Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab: Der eigenständige Gehalt des Zumutbarkeitsgedankens in Abgrenzung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [1 ed.] 9783428484591, 9783428084593


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Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab: Der eigenständige Gehalt des Zumutbarkeitsgedankens in Abgrenzung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [1 ed.]
 9783428484591, 9783428084593

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RÜDIGER KONRADIN ALBRECHT

Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab

T ü b i n g e r Schriften z u m Staats- u n d Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit M a r t i n Heckel, Ferdinand Kirchhof Hans von Mangoldt, Thomas Oppermann Günter Püttner, Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 30

Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab Der eigenständige Gehalt des Zumutbarkeitsgedankens in Abgrenzung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Von Dr. Rüdiger Konradin Albrecht

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Albrecht, Rüdiger Konradin: Zumutbarkeit als Verfassungsmassstab : der eigenständige Gehalt des Zumutbarkeitsgedankens in Abgrenzung zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit / von Rüdiger Konradin Albrecht. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08459-4 NE: GT

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: W. März, Tübingen Druck: Color-Druck Dorf! GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-08459-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Meinen Eltern Ilka und Konradin Albrecht

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde i m Herbst 1992 begonnen und i m Herbst 1994 abgeschlossen. Sie wurde i m Wintersemester 1994/95 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen als Dissertation angenommen. Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof hat mich zur Bearbeitung des weitgespannten und ungriffigen Zumutbarkeitsgedankens im Verfassungsrecht ermutigt. Er hat die Arbeit in steter Gesprächsbereitschaft betreut und den Entstehungsprozeß mit Rat und K r i t i k begleitet. Der wissenschaftlichen Diskussion mit ihm verdanke ich viele wertvolle Anregungen. I h m gilt deshalb mein ganz besonderer Dank für alle Förderung. Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum hat die Aufgabe des Zweitgutachters übernommen und das Gutachten in kurzer Zeit erstellt. Dafür bin ich ihm zu Dank verpflichtet. Besonderen Dank schulde ich ihm auch für die Aufnahme dieser Arbeit in die „Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht". Herrn Rechtsreferendar Michael Hahn, dem Freund und Kollegen, danke ich für die Durchsicht des Manuskripts. Frau Judith Mack , meiner zukünftigen Ehefrau, danke ich für manchen kritischen Hinweis und die geduldige Unterstützung in allen computertechnischen Fragen.

Tübingen, i m Februar 1995

Rüdiger Konradin Albrecht

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung und Gang der Untersuchung

21

I. Einführung

21

II. Gang der Untersuchung

21

B. Der Begriff der Zumutbarkeit

23

I. Der Allgemeinbegriff

23

II. Der Rechtsbegriff

26

1. Abgrenzungen im Zivilrecht: Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit

...

26

a) Hecks Lehre von der (allgemeinen) Opfergrenze

27

b) Die Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit

27

c) Zumutbarkeit als „rechtsethische Durchbrechung des Gesetzeswortlauts"

28

2. Die strafrechtlichen Unzumutbarkeitslehren

30

3. Systematisierung und erste Lokalisierung des Zumutbarkeitsbegriffs

. .

34

a) Henkels Auffassung vom regulativen Prinzip

34

b) Absolute und relative Unzumutbarkeit

38

c) Zumutbarkeit als Teil der gerechtigkeitsorientierten Billigkeit

....

40

(1) Der Bezugspunkt des Gerechtigkeitspostulats

40

(2) Die Antinomie von Individualität und Normsystem

41

4. Die Zumutbarkeitsformel als Maßstab a) Die formelle Seite

42 42

(1) Rückkopplung an die Person des Betroffenen

42

(2) Mögliche Objektivierung des Maßstabes

43

b) Die inhaltliche Seite 5. „Zumutbarkeit" als Gesetzesbegriff a) „Zumutbarkeit" als einfachgesetzliche allgemeine Belastungsgrenze

44 47 47

10

nsverzeichnis b) Im Wehr- und Verteidigungsrecht

48

c) Im Gewerbe- und Immissionsschutzrecht

49

d) Im Straßenrecht

50

e) Im Abfall- und Naturschutzrecht

50

0 Im Sozialrecht

51

g) Im Arbeitsrecht

53

h) Im Strafrecht

54

i) Im Steuerrecht

55

j) Abschließende Würdigung

56

6. Zumutbarkeit und Abwägung

57

a) Existiert eine letzte, absolute Opfergrenze?

58

b) Theorie von der relativen Opfergrenze

59

c) Kollision mit der strengen Subjektbezogenheit

62

d) Fazit

63

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

64

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

65

1. Allgemeines zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

65

a) Zur Funktion des Grundsatzes

65

b) Zur Terminologie in Literatur und Rechtsprechung

67

c) Zu Inhalt und Bedeutung der Teilgrundsätze

69

(1) Die Geeignetheit des Mittels

69

(2) Die Erforderlichkeit des Mittels

71

(3) Die Angemessenheit von Zweck und Mittel

72

2. Das Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit

76

a) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1) Zumutbarkeit als allgemeine, immanente Eingriffsschranke

76 ...

76

(2) „Zumutbarkeit" als untechnischer Verlegenheitsbegriff (3) Der Begriff der „Zumutbarkeit" in seiner Funktion als Einzelfallverweis

79 83

(4) Die Zumutbarkeit als Prinzip der Sachgerechtigkeit

87

nsverzeichnis

11

(5) Zumutbarkeit als Teil der Verhältnismäßigkeit Sinne

im weiteren 89

(a) Zumutbarkeit als Teil der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung

89

(b) Zumutbarkeit und Angemessenheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

91

(i) Gleichheit der Maßstäbe S. 91 — (ii) Unterschiedlichkeit der Maßstäbe S. 94 (6) Fazit: Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts b) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit sprechung

97

in der Verwaltungsrecht99

c) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Literatur II. Konzeption und Funktion eines selbständigen Zumutbarkeitsgrundsatzes

107 .

110

1. Zumutbarkeit und Abwägung im Verfassungsrecht

110

2. Die Güterabwägung im Verfassungsrecht

111

a) Begriff und Anwendungsbereich

111

b) Die Methode der Abwägung

114

(1) Nichtrechtliche Maßstäbe (2) Rechtliche Vorgaben als Maßstab

114 115

(a) Die Vorstellung einer unverrückbaren Werteordnung

115

(b) Relative Werteordnung: Güterabwägung aufgrund widerlegbarer, typisierter Rangaussagen

117

c) Das „Maß" der Abgewogenheit

118

(1) Art. 3 GG und der allgemeine Gleichheitssatz

119

(2) Der Maßstab der Erforderlichkeit

120.

(3) Die Maßstäbe der Angemessenheit und der Zumutbarkeit . . . .

121

3. Angemessenheit und Zumutbarkeit als Abgewogenheitsmaßstäbe . . . .

121

a) Grundsätzliches

121

b) Die Zumutbarkeit bei (teil-)rechtsfähigen Gebilden

126

c) Die quantitative Zumutbarkeitskomponente

131

d) Die prinzipielle Zumutbarkeitskomponente

149

(1) Arbeitsrechtliche Gegnerfinanzierungspflichten

151

(2) Die Fälle der (fehlenden) besonderen Aufgabenverantwortlichkeit

159

12

nsverzeichnis (a) Problemaufriß

159

(b) Die generelle Zulässigkeit der Indienstnahme Privater als solche, insbesondere: die spezifische Zumutbarkeitsgrenze .

162

(c) Exkurs: Zumutbarkeit und Angemessenheit bei der konkreten Indienstnahme, dargestellt am Beipiel der Mineralölbevorratungspflicht

170

(3) Die Fälle der (fehlenden) besonderen persönlichen Verantwortlichkeit

171

(a) Problemaufriß

171

(b) Unterschied zum Gleichheitssatz

174

(c) Die prinzipielle Zumutbarkeit im Bereich der Sonderabgaben

178

(d) Der Solidargedanke als tragende Zumutbarkeitserwägung . .

184

e) Die Zumutbarkeit als Grenze möglicher Steuerbelastung (1) Die beschränkte grundsatzes

Anwendbarkeit

des

195

Verhältnismäßigkeits195

(2) Die Anwendbarkeit des Zumutbarkeitsgrundsatzes

199

(a) Die prinzipielle Komponente

199

(b) Die quantitative Komponente

200

4. Zwischenergebnis

202

D. Ableitung und verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

203

I. Die Zumutbarkeit als Allgemeiner Rechtsgrundsatz

203

1. Die Zumutbarkeit als allgemeiner Gesetzesgedanke

206

2. Zur Ableitung eines Zumutbarkeitsgrundsatzes aus der Gerechtigkeitsidee

207

II. Das Prinzip von Treu und Glauben als Geltungsgrund

209

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

212

1. Die Zumutbarkeit als Teil des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips

216

2. Die Anknüpfung an die rechtsstaatliche Grundrechtsverbürgung

218

3. Ableitung aus der rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsidee IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

....

221 222

nsverzeichnis

13

1. Stellungnahmen in Literatur und Rechtsprechung

222

2. Funktionale Parallelen zum „Wesen der Grundrechte"

223

a) Vom abwehrrechtlichen zum institutionellen Grundrechtsverständnis

223

b) Die bleibende Aktualität des Eingriffs- und Schrankendenkens

226

. . .

c) Die Zumutbarkeit als grundrechtliche Schrankenschranke

229

3. Thematische Grundrechtsparallelen

232

4. Die Zumutbarkeit und ihre Parallele zum Menschenwürdeprinzip . . . .

233

5. Folgerung aus der Anbindung an die Grundrechte und die Menschenwürde

238

E. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung

240

I. Ergebnisse zu den Kapiteln A. und Β

240

II. Ergebnisse zu den Kapiteln C. und D

241

Literaturverzeichnis

244

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

A.M., a.M.

Anderer Meinung, anderer Meinung

ANBA

Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit

Anm.

Anmerkung(-en)

AO

Abgabenordnung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

ArbPlSchG

Arbeitsplatzschutzgesetz

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

AuR

Arbeit und Recht

AZO

Arbeitszeitordnung

bad.-württ.

baden-württembergi sch

BaföG

Bundesausbildungsförderungsgesetz

BAG

Bundesarbeitsgericht

BauGB

Baugesetzbuch

BauR

Baurecht

bay.

bayerisch

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVerfGH(E)

Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs)

BayVGH(E)

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs)

(Entscheidungen des

Abkürzungsverzeichnis

15

ΒΒ

Betriebsberater

Bd.

Band

ber.

berichtigt

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BFH

Bundesfinanzhof

BFHE

Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt (Teil I oder II)

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

Bl.

Blatt

BIStSozArbR

Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht

BNatSchG

Bundesnaturschutzgesetz

Breith.

Breithaupt = Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht, begründet von Hermann Breithaupt

BSG

Bundessozialgesicht

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT-Drs.

Verhandlungen des Deutschen Bundestages / Drucksachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DB

Der Betrieb

ders., dies.

derselbe, dieselbe(n)

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DRV

Deutsche Rentenversicherung

DStJG

Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft (Zeitschrift)

DStR

Deutsches Steuerrecht

16 DStZ

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Steuerzeitung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

d. Verf.

der Verfasser

E

Entscheidung (z.T. bezogen auf die amtliche Sammlung des zuvor genannten Gerichts)

Einl.

Einleitung

ErbStG

Erbschaftssteuergesetz

EStG

Einkommensteuergesetz

ESVGH

Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder

EuGRZ

Europäische Grundrechtszeitschrift

f. , ff.

folgende, fortfolgende

F.A.Z.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FGO

Finanzgerichtsordnung

Fi η Arch.

Finanzarchiv

FS

Festschrift

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht

GBl.

Gesetzblatt

GedS

Gedächtnisschrift

GewArch.

Gewerbearchiv

GewO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz

GK

Gemeinschaftskommentar

GO

Gemeindeordnung

GS

Großer Senat

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

h.A.

herrschende Ansicht

HandwO

Handwerksordnung

hess.

hessisch

HGB

Handelsgesetzbuch

HGrG

Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz — HGrG)

h.M.

herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis hrsgg., Hrsg.

herausgegeben, Herausgeber

i.d.F. d. Bek.

in der Fassung der Bekanntmachung

i.d.F. v.

in der Fassung vom

i.e.S.

im engeren Sinne

i.ü.

im übrigen

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

JR

Juristische Rundschau

JurJb

Juri sten-Jahrbuch

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KJ

Kritische Justiz

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

LAG

Landesarbeitsgericht

LAGE

Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte

LM

17

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, begründet von Fritz Lindenmaier

und Philipp

Möhring

l.Sp.

linke Spalte

m. Anm. v.

mit Anmerkung von

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

nds.

niedersächsisch

n.F., NF

neue Fassung, neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

nrw.

nordrhein-westfälisch

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

ÖR

Öffentliches Recht

ÖZÖR

Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht

2 Alhrecht

18

Abkürzungsverzeichnis

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg

PersbefG

Personenbeförderungsgesetz

PolG

Polizeigesetz

pr.

preußisch

RAO

Reichsabgabenordnung

RFH

Reichsfinanzhof

RG

Reichsgericht

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichtes in Strafsachen

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichtes in Zivilsachen

Rn.

Randnummer

r.Sp.

rechte Spalte

RVO

Rechtsverordnung / Reichsversicherungsordnung

Rz.

Randzahl

S.

Seite oder Satz

SAE

Sammlung arbeitsgerichtlicher Entscheidungen

SchlHA

Schleswig-Holsteinischer Anzeiger

SF

Sozialer Fortschritt. Unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik

SGB

Sozialgesetzbuch

SozR

Sozialrecht. Entscheidungssammlung, herausgegeben von Richtern des Bundessozialgerichts

SozSi

Soziale Sicherheit

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StbJb

Steuerberater-Jahrbuch

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StuW

Steuer und Wirtschaft

Urt. v.

Urteil vom

usw.

und so weiter

V.

von, vom

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VerwRspr.

Verwaltungsrechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis

19

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vorb.

Vorbemerkung(-en)

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WiStrG

Wirtschaftsstrafgesetz

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

z.B.

zum Beispiel

ZBB

Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZfF

Zeitschrift für das Fürsorgewesen

ZfSH/SGB

Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (bis Februar 1983: ZfSH)

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSozWiss

Zeitschrift für Sozialwissenschaften

ZSR

Zeitschrift für schweizerisches Recht, Neue Folge

ZStrW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

z.T.

zum Teil

ZVG

Zwangsversteigerungsgesetz

2*

Α. Einleitung und Gang der Untersuchung I. Einführung In juristischen Stellungnahmen, gleich ob es sich um Literaturstimmen oder Gerichtsentscheidungen handelt, taucht der Begriff der Zumutbarkeit als Rechts- und Beurteilungsmaßstab immer wieder auf. I n einzelnen Rechtsbereichen zieht sich der Zumutbarkeitsgedanke wie ein roter Faden durch Gesetze und Kommentare. Generell ist die Zumutbarkeit bei der Gesetzesauslegung und bei der richterrechtlichen Gesetzesergänzung ein gerne gebrauchter Topos juristischer Argumentation. Dabei ist jedoch auffallend, daß über Inhalt und Bedeutung des Zumutbarkeitsgedankens keine Einigkeit herrscht. Deshalb gibt es zahlreiche Stimmen, die - wie noch zu zeigen sein wird - der Zumutbarkeit jeden begrifflich fixierten Bedeutungsgehalt absprechen und konsequenterweise auch die juristische Brauchbarkeit des Begriffes „Zumutbarkeit" leugnen. Dennoch aber ist die Bedeutung dieses Rechtstopos i m Z i v i l - , Straf-, und Öffentlichen Recht ungebrochen. Diese Arbeit befaßt sich mit dem Zumutbarkeitsmaßstab i m Öffentlichen Recht. I n diesem Rechtsgebiet mit seinen zahlreichen Abwägungssituationen scheint die Zumutbarkeit als Entscheidungskriterium auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen, taucht sie doch insbesondere in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Konstante auf. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist die Erkenntnis, daß der Staat seine Bürger mit Pflichten und Lasten nicht überfordern darf, daß er irgendwann einmal an eine Belastungsgrenze stößt, deren Überschreitung dem Bürger schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann. In diesem Zusammenhang ist bislang noch nicht eingehend untersucht worden, ob und wie diese Belastungsgrenze in einem ( v o m Bundesverfassungsgericht immer wieder zitierten) selbständigen verfassungsrechtlichen „Grundsatz der Zumutbarkeit" gefunden werden kann.

II. Gang der Untersuchung Zunächst w i r d der Begriff der Zumutbarkeit als Rechtsbegriff allgemein und unter Berücksichtigung des Zivilrechts beleuchtet. Insbesondere wird es dabei auch auf die bisher in die Diskussion geworfenen Systematisierungsversuche ankommen, u m sich der „Zumutbarkeit" inhaltlich zu nähern. A u f

22

Α. Einleitung und Gang der Untersuchung

diesem Wege wird es von Bedeutung sein zu ergründen, ob und auf welche Weise der Gesetzgeber sich dieses Begriffes bedient, ob ein „System" dahinter steckt und ob sich dieses einfachgesetzliche System auch für das Verfassungsrecht fruchtbar machen läßt. Aufgrund dieser Überlegungen soll dann (unter C. und D.) versucht werden, einen grundgesetzlichen, nicht (nur) dem einfachen Recht verhafteten Verfassungsgrundsatz der Zumutbarkeit nachzuweisen, der sich von anderen Verfassungsmaßstäben, wie etwa dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, unterscheidet. Entscheidend wird es bei der Beurteilung dieser Frage auf die Auswertung der zu diesem Problembereich ergangenen Urteile des Bundesverfassungsgerichtes ankommen. Gleichzeitig soll anhand einiger besonders zumutbarkeitsrelevanter Rechtsfragen (unter C.II.3) versucht werden, den grundsätzlich einzelfallbezogenen Begriff der Zumutbarkeit zu abstrahieren und in typisierender Betrachtungsweise „generelle Unzumutbarkeiten" aufzuzeigen, die teilweise auch schon in Rechtsprechung und Literatur ihren Niederschlag gefunden haben. Ziel dieser Typisierung ist es, den Zumutbarkeitsgrundsatz so zu konturieren, daß Unzumutbarkeiten in gewissem Umfang auch ohne Rückgriff auf die Einzelfallentscheidung aufgezeigt werden können. Unter D. schließlich soll versucht werden, die Zumutbarkeit als selbständigen Verfassungsgrundsatz auf eine tragfähige Verfassungsgrundlage zu stellen.

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit I. Der Allgemeinbegriff Zunächst ist es ratsam, sich über die philologische Bedeutung des Begriffes „ Z u m u t b a r k e i t " allgemein Klarheit zu verschaffen. D e r B e g r i f f „ z u m u t e n " und die daraus entwickelten 1 Substantive „ Z u m u t u n g " und

„Zumutbarkeit"

leiten sich ab aus dem gemein-germanischen W o r t „ M u t " (mittelhochdeutsch: m u o t ; englisch: m o o d ) 2 i n der Bedeutung „ A b s i c h t " 3 . Ursprünglich bezeichnete das W o r t „ M u t " triebhafte, unter Umständen wechselnde Gemütszustände; das zugehörige V e r b „ m u t e n " (in seiner ältesten Bedeutung) würden w i r heute m i t „nach etwas trachten, heftig verlangen, j e m a n d e m etwas ansinnen" übersetzen 4 . Charakteristisch für das mittelhochdeutsche Wortverständnis sind W e n d u n gen w i e „eines dinges zuo einem m u o t e n " 5 für das heutige „etwas v o n einem verlangen". Luther hat „ z u m u t e n " i n diesem Sinne (allerdings i n der gleichbedeutenden A b w a n d l u n g „ a n m u t e n " 6 ) gebraucht, w e n n er sagte: „ d i e dürffen uns an muten, das w i r unser lere solten widerruffen" 7 . Selbst noch bei T i e c k konnte man 1832 lesen: „ W e r sich dafür interessiert, dem w i r d angemutet, daß er alles v o n A n b e g i n n lesen s o l l . " 8 K o n n t e man „anmuten, z u m u t e n " i n älterer Z e i t allgemein v o n j e d e m V e r langen sagen, das sich an einen anderen richtete, so ist seit dem 17. Jahrhundert eine Bedeutungsverschiebung zu beobachten. Das Verlangen an den anderen wurde zunehmend nicht mehr neutral betrachtet, sondern bereits

in

einer bestimmten R i c h t u n g bewertet, so daß sich der Anwendungsbereich des Wortes i m Laufe der Zeiten deutlich verengte: Das Verlangen an den anderen ist nunmehr ein Ansinnen, das f ü g l i c h nicht verlangt werden darf oder soll.

1

Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 32, S. 545.

2

Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, unter „zumuten"; Heyse, Handwörterbuch der deutsche Sprache, Bd. III (Stehen - Z ) , unter „zumuten". 3

Kluge, a.a.O.; Duden, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, unter „Mut".

4

Duden, a.a.O.

5

Zitiert nach Heyse, a.a.O.

6

Trübners Deutsches Wörterbuch, S. 480; Heyse, a.a.O.

7

Luther, Werke IV, 225, 38 Clemen; zit. nach Trübners Deutsches Wörterbuch, a.a.O.

8

Tieck,, a.a.O.

Novellenkranz 4 (1832), S. 304; zit. nach Trübners Deutsches Wörterbuch,

24

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

D e r Zumutende ist in den A u g e n dessen, v o n dem das „ Z u g e m u t e t e " verlangt w i r d , zu diesem Verlangen nicht befugt 9 . Diese Feststellung verdient besondere Beachtung i m H i n b l i c k auf die j u r i stische V e r w e n d u n g der Begriffe „ z u m u t b a r " und „ Z u m u t b a r k e i t " : D i e W e r tung des angesonnenen Verlangens w i r d nicht von einem Dritten, sondern v o m „ G e g e n ü b e r " vorgenommen, m.a.W. die W e r t u n g bestimmt sich aus der Sicht dessen, von dem etwas verlangt wird. Für den juristischen Sprachgebrauch heißt das, daß m i t dem Topos „ z u m u t b a r " p h i l o l o g i s c h einwandfrei nur solche Konstellationen erfaßt werden können, i n denen es u m die persönlichen Verhältnisse, u m die persönliche Situation des aktuell

Betroffenen

geht. Drittinteressen können demnach jedenfalls über den Topos der Z u m u t barkeit keinen Eingang in die juristische Argumentation finden. Beurteilungsmaßstab des persönlich Betroffenen wiederum ist philologisch betrachtet nur dessen Handeln, Denken und Fühlen. B e s t i m m t sich die Bewertung des Angesonnenen aus der Sicht des Betroffenen, so ist damit aber noch nichts darüber ausgesagt, warum

das „ Z u g e m u -

tete" nicht verlangt werden darf. Der Gebrauch des Wortes „ z u m u t e n " erstreckt sich hier auf die unterschiedlichsten Beweggründe, die den Betroffenen zu seiner Einschätzung gelangen lassen (können): -

Zunächst kann man das Verlangte als lästig, schwierig oder

unmöglich

qualifizieren, 1 0 so etwa bei der Formulierung: „ I c h w i l l Ihnen nicht zumuten, m i t m i r i n die Stadt zurückzukehren." -

D e u t l i c h negativer w i r d das Verlangen gewertet, wenn es für widersinnig oder nicht interessengerecht erachtet w i r d : „ K e i n M e n s c h kann Ihnen zumuten, G e l d in diese Sache zu stecken." E i n ungehöriges oder unrechtes Verlangen ist gemeint, wenn etwa Bismarck formuliert: annehmen, daß m i r die Herren

„ I c h kann nicht

m i t v o l l e m Bewußtsein eine

strafbare

Handlung zumuten."11 I n dieser A r t lassen sich noch die vielfältigsten Variationen denken, denen i m Rahmen dieser A b h a n d l u n g nicht auch nur annähernd erschöpfend nachgegangen werden kann. Dies ist j e d o c h auch unnötig. D e n n eine für die j u r i stische A r g u m e n t a t i o n w i c h t i g e Erkenntnis konnte aus diesen philologischen Erwägungen bereits gewonnen werden: Das dem anderen angesonnene V e r halten w i r d von diesem aus Gründen, die aus seiner persönlichen Sphäre stammen, negativ bewertet und m i t h i n als „ Z u m u t u n g " empfunden 1 2 . 9 10

Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache, Reihe II ( U - Z ) , unter „zumuten". Heyse, a.a.O.

11

Bismarck, Politische Reden IV, S. 75; zit. nach J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, a.a.O., S. 545. 12 Unberücksichtigt geblieben sind zwei untergeordnete Nebenbedeutungen des Wortes „zumuten", die jedoch der Vollständigkeit halber noch erwähnt werden sollen: „Zumuten"

I. Der Allgemeinbegriff

25

Die bisherigen Betrachtungen beschränkten sich auf das Verb „zumuten" und das direkt davon abgeleitete Substantiv „Zumutung". In der juristischen Fachterminologie vorherrschend ist jedoch die adjektivierte Form des Verbs „zumuten", nämlich „zumutbar", und - versubstantiviert - „Zumutbarkeit". Typisch für solche mit „-bar" adjektivierten Verben ist die Tatsache, daß sie die im Verb enthaltene und ausgedrückte Handlung näher kennzeichnen13 und insbesondere die Eignung einer anderen Tätigkeit oder eines (anderen) Gegenstandes für die im Verb enthaltene Handlung beurteilen14. So etwa, wenn wir sagen: Das Verlangen ... ist zumutbar. Hier stehen „Verlangen" und „zumuten" (verstanden als Tätigkeit) nicht beziehungslos nebeneinander; vielmehr sind beide Wörter mittels der Adjektivierung „zumutbar" aufeinander bezogen15. Durch die Adjektivierung des Verbs „zumuten" ändert sich nun allerdings nichts an dessen Bedeutungsinhalt, wie er oben festgestellt wurde: Das angesonnene Verhalten wird negativ bewertet aus Gründen, die in der Person des Betroffenen (dem etwas zugemutet wird) liegen. Somit bestimmt sich auch die „Zumutbarkeit" allein aus der Sicht dessen, dem etwas zugemutet wird. Dieses persönliche Moment wird noch dadurch verstärkt, daß man bei der Frage nach der Zumutbarkeit stets Auskunft darüber erwartet, wem etwas zugemutet wird 16. Zwar läßt sich die Formulierung: „das (staatliche) Verlangen ist zumutbar" hören; eindeutig zuzuordnen ist das Verlangen jedoch erst bei der notwendigen Dativbestimmung. Stillschweigend „mitgedacht" werden muß deshalb stets, wem gegenüber die Zumutbarkeit gegeben sein soll. Insbesondere in der juristischen Fachterminologie wird diese notwendige Dativkonstruktion (wohl der Einfachheit halber) oftmals weggelassen, wenn eine sog. „Zumutbarkeitsprüfung" stattfindet — sicherlich auch ein Grund dafür, warum mit dem Begriff der Zumutbarkeit allzuoft unsauber hantiert und damit die Begriffsverwirrung noch verstärkt wird.

kann auch „zuschreiben", „zutrauen" bedeuten, etwa wenn Jakob Grimm im Reineke Fuchs (VII) formuliert: ... wir muthen ihnen (den Tieren, d. Verf.) Pläne, Schicksale und Gesinnungen der Menschen zu. In diesem Sinne auch Gottfried Keller. „... und er hat manchmal so düstere und prüfungsreiche Stunden, wie man es seiner heiteren und freundlichen Weise nicht zumuten würde". — Darüber hinaus existierte der Begriff des Zumutens in der mittelalterlichen Juristensprache als Terminus technicus für das Anerbieten eines Eides, vgl. J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, a.a.O., S. 546. 13

Flury, Struktur- und Bedeutungsgeschichte des Adjektiv-Suffixes ,,-bar".

14

So auch Gusseck, Zumutbarkeit, S. 14.

15

Weisgerber,

16

So insbesondere Gusseck, a.a.O., S. 15 f.

Vierstufige Wortbildungslehre, S. 33 ff.; Gusseck, a.a.O., S. 14.

26

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

I I . Der Rechtsbegriff Die sprachlichen Erwägungen zur Zumutbarkeit haben gezeigt, daß dieser Begriff immer auf die Sicht dessen abstellt, dem etwas zugemutet wird, mithin also an die persönliche Situation des Betroffenen gebunden ist. Dem sollte auch die juristische Terminologie gerecht werden, wenn sie mit dem Zumutbarkeitskriterium arbeitet. In Literatur und Rechtsprechung spielt die Zumutbarkeit als Argumentationstopos eine bedeutende Rolle. Unklar ist zuweilen dabei, um welche Rolle es sich dabei handelt und wie die Zumutbarkeit von anderen, ebenso gebräuchlichen und unter Umständen mit ihr eng verwandten Rechtsbegriffen abgegrenzt und systematisiert wird. Hierzu trägt ein Blick auf das Zivilrecht bei, wird doch die Zumutbarkeit in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung gerne als ein „das ganze Schuldrecht beherrschendes Prinzip" 17, mithin als allgemeine „Opfergrenze" herangezogen18. Im Öffentlichen Recht wird ähnlich argumentiert. Auch hier gibt es Versuche, mit Hilfe der Zumutbarkeit „Grenzen" zu ziehen, nur nennt sich die „Opfergrenze" hier „Belastungsgrenze"19. Um die Grenzen individueller Verantwortlichkeit geht es schließlich bei den im Strafrecht zahlreich entwickelten Unzumutbarkeitslehren. Auch sie sollen in Betracht gezogen werden bei dem Versuch, das Zumutbarkeitskriterium in funktionaler und methodischer Hinsicht zu systematisieren. 1. Abgrenzungen im Zivilrecht: Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit Im Zivilrecht werden Zumutbarkeit und Unmöglichkeit nicht immer begrifflich auseinandergehalten. Auch in der verwaltungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung hat dies dazu geführt, rechtlich oder tatsächlich nicht erfüllbare, also auf Unmögliches gerichtete Verwaltungsakte als Fälle fehlender Zumutbarkeit zu betrachten20. Eine genauere Abgrenzung der beiden Begriffe ist deshalb unerläßlich. 17 So bereits im Jahre 1921 Nipperdey, stung, S. 1 (Anm. 3), 34 (Anm. 3).

Vertragstreue und Nichtzumutbarkeit der Lei-

18

Vgl. etwa Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 46 I 2; Fikentscher (Schuldrecht, Rn. 169 ff.) spricht (ebd., Rn. 195) sogar von einer die gesamte Lehre von Treu und Glauben umfassenden „Unzumutbarkeits"-theorie; Esser/Schmidt, Schulrecht AT, S. 156; Jauernig/ Vollkommer, BGB, § 242, Anm. III 2 b cc; aus der Rechtsprechung vgl. nur BGH, MDR 1953, 283 1. Sp.; BGH, NJW 1988, 700. 19 Im einzelnen besonders Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers; Ossenbühl, in: FS für die Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 ff. 20

Peters, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 158 f.; Jellinek, Verwaltungsrecht; aus der

I . Der

ebegriff

27

a) Hecks Lehre von der (allgemeinen) Opfergrenze Besonders Heck 21 hat im Zivilrecht die These vertreten, der Schuldner einer Leistung sei dem Gläubiger von vornherein nur auf das zur Leistung verpflichtet, was ihm (persönlich) zuzumuten sei. Nach dieser „Theorie von der allgemeinen Opfergrenze" bemißt sich die Leistungspflicht des Schuldners schon vom Schuldinhalt her nicht nach objektiven Kriterien; vielmehr ist ausschlaggebend, was dem Schuldner an Leistungshandlungen subjektiv nach Treu und Glauben abverlangt werden darf. Es liegt auf der Hand, daß sich folgerichtig nach Ansicht Hecks eine Abgrenzung der Unmöglichkeit i.S. des BGB von der Unzumutbarkeit erübrigt, denn eigentliche Leistungsgrenze ist in jedem Fall der Gedanke der Zumutbarkeit: Ist die Leistung in diesem Sinne unzumutbar, so ist sie eben auch unmöglich. b) Die Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit Nicht so weit wie Heck gehen die Vertreter 22 der Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, die zeitweilig (z.T. systematisch vermengt mit dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage) auch vom Reichsgericht 23 vertreten wurde. Nach dieser Lehre ist der Schuldner zwar nicht von vornherein auf das „ihm Zumutbare" verpflichtet, seine Leistungspflicht entfällt vielmehr nur in den Fällen echter Unmöglichkeit. Der Unmöglichkeitsbegriff allerdings wird von dieser Lehre weit gefaßt, umfaßt nämlich nicht nur die Fälle faktischer Unmöglichkeit, sondern auch Fälle, in denen der Schuldner mit sog. „überobligationsmäßigen Schwierigkeiten" zu kämpfen hat. Damit sind Situationen gemeint, in denen dem Schuldner die Erfüllung seiner Leistungspflicht nur unter Opfern und Aufwendungen möglich ist, die angesichts der ursprünglichen Vertragsgestaltung unverhältnismäßig und deshalb unzumutbar erscheinen 24. Im Unterschied zu Hecks allgemeiner (gleichsam apriorischer) Opfergrenze wird diese Grenze hier als Unterfall der Unmöglichkeit normativ bestimmt. Mit dieser wertenden Betrachtung wollten Literatur und Rechtsprechung 25 (insbesondere in den frühen zwanziger JahRechtsprechung OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1954, 216 (217); OVG Lüneburg, DVB1. 1962, 421. 21

Grundriß des Schuldrechts, insb. S. 85 ff.

22

Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 46 I 2; Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 36 ff. (37); Esser, Schuldrecht, S. 203. 23 RGZ 42, 114; 57, 116; 102, 272; 107, 157 (auch unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage). 24 25

Enneccerus /Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 46 I 2.

Hier insbesondere RGZ 57, 116 (118): „Vielmehr ist im Sinne des § 279 BGB die Leistung aus der Gattung nicht bloß dann unmöglich, wenn die ganze Gattung untergegan-

28

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

ren) das Problem inflationsbedingter, unvorhergesehener Preissteigerungen in den Griff bekommen sowie die übrigen Fallgestaltungen, in denen sich das Vertragsgefüge durch Umfeldänderungen oder unvorhergesehene Entwicklungen in der Person des Schuldners selbst grundlegend verändert hat 26 . Aufgrund der thematischen Nähe dieser Erwägungen zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist die Rechtsprechung dann allmählich 27 dazu übergegangen, auf solche Fallgestaltungen nicht weiter das hinsichtlich seiner Rechtsfolgen statische Unmöglichkeitsrecht 28 anzuwenden. Vielmehr wurden und werden diese Fälle mit Hilfe des flexiblen § 242 BGB gelöst29. In einem Urteil aus dem Jahre 1953 hat der BGH dies dann endgültig festgestellt30. c) Zumutbarkeit als „rechtsethische Durchbrechung des Gesetzeswortlauts" Gegen die grundsätzliche Vermengung von Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeitskategorien hat sich besonders Larenz 31 gewandt mit der Erwägung, daß der Gedanke der Unzumutbarkeit (sei er nun dogmatisch auf Unmöglichkeitsrecht oder auf § 242 BGB gestützt) den Schuldner nicht bereits von vornherein, sondern erst mit Rücksicht auf eine „höhere Pflicht" entlaste. Die Unzumutbarkeit als solche führt deshalb nie zur Leistungsbefreiung des Schuldners 32. Auch der BGH scheint sich diese Auffassung in einer Entscheidung aus dem Jahre 1987 zu eigen gemacht zu haben, indem er die unzumut-

gen ist, sondern auch dann, wenn die Beschaffung von Gegenständen der fraglichen Gattung eine so schwierige geworden ist, daß sie billigerweise niemandem zugemutet werden kann." 26 Die Entwicklung der Rechtsprechung hat Rüthers (Die unbegrenzte Auslegung, S. 24 ff.) eingehend beschrieben. Stand für das Reichsgericht anfänglich der Gedanke des wirtschaftlichen Ruins des Schuldners im Vordergrund (RGZ 99, 258 [260]; 100, 134 [137]; Rüthers spricht hier im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Leistung des Schuldners von einer „Ruintheorie"), so ändert sich das Kriterium später: Ausschlaggebend ist nicht mehr die Tatsache des wirtschaftlichen Ruins an sich, sondern der Umstand, daß er sich als Folge einer tiefgreifenden vertraglichen Äquivalenzstörung darstellt; s. RGZ 101, 74 (76); 103, 177 (178 f.). Zum ganzen Rüthers, ebd., S. 27. 27

Grundlegend RGZ 103, 328 (332 f.).

28

§ 275 BGB: nur Haftung oder Freiwerden.

29

Esser/Schmidt, Schulrecht AT, S. 156; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, S. 137; Ackermann (Die Nichtzumutbarkeit der Leistung, S. 19) will die Geschäftsgrundlagentatbestände dagegen mit dem Begriff der „Nichtzumutbarkeit" erfassen. 30

BGH, MDR 1953, 282.

31

Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, S. 135, vor ihm aber auch schon Ackermann, Die Nichtzumutbarkeit der Leistung, S. 12 ff., der in der „Nichtzumutbarkeit" eine vierte Kategorie neben Nichterfüllung, Unmöglichkeit, Verzug und Schlechterfüllung sieht. 32

Jauernig / Vollkommer,

BGB, § 242, Anm. III 2 b dd.

I . Der

ebegriff

29

bare Opfergrenze nicht allgemein oder aus dem Unmöglichkeitsrecht, sondern normativ aus der zu entscheidenden Einzelfallkonstellation hergeleitet hat 33 . Solche im Einzelfall maßgeblichen höheren Interessen i.S.v. Larenz werden etwa in unabweisbaren Gefahren für Leib und Leben des Schuldners oder seiner Angehörigen gesehen. Hierher gehören auch die Fälle, in denen dem Schuldner die Erfüllung seiner Leistungspflicht aus Gewissensgründen erlassen wird. So etwa braucht der Sohn eines KZ-Opfers als Setzer einer Zeitungsdruckerei neonazistische Texte nicht zu bearbeiten 34, ein islamischer Arbeiter an einem Feiertag seiner Religion nicht zu arbeiten 35. Durch die Beschränkung des Zumutbarkeitskriteriums auf Fälle höherer Interessen wird eine grundsätzliche Scheidung in zwei Ebenen36 erreicht: Bei Unmöglichkeit kann der Schuldner (subjektiv und/oder objektiv) nicht leisten, selbst wenn er dies wollte, in den Fällen der Unzumutbarkeit braucht der Schuldner nicht zu leisten, obwohl er dies könnte 37 . Wieacker bezeichnet diese auf den Einzelfall beschränkte Einschränkung der Leistungspflicht treffend als „rechtsethische Durchbrechung des Gesetzes Wortlauts"38. In diese Richtung argumentiert auch Weber 39 : Betrifft die Unmöglichkeit die rein tatsächliche Frage nach der objektiven Möglichkeit der Leistung, so hängt die Frage, ob das Leistenmüssen dem Schuldner zumutbar ist, von einer Wertung ab, nämlich von dem an die Leistungsmöglichkeit anzulegenden Maßstab. In diesem Sinne läßt sich beispielsweise § 21 Abs. 4 Nr. 2 PersbefG 40 interpretieren: Der Gesetzgeber stellt hier die gesetzliche Betriebspflicht des Unternehmers unter den Vorbehalt, daß ihm die Pflichterfüllung „nicht mehr möglich ist ... oder ihm unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Lage ... nicht mehr zugemutet werden kann". Es zeigt sich die klare Unterscheidung zwischen Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit 41 , an der für den Fortgang der Untersuchung festgehalten werden soll.

33

BGH, NJW 1988, 700.

34

Fikentscher,

35

LAG Düsseldorf, JZ 1964, 258 f.

Schuldrecht, S. 144, Rn. 190.

36

So auch Fikentscher, Schuldrecht, S. 147, Rn. 196; ebenso Söhn, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO, § 88 Rn. 56 (Stand Oktober 1990). 37

Herschel, A u R 1968, S. 195; Henkel, in: FS für Mezger, S. 262.

38

Wieacker,

39

Weber, JurJb. 1962/63, S. 226.

40

Personenbeförderungsgesetz i.d.F. v. 8.8.1990.

41

Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 36.

AA. aus dem Blickwinkel des Steuenechts Steinberg, BB 1968, S. 433 (insb. S. 438), der die dem Steuerpflichtigen subjektiv unmögliche Erfüllung seiner steuerlichen Mitwirkungspflicht mit Hilfe der Unzumutbarkeit erfassen möchte.

30

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

2. Die strafrechtlichen Unzumutbarkeitslehren Im Strafrecht dient der (Un-)Zumutbarkeitsgedanke vornehmlich dazu, die Grenzen individueller Verantwortlichkeit zu bestimmen: So wird das Maß der vom Täter zu verlangenden Sorgfalt bei den Fahrlässigkeitsdelikten durch die Zumutbarkeit eingeschränkt 42; bei den Unterlassungsdelikten begrenzt der Zumutbarkeitsgedanke die Handlungspflicht des Täters 43; schließlich wird die Zumutbarkeit - vermittelt durch die in § 35 StGB enthaltene Formulierung: „zugemutet werden kann, die Gefahr hinzunehmen" - als Wertungskriterium bei den Entschuldigungsgründen herangezogen44. Paradefall für die Unzumutbarkeit bei Fahrlässigkeitsstraftaten ist (immer noch) der vom Reichsgericht 45 entschiedene Leinenfängerfall: Ein Kutscher fuhr mit einem Pferd, von dem er wußte, daß es als „Leinenfänger" zum Durchgehen neigte. Es kam, wie es kommen mußte — das durchgehende Pferd verursachte einen Unfall. Das Reichsgericht stand vor der Frage, ob der Kutscher „entschuldigt" war, weil er auf Befehl seines Dienstherrn gehandelt und im Weigerungsfalle um seinen Arbeitsplatz zu fürchten hatte: „Hiernach war zu erwägen, ob es dem A als Pflicht zugemutet werden konnte, eher dem Befehl seines Dienstherrn sich zu entziehen und den Verlust seiner Stellung auf sich zu nehmen, als durch Benutzung des ihm zugewiesenen Pferdes ... bewußterweise die Möglichkeit der körperlichen Verletzung eines Anderen zu setzen, oder ob er diese letztere Rücksicht ... zurückstehen lassen durfte." 46 Das Reichsgericht nahm hier Unzumutbarkeit an und sprach den Kutscher frei. Nach heutigem Strafrecht läge kein Fall des § 35 StGB vor, denn der Angeklagte hat die Körperverletzung (als rechtswidrige Tat i.S. § 35 StGB) nicht begangen, „um" die aus seiner Sicht nur abstrakte Gefahr für seinen Arbeitsplatz abzuwenden47. Dennoch aber ist unverkennbar, daß unter Be42

BGHSt 2, 204; 4, 23; Dreher/Tröndle, S. 455.

StGB, § 15 Rn. 16; Jeschek, Strafrecht AT,

43 BGH, NStZ 1984, 164 (wo die Zumutbarkeit im Ergebnis jedoch bejaht wird); Jeschek, Strafrecht AT, S. 456; a.M. Jakobs, Strafrecht AT, S. 844. 44

Dies ist unstreitig; vgl. Blei, JA 1975, S. 307 ff. Sehr streitig ist aber die Frage, ob aus der Unzumutbarkeit neben § 35 StGB weitere übergesetzliche Entschuldigungsgründe entwickelt werden können; vgl. einerseits (mit der überwiegenden Meinung verneinend) Jeschek, Strafrecht AT, S. 455; Achenbach, JR 1975, S. 492 ff.; andererseits (bejahend) Wittig, JZ 1969, S. 546 ff.; Lücke, JR 1975, S. 55 ff.; vorsichtiger Jakobs, Strafrecht AT, S. 590 ff. 45

RGSt 30, 25.

46

RGSt 30, 28.

47

Dem Täter muß es bei § 35 StGB gerade darauf ankommen, die Gefahr zu beseitigen, Dreher/Tröndle, StGB, § 35 Rn. 8.

I . Der

ebegriff

31

rücksichtigung der individuell-persönlichen Zwangslage des Angeklagten eine Situation vorlag, die dem Motivationsdruck des § 35 StGB entspricht und die Wertung einer erheblich verminderten Schuld zuläßt. Die Zumutbarkeit erweitert hier partiell die engen Grenzen des § 35 StGB 48 . Um eine ähnlich gelagerte Abwägung drohender Gefahren geht es bei dem Vorbehalt der Zumutbarkeit im Bereich der Unterlassungsdelikte. Wer rechtlich dafür einzustehen hat, daß ein bestimmter Tatbestandserfolg nicht eintritt, muß nicht von vorneherein und unter völliger Zurückdrängung eigener beachtenswerter Interessen alles erdenklich Mögliche tun, um den Erfolg zu verhindern; es werden vielmehr nur solche Handlungen verlangt, die zumutbar sind 49 . Bei dieser Bewertung sind nach BGH, NStZ 1984, 164 die widerstreitenden Interessen einschließlich des Grades der ihnen drohenden Gefahren gegeneinander abzuwägen, und es ist zu entscheiden, ob die Pflichterfüllung unzumutbar ist, weil das Gewicht der Interessen, die der Täter preisgeben soll, dem Gewicht des drohenden Erfolges entspricht. Hier zeigt sich insbesondere, daß das Zumutbarkeitskorrektiv eine normative Grenze darstellt und zwingend die Möglichkeit voraussetzt, daß der Betroffene die von ihm verlangte Handlung auch tatsächlich erbringen kann. Auch wenn die Zumutbarkeit im Einzelfall in die Nähe des höchstpersönlichen, psychischen Unvermögens rücken sollte, in einer bestimmten Weise zu handeln, ist sie doch eine eigenständige Kategorie. Diese normative Bedeutung wird besonders deutlich anhand des dritten Anwendungsbeispiels, das im Strafrecht unter dem Stichwort „Unzumutbarkeit als übergesetzlicher Entschuldigungsgrund" außerordentlich kontrovers diskutiert wird. Ausgangspunkt für diese Unzumutbarkeitslehre ist die normative Schuldtheorie, die das Wesen der Schuld in der Bewertung der Willensbildung erblickt und die - im Kern richtige - Anknüpfung an das Andershandeln-Können des Täters bis hin zur Anerkennung eines individual-ethischen Schuldmaßstabs der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ausweitet. Die naheliegende Folgerung, daß schuldhaft nicht handelt, wer nach den Umständen der Tat ihre Begehung nicht vermeiden konnte 50 , übersieht aber die Tatsache, daß das Strafrecht - bei aller Einzelfallausrichtung - feste und 48

Ebenso Roxin, Strafrecht AT, S. 931.

49

RGSt 58, 97 (98); 226 (227); 69, 321 (324); 77, 125 (127); BGHSt 6, 46 (57); 7, 268 (271); BGH, NJW 1964, 731 (732); BGH, NStZ 1984, S. 164; Jeschek, Strafrecht AT, S. 456; Dreher/Tröndle, StGB, § 13 Rn. 15 ff.; Wessels, Strafrecht AT, § 16 II 8. — Von einem Teil des Schrifttums wird gegen dieses tatbestandliche Zumutbarkeitskorrekiv vorgebracht, daß den Unterlassungstäter bereits aufgrund der Entsprechungsklausel des § 13 I StGB die Pflicht zur Erfolgsabwendung in gleicher Weise treffe wie den Begehungstäter die Pflicht, den Erfolg nicht durch positives Tun herbeizuführen. Vgl. Jeschek, Strafrecht AT, S. 574; Jakobs, Strafrecht AT, S. 844. 50

Freudenthal,

Schuld und Vorwurf, S. 25 ff.

32

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

gleichmäßige Maßstäbe braucht 51, die vom Einzelnen auch in schwierigen Lebenslagen prinzipiell Rechtsgehorsam verlangen. Deshalb wird man eine Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens mit der herrschenden Meinung in Schrifttum 52 nicht generell als Entschuldigungsgrund anerkennen können, zumal die Vorschrift des § 35 StGB anderenfalls zu einem zufälligerweise gesetzlich normierten besonderen Anwendungsfall dieses allgemeinen Prinzips degradiert würde. Eine solche Auslegung würde dem Begrenzungs- und Ausnahmecharakter 53 dieser Vorschrift nicht gerecht 54. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der (Un-)Zumutbarkeitsgedanke damit für das Problem der individuellen Zurechnung strafbaren Verhaltens völlig unbrauchbar wäre. Nicht nur im Bereich der Begrenzung von Sorgfalts- und Handlungspflichten 55, sondern auch im Bereich des schuldorientierten Verantwortungsausschlusses hat er als regulatives Prinzip 56 Bedeutung. Die Gegner einer allgemeinen Nichtzumutbarkeitsklausel kommen nämlich ebenfalls nicht an der Erkenntnis vorbei 57 , daß es Fälle gibt, in denen der Einzelne objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, dieses Handeln aber nicht Ausdruck einer rechtsfeindlichen oder rechtsgleichgültigen Gesinnung ist. Hier stellt sich das Problem, ob solchem Verhalten, auch wenn es nach dem Wortlaut des Gesetzes für strafwürdig erklärt werden muß, nicht aufgrund der aus dem Gesetz bzw. aus der Verfassung zu gewinnenden Wertmaßstäbe das Strafbedürfnis fehlt 58 . Exemplarisch zeigt sich dies am Beispiel des Gewissenstäters59, der etwa aus religiöser Überzeugung jeden Versuch unterläßt, seinen Ehepartner zur Einwilligung in eine Bluttransfusion zu bewegen60. Den Täter zu bestrafen hieße hier, ihn in eine innere, ausweglose Lage zu treiben, die ihn unter Umständen als Person mit Selbstachtung „brechen" würde 61 . Ähnlich ist 51

Wessels, Strafrecht AT, § 10 VII 5; Jeschek, Strafrecht AT, S. 454 f.

52

Roxin, Strafrecht AT, S. 856 f.; Jeschek, Strafrecht AT, S. 454 ff.; Blei, JA 1975, S. 307 ff.; Achenbach, JR 1975, S. 495. 53

Achenbach, JR 1975, S. 493.

54

Im Ergebnis ebenso die h.M., vgl. Fn. 52.

55

Im Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte, s. bereits oben.

56

Henkel, in: FS für Mezger, S. 249 ff.

57

So z.B. Achenbach, JR 1975, S. 495; Jeschek, Strafrecht AT, S. 455; Roxin, Strafrecht AT, S. 857. 58

So etwa Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 69; Roxin, Strafrecht AT, S. 857; Jakobs, Strafrecht AT, S. 591 f.; Wittig, JZ 1969, S. 548; Lücke, JR 1975, S. 57; Wessels, Strafrecht AT, § 10 V I I 5; selbst Achenbach (a.a.O., S. 495) als entschiedener Gegner der Wiederbelebung einer allgemeinen Nichtzumutbarkeitsklausel gesteht dies zu. 59 Ebenso Roxin, Strafrecht AT, S. 857; Jeschek, Strafrecht AT, S. 574; Jakobs, Strafrecht AT, S. 592; Lücke, JR 1975, S. 58. 60

BVerfGE 32, 98.

61

BVerfGE 32, 109.

I . Der

ebegriff

33

die Situation für den mit einer unlösbaren Pflichtenkollision konfrontierten Täter, der ein Leben nur auf Kosten eines anderen Lebens retten kann: Wer sich in solcher Lage nach bestem Gewissen entscheidet und motiviert ist durch das Bestreben, ein Rechtsgut von höchstem Wert zu bewahren, betätigt keine rechtsfeindliche Gesinnung und lehnt sich nicht gegen die Rechtsordnung auf* 2. Auf Strafe bestehen hieße hier, den Täter in einem Dilemma zur Verantwortung zu ziehen, für dessen Lösung auch das Gesetz keinen Ausweg aufzeigt. In diesen Fällen kann der Zumutbarkeitsgedanke in seiner Funktion als Transformator individuell-persönlicher Motivationslagen auch ohne Aushebelung der spezifizierten Entschuldigungsdogmatik Wirkung entfalten 63. Insbesondere außerstrafrechtliche, verfassungsrechtlich motivierte Wertungen können durch vorsichtige Fallgruppenbildung berücksichtigt werden 64, ohne allerdings vorschnell auf einen allgemeinen übergesetzlichen Schuldausschließungsgrund zu rekurrieren. Betrachtet man die dargestellten Unzumutbarkeitslehren in einer Gesamtschau, gleichsam auf ihren gemeinsamen Nenner hin, so fällt auf, daß Zumutbarkeit und Zuständigkeit, Zumutbarkeit und Verantwortlichkeit wesensmäßig zusammenhängen65. Bei den Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten hat sich ebenso wie bei der Entschuldigungsproblematik gezeigt, daß der Täter nur dann für ein strafrechtlich relevantes Risiko einzustehen hat, wenn er dieses zurechenbar gesetzt hat: Bei den Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten muß der Täter normativ für eine Situation verantwortlich sein 66 , im Bereich der Entschuldigungsproblematik kann die (Nicht-)Zumutbarkeit einen strafrechtlichen Verantwortungsausschluß dann bewirken, wenn die konkrete Tat aufgrund eines besonderen individuell-persönlichen Motivationsdrucks „am Täter vorbei ohne Schaden für die Norm" erklärt werden kann 67 . Den Zusammenhang von Zumutbarkeit einerseits und Zuständigkeit/Verantwortlichkeit andererseits gilt es für den Fortgang der Untersuchung im Auge zu behalten. 62

Wessels, Strafrecht AT, § 10 VII 5; Roxin, Strafrecht AT, S. 857.

63

Jakobs, Strafrecht AT, S. 592; Roxin, Strafrecht AT, S. 857.

64 A.M. wohl Achenbach, JR 1975, S. 492 ff., der zwar ebenfalls die Notwendigkeit der „typisierenden Auskonkretisierung neuer Entschuldigungsgründe" anerkennt (ebd., S. 495 rechts), den Zumutbarkeitsgedanken aber nicht für tragfähig hält. Vielmehr wird ein „aus § 35 StGB ableitbares Prinzip der Illegitimität strafrechtlicher Verhaltenserwartungen für je spezifische problematische Fallkonstellationen" bemüht (ebd.). Es wird aber nicht deutlich, worin hier der Fortschritt zur Zumutbarkeitsklausel bestehen soll. Im Gegenteil hat die Zumutbarkeit aufgrund ihrer zwingenden Rückbindung an die individuell-persönliche Lage des Täters stärkere Konturen im Einzelfall aufzuweisen als ein undifferenziertes „Prinzip der Illegitimität". 65

Jakobs, Strafrecht AT, S. 573, 575, 577, 591 f.

66

Jakobs, Strafrecht AT, S. 586.

67

Jakobs, Strafrecht AT, S. 591.

3 Alhrccht

34

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

Der Blick auf die strafrechtlichen Unzumutbarkeitslehren hat außerdem den bei der zivilrechtlichen Betrachtung gewonnenen Eindruck bestätigt, daß die Kategorien des „Unvermögens" und der „Unzumutbarkeit" auseinanderzuhalten sind: Das Unvermögen betrifft den Fall, daß der Täter im konkreten Fall nicht anders hätte handeln können, während es bei der Zumutbarkeit darum geht, ob dem Täter, auch wenn er anders hätte handeln können, ein strafrechtlicher Vorwurf zu machen ist 68 .

3. Systematisierung und erste Lokalisierung des Zumutbarkeitsbegriffs a) Henkels Auffassung vom regulativen Prinzip Henkel 69 untersucht den (einfachrechtlichen) Begriff der Zumutbarkeit vor allem unter strafrechtlichen Gesichtspunkten, betont jedoch 70 die einheitliche Funktion der Zumutbarkeitsformel als Bestandteil der allgemeinen Rechtslehre 71 , die deshalb auch in den anderen Rechtsbereichen Wirkung entfalte. Zunächst ist mit Henkel davon auszugehen, daß die Zumutbarkeitsformel in gewissem Sinne systembrechenden Charakter hat: Sie findet nicht auf den Normalfall Anwendung, sondern umfaßt den atypischen Einzelfall, der sich mit der schulmäßigen Anwendung der Norm nicht befriedigend lösen läßt, da diese Lösung als unbillig oder ungerecht erschiene 72. Folgerichtig bildet das Zumutbarkeitskriterium ein Korrektiv der starren Normanwendung im Interesse einer gerechten Einzelfallentscheidung. Im Bereich des frei entwickelten Richterrechts dient die Zumutbarkeit dem Richter dazu, selbst die Maßstäbe zu finden, die ihm das lückenhafte Gesetz vorenthält 73. Hat der Richter Generalklauseln anzuwenden, läßt ihn das Gesetz bei der Rechtsfindung also nicht ganz allein, so hilft das Kriterium der Zumutbarkeit bei der Auffindung dessen, was Treu und Glauben entspricht 74. 68

Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 121; Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 67 f.; Wittig, JZ 1969, S. 547; auch Jakobs, Strafrecht AT, S. 591 f. 69 Henkel, in: FS für Mezger, S. 249 ff., insb. S. 260 ff. Ihm zustimmend Buche, SchlHA 1969, S. 174; einschränkend Bluhm, SchlHA 1969, S. 175. 70

A.a.O., S. 260.

71

So schon (1921) Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 69.

72

Auch Noftz (SchlHA 1969, S. 167) sieht die Zumutbarkeit als Problem der „richtigen Einzelfallentscheidung". 73

In diesem Sinne wurde die Zumutbarkeit begriffen durch die Vertreter der zivilrechtlichen Lehre von der allgemeinen Opfergrenze, bzw. durch die Anhänger der Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit; vgl. oben S. 27 f. 74

Analog dazu wird die Frage, ob ein „wichtiger Grund" i.S. § 626 BGB vorliegt, mit

II. Der Rechtsbegriff

35

Soweit der Gesetzgeber die Zumutbarkeitsformel verwendet 75, überläßt er dem Rechtsanwender die Konkretisierung des Pflichtengefüges, da er sich außerstande sieht, dieses selbst begrifflich zu bestimmen. Henkel systematisiert die Zumutbarkeit zunächst als Rechtsprinzip" und rekurriert damit auf Erkenntnisse der Rechtstheorie, die ein Prinzip als eine „hinter lex und ratio legis stehende ratio iuris" 76 , als ein „Leitgedanke richtigen Rechts" 77 definiert. Prinzipien sind demnach nicht der unmittelbaren Anwendung fähige Rechtsnormen, sondern richtunggebende Maßstäbe rechtlicher Normierung, mit deren Hilfe der Rechtsanwender Entscheidungen rechtfertigen kann. Henkel trifft in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen „normativen" und „regulativen" Prinzipien 78 , die Zumutbarkeit ordnet er letzteren zu. Denn als regulatives Prinzip enthalte die Zumutbarkeitsformel selbst keinen Wertungsmaßstab und sei nur ein rein formales Prinzip, das dem Richter den Regreß auf von ihm selbst zu entwickelnde Wertungsmaßstäbe eröffne. Im Unterschied zum normativen Prinzip, das selbst schon antizipiert die Einzelfallentscheidung beinhalte, verzichte das regulative Prinzip der Zumutbarkeit auf eine dem Rechtsanwender vorgegebene Normgebung, es sei vielmehr diesem selbst überlassen, die Norm im Einzelfall zu finden. Letztlich gibt Henkel mit dieser Ansicht denen recht, die die Zumutbarkeit generell als Rechtsbegriff ablehnen79 und als leere Hülse betrachten, denn ein Rechtsprinzip, das selbst keine normativen Bezüge aufweist, kann nur tautologische Argumente 80 hervorbringen. Gegen die Ansicht Henkels könnte man einwenden, daß jedenfalls die einfachrechtliche Zumutbarkeitsformel nicht ein regulatives, sondern ein normatives Prinzip darstelle. Wenn Begriffe wie „Treu und Glauben" und „gute Sitten" einen normativen Gehalt haben - wie auch Henkel einräumt 81 - muß das nicht auch für die Zumutbarkeit gelten, die ja gerade herangezogen wird, um eine dem Grundsatz von „Treu und Glauben" entsprechende Einzelfall-

Hilfe des Zumutbarkeitsgesichtspunktes entschieden. Vgl. Herschel, in: FS für Niekisch, S. 49 ff.; Weber, JurJb. 1962/63, S. 215. 75 So z.B. in § 10 Bundesleistungsgesetz; §§ 13, 15 Schutzbereichsgesetz; § 69b GewO; § § 6 Abs. 3 und 5, 8 Abs. 1, 13 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz; § 21 Abs. 4 Personenbeförderungsgesetz; § 1246 Abs. 2 RVO (entspricht § 43 Abs. 2 SGB VI). 76

Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46.

77

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 67.

78

Larenz (ebd., S. 351 f.) unterscheidet rechtssatzförmige (normative) und offene (regulative) Prinzipien. 79 Aus strafrechtlicher Sicht v. Hippel, Lehrbuch des Strafrecht II, S. 275; Oetker, in: FS für Frank, S. 338; kritisch auch Roxin, NJW 1960, S. 2038 (2040); aus zivilrechtlicher Sicht Rasch, WuW 1955, S. 667 ff. (674), und BGHZ 6, 270 (283).

3*

80

Zustimmend Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 17.

81

A.a.O., S. 303.

