvertreterInnen an gesundheitspolitischer Kompetenz und Relevanz gewonnen (Verständnis des Gesundheitssystems). Als größtes Problem stellen sich die fehlenden Ressourcen heraus. Somit wurde bis dato nicht die Forderung nach einer vollen Entscheidungsbeteiligung auf die politische Agenda gesetzt, zunächst steht die Verbesserung der Ressourcen an. Einführung einer Aufwandsentschädigung (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz 2007) und die Einrichtung einer Stabsstelle (GKV-WSG 2007) haben bisher die Arbeitssituation verbessert. Bzgl. der Weiterentwicklung der Patientenbeteiligung ist laut Etgeton nach vier Jahren Erfahrung ein Stimmrecht in Verfahrensfragen zuzubilligen und damit die Möglichkeit, auf die Beratungen und Verfahren im G-BA stärkeren Einfluss zu nehmen. Weiter werden noch Bereiche aufgeführt, in denen bis dato keine Beteiligung der PatientenvertreterInnen stattfindet: Rahmen- und Gesamtverträge, Strukturverträge, Vereinbarungen und Institutionen zur ambulanten und stationären Qualitätssicherung auf Bundes- und Landesebene, Gremien und Vereinbarungen zur Krankenhaus-Planung wie etwa die Landeskrankenhaus­planungsausschüsse. Fuß-Wölbert (2012) stellt zunächst dar, auf welchen Ebenen die PatientenvertreterInnen Einfluss haben. Hierzu zählen die regionale Ebene, die Landesebene, die Euregionale Ebene und die Bundesebene. Hier wird die regionale Ebene außen vor gelassen und direkt auf die Mitberatungsmöglichkeiten auf der Landesebene eingegangen. Diese ergeben sich bei den Landesgesundheitskonferenzen, Landesausschüssen der KV/KZV, Zulassungsausschüssen der KV und deren Berufungsausschüssen. Die Entsendung in diese Ausschüsse erfolgt über die verschiedens­ ten Patienten- und Selbsthilfeorganisationen (in NRW z. B. Zusammenschluss zu einem Koordinierungsausschuss). Weitere PatientenvertreterInnen sind in der Ethikkommission der Ärztekammer und in den 16 Landesarbeitsgemeinschaften für Qualitätssicherung eingebunden. Die Euregionale Ebene (NL, B, D), unter dem Namen selfhelp EMR zusammengeschlossen, steht für einen grenzüberschreitenden Austausch. Ein Mitglied ist in der „Strategie Begleitgruppe der Euregio Maas/Rhein“ (Planung und Durchführung ländesrübergreifender Gesundheits- und Präventionsprojekte und Vorbereitung und Durchführung von Tagungen) eingebunden. Auf der Bundesebene erfolgt die Beteiligung im G-BA mit seinen Unterausschüssen. Zudem finden sich PatientenvertreterInnen in den 14 Bundesfachgruppen des AQUA-Instituts (Unterstützung des G-BA insbesondere im Hinblick auf die Qualitätssicherung). Die zahlenmäßige Erfassung der PatientenvertreterInnen ist angesichts der großen Anzahl und Vielfalt der Gremien sehr schwierig. Es wäre aber interessant, das Ausmaß des ehrenamtlichen Engagements in diesem Bereich zu erfassen. Auf der Landesebene wurden in NRW 47 PatientenvertreterInnen entsandt (möglich wä-

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ren 92). Auf Bundesebene nehmen an den Sitzungen des G-BA mindestens fünf PatientenvertreterInnen und deren StellvertreterInnen teil. Weitere knapp 300 PatientenvertreterInnen finden sich in den Unterausschüssen und Arbeitsgruppen. Hinsichtlich der Erfahrungen von PatientenvertreterInnen konnten durch die Befragung von SHK-MitarbeiterInnen und SelbsthilfevertreterInnen (vermutlich 2011) thesenartig einige Einzelmeinungen vorgestellt werden. Wichtig sei die Abgrenzung der Vertretung der Selbsthilfe als Ganzes und nicht nur für die eigene Gruppe. Von den GremienvertreterInnen wird wenig Unterstützung nachgefragt. Selten findet ein Austausch zur Positionsfindung bei anstehenden Entscheidungen in den Gremien statt. Die Mitarbeit der Selbsthilfe wird inzwischen von der Verwaltung und den KonferenzteilnehmerInnen als Selbst­ verständlichkeit angesehen, ist jedoch keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Zu Beginn fühlten sich die PatientenvertreterInnen „ohne Einweisung ins kalte Wasser geworfen“, viel Vorbereitungszeit war notwendig, ein Fehlen von Fach- und Ortskenntnis war belastend. Insgesamt fühlen sich die PatientenvertreterInnen im Gremium anerkannt, Einwände werden in Diskussionen und Entscheidungen mit einbezogen. Das Auftreten von selbstkritischen Fragen, ob sie wirklich etwas bewirken und ob der große Aufwand im vernünftigen Verhältnis zum Erflog steht, bleibt aber wirksam. Als Wünsche der PatientenvertreterInnen in den Landesausschüssen werden reflektiert: Bessere Informationsbasis zu erhalten, das Recht darauf, eigene Anträge zu stellen, mehr Ressourcen für die Arbeit zu bekommen und mehr Raum für den „kollegialen Austausch“ zu haben. Die Forderung nach einem Stimmrecht wird zweiseitig diskutiert, einerseits wird darin nur so eine wirkliche Mitbestimmung gesehen, andererseits warnen andere vor zu großer Verantwortung, die man als Laie nicht tragen sollte. Weiterhin wurden Potentiale zur Verbesserung vorgestellt: Die Selbsthilfekontaktstellen sollten für jedes Gremium mit PatientenvertreterInnen-Beteiligung Informationsmaterial zusammenstellen und eine persönliche Einweisung ermöglichen. Den GremienvertreterInnen sollte mehr Möglichkeiten zum Austausch eingeräumt werden, z. B. Treffen in den Selbsthilfekontaktstellen. Feste Ansprechpersonen seitens der Verwaltung seien sinnvoll. Für die PatientenvertreterInnen in den Landesausschüssen sollten die Austauschmöglichkeiten erweitert werden. Im Rahmen einer Tagung könnten gemeinsame Leitsätze entwickelt werden. Eine regionale oder zentrale Stelle zum Sammeln von Bedürfnissen/Beschwerden von PatientInnen erscheint angebracht. Um Gremien auf Landesebene vollständiger und mit einer ggf. breiteren fachlichen Streuung zu besetzen, könnten die Selbthilfekontaktstellen bei der Suche nach BetroffenenverterInnen mehr eingebunden werden. Zusammenfassung: Die Mitwirkungsmöglichkeiten haben in den letzten Jahren enorm zugenommen und dies aufgrund konstruktiver Zusammenarbeit mit den Selbsthilfekontaktstellen sowie der professionellen Arbeit der Selbsthilfekontakt-

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stellen (Sprachrohr für die Selbsthilfe- und Patienteninteressen eine gute Öffentlichkeitsarbeit, für Stärkung der Selbsthilfe eingesetzt). 2012 konstatiert Bernateck: „Die Selbsthilfe kann somit als starke Triebkraft für die gesetzliche Verankerung der kollektiven Patientenbeteiligung gesehen werden.“ (Bernateck 2012, 32 f.). Der Mangel an einschlägigen und systematischen Forschungen zu Partizipationsprozessen bleibt bestehen (vgl. auch Bernateck 2012, 98 f.). Auch die Reflexionen von Keller (2012) seien hier angeführt. Zu einem Hintergrundgespräch für MitarbeiterInnen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages hatte Bayer HealthCare eingeladen (Politik-Lunch). Zum Thema Patientenbeteiligung im G-BA referierten u. a. der Anwalt Dierks und plädierte für die Schaffung einer transparenten, angemessen legitimierten Patientenbeteiligung im G-BA. Hier wird auch deutlich gemacht, dass Lobbyisten insbesondere aus der Pharmaindustrie Interesse am Kontakt zu den PatientenvertreterInnen herstellen, um bspw. frühzeitig Details über Diskussionen im G-BA zu erfahren. Aus dem Kreise des Diabetiker Bundes sitzt ein Patientenvertreter im G-BA, der von Beruf ebenfalls Anwalt ist und gegen einen Verordnungsausschluss eines Diabetes Medikaments öffentlich kämpfte und den G-BA verklagt hat. Dies vielleicht nicht im Sinne der Patienten, sondern eher der Produzenten, wird von Keller angemerkt, da ein Medikament dieser Wirkstoffgruppe bereits wegen seiner Nebenwirkungen (Herzinfarkt) europaweit vom Markt genommen wurde. Dieser Patientenvertreter fordert auch ein Stimmrecht für die PatientenvertreterInnen im G-BA, was die Hersteller von Diabetes Medikamenten sicher freuen würde. In einem kurzen Artikel in der Zeitschrift Gesundheit und Gesellschaft wird eine positive Stimme hinsichtlich des Einflusses und des Einbringens von Betroffenenkompetenz in die Politik gegeben: „Die Selbsthilfe von Menschen mit seltenen Erkrankungen vertritt nicht nur die Interessen von Patienten, sondern gestaltet das Gesundheitssystem mit.“ (Nachtigäller 2013, 3). Die Erfahrungen der PatientIn­nen sind zudem anerkannt und PatientenvertreterInnen werden als Diskussionspartner auf Augenhöhe akzeptiert (Nachtigäller 2013). In der Sammlung mehrerer kleiner Textbeiträge in der Broschüre „10 Jahre Patientenvertretung im G-BA“ (Deutscher Behindertenrat u. a. 2014a) wird zunächst einmal die Patientenvertretung an sich vorgestellt. Dabei wird in einem Text „Wir sind 10 Jahre gewachsen – und wachsen weiter“ eine Erfahrung vorgestellt, die sich auf die allererste Sitzung beruft, bei der die „Bänke“ im Sitzungsraum bereits tagten (ohne Patientenvertretung) und es gab auch keine freien Stühle und das Gefühl herrschte, dort ein Störfaktor zu sein. So hat sich im Laufe der Jahre die Bedeutung der Patientenvertretung von einer eher passiven und kommentierenden Rolle hin zu einem eigenständigen Akteur entwickelt. Eine bessere Vernetzung untereinander, Abstimmungstreffen und Vorbesprechungen sowie die Möglichkeit, Gutachten in Auftrag zu geben, machten die Arbeit der Patientenvertretung vernetzter, effizienter und kompetenter.

4. Literaturstudie

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Ein weiterer Text „Unsere Taten zeigen Wirkungen“ zeigt schon in der Überschrift, dass die Patientenvertretung mit viel Einsatz, Engagement und Beharrlichkeit eine bessere Versorgung der PatientInnen erreicht hat. Da gibt es eben auch Dinge, die nicht wie gewünscht sind, z. B. dass häufig eingebrachte Argumente, Fakten, Erfahrungen und Gutachten sowie fundierte Vorschläge und Anträge nicht aufgegriffen werden. Dass geführte Verhandlungen aus Sicht der Patientenvertretung oft nicht sachgerecht sind, oder es werden keine wesentlichen Erkenntnisse für die Verbesserung der Versorgung von PatientInnen umgesetzt. Und wenn es gelingt, dann dauert es i. d. R. zu lange, bis Verbesserungen in Richtlinien aufgenommen werden und noch länger bis diese bei den PatientInnen ankommen. Des Weiteren werden noch Erfolge und Forderungen bzw. Wünsche für die Zukunft vorgestellt sowie einige Daten zu den gesetzlichen Grundlagen und das Leitbild der Patientenvertretung im G-BA. Ein Bericht, der im Rahmen von NAKOS INFO 111 zum Themenschwerpunkt „Interessenvertretung: Selbsthilfe- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen“ als sogenannte Wortmeldung eingegangen ist (Selka 2014), stellt die Erfahrung mit dem G-BA aus Sicht eines Selbsthilfevereins einer seltenen Erkrankung vor. Mit dem Wissen kaum eine Erfolgsaussicht zu haben, hat sich der Selbsthilfeverein mit einem Schreiben an den G-BA gewandt und um ein Tätigwerden gebeten. In diesem Schreiben wurden Missstände geschildert und angeregt, über den therapeutischen Nutzen von detailliert aufgeführten Methoden eine positive Empfehlung abzugeben und diese dann auch als Standardtherapie auszuweisen (Selka 2014, 14). Das Anliegen wurde aus formalen Gründen abgewiesen mit Hinweis auf die antragsberechtigten Organisationen. Durch Kontaktaufnahme mit der Stabsstelle hat sich nicht wirklich etwas ergeben, was das Anliegen hätte annähernd voranbringen können. Eine Information zur Aufnahme eines bestimmten Verfahrens für die Methodenbewertung kam auch nicht in Betracht, da die Dauer zur Methodenbewertung mit bis zu acht Jahren aus Sicht des Selbsthilfevereins inakzeptabel war. Das Resümee dieser Erfahrung lautet „…, dass der G-BA kein Interesse daran hat, sich mit unserer schlechten, wenn nicht sogar desaströsen Versorgungslage auseinanderzusetzen.“ (Selka 2014, 15). Ein Bericht von Matzat (2014), der im Rahmen von NAKOS INFO 111 zum Themenschwerpunkt „Interessenvertretung: Selbsthilfe- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen“ als sogenannte Wortmeldung eingegangen ist, stellt die subjektiven Erfahrungen mit dem G-BA aus Sicht eines Patientenvertreters vor. Einleitend beschreibt der Patientenvertreter die anfänglichen negativen Erlebnisse, die bereits im Ein-Jahres-Resümee nach Einführung der Patientenbeteiligung in Danner/Matzat (2005) vorgestellt wurden. Dem entgegen fällt das Urteil nach zehn Jahren Beteiligung im Unterausschuss Psychotherapie wesentlich besser aus, die Patientenvertreter fühlen sich akzeptiert. „Man kommt zu Wort, und manchmal finden die Worte sogar positive Resonanz.“ (Matzat 2014, 17). Ganz unkritisch bleibt seine Sicht aber nicht. So beschreibt er auch, dass es immer mal wieder um

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den Ausgleich von finanziellen, professionellen und politischen Interessen anstatt um Wahrheit und gute Lösungen geht. „Manche Kompromisse sind fair, andere sind faul – ganz wie im richtigen Leben.“ (Matzat 2014, 17). Dass die Patientenvertretung laut Matzat einen Weg zwischen Interessenvertretung der Betroffenen und Mitverantwortung für das Gesamtsystem sucht, könnte eben auch fraglich gedeutet werden, inwieweit die PatientenvertreterInnen eben Teil des „Systems“ G-BA geworden sind und Anpassungsprozesse stattgefunden haben, die aus ursprünglicher Sicht der Selbsthilfe nicht unkritisch gesehen werden bzw. eine dieser Ambivalenzen in der Selbsthilfelandschaft darstellen kann. Bemängelt werden von ­ atientenbeteiligung. Matzat (2014) immer noch die fehlenden Ressourcen für die P Im Sommer 2013 ist durch die NAKOS mit Förderung durch das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen des Projekts „Von Betroffenen zu Beteiligten: Selbsthilfegruppen als Akteure für mehr Patientenorientierung im Gesundheitswesen stärken“ (Thiel 2014) eine Befragung der von der DAG SHG benannten VertreterInnen auf Bundes- und Landesebene durchgeführt worden. Die Befragung verfolgte das Ziel, dass die DAG SHG als entsendende Organisation Handlungsbedarfe erkennt und Schlussfolgerungen für weitere mögliche Fördermöglichkeiten ziehen kann. Von den 49 VertreterInnen, die als Patientenvertreter von der DAG SHG entsandt sind, wurden alle eingeladen. Mit einer Beteiligungsquote von 91,8 % haben 45 an der Befragung teilgenommen. Davon sind mit über 73 % die Frauen stark vertreten. Einer Berufstätigkeit gehen immerhin noch 71,1 % nach. 64,4 % der PatientenvertreterInnen gehören der Altersgruppe der über 50jährigen an. Persönliche Betroffenheit oder als Angehöriger von einer chronischen Erkrankung oder Behinderung betroffen zu sein, gaben 60 % an. Vor dem Hintergrund dieser Analyse werden aus dieser Studie die Ergebnisse für die Bundesebene mit besonderem Fokus auf den G-BA herangezogen. Hierzu kurz einige Angaben zu den Ebenen der Patientenvertretung. Für die Mitwirkung auf Bundesebene gab es von den 45 Befragten sieben Benennungen und acht Benennungen zur Mitwirkung sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Somit liegt eine Zweidrittel Mehrheit für die Benennungen auf Landesebene vor. Zudem wurde gefragt, für welche Gremien sie benannt wurden bzw. an welchen sie mitwirken. Von den insgesamt 168 Benennungen/Mitwirkungen zeigten sich 61 auf Bundesebene. Zudem wirken vier der Befragten im Koordinierungsausschuss der Patientenvertretung beim G-BA mit und zwei der vier sind ebenfalls auf der Landesebene aktiv. Die Befragungen im Bereich Regularien und Abläufe sollen kurz im Kern wiedergegeben werden: Alle beantragten Reisekosten wurden erstattet. Eine Aufwandsentschädigung haben 31 VertreterInnen erhalten, wobei die restlichen 28,9 % ohne Aufwandsentschädigung diese nach Antrag erhalten könnten. Mit knapp 40 % ist ein Großteil der PatientenvertreterInnen bereits seit den Jahren 2004–2006 für Gremien bestellt. Im weiteren Zeitverlauf kommt es immer wieder

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zu neuen Bestellungen, die aber von Zeitspanne zu Zeitspanne leicht abnehmen (12, 9, 5). Auf die Frage, ob es zu einem Ausschluss von Sitzungsabschnitten gekommen ist, gab es auf der Bundesebene drei VertreterInnen, die dies mit „Ja“ beantworteten. Unter den aufgeführten Gründen lässt sich hier aufführen: „Anhörung im Unterausschuss Arzneimittel des G-BA zu Themen, zu denen ich nicht benannt war.“ (Thiel 2014, 121). „Ärzte und Kassenvertreter wollten sich jeweils ‚unter sich‘ absprechen nach Gesetzesänderung.“ (Thiel 2014, 121). Die Einladungen zu einer Sitzung erhalten die PatientenvertreterInnen zwei Wochen vor einer Sitzung; hingegen der zeitliche Zugang von Sitzungsunterlagen mit Angaben von ein bis zwei Wochen, aber auch Angaben von unter einer Woche sind dabei. Häufig liegt der Umfang der Sitzungsunterlagen zwischen 20 und 50 Seiten. Die notwendige Vorbereitungszeit auf Bundesebene wird von über der Hälfte der Befragten mit zwei bis vier Stunden, von knapp 43 % sogar mit ‚über vier bis sechs Stunden‘ angegeben. Im Vergleich von Landes- und Bundesebene bzgl. der schriftlichen Mitteilung über den Stand bzw. über Resultate der Beratungen wird dies von den PatientenvertreterInnen auf Bundesebene deutlich besser beurteilt. Ein weiterer größerer Abschnitt der Befragung bezieht sich auf die Einschätzung der Beteiligung und Erwartungen bei der Vertretung von Interessen von PatientInnen, die die PatientenvertreterInnen mit ihrer Mitwirkung in den Gremien verbinden. Eine kleine Übersicht der Auswahl der Ergebnisse mit dem Fokus auf die Ebenen „nur Bund“ und „Bund und Land“ werden mit den jeweiligen Ergebnissen für die insgesamt Befragten in nachfolgender Tabelle dargestellt.18 Die Ergebnisse zeigen eine positive Tendenz zu allen abgefragten Einschätzungen und Erfahrungen. Jedoch sind besonders in den Bereichen, die eine Aussage zur Wirksamkeit der PatientenvertreterInnen, wie beispielsweise ob sie etwas erreichen konnten oder ob sie Gehör gefunden haben, immer noch große Uneinigkeiten oder Unsicherheiten, die oftmals von der Hälfte der Befragten entsprechend beantwortet wurden. Weiterhin wurden die PatientenvertreterInnen aufgefordert, besondere Erlebnisse und Enttäuschungen, die sie im Rahmen ihrer Patientenvertretung gemacht haben, aufzuschreiben. Leider haben diesen Teil nur wenige beantwortet, so sollen an dieser Stelle einige wenige Stimmen exemplarisch wiedergeben werden, ebenfalls mit dem Fokus auf die Mitwirkung im G-BA. Zu einem besonderen Erlebnis wird das „Überzeugen der ‚Bänke‘ mit fachlichen Argumenten“ oder das Erreichen von „Minimale Änderungen, ‚Öffnung‘ von Richtlinien“. Hingegen seien bei 18 Dieser Abfrage liegt eine 5-stufige Likert-Skala mit 1 (trifft gar nicht zu/gar nicht) bis 5 (trifft voll zu/sehr) zum Ankreuzen zugrunde. Für die Auswertung wurden 3 Tendenz-Gruppen gebildet: (1) „eher nicht zutreffend (Skalenwert 1 und 2), (2) „geteilter Meinung“ (teilsteils, Skalenwert 3) und (3) „eher zutreffend“ (Skalenwert 4 und 5). Die nicht angegebenen Daten konnten der Originalquelle nicht entnommen werden, Vgl. Thiel (2014), S. 123–126.

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4. Literaturstudie Ergebnisdarstellung der Einschätzungen der PatientenvertreterInnen zu ihrer Beteiligung und ihren Erwartungen in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung

Ich halte aus meiner eigenen Erfahrung die Patientenbeteiligung für eine geeignete Form, um Verbesserungen für Pateientenbelange zu erzielen. Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu 42,9 % 28,6 % nur Bund 28,6 % Bund & Land 0,0 % 25,0 % 75,0 % 40,0 % 44,4 % Gesamt 15,6 % Die PatientenvertreterInnen finden sich über die in den Gremien verhandelten Themen gut informiert. Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu nur Bund 71,4 % Bund & Land 62,5 % Gesamt 54,4 % Die PatientenvertreterInnen verfügen über das nötige Wissen, um den Diskussionen in den Gremien folgen zu können. Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu nur Bund 71,4 % Bund & Land 75,0 % 23,3 % 58,1 % Gesamt 18,6 % Die Wissensquellen für die in den Gremien verhandelten Themen waren zugänglich. Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu nur Bund 85,7 % Bund & Land 58,1 % Gesamt 30,2 % Die Positionen und Erfahrungen konnten so eingebracht werden, wie die Patientenver­tre­ terInnen sich das vorgestellt haben. Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu nur Bund 57,1 % Bund & Land Gesamt 22,7 % 31,8 % 45,5 % „Ich fand als PatientenvertreterIn bei den weiteren Beteiligten Gehör.“ Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu 42,9 % 57,1 % nur Bund 7,1 % Bund & Land 75,0 % Gesamt 71,4 % „Ich konnte als PatientenvertreterIn etwas erreichen.“ Tendenz trifft nicht zu teils-teils Tendenz trifft zu nur Bund Bund & Land 50,0 % Gesamt 33,3 % 35,7 % 31 % Quelle: Eigene Darstellung anhand der Daten von Thiel (2014), S. 123–126.

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den besonderen Enttäuschungen die Eindrücke „Noch immer zu wenig Einfluss“ oder „Schon vor der Beratung feststehende Entscheidungen. Auch gegen den Rat und die Erfahrung der Patientenvertretung“ bzw. „Absprachen in der Patientenvertretung wurden gebrochen“ und „Umgang untereinander, Mobbing“ genannt, wobei hier erstmals Stimmen erscheinen, die sich eben auch gegen die eigene Gruppe der PatientenvertreterInnen zu richten scheinen. Abschließend gibt es noch Stimmen, die zum einen die persönlichen Weiterentwicklungswünsche im Rahmen der Patientenbeteiligung wie „Anerkennung einer eigenen ‚Entscheidungsmacht‘ von den PatientenvertreterInnen“, „koordiniertes Vorgehen“ und „besserer Austausch“ anführen. Und zu den Weiterentwicklungswünschen im Hinblick auf die Regelungen und Verfahren der Patientenbeteiligung sind folgende Aussagen interessant: „Mehr Transparenz (nach innen und außen)“, „Ein Mitbestimmungsrecht zumindest in Verfahrensfragen wäre sinnvoll. Zudem sollten Sachen, an denen die Patientenvertreter ein Mitspracherecht haben, auch erst in den Sitzungen der Gremien diskutiert und beschlossen werden und nicht vorher hinter verschlossenen Türen.“ Angeführt sei auch: „Gute Kooperation aller Entsendeorganisationen statt Dünkel, sonst erreichen wir gar nichts.“ Auch hier kommen unterschiedliche Gesichtspunkte heraus, zum einen das recht bekannte Problem der Stimmrechteinforderung; aber auch hier lässt sich herauslesen, dass in den eigenen Reihen der PatientenvertreterInnen Unstimmigkeiten bzw. Kommunikationsdefizite bestehen. Die von Thiel (2014) vorgestellte Studie ist eine interessante, eine von wenigen empirischen Studien und daher aussagekräftigeren Untersuchungen zu Mitwirkung von PatientenvertreterInnen gemäß § 140 f SGB V. Ein langes Zitat gibt die Gesamteinschätzung zu Situation und Entwicklung von Danner und Meierjürgen (2015) gut wieder: „Ein konkretes Thema sind in diesem Zusammenhang die Reflexionen und Evaluationen der unterschiedlichen Aktivitäten der Gesundheitsselbsthilfe. Wir sind der Auffassung, dass die Selbsthilfe nicht als ‚reguläres‘ Angebot in die gesundheitliche Versorgung eingebunden werden kann. Aber gerade deshalb müssen sich die aktiven Handlungsträger der Gesundheitsselbsthilfe mit der öffentlichen Wahrnehmung der Qualität ihrer Arbeit befassen, die damit verbundenen Anforderungen auch angemessen aufnehmen und die Überzeugung der Öffentlichkeit und der Fachöffentlichkeit als Thema ausweiten. Dies stellt sehr hohe Anforderungen an die spezifische ‚Organisationsentwicklung‘ der Selbsthilfe, die sich auf die verschiedenen Handlungsebenen der Gruppen vor Ort und der politischen Gestaltung von Sozial- und Gesundheitspolitik auf der Ebene der Bundesländer und der Bundesrepublik insgesamt beziehen muss. Qualität muss für die jeweilige Handlungsebene formuliert werden. Mit dem Leitbild ‚Patientenorientierung‘ sind u. E. dann auch die professionellen Handlungsträger in der gesundheitlichen und sozialen Versorgung aufgefordert, die Handlungsmöglichkeiten der Gesundheitsselbsthilfe besser aufzugreifen. Dies bedeutet dann aber auch eine stärkere Respektierung der betroffenen Menschen und

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ihrer Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen. Die immer wieder angemahnte bessere Kooperation der Gesundheitsselbsthilfe und der Fachleute beruht immer auf gegenseitiger Achtung und Akzeptanz. Hier können sicher die verschiedenen Erfahrungen aus der Patientenbeteiligung als Wegweiser helfen. Hier kann überwiegend auf positive Erfahrungen bei der Selbsthilfe und den Fachleuten hingewiesen werden, obwohl immer noch Anpassungsbedarfe und Lernprozesse auf beiden Seite festzustellen sind. Wichtig sind hier aber vor allem die Themen der inhaltlichen, personellen und finanziellen Ressourcen der Gesundheitsselbsthilfe. Hier werden die engagierten Patientenvertreter häufig an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geführt.“ (Danner/Meierjürgen 2015, 229 f.). Danner (2015) diskutiert in seinem Aufsatz über Gesundheitskompetenz, die Danner als Schlüsselfunktion für das Gesundheitssystem sieht. „Schon die Überlegung zeigt, dass die gesundheitliche Selbsthilfe ein zentraler Baustein bei der Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz ist, dass die aber auch kollektive Gesundheitskompetenz schafft.“ (Danner 2015, 110). Hiermit spricht Danner auf die Bedeutung der Selbsthilfe an, die zum einen wichtig für die Gewinnung und Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz ist und zum anderen, „dass sie aber auch kollektive Gesundheitskompetenz schafft.“ (Danner 2015, 110). Diese, auch als interaktive Gesundheitskompetenz bezeichnete Form kann insbesondere bei der Beratungsbeteiligung von SelbsthilfevertreterInnen in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung im besten Fall das Gesundheitssystem mitgestalten. Danner sieht dies positiv und beschreibt die Entwicklung der Beratungsbeteiligung von einem reaktiven Mitreden zu einem proaktiven Mitgestalten der Prozesse. Das Wissen und somit die kollektive Gesundheitskompetenz sieht er von den Beteiligten in den Gremien akzeptiert und als unersetzliche Informationsbasis anerkannt. Über die Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe e. V. (DLH) ist Holtkamp seit dem Jahr 2006 in zwei Arbeitsgruppen des G-BA sowie seit Oktober 2011 als Sprecherin der Patientenvertretung im Unterausschuss Methodenbewertung aktiv. Ihre persönlichen Erfahrungen (Holtkamp 2015) geben einen Einblick, welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, welche enormen Anstrengungen damit verbunden sind, aber eben auch welchen Stellenwert diese Tätigkeit hat. Grundsätzlich ist ein gewisses Zeitkontingent notwendig, nicht nur um an den Tagungen teilzunehmen, sondern für eine Vielzahl weiterer Aufgaben, die in der Funktion als Sprecherin hinzukommen. Zu diesen zusätzlichen Aufgaben zählen die Beteiligung in weiteren Gremien wie beispielsweise dem „Koordinierungsausschuss“, dem „Sprechertreffen“, dem Plenum etc. Des Weiteren liegen Fortbildungen, Schulungen und Abstimmungstreffen an, auch müssen die jeweiligen Sitzungen etc. in unterschiedlichem Ausmaß vor- und nachbereitet werden. Dies variiert sicherlich, dennoch berichtet Holtkamp, dass die Tätigkeit von Patientenvertre­ terInnen durch komplizierte medizinische, methodische und juristische Sachverhalte „immer wieder eine enorme fachliche Herausforderung“ (Holtkamp 2015, 191) ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Themen konfliktbeladen sind und

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sich teilweise über Jahre hinziehen. „Hier ist es von Vorteil, wenn man ein ‚dickes Fell‘ hat und nicht gleich jede spitze Bemerkung persönlich nimmt.“ (Holtkamp 2015, 191). Vor diesem Hintergrund sieht sie die Schulungen und Fortbildungen, besonders zu Rhetorik und zur Verhandlungsführung, als notwendige Grundlage für die Arbeit als PatientenvertreterIn. Ihre Erfahrungen haben auch gezeigt, dass es für Holtkamp besonders beeindruckend ist, wie viel Überzeugungskraft eine gute Argumentation hat. Zur Unterstützung in unterschiedlichen Belangen sieht Holtkamp in der Einrichtung der Stabsstelle Patientenbeteiligung eine wertvolle Maßnahme. Das Einbringen von Betroffenenwissen im G-BA sieht Holtkamp trotz allen Aufwands an Zeit und Kraft als wichtig, weil es den anderen GremienBeteiligten oftmals fehlt. Motiviert wird Holtkamp durch kleine und größere Erfolge durch die Mitwirkung im G-BA und das Wissen, die Versorgung mitgestalten zu können und aus Patientensicht wichtige Themen anzustoßen. Auch betont sie den hohen Stellenwert der Beteiligung der Selbsthilfe im G-BA für die DLH, dass es wichtig ist, auf dieser Ebene Einfluss zu nehmen.

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5. Generierung von Hypothesen zum Wandel der Arbeitskultur im G-BA – Explorative Interviews (Frank Schulz-Nieswandt)

Vorbemerkungen Paraphrasiert werden nunmehr Ergebnisse telefonischer Interviews, die der weiteren Hypothesenexploration dienen. Abgefragt wurden Reflexionen zur Gesundheitsselbsthilfe im G-BA in der Gründungsphase und in der weiteren Verlaufs­ geschichte. Aus der Basis der in Schulz-Nieswandt (2011) skizzierten Mehr-Ebenen-Analyse der Selbsthilfeaktivitäten wurde die Makroebene auch im Rahmen des SHILD-Modul 2 in Schulz-Nieswandt/Langenhorst (2015) nur knapp angesprochen. Die bisherige Forschungslage1 ist unbefriedigend. Besonders tief, in kulturgrammatischer und psychodynamisch interessierter Weise, haben vorliegende Studien noch nicht gebohrt, um die Kultur der Prozesse im G-BA2 unter dem Aspekt eines Wirksamwerdens der Selbsthilfevertretung dort zu verstehen. Anfangs wurde besonders die Ressourcenfrage herausgestellt (etwa Kranich 2004). Dies ist berechtigt, greift aber insgesamt zu kurz und bleibt auf der Oberfläche der Problematik. Gleichwohl liegt eine Reihe von Erfahrungsberichten vor.3 Daher wurde im Antrag auf das SHILD-Modul 3 als Teilmodul u. a. ausformuliert: Bislang existieren keine systematischen Studien zur Mitwirkung der Selbsthilfebewegung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als untergesetzliche Normierungsinstanz des staatsmittelbaren Sektors der gemeinsamen Selbstverwaltung (dazu auch Heberlein 2005; dazu Literatur4 auch schon in Schulz-Nieswandt 2011). Jenseits der verfassungsrechtlichen Debatte um die Legitimität dieser Delegation gewährleistungsstaatlicher Aufgaben an diese untergesetzliche Normierungspraxis ist die Erforschung der These von der Demokratisierung (Engelhardt 2011) der Gesundheitspolitik durch die Selbsthilfebewegung bedeutsam. Die bzgl. dieser Fragestellung am besten geeignete Methode ist die auf die eigene so 1

U. a. Meinhardt/Plamper/Brunner 2009; Plamper/Meinhardt 2008; Dierks u. a. 2006. Zur Mitwirkung auf der Landesebene vgl. auch Grenz-Farenholtz u. a. 2014; Norda 2014. Ein anderes Thema ist das der Mitwirkung in der Leitlinienentwicklung (vgl. Matzat 2013). Vgl. ferner für die Zeit vor 2004: Dierks/Seidel 2005. 3 Fuß-Wölbert 2012; Holtkamp 2015; sehr instruktiv: Köster 2005. Ferner Selka 2014. 4 Vgl. etwa Seeringer 2006; Ziermann 2007. 2

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ziale Wirklichkeit angewandte ethnografische Analyse (Nutzung von Methoden qualitativer Sozialforschung, wobei aber die Prozesse in den Gremien wie eine „black-box“ quasi als unbekannte, eben fremde Kultur betrachtet werden, um hier methodische Distanz zu erzeugen) auf Basis der unmittelbar beteiligten Protagonisten im G-BA. Im Ergebnis einer solchen Untersuchung werden Spannungen und Ambivalenzen ebenso erkennbar wie Handlungsbedarfe und -möglichkeiten zur Optimierung der Partizipation. Die Frage nach der Veränderung der eigenlogischen Haltung der Krankenkassen und Leistungsanbieter infolge der Erfahrungen mit der Selbsthilfevertretung kann ebenfalls nur durch eine qualitative Studie einer Klärung näher gebracht werden. Dieses sich ethnographisch verstehende politikwissenschaftliche Teil-Modul analysiert die Selbsthilfebewegung mit Blick auf ihre verbandliche Selbsthilfeorganisationsentwicklung als Teil des politischen Systems der Governance-Prozesse, wodurch sich ebenso die Frage nach den Wirkungen auf einer Makroebene ergibt. Dabei sollte sich das Forschungsinteresse auf Fragen zur Authentizität der Wertschätzung der Mitwirkung der Selbsthilfe im G-BA fokussieren. Authentizität5 ist nun in der Tat ein für moderne Diskurse zentraler Begriff. Er ist in einer doppelten Konstitution zu fassen. Er ist einerseits von allgemeiner anthropologischer Art, andererseits, denn (personale) Identität, auf die die Kategorie der Authentizität verweist6, kann empirisch immer nur im Modus der Inszenierung als Performativität7 des anthropologischen Phänomens in seiner sozialen und zeitlichen Formbestimmtheit zu begreifen sein. Erst auf dieser Ebene kann der Diskurs über den Fassadencharakter und den schönen Schein, oder auch die Kategorie der Charaktermaske bei Karl Marx, verstanden werden.