36

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

entscheidung zu finden 82? Auch unstreitig normative Begriffe wie „Treu und Glauben", „gute Sitten" und „Verkehrssitte" sagen für sich genommen nicht viel aus und erhalten ihre Konturen erst durch außerbegriffliche Bezüge, durch die Verbindung mit dem zugrundeliegenden Einzelfall. Sie entziehen sich einer abstrakt-generellen Inhaltsbestimmung ebenso wie der Zumutbarkeitsbegriff. Und doch existiert ein grundlegender Unterschied. Begriffe wie „Treu und Glauben" und „gute Sitten" enthalten bereits in sich einen Wertungsmaßstab, der dem Zumutbarkeitsbegriff fehlt: Aus Normen wie §§ 242, 138 BGB läßt sich unmittelbar eine Entscheidung finden, während der Zumutbarkeit nicht entnommen werden kann, was das Recht selbst zumutet83 . Sie kann lediglich der rechtstechnischen Umsetzung dessen dienen, was mit Hilfe der Aussagekraft anderer Normen als zumutbar betrachtet wird. Allerdings ist Henkels Auffassung insoweit nicht recht verständlich, als dem Rechtsanwender „keine Entscheidungsinhalte an die Hand gegeben"84 sein sollen, wenn etwa der Gesetzgeber die „Zumutbarkeit" als Gesetzesbegriff verwendet 85. Der Rechtsanwender soll hier zwar die konkrete Einzelentscheidung treffen, aber unter Berücksichtigung der Wertungsinhalte, die der Gesetzgeber selbst festlegt. Vorschriften wie etwa § 626 BGB oder § 21 Abs. 4 Nr. 2 PersbefG weisen den Rechtsanwender mitnichten an, „die Beurteilungsnorm selbst zu entwickeln" 86 , sondern geben ihm gesetzliche Wertungen an die Hand, die er seiner Entscheidung zugrundezulegen hat 87 . Obliegt dem Rechtsanwender in diesen Fällen also Normanwendung und nicht Normschöpfung, so ist dies - wenn man Henkels Unterscheidung von regulativem und normativem Prinzip zugrundelegt - charakteristisch für das Vorliegen eines normativen Rechtsprinzips. Doch gilt es hier zu beachten, daß es sich bei der gesetzlich geregelten Zumutbarkeit streng genommen gar nicht mehr um ein Rechtsprinzip handelt, sondern um eine - wenn auch generalklauselartig formulierte - Norm selbst88.

82 Nach Nebinger, a.a.O., S. 89 handelt es sich bei dem Begriff der Zumutbarkeit sogar um eine Generalklausel, „die zweifellos keinen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt". Dies dürfte wohl entschieden zu weit gehen. 83

Buche, SchlHA 1969, S. 174.

84

Henkel, in: FS für Mezger, S. 303.

85

S.u. S. 47 ff.

86

Henkel, in: FS für Mezger, S. 303.

87

So auch Noftz, SchlHA 1969, S. 168.

88

Larenz (Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 351) unterscheidet rechtstheoretisch Rechtsnorm, rechtssatzförmiges Prinzip und offenes Prinzip: Das rechtssatzförmige Prinzip ist ein normgleicher leitender Rechtsgedanke, der im Gesetz selbst nicht ausgesprochen, wohl aber als selbstverständlich enthalten ist. Ohne jeglichen Normcharakter sind die „offenen Prinzipien".

I . Der

ebegriff

37

Existieren keine zumutbarkeitsleitenden gesetzlichen Wertungen, so ist die Zumutbarkeitsformel - als Prinzip verstanden - an sich wertfrei 89 . Es handelt sich bei der Zumutbarkeit insoweit um ein formales Prinzip, als sie selbst keine inhaltlichen Maßstäbe angibt, nach denen die jeweilige Entscheidung zu erfolgen hat. Deshalb muß für die Anwendung auf außerhalb des Begriffes liegende Wertungen zurückgegriffen werden, um bestimmen zu können, was im Einzelfall (noch) zumutbar ist. In diesem Sinne läßt sich die Zumutbarkeit als regulatives, offenes Prinzip charakterisieren. Per definitionem ist sie aber auch in gewisser Weise normativ vorgeprägt: Bereits die philologischen Untersuchungen des Begriffes der Zumutbarkeit haben gezeigt, daß sich die Frage, was zumutbar ist und was nicht, stets aus der Sicht dessen beurteilt, dem etwas zugemutet wird, der m.a.W. konkret betroffen ist. Dessen Situation also, die Frage etwa, wie eine konkrete staatliche Maßnahme sich quantitativ und qualitativ auf die Person des Betroffenen auswirkt, ist der Maßstab, nach dem sich die Zumutbarkeit bemißt. Der Rechtsanwender hat die verschiedenen Rechts- und Pflichtenbereiche demnach nicht, wie bei der Reinform eines regulativen Prinzips, selbständig zu bestimmen, er ist vielmehr gebunden an die Vorgabe, die aus den individuell-persönlichen Umständen des Betroffenen resultiert 90. Insoweit hat die Rechtsanwendung ähnlich wie bei der normativen Generalklausel „Treu und Glauben" - anhand eines Maßstabes zu erfolgen, den der Begriff selbst gibt 91 : Enthält „Treu und Glauben" einen objektivierenden, auf die Verkehrssitte abstellenden Wertungsmaßstab92, so bestimmt sich die „Zumutbarkeit" nach subjektiven EieQ-J

menten .

89

Ebenso Steinmeyer, in: Gagel, Kommentar zum AFG, § 103 Rn. 36.

90

Vgl. Schlegel, SchlHA 1969, S. 170, III 3a.

91

Wie hier auch Schlegel, SozSi 1969, S. 291, 1. Sp. („normativer Rechtsbegriff"), und Schubert, Die Sozialversicherung 1962, S. 298. 92

Jauernig / Vollkommer, BGB, § 242, Anm. I 1; auch der Maßstab der § 138 BGB ist objektiv, vgl. Jauernig ! Vollkommer, BGB, § 138, Anm. 3 a. 93 Zum selben Ergebnis kommt auch Weber, JurJb. 1962/63, S. 212 ff. (232), einschränkend aber ebd., S. 237 f., wonach objektive Elemente nicht generell ausgeschlossen sein sollen. Uneingeschränkt bejahend Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 90 Rn. 34 (Stand November 1991). Nicht nachvollziehbar ist die Bewertung Bluhms, SchlHA 1969, S. 176. Bluhm geht richtigerweise davon aus, daß die Verkehrssitte als objektiver Maßstab einen anderen Wertungsbezug aufweise als die subjektbezogene Zumutbarkeit. Dann aber sollen beide Maßstäbe einerseits objektiv sein, da es der objektive Richter ist, der pflichtgemäß abwäge, anderereits soll es sich um subjektive Beurteilungsmaßstäbe handeln, da der Richter (subjektiv) werte und interpretiere. M.E. verwechselt Bluhm hier verschiedene Gesichtspunkte: Die Tatsache, daß der Rechtsanwender objektiv Interessen gegeneinander abwägt, hat nichts damit zu tun, wie diese Interessen ermittelt werden: entweder objektiv wie bei der Verkehrssitte oder subjektiv wie bei der (persönlichen) Zumutbarkeit.

38

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

b) Absolute und relative Unzumutbarkeit In der Literatur findet sich gelegentlich94 die Unterscheidung von „relativer" und „absoluter" Zumutbarkeit. Dabei handelt es sich um den Versuch, das Unzumutbarkeitsverdikt nach seiner Wirkung zu systematisieren. Absolute Unzumutbarkeit soll nach Herschel dort vorliegen, „wo einem Menschen etwas angesonnen wird, was gegen die guten Sitten verstößt, was in jedem Falle seine Würde als Person kränkt, was ihn seiner naturrechtlichen Freiheit beraubt, was mit seiner Stellung im Volksganzen schlechterdings unvereinbar ist, was unserer ethischen und juristischen Ordnung widerspricht, kurz alles, was vor dem Recht keinen Bestand haben kann" 95 . In solchen Fällen soll die Feststellung der (Un-)Zumutbarkeit deshalb absolut wirken, weil sie schlechterdings gegenüber jedermann Geltung beansprucht und sich - zivilrechtlich gesprochen - gleichsam als „absolutes Recht" gegenüber anderen Belangen durchsetzt. Solch absolute Geltung rührt letztlich daher, daß diese Unzumutbarkeitstatbestände mit naturrechtlichen, überrechtlichen Erwägungen begründet werden, was ihrer Wirkung einen zusätzlichen Impetus verleiht. Relative Unzumutbarkeitstatbestände dagegen finden ihre Begründung im relativen Rechts- und Pflichtengefüge der an einer rechtlichen Beziehung Beteiligten. Zivilrechtlich gesprochen gehören hierher die Fälle, in denen der Schuldner mit Rücksicht auf „höhere Interessen" aus dem Schuldverhältnis (als einer relativen Beziehung) ausbrechen und die Leistung verweigern darf. Letztlich haben es die Parteien in der Hand, ob ein Verlangen als zumutbar oder unzumutbar angesehen werden kann. Hätten sie die höheren Interessen, auf die sich der Schuldner beruft, im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit berücksichtigt und in das konkrete Pflichtengefüge eingebaut, so wäre es dem Schuldner, der sich auf den Vertrag eingelassen hat, verwehrt, sich auf die Unzumutbarkeit seiner Leistungspflicht zu berufen. Eine so verstandene Differenzierung zwischen absoluter und relativer Unzumutbarkeit ist auf das Öffentliche Recht jedoch nicht ohne weiteres übertragbar 96, denn es sind erhebliche Zweifel angebracht, ob man das zivilrechtliche Vertragsverhältnis allgemein (d.h. abgesehen vom Verwaltungsvertrag, wo eine Parallele sicherlich gegeben ist) hinsichtlich seiner Relativität auf das Öffentliche Recht übertragen kann. Das allgemeine Staat-Bürger-Verhältnis ist in einem Rechtsstaat vielfältigen rechtlichen Regelungen unterworfen. Von einem „Rechtsverhältnis" kann jedoch erst dann gesprochen werden, 94 Weber, JurJb 1962/63, S. 212 (236); Herschel, AuR 1968, S. 193 (196 f.); ders., in: FS für Niekisch, 1958, S. 58 f.; Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (324 f.). 95

Herschel, in: FS für Niekisch, S. 58 f.

96

So aber Herschel, AuR 1968, S. 197.

I . Der

ebegriff

39

wenn eine entsprechende Konkretisierung 97 stattgefunden hat, das Allgemeinverhältnis gleichsam in ein „SpezialVerhältnis" transformiert worden ist. Beispielsweise steht jedem Bürger im allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis für den Fall seiner Bedürftigkeit das Recht auf Sozialhilfe zu. Ein Rechtsverhältnis liegt jedoch erst dann vor, wenn der Bürger einen entsprechenden Antrag an die Sozialbehörde gestellt hat, da sich das Allgemeinverhältnis erst jetzt auf die konkrete Verwaltungsbeziehung konkretisiert hat. Das solchermaßen konkretisierte Verwaltungsverhältnis 98 besteht in Anlehnung an das zivilrechtliche Schuldverhältnis aus gegenseitigen, aufeinander bezogenen Pflichten 99 , so daß man insoweit noch eine Parallele ziehen könnte. Die zivilrechtliche, relative Unzumutbarkeit lebt aber letztlich von der Vertragsfreiheit. Entscheidend ist die Möglichkeit der Parteien, Pflichten- und Leistungsgrenzen individuell zu bestimmen und die Vertragsrisiken nach Belieben (auch abweichend vom gesetzlichen Leitbild) zu verteilen. Diese Möglichkeit einer einvernehmlichen Rechtsgestaltung existiert im Öffentlichen Recht nur für den - hinsichtlich seiner Praxisbedeutung untergeordneten Bereich öffentlichrechtlicher, hauptsächlich verwaltungsrechtlicher Verträge 100 . Der weit überwiegende Teil verwaltungsrechtlicher Entscheidungen ergeht in Form einseitig-hoheitlicher Verwaltungsakte, auf deren Gestaltung der Bürger gerade keinen Einfluß hat. Ein frei ausgehandeltes Pflichtengefüge zwischen Staat und Bürger, aus dessen Regelungsgehalt man die relative Unzumutbarkeit allenfalls herleiten könnte, gibt es hier nicht. Die so verstandene Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Unzumutbarkeit ist deshalb im Öffentlichen Recht nicht brauchbar. Insoweit ist Ossenbühl101 nicht zuzustimmen, wenn er die zivilrechtliche Terminologie ins Öffentliche Recht übernimmt. Die Differenzierungsebene liegt hier wohl anders. Richtigerweise wird zwischen konkret-individueller und abstrakt-genereller (Un-)Zumutbarkeit zu unterscheiden sein. Kann von einer Zumutbarkeitsprüfung nur dann gesprochen werden, wenn es um Belange geht, die die Person dessen betreffen, dem etwas zugemutet wird (s.o. Zumutbarkeit als Allgemeinbegriff), so ist es naheliegend, insoweit von einer konkret-individuellen Zumutbarkeitsprüfung zu sprechen. 97

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 16.

98

Zum Begriff Schmitt-Glaeser, in: FS zum 50jährigen Bestehen des Boorberg-Verlags, S. 1 ff. (35); Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 231. 99

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 16.

100

Maurer, ebd., § 14 Rn. 19. Einen interessanten Fall regeln die §§ 133 f. GewO und 74a Abs. 1 S. 2 HGB, wo der Sache nach eine in diesem Sinne relative, d.h. aus der einvernehmlichen Rechtsgestaltung Privater resultierende Unzumutbarkeit geregelt ist, obgleich das Gesetz den Begriff „unbillig" verwendet. 101

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 (324); vgl. andererseits ebd. S. 318, wo sich auch die Formulierung „generell-abstrakte Unzumutbarkeit" findet.

40

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob es nicht möglich ist, konkret-individuelle Unzumutbarkeitstatbestände zu typisieren und auf diese Weise zu einer generalisierenden Aussage zu gelangen. Möglicherweise bestehende102 abstrakt-generelle Unzumutbarkeitstatbestände werden später anhand besonders zumutbarkeitsrelevanter Rechtsfragen untersucht (s.u. unter C.II.3). Für die hier interessierende Frage, inwieweit sich der Zumutbarkeitsbegriff in formaler Hinsicht systematisieren läßt, genügt es festzuhalten, daß jedenfalls im Öffentlichen Recht die Unterscheidung in absolute und relative Unzumutbarkeit aus oben genannten Gründen abzulehnen ist. Stattdessen spricht man besser von konkret-individueller bzw. abstrakt-genereller Unzumutbarkeit.

c) Zumutbarkeit als Teil der gerechtigkeitsorientierten Billigkeit (1 ) Der Bezugspunkt des Gerechtigkeitspostulats Auf die rechtsphilosophische und rechtstheoretische Verwurzelung des Gerechtigkeitsbegriffes kann hier nicht näher eingegangen werden. Zu vielfältig sind die Gerechtigkeitslehren und die Denkansätze zum Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit 103 . Auf sicherem Terrain bewegt man sich wohl, wenn man sich mit Gustav Radbruch auf einen „kleinsten gemeinsamen Nenner" zurückzieht: Der Rechtsbegriff ist ausgerichtet an der Rechtsidee, diese wiederum kann nicht gedacht werden ohne das Postulat der Gerechtigkeit 104 . Die Gerechtigkeitsidee ist im Begriff des „Rechtsstaats bereits enthalten und beeinflußt mithin die gesamte Rechtsordnung in ihrer doppelten Erscheinungsform: Als abstrakten Rechtssatz und als konkreten Einzelfall. Zwar hat es Versuche gegeben105, eine ausschließliche Affinität des Gerechtigkeitspostulates zum Konkret-Individuellen nachzuweisen, den generell-abstrakten Rechtssatz hingegen allein dem Gedanken der Rechtssicherheit und der Normenklarheit zu verpflichten, diese Stimmen verkennen jedoch, daß die Rechtsnorm als gleichsam „vorweggenommene Einzelfallanwendung" bereits die Wertmaßstäbe für die Beurteilung des Einzelfalles enthält. Gerade dadurch, daß die abstrakte Norm die Stetigkeit und Gleichförmigkeit der kon-

102

Vgl. Weber, JurJb. 1962/63, S. 212 ff. (237).

103

Zu diesem Problemkreis vgl. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, insb. S. 76 ff.

104

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 123.

105

M.E. Mayer, Rechtsphilosophie, S. 79 ff.; in diesem Sinne wohl auch P. Kirchhof, in: FS für Scupin, 1983, S. 775 ff., und Spitaler, StbJb. 1957/58, S. 158, 160. Dagegen Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 200 f.; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 330; Tsatsos, in: FS für Larenz, S. 649 ff. (656).

I . Der

ebegriff

41

kreten Rechtsanwendung gewährleistet oder zumindest fördert, verwirklicht sie mit ihrer Tendenz zur Gleichbehandlung einen Aspekt der (generalisierenden) Gerechtigkeit 106 . Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß das Gerechtigkeitspostulat zwar keine ausschließliche, wohl aber eine überwiegende Affinität zum Einzelfall hat. Vehikel der Einzelfallgerechtigkeit ist das ius aequum, das „die Unzulänglichkeit (der generalisierenden Gesetzes norm 107 ) im Sinne des Gesetzgebers selbst berücksichtigt: so wie er selbst die Bestimmung getroffen hätte, wenn er im Lande gewesen wäre und wie er sie, wenn ihm der Fall bewußt gewesen wäre, in sein Gesetz aufgenommen hätte" 108 . Das Gerechtigkeitspostulat spielt mithin in zweierlei Hinsicht eine Rolle: bei der Anwendung des abstrakten Rechtssatzes ebenso wie bei der Auffindung der konkret „richtigen" Einzelfallentscheidung.

(2) Die Antinomie von Individualität

und Normsystem

Damit besteht eine deutliche Parallele zum Zumutbarkeitsgedanken, der wegen seines subjektbezogenen Beurteilungsmaßstabes ebenfalls per definitionem das Individuelle berücksichtigt und sich um eine im Sinne der gerechten Rechtsordnung „richtige" Einzelfallentscheidung bemüht. Wenn zuweilen behauptet wird 1 0 9 , die Rechtsordnung interessiere sich nicht für Individualitäten, sondern nur für das Typische, so ist dies nur der halbe Teil der Wahrheit. Die Rechtsordnung ist natürlicherweise wegen ihrer ordnenden Funktion an beständigen, stetigen und für die Rechtsunterworfenen vorhersehbaren Rechtsregeln interessiert. Diesem Ziel der Rechtssicherheit dient ihre ganze systematisierende und integrative Kraft. Systematisierungen, Kennzeichen einer jeden „Ordnung", sind jedoch umso leichter möglich, je mehr sie auf das Typische, Allgemeine abstellen. „Individualitäten", die auf der Berücksichtigung fallspezifischer Besonderheiten basieren, stören hierbei nur. Und doch sind sie es, die dem oft unanschaulichen System des Rechts Leben verleihen, da sie die Vorstellung vom Recht, der Rechtsordnung und ihrer Gerechtigkeitsaussage für den Rechtsunterworfenen faßbar machen 110 und damit 106

Zustimmend Tsatsos, ebd., S. 655; Selmer, DÖV 1972, S. 551 ff. (553); Isensee, in: FS für Flume, S. 135. 107

Ergänzung vom Verf.

108

Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kap. 14 (S. 119).

109

Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 274 ff.; Noftz,

SchlHA 1969, S. 167

r. Sp. 110 Medium für die Erfassung einer Gerechtigkeitsaussage ist das Rechtsgefühl als „intellektuelles Gefühl" des Rechtsanwenders bzw. des Rechtsunterworfenen; vgl. Riezler, Das Rechtsgefühl, S. 8; Hubmann, AcP 153 (1954), S. 323; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 29 („Gerechtigkeitsgefühl"). Kritisch dazu Bihler, Rechtsgefühl, System und Wer-

42

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

den Grundstein legen für eine verbindliche Anerkennung der Rechtsnorm als „gerecht" oder „richtig" 1 1 1 . In den letztgenannten Zusammenhang ist die Zumutbarkeitsformel zu stellen. Sie ist als Prototyp eines subjektiv-individuellen Maßstabes nicht auf den generell-abstrakten Rechtssatz bezogen112, sondern einzelfallorientiert und dient zur Auffindung einer persönlichen Opfer- und Belastungsgrenze 113. Sie vermeidet damit eine persönlich-individuelle Überforderung des Betroffenen 114 . Indem sie bei der Anwendung des abstrakten Gesetzesrechts individuellen Belangen Zutritt und Berücksichtigung verschafft, ist sie Teil des Gebotes der Billigkeit 1 1 5 und insofern Medium des einzelfallbezogenen Gerechtigkeitspostulates116. Soweit es um die Gerechtigkeitsaussage abstrakt-genereller Rechtsnormen geht (s.o.), spielt die Zumutbarkeit eine untergeordnete Rolle, da sie für abstrakte Erwägungen nicht geeignet ist. 4. Die Zumutbarkeitsformel als Maßstab a) Die formelle Seite (1) Rückkopplung an die Person des Betroffenen Ausgehend von den vorangestellten philologischen Erwägungen kann festgestellt werden, daß der Zumutbarkeitsmaßstab auf Umständen beruht, die sich aus der Person dessen ergeben, dem etwas zugemutet wird. Insbesondere die Herkunft des Wortes „muthen" hat ergeben, daß Feststellungen darüber, ob etwas als „Zumutung" oder als „(un-)zumutbar" empfunden wird, von der tung, S. 101 f. mit dem Versuch, das Rechtsgefühl zu formalisieren und unabhängig von Gerechtigkeitsaussagen zu bestimmen. 1,1

In diesem Sinne zur Frage der Verbindlichkeit von Rechtsnormen Ebsen, Gesetzesbindung und Richtigkeit der Entscheidung, S. 19. 112 A.A. wohl Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94, wonach dieser Bezug theoretisch denkbar sein soll. 113

Zustimmend Eckert, in: GK-AFG, § 103 Rn. 63, 67, 73; Steinmeyer, Kommtar zum AFG, § 103 Rn. 47, 63, 65. 114

in: Gagel,

Schmitt, in: Wannagat, Kommentar zum gesamten SGB, SGB VI, § 43 Rn. 90.

115

Thoma/Niemann, Die Auslegung der Steuergesetze in Wissenschaft und Praxis, S. 27; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 89; Esser, in: Summum ius, summa iniuria, S. 36; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 485; Isensee, in: FS für Flume, S. 147; ders., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 311; Ρ. Kirchhof, in: FS für Scupin, S. 786; Selmer, DÖV 1972, S. 553; Noftz, SchlHA 1969, S. 167. 116 Kritisch hierzu Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 145 i.V.m. S. 155 f., wonach Gerechtigkeits- und Zumutbarkeits-(Verhältnismäßigkeits-)gesichtspunkte nur bedingt miteinander zu tun haben.

I . Der

ebegriff

43

Erlebnis- und Gefühlswelt des Betroffenen abhängen. Mit Weber 117 kann man deshalb sagen, daß es sich bei der Zumutbarkeit (respektive der Unzumutbarkeit) um einen psychologischen Begriff handelt. Damit ist der Weg zu der Beurteilung vorgezeichnet, daß die Frage der Zumutbarkeit nicht objektivierbar ist, sondern wegen ihrer Subjektbezogenheit immer rückgekoppelt bleibt an die Person des Betroffenen 118. (2) Mögliche Objektivierung

des Maßstabes

Eine völlig andere Frage ist es aber, wie die so gewonnene subjektbezogene Zumutbarkeit juristisch bewertet wird, ob eine etwa vom Betroffenen festgestellte Unzumutbarkeit von der Rechtsgemeinschaft anerkannt wird oder nicht. Daß die oben genannte Gefühls- und Erlebniswelt des Betroffenen nicht letztendlich ausschlaggebend ist für die Frage, ob der Betroffene eine staatliche Maßnahme hinnehmen muß oder nicht, ob sie ihm letztlich also zumutbar ist, folgt aus der Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums 119 : Will man den Betroffenen mit seiner selbstbezogenen Betrachtungsweise nicht zum Richter über sich selbst machen, so ist nicht alles, was vom Betroffenen als unzumutbar empfunden wird, tatsächlich unzumutbar. Festzuhalten bleibt aber, daß es sich hier um zwei verschiedene Ebenen handelt: zum einen die Ebene der streng subjektivierten Zumutbarkeitsprüfung, zum anderen die Ebene der (gemeinschaftsbezogenen) rechtlichen Bewertung, die nun in der Tat Objektivierungen zuläßt und insofern die strenge Subjektbezogenheit auf der ersten Ebene durchbricht. Die zweite Ebene ist wohl gemeint, wenn in der Literatur verwirrenderweise von einer „generalisierenden" oder „objektivierten" Zumutbarkeit gesprochen wird 1 2 0 . Nicht eigentlich die Zumutbarkeit wird hier objektiviert, sondern der Maßstab dafür, ob eventuell vom Betroffenen empfundene Unzumutbarkeiten auch rechtlich anzuerkennen sind oder nicht. Diese Frage beantwortet sich aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbetrachters 121. 117

JurJb. 1962/63, S. 231.

118

Zur Subjektbezogenheit Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 40 f.; Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 318; Herrler y Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden, S. 217; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 88 Rn. 58 (Stand 1990); ders., ebd., § 90 Rn. 33 f. (Stand 1991); ders., ebd., § 97 Rn. 43 (Stand 1991). 119 BVerfGE 12, 51. Der Sache nach ebenso Hummel-Lilj egren, Zumutbare Arbeit, S. 89/70, der die Zumutbarkeit als Mittlerin zwischen Gemeinwohlforderung und individueller Interessenlage versteht. Bei sozialrechtlichen Arbeitspflichten etwa dürfe „den Grad der Zumutbarkeit weder unbeugsame Härte noch sentimentale Schwäche bestimmen". 120

Weber, JurJb. 1962/63, S. 237 f.; Bluhm, SchlHA 1969, S. 176.

121

Hummel-Liljegren, Zumutbare Arbeit, S. 161; Schlegel, SozSi 1969, S. 291 (297);

44

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

b) Die inhaltliche Seite Bei der Frage, wie der Begriff der Zumutbarkeit inhaltlich aufzufüllen sei, stößt man sofort an die Grenzen, die einer materiellen Begriffsdefinition durch die strenge Subjektbezogenheit des Zumutbarkeitskriteriums gezogen sind. Subjekt- und einzelfallbezogene Wertungen lassen sich grundsätzlich nicht in dem Sinne generalisieren, daß ein für allemal festgelegt werden könnte, was (noch) zumutbar ist und was nicht. Diese per definitionem bestehende und deshalb hinzunehmende begriffliche Unschärfe hat zu zahlreicher Kritik am Zumutbarkeitskriterium geführt: Es handle sich um eine „konturenarme Formel" 122 , um „nebulose Zumutbarkeitsformulierungen" 123 und noch schärfer, das Prinzip der Zumutbarkeit sei „bloße Tautologie" 124 , eine „Leerformel" 125 , es sei wegen der grenzenlosen Dehnbarkeit des Begriffes 126 unmöglich, die Zumutbarkeit inhaltlich näher zu bestimmen 127 . Jeder dieser Einwände ist zugleich richtig und falsch. Der Widerspruch erklärt sich daraus, daß an den Zumutbarkeitsbegriff Anforderungen gestellt werden, die er nicht erfüllen kann. Erwartet man von ihm eine absolute Grenzziehung zwischen noch Zumutbarem und bereits Unzumutbarem, so handelt es sich in der Tat um eine Formel ohne eigenständigen Wert 128 . Diesen Vorwurf könnte man - und müßte man konsequenterweise - jedem wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff machen, der nicht aus sich selbst heraus verständlich ist, für den es vielmehr des Rekurses auf vorgegebene gesetzliche oder verfassungsrechtliche Wertungen bedarf 129. Die Zumutbarkeit leistet Weber, JurJb. 1962/63, S. 239; Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 41, Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 90. 122

Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 298.

123

Hirschberg,

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 101.

124

Henkel, in: FS für Mezger, S. 249 ff. (303); er spricht (ebd., S. 256) von „destruktiver Tendenz". 125

Gusseck, Zumutbarkeit, S. 104.

126

So E.-R. Huber (DöV 1956, S. 135 [136]) gegen die Zumutbarkeitsformel des Bundesverfassungsgerichts"; im gleichen Sinne bereits früher Kaufmann, Kritik der neukantischen Philosophie, S. 17; Finger, Strafrecht, S. 528 („Rückfall ins Naturrecht"); Sauer, FS für Frank I, S. 228; v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts II, S. 275; Kitzinger, JW 1933, S. 407. 127

Herschel, AuR 1968, S. 193 ff. (195).

128

So Noftz, SchlHA 1969, S. 167 f. mit der Einschränkung, die Formel habe keinen eigenständigen Wert, „soweit sie nicht gesetzlich normiert ist". Unklar bleibt jedoch, weshalb die gesetzliche Normierung an dieser Einschätzung etwas ändern soll. 129

An diesen Parallelen zeigt sich, daß es sich bei der Zumutbarkeit in der Tat um einen „normativen Rechtbegriff 4 handelt.

I . Der

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vielmehr nur eine Hilfestellung bei der „richtigen" Einzelfallentscheidung, geradeso wie die Formeln von den „guten Sitten" und von „Treu und Glauben". Die ungebrochene Beliebtheit des Zumutbarkeitstopos erklärt sich gerade aus seiner inhaltlichen Unbestimmtheit, die eine flexible, einzelfallgerechte Handhabung gewährleistet. Ließe sich die Zumutbarkeitsgrenze generalisieren und käme man so zu absoluten Antworten, so würde der Zumutbarkeitsgedanke seiner Hauptfunktion beraubt. Nunmehr selbst statisch geworden, wäre eine gerechtigkeitsgesteuerte, einzelfallbezogene Korrektur des ebenfalls statischen, generell-abstrakten Gesetzeswortlauts nicht länger möglich. Möglich bleibt deshalb nur eine Annäherung an den Inhalt der Zumutbarkeit im Wege der Umschreibung. Weber hat dies mit Hilfe einer Arbeitshypothese versucht 130 . Unzumutbarkeit liegt danach vor, wenn es „mit den anerkannten Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde unter Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Menschen nicht vereinbar ist, bei den nun einmal vorhandenen Umständen von ihm ein bestimmtes, rechtlich relevantes Verhalten zu verlangen, das unter anderen, zwar als vorhanden vorausgesetzten, in Wirklichkeit aber nicht vorhandenen Umständen von ihm normalerweise nach allgemeinen Rechtsauffassungen und bei Berücksichtigung einer eingegangenen rechtlichen Verbindung zu erwarten gewesen wäre". Der Versuch, das Zumutbarkeitskriterium erschöpfend begrifflich zu erfassen, hat ein Definitionsmonstrum hervorgebracht. Dennoch ist Webers Definition nicht unbrauchbar. Insbesondere erscheint der Konnex mit den anerkannten Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde richtig. Unabhängig davon, ob man den Sitz des Zumutbarkeitsgedankens in der Menschenwürdekonzeption des Grundgesetzes sieht 131 oder nicht, ist die Tatsache wohl nicht zu leugnen, daß die Zumutbarkeit in einem spezifischen Konnex zur Menschenwürde steht 132 : Beide Gesichtspunkte sind sich in dem Bemühen einig, dem Einzelnen seine Individualität, sein „So-sein", seine Identität zu erhalten; beide Gesichtspunkte - darin liegt jedenfalls der kleinste gemeinsame Nenner - , stellen sicher, daß bei jedem belastenden Eingriff die Sphäre des Individuell-Persönlichen, die besondere Betroffenensituation ausreichende Berücksichtigung findet. Die Parallele geht allerdings nicht so weit, daß dem in diesem Menschenwürdekonnex stehenden Zumutbarkeitsgedanken kein eigenständiger Rechtsgehalt mehr zukäme. Denn Art. 1 Abs. 1 GG schützt die „eiserne Ration" an Menschenwürde in der Verfassung 133; das Menschenwür130

Weber, JurJb. 1962/63, S. 212.

131

Dazu s.u. S. 233 ff.

132

BVerfGE 19, 226 (237); 23, 127 (135); Hummel-Liljegren,

133

Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 34; ders., JZ 1985, S. 203.

Zumutbare Arbeit, S. 68 f.

46

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

deargument darf nicht durch inflationäre Verwendung entwertet werden, indem man jede nicht gesetzes- oder verfassungskonforme staatliche Eingriffshandlung zugleich als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG interpretiert 134. In dem Bestreben, das Prinzip der Menschenwürde nicht als „kleine Münze" zu behandeln, ist deshalb dem Schutz des Einzelnen vorrangig durch Heranziehung spezieller Institute, wie etwa der Grundrechte oder der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit, Rechnung zu tragen 135 . Das Bundesverfassungsgericht hebt die Singularität des Menschenwürdegehaltes besonders durch die Feststellung hervor, daß Art. 1 Abs. 1 GG als Fundamentalnorm des Grundgesetzes und wegen seiner Leitbildfunktion 136 nicht relativierbar ist, mithin also absolute Geltung beansprucht 137. Daraus folgt die Rechtswidrigkeit jedes staatlichen Eingriffes in den Kernbereich des Art. 1 Abs. 1 GG bzw. in das auf Art. 1 Abs. 1 GG aufbauende allgemeine Persönlichkeitsrecht 138. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit rechtfertigen in diesem Fall wegen Art. 19 Abs. 2 GG keinen Eingriff in den absolut geschützten Bereich 139 . Eine solch absolute, generelle Grenzziehung ist dem Zumutbarkeitsgedanken methodisch fremd, denn absolute, generelle Antworten kollidieren mit seiner einzelfallbezogenen, individualisierenden Funktion, wie sie oben bereits angesprochen wurde 140 . Trotz der thematischen Parallele zur Menschenwürde verbleibt es bei dem Grundsatz, daß die Zumutbarkeitsgrenze nur relativ bestimmt werden kann. Der Menschenwürdegehalt einer Entscheidung läßt sich ausschließlich isoliert, d.h. ohne Rücksicht auf etwaige Gegeninteressen bestimmen, der Zumutbarkeitsgedanke ist demgegenüber ein Maßstab, der trotz zwingend personenbezogener Perspektive nicht völlig losgelöst von eingriffsrechtfertigenden Allgemeininteressen gesehen werden kann. So etwa ist Lücke 141 zu widersprechen, wenn er dem Umstand wirtschaftlicher Existenzbedrohung, dem 134

Hierzu Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 34, Hoerster, JuS 1983, S. 95 ff.; Starck, JZ 1981, S. 463 polemisiert gegen die Interpretation des Menschenwürdearguments als „verfassungsrechtliche Wanderdüne". 135

Zum Verhältnis des Zumutbarkeitsgrundsatzes zu den Grundrechten s.u. S. 222 ff.

136

BVerfGE 39, 1 (41) - Recht auf Leben; 52, 223 (247) - Glaubensfreiheit; 50, 125 (133) - justizielle Grundrechte. 137 BVerfGE 75, 369 (380): „Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluß der Menschenwürde ist, wirken die Schranken absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs." 138 BVerfGE 1, 104; 27, 1 (6); 34, 239 (245); BGH, NJW 1983, 1569 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 1 Rn. 4; Wintrich, BayVBl. 1957, S. 137. 139

Ebenso Geddert-Steinacher,

140

Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 81 ff.

A.A. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 47 f., der absolute Zumutbarkeitsgrenzen anerkennt. 141

Ebd., S. 46 f.

I . Der

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47

Umstand eines ernstlichen Gewissenskonfliktes oder dem Umstand der Gesundheits- und Freiheitsgefährdung absolute Wirkung zuspricht. Natürlich handelt es sich hierbei um einzelfallbezogene individuell-subjektive Umstände, die zur Unzumutbarkeit führen können. Es sind aber dennoch Kollisionslagen denkbar, in denen die genannten - zweifellos wichtigen - Rechtsgüter mit Rücksicht auf höhere Pflichten relativiert werden. So könnte der Gesetzgeber in Krisenzeiten einen existenzbedrohenden Eingriff in einen Gewerbebetrieb verfassungsrechtlich möglicherweise unter Hinweis auf das Allgemeininteresse rechtfertigen 142. In Krisenzeiten nämlich würde sich auch die Sicht des objektivierten Durchschnittsbetrachters (s.o.) verändern, nach der sich die Zumutbarkeit beurteilt. Nach alldem lassen sich Zumutbarkeitsgrenzen nicht absolut bestimmen 143 . Generalisierungen sind nur begrenzt möglich. So könnte man etwa sagen: Unzumutbarkeit ist demnach gegeben, wenn ein unter normalen Umständen berechtigtes Verlangen angesonnen wird, das in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wegen der Berücksichtigung persönlich-individueller Belange des Betroffenen einem objektiven Betrachter nunmehr als ungerechtfertigt erschiene. 5. „Zumutbarkeit" als Gesetzesbegriff a) „Zumutbarkeit" als einfachgesetzliche allgemeine Belastungsgrenze Die Rechtsordnung kann dem Bürger nicht grenzenlos Lasten und Pflichten auferlegen. Eine Belastungsgrenze ist dabei in zweierlei Hinsicht denkbar: Gemessen an der bereits bestehenden - quantitativen - Pflichtenlast kann das Hinzukommen noch weiterer Pflichten allein wegen der Tatsache ihrer Auferlegung „das Faß zum Überlaufen bringen". Doch auch unabhängig von diesen quantitativen Erwägungen ist es möglich, daß die Eigenart einer neu hinzukommenden Pflicht den Betroffenen in qualitativer Hinsicht überfordert. Ossenbühl bezeichnet das quantitative „Zuviel" als Überlast, das qualitative „Zuviel" als Überforderung 144. Diese Unterscheidung erscheint durchaus sinnvoll für eine genauere Betrachtung der Belastungsgrenzen. Denn die an sich banale Einsicht, daß es solche Grenzen gibt, darf nicht den Blick dafür verstellen, wie schwer es ist, sie im Einzelfall festzulegen. Rechtsprechung

142

Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 1 Rn. 14. 143 Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, a.a.O., S. 486; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 90; Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 11. 144

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315.

48

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

und Rechtslehre sind dem Problem in den einzelnen Rechtsgebieten unter anderem mit Hilfe des Zumutbarkeitskriteriums zu Leibe gerückt. Inwieweit gesetzesergänzend und -auslegend mit der Zumutbarkeit argumentiert wird, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung und würde den hier gesetzten Rahmen sprengen. Dieser Aspekt ist in der Literatur auch verschiedentlich beleuchtet worden 145 . Für die spezifisch verfassungsrechtliche Bedeutung der Zumutbarkeit ist es jedoch sinnvoll, einen - allerdings keinesfalls erschöpfenden - Blick auf die Begriffsverwendung des Gesetzgebers zu lenken. Die Art und Weise, wie sich der Gesetzgeber auf einfachrechtlicher Ebene des Zumutbarkeitsgedankens bedient, läßt unter Umständen Rückschlüsse zu auf den verfassungsrechtlichen Gehalt dieses Gedankens. Ohne der Versuchung zu erliegen, die Verfassung einfachrechtlich „aufzuladen", erschließt sich je nach gewonnenem Ergebnis die Frage leichter, ob eine allgemeine Belastungsgrenze auch im Verfassungsrecht mit Hilfe der Zumutbarkeit bestimmt werden kann.

b) Im Wehr- und Verteidigungsrecht Der Zumutbarkeitsgedanke findet sich in §§ 13 und 15 Schutzbereichsgesetz146. Er erscheint hier als zweifache Grenze der Belastung, die dem Bürger durch die militärische Nutzung seines Grundeigentums auferlegt wird. Einmal ist der Bürger nicht gezwungen, Maßnahmen nach dem Schutzbereichsgesetz, die die wirtschaftliche Nutzung seines Grundstückes unzumutbar erschweren, zu dulden; er kann vielmehr Entschädigung verlangen (§ 15 Abs. 1). Andererseits ist eine Entschädigung nicht möglich, wenn der Entschädigungsberechtigte Nutzungen in zumutbarer Weise hätte ziehen können, tatsächlich aber nicht gezogen hat (§ 13 Abs. 1). Der Zumutbarkeitsgedanke hat hier zweierlei Gesichter: Im ersten Fall dient er als Pflichtenbegrenzung, im zweiten Fall ganz im Gegenteil der Rechtsbegrenzung, macht er doch den Grundsatz der Entschädigung im Einzelfall wieder zunichte. In beiden Fällen versteht das Gesetz den Begriff „Unzumutbarkeit" im wirtschaftlichen Sinne.

145 Besonders Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers. Zur Zumutbarkeit als Argumentationstopos im Planungs- und Immissionsschutzrecht Feldhaus, DVB1. 1979, S. 301 ff; Erichsen, DVB1. 1967, S. 269 (270);

Sommer, DVB1. 1973, S. 481 ff. (482); Heinze, BayVBl. 1981, S. 649 ff.; Bender, DVB1.

1984, S. 301 (317). — Zur Zumutbarkeitsgrenze im Steuer- und Abgabenrecht Schuhmann, DStZ 1986, S. 583 ff. (585, 587); Wittmann, StuW 1987, S. 35 ff. (39); Brozat, DStR 1983, S. 76 ff. (77 f.); Bilsdorf er, Die Informationsquellen und -wege der Finanzverwaltung, S. 79 ff.; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO (Lfg. November 1991), § 90 Rn. 23 ff., insb. Rn. 34-54. 146 Gesetz über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung vom 7.12.1956, BGBl. III Nr. 54-2, zuletzt geändert 1976.

I . Der

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49

Zwar ist die (Un-)Zumutbarkeit auch hier streng an die Person des Betroffenen (des Eigentümers) „rückgekoppelt", doch können nur wirtschaftliche Gründe in dessen Person zum Unzumutbarkeitsverdikt führen. Ähnlich stellt sich die Lage nach dem Bundesleistungsgesetz147 dar. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 Bundesleistungsgesetz kann der Leistungsverpflichtete die Enteignung seines Eigentums (mit voller Entschädigungspflicht) verlangen, wenn eine Inpflichtnahme (nur) durch Gebrauchs- und Besitzüberlassung im Einzelfall nicht zugemutet werden kann. Auch hier entscheidet sich die Frage der Unzumutbarkeit allein nach ökonomischen Gesichtspunkten aus der Sicht des betroffenenen Eigentümers. In § 3 Abs. 2 Wehrpflichtgesetz 148 operiert der Gesetzgeber mit dem Begriff der „unzumutbaren Härte". Ihr Vorliegen läßt die sonst notwendige Genehmigungspflicht entfallen, wenn der Wehrpflichtige den Geltungsbereich des Gesetzes länger als drei Monate verlassen will. Unzumutbarkeit ist hier nicht wirtschaftlich zu verstehen, vielmehr kommt die ganze Palette möglicher persönlicher Gründe in Betracht. Die Zumutbarkeitsformel begründet hier nicht mehr als einen einzelfallabhängigen Ausnahmetatbestand, ohne daß sich dem Gesetz eine nähere Konkretisierung dieses Tatbestands entnehmen ließe; ähnlich die Verwendung der Formulierung „nicht zuzumuten" in § 11 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. Soldatengesetz. c) Im Gewerbe- und Immissionsschutzrecht Ein vornehmlich wirtschaftliches Begriffsverständnis ist gemeint in § 21 Abs. 4 Nr. 2 PersbefG 149, wonach die gewerberechtliche Betriebspflicht in der Unzumutbarkeit ihre Grenze findet. Allerdings besteht hier die Besonderheit, daß der Gesetzgeber inhaltliche Kriterien vorgibt, nach denen die Unzumutbarkeit bestimmt werden muß. Anhand dieser Vorgaben, die der Rechtsanwender „berücksichtigen" soll, zeigt sich sehr deutlich, daß der Gesetzgeber das Unzumutbarkeitskriterium als relative Größe ansieht, denn ohne die Herstellung einzelfallbezogener „Verhältnismäßigkeiten" läßt sich die geforderte Gewichtung einzelner Belange nicht vornehmen. In § 69b Abs. 3 S. 2 GewO 1 5 0 (Aufhebung der Festsetzung bestimmter Märkte) und § 8 Abs. 1 S. 2 HandwO 151 (Ablegung der Meisterprüfung als unzumutbare Härte) ist 147

Bundesleistungsgesetz i.d.F. vom 27.9.1961, BGBl. III 54-1, zuletzt geändert 1993.

148

I.d.F. vom 14.7.1994, BGBl. III 50-1.

149

Personenbeförderungsgesetz i.d.F. vom 8.8.1990, BGBl. III 9240-1, zuletzt geändert

1993. 150

Gewerbeordnung i.d.F. d. Bek. vom 1.1.1987, zuletzt geändert 1994.

151

Gesetz zur Ordnung des Handwerks i.d.F. vom 28.12.1965, BGBl. III 7110-1, zuletzt geändert 1991. 4 Albrecht

50

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

das Unzumutbarkeitskriterium wiederum nicht eingeschränkt auf wirtschaftliche Belange. Auch hier verweist das Gesetz mit seiner Zumutbarkeitsfloskel lediglich auf die Möglichkeit einzelfallabhängiger Ausnahmetatbestände. In § § 6 Abs. 3 (Unzumutbarkeit wegen Anschluß- und Versorgungspflicht), § 8 Abs. 1 (Unzumutbarkeit der Übernahme von Versorgungsleistungen) und § 13 Abs. 1 (Zumutbarkeit von Auflagen) Energiewirtschaftsgesetz 152 ist bereits nach dem Gesetzeswortlaut ein wirtschaftliches Begriffsverständnis angezeigt. Dasselbe gilt für § 906 Abs. 2 S. 1 BGB („wirtschaftlich zumutbar"), wohingegen Abs. 2 S. 2 derselben Vorschrift ohne Einschränkung ganz allgemein auf das „zumutbare Maß" abstellt. d) Im Straßenrecht Nach § 41 Abs. 1 Straßengesetz Baden-Württemberg obliegt den Gemeinden die straßenrechtliche Beleuchtungs-, Reinigungs-, Räum-, und Streupflicht ausdrücklich nur „im Rahmen des Zumutbaren". Der Gesetzgeber verwendet das Zumutbarkeitskriterium hier nicht zur Begrenzung einer Bürgerpflicht, die Einschränkung kommt hier vielmehr einer Gebietskörperschaft zugute. Auffallend ist, daß die Zumutbarkeit nicht etwa auf ausnahmefähige Sonderkonstellationen verweist, die in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis eingebunden bleiben. Die in § 41 konstituierte Pflicht entsteht vielmehr nur im Rahmen des Zumutbaren. Das Zumutbarkeitskriterium erschöpft sich hier nicht in seiner (üblichen) destruktiven Tendenz, sondern zeigt sich als geradezu konstituierendes Element zur Bestimmung des tatbestandlichen „Normalprogramms". e) Im Abfall- und Naturschutzrecht Nach den §§ 10 und 11 Bundesnaturschutzgesetz153 haben Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Grundflächen im Interesse des Naturschutzes Einschränkungen hinzunehmen, die wiederum unter der Schranken-Schranke der Zumutbarkeit stehen. Die allgemeine Duldungspflicht des § 10 geht bis zur unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzung der Grundfläche. Damit bildet die (Un-)Zumutbarkeit die alleinige Pflichtengrenze. Zu beachten ist hier wiederum der vom Gesetzgeber vorgegebene Konnex, daß sich die Unzumutbarkeit gerade auf die (wirtschaftliche) Nutzung einer Grundfläche beziehen muß. Anders motivierte Unzumutbarkeiten haben außen vor zu bleiben.

152 153

Vom 13.12.1935, BGBl. III 752-1, zuletzt geändert 1977.

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege i.d.F. vom 12.3.1987, BGBl. III 7911, zuletzt geändert 1993.

II. Der Rechtsbegriff

51

Ganz anders § 11 BNatSchG. Die Unzumutbarkeitsgrenze für die hier konstituierte Pflegepflicht im Siedlungsbereich ist zu unterscheiden von der Grenze der „Angemessenheit", die nach der Vorstellung des Gesetzgebers wohl eine selbständige Begrenzungsfunktion haben soll: Angemessen ist die Pflegepflicht nur, wenn sie (im Sinne eines Vergleiches von Eingriffszweck und Eingriffsmittel) nicht unverhältnismäßig erscheint. Will man die solchermaßen definierte Angemessenheit gegenüber dem zusätzlich heranzuziehenden Zumutbarkeitskriterium abgrenzen, so kann es sich bei letzterem nur um eine nicht verhältnismäßige Größe handeln, unter die all das fällt, was sich mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend erfassen läßt. Allein bei dieser Auslegung bliebe noch ein sinnvoller Anwendungsbereich für die Zumutbarkeit bestehen. In § 3 Abs. 5 S. 1 und § 3 Abs. 6 Abfallgesetz 154 ist geregelt, daß der Inhaber einer Abfallentsorgungsanlage Dritten die Mitbenutzung seiner Anlage unter bestimmten Voraussetzungen gestatten muß (Abs. 5) bzw., daß er nötigenfalls die Abfallentsorgung auch von anderen Entsorgern übernehmen muß (Abs. 6). Beide Pflichten sind begrenzt allein durch die (Un-)Zumutbarkeit. Der Gesetzgeber hat hier offengelassen, worauf sich die Zumutbarkeit im einzelnen beziehen soll. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß es sich hier wieder um echte Ausnahmetatbestände (vgl. Abs. 6 a.E.) handelt, die erfüllt sind, wenn Unzumutbarkeit im Einzelfall (und nicht zwingend aus wirtschaftlichen Gründen) bejaht werden kann.

f) Im Sozialrecht Im stark an der Billigkeit orientierten Sozialrecht taucht der Gedanke der (Un-)Zumutbarkeit regelmäßig als Gesetzesbegriff auf 155 . Exemplarisch zeigt sich dies bei den Vorschriften, die die Feststellung der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit der Betroffenen betreffen, etwa bei § 581 Abs. 2 und § 1246 Abs. 2 S. 2 und 3 Reichsversicherungsordnung 156 (§ 1246 RVO ist seit 1992 ersetzt durch den wortgleichen § 43 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VI). Hier wird dem Betroffenen stets angesonnen, ihm nach seinen Kräften und Fähigkeiten zumutbare Tätigkeiten aufzunehmen bzw. auszuüben, um insoweit die Solidarkassen zu entlasten. Auffällig ist hier, daß der Gesetzgeber (etwa in § 1246 Abs. 2 RVO bzw § 43 Abs. 2 SGB VI) nicht einfach unspezifiziert 154

Abfallgesetz vom 27.8.1986, BGBl. III 2129-15, zuletzt geändert 1994.

155

Die Rechtsprechung des BSG in diesem Bereich wird im Zusammenhang mit der des BVerwG unter dem Kapitel „Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Verwaltungsrechtsprechung" beleuchtet; vgl. unten S. 104 ff. 156 Reichs Versicherungsordnung vom 19.7.1911 i.d.F d. Bek. vom 15.12.1924, zuletzt geändert 1994.

4*

52

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

auf die Zumutbarkeit verweist, sondern die Kriterien selbst nennt, nach denen die Frage der Zumutbarkeit entschieden werden soll. Insbesondere in § 43 Abs. 2 S. 3 SGB V I findet sich eine Legaldefinition dessen, was stets zumutbar ist 157 . Der Zumutbarkeitsgedanke findet sich im Sozialrecht überhaupt immer bei der Frage, ob, und wenn ja, in welcher Form der Betroffene auf eine Arbeit verwiesen werden kann. Dreh- und Angelpunkt 158 ist der Begriff der „zumutbaren Arbeit" oder „zumutbaren Beschäftigung", wie er etwa in §§18 Abs. 2, 25 Abs. 1, 67 Abs. 4 BSHG, 103 AFG zum Ausdruck kommt. Nach § 103 Abs. 2 i.V.m. § 103 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AFG sind bei der „Beurteilung der Zumutbarkeit die Interessen des Arbeitslosen und die der Gesamtheit der Beitragszahler gegeneinander abzuwägen". M.a.W. bezeichnet die Zumutbarkeit hier die zentrale Grenze des Versicherungsrisikos 159. Die Interessenabwägung hat der Verordnungsgeber aufgrund der Ermächtigung in § 103 Abs. 2 S. 2 AFG in der Zumutbarkeitsanordnung 160 näher spezifiziert 161 : Dabei fällt auf, daß für das Zumutbarkeitsurteil auf Seiten des Arbeitslosen besonders personenbezogene Belange relevant sind. Als Beispiel nennt § 1 Zumutbarkeitsanordnung etwa die bisherige berufliche Tätigkeit, die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen, seine familiären und sonstigen persönlichen Verhältnisse. Festzuhalten bleibt demnach, daß der Kreis möglicher Unzumutbarkeitsgründe vom Gesetzgeber selbst detailliert geregelt und insoweit eingeschränkt wird. Funktional betrachtet werden durch die genannten sozialrechtlichen Zumutbarkeitsklauseln nicht die Pflichten des Bürgers, sondern seine Rechte begrenzt. Denn die Zumutbarkeit wird aus der Sicht des Bürgers quasi in eine „Obliegenheitskonstruktion" eingebaut162, die sich zu seinen Lasten auswirken kann.

157 § 43 Abs. 2 S. 3 lautet: „Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind." 158 159

Hierzu vgl. näher Hummel-Liljegren,

Steinmeyer, Rn. 66. 160

Zumutbare Arbeit, insbesondere S. 77 ff., 97 ff.

in: Gagel, AFG, § 103 Rn. 32; ebenso Eckert, in: GK-AFG, § 103

Vom 16.3.1982, ANBA 1982, S. 523; abgedruckt im GK-AFG, § 103, XI.

161

Um die Frage der zumutbaren Beschäftigung i.S.v. § 103 AFG rankt sich eine Fülle von Einzelproblemen, deren Darstellung einerseits den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, andererseits für die Frage nach der Zumutbarkeit als eigenständigem Verfassungsmaßstab nicht angezeigt ist. Zur zumutbaren Beschäftigung im Sinne des § 103 AFG vgl. Gagel, BlStSozSrbR 1980, S. 115 ff.; Hoppe, ZfSH 1976, S. 225 ff.; derselbe, SF 1979, S. 1 ff.; Hummel-Liljegren, Zumutbare Arbeit; Karasch, ZfF 1983, S. 65 ff.; Moritz, ZfF 1979, S. 225 ff.; Wacker/Paul, KJ 1975, S. 339 ff. 162

Vgl. hierzu ausdrücklich BVerwGE 80, 282 (286).

I . Der

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53

Andererseits findet sich die Zumutbarkeit im Sozialrecht auch in ihrer klassischen pflichtenbegrenzenden Funktion: In § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I beschränkt das Zumutbarkeitskriterium die dem Leistungsberechtigten bei seiner Antragstellung grundsätzlich obliegende Mitwirkungspflicht. Es steht hier in einem gewissen Gegensatz zum Angemessenheitskriterium nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I: Betrifft die Angemessenheit das Verhältnis der Mitwirkungspflicht zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung, so stellt die Zumutbarkeit nicht auf eine Verhältnismäßigkeit ab, sondern fragt (einseitig), ob die Erfüllung „dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund" nicht angesonnen werden kann.

g) Im Arbeitsrecht Im Arbeitsrecht findet sich die wirtschaftlich verstandene Unzumutbarkeit als „Ausnahmetatbestand" in § 14 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz 163 und § 2 Abs. 3 Arbeitsplatzschutzgesetz 164. Ohne nähere Ausgestaltung der einzelnen Unzumutbarkeitsgründe setzt der Gesetzgeber jeweils fest, daß die zwingende Aussage des Arbeitszeitgesetzes (Einhaltung genau geregelter Arbeits- und Erholungszeiten) bzw. des ArbPlSchG (Einberufung zum Wehrdienst kein Entlassungsgrund) dann entfallen kann, wenn sie im Einzelfall dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann. Dasselbe Verständnis liegt zugrunde beim außerordentlichen Kündigungsgrund des § 626 BGB bzw. bei § 9 KSchG (Fortsetzung des Dienstverhältnisses ausnahmsweise nicht zumutbar), allerdings bei § 626 BGB mit der Erweiterung, daß der Gesetzgeber hier die Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien sowie die Berücksichtigung aller Einzelfallumstände für die Unzumutbarkeitsprüfung positiv vorschreibt. Die Unzumutbarkeit wirkt hier pflichtenbegrenzend. Ganz anders die Lage etwa bei § 11 Nr. 2 KSchG 165 , wonach sich der Arbeitnehmer auf das Entgelt, das der Arbeitgeber ihm für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen muß, was er bei der Annahme zumutbarer Arbeit hätte verdienen können. Ähnlich wie bei § 1246 RVO dient das Zumutbarkeitskriterium hier durch entsprechenden Einbau in eine Obliegenheitskonstruktion nicht der Pflichten-, sondern der Rechtsbegrenzung des Betroffenen.

163

Vom 6.6.1994, BGBl. I S. 1170.

164

Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst i.d.F. d. Bek. vom 14.4.1980, BGBl. III 53-2, zuletzt geändert 1990. 165

Kündigungsschutzgesetz i.d.F. d. Bek. vom 25.8.1969, BGBl. III 800-2, zuletzt geändert 1993.

54

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

h) Im Strafrecht Verschiedentlich bedient sich der Gesetzgeber auch im Strafrecht des Begriffs der „Zumutbarkeit". Nach § 42 StGB etwa sind dem zu einer Geldstrafe Verurteilten Zahlungserleichterungen zu gewähren, wenn ihm nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldstrafe sofort zu bezahlen. Der Betroffene soll hier offensichtlich einen subjektiv-individuellen Härtegrund geltend machen können. Im Gegensatz hierzu wendet sich die Zumutbarkeitsschranke des § 56b Abs. 1 StGB nicht an den Verurteilten, sondern an den Gesetzgeber, der bei der Erteilung von Auflagen und Weisungen bereits von vorneherein darauf achten soll, daß die Anforderungen an den Einzelnen nicht überspannt werden 166 . In §§ 323c und 142 Abs. 3 StGB wird der gesetzliche Tatbestand mit Hilfe der Zumutbarkeit bestimmt. Das Pflichtenprogramm des Bürgers bestimmt sich danach, ob ihm das gesetzlich abverlangte Verhalten (in § 142 das Zurverfügunghalten eines unfallbeteiligten Fahrzeugs, in § 323c die Hilfeleistung für Dritte) zuzumuten ist. § 323c StGB enthält anders als § 142 Abs. 3 StGB den wenig hilfreichen Hinweis, daß hierfür die „Umstände" maßgeblich sein sollen. In §113 Abs. 4 StGB wird die Zumutbarkeit in anderem Sinne verwendet: Dort geht es nicht um die Bestimmung des Regeltatbestandes, der Betroffene soll vielmehr höchstpersönliche Umstände gelten machen können, die seine Strafbarkeit ausnahmsweise entfallen lassen. In sytematischer Hinsicht wird der Zumutbarkeitsbegriff also auch im Strafrecht uneinheitlich verwendet. Als „kleinster gemeinsamer Nenner" ist allen Zumutbarkeitsformulierungen nur gemeinsam, daß es dabei wenigstens unter anderem auf die persönlich-individuelle Lage des Betroffenen ankommt 167 . Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch schon erschöpft: Während die persönlich-individuelle Lage beispielsweise in §§ 42 und 56b Abs. 1 StGB isoliert gewürdigt wird, ist bei § 113 Abs. 4 StGB eine Abwägung des individuellen Vermögens mit anderen Gesichtspunkten vorzunehmen 168 ; § 323c StGB stellt auf die Persönlichkeit des Betroffenen, seine physischen und psychischen Kräfte, unter Umständen auch auf höchstpersönliche Gewissensgründe ab 169 , bei der Zumutbarkeit im Sinne der § 142 Abs. 3 und § 42 StGB hingegen steht eine mehr individuell-wirtschaftliche Betrachtungsweise im Vordergrund.

166

Dreher/Tröndle,

StGB, § 56b Rn. 4.

167

So für § 323c ausdrücklich Dreher/Tröndle,

168

OLG Köln, NJW 1975, 889.

169

BGHSt 32, 381.

StGB, § 323c Rn. 7.

I . Der

ebegriff

55

i) Im Steuerrecht Dort findet sich mit § 151 Abgabenordnung 170 eine Vorschrift, die mit wünschenswerter Klarheit ausdrückt, worauf es bei der Zumutbarkeit ihrem Wesen nach ankommt: Für das Kriterium der Zumutbarkeit können allein die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen ausschlaggebend sein. § 151 AO dispensiert den Steuerpflichtigen von der an sich zwingenden Schriftform der Steuererklärung, wenn ihm dies nach „seinen persönlichen Verhältnissen nicht zugemutet werden kann". Nach dieser klaren gesetzgeberischen Terminologie würde man eigentlich erwarten, daß all die Fälle, bei denen es auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen ankommt, mit dem Kriterium der Unzumutbarkeit gelöst werden. Genau dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr finden sich in der gesamten AO verstreut Billigkeitsvorschriften, die der Sache nach klassische Unzumutbarkeitsfälle regeln, vom Gesetzgeber aber nicht als solche angesehen werden. Beispielsweise regelt § 148 AO ebenso wie § 151 AO den Dispens von an sich zwingenden Vorschriften. §151 befreit von der Schriftform der Steuererklärung, § 148 AO von der Einhaltung bestimmter Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten. Der Sache nach ist in beiden Fällen der Rekurs auf persönliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen notwendig, in § 148 findet sich aber ausschließlich der Begriff der „Härte", nicht der „Zumutbarkeit". Ähnlich ist die Lage bei § 222 AO (Stundung von Steuern aufgrund erheblicher Härte für den Steuerschuldner) und 163 AO (einzelfallbedingte abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen). Solche Ungereimtheiten finden sich außerhalb des Steuerrechts auch bei § 765a Zivilprozeßordnung und § 30a Abs. 1 - 3 Zwangsversteigerungsgesetz. § 765a ZPO regelt die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen, wenn diese für den Schuldner wegen besonderer Umstände des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten. § 30a ZVG betrifft in seinen ersten drei Absätzen das Problem, wann bei der einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens die Interessen des Schuldners und wann die Interessen des Gläubigers auf die Entscheidung „durchschlagen". Obwohl es, wie der Gesetzgeber ausdrücklich regelt, für die Entscheidung (in Abs. 1 - 3 ) auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ankommt, soll die Zumutbarkeit nur in den Absätzen 2 und 3 entscheidend sein. In Abs. 1 sind für die Entscheidung zwar die „persönlichen (!) und wirtschaftlichen Verhältnisse" des Betroffenen ausschlaggebend, im Gesetzestext ist aber nicht von „Unzumutbarkeit", sondern von „Billigkeit" die Rede.