5.1 Zur Methodologie 5.1.1 Design Im Lichte der Aufarbeitung der bisherigen Forschungs- und Erfahrungsberichtsliteratur zur Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA auf der Grundlage von § 140 f SGB V (Etgeton 2009)8 wurden vier intensive, 40 bis 90minütige offene, aber vor-strukturierte Interviews mit VertreterInnen der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA geführt. Die Interviewten waren entweder in der frühen Phase der Gründung 2004 oder kurz danach oder durchgängig bis heute (in einem Unterausschuss9) als VertreterInnen der Gesundheitshilfe aktiv tätig. Die Auswahl 5

Dietschi 2012. Sautermeister 2014; Wetzel 1984; Kreutzer 2016; Kramer 2001. 7 Fischer-Lichte/Pflug 2007. 8 Zimmermann 2012; Thiel 2014. 9 Vgl. auch Matzat 2014; Matzat 2014a; Danner/Matzat 2005. 6

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dieser InterviewpartnerInnen erfolgte auf Empfehlung eines Experten der BAG SH. Ein Gespräch mit Danner (BAG SH) wurde ergänzend hinzugenommen, um mehr zur Rekrutierungspraxis der VertreterInnen der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA zu erfahren, weniger hinsichtlich der formal ja klar geregelten Verfahren10, sondern in Hinsicht auf die (im Professionalisierungsdiskurs relevanten) Kompetenzprofile. Zur Hypothesenbildung der Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe auf Landesebene wurde ein Interview geführt. Wichtig war ein Interview mit einem leitenden Ministerialbeamten, um die gesundheitspolitische Hintergrundlandschaft vor 2004 zu erkunden. Schließlich wurde ein face-to-face-Interview mit dem langjährigen Vorsitzenden des G-BA geführt. Dessen zentrale Integrationsfunktion wurde als Hypothese der Literatur entnommen, Die Interviews wurden nicht auf Tonband dokumentiert, sondern die schriftlichen Notizen wurden zeitnah in ausformulierter Weise in der vorliegenden Art verschriftlicht. Die Interviews begannen mit einer kurzen Erläuterung der Forschungsfragestellung des Kölner Moduls im SHILD-Projekt11. Sodann wurde die Generierung der Texte als Hebung von abgespeichertem Archivwissen der Akteure mit einer offenen Aufforderung zur narrativen Erzählung eröffnet. Erst – je nach Verlaufsdynamik – dann wurden nachbohrende Fragen aus dem Vorstrukturierungsprogamm gestellt. 5.1.2 Ziel der Interviews Die Interviews dienten der primärempirischen Validierung der Destillate der Literatursichtung12, aber auch abduktiv der Erweiterung der Fragenkomplexe. Die Interviews dienten der Vorbereitung der Leitfäden der offenen Interviews der aktuellen VertreterInnen der Gesundheitsselbsthilfe in Kapitel 6. Dabei geht es gerade um die Erinnerung an das personale Erlebnisgeschehen in der Startphase (Gründungsphase) der Patientenbeteiligung. Die anvisierten Befragungen/Interviews mit aktuellen VertreterInnen im G-BA sollten so im Lichte der vorausgegangenen Entwicklung besser relational positioniert werden.

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Helms/Hundertmark-Mayer 2014; 2014a. Werner u. a. 2014. 12 Aufgrund dieses, wenn auch begrenzten Forschungstandes, kann die Forschungsfragestellung hier nicht in Reinkultur die der Grounded Theory (Strübing 2014) sein. Angesichts des dennoch bestehenden black-box-Charakters des Gegenstandes sind abduktive Erträge aber relevant. 11

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2016 sollten sodann weitere Interviews durchgeführt werden, zunächst als offene, leitfaden-gestützt vor-strukturierte Online-Fragebögen an die GesundheitsselbsthilfevertreterInnen; danach sollen Tiefenbohrungen durch qualitative Interviews mit ausgewählten VertreterInnen der Gesundheitsselbsthilfe durchgeführt werden. Angedacht waren sodann Befragungen der beiden „Bänke“ der Kassen und Leistungsanbieter. Dass der Forschungsprozess sodann nochmals ganz anders verlief, wurde oben in Kapitel 2. re-konstruiert. Exkurs: Abduktive Aspekte Ein abduktives13 Moment der Telefonate war es, u. a. Akteure (an die damalige Bundesministerin war trotz intensiver Bemühungen nicht heran zu kommen) aus dem gesetzgeberisch-politischen Vorfeld14 des ab 2004 wirksamen § 140 f SGB V zu befragen, um politische Zielsetzungen besser zu verstehen, die sich zuvor schon in der Literatur und in Fachdiskursen abzeichneten und die sich um die Frage der notwendigen Professionalisierung der Laien-Selbsthilfebewegung sowie um die damit ermöglichte Transformation der Patientenbeteiligung in die politische Arena hinein drehten. Abduktiv erkannt wurde auch die interne Schnittstelle zwischen der Vertretung der Betroffenen-Selbsthilfe und dem Verbraucherschutz15. Erkannt wurde auch die Bedeutung einer teilnehmenden Beobachtung16 in dem öffentlichen Forum des G-BA, die alsbald nachgeholt werden sollte. Auch konnten abduktiv einige Aspekte für die anvisierte Recherchearbeit der Patientenbeteiligung auf Landesebene generiert werden. Diese fließen in die nachstehende Ergebnisdarlegung aber nicht ein.17 Das Thema der Landesebene wird in Kapitel 6.5 behandelt.

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Reichertz 2013. Dazu u. a. auch Badura/Hart/Schellschmidt 1999; Bundeszentrale 2000; SVR 2001; Hart/ Francke 2002; Forster/Kranich 2007. Ferner Geißler 2004. Francke/Hart 2001. 15 Maier-Rigaud 2014. 16 Martin/Wawrinowski 2014. 17 Dabei geht es um die thematisch eher marginale Einbindung der Gesundheitsselbsthilfe. Fragen der Versorgungssicherstellung z. B. im Lichte der demographischen Schrumpfung, aber auch fragender neuer Versorgungsbetriebsformen im Lichte transsektoraler und multidisziplinären Versorgung stehen als Gegenstand der Mitwirkung gar nicht an. 14

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5.1.3 Zentrale Erkenntnisinteressen in der Vorstrukturierung der Interviews Forschungsziel ist es, Einblicke in die narrative Identitätsbildung18 der VertreterInnen der Gesundheitsselbsthilfe im G-BA zu generieren. Dabei bleibt hermeneutisch die Problematik der inneren Transformationen von Ereignis, Erfahrung und Erinnerung (Kauppert 2010) in der narrativen Re-Konstruktion kritisch im Auge zu behalten. Es sollen explorative Vorbohrungen vorgenommen werden mit Blick auf die Hypothese nicht-authentischer Wertschätzung der Laien-Selbsthilfe zu Beginn der Praxis der Selbsthilfebeteiligung. Die dahinter stehende Hypothese ist daher die, dass sich die Wertschätzung/Akzeptanz der Patientenvertretung seitens der zwei Bänke gesteigert hat. Der Grad der Authentizität bzw. die Art der Wertschätzung soll durch metapherologisch19 orientierte Aufforderung zur Interpretation der Frage „Was versteht man unter ‚auf Augenhöhe sich begegnen‘ im Lichte der abgefragten Partizipa­ tionserinnerung der Interviewten exploriert werden. Auf dieser Basis soll die ebenso metapherologisch verstandene „Raumordnung“20 der zwei Bänke exploriert werden. Das betrifft automatisch das Selbstverständnis der Patientenvertretung als mögliche „Dritte Bank“ oder als externe Ergänzung in interner Raumanordnung. Dahinter steht die Hypothese einer relativen Exklusion, nicht nur bedingt durch die fehlende Stimmrechtszuteilung21. Zwischen den beiden Bänken als bi-polare Aufstellung im Sinne einer antagonistischen Komplementarität (beide Bänke haben jeweils antithetische Interessen, können diese aber nur im Tausch befriedigen und sind somit im Antagonismus in gegenseitiger funktionaler Abhängigkeit aufgestellt) einerseits und der Patientenvertretung als dritte Bank andererseits geht ein Schnitt durch den Raum22 . Es ist dies in diesem Fall ein atmosphärisch spürbarer Schnitt zwischen den Akteuren: Einerseits die feindliche Koalition der etablierten Vektoren der Kassen und der Leistungsanbieter (die sich [an sich] selbst jeweils als Treuhänder der Patientenrepräsentation der Dritten Bank verstehen) und andererseits die Patientenvertretung, die als Treuhänder der Lebenswelt der Patienten auftritt und somit den Verdacht der aporetischen Struktur der advokatorischen Ethik der Kassen und Leistungsanbieter (die im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Moral eingelassen sind) zum Ausdruck bringen bzw. durch den § 140 f SGB V durch die Regierung gebracht worden sind.

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Ruhe 2014. Junge 2913; Kruse/Biesel/Schmieder 2011. 20 Manow 2008. 21 Kranich 2013. 22 Rodatz 2010. 19

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Eng verbunden mit Auslegungsordnungen der „Begegnung auf Augenhöhe“ stellt sich die Frage nach der Einschätzung der Professionalisierungsbedarfe. Damit wiederum verknüpft ist das Erkenntnisinteresse an der Einschätzung der InterviewpartnerInnen nach Ambivalenzerfahrungen der Beteiligung in der politischen Arena der untergesetzlichen Normierungspraxis der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltung des staatsmittelbaren Sektors. Hierbei wird hypothesenorientiert vermutet, dass diese Einschätzungen differentiell ausfallen, je nachdem, wie stark die Perspektiven der Verbände eine Rolle spielen.

5.2 Ergebnisse der Telefoninterviews 5.2.1 Zur Art der Auswertungsdarstellung Es werden nun nicht  – sofern dies möglich ist  – eindeutig personenbezogen die Ergebnisse in Addition der einzelnen Interviews dargestellt. Orientiert an den oben dargelegten Erkenntnisinteressen werden die Befunde integriert zur Darstellung gebracht. Insofern interessieren23 in der Auswertung der Re-Konstruktionen fallübergreifend einerseits die inter-individuellen Differenzen, andererseits die gemeinsam geteilten Deutungsmuster. 5.2.2 Ergebnisse Zunächst können die Ergebnisse aus vier Interviews mit SelbsthilfevertreterInnen analytisch paraphrasiert werden. Exploration der Einschätzung der Sicht episodischer und einer langfristigen Partizipation Das längste Gespräch von 90 Minuten konnte ein inneres Bild vom Feld entfalten, wobei eine Partizipationskontinuität von 2004 bis heute die Erfahrungsgrundlage abgibt. Allerdings (was Vor- und Nachteil zugleich ist) konzentriert sich diese Beteiligungserfahrung als ständige Vertretung auf das Themenfeld Psychotherapie in einem Unterausschuss (aber auch im Rahmen von themenzentrierten Beteiligungen in anderen Unterausschüssen). Hier wurde ein bedeutsames Argument vorgetragen: Die Erfahrungen sind milieuspezifisch und korrelieren mit einer Themenkultur in der Psychotherapie, die auf andere Themenkreise in anderen Unterausschüssen nicht unbedingt übertragbar sind, da sich dergestalt pro 23

Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013.

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fessionshabituelle Unterscheide, aber auch die verschiedenen Funktionärskulturen abzeichnen. In der Startphase der Selbsthilfebeteiligung im G-BA scheint die Partizipationsbegeisterung verbandsgetrieben zu sein. Die Verbände der Gesundheitsselbsthilfe verstanden die Partizipationschance stolz als „Krönung“ im Sinne einer Anerkennungskultur des politischen Systems. In demokratietheoretischer Sicht konstatiert hier Heberlein (2005) Legitimationsprobleme in Bezug auf die hier vorliegende Verbändevertretungspraxis. Die Gesundheitsselbsthilfe wird vom informellen Outsider zum formellen Insider. Mitunter wurde angedeutet, dass diese Transformation im politischen Vorfeld der legislativen Implementation des § 140 f SGB V im damaligen Gesundheitsministerium auch eine zentrale Zielsetzung war. Ich selbst erinnere mich an Fachgespräche auf der Spitzenverbandsebene von GKVKassen, wonach die Patientenbeteiligung auf der Ebene einer (staatsrechtlich nicht haltbaren) offensichtlich hoheitlichen Selbstauslegung der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltung als systemfremd eingeschätzt worden ist.24 Rollenspiel-bezogene Ambivalenzen zeichnen sich eher auf der intra-personalen Ebene der VertreterInnen (durchaus „zögerliche Haltungen“ werden hier erinnert) ab, korrelierten wohl aber vor allem mit den Professionalitätsanforderungen. Alle Erzählungen deuten darauf hin, dass in der frühen Startphase ein Geduldetsein, sogar ein Ignoriertwerden, ein Unerwünschtsein erlebbar war. Alle Erzählungen deuten aber auch darauf hin, dass sich diese Desintegration im weiteren Verlauf der Partizipationsgeschichte zugunsten einer stärkeren anerkennenden Integration verändert hat.25 Die wertschätzende Offenheit der beiden Bänke wurde aber nicht als homogen erlebt. Sehr unterschiedlich wurde der Professionalisierungsdruck eingeschätzt. Verbandssichtgetrieben wird eine Haltungsart deutlich, die die deutungsmusterhermeneutisch abgefragte „Augenhöhe“ nur im Zuge einer Rekrutierungspraxis aus dem Kader der (erst noch weiter auszubreitenden) hauptamtlichen Personen der Gesundheitsselbsthilfeverbände (auf Landes-, Bundes- und Spitzenverbandsebene) gesichert sieht. Die „Augenhöhe“ wird hier fachlich ausgelegt (vgl. auch Mühlberger 2014, 16). Einerseits. Andererseits liegt auch das Deutungsmuster vor, „Augenhöhe“ sei, trotz der G-BA-internen Weiterbildungsangebote und trotz Rückgriffe auf die Hilfestellungen durch die wissenschaftlichen Dienste im G-BA, fachlich/fachwissenschaftlich eine Chimäre. Vielmehr ginge es um die mitmenschliche/zwischenmenschliche Augenhöhe im Sinne personaler Anerkennung (Wertschätzung) im authentischen Dialog. Und hier hätte es im Zeitverlauf 24 Hier kann nur eine Literaturanalyse der Zeit vor 2004 helfen (in der es um einen Wandel in gesundheitspolitischen Steuerungen ging: Urban 2001; Bandelow 2004), u. U. mit entsprechenden explorativen Interviews zu dieser genetischen Phase. Dazu auch in Forster 2015. 25 Dieses Erlebnisgeschehen ist hinsichtlich seiner inneren grammatischen Ordnung hoch relevant im Lichte aktueller Theoriediskurse über eine Kultur der Anerkennung erlebter Differenz.

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deutliche Fortschritte gegeben. Dieses Deutungsmuster der Augenhöhe betont die Bedeutung des Einbringens der lebensweltlich verankerten Laienexpertise im alltäglichen Versorgungsgeschehen der Betroffenen-Selbsthilfe. Hier wäre die Patientenbeteiligung ergänzend, komplementär und würde eine vom formal-professionellen System nicht erwartbare personale Erlebnistiefe einbringen26. Von einer „wechselseitigen Blindheit“ war in einem Interview die Rede. Die Fachwelt kennt die Lebenswelt nur begrenzt; die Lebenswelt weist Defizite in der Generalisierbarkeit auf und kennt nur bedingt die Probleme des Gesamtgeschehens des Systems. Eine personal verkörperte Mischung aus Betroffenheit und Fachlichkeit wäre natürlich erwünscht, lässt sich aber nicht unbedingt hinreichend rekrutieren.27 Trotz der explorierten positiven Wachstums- bzw. Entwicklungsgeschichte der inneren Kultur der Wertschätzung und Anerkennung im G-BA ist ein Erzähl­ motiv erkennbar, dass sich eines theaterbezogenen Deutungsmusters bedient. Dort läuft – um in der Sprache der Theaterwissenschaft28 zu sprechen – ein Film ab, es besteht implizit ein Drehbuch. Ein Geschehen (auf einer Bühne29) wird – im Sinne der Performativität (Fischer-Lichte 2012) – inszeniert (Goffman 2009). In der „Rahmen-Analyse“ von Goffman (1980) wird im Alltag des Menschen gefragt: Was geht hier eigentlich vor? Die Frage ist von fundamentaler Bedeutung. Denn die Antwort generiert die Sinnhaftigkeit der Situationen, in die der Mensch gestellt ist30. Dabei wird auch die agonale31 politische Raumordnung der zwei Bänke gedeutet. Einerseits geht es um Versorgungsqualitätssicherstellung. Andererseits sei die grammatische Tiefenstrukturlogik die der Geldströme und der Ressourcen­ allokation unter Knappheitsbedingungen (mit Blick auf die Diskurse „Rationalisierung vor Rationierung“ vgl. in Schulz-Nieswandt 2011). Diese tiefengrammatische Lesart ist einerseits kritisch mit Blick auf Selbstachtsamkeit im Rollenspiel gemeint; andererseits wurde in den Interviews auch die Deutung vorgetragen, dies sei in Ordnung, denn darum gehe es eben in der Gesundheitspolitik32. Und Patientenbeteiligung habe hier eben Systemmitverantwortung zu übernehmen. Allerdings setzt dies wiederum einerseits Professionalisierung voraus, andererseits die 26 Das deckt sich mit unserer Einschätzung der Effektivität des Selbsthilfegruppengeschehens, bei der wir die daseinsanalytische Dimension herausstellen: Gelingend leben mit bzw. trotz Krankheit und Behinderung: Schulz-Nieswandt/Langenhorst 2015. 27 Insoweit wäre eine Sozialstrukturanalyse der rekrutierten VertreterInnen von hohem Erkenntnisinteresse. 28 Balme 2014; Fischer-Lichte 2010; Kotte 2012. 29 Vgl. z. B. auch Reinecke-Terner 2017. 30 Willems 1997, S. 35. 31 An die neuere (vor allem französische) agonale Theorie der ontologischen Differenz des Politischen und der Politik erinnernd (Marchart 2010). 32 Die Literatur der letzten Jahre zum Themenkomplex Knappheit, Allokation und Ethik (erinnert sei an die Debatten über Rationierung und Rationalisierung) plausibilisiert diese Sicht.

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Bereitschaft, über die Indikationsbezüge der eigenen Betroffenheitskultur hinaus Verantwortung für die Interessen Dritter zu übernehmen. Es ginge um die Fähigkeit, aber eben zunächst auch um die Bereitschaft, zu lernen, Verantwortung für das Gesamtversorgungsgeschehen zu übernehmen. Dabei geht es um Querschnittthemen, aber auch um andere übergreifende Aspekte, wie z. B. die gerontologisch definierbaren Herausforderungen. Dies wird mitunter durchaus ambivalent eingeschätzt: Einerseits positiv als kollektiver sozialer Lernprozess33, andererseits durchaus auch als Prozess der mentalen Sozialdisziplinierung im Sinne der Systemlogik. Diese Ambivalenz scheint aber bei verbandspolitisch sozialisierten Akteuren geringer ausgeprägt zu sein als bei anderen Einzelpersonen. Durchaus wird die Erinnerung an die selbstachtsame Frage angeknüpft, welcher Preis wohl für die Systemintegration zu zahlen sei. Doch auch hier wird deutlich die Position vertreten, dass an der neueren Gesundheitspolitik der Evidenzbasierung kein Weg vorbeikommt. Und hierbei muss die Patientensicht eben vertreten werden. Aber bei den diesbezüglichen Entscheidungsprozessen macht sich wiederum die Professionalisierungskontroverse bemerkbar. Zum Teil  wurde re-konstruiert, wie sich die Patientenvertretung auch unabhängig von diesen fachlichen Expertiseanforderungen überhaupt erst einmal mit der „Kultur“ des G-BA einfühlend und eben kulturverstehend auseinandersetzen musste. Dass knüpft einerseits an die weiter oben angesprochene Perspektive auf das Inszenierungsgeschehen an, andererseits wird hier ein partizipations-sozialisatorisches Thema evident: Erfolgreiche Partizipation setzt voraus, sich ethnographisch34 im Feld sinnverstehend orientiert zu haben. Die „Notarfunktionen“ der Gesundheitsselbsthilfe, an die die soeben angesprochene erfolgreiche Partizipation gebunden ist, setzt erhebliche außerfachliche Sozialkompetenzen voraus. Es geht um Haltung35, um Sprache, um Körpersprache. Angemessenes Verhalten setzt die Durchleuchtung des grammatischen Strickmusters der Ausschüsse, aber auch der Akteure voraus.36 Auch ein angemessenes Selbstwertgefühl musste in der Frühphase der Beteiligung erst einmal erarbeitet werden. Zu diesem Lernprozess gehörte es, auch neben dem Verhältnis zu den beiden Bänken das interne Verhältnis zum Verbraucherschutz37 zu entwickeln. Einerseits wurden zunächst Konkurrenzeffekte beobachtet, andererseits lernte man, mit einer Stimme (im „Schulterschluss“) gegenüber den beiden Bänken zu sprechen. Das Konkurrenzerlebnis erinnert an die kollektiv geteilte reziproke Erfahrung,

33 Und die Literatur macht hier ja auch Demokratisierungseffekte des Gesundheitswesens durch die „vierte Säule“ der „Selbsthilfebewegung“ aus. 34 Breidenstein u. a. 2013. 35 Der „dichten Beschreibung“ (Geertz 1997). Vgl. auch Berg/Fuchs 2003. 36 Das berührt sogar psychodynamische Fragen der Diagnostik von Charakterneurosen, aber auch Fragen des Umgangs mit strategischen Charaktermasken. 37 Grundsätzlich zur Rolle des Verbraucherschutzes als Patientenrechtsvertretung in der Phase kurz vor der Reform mit Blick auf § 140 f SGB V: Müller 2003.

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jede Partei sei38 der beste advokatorische Akteur (Treuhänder) gegenüber dem Patienten als homo patiens: die Kassen, die Ärzte, der Verbraucherschutz, die Gesundheitsselbsthilfe. Dabei tauchte ein Deutungsmuster zum Zwei-Bänke-System auf: Da sich die beiden antagonistischen Bänke oftmals interessensbedingt paralysieren, kam der Patientenvertretung eine „Meldereiterfunktion“ zwischen den Fronten zu. Exploration aus der Perspektive damaliger ministerialbürokratischer Sicht der Dinge Wichtig war ein Interview mit einem leitenden Ministerialbeamten, um die gesundheitspolitische Hintergrundlandschaft vor 200439 zu erkunden. Konstatiert wird hier in der zeitgeschichtlichen Ausgangssituation eine negative Haltung relevanter Führungspositionen im System. Ein verkrusteter Korporatismus, der in einem bi-polaren Aufstellungsraum der etablierten polit-ökonomischen Interessen die Finanzströme lenkt, hatte wenig Interesse an der Patientenbeteiligung, die als Störfaktor eingeschätzt wurde. Das sah die Logik des Systems nicht vor. Dem langjährigen Vorsitzenden wird jedoch eine Stil-Haltungs-Komponente bescheinigt, die von hoher Offenheit und starkem Integrationswillen geprägt gewesen sei. Im weiteren Verlauf habe sich die Situation gelockert und insofern verbessert. Die Akzeptanz wäre gestiegen. Die diesbezügliche Authentizität bei einigen politisch führenden Akteuren sei aber immer als fraglich einzuschätzen. Auch eine gewisse Arroganz sei nie vollständig verschwunden. Angesichts der antagonistischen Struktur in der Interessensraumaufstellung war das Verhältnis zur Patientenvertretung deutlich opportunistisch ausgeprägt, je nachdem, wie sich mögliche Allianzen haben bilden lassen. Insgesamt wird die gemeinsame Selbstverwaltung als ein Machtspiel im Rahmen eines hoch ritualisierten Theaters klassifiziert. Fachlichkeit und Evidenz werden zu Kategorien einer heiligen Ordnung, angesichts der die Perspektive der Betroffenheit und lebensweltliche Bezüge kaum auf echte Wertschätzung hoffen können. Insofern ist die Mitwirkungsmöglichkeit der Selbsthilfe in diesem Theaterspiel von Evidenzdiskurs, ökonomischen Logiken, fixierten Machtordnungen aporetischer Natur: Lebensweltliche Betroffenheit, Professionalisierung und Systemvertretung können kaum vereinbart werden. Die lebensweltliche Betroffenheit sei aber als einzubringende Perspektive als sogar noch wichtiger einzuschätzen als der Verbraucherschutz. Der Konflikt verläuft entlang der Linie „Geldströme oder Versorgungsgeschehensfragen“. Dennoch sind diese Einschätzungen keine Argumente gegen diese Patientenbeteiligungspraxis, wohl aber Hinweise auf eine angemessene – realistische – Interpretation.

38 39

Um in der Sprache der Prinzipal-Agent-Theorie zu sprechen. Vgl. auch Mosebach 2005.

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Exploration der Perspektive des langjährigen Vorsitzes Schließlich wurde ein face-to-face-Interview mit dem langjährigen Vorsitzenden des G-BA geführt. Dessen zentrale Integrationsfunktion wurde als Hypothese der Literatur entnommen. Das sich auf zwei Stunden erstreckende face-to-faceInterview rekonstruierte die Thematik der Beteiligung der Selbsthilfe im G-BA über die gesamte Amtszeit des Vorsitzenden hinweg. Auch die historischen Entstehungszusammenhänge wurden diskutiert. Betont wurde die damals verdichtete wissenschaftlich-gutachterliche Sicht des Themenfeldes der Patientenbeteiligung in der Gesundheitspolitik und Patientenorientierung im Versorgungsgeschehen insbesondere im internationalen Vergleich (vgl. auch Rega 2007). Die authentische Wertschätzung dieser Beteiligungspraxis wurde überaus deutlich. Eine Stimmrechtsregelung wurde jedoch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen verworfen. Eine Kultur der Wertschätzung habe sich sehr langsam, aber dann doch signifikant herausgebildet. Diese zu fördern wurde als explizite Aufgabe der Vorsitzfunktion betrachtet. In oberen Rängen der organisierten Anbieter- und Kasseninteressen war diese Wertschätzung nicht vorhanden. Die Patientenvertretung wurde als Störfaktor eingeschätzt. Das wäre zum Teil auch heute noch der Fall. Verkrustungen im korporatistischen System sind nach wie vor ein aufzubrechendes Phänomen. Eine offene Haltung für mehr Transparenz im Geschehen der gemeinsamen Selbstverwaltung war nicht unbedingt erwünscht. Insgesamt zieht der ehemalige Vorsitzende jedoch eine positive Bilanz. Exploration zur Landesebene Zur Hypothesenbildung der Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe auf Landesebene wurde ein Interview geführt. Die Einschätzung einer seit langer Zeit in einem Bundesland intensiv engagierten Person war durchgehend sehr kritisch. Die Mitarbeit der Selbsthilfe auf der Landesebene wird charakterisiert über Begriffe wie Geringschätzung und Instrumentalisierung. Dies hätte sich auch über die Zeit hinweg nicht stark verändert. Die Instrumentalisierung war bereits ein Motiv bei der Einführung der Beteiligung der Selbsthilfe, nämlich mit Blick auf die Legitimierung von Steuerungsmaßnahmen wie die Zuzahlungsregelungen in der GKV. Ansonsten ist der Patient nach wie vor ein Störfaktor im Gesundheitswesen. Relevante Fragen innovativer Versorgungsformen werden ohnehin nicht dort diskutiert und entschieden, wo nunmehr die Selbsthilfe gemäß § 140 f SGB V bzw. § 90 a SGB V beteiligt sei. Diese Positionierung des Interviewpartners war derart kritisch, dass die Landesebene daher im Rahmen des Projektes etwas vertieft beurteilt werden sollte.

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5.3 Schlussfolgerungen Im ethnographischen Teil-Modul des SHILD-Modul 3 sollte sich das Forschungsinteresse auf Fragen zur Authentizität der Wertschätzung der Mitwirkung der Selbsthilfe im G-BA fokussieren. Nun kristallisiert sich in diesen explorativen Gesprächen heraus, dass sich dies konkretisieren kann mit Blick auf die zwei Metaphern der Augenhöhe und der Dritten Bank. Dies sind ganz offensichtlich relevante Wahrnehmungs-, Interpretations- und Bewertungskategorien, die sich an der Erfahrung der Aufstellungsordnungen der Machtpositionen, der atmosphärischen Arbeitskultur, der Mitwirkungsaporien angesichts der dominant polit-ökonomischen Logik des ritualisierten Geschehens der Systemfinanzierungsinteressen orientieren. Die Patientenbeteiligung hat im Verlauf der Geschichte seit 2004 im Trend ein Akzeptanzwachstum (angesichts der arroganten Dominanz der Störfaktor-Sichtweise) erfahren. Dennoch sind die Authentizitätsgrade des Haltungswandels fraglich. Ein gewisser Opportunismus im Zusammenhang mit wechselnden Allianzen bzw. Koalitionen bestimmt die Dynamik des Geschehens. Die Situation der Betroffenenmitwirkung ist aporetischer Natur. Dies betrifft einerseits den Professionalisierungsdruck, vor allem aber die Erfahrung des normativen Drucks zur Systemmitverantwortung. Der Korporatismus ist durch die Praxis des § 140 f SGB V sicherlich nicht in signifikanter Weise aufgebrochen worden. Das Spiel der Zwei Bänke hat einen dritten Mitspieler erhalten. Die Logik des Geschehens ist nicht transformiert worden. Mit dem Einbringen der lebensweltlichen Perspektiven in Hinsicht auf die innovativen Transformationen des Versorgungsgeschehens hat die Entwicklung der Patientenmitwirkung wenig zu tun. Insofern wird man die Rolle der Patientenbeteiligung begriffsstrategisch bzw. in der politischen Terminologie der Hermeneutik der kulturellen Grammatik der Praktiken dieses gesetzlich geregelten institutionellen Arrangements anders ordnen müssen. Der wichtigste Befund dürfte sein: Die Einschätzung der professionalisierten Selbsthilfeverbände fällt positiver bzw. weniger ambivalent aus als die Einschätzung individueller Vertretungen der Betroffenenselbsthilfe. Offensichtlich kann die Hypothese gewagt werden, wonach die eigenlogischen Verbände ein systemintegriertes Bedürfnis an ihrer Mitwirkungsrolle im politischen System des Korporatismus der Gemeinsamen Selbstverwaltung haben. Die ist legitim. Dies ist aber (vgl. dazu die Kapitel 8. bis 11.) zugleich nicht folgenlos für – die Frage einer angemessenen kulturgrammatischen Hermeneutik des Geschehens und für – eine passungsfähige morphologische Taxonomie der Akteure im Mehr-EbenenSystem der Gesundheitsselbsthilfe, – letztendlich eventuell auch in finanzierungsrechtlicher Hinsicht.

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5. Generierung von Hypothesen zum Wandel der Arbeitskultur im G-BA 

5.4 Externe Evidenz Die Interviewanalyseergebnisse lassen sich extern validieren durch die bereits angeführte Studie von Köster (2005), eine theoriegeleitete Analyse auf der Basis von zehn qualitativen Interviews. Köster bestätigt – das Denken in „Bänken“ (S. 82, S. 85), – die Ambivalenz der Professionalisierung (S. 83), – die Veränderung der Gesprächskultur (S. 84), – die Sozialisierung/Disziplinierung auf Systemfragen (S. 84) und die Sozialisierung auf die Übernahme von Mitverantwortung (S. 87), – den Druck, das Spiel (der Interessen) mitzuspielen (S. 87), – das Problem der Betroffenenselbsthilfe, das eigene Interesse am eigenen Indikationsfeld zu transzendieren zugunsten der Themen Dritter (S. 88).

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6. Empirische Explorationen (Ursula Köstler)

6.1 Design und Methoden 6.1.1 Design der empirischen Explorationen Unserer Projektdurchführung liegt eine offene Herangehensweise zugrunde, die schrittweise abduktiv vorgeht (Reichertz 2013, 125). Es sollen Wirkungszusam­ menhänge mit Hilfe qualitativer Methoden der Sozialforschung explorativ aufgezeigt werden, dabei gilt es offen für das „Unbekannte im scheinbar Bekannten“ (Flick/von Kardorff/Steinke 2010, 17) zu sein. Das Design unseres Projekts zeichnet sich durch eine starke Dynamik aus. Ideen wurden verworfen, neue Ideen erstellt, gemündet ist es im nachstehend dargestellten Design. Qualitative face-to face Interviews N=10

Bundesebene

Teilstandardisierte Befragung Offener Fragebogen N=18

narrativ Leitfaden-gestützt

Tiefenbohrung

Interview Stabsstelle Patientenbeteiligung Ergänzung

Qualitative face-to face Interviews N=5 Gruppendiskussion N=1

Landesebene

narrativ Leitfaden-gestützt Teilnehmende Beobachtungen N=2

Oral History Interviews N=7

Design der empirischen Explorationen

84

6. Empirische Explorationen

Unser Design folgt dem Mixed Methods Ansatz (Kuckartz 2014, 33). Die Grundlage bilden sieben Oral History-Interviews und zwei teilnehmende Beobachtungen des Sitzungsteils des Plenums des G-BA, der öffentlich ist. Parallel dazu wurde ein Fragebogen an die PatientenvertreterInnen in den Ausschüssen mit teils offenen Fragen entworfen; zwölf Fragebögen wurden durch die Geschäftsstelle der BAG Selbsthilfe verteilt und zurückgesandt. Zusätzlich verteilte ein Bundesverband, der im Gesundheitssektor aktiv ist, bei PatientenvertreterInnen zehn Fragebögen, hier wurden sechs Fragebögen zurückgesandt. Somit standen N=18 Fragebögen zur Auswertung zur Verfügung. Weiterhin wurden PatientenvertreterInnen für face-to-face Interviews kontaktiert. Mit zehn auf Bundesebene tätigen PatientenvertreterInnen wurden Einzelinterviews geführt. Ergänzend wurde mit vier auf Landes- und Bezirksebene tätigen PatientenvertreterInnen Einzelinterviews, ein Interview mit zwei TeilnehmerInnen sowie mit drei PatientenvertreterInnen eine Gruppendiskussion geführt. Mit der Stabsstelle Patientenbeteiligung wurde ein Telefoninterview durchgeführt. 6.1.2 Methodik und Auswertung 6.1.2.1 Teilnehmende Beobachtung Bei zwei Plenumssitzungen des G-BA wurden teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Zielsetzung der Hospitation war eine erste Felderkundung zur Analyse der Routine des G-BA. Die von uns gewählte offene teilnehmende Beobachtung ist eine Methode der ethnographischen Feldforschung, die auf B. Malinowski zurückgeht; allgemein bekannt dürfte die Marienthal Studie (Jahoda/Lazarsfeld/ Zeisel 1980), die auch das klassische Beispiel einer Forschung mit Methoden-Mix darstellt, sein. Wir gingen mit Offenheit in das Untersuchungsfeld, wissend dass ein voraussetzungsfreies Beobachten nicht möglich ist. Daher haben wir den Weg einer methodologisch kontrollierten Beobachtung gewählt. Die Beobachtungen wurden jeweils als Doppelbeobachtung durchgeführt (Schöne 2005, 191), im Anschluss wurden die jeweiligen perspektivischen Eindrücke diskutiert und übereinandergelegt. Ziel sind die Erfassung des Untersuchungsgegenstands in seiner ganzen Breite sowie das Verstehen der Zusammenhänge. Es geht um die soziale Wirklichkeit in der Plenumssitzung, um das Oberflächengeschehen und die Tiefenschichtungen des Geschehens im Plenum. Welche habituellen Strickmuster und Rollensituationen werden von den einzelnen Bänken gelebt? Wird ein Beobachtungsprotokoll erstellt, stellt die teilnehmende Beobachtung eine eigenständige Methode der Erkenntnisgewinnung in der qualitativen Sozialforschung dar (Lüders 2010, 151). Kennzeichnend ist, dass die Forscher persönlich an den Interaktionen der Personen, die beobachtet werden, teilnehmen (HauserSchäublin 2003, Bischoff u. a. 2014, 71); die Teilnahme kann aktiver oder passiver

6.1 Design und Methoden

85

Natur sein. Dabei bedeutete unsere Teilnahme – wir waren Teil der interessierten Öffentlichkeit – eine reine Präsenz an den Plenumssitzungen des G-BA. Die Grenzen der teilnehmenden Beobachtung sind die Repräsentativität. Wir haben lediglich zwei Plenumssitzungen beigewohnt, und eine jede Plenumssitzung hat ihren eigenen Verlauf. 6.1.2.2 Teilstandardisierter Fragebogen Zusammenfassend lässt sich das Ziel des Fragebogens damit beschreiben, mittels überwiegend offener Fragen Einblicke in die Erlebniswelt der Patientenvertretung in den Ausschüssen zu erhalten. In der vorgeschalteten Fragebogenerstellungsphase haben wir in Absprachen mit der BAG Selbsthilfe Geschäftsstelle den Fragebogen und den Fragebogenversand diskutiert. 6.1.2.2.1 Inhalt des Fragebogens Der Fragebogen gliedert sich in vier Bereiche. Der erste Themenbereich fragt nach der Rolle der PatientenvertreterInnen in den Unterausschüssen. Ziel ist die Anerkennungs-, Gesprächskultur und die Kultur der Wertschätzung seitens der Vertreter der Leistungserbringer und Leistungsträger gegenüber den PatientenvertreterInnen offenzulegen. Gefragt wird nach den in den Sitzungen transportierten Normen, Werten, Ritualen und der erlebten Gesprächsführung. Der zweite Block zentriert das aktuell diskutierte Thema der Professionalisierung der Patientenvertretung. Gefragt wird nach der Umsetzung der per Gesetzgeber vorgesehenen Sichtbarmachung der Betroffenenkompetenz im System der Ausschüsse. Im Zentrum stehen Fragen nach dem Professionalisierungsdruck auf die PatientenvertreterInnen, der Sichtbarmachung der Betroffenenkompetenz, weiteren für das System erforderlichen Kompetenzen, nach Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Patientenvertretung und der Nutzung dieser. Zusätzlich wird die Bedeutung der Stabsstelle Patientenbeteiligung erfragt. Daran schließt ein dritter Fragenblock, der die Erlebniswelten in den Ausschüssen beleuchtet. Es wird nach den atmosphärischen Eindrücken in den Unterausschüssen und im G-BA gefragt. Der abschließende vierte Block fragt Soziokulturelles ab.