170

S. 269.

Abgabenordnung (AO 1977) vom 16.3.1976, BGBl. I S. 613, ber. BGBl. 1977 I

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

56

j) Abschließende Würdigung Es ließen sich noch viele weitere Gesetzesvorschriften finden, in denen der Gesetzgeber die Zumutbarkeit als Kriterium einsetzt; man denke nur an §§ 556a, 554a BGB, § 101 Strafvollzugsgesetz etc. Dennoch hat die exemplarische Untersuchung gezeigt, daß der Gesetzgeber den Begriff der Unzumutbarkeit völlig uneinheitlich verwendet, gar von einer bestimmten „Unzumutbarkeitssystematik" nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht gesprochen werden kann. Der Begriff der Unzumutbarkeit hat nicht nur von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet unterschiedliche Bedeutung, auch innerhalb desselben Rechtsgebietes, vielfach sogar innnerhalb derselben Vorschrift finden sich Unterschiede im Begriffsverständnis. Es lassen sich nicht weniger als 5 Unterscheidungsebenen herauskristallisieren, die zwar teilweise in sich auch wieder unterteilt werden könnten, bei denen es aus Gründen der Übersichtlichkeit aber hier bewenden soll: -

1. Systematisch -

(a) Die Zumutbarkeitsformel dient dem Gesetzgeber nicht (erst) zur Begrenzung einer Pflicht, sondern bereits zur Auffindung des einschlägigen Pflichtenprogramms: Zumutbarkeit als Anknüpfung für den gesetzlichen Regeltatbestand. - (b) Mit Hilfe der Zumutbarkeitsformel erteilt der Gesetzgeber selbst im Einzelfall Dispens von der Befolgung an sich zwingender gesetzlicher Pflichten: Zumutbarkeit als Anknüpfungspunkt für den gesetzlichen Ausnahmetatbestand. - (c) Die Zumutbarkeit dient bereits vom Ausgangspunkt her nicht der Pflichtenbegrenzung, sondern der Rechtsbegrenzung: Zumutbarkeit im Rahmen einer „Obliegenheitskonstruktion". -

2. Inhaltlich -

(a) Der Gesetzgeber beschränkt den (Un-)Zumutbarkeitsbegriff auf Fälle wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. - (b) Der Gesetzgeber versteht den Unzumutbarkeitsbegriff zwar nicht im wirtschaftlichen Sinn, gibt aber eine Reihe von (u.U. detaillierten) Wertungen vor, auf die allein die Unzumutbarkeit gestützt werden kann. - (c) Schließlich verwendet der Gesetzgeber das Zumutbarkeitskriterium auch insofern uneinheitlich, als er der Sache nach klassische Unzumutbarkeitsfälle mit Hilfe anderer Topoi erfaßt. Aufgrund dieser Erwägungen zum einfachrechtlichen Begriff der (Un-) Zumutbarkeit lassen sich für die verfassungsrechtliche Bedeutung des Begriffes keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen. Eine einheitliche oder auch nur

I . Der

ebegriff

57

eindeutig dominierende gesetzgeberische Vorstellung von der Zumutbarkeit hat sich wegen der vielfältigsten Verwendung dieses Begriffes nicht finden lassen. Die verfassungsrechtliche Seite des Zumutbarkeitsbegriffes wird deshalb nicht von einfachrechtlichen „Vorwirkungen" in eine bestimmte Richtung gelenkt. Einfachrechtliche Erkenntnisse können zwar unterstützend d.h. in dem steten Bewußtsein, daß das Verfassungsrecht nicht einfachrechtlich „aufgeladen" werden darf - herangezogen werden, ein Verfassungsmaßstab der Zumutbarkeit könnte seine Rechtfertigung aber nicht in einer Parallele zum einfachen Gesetzesrecht finden.

6. Zumutbarkeit und Abwägung Die bisherige Untersuchung hat sich vorwiegend mit dem subjektbezogenen Aspekt des Zumutbarkeitsbegriffes beschäftigt und zu klären versucht, welche Situationen der Zumutbarkeitsgedanke überhaupt erfaßt. Die Frage, wie diese juristische „Erfassung" methodisch vonstatten geht, wurde des besseren Überblicks wegen weitgehend ausgeblendet. Sie soll an dieser Stelle im Zusammenhang untersucht werden. Ausgangspunkt für alle methodischen Überlegungen zur zumutbarkeitsorientierten, konkreten Entscheidungsfindung ist die Frage nach dem Verhältnis von Zumutbarkeit und Abwägung. Zunächst ein Wort zum Begriff der Abwägung überhaupt. Man hat versucht, die Abwägungsmethode in einen gewissen Gegensatz zur herkömmlichen, deduktiven Subsumtionsmethode zu bringen 171 : Bei der Abwägung werde das Problem nicht durch Deduktion aus wenigen Axiomen, sondern unter Berücksichtigung möglichst vieler Gesichtspunkte gelöst; der entscheidende Vorteil der Abwägungsmethode bestünde in ihrer spezifischen Wertorientierung 172. Unabhängig von den hier bestehenden Meinungsunterschieden scheint doch klar zu sein, daß die normorientierte Deduktionsmethode Prämissen voraussetzt, anhand derer die Ableitung erfolgen kann. Die Zumutbarkeit als Rechtsprinzip enthält solche Prämissen aber gerade nicht. Aus ihrer zwingenden Einzelfallbezogenheit folgt im Gegenteil die Unmöglichkeit, gesetzliche Prämissen in Gestalt einer universellen Norm formulieren zu können. Vorab kann deshalb bereits festgehalten werden, daß die Zumutbarkeit nur einer wertorientierten Gewichtung der (im Einzelfall) maßgeblichen Gesichtspunkte, nicht aber der Deduktionsmethode zugänglich 171 Lorenz, in: FS für Klingmüller, S. 235 ff.; Esser, JurJb. 1 (1960), S. 111; aus planungsrechtlicher Sicht Beenken, Zur Überprüfbarkeit von Bauleitplänen nach dem BBauG, S. 268. 172

So Larenz und Esser, a.a.O. (vorige Fn.).

58

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

ist. Darin besteht eine Gemeinsamkeit mit dem Prinzip der Abwägung 173 . Kann die Zumutbarkeit deshalb aber automatisch als Teil derselben angesehen werden? Faßt man die Abwägung als „Relationsurteil" 174 auf, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit auch die Zumutbarkeit an dieser Relativität teilhat: Denn man käme zu qualitativ anderen Zumutbarkeitserwägungen je nachdem, ob man die Zumutbarkeitsgrenze relativ unter Abwägung mehrerer im Entscheidungsfindungsprozeß kollidierender Interessen bestimmt oder diese Grenze (absolut) allein nach dem Gewicht des maßgeblich betroffenen persönlichen Interesses des Pflichtigen definiert. In beiden Fällen fände eine wertorientierte Gewichtung statt, aber nur im erstgenannten Fall handelte es sich um eine echte Abwägung. a) Existiert eine letzte, absolute Opfergrenze? Aus der Tatsache, daß es sich bei der Zumutbarkeit um einen streng personenbezogenen Wertungsmaßstab handelt, könnte man den Schluß ziehen, die Zumutbarkeit sei generell abwägungsfeindlich, da sie allein individuellen Interessen des Pflichtigen Geltung verschaffe und demgemäß Drittinteressen (auch Allgemeininteressen) nicht berücksichtige. Dies wird in der Literatur, zurückgehend auf eine Schrift von Lücke 175 , verschiedentlich auch so gesehen 176 . Von diesen Autoren wird betont, daß die Zumutbarkeit als Individualisierungsgebot aufgefaßt werden müsse, das allein individuellen Interessen des Pflichtigen Geltung verschaffen könne. Aufgrund dessen sei die Zumutbarkeit bereits begrifflich einer umfassenden Interessenabwägung (unter Einschluß der Interessen Dritter und der Allgemeinheit) nicht zugänglich, mithin keine verhältnismäßige Größe. Vielmehr werte sie eine Pflicht unmittelbar und einseitig in bezug auf die Pflichtige Person 177. 173 Schlink (Abwägung und Verfassungsrecht, S. 15) spricht von einem „Gewichten und Vergleichen von öffentlichen und privaten Werten, Gütern und Interessen"; ähnlich Gern, DÖV 1986, S. 462 ff. (465). 174

Begriff von Hoppe, in: FS für Scupin, S. 121 ff. (134).

175

Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine öffentlich-rechtliche Grenze des Bürgers, S. 40-44. Ergänzend dazu Lücke, DÖV 1974, S. 769. 176

Söhn, in: Hübschmann/ Ηepp/Spitaler,

A O (Lfg. 134, November 1991) § 88 Rn. 58,

§ 90 Rn. 33 f., § 93 Rn. 66; Gern, DÖV 1986, S. 462 ff. (469); Selmer, AöR 101 (1976), S. 399 ff. (417); Tipke/Kruse, Steuerrecht, S. 559; Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, S. 100; Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19; Arzt, Die Zulässigkeit der Bedürfnisprüfung, S. 34; Jakobs, DVB1. 1985, 97 (100); Brozat, DStR 1983, 76 (78); Pesendorfer, ÖZÖR NF 28 (1977), S. 265 (283); A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 140 ff. 177

So insbesondere Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,

prüfung S. 100; Brozat, DStR 1983, S. 78.

§ 90 Rn. 33; Tipke, Betriebs-

I . Der

ebegriff

59

So verstanden betrachtet das Zumutbarkeitsurteil eine konkret auferlegte Pflicht losgelöst von allen Umständen, die für ihre Entstehung, ihren Umfang und ihren Bestand von Bedeutung sind. Auch läßt ein solches Verständnis den Zweckbezug der betreffenden Maßnahme außer Betracht. Vielmehr bildet die Zumutbarkeit von vornherein eine absolute, letzte Grenze 178 , jenseits derer das dem Betroffenen Angesonnene schlechterdings nicht mehr verlangt werden kann.

b) Theorie von der relativen Opfergrenze Daß ein solchermaßen scharf konturiertes Zumutbarkeitsverständnis in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben ist, liegt auf der Hand. Stark kritisiert wird insbesondere die Vorstellung einer abwägungsfeindlichen, starren Opfergrenze. Hirschberg 179 hat den Einwand erhoben, daß sich gerade eine außergesetzliche Zumutbarkeitsgrenze wegen der Situationsabhängigkeit der einzelnen Maßnahmen schwerlich absolut festlegen lasse. Daß diese Überlegung richtig ist, müßten konsequenterweise auch die Befürworter einer starren Opfergrenze zugestehen, denn auch sie lösen das Zumutbarkeitskriterium nicht aus dem Einzelfallkonnex und betonen die Funktion der Zumutbarkeit als situationsabhängiges Korrektiv 180 . Entscheidend scheint jedoch das zweite Argument gegen die Vorstellung von einer starren Opfergrenze zu sein: Wie jede juristische Sachentscheidung ist auch die Zumutbarkeitsprüfung eingebettet in „raumzeitliche" Umstände. Wenn diese auch nicht explizit herangezogen werden, so sind sie doch bei jeder konkreten Maßnahme konkludent mitbedacht und der eigentlichen Entscheidungsfindung quasi „vorgelagert" 181 . Die Beurteilung dessen, was (gerade noch) zumutbar ist, wird entscheidend mitbestimmt vom Umfeld der Entscheidung, so daß etwaige Umfeldänderungen ein anderes Zumutbarkeitsurteil bedingen können. So weist Hirschberg 182 darauf hin, daß die Zumutbarkeitsprüfung existenzgefährdender wirtschaftpolitischer Maßnahmen in wirtschaftlich ruhigen Zeiten anders ausfallen kann als in Zeiten einer akuten Krise.

178

So ausdrücklich Pesendorfer, ÖZÖR NF 28 (1977), S. 285; Jakobs, DVB1. 1985, S. 99; A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 140. 179

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100.

180

Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 90 Rn. 34; Lücke, Die (Un-) Zumutbarkeit, S. 51 f. Zur Zumutbarkeit als Einzelfallkorrektiv s. B.II.3.c.(l). 181

Zustimmend Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 10.

182

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100.

60

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

Im Sozialrecht etwa wird die Frage, welche Arbeit ein Arbeitsloser annehmen muß, entscheidend vom finanzpolitischen Umfeld beeinflußt 183 . Beispielsweise wird in Zeiten leerer Haushalts- und Sozialkassen auch immer wieder eine Verschärfung der „Zumutbarkeitsanordnung" der Bundesanstalt für Arbeit 184 diskutiert 185 . Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes läßt sich diese Umfeldabhängigkeit belegen. In BVerfGE 11, 310 (325) prüfte das Gericht, ob bei der Errichtung von Innungskrankenkassen, die der Zustimmung der Arbeitnehmerschaft bedarf, die traditionelle Differenzierung zwischen Gesellen und Nichtgesellen gerechtfertigt ist. Die aus dem Jahre 1960 stammende Entscheidung bejahte dies aufgrund der „berufständischen Eigenart des Handwerks", stellte aber ausdrücklich fest, daß die dem Wandel von Wirtschaft und Technik unterworfenen strukturellen Besonderheiten des Handwerks die Zumutbarkeitsprüfung in der Zukunft beeinflussen könnten. Eine ähnliche Wertung findet sich im Mühlengesetz-Beschluß186, wonach sich in der Mühlenwirtschaft eine besondere Zumutbarkeitsgrenze deshalb ergebe, weil in diesem Bereich „zur Zeit" dirigistische Eingriffe üblich und unumgänglich geworden seien. Darüber hinaus lassen sich auch anderweitig motivierte Veränderungen denken, in deren Gefolge sich auch die Zumutbarkeitsgrenze verschiebt. Die Zumutbarkeitsgrenzen in §§ 10 und 11 BNatSchG etwa verändern sich zusammen mit dem gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Stellenwert des Umweltschutzes. Die Frage, wann die Duldung von Maßnahmen des Umweltschutzes die Nutzung des Grundeigentums „unzumutbar" beeinträchtigt, wäre in den den 60er Jahren sehr wahrscheinlich anders entschieden worden als im Jahre 1995.

183 Hummel-Liljegren (Zumutbare Arbeit, S. 157 ff.) weist beispielsweise nach, daß und wie die Wertvorstellungen beim Problem der zumutbaren Arbeit einem ständigen Wandlungsprozeß unterworfen sind. Bereits dies schließt es aus, Zumutbarkeitsgrenzen absolut zu begreifen. 184 Vom 16.3.1982. Die Zumutbarkeits-Anordnung sieht vor, daß bei der Frage, welche Arbeit ein Arbeitsloser annehmen muß, grundsätzlich alle Umstände des Einzelfalls (Ausbildung, bisherige Tätigkeit, familiäre Verhältnisse) berücksichtigt werden sollen. Diese Umstände müssen gegen das Interesse aller Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung abgewogen werden, einen Arbeitslosen möglichst schnell zur Aufnahme einer Beschäftigung zu veranlassen. Eine Arbeit ist im wesentlichen dann unzumutbar, wenn sie mehr als „geringfügig" ungünstiger ist als die bisherige Beschäftigung, wenn die tägliche Pendelzeit über zweieinhalb Stunden in Anspruch nimmt, wenn sie tariflichen oder gesetzlichen Arbeitsbedingungen nicht entspricht, wenn weniger als das ortsübliche Arbeitsentgelt gezahlt wird oder das Arbeitsentgelt geringer ist als die Arbeitslosenunterstützung. 185

Vgl. die Meldung der F.A.Z. vom 26.2.1993, S. 9.

186

BVerfGE 25, 1 (23).

I . Der

ebegriff

61

Diese Bedenken zeigen, daß das Zumutbarkeitsurteil keine ein für allemal festgelegten, absoluten Grenzen aufzeigen kann 187 . Die Zumutbarkeitsprüfung kann sich nicht auf eine isolierte und ausschließliche Gewichtung der individuell-persönlichen Situation des Pflichtigen zurückziehen, bewegt sich also nicht quasi „blind" im luftleeren Raum, sondern ist in das Umfeld anderer, auch kollidierender Abwägungsgesichtspunkte eingebunden. Folgerichtig ist die These von der grundsätzlichen, gleichsam apriorischen Abwägungsfeindlichkeit der Zumutbarkeit unhaltbar. Auch Lücke, der die Zumutbarkeit scharf von der Interessenabwägung trennt, kommt im Ergebnis bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht ohne Interessenabwägung aus 188 . Jene Autoren, die an der absoluten Zumutbarkeitsgrenze ohne Relativierung festhalten 189, kommen nicht über das Umschreibungsstadium hinaus und sind bisher den Nachweis ihrer These schuldig geblieben. Daß die Abwägung als Ausgleichsmechanismus widerstreitender Interessen190 Teil der Zumutbarkeitsprüfung ist, kann auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes belegt werden. So findet sich erstmals im Erdölbevorratungs-Beschluß 191 die später immer wieder vorkommende Formulierung: „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein". Bereits diese Wendung zeigt deutlich, daß das Gericht die Theorie von der starren Zumutbarkeitsgrenze ablehnt. Deutlicher wird diese Ablehnung in weiteren Urteilen, die eine Zumutbarkeitsprüfung zum Gegenstand haben. So etwa wird in BVerfGE 61, 126 (136) die Grenze der Zumutbarkeit ausdrücklich bestimmt unter Abwägung mit dem „öffentlichen Interesse", das an der Durchsetzung der konkreten Maßnahme besteht. Also keine Rede davon, daß sich die Zumutbarkeitsprüfung einseitig auf die Person des Betroffenen konzentriere. Im schon genannten Mühlengesetz-Beschluß192 findet sich die Formulierung, daß im Bereich der Mühlenwirtschaft die „Zumutbarkeitsgrenze gegenüber interventionisti187 Zustimmend Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100; Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 10; Pernice , Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 486; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (575); Pitschas, Berufsfreiheit und -lenkung, S. 539; B. Fischer, Divergierende Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht, S. 63 f.; Hummel-Liljegren, Zumutbare Arbeit, S. 75 f.; Hoppe, SF 1979, S. 2 1. Sp. unten. 188 Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 83 ff. führt die Interessenabwägung bei der Zumutbarkeitsprüfung „durch die Hintertür" des § 242 BGB wieder ein, indem der die Pflichtengrenze der Zumutbarkeit allgemein auf eine analoge Anwendung von § 242 BGB stützt. 189 Pesendorfer, ÖZÖR NF 28 (1977), S. 283, und A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 141. 190 Zustimmend Grabitz, AöR 98 (1973), S. 575; Gentz, NJW 1968, S. 1600 (1604); Wendt, AöR 104 (1979), S. 415 ff. (454). 191

BVerfGE 30, 292 (316).

192

BVerfGE 25, 1 (23).

62

Β. Der Begriff der Zumutbarkeit

sehen Eingriffen des Staates allgemein weiter hinausgerückt" sei, weil die derzeitigen Marktverhältnisse berücksichtigt werden müßten. Hier zeigt sich besonders der Konnex des Zumutbarkeitsurteils mit den variablen öffentlichen Interessen des Gesetzgebers. Noch deutlicher wird das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß zur Ersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen 193 . Das Gericht wägt hier die Motive des Gewissenstäters ab gegen die Bedeutung der Dienstverweigerung für die Rechtsordnung insgesamt und stellt abschließend fest, daß es bei der Bestrafung von Gewissenstätern möglicherweise eine „verschiedene Relevanz der Zumutbarkeit" gebe.

c) Kollision mit der strengen Subjektbezogenheit Folgt man dieser in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Vorstellung einer relativen Zumutbarkeitsgrenze, so fragt sich, ob die aus dieser Vorstellung resultierende Abwägungsmethode nicht dem Wesen der Zumutbarkeit widerspricht. Denn auch die relative Theorie kann sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß es sich bei der Zumutbarkeit um einen streng personenbezogenen Maßstab handelt, der sich für die Bewertung und Gewichtung anderer als persönlicher Umstände nicht eignet. Die Abwägung scheint aber gerade auch andere als persönliche Belange des Betroffenen zu berücksichtigen. Dennoch schließen sich Abwägung und strenge Subjektbezogenheit nicht aus. Denn letztere trifft zwar eine Aussage darüber, welche Gesichtspunkte in einer zumutbarkeitsorientierten Abwägung bedeutsam sind, gibt aber nichts her für die Frage, ob die Abwägungsmethode im Bereich der Zumutbarkeitsprüfung überhaupt brauchbar ist. Die Abwägung an sich ist andererseits nicht in der Weise determiniert, daß in ihr nur bestimmte Abwägungsgesichtpunkte berücksichtigt werden dürften. Die Merkmale „Abwägung" und „strenge Personenbindung" treffen also keine einander widersprechenden Aussagen, bewegen sich vielmehr auf verschiedenen Ebenen, so daß sie der Zumutbarkeitsprüfung gleichermaßen zugänglich sind. Daraus ergeben sich aber Konsequenzen: Das Merkmal der strengen Personenbindung begrenzt die zumutbarkeitsorientierte Abwägung in der Weise, daß diese spezifisch auf die Person des Pflichtigen ausgerichtet ist. Gewogen werden hier nicht alle durch eine öffentlich-rechtliche Pflicht tangierten Rechtsgüter, denn die Zumutbarkeit ist nicht rechtsgutsbezogen, auch geht es nicht um die Herstellung „praktischer Konkordanz". Bewertet wird vielmehr das Verhältnis dieser öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Person des Betroffenen 194 . Damit ist klar, daß die Zumutbarkeitsprüfung nicht die Individualinter-

193

BVerfGE 23, 127 (135).

194

Ebenso Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94.

I . Der

ebegriff

63

essen Dritter, ja nicht einmal die überhaupt tangierten Rechtsgüter und Einzelinteressen im Blickwinkel hat. In diesem Sinne ist die Zumutbarkeit keine „verhältnismäßige Größe", wie verschiedentlich formuliert wird 1 9 5 , denn zur Angabe einer rechtsgüterbezogenen Relation taugt sie nicht. Ihr Blickwinkel ist ein vollständig anderer: Sie bewertet die Relation der vom Staat auferlegten Pflicht zur Person des Betroffenen und ist nur insofern ein „Verhältnismaßstab" 196 . d) Fazit Die Untersuchung zum Verhältnis von Zumutbarkeit und Abwägung hat ergeben, daß die Vorstellung einer starren, absoluten Zumutbarkeitsgrenze unhaltbar ist. Vielmehr handelt es sich bei der Zumutbarkeit um einen relativen, flexiblen Maßstab. Relative Maßstäbe beschreiben Verhältnisse und bedürfen methodisch einer (irgendwie gearteten) Abwägung. Sie sind damit der Abwägung per definitionem zugänglich. Ungeklärt ist dabei die Frage geblieben, wie die zumutbarkeitsorientierte Abwägung im einzelnen vonstatten geht und wie sie sich von anderen Abwägungsgrundsätzen unterscheidet. Dieses Problem stellt sich in voller Schärfe bei der Gegenüberstellung von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit. Es wird im folgenden zu untersuchen sein.

195

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 ff. (231); Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 56. 196

Vgl. zu diesem Problem näher die Ausführungen unten S. 110 ff.

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab Im ersten Teil der Arbeit ging es um die Frage, was allgemein unter „Zumutbarkeit" im Recht zu verstehen ist. Maßgebend für eine erste Abgrenzung, Systematisierung und Lokalisierung war dabei die einfachrechtliche Rechtsordnung. Im Mittelpunkt des nun folgenden zweiten Teils der Untersuchung steht die Frage, ob sich der skizzierte Zumutbarkeitstopos als eigenständiger Verfassungsmaßstab in Form eines verfassungsrechtlichen Verbots der Unzumutbarkeit etablieren läßt. Dies kann nur in Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beurteilt werden. Das Verhältnis von Zumutbarkeits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ungeklärt 197 , wie bereits ein kurzer Blick in Lehrbücher, Kommentare und Gerichtsentscheidungen zeigt: Da erscheint die Zumutbarkeit als Ersatz, Umschreibung oder doch wenigstens als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Eine klare begriffliche Scheidung ist unter diesen Bedingungen um so schwerer, als auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die ihn tragenden Teilelemente keine einheitliche Terminologie vorherrscht. In der Literatur hat es vielfältigste Versuche gegeben, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz inhaltlich zu definieren, so daß der allgemeine Sprachgebrauch mit jedem Versuch uneinheitlicher geworden ist. Hirschberg 198 hat diese Entwicklung als „in gewissem Maße unvermeidlich" bezeichnet, könne es doch in sprachlichen Fragen in der Rechtswissenschaft kein die Einheitlichkeit erzwingendes Machtwort geben — eine Feststellung übrigens, die mit derselben Berechtigung für die Zumutbarkeitsformel gelten kann. Um vor diesem Hintergrund die Beziehung der Zumutbarkeit zum Verhältnismäßigkeitsgedanken klären zu können, soll dieser zunächst näher dargelegt und schließlich der hier befolgte Sprachgebrauch erläutert werden. Erst nach dieser Vorarbeit erscheint eine eingehendere Untersuchung des Verhältnisses von „Zumutbarkeit" und „Verhältnismäßigkeit" sinnvoll.

197 Zustimmend Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 ff. (320); Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung, S. 100. 198

Hirschberg,

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

65

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1. Allgemeines zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz a) Zur Funktion des Grundsatzes Eine Annäherung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit läßt sich am leichtesten mit einem Blick auf seine Aufgabe und Funktion bewerkstelligen. Denn unabhängig von den verschiedenen Streitfragen, die sich in terminologischer und begründungstheoretischer Hinsicht um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ranken, besteht hier doch ein einigermaßen erstaunlicher Grundkonsens. Der Verhältnismäßigkeitsgedanke bewegt sich im Spannungsfeld legitimer staatlicher Machtansprüche einerseits und individueller Freiheitsbestrebungen andererseits. Aus der Sicht der Gewaltunterworfenen ist er die Mindestschranke allen staatlichen Handelns und funktioneller Maßstab für die zulässige Beschränkung von Individualfreiheitsrechten. Aus der Sicht des Staates (der Legislative und der Exekutive gleichermaßen 199) enthält er Mindestkriterien für Art und Ausmaß zulässiger staatlicher Eingriffe 200 . Seine Hauptfunktion liegt hierbei, wie Grabitz es formuliert hat 201 , im Bereich der Grundrechte, wo er der Aktualisierung und Effektuierung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes dient. Doch bereits diese spezifisch grundrechtsbezogene Schrankenfunktion hat zu einer grundsätzlichen Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geführt. Eingewendet wird, daß die so verstandene, oftmals fallentscheidende Verhältnismäßigkeitsschranke gleichsam als „Weichmacher" die ausdifferenzierte grundrechtliche Schrankensystematik aus den Angeln heben und „nivellieren" könnte 202 . Nach Gentz 203 dient der Verhältnismäßigkeitsgedanke nicht nur der Beschränkung staatlicher, sondern auch privater Rechte — eine Einschätzung, die sich stützen läßt auf die enorme Ausweitung, die der ursprünglich im Polizeirecht entwickelte Verhältnismäßigkeitsgedanke über das Polizeirecht

199

Ress, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16.

200

Ähnlich Zimmerli, ZSR NF 97 (1978), S. 1 ff. (1).

201

AöR 98 (1973), S. 569 ff. (570).

202 So erstmals Schlink, Abwägung und Verfassungrecht, S. 51, 201 ff. im Hinblick auf die Abwägungs- und Wertungskonzeptionen des Bundesverfassungsgerichtes; ihm folgend Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 322 f. Ebenfalls kritisch, wenn auch im Ergebnis anders, Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 ff. 203 NJW 1969, S. 1600 ff. (1600); zustimmend Zülch, zit. nach Becker, SchlHA 1977, S. 165, der von einer „dem Zivilisten selbstverständlichen Anwendung" des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spricht, von dem „das gesamte Zivilrecht durchdrungen" sei.

5 Alhrccht

66

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

hinaus auch in anderen Rechtgebieten erfahren hat 204 . Als umfassendes Rechtsprinzip des „rechten Maßes" 205 hat sich der Verhältnismäßigkeitsgedanke insoweit von seiner historisch geprägten, eingriffsbezogenen Sichtweise emanzipiert, als seine Geltung auch im Bereich des leistenden Staatshandelns praktisch unbestritten ist 206 . Bereits nach diesem einführenden Blick auf Funktion und Tragweite des Verhältnismäßigkeitsgedankens kann man sagen, daß sich seine unbestrittene Schrankenfunktion letztlich als Ausprägung des Gerechtigkeitspostulates darstellt 207 . Aus diesem Zusammenhang läßt er sich auch unter Berücksichtigung der verschiedensten vertretenen Konzeptionen nicht lösen. Damit ist aber bereits die Hauptschwierigkeit ausgesprochen, die sich thematisch bei einem Vergleich von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit ergibt. Denn auch die Zumutbarkeit ist, wie bereits ausgeführt, rechtstheoretisch an den Gerechtigkeitsbegriff angebunden und dient zur Durchsetzung des „Gerechten" im Recht. Deshalb steht bereits jetzt fest, daß beide Rechtstopoi jedenfalls über ihre gemeinsame Verwurzelung im Gerechtigkeitspostulat verbunden und insoweit nicht zu trennen sind. Dies wird man in Rechnung stellen müssen, wenn man der Zumutbarkeit gegenüber der Verhältnismäßigkeit einen eigenständigen Geltungs- und Anwendungsbereich zuspricht. Zu dieser Gemeinsamkeit kommt noch eine zweite Überlegung: Es ist allgemein anerkannt, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - egal wie man ihn im einzelnen konzipiert - auf zweierlei Ebenen Anwendung findet: Indem er bereits den Gesetzgeber bindet 208 , entfaltet er Wirkung (schon) auf der generell-abstrakten Normebene. Als Handlungsmaßstab der rechtsanwendenden Exekutive oder Judikative besitzt er daneben eine konkret-individuelle Seite 2 0 9 und weist insoweit eine weitere Gemeinsamkeit mit der ebenfalls einzelfallbezogenen Zumutbarkeit auf.

204 Hierauf hat insbesondere Hirschberg S. 25 - 36) hingewiesen. 205

Larenz, Methodenlehre, S. 465.

206

Haverkate,

(Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,

Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 11.

207

Zustimmend Re ss, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16; Jakobs,, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 8; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 246; Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 44; Gentz, NJW 1968, S. 1601; Wieacker, zit. nach Becker, SchlHA 1977, S. 161; Kellner, zit. nach Becker, SchlHA 1977, S. 163. 208 209

BVerfGE 15, 226 (234); 16, 194 (202); 17, 232 (242).

Vgl. besonders BVerfGE 19, 342; 32, 87, wo das Gericht dem Rechtsanwender die Prüfung einer „einzelfallorientierten Verhältnismäßigkeit" aufgibt.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

67

b) Zur Terminologie in Literatur und Rechtsprechung Wie oben bereits angedeutet, besteht terminologisch keine Einigkeit über Begriff und Teilgrundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Aufgabe dieser Untersuchung ist es nicht, diesem Befund weitere Varianten hinzuzufügen. Trotzdem ist es zur Untersuchung des unbestreitbar bestehenden Zusammenhangs mit der Zumutbarkeit 210 unerläßlich, einen klarstellenden Überblick zu geben. Denn nur wenn terminologisch Position bezogen wird, lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Verhältnismäßigkeitsprinzip und Zumutbarkeitsgrundsatz darstellen. Im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip werden konstant drei Teilelemente genannt, die Grundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit. Der (Teil-)Grundsatz der Geeignetheit verlangt, daß mit der beabsichtigten Maßnahme der gewünschte Erfolg überhaupt erzielt werden kann, also für den verfolgten Zweck geeignet ist. Prüfungsgegenstand sind somit Zielkonformität und Zwecktauglichkeit der Maßnahme 211 . Der (Teil-)Grundsatz der Erforderlichkeit besagt, daß von allen geeigneten Maßnahmen (als Mittel zum Zweck) diejenige auszuwählen ist, die für den Betroffenen den geringsteinschneidenden Eingriff bedeutet. Einigkeit besteht hierbei darüber, daß es sich bei dem Gebot des mildesten Mittels um eine „relative Erforderlichkeit" handelt: Zu prüfen ist nicht, ob die gewählte Maßnahme (als Mittel) überhaupt erforderlich war, sondern nur, ob die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks den geringsten Eingriff darstellt 212 . Drittes Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist der Teilgrundsatz der Angemessenheit, bei dem die gewählte (geeignete und erforderliche) Maßnahme wertend mit dem beabsichtigten Zweck in Beziehung gesetzt wird. Es handelt sich also um einen spezifischen Zweck-Mittel-Vergleich, wobei beide Prüfungsgegenstände im Wege des „freien Gewichtens" 213 gegeneinander abzuwägen sind und bei wertender Betrachtung nicht „außer Verhältnis" stehen dürfen. Lerche 214 begreift nun die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Angemessenheit als Teil eines Oberbegriffes, den er im „Übermaßverbot" sieht. 210

Vgl. hierzu die Ausführungen oben unter a).

2,1

So explizit Stern, Staatsrecht I, S. 674.

212 Vgl. nur Ress, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19 f.; Grabitz, Freiheit und Verfassung, S. 573. 213

Grabitz (AöR 93 [1973], S. 575) nennt dies die „Zuordnung zweier Variabler" zueinander. 214 Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 21; ihm folgend Erichsen, DVB1. 1967, S. 269 f. (170); Wellhöfer, Das Übermaßverbot im Verwaltungsrecht, S. 63; Wittig, DÖV 1968, S. 817.

5*

68

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Das Gebot der Geeignetheit löst er aus diesem Zusammenhang heraus und begreift es als selbständig neben dem Übermaßverbot stehenden Grundsatz. Stern und Schnapp hingegen215 verwenden den Begriff des Übermaßverbotes als Oberbegriff für alle drei Teilgrundsätze unter Einschluß des Gebots der Geeignetheit. Bei von Krauss 216 findet sich erstmals die Differenzierung zwischen Verhältnismäßigkeit im weiteren und engeren Sinne, wobei letztere dem Grundsatz der Angemessenheit entsprechen soll. Die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne umfaßt als Oberbegriff die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dasselbe Verständnis zeigt sich bei Gentz 217 , wobei aber auch der Grundsatz der Geeignetheit zu dem Oberbegriff der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne gehören soll. Bereits in früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet sich die klassische Unterteilung der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) in drei Teilgrundsätze. In konstanter Linie setzt sich diese Rechtsprechung bis in die neueste Zeit fort 218 . Daneben finden sich zwar auch Stellungnahmen des Gerichts, die auf ein anderes Verständnis schließen lassen könnten, so etwa, wenn als Oberbegriff der Doppelbegriff „Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot" 219 verwendet wird. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht Verhältnismäßigkeit (nur) mit Erforderlichkeit 220 oder Verhältnismäßigkeit (nur) mit Angemessenheit (Proportionalität) 221 gleichsetzt, läßt sich daraus nicht entnehmen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in einem engeren Sinne zu verstehen sei. Denn immer wieder kommt das Gericht auf die klassische Dreiteilung in Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßig215

Stern, Staatsrecht I, S. 674; Schnapp, JuS 1983, S. 850 ff. (852).

216

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15.

217

NJW 1968, S. 1600 ff. (1601).

218

So bereits im Apothekenurteil (E 7, 377), wo sich auf S. 409 die Prinzipien der Geeignetheit und Erforderlichkeit, auf S. 407 die Definition der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne finden. Die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne wird als Oberbegriff deutlich in E 19, 330 (337); 21, 150 (155); 26, 215 (228); 27, 211 ( 219); 27, 344 (352); 28, 264 (280), 30, 292 (316); 36, 47 (59); 40, 371 (383); 41, 251 (264); 48, 118 (124); 61, 126 (134); 63, 131 (144); 79,1 (35); besonders deutlich in 70, 1, (26, 28, 31); 72, 9 (23); 73, 301 (317); 74, 203 (214); 78, 38 (50); 79, 256 (270); 80, 1 (24); sehr detailliert 81, 70 (89 ff.); 82, 209 (230); 84, 133 (152); 85, 360 (373). — Vgl. hierzu auch Kellner, SchlHA 1978, S. 109, der insoweit auf die übereinstimmende Sprachregelung von BVerfG und BVerwG verweist und demzufolge anderslautende Entscheidungen (etwa des Bundesverwaltungsgerichts) „als überholt gelten" können. 2,9 So etwa in E 20, 351 (361); 22, 114 (123); 23, 127 (133); 28, 175 (188). In neuerer Zeit nennt E 76, 1 (50) als Oberbegriff die „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Obermaßverbots"; in E 30, 250 (266) prüft das Gericht gar nur einen Verstoß gegen das „Übermaßverbot". 220 221

Etwa E 19, 342 (347-352); 28, 175 (188 f.); 29, 245 (251); 30, 1 (20).

Vgl. nur E 16, 194 (202); 21, 173 (180-184); 25, 236 (248); 28, 21 (31 f.); 29, 312 (316 f.); 82, 18 (28).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

69

keit im engeren Sinne unter dem Dach der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zurück. Der verengende Sprachgebrauch bleibt vereinzelt und ist wohl nur aus der speziellen Falltypik heraus zu erklären, bei der es gerade auf den einen oder anderen Teilgrundsatz angekommen ist. Für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung soll deshalb im Prinzip die Dreiteilung des Bundesverfassungsgerichts zugrundegelegt werden, die auch in der neueren Literatur viele Anhänger gefunden hat 222 . Danach besteht die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne aus den Teilgrundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

c) Zu Inhalt und Bedeutung der Teilgrundsätze (1) Die Geeignetheit des Mittels Der Teilgrundsatz der Geeignetheit besagt, daß eine staatliche Maßnahme nur dann zulässig ist, wenn mit ihrer Hilfe (als „Mittel") „der gewünschte Erfolg gefördert werden kann" 223 . Entscheidend kommt es damit auf die Beurteilung einer Zweck-Mittel-Relation 224 an, nämlich die Frage, ob das eingesetzte Mittel überhaupt tauglich ist, den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen. Diese Beurteilung erfolgt völlig unabhängig davon, welche Rechtsgüter wie gewichtet werden, denn es handelt sich hier um einen rein formalen Vergleich, der alle wertenden Aspekte außer Betracht läßt 225 . Bei der Geeignetheitsprüfung ergeben sich Probleme in zwei Bereichen. Erstens liegt in vielen Fällen nicht klar auf der Hand, welche Zielsetzungen (welchen „Zweck") der Gesetzgeber mit einer bestimmten Regelung verfolgt, oftmals handelt es sich vielmehr um eine Gemengelage von Zielsetzungen, die vielfältigste Aussagen 222 So etwa die neuere Monographie von Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 75; ferner Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 25; Ress, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 117 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (571 ff.); Zimmerli, ZSR NF 97 I (1978), S. 13; v. Münch, in: ders., GG-Kommentar, Vorb. zu Art. 1 - 1 9 Rn. 55; Stein, Staatsrecht, S. 164 ff. — A.A. (Verhältnismäßigkeit wird nur im engeren Sinne verstanden) Jakobs, DVB1. 1985, S. 97 (99); A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 137; Pesendorfer, ÖZÖR 28 (1977), S. 266 (282); Wendt, AöR 104 (1979), S. 415; Schnapp, JuS 1983, S. 850 ff. (852). 223

BVerfGE 30, 292 (312); 33, 171 (187); 39, 210 (230); 40, 196 (222); 67, 157 (173

ff.). 224

A.A. wohl Jakobs, DVB1. 1985, S. 97 ff. (99), der (mit einem mißverständlichen Verweis auf Hirschberg) von einer „Mittel-Mittel-Relation" spricht. 225 Darauf hat besonders Hirschberg hingewiesen, der sich gegen Tendenzen in der Rechtsprechung wendet, mit dem Geeignetheitskriterium andere Fälle als solche mangelnder Kausalität zwischen Mittel und Zweck erfassen zu wollen. Ebenso Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 61. Wendt (AöR 104 [1979], S. 414 ff. [449]) bezeichnet die Gebote der Geeignetheit und Erforderlichkeit als „blind".

70

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

erlaubt. Trotz dieser Schwierigkeiten muß der Regelungszweck aber herausgefiltert werden, denn eine Geeignetheitsprüfung kann nur an einen verfassungslegitimen Zweck anknüpfen. Dem Staat ist es prinzipiell verwehrt, Zwecke zu verfolgen, die ihm die Verfassung nicht zu verfolgen erlaubt 226 . Hat man nach diesen Grundsätzen einen verfassungslegitimen Zweck, anhand dessen man die Zwecktauglichkeit eines Mittels überprüfen kann, so stellt sich zweitens die weiterführende Frage, welchen Grad der Geeignetheit das Mittel aufweisen muß, um nicht als generell ungeeignet zu gelten. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß es ausreicht, wenn das Mittel geeignet ist, nur einen Teil des gesetzgeberischen Zwecks zu verwirklichen 227 . Dem Gesetzgeber ist damit bei seiner ex ante erfolgenden Prognoseentscheidung (ist die gesetzgeberische Maßnahme ex ante betrachtet generell geeignet, den verfassungslegitimen Zweck zu erreichen?) quasi ein Recht auf „prognostischen Irrtum" eingeräumt 228, denn das Gericht prüft lediglich, „ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen konnte, daß mit der ergriffenen Maßnahme seine Vorstellungen verwirklicht werden können" 229 . Das bei der Geeignetheitsprüfung stark im Vordergrund stehende Prognoseelement hat dazu beigetragen, daß die Eignungsprüfung zuweilen als eigenständige Kategorie generell in Frage gestellt wird: Denn dieselben Fragen könnten auch im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung abgehandelt werden, auch Erforderlichkeitsaussagen schlössen Eignungsaussagen ein 230 . Diese Kritik verkennt jedoch, daß das Geeignetheitskriterium - wie dargestellt - einen spezifischen Bezug zur vom Gesetzgeber verfolgten Ziel- und Zwecksetzung aufweist und sich insoweit nicht, wie die Erforderlichkeit, in einem Blick (nur) auf das eingesetzte Mittel erschöpft. Der Geeignetheit kommt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes damit eine eigenständige, zweckund zielbezogene Filterfunktion zu 231 .

226

Hierauf hat besonders Gentz, NJW 1968, S. 1600 ff. (1602) hingewiesen.

227

BVerfGE 16, 147 (183).

228

Begriff von Schnapp, JuS 1983, S. 850, 854.

229

So ausdrücklich in BVerfGE 39, 210 (230) - Mühlenstrukturgesetz; ferner E 25, 1 (12 f.) - Mühlengesetz - und E 30, 250 (263) - Absicherungsgesetz. 230 Etwa Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5, 4 5 - 4 7 ; kritisch auch Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 59-61. 231 Hierauf hat besonders Dechsling in seiner Arbeit zum Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 7 6 - 7 9 hingewiesen.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

(2) Die Erforderlichkeit

71

des Mittels

Anders als bei der Geeignetheitsprüfung geht es beim Erforderlichkeitskriterium in der Hauptsache um einen Vergleich der (bereits zur Zweckerreichung geeigneten) Mittel untereinander oder, plastischer ausgedrückt, um einen Mittel-Mittel-Vergleich 232 . Zwar ist nicht zu leugnen, daß auch die Erforderlichkeit einen gewissen Zweckbezug aufweist, denn es liegt auf der Hand, daß das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel nicht isoliert für sich selbst betrachtet, sondern gerade zur Erreichung des anvisierten Zieles erforderlich sein muß. Dennoch aber lebt das Erforderlichkeitsurteil, anders als die Frage nach der Eignung, in gesteigertem Maße von einem Vergleich der Mittel untereinander. Ein Mittel ist nämlich nur dann erforderlich, wenn „kein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger fühlbar einschränkendes Mittel" zur Erreichung des Zweckes zur Verfügung gestanden hat 233 . Das Bundesverfassungsgericht umschreibt das erforderliche Mittel treffend als das „schonendste Mittel" 2 3 4 . Die Feststellung des mildesten Mittels verlangt dabei einen Intensitäts- und Lastenvergleich der in Frage kommenden Alternativen. Grundsätzlich kommt es hierbei - anders als bei der Zumutbarkeit - nicht auf die Perspektive des einzelnen Betroffenen an, sondern generalisierend auf das im Durchschnitt mildeste Mittel 2 3 5 . Mit diesem Vergleichsmaßstab scheint die Erforderlichkeitsprüfung auf den ersten Blick leicht durchzuführen zu sein. Tatsächliche Schwierigkeiten resultieren aber daher, daß die Frage nach der Erforderlichkeit auf der Eignungsprüfung aufbaut 236 und insoweit auch deren Relativität und Unwägbarkeiten „mitschleppt". Das heißt, es wird auch hier nicht geprüft, ob das eingesetzte Mittel überhaupt erforderlich war, sondern ob es in bezug auf den konkreten Zweck mildestes Mittel ist 237 . Die bei der Eignungsprüfung bestehende „Zwecksetzungskompetenz" des Gesetzgebers setzt sich hier irt der Weise fort, daß die Erforderlichkeit nur in bezug auf gleich geeignete Mittel festgestellt werden kann. Eine weniger einschneidende gesetzliche Regelung 232

Gleicher Ansicht Hirschberg,

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 148.

233

Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. E 25, 1 (17); 30, 292 (316); 33, 171 (187); 67, 157 (173, 176 ff.). 234

BVerfGE 72, 26 (33); 64, 72 (85).

235

Grupp, VerwArch. 69 (1978), S. 125 (140 f.) und Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 66, der allerdings die - hier nicht zu diskutierende - Frage aufwirft, ob es nicht entsprechend der Situation beim polizeilichen Austauschmittel Fälle gibt, in denen es auf das Empfinden des Betroffenen ankommt. Ähnlich Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 74 f. 236

Hirschberg

237

Zur Relativität der Erforderlichkeitsprüfung vgl. Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff.

(574).

spricht (ebd., S. 63) von einem „unlösbaren Zusammenhang".

72

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

(m.a.W. das mildere Mittel) muß also für die Zweckerreichung genau dasselbe leisten, um echte Alternative zu sein 238 . Ist die u.U. weit mildere Alternativlösung nach der Vorstellung des Gesetzgebers239 auch nur ein Quentchen weniger zur Zweckerreichung geeignet als die zu prüfende Regelung, so stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit nicht. Problematisch, aber wegen des eingeschränkten Überprüfungsumfangs wohl unvermeidlich, ist deshalb die Tatsache, daß der Gesetzgeber die Verfassungswidrigerklärung von Gesetzen unter dem Aspekt der Erforderlichkeitsprüfung manipulieren kann: Je mehr verfassungslegitime Haupt- oder Nebenzwecke er verfolgt, desto schwieriger wird die Feststellung echter, tauglicher Alternativlösungen, die als milderes Mittel in Frage kommen 240 .

(3) Die Angemessenheit von Zweck und Mittel Die Angemessenheitsprüfung befaßt sich, wie die anderen Teile der Verhältnismäßigkeitsprüfung (im weiteren Sinne), ebenfalls mit einem Aspekt des Zweck-Mittel-Verhältnisses. Doch während die Prüfung der Geeignetheit und Notwendigkeit wegen der Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers insofern eingeschränkt war, als der gesetzte Zweck ohne nähere Prüfung und Gewichtung als ein Fixum betrachtet werden mußte, so geht es bei der Angemessenheitsprüfung um die Zuordnung zweier Variabler 241 . Nicht nur das eingesetzte Mittel, sondern auch der verfolgte Zweck (das Gemeinwohlinteresse) wird auf seine „Wertigkeit" hin überprüft, beides wird dann im Wege der Abwägung zueinander in Beziehung gesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür die treffende Formulierung gefunden, daß Mittel und Zweck nicht außer Verhältnis zueinander stehen dürfen 242 ; an anderer Stelle 243 heißt 238 Leading case ist in diesem Zusammenhang BVerfGE 30, 292 (316) - Mineralölbevorratung. Das Gericht prüft hier detailliert die sachliche Gleichwertigkeit der dargebotenen Alternativen zur Zweckerreichung. 239 Daß dem Gesetzgeber auch insoweit eine Entscheidungsprärogative darüber zukommt, wie welches Mittel voraussichtlich wirkt, hat das Bundesverfassungsgericht (allerdings bezogen auf wirtschaftslenkende Maßnahmen) in E 30, 292 (316 ff.) festgestellt. 240 Auf diese Schwierigkeiten weist besonders Hirschberg, nismäßigkeit, S. 5 9 - 6 4 hin.

Der Grundsatz der Verhält-

241 Begriff von Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (575); ebenso Ress, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 22. 242 Erstmals im Apothekenurteil E 7, 377 (407); vgl. auch 16, 194 (202); 17, 108 (117); 25, 236 (247); 27, 211 (219); 28, 264 (280); 48, 118 (124); 55, 185 (196). Ähnlich („nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache") E 70, 278 (286); 78, 38, (50); etwas anders (vernünftiges Verhältnis von Belastung des Einzelnen und Vorteil für das Allgemeininteresse) E 38, 281 (302); 76, 1 (51); auch E 47, 109 (119); ebenso E 59, 231 (265); 70, 191 (209); 71, 162 (181) („angemessenes Verhältnis zwischen Beschränkung und Erfolg"); 67,

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

73

es präziser, daß „die Regelung bei einer Abwägung zwischen dem Gemeinschaftsgut, dem sie dient, und der Schwere des Eingriffs im allgemeinen noch angemessen" sein müsse. Das Gericht prüft also funktional die Gewichtung einer staatlichen Maßnahme in bezug auf die mit ihr zu verwirklichende Intention. Mit Hilfe der Angemessenheitsprüfung soll aus der Vielzahl der zur Erreichung eines bestimmten Zwecks geeigneten und erforderlichen Mittel dasjenige herausgefiltert werden, das auch bei einer wertenden Zweck-MittelBetrachtung noch als zulässig erscheint. Dabei kann es dahinstehen, ob Unangemessenheit in diesem Sinne bereits bei jedem „Außer-Verhältnis-Stehen" vorliegt 244 , oder ob ein grobes, krasses Mißverhältnis bestehen muß 245 , denn eine solche Wertung müßte sich aus dem zu entscheidenden Einzelfall ergeben, so daß es unmöglich ist, die „Angemessenheitsgrenze" abstrakt zu definieren. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die häufig wiederkehrende Zumutbarkeitsformulierung des Bundesverfassungsgerichts 246, wonach „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenzen des Zumutbaren (bzw. der Zumutbarkeit, d. Verf.) gewahrt" werden müssen. Unabhängig von dem unten noch näher zu erläuternden Problem, ob die „Zumutbarkeit" hier tatsächlich immer der einschlägige Argumentationstopos ist, kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß es sich der Sache nach auch hier oft um eine Proportionalitätsprüfung im oben genannten Sinne handelt 247 . 157 (173) (angemessenes Verhältnis der Regelung zu Gewicht und Bedeutung des Grundrechts). Das neuere Schrifttum hat sich dieser Formel überwiegend angeschlossen, vgl. nur Hain, DVB1. 1993, S. 982 (983). 243

E 84, 133 (153).

244

Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6, 35 f.; A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 137. 245 So Gentz, NJW 1968, S. 1600 (1604 r. Sp.); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 348; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16; Tipke, Die Betriebsprüfung, S. 21. 246

Aus einer Vielzahl von Zumutbarkeitsentscheidungen vgl. nur E 39, 292 (316); 33, 171 (187 f.); 33, 240 (244, 246 f.); 36, 47 (59); 37, 1 (19, 22); 38, 61 (92); 39, 210 (234); 40, 196 (227); 41, 251 (264); 41, 378 (395); 43, 242 (288 f.); 51, 356 (368 f.); 67, 1 (15 f.); 76, 256 (360); 77, 84 (111); 78, 77 (86); 78, 249 (285 f.); 79, 256 (270); 80, 1 (24); 81, 70 (92); 82, 18 (28); 83, 1 (19); 85, 226 (236); 85, 248 (261); 85, 360 (377). 247 So auch die ganz herrschende Interpretation der Zumutbarkeitsformulierungen des BVerfG in der Literatur; vgl. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 76; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 575; Gentz, NJW 1968, S. 1600 (1604 r. Sp.); Wellhöfer, Das Übermaßverbot im Verwaltungsrecht, S. 27 Fn. 2; Pernice , Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 485; Wendt, AöR 104 (1979), S. 254; Zimmerli, ZSR NF 97 I

74

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Gegen die herkömmliche Definition des Angemessenheitsmaßstabs als Zweck-Mittel-Relation wurden in jüngerer Zeit verschiedentlich Bedenken erhoben 248. Ausgangspunkt dieser Kritik ist die Feststellung, daß Zweck und Mittel zwar bedeutende Elemente des Proportionalitätsurteils darstellen, die Angemessenheitsprüfung sich aber nicht in den Kategorien von Zweck und Mittel erschöpft. Insbesondere Hirschberg 249 hat darauf hingewiesen, daß sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (im engeren Sinne) zu einem zweckunabhängigen Grundsatz entwickelt habe. Dies werde insbesondere darin deutlich, daß die strafrechtliche Verhältnismäßigkeit bereits Geschehenes bewerte, also zurückgewandt und damit per definitionem nicht mehr zweck-(intentions-) bezogen sei. Hirschbergs Argumentation hat den entscheidenden Schwachpunkt, daß sie den Emanzipationsprozeß ausgerechnet an strafrechtlichen Beispielen 250 aufzeigt. Die „Zurückgewandtheit", die hier die Zweckunabhängigkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zeigen soll, liegt in der Natur des Strafrechts und stellt lediglich die Tauglichkeit des Verhältnismäßigkeitsmaßstabes für den strafrechtlichen Bereich in Zweifel. Handelt es sich insoweit um einen Sondertatbestand, so lassen sich aus der spezifisch strafrechtlichen Perspektive deshalb keine weiteren Schlüsse auf Inhalt und Wesen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insgesamt ziehen. Jakobs' Kritik 2 5 1 an der Zweck-Mittel-Relation setzt darum auch anders an, nämlich am Begriff des Zweckes selbst. Jakobs weist zum einen darauf hin 2 5 2 , daß die Termini „Zweck" und „Mittel" erkenntnistheoretisch austauschbar sind, jeder Zweck mithin Mittel zur Erreichung weiterer Zwecke sein kann 253 . Diese Variabilität ziehe wiederum die Aussagekraft des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insgesamt in Zweifel. Zum zweiten sei die Tauglichkeit des Zweckbegriffes deshalb fraglich, weil Zweck und Zwecksetzung ihrerseits wiederum von Vorfragen abhingen, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung besser nicht befrachtet werden sollte 254 . (1978), S. 1 ff. (17); indifferent Schnapp, JuS 1983, S. 850 (852); Kellner, SchlHA 1978, S. 109 ff. (110); Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17-20 unterscheidet verschiedene Zumutbarkeitsbegriffe in der Rechtsprechung des BVerfG. Auch er teilt aber (S. 20) die h.A., wonach Zumutbarkeit nach dieser Rechtsprechung Proportionalität bedeuten kann. 248

Vgl. hierzu instruktiv Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 18 ff., der erhebliche Schwächen dieser Relation in der Vagheit der Zwecke sieht. 249

Hirschberg,

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 45-50, 179 ff.

250

Das zweite Argument Hirschbergs: die Zweckunabhängigkeit des Verhältnismäßigkeitsbegriffes sei bereits darin angelegt, daß er nur die Proportion selbst, nicht aber den Zweckbezug enthalte, ist ziemlich vordergründig und nicht zwingend. 251

Jakobs, DVB1. 1985, S. 97 ff.; ders., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. ??.

252

Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17 f.; ders., DVB1. 1985, S. 97.

253

Ebenso P. Kirchhof,

254

Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Fn. 202.

in: FS für Lerche, S. 133 ff. (143).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

75

Die Kritik geht in dieser Form jedoch zu weit. Denn auf der anderen Seite hat die intentionsbezogene Ausrichtung der Angemessenheitsprüfung auf die Handlungszwecke dafür gesorgt, daß staatliches Handeln überhaupt überschaubar, meßbar und demzufolge auch kontrollierbar geworden ist. So gesehen hat die Zweck-Mittel-Relation durchaus ihre rechtsstaatliche Funktion und Existenzberechtigung 255. Wenn darüber hinaus gegen die Zweckorientierung vorgebracht wird, eine bezweckte Maßnahme könne in anderem Zusammenhang wieder als „Mittel" betrachtet werden, beide Kategorien seien also beliebig austauschbar, so greift diese Kritik zu kurz. Denn entscheidend für die rechtliche Beurteilung einer Maßnahme ist die Zweckeigenschaft im konkreten Fall und nicht die abstrakte Möglichkeit, daß es sich in anderer Hinsicht und in anderem Zusammenhang wiederum um ein „Mittel" handeln könnte. Zweck-Mittel-Verknüpfungen sind relativ und ändern sich je nachdem, in welches Umfeld sie gestellt werden. Ist dieses aber definiert durch die rechtfertigende Begründung einer Maßnahme, so ist das Beziehungsgefüge festgelegt und insoweit nicht mehr austauschbar. Dennoch aber ist die Kritik an der insolierten Zweck-Mittel-Perspektive nicht ohne Berechtigung. Denn mit ihr läßt sich nicht die gesamte Palette möglicher und nötiger Abwägungen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung erfassen. Dies zeigt sich schon daran, daß neben Zweck und Mittel noch andere Begriffspaare in Literatur und Rechtsprechung auftauchen, wie etwa „Vorteil" und „Nachteil" 256 ,„Mittel" und „Erfolg" 257 . Befriedigende Lösungen lassen sich offensichtlich nur erreichen, wenn man die Angemessenheitsprüfung über die Zweck-Mittel-Perspektive hinaus erweitert, ohne diese Kategorie freilich grundsätzlich in Frage zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat konsequenterweise auch keine Bedenken, die Angemessenheitsprüfung je nach Fallkonstellation anzupassen und vergleicht etwa auch Vorteil und Nachteil einer Regelung, also die reine, zweckunabgängige Wertigkeit der konkret betroffenen Rechtsgüter 258, ohne freilich das Zweck-Mittel-Schema grundsätzlich in Frage zu stellen. Darum geht es auch nicht. Es hat sich in der neueren Rechtsentwicklung lediglich als zu eng erwiesen. Mit Jakobs259 könnte man die Angemessenheit deshalb als eine Relation zwischen den 255

Haverkate,

256

BVerfGE 14, 19 (23); 16, 147 (181).

Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 20.

257 v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 14. Weitere Begriffspaare finden sich bei Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15 aufgelistet. 258 Vgl. exemplarisch E 46, 120 (148), wo geprüft wird, ob „die Belastung ... auf der einen Seite und die Vorteile ... auf der anderen Seite" in einem angemessenen Verhältnis stehen. 259 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 22. Ein rechtsgüterbezogenes Verständnis der Angemessenheitsprüfung zeigt sich ebenfalls bei Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 ff. (455, 457 ff.).

76

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

durch das staatliche Handeln eingriffsweise und förderungsweise betroffenen Rechtsgütern definieren. Diese Bezeichnung hat den Vorteil, daß sie die herkömmliche Zweck-Mittel-Relation nicht begriffsnotwendig über Bord wirft, sich andererseits aber auch nicht in ihr erschöpft. Löst man die Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) solchermaßen von ihrem polizeirechtlichen Ursprung, so verwirft man letztlich auch die strenge Eingriffsbezogenheit der Angemessenheitsprüfung. Die Rechtsentwicklung ist konsequenterweise auch in diese Richtung gegangen und hat die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf immer weitere Regelungsbereiche ausgedehnt. So ist beispielsweise anerkannt, daß der Grundsatz auch im Bereich der Leistungsverwaltung Anwendung findet 260 . In neuerer Zeit sind jedoch auch kritische Stimmen zu hören, die die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begrenzen wollen entweder durch Rücknahme der Kontrollintensität 261 oder durch tatbestandliche Beschränkung des Grundsatzes selbst 262 .

2. Das Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit a) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (J) Zumutbarkeit

als allgemeine, immanente Eingriffsschranke

Für das Bundesverfassungsgericht stellte sich besonders zu Beginn seiner Rechtsprechung, als die dogmatische Durchdringung der grundgesetzlichen Systematik noch am Anfang stand, die Frage nach dem richtigen Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit bzw. die Unzulässigkeit einer Regelung. Die flexible und universell einsetzbare Zumutbarkeitsformel bot sich hier für die Entwicklung von Bewertungskriterien geradezu an. Zaghafte Ansätze in diese Richtung finden sich in der Entscheidung zum Bundeswahlgesetz vom August 1953 263 . Dort heißt es zunächst, daß der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Regelung des Wahlsystems „gewisse Grenzen nicht überschreiten" dürfe. In einer späteren Passage macht das Gericht dann klar, worin genau es diese Grenzen sieht oder besser gesagt, nach welchem Maßstab es diese 260 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 11; Eppe, Subventionen und Geschenke, S. 137 ff.; K. Vogel, in: FS für H.-P. Ipsen, S. 539 ff. (553). 261

So etwa Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs durch gesetzgeberisches Verfahren, S. 121. Im Anschluß hieran P. Kirchhof,\ in: FS für Lerche, S. 133 ff. (144), der auch auf ähnliche Tendenzen in der neueren Rechtsprechung verweist (ebd., S. 143 f.). 262

So insbesondere Ossenbühl, in: FS für Lerche, S. 151 ff. (156 ff.).

263

BVerfGE 3, 19 (30).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

77

Grenzen zu bestimmen sucht. Es findet sich hier erstmals die Formulierung, daß der Gesetzgeber mit seiner Normierung „im Rahmen des Zumutbaren" geblieben ist 264 . In der Investitionshilfeentscheidung 265 wird das Gericht dann insoweit deutlicher, als es die postulierte allgemeine Zumutbarkeitsgrenze näher spezifiziert. Danach „muß sich der Einzelne diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt".

Auf diese Formulierung kommt das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen, auch aus jüngster Zeit, immer wieder zurück 266 . Bemerkenswert ist hierbei, daß sie vor allem dann Verwendung findet, wenn das Gericht das gemeinschaftsbezogene Menschenbild des Grundgesetzes besonders betont und mit diesem Argument die Zulässigkeit einer Regelung an sich begründen will. Es handelt sich dann bei den die Zumutbarkeit begründenden Ausführungen um Erwägungen allgemeiner Art, so etwa wenn das Gericht die unternehmerische Handlungsfreiheit mit den durch das Investitionshilfegesetz auferlegten Geldleistungspflichten 267 abwägt oder die Antinomie zwischen unbegrenztem subjektivem Anspruchsdenken einerseits und der Funktionsfähigkeit des (Staats-)Ganzen andererseits betont 268 . Aus der Allgemeinheit dieser Erwägungen erwächst dann auch der Hauptkritikpunkt gegen die vom Bundesverfassungsgericht verwandte Zumutbarkeitsformel: In dieser Weite verstanden, bildet sie keine echte Grenze und legt den Verdacht nahe, es handele sich der Sache nach um nichts anderes als einen gewöhnlichen Gesetzesvorbehalt. Jedenfalls wäre eine so verstandene allgemeine Handlungsgrenze für einen findigen Gesetzgeber keine echte Hürde, der Rechtfertigungsmechanismus stünde vielmehr zu seiner Disposition 269 .

264 So auch die Formulierung in E 14, 263 (285), wo das Gericht es für möglich hält, daß Gründe des Allgemeinwohls eine Ungleichbehandlung (!) rechtfertigen könnten, wenn sich die Benachteiligung im Rahmen des Zumutbaren halte. Das Gericht stellt (S. 285 oben) zwar einen Konnex zu Art. 3 Abs. 1 her; als eigentliche Zulässigkeitsschranke dient hier aber der Zumutbarkeitsgedanke. 265

BVerfGE 4, 7 ff. (16); vgl. auch BVerwG, DÖV 1955, S. 261 1. Sp.

266

Vgl. etwa E 33, 303 (334); 39, 334 (367); in neuerer Zeit E 79, 29 (41).

267

E 4, 7 ff. (16 f.).

268

E 30, 303 (334).

269

Vgl. bereits die Kritik von E-R. Huber, DÖV 1956, S. 135 (136), der von einer „grenzenlosen Dehnbarkeit" der Formel spricht. Instruktiv hierzu das BVerwG, DÖV 1955, 729 (730 1. Sp.).

78

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Problem jedenfalls für den Bereich des Art. 2 Abs. 1 GG dadurch umschifft, daß es sich schon recht früh zu einer weiten Auslegung des Begriffes „verfassungsmäßige Ordnung" entschloß und die Zumutbarkeit als Auffangformel für spezialgrundrechtlich nicht erfaßte Betätigungen damit überflüssig machte 270 . Als immanente Schranke ist die Zumutbarkeitsformel aber immer noch von Bedeutung bei den Grundrechten ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt 271. Die oben genannten Bedenken schlagen hier also voll durch, werden aber deutlich entschärft dadurch, daß das Gericht Spannungsverhältnisse innerhalb der Verfassung mit Hilfe des Prinzips praktischer Konkordanz löst. Sind die kollidierenden Rechtsgüter einander so zuzuordnen, daß beide optimale Wirksamkeit entfalten 272 , so steht der Rechtspraxis damit ein weit brauchbarerer Orientierungspunkt zur Verfügung, als ihn die Zumutbarkeitsformel jemals liefern könnte. Die verfassungsgerichtliche Tendenz, Kollisionen zwischen Gemeinwohlund Individualinteresse mit Hilfe dehnbarer Zumutbarkeitsformulierungen zu „lösen", zeigt sich noch in anderem Gewände. In einer Entscheidung zum Tierzuchtgesetz 273 stellt das Gericht lakonisch fest, daß die angegriffene Maßnahme inhaltlich nicht über das Maß des Gebotenen und für den Tierhalter Zumutbaren hinausgehe. Es erfolgt hier keine irgendwie geartete Geeignetheits- oder Erforderlichkeitsprüfung, vielmehr wird die angegriffene Regelung allein mit einem dürftigen Hinweis auf die „dargelegten ernährungspolitischen Gründe" gerechtfertigt. Auch hier versucht das Gericht, die Frage nach der Zulässigkeit staatlicher Eingriffe mit Hilfe abstrakter Zumutbarkeitsformulierungen zu lösen. Keineswegs ergiebiger ist der Lösungsweg des Gerichts in der Fluglärmentscheidung 274. Unter Betonung einer „am Menschen orientierten Rechtsordnung" fragt das Gericht danach, was dem „Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen" (staatlicherseits 215) zugemutet werden darf. Nur ergänzend, nicht aber als entscheidendes Kriterium, zieht das Gericht dann den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heran und bestätigt mit seiner Hilfe das gefundene Ergebnis.

270 So schon andeutungsweise E 4, 7 (16 Mitte), endgültig dann E 6, 32 ff.; zustimmend auch Pestalozzi Der Staat 2 (1963), S. 425 ff. (447), und Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 283. 271

So ausdrücklich E 39, 334 (367).

272

BVerfGE 5, 85 (198, 220); 13, 318 (325); 15, 288 (295).

273

E 10, 55 (59).

274

E 56, 54 (80).

275

Ergänzung vom Verf.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

79

Allen vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Zumutbarkeitsformulierungen ist gemeinsam, daß sie sich letztlich als Leerformel präsentieren. Bei der Frage nach der Zulässigkeit gesetzlicher Regelungen haben sie nur allergröbste Filterfunktion und geben für eine konkrete Entscheidung nichts her. Der Verdacht liegt nahe, daß es sich hier nur um eine verfassungsgerichtliche Verlegenheitsfloskel handelt, wenn dem Gericht der Hinweis auf eine abstrakte Grenze zwischen Gemeinwohl- und Individualinteresse opportun erscheint und es andererseits nicht darauf ankommt, konkretere Erwägungen anzustellen. Das Problem tautologischer, grundrechtsbeschränkender Zumutbarkeitsformulierungen ist jedoch auf seinem ursprünglich weitesten Anwendungsfeld dadurch entschärft, daß das Bundesverfassungsgericht Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht interpretiert. Dadurch bedarf es insoweit des Rückgriffs auf allgemeine, nebulose Zumutbarkeitsfloskeln nicht mehr. Wenn das Bundesverfassungsgericht dennoch weiterhin mit der allgemeinen Zumutbarkeitsschranke hantiert, so kann dem angesichts der von Literatur und Rechtsprechung mittlerweile dogmatisch durchdrungenen grundrechtlichen Schrankensystematik keine eigenständige Bedeutung mehr beigemessen werden. Insoweit lassen sich mit Hilfe der Zumutbarkeitsformel bereits aufgrund der entwickelten Schrankensystematik gefundene Ergebnisse nur noch bestätigen. Infolgedessen könnte man sagen, daß die Zumutbarkeit als allgemeine, immanente Grundrechts- und Verfassungsschranke keine Existenzberechtigung mehr hat. Tauchen dennoch Formulierungen auf, nach denen sich die zu überprüfende Maßnahme oder Norm noch „im Rahmen des Zumutbaren" hält, so ist damit eine nichtssagende Gleichsetzung von „unzumutbar" und „verfassungsrechtlich unzulässig" erreicht, die praktisch nicht weiterhilft.

(2) „Zumutbarkeit"

als untechnischer Verlegenheitsbegriff

Versucht man, den Begriff der Zumutbarkeit oder des „Zumutbaren" in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu systematisieren, so stößt man auf eine Fülle von Entscheidungen, in denen das Gericht mit dem Zumutbarkeitsbegriff operiert, ohne daß damit seine Funktion als allgemeine Eingriffsschranke gemeint wäre. In diesen Entscheidungen gebraucht das Bundesverfassungsgericht die Begriffe „zumutbar" und „unzumutbar" nicht als Termini technici in dem Sinne, daß ihnen auf der Suche nach der juristisch richtigen Entscheidung eine bestimmte methodische Funktion zukäme. Hierin liegt ein Unterschied zur gerade erörterten allgemeinen Zumutbarkeitsklausel. Sie diente methodisch der Begrenzung der staatlichen Handlungsmacht im Spannungsfeld von Gemein- und Individualinteresse; ihr kam also echte Schrankenfunktion zu, über deren Berechtigung oder Tauglichkeit man

80

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

freilich streiten kann. Trotz dieser Skepsis jedoch bleibt die Eigenschaft der Zumutbarkeit als funktionaler Begriff unberührt. Dies ist anders bei der hier zu untersuchenden zweiten Facette des Zumutbarkeitsgedankens. Er hat methodisch gesehen keine spezifische (verfassungsund grundrechtsbezogene) Funktion, weshalb diese Spielart des Gedankens hier als „untechnischer Zumutbarkeitsbegriff bezeichnet werden soll. Das Bundesverfassungsgericht bedient sich dieses Begriffes hauptsächlich, um einen bestimmten Zustand, ganz gleich welcher Art, als unannehmbar herauszustellen276. Dabei ist charakteristisch, daß sich das Zumutbarkeitsurteil nicht auf die Frage bezieht, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme oder Regelung noch zulässig oder bereits unzulässig ist, denn dann käme der Zumutbarkeit ja wieder eine (Schranken- und Begrenzungs-)Funktion zu. Vielmehr wird mit Hilfe der Zumutbarkeit umschrieben, wie ein bestimmter Zustand, ein bestimmtes Ergebnis auf einen möglicherweise Betroffenen einwirkt: Wenn sich der Zustand als wertungsmäßig akzeptabel erweist, ist er zumutbar, anderenfalls nicht. Als Beispiel diene etwa die Formulierung „zur Vermeidung unzumutbarer Schulwege" 277 : Nicht eine staatliche Maßnahme wird beurteilt, sondern ohne nähere Ausführung der Schulweg an sich. In der Entscheidung E 5, 25 (32) heißt es: „... kann dem Rechtsunterworfenen nicht zugemutet werden, von sich aus zu ermitteln, welche Bestimmungen Anwendung finden". Ähnlich die Formulierung in E 7, 53 (57): „Den Parteien soll nicht zugemutet werden ..." Auch hier bezieht sich das Zumutbarkeitsurteil isoliert auf das, was dem Rechtsunterworfenen billigerweise angesonnen werden kann, ohne daß es hier auf eine echte Schrankenfunktion der Zumutbarkeit ankäme. In der Entscheidung 9, 124 (136) spricht das Gericht von „persönlich und sachlich (!) zumutbaren Bedingungen", ohne die Frage der Zumutbarkeit näher zu erörtern. Auch hier fehlt jeder unmittelbare Schrankenbezug. Ähnlich verhält es sich bei folgenden Formulierungen: „unzumutbares Opfer" 278 , „nicht in unzumutbarer Weise erschwert" 279 , „kann den antragstellenden Ländern nicht zugemutet werden" 280 ; „wird den Ausgleichsbehörden die Einzelberechnung nicht zugemutet" 281 ; „zumutbare Mithilfe" 2 8 2 ; „... ist dann 276 Weil die untechnisch verstandene Zumutbarkeit nicht grundrechtsbezogen ist, findet sie allgemeine Anwendung auch auf Konstellationen, in denen einer Behörde oder dem Staat etwas zuzumuten bzw. nicht zuzumuten ist; vgl. E 1, 85 (87); 12, 36 (41); 12, 151 (172). 277

E 6, 309 (339).

278

E 10, 89 (114).

279

E 11, 221 (231).

280

E 12, 36 (41).

281

E 12, 151 (172).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

81

zuzumuten, einen anderen Anwalt ... zu wählen" 283 ; „es ist jedem Beamten und Richter zuzumuten" 284 ; „ihm zumutbare Möglichkeit" 285 ; „alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen" 286 ; „nicht zumutbare Schwierigkeiten" 287 ; „war es den Beschwerdeführern zuzumuten, ihre Ansprüche ... anzumelden" 288 ; „zuzumutende Möglichkeit" 289 ; „dem Einzelnen wird nur etwas zugemutet" 290 ; „es ist den Beamten zumutbar, sich ... zu begeben" 291 ; „unzumutbare intime Angaben" 292 ; „die Mindestqualifikation ist ... nicht unzumutbar hoch" 293 ; „... deren sofortige Veräußerung ihm nicht zugemutet wird" 2 9 4 ; „nur dann kann der Staat ... Bürgern Opfer zumuten" 295 ; „wenn aber ..., ist es dem Betroffenen zumutbar, die Einhaltung des Standesrechts sicherzustellen" 296; „unzumutbare Belästigung" 297 ; „einen Personal- und Sachumfang, den der Gesetzgeber als unzumutbar ansehen durfte" 298 ; „unzumutbare Unterbrechung der Berufsausbildung" 299; „unzumutbarer zeitlicher Aufwand" 300 ; „konnte ... nicht unzumutbar überraschen" 301; „wird auch bei schwieriger wirtschaftlicher Lage des Unternehmens zugemutet" 302 ; „unzumutbare Schwierigkeiten" 303 . Alle diese Zumutbarkeitsformulierungen haben gemeinsam, daß ihnen eine verallgemeinernde Tendenz innewohnt; das Bundesverfassungsgericht bleibt nämlich Ausführungen zu der Frage schuldig, nach welchen Kriterien und 282

E 15, 249 (254).

283

E 16, 214 (219).

284

E 17, 145 (146).

285

E 21, 132 (137).

286

E 20, 45 (50); 21, 184 (187).

287

E 21, 200 (204).

288

E 23, 229 (238).

289

E 32, 78 (85).

290

E 55, 185 (196).

291

E 63, 152 (170).

292

E 65, 1 ( 46).

293

E 68, 272 (183).

294

E 69, 373 (380).

295

E 70, 69 (92).

296

E 71, 162 (178).

297

E 72, 66 (80).

298

E 77, 84 (110).

299

E 80, 40 (47).

300

E 81, 264 (271).

301

E 83, 89 (110).

302

E 84, 133 (156).

303

E 85, 127 (129).

6 Albrccht

82

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

aufgrund welcher Überlegungen es zu einem Zumutbarkeitsurteil kommt. Besonders deutlich wird dies in den Entscheidungen, in denen sich die Wendung findet, eine bestimmte Situation dürfe nicht „in unzumutbarer Weise erschwert" sein 3 0 4 . Abgesehen davon, daß die Zumutbarkeit schon per se ein offener Wertungsbegriff ist, unternimmt das Gericht auch in den konkret entschiedenen Fällen keinen Versuch, den Begriff inhaltlich näher auszugestalten. Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, daß eine konkrete begriffliche Fixierung auch gar nicht erwünscht ist, denn mit der Zumutbarkeit als gleichsam salvatorischer Klausel hat das Gericht ein immerzu passendes, flexibles Argumentationsinstrument in der Hand. Letztlich geht es bei der untechnisch verstandenen Zumutbarkeit nicht um saubere juristische Methodik; der Begriff dient dem Gericht vielmehr zur Umsetzung billigkeits- und gerechtigkeitsorientierter Überlegungen, von denen es sich im konkreten Fall leiten läßt. So finden sich bezeichnenderweise gerade in diesem Zusammenhang auch Entscheidungen, in denen der Konnex zwischen Zumutbarkeit und Billigkeit ausdrücklich hergestellt wird 3 0 5 . In diesen Fällen erscheint es als pure formulierungsbedingte Zufälligkeit, ob das Gericht mit dem Begriff der Zumutbarkeit oder etwa der Billigkeit argumentiert. Ausschlaggebend für den häufigen Gebrauch von Zumutbarkeitsformulierungen ist wohl die Tatsache, daß sich der Zumutbarkeitsbegriff besser als andere Begriffe personenbezogen, mithin ins Subjektive gewendet formulieren läßt und so eine konkret fallorientierte Sichtweise unterstreicht. Der untechnisch verstandene Zumutbarkeitsbegriff läßt sich deshalb folgendermaßen charakterisieren: Er hat für die Entscheidungsfindung keine bestimmte methodische Funktion, er ist also nicht, wie etwa der Verhältnismäßigkeitsgedanke oder das Prinzip praktischer Konkordanz, Leittopos und Beurteilungsmaßstab für den zu prüfenden Sachverhalt. Er ist insofern „untechnisch", als er keinen juristischen Terminus technicus für bestimmte, methodisch durchdrungene Fallkonstellationen darstellt. Vielmehr dient er der Rechtsprechung als bewußt flexibles, allgemein formuliertes Instrument zur Durchsetzung billigkeitsorientierter Überlegungen. Mit Hilfe dieses Begriffes läßt sich ein bestimmter Zustand bzw. ein bestimmtes Ergebnis rein wertungsmäßig und ohne nähere Begründung als annehmbar oder unannehmbar bezeichnen. Insoweit handelt es sich um eine Hilfs- und Verlegenheitsfloskel, die weit mehr an den allgemeinen Sprachgebrauch als an ein bestimmtes juristisches Verständnis anknüpft.

304 305

E, 11, 221 (231); 19, 129 (134); 65, 283 (291); 69, 1 (49).

E 22, 83 (90: „billigerweise zuzumuten"); E 26, 215 (226: „unbillig, ... zuzumuten"); E 68, 155 (174: „ die Einbußen ... zuzumuten, erscheint umso weniger vertretbar, als ... eine gerechte Regelung angestrebt wurde").

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

83

Die untechnisch verstandenen Zumutbarkeitsformulierungen des Bundesverfassungsgerichts haben keine spezifisch verfassungs- oder grundrechtsorientierte Blickrichtung und werden demgemäß vom Gericht auch nicht für die verfassungsrechtliche Beurteilung staatlicher Maßnahmen oder Regelungen verwendet. Dies ist konsequent, denn in diesem Falle handelte es sich bereits wieder um ein funktionelles, mithin „technisches" Verständnis der Zumutbarkeit, von dem noch die Rede sein wird.

(3) Der Begriff der „Zumutbarkeit" in seiner Funktion als Einzelfallverweis Eng benachbart, aber nicht identisch mit den Fällen der „untechnischen Zumutbarkeit" sind die Konstellationen, in denen der Zumutbarkeitsgedanke in seiner besonderen Funktion als Einzelfallbegriff Verwendung findet. Hierbei handelt es sich nicht eigentlich um eine „untechnische" Begriffsverwendung in dem Sinne, daß die Zumutbarkeit keine methodische Funktion hätte und nur als Verlegenheitsbegriff diente. Vielmehr besteht die Funktion der hier in Rede stehenden Zumutbarkeitsformulierungen gerade darin, daß sie - methodisch gesehen - einen Ausnahmetatbestand kreieren und den unbilligen, „unzumutbaren" Härtefall berücksichtigen, bei dessen Vorliegen vom Regeltatbestand abgewichen werden darf. In diesem Verweis auf den atypischen Härtefall erschöpft sich aber auch ihre Funktion. Es schließt sich ein Kreis, denn die individualbezogene Zumutbarkeit als Teil des Strebens nach der richtigen Einzelfallentscheidung, als Einzelfallkorrektiv, wurde bereits oben herausgestellt. So zeigt sich auch hier, daß die Zumutbarkeit im Spannungsfeld zwischen Individualität und Normsystem ihre ausgleichende Wirkung entfalten kann und deshalb eine besondere Anwendungsbreite aufweist. Das Bundesverfassungsgericht bedient sich der so verstandenen Zumutbarkeit, um deutlich zu machen, daß eine Regelung zwar insgesamt als verfassungsmäßig anzusehen ist, allerdings nur unter der Bedingung, daß bestimmte, näher bezeichnete Ausnahmefälle unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit aus dem Regeltatbestand ausgeschieden werden. Diese zumutbarkeitsmotivierten Ausnahmen lassen sich dabei nicht als bloße Konkretisierung des Gleichheitssatzes begreifen 306: Nicht die horizontal-vergleichende Betrachtung rechtsähnlicher Sachverhalte zwingt zu einer Ausnahmeregelung, sondern der vertikal-isolierende und individualisierende Blick auf die Belastungsintensität des Betroffenen 307. Dies ist eine ersichtlich andere Beurteilungsperspektive. 306 Zur genaueren Abgrenzung von Gleichheitssatz und Zumutbarkeitsprinzip, die an dieser Stelle entbehrlich erscheint, s. ausführlich unten S. 87 ff., 174 ff. 307 Die unterschiedliche Perspektive von „Gleichmaß" und „Übermaß" betont besonders P. Kirchhof Gleichmaß und Übermaß, S. 133; ders., in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 124 Rn. 164 (S. 912).

6*

84

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Dabei fällt auf, daß das Gericht diese unzumutbaren Einzelfälle nicht näher spezifiziert und auch nicht näher ausführt, wie sie beschaffen sein müssen. Es beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung, daß es Ausnahmeregelungen geben muß und daß diese unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (also unter besonderer Berücksichtigung der individuell-persönlichen Lage des Betroffenen) zu behandeln seien. Insofern kann man also von einer spezifischen Zumutbarkeitsschranke sprechen, mit deren Hilfe Regel- und Ausnahmetatbestand abgegrenzt werden können. Hierzu einige Beispiele: In E 51, 166 (176) billigt das Gericht ausdrücklich, daß „der Gesetzgeber zur Verhinderung einer Gefährdung der Versorgung oder zur Vermeidung unzumutbarer Härten Ausnahmen ... vorsah". In E 22, 275 (276) hat das Bundesverfassungsgericht zu den Härtefällen Stellung genommen, die infolge der durch das Steuerberatungsgesetz vorgesehenen Inkompatibilität von Steuerbevollmächtigtenberuf und Angestelltentätigkeit entstehen: „Soweit diese Regelung Angehörige der steuerberatenden Berufe betrifft, die bisher unangefochten beide nunmehr unvereinbaren Tätigkeiten ausgeübt haben, können unzumutbare Härten entstehen, die von Verfassungs wegen angemessene Übergangsregelungen erfordern" 308 . Grundsätzlicher äußert sich das Gericht in der Entscheidung E 20, 363 (365), wo in bezug auf die von einem Unternehmer angegriffene Erdölbevorratungspflicht festgestellt wurde: „im übrigen kann auch bei Gültigkeit des Gesetzes unzumutbaren Härten, die der Vollzug für einzelne Unternehmer ... bringen sollte, durch geeignete Maßnahmen begegnet werden ...". Noch plastischer E 13, 97 (120) zu der Frage, wann für die selbständige Ausübung des Handwerks ausnahmsweise keine Meisterprüfung erforderlich sei: „Ausnahmefälle sind entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen mindestens dann anzunehmen, wenn es eine übermäßige, nicht zumutbare Belastung darstellen würde, einen Berufsbewerber auf ... die Meisterprüfung zu verweisen." Andererseits hat das Gericht etwa in der Entscheidung E 13, 237 (242) einen Ausnahmetatbestand unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit verneint: „Der Einwand des Beschwerdeführers, daß ... die Regelung zwar für andere Geschäftszweige erträglich, aber gerade für den seinen unzumutbar hart sei, dringt demgegenüber nicht durch." 309 308 Die gleiche Problematik ist angesprochen in BVerfGE 21, 173 (183), wo das Gericht im Einzelfall ebenfalls eine unzumutbare Härte feststellt. 309

-

Weitere Fälle: BVerfGE 16, 214 (219), wo einem Angeklagten im Einzelfall (!) zuzumuten sein soll, einen anderen Verteidiger zu wählen, wenn auf die zeugenschaftliche Aussage des Anwalts nicht verzichtet werden kann. E 71, 162 (174) mit der Erwägung, das allgemeine Werbeverbot für Ärzte könne nicht allgemein für verfassungswidrig erklärt werden, denn nicht die Vorschrift als solche, sondern allenfalls ihre Anwendung im Einzelfall könne einen Arzt unzumutbar belasten. Etwas mißverständlich E 82, 209 (231), wo die Zumutbarkeit einer Regelung deshalb

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

85

In denselben Kontext gehören die atypischen Einzelfälle, die nicht (nur) unter dem Blickwinkel einer verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit, sondern unter Rekurs auf spezifisch einfachrechtliche Zumutbarkeitserwägungen angesprochen sind 310 . Das Prinzip bleibt das gleiche: Die Zumutbarkeit dient hier als Einzelfallkorrektiv zur Abmilderung individueller Härten, nur daß hier an spezifisch einfachgesetzliche Wertungen angeknüpft wird: In der Entscheidung E 81, 156, (202 f.) etwa rechtfertigt das Gericht die Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 128 AFG (an den Rentenversicherungsträger wegen der sozial unerwünschten Frühverrentung langjähriger Arbeitnehmer) unter anderem damit, daß § 128 Abs. 4 S. 1 AFG eine Härteregelung unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit vorsehe. Ebenso verneint das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB (wegen Verstoßes gegen das Zwangsarbeitsverbot nach Art. 12 Abs. 2 und 3 GG), weil mit § 56 b Abs. 1 S. 2 StGB ein spezifisch strafrechtlicher Ausnahmetatbestand unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit vorhanden sei 311 . Schließlich seien unter der Fallgruppe der Zumutbarkeit als spezifischem Einzelfallverweis noch die Fälle angesprochen, in denen das Bundesverfassungsgericht vom Regeltatbestand des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG Ausnahmetatbestände unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit geschaffen hat. Liegen diese vor, so soll nach dem Sinn dieser Vorschrift die Erschöpfung des

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-

bejaht wird, weil das Gesetz erkennbar um die Abmilderung denkbarer Härten bemüht sei. Entgegen dem ersten Anschein bejaht das Gericht die Zumutbarkeit hier gerade wegen der Möglichkeit atypischer Härtefallregelungen. E 84, 133 (155), wonach die angegriffene Regelung gerade für Schwangere und Mütter nach der Entbindung eine unzumutbare Härte darstelle. Den Einzelfallbezug der Zumutbarkeit streichen ebenfalls heraus E 38, 61 (95: ;,auch einzelne Gruppen typischer Fälle werden ... nicht unzumutbar betroffen") und E 18, 316 (344: „von einer unzumutbaren Belastung kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden"). E 26, 215 (226) stellt einen spezifischen Zusammenhang von Zumutbarkeit und Unbilligkeit her.

310 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des BVerwG, E 58, 26 (32); 59, 1 (3 f.); 59, 188 (190 f.); 62, 364 (369 ff.); 66, 26 (27). 311

-

Weitere Beispiele: BVerfGE 81, 264 (271): Bei der Abwendung der zivilprozessualen Verspätungsfolgen durch das Gericht (§ 273 ZPO) findet die Prozeßförderungspflicht ihre Grenze in der Zumutbarkeit, die „sich vorrangig nach den Umständen des Einzelfalles bemißt". E 85, 214 (218 f.): spezifisch mietrechtliche Zumutbarkeit bei der Beurteilung, ob eine Wohnung überbelegt ist. E 13, 248 (260): spezifisch sozialrechtliche Zumutbarkeit bei der Frage, ob die Aufnahme einer Tätigkeit im Einzelfall nicht doch zuzumuten ist. E 16, 231 (235): spezifisch verwaltungsprozessuale Zumutbarkeit bei der Frage, ob einer Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen zugemutet werden kann, ein Vorverfahren allein (d.h. ohne Zuziehung eines Bevollmächtigten) zu betreiben.

86

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Rechtsweges objektiv nicht geboten und subjektiv nicht zuzumuten sein. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG liegt die Erwägung zugrunde, daß der vom Betroffenen geltend gemachten Grundrechtsbeschwer grundsätzlich durch die Fachgerichte abgeholfen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht versteht sich nicht als „Superrevisionsinstanz". Hinzu kommt, daß das Gericht, wenn es denn angerufen wird, vor einer eigenen Entscheidung die Möglichkeit haben soll, die Rechtsansichten der Fachgerichte und hier insbesondere der obersten Bundesgerichte kennenzulernen. Soweit der Grundsatz. Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz dahingehend eingeschränkt, daß eine Verfassungsbeschwerde auch ohne vorgängige Rechtswegerschöpfung geltend gemacht werden kann, wenn eben diese Ziele des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG nicht mehr erreicht werden können: So etwa, wenn wegen einer festgefügten höchstrichterlichen Rechtsprechung im konkreten Fall keine abweichende Entscheidung zu erwarten ist 3 1 2 und sich das Beharren auf die Rechtswegerschöpfung als reine Förmelei darstellen würde. Dasselbe gilt dann, wenn die Erschöpfung der Rechtsweges wegen der stetigen Verweigerung der Prozeßkostenhilfe (des Armenrechts 313) nicht möglich war. Methodisch ist die Einschränkung des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG unter Zuhilfenahme des Zumutbarkeitsgedankens 314 in seiner Funktion als Einzelfallverweis erfolgt: Nur ganz ausnahmsweise, nämlich wenn im Einzelfall das förmliche Beharren auf die Einhaltung des § 90 BVerfGG zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen würde, die von dieser Vorschrift nicht intendiert ist, soll die Erschöpfung des Rechtsweges nicht mehr zuzumuten sein. Abschließend läßt sich sagen, daß das Bundesverfassungsgericht die Zumutbarkeit nicht nur als allgemeine, immanente Schranke und als untechnischen Begriff gebraucht, sondern in vielen Entscheidungen mit ihrer ausschließlichen Funktion als Einzelfallverweis arbeitet. In dieser Eigenschaft dient die Zumutbarkeit nicht zur Auffindung und Bestimmung von Regeltatbeständen (wie in der erstgenannten Fallgruppe), andererseits kommt ihr aber eine bestimmte methodische Funktion zu, nämlich die, atypische Sonderfälle flexibel zu erfassen (insoweit ein Unterschied zur zweiten Fallgruppe).

312 BVerGE 9, 3 (7); 10, 302 (309); 16, 1 (2); 19, 1 (16); 20, 271 (275); 21, 160 (167); 22, 349 (355). 313

So noch BVerfGE 16, 1 (2).

3,4

So ausdrücklich BVerfGE 22, 349 (355).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

(4) Die Zumutbarkeit

87

als Prinzip der Sachgerechtigkeit

Das Bundesverfassungsgericht stellt in einigen Entscheidungen einen Zusammenhang her zwischen dem Zumutbarkeitsgedanken und dem Prinzip der Sachgerechtigkeit. Dabei ist unverkennbar, daß der Grundsatz der Sachgerechtigkeit wiederum mit dem Gleichheitssatz zusammenhängt. Denn das Bundesverfassungsgericht nimmt als Ausgangspunkt für die Beurteilung verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen Art. 3 Abs. 1 GG und läßt diese innerhalb eines Regelungsbereiches nur dann unbeanstandet, wenn sie durch Gründe von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt sind 315 . Solche Gründe müssen bezogen auf den zu regelnden Sachbereich vernünftig oder sonstwie einleuchtend sein 316 . In diesem Zusammenhang zieht das Gericht den Gedanken der Zumutbarkeit heran und versucht, die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Differenzierung unter Rückgriff auf diesen Gedanken zu begründen 317. So heißt es etwa in der Feldmühle-Entscheidung318: „eine Benachteiligung der Minderheit(-saktionäre m) wäre allenfalls im Rahmen des Zumutbaren denkbar"; und in einer anderen Entscheidung320: „diese Entscheidung würde nur dann den Gleichheitssatz verletzen, wenn es anderen Religionsgemeinschaften in unzumutbarer Weise erschwert würde, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen ..." An anderer Stelle wird die Unzumutbarkeit einer Differenzierung bejaht, weil es „für diese empfindliche Benachteiligung" keine hinreichenden Gründe gebe 321 . Schließlich seien hier noch solche Entscheidungen angeführt, in denen das Bundesverfassungsgericht die Frage einer sachwidrigen und deshalb nicht mehr zu rechtfertigenden Rechtswegerschwerung unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit beurteilt 3 2 2 . Bemerkenswert bei dieser „gleichheitssatzorientierten Zumutbarkeit" ist ihre Sachbereichsbezogenheit. Gleichheitsurteil und Sachgerechtigkeitsurteil verlangen den Vergleich miteinander vergleichbarer Sachverhalte. Vergleich315

BVerfGE 55, 72 (88).

316

BVerfGE 75, 108 (157); 76, 256 (329).

317 Erichsen (VerwArch. 65 [1974], S. 423 ff. [427]) spricht sogar davon, daß das BVerfG das Kriterium der Zumutbarkeit aus seiner bisherigen Zuordnung zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herauslöst, indem es den (zumutbarkeitsorientierten) Gleichheitssatz der Verhältnismäßigkeitsprüfung „nachschalte". 318

BVerfGE 14, 263 (285).

319

Sinngemäße Ergänzung vom Verf.

320

BVerfGE 19, 129 (134).

321

BVerfGE 71, 183 (201); ähnlich auch BVerfGE 83, 89 (104), wo das Gericht die Zumutbarkeit einer Differenzierung bejaht, weil sie „sachlich gerechtfertigt" sei. 322

BVerfGE 10, 264 (268); 81, 123 (129); 85, 337 (347).

88

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

bar ist aber nur, was demselben Sachbereich angehört, denn nur dann sind die Maßstäbe qualitativ gleich, werden also - populär gesprochen - nicht Äpfel mit Birnen verglichen. Fragt man also nach der Sachgerechtigkeit einer Differenzierung, so folgt daraus, daß die Maßstäbe hierfür nicht aus dem luftleeren Raum herrühren, sondern an ein Fixum gebunden sind: nämlich an die spezifische Sachgesetzlichkeit des jeweiligen Regelungsbereiches 323. Auch das Bundesverfassungsgericht verkennt dies nicht. In der Feldmühle-Entscheidung etwa rechtfertigt sich die vom Gesetzgeber geschaffene, schwache Stellung der Eigentumsposition von Minderheitsaktionären gerade daraus, daß die Differenzierung hier einer spezifisch gesellschaftsrechtlichen Sachgesetzlichkeit entspricht und insoweit sachgerecht ist. Es wird ersichtlich, daß das Sachgerechtigkeitsurteil in ein bestimmtes rechtliches und tatsächliches Umfeld eingelagert ist, woraus es im zu beurteilenden Einzelfall seine Maßstäbe und Vergleichsmöglichkeiten zieht. Unabhängig davon, wie die Vermengung von Gleichheitssatz und Zumutbarkeitsgrundsatz rechtlich beurteilt wird 3 2 4 , läßt sich doch festhalten, daß es sich in bezug auf die Begriffsverwendung des Bundesverfassungsgerichts um eine neuerliche Facette des Zumutbarkeitsgedankens handelt, die im Vergleich zu den bisher vorgestellten Spielarten ein weiteres „aliud" darstellt: Bewegte sich die „Zumutbarkeit als allgemeine Eingriffsschranke" im Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl- und Individualinteresse, mithin also auf einer vertikalen Ebene der Schrankenziehung, so liegt es hier anders. Denn die gleichheitssatzbezogene Zumutbarkeit ist sachbereichsbezogen und hat damit einen horizontalen Blickwinkel: Es wird nicht beurteilt, ob der Einzelne eine bestimmte Maßnahme im Hinblick auf ein gemeinwohlbezogenes Handlungsziel noch hinzunehmen hat, vielmehr geht es um den Vergleich von im Prinzip gleichgeordneten Rechtspositionen ungleich Betroffener 325. Anders als die Verlegenheitsfloskel der „untechnischen Zumutbarkeit" hat die gleichheitssatzbezogene Zumutbarkeit jedenfalls ihrer Konzeption nach eine eigene funktionelle Schrankenfunktion, denn sie entscheidet darüber, ob der Sachgesetzlichkeit des jeweiligen Regelungsbereiches genügt ist. Schließlich verweist die gleichheitssatzbezogene Zumutbarkeit auch nicht nur auf den individuellen, atypischen Einzelfall. Im Gegenteil dient die Zumutbarkeit hier systematisch nicht der Definition des Ausnahmetatbestandes, sondern vielmehr der Auffindung des Regeltatbestandes, dessen Sachgerechtigkeit ja gerade mit ihrer Hilfe festgestellt werden soll. Dennoch aber ist die gleichheitssatzbezogene Zumutbarkeit letztlich allein auf den Einzelfall zugeschnitten, aus dem sie ihre Maßstäbe bezieht. Unternimmt man den Versuch, zu 323

Zustimmend Wendt, AöR 104 (1979), S. 468.

324

Hierzu ausführlich unten S. 174 ff.

325

Zur näheren Abgrenzung von Gleichheits- und Zumutbarkeitsgedanken s.u. S. 174 ff.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

89

abstrahieren und Fallgruppen zu bilden, so gehen diese Maßstäbe verloren und die Zumutbarkeit verkommt zur Leerformel 326 . Allgemein läßt sich deshalb sagen: Trotz aller Unterschiedlichkeit ist allen vier bisher gefundenen Zumutbarkeitskonzeptionen gemeinsam, daß die Zumutbarkeitsprüfung immer im Hinblick auf die Person des in seiner Rechtsposition Betroffenen stattgefunden hat — ein konsequentes Ergebnis insofern, als die Zumutbarkeit per definitionem personenbezogen ist und nur mit dieser Blickrichtung einen tauglichen Maßstab abgibt.

(5) Zumutbarkeit

als Teil der Verhältnismäßigkeit

im weiteren Sinne

(a) Zumutbarkeit als Teil der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung Vereinzelt geblieben sind Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht die Kategorien „Geeignetheit des Mittels" und „Zumutbarkeit einer Regelung" gleichsetzt. Die Unzumutbarkeit einer Regelung soll demnach gegeben sein können, weil sich der Gesetzgeber eines ungeeigneten Mittels zur Erreichung dieses Zieles bediente. So liegt etwa ein unzumutbarer Eingriff in die Freiheit des Kraftwagenbesitzers vor, wenn der Gesetzgeber öffentlich vermittelte Mitnahmefahrten unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit verbietet 327 . Eine Gleichsetzung von Geeignetheits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten findet sich auch an anderer Stelle 328 , wo das Gericht Bedenken gegen die Wirksamkeit einer staatlichen Maßnahme329 geäußert und aus diesen Gründen an der Zumutbarkeit der Regelung gezweifelt hatte. Die Gleichsetzung erstaunt, haben doch „Geeignetheit" und „Zumutbarkeit" unterschiedliche Blickrichtungen: Während die Geeignetheit ohne Ansehung des Betroffenen eine spezifische, eignungsbezogene Zweck-Mittel-Betrachtung vornimmt (hierzu bereits oben), beurteilt die „Zumutbarkeit" das Verhältnis einer staatlichen Maßnahme in bezug auf die betroffene Person, ist also in jedem Fall personenbezogen (hierzu bereits oben). Der Verdacht liegt deshalb nahe, daß das Bundesverfassungsgericht in diesen Einzelentscheidungen „unzumutbar" und „verfassungswidrig" gleichsetzt und den Zumutbarkeitsbegriff damit in unsystematischer Weise als Verlegenheitsfloskel gebraucht. In jedem Fall bleibt festzuhalten, daß die Geeignetheitsprüfung etwas völlig anderes bein326 Bezeichnenderweise zieht sich das BVerfG in den o.a. Entscheidungen zur gleichheitssatzorientierten Zumutbarkeit auf allgemeinste Wendungen zurück. 327

BVerfGE 17, 306 (317).

328

BVerfGE 16, 147 (177 f., 181 ff.), und daran anschließend E 38, 61 (93).

329

Konkret: der erhöhten Besteuerung des Werkfern Verkehrs.

90

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

haltet als die Zumutbarkeitsprüfung. Die oben angeführten Entscheidungen sind deshalb nicht ohne Grund vereinzelt geblieben. Dasselbe gilt für Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht „Zumutbarkeit" und „Erforderlichkeit" gleichsetzt. In einigen Fällen findet sich hier die Formulierung, eine gesetzliche Regelung sei dem Einzelnen deshalb nicht zumutbar, weil es „schonendere Maßnahmen" gebe, um den vom Gesetzgeber intendierten Zielsetzungen gerecht zu werden 330 . Die Gleichsetzung von Zumutbarkeit und Erforderlichkeit ist noch unverständlicher als die von Zumutbarkeit und Geeignetheit, handelt es sich doch bei der Erforderlichkeit um einen isolierten Mittel-Mittel-Vergleich, der mit der Zumutbarkeit noch weniger gemeinsam hat als die Geeignetheit, die mit ihrer Zweckbindung noch wenigstens einen „externen" Blickwinkel aufweisen konnte. Bereits jetzt läßt sich deshalb sagen, daß die Gleichsetzung im Ergebnis unhaltbar ist, denn die Zumutbarkeit beurteilt das Verhältnis einer Maßnahme in bezug auf die von ihr betroffene Person, während die Erforderlichkeitsprüfung gerade mehrere geeignete Maßnahmen im Blick hat, um festzustellen, welche die mildeste ist 331 . Erforderlichkeit und Zumutbarkeit schließen sich damit gegenseitig aus: Eine Zumutbarkeitsprüfung ist erst denkbar, nachdem mit Hilfe der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung unter mehreren Maßnahmen ein geeignetes, mildestes Mittel „herausgefiltert" wurde, das mit Hilfe der Zumutbarkeit nunmehr personenbezogen geprüft werden kann.

330 BVerfGE 50, 265 (275); 51, 399; 59, 336 (357 f.); 64, 72 (85). S.a. BVerfGE 69, 209 (219), wonach es „zurecht als unzumutbar beurteilt" werde, daß „Angehörige der Finanzverwaltung bereits vor ihrer Zulassung zur Prüfung ihre Entlassung beantragen und damit im Unterschied zu anderen Berufsbewerbern ihre bisherige Berufsgrundlage aufgeben müssen". Der Sache nach wird die Unzumutbarkeit dieser Regelung auch hier mangels Erforderlichkeit des Eingriffs angenommen. — In diesen Zusammenhang gehören auch die Entscheidungen zur Einschränkung der Rechtswegerschöpfung (nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (s.o. Fn. 312). Dort klingt an, daß die Einschränkung auch deshalb erfolgen müsse, weil die Rechtswegerschöpfung ausnahmsweise „objektiv nicht geboten" sei. Der Sache nach handelt es sich auch hier um ein Erforderlichkeitskriterium, auf das das Zumutbarkeitsurteil freilich nicht allein gestützt wird; BVerfGE 9, 3 (7); 10, 302 (309); 16, 1 (3); 18, 1 (16); 21, 160 (167); 20, 271 (275). 331 Ebenso Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 54; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 93.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

91

(b) Zumutbarkeit und Angemessenheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (i) Gleichheit der Maßstäbe Bereits mehrfach wurde angesprochen, daß das Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht geklärt ist. Kollisionslagen bestehen dabei weniger mit den Teilgrundsätzen der Geeignetheit und Erforderlichkeit. Hier zeigt bereits die geringe Anzahl der Entscheidungen, in denen die Maßstäbe vermengt werden, daß sich das Gericht der Unterschiedlichkeit im Ganzen doch bewußt ist. Zahlreich sind jedoch die Entscheidungen, in denen „Zumutbarkeit" und „Angemessenheit" (als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne, wie oben erläutert) gleichgesetzt oder doch miteinander vermischt werden. Dies ist im Prinzip auch nicht unverständlich, weisen Zumutbarkeit und Angemessenheit doch durchaus Parallelen auf: Bereits oben wurde aufgezeigt, daß die Zumutbarkeit keine letzte, absolute Opfergrenze darstellt, also nicht von vorneherein und per definitionem abwägungsfeindlich ist. Ähnlich wie die Angemessenheit ist sie ein relativer und in diesem Sinne auch „verhältnismäßiger" Maßstab. Daß die Zumutbarkeit letztlich einen anderen Blickwinkel aufweist als die Angemessenheit, wurde ebenfalls bereits betont, führt aber nicht daran vorbei, daß Zumutbarkeit und Angemessenheit eine gemeinsame methodische Wurzel haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es aus der Sicht der Rechtsprechung auch durchaus naheliegend, beide Gesichtspunkte miteinander gleichzusetzen. So stellte das Bundesverfassungsgericht bereits im Apothekenurteil 332 in bezug auf die Zulässigkeit von Berufsausübungsregelungen fest, daß sich „der Grundrechtsschutz auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen" beschränke. Mit Hilfe dieser Aussage tastet sich das Bundesverfassungsgericht, abgestuft nach verschiedenen Eingriffsintensitäten, langsam an den eigentlichen Abgrenzungsmaßstab heran, der sich dann wenig später in bezug auf die Zulässigkeit von subjektiven Zulassungsbeschränkungen findet: „Hier gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, daß die vorgeschriebenen subjektiven Voraussetzungen zu dem angestrebten Zweck ... nicht außer Verhältnis stehen dürfen." Diese Linie 3 3 3 setzt das Gericht dann in der Entscheidung E l l , 332 333

BVerfGE 7, 377 (406 f.).

Im gleichen Zusammenhang BVerfGE 13, 237 (241) wo die „Zumutbarkeit" der Berufsausübungsbeschränkung bejaht wird, nachdem Zweck und Mittel verglichen worden waren. Es handelt sich also um eine typische Angemessenheitsprüfung. Ebenso E 14, 19 (22 unten und 23 Mitte), wo die Zumutbarkeit gesetzlicher Auflagen wegen der Angemessenheit von Zweck und Mittel bejaht wird. S.a. BVerfGE 16, 286 (297).

92

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

234 (239) unter Bezug auf das Apothekenurteil fort, indem es eine „unzumutbare Auflage" deshalb verneint, weil die vom Gesetz getroffene Regelung durch ihren Zweck gerechtfertigt werde und den Betroffenen nicht in unangemessener Weise belaste334. Eine sachliche Gleichsetzung von Zumutbarkeit und Angemessenheit findet sich in der Werkfernverkehrsentscheidung 335, wo das Gericht zunächst die UnVerhältnismäßigkeit des Eingriffs in den Werkfernverkehr untersucht und sodann unter - unvermitteltem - Rückgriff auf den Zumutbarkeitsgedanken eine abstrakte Vorteil-Nachteil-Abwägung vornimmt. Der Sache nach lassen sich unterschiedliche Bezugspunkte der Untersuchung nicht feststellen 336. Eine ausdrückliche Gleichsetzung findet sich erstmals in der Entscheidung zum Weinwirtschaftsgesetz 337, wo die „Zumutbarkeit" in dem Dreiklang Geeignetheit-Erforderlichkeit-Angemessenheit die Stelle der Angemessenheit einnimmt: „Eine Regelung ... steht ... unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ... (sie) muß zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig, sie darf nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein". In späteren Entscheidungen baut das Gericht die Verhältnismäßigkeitssystematik weiter aus und prüft unter dem Obersatz „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" fast schon schulförmig die „Geeignetheit", die „Erforderlichkeit" und die „Zumutbarkeit" des Eingiffs. Letztere sei dann gegeben, wenn „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffes und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt" 338 ist, m.a.W. darf der staatliche Eingriff in die individuelle Hand334

Der Sache nach ebenso E 21, 227 (232), und ausdrücklich E 25, 1 (12 Mitte).

335

E 16, 147 (insb. 175, 177, 181). Ebenso E 18, 353 (362).

336

Dasselbe gilt für BVerfGE 17, 232 (242-245), wo zunächst der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" (242) bemüht, die Regelung dann auf ihre „Unangemessenheit" und „Unzumutbarkeit" untersucht und schließlich eine Zweck-Mittel-Abwägung unter ausschließlichem Rückgriff auf den Zumutbarkeitsgedanken vorgenommen wird. Ebenso E 23, 50 (56 f., 60); 25, 1 (22 f.); 27, 211 (219); 58, 137 (148); 80, 286 (194); 82, 209 (230). In E 48, 118 (124) prüft das Gericht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit recht unsystematisch auch das Übermaßverbot und die Zumutbarkeit. Hierher gehört auch E 83, 89 (104), wo das Gericht eine quantitative Vorteil-Nachteil-Prüfung unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten vornimmt. 337 E 21, 150 (155); im gleichen Sinne E 27, 88 (100); ebenso deutlich E 51, 166 (176) mit der Erwägung, die Regelung sei zumutbar und daher verhältnismäßig. S.a. E 59, 302 (327); 61, 126 (136); 61, 117 (148); 63, 131 (144); 65, 1 (55); 72, 9 (23); 74, 203 (214 f.); 78, 232 (247); 80, 1 (24). E 80, 297 (312) spricht von „Unzumutbarkeit der Regelung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips"; ebenso E 81, 70 (80, 92); 81, 156 (194); 85, 337 (347). 338 Formulierung im Erdölbevorratungsbeschluß, BVerfGE 30, 292 (316), mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß nach Anlegung dieser Maßstäbe ... der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt sei (317 oben). Dasselbe Zumutbarkeitsverständnis zeigt sich mit

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

93

lungsfreiheit die „ v o m Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogenen Grenzen der Zumutbarkeit" nicht überschreiten 339 . Schließlich geht das Gericht noch weiter und setzt die Zumutbarkeit auch noch explizit mit der „Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne" und der „ A n gemessenheit" gleich: „ D i e Regelung ... ist i m engeren Sinne verhältnismäßig. Die Belastung auf der einen ... und der Vorteil ... auf der anderen Seite stehen in einem angemessenen Verhältnis; die Einschränkung ist für die Beschwerdeführerinnen zumutbar." 3 4 0 Ein besonders gutes Beispiel für die Begriffsaustauschung ist eine Entscheidung aus dem Jahre 1988 3 4 1 , in der das Gericht einen Verstoß der angegriffenen Gesetzesvorschrift gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ( i m weiteren Sinne, d. Verf.) prüft, nach der Bejahung von Geeignetheit und Erforderlichkeit schließlich zur Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne kommt und sodann unvermittelt eine ausdrücklich so genannte „Zumutbarkeitsprüfung" v o r n i m m t 3 4 2 . I n einer Entscheidung i m selben B a n d 3 4 3 spricht das Gericht von „Zumutbarkeit i m Sinne rechtstaatlicher Verhältnismäßigkeit".

z.T. derselben Formulierung in E 33, 171 (187 f.); 33, 240 (244); 36, 47 (59); 37, 1 (22); 38, 61 (92, 94); 39, 210 (234); 40, 196 (227); 40, 371 (383); 41, 251 (264); 41, 378 (394); 47, 285 (231); besonders deutlich E 59, 336 (355, 357), und E 61, 291 (312, 316); 67, 15 (16); 67, 157 (178), wo allerdings (173) der Topos der Zumutbarkeit wieder durch den der „Angemessenheit" ersetzt wird; E 68, 155 (171); 65, 116 (126); 69, 209 (219); 71, 183 (197, 200); 76, 256 (360); 78, 77 (84, 86); 78, 249 (285, 286); 82, 18 (28 f.); 83, 1 (19); 85, 248 (261); 87, 287 (322); 87, 363 (387 f.). 339

So ausdrücklich E 60, 329 (345).

340

E 46, 120 (148); 73, 301 (317, 320); ebenso E 68, 193 (219), wo die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne mithilfe der „Grenze der Zumutbarkeit" definiert wird. Dasselbe Verständnis in E 70, 1 (26 ff.), wo besonders (31) die Zumutbarkeit als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) herausgestellt wird. Eine Gleichsetzung von Angemessenheit und Zumutbarkeit enthält E 71, 162 (176); 75, 108 (156 f.) mit einer Gleichsetzung von Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und Zumutbarkeit; auch E 76, 220 (242); besonders deutlich E 77, 84 (111 unten) und E 77, 308 (334): „Ob die Kosten der hiernach erforderlichen Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber zu tragen sind, ist dagegen keine Frage der Erforderlichkeit, sondern der Zumutbarkeit der gesetzlichen Regelung. Der Eingriff ... steht nicht außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber verfolgen Zweck". E 81, 70 (92). Vgl. auch BVerfG, NVwZ 1993, 878 (879 r. Sp.) zur Frage der Unzumutbarkeit (i.S.v. Unangemessenheit) des Nachtbackverbots. 341

BVerfGE 78, 38 (50 ff.).

342

Die Gleichsetzung von Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und Zumutbarkeit wird auch in der abweichenden Meinung des Richters Henschel betont, die sich im Anschluß an die Senatsentscheidung auf S. 54 der amtlichen Sammlung findet. Eine detaillierte Zumutbarkeitsprüfung in diesem Sinne enthält auch E 79, 256 (270 ff.). Ähnlich E 84, 133 (153 f.), wo das Gericht (153) eine Angemessenheitsprüfung ankündigt, sodann aber (154 f.) mit Hilfe des Zumutbarkeitsgedankens weiterprüft. 343

E 78, 249 (285 f.).

94

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Zumutbarkeitsgedanke, so wie ihn das Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit dem Übermaßverbot verwendet, an der Entwicklung und Ausweitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von Anfang an teilgehabt hat. Denn es läßt sich eine kontinuierliche Rechtsprechung nachweisen, nach der die Zumutbarkeit Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Nach anfänglichen, methodischen Unsicherheiten hat das Bundesverfassungsgericht die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (d.h. die Angemessenheit) zunächst der Sache nach mit der Zumutbarkeit gleichgesetzt, indem es die Zumutbarkeitsprüfung allgemein unter dem Oberbegriff „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" vorgenommen hat. In seiner weiteren Rechtsprechung ist das Gericht dann aber dazu übergegangen, die Zumutbarkeitsprüfung auch methodisch exakt in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubauen. Die Zumutbarkeit hat sich damit - synonym verwendet für „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" oder für „Angemessenheit" - als Teilgrundsatz neben der „Geeignetheit" und der „Erforderlichkeit" etabliert.

(ii) Unterschiedlichkeit

der Maßstäbe

Das soeben gefundene Ergebnis erscheint eindeutig. So muß es verwundern, daß das Bundesverfassungsgericht in anderen, durchaus nicht vereinzelt gebliebenen Entscheidungen eine gewisse Skepsis gegenüber der gerade festgestellten Gleichsetzung von Zumutbarkeit und Angemessenheit, ja sogar von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit überhaupt an den Tag gelegt hat. Bereits im Hebammenurteil 344 stellt das Bundesverfassungsgericht fest, die von der Beschwerdeführerin angegriffene gesetzliche Altersgrenze für Hebammen überschreite nicht „die Grenzen der grundrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit". Wenig später heißt es in derselben Entscheidung, da die bestehende Gefahrenlage (durch feststellbaren beruflichen Leistungsabfall im Alter) jeden zumutbaren Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertige, sei auch die Grenze der Verhältnismäßigkeit nicht überschritten. Nach diesen Formulierungen liegt der Verdacht nahe, es handele sich um zweierlei Maßstäbe mit jeweils eigenem Anwendungsbereich. Das Gericht stützt diesen Eindruck noch dadurch, daß es im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Regelung jeweils prüft, ob der staatliche Eingriff in die Berufsfreiheit nicht schon an sich übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sei. Daraus könnte man mit einiger Berechtigung den Schluß ziehen, die Zumutbarkeitsprüfung gehe der Verhältnismäßigkeitsprüfung logisch voraus: Während jene eine absolute Grenze ziehe, indem sie eine Regelung jeweils für sich genommen, also losgelöst von anderen Abwägungsgesichtspunkten un344

E 9, 338 (345 f.).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

95

tersuche, bilde die Verhältnismäßigkeitsprüfung einen relativen Maßstab, mit dessen Hilfe die zu prüfende Regelung (erst) ins Verhältnis zu anderen Rechtsgütern gesetzt werde. Auf diese Weise wäre in der Tat eine klare Trennungslinie zwischen Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit gegeben, deren Brauchbarkeit freilich erheblichen Zweifeln unterliegt 345 . Dennoch ist die Hebammenentscheidung kein Einzelfall geblieben; es finden sich noch weitere Stellungnahmen des Bundesverfassungsgerichts 346, die eine klare Trennung von „Zumutbarkeit" und „Verhältnismäßigkeit" enthalten. Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang E 18, 121 (125): „Die Differenzierung in § 32 Mieterschutzgesetz überschreitet aber weder die durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gezogenen Grenzen, noch ist sie dem Mieter gegenüber übermäßig oder unzumutbar." Nähere Ausführungen hierzu bleibt das Gericht allerdings schuldig. An anderer Stelle 347 betrachtet das Bundesverfassungsgericht die Zumutbarkeit zwar als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne, unterscheidet sie aber klar von den übrigen Teilgrundsätzen, insbesondere von der Angemessenheit. Die Frage, wie sich Angemessenheit und Zumutbarkeit im einzelnen unterscheiden, beantwortet sich in weiteren Entscheidungen wiederum nach der Maßgabe, die bereits in der Hebammenentscheidung angeklungen ist: Mit Hilfe der Verhältnismäßigkeit werden „Verhältnisse" zwischen den im einzelnen tangierten Rechtsgütern hergestellt; die Zumutbarkeit beurteilt einen Eingriff allein nach dessen Schwere und Gewicht, hat also letztlich den dem Einzelnen noch verbleibenden Freiheitsraum im Blick. So hat das Bundesverfassungsgericht die Anordnung einer hirnelektrischen Untersuchung im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG allein damit gerechtfertigt, daß „jedenfalls die etwaige Belästigung durch diese Untersuchung nur geringfügig und damit zumutbar" sei 348 . An anderer Stelle 349 wurde die militärische Dienst345

S. bereits oben S. 59 ff. zur „Zumutbarkeit als allgemeiner Rechtsbegriff'.

346

So etwa BVerfGE 13, 97 (113), wo im Sinne der Verhältnismäßigkeit zunächst geprüft wird, ob Mittel und Zweck in einem „ausgewogenen Verhältnis" stehen. Schließlich wird quasi ergänzend eine „Für-sich-Betrachtung" des Mittels unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nachgeschoben. 347 In E 17, 232 (244) etwa unterscheidet das Gericht die Unangemessenheit einer Regelung von der Unzumutbarkeit; ebenso mit Verweis auf diese Entscheidung E 22, 380 (385). S.a. E 18, 353 (362), und E 48, 118 (124: „die angeordneten Eingriffe stehen nicht außer Verhältnis zu dem gegebenen Anlaß und [Hervorhebung vom Verf.] belasten die betroffenen Verteidiger nicht unzumutbar"). In E 76, 220 (242) sind die Beurteilungsmaßstäbe wohl auch kumulativ zu verstehen: „die Eingriffe ... sind verhältnismäßig und zumutbar". 348 349

E 17, 108 (115).