86

6. Empirische Explorationen

6.1.2.2.2 Durchführung des Fragebogenversands Nach Rücksprache mit der Geschäftsstelle der BAG Selbsthilfe wurden 60 Fragebögen mit Anschreiben und frankierten Rückumschlägen bei der Geschäftsstelle in Düsseldorf zum weiteren Versand Ende Januar 2016 hinterlegt. Der Rücklauf wurde bis Ende Februar 2016 erbeten, um erste Ergebnisse auf dem Pub­ lic Health-Kongress in Deutschland Armut und Gesundheit 2016 im Fachforum „Wirkungen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland“ am 18. März 2016 in Berlin vorzustellen. Bis Mitte März wurden elf Fragebögen rückgesandt. So konnten beim Kongress erste Einblicke der Befragung gegeben werden; der Schwerpunkt wurde auf die Diskussion des Projektdesigns gelegt. In einem weiteren Anschreiben an die PatientenvertreterInnen wurde das Rücksendedatum bis Ende 2016 verlängert. Lediglich ein weiterer Fragebogen wurde rückgesandt. Auf unsere Ansprache der Geschäftsführung eines im Gesundheitssektor etablierten Bundesverbandes erklärte sich der Verband bereit, an in der Patientenvertretung engagierte Mitglieder Fragebögen zu verteilen. Der Verband verteilte zehn Fragebögen an PatientenvertreterInnen, sammelte den Rücklauf ein und stellte sechs ausgefüllte Fragebögen zur Auswertung zur Verfügung. Der Rücklauf der Fragebögen beträgt somit insgesamt N=18. Und darauf stützt sich unsere deskriptive Analyse. Betont werden muss, dass mit einem derartig kleinen Sample einer fundierten Auswertung Grenzen aufzeigt werden. Allerdings bietet das gewählte Konstrukt eines Fragebogens mit vielen offenen Fragen Einblicke in die Arbeitsweise der Patientenvertretung. Zudem dienten die Antworten im Fragebogen der Orientierungshilfe für die qualitative Befragung. 6.1.2.2.3 Auswertung der Fragebögen Aufgrund des geringen Samples wurden die Antworten der Rücksendungen in eine Exceltabelle übertragen. Die Auswertung erfolgte themenorientiert auf Grundlage einer Inhaltsanalyse mit Clusterbildungen (Burzan 2015). 6.1.2.3 Narrative Interviews 6.1.2.3.1 Methode des Oral History-Interviews Oral History-Interviews sind Befragungen von Zeitzeugen zur Rekonstruktion von Ereignissen und Abläufen (Niethammer 1985). Eingesetzt werden diese zur Erinnerung und Abfrage von persönlichen Haltungen zu Zeitgeschehnissen.

6.1 Design und Methoden

87

6.1.2.3.2 Methode des narrativen und leitfaden-gestützten Interviews Ziel der geführten Interviews ist es, explorative Einblicke in die soziale Wirklichkeit des Praxisgeschehens in den Ausschüssen offenzulegen. Die Datengenerierung folgte der reaktiven Erhebungsmethode eines thematischen Interviews, dem ein Leitfaden (Kruse 2015, 213) zu Grunde liegt. Wir haben die Methode des problemzentrierten Interviews anwendet, bei dem es nicht um ein rein textorientiertes sondern ein problemorientiertes Sinnverstehen geht (Helfferich 2009, 39 f). Für ein problemzentriertes Interview bietet die Erhebungsmethode von Witzel einerseits die Offenheit einer choreographierenden Nutzung eines Leitfadens seitens des/der Interviewers/Interviewerin, anderseits kann eine offene narrative Erzählinduzierung angestoßen werden (Witzel 1985, Witzel/Reiter 2012). Der zu eruierende Gegenstand wird eingeschränkt, ein Wissen über den Sachverhalt intuitiv vorausgesetzt und dann wird versucht, mit Hilfe offener Fragen narrative Potentiale bei den Interviewten anzustoßen. Der Interviewleitfaden macht subjektive Deutungen über die Arbeit in den Ausschüssen zum Thema. Im Zentrum steht das personale Erlebnisgeschehen. Erinnerungen erfahrener Ereignisse bei der Arbeit in den Ausschüssen sollen erfragt und subjektiv bilanziert werden. Zielgerichtet bleibt die Erhebungsmethode von Witzel offen in der Verfügbarkeit mit unterschiedlichen Methoden der Datenauswertung. Obwohl es sich bei der angestrebten Befragung mit einer einmaligen Erhebung und Auswertung um eine Querschnittsanalyse handelt, wird ein für Längsschnittstudien von Witzel entwickeltes Konzept bei der Auswertung mitberücksichtigt. Es geht eben auch darum, wie die in den Ausschüssen gelebte Rolle erzählt und begründet wird. Wie wird die gelebte Rolle retrospektiv interpretiert? Wie wird bilanziert? So können aus den Bilanzierungen die Sinnzuschreibungen vollzogener Handlungen und gemachter Erfahrungen rekonstruiert werden. Aus dem Datenmaterial sollen individuumsnahe Erfahrungsräume exploriert werden, aber auch die sozialen und kulturellen Räume aus der Sicht der bzw. des einzelnen Befragten verstanden und empirisch exploriert werden. Die beschriebenen individuellen Erfahrungsräume werden dann zur Analyse der Ordnung sozialer Wirklichkeit genutzt, wie sie von den Befragten in unhintergehbar ablaufenden Interpretationsprozessen hergestellt werden. Diese Unhintergehbarkeit von Interpretationen bei der Wahrnehmung des Selbst, anderer und der Umwelt ist eine grundlegende Annahme der qualitativen Sozialforschung. Weiterhin wird angenommen, dass die soziale Wirklichkeit in kulturellen Symbolsystemen gründet (Bohnsack 2014, 23). Bei der Datenauswertung wurde der Forschungsmethodologie der Grounded Theory gefolgt (Strübing 2014). Dies geschieht durch das modulare Vorgehen, aber auch durch die Anwendung der offenen Kodierung (Glaser/Strauss 2008)

88

6. Empirische Explorationen

und Extraktion (Gläser/Laudel 2010). Zu Grunde liegt die Methode der Inhaltsanalyse von Mayring (2010), die dadurch erweitert wird, dass aus den Interviews Text­informationen extrahiert und ausgewertet werden (Gläser/Laudel 2010, 199).

6.1.2.3.3 Sample Über das Internet, dort sind die Namen der SprecherInnen der Patientenvertretung der Unterausschüsse zugänglich, wurden Kontaktdaten (Telefon, Mail) recherchiert. Dann wurden die SprecherInnen für die Ansprache geeigneter Interviewpartner angefragt. Zusätzlich wurde mit verschiedenen ExpertInnen, die ehemals in Ausschüssen wirkten, über das Internet Kontakt aufgenommen. Parallel wurden Selbsthilfevertretungen auf Landesebene kontaktiert und die Befragung auf PatientenvertreterInnen, die auf Landes- und Bezirksebene aktiv sind, ausgeweitet. Bei den Befragten handelt es sich um PatientenvertreterInnen, die ehemals oder aktuell auf Bundesebene wirken, Personen, die sich auf Bundes- und Landesebene in der Patientenvertretung einbringen, PatientenvertreterInnen auf Landes- und Bezirksebene sowie ExpertInnen in Selbsthilfegeschäftsstellen auf Bundes- oder Landesebene, die die Belange der Patientenvertretung beobachten und koordinieren und/oder selbst schon einmal als PatientenvertreterIn aktiv waren. Insgesamt wurden mit PatientenvertreterInnen auf Bundesebene zehn Einzelinterviews durchgeführt; davon waren sieben face-to-face Interviews und drei Telefoninterviews. Mit PatientenvertreterInnen auf Landesebene wurden vier face-to-face Interviews, ein Interview mit zwei TeilnehmerInnen und eine Gruppendiskussion durchgeführt; alle Interviews fanden vor Ort in von den InterviewpartnerInnen gewählten Räumlichkeiten statt. Mit der Stabsstelle Patientenbeteiligung wurde ein Telefoninterview geführt. Die Interviews wurden mit dem Einverständnis der Interviewten aufgezeichnet und die Audioaufnahmen nach den wissenschaftlich gängigen Transkriptionsregeln transkribiert (Fuß/Karbach 2014).

6.1.2.3.4 Interviewleitfaden der Patientenvertretung auf Bundesebene Erzählgenerierende Eingangsfrage: Wie erleben Sie Ihre Rolle als Patientenvertreterin bzw. Patientenvertreter in den Ausschüssen? Nachfrageteil: Wie sieht die Wertschätzung der Vertreter der Leistungserbringer und Leistungsträger gegenüber den PatientenvertreterInnen aus? Wie äußert sich die Wertschätzung? Hat sich die Wertschätzung im Zeitablauf Ihrer Teilnahme, aber auch seit 2004 verändert? Wie würden Sie die Gesprächskultur bezeichnen? Hat diese sich im Zeitablauf verändert? Welche Kompetenzen brauchen Sie für Ihre Arbeit in den Ausschüssen? Welche Bedeutung hat für Sie die Stabs-

6.1 Design und Methoden

89

stelle Patientenbeteiligung? Welche Assoziationen verbinden Sie, wenn die Vertreter der Leistungserbringer und die Vertreter der GKV als „Bänke“1 bezeichnet werden? In wie weit müssen Sie als PatientenvertreterIn auch als „einheitliche Bank“2 gegenüber den Vertretern der Leistungserbringer/GKV auftreten, um an Bedeutung zu gewinnen? Wie erleben Sie die „interne Raumordnung“ des G-BA? Hat Ihre Sitzplatzposition Einfluss auf Ihre Rolle als Patientenvertretung? Sehen Sie die Patientenvertretung als „Dritte Bank“? Erleben Sie die Diskussionen im G-BA, in den Unterausschüssen, in den Arbeitsgruppen als Austausch in fachlicher Hinsicht auf „Augenhöhe“? Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Betroffenenkompetenz als PatientenvertreterIn anerkannt und Ihre Patientenpräferenzen und Patientenperspektiven berücksichtigt werden? Erleben Sie die Diskussionen im G-BA, in den Unterausschüssen, in den Arbeitsgruppen als Austausch in zwischenmenschlicher Hinsicht auf „Augenhöhe“? Ihre Teilnahme im Zeitablauf betrachtend, welche Veränderungen der eigenlogischen Haltung der Leistungsanbieter/Krankenkassen konnten Sie beobachten? 6.1.2.3.5 Interviewleitfaden der Patientenvertretung auf Landes- und Bezirksebene Erzählgenerierende Eingangsfrage: Wie erleben Sie Ihre Rolle als Patientenvertreterin bzw. Patientenvertreter in den Ausschüssen? Nachfrageteil: Wie sieht die Wertschätzung der Vertreter der Leistungserbringer und Leistungsträger gegenüber den PatientenvertreterInnen aus? Wie äußert sich die Wertschätzung? Hat sich die Wertschätzung im Zeitablauf Ihrer Teilnahme, aber auch seit 2008 verändert? Wie sieht die gegenseitige Anerkennung der Mitglieder aus? Wie würden Sie die Gesprächskultur bezeichnen? Hat diese sich im Zeitablauf verändert? Welche Kompetenzen brauchen Sie für Ihre Arbeit in den Ausschüssen? Wie erleben Sie die „interne Raumordnung“ der Treffen? Wo sitzen Sie? Hat Ihre Sitzplatzposition Einfluss auf Ihre Rolle als PatientenvertreterIn? Erleben Sie die Diskussionen auf „Augenhöhe“? Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Betroffenenkompetenz als PatientenvertreterIn anerkannt und Ihre Patientenpräferenzen und Patientenperspektiven berücksichtigt werden? Was motiviert Sie, Ihr Amt als PatientenvertreterIn, das ja ein Ehrenamt ist, auszuüben? 6.1.2.4 Gruppendiskussion Da die Gruppendiskussion der auf Landesebene Engagierten zeitlich nach den Einzelinterviews erfolgte, wurde das Verfahren der Focus Groups (Schulz/Mack/ 1

Vgl. Holtkamp 2015, 189. Vgl. Köster 2005, 82, 85.

2

90

6. Empirische Explorationen

Renn 2012) angewandt. Ein Kombinationsverfahren, das insbesondere bei Validierungen von Ergebnissen verwendet wird. Die Diskursorganisation, bzw. die Interaktionsprozesse der Beteiligten waren nachrangig (Bohnsack/Przyborski/Schäffer 2010, 8). Moderiert wurde die Gruppendiskussion von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin auf Grundlage eines mit Unterstützung des Projektteams ausgearbeiteten Moderationsleitfadens.

Literatur Bischoff, C./Oehme-Jüngling, K./Leimgruber, W. (Hrsg.) (2014): Methoden der Kulturanthropologie. Bern: UTB. Bohnsack, R. (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. 9. Aufl. Opladen: Budrich. Bohnsack, R./Przyborski, A./Schäffer, B. (2010): Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis. 2. Aufl. Opladen: Budrich. Burzan, N. (2015): Qualitative Methoden kompakt. Konstanz, München: UVK. Flick, U./von Kardorff, E./Steinke, I. (Hrsg.) (2010): Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch. Hamburg: Rowohlt. Fuß, S./Karbach, U. (2014): Grundlagen der Transkription. Opladen: Budrich. Gläser, J./Laudel, G. (2010): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. 4. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Glaser, B. G./Strauss, A. L. (2008): Grounded Theory: Strategien qualitativer Forschung. München: Huber. Hauser-Schäublin, B. (2003): Teilnehmende Beobachtung. In: Beer, B. (Hrsg.): Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin: Riemer, S. 33–54. Helfferich, C. (2011): Qualität qualitativer Daten. Ein Schulungsmanual zur Durchführung qualitativer Einzelinterviews. 4. Aufl. Wiesbaden: VS. Holtkamp, U. (2015): Erfahrungen aus der Arbeit beim Gemeinsamen Bundesausschuss – Ein Praxisbeispiel. In: Danner, M./Meierjürgen, R. (Hrsg.): Gesundheitsselbsthilfe im Wandel – Themen und Kontroversen. Baden-Baden: Nomos, S. 189–194. Jahoda, M./Lazarsfeld, P./Zeisel, H.  (1980): Die Arbeitslosen von Marienthal. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Köster, G. 2005, Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss. In: Esser, M. u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für Kritische Medizin 42, Hamburg: Argument-Verlag, S. 78–90. Kruse, J. (2014): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarbeit. und ergänzte Aufl. Weinheim: Juventa. Kuckartz, U. (2014): Mixed Methods, Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren. Wiesbaden: Springer VS. Lüders, C. (2010): Teilnehmende Beobachtung. In: Bohnsack, R./Marotzki, W./Meuser, M. (Hrsg.) Hauptbegriffe der Qualitativen Sozialforschung, 3. Aufl. Opladen: Budrich, S. 151–153.

6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum

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Mayring, P. (2010): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz. Niethammer, L. (1985): Die Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der Oral History. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Reichertz, J. (2013): Abduktion in der qualitativen Sozialforschung, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Schöne, H. (2005): Die teilnehmende Beobachtung als Datenerhebungsmethode in der Politikwissenschaft: methodologische Reflexion und Werkstattbericht. In: Historical Social Research 30 (1), 168–199. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-50160. Schulz, M./Mack, B./Renn, O. (Hrsg.) (2012): Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft. Wiesbaden: Springer VS. Strübing, J. (2014): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung eines pragmatischen Forschungsstils. 3., überarb. u. erw. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. Witzel, A. (1985): Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann, G. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder. Weinheim und Basel: Beltz, S. 227–256. Witzel, A./Reiter H. (2012): The problem-centred Interview. London/Thousand Oaks, Ca./New Delhi/Singapore.

6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum (Ursula Köstler/Francis Langenhorst) Teilnehmende Beobachtung zur 74. Öffentlichen Sitzung des Gemeinsamen Bundesausschusses Der öffentliche Teil der Sitzung des G-BA dauert 75 Minuten. Es wird die der Öffentlichkeit im Internet zugängliche Tagesordnung Top 1–8 vollständig abgearbeitet. Im Anschluss tagt der G-BA unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter. Die offiziellen Teilnehmer sind durch einen vorgegebenen persönlichen Sitzplatz einer Sitzordnung zugeteilt. Die Sitzordnung ist wie folgt: An der Frontseite sitzen elf MitarbeiterInnen des G-BA, darunter die drei unparteiischen, stimmberechtigten (hauptamtlich tätigen) Mitglieder, unter ihnen der Vorsitzende. An der rechten Seite nehmen die Vertreter der Leistungserbringer Platz (18 Plätze, zwei nicht erschienen). An der gegenüberliegenden linken Seite sitzen die VertreterInnen der GKV (18 Plätze, vier nicht erschienen). Gegenüber der Frontseite sind die PatientenvertreterInnen (zehn Plätze, zwei nicht besetzt). Hinter der Frontseite, etwas erhöht sitzen vier Protokollanten. Die zutrittsberechtigten Besucher können ab Einlass der Sitzung bis zum Ende der öffentlichen Sitzung in den räumlich für die Besucher

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6. Empirische Explorationen

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) Gremium nach § 91 SGB V

3 unparteiische Mitglieder davon 1 Vorsitzender

5 Vertreter der GKV

5 Vertreter der

GKV-Spitzenverband

Plenum Leistungserbringer DKG, KBV, KZBV

5 Patientenvertreter

Entscheidungsvorbereitung

9 Unterausschüsse Quelle: Eigene Darstellung nach: Gemeinsamer Bundesausschuss (2016), S. 21.

Sitzordnung Plenum G-BA

festgelegten Teil des Sitzungsraumes teilnehmen (Stuhlreihen ohne Tische hinter einem Absperrband). Die Beobachtungen wurden aus dieser Perspektive geführt. Kurz vor 11 Uhr kommen die Plenumsmitglieder einzeln oder bereits in kleinen Gruppen (augenscheinlich in der Gruppierung ihrer jeweiligen Zuordnung der Vertretung) in den Sitzungssaal. Kommt ein Mitglied zur jeweiligen Seite, begrüßt es der Reihe nach die jeweils schon anwesenden Mitglieder der Seite. Die PatientenvertreterInnen fangen an, beginnend mit den VertreterInnen der Leistungserbringer, anschließend den Unparteiischen, dann den VertreterInnen der GKV, der Reihe nach die Hände zu schütteln – machen so die Runde einmal um das TischeRechteck. Um 11:05 Uhr beginnt die Sitzung, der Vorsitzende hat das Wort. Die Sitzung verläuft nach einem starren Protokoll, nicht nur der Form der Tagesordnung nach, sondern der verwendeten Wortwahl nach. Vereinzelt macht der Vorsitzende Bemerkungen, die ironisch gefärbt sind, vermutlich aber das Ziel haben, die Stimmung aufzuheitern. Dabei sind keine Zielrichtungen auf bestimmte Personen oder Gruppen zu beobachten, sondern meist beziehen die Bemerkungen sich auf seine eigene Person als Vorsitzender (dass er die Stimme schonen muss,

6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum

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da er noch weitere Sitzungen am Tag hat, dass er sich freut, dass die anderen ihre Freude zum Ausdruck über seine Freunde bringen). Der Vorsitzende begrüßt die Vertreter mit der Betitelung „Bänke“  – er benennt diese nicht als Vertreter der GKV bzw. der Leistungserbringer. Dann werden die PatientenvertreterInnen begrüßt – hier Wortwahl „Patientenvertreter“. In Top 2–7 werden Formalia (Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Einladung, Genehmigung der Tagesordnung etc.) – gleichlaufend wie bei einer Vereinssitzung, stereotyp abgearbeitet. In dieser Phase scheint das Wort des Vorsitzenden nicht mit großer Aufmerksamkeit verfolgt zu werden, die meisten Personen kümmern sich um Kaffee/Getränke, kramen Papiere zurecht oder bereiten ihre Notebooks vor, jeder „kramt“ so vor sich hin. Top 8 umfasst die Beratungsgegenstände der Unterausschüsse. Das Prozedere läuft gleichlaufend in drei Schritten – was formale Struktur, aber auch die Wortwahl angeht – ab: (1) Zunächst stellt der Vorsitzende den dem Beschluss zugrunde liegenden Sachverhalt dar. (2) Dann fragt der Vorsitzende die PatientenvertreterInnen nach deren Meinung. Die PatientenvertreterInnen antworten: „Die Patientenvertretung trägt den Beschluss mit“, „Wir tragen das auch weiterhin mit“. Ab und zu kommentieren die PatientenvertreterInnen und weisen auf ihren Einfluss im Rahmen der Prozessfindung, die der Abstimmung des Sachverhaltes vorausging, hin: „Für uns ist das ein sehr erfreulicher Beschluss, da dieser auf Antrag der Patientenvertretung erfolgt.“ (3) Und schließlich ruft der Vorsitzende zur Abstimmung, und stellt fest: „5, 3, 5 – also einstimmig“ (Es gibt ausschließlich einstimmige Abstimmungen). Betreffend die Achtsamkeit der Mitglieder sind die PatientenvertreterInnen voll konzentriert und jeweils der/die Patientenvertreter/Patientenvertreterin antwortet dem Vorsitzenden (bei der routinemäßigen Frage nach Zustimmung vor der jeweiligen Abstimmung), der/die für den jeweiligen Unterausschuss zuständig ist, über deren Abstimmungssachverhalte es gerade geht. Unruhe ist bei den Vertretern der GKV zu beobachten, hier verlassen einige kurzzeitig (i. d. R. max. vier Minuten) den Raum (holen sich zu essen vom vor dem Sitzungsraum aufgebauten Buffet) oder reden miteinander. Dies insbesondere im vorderen linken Bereich an der Ecke zu den Sitzplätzen des G-BA, in dem die direkten VertreterInnen des GKV-Spitzenverbandes sitzen. Diese „Gespräche“ werden sehr ruhig und unauffällig geführt, ebenso werden wortlose Gesten ausgetauscht, z. B. fordert ein Mitglied ein anderes, das drei-vier Sitzplätze entfernt sitzt, mit einer Kopfbewegung auf, gemeinsam den Raum zu verlassen. Die Sitzanordnung bei den Leistungserbringern ist nicht direkt zu erkennen, doch sitzen hier die stimmberechtigten eher mittig in der Sitzreihe verteilt, der Hauptgeschäftsführer der DKG direkt in der Mitte. Bei den VertreterInnen der Leistungserbringer telefoniert jemand zu Beginn der Sitzung (nicht bei Top 8). Einer steht auf, geht zu jemanden aus der Gruppe und spricht mit ihm. Auch hier gibt es ledig-

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6. Empirische Explorationen

lich zwei-dreimal ein kurzes Statement zu einem Punkt, in der Form: „Wir begrüßen die Abstimmung“ oder in Form des Lobes zum Funktionieren der Selbstverwaltung bei Top 8.3.3: „gutes Beispiel für das Funktionieren der Selbstverwaltung, unbürokratisch und unkompliziert.“ Insgesamt sind auf der Seite der Leistungserbringer weniger Unruhe und Interkationen zu beobachten, die Aufmerksamkeit kann nicht wirklich beurteilt werden, da fast jedes Mitglied entweder auf einen Notebookbildschirm oder in Papieren liest/blättert, deren Inhalt mutmaßlich zur Sitzung gehört, aber schlussendlich verborgen bleibt. Dies trifft zudem ebenfalls auf die untere Hälfte der GKV-Mitglieder statt, die sich ebenfalls viel ruhiger verhält. Die PatientenvertreterInnen haben ebenso größtenteils ein Notebook auf dem Tisch sowie Unterlagen. Zum Schluss wird dann verkündet, dass der öffentliche Teil der Sitzung abgeschlossen ist und für die Besucher wird deutlich, nun den Sitzungssaal zu verlassen. Dies geschieht ruhig und gemächlich, die Mitglieder bleiben überwiegend sitzen, reden ein wenig und scheinen dankbar der kleinen „Abwechslung“ bzw. Pause. Einige, ca. 6–7 Mitglieder (nicht stimmberechtigte ihrer „Bank“) verlassen mit den Besuchern den Sitzungssaal und widmen sich bereits dem Mittagsbuffet, sitzen dort am Tisch zusammen. Im Anschluss an die teilnehmende Beobachtung sind wir, die Beobachter, nochmals genau die Sitzung durchgegangen und alles Offensichtliche (Sitzordnung etc.) aber eben auch das Erfahren und Wahrnehmen von Stimmungen, der Atmosphäre wurde ausgetauscht. Hier ist eine große Übereinstimmung festgestellt worden. Besonders war die eigentliche „Enttäuschung“, dass es offensichtlich, zumindest während der öffentlichen Sitzung, keinerlei Abweichung vom Protokoll oder bspw. eine Diskussion oder gar ein Konfliktpotential zu einem Thema gegeben hat. Das Ganze wirkte wie eine Inszenierung und jeder hat seine Rolle (gut gespielt). Beispielhafte Fotos auf der Homepage des G-BA unter: https://www.g-ba.de/ institution/presse/fotos/plenum/n). Zusammenfassung Die Plenumssitzung verläuft nach einem starren Protokoll, sowohl der Form der Tagesordnung als auch der verwendeten Wortwahl nach. Überlegenswert ist, ob diese als stereotyp zu bezeichnende, einer Inszenierung gleichkommende Darbietung, der Tatsache unterzuordnen ist, dass es sich um den öffentlichen Teil einer Sitzung des G-BA handelt. Bei den PatientenvertreterInnen ist die Teilnahme als sehr konzentriert (keine internen Dialoge in der Gruppe beobachtbar, kein Verlassen der Sitzung) zu bezeichnen; bei den VertreterInnen der GKV und den der Leistungserbringer sind kurze Einzelgespräche mit anderen Gruppenmitgliedern, das kurzzeitige Verlassen des Sitzungsraumes und kurze Telefongespräche beobachtbar. Zu bedenken ist, dass zuvor stehende Beobachtung u. U. auch der Persönlichkeit des jeweiligen Vertreters/der Vertreterin zuzuordnen ist.

6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum

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Teilnehmende Beobachtung zur 81. Öffentlichen Sitzung des Gemeinsamen Bundesausschusses Angesetzt waren für die gesamte Sitzung drei Stunden, also 180 Minuten. Dieser Zeitrahmen wird für den öffentlichen Teil der Sitzung überschritten; der dauert 200 Minuten. Es wird die der Öffentlichkeit im Internet zugängliche Tagesordnung Top 1–8 vollständig abgearbeitet. Im Anschluss tagt der G-BA unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter. Die offiziellen TeilnehmerInnen sind durch einen vorgegebenen persönlichen Sitzplatz einer Sitzordnung zugeteilt. Die Sitzordnung ist bekannt und wie folgt: An der Frontseite sitzen elf Mit­ arbeiter des G-BA, darunter die drei unparteiischen, stimmberechtigten (hauptamtlich tätigen) Mitglieder, unter ihnen der Vorsitzende. Auf der einen Seite nehmen die VertreterInnen der Leistungserbringer Platz (18 Plätze, sieben nicht erschienen). An der gegenüberliegenden Seite sitzen die VertreterInnen der GKV (18 Plätze, sieben nicht erschienen). Gegenüber der Frontseite sind die PatientenvertreterInnen (elf Plätze besetzt). Hinter der Frontseite, etwas erhöht sitzen vier Protokollanten. Die zutrittsberechtigten Besucher können ab Einlass der Sitzung bis zum Ende der öffentlichen Sitzung im räumlich für den Besucher festgelegten Teil des Sitzungsraumes Platz nehmen. Die Beobachtungen wurden aus dieser Perspektive geführt. Kurz vor 11 Uhr kommen die Plenumsmitglieder einzeln oder bereits in kleinen Gruppen in den Sitzungssaal. Kommt ein Mitglied zur jeweiligen Seite, begrüßt es der Reihe nach die jeweils schon anwesenden Mitglieder der Seite. Um 11 Uhr sind auf der Seite der VertreterInnen der GKV erst fünf besetzt. Der Vorsitzende fragt nach, um 11:08 kommen weitere fünf VertreterInnen der GKV, zuletzt kommt das stimmberechtigte Mitglieder der VertreterInnen der GKV und der Vorsitzende eröffnet die Sitzung. Die Sitzung verläuft nach bekanntem starrem Protokoll, nicht nur der Form der Tagesordnung nach, sondern der verwendeten Wortwahl nach. Der Vorsitzende begrüßt die VertreterInnen der GKV bzw. der Leistungserbringer mit der Betitelung „Bänke“. Dann werden die PatientenvertreterInnen begrüßt  – hier Wortwahl „Patientenvertreter“. Die Sitzung ist durchzogen von vereinzelten Bemerkungen des Vorsitzenden, die ironisch gefärbt sind, vermutlich aber das Ziel haben, die Stimmung aufzuheitern, tlw. betont der Vorsitzende: „das war jetzt nicht fürs Protokoll“. In Top 2–7 werden Formalia (Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Einladung, Genehmigung der Tagesordnung etc.) – abgearbeitet. Die Aufmerksamkeit der meisten Personen richtet sich nach Kaffee/Getränke, Papiere werden geordnet, Notebooks werden hervorgeholt. Es herrscht eine Phase des Wartens und Vorbereitens auf den Top 8 Öffentliche Beratung und ggf. Beschlussfassung zu Beratungsgegenständen gemäß § 9 Abs. 1 Geschäftsordnung.

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6. Empirische Explorationen

Mit Top 8 beginnt die volle Konzentration im Saal. Top 8 umfasst die Beratungsgegenstände der Unterausschüsse. Das Prozedere läuft gleichlaufend in den bekannten drei Schritten – was formale Struktur, aber auch die Wortwahl angeht – ab: (1) Vorstellen des zugrunde liegenden Sachverhalts seitens des Vorsitzenden. (2) Anfragen der Patientenvertretung nach deren Meinung seitens des Vorsitzenden. Die Patientenvertretung antwortet: „Die Patientenvertretung trägt den Beschluss mit.“ „Wir tragen das auch weiterhin mit.“ (3) Aufruf zur Abstimmung seitens des Vorsitzenden und stellt fest: „5, 3, 5 – also einstimmig“. Oder: „5, 3“, Gegenstimmen? „2“, Enthaltungen „3“. Zu einigen Änderungen gibt es Anlagen, die den Sitzungsteilnehmern vorliegen und die lebhaft diskutiert werden. Zunächst fasst der Vorsitzende den Sachverhalt, auf den die Anlage fußt, kurz zusammen. Dann legt der Vorsitzende seine Position dar, dabei betont er, dass dies seine persönliche Meinung ist. Die Diskussion wird eröffnet. Mittels Handzeichen melden sich die VertreterInnen der GKV bzw. Leistungserbringer zu Wort. Der Vorsitzende erteilt das Wort. Der/die Vertreter/ Vertreterin der GKV legt, betont höflich in der Wortwahl, die Position der GKV dar. Der Vorsitzende widerspricht dem Dargelegten und wiederholt seine Meinung. Der Patientenvertreter, der für die diskutierte Anlage zuständig ist, legt die Position der Patientenvertretung in seiner Funktion als Funktionär dar. Der Vertreter der DKG macht seine Position klar. Es entsteht eine Diskussion in mehreren Schleifen, bei der die Patientenvertretung sich immer wieder per Handzeichen einbringt oder direkt vom Vorsitzenden zur Stellungnahme aufgefordert wird. Im Anschluss an die Diskussion der Anlagen leitet der Vorsitzende das Abstimmungsprozedere ein. Auffallend bei den Diskussionseinheiten ist, dass die VertreterInnen der Bänke sich gegenseitig mit Sticheleien bedenken und damit in ein Niveau des Vertrautheit eintauchen, derart: Man kennt sich, weiß um die Position des anderen aus vorherigen Sitzungen und Begegnungen. So sagt der Vertreter der KBV: „Die GKV argumentiert formal, wir argumentieren inhaltlich.“ Die kleinen ironisch beladenen Bemerkungen und Sticheleien vollziehen sich ausschließlich zwischen den VertreterInnen der Bänke untereinander und dem Vorsitzenden gegenüber. Die Patientenvertretung wird darin nicht tangiert und beteiligt sich nicht an diesen Sprachkonstrukten; was dazu führt, dass die Patientenvertretung in diesen Augenblicken ausgeschlossen wird. Wenn es beim Gebrauch von Ironie um die Semantik des Satzes geht, also eine intelligente Erfassung des Gesagten unterstellt wird, kann angenommen werden, dass dieses Abgrenzen der Bänke durch dieses Sprachmittel bewusst eingesetzt wird. Dann wird die Patientenvertretung exkludiert; oder aber die Patientenvertretung exkludiert sich selbst, indem sie nicht das Stilmittel der Ironie nutzt. Unter Umständen will die Patientenvertretung das Stilmittel bewusst nicht nutzen, da dessen Nutzung eine allen TeilnehmerInnen bewusste Position: „Was und wer ist die Patientenvertretung, und durch welche Merkmale kann diese beschrieben werden.“ voraussetzt. Betreffend die Achtsamkeit der Mitglieder sind die PatientenvertreterInnen voll konzentriert und jeweils der Patientenvertreter/die Patientenvertreterin antwortet

6.2 Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Plenum

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dem Vorsitzenden (bei der routinemäßigen Frage nach Zustimmung vor der jeweiligen Abstimmung), der/die für den jeweiligen Unterausschuss zuständig ist, über deren Abstimmungssachverhalte es gerade geht. Bei den VertreterInnen der Bänke ist mehr Unruhe zu beobachten, Personen stehen auf, gehen kurz heraus, gehen zu Mitstreitern, um diesen etwas zuzuflüstern. Zum Schluss wird dann verkündet, dass der öffentliche Teil der Sitzung abgeschlossen ist und für die Besucher wird deutlich, nun den Sitzungssaal zu verlassen. Dies geschieht ruhig; die Mitglieder bleiben überwiegend sitzen, reden ein wenig und scheinen dankbar der kleinen Pause. Im Anschluss an die teilnehmende Beobachtung sind wir, die Beobachter, nochmals genau die Sitzung durchgegangen und alles Offensichtliche (Sitzordnung etc.) aber eben auch das Erfahren und Wahrnehmen von Stimmungen, der Atmosphäre wurde ausgetauscht. Hier ist eine große Übereinstimmung festgestellt worden. Das Besondere an dieser Sitzung ist, die oft lebhaft geführte Diskussion der Anlagen zu den verschiedenen Rechtsverordnungen. Zusammenfassung Die Plenumssitzung verläuft nach einem starren Protokoll, sowohl der Form der Tagesordnung als auch der verwendeten Wortwahl nach. Das Besondere an dieser Sitzung ist die oft lebhaft geführte Diskussion der Anlagen zu den verschiedenen Rechtsverordnungen. Der Kommunikationsprozess wird bei diesen Diskussionen komplexer, denn er wird von ironisch gefärbten Bemerkungen seitens der VertreterInnen der GKV bzw. Leistungserbringer sowie des Vorsitzenden begleitet. Die sprachlichen Sticheleien nehmen die Patientenvertretung aus, auch beteiligt sich die Patientenvertretung nicht daran. Dies entlässt die Patientenvertretung betreffend dieses Kommunikationswerkzeugs der Ironie in die Position eines Außen­ stehenden. Und die VertreterInnen der GKV bzw. Leistungserbringer formieren sich in diesen Augenblicken zu einem exklusiven, exkludierenden Club.