E 28, 243 (264); vgl. demgegenüber zum selben Thema E 32, 40 (46), wo das Gericht nicht den Militärdienst als solchen, sondern in Abwägung mit anderen Rechtsgütern beurteilt, sich dabei aber ebenfalls des Zumutbarkeitsgedankens bedient.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

leistung „als solche", also ohne Abwägung mit anderen Rechtsgütern, mit Hilfe des Zumutbarkeitsgedankens für rechtsstaatlich einwandfrei befunden. Auf der gleichen Linie liegt auch eine Entscheidung aus dem Jahre 1966, in der das Gericht eine absolute Grenze (!) der Dauer der Untersuchungshaft anhand des Zumutbarkeitsmaßstabes zu bestimmen suchte350. Auffallend ist hierbei, daß das Gericht isoliert mit der dem Einzelnen auferlegten Belastung argumentiert und sich das Zumutbarkeitsurteil am verbleibenden „Restfreiheitsraum" orientiert. Nach welchen Kriterien sich diese Betrachtung im einzelnen richtet, insbesondere, ab wann der Restfreiheitsraum unzumutbar eingeschränkt sein soll, bleibt dabei offen 351 . Ein anderes Bild ergibt sich bei den Entscheidungen, in denen sich „Angemessenheit" und „Zumutbarkeit" auf verschiedenen Prüfungsebenen zu bewegen scheinen: Stellt das Gericht generell-abstrakte Erwägungen an, die sich auf die Normebene beziehen, so betrifft dies die Angemessenheitsprüfung, geht es dagegen um konkret-individuelle, auf den Einzelfall bezogene Erwägungen, so ist die Zumutbarkeit der richtige Topos. Exemplarisch sei dafür E 71, 162 (174 ff.) genannt: Dort ging es um die Frage, ob das ärztliche Werbeverbot gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt. Das Gericht nimmt eine „Verhältnismäßigkeitsprüfung" vor, indem es die angegriffenen Regelungen einer generellen Würdigung unterzieht. Technisch geschieht dies dadurch, daß es die betroffenen Rechtsgüter abstrakt und einzelfallunabhängig gegeneinander abwägt. Der Zumutbarkeitsgedanke taucht hierbei noch nicht auf. Sodann findet sich aber der entscheidende Satz: „Nicht die Vorschrift als solche, sondern allenfalls ihre Anwendung im Einzelfall könnte einen Arzt unzumutbar belasten."352 Hier will es scheinen, als sei die Zumutbarkeitsprüfung nichts anderes als eine Angemessenheitsprüfung im Einzelfall. Dasselbe Verständnis klingt auch in anderen Entscheidungen an, etwa wenn das Bundesverfassungsgericht zunächst mit Hilfe einer Angemessenheitsprüfung abstrakte Rangverhältnisse unter den einschlägigen Rechtsgütern herstellt und 350

E 20, 144 (148); im konkreten Fall war diese absolute Unzumutbarkeitsgrenze aber noch nicht überschritten. 351 Vgl. E 38, 281 (310) mit der Frage, ob die aus dem Eingriff erwachsende Belastung zumutbar ist. Die Geringfügigkeit der Belastung wird (310 unten) dann ohne weiteres bejaht. Ebenso E 79, 1 (22 ff.): „keine unzumutbare Belastung". In E 81, 70 (89 ff.) wird eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern unter Rückgriff auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgenommen, hieran schließt sich (93, 95) eine Zumutbarkeitsprüfung an, die sich gerade an dem „Gewicht der Belastung" orientiert. Die strenge Trennung zwischen beiden Maßstäben wird dann aber wieder relativiert, indem (95 unten) das „Gewicht des Eingriffs" zu Gemeinwohlbelangen ins Verhältnis gesetzt wird. In E 83, 89 (102 ff.) beurteilt das Gericht die gesetzlich vorgesehene 100%-Erstattungsgrenze im Beamtenbeihilferecht und argumentiert „nachteils- und belastungsbezogen" ausschließlich mit dem Zumutbarkeitsgedanken. 352

S. dort S. 174 unten, S. 176 oben.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

97

sodann die „Lage der Betroffenen" 353 unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten betrachtet 354. Zusammenfassend ist folgendes festzustellen: Obgleich es zahllose Entscheidungen gibt, in denen Zumutbarkeit und Angemessenheit gleichgesetzt werden, finden sich doch auch Stellungnahmen, nach denen beide Maßstäbe unterschiedliche Funktionen und Anwendungsbereiche haben355. Eine klare Linie in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist allerdings nicht zu erkennen: Einerseits wird die Zumutbarkeit unter Rückgriff auf die spezifische Einzelfallbezogenheit dieses Maßstabes zuweilen als „einzelfallbezogene Angemessenheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung" verstanden. So gesehen haben beide Maßstäbe auf verschiedenen Ebenen dieselbe Funktion, nämlich „Verhältnisse" zwischen zwei Variablen anzugeben. Andererseits wird der Zumutbarkeit auch eine völlig andere Funktion zugewiesen als der Verhältnismäßigkeit: Diese ist ein relativer, abwägungsorientierter Maßstab, der die betroffenen Rechtsgüter mit ihrem Rangverhältnis untereinander im Blick hat. Jene ist ein absoluter, einseitig belastungsbezogener Maßstab, mit dessen Hilfe ein Eingriff nach seiner Schwere und dem danach für den Einzelnen noch verbleibenden Freiheitsraum beurteilt wird 3 5 6 .

(6) Fazit: Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechungsanalyse hat gezeigt, daß das Bundesverfassungsgericht den Zumutbarkeitsgedanken äußerst vielschichtig verwendet. Dies verwundert nicht, weil der Begriff der Zumutbarkeit schon von Hause aus, quasi begriffsnotwendig eine außergewöhnliche Weite und Dehnbarkeit aufweist. Dennoch lassen sich zwei Grundlinien nachvollziehen, die am Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit festzumachen sind: 1. Das Bundesverfassungsgericht gebraucht den Zumutbarkeitsgedanken einmal in einem völlig vom Verhältnismäßigkeitsgedanken losgelösten Sinne. Folgerichtig haben beide wechselseitig auch keine Bezüge. Die Zumutbarkeit ist vielmehr alleiniger Argumentationstopos. Hierher gehören: 353

E 84, 133 (154).

354

So etwa in E 47, 109 (119 f.) und E 84, 133 (153 f.).

355

So besonders deutlich in BVerfGE 9, 338 (346); 16, 147 (162); 33, 171 (187); 60, 329 (345). 356 Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, daß das BVerfG zuweilen ausschließlich mit der „Zumutbarkeit" arbeitet, während die „Verhältnismäßigkeit" keine Rolle spielt; vgl. E 13, 320 (235); 13, 237 (241); 15, 235 (243).

7 Albrccht

98

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

- die Zumutbarkeit in ihrer Funktion als bloßer Einzelfallverweis zur methodischen Erfassung von Ausnahmetatbeständen, mit deren Hilfe sich die Individualinteressen des Betroffenen in atypischen Härtefällen berücksichtigen lassen. - die Zumutbarkeit als „untechnischer Begriff', der der Rechtsprechung zur Umschreibung unannehmbarer Fallkonstellationen dient. Schlagwortartig könnte man hier „unzumutbar" und „verfassungswidrig" gleichsetzen. - die horizontal ausgerichtete „gleichheitsbezogene Zumutbarkeit". Allen Varianten ist gemeinsam, daß die Zumutbarkeit quasi ein Verlegenheitsbegriff ist, der keine faßbaren Grenzen aufweist, sich gerade deshalb aber in besonderer Weise für eine einzelfall- und personenbezogene Argumentation eignet. Darin erschöpft sich aber auch die verallgemeinerungsfähige Aussage dieser „Zumutbarkeitsbegriffe". Sie können nur einzelfallbezogen beurteilt werden und sind einer weitergehenderen systematischen Erfassung unzugänglich. Angesichts dieser den jeweiligen Argumentationserfordernissen dienenden Begriffsverwendung(-en) erscheint eine eingehendere Beschäftigung mit diesen Zumutbarkeitsvarianten nicht vielversprechend: Denn für die hier interessierende Frage nach der Zumutbarkeit als selbständigem Verfassungsgrundsatz sind diese Begriffsverwendungen nicht ergiebig. Zum einen beschränken sie sich selten auf eine spezifisch verfassungsrechtliche Sichtweise. Oft genug wird mit einfachrechtlichen Zumutbarkeitsgesichtspunkten argumentiert, die nur aus einem Spezialrechtsgebiet heraus verständlich sind. Zum anderen läßt sich bei diesen Zumutbarkeitsvarianten nicht von einem Grundsatz der Zumutbarkeit sprechen. Bereits die Vielschichtigkeit der Begriffsverwendung steht dem entgegen. „Grundsätzlichkeit" setzt immer einen gewissen Abstraktionsgrad, eine prinzipielle Eignung zur Fallgruppenbildung voraus. Genau hieran fehlt es, wenn sich die Zumutbarkeit in einem bloßen Einzelfallverweis erschöpft oder untechnisch-unfunktional verwendet wird. Dies gilt in gleicher Weise für die gleichheitsorientierte Zumutbarkeit. Auch sie ist in ihrer besonderen, notwendigen Sachbereichsbezogenheit auf den Einzelfall ausgerichtet und mutiert bei einer etwas abstrakteren Sichtweise sogleich zur Leerformel. 2. Anders verhält es sich bei der Zumutbarkeitsvariante, die in der Verfassungsrechtsprechung in engem Konnex zum Verhältnismäßigkeitsgedanken steht. Denn sie erschöpft sich nicht in einer unsystematischen Erfassung des Einzelfalls. Zwar ist auch hier die Einzelfallbezogenheit unverkennbar, aufgrund der Parallele mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wohnt der Zumutbarkeit aber insoweit eine abstrahierende Tendenz zur Fallgruppenbildung inne. Hierher gehört zunächst die Zumutbarkeit als allgemeine Eingriffsschranke, die dem Bundesverfassungsgericht in den Anfangsjahren zur Grenzzie-

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

99

hung zwischen Individual- und Kollektivsphäre diente, aber nur denkbar ungriffige Lösungen bot. Nachdem die Verfassungsrechtsprechung im Laufe der Jahre den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgeweitet sowie eine ausgefeilte Grundrechtssystematik entwickelt hatte, verlor die Zumutbarkeit ihre Funktion als allgemeine Eingriffsschranke weitgehend. Dies besagt jedoch nicht viel für die Frage, ob die Zumutbarkeit nicht innerhalb der grundrechtlichen Schrankensystematik und neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eigenständige Bedeutung hat. Während der Proportinalitätsgedanke in der verfassungsgerichtlichen Praxis allgemeine Anerkennung gefunden hat, gilt dies für den Zumutbarkeitsgedanken nur eingeschränkt. Zwar geht die überwiegende Anzahl der einschlägigen Entscheidungen davon aus, daß „Angemessenheit" und „Zumutbarkeit" weitgehend dekkungsgleich sind. Dennoch aber ist unverkennbar, daß das Bundesverfassungsgericht dem Topos der Zumutbarkeit neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuweilen auch eigenständige Bedeutung beimißt. Dies deutet sich in vielen Entscheidungen immer wieder an, ohne daß bisher eine klare Grenzziehung ersichtlich wäre.

b) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Verwaltungsrechtsprechung Für die hier interessierende Frage, ob sich im Verfassungsrecht ein selbständiger Grundsatz der Zumutbarkeit nachweisen läßt, war eine eingehende Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes unerläßlich. Wegen der verfassungsrechtlichen Sichtweise sind dabei auch solche Begriffsvarianten der Zumutbarkeit erörtert worden, die in keinem unmittelbaren Bezug zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestanden haben, dennoch aber in besonderem Maße für die verfassungsrechtliche Argumentation von Bedeutung waren. Wenn jetzt die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ergänzend in die Untersuchung mit einbezogen wird, so soll doch die verfassungsrechtliche Ebene nicht verlassen werden 357 . Mit anderen Worten interessieren in diesem Zusammenhang nur solche Entscheidungen, in denen die Gerichte verfassungsrechtlich mit der Zumutbarkeit argumentieren. Unzählige 357 Vgl. als Beispiel für eine spezifisch verwaltungsrechtliche Zumutbarkeitsüberlegung aus dem Polizeirecht OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1954, 216, wo die Zustandshaftung eines Polizeipflichtigen unter Rückgriff auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte eingeschränkt wird. Das Gericht argumentiert hier zivilrechtlich, indem es die Unzumutbarkeit eines Verlangens als Unterfall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit ansieht. Daß Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit verschiedene Kategorien sind, wurde bereits oben S. 26 ff. angesprochen. Auf derselben Linie liegt OVG Lüneburg, DVB1. 1962, 421 ff.: Einschränkung der straßenrechtlichen Reinigungspflicht mit Hilfe einer an das Unmöglichkeitsrecht angelehnten Zumutbarkeit.

7=

100

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Stellungnahmen der Verwaltungsgerichte, die sich mit einfachrechtlichen Begriffsvarianten 358 (in Anlehnung an spezialgesetzliche Zumutbarkeitsbegriffe) befassen, bleiben deshalb außer Betracht. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Grundsätzen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit ist wie die des Bundesverfassungsgerichts ziemlich schwankend. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten 359 hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zur Teilnahmepflicht von Ärzten am Notfalldienst zum Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit Stellung genommen360. Dort wird zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, wonach staatliche Eingriffe dann gerechtfertigt sind, wenn diese „nicht übermäßig und nicht unzumutbar sind". Ob die Zumutbarkeit hier im Sinne verhältnismäßiger Angemessenheit oder als eigene Kategorie zu verstehen ist, wird anfangs nicht ganz klar. Im Verlaufe der Begründung wird diese Frage aber im ersteren Sinne entschieden, weil das Gericht dann unvermittelt von „unverhältnismäßigen Eingriffen" spricht und abschließend festgestellt, daß die angegriffene Regelung „auch aus anderen Gründen nicht unverhältnismäßig und unzumutbar" sei. Sprachlich werden beide Begriffe demnach synonym gebraucht. Und doch scheinen sich der Sache nach Unterschiede zu ergeben. Denn das Gericht untersucht zunächst (normbezogen auf abstrakt-genereller Ebene) die Notfalldienstpflicht grundsätzlich, indem es eine Rechtsgüterabwägung mit „übergeordneten gesundheitspolitischen Gründen" vornimmt, wendet sich dann aber einer einzelfallorientierten Betrachtung zu und nimmt hierbei Schwere und Gewicht des Eingriffs, mithin also den dem Betroffenen noch verbleibenden Freiheitsraum in den Blick. Beide Male wird mit der Zumutbarkeit argumentiert, der Sache nach scheint es sich aber um unterschiedliche Sichtweisen zu handeln. Dieselbe Auffälligkeit begegnet in einer anderen Entscheidung, in der es um die Aufbewahrungspflicht Wehrpflichtiger für militärische Ausrüstungsgegenstände ging 361 . Dort prüft das Gericht zunächst die einfachgesetzlich geregelte Aufbewahrungspflicht unter Zuhilfenahme des „verfassungsrecht-

358 Als Beispiele seien hier pars pro toto genannt: BVerwGE 57, 198 (200): Zumutbarkeit einer Ausbildungsstätte (BaföG); E 58, 26: Unzumutbarkeit der Organisation nach dem Vereinsrecht des BGB; E 59, 188 (190): Zumutbarkeit, ein Mietverhältnis zu lösen; E 62, 364 (367): Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung; E 66, 26 (27): Zumutbarkeit eines Wohnungsbezuges; E 71, 261 (263): Zumutbarkeit einer Rückzahlung auf dem Gebiet des Lastenausgleiches; E 80, 282 (284): Einschränkung des Rücktritts von einer Prüfung unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten. 359

So ausdrücklich in BVerwGE 41, 261 (269 f.).

360

Vgl. vorige Fn.

361

BVerwG, NJW 1971, 1712 (1713 ff.).

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

101

lichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" 362 , spricht im weiteren Verlauf aber von „den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes" 363 , wobei dann unter Rückgriff auf die Investitionshilfeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Gedanke der Zumutbarkeit auftaucht. Dieser Konnex würde es an sich nahelegen, Zumutbarkeit im Sinne von Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) zu verstehen. Der Sache nach prüft das Gericht dann aber unter verschiedenen Blickwinkeln 364 weiter: Zunächst untersucht es die angegriffene Regelung „überhaupt" unter Angemessenheitsgesichtspunkten und nimmt hier eine Rechtsgüterabwägung auf generell-abstrakter Ebene vor. Unvermittelt ändert das Gericht dann aber den Bezugspunkt seiner „Verhältnismäßigkeitsprüfung" 365 und untersucht die „Inpflichtnahme des einzelnen Wehrpflichtigen" sodann unter Berücksichtigung „der daraus für ihn folgenden persönlichen Belastung" daraufhin, ob diese ihm deshalb 366 unzumutbar sei. Unter diesem Blickwinkel folgen dann im weiteren Verlaufe nur noch Zumutbarkeitserwägungen. Daß Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne der Sache nach auf verschiedenen Ebenen liegen, folgt schließlich aus den abschließenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes 367: Das Gericht weist darauf hin, daß die angegriffene einfachgesetzliche Vorschrift in Anwendung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf generell-abstrakter Ebene einschränkend danach auszulegen sei, daß ... keine unzumutbaren Verpflichtungen auferlegt würden. Dies heiße aber nicht, daß die konkrete Verwaltungsentscheidung dann im Einzelfall noch einmal unter Verhältnismäßigkeitserwägungen korrigiert werden dürfe. Genau dies hat das Gericht aber im konkreten Fall getan, indem es eine Aufbewahrungspflicht des konkret Betroffenen unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten verneinte. Daraus läßt sich nur der Schluß ziehen: Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) sind der Sache nach verschiedene Maßstäbe, denn der Blickwinkel, unter dem eine Regelung untersucht wird, ist jeweils unterschiedlich. Beide Gesichtspunkte sind nach Auffassung des Gerichts aber unter dem gemeinsamen Dach der „Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne" angesiedelt und insoweit miteinander verknüpft. Zur Verschiedenheit von Zumutbarkeits- und Angemessenheitsgesichtspunkten sei schließlich noch eine weitere Entscheidung des Bundesverwal362

BVerwG, NJW 1971, 1712 (1713 1. Sp. mitte).

363

BVerwG, a.a.O., 1713 r. Sp. oben.

364

So ausdrücklich a.a.O., 1713 r. Sp. unten.

365

Hier wohl im weiteren Sinne verstanden, vgl. a.a.O., 1713 r. Sp. unten.

366

Hervorhebung vom Verf.

367

A.a.O., 1714 r. Sp. unten, 1715 1. Sp. oben.

102

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

tungsgerichtes angeführt 368. Dort ging es um die Frage, ob der gesetzlich festgelegte, generelle Friedhofszwang (auch) für Feuerbestattungen mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Das Gericht formulierte hier ausdrücklich, daß der „bundesverfassungsrechtliche Grundsatz der Unzumutbarkeit" der konkreten Verwaltungsentscheidung ebensowenig entgegenstehe „wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" 369 . Hier liegt also bereits sprachlich eine deutliche Trennung der Maßstäbe vor. An anderer Stelle 370 spricht das Gericht ausdrücklich von „den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit". Bei der sprachlichen Unterscheidung bewendet es aber nicht, auch in der Sache führt das Gericht die Trennung konsequent weiter: Denn es billigt dem Gesetzgeber zunächst zu, daß er bei der Einführung des Friedhofszwanges die Beeinträchtigung des Freiheitsraums des Bürgers berechtigterweise gegen die Gemeinwohlinteressen abgewogen habe. Diese Güterabwägung sei geboten gewesen und zu Recht auch zugunsten der angegriffenen Regelung ausgefallen. Der Sache nach nimmt das Bundesverwaltungsgericht hier eine klassische Angemessenheitsprüfung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) vor. Gleich im Anschluß daran findet sich dann der entscheidende Satz: „Diese Einbuße an Freiheitsraum (zum Nachteil des Bürgers 371) hält sich zudem in grundsätzlich zumutbaren Grenzen." Insbesondere die Einfügung des Wörtchens „zudem" läßt hier nur den Schluß zu, daß es sich hier um einen neuen Prüfungsgedanken handelt, daß hier etwas anderes stattgefunden hat als die gerade zuvor bereits vorgenommene Güterabwägung. Dieses „Andere" besteht in der isolierten Betrachtung des Gewichts und der Schwere des Eingriffes, oder anders herum gewendet des dem Bürger noch verbleibenden Freiheitsraumes 372. Die Ausführungen des Gerichts bleiben im folgenden nicht abstrakt, sondern werden in bezug auf die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG konkretisiert: Gerade weil den individuellen Wünschen des Bürgers vielfach durch die einzelnen Friedhofsordnungen Rechnung getragen werden könne und die gesetzlichen Regelungen zudem noch Ausnahmetatbestände vorsähen, um „unzumutbare oder 373 unverhältnismäßige" Belastungen zu vermeiden, sei die Einbuße an Freiheitsraum letztlich hinzunehmen. Ausschlaggebend für die Zumutbarkeitsprüfung sind also rein quantitative Erwägungen: Die unter Umständen unzumutbare Belastung des Betroffenen durch den Friedhofszwang wird durch die Berücksichtigung entlastender Gesichtspunkte gleichsam wieder auf ein erträgliches Maß zu-

368

BVerwG, JZ 1974, 672 (674 f.).

369

A.a.O., 675 1. Sp. Mitte.

370

A.a.O., 675 1. Sp. oben.

371

Sinngemäße Ergänzung vom Verf.

372

So ausdrücklich BVerwG, a.a.O., 674 r. Sp. mitte.

373

Hervorhebung vom Verf. Auch hier dokumentiert das BVerwG die sprachliche Tren-

nung.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

103

rückgeführt, ohne daß es hierbei auf eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern ankäme. Auch der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist eine deutliche Trennung von Verhältnismäßigkeits- (im Sinne von Angemessenheits-) und Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu entnehmen374. Das BayObLG etwa betont in einer Entscheidung aus dem Jahre 1962 375 ausdrücklich die Unterschiedlichkeit beider Maßstäbe376, obgleich es doch letztlich einen Zusammenhang mit dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) anerkennt. Nicht anders hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden, wenn er einerseits vom „Verbot des Übermaßes und der Unzumutbarkeit" 377 , andererseits vom „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" 378 spricht. Schließlich sei eine instruktive Entscheidung des OVG Lüneburg aus dem Jahre 1975 379 angeführt, in der es um die Heranziehung eines Arztes zum Notfall- und Bereitschaftsdienst ging. Ausdrücklich hebt das Gericht hervor, daß der Arzt dann einen Anspruch auf Befreiung von der Notfalldienstpflicht habe, wenn „ihm diese persönlich nicht zuzumuten ist oder sie ihn unverhältnismäßig treffen würde". Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sieht das Gericht im konkreten Fall deshalb nicht als verletzt an, weil die öffentlichen Interessen an einer möglichst gleichen Heranziehung aller Ärzte und das Interesse der Allgemeinheit den privaten Belangen des Klägers vorgingen. Es handelt sich hier um einen klassischen Fall des Rechtsgütervergleichs. Völlig anders ist nach Auffassung des erkennenden Senats die Zumutbarkeitsprüfung konzipiert: Zunächst stellt das Gericht klar, daß „allgemeine Erwägungen zur Anwendung des subjektbezogenen 380 Wertungsmaßstabes der Zumutbarkeit zwängen". Sodann folgt eine abwägungsunabhängige, rein auf das Gewicht der individuellen Belastung ausgerichtete Argumentation, in der das Gericht

374 Beispielsweise BayVerfGHE NF 16 II (1963), 128 (133), wonach die auferlegte Beschränkung nicht das Maß des Zumutbaren überschreite, ebensowenig verstoße sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ähnlich BayVerfGHE NF 17 II (1964), 19, 26. Unklar und insoweit unergiebig ist allerdings, was der VGH Mannheim, DVB1. 1965, 607 (608) meint, wenn er von den „Grundsätzen der Notwendigkeit und der Zumutbarkeit" spricht. 375

BayObLG, DÖV 1963, 352 (353) = BayObLGSt 1962, 289 ff.

376

A.a.O., 352: „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit"; 353: „... im Rahmen des Verhältnismäßigen und Zumutbaren"; wenig später: „denn die Aufbürdung einer nahen Gefahr ... steht ... in keinem angemessenen (!) Verhältnis zu dem verfolgten Zweck ... Insoweit würde es sich auch um ein unzumutbares Verlangen handeln." (Hervorhebungen jeweils vom Verf.). 377

BayVerfGH, NJW 1983, 2871 r. Sp. oben. Ebenso schon BayVerfGH, DÖV 1965, 820 ff. (821 1. Sp. Mitte). 378

BayVerfGH, NJW 1983, 2871 (2872 1. Sp. oben).

379

OVG Lüneburg, NJW 1976, 385 (385 f.).

380

Hervorhebung vom Verf.

104

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

zahlreiche entlastende Gesichtspunkte ins Feld führt und so insgesamt zur Zumutbarkeit der Heranziehung zum Bereitschaftsdienst kommt. Die Rechtsprechung der Verwaltungsobergerichte kann dahingehend zusammengefaßt werden, daß in ihr weit klarer als in den Stellungnahmen des Bundesverwaltungsgerichts die Unterschiedlichkeit von Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und Zumutbarkeit zum Ausdruck kommt. Vereinzelt wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die generell-abstrakte Normebene beschränkt und hierin der entscheidende Unterschied zur Zumutbarkeit gesehen, die dann allein zur Erfassung des konkreten Einzelfalles herangezogen wird. Weit überwiegend wird aber der spezifisch subjektbezogene Charakter des Zumutbarkeitsmaßstabes betont und hieraus gefolgert, daß dieser einen anderen Blickwinkel habe als die Verhältnismäßigkeit, die einen spezifisch rechtsgüterbezogenen Maßstab enthalte. Einige obergerichtliche Entscheidungen gehen sogar soweit, der Zumutbarkeit jeden Abwägungscharakter abzusprechen, denn die Abwägung sei ausschließlich Merkmal der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei dieser Sichtweise bestimmt sich das Zumutbarkeitsurteil allein nach dem Gewicht und der Schwere des Eingriffs oder umgekehrt nach dem verbleibenden Rest-Freiheitsraum des Einzelnen. Die Zumutbarkeit rückt damit in die Nähe einer absoluten Belastungsgrenze. Die Betrachtungen zur Rolle des Zumutbarkeitsgedankens in der Verwaltungsrechtsprechung können nicht ohne einen Blick auf die Sozialgerichtsbarkeit abgeschlossen werden. Wie bereits oben angesprochen 381, eröffnet das Sozial(versicherungs-)recht ein breites Anwendungsfeld für den Zumutbarkeitsgedanken. Dies liegt zum einen daran, daß die „Zumutbarkeit" gerade hier ein vielfach gebrauchter Gesetzesbegriff 382 ist, zum anderen aber liegt es in der Natur dieses Rechtsbereiches, daß sich die Frage nach der persönlichindividuellen Situation hier besonders kraß stellt: Bei der Entscheidung etwa, ob eine Berufsunfähigkeitsrente zugebilligt wird oder ob dem Betroffenen die Annahme einer bestimmten Arbeit angesonnen werden kann, sind die individuell-persönlichen Belange des Einzelnen nicht akzidentiell, sozusagen „unter anderem" neben einer Vielzahl von Abwägungsbelangen berührt, seine höchstpersönlichen Verhältnisse stehen vielmehr im Zentrum aller Entscheidungssituationen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Zumutbarkeit bezieht sich - angesichts vielfacher gesetzlicher Zumutbarkeitsformulierungen - in erster Linie auf die spezifisch sozial(versicherungs-)rechtliche, einfachrechtliche Zumutbarkeit. Gerade am Paradebeispiel der Verweisung auf andere Arbeit zeigt sich aber, daß der Zumutbarkeitsmaßstab darüber hinaus eine verfassungsrechtliche Dimension besitzt: Die Zumutbarkeit als Grenze des 381

Vgl. S. 51 ff.

382

Vgl. nur § 43 Abs. 2 SGB VI, § 103 Abs. 1 und 2 AFG.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

105

sozialrechtlichen Versicherungsrisikos wird nämlich in besonderem Maße durch Art. 12 GG geprägt 383 , bei der Frage nach der räumlichen Verweisung besteht zusätzlich ein unmittelbarer Zusammenhang mit Art. 6 GG 3 8 4 und - unter dem Gesichtspunkt der Zumutung eines Umzuges bei Wohneigentum - Art. 14 GG 3 8 5 . Dieser Hintergrund rechtfertigt es, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Zumutbarkeitsmaßstabes zu berücksichtigen. Ausgangspunkt bei der Verweisung auf andere Arbeit ist die Problematik, ob, und wenn ja, bis zu welchem Grad ein Sozialversicherter bzw. Arbeitsloser bezogen auf seinen bisherigen Beruf einen beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich mit geringerwertiger Erwerbstätigkeit begnügen muß, bevor er eine Versicherungsleistung bzw. Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen kann. Diese anhand des Zumutbarkeitskriteriums zu beurteilende 386 Frage beantwortet das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung folgendermaßen: Zugemutet werden können dem Betroffenen alle von ihm - nach seinen gesundheitlichen Kräften und seinen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten - ausführbaren, auch „berufsfremden" Tätigkeiten, die nach ihrer im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung - Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufes im Betrieb - , also nach ihrer Qualität „dem bisherigen Beruf nicht fern stehen" 387 . Es gibt keinen Berufsschutz in dem Sinne, daß der Betroffene verlangen kann, ausschließlich in seinem erlernten, überwiegend oder zuletzt ausgeübten Beruf oder etwa nur innerhalb eines bestimmten Wirtschaftsbereichs tätig zu werden 388 . Zumutbar ist nach dem Bundessozialgericht auch ein gewisser beruflicher Abstieg, wenn er nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unvermeidlich ist 389 . 383 BSGE 44, 76; BSG, Breith. 1980, 147 (149); BSG, SozR 4100, § 119 Nr. 3, S. 13; SozR 4100, § 103 Nr. 6, S. 11; SozR 4100, § 119 Nr. 8, S. 41; Steinmeyer, in: Gagel, Kommentar zum AFG, § 103 Rn. 38; Gagel, BlStSozArbR 1980, S. 117 betont den besonderen verfassungsrechtlichen Hintergrund der Zumutbarkeit. 384

Steinmeyer, 1980, S. 116.

in: Gagel, Kommentar zum AFG, § 103 Rn. 46; Gagel, BlStSozArbR

385

Steinmeyer, in: Gagel, Kommentar zum AFG, § 103 Rn. 46.

386

§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI; § 103 Abs. 1, 2 AFG; vgl. i.ü. bereits oben S. 51 ff.

387

BSG, SozR 2200, § 1246 Nr. 144; BSGE 55, 45; 57, 291 (297 ff.); 66, 227. Nach BSG, NZA 1990, 454 können finanzielle Erwägungen nicht als Grund für die Ablehnung eines Arbeitsangebotes ins Feld geführt werden; entscheidend ist vielmehr die objektive Statusqualität einer Arbeit; vgl. BSGE 19, 57 ff.; 19, 219 f.; 24, 12; 38, 153 ff.; 44, 11 f.; 48, 203 f.; 51, 53; 54, 39 f.; 54, 183. 388 389

BSGE 44, 74.

BSG, SozR 4100, § 119 Nr. 3, S. 13; Nr. 4, S. 20; Nr. 9, S. 41 ff.; BSGE 69, 288; BSG, NZA 1991, 118.

106

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Bei dieser Zumutbarkeitsrechtsprechung fällt auf, daß keinerlei rechtsgüterbezogene Verhältnismäßigkeitserwägungen angestellt werden; auch der Terminus „Verhältnismäßigkeit" findet nirgends Verwendung. Der Prüfungsblickwinkel ist vielmehr ganz auf die Person des Betroffenen ausgerichtet 390: Entscheidend ist, ob der Versicherte bzw. Arbeitslose bei der Verweisung auf andere Arbeit in seiner ganz individuellen Situation 391 überfordert wird 3 9 2 . Die spezifische Zumutbarkeitsperspektive gewährleistet, daß die Belange des Betroffenen bei der konkreten Einzelfallentscheidung niemals vorschnell überspielt werden: „Die Unmöglichkeit der Unterbringung in eine dem Beruf entsprechende ... gleichwertige Tätigkeit bedeutet ... keinesfalls, daß der Arbeitnehmer ab sofort für alle unterhalb dieser Stufe 393 vorhandenen Arbeitsgelegenheiten in Betracht kommt. Vielmehr sind zunächst auf der nächstunteren Qualifikationsstufe ausreichende und angemessene Vermittlungsversuche zu unternehmen. Erst wenn trotz ernsthafter Bemühungen ... eine Unterbringung ... auch insoweit ... auszuschließen ist, kann an eine weitere Ausdehnung der Zumutbarkeitsgrenzen gedacht werden" 394 . Scharf konturiert zeigt sich hier ein personenbezogenes, individualschützendes Zumutbarkeitsverständnis, das sich kategorial von Verhältnismäßigkeitserwägungen unterscheidet: Auch wenn die im Spiele befindlichen Allgemeinwohlbelange (beispielsweise die Entlastung der Solidarkassen, der Aspekt einer möglichst praktikablen Arbeitsvermittlung) in eine konkrete Entscheidung eingehen395, werden die Bedürfnisse des Betroffenen konsequent und zu jeder Zeit voll in die Waagschale geworfen, ohne von vornherein relativiert zu sein 396 . Der Betroffene, der einen bestimmten sozialen Status397 erreicht hat und dessen Identität sich vielfach gerade nach dem bis-

390

So z.B. in BSGE 70, 183; BSG, NZA 1991, 118; ebenso Schulin, Sozialrecht, S. 232 Rn. 530. 391

So ausdrücklich BSGE 17, 195; Schulin, ebd., S. 232 Rn. 530.

392

BSGE 44, 75.

393

Anm. des Verf.: Das BSG hat für die Frage nach dem „zumutbaren sozialen Abstieg" ein Mehrstufenschema der Berufe entwickelt, nach dem sich die Verweisbarkeit richtet; vgl. nur BSG, NZA 1991, 118. Der Abstieg um eine Stufe wird dabei immer als zumutbar angesehen (Schulin, Sozialrecht, S. 233 Rn. 535). 394

BSGE 44, 79; auch BSGE 67, 138.

395

BSGE 67, 132.

396 So interpretiert auch Steinmeyer (in: Gagel, Kommentar zum AFG, § 103 Rn. 62 f., 65) - freilich ohne ausdrücklichen Vergleich mit der Verhältnismäßigkeitsperspektive - die Rechtsprechung des BSG. 397 Die Rechtsprechung des BSG zum Sozialprestige beruflicher Tätigkeit ist in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben und als unzeitgemäßes Standesdenken kritisiert worden. Vgl. hierzu Hummel-Liljegren, Zumutbare Arbeit, S. 88 ff.

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

107

herigen Arbeitsumfeld bestimmt 398 , soll diese Identität nicht ohne Not preisgeben müssen. Zwar ist in jedem Einzelfall irgendwann einmal der Punkt erreicht, wo auch die „Zumutung" eines beruflichen - und damit einhergehend, gesellschaftlichen - Abstiegs verlangt werden kann, dies aber nur unter ständiger und verständiger Würdigung seiner Interessen 399. Zusammenfassend läßt sich folgendes Fazit ziehen: In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verweisung auf andere Arbeit verwirklicht sich die Zumutbarkeitsperspektive in Reinform. Der Zumutbarkeitsmaßstab hat sich hier weitestgehend von der Verhältnismäßigkeitsperspektive emanzipiert.

c) Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der Literatur Betrachtet man die Vielschichtigkeit des Zumutbarkeitskriteriums, die sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der - allgemeinen und besonderen - Verwaltungsgerichtsbarkeit nachweisen läßt, so kann es nicht verwundern, daß das Verhältnis von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nicht einheitlich bewertet wird 4 0 0 . Die Stellungnahmen in der Literatur lassen sich grob in drei Lager einteilen. Auf der einen Seite ist die starke Gruppe derer zu finden, die - hierin der schon dargestellten (Teil-)Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend - „Zumutbarkeit" und „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" (Angemessenheit) gleichsetzen und auf diese Weise jeglichen sachlichen Unterschied zwischen beiden Maßstäben leugnen 401 . Ihrer Ansicht nach 398 BSGE 19, 219 betont, daß gerade die berufliche Situation der Person des Betroffenen ihr gesellschaftliches Gepräge gibt. 399

Die hierfür maßgebende Zumutbarkeitsprüfung wird in der Literatur z.T. in zwei Schritten vorgenommen: Zunächst wird festgestellt, ob ein Verweisungsberuf den Kräften und den Fähigkeiten des Betroffenen entspricht („objektive Zumutbarkeit"), sodann soll die Frage des sozialen Abstiegs mit Hilfe einer subjektiven Zumutbarkeitsprüfung entschieden werden (Schulin, Sozialrecht, S. 231 Rn. 528 f.). Die Unterscheidung in „subjektive" und „objektive" Zumutbarkeit ist irreführend, weil auch die Kräfte und Fähigkeiten des Einzelnen nur subjektiv beurteilt werden können. 400 — soweit überhaupt versucht wird, die Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit gegeneinander abzugrenzen. Symptomatisch hierfür Huber, ZSR NF 96 I (1977), S. 28: „Der Teilinhalt der Zumutbarkeit ist ein Grundsatz aus dem Umgelände der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne"; unentschieden auch Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 311. 401

Dieser Ansicht sind: Arndt, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 490 (Rn. 38); Badura, Staatsrecht, S. 85 Rn. 26; Bräutigam, in: FS für das Bundesverwaltungsgericht, S. 77 ff. (85); Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 9 ff. (13) mit einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Proportionalitätsgedanken; Gentz, NJW 1968, S. 1600 ff. (1603 1. Sp. mitte); Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (575); ders., DVB1. 1973, S. 675 (683); Kellner, zit. nach Becker, SchlHA 1978, S. 109 ff. (110); v. Münch, in: ders., GGKommentar, Vorb. zu Art. 1 - 1 9 Rn. 55; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im öffentli-

108

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

ist die Z w e c k - M i t t e l - A b w ä g u n g ,

die das Proportionalitätsurteil

auch notwendiger Bestandteil des Zumutbarkeitsgrundsatzes. verstandene Zumutbarkeit sei „ K e r n s t ü c k " der

bestimmt,

D e n n die so

Verhältnismäßigkeitsprüfung

i m engeren S i n n e 4 0 2 . A u f der anderen Seite finden sich die Stellungnahmen derer, die den Z u mutbarkeitsmaßstab v o m Verhältnismäßigkeitsmaßstab streng unterscheiden. N a c h dieser K o n z e p t i o n ist - w i e oben schon dargestellt - die Z u m u t b a r k e i t a p r i o r i keine verhältnismäßige, relative, sondern eine absolute Größe, weist also anders als die Verhältnismäßigkeit keinen K o n n e x zur A b w ä g u n g und Proportionalität a u f 4 0 3 . Schließlich w i r d zwischen diesen beiden Extremen auch eine M i t t e l m e i n u n g 4 0 4 vertreten, wonach sich Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit vonein-

chen Recht, S. 488; Ress, in: Kutscher, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 14; Schnapp, JuS 1983, S. 850 ff. (852 1. Sp. mitte); Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 ff. (454 f.) mit dem zweifelhaften Hinweis, daß ein in der Verfassungsgerichtsrechtsprechung zuweilen anklingendes anderes Zumutbarkeitsverständnis mit bloßen Formulierungsfehlern des Gerichtes zu erklären sei; Wellhöfer, Das Übermaßverbot im Verwaltungsrecht, S. 27 Fn. 2. In diesem Zusammenhang auch, allerdings vorsichtiger, Zimmerli, ZSR NF 97 II (1978), S. 17, 46 (ebd., S. 17: „So verstanden liegt es nahe, das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne an der Zumutbarkeit zu messen."). 402

Pernice , ebd., S. 488.

403

Dieser Konzeption folgend: Arzt, Die Zulässigkeit der Bedürfnisprüfung bei der Neuzulassung von Versicherungsunternehmen nach dem Grundgesetz, S. 34 ff. (36); Bilsdorfer,, Die Informationsquellen und -wege der Finanzverwaltung. Wege und Methoden der Auskunftserlangung im In- und Ausland zum Zwecke der Besteuerung, S. 79; Gern, DÖV 1986, S. 462 ff. (469); Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17 ff. (19); Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 41, 55 ff., der die Unterschiedlichkeit der Maßstäbe, insbesondere die Abwägungsunabhängigkeit des Zumutbarkeitsbegriffes scharf herausstellt; ders., DÖV 1974, S. 769 (770 f.); Niemann, Die Auslegung der Steuergesetze in Wissenschaft und Praxis, S. 27; Pesendorfer, ÖZÖR NF 28 (1977), S. 265 ff. (283); A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 140 ff. (141). In diesem Sinne kann auch Schlink (Abwägung und Verfassungsrecht, 1976, S. 77 f.) verstanden werden: „Unter dem Stichwort der Unzumutbarkeit schützt es (das BVerfG, d. Verf.) hier eine Position ... um ihrer selbst willen." Schlink spricht insoweit von einem Schutz der Mindestposition. Daß diese Mindestposition mit Hilfe einer absoluten Grenzziehung gefunden werden soll, deutet sich auf S. 78 unten an, wonach „das Bundesverfassungsgericht unter den Stichworten Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit ... immer noch nicht Abwägung i.S. eines vergleichenden Gewichtens ... betreibt"; weiter unten: „Die Vorstellung einer jedenfalls zu wahrenden Mindestposition wirkt dagegen starr". S.a. Spitaler, StbJb. 1961/62, S. 462 ff. (473 ff.); Söhn, in: Hübschmann /Hepp/Spitaler, AO, Stand Nov. 1991, § 88 Rn. 57 f.; § 90 Rn. 31, 33 f.; § 93 Rn. 66; § 97 Rn. 43; Tipke/Kruse, Steuerrecht, S. 559; Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, S. 100. 404

— die in zahlreichen Facetten vertreten wird, hier der Übersichtlichkeit halber aber zusammengefaßt werden soll. Zur Mittelmeinung gerechnet werden hier auch solche Stellungnahmen, die Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit zwar unterscheiden wollen, eine Antwort darauf, worin der Unterschied im einzelnen denn nun besteht, allerdings schuldig

I. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

109

ander zwar unterscheiden, die Trennungslinie aber nicht danach verläuft, wie sich beide Maßstäbe zur Frage der Abwägung verhalten. Nach der Mittelmeinung beurteilen Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit einen Sachverhalt unter verschiedenen Blickwinkeln, ohne daß nur die Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Abwägung zugänglich wäre. Vielmehr sei auch die Zumutbarkeitsprüfung nicht a priori abwägungsfeindlich 405.

bleiben: Brozat, DStR 1983, 76 (77 f.); Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 97 ff. (insb. 101: Es sei unbefriedigend, wenn neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ... offen ein Grundsatz der Zumutbarkeit herangezogen wird). Im Ergebnis überwiegt bei Hirschberg deutlich die Skepsis gegenüber einer eigenständigen Zumutbarkeitsprüfung. S.a. Fischer, Divergierende Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht, S. 63 f.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 149 f.; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16: Zusammenhang von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit; Leisner, Bayerisches Verwaltungsrecht in der Rechtsprechung, S. 26: Zumutbarkeit als spezielle Verhältnismäßigkeit; Mayer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 303, wonach die Zumutbarkeit als selbständiger Verfassungsgrundsatz zunehmend betont werde, sie sich teils aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebe, teils einen besonderen Anwendungsfall der Verhältnismäßigkeit darstelle; Paulick, Lehrbuch des Steuerrechts, Rn. 302, wonach bei der Ausübung des Ermessens die „Zumutbarkeit des Eingriffs und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit ... zu beachten sind"; Reuß, DVB1. 1961, S. 865 ff. (868 1. Sp. oben); Schuhmann, Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten, DStZ 1986, S. 583 ff. (585 r. Sp.); Steinberg, BB 1968, S. 433 (436): Das Verhältnismäßigkeitsgebot schließe die Frage nach der Zumutbarkeit ein; Steinhauer, Der Billigkeitsgedanke im modernen deutschen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung des Kirchensteuerrechts, S.79 f.; Sommer, DVB1. 1973, S. 481 ff. (482 r. Sp. mitte); Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, S. 205: „Auch die Zumutbarkeit kommt nicht ohne Bedeutungsermittlung aus, ... worin der Konnex zu Übermaßverbot und Proportionalität zum Ausdruck kommt." 405 So beispielsweise (der Mittelmeinung folgend): Geddert-Steinacher, ebd., S. 149 f.: Es handele sich bei der Zumutbarkeit um eine neue, eigenständige (!) Abwägung mit anderen Rechtsgütern. (Hervorhebung vom Verf.); Herrler, Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden, S. 217 f.: Die Zumutbarkeit bilde zwar eine spezifisch adressatenbezogene Schranke, dem Zweck-Mittel-Verhältnis komme aber auch im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung Bedeutung zu; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 88 ff.; ders., DVB1. 1985, S. 97 ff. (99 f.). F. Kirchhof, Grundriß des Abgabenrechts, Rn. 35 (jeweils mit Verweis auf Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik); ders., Tätigkeitsfelder der Deutschen Bundespost, S. 106 f. Fn. 282; ders., Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, S. 63; Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 315 ff. (321 ff.: Mit der Verhältnismäßigkeit ließen sich nicht alle grundrechtlich relevanten Sachverhaltskonstellationen befriedigend erfassen); Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, S. 533 ff. (540: „Individuelle Zumutbarkeit der Berufslenkung läßt sich also mit einiger Sicherheit ausloten, obschon auch hier noch Raum für weitere Abwägung verbleibt"); Selmer, AöR 101 (1976), S. 399 ff. (415 f.); ders., Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 89: In der Zumutbarkeitsprüfung fließen, ohne schon per definitionem durch den Blick auf die im Spiele befindlichen Gemeinwohlinteressen relativiert zu werden, alle Umstände zusammen, die für die subjektive Erträglichkeit der Belastung aufseiten der Betroffenen von Bedeutung sind. Unklar S. Weber, Die Mitwirkungspflichten nach der AO, S. 66, der die Frage nach der Zumutbarkeit als rechtstaatlicher Begrenzung öffentlicher Pflichten außer Streit sieht, eine Abgrenzung vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz letztlich aber für entbehrlich hält, weil man um eine Abwägung nicht herumkomme (ebd., S. 67 f.).

110

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

II. Konzeption und Funktion eines selbständigen Zumutbarkeitsgrundsatzes 1. Zumutbarkeit und Abwägung im Verfassungsrecht Die Gegenüberstellung von „Verhältnismäßigkeit" und „Zumutbarkeit" im Lichte der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur hat kein einheitliches Bild ergeben. Es hat sich gezeigt, daß das Verhältnis beider Begriffe zueinander noch weitgehend ungeklärt ist. Auch die Stimmen im Schrifttum, die der Zumutbarkeit einen eigenen Anwendungsbereich neben der Verhältnismäßigkeit zuerkennen wollen, sind bisher den Nachweis dafür schuldig geblieben, worin der Unterschied beider Maßstäbe denn nun genau besteht, insbesondere, welche spezifischen Fallgruppen jeweils erfaßt werden. Bei der Analyse der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung hat sich ebenfalls gezeigt, daß Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit nicht sauber auseinandergehalten, aber auch nicht konsequent gleichgesetzt werden. Cum grano salis läßt sich deshalb sagen, daß insbesondere die Verwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht der Zumutbarkeit einen erkennbar eigenständigen Anwendungsbereich neben der Verhältnismäßigkeit zuerkennen wollen. Griffige Grenzen wurden jedoch auch von der Rechtsprechung nicht aufgezeigt. Erschwert werden die Abgrenzungsbemühungen zum Teil dadurch, daß unter dem Dach eines eigenständigen Zumutbarkeitsbegriffes wieder verschiedene, sich zum Teil widersprechende Zumutbarkeitskonzeptionen vertreten werden. Verläuft die Trennungslinie zuweilen parallel zu der Frage: Abwägung ja oder nein, so soll es nach anderer Auffassung auf das Begriffspaar generellabstrakte Norm bzw. individuell-konkreter Einzelfall ankommen. Im folgenden Teil der Untersuchung soll deshalb versucht werden, die Zumutbarkeit als selbständigen Verfassungsgrundsatz neben der Verhältnismäßigkeit zu etablieren und eine faßbare Grenzziehung aufzuzeigen. Hierbei kann zunächst auf die Ausführungen zum allgemeinen Rechtsbegriff der Zumutbarkeit zurückgegriffen werden, die oben bereits „vor die Klammer gezogen" wurden. Der Zumutbarkeitstopos stellt danach einen subjektbezogenen Maßstab dar, dessen Grenzen sich nicht absolut bestimmen lassen. Die Erwägungen, die dort gegen die Vorstellung einer allgemeinen, absoluten Opfergrenze angeführt wurden, gelten nicht anders auch für den Verfassungsmaßstab der Zumutbarkeit. Ist der Zumutbarkeitsmaßstab danach nicht generell abwägungsfeindlich, erscheint damit bereits jetzt klar, daß die Frage der Abwägungsoffenheit als Trennungslinie zwischen Zumutbarkeit auf der einen und Verhältnismäßigkeit auf der anderen Seite nicht - jedenfalls nicht ausschließlich - herangezogen werden kann.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

111

Dies ist mißlich, hätte mit dem Begriffspaar Abwägungsoffenheit/ Abwägungsfeindlichkeit doch eine glasklare und sofort erkennbare Abgrenzungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden. Die Grenze zwischen dem Zumutbarkeits- und dem Verhältnismäßigkeitsmaßstab muß also innerhalb des Abwägungsmodells gefunden werden. Insoweit lautet die im folgenden zu verifizierende These: Nicht überall, wo abgewogen wird, handelt es sich um Anwendungsfälle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Zur Illustration ist es unumgänglich, Begriff und Wesen der Abwägung näher zu beleuchten.

2. Die Güterabwägung im Verfassungsrecht a) Begriff und Anwendungsbereich Die „Abwägung" als juristische Methode fragt allgemein formuliert danach, ob die Relation zweier oder mehrerer Vergleichsobjekte nach den Grundsätzen der Rechts- und Sittenordnung vertretbar ist oder nicht, indem sie jeweils Rangverhältnisse herstellt. Als auf Kompromiß angelegtes Konfliktlösungsmodell ist sie weit verbreitet und spielt in nahezu allen Rechtsbereichen eine Rolle. Das Strafrecht kennt die „Güter- und Pflichtenabwägung" 406 ebenso wie das Zivilrecht, wo sie im Gewände der „Interessenabwägung" in Erscheinung tritt 407 . Im Verfassungsrecht ist die Güterabwägung seit dem Lüth-Urteil 408 methodisch fest verankert. „Güter", „Rechtsgüter" und „Interessen" sind dabei die Kategorien, um deren Beurteilung es geht. Am einfachsten nähert man sich der Abwägungsmethode über diese Begriffe. Hierbei fällt auf, daß in Literatur und Schrifttum zwar häufig von „Abwägung" die Rede ist, eine genauere Kenntnis dessen, was jeweils abgewogen wird, dabei aber oftmals als nebensächlich erscheint. Schlinks über 200seitige Abhandlung zur Abwägung im Verfassungsrecht kommt etwa ohne näheres Eingehen auf den Begriff des „Interesses" oder des „Rechtsgutes" aus. Deshalb soll versucht werden, diese Begriffe klarer zu fassen: Der Begriff des Interesses ist vielschichtig. Treffend hat dies Welzel 409 formuliert: „Die Bezeichnung ,Interesse4 ist auch sprachlich der ärgste Pro-

406 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 145 oben unter Rückgriff auf die Entscheidung RGSt 61, 242 (254) zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs bei medizinischer Indikation. 407 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85 ff.; ders., in: FS für Schnorr v. Carolsfeld, S. 173 ff.; Larenz, in: FS für Klingmüller, S. 235 ff. 408

BVerfGE 7, 198 ff.

409

ZStrW 58 (1939), S. 509.

112

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

teus und vermag wie kein anderes Wort begrifflich über alles einen Schleier des Halbdunkels zu legen, der umso gefährlicher ist, als er nicht ganz verdunkelt, sondern scheinbar die Dinge zu unterscheiden zuläßt." So richtig dies sein mag, wird man trotz des sprachlichen Handicaps an ihm festhalten müssen. Hier zeigt sich der komplette Sieg der Interessenjurisprudenz (über die Begriffsjurisprudenz), deren bleibendes Verdienst es ist, die Rechtspraxis aus dem starren Begriffsschema befreit und den Blick auf die das Rechtsleben beherrschenden Kräfte und Quellen freigelegt zu haben 410 . Bei diesen Kräften und Quellen handelt es sich um nichts anderes als um materielle und ideelle Bedürfnisse, mithin um Interessen. Als Gegenstände des realen Seins können Interessen sich auf materiehafte Erscheinungen jeder natürlichen oder künstlichen Art richten, beispielsweise Lebewesen, Sachen, aber auch Realakte wie Handlungen. Als Gegenstände des idealen Seins kommen Abstraktionen materiehafter Erscheinungsformen in Betracht wie Eigenschaften von Lebewesen, Sachen und Handlungen sowie Sinnzusammenhänge und Zwecke 411 . Die realen und idealen Güter sind Gegenstände des Begehrens, denen der Interessent einen bestimmten Wert beimißt, um sie erlangen, nutzen oder besitzen zu können. Zu unterscheiden sind solchermaßen verstandene Interessen von anderen Gütern, die dem Interessenten nicht als erstrebenswert erscheinen, die deshalb nicht von seinem subjektiven Begehren umfaßt sind. Die spezifische Abwägungsproblematik wird dann relevant, wenn sich das Begehren mehrerer auf ein und dasselbe Interesse und dasselbe Gut richtet oder sich dieses nicht auf mehrere Interessenten aufteilen läßt. Der Interessen- und Güterkollision wird man zunächst, allerdings in beschränktem Maße, dadurch Rechnung tragen können, daß man den Begriff des Interesses (auch um dadurch Welzels Bedenken - jedenfalls teilweise zu entkräften) „entsubjektiviert", indem man nicht alle Interessen als abwägungsrelevant betrachtet, sondern nur solche, die auch rechtlich schutzwürdig sind. Die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit oder die rechtliche Anerkennung eines Gutes ergibt sich in erster Linie aus der Rechtsordnung und deren Wertungsmuster. Aus bloßen Interessen und Gütern werden dadurch schutzwürdige Interessen oder Rechtsgüter. Die Begriffe „Interesse" und „Gut" sind dabei aufeinander bezogen, denn ein Gut ist der verdinglichte Endpunkt eines Interesses: „Interesse" bedeutet Anteilnahme an der Realisierung eines Gutes, „rechtlich schutzwürdiges (oder geschütztes) Interesse" bedeutet Anteilnahme an der Realisierung eines Rechtsgutes. Das spezifisch „rechtliche" zeigt sich dabei darin, daß die Realisierung von der Rechtsordnung anerkannt oder doch zumindest gebilligt wird.

4,0

Hubmann, AcP 155 (1956), S. 85 ff. (90).

411

Gern, DÖV 1986, S. 462 ff. (465).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

113

Damit ist der Bogen geschlagen: Betrachtet man den Staat nicht als Selbstzweck 412 , sondern betont man seine Ausrichtung auf den Dienst am Menschen und seiner Würde 413 , so ist Art. 1 Abs. 1 GG als Staatsfundamentalnorm der Prototyp eines idealen Rechtsgutes, aus dem sich die Grundrechte als schon beträchtlich konkretere Verbürgung der von Art. 1 GG propagierten Sichtweise ableiten lassen. Die Grundrechte sind damit wegen ihrer Bezogenheit auf den Menschen Rechtsgüter 414, allerdings steht es dem Gesetzgeber frei, die hinter diesen stehenden Grundwerte zu diversifizieren und jeweils zu einfachgesetzlichen Schutzgütern zu erklären 415 . Denn letztlich führt diese unterverfassungsrechtliche Diversifizierung zu einem Ausbau des Rechtsgüterschutzes; das rechtlich geschützte Interesse wird nämlich konkreter und faßbarer 416. Ist der Staat in seiner Bürgerbezogenheit selbst ein oberstes Rechtsgut, so leuchtet ein, daß auch die „öffentlichen Interessen" Rechtsgüter sind, wenn sie nur wiederum mittelbar auf den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit ausgerichtet sind. Darauf hat besonders Martens hingeweisen417. Solche überindividuellen Rechtgüter sind etwa die „verfassungsmäßige Ordnung" 418 , die „freiheitlich-demokratische Grundordnung" 419 , das „Wohl der Allgemeinheit", die „öffentliche Sicherheit und Ordnung", die „Seuchengefahr" und der „Jugendschutz" 420 . Um abwägungsrelevante Rechtsgüter handelt es sich deshalb bei „mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechts werten" 421 sowie bei Rechts werten, die - als unterverfassungsrechtliche Rechtsgüter - zumindest aus der Verfassung ableitbar sind 422 . 412 Darauf, daß die „eigenen" Interessen und Zwecke des Staates stets auf Interessen und Zwecke von Menschen zurückgeführt werden müssen, weist besonders Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 182, hin. 413

Nipperdey,

in: Bettermann,

Die Grundrechte I V / 2 , S. 1; Maihofer,

Würde des Men-

schen I, S. 32. 4,4

Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 190 oben.

415

H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 128.

416

Zur differenzierenden Auslegung öffentlicher Interessen vgl. Martens, Öffentliches Interesse, S. 197, 199. 4,7

Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 182, 185.

418

H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 130.

419

BVerfGE 2, 1 (12 f.).

420

Zum ganzen ausführlich H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 128 ff. 421

BVerfGE 28, 243 (261).

422

H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 127 f. (131 f.): „Andere als in der Verfassung verankerte oder daraus abzuleitende Rechtsgüter gibt es 8 Albrccht

114

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

b) Die Methode der Abwägung Der Begriff „Abwägen" erinnert zunächst an das Bild der Balkenwaage, auf deren Waagschalen das abzuwägende Material zunächst in Vergleich zu bringen und deren schwerer wiegenden, sich senkenden Seite das sich schließlich durchsetzende Interesse zu entnehmen ist. So einfach und handhabbar diese natürliche Vorstellung sein mag, so untauglich ist sie für den juristischen Abwägungsprozeß. Denn wir haben es hier - und insoweit täuscht das Bild der Waage - nicht mit im eigentlichen Sinne meßbaren Vergleichsobjekten zu tun, die sich mathematisch erfassen ließen, indem man sie zu einem gleichartigen tertium comparationis in Beziehung setzt 423 . Die Abwägungsobjekte sind vielmehr Ergebnis juristischer Bewertungen und enthalten insoweit Unwägbarkeiten im wörtlichsten Sinne, auch folgt die Bewertung selbst nicht einer allgemeingültigen Eigengesetzlichkeit, sondern ist oft genug vom konkret zu beurteilenden Einzelfall abhängig. Mit dieser entscheidenden Einschränkung läßt sich der Abwägungsvorgang durchaus als eine „Gewichtung" einzelner Belange im Verhältnis zueinander umschreiben, wenn man nur anerkennt, daß die Gewichtung selbst nicht Ergebnis eines bloß mechanischen Ablesevorgangs, sondern Resultat einer selbständigen Bewertung ist. Hauptschwierigkeit dieser Gewichtung ist damit das Auffinden eines Vergleichsmaßstabs für die zueinander in Beziehung zu setzenden Vergleichsobjekte. ( 1) Nichtrechtliche

Maßstäbe

Bei allen Unsicherheiten über den richtigen Abwägungsmaßstab scheint doch sicher zu sein, daß es sich jedenfalls um einen rechtlichen Maßstab handeln muß, denn eine rechtsmaßstabslose Abwägung würde einer ungehemmten „Versubjektivierung" des Abwägungsvorganges und damit der Willkür Tür und Tor öffnen 424 . Das bedeutet, daß überpositive, insbesondere ethische Gesichtspunkte als Maßstab ausscheiden müssen, denn sie lassen sich nicht aus der Rechtsordnung ableiten und setzen subjektive Anschauungen an die Stelle rechtlicher Erwägungen, ohne doch deren normative Verbindlichkeit oder Akzeptanz zu erreichen. Deshalb sind auch solche außerrechtlichen Prinzipien nicht erfaßt, derer sich die Rechtsprechung zuweilen bedient, um eine bestimmte Argumentation oder ein bestimmtes Ergebnis plausibel zu machen, nicht." Das Aufstellen verfassungswidriger politischer Zielvorstellungen wie etwa der „Diktatur des Proletariats" führt nicht zu einem Rechtsgut, weil diese Zielsetzung nicht der Würde und Freiheit des Menschen dient und (folglich) auch nicht Inhalt der Verfassung ist. 423 Dies ist auch der Haupteinwand gegen Hubmanns Versuch (in: FS für Schnorr v. Carolsfeld), den Abwägungsvorgang mathematisch auszudrücken und so stringenter zu machen. 424

Ebenso Gern, DÖV 1986, S. 466.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

115

wie etwa: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil" 4 2 5 und: „Wie Du mir, so ich Dir" 4 2 6 . Solche Prinzipien mögen im Einzelfall geeignet sein, ein als gerecht empfundenes Ergebnis zu untermauern und zu rechtfertigen, allgemein dürfen sie jedoch nicht anerkannt werden, will man den Rechtsfrieden nicht ernsthaft gefährden und die oben angesprochene Gefahr der Versubjektivierung des Abwägungsvorganges nicht fördern.

(2) Rechtliche Vorgaben als Maßstab Mit der Beschränkung des Abwägungsmaßstabs auf Rechtsnormen oder wenigstens Rechtsprinzipien stellt sich die weiterführende Frage, inwiefern nun gerade die Rechtsordnung eine Gewichtung zuläßt. Die Tatsache, daß sie eine solche zuläßt, dürfte unbestritten sein, wenn man sich vor Augen führt, daß nicht alle Rechtswerte denselben Achtungsanspruch innehaben, also durchaus Rangunterschiede bestehen. Unmittelbar einleuchtend ist die Feststellung, daß etwa das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einen ungleich höheren Rang einnimmt als etwa das Gewinnerzielungsinteresse eines Gewerbetreibenden. Eine andere Frage ist es allerdings, ob dies unbedingt gilt.

(a) Die Vorstellung einer unverrückbaren Werteordnung In der Tat könnte man die Meinung vertreten, es existierte eine unverrückbare, in sich geschlossene Werteordnung der einzelnen Rechtswerte, anhand derer man die Rangverhältnisse der im Einzelfall kollidierenden Rechtsgüter einfach ablesen könnte. In diesem Sinne könnte man von Arnim 4 2 7 verstehen, der in seiner Staatslehre immer wieder auf Begriffe wie „letzte Werte" und „Grundwerte" rekurriert. In dieselbe Richtung weist Krieles Idee vom „fundamentaleren Interesse", das sich bei der Güterabwägung jeweils durchsetze 428 . In seiner Untersuchung zum Verhältnismäßigkeitsgebot hat Dechsling 429 jedoch überzeugend nachgewiesen, daß die zugegebenermaßen verlockende Vorstellung einer unverrückbaren Werteordnung bereits an methodischen, jedenfalls aber an praktischen Schwierigkeiten scheitert 430. Nach einer Analy425

Larenz, Methodenlehre, S. 394 unter Verweis auf BVerfGE 12, 113 (126 ff., 130); ebenso Gern, ebd. 426

8*

Larenz, in: FS für Klingmüller, S. 245; ebenso Gern, ebd.

427

Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 127 ff.

428

Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 217 (235 ff.).

429

Das Verhältnismäßigkeitsgebot, 1989.

430

Dechsling, ebd., S. 23.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

se der einschlägigen Literatur kommt Dechsling vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, daß auch die Autoren, die Begriffe wie „Grundnormen", „Fundamentalnormen" und „letzte Werte" propagieren, letztlich keine definitive Rangfolgenaussage wagen, einer unverrückbaren Werteordnung 431 also im Ergebnis eine Absage erteilen. Dieses Ergebnis ist insofern auch nicht überraschend, als man sich eine übergreifende Wertrangordnung nur mit einiger Phantasie vorstellen könnte: Jeder einzelne Rechts- und Verfassungswert müßte in einem Stufenbau der Rechtswerte seinen ihm angestammten Platz einnehmen können. Dieser Platz könnte schlechterdings nicht relativiert werden durch irgendwelche Einzelfallerwägungen; vollends ausgeschlossen wäre es, aufgrund besonderer Umstände von der Rangordnung des Stufenbaues abzuweichen. Oft genug bereitet schon die Feststellung einer bestimmten Rangordnung erhebliche Schwierigkeiten: Kollidiert etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Recht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG, so ließe sich zunächst ein Vorrang des Persönlichkeitsrechts dadurch postulieren, daß man dessen spezifischen Konnex zur Menschenwürde nach Art. 1 GG herausstellt und auf das Menschenbild des Grundgesetzes verweist. Andererseits erscheint diese Argumentation weniger zwingend, wenn man die für die „freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierende Bedeutung" 432 der Meinungsfreiheit dagegenhält. Doch selbst wenn man zu einer bestimmten Rangaussage kommen könnte, wäre doch die Vorstellung weltfremd, diese Rangaussage könnte in jedem Falle ohne Relativierung durchgehalten werden. Gerade bei einer Kollision von allgemeinem Persönlichkeitsrecht einerseits und Art. 5 Abs. 1 GG andererseits wird die Vorrangentscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhängen: Hat sich der in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte in die Öffentlichkeit begeben? Ist er „nur" in seiner Privatsphäre oder bereits in seiner Intimsphäre verletzt? Andererseits: In welchem Rahmen hat der Angreifer gehandelt, handelt es sich um eine wahlkampfbedingte Schlammschlacht oder um eine private Fehde? Angesichts solcher Differenzierungserfordernisse erscheint die Vorstellung einer absoluten Werterangordnung unhaltbar: Oft genug ist es schlechterdings unmöglich, Rangverhältnisse überhaupt festzustellen. Selbst wenn man die Abwägung in ein solches Korsett abstrakter Rangwerte einzwänge, würde es sich bei dieser Werteordnung um eine „Mammutkonstruktion" handeln, deren Praktikabilität mehr als zweifelhaft ist.

431 Dechsling spricht ebd. in der Terminologie Alexys von der „Existenz einer harten Ordnung". 432

BVerfGE 12, 113 (125).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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(b) Relative Werteordnung: Güterabwägung aufgrund widerlegbarer, typisierter Rangaussagen Ist die Vorstellung einer verbindlichen Werteordnung unhaltbar, so darf daraus jedoch nicht der Schluß gezogen werden, abstrakte Rangaussagen zwischen kollidierenden Rechtswerten seien generell nicht möglich. Denn es ist nicht zu verkennen, daß die Rechtsordnung selbst von einer Rangbildung ausgeht: Von einer funktionierenden Rechtsordnung wird gerade erwartet, daß sie konfligierende Rechtsgüter „einander zuordnet". Eine solche Zuordnung ist schlechterdings nur unter Rückgriff auf Rangaussagen möglich 433 . Allgemein gesprochen läßt sich zwischen den Rechtsgütern „Leben", „körperliche Unversehrtheit", und „Vermögenswerte" ein absteigendes Rangverhältnis feststellen. Insoweit sind also sehr wohl abstrakte Rangaussagen434 möglich, die allerdings nicht unbedingte Allgemeinverbindlichkeit im Sinne genereller Unumstößlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Nun ist es allerdings klar, daß mit der vorgenannten absteigenden Linie noch nicht allzuviel gewonnen ist, denn in den wenigsten Fällen ist die Rangfolge evident. Die Problemfälle liegen auf ganz anderer Ebene, so etwa, wenn das Rechtsgut des Funktionierens einer geordneten Verwaltung mit dem Rechtsgut der Meinungsfreiheit kollidiert 435 . Rangaussagen lassen sich in diesem Fall nicht unmittelbar der Verfassung oder der Rechtsordnung entnehmen, sie werden von Literatur und Rechtsprechung im Wege der Verfassungsinterpretation und -ausformung entwickelt, so daß im Laufe der Zeit sogenannte „prima-faciePräferenzen" entstehen, die sich dann in eine „prima-facie-Ordnung" fügen. Charakteristisch ist, daß es sich hier im Sinne Alexys um eine „weiche Ordnung", d.h. um eine solche handelt, die für die konkrete Fallentscheidung zwar als Richtpunkt dient, nicht aber (im Sinne einer absoluten Werteordnung) eigentlich verbindlich ist. Die Güterabwägung folgt damit einem Typisierungs- und Verifikationsmodell: Rangaussagen lassen sich in bezug auf jede Einzelfallentscheidung treffen. In einer Zusammenschau aller einschlägi433 Ebenso H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 154; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 105. 434 Die Unterscheidung von abstrakten und konkreten Rangaussagen geht auf H. Schneider zurück, der in seiner empirischen Studie die „Güterabwägungen des BVerfG bei Grundrechtskonflikten" zum ersten Mal genauer untersucht hat. Die Güterabwägung kann danach einphasig und zweiphasig stattfinden: Bei der zweiphasigen Güterabwägung werden die Rechtsgüter zunächst auf abstrakter Ebene miteinander verglichen und Rangverhältnisse aufgebaut, sodann werden in einer weiteren, konkreten Abwägung besondere Umstände des Einzelfalls in die Gesamtabwägung miteinbezogen. Um eine lediglich einphasige Güterabwägung handelt es sich dann, wenn nur Teilaspekte verschiedener Rechtsgüter miteinander verglichen werden und deshalb abstrakte Rangaussagen nicht getroffen werden können. Hier wird die konkrete Güterabwägung anhand von „Vorabaussagen genereller Natur" vorgenommen, die eine eigentlich abstrakte Rangbildung ersetzen sollen. 435

So etwa in BVerfGE 28, 191; 198, 200.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

gen Rechtswerte lassen sich Rangaussagen in der Weise typisieren, daß beim Vorliegen bestimmter Sachverhaltskonstellationen typischerweise eine bestimmte Vorzugstendenz Platz greift, für die eine empirisch begründete Vermutung streitet 436 . Die Relativität der Rangaussagen kommt bei diesem Modell insbesondere dadurch zum Ausdruck, daß die festgestellten Typizitäten nicht unbesehen für jeden Einzelfall übernommen werden, sondern fortwährend der Rechtfertigung bedürfen. Wie diese Rechtfertigung im einzelnen vonstatten geht, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht beleuchtet werden, insoweit sei auf die Arbeiten Alexys 437 und Dechslings 438 verwiesen, denen zufolge bestimmte Rangaussagen durch „Argumentationslastregeln" gerechtfertigt werden können. c) Das „Maß" der Abgewogenheit Nach dem Typisierungs- und Verifikationsmodell läßt sich erklären, daß Rangaussagen und Rangverhältnisse bestimmt werden können, obwohl eine verbindliche Werteordnung nicht existiert. Es verdeutlicht, daß sich Rangaussagen nicht im Rahmen eines werthierarchisch geschlossenen Systems treffen lassen, vielmehr nur funktional in einen Ordnungszusammenhang gebracht werden können. Die Frage, wie verschiedene Rechtsgüter einander zugeordnet werden können, läßt sich mit diesem Modell allein noch nicht befriedigend erklären. Grundlegend für das „Wie" der Zuordnung ist die mittlerweile wohl unstreitige Erkenntnis, daß die Rechtsordnung auf Optimierung kollidierender Rechtsgüter angelegt ist 439 . Zwar ist es theoretisch denkbar und im Einzelfall möglich, daß ein Rechtswert zugunsten eines anderen vollständig verdrängt wird, dennoch orientiert sich die Wertabwägung im Grundsatz nicht an einem Entweder-Oder, sondern an einem Sowohl-Als auch, mit anderen Worten geht es bei der Abwägung ihrem Wesen nach um die Herstellung praktischer Konkordanz 440 . 436

Hierzu näher Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 26 ff.

437

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 517.

438

Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, Fn. 366.

439

Vgl. nur Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649; Scheuner, DÖV 1971, S. 505 (509); Schnapp, JuS 1978, S. 729 (734); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 72; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 576 ff.; Zippelius, Staatslehre, S. 214; Hain, DVB1. 1993, S. 982 (983). Ebenso BVerfG, DVB1. 1993, 498 (500 1. Sp.). 440

Dies verkennt Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72, wenn er eine „vorschnelle Güterabwägung" oder eine „abstrakte Wertabwägung" in Gegensatz zum Prinzip der praktischen Konkordanz bringt. Andererseits konzediert Hesse, ebd., S. 27 Fn. 31 (unter Hinweis auf Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Absatz 2 GG, S. 32), daß ein anders verstandenes Güterabwägungsprinzip dem Prinzip der praktischen Konkordanz nahekomme. Wie hier Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 83 ff.; Hotz, Zur Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, S. 46 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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Das bedeutet für die Güterabwägung, daß auch das (nach dem Typisierungs- und Verifikationsmodell) nachrangige Rechtsgut nicht vollständig preisgegeben werden darf, sondern - wenngleich unter Berücksichtigung der gefundenen Rangaussage - zu möglichst optimaler Wirksamkeit gelangen muß 441 . Inwieweit das solchermaßen nachrangige Rechtsgut zurückweichen muß, bestimmt sich nach Maßstäben, die außerhalb der betreffenden Kollisionsnormen zu finden sind 442 .

(I) Art. 3 GG und der allgemeine Gleichheitssatz Eine Güterabwägung ist rechtswidrig, wenn zwar formal „gewogen" wird, die abzuwägenden Rechtsgüter einander aber (im Hinblick auf das Abwägungsergebnis) gleichheitswidrig zugeordnet sind. Nach einer allgemein verbreiteten Formel ist der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz dann verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich und umgekehrt wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird. Eine weitergehendere Konkretisierung erscheint unmöglich, weil sich die jeweils gleichheitsrelevanten Kriterien stets nur im Blick auf den Einzelfall bestimmen lassen443. Ein ebenso formales Verständnis hat sich bisher in der Rechtsprechung gezeigt, wonach der Gleichheitssatz dann verletzt ist, wenn „ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund (für die Ungleichbehandlung, d. Verf.) sich nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich erscheinen muß" 444 . Das Bundesverfassungsgericht hat die Willkürgrenze demnach negativ nach dem Ausschlußprinzip bestimmt. In neuerer Zeit deutet sich in der Rechtsprechung des Gerichtes zwar keine Kehrtwende, aber doch eine Akzentverschiebung an. Denn zunehmend versucht das Gericht, die Willkürgrenze positiv danach zu bestimmen445, ob bestimmte Differenzierungen sachlich gerechtfertigt sind, ob die Unterschiede von solchem Gewicht sind, daß sie eine Ungleichbehandlung zu tragen vermögen 446. Diese sog. „Neue For-

441 Daß die Güterabwägung das Prinzip der praktischen Konkordanz einschließt, hat insbesondere Rubel, Planungsermessen, S. 101 ff. nachgewiesen. 442

Gern, D Ö V 1986, S. 467.

443

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 171 Rn. 438.

444

St. Rspr. seit BVerfGE 1, 14 (52); aus neuerer Zeit vgl. nur BVerfGE 76, 256 (329).

445

Benachteiligungen müssen etwa dann hingenommen werden, wenn die Härte gering ist und nur eine kleine Anzahl von Personen trifft; vgl. BVerfGE 71, 39 (50); 79, 87 (100). 446

Vgl. BVerfGE 55, 72 (88).

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

mei" des Bundesverfassungsgerichts 447 geht für die Gleichheitsprüfung deutlich über das bloße Willkürverbot hinaus. Denn es genügt nicht mehr, zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Sachverhalte auf den einen oder anderen bestehenden Differenzierungsgrund hinzuweisen 448 , vielmehr muß der Differenzierunggrund seiner Art und seinem Gewicht nach dazu geeignet sein, unterschiedliche Rechtsfolgen gerade aus dem entscheidungserheblichen Sachverhalt heraus zu legitimieren. Die frühere, rein formale Willkürgrenze verdichtet sich damit in der neueren Verfassungsrechtsprechung zunehmend zu einer inhaltlichen Prüfung willkürfreier Differenzierungsmerkmale auf ihre Sachgerechtigkeit hin 4 4 9 . Die Güterabwägung hat sich am so verstandenen Gleichheitssatz auszurichten. Gleichheitswidrig ist die Güterabwägung etwa dann, wenn keine aus der Sache, dem Lebenssachverhalt heraus sich ergebende, einleuchtende, mit den Mitteln des Verstandes und der Logik erfaßbare Bewertung stattfindet 450. Entscheidend kommt es hierbei auf das Kriterium der Systemgerechtigkeit an: Steht die gesetzliche Bestimmung, um deren Beurteilung es geht, in einem inneren Widerspruch zu der Gesamtkonzeption des Regelungssystems, dem sie angehört, so ist in aller Regel, d.h., wenn sich nicht einleuchtende Differenzierungskriterien finden lassen, der Gleichheitssatz verletzt 451 .

(2) Der Maßstab der Erforderlichkeit Der Maßstab der Erforderlichkeit wurde oben bereits beschrieben, so daß insoweit auf diese Ausführungen verwiesen werden kann. Als umfassendes Rechtsprinzip des „schonendsten Eingriffs" beeinflußt er die Güterabwägung, indem er das Abwägungsergebnis, d.h. die funktionale Zuordnung von Rechtsgütern zueinander determiniert. Geht es bei der Güterabwägung typischerweise darum, ein Rechtsgut zugunsten eines anderen zurückzusetzen, so sind dieser Zurücksetzung doch Grenzen gezogen: Das nachrangige Rechtsgut darf nicht stärker zurückgesetzt werden als dies zur Verwirklichung des

447 BVerfGE 55, 72 (88); 60, 123 (133); 65, 104 (112 f.); 65, 377 (384); 66, 234 (242); 67, 231 (236); 73, 301 (321); 74, 203 (217); 75, 78 (105). Vgl. hierzu Herzog, StbJb. 1985/86, S. 34 ff.; Robbers, DÖV 1988, S. 751; Maaß, NVwZ 1988, S. 14 ff. 448 Auf die „laxe" Handhabung des Gleichheitssatzes in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weist besonders Wendt, NVwZ 1988, S. 779 hin: Zur Not habe das Gericht den Sachverhalt so lange in einen größeren Zusammenhang gestellt, bis sich willkürfreie Differenzierungskriterien gefunden hätten (ebd., S. 780 1. Sp.). 449

BVerfG, NJW 1994, 1466 links; Wendt, Der Gleichheitssatz, S. 781.

450

Gern, D Ö V 1986, S. 468 1. Sp.

451

Vgl. BVerfGE 59, 36 (49).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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vorrangigen Rechtsgutes unbedingt erforderlich ist 452 . Letztlich folgt diese Überlegung aus dem Prinzip der praktischen Konkordanz. Denn das darin enthaltene Optimierungsgebot zugunsten aller beteiligten Rechtsgüter verbietet es, ein Rechtsgut zugunsten eines anderen stärker als unbedingt nötig zurückzudrängen. Ist es andererseits möglich, dem Vorrangrechtsgut zur Durchsetzung zu verhelfen, ohne daß das nachrangige Rechtsgut im angestrebten Maße zurückgedrängt werden muß, so ist ein abgewogenes Ergebnis nicht erreicht, die Abwägung letztlich rechtswidrig erfolgt.

(3) Die Maßstäbe der Angemessenheit und der Zumutbarkeit Des klareren Verständnisses wegen wurde die Frage nach der Güterabwägung und den „Abgewogenheitsmaßstäben" bisher aufgeworfen, ohne einen spezifischen Konnex zum Zumutbarkeitsmaßstab herzustellen. Dies soll im folgenden nachgeholt werden. Dabei geht es um den Versuch, den Maßstab der Zumutbarkeit in die Reihe der (verfassungsrechtlichen) „Abgewogenheitsmaßstäbe" einzuordnen. Wie bereits oben aufgezeigt wurde, macht in diesem Zusammenhang immer wieder die Abgrenzung von Zumutbarkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) Schwierigkeiten. Aus diesem Grunde wird im folgenden das Verhältnis beider Gesichtspunkte zueinander näher beleuchtet; dabei sollen beide Maßstäbe gegeneinander abgegrenzt werden.

3. Angemessenheit und Zumutbarkeit als Abgewogenheitsmaßstäbe a) Grundsätzliches Geht man davon aus - wie oben dargelegt - , daß die Zumutbarkeit per se genommen nicht abwägungsfeindlich ist, so lautet die im folgenden zu verifizierende These: Nicht überall, wo herkömmlicherweise im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewogen wird, handelt es sich um Anwendungsfälle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Andererseits ist aber nur eine dem Zumutbarkeitsverdikt nicht widersprechende Entscheidung eine solche, die in der richtigen Art und Weise abgewogen wurde: Nur ein dem Betroffenen zumutbares Ergebnis ist demnach ein „abgewogenes" Ergebnis. Angemessenheit und Zumutbarkeit haben gleichermaßen die Eigenschaft eines „Gradmessers" für die Abgewogenheit einer Entscheidung. Die Abgewogenheit wird jedoch unter jeweils unterschiedli-

452

Gern, DÖV 1986, S. 468.

122

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

chen Aspekten untersucht, mit anderen Worten unterscheiden sich Zumutbarkeit und Angemessenheit dadurch, daß der Blickwinkel, unter dem die zu beurteilende Rechtsfrage betrachtet wird, jeweils verschieden ist. Die Unterschiedlichkeit beider Maßstäbe läßt sich im wesentlichen auf zwei Überlegungen stützen: aa) Hinsichtlich ihres Schutzzwecks, ihrer Schutztendenz haben Zumutbarkeits- und Verhältnismäßigkeitsmaßstab eine jeweils unterschiedliche Perspektive. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung fragt nach dem Verhältnis von Zweck und Mittel, und zwar immer im Hinblick auf die konkret oder abstrakt betroffenen Rechtsgüter. Die Prüfung ist insoweit nicht auf die Person des Betroffenen, sondern auf die Frage nach der Eingriffsrelation fixiert. Entscheidend ist zunächst, daß sich Zweck und Mittel in einem angemessenen Verhältnis befinden. Wird dies in einer abstrakten Prüfung bejaht, so kann das gefundene Ergebnis allerdings auf konkreter Prüfungsebene im Blick auf die einzelfallbezogene Rechtsgüterzuordnung korrigiert werden, wenn der Einzelfall dies erfordert. Die Zumutbarkeitsprüfung geht demgegenüber von anderen Prämissen aus, denn sie fragt nicht danach, ob die Eingriffsrelation bestimmten Anforderungen der Angemessenheit genügt 453 . Die Zumutbarkeit hat nicht Mittel und Zweck, sondern allein die Person des Betroffenen im Blick. Aus dessen Perspektive wird zunächst die ihm auferlegte Pflicht gewertet. Ohne Berücksichtigung der Kategorien „Zweck" und „Mittel" ist erst einmal entscheidend, ob die Pflicht als solche den Pflichtigen in eine unzumutbare Zwangssituation geraten läßt. Bei der Zumutbarkeitsprüfung geht es einerseits darum, die Eigenständigkeit der Persönlichkeit 454 zu wahren, andererseits um die Geltendmachung besonderer persönlicher Zwangslagen und Härtegründe 455. Mit Hilfe der Zumutbarkeitsformel werden Motivationslagen, Wert- und Ordnungsvorstellungen, Zwangslagen und Handlungsmaßstäbe des Betroffenen zur Geltung gebracht, die von der Verhältnismäßigkeitsprüfung perspektivisch gar nicht intendiert sind, weil dort der Blick allein auf die Zweck-Mittel-Relation gerichtet ist; ein Blick, der die Sphäre des Betroffenen allenfalls am Rande streift. So verstanden darf man die Zumutbarkeitsprüfung aber nicht im Sinne einer absoluten Opfergrenze mißverstehen. Gerade angesichts grundsätzlicher Abwägungsoffenheit ist nicht zu verkennen, daß das Zumutbarkeitsurteil von 453

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 322.

454

Ossenbühl, ebd.

455

Zur Härteausgleichsfunktion der Zumutbarkeitsformel vgl. exemplarisch für den Bereich des Wehrpflichtrechts H. Bräutigam, in: FS aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, S. 77 ff. (86, 88).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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Art und Gewicht des hinter der Pflichtenauferlegung stehenden Rechtsgutes beeinflußt wird, daß also die unzumutbare Zwangssituation des Betroffenen durchaus nicht isoliert betrachtet werden darf 456 . Es sind, wie noch zu zeigen sein wird, Fälle denkbar, in denen das Zumutbarkeitsurteil im Hinblick auf das überragende öffentliche Interesse an der Durchsetzung der an sich unzumutbaren Pflicht relativiert wird. Nur darf dies nicht den Blick dafür verstellen, daß die staatliche Pflichtenauferlegung bei der Verhältnismäßigkeitsund Zumutbarkeitsprüfung aus einer jeweils völlig verschiedenen Richtung beleuchtet wird, wenn sich auch beide Maßstäbe in Randbereichen berühren: so etwa, wenn das Ergebnis einer Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf in der Person des Betroffenen liegende Belange, andererseits das Ergebnis einer Zumutbarkeitsprüfung im Hinblick auf Art und Gewicht der beteiligten Rechtsgüter korrigiert wird. Allein aus der Tatsache, daß Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung zusammenfallen und zum selben Ergebnis führen können, darf nicht der Schluß gezogen werden, man habe es mit einem bloß terminologischen Unterschied zu tun. Es bleibt eine prinzipielle Differenz in der perspektivischen Ausrichtung: Die Angemessenheit fragt nach dem Verhältnis der staatlichen Pflichtenauferlegung (des „Mittels") zum staatlich protegierten Rechtsgut (als Zweckelement). Die Zumutbarkeit betrachtet das Verhältnis einer staatlichen Pflicht im Hinblick auf die Person des Betroffenen. Gemeinsam ist beiden Prüfungsmaßstäben, daß sie letztlich eine Relation beurteilen, mit anderen Worten also in beiden Fällen quantitative Erwägungen im Vordergrund stehen: Die Frage, ob eine staatliche Pflichtenauferlegung angemessen und zumutbar ist, entscheidet sich im einen wie im anderen Fall jeweils nach dem Gewicht der im Spiele befindlichen und akut betroffenen Interessen, nur eben mit unterschiedlichen Perspektiven. So gesehen kann man, was die Zumutbarkeitsprüfung angeht, von einer quantitativen Zumutbarkeitskomponente sprechen. bb) Beide Maßstäbe unterscheiden sich aber nicht nur perspektivisch im Hinblick auf die jeweils verfolgte Schutztendenz; es gibt darüber hinaus auch Fälle, in denen der Blick auf die Eingriffsrelation von Zweck und Mittel zu kurz greift, weil sich die Fallproblematik mit den Kategorien „Zweck" und „Mittel" nicht im Kern erfassen läßt. Die Angemessenheitsprüfung geht hier ins Leere, nicht aber die Zumutbarkeitsprüfung, die ja - wie oben angesprochen - nach dem Zweck-Mittel-Verhältnis überhaupt nicht fragt und deshalb hier (!) der allein problemorientierte Prüfungsmaßstab ist. In den angesprochenen Fällen besteht zwischen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit ein prinzipieller Unterschied, der einen „Übergangsbereich", selbst eine Schnitt-

456

Dies verkennen die Verfechter einer absoluten Zumutbarkeitsgrenze.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

stelle beider Maßstäbe ausschließt. Man kann insoweit von einer prinzipiellen Zumutbarkeitskomponente sprechen. Als Beispiel sei hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kirchensteuerpflicht angeführt 457, das diesen prinzipiellen Unterschied deutlich macht. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt wurde ein erwerbstätiger Ehegatte, der selbst keiner kirchlichen Gemeinschaft angehörte, allein deshalb zur Kirchensteuerpflicht herangezogen, weil sein nichterwerbstätiger Ehegatte Mitglied einer Kirche war. Das Bundesverfassungsgericht hat bei dieser Sachverhaltskonstellation zu Recht allein mit dem Topos der Zumutbarkeit argumentiert und keinerlei Angemessenheitserwägungen angestellt. Denn für letztere bestand kein Anlaß. Die Problematik des Falles liegt ja nicht in der quantitativen Frage, ob dem Betroffenen etwa ein „Zuviel" auferlegt worden wäre, ob also die Höhe der konkreten Kirchensteuer nicht angemessen war. Vielmehr geht es um das logisch vorrangige prinzipielle Bedenken, ob dem nicht der Kirche angehörigen Ehegatten überhaupt angesonnen werden kann, eine Körperschaft zu finanzieren, der er nicht angehört, mit der ihn selbst nichts verbindet, deren Lehrinhalte er vielleicht sogar ablehnt 458 . Hinsichtlich dieses prinzipiellen Elementes fehlt der Angemessenheitsprüfung von vorneherein die „Problemlösungskompetenz", denn eine isoliert quantitative Betrachtung, die dem Angemessenheitskriterium per definitionem eignet, verstellt den Blick auf das eigentlich Problematische. Es geht hier um ein typisches Zumutbarkeitsproblem, weil die Frage der Kirchensteuerpflicht von nichtkirchlich Gebundenen die Einzelpersönlichkeit in ihren privatesten Anschauungen, Meinungen und Wertvorstellungen anspricht, also einen Bereich berührt, in dem Eingriffe einer besonders sorgfältigen Rechtfertigung bedürfen.

457 BVerfGE 19, 226 ff. Das Urteil kann als Paradefall prinzipieller Zumutbarkeitserwägungen gelten, obgleich der zugrundeliegende Sachverhalt in dieser Form heute nicht mehr aktuell ist: Die Entscheidung hat den Gesetzgeber zu einem grundsätzlichen Revirement des Kirchensteuerwesens veranlaßt. Danach gilt der sog. Halbteilungsgrundsatz (wonach bei glaubensverschiedenen Ehegatten die an jede Kirche zu zahlende Kirchensteuer jeweils nach der Hälfte der gemeinsamen Einkommensteuer der Ehegatten berechnet wird) nicht, wenn lediglich ein Ehepartner kirchensteuerpflichtig ist. In diesem Fall bestimmt sich die Höhe seiner Kirchensteuer nach dem Teil der gemeinsamen Einkommensteuer beider Ehegatten, der nach Maßgabe seiner Einkünfte auf ihn fällt. Basis für die Bemessung der Kirchensteuer ist damit allein die Quote des kirchenangehörigen Ehegatten; vgl. Meyer, ZevKR 27 (1982), S. 171 ff. 458 Ebenso Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 323. Hiergegen wenig überzeugend Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 11 ff., der die Unterscheidung einer quantitativen und prinzipiellen Betrachtung mit dem Argument ablehnt, letztlich handele es sich in jedem Fall um ein Bewertungsproblem, dessen Schwierigkeit ohne weiteres zuzugeben sei.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

125

Im Unterschied zur quantitativen Zumutbarkeitskomponente (vgl. oben aa)) zeigt sich hier ein ausgesprochen prinzipielles Element in der Zumutbarkeitskonzeption, mit anderen Worten geht es hier nicht um die Beurteilung einer irgendwie gearteten Relation, vielmehr steht eine „an-sich-Betrachtung" im Vordergrund. Die staatliche Pflichtenauferlegung wird für sich genommen untersucht, ohne von vorneherein von rechtsgutabhängigen Verhältnismäßigkeitserwägungen relativiert zu sein. Auch die prinzipielle Zumutbarkeitskonzeption darf aber nicht verwechselt werden mit der Vorstellung von einer absoluten Opfergrenze, obgleich zugegeben sein mag, daß sich die prinzipielle Komponente in diese Richtung bewegt: Der Sache nach geht es bei dieser An-sich-Betrachtung nämlich nicht um die Festlegung einer von Raum, Zeit und Umständen losgelösten Erträglichkeitsgrenze, jenseits derer die Unzumutbarkeit einer Regelung immer bejaht werden müßte. Auch bei der prinzipiellen Betrachtungsweise wird stattdessen anerkannt, daß das Zumutbarkeitsurteil verschieden ausfallen kann, je nachdem, welche Interessen im Spiele sind. So könnte auch angesichts des entschiedenen Kirchensteuerfalles nicht der allgemeingültige Satz aufgestellt werden, daß Unzumutbarkeit immer dann gegeben sei, wenn der Bürger zur Finanzierung von Gemeinschaften herangezogen wird, denen er selbst nicht angehört. In anderen Urteilen zur Frage der Fremdfinanzierung 459 hat das Bundesverfassungsgericht dann auch anders entschieden, weil sich dort Rechtfertigungsgründe finden ließen, die im vorliegenden Kirchensteuerfall fehlten 460 . Dies zeigt, daß auch die prinzipielle Zumutbarkeitskomponente von der Art der auferlegten Lasten und dem Umfeld der staatlich protegierten Rechtsgüter beeinflußt wird. Daß sich in dem konkret entschiedenen Kirchensteuerfall schwerlich Gesichtspunkte finden lassen, die die Unzumutbarkeit der Kirchensteuerpflicht nichtkirchlich gebundener steuerpflichtiger Ehegatten entfallen ließen, ändert hieran nichts. Denn die von vorneherein bestehende (und insofern absolute) Unzumutbarkeit fußt hier gerade auf dem besonderen Umstand, daß auf den Beschwerdeführer in einem grundrechtssensiblen Bereich rechtlicher Zwang ausgeübt wurde und andererseits keinerlei Verantwortlichkeitsbeziehung zwischen der Person des Pflichtigen und der finanzierten Glaubensgemeinschaft festgestellt werden konnte. Es fehlte damit gerade an solchen Umständen, die eine andere Beurteilung der Dinge hätten rechtfertigen können.

459 Dazu s. ausführlich unten S. 171 ff., insb. S. 178 ff.; s.a. BVerfGE 75, 108 (158) Künstlersozialabgabe; 77, 84 (115 oben) - Arbeitnehmerüberlassung; 77, 288 (337) - Arbeitnehmerweiterbildung. 460

So explizit BVerfGE 19, 226 (239 unten).

126

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

b) Die Zumutbarkeit bei (teil-)rechtsfähigen Gebilden Bereits der unter a) gegebene einführende Blick auf quantitative und prinzipielle Zumutbarkeitskomponenten läßt erkennen, daß es - im Unterschied zur Verhältnismäßigkeit - perspektivisch und thematisch jeweils um die Eigenständigkeit und Identität der Persönlichkeit, die subjektiv-individuelle Erträglichkeit staatlicher Pflichten im Sinne einer personenbezogenen Beurteilung individueller Zwangssituationen geht. Bevor die Wirkungsweise quantitativer und prinzipieller Zumutbarkeitsgrenzen unter c), d) und e) im einzelnen aufgezeigt wird, erhebt sich die grundsätzliche Frage, ob und gegebenenfalls wie diese Grenze bei (teil-)rechtsfähigen Gebilden eingreifen kann. Führt man sich vor Augen, daß auch (teil-)rechtsfähige Gebilde, insbesondere juristische Personen, als Rechtsgüterträger in einer „Betroffenensituation" stehen können, so folgt hieraus, daß die Verhältnismäßigkeitsperspektive ihre spezifisch rechtsgüterorientierte Wirkung entfalten kann. Bei der personenorientierten Zumutbarkeitsperspektive, die oft genug gerade höchstpevsönliche, identitätswahrende Aspekte zur Geltung bringt, leuchtet dies nicht unmittelbar ein. Begreift man die Zumutbarkeit als einzelfallorientierte, persönliche Erträglichkeitsgrenze, so liegen die Schwierigkeiten weniger im Merkmal der „Einzelfallbezogenheit", problematisch erscheint vielmehr der Bezug zur „Persönlichkeit". (Teil-)rechtsfähige Gebilde mögen unter Umständen zwar juristische Personen sein, haben jedoch keine (menschliche) Persönlichkeit 461, deren Identität und Charakter durch Zumutbarkeitsüberlegungen gewahrt werden könnte. Im folgenden ist deshalb näher zu untersuchen, ob der Zumutbarkeitsgedanke hier ins Leere läuft oder gegebenenfalls einer modifizierten Anwendung bedarf. Die Anwendbarkeit des Zumutbarkeitsgedankens hängt eng zusammen mit dem Problem der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen. Auch dort geht es ja um die Frage, ob, inwieweit und in welcher Weise Personenvereinigungen hinsichtlich ihres Grundrechtsschutzes natürlichen Personen gleichzustellen sind. Die Überlegungen, die im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG angestellt werden, sind auch für die Zumutbarkeit relevant: Die Grundrechte und der Zumutbarkeitsgedanke treffen sich in dem Bemühen, die Freiheit des Einzelnen vor ungerechtfertigter staatlicher Belastung zu schützen462; dabei geht es jeweils um die ausgewogene Balance zwischen staatlichem Gestaltungs- bzw. Eingriffsanspruch einerseits und individuellem Verschonungsinteresse andererseits. Dieser Gleichklang rechtfertigt es, die Anwendbarkeit des Zumutbarkeitsgedankens auf Personenvereinigungen mit Blick auf den Rechtsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG zu beurteilen. 461

Jarass, NJW 1989, S. 860.

462

Dazu ausführlich unten S. 222 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

127

Inländische juristische Personen sind nach Art. 19 Abs. 3 GG dann grundrechtsfähig, wenn die Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf diese anwendbar sind. Durch den Verweis auf den Wesensbegriff wird die Problemlösung weit eher verdunkelt als erhellt, denn die Frage nach dem „Wesen der Grundrechte" bietet selbst wiederum genügend Anlaß zu schier unerschöpflicher Problematisierung 463 . Auf sicherem Terrain bewegt man sich wohl mit der Feststellung, daß Grundrechte wesensmäßig auf die Natur des Menschen zugeschnitten sind. Seine Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist Dreh- und Angelpunkt der Einzelgrundrechte 464. Hieraus ließe sich der Schluß ziehen, daß nicht-natürlichen, juristischen Personen Grundrechtsfähigkeit nur dann zuerkannt werden kann, wenn „deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der durchgriff' auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt" 465 . Diese „Durchgriffskonstruktion" wird jedoch der Rechtsnatur einer juristischen Person nicht gerecht 466. Sie mißachtet nämlich die Tatsache, daß (Teil-)Rechtsfähigkeit rechtliche Verselbständigung einer Organisation bedeutet, weshalb es gerade keines Durchgriffs auf die hinter ihr stehenden Mitglieder bedarf 467 . Dies ist trotz aller Unterschiede im einzelnen der Grundkonsens zahlreicher Theorien, die das Wesen juristischer Personen zu erklären versuchen 468. Die Durchgriffsvorstellung wird auch Art. 19 Abs. 3 GG nicht gerecht: Bereits die Existenz dieser Vorschrift und ihr Wortlaut („auch") zeigen, daß juristischen Personen eine echte Grundrechtse/genzuständigkeit zukommt 469 ; sie sind selbst Subjekt der Grundrechte 470 und 463

Dazu unten S. 222 ff.

464

Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 4. Dies ist auch die Position des BVerfG, NJW 1987, 2501f.; NJW 1990, 1783: „Grundrechte sind in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Demgemäß dienen sie vorrangig dem Schutz des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt." (Hervorhebungen vom Verf.) 465

So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur NJW 1990, 1783.

466

A.M. wohl Rüfiier,

AöR 89 (1964), S. 261 (286).

467

Jauernig, in: ders., BGB, vor § 21 Anm. 1; BGHZ 102 (103); kritisch zum Durchgriff aus zivilrechtlicher Sicht ausführlich Coing, NJW 1977, S. 1793 ff. (1797). 468 Den Streit im einzelnen darzustellen, ist hier unnötig und würde zu weit führen. Grundlegend stehen sich zwei Vostellungen gegenüber: Die Fiktionstheorie Friedrich Carl v. Savignys (System des heutigen römischen Rechts II, § 85, S. 236), nach der die juristische Person ein durch bloße Fiktion angenommenes Subjekt ist, welches bloß zu juristischen Zwecken vorgestellt wird, andererseits die Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit Otto v. Gierkes (Deutsches Genossenschaftsrecht, S. 865 ff., insb. S. 886: „lebendige Gesamtpersönlichkeit"), wonach juristische Personen einen wirklichen Gesamtwillen haben und insoweit wie natürliche Personen zu behandeln sind. 469

Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 12 f.

470

Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 3.

12

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

insoweit unabhängig von den hinter ihnen stehenden natürlichen Personen. Die Annahme, juristische Personen verfügten nur über „abgeleitete" Grundrechte, quasi als Treuhänder von Mitgliederrechten, greift deshalb zu kurz 471 . Sie ist aber auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil juristische Personen als solche, d.h. gerade aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit wie natürliche Personen in ein Spannungsverhältnis zum Staat geraten können 472 . Die insoweit vergleichbare „grundrechtstypische Gefährdungslage" ist auch und gerade bei solchen juristischen Personen möglich, die - wie etwa die Stiftung oder die Anstalt nur noch ein geringes personales Substrat aufweisen 473. Selbst bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist dies in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt: Sofern sie nicht spezifisch öffentliche Aufgaben erfüllen, sind juristische Personen des öffentlichen Rechts Grundrechtsträger, wenn die ihnen übertragenen Aufgaben unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören 474. Betont man die Subjekteigenschaft juristischer Personen und gesteht man ihnen wegen ihrer rechtlichen Verselbständigung Grundrechtse/genständigkeit zu, so läßt sich diese Überlegung auch für die Zumutbarkeitsproblematik fruchtbar machen: Die Anwendung des Zumutbarkeitsmaßstabes hängt davon ab, in welchem Maße juristischen Personen „Eigenwertigkeit" zukommt, die - ähnlich der menschlichen Persönlichkeit - den Gehalt einer spezifischen Verbandspersönlichkeit ausmacht. Existierte eine solche Verbandsidentität, so hätte man damit die subjektiv-persönliche Anknüpfung, die es für die Zumutbarkeitsprüfung braucht. Die Erkenntnis, daß juristische Personen eigene Rechte haben und deshalb etwas anderes sind als die Summe der hinter ihnen stehenden Individuen, rechtfertigt es, von einem „Eigenwert" der juristischen Person zu sprechen 475. Dieser Eigenwert ist zwar nicht, wie beim Menschen, angeboren und insofern absolut, sondern abhängig von rechtlichen Vorgaben, etwa dem Organi'sa471 Rüfiier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 31 f.; Isensee, a.a.O.; Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 12 f.; Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen, S. 26, 30. 472 Isensee, a.a.O., § 118 Rn. 8 ff.; Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 27. 473 Berksen, ebd., S. 11; kritisch zum Merkmal der Personennähe, jedoch in der Sache nicht anders, Isensee, a.a.O., § 118 Rn. 75. 474 BVerfGE 21, 362 (373); 31, 314 (322); 39, 302 (313). Anerkannt ist dies insbesondere für Kirchen (E 70, 138 [160 f.]), Rundfunkanstalten (E 59, 231 [254]) und Hochschulen (E 31, 314 [322]). Ebenso Seidl, in: FS für Zeidler, S. 1462. Nach Koppensteiner, NJW 1990, S. 3113 sind (erst recht) auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen grundrechtsfähig, selbst wenn sie Daseins Vorsorge und damit eine öffentliche Aufgabe betreiben. 475

Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 10, 24, 28.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

129

tionstypus 476 und der satzungsgemäßen Zweckbindung 477 . Die Tatsache, daß der Wirkungskreis der juristischen Person damit prinzipiell begrenzt ist, darf aber nicht den Blick dafür verstellen, daß sie innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens ein Eigenleben führen kann: Ihr Wirkungskreis ist zwar relativ, innerhalb dieser Relativität ist die juristische Person aber einer natürlichen gleichwertig. Exemplarisch zeigt sich dies etwa bei einem „Bekenntnisverein": Ist eine Religionsgesellschaft gesetzeskonform ins Leben gerufen worden und besitzt sie die Fähigkeit, einen eigenen Willen zu bilden, der nicht notwendigerweise identisch ist mit dem natürlichen Willen ihrer eigenen Mitglieder 478 , so kann auch sie sich auf ein so höchstpersönliches Grundrecht wie die Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 berufen 479, obwohl sie als nichtnatürliche Person kein eigenes Bekenntnis, kein Gewissen hat. Auch die juristische Person ist einer eigenen Identität fähig 480 : Es geht dabei selbstverständlich nicht um die Identität einer natürlichen Person, weshalb etwa die Menschenwürde und andere auf die menschliche Person abstellende Grundrechte bei juristischen Personen nicht identitätsbildend herangezogen werden können 481 . Es liegt aber eine durch das Medium des Rechts vermittelte verbandliche Identität vor, die der juristischen Person eine genuin eigene Rechtspersönlichkeit m verleiht. Ein in der Rechtsform der GmbH organisiertes Wirtschaftsunternehmen etwa kann unstreitig 483 unter dem Schutz der Art. 12 und 14 GG am Erwerbsleben teilnehmen und hat in dieser Eigenschaft ein Recht auf Wahrung seiner Interessen, auf Schutz seiner Privatheit, auf Willensbildung frei von Fremd- (Konkurrenz-)einflüssen 484. In der Verfolgung eigener (Verbands-)Zwecke liegt bei juristischen Personen die genuin eigenständige Raison d'etre 485 , die es für die Anwendbarkeit des Zumutbarkeits476

Deshalb lassen sich juristische Personen mit Isensee (in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 12) als „Zweckschöpfungen des Rechts" bezeichnen. 477

Isensee, a.a.O., § 118 Rn. 12.

478

Man denke nur an das Beispiel eines in der Mitgliederversammlung überstimmten Mitglieds. 479

Rüfner, AöR 89 (1964), S. 289 f.; ders., in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 40; BVerfGE 46, 73 (83). 480

Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 14.

481

So für die Menschenwürde Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 76. Unanwendbar sind auf juristische Personen weiterhin Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6, Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3, Art. 16, Art. 33; vgl. Rüfner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 37. 482

Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 20 spricht von „Eigenpersönlichkeit". 483

Vgl. nur Rüfner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 48, 52.

484

Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 14, 58.

485

Der Sache nach ebenso Berksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen,

S. 23. 9 Albrecht

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

gedankens braucht. Damit ist klar, daß sich die Identität eines Hundezüchtervereins anders darstellt als die eines hochdifferenzierten Wirtschaftsunternehmens. Die Beurteilung im einzelnen muß deshalb notwendigerweise von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängen. Generell läßt sich aber sagen: Die „Persönlichkeit" juristischer Personen entfaltet ihre Wirkung zwar - anders als bei natürlichen Personen - nicht schon per se, sondern erst aus dem Sozialbezug einer konkreten satzungsgemäßen Betätigung heraus; dies ändert aber nichts daran, daß es auch bei juristischen Personen persönlich-individuelle Belange gibt, die durch die Wirkungsperspektive des Zumutbarkeitsgedankens zur Geltung gebracht werden können: Ebenso wie natürliche können auch juristische Personen in eine Spannungslage zum staatlichen Ordnungsund Eingriffswillen geraten, der ihre Eigenpersönlichkeit, ihre Identität bedroht. Der Zumutbarkeitsgedanke kann deshalb bei juristischen Personen seine ihm eigene Fragestellung modifiziert je nach dem konkreten Existenzzweck verfolgen. Gesichtspunkte, die eine natürliche Person voraussetzen, können selbstverständlich nicht herangezogen werden, wohl aber solche, die auf die Interessenverfolgung der juristischen Person abzielen und insoweit deren Eigen Wertigkeit ausmachen. Wenn bisher im Gegensatz zur natürlichen von „der" juristischen Person gesprochen wurde, so ist damit nicht nur die juristische Person im engeren Sinne gemeint, auch teilrechtsfähige Gebilde, wie etwa OHG und KG, sind hier mit umfaßt. Denn auch sie besitzen einen Eigenwert im Sinne einer eigenen Identität, die in ein Spannungsverhältnis zum staatlichen Eingriffsanspruch geraten kann 486 . Folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur (ausnahmsweisen) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, so gilt auch hier nichts anderes. Denn obwohl der Zumutbarkeitsgedanke den Freiheitsraum des Einzelnen im Blick hat und deshalb notwendigerweise eine antistaatliche Stoßrichtung besitzt 487 , kann er auch zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts herangezogen werden, wenn diese sich - ausnahmsweise - ebenfalls in einem „Außenrechtsverhältnis" zum Staat befinden. Die Zumutbarkeitsproblematik stellt sich aufgrund der gleichen Interessen- und Gefährdungslage in diesem Falle ebenso wie bei (teil-)rechtsfähigen Gebilden des Privatrechts. Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Zumutbarkeitsgedanke ist bei teilrechtsfähigen Gebilden und juristischen Personen modifiziert anwendbar: Je nachdem, was im Einzelfall den identitätsbildenden Eigenwert solcher Gebilde ausmacht, liegen zumutbarkeitsrelevante individuell-persönliche Belange vor. 486 Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen, S. 176 ff.; Derksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 27, 48; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 23. 487

Dies wurde bereits oben angedeutet; vgl. ausführlich unten S. 223 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

131

c) Die quantitative Zumutbarkeitskomponente In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes läßt sich die quantitative Zumutbarkeitskomponente hinreichend belegen. Gemeinsam ist all diesen Sachverhaltskonstellationen, daß es nicht um eine spezifische ZweckMittel-Betrachtung, sondern darum geht, angesichts der staatlich auferlegten Pflicht (-en) die Eigenständigkeit der Persönlichkeit bzw. besondere persönliche Zwangslagen und Härtegründe zur Geltung zu bringen. Hierher gehören zunächst die Fälle, in denen der Betroffene von Verfassungs wegen nicht gezwungen werden soll, bestimmte ethisch-moralische Wertvorstellungen und daraus entspringende Handlungsmaßstäbe aufzugeben; er soll weiterhin „er selbst" sein dürfen, ohne sich das Rückgrat verbiegen lassen zu müssen. Naturgemäß spielen Zumutbarkeitsgesichtspunkte deshalb besonders bei gewissens- und glaubensmotivierten Handlungen eine große Rolle. Paradefall in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung BVerfGE 23, 127 488 . Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer, Angehöriger der Glaubensgemeinschaft „Zeugen Jehovas", war zwar als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, trat jedoch auch seinen Zivildienst nicht an, weil er sich aufgrund seines Taufgelübdes an jeglicher Form von (im weitesten Sinne militärischer) Dienstleistung gehindert sah. Wegen der Ersatzdienstverweigerung wurde der Beschwerdeführer daraufhin vom Landgericht verurteilt, worauf er sich an das Bundesverfassungsgericht wandte. Das Gericht hielt zunächst an seinem bereits früher 489 aufgestellten Grundsatz fest, daß das Grundrecht der Gewissensfreiheit zur Verweigerung (auch) des zivilen Ersatzdienstes nicht berechtige. Dieser Grundsatz bedarf jedoch einer besonderen Zumutbarkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Eigenständigkeit der Persönlichkeit. Denn die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Ersatzdienstleistung ist dem Einzelnen unzumutbar, „wenn die besondere innere Situation eines den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas bei ihm zu einer Denkhaltung und Bewußtseinslage führen kann, die ihm ein gesetzmäßiges Verhalten innerlich unmöglich macht" 490 . Um eine typische Zumutbarkeitsprüfung handelt es sich hier deshalb, weil unter dem Aspekt der „übermäßigen Motivation" bzw. des „unüberwindlichen psychischen Zwanges" Belange berücksichtigt werden, die allein aus der Sphäre des Betroffenen stammen, ohne daß es zunächst auf andere Rechtsgüter ankäme. Infolge dieser Zumutbarkeitserwägungen ist es dem Staat verwehrt, den Pflichtigen in eine innerlich ausweglose Lage zu treiben, die ihn als Persönlichkeit mit Selbstachtung „brechen" würde.

9'

488

Vom 5.3.1968 - 1 BvR 579/76.

489

BVerfGE 19, 135 ff.

490

BVerfGE 23, 127 (133).

12

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Bemerkenswert ist, daß das Bundesverfassungsgericht die Zumutbarkeit hier nicht absolut feststellt 491 , vielmehr eine Abwägung vornimmt zwischen der „objektiven Bedeutung des Verhaltens des Ersatzdienstverweigerers für die Rechtsordnung insgesamt" und der „inneren Situation und Motivation" des Einzelnen. Trotz dieser Abwägung handelt es sich aber nicht um eine Angemessenheitsprüfung, denn es geht nicht um die Frage, ob dem staatlichen Interesse an der strafrechtlichen Durchsetzung der Zivildienstleistung der Vorrang gebührt vor dem persönlichen Interesse des Pflichtigen an seiner Verschonung. M.a.W., es geht nicht um die Eingriffsrelation von Opferwert und Zielwert. Das Gericht nimmt unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten 492 vielmehr die innere Zwangssituation des Beschwerdeführers zunächst isoliert in den Blick und stellt sodann die Frage nach deren Schutzwürdigkeit vor dem Hintergrund der Bedeutung des Verhaltens des Beschwerdeführers für die Errichtung des Ersatzdienstes und die Rechtsordnung insgesamt. Andere Rechtsgüter (hier: die Errichtung des Ersatzdienstes als funktionsfähige Institution) werden also bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht außer Betracht gelassen, spielen aber nicht für die Beurteilung der Eingriffsrelation, sondern für die Frage nach der Schutzwürdigkeit der Situation des Pflichtigen eine Rolle. Die persönliche Zwangssituation wird hier nicht von vornherein durch den Zusammenhang mit anderen (Ziel-)Rechtsgütern relativiert: Im Mittelpunkt steht immer die Situation des Pflichtigen, die dann erst in einem zweiten Schritt ins Verhältnis gesetzt wird zur Pflichtenauferlegung durch den Staat. Erscheint sie angesichts dieser „Umfeldbetrachtung" immer noch schutzwürdig, so ist die Zumutbarkeit des Angesonnenen zu verneinen. Im konkreten Fall ist das Bundesverfassungsgericht auch so verfahren. Denn entgegen seiner Ankündigung 493 hat das Gericht nicht die Eingriffsrelation von Zweck (Durchsetzung des staatlichen Anspruches auf Dienstleistung) und Mittel (strafrechtliche Sanktion) gewertet, sondern die staatliche Pflichtenauferlegung (die Einrichtung des Ersatzdienstes und die Heranziehung des Beschwerdeführers) im Hinblick auf die konkrete Situation des Betroffenen 494 . Abschließend wurde festgestellt, daß diese Zumutbarkeitserwägungen den staatlichen Sanktionen nach Umfang und Intensität Grenzen setzten, die sich daraus ergäben, daß die Substanz der Persönlichkeit nicht zerstört werden dürfe. Daraus wird deutlich, daß das Gericht nicht erst dann, wenn es im Hinblick auf die strafrechtliche Sanktion expressis verbis von

491 Das Gericht stellt zwar eine Grenze jedenfalls dort fest, wo die Substanz der Persönlichkeit zerstört wird, spricht aber (S. 135 unten) im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit selbst von einer möglicherweise „verschiedenen Relevanz". 492

Vgl. a.a.O., S. 134: „zumutbare Opfergrenze".

493

A.a.O., S. 133 unten.

494

A.a.O., S. 134 oben.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

133

„Zumutbarkeit" spricht, sondern bereits bei der Qualifizierung der inneren Zwangslage des Betroffenen eine typische Zumutbarkeitsprüfung anstellt. Als Gegenbeispiel zu BVerfGE 23, 127 mag die Entscheidung BVerfGE 28, 243 dienen. Dort ging es um die Dienstverweigerung von Bundeswehrsoldaten, deren Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bereits - allerdings noch nicht bestandskräftig - abgelehnt worden waren. Das Bundesverfassungsgericht hat hier eine individualbezogene Angemessenheitsprüfung angestellt, indem es das Verhältnis der betroffenen Rechtsgüter untersuchte: Einerseits das Interesse der Bundeswehr an einem ungestörten Dienstbetrieb und an der Sicherung des inneren Gefüges der Streitkräfte, andererseits das Interesse der Beschwerdeführer an der Durchsetzung ihrer Gewissensentscheidung. Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit hat das Gericht dann die Wehrdienstleistungspflicht als solche in den Blick genommen und für den Fall der Beschwerdeführer festgestellt, daß eine vorläufige Dienstleistung zumutbar sei, weil sie den Kern des Kriegsdienstverweigerungsrechts unberührt lasse und die Wehrdienstleistung darüber hinaus in Friedenszeiten auch „schonend" organisiert werden könne. Mit dieser Überlegung hat das Bundesverfassungsgericht - anders als noch in der Angemessenheitsprüfung - nicht auf die tangierten Rechtsgüter abgestellt, sondern das Verhältnis der Dienstleistung als solcher zu der persönlichen Situation der Betroffenen untersucht. Anders als in der Entscheidung E 23, 127 ging es hier aber nicht um eine „übermächtige Motivation" bzw. einen „unüberwindlichen psychischen Zwang" des Betroffenen im Hinblick auf eine Dienstleistung überhaupt, sondern um die Frage, ob es den Soldaten angesonnen werden könne, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer Wehrdienst leisten zu müssen. Eine besondere Gewissensnot im Sinne einer innerlich ausweglosen Lage war hier nicht geltend gemacht. Andererseits war die persönliche Situation der Betroffenen hier auch deshalb erleichtert, weil die (Wehr-) Dienstleistung ihrerseits sozusagen „entlastende Elemente" aufwies. Denn es handelte sich um eine bloß kurze Übergangszeit, außerdem waren die Betroffenen im Frieden nicht gezwungen, tatsächlich zu töten. All diese Zumutbarkeitsgesichtspunkte machten die Situation für die Beschwerdeführer erträglich und führten deshalb zur Zumutbarkeit der staatlichen Pflichtenauferlegung. Festzuhalten bleibt aber, daß das Bundesverfassungsgericht auch hier nicht Ziel- und Opferwert, sondern Pflichtleistung einerseits und höchstpersönliche Situation des Betroffenen andererseits verglichen hat. Dies ist eine erkennbar andere Perspektive. Auf derselben Linie wie die Entscheidung E 28, 243 liegt E 32, 40. Auch dort ging es um die nachträgliche Kriegsdienstverweigerung zweier Soldaten.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

In diesem Zusammenhang ist eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu nennen, die sog. Gerichtskreuzentscheidung 495, die sich ebenfalls mit einer unzumutbaren inneren Belastung des Betroffenen auseinandersetzte. Der Beschwerdeführer, ein jüdischer Rechtsanwalt, vertrat seine Mandantin in einem Lastenausgleichsverfahren vor dem Verwaltungsgericht. In der Verhandlung beanstandete er die Aufstellung eines Kruzifixes auf dem Richtertisch, weil er sich hierdurch - angesichts jahrhundertelanger Judenverfolgungen im Namen des Kreuzes - diskriminiert, provoziert und gedemütigt fühlte. Nachdem er sich vor dem Verwaltungsgericht erfolglos um eine Beseitigung des Kruzifixes bemüht hatte, erhob er Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Das Gericht gab der Verfassungsbeschwerde unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit statt. Interessant ist hierbei, daß die Frage nach der Angemessenheit der Gerichtskreuz-Praxis vom Gericht bewußt nicht aufgeworfen wurde, weil sich die Unzumutbarkeit bereits allein im Hinblick auf die konkrete Fallgestaltung bejahen ließ 496 . Aber auch eine konkrete (auf den Einzelfall bezogene) rechtsgüter- und interessenorientierte Angemessenheitsprüfung nimmt das Gericht nicht vor. Kein Wort findet sich zum Vergleich von Ziel- und Opferrechtsgütern und zu der Frage, ob nicht die Anbringung von Gerichtskreuzen auch im konkreten Fall durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden könnte. Stattdessen rekurriert das Gericht isoliert auf die besondere Gewissensnot des Betroffenen ohne Ansehung der anderen Rechtsgüter und stellt fest, daß allein der unausweichliche Zwang, entgegen der eigenen Überzeugung „unter dem Kreuz verhandeln zu müssen", in der Situation des Betroffenen eine unzumutbare innere Belastung darstelle. Das Bundesverfassungsgericht nahm hier das Grundrecht der Glaubensunü Gewissensfreiheit isoliert in den Blick 4 9 7 und kam zu dem Ergebnis, daß schon das Gewicht dieses Grundrechts in der Person des Betroffenen zur Unzumutbarkeit führe 498 . Man erkennt hier deutlich, daß der Maßstab der Angemessenheit die falsche Kategorie wäre, denn eine solch isolierte Sicht eignet allein der Zumutbarkeitsprüfung. Daß es sich aber auch hier nicht um eine absolut verstandene Zumutbarkeit handelt, deutet das Gericht selbst

495

BVerfGE 35, 366 f.

496

BVerfG, a.a.O., S. 375: Umfang und Tragweite einer solchen Prüfung (d.h. einer Rechts güterabwägung) stehen in keinem vertretbaren Verhältnis zu der Bedeutung des hier zu entscheidenden Falles, der sich unter Berücksichtigung seiner konkreten Gestaltung auch ohne solche Erörterung lösen läßt. 497

— ohne es durch den Konnex mit anderen Rechtsgütern zu relativieren, denn hierfür bestand kein Anlaß. 498 Weil im konkreten Fall die Gewissensfreiheit anderer (als Rechtsgut) nicht betroffen war, spielte auch dieser Kollisionsaspekt, der Teil der rechtsgüterbezogenen Angemessenheitsprüfung gewesen wäre, keine Rolle; vgl. a.a.O., S. 376 Mitte.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

13

an 499 : Wären andere Rechtsgüter, insbesondere die Glaubensfreiheit Dritter tangiert, so würde das (Un-)Zumutbarkeitsurteil anders ausfallen können, allerdings nicht müssen. In jedem Fall müßte die Zumutbarkeitsprüfung diese anderen Rechtsgüter in den Blick nehmen, jedoch mit der Besonderheit, daß die Belange des Betroffenen nicht von vorneherein relativiert werden. Eine typische Zumutbarkeitsprüfung enthält auch die Entscheidung E 32, 98. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um folgendes: Die Ehefrau des Beschwerdeführers, gläubige Christin und Angehörige einer strenggläubigen Religionsgemeinschaft, litt nach der Geburt ihres vierten Kindes unter akutem Blutmangel und lehnte es entgegen dem ärztlichen Rat ab, sich in eine Krankenhausbehandlung zu begeben, um dort eine Bluttransfusion vornehmen zu lassen. Unter Hinweis darauf, daß „alles in Gottes Hand liege", lehnte es auch der Beschwerdeführer ab, in diesem Sinne auf seine Frau einzuwirken. Daraufhin wurde er wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt. Das Bundesverfassungsgericht hob die Verurteilung auf, weil die Untergerichte die Austrahlungswirkung des Art. 4 GG bei der Auslegung und Anwendung des § 330c StGB (jetzt § 323c StGB) verkannt hätten. Dabei stellte das Gericht fest 500 , daß die allgemeine Rechtsordnung und das persönliche Glaubensgebot in Widerstreit geraten seien und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß bei einer Fallgestaltung, in der sich der Täter nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auflehne, die Kriminalstrafe keine adäquate501 Sanktion sei. Der Sache nach handelt es sich hierbei um eine Angemessenheitserwägung, gerichtet auf das Verhältnis der betroffenen Rechtsgüter zueinander. Das Gericht betrachtete dabei das Interesse an der Durchsetzung der staatlichen Rechtsordnung unter verschiedenen Aspekten und kam dabei zu dem Ergebnis, daß keine für dieses Rechtsgut streitende Überlegung, weder der Vergeltungsgedanke noch der Präventions- oder Resozialisierungsgedanke, an der Unangemessenheit der Kriminalstrafe etwas ändern könnten. Im unmittelbaren Anschluß hieran verwertet das Gericht einen völlig anderen Gedanken, nämlich den für die Zumutbarkeitsprüfung entscheidenden Gesichtspunkt der inneren Bedrängnis des Beschwerdeführers angesichts der staatlichen Pflichtenauferlegung. An dieser Stelle wechselt die Perspektive: Es geht jetzt nicht mehr um das Verhältnis abstrakt oder konkret (!) betroffener Rechtsgüter zueinander und auch nicht mehr darum, welche Überlegungen zugunsten des einen, welche zugunsten des anderen Rechtsguts ins Feld geführt werden könnten. Entscheidender Gesichtspunkt ist jetzt allein die Zwangslage des Betroffenen, der er sich ausgesetzt sähe, wenn er der staatlichen Pflichtenauferlegung nachge499

Vgl. a.a.O., S. 376 die ,jedenfalls"-Formulierung.

500

A.a.O., S. 109 Mitte.