Literatur Gemeinsamer Bundesausschuss (2016): Geschäftsbericht 2015. Berlin.

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6. Empirische Explorationen

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene (Ursula Köstler) Aufgrund des geringen Rücklaufsamples, N= 18, wurden die Antworten in eine Exceltabelle übertragen, die dann Grundlage der Auswertung war.3 6.3.1 Rollenmuster der Patientenvertretung in den Ausschüssen Die Patientenvertretung ist eine black-box für NeueinsteigerInnen Der überwiegende Teil der Befragten konstatiert, dass er/sie keine oder wenig konkrete Vorstellungen hatte, was auf ihn/sie mit der Benennung als Patienten­ vertreterIn in den Ausschüssen konkret zukommt. „Keine, ich wurde quasi hinein­ geworfen.“ (I, 7) „Keine – wir waren die Ersten und wurden ins kalte Wasser geschmissen.“ (I, 14) „Fast keine, musste mir alles anlesen.“ (I, 15) „Ich hatte keine konkrete Vorstellung über die alltägliche Arbeit im Unterausschuss, da mir der G-BA nur in seiner normativen, rechtlichen Struktur bekannt war.“ (I, 8) sind Antworten auf die Frage: Welche Erzählungen kannten Sie über die Arbeit im Unterausschuss, als sie zur PatientenvertreterIn benannt wurden? Andere Befragte berichten von Erzählungen, die das große Arbeitspensum, den hohen Zeiteinsatz der PatientenvertreterInnen, aber auch das Ungleichgewicht zwischen der Patientenvertretung, den Leistungserbringern und Leistungsträgern beschreiben: „Es geht oft hoch her, verbunden mit viel Lese- und Vorbereitungsarbeit, wir müssen uns unseren Platz erkämpfen.“ (I, 3) „Von Selbstverwaltern, tausende Seiten Unterlagen, unmöglich sich maßgeblich zu beteiligen.“ (I, 12) „Viel Einlesen, Fachwissen zu einzelnen Themen notwendig.“ (I, 17) „Bänke und Patientenvertretung sind nicht gleichwertig. Patientenvertretung muss für ihre Anträge immer eine Bank (GKV, KBV, KZBV) überzeugen. G-BA Struktur im Unterausschuss ist nicht patientenvertretungsorientiert, nur wenn es passt.“ (I, 4) Keine gleichwertigen Ausschussmitglieder Sind die Befragten dann mit der Arbeit in den Ausschüssen vertraut, erleben sich die befragten PatientenvertreterInnen überwiegend nicht als gleichwertiges Ausschussmitglied. Zwölf Befragte antworten mit Nein, sechs mit Ja, dabei wird ein 3

Die nachfolgenden Zitate dienen als Ankerbeispiele; kursiv geschriebene Wörter wurden von den Befragten im Fragebogen in Anführungsstrichen gesetzt; die Zahlen am Ende der Zitate geben die Quelle im ausgefüllten Fragebogen wieder – die römische Zahl bezieht sich auf den Befragungsteil des Fragebogens, die arabische Zahl ist den Befragten zugeordnet.

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene

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geschränkt: „In der Regel, Ja.“ (I, 3) „Ja, variiert je nach Unterausschuss.“ (I, 5). Insgesamt ist die Wahrnehmung der Anerkennung der Patientenvertretung stark personendominiert. Die Wahrnehmung wird einerseits gesteuert durch das personale Erlebnisprofil der/des Befragten, andererseits beeinflussen die anderen Akteure durch ihren Habitus die Atmosphäre und den Umgang der Ausschussmitglieder untereinander. Neben diesen personenbezogenen Komponenten wird eine Dominanz evidenzbasierter Argumentationspfade zu Lasten lebensweltlicher Argumente in der Diskussion um Therapien berichtet: „evidenzbasierte medizinische Studien sind die Instrumente der Erkenntnisgewinnung, nicht das Leben der Patienten“ (I, 7). Anerkannte Ausschussmitglieder Die PatientenvertreterInnen erleben in den Ausschüssen eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung, die gerahmt wird durch die Verfahrens- und Geschäftsordnung des G-BA, denn „bei Beschlussvorlagen und Protokollabstimmungen werden alle Bänke gefragt auch die Patientenvertretung.“(I, 1) Es existiert eine „ausdrückliche Positionsabfrage“ (I, 12) der Patientenvertretung seitens der bzw. des Ausschussvorsitzenden. Diese Anerkennung äußert sich mehrdimensional: Auf der Fachthemen-bezogen Dimension wird die Anerkennungskultur der Bänke davon bestimmt, ob interessengeleitete Arrangements der Bänke dominieren. Die Wertschätzung ist abhängig davon, ob die Patientenvertretung in der Diskussion die Erwartungen der Bänke erfüllt. „Die Lebenswelt der Patientenvertretung wird durchaus registriert. Sie wird aber i. d. R. nur aufgegriffen, wenn sie mit den Interessen der Bänke, die primär finanzieller Art sind, vereinbar erscheint.“ (I, 8) „Hängt davon ab, inwieweit die Patientenvertretung sich den Normen anpasst. Entspricht die Patientenvertretung den Erwartungen der Bänke, ist es ok. Entspricht sie nicht, keine Wertschätzung. D. h., eine abweichende Perspektive oder Herangehensweise, die unmittelbar der Sicht der Patientenvertretung entspricht, aber nicht den Normen der Bänke, hat keine Chance.“ (I, 7) Die Zeithorizont-bezogene Dimension zeigt, dass die Anerkennung mit der persönlichen Kontinuität der Teilnahme an den Ausschusssitzungen steigt. Von besonderer Bedeutung sind dabei persönliche, am Rande der Ausschusssitzungen geführte Gespräche, die Vertrauensprozess fördernd wirken. „Anerkennung der Sachkompetenz ist größer geworden, zum Teil finden gute Gespräche am Rande statt, die die Arbeit befördern.“ (I, 5) Die Personen-bezogene Dimension ist abhängig von den Persönlichkeiten, die in den Ausschüssen aufeinander treffen. „Nach meinem Eindruck müsste man differenzieren, so erlebe ich seitens der Ärzteschaft innerhalb der Bänke (z. B. KBV) eine gewisse Arroganz gegenüber den Patientenvertretern als medizinischen Laien.“ (I, 8)

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6. Empirische Explorationen

Wertschätzung der Patientenvertretung im Zeitablauf Die Änderung der Wertschätzung der Patientenvertretung vollzieht sich auf zwei Ebenen: Wertschätzung der Patientenvertretung über die Zeitdimension 2004 bis 2016 und Wertschätzung von PatientenvertreterInnen über den Zeitablauf ihrer Teilnahme. Die Patientenvertretung ist seit ihrer gesetzlichen Implementierung bis heute zu einer anerkannten Institution in den Ausschüssen geworden. Dazu brauchte es eine Anlaufphase des gegenseitigen Kennenlernens, denn aus den ersten Jahren wird berichtet: „Wenn eine bzw. einer von uns geredet hat, haben alle die Augen gerollt.“ (I, 6) „Anfangs wurde mir wörtlich gesagt: Wir sind selbst Patienten, wir brauchen Euch nicht. Dies hat sich geändert.“ (I, 14) „ Anfangs schienen sie genervt, wenn ich dumme Fragen stellte, inzwischen haben wir uns aneinander gewöhnt.“ (III, 14) „Die Anerkennung der Sachkompetenz ist größer geworden.“ (I, 5), es gibt „etwas mehr Verständnis für Argumente der Betroffenen.“ (III, 13) Es wird „weniger Herabschauen auf die Patientenvertretung und mehr Austausch“ (III, 12) konstatiert und „die Akzeptanz wurde zusehends besser.“ (III, 17) „Dies gilt aber nur dann, wenn die Patientenvertretung fundiert sachlich ihre Position vertritt, die von den Bänken nicht als emotional und einzelfallorientiert abgetan werden können. Dies ist – so mein Eindruck – zunehmend der Fall. Insofern ist eine zunehmende Respektierung der Patientenvertretung zu beobachten.“ (I, 8) Die Wertschätzung geht demnach einher mit einem Kompetenzzuwachs der Patientenvertretung bzw. der einzelnen PatientenvertreterInnen. Der überwiegende Teil der Befragten konstatiert, dass sich die Wertschätzung der Leistungserbringer und Leistungsträger gegenüber PatientenvertreterInnen durch die personale Kontinuität im Laufe der Mitarbeit verändert hat und zwar in Richtung erhöhter Wertschätzung. „Die Wertschätzung ändert sich, wenn Patientenvertreter kontinuierlich dabei sind.“ (I, 17) Gerade Arbeitsbeziehungen und langfristige Zusammenarbeit bilden die Grundlage für respektvollen Austausch (III, 7). Es gibt aber auch Befragte, die feststellen, „das Interesse an der Patientenver­ tretung nimmt zunehmend ab.“ (III, 11) Es existiert „mehr Ignoranz und offene Missachtung der Patientenvertretung in den Ausschüssen.“ (III, 4). Insgesamt ist auch hier zu beobachten, dass die Wertschätzung stark abhängt von den aufeinandertreffenden Persönlichkeiten, den Themen und den Interessen der Akteure. So ist „bei etlichen die Sprache anders geworden, nicht so barsch und feindlich. Manche sind ehrlich interessiert an den Erfahrungen und Meinungen der Betroffenen, andere nur insoweit als sie diese für eigene Interessen nutzen können.“ (III, 5) „ Interesse an Patientenvertretung [existiert] im Prinzip nur, wenn die Patientenvertretung in kontroversen Fragen für die eigene Position funktionalisiert werden kann.“ (III, 11)

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene

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Transportierte Normen, Werte, Rituale Die Verbesserung der Wertschätzung der Patientenvertretung im Zeitablauf zeigt sich an der Einhaltung der Verfahrensregeln bei Beschlussvorlagen und Protokollabstimmungen durch die Ausschussvorsitzende bzw. den Ausschussvorsitzenden, aber auch durch die Rituale wie „alle Bänke werden nacheinander nach der jeweiligen Meinung gefragt“ (I,  3) und durch die „persönliche Ansprache“ (I, 4) der PatientenvertreterInnen durch die Geschäftsführung. Aber auch durch „Begrüßungshandschlag“ (I, 5) in den Ausschüssen. Zusätzlich werden die Normen des Zuhörens (I, 15) und argumentatives Eingehen (I, 12) genannt. 6.3.2 Professionalisierung der Patientenvertretung Die Befragung zeigt, die PatientenvertreterInnen fühlen sich für ihre Aufgaben in den Ausschüssen ausgebildet. Das Basiswissen für die Arbeit in den Ausschüssen wird in zahlreichen Schulungen erworben. Genannt werden vorwiegend Fortbildungsangebote der Stabsstelle Patientenbeteiligung des G-BA und von Nakos, auch berufliche Fortbildungen konnten für die Arbeit in der Patientenvertretung genutzt werden. Druck zur Professionalisierung Nach dem Erleben eines Drucks zur Professionalisierung gefragt, antworten fast alle mit Ja (fünf antworten mit Nein). Warum dies so erlebt wird, lässt sich in drei Aspekte einteilen: Zunächst sind da persönlichkeitsbezogene Aspekte, die bei PatientenvertreterInnen einen Druck zur Professionalisierung erleben lassen. Es ist der persönliche Anspruch, informiert zu sein: „Sonst ist es nicht möglich, in der Diskussion zu bestehen.“ (II, 6) „Wenn wir als Patientenvertreter mitreden wollen, dann müssen wir auch Argumente auf gleicher Höhe haben.“ (II, 13) „Man möchte mit den Fachleuten auf einer Stufe stehen.“ (II, 2) „Zunächst ist es der persönliche Anspruch zur fachlichen Abstraktion. Und die Vertreter der Leistungserbringer/träger sind verhandlungstechnisch/rhetorisch häufig sehr versiert und als Hauptberufler vertrauter mit dem Inhalt der Auslegung des SGB.“ (II, 3) Weiterhin sind es fachbezogene Aspekte, die die Professionalisierung der Patientenvertretung vorantreiben. Die Arbeit erfordert Kenntnisse der Sozialgesetzbücher und deren komplexen Auslegungen: „Die Aufgaben, die der Gesetzgeber dem G-BA zunehmend zuweist (zu den bereits bestehenden) werden immer komplexer und inhaltlich schwieriger.“ (II, 8) Zudem dominiert die Sachkompetenz zunehmend die Betroffenenkompetenz: „Oft wird Fachkompetenz statt Sachkompetenz und Patientenkompetenz erwartet. Fachkompetenz scheint mehr Wert zu

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6. Empirische Explorationen

sein. Andererseits neigen manche Patientenvertreter auch selbst zur (vermeintlichen) Profilierung.“ (II, 5) „Betroffenenkompetenz verliert an Gewicht, Evaluation und Nutzenbewertung wird ausgelegt wie die Bänke wollen.“ (II, 4) Und letztendlich sind zeitbezogene Aspekte zu nennen, die das System immer mehr professionalisieren, denn die Anzahl an Terminen und Themen nimmt stetig zu. „Immer mehr Termine, immer mehr Themen und Unterlagen. Das ist teilweise ehrenamtlich nicht mehr zu schaffen, wenn man den eigenen Beruf noch ausüben will.“ (II,  10) „Die Sitzungstermine nehmen inzwischen eine solche Häufigkeit an, dass dies für beruflich tätige Patientenvertreter nicht leistbar ist.“ (II, 8). Die PatientenvertreterInnen erleben demnach eine zunehmende zeitliche Inanspruchnahme. Einerseits nimmt die Komplexität der verhandelten Themen zu und „die Themen bedürfen immer mehr umfangreicher Ausarbeitung“ (II,  16). Und „die Aufgaben, die der Gesetzgeber dem G-BA zunehmend zuweist (zu den bereits bestehenden) werden immer komplexer und inhaltlich schwieriger (II, 8). Andererseits steigen die Anzahl der Sitzungen und der Ausschüsse. Für das System erforderliche Kompetenzen Die zunehmenden Anforderungen an die Patientenvertretung führen zur Frage, welche Kompetenzen brauchen die PatientenvertreterInnen, um in den Ausschüssen eine Position der gleichwertigen Mitgliedschaft zu erlangen. Mit Hilfe einer Likertskala von sehr groß, groß, indifferent, gering, sehr gering wurde nach den Kompetenzen der Patientenvertretung gefragt: „Welche Bedeutung ordnen Sie Ihren Kompetenzen bei Ihrer Arbeit im Unterausschuss zu?“ Der Patientenkompetenz sprachen die Befragten eine sehr große und große Bedeutung zu. Lediglich drei Befragte gaben indifferent an.

Fachkompetenz hat für zwölf Befragte eine sehr große und große Bedeutung bei ihrer Arbeit in der Patientenvertretung, allerdings geben fünf Befragte indiffe­

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene

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rent an und für einen Befragten bzw. eine Befragte ist die Bedeutung von Fachkompetenz sehr gering. Sozialkompetenz hat für 15 Befragte eine sehr große und große Bedeutung, lediglich drei Befragte stehen indifferent der Bedeutung von Sachkompetenz gegenüber. Gefragt nach der Bedeutung der Demokratiekompetenz fällt auf, dass zwölf Befragte dieser eine sehr große und große Bedeutung zu ordnen, während immerhin sechs Befragte indifferent und gering angeben.

Weitere Kompetenzen werden im Bereich des mündlichen Ausdrucksvermögens genannt: Kommunikationsfähigkeit (II, 13; II, 1), Rhetorik (II, 7). Ergänzend ist Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen wichtig (II, 10). Die Fähigkeit der „Reflektion“ (II, 2; II, 6) wird zweimal genannt und umschrieben mit der Fähigkeit der „Distanzierung zwischen persönlicher und fachlicher Ebene“ (II, 4). Auch die erforderliche Fachkompetenz wird näher umschrieben: „Verständnis für klinische Studien, Reviews und Meta-Analysen“ (II, 15).

Umsetzung der per Gesetzgeber vorgesehenen Sichtbarmachung der Betroffenenkompetenz im System der Ausschüsse Die Sichtbarmachung der Betroffenenkompetenz in den Ausschüssen erachten 13 Befragte als gegeben, während vier Befragte denken, dass es nicht ausreichend Möglichkeiten gibt, personale Betroffenenpräferenzen in das professionalisierte System der Ausschüsse einzubringen. Die Frage, „Zwingt Sie das System Ihre Betroffenenperspektive zurückzunehmen?“ beantworten sechs Befragte mit Ja. Neun antworten mit Nein, eine/einer antwortet „Ja und Nein“ (II, 14) und eine/einer kommentiert: „Nein, aber man muss sich deutlich zu Wort melden und sich nicht abwimmeln lassen.“ (II, 5). (Eine Befragte oder ein Befragter gibt keine Antwort.) Gefragt nach Ideen für Verbesserung, wird der Wunsch nach einer „eigene[n] Öffentlichkeitsarbeit der Patientenvertretung“ (II, 11) genannt. Auch das Ach-

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6. Empirische Explorationen

ten darauf, dass „konsequent nach jeder Sitzung die Position der Patientenvertretung im Protokoll festgehalten [wird].“ (II, 12). Allgemein wird gefordert „mehr Augenhöhe wäre gut, doch wie?“ (II, 1). Auch die „Konzeption von Veranstaltungen, um die Betroffenenperspektive zu reflektieren.“(II, 2) Allerdings wird nicht weiter ausgeführt, ob diese Veranstaltungen alle Akteure des Systems einschließen sollen, oder auf die Mitglieder der Patientenvertretung beschränkt bleiben sollen. Auch das Stichwort „Mediation“ (II, 6) wird genannt. 6.3.3 Funktion und Bedeutung der Stabsstelle Patientenbeteiligung Auf der Internetseite werden die Aufgaben der Stabsstelle Patientenbeteiligung wie folgt dargelegt: „Die Stabsstelle Patientenbeteiligung organisiert zahlreiche Fortbildungen und Schulungen zu Themenbereichen wie Arzneimittel- und Methodenbewertung, Qualitätssicherungsverfahren, Bedarfsplanung oder zu Grundsatzfragen der evidenzbasierten Medizin. Dadurch können sich die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter mit den Strukturen und dem Verfahren des G-BA vertraut machen und ihren Einfluss stärken. Darüber hinaus unterstützt die Stabsstelle Patientenbeteiligung die maßgeblichen Patientenorganisationen sowie die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter auch inhaltlich bei der Ausübung des Mitberatungs- und Antragsrechts im G-BA durch methodische, medizi­ nische und rechtliche Beratung und Zuarbeit.“ (https://patientenvertretung.g-ba.de). Mit dieser Darstellung formuliert die Stabsstelle Patientenbeteiligung ihr Aufgabenspektrum zweigeteilt. Zum einen in der Organisation und Durchführung der Schulung und Fortbildung der PatientenvertreterInnen und zum anderen in der aktiven Unterstützung der PatientenvertreterInnen bei deren Arbeit in den Ausschüssen. Die Frage nach der Bedeutung der Stabsstelle Patientenbeteiligung wurde anhand von Likertskalen abgefragt.

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene

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Gefragt wurde nach der Bedeutung der Stabsstelle Patientenbeteiligung als Informationsbasis (mögliche Antworten waren: sehr groß, groß, indifferent, gering, sehr gering). Für 15 Befragte hat die Stabsstelle eine sehr große und große Bedeutung, der Rest verteilt sich auf die Antwortmöglichkeiten indifferent, geringe und sehr geringe Bedeutung. Bei der Frage, ob die Stabsstelle Patientenbeteiligung ein Kommunikations­ forum darstellt, sahen 14 Befragte eine sehr große und große Bedeutung. Nach der Bedeutung der Stabsstelle Patientenbeteiligung als Basis für den Austausch mit Gleichgesinnten gefragt, gewichten dies elf Befragte als sehr groß und groß. Insgesamt wird der Stabsstelle eine hohe und bedeutende Kompetenz zuge­ sprochen. Die Mitarbeiterinnen werden von der Patientenvertretung geschätzt für ihre „Hilfe bei juristischen Fragen“ (II, 17), „Hilfe bei Formulierungen“ (II, 5), „Strategieberatung (II, 8), „Unterstützung bei Forderungen“ (II, 6). Dabei „vermittelt [die Stabsstelle] Systemkompetenz, berät bzgl. der Strategie, berät bei hochkomplexen juristischen Sachverhalten, die einen wesentlichen Teil der Diskussion im G-BA ausmachen.“ (II, 7) Nur ein Befragter oder eine Befragte fühlt sich von der Stabsstelle nicht unterstützt.

6.3.4 Erlebniswelten in den Ausschüssen Die stichpunktartig beschriebenen atmosphärischen Eindrücke der Befragten in den Ausschüssen zeigen: eine von Person, Thema und Interessensposition geleitete Gesprächskultur, eine Diskussionskultur in fachlicher Hinsicht überwiegend auf Augenhöhe und erlebte Defizite beim Austausch in zwischenmenschlicher Ebene. Weiterhin wird eine Diskrepanz zwischen Lebenswelt und Fachwelt wahrgenommen.

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6. Empirische Explorationen

Facetten der Gesprächskultur Die Wertschätzung der Akteure in den Ausschüssen wird durch die Gesprächskultur transportiert. Dabei ist die Gesprächskultur abhängig von den behandelten Themen, den beteiligten Personen und stark geprägt von formalisierten Begriffen. Die Gesprächskultur in den Ausschüssen wird als sehr unterschiedlich beschrieben als „abhängig vom Thema und von Personen“ (I, 1), „von sachlich und zugewandt bis hin zur reinen Interessenvertretung“ (I, 2) und als „abhängig von den Personen, die in einem Unterausschuss sind“ (I, 17). Zwei Dimensionen der Gesprächskultur werden deutlich: Gesprächskultur als Umgangsform und die Gesprächskultur als Element der Interessenvertretung. Die Gesprächskultur als Umgangsform in den Ausschüssen wird als „partnerschaftlich“ (I, 16), „respektvoll“ (I, 8), „man hört sich zu“ (I, 14) beschrieben. Die Gesprächskultur wird aber auch als strategisches Element der Interessendurchsetzung seitens der Leistungsanbieter und Leistungsträger von den PatientenvertreterInnen wahrgenommen. Dann wird sie als „formalisiert, offiziell, ritualisiert“ (I, 7), „professionell und kühl“ (I, 4) beschrieben. Und die Art der Gesprächsführung wird als Element der Zielerreichung der Leistungserbringer und Leistungsträger erlebt: „In vielen Fällen ist es aber offensichtlich, dass ausschließlich interessengeleitete Arrangements finanzieller Art nicht offengelegt werden, sondern hinter vermeintlich sachlichen (z. B. medizinischen, verfahrenstechnischen) Argumenten versteckt werden.“ (I, 8). Dementsprechend wird berichtet: „Die Gesprächskultur ist patientenfreundlicher geworden. Aber nicht bei gegensätzlichen Positionen, da ist der Diskussionsstil der Bänke sehr wünschenswert.“ (I, 6) Diskussion in fachlicher Hinsicht auf Augenhöhe Bei den Diskussionen in den Ausschüssen wird der gegenseitige Austausch in fachlicher Hinsicht überwiegend auf Augenhöhe erlebt. Vorausgesetzt die Patientenvertretung verfügt über fundierte Fachkompetenz: „Ja, wenn man rechtlich fundiert argumentiert, wird man auch respektiert.“ (III, 8) Diskussion auf zwischenmenschlicher Ebene nicht durchgängig auf Augenhöhe Die Frage, ob die Diskussionskultur in zwischenmenschlicher Ebene auf Augenhöhe erlebt wird, verneint die Hälfte der Befragten. Auch hier ist das Erleben abhängig von den Personen und Themen in den Ausschüssen (III, 5).

6.3 Auswertung der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene

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Fachwelt trifft Lebenswelt Der Frage „Welche Assoziationen verbinden Sie mit der Aussage Die G-BA Welt und die tatsächliche Versorgung im Gesundheitswesen werden als zwei Welten erlebt?“ wird überwiegend zugestimmt (III, 12; III, 16; III, 17, III, 7; III, 10) und es wird betont, „Theorie und Praxis liegen weit auseinander.“ (III, 18) Denn „im G-BA geht es um Geld bzw. Rechtstitel. Versorgungsrealitäten werden regelmäßig mit Verweis auf bürokratische Hindernisse zurückgewiesen.“ (III, 12) Eine Befragte bzw. ein Befragter ergänzt: „Stimmt. Aus der Beratungserfahrung von meiner Kontaktstelle ist mir der Unterschied täglich in der Beratung sehr bewusst.“ (III, 4)

6.3.5 Soziokulturelles: Wer sind die Befragten? Von den Befragten sind zehn als ständige PatientenvertreterInnen engagiert, davon sind sieben zusätzlich als themenbezogene PatientenvertreterInnen tätig. Die anderen acht beteiligen sich als themenbezogene PatientenvertreterInnen. Lediglich vier Befragte geben an, dass sie sich nicht aus der Position der Betroffenenkompetenz engagieren; und das sind nicht die vier Befragten, die angeben als Funktionär/Funktionärin tätig zu sein; von denjenigen, die angeben als Funktionär/Funktionären tätig zu sein, geben alle an, auch betroffen zu sein. Hier hat die im Fragebogen gewählte Fragestellung u. U. zu Missverständnissen geführt. Die PatientenvertreterInnen verfügen über höhere Bildungsabschlüsse. Bis auf zwei Befragte haben alle mindestens das Fachabitur abgelegt. Die angegebenen Berufe sind im Gesundheitswesen, in juristischen und pädagogischen Berufs­ feldern. Dies spiegeln auch die angegebenen Kompetenzen, die für die Patientenvertretung als erforderlich angesehen werden, wider. Die Hälfte der Befragten ist noch im Berufsleben, die anderen befinden sich im Ruhestand.

6.3.6 Skizzierung von Benchmarks der teil-standardisierten Befragung auf Bundesebene Im Folgenden werden die Ergebnisse des Fragebogens vor den bei unserer Literaturrecherche zur Patientenvertretung offengelegten Einblicken kurz gebündelt. Wie in der Literaturstudie in Kapitel 4. dargelegt, existiert erst eine übersichtliche Anzahl an Literaturquellen zur Arbeit der Patientenvertretung in den Ausschüssen des G-BA:

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6. Empirische Explorationen

(1) Die PatientenvertreterInnen erleben sich nicht als gleichwertige Ausschuss­ mitglieder, dennoch nehmen sich die PatientenvertreterInnen als anerkannt wahr. Dabei hat sich die Anerkennung der Patientenvertretung bei den Leistungserbringern und Leistungsträgern im Zeitablauf der Jahre 2004 bis 2016 durch ein gegenseitiges Kennenlernen und Erleben entwickelt und etabliert. (2) Die Gesprächskultur in den Ausschüssen ist stark personenbezogen und variiert in Abhängigkeit von den Persönlichkeiten und Charakteren, die in den Sitzungen aufeinandertreffen. Weiterhin obliegt die Gesprächskultur Handlungscodes, gerade wenn die Gesprächskultur als Element der Interessenvertretung von den Akteuren eingesetzt wird. (3) Die PatientenvertreterInnen sehen sich einer zunehmenden Professionalisierung ausgesetzt, die sich durch gesteigerte Erfordernisse (Zeitbudget, Ausschusspräsenz, Kompetenzen) an die Patientenvertretung äußert. (4) Die Stabsstelle Patientenbeteiligung hat eine sehr wichtige Bedeutung für die Unterstützung der PatientenvertreterInnen. (5) Die Erlebniswelten sind stark bestimmt von der Diskrepanz zwischen Fachwelt und Lebenswelt. Insgesamt geben die Ergebnisse der schriftlichen Befragung Einblicke in die Wirkungsdimensionen der Patientenvertretung und in die Handlungscodes der beteiligten Akteure in den Ausschüssen. Aufgrund des geringen Rücklaufs, N=18, werden in einem nächsten Schritt die hier formulierten Benchmarks in leitfadengestützten Interviews mit PatientenvertreterInnen diskutiert und vertieft.

6.4 Auswertung der qualitativen Interviews auf Bundesebene sowie Auswertung des Interviews mit der Stabsstelle im G-BA (Ursula Köstler) Die nachfolgenden Ergebnisse sind explorativ. Es wurden zehn PatientenvertreterInnen, die auf Bundesebene aktiv sind oder aktiv waren, befragt.4 Ergänzend wurde ein Telefoninterview mit der Stabsstelle Patientenbeteiligung geführt.

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An dieser Stelle möchten wir ein großes Dankeschön an alle Befragten der Bundesebene richten. Ohne ihre Bereitschaft zu den teils sehr offenen Gesprächen wäre dieses Forschungsprojekt nicht realisierbar gewesen. Wir haben interessante Einblicke in die Arbeit der Patientenvertretung, die von äußerst zeitintensivem Engagement geprägt ist, erhalten.

6.4 Auswertung der qualitativen Interviews auf Bundesebene 

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6.4.1 Rolle der Patientenvertretung 6.4.1.1 Per Gesetz zugedachte Rolle Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 konstituierte mit dem Inkrafttreten des § 140 f SGB V die Wahrnehmung kollektiver Patienteninteressen auf Bundes- und Landesebene. 2012 wurde auch die Beteiligung in der Pflege eingeführt (§ 118 SGB XI, Pflegebedürftigenbeteiligungsverordnung  – PfleBeteiligungsV); so dürfen seit 2013 PatientenvertreterInnen in der Selbstverwaltung der Pflege mitberaten und bei Beschlussfassungen anwesend sein. Verhandelt wird zwischen dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene. Das Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitswesens zielt auf eine Stärkung der Patientensouveränität und der Patientenrechte die Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen. „Betroffene sollten zu Beteiligten werden.“ (Nakos 2014a, 6).5 In bestimmten Gremien erhielt die Patientenvertretung auf Bundes- und Landesebene Informations-, Anhörungs- und Mitberatungsrechte. Auf der Bundesebene ist der Gemeinsame Bundesausschuss das Entscheidungsgremium mit Richtlinienkompetenz. Der G-BA legt innerhalb des vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmens fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Die Richtlinien sind für alle gesetzlich Krankenversicherten und für alle Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung und die Krankenkassen rechtlich bindend. Weiterhin übernimmt der G-BA Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen, vertragszahnärztlichen und stationären medizinischen Versorgung. Dabei bestimmt der G-BA Vorgaben zu Behandlungsstandards, Strukturen und Abläufen für in SGB V definierte Leistungsbereiche und legt für gesetzlich geforderte Qualitätssicherungsmaßnahmen Prüfkriterien und Abläufe fest.6 Die Struktur und die Arbeitsweise des G-BA definiert § 91 ff. SGB V. Das oberste Entscheidungsgremium des G-BA ist das Plenum. Es umfasst 13 Mitglieder: drei unparteiische Mitglieder, darunter der Vorsitzende, fünf Vertreter der Leistungserbringer (Deutsche Krankenhaus Gesellschaft, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung), fünf Vertreter der Leistungsträger (GKV Spitzenverband). Zusätzlich nehmen seit 2004 fünf nicht stimmberechtigte PatientenvertreterInnen teil. Die Patientenvertretung hat im Plenum ein Mitberatungs- und ein Antragsrecht, aber kein Stimmrecht. Die Entscheidungsvorbereitung erfolgt in neun Unteraus 5

Zur Patientenbeteiligung nach § 140 f SGB V hat Nakos Informationsbroschüren herausgegeben: Nakos 2014, 2014a, 2014b. 6 Detaillierte Darstellung in: Gemeinsamer Bundesausschuss 2016, 19 f.

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schüssen, denen wiederum vorbereitende Arbeitsgruppen zugeordnet sind. Gemäß § 140 f Abs. 2 SGB V haben die maßgeblichen Organisationen beim G-BA ein Mitberatungsrecht, das auch das Recht zur Anwesenheit bei der Beschlussfassung miteinbezieht. Die maßgeblichen Organisationen für die Wahrung der Mitspracherechte wurden vom Bundesministerium für Gesundheit benannt: der Deutsche Behinderten Rat, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientinnenstellen und -initiativen, die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. Weiterhin haben die Organisationen das Recht Anträge zu stellen. Die Organisationen benennen dazu sachkundige Personen als PatientenvertreterInnen. Derzeit wird geschätzt, dass rund 250 Personen von anerkannten, bundesdeutschen Patientenorganisationen als PatientenvertreterInnen entsandt sind.7 Die anerkannten Organisationen und die PatientenvertreterInnen werden gemäß § 140 f Abs. 6 SGB V von der Stabsstelle Patientenbeteiligung organisatorisch und inhaltlich unterstützt. 6.4.1.2 Von der Patientenvertretung wahrgenommene Rolle 6.4.1.2.1 Veränderung der Rolle der Patientenvertretung im Zeitablauf Unisono wird von den Befragten konstatiert, dass sich die Rolle der Patientenvertretung im Zeitablauf von 2004 bis 2016 verändert hat. Alle Akteure haben einen Prozess des „Sich aneinander Gewöhnens“ durchlaufen. PatientenvertreterInnen berichten, dass 2004 die PatientenvertreterInnen seitens der Leistungserbringer und Leistungsträger als Eindringlinge in ein festgefügtes System wahrgenommen wurden. „Von Willkommenskultur kann zum damaligen Zeitpunkt definitiv keine Rede gewesen sein, da waren alle erstmal etwas überrascht und unangenehm berührt, dass plötzlich so Patientenvertreter da standen, die mitreden wollten.“ (11, 5–7) „Es ist sehr unterschiedlich, wie wir Anfangs wahrgenommen wurden, so von blanker Ignoranz, also einfach ignorieren bis abfällig behandeln, das passiert auch jetzt manchmal noch, dass man Geringschätzung spürt, was wollt ihr denn hier? Was habt ihr hier überhaupt zu sagen?“ (9, 9–14). „In der ganzen ersten Zeit habe ich es so empfunden, ob durch Bemerkungen einzelner Vertreter, dass sie so ein Bisschen herabgeschaut haben auf uns, also auf die Patientenvertreter. […] Insgesamt hatte man immer den Eindruck, die billigen uns eigentlich sozusagen Wissen oder fachliche Kompetenz nicht wirklich zu. Das war mein erster Eindruck, der auch das erste Jahr so weiter gegolten hat. Ich kann mich da speziell an einen Kassenvertreter erinnern, der immer mal wieder so eine Bemerkung gemacht hat, dass das alles gut und schön gemeint sein, aber man 7 Deutscher Behindertenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientinnenstellen, Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. 2014, 4.

6.4 Auswertung der qualitativen Interviews auf Bundesebene 

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würde daran auch merken, dass die Patientenvertreter nicht so richtig Ahnung haben. Diese Sache hat sich weitgehend geändert.“ (16, 27–35) „Ich hatte das Gefühl, dass man am Anfang eher etwas Furcht vor uns hatte, weil man glaubte, wir würden jetzt kommen und unsere Leidensgeschichte erzählen. Und dann merkten die mit der Zeit, da sitzen Leute, die reden gar nicht von sich, sondern die haben etwas Größeres im Sinn. Die wollen was verbessern, die haben Kenntnisse erworben. So hat sich das sehr geändert, aber ich glaube, am Anfang überwog wirklich das Gefühl, jetzt kommen auch noch Patientenvertreter, die werden hier alles aufhalten oder emotional machen, ich glaube, das waren die Bedenken am Anfang, das hat sich sehr geändert.“ (13, 4–11) Das anfängliche Misstrauen der Leistungserbringer und Leistungsträger wird damit begründet, dass die Anwesenheit der Patientenvertretung Öffentlichkeit in das vormals geschlossene System der fünf Ausschüsse (Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen, Bundesausschuss für Fragen der Psychotherapie, Koordinierungsausschuss, Ausschuss Krankenhaus), das 2004 durch den G-BA ersetzt wurde, transportiert. „Ganz am Anfang ist man uns mit sehr viel Misstrauen begegnet. Der G-BA war Öffentlichkeit überhaupt nicht gewöhnt und wir stellen, und das kann man schon auch sagen, wir stellen bis heute in einem gewissen Umfang Öffentlichkeit her. Auch wenn wir aus den Gremiensitzungen, Plenum mal abgesehen, überhaupt nicht berichten dürfen.“ (18, 25–28). Das Misstrauen hat sich durch ein gegenseitiges Kennenlernen gelegt. Die Patientenvertretung hat die ihr per Gesetz zugewiesene Rolle mit Leben gefüllt, indem sich die Patientenvertretung durch fachliche Kompetenz positioniert, mit der Betroffenenkompetenz neue Diskussionsperspektiven eingebracht und sich Anerkennung erarbeitet hat. „Das hat sich aber aus meiner Perspektive relativ schnell dann normalisiert, weil wahrgenommen wurde, dass wir da nicht irgendwelchen Quatsch erzählt haben, sondern dass das durchaus auch eine Bereicherung der Diskussion in vielen Punkten war, sodass sich zum einen so eine Selbstverständlichkeit eingestellt hat, dass ist es eben, so ist es eben, die sind halt dabei. Und zum anderen sich da schon auch in bestimmten Bereichen so eine Wertschätzung entwickelt hat.“ (11, 8–13) „Ich habe den Eindruck, dass es sich auf jeden Fall geändert hat. Natürlich in der persönlichen Wahrnehmung, weil man die Strukturen besser kennt. Das ist das eine, aber ich habe auch ansonsten den Eindruck, dass es sich geändert hat und dass die Patientenvertretung als selbstverständlicher Teil des Systems in den Arbeitsgruppen und Unterausschüssen angesehen wird, jetzt mal unabhängig davon, was man inhaltlich aufnimmt von dem, was die Patientenvertretung sagt, ist es einfach vollkommen klar in den Abläufen, dass die Patientenvertretung, dass deren Aussagen zu jedem einzelnen Thema auch mit abgefragt werden bzw. selber eingebracht werden können.“ (15, 18–24).

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6. Empirische Explorationen

6.4.1.2.2 Anerkennung der Patientenvertretung ist mehrdimensional Die Patientenvertretung hat sich über die Zeit etabliert, die Akteure haben sich aneinander gewöhnt und die Patientenvertretung wird von den Leistungserbringern und Leistungsträgern als Player im System erkannt. Es hat ein „gemein­sames Zusammenwachsen und Finden der Rolle von beiden Seiten“ (15, 99) stattgefunden. Dabei steigt die Anerkennung mit dem Grad an Systemsozialisation, die die Patientenvertretung sich erarbeitet, und zeigt sich mehrdimensional. – Die Befragung vertieft an dieser Stelle die Ergebnisse der Fragebogenauswertung. Systembezogene Dimension Die Anerkennung wird bestimmt vom Grad der Systemkompetenz und Systemadaption der Patientenvertretung, von der Fähigkeit sich die Rituale, Regeln des Systems zu eigen zu machen und diese zu nutzen. „Um Betroffenenkompetenz einbringen zu können, muss man mit dem System umgehen können, man muss strategisch taktisch mit Sitzungen umgehen können und es geht ja hier um Gesundheitspolitik.“ (2, 30–32) Fachthemen-bezogene Dimension Mittels Versiertheit in Fachthemen und Kenntnissen in juristischen Sachverhalten erarbeitet sich die Patientenvertretung Respekt bei den Leistungserbringern und Leistungsträgern. Gleichzeitig wird ein großes strukturelles Ungleichgewicht zwischen Patientenvertretung, Leistungserbringern und Leistungsträgern konstatiert. „Es ist schon so, dass man sich zusätzliches Fachwissen aneignet. Es existiert aber trotzdem ein riesen Problem. Der G-BA bekommt laufend neue Aufgaben vom Gesetzgeber, dass wir jetzt allein in diesem Jahr neun neue Arbeitsgemeinschaften bekommen haben. Und die sogar mit ganz engen Fristen versehen sind. […] In diesem Fällen sich das Fachwissen ganz schnell anzueignen, so wie alle, da haben die Ärzte und die Kassen ähnliche Probleme, aber die haben einen größeren personellen Hinterbau, die holen sich dann Fachleute dazu, die zwar die Gremien nicht kennen, aber die fachlich gut drauf sind. Das bekommen wir so nicht hin als Patientenvertretung, auch nicht aus einer guten Mischung aus themenbezogener Kompetenz und eher struktureller Kompetenz. Das ist sehr schwer für uns.“ (16, 78–88)

6.4 Auswertung der qualitativen Interviews auf Bundesebene 

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Zeithorizont-bezogene Dimension Die zeitliche Kontinuität sowohl was die Zeitdauer, die ein Patientenvertreter in Ausschüssen präsent ist, als auch die Häufigkeit, die ein Ausschuss tagt, trägt dazu bei, Anerkennung zu erlangen. „Es ist einfach was anderes, wenn man zu einer speziellen Themenstellung, zu einem Top, in einer Arbeitsgruppe alle sechs Monate mal geladen wird und dazu nur themenspezifisch was sagt, oder ob man wirklich an der ganzen Debatte beteiligt ist. Dann bekommt man natürlich auch mehr von allem mit. Das stellt natürlich auch ganz andere Anforderungen an die Patientenvertretung, das können viele auch nicht leisten. Von daher können sie manchmal auch nicht so beitragen, wie dies auf Augenhöhe nötig wäre, und das nehmen die anderen sehr schön war, sehr deutlich war.“ (9, 26–32) Eine häufige und zeitlich stetige Präsenz in einem Ausschuss geht mit zunehmender Anerkennung einher, aber auch mit Strukturwissen: „Im Übrigen gibt es noch ein Phänomen, was uns da so richtig in die Karten gespielt hat. Während wir ziemlich kontinuierlich arbeiten, ist es so, dass oft bei den Bänken sehr viel mehr Rotation ist. Also es gibt Arbeitsgemeinschaften, da ist jetzt die hundertste Sitzung so ungefähr, da weiß ich noch, was vor sechs Jahren gewesen ist. Bei denen ist aber dann niemand mehr dabei, der damals schon dabei war. Das führt natürlich dazu, dass wir das ganze Strukturwissen, wie so eine Richtlinie aufgebaut ist, was wo steht und wo es kitzlig ist, da was zu ändern, relativ gut inzwischen drauf haben.“ (16, 71–77) Und dann hat sich die Patientenvertretung selbst in ihrer Rollenfindung über die Zeit verändert. Die Patientenvertretung ist „sprachfähiger“ (15, 90) geworden und kann auch „besser mit Öffentlichkeit umgehen“ (15, 91). Personen-bezogene Dimension Die Anerkennungskultur wird bestimmt von den Persönlichkeiten, die in den Ausschüssen aufeinandertreffen. Dabei bekommt die Person des/der Ausschussvorsitzenden eine entscheidende Rolle, die Patientenvertretung auf Augenhöhe in die Ausschüsse zu integrieren. „Ich habe den Eindruck auch von der Diskussionskultur, dass sich da einiges geändert hat. Und dass auch die Geschäftsstelle, bzw. auch die Unparteiischen da ein viel stärkeres Augenmerk darauf legen, die Patientenvertretung anzuhören.“ (15, 31–33) Bei der Anerkennungskultur ist zwischen den Ebenen der Arbeitsgruppen und Unterausschüsse zu unterscheiden. Während in den Arbeitsgruppen ein offener und intensiv fachlicher Diskurs möglich ist, viele Gespräche am Rande nach und vor den Sitzungen geführt werden, überwiegt in den Unterausschüssen die System­ konformität.

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6.4.1.2.3 Strukturelles Ungleichgewicht der Akteure Aus der Rollendefinition der verschiedenen Akteure ergibt sich ein strukturelles Ungleichgewicht. Die professionellen Akteure der Leistungsanbieter und Leistungsträger bringen andere Kompetenzen, verbunden mit den Aufträgen ihrer Organisationen, mit als die PatientenvertreterInnen, die ehrenamtlich tätig sind. Selbst wenn der überwiegende Teil  der PatientenvertreterInnen aus dem beruflichen Hintergrund juristische, gesundheitspolitische, politische, medizinische Kenntnisse etc. mitbringt und sich Kenntnisse über Methoden und Studien angeeignet hat, wird eine Diskrepanz bleiben zwischen den qualifizierten, professionell mit Apparat und Hintergrundkompetenz ausgestatteten VertreterInnen der Leistungsanbieter und Leistungsträger. Dann hat die Patientenvertretung noch die zusätzliche Aufgabe „ihren Alltag zu übersetzen“ (10, 53). Die Kompetenz, die die Patientenvertretung von den anderen Akteuren unterscheidet, ist die Betroffenenkompetenz. Um diese in das System zu transportieren, müssen die Bedürfnisse der Patienten so erfasst und unter zur Hilfenahme von externem Fachwissen so formuliert werden, dass dies dann in das System der Ausschüsse eingebracht werden kann. Zusätzlich gibt es ein Ungleichgewicht innerhalb der Gruppe der Patienten­ vertreterInnen. Diejenigen, die als Funktionäre ihre Aufgaben in der Patientenvertretung in ihrem professionellen Rahmen integrieren können, zeitliche Entlastung erhalten, auf einen Verbandsapparat zurückgreifen können. Und diejenigen, die ausschließlich ehrenamtlich tätig sind, und die wenig Entlastung (derzeit: Aufwandsentschädigung, Fahrtkostenerstattung) haben. Für letztere Gruppe wird weitere Entlastung gefordert (10, 70). Gerade vor dem Hintergrund, dass ehrenamtlich tätige PatientenvertreterInnen gesundheitlich durch ihre Erkrankung eingeschränkt sein können. Die Gruppe der (Früh)Verrenteten ist bei den ehrenamtlich tätigen PatientenvertreterInnen besonders hoch; hier profitiert das System davon, dass Zeitressourcen zur Verfügung stehen und i. d. R. materielle Sicherung der Engagierten existiert. Die Frage, ob die Betroffenenkompetenz durch Funktionäre ausreichende Basisanbindung erhält, wird nicht als Widerspruch gesehen. „Ich finde erstmal, dass das kein Widerspruch sein muss. Eine professionalisierte Betroffenenkompetenz. Es läuft ja auch schon teilweise so, wenn man ehrlich ist, ist die BAG Selbsthilfe die Betroffenenorganisation, aber als Vertreter hier sind sehr viele Funktionäre, die selber gar nicht betroffen sind. Das sind Funktionäre, von daher, wenn man ganz ehrlich ist, läuft es gerade bei dem Bereich der Patientenvertretung so, und kann auch teilweise nicht anders laufen.“ (9, 78–82)

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6.4.2 Erlebniswelten 6.4.2.1 Diskurskultur – Begegnungen auf Augenhöhe? Wie beschrieben, hat sich in den Ausschüssen über den Zeitablauf eine Diskurskultur etabliert. Diese ist geprägt von formalen Regeln und Codes. Der/dem Vorsitzenden der Ausschüsse kommt dabei eine steuernde Rolle zu, damit eine Diskussionskultur auf Augenhöhe stattfindet. Ansonsten ist die Gesprächskultur geprägt vom der Anerkennung der Patientenvertretung, wobei die erwähnten fachthemen-bezogenen, zeithorizont-bezogenen, personen-bezogenen und systembezogenen Dimensionen einfließen. In Fragen der Betroffenenkompetenz wird eine fachliche Augenhöhe berichtet. „Ich würde schon sagen, dass die Betroffenenkompetenz anerkannt wird. Ich finde, manchmal sind wir sowieso die Experten überhaupt. Kommt aber auch darauf an, wie wir es vortragen. Wie konstruktiv wir da mitgehen, ob wir die richtige Redeweise, die richtigen Argumente, ob wir es so vortragen, dass wir gehört werden. Und dann gibt es immer noch einzelne Personen, die kapieren es nie und andere schon, das ist so.“ (13, 291–295) Des Weiteren sind die Begegnungen auf Augenhöhe geprägt von den Persönlichkeiten, die in den Ausschüssen und Gremien aufeinandertreffen. Idealtypisch müsste ein/eine Patientenvertreter/Patientenvertreterin in dem komplexen System des G-BA wie folgt ausgestattet sein: fachlich (medizinisch, gesundheitspolitisch, politisch, juristisch) ausgebildet, rhetorisch versiert, politisch einflussreich, zeitlich umfangreich engagiert, psychisch stark, intrinsisch motiviert, mit Betroffenen- und Systemkompetenz ausgestattet etc. Und gerade die Betroffenenkompetenz ist eben auch eine entscheidende Kompetenz, die die VertreterInnen der Leistungserbringer und Leistungsträger nicht haben. „Und letztendlich wenn ein Patientenvertreter die Interessen seiner eigenen Bank vertritt, dann sind es die Betroffeneninteressen und damit auch die Patientenperspektive und das kann ja nun mal kein anderer einbringen, diese Patientenperspektive und deshalb wäre das schon mal eine Kompetenz.“ (15, 169–171) Bei diesen komplexen Anforderungskatalog kommt es der Patientenvertretung zugute, dass sich die Patientenvertretung in der Realität durch eine große Heterogenität auszeichnet. Dabei kommen den verschiedenen PatientenvertreterInnen unterschiedliche Rollen zu: „Themenbezogene Patientenvertreter sind dann in der Regel auch sachlich, fachlich sehr kompetent. Weil diese sich in ihrem Bereich gut auskennen. Und […] ständige Vertreter […] versuchen das große Ganze im Auge zu behalten, also auch ein Bisschen die strategische Positionierung; Haben wir das schon mal gemacht? Wie haben wir uns vor zwei Jahren schon mal entschieden? Und, und, und. Also solche Dinge, übergeordnete, im Auge zu behalten.“ (12, 82–88)

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6.4.2.2 Lebenswelt trifft Fachwelt In den Ausschüssen trifft die Lebenswelt auf die Fachwelt. Hier treffen die eigenlogischen Haltungen des Wettbewerbs auf die Bedürfnisse, Präferenzen und Erwartungen der Betroffenen: „Die Interessen der Kassen sind klar: Das ist Geld sparen. Ja, das ist ein Motto. Und das ziehen alle durch. Bei uns ist es das aber nicht, da ist es eine gute Versorgung.“ (13, 354) „Das ist am Auffälligsten, gesundheitliche Fragen interessieren die [Ärzte] nicht so. Wir können als Patientenvertreter viel öfters mit den Krankenkassen kooperieren als mit den Ärzten, die vertreten da eine knallharte Politik.“ (2, 34–36) Neben der fachlichen Kompetenz und der Systemkompetenz zeichnet sich die Patientenvertretung im Unterschied zu den Leistungserbringern und Leistungsträgern durch das Unterscheidungsmerkmal der Betroffenenkompetenz aus. Trotz Interessenkonflikten und Komplexität des Systems versucht die Patientenvertretung die Betroffenenkompetenz in dem langwierigen, oft zähen und mühsamen Diskurs in den Ausschüssen unterzubringen und in den Arbeitsgemeinschaften Vorarbeit zu leisten, sodass die Themen dann in den Gremien richtig gesetzt­ werden. In den Ausschüssen werden die Themen auf kleinteilige Fragestellungen runtergebrochen, damit diese in die Richtlinien passen und in die Interessenkonflikte eingeordnet werden können. Oft hat sich die Fragestellung dann weit vom Alltag, von der Lebenswelt entfernt. Das, was unmittelbar für einen Betroffenen von Bedeutung ist, verschwindet. Diese Diskrepanz zwischen dem Realen und den tatsächlichen Beschlüssen zu sehen und diesen Konflikt immer wieder auszuhalten, erfordert eine fachliche, aber auch psychische Kompetenz seitens der PatientenvertreterInnen. (10, 30) Die Patientenvertretung ist sehr heterogen und sieht sich deshalb aus ihrer Innenbetrachtung heraus nicht als Bank: „Wir sind keine Bank, dafür sind wir zu unterschiedlich, unsere Interessen sind zu unterschiedlich. […] Insofern werden wir nie eine Bank, das ist aber gut so. Weil es das Problem auch überhaupt erst umfassend darstellt, es geht hier um Vieles, um viele Individuen, um viel Komplexes. Es darf auch hier nicht nur um Geld gehen, und dafür sind wir, denke ich, unheimlich gut, weil wir einfach zeigen, wo es lang geht, was für die Menschen wichtig ist.“ (13, 352–365) Dennoch ist es für die Patientenvertretung aus strategischen Überlegungen heraus von Vorteil, in der Außenbetrachtung als Bank gesehen zu werden. Daher versucht die Patientenvertretung, wenn möglich geschlossen eine einheitliche Meinung für die Abstimmung im Plenum vorzubereiten. „Wie wir nun sitzen, dann sieht das aus, als wären wir eine Bank. Und wir versuchen auch eine zu sein. […] Wir versuchen uns sehr wohl abzustimmen, auch über Linien, die die Patientenvertretung einschlägt. Also, wenn wir einen Antrag stellen, dann haben wir uns vorher genau überlegt, was wollen wir damit eigentlich, wo wollen wir da hin, und

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wen suchen wir als Unterstützung, und wo machen wir Kompromisse.“ (1, 50–56) „Und das kann es dann wieder schwer machen, das alles unter den Begriff Bank zu fassen. Hier müssen sich ganz viele Ideen wieder zu Einem vereinigen, um eben stark zu sein gegenüber den anderen.“ (14, 174–176) 6.4.2.3 Sitzordnung in den Ausschüssen Die Sitzordnung im Plenum und in den Unterausschüssen, wo die Patientenvertretung gegenüber dem/der Vorsitzenden positioniert ist, wird als günstig für die Patientenvertretung gesehen. Die Patientenvertretung ist im Blickfeld des/der Vorsitzenden und erhält Aufmerksamkeit. „In den Ausschüssen, in denen ich bin, und im Plenum erst recht, da sitzen die PatientenvertreterInnen direkt gegenüber der Leitung. Das heißt, die können sozusagen gar nicht an uns vorbeischauen. Das ist eigentlich eine relativ günstige Position, gerade was die Unterausschüsse betrifft. In den Arbeitsgruppen wechselt das.“ (16, 17–20) „Die Sitzordnung ist phantastisch, weil besser könnte sie für uns nicht sein. Im Plenum. Wir sitzen den Unparteiischen direkt gegenüber, die Bänke an den Seiten, das heißt, wir haben sofort den Blick, da werden wir auch nicht vergessen oder übersehen.“ (13, 150–153) 6.4.3 Wirkungsperspektiven Von den Befragten wird das mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 eingeführte Mitspracherecht der Patientenverbände als großer Fortschritt gesehen. „Wir haben eine wichtige Rolle, daran zweifelt auch keiner.“ (13, 39) Allerdings sind damit auch viele Verpflichtungen verbunden. Die Komplexität des Systems und die starke Einbindung der ehrenamtlich tätigen PatientenvertreterInnen stellt die Patientenvertretung vor große Herausforderungen. Die Wirkungen der Patientenvertretung sind an den kleinteiligen Diskursprozessen in den Ausschüssen festzumachen. Dabei bekommt die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften eine entscheidende, vorbereitende Bedeutung, um Formulierungen unterzubringen, die dann in den weiteren Gremien die Patienteninteressen stärken. Denn das Ziel ist, „dass wir das für das Plenum so gut formulieren, so gut begründen, dass es dort eine Wirkung entfalten kann. Und das muss man lernen.“ (10, 301–302) „Die Kassen, wenn es um bestimmte Versorgungsfragen geht, dann ist es so, dass die ihre Studien und wissenschaftlichen Aufsätze, die ihre Interessen stützen, dazu nehmen. Während wir diese nach Möglichkeiten, die wichtigen davon auch kennen, aber wir kennen zusätzlich die Betroffenheit von Patienten und warum ist was für wen wichtig. Und wenn es dann schließlich darum geht, wie soll es in der Richtlinie heißen, dann haben wir es mehrfach hingekriegt – das sind natürlich immer nur Einzelfälle, immer nur, da wo es uns besonders wichtig ist – dann

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6. Empirische Explorationen

noch Formulierungen unterzubringen, die die anderen gar nicht durchschaut haben, wieso die jetzt gut waren.“ (16, 254–261) Die Wirkungen der Patientenvertretung sind demnach eng verknüpft mit einer Prozesskompetenz und Systemkompetenz der Patientenvertretung. Mit der Patientenvertretung ist 2004 öffentliche Präsenz in das geschlossene System der Ausschüsse transportiert worden. Die Patientenvertretung schafft auf der Bundesebene Achtsamkeit für den Status quo der medizinischen Versorgung der PatientInnen. Die Tatsache, dass die Plenumssitzungen in einem Teilbereich für die Öffentlichkeit zugänglich sind, stellt Kontrolle dar. „Die [Leistungserbringer und Leistungsträger] wissen sehr wohl, dass unsere mächtigste Situation, die im Plenum ist. Weil das ist öffentlich, weil darüber könnten wir auch berichten, Presseerklärungen machen, wie die Sitzung gelaufen ist, was für Themen wir da verhandelt haben. Insofern ist das da für die Bänke durchaus besonders, weil wenn wir da richtig Rabatz machen und uns beschweren über Dinge, die das Plenum an dem Tag beschließt oder nicht beschlossen hat, dann kommen die unter Druck. Das ist wirklich der einzige richtig harte Hebel, den wir haben.“ (18, 150–156). Allerdings fehlt es an öffentlicher Wahrnehmung. Seit letztem Jahr verfügt die Stabsstelle über eine Internetpräsenz auf den Internetseiten des G-BA. Dennoch ist der Bekanntheitsgrad der Patientenvertretung in der Öffentlichkeit gering und sowohl G-BA als auch Patientenvertretung stellen eine black-box für die Bevölkerung dar. „Ich habe mich gerade gestern mit einem Patientenvertreter getroffen, der kommt aus dem Bereich Gesundheit […]. Aber, wenn er mit seinen Leuten spricht, mit denen er immer Kontakt hatte, G-BA? Was ist das? Es ist nicht bekannt, und erst recht nicht, was Patientenvertreter dort machen. Wie man da hinkommt, usw. Da gibt es Defizite, die uns Bauchschmerzen machen.“ (16, 113–117) Als Idee wird eine eigene Pressestelle genannt, die das, was nicht vertraulich ist, für die Öffentlichkeit darlegt. Bei der Überlegung über eine mögliche Organisationsstruktur und Organisationsanbindung ergeben sich die bekannten Fragen, die bei der Professionalisierungsdebatte diskutiert werden: Neutralität, Verhinderung von Einflussnahme etc. Auch sind die Verbände gefordert, die Präsenz der Patientenvertretung verstärkt in ihren Reihen und in der Öffentlichkeitsarbeit zu kommunizieren. 6.4.4 Die Stabsstelle Patientenbeteiligung § 140 f Absatz 6 SGB V bestimmt, die Einrichtung einer Stabsstelle zur Unterstützung der ehrenamtlich tätigen Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter. „… der Gemeinsame Bundesausschuss [kann] eine Stabstelle Patientenbeteiligung einrichten. Die Unterstützung erfolgt insbesondere durch Organisation von Fortbildung und Schulungen, Aufbereitung von Sitzungsunterlagen, koordinatori-

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sche Leitung des Benennungsverfahrens auf Bundesebene und bei der Ausübung des in Absatz 2 Satz 4 genannten Antragsrechts.“ Im Folgenden wird zunächst die Arbeit der Stabsstelle aus Sichtweise der Stabsstelle dargelegt. Im Anschluss folgt die Perspektive der befragten Patientenvertreter und Patientenvertreterinnen. 6.4.4.1 Stabsstelle aus Sicht der Stabsstelle Patientenbeteiligung Das Aufgabenfeld der 2008 eingerichteten Stabsstelle Patientenbeteiligung ist zweigeteilt: Schulung und Fortbildung sowie beratende und organisatorischen Unterstützung bei den Sitzungen und bei der Vorbereitung von Anträgen. Einerseits organisiert die Stabsstelle Fortbildungen, Schulungen sowie Fachkonferenzen zu Themenbereichen wie Arzneimittel- und Methodenbewertung, Qualitätssicherungsverfahren, Bedarfsplanung oder zu Grundsatzfragen der evidenzbasierten Medizin. Ziel ist hier, die PatientenvertreterInnen mit den Strukturen und dem Verfahren des G-BA vertraut zu machen und ihren Einfluss zu stärken. Andererseits unterstützt die Stabsstelle die maßgeblichen Patientenorganisationen sowie die PatientenvertreterInnen inhaltlich bei der Ausübung des Mitberatungs- und Antragsrechts im G-BA durch methodische, medizinische und rechtliche Beratung und Zuarbeit. Ziel ist hier, eine möglichst optimale Darstellung der Patientenvertretungspositionen und -anträge in den Beschlussvorlagen zu gewährleisten, damit die von der Patientenvertretung vorgebrachten Patientenanliegen für die G-BA Gremien beschlussfähig aufbereitet sind. Eine eigene Webseite der Stabsstelle skizziert die Arbeit der Patientenvertretung und macht diese für die Öffentlichkeit präsent. https://patientenvertretung.g-ba.de/ wer-wir-sind/stabsstelle-patientenbeteiligung- des-g-ba. Zusätzlich haben die PatientenvertreterInnen über diese Webseite Zugang zu einer von der Stabsstelle organisierten Internetplattform Extranet. Diese bietet eine Plattform für die gemeinsame Arbeit in den einzelnen Gremien, ermöglicht Terminkoordinationen und bündelt Informationen zu Weiterbildungen, Veranstaltungen, Vorträgen, Gesetzesvorhaben, rechtlichen Grundlagen etc. Personell verfügt die Stabsstelle über acht Mitarbeiterinnen, die zur Hälfte in Teilzeit angestellt sind (Stand März 2017). Beratungs- und Unterstützungsfunktion „Unsere Aufgabe ist ganz klar: Beratung und Unterstützung.“ (17, 172–173) Dabei ist die Kooperation zwischen Stabsstelle und PatientenvertreterInnen von einem beiderseitigen Miteinander geprägt. Die Stabsstelle formuliert ihr Ziel in einer Beratungsfunktion. Der G-BA verfügt derzeit über etwa 150 Gremien mit

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Beteiligung der Patientenvertretung. Damit wird der Umfang der Arbeit der Stabsstelle deutlich. Während bei den Arbeitsgruppensitzungen und den Vorbesprechungen der Patientenvertretung die Stabsstelle bedarfsbedingt inhaltlich unterstützt, werden die Unterausschusssitzungen der neun Unterausschüsse von der Stabsstelle durchgehend begleitet. Durch neue gesetzliche Aufgaben nimmt die Sitzungsfrequenz und Beratungsintensität deutlich zu. Grundlage bildet eine ständige und enge Kooperation mit den SprecherInnen der Unterausschüsse. Gemeinsames Ziel ist es, die einzelnen Bereiche der jeweiligen Unterausschüsse optimal mit PatientenvertreterInnen zu besetzen und zu eruieren, wo noch ergänzender Bedarf ist, um ein Patientenanliegen bestmöglich zu platzieren (17, 39). Ein Schwerpunkt liegt in der methodischen Unterstützung und Bewertung von Evidenz, insbesondere bei der Formulierung von Anträgen durch die Patientenvertretung. Dies beinhaltet beispielsweise die methodische Bewertung von Studien auf Basis einer systematischen Literaturbewertung, die Prüfung rechtlicher Rahmenbedingungen sowie die Vorbereitung von Anträgen. Darüber hinaus leistet die Stabsstelle bei laufenden Beratungsverfahren des G-BA entsprechende inhaltliche Unterstützung, wenn Positionen der Patientenvertretung in Form von eigenen Beschlussentwürfen und so genannten tragenden Gründen zu konkretisieren und zu formulieren sind. Ein weiteres Augenmerk der Stabsstelle liegt auf neuen, noch nicht mit der Arbeit der Gremien des G-BA vertrauten PatientenvertreterInnen sowie themenbezogenen PatientenvertreterInnen, die noch über keine bzw. weniger Erfahrungen in den Unterausschüssen verfügen (17, 9–12). Auf diese geht die Stabsstelle zu, schult, begleitet und gibt ihnen Hilfestellungen, wie die Patientenperspektive bestmöglich eingebracht werden kann. Hier bietet die Stabsstelle eine aktive Unterstützungsfunktion, indem die Mitarbeiterinnen der Stabsstelle die PatientenvertreterInnen mit in die Ausschüsse begleiten. Beim Benennungsverfahren obliegt der Stabsstelle die organisatorische Unterstützung des Benennungsverfahrens auf Bundesebene, nicht die Auswahl der PatientenvertreterInnen selbst. Hier ist es die originäre und gesetzliche Aufgabe der Patientenorganisationen, geeignete PatientenvertreterInnen zu suchen und einvernehmlich zu benennen; im Einzelfall unterstützt die Stabsstelle bei der Suche nach geeigneten Personen (17, 24–26). Neue PatientenvertreterInnen werden auch von erfahrenen, systemvertrauten PatientenvertreterInnen begleitet und in ihre Arbeit eingeführt (17, 93–95). Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Stabsstelle liegt in der Organisation und Durchführungen von Fachveranstaltungen zur evidenzbasierten Medizin und Arzneimittelbewertung, aber auch von kontinuierlichen Schulungen, z. B. Schulun­gen zu Kommunikationsfähigkeiten, betreffend die Verhandlungstechnik, die Rhetorik. Neuen PatientenvertreterInnen werden in Einführungsveranstaltungen die Grundlagen des G-BA erklärt. Kommen neue Themen in den G-BA, werden Fachveranstaltungen zu diesen abgehalten. Zu spezifischen rechtlichen

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Fragestellungen gibt es bei Bedarf Fortbildungsveranstaltungen. Zusätzlich gibt es vom G-BA regelmäßige Schulungen, die allen, also auch den Leistungserbringern und Leistungsträgern, zur Verfügung stehen, zu Fragen der Qualitätssicherung, evidenzbasierter Medizin, Qualitätsmanagement, Gesundheitsökonomie etc. (17, 240–248). Organisationsfunktion Betreffend das Vernetzungsmanagement der Patientenvertretung stellen Unterausschüsse mit vielen Arbeitsgruppen eine besondere Herausforderung dar. Der Stabsstelle obliegt hier eine Organisationsfunktion. Der G-BA organisiert Räumlichkeiten für die Vorbesprechungen und bei Bedarf organisiert die Stabsstelle gesonderte Abstimmungstreffen (17, 204–206). Bei unklaren Sachverhalten kann auch externes Fachwissen eingeholt werden. Ziel ist es, einen ergänzenden Bedarf aufzudecken und diesen im Beratungsbereich zu positionieren (17, 34–39). Vernetzungsfunktion Zur Vernetzung der PatientenvertreterInnen organisiert die Stabsstelle alle zwei bis drei Jahre eine Vollversammlung, zu der alle PatientenvertreterInnen eingeladen werden, mit dem Ziel eines Austausches zu übergreifenden Themen. Auch die eingerichtete Internetplattform geht in Richtung der Vernetzung der Patientenvertretung. Die Stabsstelle betont, dass die Vernetzung der Patientenvertretung nicht alleinig durch die Stabsstelle zu bewerkstelligen ist. Bei der Vernetzung der PatientenvertreterInnen sind die Patientenorganisationen gefordert, die auch Schulungen und Informationsaustausch für die PatientenvertreterInnen anbieten (17,  74). Werden Optimierungsoptionen der Arbeit der Patientenvertretung betrachtet, ist ein Zusammenspiel von ständigen PatientenvertreterInnen, themenbezogenen PatientenvertreterInnen, den Patientenorganisationen und der Stabsstelle erforderlich. Dabei haben ständige PatientenvertreterInnen, die auch über Systemkompetenzen verfügen, eine gesonderte Stellung, da hier die Zusammenarbeit mit der Stabsstelle zielorientiert umgesetzt werden kann (17, 158–163). Dies gilt unabhängig davon, ob die ständigen PatientenvertreterInnen Funktionäre sind, also Angestellte einer Patientenorganisation, oder ehrenamtlich tätig sind. Weiterhin ist das Miteinander von ständigen und themenbezogenen PatientenvertreterInnen, die zielgerichtet die Betroffenenkompetenz und Patientenperspektive einbringen, wichtig. „Ein gutes Miteinander von ständigen und themenbezogenen Patientenvertretern hilft auch uns, um unsere Arbeit zu optimieren.“ (17, 193)

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6. Empirische Explorationen

6.4.4.2 Stabsstelle aus Sicht der PatientenvertreterInnen Von den Befragten wird der Stabsstelle Patientenbeteiligung ein wichtiger Part bei der Patientenvertretung zugesprochen und die Arbeit der Stabsstelle wird als „total gut“ (5, 228), „extrem hilfreich“ (11, 183) und unterstützend (13, 230) beschrieben. Von Bedeutung wird die Zuarbeit der Stabsstelle in rechtlichen Fragen gesehen. „Die Stabsstelle ist unheimlich wichtig. Gerade weil wir da auch die Möglichkeit haben, von Juristen bestimmte Dinge prüfen zu lassen oder Anträge zu lesen oder gemeinsam Anträge zu entwerfen und auch Kontinuität sicher zu stellen, in dem Moment wo krankheitsbedingt oder durch Wechsel oder Ähnliches mal eine Sitzung nicht besucht werden kann. Sodass die Stabsstelle auf jeden Fall auch eine Kontaktfunktion hat.“ (15, 181–185) Auch in strategischen Belangen wird die Zuarbeit der Stabsstelle geschätzt; wenn es darum geht abzuwägen, ob ein Sachverhalt in ein Gremium eingebracht werden soll. „Wichtig ist vor allem, wenn man mal eine Rückkopplung braucht. Wenn man sich nicht sicher ist, wenn man was besprechen möchte, ist das so, wie ich das sehe, ist da ok? Können wir das so machen, oder verlieren wir das Gesicht, wenn wir uns enthalten oder dafür oder dagegen entscheiden. So strategische Überlegungen sind vor allem wichtig zu besprechen.“ (14, 139–143) Zusammengefasst ist der Tenor der Befragten: „Das ist schon enorm, was die da hinkriegen, aber es ist auf keinen Fall ausreichend.“ (1, 372) So wird des Öfteren das Missverhältnis zwischen den Kapazitäten der Stabstelle und den tatsächlich nötigen Unterstützungsbedarfen seitens der Patientenvertretung angesprochen. „Wir haben eine gute Stabsstelle. Ich finde deren Arbeit super gut. […] Aber die müssen natürlich dann auf den G-BA bezogen 40–50 Arbeitsgruppen zuarbeiten, das ist unterschiedlich schwierig, in den wichtigen Fällen schaffen die das auch, und es gibt auch eine ganz gute Abstimmung, aber trotzdem ist der Bedarf, dass die doch mal in einen Arbeitsgruppe kommen, riesig, viel größer als das, was die leisten können.“ (16, 91–97) Personaler Ausbau und struktureller Umbau der Stabsstelle So wird angeregt, die Stabsstelle personell auszubauen, da die Stabsstelle aus Kapazitätsgründen nur einen Teil der möglichen Anfragen seitens der Patientenvertretung bewältigen kann. Dies sollte aber unter der Prämisse einer Funktionsdefinition der Arbeit der Stabsstelle erfolgen. Die Arbeits- und Entscheidungsfelder der Stabsstelle sollten klar abgegrenzt und definiert werden. „Also wir [Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter] beschäftigen uns strategisch nicht damit, was für eine Stabsstelle brauchen wir, was sollen die tun, was sollen die nicht tun, was haben die für Aufgaben und wo sollten sie eher nicht sein. Sie sind

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sehr autonom, und darin super, engagiert und fit. Aber es ist nicht klar gesteuert.“ (18, 381–384) Diese Aufgabenzuweisung und -abgrenzung ist nötig, insbesondere wenn sich das System weiter professionalisiert. Die Stabsstelle besteht aus professionellem Personal mit Systemwissen, und die Stabsstelle fällt Entscheidungen. Wenn bei strategische Überlegungen (auch unter der Bedingung der zeitlichen Kapazitäten) abgewogen wird, ob, was, wann und wie in die Gremien eingebracht wird, obliegt der Stabsstelle eine Entscheidungsfunktion, der exekutive Dimensionen innewohnen. Dadurch entstehen Dynamiken und die originären Aufgaben der Patientenvertretung werden durch die Professionellen, die den historischen und den krankheitsbezogenen Hintergrund nicht haben, verlagert. Eine Idee ist, dass die Stabsstelle eine Vernetzungsfunktion zwischen den Patienten­vertreterInnen übernimmt, um Interessen der Patientenvertretung zu bündeln und transparent zu machen, was in den einzelnen Ausschüssen läuft. Der Hintergrund ist, dass in verschiedenen Ausschüssen gleichgelagerte Versorgungsfragen, aber unter anderen Gesichtspunkten diskutiert werden, ohne dass die betroffenen PatientenvertreterInnen vernetzt sind. Das Ziel wäre, Synergieeffekte zu erzielen. „Und was wir vor allem nicht haben in der Stabsstelle, so etwas wie eine kommunikative Instanz. Also jemand, der erst dafür sorgt, dass wir untereinander, also zwischen den verschiedenen Unterausschüssen ein besseres Wissen haben, was wo eigentlich läuft und was man voneinander wissen sollte.“ (16, 99–102) Den Ideen zum Ausbau der Stabsstelle werden kritische Überlegungen gegenübergestellt, die eine Ausweitung der Entscheidungsfunktion der Stabsstelle sehen. Eingewendet wird, dass ein Ausbau der Stabsstelle in Richtung Professionalisierung die Funktionen der Stabsstelle ändern würde. Die Stabsstelle wird dann zu einem „Machtzentrum, das auch in der Gefahr ist, alleine Entscheidungen zu treffen und das nicht mehr genug rückkoppelt.“ (10, 346–347). 6.4.5 Diskussion um Stimmrecht ist gekoppelt an Professionalisierungsdebatte Das Fehlen und die mögliche Einführung eines Stimmrechts der Patientenvertretung werden kontrovers diskutiert. Dabei befürwortet lediglich ein/eine Befragter/Befragte ein Stimmrecht für die Patientenvertretung. Der Befürwortung für ein Stimmrecht ist ein Meinungsbildungsprozess vorangegangen. Die jahrelange, zähe Arbeit in den Gremien hat zur Meinung geführt, dass das Stimmrecht ein Mittel der Anerkennung und der Einflussnahme sein könnte. Die Leistungserbringer werden als Professionelle beschrieben, die einen kompletten Apparat der Zuarbeit hinter sich haben. Da hat die Patientenvertretung keine Chance, wenn ihr nicht die gleichen Mittel zur Verfügung stehen. Dies schließt ein Stimmrecht mit ein. Allerdings wird ein Stimmrecht an die Notwendigkeit eines strukturellen Umbaus der Patientenvertretung geknüpft.