501

D.h. angemessene (d. Verf.).

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

kommen wäre, beziehungsweise der er sich angesichts der Strafsanktion ausgesetzt sieht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner ,jedenfalls" 502 -Formulierung angedeutet, daß die Unangemessenheit der Unzumutbarkeit nicht gleichsteht. Denn es sind Situationen denkbar, in denen die bestehende Rechtspflicht (hier die des § 330c StGB a.F.) mit dem persönlichen Glaubensgebot des Art. 4 Abs. 1 GG kollidiert und hinter diesem zurückstehen muß, ohne daß dieser Konflikt zu einer unausweichlichen seelischen Bedrängnis in der Person des Betroffenen führt. In diesem Fall würde das unangemessene Verhältnis der im konkreten Fall betroffenen Rechtsgüter nicht mit einer unzumutbaren Zwangssituation aufseiten des Betroffenen einhergehen 503 . Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Bestrafung des Beschwerdeführers war unangemessen, weil bei ihm der Sinn des staatlichen Strafens unter keinem Gesichtspunkt greift, denn er lehnte sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die Rechtsordnung auf. Bei der Angemessenheitsprüfung gab dies den Ausschlag zuungunsten der auferlegten Hilfspflicht. Die Bestrafung des Beschwerdeführers war unzumutbar, weil die Pflichtenbefolgung ihn in eine unzumutbare innere Zwangsituation gebracht hätte und die strafrechtliche Sanktion diese Bedrängnis aufrechterhalten würde. „Unzumutbar" war die innere Zwangssituation, weil der Beschwerdeführer von Verfassungs wegen nicht gehalten war, seine Glaubensüberzeugung, der er sich im Sinne eines höheren Gebotes verpflichtet fühlte, hintanzustellen. Um das höchstpersönliche Glaubensgebot und die daraus abzuleitenden, schützenswerten Handlungsmaßstäbe des Einzelnen geht es auch in den von den Verwaltungsgerichten entschiedenen Schulsportfällen. Regelmäßig kamen die Gerichte unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit 504 zu dem Ergebnis, daß gläubige muslimische Mädchen aufgrund ihrer grundrechtlich geschützten Glaubenshaltung nicht gezwungen werden könnten, am allgemeinen Schulsport teilzunehmen. Rechtstechnisch lassen sich diese Fälle über eine einzelfallmotivierte Befreiung von der grundsätzlich angemessenen Verpflichtung zur Teilnahme am allgemeinen Schulsport verwirklichen. Entscheidend ist aber nach dieser Rechtsprechung, daß es den Gläubigen ernst ist mit ihrer 502 BVerfGE 32, 98 (109 Mitte): „Die sich aus Art. 4 Abs. 1 GG ergebende Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung in weitesten Grenzen zu respektieren, muß zu einem Zurückweichen des Strafrecht jedenfalls dann führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber die kriminelle Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, sich als eine übermäßige und daher seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde." (Hervorhebungen vom Verf.) 503

Zustimmend aus strafrechtlicher Sicht Roxin, in: FS für Maihofer, S. 411.

504

Z.B. OVG Lüneburg, NVwZ 1992, 79 (81 1. Sp. Mitte).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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Glaubensüberzeugung, d.h. völlig willkürliche, nur angeblich religiös gebotene Verhaltensweisen lassen die Zumutbarkeit der Teilnahme nicht entfallen 505 . Ein weiteres Beispiel für die Anwendung einer Zumutbarkeitsprüfung bildet das Eidesformel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 506. In dem zu entscheidenden Fall wurde ein evangelischer Pfarrer gemäß § 70 Abs. 1 StPO zu einem Ordnungsgeld verurteilt, weil er sich weigerte, in einem Strafverfahren den Zeugeneid zu leisten, nachdem er zunächst als Zeuge vernommen worden war. Der Beschwerdeführer machte geltend, daß ihm nach den Worten Christi in der Bergpredigt jedes Schwören versagt sei, also auch die Eidesleistung ohne religiöse Beteuerung. Das Bundesverfassungsgericht prüfte die Angemessenheit des staatlichen Eingriffes, indem es zunächst das Interesse des Staates an einer funktionstüchtigen Rechtspflege mit dem Grundrecht aus Art. 4 GG ins Verhältnis setzte. Dabei kam es sowohl in abstrakter wie auch konkreter Hinsicht zu dem Ergebnis, daß die staatlich auferlegte Zeugeneidespflicht nicht zu beanstanden sei 507 , auch nicht bei individueller Betrachtungsweise: Selbst für den Beschwerdeführer als evangelischen Pfarrer ist die Eidesleistung keine Pflicht, die bezogen auf seine Person zu einem unangemessenen Verhältnis der beteiligten Rechtsgüter führen würde 508 . Der Beschwerdeführer kann von der prinzipiell bestehenden Eidespflicht aber im Einzelfall (!) befreit werden, wenn ihm seine Glaubensüberzeugung die höchstpersönlich zu erfüllende Eidesleistung verbietet. Entscheidender Gesichtspunkt ist hier, daß die Eidesleistung für den Betroffenen zu einer Konfliktlage führen würde, der er nicht ausweichen kann. Dabei handelt es sich um eine typische, einzelfallorientierte Zumutbarkeitskonstellation: Die innere Zwangslage des Betroffenen zwingt dazu, dem in Konnex mit der Menschenwürde stehenden Grundrecht der Glaubensfreiheit in Abweichung vom an sich zwingenden Gesetzesrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Interessant ist hierbei, daß das Bundesverfassungsgericht, nachdem es seine Zumutbarkeitsüberlegungen angestellt hatte, unter dieser Perspektive noch einmal das beteiligte Zielrechtsgut in den Blick nahm und feststellte, daß durch die Einzelfallentscheidung das nicht gering zu bewertende Interesse der staatlichen Gemeinschaft an einer funktionierenden Rechtspflege nicht beeinträchtigt werde. Nachdem das Gericht also die staatliche Pflichtenauferlegung im Hinblick auf die Zwangslage des Betroffenen für unzumutbar erachtet

505

OVG Lüneburg, a.a.O., 81 1. Sp. oben.

506

BVerfGE 33, 23.

507

Vgl. a.a.O., S. 32 als Ergebnis einer abstrakten Normprüfung: „... hebt die generelle Gültigkeit der pflichtbegründenden Norm nicht auf 4 . 508 A.a.O. S. 30: „Fordert das einfache Recht hiernach zwar - fiir sich betrachtet - vom Beschwerdeführer die Leistung eines Zeugeneides ..." (Hervorhebung vom Verf.).

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

hatte, setzte es dieses Ergebnis nochmals ins Verhältnis zum Zielrechtsgut, um es gegebenenfalls korrigieren zu können. In ähnlicher Weise auf einen Ausnahmetatbestand bezogen argumentiert das Bundesverfassungsgericht in der Schulgebetsentscheidung E 52, 223. Dort ging es um die Zulässigkeit eines täglich abgehaltenen, überkonfessionellen Schulgebets für alle Klassen, gegen das sich ein Elternpaar, dessen Kinder die betreffende Schule besuchten, wehrte. Das Bundesverfassungsgericht sah sich hier mit einer Gemengelage verschiedener Rechtsgüter und Interessen konfrontiert: einerseits die positive Bekenntnisfreiheit der Schüler und Eltern, die eine betont christliche Erziehung wünschen, andererseits die negative Bekenntnisfreiheit der Schüler und Eltern, die genau dies ablehnen, schließlich auch die Rechtsinteressen des Schulträgers nach Art. 7 Abs. 1 GG, der grundsätzlich hinsichtlich der Schulorganisation und des Erziehungsauftrages dem Gebot der Toleranz verpflichtet ist. Das Bundesverfassungsgericht bemühte sich in seiner Entscheidung um eine verhältnismäßige Zuordnung dieser verschiedenen Interessen zueinander, indem es unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigte, daß „eine unangemessene Belastung andersdenkender Schüler verhindert werden" solle, sich deshalb „das Schulgebet nach Dauer und Häufigkeit in angemessenen Grenzen halten" 509 müsse. Bezeichnenderweise taucht der Begriff der Unzumutbarkeit in diesem Zusammenhang nicht auf, diesen Begriff verwendet das Gericht erst im Hinblick auf die persönliche Situation, in die sich der Einzelne angesichts der verhältnismäßigen Zuordnung der betroffenen Rechtsgüter gestellt sehen kann. Ist die Abhaltung eines generellen Schulgebets nicht zu beanstanden, weil die Schüler in der Regel frei über ihre Teilnahme entscheiden können 510 , so kann doch im Einzelfall Unzumutbarkeit gegeben sein, wenn die Heraushebung, die sich in dem Fernbleiben in aller Regel manifestiert, den einzelnen Schüler in eine Außenseiterposition bringen und ihn in der Klassengemeinschaft diskriminieren würde. Damit sind die Fälle gemeint, in denen sich der dem Schulgebet kritisch gegenüberstehende Schüler vor zwei Möglichkeiten gestellt sieht: Entweder er verleugnet sich selbst, indem er sich fügt und einem übermächtigen Anpassungsdruck nachkommt, oder aber er widersteht diesem Druck um den Preis einer stigmatisierenden Außenseiterrolle. In beiden Fällen ist die Persönlichkeit des Einzelnen in zumutbarkeitsrelevanter Weise tangiert. In dem konkret entschiedenen Fall hat das Bundesverfassungsgericht eine „zu einer unzumutbaren Grundrechtsbeeinträchtigung führende unzumutbare

509 510

A.a.O., S. 249 Mitte.

Auch diese einzelfallbezogene Sichtweise ist eine Frage der Angemessenheit der Regelung.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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Situation" abgelehnt, weil irgendwelche Anhaltspunkte, die zu einer Unzumutbarkeit im oben aufgezeigten Sinne hätten führen können, nicht vorgetragen und nicht ersichtlich waren. In rechtsgrundsätzlicher Weise hat das Gericht hier aber die einzelfallorientierte, personen- und persönlichkeitsbezogene Sichtweise von Zumutbarkeitsüberlegungen in Abgrenzung zur rechtsgüterbezogenen Perspektive der Angemessenheitsprüfung deutlich gemacht. Das Verhältnis von Zumutbarkeit und Angemessenheit läßt sich in gleicher Weise verdeutlichen anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Zulässigkeit körperlicher Untersuchungsmaßnahmen im Sinne von § 81a StPO. Allerdings stößt man hier auf das Problem, daß das Gericht beide Maßstäbe nicht sauber auseinanderhält, teilweise auch gleichsetzt, obwohl sich sachliche Unterschiede durchaus feststellen lassen511. Ein plausibles Beispiel ist die Entscheidung E 27, 211 in Vergleich und Zusammenschau mit den Entscheidungen E 17, 108 und E 47, 239. In der ersten Entscheidung ging es um ein Strafverfahren wegen übler Nachrede gegen den nachmaligen, damals 73jährigen Beschwerdeführer, das zunächst wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wurde. Auf die Beschwerde ordnete die Strafkammer dann gegen den jetzt 76jährigen Beschwerdeführer die körperliche Untersuchung zur Feststellung der Verhandlungsfähigkeit nach § 81a StPO an, bestimmte jedoch gleichzeitig, daß einige schwerere, gefährliche Eingriffe nicht vorgenommen werden dürften. Der Beschwerdeführer rügte unter anderem die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Das Bundesverfassungsgericht hatte deshalb Veranlassung, die Verhältnismäßigkeit - und hier insbesondere die Angemessenheit - der Maßnahme zu überprüfen. In den Urteilsgründen wird nicht ganz klar, welche Rechtsgüter und Interessen das Gericht nun im einzelnen abgewogen hat. Zunächst ist zwar die Rede davon, daß es um einen Eingriff in das „Grundrecht der persönlichen Integrität nach Art. 2 GG geht" 512 , wenig später heißt es dann aber nebulös, daß der „Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen" dürfe und daß die Abwägung „zwischen den in Betracht kommenden Maßnahmen und zwischen Anlaß und Auswirkungen des angeordneten Eingriffs unter Berücksichtigung aller persönlicher und tatsächlicher Umstände" vorzunehmen sei. Was dies nun konkret heißen soll, bleibt im Dunkeln. 511 Als Gegenbeispiel sei hier die Entscheidung BVerfGE 81, 70 (Rückkehrgebot nach dem Personenbeförderungsgesetz) genannt. Dort prüft das Gericht mustergültig den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit dessen drei Elementen. Die „Angemessenheit" wird hier teilweise auch als „Zumutbarkeit" bezeichnet. Sachlich besteht kein Unterschied, denn mithilfe beider Gesichtspunkte rechtfertigt das Gericht (a.a.O., 92 f., 95) die Zulässigkeit der gesetzlichen Regelungen mit dem Verweis einerseits auf das geringe Gewicht dieser Belastungen, andererseits auf das große Gewicht der Zielinteressen. 5,2

A.a.O., S. 218 unten.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Der Sache nach geht es bei der hier vorzunehmenden Angemessenheitsprüfung um die Abwägung zwischen dem Opferrechtsgut (Eingriff in die körperliche Unversehrtheit) und dem Zielrechtsgut (dem Strafverfolgungsinteresse des Staates). Gegen die Angemessenheit der Maßnahme hätte etwa gesprochen, daß seit der fraglichen Äußerung bis zum Verhandlungszeitpunkt bereits 13 Jahre vergangen waren, andererseits hatte der Geschädigte wegen der Qualität der Äußerungen ein durch den Zeitablauf ungemindertes Interesse an der Feststellung des (Un-)Wahrheitsgehaltes. Im Hinblick darauf, daß das Gericht besonders schwerwiegende und gefährliche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers ausgeschlossen hat und andererseits erhebliche Gegeninteressen für ein weiterbestehendes Strafverfolgungsinteresse sprechen, konnte man die Angemessenheit des Eingriffes auch angesichts des hohen Alters des Beschwerdeführers bejahen, wie es das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis dann auch getan hat. Mit der Bejahung der Angemessenheit ist die Problematik im konkreten Fall aber noch nicht erschöpft. Denn mit dem hohen Alter und dem amtsärztlich festgestellten labilen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers lagen zwei höchstpersönliche Umstände vor, die jedenfalls eine besondere persönliche Härte begründen und sich jederzeit zu einer Zwangslage verwandeln können, etwa wenn die Person des Beschwerdeführers instrumentalisiert 513 und angesichts seines Gesundheitszustandes zum Objekt herabgewürdigt wird. Diese Gesichtspunkte sind unter dem Blickwinkel einer rechtsguts- und interessenausgerichteten Angemessenheitsprüfung in die Bewertung des Falles noch gar nicht eingegangen. Möglich ist es zwar, das hohe Alter und den Gesundheitszustand des Betroffenen als einen Belang unter vielen in die Bewertung des Opferrechtsgutes miteinzubeziehen, im Rahmen dieser Prüfung würden diese Umstände aber sofort und von vorneherein relativiert durch den Blick auf die Gegeninteressen des Zielrechtsgutes. Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist dies anders. Hier kommt der Aspekt der besonderen persönlichen Härte zunächst voll zum Tragen, ohne im Hinblick

513 Der Gedanke der Instrumentalisierung taugt generell für Zumutbarkeitsbetrachtungen; vgl. hierzu die Vier-zu-Vier-Entscheidung des BVerfG in E 80, 367: Vier Richter rechtfertigten die Verfassungsmäßigkeit der Verwertung von tagebuchähnlichen Aufzeichnungen zu Beweiszwecken im Strafprozeß mit reinen Angemessenheitsüberlegungen (Abwägung zwischen den Erfordernissen einer wirksamen Rechtspflege und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG); die anderen vier Richter des Senates halten die Verwertung nicht für verfassungsgemäß, weil es sich um Aufzeichnungen von höchstpersönlichem Charakter handele, deren Verwertung die Menschenwürde des Betroffenen instrumentalisiere. Denn die Auswertung intimer schriftlicher Selbstgespräche bedeute eine von dem Betroffenen weder vorhersehbare noch steuerbare Verfügung über das eigene Ich. Man mag diesen Ansatz teilen oder nicht — der Sache nach enthält er unter dem Gesichtspunkt der Eigenständigkeit des Persönlichen typische Zumutbarkeitserwägungen, nämlich eine a priori rechtsgüterunabhängige Perspektive auf die persönliche Situation des Betroffenen.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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auf andere Interessen relativiert zu sein, um dann, nachdem die persönliche Situation des Einzelnen isoliert in den Blick genommen wurde, noch einmal - quasi im Rahmen einer Kontrollüberlegung - rechtsgutsbezogen betrachtet zu werden. Die Zumutbarkeitsprüfung hätte im vorliegenden Fall weitere Feststellungen zu der Frage erfordert, wie sich die - grundsätzlich angemessenen - röntgenologischen, elektrokardiographischen und elektroenzephalographischen Untersuchungen im einzelnen auf die Konstitution des Beschwerdeführers auswirken. Erst danach hätte sich entscheiden lassen, ob die Maßnahme nicht nur angesichts der Zielinteressen angemessen, sondern auch im Hinblick auf die höchstpersönliche Situation des Betroffenen zumutbar gewesen wäre. Im Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, die Schutzwürdigkeit der Betroffenensituation, die sich jetzt in ihrer ganzen Schärfe stellt, auch im Hinblick auf das vom Bundesverfassungsgericht zu Recht hervorgehobene Interesse des Geschädigten an einer gerichtlichen Feststellung der Unwahrheit der Äußerungen zu bewerten. Die flexible Zumutbarkeitsformel wäre für diese Überlegung nicht unzugänglich gewesen. Die Entscheidung E 17, 108, der ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, erscheint in einem anderen Licht, denn dort ging es um die Anordnung einer pneumoenzephalographischen Untersuchung (Hirnkammerluftfüllung) bei einem 27jährigen, wobei - wie gutachterlich festgestellt wurde - eine gesundheitliche Schädigung für den Untersuchten nicht zu erwarten war. Hier hatte das Bundesverfassungsgericht allein Anlaß, über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachzudenken, besondere persönliche Umstände und Härtegründe, die Veranlassung gegeben hätten, eine gesonderte Zumutbarkeitsprüfung anzustellen, waren hier nicht erkennbar. Ebenso verhält es sich bei BVerfGE 47, 239, wo das Gericht die zwangsweise Veränderung der Haarund Barttracht beim Beschuldigten zum Zwecke der Gegenüberstellung als angemessene, weil vorübergehende Maßnahme von geringer Intensität einstufte. Instruktiv für das Verhältnis von Angemessenheit und Zumutbarkeit ist weiterhin BVerfGE 84, 192: Der wegen Geistesschwäche entmündigte Beschwerdeführer schloß mit den Klägern des Ausgangsverfahrens einen Wohnungsmietvertrag ab, wurde dabei allerdings, wie es im Mietvertrag hieß, „vertreten" durch seinen Vormund. Die Vermieter kündigten den Mietvertrag später, weil die Entmündigung und die Stellung des Vormundes bei Vertragschluß verschwiegen worden seien. Das Bundesverfassungsgericht hob das dem Kündigungsverlangen stattgebende Urteil des Landgerichts auf. Es handelt sich hier um eine typische Zumutbarkeitsentscheidung, obgleich das Gericht Angemessenheits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte nicht auseinanderhält. Die Entscheidungsbegründung erschöpft sich vielmehr in einer allge-

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

mein gehaltenen Abwägungsfloskel, Zumutbarkeit und Angemessenheit werden als tragende Gesichtspunkte nicht einmal expressis verbis erwähnt 514 . Zunächst waren hier, wie das Gericht selbst sagt, „die betroffenen Belange gegeneinander abzuwägen", wobei das „Interesse des Beschwerdeführers an der Geheimhaltung seiner Entmündigung" 515 berücksichtigt werden mußte. Geboten war also die Gegenüberstellung der betroffenen Interessen im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung: auf der einen Seite das Interesse des Vermieters an der Offenbarung der Entmündigung. Hierbei muß beachtet werden, daß gegenüber einem geschäftsunfähigen Mieter verschuldensabhängige Schadensansprüche nur schwer oder gar nicht durchsetzbar sind. Dem steht andererseits das Interesse des Mieters an der Geheimhaltung seiner Entmündigung gegenüber, letztlich also das Grundrecht des Mieters auf informationelle Selbstbestimmung. In diese Angemessenheitsbetrachtung gehört die vom Gericht - im Ergebnis zu Recht, aber unter falschem „Ettikett" - verworfene Überlegung, daß sich die Interessenkollision hier nicht in voller Schärfe stellt, weil die Entmündigung nicht öffentlich bekanntgemacht wurde. Der Mieter hätte sich hier nur seinem Vertragspartner gegenüber offenbaren müssen. Mit diesen rein interessenbezogenen Überlegungen hätte sich die Angemessenheit der Offenbarungspflicht ohne weiteres rechtfertigen lassen. Ein anderes Ergebnis ist jedoch unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten geboten, denn in der bisherigen Abwägung der beteiligten Interessen wurden höchstpersönliche Belange des Betroffenen, die Wirkung der Offenbarungspflicht auf die Person des Betroffenen ausgeklammert. Sie sind jetzt im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung entscheidend: Das Gericht hat hier zu Recht festgestellt, daß die Offenbarungspflicht eine Gefahr der Abstempelung in sich berge, die sozialstaatlich gebotene Wiedereingliederung erschwere und insofern die Substanz des Persönlichkeitsrechtes betreffe. Dieser bisher nicht verwertete, neue Gesichtspunkt ist bezogen auf den zu entscheidenden Einzelfall ausschlaggebend. Denn jetzt geht es nicht um die Gegenüberstellung der Interessen beider Vertragspartner, vielmehr geht es um die Wirkungen der Offenbarungspflicht

514 Vgl. im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von Entmündigungen aber die Entscheidung BVerfGE 78, 77 ff. Dort ging es um die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift (§ 687 ZPO), die für bestimmte Fälle der Entmündigung die öffentliche Bekanntmachung vorsah. Das Bundesverfassungsgericht verwirft diese Regelung mit im wesentlichen denselben Erwägungen wie in E 84, 192 unter Hinweis auf die Unzumutbarkeit des Eingriffs. Freilich erscheint das (Un-)Zumutbarkeitskriterium hier im Zusammenhang mit der Angemessenheitsprüfung (a.a.O., S. 86 f.), weshalb die im Text folgenden Erwägungen für E 78, 77 ebenfalls gelten. 515

A.a.O., S. 195 unten.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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auf die Person als Ganze 516 . Wären diese Wirkungen auf die Persönlichkeit im Einzelfall weniger gravierend, so wäre die Offenbarungspflicht unter Umständen zumutbar gewesen. So zu verstehen ist jedenfalls die Überlegung des Senates, wenn der Beschwerdeführer seine Entmündigung offenbaren müsse, würde es ihm unmöglich gemacht, Wohnraum zu mieten. Bekäme man diese Schwierigkeit weg, wäre die Wiedereingliederung des Entmündigten möglich und die Gefahr der sozialen Abstempelung gering, so wäre auch die Zumutbarkeitsbetrachtung anders ausgefallen, ohne daß die rechtsguts- und interessenbezogene Angemessenheitsprüfung noch einmal erneut hätte aufgerollt werden müssen. Eine mustergültige Gegenüberstellung und Abgrenzung der Zumutbarkeitsund Angemessenheitsperspektive enthält eine Entscheidung des OVG Lüneburg aus dem Jahre 1975 517 . Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 62jährige Kläger, ein Zahnarzt, leidet an einem Bandscheibenschaden. Er rechnet in seiner Praxis seit vielen Jahren eine im Vergleich zu den Abrechnungszahlen der übrigen Zahnärzte in Schleswig-Holstein überdurchschnittlich hohe Zahl von Krankenscheinen ab. Die Beklagte will ihn zum sogenannten Eintagsdienst, d.h. zum Notfalldienst an arbeitsfreien Einzel- und Feiertagen heranziehen. Die Klage gegen diese Heranziehung war in erster Instanz erfolgreich. Die Berufung der Beklagten führte zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Klagabweisung. Das OVG bringt bereits in seinem Leitsatz zum Ausdruck, daß es Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit als verschiedene Prüfungsmaßstäbe ansieht 518 . Zunächst prüft das Gericht die Zumutbarkeit der Heranziehung und betont hierbei ausdrücklich, daß dieser subjektbezogene Wertungsmaßstab selbst dann anzuwenden sei, wenn die Berufsordnung der Zahnärztekammer dies nicht vorsehe. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten läßt das Gericht sodann alle persönlich-erschwerenden Belange in seine Argumentation einfließen, die in der Person des betroffenen Arztes begründet sind. Entscheidend kam es hier auf den Gesundheitszustand des Arztes, seine körperliche Leistungsfähigkeit, auf die Wirkung der durch die Heranziehung begründeten Arbeitsmehrbelastung gerade auf seine Person an. Das Gericht rechtfertigt die Zumutbarkeit der Regelung im Ergebnis damit, daß es sich bei dem Eintagsdienst um eine äußerst geringfügige Mehrbelastung handele, die angesichts der an sich schon ungewöhnlichen Arbeitsbelastung des Klägers nicht mehr ins Gewicht falle. Negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand 516

So explizit BVerfG, a.a.O., 195 unten.

517

NJW 1976, 385.

5,8 Amtlicher Leitsatz: „Ein Arzt hat einen Anspruch auf Befreiung von der Notfalldienstpflicht, wenn ihm diese persönlich nicht zuzumuten ist oder sie ihn unverhältnismäßig treffen würde."

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

des Betroffenen waren unter diesen Umständen von der Pflichtenauferlegung nicht zu erwarten. Im Anschluß hieran verläßt das Gericht seine ausschließlich personenbezogene Sichtweise und wendet sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einer rechtsguts- und interessenbezogenen Betrachtung des Falles zu. Das Gericht stellt einleitend fest, daß der „Eingriff in die Freiheit im rechten Verhältnis zu den zu schützenden Interessen stehen müsse" 519 . Im Rahmen dieser Abwägung werden dann die Zielinteressen, nämlich das öffentliche Interesse an der möglichst gleichmäßigen Heranziehung aller Zahnärzte sowie des Allgemeininteresses an zahnärztlicher Versorgung (auch) an Feiertagen relevant. Diesen angesichts ihrer Gemeinwohlbezogenheit mit hohem Rang ausgestatteten Interessen steht das Verschonungsinteresse des Betroffenen gegenüber, das vom Gericht als nachrangig eingestuft wird. Dieses Rangverhältnis wäre unter Umständen anders zu beurteilen gewesen, wenn der Betroffene aufgrund seines Gesundheitszustandes Mühe gehabt hätte, die Existenz seiner Praxis zu sichern. Auffallend an der Argumentation ist die unterschiedliche Perspektive bei der Zumutbarkeits- und Angemessenheitsprüfung 520: Unter dem Begriff der Zumutbarkeit erfaßt das Gericht solche Umstände, die ausschließlich in der Person des Betroffenen begründet liegen und die Pflichtenauferlegung als solche außerordentlich erschweren können. Diese persönlichen Belange sind dabei nicht von vorneherein relativiert durch eine rechtsgut- und interessenbezogenen Sichtweise. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dies anders. Dort rekurriert das Gericht sofort auf die beteiligten Rechtsgüter und wertet die Heranziehung in bezug auf die rechtfertigenden Gegeninteressen. Die für eine Verschonung sprechenden, erschwerenden persönlichen Umstände des Betroffenen werden dort von vorneherein in einen Konnex zu anderen Interessen gestellt, mithin also relativiert. Es zeigt sich, daß die sorgfältige Zumutbarkeitsprüfung einen eigenständigen Anwendungsbereich neben der Angemessenheitsprüfung hat, was auch unter Beachtung sämtlicher Berührungspunkte, die beiden Maßstäben zugege519 520

A.a.O., S. 286 1. Sp. oben.

Anders als das OVG Lüneburg (a.a.O.) hatte das BVerwG in E 41, 261 bei der Beurteilung derselben Rechtsfrage in einem ähnlichen Fall keinen Anlaß, Zumutbarkeits- und Angemessenheitsebene zu trennen. Zwar waren dort unter dem Aspekt eines ärztlichen Gewissenskonfliktes besondere persönliche Umstände geltend gemacht worden, die zu Zumutbarkeitsüberlegungen Anlaß gegeben hätten. Das BVerwG erachtet diesen Gewissenskonflikt aber als nicht bewiesen (a.a.O., 268 Mitte und unten) und prüft deshalb im folgenden ausschließlich rechtsguts- und interessenbezogen weiter, weil weitere höchstpersönliche Erschwernisumstände nicht dargetan wurden. Wenn das Gericht in seiner weiteren Argumentation den Begriff der Zumutbarkeit erwähnt, so setzt es diesen konsequenterweise mit dem Begriff der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gleich; s. a.a.O., 270 f.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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benermaßen eignen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Denn im vorliegenden Fall lassen sich angesichts so hochrangiger Allgemeininteressen wie der ausreichenden und funktionierenden ärztlichen Versorgung nur sehr schwer persönliche Umstände denken, die dieses Rangverhältnis umkehren könnten. Die a priori bestehende, umfassend interessenbezogen angelegte Betrachtungsweise bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung verstellt den Blick auf das isolierte Gewicht der personenbezogenen, erschwerenden Umstände. Die Zumutbarkeit setzt hier früher an. Denn ihre a priori von allen rechtsgutund interessenbezogenen Betrachtungen losgelöste Sicht erlaubt einen freien Blick auf die persönlichen Interessen des Betroffenen, ohne diese allerdings absolut zu setzen. Eine ebenfalls klare Trennung von Angemessenheits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten findet sich in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Friedhofszwang 521. Dort ging es um die Frage, ob der Kläger, wie er wünschte und letztwillig festlegte, auf seinem Grundstück seine letzte Ruhestätte finden kann. Er ordnete an, daß seine Asche auf dem Grundstück verstreut werde und geriet deshalb in Konflikt mit dem Friedhofsgesetz, das einen Friedhofs- und Urnenzwang für jedenmann vorsah. Das Bundesverwaltungsgericht prüfte zunächst, ob die Eingriffsrelation den Anforderungen der Angemessenheit genügte, indem es eine interessenbezogene Güterabwägung vornahm. Auf der einen Seite das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG, auf der anderen Seite das öffentliche Interesse an einer würdigen Totenbestattung und einem geordneten Bestattungswesen. An dieser Stelle nahm das Gericht eine Vorteil-Nachteil-Betrachtung vor, die grundsätzlich zugunsten des Friedhofszwanges ausgefallen ist. Das Gericht hatte im konkreten Fall keinen Anlaß, besondere persönliche Umstände oder Härten unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, denn solche besonderen Umstände lagen hier nicht vor. Dennoch sah sich das Gericht veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß eine Ausnahme vom generellen Friedhofszwang im Hinblick auf die Unzumutbarkeit im Einzelfall denkbar sei 522 . Exemplarisch werden dann Gesichtspunkte genannt, die zur Unzumutbarkeit führen können. Eine berücksichtigungsfähige, besondere persönliche Härte würde etwa vorliegen, wenn den gebrechlichen Hinterbliebenen die Grabpflege unzumutbar erschwert würde wegen zu großer räumlicher Entfernung des nächsten öffentlichen Friedhofes. Unzumutbarkeit wäre weiterhin zu bejahen, wenn eine andere als die gewünschte Bestattungsart für 521 BVerwG, JZ 1974, 672 ff.; zur Trennung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit vgl. 674 r. Sp. unten: „unzumutbar oder unverhältnismäßig"; ebenso 675 1. Sp. oben: „verfassungsrechtliche Grundsätze der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit"; 675 1. Sp. Mitte: „der bundesverfassungsrechtliche Grundsatz der Unzumutbarkeit". 522

A.a.O., 674 r. Sp. unten, 675 1. Sp. oben.

10 Albrecht

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

den Kläger eine (unzumutbare) innere Belastung darstellen würde. Dann müßte der besondere Bestattungswunsch allerdings zur Überzeugung des Gerichtes religiös motiviert sein, woran es im zu entscheidenden Falle aber gerade fehlte. Die Ausführungen des Gerichtes zur Frage der Zumutbarkeit machen deutlich, daß in diesem Zusammenhang höchstpersönliche Umstände geltend gemacht werden können, die zunächst nicht in Zusammenschau mit den übrigen beteiligten Interessen betrachtet werden dürfen, sondern erst einmal isoliert nach ihrem gesamten Gewicht zu bewerten sind. Ein letztes Anwendungsbeispiel für quantitativ ausgerichtete Zumutbarkeitserwägungen sind die Fälle steuerlicher Mitwirkungspflichten 523 . Im Steuerrecht gilt prinzipiell der Untersuchungsgrundsatz, wonach die Steuerbehörde den für den Besteuerungsvorgang maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen und ohne Bindung an das Vorbringen der Beteiligten zu ermitteln hat 524 . Dieser behördlichen Ermittlungspflicht korrespondieren aber Mitwirkungspflichten der Beteiligten 525 sowie Auskunftspflichten anderer Personen 526 , wenn diese etwas zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen vermögen. Die Mitwirkungspflicht Beteiligter besteht nach § 90 Abs. 2 S. 2 AO (1977) nur im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten. Mit dieser Schrankenziehung hat der Gesetzgeber den Begriff der Zumutbarkeit, der noch in § 171 Abs. 1 S. 2 Reichsabgabenordnung Tatbestandsmerkmal war, nicht in die neue Abgabenordnung von 1977 übernommen. Rechtsprechung 527 und Literatur 528 sind sich jedoch auch nach der neuen Rechtslage darin einig, daß der Zumutbarkeitsschranke weiterhin maßgebliche Bedeutung im Steuerrecht zukommt 529 . Mit Hilfe dieser Zumutbarkeitsschranke soll ebenso wie 523 Der Pflichtenumfang bestimmt sich nach dem Grundsatz der Zumutbarkeit, Horstmarin, StbJb. 1957/58, S. 323 ff. (326). 524

§ 88 Abs. 1 AO (1977).

525

Beteiligte in diesem Sinne sind nach § 78 AO (1977) Antragsteller und Antragsgegner sowie diejenigen, an die die Behörde einen Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat. 526

„Andere Personen" sollen nach § 93 Abs. 1 S. 3 AO (1977) erst dann zur Auskunft herangezogen werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziele führt oder keinen Erfolg verspricht. 527

Vgl. nur BFHE 62, 182 (183); 69, 409 (415); 75, 443 (445).

528

Fischer, Divergierende Selbstbelastungspflichten, S. 63 ff.; A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 142 ff.; Schuhmann, DStZ 1986, S. 583 ff. (587); Wittmann, StuW 1987, S. 35 ff.; Brozat, DStR 1983, S. 76 (78); Tipke, Steuerrecht, S. 559; ders., Steuerliche Betriebsprüfung, S. 100; Steinhauer, S. 79; Söhn, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO (Stand 1993), § 90 Rn. 23 ff.; § 97 Rn. 43; § 93 Rn. 66 ff. Kritisch Rödel, Der Begriff „unbillig" in § 131 AO, S. 172 ff., der dem Gedanken der Unbilligkeit den Vorzug gibt. 529

Dies deshalb, weil Unmöglichkeit etwas anderes ist als Zumutbarkeit: Bei der Un-

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

147

mit den - natürlich auch im Steuerrecht geltenden - Grundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen gewährleistet werden. Bei der hier interessierenden Frage nach der Abgrenzung von Angemessenheit und Zumutbarkeit ist wiederum die jeweilige, unterschiedliche Beurteilungsperspektive entscheidend: Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit ist zu fragen, ob der Zweck der gesetzlichen Mitwirkungspflicht (die wahrheitsgemäße Erforschung des steuererheblichen Tatbestandes) und das hierzu eingesetzte Mittel (die Inanspruchnahme des Beteiligten im Einzelfall) noch in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Dies wäre etwa dann nicht der Fall, wenn vom Steuerpflichtigen Auskünfte verlangt werden, die dieser nur mit einem immensen finanziellen Aufwand erstellen kann oder etwa wenn eine arbeits- und kostenintensive Mitwirkung hinsichtlich eines steuerlichen Teilbetrages verlangt wird, dessen Auswirkungen auf die Gesamtsteuer gering sind. Bereits der Reichsfinanzhof hat entschieden, daß eine „Entzifferung der Unkosten" unverhältnismäßig ist, wenn zu diesem Zwecke sämtliche Konten zerlegt, neue eingerichtet und neue Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen aufgestellt werden müßten 530 . Im Gegensatz zu dieser Zweck-Mittel-Perspektive ist das Zumutbarkeitskriterium weit mehr auf die persönliche Situation des Steuerpflichtigen ausgerichtet. Unabhängig von der Frage, ob das Mitwirkungsverlangen an den Steuerpflichtigen mit dem Gewicht des Interesses an der wahrheitsgemäßen Sachverhaltsaufklärung zu rechtfertigen ist, kommt es bei der Zumutbarkeit allein darauf an, ob die Mitwirkung als solche angesichts der persönlichen Umstände verlangt werden kann: Es werden also nicht Zweck und Mittel, sondern die auferlegte Pflicht selbst und die persönliche Situation zueinander ins Verhältnis gesetzt531. Unzumutbar ist das Mitwirkungsverlangen etwa dann, wenn eine Auskunft zwar nicht viel Aufwand bereitet und ohne weiteres erteilt werden könnte (insoweit also „angemessen" im Sinne des Grundsatzes der Proportionalität ist), im Ergebnis aber die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährden oder vernichten würde, ebenso, wenn sein berufliches Fortkommen schwer beeinträchtigt würde 532 . Typischerweise liegt auch ein Verstoß gegen das Zumutbarkeitsgebot vor, wenn das Mitwirkungsverlangen die Menschenwürde oder die Ehre verletzen würde, so etwa, wenn möglichkeit geht es um die Frage, ob eine Leistung nicht erbracht werden kann, während sich mit Hilfe der Zumutbarkeit entscheiden läßt, ob eine mögliche Leistung bei wertender Betrachtung verlangt werden darf. 530

RFH v. 1.2.1934 - V I A 82/34, RStBl. 1934, 218 (219).

531

So im Ergebnis auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 90 Rn. 33 f.; Bilsdorfer, Die Informationsquellen und -wege der Finanzverwaltung, S. 79 f.; A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 140 f., 144 f. 532

S. 145. 10*

Söhn, a.a.O., § 93 Rn. 67; Steinberg,

BB

1968, S. 433 (437 f.); A. Reuß, ebd.,

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Auskünfte über den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, die Intimsphäre verlangt würden 533 . Schließlich kann es für den Steuerpflichtigen unzumutbar werden, wenn er im Rahmen seiner steuerrechtlichen Auskunftspflicht Angehörige einer Straftat beschuldigen muß und so in ernsthafte Gewissenskonflikte kommt 534 oder wenn er gewisse Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse offenbaren soll 535 . Bei allen diesen Zumutbarkeitsüberlegungen ist entscheidend, daß die persönliche Situation des Betroffenen im Vordergrund steht und es auf die Frage, ob die Pflichtenauferlegung im konkreten Fall einer angemessenen Zweck-Mittel-Relation entspricht, nicht ankommt. Es lassen sich nämlich Situationen denken, in denen die Mitwirkungspflicht durchaus angesichts der Höhe und der Bedeutung der Steuerschuld unter Angemessenheitsgesichtspunkten gerechtfertigt werden kann, so daß das Verlangen letztlich allein am Zumutbarkeitskriterium scheitert. Freilich soll auch hier darauf hingewiesen werden, daß es sich nicht um eine absolute Zumutbarkeitsschranke handelt: Die „einseitige Subjektbezogenheit" des Zumutbarkeitsgedanken darf nicht in dem Sinne „absolut" verstanden werden, daß deshalb der Blick auf die beteiligten Rechtsgüter völlig hinter dem Gesichtspunkt der besonderen persönlichen Umstände verstellt sei. So ist für die Frage nach der Zumutbarkeit der Mitwirkungspflicht etwa auch die Beweisnähe des Beteiligten von erheblicher Bedeutung. Für die in seiner Sphäre liegenden steuererheblichen Tatsachen verschiebt sich die Grenze der zumutbaren Mitwirkung zu zulasten des Beteiligten immer mehr, je stärker er die Beweisnot der Steuerbehörde zu „vertreten" hat, je verwickelter, schwerer zugänglich und undurchsichtiger gerade seine persönlichen Verhältnisse sind. Insoweit kann die in der Person des Steuerpflichtigen liegende außergewöhnliche Pflichtenerschwernis selbst durchaus wieder mit Hilfe objektiver Gesichtspunkte relativiert werden. Entscheidend ist nur, daß die besonderen persönlichen Erschwernisgründe mit Hilfe des Zumutbarkeitsgedankens isoliert und für sich genommen voll gewürdigt werden können. Welche persönlichen Umstände die Mitwirkung des Pflichtigen nun aber als unzumutbar erscheinen lassen, entzieht sich jeder abschließenden Feststellung, weil die Mitwirkungspflicht als solche von unterschiedlichen körperlichen, seelischen, geistigen, wirtschaftlichen und beruflichen Voraussetzungen des Steuerpflichtigen abhängt 536 . 533

Vgl. die Nachweise in voriger Fn.

534

Hier liegt die Parallele zu den Zeugnisverweigerungs- und Auskunftsverweigerungsrechten der StPO auf der Hand, die dem insoweit Begünstigten solche Konflikte gerade ersparen sollen. 535

Vgl. Söhn,

in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,

AO, § 9 3

A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 145. 536

So zu Recht Λ. Reuß, ebd., S. 144.

Rn. 67; § 102 Rn. 50;

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgndsatz

1

Konkret kommt es darauf an, ob den persönlichen Erschwernisumständen ein solch erhebliches Gewicht zukommt, daß sich angesichts der konkreten Pflichtenauferlegung die Wertung einstellt, die Pflichterfüllung sei dem Betroffenen unzumutbar. In jedem Fall aber ist die Zumutbarkeitprüfung perspektivisch anders ausgerichtet als die Proportionalitätsprüfung 537.

d) Die prinzipielle Zumutbarkeitskomponente Stand bei den bisherigen Zumutbarkeitsbetrachtungen eine quantitative Sichtweise (das Verhältnis einer staatlich auferlegten Pflicht zur besonderen Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung anderer im Spiele befindlicher Interessen) im Mittelpunkt, so geht es bei der zweiten, prinzipiellen Komponente des Zumutbarkeitsmaßstabes um die Frage nach der Qualität der auferlegten Pflicht. Entscheidend ist bei der prinzipiellen Betrachtungsweise, ob die auferlegte Pflicht als solche, d.h. unabhängig von ihrem „Rechtfertigungsumfeld" dem Betroffenen angesonnen werden kann, oder ob die Unzumutbarkeit nicht bereits aufgrund einer pflicht- und personenbezogenen, isolierten „An-sich-Betrachtung" 538 verneint werden muß. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint von der Möglichkeit einer solchen Betrachtungsweise auszugehen, wenn es etwa feststellt, daß eine Regelung „auch für sich betrachtet den betroffenen Einzelnen nicht übermäßig und unzumutbar beschwert" 539 bzw. daß eine Regelung „nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen und 540 nicht etwa in sich schon eine verfassungswidrige, weil übermäßige, nicht mehr zumutbare Belastung enthalten darf" 541 . Solche Formulierungen können nach Lage der Dinge nur so gedeutet werden, daß die jeweils angegriffene Belastung zunächst isoliert nach ihrem höchsteigenen Gewicht zu beurteilen ist, bevor sie dann den anderen sich im Spiele 537

So auch für den Bereich des Steuerrechts explizit Söhn, in: Hübschmann/Hepp/

Spitaler, AO, § 90 Rn. 33. 538

Vgl. hierzu bereits oben S. 124 f., betreffend das Kirchensteuerurteil des BVerfG.

539

Die sog. Handwerksentscheidung, BVerfGE 13, 97 (113 Mitte).

540

Hervorhebung vom Verf.

541 So das BVerfG in der sog. Hebammenentscheidung, E 9, 338 (345 unten). In dieser Entscheidung findet sich eine deutliche sprachliche Trennung von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit, z.B. 346: „... Grenzen der grundrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit"; 347: „Daß aber die bestehende Gefahrenlage jeden zumutbaren Eingriff auf dieser Stufe der Berufsfreiheit rechtfertigt, ergibt sich schon hieraus, daß der Eingriff durch die Altersgrenze auch (Hervorhebung vom Verf.) die Grenze der Verhältnismäßigkeit nicht überschreitet." Aus dieser Formulierung läßt sich im übrigen schließen, daß das Gericht die Zumutbarkeitsprüfung einer Maßnahme unabhängig von den Zielrechtsgütern vornimmt: die Gefahrenlage rechtfertigt hier nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten jeden bereits zumutbaren Eingriff; d.h. die Zumutbarkeit wird hier als vorgelagertes, rechtsgüterunabhängiges Prüfungskriterium verstanden.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

befindlichen Zielinteressen verhältnismäßig zugeordnet wird, m.a.W. die Zumutbarkeit als Prüfungsmaßstab insoweit neben die Verhältnismäßigkeit tritt 542 . Das Bundesverfassungsgericht deutet diese An-sich-Betrachtung in der Hebammen- bzw. Handwerksentscheidung nur an, ohne sie in den weiteren Ausführungen zu präzisieren. Dies hat dazu geführt, daß man die theoretisch durchgeführte Abgrenzung beider Betrachtungsweisen im Ergebnis doch wieder im Sinne einer beliebigen Austauschbarkeit beider Maßstäbe (miß-) interpretiert hat 543 . Das ist nicht sachgerecht. Denn der Weg, den das Bundesverfassungsgericht hier aufgezeigt hat, weist durchaus in die (richtige) Richtung der Fallkonstellationen, die sich mit einer interessen- und rechtsgüterabhängigen Verhältnismäßigkeitsprüfung allein nicht in der richtigen Weise erfassen lassen. Die isolierte Gewichtung einer Pflichtenauferlegung unter dem Aspekt der prinzipiellen (Un-)Zumutbarkeit zeigt sich in einer frühen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 544 aus dem Jahre 1959. Obwohl der zugrundeliegende Sachverhalt eine nachkriegsbedingte, bereits 1954 wieder aufgehobene Wirtschaftsstrafvorschrift betraf, kann die Entscheidung auch heute noch als Anwendungsbeispiel prinzipieller Unzumutbarkeit herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte über § 23 des Wirtschaftsstrafgesetzes von 1949 zu befinden, der bestimmte: „Wird eine Zuwiderhandlung gegen Bestimmungen dieses Gesetzes in einem Betrieb begangen, so kann wegen Verletzung der Aufsichtspflicht eine Geldbuße gegen den Inhaber oder Leiter und, falls Inhaber des Betriebes eine juristische Person oder eine Handelsgesellschaft ist, auch gegen diese festgesetzt werden, wenn der Inhaber oder Leiter oder der zur gesetzlichen Vertretung Berechtigte nicht nachweist, daß er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewandt hat, um die Zuwiderhandlung zu verhüten."

Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung rekurrierte das Gericht unmittelbar und ausschließlich auf den Gedanken der Unzumutbarkeit und sah sich andererseits auch nicht veranlaßt, Ausführungen zum Verhältnis der konkret betroffenen Ziel- und Opferrechtsgüter zu machen. Denn die spezifische Fallproblematik lag nicht darin, ob diese Rechtsgüter etwa in einer unausgewogenen, unangemessenen, unverhältnismäßigen Beziehung standen. M.a.W. kam es nicht darauf an, ob die gesetzliche Schuldvermutung des § 23 WiStrG 542 So auch Arzt, Die Zulässigkeit der Bedürfnisprüfung, S. 34 ff.; ebenso Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 20 f., der die unterschiedliche Sichtweise zwar anerkennt, eine nähere Abgrenzung aber dahinstehen läßt. 543

So etwa Langheineken, ebd.; kritisch auch Arzt, ebd.

544

BVerfGE 9, 167.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

gerade auch angesichts der besonderen Nachkriegsverhältnisse durch ein überwiegendes Allgemeininteresse (etwa an einer funktionierenden Versorgungswirtschaft) hätte gerechtfertigt werden können. Eine solch rechtsgüterabhängige Angemessenheitsprüfung verstellt den Blick für das Wesentliche, das sich erst bei einer zumutbarkeitsorientierten An-sich-Betrachtung erschließt: Ist nicht die Schuldvermutung als solche - und prinzipiell genommen - unzumutbar, weil sie dem unter Umständen gar nicht selbst handelnden, aber hinsichtlich des Entlastungsbeweises beweisfällig gebliebenen Betriebsinhabers eine fehlerhafte Persönlichkeitshaltung bescheinigt? Ist es nicht für sich genommen unzumutbar, daß der betroffene Betriebsinhaber strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, nur weil die Unaufklärbarkeit der Zuwiderhandlung seiner Betriebssphäre entstammt? Das Bundesverfassungsgericht hat die Schuldvermutung verfassungsrechtlich nicht beanstandet, weil der Schuldvorwurf nur reine Ordnungswidrigkeiten betroffen und deshalb die „Sphäre des Ethischen" nicht erreicht habe. Zudem habe es im Hinblick auf die Geldbuße von vorneherein am Ernst der staatlichen Strafe gefehlt, es habe bloßer Ungehorsam gegen „technisches Ordnungsrecht" vorgelegen. Die Regelung ist demnach zumutbar, weil sie für sich genommen nicht die Qualität (!) einer echten strafrechtlichen Sanktion aufweist und bei der gebotenen isolierten Betrachtung ihres „Gewichtes" Entlastungsmomente in die Waagschale geworfen werden müssen, die die gesamte Belastung für sich genommen wieder relativieren. Der Zumutbarkeitsbetrachtung fehlt insofern die der Angemessenheit innewohnende quantitative Vergleichsperspektive: Nicht im Konnex mit anderen Zielrechtsgütern, sondern isoliert mit Blick auf das Gewicht der Regelung an sich läßt sich hier die Verfassungsmäßigkeit des § 23 WiStrG bejahen.

(1) Arbeitsrechtliche

Gegnerfinanzierungspflichten

Eine typische Anwendungskonstellation für die prinzipielle Zumutbarkeitskomponente ist die Problematik der arbeitsrechtlichen Gegnerfinanzierungspflicht, die unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten in Literatur und Rechtsprechung diskutiert wird. Das Problem rankt sich rechtstechnisch um § 40 Abs. 2 BetrVG 545 , wonach der Arbeitgeber dem Betriebsrat für Sitzungen, Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfange Räume, sachliche Mittel und Büropersonal zur Verfügung zu stellen hat. Sachliche Mittel im Sinne der Vorschrift können anerkanntermaßen auch

545 § 40 Abs. 2 BetrVG wird ergänzt durch Abs. 1, der eine allgemeine Regelung über die Kosten der Betriebsratstätigkeit enthält und anordnet, daß der Arbeitgeber diese Kosten im Grundsatz zu tragen hat.

12

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

juristische Fachliteratur und Fachzeitschriften sein, da es zum Kern der Betriebsratstätigkeit gehört, daß der Betriebsrat sich laufend und aktuell über die mit seinen Aufgaben und Problemstellungen zusammenhängenden arbeitsund sozialrechtlichen Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung informiert 546 . Wie nun aber, wenn es sich bei der vom Betriebsrat abonnierten Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb" nicht um eine neutrale Fachzeitschrift, sondern um ein vom gewerkschaftseigenen Bund-Verlag herausgegebenes Publikationsorgan handelt, in dem vornehmlich Gewerkschaftsfunktionäre und gewerkschaftsnahe Juristen, insbesondere Arbeitsrichter, publizieren 547 ? Soll der Arbeitgeber verpflichtet sein, nicht nur - wie es das Gesetz vorsieht - die unmittelbare Betriebsratstätigkeit zu finanzieren, sondern den sozialen Gegenspieler, die Gewerkschaft selbst? Wenn es sich bei der Zeitschrift um ein nicht nur gewerkschaftsfreundliches, sondern von Gewerkschaftsseite auch inhaltlich gesteuertes Organ handelt 548 , wäre der Arbeitgeber unter zweierlei Gesichtspunkten zur Gegnerfinanzierung gezwungen: erstens unmittelbar durch Unterstützung des gewerkschaftseigenen Bund-Verlages, zweitens dadurch, daß er die Verbands- und Mitgliederarbeit, den ureigensten Interessenbereich des sozialen Gegenspielers, unterstützt, wenn der Betriebsrat inhaltlich einseitig durch die „Gewerkschaftsbrille", also mit gewerkschaftspo//i/scher Stoßrichtung, informiert wird. Gleichgültig, wie man die Finanzierungspflicht im Ergebnis beurteilt, ist dem verfassungsrechtlichen Problem methodisch jedenfalls nicht unter Rückgriff auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beizukommen. Denn quantitativ bestimmte Angemessenheitserwägungen treffen nicht den Kern der Sache: Es geht nicht darum, ob die Aufwendungen des Arbeitgebers ihrer Höhe nach im Verhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit des Betriebes gerechtfertigt erscheinen 549, denn in bezug auf das Abonnement einer Zeitschrift lassen sich 546

BAG, AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 185 Vorderseite).

547

Die Gewerkschaftsnähe sei folgendermaßen illustriert: Angesichts des Erscheinens der Zeitschrift hat eine Verwaltungsstelle der IG Metall in einem Rundschreiben vom 9.7.1990 festgestellt, daß der Vorstand der IG Metall alle arbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Informationsdienste einstelle und daß die Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb" ab sofort die alleinige gewerkschaftliche Informationsquelle für den Betrieb sei. Nachweise bei Schwerdiner, DB 1981, S. 995 1. Sp. 548

So etwa LAG Baden-Württemberg v. 1.9.1981 - 1 Ta BV 1/81, AuR 1982, 356 ff. (358); LAG Düsseldorf v. 5.5.1981 - 11 Ta BV 6/81, nach Schwerdiner, DB 1981, S. 994; a.A. Naendrup, AuR 1982, S. 359 f. Auch das BAG (AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972, Bl. 186) und das BVerfG (AP Nr. 20a zu § 40 BetrVG 1972), die beide die Finanzierungspflicht im Ergebnis bejaht haben, stellen die gewerkschaftspolitische Zielsetzung der Zeitschrift nicht ernstlich in Frage mit der Erwägung, hierauf komme es letztendlich nicht an. 549

Insoweit zur Verhältnismäßigkeitsprüfung aber BAG, AP Nr. 17 zu § 40 BetrVG

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

13

selbst für einen Kleinbetrieb kaum einmal unverhältnismäßige Aufwendungen denken. Die Frage, ob die Abonnementskosten unangemessen sind und ob dem Arbeitgeber ein quantitatives „Zuviel" 5 5 0 auferlegt wurde, stellt sich deshalb nicht; sie verstellt vielmehr den Blick für das Eigentliche, ob es nämlich dem Arbeitgeber prinzipiell angesonnen werden kann, überhaupt eine gewerkschaftspolitisch ausgerichtete Zeitschrift zu finanzieren und sich dadurch vor den Karren des Koalitionsgegners spannen zu lassen. Problematisch ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit die Kostentragungslast an sich. Die Gerichte haben Zumutbarkeitsüberlegungen in diesem Zusammenhang auch folgerichtig angestellt. Es fällt auf, daß der Verhältnismäßigkeitsgedanke zwar verschiedentlich Erwähnung findet, sich im Ergebnis aber nirgendwo als tragfähig erwiesen hat 551 . Das Bundesverfassungsgericht 552 hat den Zumutbarkeitsgedanken - wenn auch im Ergebnis ablehnend - klar hervorgehoben und festgestellt, daß Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht verletzt sei, daneben auch für die Anerkennung des von der Beschwerdeführerin herangezogenen Prinzips der absoluten (!) Zumutbarkeitsgrenze „jedenfalls hier" kein Raum bestehe. Der Zumutbarkeitstopos spielt nicht nur beim Abonnement der Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb" eine Rolle, er problematisiert auch die (ebenfalls bei § 40 BetrVG angesiedelte) Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für die Teilnahme von Betriebsräten an Schulungs- und BildungsVeranstaltungen. Es handelt sich hier um eine dieselben rechtlichen Fragen betreffende Parallelproblematik. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber im Rahmen der §§37 Abs. 6, 40 BetrVG auch die Teilnahme seines Betriebsrates an solchen Veranstaltungen zu finanzieren, soweit das dort vermittelte Wissen benötigt wird zur ordnungsgemäßen Erfüllung betriebsrätlicher Aufgaben 553 . Doch gilt dies in gleicher Weise für die Teilnahme an gewerkschaftlichen Veranstaltungen? Auch insoweit sind Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte auseinanderzuhalten. Bei der Verhältnismäßigkeit der

1972 (Bl. 185 Rückseite), und BAG, AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 139 Rückseite), Schwerdtner, DB 1981, S. 992. 550

Formulierung von Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 323.

551

BAG, AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 185 Rückseite, Bl. 187 Rückseite) mit dem Hinweis, bezüglich der Höhe (Angemessenheit) der Finanzierungspflicht bestehe zwischen den Beteiligten kein Streit, anders zum Problem der Finanzierung an sich (Zumutbarkeit). BAG, AP Nr. 17 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 139). S.a. LAG Baden-Württemberg, AuR 1986, 356 ff. (358): kein Wort zur Verhältnismäßigkeit, auch nicht in der ablehnenden Besprechung der Entscheidung von Naendrup, AuR 1982, S. 358 ff. 552 553

BVerfG, AP Nr. 20a zu § 40 BetrVG 1972.

BAG, AP Nr. 5 zu § 40 BetrVG (Bl. 2 Rückseite); Hess/Schlochauer/Glaubitz, Kommentar zum BetrVG, § 40 Rn. 55.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Finanzierungspflicht wird die Frage relevant, „ob die in den Kursgebühren enthaltenen Einzelposten durch die konkrete Schulungs- und Bildungsveranstaltung verursacht worden sind und ob diese Posten erforderlich und verhältnismäßig waren" 554 . Dabei ist zu prüfen, ob die mit den Kursen entstehenden Kosten auch mit der Größe des Betriebes zu vereinbaren sind, ob der mit der Veranstaltung erstrebte Zweck noch in einem vertretbaren Verhältnis zu den bisher für Schulungen aufgewendeten und künftig noch aufzuwendenden Mitteln steht 555 . Insbesondere der Konnex zur Leistungsfähigkeit des Betriebes zeigt hier, daß es sich um eine rein quantitative Erwägung handelt: Je kleiner der Betrieb und je geringer dessen Leistungsfähigkeit, desto eher kann eine Aufwendung unverhältnismäßig werden. Die Frage ist also, ob dem Arbeitgeber ein „quantitatives Zuviel" auferlegt wurde. Hierfür kommt es aber nicht darauf an, wer Veranstalter ist, welches Wissen vermittelt wird und aus wessen Sicht die Inhalte dargeboten werden. Die eigentliche Problemebene wird bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung völlig ausgeblendet und läßt sich nur über eine Zumutbarkeitsbetrachtung erfassen: Kann der Arbeitgeber auch insoweit überhaupt verpflichtet werden, sich vor den gewerkschaftlichen Karren spannen zu lassen, indem er die gewerkschaftliche Interessenvertretung finanziert? Denn es liegt auf der Hand, daß gewerkschaftliche oder gewerkschaftlich dominierte Veranstaltungen eine verbandspolitisch motivierte Tendenz aufweisen, weshalb den Betriebsräten Informationen inhaltlich einseitig vermittelt werden 556 . Das prinzipielle Element in der Zumutbarkeitsprüfung unterscheidet sich grundlegend von der quantitativ bestimmten Kategorie der Verhältnismäßigkeit: Es geht nicht um die Belastungshöhe, vielmehr um die vorgelagerte Frage des „Überhaupt": Ist die Kostentragungspflicht dem Arbeitgeber in diesen Fällen an sich zumutbar? 557 Zu fragen ist, worin im Hinblick auf die Finanzierungspflicht das spezifisch Unzumutbare für den Arbeitgeber liegen soll. Vom Bundesarbeitsgericht und Teilen der Literatur wird immer wieder 554

BAG, AP Nr. 17 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 139 Rückseite), ebenso LAG SchleswigHolstein, LAGE 20 v. 23.2.1988, Rn. 22 (Beschluß vom 3.9.1987 - 4 Ta BV 25/87). 555

BAG, AP Nr. 26 zu § 37 BetrVG 1972 (Bl. 2 Rückseite).

556

Davon geht auch BAG, AP Nr. 17 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 139 Rückseite) aus.