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6. Empirische Explorationen

Die Mehrheit der Befragten ist gegen ein Stimmrecht der Patientenvertretung. Betont wird, dass der Aushandlungsprozess in den Gremien als ein Diskurs stattfinden muss, der naturgemäß oft sehr mühsam und zäh ist. Das fehlende Stimmrecht sichert der Patientenvertretung in diesem Diskurs eine Position der Unabhängigkeit. „Ich persönlich habe immer gesagt: Stimmrecht will ich auch nicht. Weil wir die Einzigen sind, die nur von der Versorgung und von der Notwendigkeit der Patienten ausgehen und nicht finanzielle Aspekte dabei mitberücksichtigen; was Geld kostet, oder wo was eingespart werden kann. Dass wir genau davon unabhängig sind. Und wären wir das nicht, mit Stimmrecht müssten wir uns immer sozusagen in diese Logik mit einordnen.“ (16, 219–224) Die Diskussion um ein Stimmrecht der Patientenvertretung ist eng gekoppelt an die Professionalisierungsdebatte. Ein Stimmrecht würde einen Umbau der Patientenvertretung in Richtung Professionalisierung bedeuten, aber womöglich die Betroffenenkompetenz schmälern. „Ich sehe da schon die Gefahr, dass da irgendwann professionelle Patientenvertreter sind, die auch auf Augenhöhe mitreden können, die aber dann von den Anliegen der Betroffenen relativ weit entfernt sind.“ (11, 204–206) Allgemein werden die derzeitigen Strukturen als nicht geeignet für die Einführung eines Stimmrechts der Patientenvertretung angesehen. „Bevor nicht wesentliche Schritte hin zu mehr Augenhöhe gemacht worden sind, glaube ich, wäre das ganz fatal mit dem Stimmrecht. Das ist ja nicht umsonst so, dass sich die Patientenvertretung erstmal verlegt hat, wir wollen das Stimmrecht in Verfahrensfragen, weil wenn man das Stimmrecht hat, da hängt viel dran. […] Und diejenigen, die wirklich in diese Arbeit reingucken, die sehen, was da alles auch an Verantwortung dran hängt und die wissen, dass in dem Moment, in dem es ein Stimmrecht gibt, die Möglichkeit hinterher zu sagen, wir tragen das aber eigentlich nicht mit, nicht mehr existiert.“ (11, 192–199) Ein Stimmrecht ist an eine Mandatsübertragung, eben eine verbandsbezogene Abstimmung der zu vertretenden Positionen und an eine Verantwortungsübernahme nach der Abstimmung geknüpft. „Stimmrecht heißt eine deutlich stärkere Verantwortung. Wirft auch ganz andere Fragen auf, was die Legitimation angeht.“ (1, 215–216) Ein weiteres Problem ist, dass nicht gewährleistet sein kann, dass die Stimme aller PatientInnen repräsentiert wird, denn dazu sind die Patientenanliegen zu hete­rogen und komplex. „Ich bin froh, dass wir kein Stimmrecht haben. Weil ich glaube, man muss uns die Möglichkeit geben, auf eine andere Weise zu intervenieren. Aber wenn wir Stimmrecht hätten, wir sind keine Bank, dafür sind wir zu unterschiedlich, unsere Interessen sind zu unterschiedlich. […] Insofern werden wir nie eine Bank, das ist aber gut so. Weil es das Problem auch überhaupt erst umfassend darstellt, es geht hier um Vieles, um viele Individuen, um viel Komplexes. Es darf auch hier nicht nur um Geld gehen, und dafür sind wir, denke ich, unheimlich gut, weil wir einfach zeigen, wo es lang geht, was für die Menschen wichtig

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ist.“ (13, 350–365) „Wenn wir ein Stimmrecht hätten, dann müssten wir jedes Mal innerhalb der Patientenvertretung einen Konsens haben, den wir manchmal nur bedingt bekommen würden. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Patientenvertretung besteht eben aus vielen, vielen Einzelgruppen, einzelnen Vertretern, aber auch Einzelnen in Gruppen, die auch verschiedene Interessen haben.“ (12, 134–137) Gegen ein Stimmrecht der Patientenvertretung spricht der mögliche Einfluss von Institutionen und Vertreterorganisationen, aber vor allem von der Pharmaindustrie auf die Patientenvertretung. „Die Gefahr, dass Patientenvertreter dann beeinflusst werden von denjenigen, die Interessen im System haben, ist dann um Vieles größer, also natürlich vor allen Dingen die Pharmaindustrie. […] Meine Position hat sich gebildet, als ich gesehen habe, mit welcher Intensität pharmanahe Patientenverbände Stimmrecht fordern.“ (10, 226–235) „Dass es kein Stimmrecht gibt, dass finde ich mittlerweile ganz gut. So laufen wir noch weniger Gefahr, dass da Einfluss genommen wird auf uns.“ (5, 9–10) „Und dann glaube ich, dass dieses Einbringen der Patientenperspektive auch nur noch schwerlich möglich wäre, weil es eben dann um harte Interessen geht. Und zusätzlich würde ein Druck entstehen von außen, von der Industrie, von den Leistungserbringern, die ja darauf angewiesen sind, wenn die Patientenvertretung tatsächlich das Zünglein an der Waage wäre im Abstimmungsverhalten, was dann auch wiederrum in den jetzigen Strukturen von den Patientenverbänden nicht zu verkraften wäre, wenn tatsächlich die Industrie anfängt, auf einzelne Personen Druck auszuüben, weil das eben nicht alles professionelle Funktionäre sind, sondern aus den Strukturen herausgewachsene Patientenvertreter mit besonderen Kenntnissen und das würde auch nicht funktionieren. Ich glaube, das unabhängige Einbringen von Patienteninteressen würde in Gefahr stehen.“ (15, 227–236)

6.4.6 Ideen zur Stärkung der Patientenvertretung Diskrepanz zwischen Fachwelt und Lebenswelt abbauen Die wahrgenommene Diskrepanz zwischen Fachwelt und Lebenswelt wird als Hindernis bei der Diskuskultur erlebt. Die Patientenvertretung wird zur Systemadaption gedrängt und gezwungen, sich die Handlungscodes der Fachwelt zu eigen zu machen, um Akzeptanz zu erreichen. Hier wird eine gegenseitige Annäherung gewünscht.

Strukturelle Neuausrichtung der Stabsstelle Die Arbeit der Stabsstelle wird als bedeutend und unterstützend für die Patientenvertretung beschrieben. Angeregt wird eine strukturelle Neuausrichtung. Es sollte eine Funktionsdefinition der Arbeit der Stabsstelle im Hinblick auf eine

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klare Aufgabenzuweisung und Aufgabenabgrenzung erfolgen. Begleitet werden könnte dies durch einen personellen Ausbau der Stabsstelle.

Koordinierende Stelle der Vernetzung zwischen den Gremien Die Arbeit in den Unterausschüssen und Arbeitsgruppen wird als zunehmend komplexer beschrieben. Gerade wenn PatientenvertreterInnen in verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen tätig sind, erleben sie Synergieeffekte ihrer Arbeit. Informiertheit über vergangene Sachverhalte, aber auch Informiertheit über Sach- und Strukturinhalte in anderen Gremien führen zur Optimierung bei der Vertretung der Patienteninteressen. Hier wird angeregt, eine beim G-BA angesiedelte koordinierende Stelle der Vernetzung zwischen den Gremien speziell für die Patientenvertretung einzurichten. „Erstens bräuchten wir ein Bisschen mehr Leute, zweitens müsste, das was wir tun, noch besser koordiniert und professioneller gehandhabt werden.“ (16, 88–90)

6.4.7 Skizzierung von Benchmarks der Ergebnisse der qualitativen Befragung (1) Die Anerkennung der Patientenvertretung hat sich bei den Leistungserbringern und Leistungsträgern im Zeitablauf der Jahre 2004 bis 2016 durch ein gegenseitiges Kennenlernen und Erleben entwickelt und etabliert. Dabei steigt die Anerkennung mit einer einhergehenden Systemadaption der Patientenvertretung. Die Patientenvertretung hat sich eine System- und Prozesskompetenz erarbeitet. (2) Die Patientenvertretung schafft auf der Bundesebene öffentliche Präsenz und Achtsamkeit für den Status quo (Quantität, Qualität, Bedarfe, Lücken) der medizinischen Versorgung der PatientInnen. Allerdings fehlt es an öffentlicher Wahrnehmung. Dazu gilt es die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken. (3) Die Diskurskultur ist geprägt durch Regeln und Handlungscodes, gerade wenn die Gesprächskultur als Element der Interessenvertretung von den Akteuren eingesetzt wird. Die Gesprächskultur in den Ausschüssen ist zusätzlich personenbezogen und variiert in Abhängigkeit von den Persönlichkeiten und Charakteren, die in den Sitzungen aufeinandertreffen. Hier bedarf es einer Aufmerksamkeitskultur. (4) Die PatientenvertreterInnen sehen sich einer zunehmenden Professionalisierung ausgesetzt, die sich durch steigende Erfordernisse (Zeitbudget, Ausschusspräsenz, Kompetenzen) an die Patientenvertretung äußert. Hier wird eine zielgerichtete Unterstützung der Patientenvertretung angeregt: Dies könnte durch quasi-professionalisierte Organisations- und Vernetzungsstrukturen der

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Patientenvertretung geschehen. Hier könnte eine koordinierende Stelle der Informationsvernetzung zwischen den Ausschüssen eingerichtet werden, die durch Informationsbündelung Synergieeffekte erwirkt. Insbesondere vor dem Hintergrund des Generationenwechsels der Patientenvertretung sind Informationsbündelung und Informationsweiterleitung an Neueinsteiger in der Patientenvertretung von Bedeutung; die Überlegungen gehen dahin, hier hauptamtlich tätiges Personal einzusetzen. Die mit der Basis verknüpften PatientenvertreterInnen selbst sollten weiter ehrenamtlich tätig sein. (5) Die Stabsstelle Patientenbeteiligung hat wichtige Funktionen für die Unterstützung der Patientenvertretung. Allerdings sprechen einerseits die zunehmende Professionalisierung der Patientenvertretung, die mit einer Systemsozialisierung einhergeht und andererseits exekutive Arbeitsdimensionen der Stabsstelle für eine strukturelle und arbeitsumfangmäßige Neuausrichtung der Arbeit der Stabsstelle. (6) Die Diskussion um ein Stimmrecht der Patientenvertretung wird an die Debatte um die Professionalisierung der Patientenvertretung geknüpft. Es überwiegen die Meinungen, dass die strukturellen Voraussetzungen (Patientenvertretung fehlt der Lobby-, Informations-, Vernetzungs-, Professionalisierungsapparat) fehlen, um die Patientenvertretung mit Stimmrecht auszustatten. Fragen der Legitimation und Mandatsübertragung sind ungeklärt. Weiterhin wären die Komplexität der Patienteninteressen und das Einbringen der Betroffenenkompetenz in Gefahr. Betont wird, dass ein Stimmrecht der Patientenvertretung die Einflussnahme von Institutionen und Interessenvertretern, insbesondere wird hier die Pharmaindustrie genannt, bewirken würde.

Literatur Deutscher Behindertenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientinnenstellen, Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (2014): Wir geben den Patientinnen und Patienten eine Stimme, Berlin. Gemeinsamer Bundesausschuss (2016): Geschäftsbericht 2015, Berlin. Nakos (2014): Grundlagen der Patientenbeteiligung nach § 140 f SGB V, Berlin. – (2014a): Arbeitsweise und Verfahren der Patientenbeteiligung nach § 140 f SGB V, Berlin. – (2014b): Interessenvertretung: Selbsthilfe- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen, Berlin.

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6. Empirische Explorationen

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews und einer Gruppendiskussion auf Landes- bzw. Bezirksebene (Ursula Köstler) Die nachfolgend dargelegten Ergebnisse sind explorativ. Die befragten PatientenvertreterInnen auf Landes- und Bezirksebene kamen aus drei Bundesländern, in denen die Organisationsstrukturen der Patientenvertretung sehr unterschiedlich sind.8 6.5.1 Rolle der Patientenvertretung 6.5.1.1 Per Gesetz zugedachte Rollen Auf der Ebene der Bundesländer erfolgt die Interessenvertretung der PatientInnen nach § 140 f, Absatz 3 SGB V durch Mitwirkungsrechte in mehreren Gremien: – den Landesausschüssen nach § 90 sowie den erweiterten Landesausschüssen nach § 116 b Absatz 3, – dem gemeinsamen Landesgremium nach § 90 a, – den Zulassungsausschüssen nach § 96 und den Berufungsausschüssen nach § 97, soweit Entscheidungen betroffen sind über a) die ausnahmeweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze nach § 101 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, b) die Befristung einer Zulassung nach § 19 Absatz 4 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, c) die Ermächtigung von Ärzten und Einrichtungen, – den Zulassungsausschüssen nach § 96, soweit Entscheidungen betroffen sind über a) die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Absatz 3a, b) die Ablehnung einer Nachbesetzung nach § 103 Absatz 4 Satz 9. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Kranken­ kassen sowie die Ersatzkassen bilden nach § 90 SGB V für den Bereich jedes Bundeslandes einen Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und einen Landesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen. Die Landesausschüsse bestehen aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, neun Vertretern der Ärzte, drei Vertretern der Ortskrankenkassen, drei Vertretern der Ersatzkassen, je einem Vertreter der Betriebskrankenkassen und der Innungskrankenkassen sowie einem gemeinsamen Vertreter der Landwirtschaftlichen Krankenkasse und der Knappschaft-Bahn-See. 8

An dieser Stelle möchten wir ein großes Dankeschön an alle Befragten der Landes- und Bezirksebene richten. In den Gesprächen haben wir interessante Einblicke in die Arbeit und das zeitaufwendige Engagement auf Landes- und Bezirksebene erhalten. Wir haben großem Respekt für diese sehr zeitintensive und energiebeladene Arbeit der ehrenamtlich Engagierten.

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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In den Landesausschüssen geht es um Sektoren übergreifende Versorgungsfragen. So werden die Bedarfspläne zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für jede Arztgruppe festgelegt, also die Bedarfsplanungsrichtlinien. Die jeweilige Landesregierung bestimmt die Tagesordnung; demnach variiert die Ausgestaltung je nach Bundesland. Der Landesausschuss sieht sich an, wie die Regionen ausgestattet sind, welche Siedlungsstruktur, Stadtstruktur, Einwohnerzahl gegeben sind, dabei gibt es unterschiedliche Kategorien, die Bedarfsplanungsrichtlinien definieren: Großstädte, Mittelstädte, ländliche Regionen. Und für jede dieser Regionen, jeder dieser Kategorien gibt es unterschiedliche Bedarfsplanungszahlen. Angestrebt wird eine 100 % Bedarfsdeckung; 110 % und mehr gilt als Überversorgung und alles was unter 75 % ist, gilt als Unterversorgung. Die Zulassungsausschüsse entscheiden über die Zulassung oder Entziehung der Zulassung von Vertragsärzten und Psychotherapeuten. Abgelehnte Bewerber können gegen Beschlüsse des Zulassungsausschusses bei den Berufungsausschüssen Widerspruch einlegen. Weiterhin entscheiden die Zulassungsausschüsse über Sonderzulassungen, die über den Bedarfsplan hinausgehen sowie über die Zulassung von Ärzten in Kliniken, die an der Ambulanten Versorgung teilnehmen, über sogenannte Ermächtigungen. In den Zulassungsausschüssen haben die Patientenvertreter ein Mitberatungsrecht, das sich dann auch auf die daran gekoppelten Berufungsausschüsse erstreckt, bei nachfolgenden Entscheidungen: – Sonderbedarfsregelungen, im Sinne der ausnahmsweisen Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze, – der Befristung einer Zulassung, – der Ermächtigung von Ärzten und Einrichtungen, – der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens, – der Ablehnung einer Nachbesetzung. Daraus ergibt sich, dass die PatientenvertreterInnen in den Regelverfahren von Zulassungen kein Recht auf Mitberatung haben. Die Berufungsausschüsse entscheiden über Widersprüche gegen Entscheidungen des Zulassungsausschusses. Wie erwähnt ist das Mitberatungsrecht auf bestimmte Entscheidungen beschränkt und beim Regelverfahren von Zulassungen nicht gegeben. Insgesamt lässt das Gesetz den Bundesländern einen großen Ausgestaltungsspielraum bei der Umsetzung, was sich in einer nahezu undurchschaubaren, in jedem Bundesland spezifischen Ausprägung bemerkbar macht.

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6. Empirische Explorationen

6.5.1.2 Von der Patientenvertretung erlebte Rollen Passive Rollenposition Der Schwerpunkt der Arbeit der Landesausschüsse liegt in der Umsetzung der einmal festgesetzten Bedarfsplanungsrichtlinien, dabei sind die meisten Sachen formalisiert. Die Praxis zeigt, dass die Landesausschüsse oftmals auf eine Zusammenkunft vor Ort verzichten und das Abstimmungsprozedere per Postversand und Mailverkehr regeln (7, 397; 3, 85–87). So wird der Landesausschuss als „Abnickgremium“ (6, 42) bezeichnet. Damit ist die Rolle der Patientenvertretung eine passive, dann wenn nicht einmal ein face-to-face Kontakt zur gegenseitigen Aussprache gegeben ist. Diese auf den Papierversand reduzierte Einbindung der PatientenvertreterInnen kann bei der Patientenvertretung zu Motivationsdefiziten und Desinteresse führen: „Da bin ich raus, weil ich gedacht habe, nen Briefkastenausschuss muss ich nicht haben. Da kriege ich immer nur so Mitteilungen mit Tabellen, […] da machen die halt Erhebungen, was, wo benötigt wird, oder so. Da vertiefe ich mich gar nicht rein. Ehrlich gesagt, ich bin da auch jetzt raus, das langweilt mich ein Bisschen.“ (3, 78–83) Auf der Landesebene kommt den PatientenvertreterInnen in den Ausschüssen eine eher inaktive Rolle zu. Die Mitwirkung erfolgt in Form eines Mitberatungsrechts in den Landesausschüssen, Sonderbedarfszulassungsausschüssen (dagegen nicht in den Bedarfsausschüssen), Berufungsausschüssen und den Ermächtigungsausschüssen, die das Entlassungsmanagement zwischen Krankenhaus und hausärztlicher Versorgung regeln. Diese Mitwirkungs-Rolle wird als „Alibifunktion“ (5, 12), „institutionelles Feigenblatt“ (4, 103) wahrgenommen, da die Patientenvertretung auf Landesebene zum Zuschauen verurteilt ist: „Da habe ich das Gefühl, ich kann nur nicken, oder nein sagen, oder muss barrierefrei sein.“ (5, 209–210). Anerkannte Rollenposition Allerdings können PatientenvertreterInnen sich durch eine jahrelange Teilnahme an den Ausschusssitzungen eine Anerkennungsposition erarbeiten und eine kontinuierliche Arbeit in der Patientenvertretung führt dann zu gegenseitigem Respekt; „Das hat ein Jahr gedauert, da hatten wir uns beschnuppert. (…) Jetzt gehören wir dazu, wir fühlen uns nicht irgendwie als Anhängsel.“ (8, 51) „Das waren schon lange Wege. Das waren so ein bis anderthalb Jahre, das ging so hoch und runter, bis die begriffen haben, wir lassen nicht locker.“ (8, 130) Je länger PatientenvertreterInnen in den Ausschüssen tätig sind, umso mehr Expertenwissen haben sie und umso eher ergeben sich „so ein paar Verbündete, die auf unserer Seite stehen“ (8, 225). „Unser Wort wird zumindest erhört, in wie weit es jetzt überzeugend ist, das kann man nicht immer sagen, aber sie müssen mit uns rechnen und sie müssen es auch

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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einkalkulieren bei ihrer ganzen Strategie und Argumentation, sie können unsere Argumente nicht unter den Tisch fallen lassen, das ist vielleicht das Wichtigste bei der ganzen Sache. Und es gibt auch schon Krankenkassenvertreter, die sich unserer Argumentation angeschlossen haben. Bei den Ärzten ist es immer ein bisschen schwierig, aber bei den Krankenkassen sind schon manchmal offene Ohren da.“ (8, 118–222) Mitberatungsrecht nicht optimal genutzt Die PatientenvertreterInnen haben ein (auf bestimmte Ausschüsse beschränktes) Mitberatungsrecht, das allerdings von der Patientenvertretung nicht in dem Maße ausgeführt wird, wie es genutzt werden könnte. Einerseits ist die Patientenvertretung mit starren Ablaufstrukturen in den Ausschusssitzungen konfrontiert, was das Eingreifen in Sitzungsabläufe schwierig macht, denn es erfordert Kenntnisse, wie die Patientenvertretung sich optimal einbringt. Dazu muss sich die Patientenvertretung organisieren, über die verhandelten Themen informieren (6, 288), dazu eine Position erarbeiten, um dann in den Sitzungen das Mitberatungsrecht zielführend ausüben zu können. Genau an dieser Stelle der Selbstorganisation der Patientenvertretung auf Landesebene setzen die weiter unten genannten Ideen der Verbesserung an. Die Abläufe in den Sitzungen werden als starr und vorher von den anderen Bänken einstudiert wahrgenommen, was aber auch bei der Patientenvertretung zu einem gewissen Maß an Demotivation, sich abzustimmen, führen kann. „Auf Landesebene sind in diesen Ausschüssen, die Gesichter, die Personen häufig identisch, gleichbleibend. Aber es gibt keine Möglichkeit sich abzustimmen. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist gar kein Interesse da, sich abzustimmen, oder sich inhaltlich einzulassen. Da ist auch nicht so viel möglich, ob ich nun abstimme, dass da noch dieser Facharzt, dass da noch ein Platz dazu kommt, das ist inhaltlich nicht so spannend für mich, und ich habe das Gefühl, die haben das so wie so schon abgekartet. Da finde ich gar kein Gehör.“(5, 257–263) 6.5.1.3 Kommunikationskultur in den Ausschüssen Die Kommunikationskultur in den Ausschüssen wird von formalen Regeln der Ausschusssitzungen gesteuert, folgt demnach vorgegebenen Ritualen. Gleichzeitig ist der Umgang des Miteinanders der verschiedenen Bänke stark geprägt von den Persönlichkeiten, die in den Ausschüssen aufeinander treffen. Wie die PatientenvertreterInnen die Atmosphäre erleben, ist auch abhängig von deren Persönlichkeitsstruktur. So wird über eine angenehme Atmosphäre berichtet, dass man sich über die Jahre kennt (3, 25–26), dass man mit Namen begrüßt wird, und auch schon mal Privates austauscht (3, 277–281). Besonders wenn sich

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6. Empirische Explorationen

PatientenvertreterInnen durch Fachkompetenz auszeichnen, wird diesen seitens der Ärztinnen und Ärzte sowie der VertreterInnen der Krankenkassen Respekt entgegengebracht (3, 193–196; 8: 126). Es gibt aber auch PatientenvertreterInnen, die sich als nicht gleichwertige Partner in den Ausschüssen erleben. 6.5.1.4 Zwischenmenschliche Erlebnisfelder der Begegnungen auf Augenhöhe Deutlich zeigt sich eine unterschwellige Hierarchie der Professionen in den Ausschüssen. Es gibt PatientenvertreterInnen, die die VertreterInnen der Ärzte und Krankenkassen als beruflich höhergestellter erleben, andere PatientenvertreterInnen können sich über den „Herrn Dr.“ hinwegsetzen. „Aber ich mache da auch nur meinen Job. Er wird ja dafür sogar besser bezahlt als ich, deshalb sehe ich nicht ein, warum ich jetzt feuchte Hände kriegen muss, nur weil ich jetzt mit Herrn Dr. so und so am Tisch sitzen darf.“ (4, 336–338) Die Begegnungen, die von den Beteiligen als Erlebnisse auf Augenhöhe wahrgenommen werden, finden in der Regel auf der zwischenmenschlichen Ebene statt. Wenn eine/ein Patientenvertreterin/Patientenvertreter höflich von Vertretern der Bänke angesprochen wird, wird das als „ die behandeln mich nett“ (7, 69–70) registriert. Auch wird berichtet, dass die Patientenvertretung ihre gestellten Fragen, auch Verständnisfragen immer beantwortet bekommt und sich auf zwischenmenschlicher Ebene respektiert fühlt. „Wenn ich Fragen hatte zu den fachlichen Dingen des Zulassungsausschusses, sei es Gesetz, sei es Maßnahme, ich habe immer eine Auskunft bekommen, uns wurde immer erklärt, wenn wir eine Frage gehabt haben, das muss ich von Anfang an sagen. Von dem Vorsitzenden, wenn man gesagt hat, ich hab da mal eine Frage, dann wurde einem das von den Mitgliedern so lang erklärt, bis man gesagt hat, ja das habe ich jetzt verstanden, dass muss man anerkennen, obwohl die Spannungen unterschiedlich waren. Das war gegeben, es war vielleicht auch ein Zeichen, dass sie uns akzeptiert haben. Sie hätten ja auch sagen können, lesen sie da und da nach.“ (8, 142–145) 6.5.1.5 Formale Konstrukte der Schieflage für Begegnungen auf Augenhöhe Bei der Betrachtung, ob die Zusammentreffen der Beteiligten in den Ausschüssen auf Augenhöhe stattfinden, sind neben den zwischenmenschlichen und fachbezogenen Dimensionen, strukturelle Rahmenbedingungen von Bedeutung. Das sind formale Regeln der Sitzpositionen der Parteien sowie Regelungen der Abrechnung bei den Aufwandsentschädigungen der Parteien. Hier sind systemverankerte Schieflagen zu konstatieren; diese betreffen sowohl Berichte über Sitzordnungen in einigen Ausschüssen als auch die Aufwandsentschädigungen.

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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Sitzposition der Patientenvertretung: „saßen sozusagen am sprichwörtlichen Katzentisch“ Die auf der Bundesebene im G-BA festgeschriebene Sitzordnung kann auf der Landes- und Bezirksebene individuell gestaltet werden. In der Regel werden auch hier als Sitzanordnung im Quadrat bzw. Rechteck aufgestellte Tische gewählt. Dementsprechend formieren sich die VertreterInnen der Leistungs­erbringer und Leistungsträger gegenüber, der Sitzungsleiter/die Sitzungsleiterin sitzt an der dazwischen liegenden Tischseite und die Patientenvertretung dieser gegenüber. Berichtet wird aber auch von Ausschüssen, in denen die PatientenvertreterInnen außerhalb des von den Tischen formierten Quadrats auf separaten Stühlen hinter den VertreterInnen der Bänke mit dem Gesicht zum Sitzungsvorsitzenden sitzen. „Saßen außerhalb dieses Quadrates und mit dem Gesicht zum Vorsitzenden. Wir mussten so zu sagen durch die letzte Reihe des Quadrats durchgucken. Wir saßen quasi sozusagen am sprichwörtlichen Katzentisch. Und das ist durchaus sinnbildlich, würde ich sagen, was die Annahme angeht.“ (4, 34–40). Da die Sitzordnungen in den Ausschüssen auf Landes- und Bezirksebene nicht gesetzlich geregelt sind, sind Berichte über Sitzordnungen, dass die Patientenvertretung hinter den VertreterInnen der Leistungserbringer und Leistungsträger Platz nehmen, auf Ausschuss spezifische, interne Begebenheiten zurückzuführen. Wenn keine Absicht unterstellt wird, wurde schlichtweg nicht darauf geachtet, alle Parteien um das Quadrat gleichberechtigt zu positionieren. Derartige Schieflagen provozieren, wenn man den Eindruck der interviewten Patientenvertretung folgt, hier wird der Ausdruck „Katzentisch“ genannt. Zur Realisierung einer gelebten Anerkennungskultur der Patientenvertretung in den Ausschüssen sollte eine gleichberechtigte Sitzposition, derart dass die Patientenvertretung wie alle anderen Ausschussmitglieder am Tischquadrat sitzt, bindend sein; zwingend gesetzlich geregelt nur als letzte Option, aber in der praktischen Umsetzung immer durchgesetzt. Neben der oben genannten Anerkennungskultur bedarf es hier einer Aufmerksamkeitskultur.

Aufwandspauschale bei den Fahrtkosten unterschiedlich? Für die PatientenvertreterInnen sowie für die Ärztinnen und Ärzte gibt es unterschiedliche Aufwandserstattungsmodi. Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VAendG) wurde die Zahlung einer Aufwandsentschädigung in Form eines Pauschbetrages (zum 1. Januar 2007) eingeführt. Für die ehrenamtlich tätigen PatientenvertreterInnen stellt dieser Betrag eine Entschädigung für die finanziellen Aufwendungen sowohl für die Sitzung als auch für die Sitzungsvorbereitung (Nutzung privater Computer, Internetanschlüsse, Telefonanschlüsse, Drucker und Papiervorräte) dar.

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6. Empirische Explorationen

Erstattet werden neben einem Pauschbetrag, die Reisekosten (auf Grundlage der Reisekostenregelungen für den öffentlichen Dienst, d. h., auf der Bundesebene gilt das Bundesreisekostengesetz, auf Landesebene das Reisekostengesetz des jeweiligen Bundeslandes) und ein eventueller Verdienstausfall (Berechnungsgrundsatz wie er auch bei anderen Ehrenämtern im Bereich der Selbstverwaltung zur Anwendung kommt). Grundlage bildet der § 140 f Absatz 5 SGB V. Berichtet wird, dass VertreterInnen der Ärzte und PatientenvertreterInnen Sitzungsgelder als auch die Kilometerpauschalen in unterschiedlicher Höhe erhalten. Dokumente zeigen, die Kilometerpauschale für Zahnärzte beträgt 60 Cents, die für PatientenvertreterInnen 20 Cents, für schwerbehinderte PatientenvertreterInnen 30 Cents; das Sitzungsgeld der Zahnärzte beträgt 350 Euro, die Patientenvertretung bekommt ca. 50 Euro. „Beim Sitzungsgeld, das kann ich verstehen, weil das Verdienstausfall ist, auch wenn es ein Mittwochnachmittag ist. Bei der Kilometerpauschale, das finde ich ungeheuerlich. Das gehört sich überhaupt nicht.“ (5, 159–161)

6.5.2 Wirkungsperspektiven Wenn denn der Patientenvertretung auf Landesebene eine nahezu passive Rolle zukommt, dann schließt sich daran die Frage, wie es um die gesellschafts­ politischen Wirkungen bestellt ist. Was bewirkt die Teilnahme der Patientenvertretung an den Ausschusssitzungen?

6.5.2.1 Gesellschaftspolitische Wirkungsperspektiven Auf Landes- und Bezirksebene hat die Patientenvertretung keine direkten Einflussmechanismen etwa über Antrags- oder Abstimmungsrechte in den Ausschüssen. Das Anwesenheitsrecht und Mitberatungsrecht stellen aber Formen der indirekten Einflussnahme dar, denen gesellschaftspolitische Relevanz zuzuschreiben ist.