557 Die Unterschiedlichkeit beider Aspekte wird betont in BAG, AP Nr. 41 zu § 40 BetrVG (Bl. 76 Vorderseite): „Die Kostenerstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 Absatz 1 in Verbindung mit § 37 Absatz 6 und § 65 Absatz 1 BetrVG ist durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie durch den koalitionsrechtlichen Grundsatz, daß kein Verband zur Finanzierung des gegnerischen Verbandes verpflichtet werden kann, eingeschränkt". Der „An-sich-Aspekt" der Zumutbarkeit klingt auch an bei Schwerdtner, SAE 1984, S. 266 ff. (267 1. Sp.). Freilich werden dort Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit nicht in der erforderlichen Weise auseinandergehalten. Bei Schwerdtner erscheint die Zumutbarkeitsformulierung stellvertretend für eine quasi „generalisiert" verstandene Verhältnismäßigkeit.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

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das „Prinzip der Gegnerreinheit" in Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG genannt. Art. 9 Abs. 3 GG enthält die objektiv-rechtliche Garantie eines arbeitsverfassungsrechtlichen Ordnungsprinzips 558, das zwingend die Existenz arbeitsrechtlicher Koalitionen voraussetzt 559, die sich zueinander im Verhältnis der freien Koalitionskonkurrenz befinden. Konsequenterweise geht die völlig allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur davon aus, daß zu den Konstitutionsmerkmalen einer arbeitsrechtlichen Koalition zwingend die „Gegnerfreiheit" gehört, m.a.W. müssen die sozialen Gegenspieler hinsichtlich ihrer mitgliedschaftlichen Zusammensetzung und ihrer Finanzierung vom jeweils anderen unabhängig sein 560 . Dieser Konzeption ist zwar vorbehaltlos zuzustimmen, sie führt aber für die Frage der Finanzierungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen der §§36 und 40 BetrVG nicht weiter. Denn das nicht in einem formalen Sinne zu verstehende 561 Prinzip der Gegnerfreiheit ist nur dann verletzt, wenn eine wechselseitige Einflußnahme entweder auf die Selbstbestimmung der Koalitionen oder auf ihre Fähigkeit zu befürchten wäre, die Interessen ihrer Mitglieder nachhaltig und wirksam zu vertreten. Es liegt aber auf der Hand, daß eine solch nachhaltige, funktionsbeeinträchtigende Einflußnahme weder bei der Finanzierung der Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb" noch bei der Kostentragung für gewerkschaftlich dominierte Schulungsveranstaltungen vorliegt 562 . Die Gerichte haben demnach einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG konsequent verneint 563 . Diese Feststellung sagt aber noch nichts darüber aus, ob der Eingriff auch zumutbar ist. Selbst wenn die Finanzierungspflicht das Prinzip der Gegnerreinheit der Koalitionen und damit deren Durchsetzungsfähigkeit nicht beeinträchtigt, bleibt doch die Frage, ob es dem Arbeitgeber im übrigen verfassungsrechtlich angesonnen werden kann, die Arbeit des sozialen Gegenspielers, dessen Interessen den eigenen im allgemeinen widersprechen, zu finanzieren. Die Gerichte, die die Kostentragungspflicht mangels Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG bejaht haben, haben den Gedanken der Unzumutbarkeit völlig außer acht gelassen564 — dies, obwohl der Große Se-

558

Scholz, in: Maunz/Dürig

559

Scholz, ebd., Rn. 170, 246.

(Stand 1993), Art. 9 GG Rn. 172.

560 BAG, AP Nr. 41 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 76 Vorderseite); BAG, AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 187 Vorderseite). Zum Prinzip der Gegnerfreiheit ausführlich Nipperdey, in: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I I /1, § 6 II, S. 90 ff.; Kraft, Anm. zu AP Nr. 5 zu § 40 BetrVG (Bl. 552 ff., insb. 554). 561

Scholz, in: Maunz/Dürig

562

BVerfG, AP Nr. 20a zu § 40 BetrVG 1972 (Bl. 293 Rückseite).

(Stand 1993), Art. 9 GG Rn. 208.

563 Vgl. nur BVerfG, a.a.O., und in AP Nr. 13 zu § 40 BetrVG; BAG, AP Nr. 17 und 20 zu § 40 BetrVG 1972. 564

Ebenso Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 323. Vgl. aber BAG,

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

nat des Bundesarbeitsgerichtes bereits im Jahre 1967 den Weg gewiesen und festgestellt hat, daß „eine Koalition von der anderen nichts Unzumutbares verlangen darf 4 , wobei die Unzumutbarkeit auch darin liegen könne, „sich in die Dienste des Koalitionsgegners spannen lassen" zu müssen565. In der Entscheidung des Großen Senates ist der entscheidende Gesichtspunkt mit wünschenswerter Klarheit ausgesprochen. Das Betriebsverfassungsgesetz geht - insoweit unwidersprochen - für das Verhältnis des Betriebsrates zu den im Betrieb vertretenen Koalitionen vom Grundsatz der Aufgabentrennung aus. Folgerichtig hat der Betriebsrat seine Aufgaben unabhängig von Arbeitgeber(-verbänden) und Gewerkschaften auszuüben, insbesondere ist er nicht „verlängerter Arm" der Gewerkschaften 566. Postuliert das BetrVG in § 2 Abs. 1, § 75 Abs. 1 S. 1 und § 74 Abs. 3 ein betriebsrätliches Neutralitätsgebot, so folgt daraus ebenso, daß die gesetzliche „Zusammenwirkungspflicht" des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat dort endet, wo sich letzterer als sozialer Gegner versteht, sich gleichsam also ins Gewerkschaftslager begibt 567 . Andererseits ist nicht zu leugnen, daß gerade die Gewerkschaften in einer vielfältigen Wechselbeziehung zum Betriebsrat stehen, die sich auch darin äußert, daß sie den Betriebsrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen haben. Aber diese von der Rechtsprechung und Literatur so genannte „betriebsverfassungsrechtliche Unterstützungsfunktion" der Gewerkschaften darf die Grenzen betriebsrätlicher Neutralität nicht verwischen. Die gewerkschaftliche Unterstützung kann ihre Wirkung also nur innerhalb der dem Betriebsrat von Gesetzes wegen zugewiesenen Aufgaben entfalten und teilt deren Grenzen. Die Betriebsratstätigkeit ist aber gegenständlich beschränkt auf das „Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes" im Sinne von § 2 BetrVG. In einem solchermaßen betriebsbezogen verstandenen Sinne können und dürfen Betriebrat und Gewerkschaften zusammenwirken, ohne das Gebot der Unabhängigkeit zu verletzen. Problematisch wird es dann, wenn die Gewerkschaftsarbeit - wie meist den engbegrenzten Bereich betrieblicher Interessenwahrnehmung verläßt und in die überbetriebliche Verbandsarbeit einmündet 568 . Hier erreicht das geAP Nr. 41 zu § 40 BetrVG (Bl. 76 Vorderseite), wo nicht mit Art. 9 GG, sondern mit einem „koalitionsrechtlichen Grundsatz" argumentiert wird, der die Finanzierungspflicht einschränken könne. 565

BAG GS, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG (Bl. 354 Vorderseite).

566

Hess / Schlochauer / Glaubitz, BetrVG, § 2 Rn. 26; Caspar, S. 54; v. Hoyningen-Hue-

ne, Betriebsverfassungsrecht, S. 41. 567

Hess/Schlochauer/Glaubitz,

BetrVG, § 2 Rn. 32;

Fitting/ Auffarth/Kaiser/Heither,

BetrVG, § 2 Rn. 28, 34. 568 Besonders Caspar (Die gesetzliche und verfassungsrechtliche Stellung der Gewerkschaften im Betrieb, S. 53) hat darauf hingewiesen, daß Gewerkschaften überbetriebliche, verbandspolitische Interessen wahrnehmen und deshalb auch bereit sind, das Wohl des

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

werkschaftliche Engagement eine andere Dimension, hier geht es um verbandsegoistische Zielsetzungen und die Stärkung der eigenen Position zulasten der des sozialen Gegenspielers. Diese neue Dimension gilt es nicht aus dem Blick zu verlieren bei der Frage, ob es dem Arbeitgeber angesonnen werden kann, gewerkschaftspolitisch motivierte Schulungsveranstaltungen und den Bezug einschlägiger Fachzeitschriften zu finanzieren 569. Mitgliederwerbung und Mitgliederinformation gehören ebenso zum Kernbereich koalitiver Betätigung wie die Information der Betriebsräte mit dem Ziel, ihnen die spezifisch verbandspolitische Sicht der Dinge zu vermitteln und sie in diesem Sinne zu beeinflussen. Mit betriebsverfassungsrechtlicher Unterstützung hat dies nichts zu tun. Die Finanzierung der originären Verbandsarbeit aber ist für den Arbeitgeber unzumutbar, weil sie ihn zwingen würde, entgegen der eigenen schützenswerten und oftmals genau entgegengesetzten Überzeugung zu handeln, die eigene Position insoweit selbst zu verleugnen. Im Extremfall kann die Selbstverleugnung in Selbstschädigung umschlagen, etwa wenn die Betriebsräte mittels gewerkschaftseigener Schulungsveranstaltungen auf den Kampf für beinebswirtschaftlich unhaltbare Lohnforderungen oder auf die Vorbereitung rechtswidriger Streiks eingeschworen werden sollen. Mögen solche Betätigungen in koalitiver Sicht legitim sein, so dürfen sie doch betriebs verfassungsrechtlich nicht auf Kosten des Arbeitgebers gehen. Denn vom Arbeitgeber wird in dieser Situation nicht nur verlangt, ein den eigenen Interessen zuwiderlaufendes Handeln anderer in seinem Betrieb zu dulden, entscheidend für die Unzumutbarkeit solcher Finanzierungspflichten ist, daß der Arbeitgeber dieses Handeln aktiv unterstützen muß. Ein solch aktives Tätigwerden widerspricht dem Gedanken der Sozialpartner-Parität 570,

Betriebes, auf das der Betriebsrat verpflichtet ist, gesamtwirtschaftlichen Vorstellungen zu opfern. Dem Betriebsrat wäre nach dem Betriebsverfassungsgesetz eine Mitwirkung an der Durchsetzung solcher Vorstellungen verboten! 569

In der Rechtsprechung des BAG besteht die Tendenz, den Aspekt des (legitimen!) gewerkschaftlichen Verbandegoismus bei der betrieblichen Gewerkschaftsarbeit etwas blauäugig auszublenden. Stattdessen wird die „betriebsverfassungsrechtliche Unterstützungsfunktion", die gleichsam altruistisch motiviert sein soll, überbetont. Besonders problematisch ist hierbei, daß sich bei gehörig extensiver Interpretation dieses Begriffes ein betriebsverfassungsrechtlicher Konnex immer findet, mit dem sich dann letztlich jede Gewerkschaftsarbeit praeter legem als Unterstützung des Betriebsrates rechtfertigen läßt. Vgl. insoweit nur den Hinweis in BAG, SAE 1984, S. 261 (265 1. Sp.), wonach es für die Qualifizierung der Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb" als „betriebsverfassungsrechtlich unterstützend" ausreiche, wenn sich die Beiträge „ganz überwiegend" mit arbeitsrechtlichen, insbesondere betriebsverfassungsrechtlichen Fragen befassen, ohne daß es auf deren Verfasser (!) und deren Inhalt (!) ankomme. 570

Hierzu allgemein Kaiser, Die Parität der Sozialpartner.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

der auch dort, wo er nicht gesetzlich positiviert ist 571 , das Arbeits- und Sozialrecht durchwirkt. Und dies nicht etwa nur in der Form der Kampfparität und der Waffengleichheit beim Ringen um den Inhalt von Tarifverträgen 572, sondern auch in Form eines Gegengewichtsprinzips allgemeiner Natur 573 . Unabhängig davon, wie man die Stärke der Tarifgegner im Verhältnis zueinander bei rechtssoziologischer Betrachtung beurteilt 574 , ist festzuhalten, daß das freie Spiel der Kräfte, das dem Gesetzgeber für das Verhältnis der Koalitionen untereinander vorgeschwebt hat, empfindlich gestört wird, wenn ein Tarifgegner Teile seiner Verbandsarbeit auf Kosten des anderen durchführen kann. Auch unter diesem Aspekt der Sozialparität ist die Unzumutbarkeit arbeitsrechtlicher Gegnerfinanzierungspflichten zu bejahen, weil dem Arbeitgeber auch insoweit ein Handeln entgegen den eigenen Interessen angesonnen wird. Könnte die Gewerkschaft ihre verbandsegoistischen Interessen auf Kosten des Arbeitgebers verfolgen, so wäre dieser zur Förderung der Kampfkraft des Tarifgegners und insoweit zu Selbstschädigung verpflichtet. Eine Selbstschädigung verlangt das Gesetz von ihm aber nicht. Zusammenfassend kann man sagen, daß sich die Beurteilung arbeitsrechtlicher Gegnerfinanzierungspflichten nur unter dem Aspekt der Zumutbarkeit methodisch befriedigend erfassen läßt. Der Verhältnismäßigkeitsgedanke ist unbrauchbar, weil sich die Problematik hier nicht in einer quantitativen Komponente erschöpft, vielmehr eine mit Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht erfaßbare prinzipielle Dimension aufweist. Die Zumutbarkeit erscheint hier als Teil des Strebens nach der richtigen Einzelfallentscheidung 575, indem sie einseitig Aspekte des Betroffenen (hier des Arbeitgebers) zur Geltung bringt, die diesem die Pflichtenauferlegung unerträglich machen. Die spezifische „Unerträglichkeit" liegt darin, daß der Arbeitgeber gezwungen werden soll, ein Handeln des sozialen Gegenspielers zu finanzieren, das sich letztlich gegen ihn richtet. Unabhängig davon, wie man die Frage der Gegnerfinanzierung im Ergebnis beurteilt, also selbst wenn man dem Bundesarbeitsgericht in seiner Argu-

571

Etwa in §§ 25 KSchG, 116 AFG.

572

Hierzu insbesondere Göll, Arbeitskampfparität und Tariferfolg.

57 3

Zöllner/Seiter, Hans Peters, S. 944.

Paritätische Mitbestimmung, S. 52 ff.; Mayer-Maly,

in: GedS für

57 4 Göll (Arbeitskampfparität und Tariferfolg, S. 176 ff.) hat etwa nachgewiesen, daß sich die Erfolgsquote der Gewerkschaften im Hinblick auf die Auseinandersetzung bei Tarifkonflikten bei etwa 50% einpendelt. Deshalb läßt sich mit guten Gründen behaupten, daß die sozialen Gegenspieler in tatsächlicher Hinsicht in etwa gleich stark sind, die These von einer „permanenten Unterlegenheit" der Arbeitnehmerseite also nicht haltbar ist. 575

Hierzu bereits oben S. 40.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

mentation folgt, so handelt es sich doch in jedem Fall um einen Anwendungsfall des vom Verhältnismäßigkeitsgedanken kategorial verschiedenen Zumutbarkeitstopos.

(2) Die Fälle der (fehlenden)

besonderen Aufgabenverantwortlichkeit

(a) Problemaufriß Der Gedanke der prinzipiellen Zumutbarkeit erweist sich - generell gesprochen - dort als tragfähig, wo der Betroffene für Aktivitäten in Anspruch genommen wird, die nicht seiner Sphäre entstammen, für die er nicht verantwortlich ist, mit der ihn keinerlei Bezüge verbinden, die wesensmäßig und zwangsläufig seinen eigenen Interessen widersprechen. Insofern dem Beispiel arbeitsrechtlicher Gegnerfinanzierungspflichten vergleichbar sind die Fälle der Indienstnahme Privater für staatliche Verwaltungsaufgaben. Das Rechtsinstitut der Indienstnahme Privater wurde entwickelt zur systematischen Erfassung des Phänomens, daß der Staat Verwaltungsaufgaben nicht in jedem Fall selbst erfüllt, sondern „in Ermangelung oder zur Schonung verwaltungseigener Mittel die persönlichen oder sächlichen Kräfte Privater kraft Gesetzes in Anspruch nimmt, um durch sie öffentliche Aufgaben erledigen zu lassen" 576 , wobei die Erledigung meist durch staatliche Aufsichts- und Zwangsmittel sichergestellt ist 577 . Instruktiv hierzu ist die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Verfassungsmäßigkeit des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber 578 , die - allerdings ohne Rekurs auf den Aspekt prinzipieller Zumutbarkeit - im Endergebnis bejaht wurde: Unter Zumutbarkeitsaspekten wäre es zwar ohne weiteres möglich gewesen, den Arbeitgeber zur Steuererhebung in eigenen Angelegenheiten heranzuziehen, die Besonderheit des Lohnsteuer-

57 6

Ipsen, in: FS für Kaufmann, S. 141 ff. (145).

577

Wesensmäßig ist die Indienstnahme nicht mit der Beleihung Privater zu verwechseln: Bei der Beleihung wird die staatliche Aufgabe als solche zusammen mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen auf den Privaten übertragen. Konsequenterweise wird der Beliehene auch hoheitlich gegenüber dem betroffenen Bürger tätig. Bei der Indienstnahme bleibt die Aufgabenverantwortlichkeit grundsätzlich beim Staat, lediglich im Hinblick auf die Aufgabendurchführung werden Private in jeweils verschiedenem Umfang herangezogen, wobei das Verhältnis zum betroffenen Bürger durch einen insgesamt zivilrechtlichen Charakter gekennzeichnet bleibt. Vereinzelt eingeräumte hoheitliche Befugnisse ändern hieran nichts, stellen vielmehr einen „Annex" dar, durch den das „Wie" der Aufgabenerledigung sichergestellt wird. Vgl. Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater für Verwaltungsaufgaben, S. 36 ff., insb. S. 40. Allgemein zur Rechtsfigur der Indienstnahme Privater K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 108-110, insb. S. 203 ff.; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 184 ff., insb. S. 190, 196 ff.; v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 38 ff., insb. S. 39 f. 578

BFHE 77, 40 ff.

16

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

abzugs liegt aber gerade darin, daß der Arbeitgeber hier in fremden Angelegenheiten des Arbeitnehmers mitwirken muß, die ihn zunächst, vom System her betrachtet, nichts angehen. Die prinzipielle Zumutbarkeit einer solchen Sonderbelastung hätte einer eingehenderen Begründung bedurft 579 . Um eine solchermaßen verstandene staatliche Indienstnahme Privater handelt es sich beispielsweise bei folgenden Fallgruppen: (a) bei der gesetzlichen Bevorratungspflicht von Erdölerzeugnissen durch Mineralölgesellschaften und Importunternehmen 580 (b) bei den gesetzlichen Mitwirkungspflichten von Banken im Hinblick auf die Besteuerung ihrer Bankkunden 581 (c) bei der gesetzlichen Verpflichtung von Beförderungsunternehmen, gegen eine pauschale Vergütung Schwerbehinderte unentgeltlich zu befördern 582 (d) bei der Verpflichtung eines Sachverständigen zur Gutachtenerstattung unter Beschränkung der Höhe seines Entschädigungsanspruchs im gerichtlichen Verfahren 583 (e) bei der Verpflichtung der Arbeitgeber zur Aufzeichnung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer des Arbeitnehmers 584. Für alle diese Fälle ist kennzeichnend, daß auf einen Privaten „staatliche" bzw. „öffentliche" Aufgaben übertragen werden, die sich angesichts seines normalen, erwerbswirtschaftlichen Betätigungsspektrums als „hoheitliche Fremdkörper" ausnehmen. Der Private wird von Staats wegen gezwungen, sächlich-räumliche, personelle oder finanzielle Mittel für Angelegenheiten eines anderen, die prinzipiell „nicht seine Sache sind", zur Verfügung zu 579 So im Ergebnis auch Gallwas, BayVBl. 1971, S. 245 (248 r. Sp.), der die Problematik freilich nicht unter dem Aspekt prinzipieller Zumutbarkeit behandelt, den Begriff der Zumutbarkeit vielmehr (ebd., S. 246 r. Sp.) im rein quantitativen Sinne als „Angemessenheit" von Zweck und Mittel versteht. 580

Vgl. § 2 Gesetz über die Mindest Vorräte an Erdölerzeugnissen vom 9.9.1965 i.d.F. v. 4.9.1975, BGBl. I S. 2471. Hierzu eingehend Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater. 581 Vgl. die Auskunftspflichts- und Vorlagepflichten „anderer Personen" als der Beteiligten nach § 92 ff. AO (1977), dort insb. §§ 93, 97, 154 Abs. 2 AO (1977). Vgl. weiter die Pflicht zu Kontrollmitteilungen nach § 194 Abs. 3 und § 200 Abs. 1 AO (1977), die Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG, die Mitwirkungspflicht bei der Erhebung der Kuponsteuer nach § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Vgl. zum ganzen Herrler, Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden. 582

Vgl. §§ 59, 62 Schwerbehindertengesetz v. 26.8.1986 (BGBl. I S. 1421, 1550).

583

Vgl. § 407 ZPO i.V.m. § 3 Abs. 2 S. 1 Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz i.d.F. v. 1.10.1969 (BGBl. I S. 1756). 584 Hierzu BVerfGE 44, 103; allgemein zur Lohnsteuer §§ 41 - 4 1 b EStG und die damit korrespondierende Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG. Hierzu allgemein Hahn, Zur Problematik der Haftung der Arbeitgeber für die Lohnsteuer; Riepen, Die Rechtstellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugs verfahren.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

stellen. Problematisch ist hierbei die Eingrenzung des Begriffes der „staatlichen" bzw. „öffentlichen" Aufgabe, will man nicht eine endlose Ausuferung des Indienstnahmebegriffes zulassen. Unabhängig von allen hierzu vertretenen Ansätzen 585 dürfte jedenfalls Einigkeit darüber bestehen, daß ein Indienstnahmesachverhalt immer dann vorliegt, wenn der Staat die übertragene Aufgabe für den Fall der NichtÜbertragung auf Private selbst wahrnehmen müßte 586 , sei es, daß man eine entsprechende Wahrnehmungspflicht aus der Natur der Sache587, aus gesetzlichen Grundlagen, aus der historischen Entwicklung der Aufgabenerfüllung 588 ableitet, sei es, daß sich die Notwendigkeit der Aufgabenübernahme ganz allgemein aus deren Wichtigkeit und Dringlichkeit für das Gemeinwohl ergibt 589 . Im Hinblick hierauf fällt es nicht schwer, die Mineralölbevorratung als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren, obwohl doch ein ebenso starkes privates Interesse an der Aufrechterhaltung der Energieversorgung im Krisenfalle besteht 590 . Die Tatsache aber, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Sicherstellung der Energieversorgung als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" einordnet, verbunden mit der Erwägung, daß auch der Staat die Mineralölbevorratung als seine Aufgabe akzeptiert hat 591 , spricht entscheidend dafür, insoweit einen Indienstnahmesachverhalt anzunehmen. Nicht anders steht es mit den gesetzlichen Mitwirkungspflichten der Banken bei der Steuererhebung und der Parallelproblematik des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber 592 . Dabei kann es keinen Zweifeln unterliegen, daß die Steuererhebung und -eintreibung eine staatliche Aufgabe ist. Die Besonderheit der verfassungsrechtlichen Fragestellung liegt insoweit aber darin, daß ein Dritter (die Bank bzw. der Arbeitgeber) verpflichtet wird, gerade die Pflichten eines anderen zu übernehmen 593. Denn die Steuererklärungspflicht gehört zu den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten des Steuerpflichti-

585

Vgl. hierzu eingehend Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater,

S. 4 ff. 586

Ipsen, in: FS für Kaufmann, S. 157; Gallwas, BayVBl. 1971, S. 245.

587

BVerfG, NJW 1970, 275 (277); Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 168.

588

Peters, in: FS für Nipperdey, S. 880.

589

Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 9.

590

Vgl. Ehlermann, Wirtschaftslenkung, S. 62-66, der in der Tat eine private Aufgabe annimmt und deshalb einen Indienstnahmesachverhalt ablehnt. 591 Mit der Einlagerung einer Bundesrohölreserve hat der Staat seine Bevorratungslast anerkannt. Vgl. BT-Drs. 7/2713, S. 9. 592

Das BVerfG (E 22, 380 [383]) hebt die Parallele ausdrücklich hervor.

593

Hartz, DB 1961, S. 1365 (1367); Ipsen, in: FS für Kaufmann, S. 145.

11 Albrecht

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

gen 594 , so daß es grundsätzlich auch ihm obliegt, die notwendigen Informationen und Auskünfte zu erteilen. Ebenso verhält es sich mit der Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer, die grundsätzlich dem Steueradressaten, also dem Arbeitnehmer zugewiesen ist 595 . In der gleichen Weise wird auch der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren in die Pflicht genommen. Er ist verpflichtet, Gutachten unter Beschränkung der Höhe seines Entschädigungsanspruches zu erstellen 596 und stellt sich damit in den Dienst des Gerichtes, dessen Aufgabe es an sich wäre, sich selbst fachkundig zu machen und das sich des Gutachters als „Gehilfen" bedient 597 . Der Beförderungsunternehmer mit seiner Verpflichtung, Schwerbehinderte unentgeltlich zu befördern, wird vom Staat zur Verwirklichung sozialpolitischer Ziele in Anspruch genommen. Denn die unentgeltliche Beförderung soll dazu beitragen, einer Isolierung Behinderter vorzubeugen oder sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern; dabei handelt es sich um eine öffentliche Aufgabe 598 .

(b) Die generelle Zulässigkeit der Indienstnahme Privater als solche, insbesondere: die spezifische Zumutbarkeitsgrenze Dem Grundgesetz ist eine Stellungnahme zur generellen Zulässigkeit der Indienstnahme Privater nicht zu entnehmen599, so daß durch das Schweigen des Verfassungsgebers ein Rückgrifff auf allgemeine Rechts- und Verfassungsprinzipien eröffnet wird. Zieht man insoweit das Subsidiaritätsprinzip heran, so ergibt sich sehr schnell, daß man die Indienstnahme mit seiner Hilfe nicht in den Griff bekommt. Denn nach dem Subsidiaritätsprinzip wäre es dem Staat nur verwehrt, Tätigkeiten zu übernehmen, die dem nichtstaatlichen Bereich zuzuordnen sind und besser von Privaten erledigt werden könnten 600 . Ist jedoch wie bei der Indienstnahme eine Tätigkeit als prinzipiell staatliche anerkannt, so ist der Staat auch an erster Stelle, nicht subsidiär für die Aufgabenerledigung verantwortlich.

594

Scholz, in: Maunz/Dürig,

Art. 12 GG Rn. 481.

595

Hahn, Zur Problematik der Haftung der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, S. 10, Riepen, Die Rechtstellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugs verfahren, S. 11 f. 596

BVerfGE 33, 240 (244).

597

Thomas / Putzo, ZPO, Vorb. zu § 402, Anm. 1, 3.

598

BVerfGE 68, 155 (170 f.).

599

Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 68; v. Mutius, VerwArch. 63 (1972), S. 329 (330); Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137 (163). 600

BVerfGE 10, 59 (83); Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 28, 318.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Auch im Hinblick auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG lassen sich für die Indienstnahme keine Beschränkungen herleiten. Denn Art. 33 Abs. 4 GG gilt nur im Bereich der „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse", an der es bei der Indienstnahme (im Gegensatz zur Beleihung) in der Regel fehlt, weil das Verhältnis zwischen dem Indienstgenommenem und dem Bürger zivilrechtlich bestimmt bleibt. Einzelne „hoheitliche Anklänge", etwa wenn einzelne Befugnisse „akzidentiell", quasi als Aufgabenannex übertragen werden, sind im Hinblick auf ihre quantitativ und qualitativ geringe Bedeutung unbedenklich601. Schließlich bildet auch Art. 12 Abs. 2 GG keine ernstzunehmende Hürde für die Zulässigkeit der Indienstnahme. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts lassen Wortlaut und Entstehungsgeschichte des in Art. 12 Abs. 2 GG enthaltenen Verbots der Zwangsarbeit erkennen, daß die im nationalsozialistischen System üblich gewordenen Formen der Zwangsarbeit mit ihrer Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit ausgeschlossen werden sollten 602 . Die juristische Literatur hat sich der so umschriebenen Schutzbereichsdefinition angeschlossen603. Damit ist klar, daß eine verbotene Zwangsarbeit dann nicht vorliegt, wenn - wie bei der Indienstnahme - im Rahmen eines ohne staatlichen Zwang gewählten Berufes bestimmte gesetzliche Aufgabenverpflichtungen auferlegt werden, die das „Wie" der Berufsausübung nicht festlegen, allenfalls nur tangieren. Haben sich bisher durchgreifende Gesichtspunkte für eine Begrenzung der Indienstnahmepflichten nicht finden lassen, so entfaltet hier die prinzipielle Zumutbarkeitsgrenze ihre spezifische Wirkung. Charakteristisch ist bei der Beurteilung der Indienstnahmefälle, daß rein quantitative Erwägungen nicht stets weiterhelfen. Den Indienstgenommenen kann es egal sein, ob etwa 15% oder nur 10% ihrer Arbeits- und Finanzkraft für die Erledigung an sich staatlicher Aufgaben aufgewendet werden müssen. Die spezifische Indienstnahmeproblematik liegt auch nicht darin, ob etwa die Belastung der Privaten einerseits im Vergleich zur Entlastung des Staates andererseits in einem angemessenen Verhältnis steht. Solch quantitative Erwägungen treffen bereits dogmatisch nicht den Kern der Problematik, denn für die Privaten ist nicht entscheidend, ob ihnen ein quantitativ nicht zu rechtfertigendes Zuviel auferlegt wurde, vielmehr wird die Frage relevant, ob den Indienstgenommenen überhaupt angesonnen werden kann, fremde Angelegenheiten wahrzunehmen. Andererseits dürfte es bei einer rein quantitativen Betrachtung schwierig sein, die 601 Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137 (162); Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 70 f. 602 603

BVerfGE 22, 380 (383).

Vgl. nur Ipsen, AöR 90 (1965), S. 393 ff. (421); Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 78 f. 11*

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Unangemessenheit einer Belastung zu bejahen. Denn hinter der Indienstnahme Privater stehen fast durchweg Rechtsgüter von „überragendem" oder doch „wichtigem" Gemeinschaftsinteresse 604, angesichts derer sich eine unangemessene Belastung des Indienstgenommenen kaum einmal feststellen lassen wird. Anders ist dies bei der prinzipiellen Zumutbarkeitskomponente, die danach fragt, ob die Indienstnahme dem betreffenden Privaten bereits als solche, quasi „von vornherein" auferlegt werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst entscheidend, daß die Privaten für ihnen wesensmäßig fremde Aufgaben herangezogen werden. Gerade darin liegt die spezifische Zumutbarkeitsproblematik. Umgekehrt steht und fällt das Zumutbarkeitsurteil damit, ob es gelingt, die (fremde) Aufgabenerledigung in einen inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit des Privaten zu bringen 605 . Könnte man sagen, daß den Indienstgenommenen trotz der prinzipiellen „Fremdheit" der Aufgabe dennoch eine besondere Verantwortung für die Entstehung oder Durchführung der fremden Angelegenheit trifft, so wäre die Zumutbarkeit umso eher zu bejahen, desto stärker diese Verantwortungsbeziehung ist. Vereinfacht ausgedrückt steht und fällt die Zumutbarkeit der Indienstnahme mit der Frage nach dem sie legitimierenden Grund. Insoweit ist allerdings zu beachten, daß es nicht um die Legitimation ungleicher Belastung eines Indienstgenommenen im Vergleich zu einem Konkurrenten geht. Die zumutbarkeitsorientierten Legitimationsgründe stehen in einem anderen Licht als die gleichheitssatzorientierten, wenngleich die Erwägungen oft identisch sein werden. Der Gleichheitssatz hat einen horizontalen Blickwinkel: Beurteilt und legitimiert wird die Belastung eines Indienstgenommen mit Blick auf die Belastung eines vergleichbar Verpflichteten. Die Zumutbarkeit ist vertikal ausgerichtet, denn sie beurteilt die Belastung des Indienstgenommenen allein und für sich betrachtet im Verhältnis des Betroffenen zum indienstnehmenden Staat. Nur im Hinblick hierauf, nicht aber im Verhältnis zu anderen Indienstgenommenen bedarf es bei der Zumutbarkeit einer besonderen Legitimation. Diese besondere Legitimation kann im Lohnsteuerabzugsverfahren etwa darin gesehen werden, daß der Arbeitgeber maßgeblich zur Entstehung des Besteuerungstatbestandes beigetragen hat, indem er den steuerpflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und damit einen entscheidenden Grund für die Ein-

604 Vgl. etwa beim Lohnsteuerabzug bzw. bei den steuerlichen Mitwirkungspflichten das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichförmigen, effektiven und gerechten Steuereintreibung, bei der Mineralölbevorratung das überragende Rechtsgut der Energieversorgung, bei der Personenbeförderungspflicht die Wiedereingliederung Behinderter in die Gesellschaft. 605

Ähnlich - freilich nicht unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten - Gallwas, BayVBl. 1971, S. 248.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

kommensteuerpflicht des Arbeitnehmers gesetzt hat. Der Gesichtspunkt der Mitverursachung alleine dürfte jedoch als Legitimationsgrund für die Aufbürdung der weitreichenden Lohnabführungspflicht nicht ausreichen, zumal der Mitverursachungsanteil des Arbeitnehmers nicht geringer ist. Deshalb muß noch begründet werden, warum der Arbeitgeber in einer besonderen Verantwortungsbeziehung zur Lohnabführungspflicht steht. Nur dann ließe sich die Zumutbarkeit der Indienstnahme rechtfertigen. Hahn 606 hat die Kenntnis derjenigen Tatsachen, die die Steuerschuld nach Grund und Höhe bestimmen, sowie die Kenntnis der Person des Steuerschuldners als „Urproblem der Besteuerung" bezeichnet. Diese Tatsachen sind der unmittelbaren Kenntnis der Finanzverwaltung regelmäßig entzogen. Die Finanzverwaltung hat deshalb theoretisch zwei Möglichkeiten, sich diese Kenntnis zu verschaffen: entweder mit Hilfe des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers. Daß sich der Gesetzgeber für die zweite Möglichkeit entschieden hat, ist unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, denn es ist gerade der Arbeitgeber, dem es in der Regel nicht schwerfällt, die Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe der Gemeinden zu ermitteln und aufzuzeichnen und die entsprechend berechneten Lohnsteuern „an der Quelle" abzuführen 607. Der Arbeitgeber ist für die Auszahlung des Lohnes an den Arbeitnehmer verantwortlich und hat die hierfür notwendigen Abrechnungen (in bezug auf Arbeitstunden etc.) vorzunehmen. Dadurch hat er naturgemäß in besonderer Weise Kenntnis von einem entscheidenden Teil der Besteuerungsgrundlagen 608. Zu der Verantwortung des Arbeitgebers für die Steuerentstehung tritt als entscheidender weiterer Gesichtspunkt hinzu, daß der Arbeitgeber in der Regel einen Wissensvorsprung vor der Finanzverwaltung hat, die sich dieses Wissen erst mit Hilfe eines umfangreichen Verwaltungsapparates verschaffen müßte 609 . Die spezifische Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zur Lohnsteuererhebung wird nicht etwa dadurch ausgeschlossen, daß es auch dem Arbeitnehmer als primär Verantwortlichem auferlegt werden könnte, der Steuerverwaltung Kenntnis vom relevanten Sachverhalt zu verschaffen. Denn historische Erfahrungen mit nicht im Lohnsteuerafewg.yverfahren erhobenen Landeseinkommensteuern haben gezeigt, daß dieser Weg in der Praxis nicht gangbar gewesen ist 610 . Umgekehrt bedeutet dies, daß der Arbeitgeber auch in 606

Hahn, Zur Problematik der Haftung der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, S. 36.

607

Hahn, ebd.

608

Hierauf weist auch S. Weber, Die Mitwirkungspflichten nach der AO, S. 97 hin.

609

Zur Tragfähigkeit des Verantwortungsgedankens bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen vgl. S. Weber, ebd., S. 50, 73 ff. 610

Die entsprechenden Landeseinkommensteuern wurden im Wege der Veranlagung erhoben. Hoffmann (ZSozWiss N.F. 12 [1921], S. 1 ff. [16-18]) hat darauf hingewiesen, daß die Masse der Arbeitnehmer nun aber nicht in der Lage und nicht gewillt war, die auf ihr jeweils bezogenes Einkommen entfallende Steuer zurückzulegen, so daß das entspre-

16

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

besonderer Weise zur Heranziehung im Lohnsteuererhebungsverfahren geeignet ist 611 . Das Lohnsteuerabzugsverfahren läßt sich deshalb auch unter Zumutbarkeitserwägungen rechtfertigen. Festzuhalten bleibt unabhängig von der Frage, wie man zur Indienstnahme des Arbeitgebers steht, daß man die spezifische Fallproblematik unter dem Aspekt der prinzipiellen Zumutbarkeit erschöpfend in den Griff bekommt. Ähnlich wie im Lohnsteuerabzugsverfahren stellt sich die Lage dar bei den steuerlichen Mitwirkungspflichten der Banken 612 . Auch hier trifft die Banken 013 eine besondere Verantwortungsbeziehung im Hinblick auf den Steuererhebungstatbestand. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im Kuponsteuerurteil 614 folgendermaßen ausgedrückt: „Die Banken, die die Kapitalerträge üblicherweise einziehen, lassen dem Steuerschuldner gerade das Einkommen zufließen, dessen Entstehung eine Kapitalertragsteuerpflicht auslöst. Deshalb liegt es noch in der Sphäre ihrer Berufsausübung, wenn sie einen Teil dieser Erträge nicht an ihn weiterleiten, sondern für ihn als Kapitalertragsteuer einbehalten". An anderer Stelle 615 heißt es, daß die Steuerabführungspflicht „keine schlechthin unternehmensfremde Tätigkeit" darstelle. Mit dieser Formulierung betont das Gericht den eigentlichen Legitimationsgrund dafür, warum die Heranziehung für die Banken überhaupt, d.h. losgelöst von allen Verhältnismäßigkeitserwägungen im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG, zumutbar sein soll 616 . Denn auch hier greifen Angemessenheitsüberlegungen zu kurz. Selbst wenn man die Indienstnahme für angemessen erachten sollte, weil der Be lastung eben auch £n/lastungsmomente617 gegenüberstehen, bleibt doch die vorgelagerte Frage nach der Zumutbarkeit der Indienstnahme als solcher.

chende Geld an den Zahlungsterminen nicht zur Verfügung stand und im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden mußte. 611

Der Gesichtspunkt der Tauglichkeit wird auch hervorgehoben von Gallwas, BayVBl. 1971, S. 245 (246). 612

Zur Parallelität beider Indienstnahmefälle vgl. BVerfGE 22, 380 (383).

6.3

Zum Problem, ob und inwieweit die persönlich-individuelle Zumutbarkeitsgrenze bei juristischen Personen und teilrechtsfähigen Gebilden eingreift, vgl. bereits zusammenfassend oben S. 126 ff.: Die Banken sind hier in ihrer Identität als Wirtschaftsunternehmen und insoweit in ihrer Eigenschaft als Rechtspersönlichkeit betroffen. 6.4

BVerfGE 22, 380 (384).

6.5

BVerfGE 22, 380 (386).

6.6

Ähnlich Herrler,

Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden,

S. 219. 617 Man denke nur an die Möglichkeit der Banken, die Verwaltungsmehraufwendungen auf ihre Kunden abzuwälzen.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Auch im Hinblick auf andere Mitwirkungspflichten, etwa Auskunfts- und Vorlagepflichten läßt sich von einer gesteigerten Verantwortungsbeziehung der Banken, einer besonderen Sachnähe sprechen. Sie ergibt sich daraus, daß die Banken notwendigerweise Kenntnis von den Besteuerungsgrundlagen erlangen. Diese Tatsache erhält besonderes Gewicht dadurch, daß diese Kenntnis gerade aufgrund der Geschäftsverbindung zu den Bankkunden vermittelt wird. Allgemein könnte man deshalb von einer Art „Garantenstellung" der Banken aufgrund ihres Wissens- und Informationsvorsprunges sprechen. Wären die Banken nicht in solch gesteigerter Weise am Besteuerungstatbestand beteiligt, so wäre es allein Sache des Steuerschuldners, den Behörden alle steuerrelevanten Tatsachen zu vermitteln. Aus der Tatsache, daß die Banken im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Tätigkeit quasi lebensnotwendig und nicht zu ihrem Nachteil in ein Geschäftsverhältnis mit ihren Bankkunden involviert sind und hieraus spezifische Kenntnisse erhalten, die sie ohne ihre typische Geschäftstätigkeit nicht hätten, folgt aus der anderen Seite auch eine Pflichtenstellung: Dem Vorteil korrespondiert auch der Nachteil. Exemplarisch zeigt sich dies am Beispiel der weitgehenden Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und Auskunftspflichten, die das Geldwäschegesetz618 den Banken auferlegt hat. Der Gesetzgeber hat hier für eine Indienstnahme zu Recht an die Tatsache angeknüpft, daß die Kreditinstitute - ob nun bewußt oder unbewußt 619 - als Mittel zum Zweck dienen: Gerade durch die tatsächliche Mitwirkung der Banken bei der Umleitung und Verbuchung deliktischer Gelder wird eine effektive Geldwäsche ermöglicht. Dieser Ermöglichung muß auf der anderen Seite eine entsprechende Pflichtenstellung korrespondieren. Aufgrund dieses Rechtfertigungszusammenhanges läßt sich die Zumutbarkeit der Indienstnahme bejahen. In der Bevorratungsentscheidung 620 des Bundesverfassungsgerichts taucht das Merkmal der „nicht schlechthin unternehmensfremden Tätigkeit" ebenfalls auf, freilich als bloßes „Ergänzungsargument". Eine Ergänzung der Argumentation war in der Tat auch nötig, nachdem das Gericht die Indienstnahme „als solche" 621 zunächst nicht problematisiert hatte und sich im folgenden dann rein quantitativen, rechtsgutsbezogenen Erwägungen zur Angemessenheit der Inpflichtnahme zuwandte. Die Inpflichtnahme der Mineralölunter-

6.8

§§ 2, 9, 11 Geldwäschegesetz v. 25.10.1993, BGBl. 1993 I S. 1770.

6.9

Hetzer, NJW 1993, S. 3298 (3299 1. Sp.) weist auf die aus seiner Sicht tabuisierte Frage hin, ob und in welchem Umfang die Banken von der Geldwäscherei profitieren. Für ihn steht fest, „daß für die Kreditwirtschaft nicht jeder Geldwäschefall ein Verlustgeschäft ist". Kritisch aus Bankensicht zum (Entwurf eines) Geldwäschegesetz(-es) Füllbier, ZBB 1992, S. 124 ff. 620

BVerfGE 30, 292 (324).

621

BVerfGE 30, 292 (311 oben).

16

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

nehmen für die staatliche Aufgabe der Bevorratung ist jedoch nur dann in prinzipieller Hinsicht zumutbar, wenn die Privaten eine besondere Verantwortungsbeziehung trifft. Auch hier wieder läßt sich der Gedanke der Garantenstellung fruchtbar machen, den das Bundesverfassungsgericht auch angedeutet hat 622 : Wer sich aus freiem Entschluß auf dem Gebiet der Mineralöleinfuhr betätige, müsse angesichts der Importabhängigkeit und Krisenanfälligkeit der deutschen Mineralölwirtschaft mit staatlichen Maßnahmen rechnen, die ihn im Interesse der Allgemeinheit wirtschaftlich belasten. Schließlich hätten die Privaten ihre Tätigkeit auf ein Gebiet erstreckt, dem Gefahrensituationen, wie sie das Gesetz bewältigen will, von Natur aus nicht fremd seien. Entscheidender Anknüfungspunkt für eine gesteigerte Sachnähe der Privaten zur Bevorratung ist damit die Tatsache, daß ein Bevorratungsbedürfnis bereits in der Krisenanfälligkeit des Importölhandels angelegt ist. Hinzu kommt, daß der üblichen Geschäftstätigkeit der Privaten (dem Import des Energieträgers Mineralöl) bereits in normalen Zeiten eine überragend wichtige Funktion, nämlich die der jedenfalls teilweisen Sicherstellung einer ausreichenden Energieversorgung zukommt. Bereits deshalb besteht eine besondere Verantwortlichkeit der Privaten, der sie sich für den Fall der Krise erst recht nicht entziehen können. Zwar könnte der Staat die Bevorratung durchaus selbst bewerkstelligen, insoweit ergibt sich für die Unternehmen eine besondere Sachnähe aber daraus, daß sie bereits unter normalen Umständen ausreichende Lagerkapazität bereithalten und zur Bevorratung gezwungen sind 623 . Unabhängig davon, wie man zur Bevorratungspflicht der Privaten steht, läßt sich auch in dieser Fallgruppe unter dem Aspekt der prinzipiellen Zumutbarkeit die Zulässigkeit der Indienstnahme als solcher beurteilen, ohne daß bereits jetzt auf die Auswirkungen der Verpflichtung auf den Einzelnen eingegangen werden müßte 624 . Die Indienstnahme von Beförderungsunternehmen für die Beförderung Behinderter kann ebenfalls aus dem Gesichtspunkt der besonderen Sach- und Aufgabennähe gerechtfertigt werden. Denn die Beförderungspflicht ist nicht nur nicht unternehmensfremd, sondern geradezu unternehmenstypisch, d.h. 622 BVerfGE 30, 325; s.a. die Nachweise bei Leibholz/Rinck/Hesselberger, 12 Rn. 161-163.

GG, Art.

623

BVerfGE 30, 292 (312). A.A. Friauf, in: FS für Jahrreiß, S. 63 f., der die entscheidende Frage, warum gerade den betroffenen Unternehmen die Bevorratungspflicht auferlegt wird, nicht gestellt sieht, andererseits aber darauf verweist, daß „der Gesichtspunkt der Abwälzbarkeit der Kosten" möglicherweise das Ergebnis trage. 624 Insoweit wohl a.A. Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 6 9 - 7 3 , der den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit bei der generellen Zulässigkeit der Indienstnahme nicht anspricht, vielmehr erst bei der Zulässigkeit der „Bevorratungspflicht im einzelnen" auf Zumutbarkeitserwägungen eingeht.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

anders als etwa in den Lohnsteuerabzugsfällen wird den Privaten keine neue Tätigkeit, sondern eine Aufgabe in ihrem ureigensten Tätigkeitsbereich übertragen. Bereits hieraus ergibt sich eine besondere Sachnähe, die in den Lohnsteuerabzugsfällen beispielsweise erst noch zusätzlich begründet werden mußte. Darüber hinaus werden die Privaten nicht gezwungen, neue Fahrtstrecken einzurichten, vielmehr müssen sie die bisher bestehenden Routen sowieso bedienen, so daß es auch unter diesem Gesichtspunkt naheliegt, gerade die auf diesem Gebiete bereits tätigen Privatunternehmer zur Indienstnahme heranzuziehen625. Hingegen ist die Indienstnahme gerichtlicher Sachverständiger, so wie sie der Entscheidung BVerfGE 33, 240 zugrundelag, unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Auf den ersten Blick allerdings scheint sich die Problematik in der Parallele zur Personenbeförderungspflicht zu erschöpfen: Auch bei der Gutachtenerstattung eines Sachverständigen handelt es sich nicht um eine unternehmensfremde, sondern geradezu um eine unternehmenstypische Tätigkeit. Die Unzumutbarkeit bei der Indienstnahme Sachverständiger liegt deshalb auch nicht in der Heranziehung zur Gutachtenerstattung; insoweit greift die Parallele zum Beförderungsunternehmer. Das Besondere bei der Sachverständigenproblematik liegt vielmehr in dem Zwang zur Gutachtenerstattung unter gesetzlicher Beschränkung des Entschädigungsanspruches. Folglich muß sich die zumutbarkeitsbedingte besondere Rechtfertigung der Inanspruchnahme auch gerade auf diesen Umstand beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu lediglich festgestellt, daß es zulässig gewesen sei, „neben den Interessen der Sachverständigen auch die Interessen des rechtssuchenden Publikums zu berücksichtigen. Das Gesetz verfolgt den Zweck, die Kosten der Rechts Verfolgung, zu denen auch ... Sachverständigenkosten gehören, nicht unangemessen ansteigen zu lassen. Es ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, das Kostenrisiko auch dann in Grenzen zu halten, wenn leistungsfähige Parteien einen Rechtsstreit führen." Soweit der Staat für die Prozeßkosten Mittelloser aufkommt, ist nach dem Bundesverfassungsgericht auch „eine gewisse Rücksichtnahme auf die Belastung der öffentlichen Haushalte nicht zu beanstanden"626. Diese Gesichtspunkte mögen zwar die Motivation des Gesetzgebers erhellen; sie beantworten aber nicht die Frage, warum das Kostenrisiko der Prozeßparteien gerade auf Kosten des Sachverständigen minimiert werden soll 627 . Eine besondere Verantwortlichkeit des Sachverständigen für die Prozeßparteien bzw. für die Entlastung der öffentlichen Haushalte kann sicherlich nicht 625

BVerfGE 68, 155 (170 ff.).

626

BVerfGE 33, 240 (246).

627

Ebenso, freilich mehr im Blick auf den Gesichtspunkt der Belastungsgleichheit Friauf, in: FS für Jahrreiß, S. 63, der aber auch den Gedanken der Zumutbarkeit betont.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

angenommen werden, ja nicht einmal eine besondere Sachnähe des Gutachters zu diesen Gesichtspunkten ist festzustellen. Damit ist die Indienstnahme der Sachverständigen nur zumutbar, soweit sie sich auf die Pflicht zur Erstellung von Gutachten erstreckt. Soweit den Betroffenen darüber hinaus auch eine entschädigungslose Einschränkung der Sachverständigenvergütung angesonnen wird, ist die Indienstnahme unzumutbar, weil es diesbezüglich an einem rechtfertigenden besonderen Zurechnungsgrund fehlt.

(c) Exkurs: Zumutbarkeit und Angemessenheit bei der konkreten Indienstnahme, dargestellt am Beipiel der Mineralölbevorratungspflicht An dieser Stelle soll kurz auf die Auswirkung der Indienstnahme im individuell-persönlichen 628 Bereich der Betroffenen zurückgekommen werden, weil der Zumutbarkeitsgedanke in den Bevorratungsfällen nicht nur in prinzipieller Hinsicht (dazu gerade eben), sondern auch in quantitativer Hinsicht fruchtbar gemacht werden kann 629 . Geht es bei der prinzipiellen Seite darum, ob die Indienstnahme als solche überhaupt zumutbar ist, so ist bei der quantitativen Komponente von Bedeutung, ob die Indienstnahmeverpflichtung dem Einzelnen auch angesichts seiner besonderen persönlichen Situation angesonnen werden kann, oder ob nicht die individuelle Erträglichkeitsgrenze bereits überschritten ist. In der Mineralölbevorratungsentscheidung hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, daß in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der geschützte Freiheitsbereich des Einzelnen, die vom Gesetzgeber im Interesse der Allgemeinheit verfolgten Zwecke und die zu deren Erreichung eingesetzten Mittel abzuwägen seien. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stelle einen Ausgleich zwischen der freien Entscheidung des Einzelnen über seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung und den Notwendigkeiten einer staatlichen Ordnung des Berufs- und Wirtschaftslebens dar 630 . Diese Formulierung hätte an sich eine typische Angemessenheitsprüfung in Form der Zweck-Mittel-Abwägung nahegelegt.

628

Zur Frage, inwieweit die Zumutbarkeit als individuell-persönliche Belastungsgrenze bei juristischen Personen und teilrechtsfähigen Gebilden eingreifen kann, vgl. bereits zusammenhängend oben S. 126 ff. Bei der Indienstnahme sind die Wirtschaftsunternehmen persönlich betroffen, weil die Teilnahme am Erwerbsleben gerade aus ihrem Verbandszweck als Rechtspersönlichkeit folgt und insoweit identitätsbildenden Charakter hat. 629 Die unterschiedliche Dimension beider Sichtweisen betont auch Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 124. 630

BVerfGE 30, 315.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Dennoch aber hat das Gericht diese Abwägung nicht für nötig gehalten, weil der Zweck der Regelung: die Sicherung der Energieversorgung als Gemeinwohlinterese höchsten Ranges, so schwer wiege, daß der durch das Gesetz bewirkte Eingriff in die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Betroffenen nicht unverhältnismäßig erscheine 631. M.a.W. läßt sich nach Auffassung des Gerichtes angesichts der Wichtigkeit des Gemeinwohlinteresses kaum einmal eine unverhältnismäßige Belastung der Betroffenen denken. In dieser Situation vermag allein der Zumutbarkeitsgedanke eine echte Grenze darzustellen, wenn man ihn im quantitativen Sinne versteht: Die Zumutbarkeit als einseitig subjektbezogene Eingriffsgrenze fragt nicht nach der Eingriffsrelation der betroffenen Rechtsgüter und der Wertigkeit der im Spiele befindlichen Belange, sondern einzig und allein danach, ob die Pflicht als solche (d.h., auch wenn sie wegen des Gewichtes des Gemeinwohlinteresses angemessen wäre 632 ) dem Betroffenen im Hinblick auf seine persönliche Lage angesonnen werden kann 633 . Dabei ist die Perspektive unabhängig von dem Verhältnis von Ziel- und Opferwert. In den Mineralölbevorratungsfällen zeigt sich dabei die stark individualisierende Tendenz des Zumutbarkeitsbegriffes, denn unabhängig davon, daß die Wichtigkeit der Energieversorgung die Bevorratungspflicht auch des Einzelnen erfordert 634, kann die Pflichtenauferlegung im Einzelfall unzumutbar sein, wenn etwa eine besonders starke Belastung, eine besondere Härte vorliegt 635 . Eine solche läge jedenfalls dann vor, wenn die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen gefährdet oder sogar vernichtet würde. (3) Die Fälle der (fehlenden)

besonderen persönlichen Verantwortlichkeit

(a) Problemaufriß Bei den Indienstnahmefällen hat sich gezeigt, daß Private zur Erledigung fremder, nicht aus der eigenen Rechtssphäre stammender staatlicher Angele631 BVerfGE 30, 323 f. spricht allerdings von „unverhältnismäßig und unzumutbar". Dabei setzt das Gericht beide Begriffe (im Sinne einer Zweck-Mittel-Abwägung) gleich, wie die Formulierung auf S. 316 zeigt: Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe müsse die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. 632 Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 110 spricht davon, daß das BVerfG das Gemeinwohlinteresse verabsolutiert. 633

Ebenso Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 89; Plewa, ebd., S. 113-115.

634

Dies wird in der Regel so sein, denn „die individuelle Interessenlage des Beschwerdeführers kann nicht ohne weiteres zum Maßstab der dem Gemeinwohl insgesamt gegenüberzustellenden Einzelinteressen erhoben werden" (BVerfGE 30, 316). 635

Ebenso Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 124 f.

12

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

genheiten herangezogen werden können, wenn zwischen dem Privaten und der zu erledigenden Aufgabe eine gesteigerte Verantwortungsbeziehung besteht. Nur unter dieser Voraussetzung kann dem Privaten ein Handeln entgegen den eigenen Interessen zugemutet werden. Läßt sich eine solch gesteigerte Verantwortung des Privaten nicht finden, so reichen Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität, die für sich genommen immer für eine Indienstnahme angeführt werden können, nicht aus, um eine Zwangsverpflichtung des Privaten zu begründen. Insoweit entfaltet die interessenwahrende Funktion der Zumutbarkeitsschranke ihre spezifische Wirkung: Ohne besondere Legitimationsgründe, mit deren Hilfe sich die „Fremdheit" einer Aufgabe zugunsten einer eigenen Verantwortlichkeit deutlich relativieren läßt, ist die Indienstnahme unzumutbar, weil der Private gezwungen wird, seine Interessen ohne rechtfertigenden Grund zu verleugnen. Diese Grundsätze lassen sich auf weitere Fallkonstellationen übertragen, die man unter dem Gesichtspunkt der besonderen persönlichen Verantwortlichkeit zusammenfassen kann. Anders als in den Indienstnahmefällen geht es hier nicht um einen staatlichen Zugriff auf persönliche und sächliche Mittel, sondern um Geldleistungspflichten im Interesse einer finanziellen Umverteilung: Kann die Finanzierung einer bestimmten Aufgabe prinzipiell, d.h., unabhängig von der Höhe der Belastung gerade dem Betroffenen angesonnen werden? Stellt man die Frage so, dann erscheint klar, daß damit nicht die im technischen Sinne steuerliche Umverteilung gemeint ist. Eine Steuer ist eine hoheitlich und voraussetzungslos auferlegte Geldleistung, die der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs 636 dient 637 . Sind mit der Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts grundsätzlich alle Steuerunterworfenen gleichermaßen belastet, so kommt es auf die zumutbarkeitsrelevante Frage: „Warum gerade ich, und warum für diese bestimmte Aufgabe?" nicht an 638 . Denn abgesehen davon, daß der Bürger in der Regel schon gar nicht feststellen kann, für welchen konkreten Zweck seine Steuern im Endergebnis tatsächlich verwendet 636

Dieses Begriffsmerkmal ist auch gegeben, wenn man das Institut der sog. Zwecksteuern anerkennt, die zur Erfüllung bestimmter Aufgaben erhoben werden, vgl. BVerfGE 49, 343 (353 f.); hierzu Selmer, GewArch 1981, S. 42. 637 Das GG kennt den Begriff der Steuer zwar (vgl. Art. 105, 106 GG), definiert in aber nicht. Mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und der herrschenden Meinung im Schrifttum ist aber davon auszugehen, daß das Grundgesetz insoweit an den Steuerbegriff der Abgabenordnung (§ 1 RAO 1919, § 3 Abs. 1 AO 1977) anknüpft, vgl. BVerfGE 3, 407 (435); 7, 244 (251); 8, 274 (317 f.); 36, 66 (70); 42, 223 (228); 49, 343 (353); 55, 274 (299); BVerfG, ZIP 1984, 1530 (1533 f.). Zur weithin zustimmenden Literatur vgl. nur F. Kirchhof\ Die Höhe der Gebühr S. 16; ders., Grundriß des Abgabenrechts, S. 31; P. Kirchhof ZIP 1984, S. 1426; Selmer, GewArch 1981, S. 41 - 4 5 . 638 Dies gilt nicht für den Sonderfall, daß einer Steuer der Zweck staatlicher Aufgabenfinanzierung bereits von vorneherein nicht anhaftet, wie bei der Kirchensteuer.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

13

werden, befinden sich alle Steuerzahler gleichermaßen in einer staatsweiten Umverteilungsgemeinschaft. Auch im Bereich der „Vorzugslasten" 639 stellt sich das Zumutbarkeitsproblem unter Umverteilungsgesichtspunkten nicht. Denn Gebühren und Beiträge zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht aus dem allgemeinen Finanzbedarf des Staates rechtfertigen, sondern aus einer besonderen Rechtsbeziehung zwischen dem Betroffenen und der öffentlichen Hand: Dem Betroffenen werden Gebühren und Beiträge für eine bestimmte, von der Verwaltung erbrachte Gegenleistung auferlegt; die Abgabe kompensiert gleichsam den Vorzug, den der Betroffene gegenüber anderen Bürgern hat 640 . Darin liegt zugleich auch ihre zumutbarkeitsorientierte Rechtfertigung 641. Denn der Betroffene wird nicht zur Finanzierung einer bestimmten Aufgabe gezwungen, er bezahlt vielmehr für einen ihm zugutegekommenen individualisierbaren Sondervorteil. Da er diesen veranlaßt und deshalb zu vetreten hat, handelt es sich auch nicht um eine Finanzierung im Interesse staatlicher Umverteilung. Die spezifische Zumutbarkeitsproblematik bei den Geldleistungspflichten stellt sich deshalb im Abgabenrecht nur dort, wo es nicht um Steuern, Gebühren oder Beiträge geht. Denn im verbleibenden Bereich wird der Abgabenschuldner per definitionem nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben 642 und auch nicht zur Kompensation eines ihm gewährten staatlichen Sondervorteils 643 herangezogen. Problematisch ist vielmehr, daß es um Finanzierungsmittel für besondere Aufgaben geht, die nicht von der Allgemeinheit, sondern von einer besonderen Gruppe aufgebracht werden und die nicht lediglich Ausgleich für erlangte Sondervorteile sind. Da es sich insoweit nicht um eine Vorzugslast handelt, ist es denkbar, daß diese Mittel (aus der Sicht des einzelnen Betroffenen) auch im ausschließlichen Interesse Dritter bereitgestellt werden müssen. Wenn die Geldleistung nicht wieder dem Be-

639

Unter diesem Begriff faßt die h.M. Gebühren und Beiträge zusammen.

640

Die Gebühr kompensiert den tatsächlichen Empfang einer Verwaltungsleistung, etwa bei der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen. Demgegenüber geht es beim Beitrag um den Ausgleich eines bevorzugenden Angebots der Verwaltung, wobei oftmals noch nicht feststeht, ob und von wem die Verwaltungsleistung dann tatsächlich in Anspruch wird. So entgilt der Erschließungsbeitrag die potentielle Möglichkeit, ein Grundstück zu bebauen, ohne daß es auf eine tatsächliche Bebauung ankäme. Zur Gebühr und zum Beitrag vgl. Isensee, in: GedS für Geck, S. 378; P. Kirchhof, ZIP 1984, S. 1427 f.; F. Kirchhof, Grundriß des Abgabenrechts, S. 8. 641

Η enseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 18.

642

Sonst handelte es sich ja um die jederzeit zumutbare allgemeine Steuerpflicht des Bürgers. 643

In diesem Fall ginge es um die Auferlegung von Gebühren und Beiträgen, die unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten unproblematisch ist.

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

troffenen, sondern Fremden zugute kommt, stellt sich aus der Sicht des Pflichtigen die Frage, warum gerade er zur Geldleistung herangezogen wird. Ähnlich wie bei den arbeitsrechtlichen Finanzierungspflichten 644 gilt dies in besonderem Maße dann, wenn die Interessen des Pflichtigen und der Begünstigten unter Umständen sogar zuwiderlaufen. Es handelt sich hier um einen Anwendungsfall der prinzipiellen Zumutbarkeit. Denn die verfassungsrechtliche Problematik dieser Geldleistungspflichten liegt gerade nicht darin, ob die