Achtsamkeit erzeugen und Betroffenenperspektive einbringen Ihre gesetzlich definierte Zielsetzung, dass die Patientenvertretung die Betroffenenperspektive einbringen soll, wird durch das Mitberatungsrecht gewährleistet. Gerade wenn es um soziale Aspekte der Krankheitsbewältigung, den gesellschaftlichen Umgang mit der Erkrankung geht, bringt auf der Bezirksebene die Patientenvertretung weitere Aspekte in die Diskussionen ein. Die Patientenvertretung bekommt dann die Funktion, bei den VertreterInnen der Leistungserbringer und Leistungsträger Achtsamkeit für soziale und finanzielle Aspekte der Patientinnen

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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und Patienten zu erzeugen. Dabei geht es nicht nur um Barrierefreiheit bei Versorgungspraxen, sondern auch darum auf weite Anfahrtswege zur fachärztlichen Versorgung für bewegungseingeschränkte PatientInnen aufmerksam zu machen sowie auf finanzielle Aspekte, wenn zu Therapiesitzungen Verkehrsmittel genutzt werden müssen (8,70), hinzuweisen. „Für mich ist es wichtig, dass wir nicht nur rein von medizinischer Seite aus ran gehen, sondern von sozialer Seite aus rangehen, und das bleibt meistens bei den Ärzten auf der Strecke, die haben nur ihre medizinischen und ihre Kennziffern.“ (8, 65) Gerade in der kontinuierlichen Diskussion und Darlegung der Schieflagen für die PatientInnen im Versorgungssystem wird Aufmerksamkeit erzeugt und kann u. U. zu langfristigen Veränderungen führen: „Ich sag immer, jeder Tropfen höhlt den Stein. Es gibt zwei Möglichkeiten, wir können ständig rummosern und uns die Leute vergraulen, oder wir können versuchen, sie über die Überzeugungsbasis dazu zu bekommen, mal langsam umzudenken“ (8, 82)

Beobachter- und Kontrollfunktion Der Anwesenheit von PatientenvertreterInnen in den Ausschüssen kommt eine Beobachterfunktion im Sinne einer Kontrollfunktion zu. Es kann sichergestellt werden, ob in den Ausschüssen auch die für die Ausschüsse vom Gesetzgeber vorgegebenen Themenfelder verhandelt werden. Als Vergleich kann hier die im Vereinsrecht verankerte Entlastung des Vorstands bei der Jahresmitgliederversammlung herangezogen werden. Nur muss die Patientenvertretung in den Ausschusssitzungen direkt ihr Veto einlegen, wenn ausschussfremde Sachverhalte in den Sitzungen diskutiert und beschlossen werden. „Und da war ich äußerst verwirrt, weil da hatte ich auf einmal das Gefühl, dass die in dem Landesausschuss Sachen entschieden haben, die eigentlich in den Zulassungsausschuss gehört hätten, da hatten dann Kieferorthopäden einen Antrag gestellt auf eine Ermächtigung oder Sonderbedarf oder irgendwie und das wurde plötzlich in dem Landesausschuss entschieden.“ (6, 52–56)

Teilnahme erzeugt öffentliche Wahrnehmung Die PatientenvertreterInnen auf Landes- und Bezirksebene erzeugen Öffentlichkeit. Alleine die Präsenz von Personen der Patientenvertretung in den Ausschusssitzungen schafft Öffentlichkeit. „Alleine dadurch, dass die Patienten da sind, ändert sich schon was.“ (6, 109) Die Patientenvertretung hat hier die Rolle der Vertretung der öffentlichen Wahrnehmung, was die Atmosphäre in den Ausschüssen verändert und zu Korrektiven gegenüber von der Öffentlichkeit gänzlich ausgeschlossenen Ausschüssen führt. Der Ausschuss verliert hier nicht nur seinen exklusiven sondern auch seinen exkludierenden Clubcharakter, indem Personen quasi

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6. Empirische Explorationen

von außen dem Clubgeschehen beiwohnen und es durch ihre Anwesenheit mit beeinflussen. Die Patientenvertretung bekommt hier die Rolle eines Beobachters. Dabei ist die Anwesenheit der Patientenvertretung nicht so passiv, wie es erscheint. Durch die Möglichkeit des Nachfragens kann Aufmerksamkeit erzeugt werden. Wenn beispielsweise nach Erläuterungen oder ergänzenden Informationen gefragt wird. Auch können Probleme bei der Umsetzung der Beschlüsse direkt angesprochen werden. Wenn z. B. in Berufungsausschüssen nach dem behindertengerechten Zugangsweg zur Praxis gefragt wird. Je nach Personenzusammenstellung in den Ausschüssen kann dies dann zu einem Nachdenken über oder im Idealfall zur Realisierung einer behindertengerechten Praxis kommen. Wie hoch die Einflussnahme über die Möglichkeit des Fragestellens und Mitdiskutierens eingeschätzt wird, wird sehr unterschiedlich bewertet. Den Blick auf das Ganze gerichtet, wird eine direkte Einflussnahme bei einer Beschlussfassung verneint, allerdings wird eine indirekte Einflussnahme durch die Tatsache, dass die Position der Patientenvertretung artikuliert werden kann, gesehen. Auf die Frage, „Haben Sie den Eindruck, dass das was die Patientenvertretung vorträgt, auch in die Beschlussfassung aufgenommen wird?“, folgt ein eindeutiges „Nein“. Ergänzt wird: „Wir diskutieren dann, die sagen dann ihr Gegenargument. Aber, ich denke mir, die haben auf jeden Fall gehört, was wir dazu zu sagen haben.“ (3, 290–291) Das über den Zeitablauf wiederkehrende Artikulieren eines bestimmten Themas wird als wichtig erachtet und dieser Hartnäckigkeit werden Erfolge zugeordnet. Als Beispiel wird das stete Mahnen der Patientenvertretung, dass beim Thema Sonderbedarf Zulassung auch die Wege, die ältere PatientInnen auf sich nehmen müssen bzw. noch können, berücksichtigt werden. (3, 292–299) 6.5.2.2 Personenbezogene Wirkungsperspektiven Die PatientenvertreterInnen auf der Landes- und Bezirksebene sind in der Regel im Gegensatz zur Patientenvertretung auf der Bundesebene ausschließlich Be­ troffene. Diese Betroffenheit macht die PatientenvertreterInnen nicht nur zu ExpertInnen in eigener Sache (Erkrankung, Gesundheitsmanagement), sondern die Betroffenheit stellt auch die Motivation dar, sich in der Patientenvertretung für sich und andere zu engagieren. Personales coping eröffnet weitere Handlungsspielräume Beobachtbar ist ein Wechselspiel zwischen personenzentrierter Motivation zur Mitarbeit in der Selbsthilfe und Krankheitsbewältigung. Das Engagement in der Patientenvertretung wird als Baustein zum coping eingesetzt und eröffnet der Per-

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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son einen weiteren Handlungsspielraum. Durch das Engagement erhält der Betroffene Anerkennung, die selbstbewusstseinsfördernd und selbstbildsteigernd wirkt und Lebenszufriedenheit vermittelt. Besonders scheint dies, wenn die Lebensphase der Frühverrentung ein Vakuum der Sinnorientierung zeigt. (4, 246–248) Hier kann wieder oben genanntes Beispiel des Nachfragens nach einem behindertengerechten Praxiszugangsweg als persönliches Erfolgserlebnis für sich und die Gruppe der in ihrer Bewegung eingeschränkten PatientInnen bewertet werden. Wird die Frage nach Inklusion von einer in der Bewegung sichtlich eingeschränkten Person im Berufungsausschuss oder gar bei der sich anschließenden Bekanntgabe des Ausschussergebnisses in der Anwesenheit des antragstellenden Arztes oder der antragstellenden Ärztin gestellt, wird ein gesteigertes Maß an öffentlicher Wahrnehmung transportiert. So rückt bei stark durch ihre chronische Erkrankung eingeschränkten Betroffenen die gesellschaftliche und politische Zielorientierung der Patientenvertretung in den Hintergrund oder wird von diesen gar nicht gesehen. Gleichsam wird die geringe Einflussnahme der Patientenvertretung in den Ausschüssen auf Landesebene negiert oder verdrängt. Die Begegnungen mit den VertreterInnen der Kassen und Ärzte werden als positiv und belebend wahrgenommen, in dem Sinne, dass man sich kennt, gegrüßt und geachtet wird. Der Wahrnehmungsprozess auf der zwischenmenschlichen Ebene wird als einer auf Augenhöhe beschrieben, auf der fachlichen Ebene hat die Patientenvertretung eh wenig Einblick, bzw. ist alles geregelt oder es gibt keinen Spielraum. Personenbezogene Zugangswege zu Facharztbehandlungen Als sogenannter personenbezogener Zusatznutzen werden Informationen über bestimmte Ärzte und bestimmte Behandlungsmethoden gesehen, zu denen dann auf personenbezogener Ebene Kontakt hergestellt wird und trotz Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sich verbesserte Therapiemethoden eröffnen, die ansonsten nur Privatkrankenversicherten zugänglich sind. (3, 118–139) Marginale individuelle Kompetenzerweiterung Die auf der Bundesebene von den PatientenvertreterInnen erlebten personenbezogenen Lernprozesse bei der Arbeit in der Patientenvertretung werden in den Landesausschüssen weniger wahrgenommen. Wenn einmal das formale Sitzungsablaufprozedere des jeweiligen Ausschusses bekannt ist, werden die Sitzungen auf der inhaltlichen Ebene zur Routine: „Es geht ja auch da bei den Ausschüssen immer nur um dasselbe und von daher ist es eigentlich egal, ob es jetzt eine Augenerkrankung oder so ist. Es geht ja um die Abwicklung, um das was gefordert wird.“ (3, 178–180)

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6. Empirische Explorationen

6.5.3 Erforderliche Kompetenzen Nach den für die Patientenvertretung erforderlichen Kompetenzen befragt, sollte der Idealtypus der/des Patientenvertreterin/Patientenvertreters auf Landesebene folgende Eigenschaften besitzen: kontinuierliche und langfristige Teilnahme, Präsenz, Teamfähigkeit, Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen, Redegewandt­ heit, Selbstsicherheit und psychische Belastbarkeit. Ein kontinuierliches und langfristiges Engagement in der Patientenvertretung stellt eine Informiertheit über vorherige Entscheidungen sicher (4, 245; 8, 126), da dann über zurückliegende Beschlüsse und Sachverhalte Kenntnisse existieren, die in aktuelle Diskussionen eingebracht werden können. Schafft die Patientenvertretung bei vorheriger Absprache in den Sitzungen als Team (4, 251; 5, 23) aufzutreten, stärkt dies ihre Wahrnehmung, aber auch ihre Überzeugungskraft gegenüber den VertreterInnen der Leistungserbringer und Leistungsträger. Dabei ist eine gewisse Hartnäckigkeit und ein Durchhaltevermögen von Vorteil, um bestimmte Sachverhalte (z. B. Barrierefreiheit) wiederholt auf die Tagesordnung zu bringen (4, 365; 8, 106). Redegewandtheit ist von Vorteil, allerdings ist eine ausgefeilte Rhetorik auf der Landesebene nicht so sehr wie auf Bundesebene nötig. Bei den persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen ist eine psychische Belastbarkeit bedeutend, besonders bei der Konfrontation mit hierarchischen Denkstrukturen seitens der Leistungsanbieter (4, 293), zudem kann die geringe Einflussnahme auf die Sachverhalte zur psychischen Belastung werden. 6.5.4 Weiterentwicklungserfordernisse der Patientenvertretung auf Landesebene An dieser Stelle ist erneut der Hinweis angebracht, dass unsere Studie einen explorativen Charakter hat, denn nachfolgende Ideen sind geprägt vom Status quo der Patientenvertretung der jeweiligen Bundesländer, in denen die Befragten als PatientenvertreterInnen benannt sind. Demnach gibt es Bundesländer, in denen genannte Vorschläge schon in der Umsetzung sind oder bereits umgesetzt sind. Von den Befragten wird als zentrales Defizit bei der Patientenvertretung auf Landesund Bezirksebene eine mangelhafte oder gar fehlende Vernetzungs- und Organisationsstruktur der PatientenvertreterInnen konstatiert. Genannt werden die Idee des Aufbaus einer Selbstorganisationsstruktur der Patientenvertretung sowie die Etablierung einer Koordinierungsstelle für die Patientenvertretung auf Landesund Bezirksebene.

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Uneinheitlichkeit bei der Patientenvertretung auf den Landesebenen Genau diese heterogene Ausgestaltung der Patientenvertretung in den Bundesländern, die – da der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung vieles offen lässt – in der Gesetzgebung grundgelegt ist, wird von den Befragten kritisiert und an den Gesetzgeber die Forderung gerichtet, hier nachzubessern. „Dass man auf der Bundesebene gleich die Aufgabe als Signal gegeben hätte, die Länderaktivitäten mit zu koordinieren, so als übergreifende Vernetzungsinstanz.“ (8, 168)

Aufbau einer Selbstorganisationsstruktur Seit 2015 stehen der Patientenvertretung Gelder bei den jeweiligen Landes­ ministerien zur Verfügung, diese müssen allerdings von der Patientenvertretung beantragt werden. Zu erkennen ist, dass die Strukturen fehlen, damit die Patientenvertretung es schafft, diese Gelder abzurufen (7, 61). Dabei muss die Motivation zur Selbstorganisation aus der Patientenvertretung selbst heraus erfolgen, es ist also ein Engagement für die Systemintegration seitens der PatientenvertreterInnen nötig. So müssen sich die PatientenvertreterInnen selbst organisieren und mit den jeweiligen Stellen der Landesministerien Kontakt aufnehmen und zum Beispiel den Aufbau einer Koordinierungsstelle für die Patientenvertretung einfordern (6, 246–249). Dies wird als kaum durchführbar in der Praxis beschrieben: „Aber es liegt dann an den einzelnen Personen, (…) wie viel Zeit haben die. Und dann sind die alle total bemüht im Grunde genommen, aber das sind immer Leute, die haben natürlich immer noch verschiedene andere Ehrenämter.“ (6, 168–170) Daraus folgernd ist festzustellen, dass die Patientenvertretung auf Landesebene transparentere Strukturen braucht. Insgesamt wird die Arbeit in der Patientenvertretung als sehr arbeits- und zeitintensiv beschrieben (8, 12). Hinzu kommt, dass das Schaffen immer neuer Ausschüsse in diesem Zusammenhang eher als ein lähmender, demotivierender Aspekt für die Patientenbeteiligung zu sehen ist.

Koordinierungsstelle der Patientenvertretung auf Landesebene Somit ist die Arbeit der Patientenvertretung auf Landes- und Bezirksebene über die Jahre immer umfangreicher und komplexer geworden: „Der Bereich der Patientenvertretung auf der Landes- und Regionalebene ist ja immer weiter ausgeweitet worden. Es hat immer mehr Gremien gegeben, die auf Landesebene was tun sollten. Und am Anfang waren es drei. Zulassungsausschuss, Berufungsausschüsse, Landesausschuss (…), es wird immer mehr. Und ich merke manchmal, ich habe überhaupt keinen Durchblick mehr, was macht da eigentlich wer, was sind da die Tätigkeiten der Patientenvertreter?“ (6, 274–283)

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6. Empirische Explorationen

Zur Reduzierung der Komplexität sowie zur Schaffung von transparenten Strukturen wird die Einrichtung einer „Koordinierungsstelle“ (6, 127) oder „Leitstelle“ (8, 138) vorgeschlagen. Diese Stelle sollte die PatientenvertreterInnen organisieren, diese aus- und weiterbilden für die Arbeit in den Ausschüssen mit dem Ziel, dass die Patientenvertretung dann in den Ausschüssen derart auftritt, dass sie „Gehör findet“ (5, 117). Diese Koordinierungsstelle sollte nicht nur für die Werbung zukünftiger PatientenvertreterInnen zuständig sein, sondern vor allem für den Erfahrungsaustausch der PatientenvertreterInnen untereinander sorgen. Auch die systematische Durcharbeitung der zahlreichen Protokolle der Sitzungen könnte weitere Erkenntnisse für die Arbeit der Patientenvertretung ergeben (8, 155) Dabei sollte die Koordinierungsstelle unabhängig und neutral sowie basisnah angesiedelt sein, weder bei den Krankenkassen, noch bei den Ärzten, noch bei der Politik untergebracht sein (5, 282–284). „Es ist wichtig, dass die Gesundheitsselbsthilfe unabhängig bleibt. Wo sie angesiedelt wird, das ist nicht wichtig, wichtig ist es, dass es neutral ist.“ (8, 180) Auch wird gefordert, dass die MitarbeiterInnen dieser Koordinierungsstelle hauptamtlich tätig sind. „Diese Leitstelle sollte personell besetzt sein, die kann das nicht so nebenbei machen, das ist eine Menge Arbeit.“ (8, 139) Integration von PatientenvertreterInnen mit körperlichen Einschränkungen Viele Personengruppen sind für die Arbeit in der Patientenvertretung ausgeschlossen, da die für eine Teilnahme an den Ausschusssitzungen erforderlichen Hilfsmittel für das Aktenstudium nicht finanziert werden. Beispiele sind die Gruppen der Sehbehinderten, Gehörlosen, aber auch bei nicht barrierefreien Zugangswegen zu den Ausschusssitzungen die Gruppe der Rollstuhlfahrer. Eine Befragte fasst es zusammen: „Die gesamte Patientenbeteiligung wurde gemacht für gesunde Patienten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die die mitarbeiten, gesund sind.“ (8, 164). Grade vor dem Hintergrund, dass sich die deutsche Regierung mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention völkerrechtlich zur Inklusion verpflichtet hat, sollte allen Personengruppen die Mitarbeit im gesellschaftlichen Bereich der Patientenvertretung möglich gemacht werden. Generationenwechsel auf der Landes- und Bezirksebene Auf der Landes- und Bezirksebene können nicht alle Positionen in der Patientenvertretung besetzt werden (8, 39). Dies schließt auch Probleme bei der Werbung geeigneter PatientenvertreterInnen ein. Der Generationenwechsel gestaltet sich schwierig, gerade vor dem Hintergrund, dass die monatliche Anzahl an Ausschusssitzungen zugenommen hat (8, 12–15). Doch sollten erfahrene, langfris-

6.5 Auswertung der qualitativen Interviews auf Landes- bzw. Bezirksebene

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tig tätige PatientenvertreterInnen als Potential gesehen werden und könnten die zukünftigen Patientenvertretergenerationen einarbeiten. Vorgeschlagen wird ein befristetes Mentoring durch erfahrene PatientenvertreterInnen (8, 150) oder ein Hospitieren zukünftiger PatientenvertreterInnen zusammen mit erfahrenen PatientenvertreterInnen in den Ausschusssitzungen, derart wie dies die VertreterInnen der Leistungserbringer und Leistungsträger auch machen (8, 160). 6.5.5 Skizzierung von Benchmarks der Ergebnisse der qualitativen Befragung auf Landes- und Bezirksebene (1) Die Strukturen für die Interessenvertretung der PatientInnen auf den Landesund Bezirksebenen unterscheiden sich deutlich in den einzelnen Bundesländern, hier wird eine zentrale Vernetzung angeregt. (2) Auf den Landes- und Bezirksebenen gilt es Organisations- und Vernetzungsstrukturen der Patientenvertretung zu etablieren, dabei sollte die ehrenamtlich tätige Patientenvertretung von unabhängig tätigen Institutionen in den Bereichen Selbsthilfe, Patientenunterstützung, Patientenbeteiligung und Patientenpolitik unterstützt werden, gegebenenfalls durch hauptamtlich tätiges Personal. (3) Die wahrgenommene Rolle der Patientenvertretung auf der Landes- und Bezirksebene ist passiver Natur. Die Patientenvertretung hat eine Präsenzfunktion, kein Mitentscheidungsrecht und nur ein eingeschränktes Mitberatungsrecht. Die Präsenz der Patientenvertretung erzeugt Öffentlichkeit. Und die Patientenvertretung hat eine Rolle der Vertretung der öffentlichen Wahrnehmung inne. (4) Die Patientenvertretung schafft auf der Landesebene Achtsamkeit für soziale und finanzielle Aspekte der PatientInnen und weniger für medizinische Aspekte der Versorgung. (5) Die Gesprächskultur in den Ausschüssen ist stark personenbezogen und variiert in Abhängigkeit von den Persönlichkeiten und Charakteren, die in den Sitzungen aufeinandertreffen. Die Sitzplatzposition der PatientenvertreterInnen ist in den Ausschüssen nicht vorgeschrieben, hier bedarf es ebenfalls einer Aufmerksamkeitskultur.

7. Gesamteinschätzung der Ergebnisse (Frank Schulz-Nieswandt) Die von uns generierten Daten sind aussagekräftig. In Bezug auf unseren anspruchsvollen Theorierahmen (Kapitel 2.) mussten wir Abstriche deutlicher Art vornehmen. Denn, wie geschildert, es wurde uns nicht ermöglicht, das gewünschte und zum Teil explizit vereinbarte Forschungsdesign einzuhalten. Allein die theoriegeleiteten choreografierten Gruppendiskussion in drei Unterausschüssen und deren dokumentarische Auswertung hätte wohl eine ertragreiche hermeneutische Datenlandschaft generiert. Doch auch das Sample der Interviews, das wir auf Bundesebene realisieren konnten, konkretisiert die Hypothesenbildung auf der Grundlage der explorativen Oral History-Interviews. Es ist durchaus zum Ausdruck gekommen, welcher Art die performativen Inszenierungen im G-BA sind. Die heuristische Hermeneutik unserer Metaphern (der „Bänke“ und „auf Augenhöhe“) hat sich durchaus als ergiebig erweisen. Ein Machtgefüge – folge ich der Soziologie der Figurationen von Norbert Elias (1991) – ist ein Raum sozialer Relationen, die einer Anordnungsgrammatik folgen. Eine entsprechende Atmosphäre von generativen Diskursen und sozialen Praktiken ist aufspürbar. Aus der Dyade der zwei Bänke ist eine Triade von drei Bänken geworden. „Vor Kopf“ – in choreographischer Position: der Vorsitz. Doch zeichnet sich dies nicht als ein V-förmiges Dreieck, sondern ein Querstrich durchzieht das Dreieck. Die Hauptbühne ist nach wie vor der konvergierende Komplementär-Antagonismus von Kassen und Leistungsanbietern. Eine Trennlinie durchläuft das Bild: Die Dritte Bank ist in hybrider Weise Innen außen. Die dritte Bank ist innen, aber schaut doch von außen auf das dominante Ping-Pong-Spiel der symbolischen Antagonisten. *  *  * Es gelang, insgesamt betrachtet, ein hohes Maß an Ergebniskohärenz in der Auswertung der verschiedenen Bausteine des Forschungsprojekts (Literaturanalysen [Kapitel 4.], zwei Gruppen von Interviews [Kapitel 5. und Kapitel 6.4] teilstandardisierte Fragebögen [Kapitel 6.3] auf der Bundesebene, teilnehmende Beobachtungen [Kapitel 6.2]) zu erzielen. Ergänzend konnten wir einige tiefere Einsichten in das Geschehen und deren Bewertungen auf der Landesebene generieren (Kapitel 6.5). *  *  *

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Mit Blick auf eine Beurteilung der Rolle der Selbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung im Sinne von § 140 f SGB V auf der Bundesebene zeichnet sich über die einzelnen Forschungsprojektmodule hinweg im Kern eine stabile Trendaussage ab. Dabei muss die hohe Selektivität der Erfassung des Gesamtgeschehens in Erinnerung gerufen werden. Die Vielfalt von Teilzusammenhängen und subkulturellen Entwicklungen (z. B. in verschiedenen Unterausschüssen) kann nicht abgebildet werden. Auch ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich im Forschungsprojekt um eine von spezifischen Erkenntnisinteressen geleitete Fokussierung auf die Rolle der Selbsthilfe handelt. Die Rekrutierung der VertreterInnen der Patientenbeteiligung ist ja breiter angelegt. Selbsthilfe ist nur ein Teil der Patientenbeteiligung. Aber genau die Erinnerung an diesen Sachverhalt leitet bereits zu einem Hauptbefund der Studie über. Der Diskurs um die Professionalisierung der Selbsthilfe im Rahmen dieser partizipativen Aufgabe – als Erfordernis von role-making im Zuge des roletaking – ist eigentlich auf bestimmte Art und Weise überholt. In den Interviews wird ferner deutlich, dass Funktionäre – also Funktionsvertreter aus den Verbänden – nicht nur kein Problem mit der Professionalisierung haben, sondern diesen Weg für notwendig erachten. Ehrenamtliche Einzelpersonen, die aus der Selbsthilfe kommen, reflektieren in einem deutlichen Sinne die Ambivalenzerfahrung und daher auch die Belastungen ihrer Rolle. Ohne Professionalisierung ist folglich eine entsprechende Partizipation nicht möglich. Dazu dient auch die Dienstleistung der Stabsstelle. Oder aber die Rekrutierung erfolgt insgesamt bereits professionalisierungsorientiert. Damit ist die Betroffenenselbsthilfe mit ihren spezifischen lebensweltlichen Problemhorizonten transformiert zur normalen Patientenvertretung. Es geht um die Partizipation der Organisationen der Patienten im Sinne von Fachverbänden, Verbraucherschutzinteressen oder advokatorischen Organisationen. Es ist in Kapitel 9. nochmals die Idee und die Argumentation aufzugreifen, den Begriff der Selbsthilfe auf die Mikroebene des Alltagsgeschehens der Menschen in ihren selbstorganisierten Gegenseitigkeitshilfen zu beschränken und die Unmittelbarkeit der Selbsthilfeförderung des § 20 h SGB V hier lebensweltlich verankert zu sehen, wobei die hierbei implizierte förderlogische Unmittelbarkeit auch auf die Meso-Ebene regionaler Strukturen für lokale Sozialkapitalbildung im Sinne der Netzwerkbildung sorgender Gemeinschaften  – hier sind die KISS angesiedelt – anzuwenden ist (Schulz-Nieswandt 2015a). *  *  * Vor diesem Hintergrund ist der Trend in der internen Kultur der Arbeit der Zwei Bänke angesichts der Emergenz einer Dritten Bank positiv zu beurteilen. Im Durchschnitt hat die Wertschätzung und Akzeptanz zugenommen. Dies ist vor dem Hintergrund der damaligen historischen Ausgangslage zu beurteilen. Die

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öffentlich-rechtlichen Kassen, die sich als quasi hoheitsrechtlich selbst-inszeniert haben, als ob sie staatsunmittelbare Verwaltung seien, einerseits und andererseits die Anbieter, die eine ausgeprägte Arroganz der Expertokratie zum Ausdruck brachten, verstanden sich beidseitig als originäre Treuhänder der Patientenwelt. Über die Jahre – und es darf nochmals an die diesbezügliche kulturelle, veränderungsbahnende Hebammen-Rolle des langjährigen Vorsitzes erinnert werden – wuchs die Akzeptanz der Dritten Bank. Dennoch mag es nicht überraschen, dass diese Kultur der Wertschätzung auf Augenhöhe nicht nur differenziert und mit­ unter labil bleibt, weil sie in die Wechsellagen von thematischen und situativen Allianzbildungsspielen eingelassen ist, sondern weil in dieser etablierten Arena der korporatistischen Regimeordnung Authentizität ein fragiles Phänomen ist. Die teilnehmenden Beobachtungen haben sogar im öffentlichen Raum des Forums jene latenten Spannungen aufspüren können, die deutlich machen, wie sehr auf der Oberfläche das Maskenspiel (Hüls 2013; Weihe 2004) die bi-polar aufgespannte Figuration der Ökonomie der Interessen überdeckt, aber nie endgültig zum Verschwinden bringen kann. Authentizität als Empathie gegenüber der Lebenswelt des homo patiens ist von Funktionären kaum zu erwarten. Denn dies wäre ein anderer hermeneutischer Sinnhorizont, in dessen Lichte Aushandlungsprozesse geführt werden. Es geht um die abstrakte Ebene der Logik eines medizinisch-technischen Komplexes und dessen öffentlich-rechtliche Re-Finanzierung, nicht um die bedarfsgerechte Versorgung und um die vorgängige Klärung, was denn der Bedarf aus Sicht eines bio-psycho-sozialen Modells – wenn an diese Traditionslinie daseinsanthropologischer Medizin (Schulz-Nieswandt 2010) erinnert werden darf – sei. Die kulturelle Ankertiefe der Authentizität ist und bleibt fraglich. Denn das Hauptanliegen des korporatistischen Spiels ist strukturkonservative Verwaltung systembezogener Finanzströme, nicht eine zukunftsorientierte, weltoffene, von sozialer Phantasie geprägte (dionysische: Schulz-Nieswandt 2015) Transformation des Systems der Versorgung, die ihren Fluchtpunkt in der Lebenswelt der PatientInnen und ihren Lebendlagen hat. Das System ist nicht innovationsgetrieben. Die polit-ökonomische Konstellation sieht demnach anders aufgestellt aus: Zur Rolle der Leistungsanbieter: Die Konstellation der Faktoren zur Erklärung des kollektiv geteilten Habitus der Leistungsanbieter (Ärzte; Krankenhäuser) ist komplex. Doch kristallisiert sich im Wettbewerb letztendlich das Dispositiv der Angebotskapazitätsauslastung heraus. Dieser Pfadabhängigkeit fehlt eine grundlegende Transformationsoffenheit, die sich für Heterotopien (Schulz-Nieswandt 2016) interessieren würde. Das genau wäre jedoch die Perspektive der Versicherten und der Gesundheitsselbsthilfe. Zur Rolle der Kassen: Die Analyse der Kassen ergibt ein analoges Bild. Im Wettbewerb stehend und verschiedenen Vektoren ausgesetzt, werden Kassen vom Dispositiv der Beitragssatzstabilität als Proxy für die Finanzstabilität von Ausga-

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ben und Einnahmen getrieben. Sieht man im Vorfeld der Einführung des damaligen § 140 a-h SGB V in Verbindung mit Selektivverträgen vom Sprachspiel der Bundes-AOK ab, man wolle Player, nicht nur Payer sein, so erweisen sich Kranken- und Pflegekassen als unpolitische Versicherer in dem Sinne, dass sie an der Steuerung der Versorgungslandschaften im Dienste des homo patiens nicht wirklich interessiert sind. Insofern konvergieren die habituellen Selbstaufstellungen der beiden Bänke. Sie teilen gemeinsam eine Dispositivordnung der Strukturverwaltung. Eine eigene Pilotitis der Modellprojekte – forschungspolitikmanagerial von einer GKV-internen Wissenschaftsabteilung kanalisiert – dekoriert die Pfadabhängigkeit der Akteure. Die gewährleistungsstaatliche Idee der Delegation öffentlicher Aufgaben, hier an öffentlich-rechtliche Körperschaften, wird von den Kassen erfüllungslogisch gestaltend nicht gelebt, sonst würden sie sich als Partner der Daseinsvorsorge im Sinnen von Art. 28 i. V. m. Art. 72 vor dem Hintergrund von Art. 20 GG verstehen. Und dies angesichts der grundrechtlichen Vorgaben des EUV/AEUV und des Völkerrechts. Endlich wäre der Sicherstellungsauftrag im SGB V im Lichte des § 1 SGB I (und dies wiederum im engen rechtshermeneutischen Kontext von Art. 2 vor dem Hintergrund von Art. 1 GG) zu betonen (Schulz-Nieswandt 2015b). So eingeordnet werden Umfang und Tiefe der gewährleistungsstaatlichen Unterlassungen seitens der GKV überaus prägnant. Die GKV (einschließlich SGB XI) kommt ihren verfassungsrechtlichen Aufgaben nicht angemessen nach. Im Ergebnis ist die soziale Wirklichkeit der Patientenerweiterung eine Komplexitätserhöhung des Korporatismus von der Dyade zur Triade. Der Kreis der beteiligten Akteure hat sich erweitert. Die Transparenz ist gestiegen. Transformative Bedeutung kommt der Patientenbeteiligung – und damit implizit der Gesundheitsselbsthilfe – gemäß § 140 f SGB V nicht zu. Diese fehlende Perspektive einer Arbeit an einer versorgungskulturellen Mutation des Systems replizierte sich auch bei den Erfahrungsberichten auf der Landesebene der Patientenbeteiligung. *  *  * Das sind Einsichten, die keine Argumente gegen die Patientenbeteiligung generieren. Es sind aber analytische Einsichten gegen verzerrende Mythenbildungen als Funktionszuschreibungen an den § 140 f SGB V. Die Patientenbeteiligung ist ein erfolgreicher Beitrag zur formalen Demokratisierung innerhalb der Pfadabhängigkeit des koporatistischen Spiels. Die Umsetzung der Hoffnung auf einen „Kulturwandel der Medizin“ (Schulz-Nieswandt 2010) steht jedoch weiterhin aus. Was sich als Hypothese verstärkt aus der Auswertung des qualitativen Datenmaterials herauskristallisiert, ist die organisationssoziologisch plausibilisierbare Einschätzung, Verbände entwickeln ein Interesse an sich selbst und entwickeln (von der mitgliederbezogenen Förderpolitik nach Innen) nach Außen eine aus­

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geprägte Präferenz für das Mitspielen des politischen Spiels in der etablierten Arena. Die Selbsthilfeverbände – allem voran die BAG SH als Bundesspitzenverband – praktiziert dies mit Stolz, ist man doch vom Underdogs der Laienbewegung aufgestiegen zur verantwortlichen Rekrutierungsagentur für die Dritte Bank im G-BA. Höchst sensibilisiert angesichts der anhaltenden verfassungsrechtlichen Kritik an der Macht des G-BA wird die verbandliche Gesundheitsselbsthilfe zum integrierten Teil der Verteidigung des G-BA durch den G-BA, da die eigene gewachsene politische Rollenidentität gefährdet ist. Passend dazu wird ein distanziert-sachlicher Habitus in der Selbstdarstellung der Stabsstelle deutlich. Vollständig ent-politisiert, ohne auch nur ansatzweise differenzierte und selbst-reflexive Problematisierung, nur auf eine reine wissenschaftliche Dienstleistungsfunktion abstellend, wird die Darstellung geradezu von einem entsprechenden Hygienedispositiv organisiert. Man spürt die fehlende Freiheit, über die Rolle reflektiert zu sprechen. Auch wird kaum erwogen, welche implizite Macht im Sinne proaktiver Handlungsspielräume auch in einer solchen Dienstleistungsfunktion liegen kann. *  *  * Insgesamt wird eine gewisse tief verankerte Ambivalenz dieser Systementwicklungen spürbar. Im Datenmaterial findet diese Einschätzung dort eine Fundierung, wo es um die Argumentation ging, die Selbsthilfe müsse Systemverantwortung übernehmen. Es ging nicht um indikationsspezifische Kompetenz und um lebensweltliche Betroffenheit, die partizipativ eingebracht wird. Das sei Romantik und nicht sachgemäß. Aus einer post-strukturalen Sicht muss verständlich werden, was mit dem Erwartungswert der Rolle der Systemverantwortung gemeint ist: Gemeint ist die Sozialisation zur Fähigkeit der Rollenübernahme auf der etablierten korporatistischen Bühne die Logik des Drehbuches zu akzeptieren und das Spektrum der Fraktionen in der expertokratischen Selbstverwaltung zu erweitern. Die Mitarbeit im G-BA sozialisiert die Akteure. Die Welt des G-BA als ein Mikrokosmos der gemeinsamen Selbstverwaltung bildet in einem gewissen Sinne Eigenschaften einer epistemischen Gemeinschaft (Fleck 1980) heraus. Zwar teilen nicht alle Mitglieder hochgradig ein einheitliches Deutungsmuster der eigenen Identität. Aber alle replizieren habitualisiert die Logik der Bänke-Ordnung. Diese umfasst einerseits und als Hauptachse der Geschehensordnung die komplementäre Bi-Polarität der beiden Hauptbänke, die fast wie Hegels Phänomenologie der Herr-Knecht-Dialektik (Kojève 1975) sich gegenseitig funktionslogisch brauchen, andererseits die dritte Bank, deren Hybridizität darin besteht, einerseits Teil des zur Triade avancierten dyadischen Korporatismus geworden zu sein, andererseits doch im Modus des Beobachtenden-Betrachters eines Ping-Pong-Spiels zu sein.

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Man könnte vom Theorem der Demokratisierung der Expertokratie sprechen. Im Kern geht es um Partizipation am Dispositiv der evidenz-gestützten Medizin (EBM: Greenhalgh 2015; Todt 2015; Gärtig-Daugs 2014). Diese Zentrierung um die Medizin-Effektivität ist dadurch rationalisiert worden, dass die Wissensgenerierung durch die enge Zusammenarbeit mit dem IQWiG und dem IQTiG fundiert worden ist (Kluth 2015, 98 ff.). Dies kommt jedoch der Gefahr einer Vertiefung der Kolonialisierung der Lebenswelten gleich. Die Dispositivordnung der EBM stellt in diesem Lichte in gewissen Grenzen eine neuartige Stufe wissenschaftsgläubiger Ent-Politisierung von Machtsystemen dar. Der Stand der Künste wird zur Funktion der hochgradig ritualisierten und im B-GA institutionalisierten Survey-Auswertungspraktiken. Damit wird die permanente Modernisierung des Leistungskatalogs des Systems definiert. Danach geht es nur noch um die Ausfinanzierung. Dabei kommt es dennoch nicht zu einer Gleichheit der vormals zwei, nunmehr drei Spieße. Und dies ist keineswegs primär eine Funktion des fehlenden Stimmrechts. Hier war die Meinungsbildung ohnehin sehr uneinheitlich. Das Problem liegt nicht darin, dass die Selbsthilfe im Rahmen der Patientenbeteiligung zwar organisations- und artikulationsfähig, aber infolge des fehlenden Stimmrechts nicht wirklich konfliktfähig ist. Sie ist deshalb nicht konfliktfähig (Offe 2003; 2006), da sie keine relevanten Leistungen verweigern kann, wie etwa ein Streik von verdi oder der Professionen im Gesundheitswesen. Ihre Macht ist eher symbolischer Art, quasi moralischer Natur, die an der Wertschätzung und generöser Empathie machtvoll etablierter Dritter (Kassen und Leistungsanbieter) gebunden bleibt. Mit Blick auf die Kassen ist dieser Zusammenhang höchst bemerkenswert, denn eigentlich sind die Versicherten (vertragstheoretisch im Sinne der neuen Institutionenökonomik gesehen) die Prinzipale ihrer Versicherungen. Doch die Kassen sind vielmehr eigenlogische Akteure mit ausgeprägtem Interesse an sich selbst (Vobruba 1983) geworden. Sie replizieren ihre Machtposition in einem figurativen Feld, in dem die Patientenlebenswelt de-zentriert ist. Kassen wie Leistungsanbieter sind entgegen der Gemeinwirtschaftslehre (Thiemeyer 1970) eines solidarischen Gesundheitswesens formalzieldominiert. Es geht, wie angesprochen, um die Dispositive der Kapazitätsauslastung und der Beitragssatzstabilität. Erst sekundär geht es um die Sachzielwirtschaft der Bedarfsdeckung. An dieser fehlenden Dominanz der Logik der Sachzieldominanz ändert auch die formale Partizipation der Betroffenen im G-BA kaum etwas. Die Debatte um eine neue Steuerung im Lichte einer Ziele-orientierten Gesundheitspolitik blieb ein Strohfeuer in der Gesundheitsreformpolitik der letzten Dekaden. Nach wie vor lautet die grammatische Logik des Systems: Die PatientInnen folgen den Geldströmen, nicht die Geldströme dem Wandel der Bedarfe der PatientInnen.

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Literatur Elias, N. (1991): Die Gesellschaft der Individuen. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Fleck, L. (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. 10. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gärtig-Daugs, A. (2014): Evidenzbasierte Leitlinien – ein Instrument zur Steigerung der Qualität im Gesundheitswesen? Hamburg: Kovac. Greenhalgh, T. (2015): Einführung in die evidenzbasierte Medizin. 3. Aufl. Bern: Huber. Hüls, A. M. (2013): Maske und Identität. Würzburg: Königshausen & Neumann. Kluth, W. (2015): Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach Paragraph 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts: Aufgaben, Funktionen und Legitimation. Berlin: Duncker & Humblot. Kojève, A. (1975): Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Offe, C. (2003): Herausforderungen der Demokratie. Frankfurt am Main-New York: Campus. – (2006): Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. Frankfurt am Main-New York: Campus. Schulz-Nieswandt, F. (2010): Wandel der Medizinkultur? Berlin: Duncker & Humblot. – (2015): „Sozialpolitik geht über den Fluss“. Zur verborgenen Psychodynamik in der Wissenschaft von der Sozialpolitik. Baden-Baden: Nomos. – (2015a): Gesundheitsbezogene und soziale Selbsthilfegruppen als bürgerschaftliches Engagement im sozialräumlichen Kontext kommunaler Daseinsvorsorge. In: DAG SHG (Hrsg.): Selbsthilfegruppenjahrbuch 2015. Gießen, S. 134–149. – (2015b): Kommunale Daseinsvorsorge und demographische Schrumpfung. Ein Problemaufriss am Beispiel der Gesundheits- und Pflegedienste im Kontext des Wohnens. In: Kommunalwirtschaft. Sonderausgabe (Dezember), S. 16–20. – (2016): Hybride Heterotopien. Metamorphosen der „Behindertenhilfe“. Ein Essay. BadenBaden: Nomos. Thiemeyer, Th. (1970): Gemeinwirtschaftlichkeit als Ordnungsprinzip. Berlin: Duncker & Humblot. Todt, St. (2015): Evidenzbasierte Medizin als Rechtsbegriff. Hamburg: Kovac. Vobruba, G. (1983): Politik mit dem Wohlfahrtsstaates. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Weihe, R. (2004): Die Paradoxie der Maske. 2. Aufl. München: Fink.

8. Reflexion und Schlussfolgerungen zur Mitwirkung der Gesundheitsselbsthilfe in der gemeinsamen Selbstverwaltung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Kontroversen (Frank Schulz-Nieswandt) Der G-BA nach § 91 SGB V ist von Anbeginn an umstritten. Dazu gehören auch passend verfassungsrechtliche Kontroversen. Hierzu kann bereits auf eine gewisse Literaturgeschichte zurück geblickt werden. Zuletzt hat Kluth (2015) gutachterlich Stellung genommen. Sein Gutachten wurde im Auftrag des G-BA geschrieben und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Hierbei arbeitet Kluth – wenn auch nicht vollständig (vgl. etwa Christopeit 2013) – einen großen Teil der bisherigen Literatur (vgl. etwa Seeringer 2006; Ziermann 2007; Vießmann 2009; Zimmermann 2012) auf. Allerdings geht Kluth nicht explizit auf den § 140 f SGB V ein. Kluths Position ist auch u. E. vertretbar. Entgegen einer älteren konservativen Position und Traditionslinie in der deutschen Staatsrechtslehre, wonach die Legitimation eine direkte Ableitungskette aus dem Volkskörper sein muss und daher ihren Ort in der ministeriellen Topographie unmittelbarer Staatlichkeit finden muss, stellt die Gemeinsame Selbstverwaltung eine deutschrechtliche Traditionslinie dar, die in legitimerweise zur Staatsentlastung staatsmittelbare Organe zur untergesetzlichen Normierung nutzt. Allerdings gehören hierzu Qualitätsanforderungen an diese Organe, die für überschaubare und abgegrenzte Aufgaben auftragsgemäß sein müssen. Gerade diese sieht Kluth in der Sachlichkeit der Expertise und vor allem in der Fundierung der Normierungsarbeit durch wissenschaftliche, also methodische kontrollierte Wissensgenerierung (im Kontext von EBM: Todt 2015) gewährleistet. Allerdings überrascht eine gewisse soziologische Unsensibilität von Kluth, etwa dort, wo er die Bedenken von Kingreen (ähnlich Vießmann 2009) gegen die korporatistische Logik im G-BA problematisiert (Kluth 2015, 21). Der Begriff des Korporatismus (vgl. auch Döhler/Manow-Borgwardt 1992) müsste auch der verfassungsrechtlichen Literatur nicht fremd sein. Kingreen problematisiert ja die einfach vorausgesetzte These, die Kassen würden bereits die Interessen ihrer Versicherten vertreten (Kluth 2015, 22). Diese Analyse von Kluth ist für uns deshalb von Bedeutung, weil in grundsätzlicher Hinsicht das Thema der Verfassungswidrigkeit des G-BA somit zur Seite gelegt werden kann, nicht aber die Notwendigkeit empirischer Erforschung der so-

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8. Reflexion und Schlussfolgerungen zur Gesundheitsselbsthilfe

zialen Wirklichkeit der Machtverhältnisse in diesem figurativen Feld. Und genau hier sind die politikwissenschaftlichen Einwände gegen die korporatistische Logik durchaus von zentraler Bedeutung. Es kann in der verfassungsrechtlichen Literatur nicht von der sozial- und kulturwissenschaftlichen Analyseperspektive abstrahiert werden. Neben der formalen Legitimation ist auch die materiale Rationalität des Geschehens von Interesse. Und hier dominiert die Politische Ökonomie von (von Skotomisierung [Gesichtsfeldeinschränkung: Roudinesco 1996, 422] geprägten Standesinteressen gegenüber der gesellschaftlichen Notwendigkeit, ein dem sozialen Wandel und seinen Megatrends passungsfähiges innovatives (bedarfsgerechtes, im Zentrum auf die Lebenswelten des homo patiens anthropologisch [Schulz-Nieswandt 2010] abstellendes) Sozial- und Gesundheitswesen transformativ, die bisherige Pfadabhängigkeit überschreitend zu denken und zur Wirklichkeit zu treiben. Daran ist letztendlich auch die Patientenbeteiligung zu messen. Sonst besteht die Gefahr, dass Patientenbeteiligung eine Praxis der Beteiligung an der Verwaltung eines partiell iatrogenen Systems der Gleichzeitigkeit von Über-, Fehl- und Unterversorgung ist.

Literatur Christopeit, V. (2013): Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses am Beispiel der Methodenrichtlinien. Hamburg: Kovac. Döhler, M./Manow-Borgwardt, P. (1992): Korporatisierung als gesundheitspolitische Strategie. In: Staatswissenschaften und Staatspraxis, S. 64–109. Kluth, W. (2015): Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach Paragraph 91 SGB V aus der Perspektive des Verfassungsrechts: Aufgaben, Funktionen und Legitimation. Berlin: Duncker & Humblot. Roudinesco, E. (1996): Jacques Lacan. Bericht über ein Leben. Geschichte eines Denksystems. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Schulz-Nieswandt, F. (2010): Wandel der Medizinkultur? Berlin: Duncker & Humblot. Seeringer, St. (2006): Der gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V. Rechtliche Form, normative Befugnisse und Steuerung der Qualität der medizinischen Versorgung. BadenBaden: Nomos. Todt, St. (2015): Evidenzbasierte Medizin als Rechtsbegriff. Hamburg: Kovac. Vießmann, Th. (2009): Die demokratische Legitimation des gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGHB V. Baden-Baden: Nomos. Ziermann, K. (2007): Inhaltsbestimmung und Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Bewertungsausschüsse im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Berlin: Duncker & Humblot. Zimmermann, Chr. (2012): Der Gemeinsame Bundesausschuss. Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog. Berlin: Springer.

9. Fazit: „Wer hat eigentlich das Sagen?“ (Frank Schulz-Nieswandt) Der Titel entspricht einem Tagungsbericht zum Thema Selbstverwaltung im Gesundheitswesen im Allgemeinarzt (www.allgemeinarzt-online.de/; Zugriff am 5. November 2015). Dort wird die uneindeutige Entwicklung der Steuerungsphilosophie des Gesundheitswesens in Deutschland zwischen Marktöffnung und Wettbewerb einerseits und der Tradition des Korporatismus andererseits diskutiert. Auch die strittige Legitimationslage der steigenden Bedeutung des G-BA ist hierbei ein Thema. Die vorliegende qualitativ-explorative Studie konnte helfen, dieses Thema vertieft zu problematisieren. Die Ergebnisse sind keine Argumente gegen den Korporatismus der Gemeinsamen Selbstverwaltung, wenngleich es solche Argumente mit Blick auf Problemanzeigen (vor allem hinsichtlich fehlender Innovationstriebkraft – von der auszugehen ist [Schulz-Nieswandt 2015c; 2016; 2016a] zugunsten eines Strukturkonservatismus, was umgekehrt aber wiederum kein Argument für problemlose wettbewerbliche Marktöffnung darstellt) begründet gibt. Problematisiert werden muss das Sprachspiel. Es kristallisiert sich eine Evidenz heraus, wonach die Mitwirkung der Patientenbeteiligung nicht (mehr) als Mitwirkung von Betroffenenselbsthilfe bezeichnet werden sollte. Es handelt sich um die Mitwirkung von Patientenvertretungen als Ausdruck einer Mitwirkung eines Verbändewesens, dessen Genese als Selbsthilfeorganisation aus der Selbsthilfebewegung doch von typischen Entfernungsdynamiken  – dies ist eine harmlose Umschreibung von Robert Michels (Michels 1989; Bluhm/Krause 2012, Bender/ Wiesendahl 2011) „Ehernes Gesetz der Oligarchie“ (von 1911) – geprägt ist. Auch dies ist kein Argument gegen das Verbändewesen und gegen die Patientenbeteiligung. Aber es macht morphologisch mehr Sinn, von Gesundheitsselbsthilfe nur im Rahmen einer gewissen lebensweltlichen Nähe, die im Kontext der Gewährleistung und Sicherstellung lokaler sorgender Gemeinschaften im Themenkreis kommunaler Daseinsvorsorge (Schulz-Nieswandt 2015; 2015a, 2015b; Schulz-­ Nieswandt/Köstler 2012) anzusiedeln sind, zu sprechen: „Patientenbeteiligung – ein komplexes Treiben“. Eine Sekundäranalyse eines Interviews mit Martin Danner (Bundesgeschäftsführer der BAG SH) Quelle ist ein Interview, das Martin Danner unter gleichnamigen Titel in „monitor. Versorgungsforschung“ (8 [5] 2015, S. 16–19) im Gespräch mit Peter Stegmaier gegeben hat.

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9. Fazit: „Wer hat eigentlich das Sagen?“

Zunächst ist es von Interesse, dass das Interview deutlich abstellt auf die Metapher der Bänke und auf das Bild der gleich langen Spieße. Mit Blick auf die symbolische Funktion von räumlichen Sitzanordnungen als Ausdrucksform politischer Repräsentation und ihrer Machtverteilung gibt Danner selbst ein Beispiel: „Bei den Anhörungen im Gesundheitsausschuss sitzen in der ersten Reihe immer die Kassenvertreter, in der zweiten die Ärztevertreter, in der dritten meist die Vertreter spezifischer Leistungserbringer, der Fachgesellschaften und der Pharmaindustrie und in der vierten sitzen immer die Patientenorganisationen.“ Und dann weiter: „Ich habe im Gesundheitsausschuss schon öfters gesagt, dass diese Sitzordnung auch als Ausdruck eines Stellenwerts angesehen werden kann. Aber immerhin (…).“ (S. 17) Insgesamt folgt das Interview drei Phasen des Argumentierens. In der ersten Phase hebt Danner die Erfolge in dieser Geschichte des § 140 f SGB V hervor. Hier sei „Mit Sicherheit“ (S. 16) „Bürger- und Patientenbeteiligung per se ein regulativer Faktor.“ Danner stimmt der Redeweise von einer „Notarfunktion“ zu: „Die Anwesenheit von Patientenvertretern ändert aber auch Inhalte. Wenn Patientenvertreter dabei sind, wird in solchen Gremien eher versucht, über die Sache an sich zu sprechen, was nicht ausschließt, dass implizit die finanziellen und berufsständischen Interessen mitverhandelt werden.“ (S. 16) Auf grundlegende Fragen zu komplexeren Zukunftsvisionen des Wandels des Gesundheitswesens, vor allem mit Blick auf trans-sektorale Entwicklungen und auch sozialgesetzbuch-übergreifende Entwicklungen im Rahmen der Sozial- und Gesellschaftspolitik, und dies ist eine zweite Phase in der Struktur des Interviews, kommt auch bei Danner zum Ausdruck, dass diese Themen ausgespart sind, auf lange Sicht kaum Aussichten auf Aufnahme in Diskursen unter Patientenbeteiligung haben. Auf die rhetorische Frage „Die Gesellschaft akzeptiert es also unhinterfragt, dass diejenigen, die am Gesundheitssystem verdienen, diejenigen sind, die am runden Tisch quasi unter sich aushandeln, mit welcher Qualität und welcher monetären Mittelverteilung versorgt wird?“ antwortet Danner schlicht: „Offenbar ist das noch so.“ (S. 18) In einer dritten Phase der Struktur des Interviews fokussiert Danner auf die notwendige Professionalisierung, da die Tätigkeit im G-BA eine Vollzeitbeschäftigung ist. Letztendlich benötigte die Patientenvertretung eine umfassende Ressourcenausstattung, um im System gleich langer Spieße auf Augenhöhe mitwirken zu können. Denkt man diese dritte Phase weiter, so wird überaus deutlich, dass es um den Aufbau eines eigenen wissenschaftlichen Apparates geht, um die Einsetzung hoch professionalisierter ExpertInnen als Patientenvertretungen. Daher ist es auch eine Signatur des Gesprächs, dass von Selbsthilfe und Betroffenenlebenswelten im Interview keine Rede ist. *  *  *

9. Fazit: „Wer hat eigentlich das Sagen?“

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Insofern sollte es um eine weitere Klärung der (auch bislang selbst genutzten [Schulz-Nieswandt 2012]) Terminologie in der Selbsthilfeforschung mit Blick auf die „Selbsthilfeorganisationen“, (zu denen das SHILD-II-Projekt [vgl. in Kofahl/ Schulz-Nieswandt/Dierks 2015] bereits typologische Erkenntnisse geliefert hat) gehen (vgl. auch Rojatz 2017). Das ändert nichts an der Relevanz der Mehr-Ebenen-Analyse (Schulz-Nieswandt 2011; Schulz-Nieswandt/Langenhorst 2015).

Literatur Bender, Chr./Wiesendahl, E. (2011): Ehernes Gesetz der Oligarchie: Ist Demokratie möglich? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (B44–45), S. 19–24. Bluhm, H./Krause, S.  (Hrsg.) (2012): Robert Michels’ Soziologie des Parteiwesens. Oligarchien und Eliten – die Kehrseiten moderner Demokratie. Wiesbaden: VS. Kofahl, Chr./Schulz-Nieswandt, F./Dierks, M. L. (Hrsg.) (2015): Selbsthilfe und Selbsthilfe­ unterstützung in Deutschland. Berlin: LIT. Michels, R. (1989): Zur Soziologie des Parteienwesens der modernen Demokratie. 4. Aufl. Stuttgart: Kröner. Rojatz, D. (2017): Kollektive Patientenbeteiligung als (Heraus-) Forderung. Eine qualitative Analyse von Selbsthilfeorganisation zur Reflexion ihrer Möglichkeiten und Grenzen. Diss. Universität Wien. Schulz-Nieswandt, F. (2011): Gesundheitsselbsthilfegruppen und ihre Selbsthilfeorganisatio­ nen in Deutschland. Der Stand der Forschung im Lichte der Kölner Wissenschaft von der Sozialpolitik und des Genossenschaftswesens. Baden-Baden: Nomos. – (2012): Multi-disziplinärer Blick auf soziale gegenseitige Selbsthilfe und politische Selbstorganisation von Menschen mit chronischen und seltenen Erkrankungen. In: Monitor Versorgungsforschung 5 (1), S. 38–42. – (2015): Bürgerschaftliches Engagement im Kontext kommunaler Daseinsvorsorge. In: Exner, S. u. a. (Hrsg.): Silver-Age, Versorgungsfall oder doch ganz anders? Perspektiven auf Alter(n) und Altsein erweitern! Baden-Baden: Nomos, S. 58–77. – (2015a): Gesundheitsbezogene und soziale Selbsthilfegruppen als bürgerschaftliches Engagement im sozialräumlichen Kontext kommunaler Daseinsvorsorge. In: DAG SHG (Hrsg.): Selbsthilfegruppenjahrbuch 2015. Gießen, S. 134–149. – (2015b): Kommunale Daseinsvorsorge und demographische Schrumpfung. Ein Problemaufriss am Beispiel der Gesundheits- und Pflegedienste im Kontext des Wohnens. In: Kommunalwirtschaft. Sonderausgabe (Dezember), S. 16–20. – (2015c): „Sozialpolitik geht über den Fluss“. Zur verborgenen Psychodynamik in der Wissenschaft von der Sozialpolitik. Baden-Baden: Nomos. – (2016): Inclusion and Local Community Building in the Context of European Social Policy und International Human Social Right. Baden-Baden: Nomos. – (2016a): Hybride Heterotopien. Metamorphosen der „Behindertenhilfe“. Ein Essay. BadenBaden: Nomos.

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9. Fazit: „Wer hat eigentlich das Sagen?“

Schulz-Nieswandt, F./Köstler, U. (2012): Das institutionelle und funktionale Gefüge von kommunaler Daseinsvorsorge und bürgerschaftlichem Engagement. Ein anthropologischer Zugang zu einem sozialmorphologisch komplexen Feld in sozialpolitischer Absicht. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 35 (4), S. 465–478. Schulz-Nieswandt, F./Langenhorst, F. (2015): Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland. Zu Genealogie, Gestalt, Gestaltwandel und Wirkkreisen solidargemeinschaftlicher Gegenseitigkeitshilfegruppen und der Selbsthilfeorganisationen. Berlin: Duncker & Humblot. Stegmaier, P. (2015): „Patientenbeteiligung – ein komplexes Treiben“, Interview mit Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe. In: Monitor Versorgungsforschung 8 [5] 2015, S. 16–19.

10. Metamorphosen der Kritik (Frank Schulz-Nieswandt) Die Analyse kommt nochmals auf eine theoretische Anmerkung im Vorwort zurück. Der Kreis schließt sich also. Die organisierte und artikulationsfähige Kritik des Versorgungsystems des Sozial- und Gesundheitswesens kann im Sinne einer Exit-Option außerhalb der Entscheidungsfindungsmechanismen des Systems bleiben. Topographisch ist dies die Position als ein Da-Draußen. Von hier aus kann die Voice-Option zum Ausdruck gebracht werden. Die Kritik kann aber auch als ein Mitten-Drin als Voice ausgeübt werden, indem die Kritik an den entscheidungsorientierten Organstrukturen des Systems partizipiert. Dies im Fall der Patientenbeteiligung gemäß § 140 f SGB V gegeben. Dabei kann die reale interne Machtstruktur, aber auch die eigene Haltung zur internen Distanz führen: Voice wird dann aus der Position eines Draußen-im-Drinnen ausgeübt. Ein problematischer Umkipp-Effekt wird dann bewirkt, wenn diese Innen-Voice-Position im Sinne eines enkulturativen Sozialisationseffekts zur gouvernementalen Korruption im Sinne der kollektiven Mentalität der Patientenbeteiligung führt. Dann spielt man das Spiel unkritisch mit. Aus der Voice-Position ist eine Choice-GamePosition geworden. Das auf Marktinteressen beruhende Optimierungsspiel lautet: Erziele in der Triade zwischen Kassen, Leistungsanbieter und Patientenvertretung die Pareto-Lösung maximaler gemeinsamer Schnittflächen im Sinnen von WinWin-Outcome: Gefragt wird (dazu auch Anhang 1 in Schulz-Nieswandt 2017) nach der Optimierung (→ max!) der sozialen Wohlfahrt (SW) als Funktion (F) aller individueller (n = 1 …n) Nutzenfunktionen Ui. Dabei besagt das Wohlfahrtskriterium nach Pareto, dass sich eine Person oder eine Gruppe von Personen als Teilmenge j von n solange verbessern darf, wie sich dadurch ursächlich keine Personen aus der Restmenge n-j verschlechtern. Und hierbei wiederum wird nun die Teilmenge der Pareto-Lösungen präferiert, die nach Rawls win-win-Situationen realisieren. Nochmals anders ausgedrückt: Wohlfahrtstheoretisch mit Blick auf die soziale Wohlfahrt (SW) soll im Rahmen von SWF = SWF (Ui) → max!

nach dem Pareto-Prinzip in seiner (sowohl effizienten als auch sozial fairen) Rawlsianischen Teilmenge ∂SW/∂Ui > 0 für alle i

gelten.

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10. Metamorphosen der Kritik

Diese kulturelle Grammatik solcher Gremienarbeit ist legitim und stellt gegenüber der Alternative der Unterdrückung von Positionen/Gruppen und der Ausbeutung anderer Positionen/Gruppen eine Vorzugswürdigkeit dieses institutionellen Arrangements dar. Das Problem bleibt bestehen, dass in diesen allokationsinstitutionellen Arrangements eine innovative Transformation des Versorgungssystems jedoch nicht (mehr) anvisiert wird. In diesen Arrangements wird die Patientenvertretung instrumentalisiert im opportunistischen Spiel episodischer Allianzen. Dieses Spiel ist von der kollektiv geteilten Hexis der Akteurskonstellation geprägt und bleibt eine Ökonomik der Pfadabhängigkeit des Habens. In der Metaphernhermeneutik ausgedrückt: Es geht um den Kuchen, den man sich aufteilt. Geteilt wird dabei kollektiv auf der Grundlage eines Habitus der Blickverengung statt einer Blickerweiterung, die auf innovative Überstiege – transgressiv (Schulz-Nieswandt 2015) – angelegt ist. Alterität gegenüber den Trampelpfaden des etablierten Versorgungssystems wird so nicht imaginiert.

Literatur Schulz-Nieswandt, F. (2015): „Sozialpolitik geht über den Fluss“. Zur verborgenen Psychodynamik in der Wissenschaft von der Sozialpolitik. Baden-Baden: Nomos. – (2017): Menschenwürde als heilige Ordnung. Eine dichte Re-Konstruktion der sozialen Exklusion im Lichte der Sakralität der personalen Würde. Bielefeld: transcript.

11. Was ist Selbsthilfe und was fördert der § 20h SGB V? (Frank Schulz-Nieswandt) Durchaus die Förderrichtlinien der GKV im Kopf, stellen wir grundlegende und für das Sozialrecht transgressive Fragen. Den sich ergebenden Antwortpfaden muss die Politik nicht zwingend folgen. Es bestehen jedoch deutliche Ambivalenzgefühle im Kontext des status quo. Das Problem entzündet sich an der Frage, was denn eigentlich Selbsthilfe sei (Schulz-Nieswandt 2011; Schulz-Nieswandt/Langenhorst 2015). Diese Frage begleitet die über 40jährige Selbsthilfebewegung in konstitutiver, weil identitätsrelevanter Weise. Sie wird (wissenschaftlich) auch nicht endgültig zu entscheiden sein, weil eine solche Entscheidungserwartung eine problematische Erwartung gegenüber der Wissenschaft darstellt. Wissenschaftlich kann die Welt sehr unterschiedlich klassifiziert und dadurch geordnet werden. Die Klassifikationsbemühungen folgen – implizit oder explizit – Erkenntnisinteressen und sind nicht frei von Gestaltungsideen. U. E. sollte der § 20 h SGB V als Paragraph zur Förderung der gemeinsamen sozialen Selbsthilfe unmittelbar das Gruppengeschehen fördern oder im Sinne einer mittelbaren Unmittelbarkeit lokal Strukturen der Generierung und Pflege lebensweltlich relevanter sozialer Unterstützung und sorgender Gemeinschaften. Ich halte an der genossenschaftsartigen Interpretation der Selbsthilfegruppen als Gegenseitigkeitsgebilde zur Deckung des Bedarfs der Mitglieder fest. Die self help groups sind mutual aid groups. Dominant ist also für die interne Stakeholder-Orientierung der Mitglieder-orientierte Förderauftrag (analog zu § 1 GenG). Dass solche sozialen Gebilde zugleich oftmals freiwillige Fremdhilfe für Dritte (vgl. Schulz-Nieswandt/Köstler 2011) leisten, also externe Ehrenamtstätigkeit ausüben, ist für viele Genossenschaftsgebilde in anderen Handlungsfelder nicht ungewöhnlich und lässt sich Stakeholder-ethisch gut fassen. An diesem Punkt kristallisiert sich die rechtsreformerische Idee heraus, den § 20 h SGB V neu – durchaus ähnlich (aber nicht identisch) zu § 45 d SGB XI und § 82 b SGB XI – zu betiteln (Arbeitstitel): „Förderung der Selbsthilfe und des bürgerschaftlichen Engagements sowie lokaler Strukturen der Sozialkapitalbildung (Netzwerkbildung und sorgende Gemeinschaften)“. Mit Blick auf diese mittelbare Unmittelbarkeit kann dies eine KISS sein. Aber morphologisch sind auch andere Gebilde im Sinne einer sozialraumorientierten, quartiersbezogenen Förderung denkbar.

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11. Was ist Selbsthilfe und was fördert der § 20h SGB V?

Selbsthilfeorganisationen, auch dann wenn sie a) (was ja nicht grundsätzlich der Fall ist) „von unten“ aus der Selbsthilfebewegung entstanden sind und sich pyramidal über Landes- und Bundesverbände bis zum Spitzenverband (wie bei der BAG SH) entwickelt haben, und wenn sie b) verbandsintern „von oben nach unten“ interne Infrastrukturleistungen und/oder Hilfe zur Selbsthilfe leisten, fallen nicht in dieses Raster der mittelbaren Unmittelbarkeit. Die Organisationen zeigen  – analysiert man die Satzungen der Verbände (ein laufendes Forschungsprojekt, über das noch nicht mehr gesagt werden kann) – im Sinne einer texthermeneutisch angesetzten Zentrum-Peripherie-Betrachtung Strukturen auf, die anzeigen, dass es primär und dominant um eine öffentlich wirksame allgemeine oder indikationsspezifische Patientenvertretung geht, nicht um die Förderung der Selbsthilfe im lebensweltlichen Raum lokaler Daseinsbewältigung im Alltag (Schulz-Nieswandt 2015a; 2017b). Diese Einschätzung besagt keineswegs, dass diese Patientenvertretung nicht öffentlich gefördert werden kann. Ob dies jeweils auf Bundes- und Landesebene steuerfinanziert erfolgen sollte oder ob dies tatsächlich aus den Sozialversicherungsbeiträgen nach SGB V erfolgen soll, betrifft die besagte Auslegungsordnung des § 20 h SGB V. Wenn es leistungsrechtlich ein Fördergedanke innerhalb des SGB V sein soll, so wäre ein eigener Paragraph im SGB sinnvoll (Arbeitstitel): „Förderung der Organisationen der Patientenvertretung“. Die weitere Begründung ist kompliziert. Die Sozialversicherung finanziert ihre eigenen Verwaltungskosten. Diese sind entgegen oftmals vorgetragener Bürokratiekritik bemerkenswert relativ niedrig. Versteht man den Verwaltungsbegriff als Kosten des Vollzugs des ganzen Governancesystems zur Erledigung der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsaufgaben als staatsmittelbarer Sektor in Selbstverwaltung, so wäre – sofern politisch erwünscht – die anteilige Finanzierung (als Funktionsfähigkeits-Beihilfe) im öffentlichen Interesse gut begründbar. Es bleibt zwar die Frage der verfassungskonformen Delegation öffentlicher Aufgaben an den staatsmittelbaren Sektor als Kontroverse bestehen; aber falls die Entscheidung so ausfällt, dann sollte sie im SGB V als eigener Paragraph neu geordnet werden. Politikwissenschaftlich – insbesondere demokratietheoretisch gesehen – kann diese Mitfinanzierung des (auf das System des Gesundheitswesens bezogen) eigenen Steuerungswesens im Leistungsrecht verankert werden. Der § 140 f SGB V praktiziert genau dies. Und darauf ist auch gleich nochmals einzugehen. Interpretiert man die heutige bundesdeutsche Demokratie, was angesichts der kritischen post-demokratischen Diskurse (Crouch 2008) optimistisch ist, immer noch als neo-pluralistische Parteiendemokratie, so gehört nicht nur die Parteienlandschaft, sondern auch das Verbändewesen zur Funktionsfähigkeit des poli-

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tischen Systems. Nun sind Verbände intern aus der Mitgliederstruktur selbst zu finanzieren. Angesichts ihrer öffentlichen Bedeutung im Sinne der externen Beiträge zur Systemfunktionsfähigkeit können sie jedoch durchaus öffentlich gefördert werden. Dies betrifft bei den Selbsthilfeorganisationen die Mitwirkung (u. a. im Sinne von Agenda-Setting) in der politischen Arena. Dies hat der § 140 f SGB V ja auch so geregelt. Und die Finanzierung der Stabsstelle als Hilfe zur effektiven Patientenvertretung indiziert diese Logik. In diesem Sinne könnte auch die Stabsselbstaufstellung von Selbsthilfeverbänden zur Mitwirkung in der politischen Arena öffentlich gefördert werden. (Mit Blick auf die sog. Selbsthilfevertretung im G-BA wäre dies der [ja durchaus plausible] Schritt zur endgültigen Professionalisierung.) Aber dieses Feld auf dieser (Makro-)Ebene in einem Mehr-Ebenen-System des Gesundheitssystems sollte nicht mehr als vom – neu zu definierenden – § 20 h SGB V gedeckt sein. In diesem Sinne ist der § 140 f SGB V ja auch nicht im Kern ein Selbsthilfeorganisations-zentrierter Paragraph, sondern reguliert die Patientenvertretung auf der Grundlage verschiedener Rekrutierungspfade über den Koordinierungsausschuss. Es geht um Repräsentation von Patienteninteressen und Patienten(verbraucher)schutzrechten. Mit der versorgungspolitisch hoch brisanten Ebene lebensweltlicher unmittelbarer oder mittelbarer Unmittelbarkeit hat dies wenig zu tun. Es kann also durchaus Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Kassen sein, derartige Partizipationsräume zu finanzieren. Dies liegt auf der Linie unserer Argumentation, wonach die Kassen sich selbst in ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht auf den Kern des (ordnungsrechtlich gerahmten) Leistungsrechts reduzieren sollten. Kassen sollten – wie Christian von Ferber bereits in den frühen 1980er Jahre (Ferber 1981) konstatiert hatte – nicht nur eine Gesundheitsindustrie finanzieren, sondern Gesundheitspolitik betreiben. Und Gesundheitspolitik (Deppe 1987) ist (als Teil  der Sozialpolitik) Gesellschafts(gestaltungs)politik. Die gesteigerte effektive Repräsentation der Perspektiven der PatientInnen im System ist eine Kernaufgabe im Megatrend der (lange schon eingeforderten: Lüth 1977) notwendigen Demokratisierung des korporatistischen Systems des medizinisch-technischen Komplexes. Es ginge also um eine Neuanordnung dieser Förderpolitik im SGB V über den § 140 f SGB V hinaus. Hier gilt nach wie vor: Mehr Demokratie wagen! Aber dieser Bereich sollte nicht nur aus Gründen der Reduktion von Wirklichkeitsintransparenz neu betitelt und daher geordnet werden. Selbsthilfeförderung im Kontext eines wie oben neu definierten § 20h SGB V fördert die unmittelbaren Lebenswelten des homo patiens und seine Daseinsbewältigungspraxis sozialraumorientiert und quartiersbezogen im lokalen Geschehensordnungsraum (Schulz-Nieswandt 2013; 2017a). Das ist der Alltag hier und jetzt. Im Kern geht es um Netzwerkbildung, -förderung und -pflege. Denn Netzwerke sind elementar für die molekulare Einbettung einzelner Menschen zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen im Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod.

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11. Was ist Selbsthilfe und was fördert der § 20h SGB V?

Und diese leistungsrechtlich im SGB V verankerte Förderpolitik kann nicht in der Finanzierung von Stabsstellen und juristischen Abteilungen im Patientenverbandswesen auf der Makroebene des Systems liegen. Wir wiederholen hier den Fokus auf die alltagsontologische Idee der unmittelbaren oder mittelbaren Unmittelbarkeit des homo patiens.

Literatur Crouch, C. (2008): Postdemokratie. 13. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Deppe, F. (1987): Krankheit ist ohne Politik nicht heilbar. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Ferber, Chr. (1981): Gesundheit und Gesellschaft. Stuttgart u. a.: Kohlhammer. Lüth, P. (1977): Kritische Medizin. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Schulz-Nieswandt, F. (2011): Gesundheitsselbsthilfegruppen und ihre Selbsthilfeorganisatio­ nen in Deutschland. Der Stand der Forschung im Lichte der Kölner Wissenschaft von der Sozialpolitik und des Genossenschaftswesens. Baden-Baden: Nomos. – (2013): Der leidende Mensch in der Gemeinde als Hilfe- und Rechtsgenossenschaft. Berlin: Duncker & Humblot. Schulz-Nieswandt, F. (2015): „Sozialpolitik geht über den Fluss“. Zur verborgenen Psychodynamik in der Wissenschaft von der Sozialpolitik. Baden-Baden: Nomos. – (2015a): Gesundheitsbezogene und soziale Selbsthilfegruppen als bürgerschaftliches Engagement im sozialräumlichen Kontext kommunaler Daseinsvorsorge. In: DAG SHG (Hrsg.): Selbsthilfegruppenjahrbuch 2015. Gießen, S. 134–149. – (2017): Menschenwürde als heilige Ordnung. Eine dichte Re-Konstruktion der sozialen Exklusion im Lichte der Sakralität der personalen Würde. Bielefeld: transcript. – (2017a): Personalität, Wahrheit, Daseinsvorsorge. Spuren eigentlicher Wirklichkeit des Seins. Würzburg: Königshausen & Neumann. – (2017b): Kommunale Daseinsvorsorge und sozialraumorientiertes Altern. Zur theoretischen Ordnung empirischer Befunde. Beiheft 49 der ZögU. Baden-Baden: Nomos. Schulz-Nieswandt, F./Köstler, U. (2011): Bürgerschaftliches Engagement im Alter. Stuttgart: Kohlhammer. Schulz-Nieswandt, F./Langenhorst, F. (2015): Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland. Zu Genealogie, Gestalt, Gestaltwandel und Wirkkreisen solidargemeinschaftlicher Gegenseitigkeitshilfegruppen und der Selbsthilfeorganisationen. Berlin: Duncker & Humblot.

Schluss (Frank Schulz-Nieswandt) Die Beurteilung der Mitwirkung der Selbsthilfe im Rahmen der Patienten­ beteiligung gemäß § 140 f SGB V hängt von den Ausgangsprämissen ab, es wäre im Umfeld des Jahres 2004 a) um die Berücksichtigung lebensweltlicher Perspektiven der Betroffenen gegangen und in dieser Richtung wolle man b) den verkrusteten Korporatismus des Komplementärantagonismus von Kassen und Leistungsanbietern transparenzpolitisch etwas aufbrechen. Mag sein, dass die Prämisse a) eine idealistische Imagination ist, die nicht zutreffend ist. Dann fällt die Kritik des status quo des G-BA anders aus. Dann wäre der normative Beurteilungsmaßstab falsch. Aber im Interviewmaterial, auch in der Literatur, gibt es Hinweise, dass es genau um diese Perspektive ging. Daran gemessen ist die heutige soziale Wirklichkeit nicht mehr über diese Prämisse abbildbar. Es geht um die sozialisatorische Enkulturation der Patientenbeteiligung in das korporatistische Spiel, zentriert um – wie ebenfalls frühe Eindrücke aus der Beteiligungspraxis es formulierten – das goldene Kalb der Goldstandards als Basis des Kultes der Evidenzmedizin. Damit geht es zwar um eine wichtige Teilstruktur rationaler Gesundheits­politik, aber keineswegs um eine innovative Transformationsdynamik eines medizin­ anthropologischen Paradigmenwechsels im Lichte des angeblich im Zentrum des Geschehens stehenden homo patiens, und dies im Lichte der sozio-demographischen und der damit assoziierten epidemiologischen Megatrends. Damit gilt also immer noch die Kritik von Christian von Ferber aus den frühen 1980er Jahren: Wir haben keine Gesundheitspolitik, sondern eine Krankenversorgungsindustrie, auf szientistischer Basis. Wir haben – um an die Medizinkritik von Paul Lüth aus den 1970/80er Jahren anzuknüpfen – immer noch keine sprechende, sondern eine eher sprachlose Medizin. Es fehlt an einem Wandel der Medizinkultur, die an der Grammatik des Versorgungsgeschehens auf personalistischer Grundlage ansetzt. Dazu hilft die Patientenbeteiligung im G-BA nicht. Der medizinisch-technische Komplex hat sein Potenzial an Iatrogenität nicht verloren, er ist lebensweltlich abgehoben und folgt in seiner Anatomie der Politischen Ökonomie der ökonomischen Interessen. Der Mensch steht mit seinen Bedarfslagen nicht im Mittelpunkt, sondern er treibt auf dem Rücken der Finanzströme, ohnmächtig wie einst Odysseus, wenngleich nicht ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft.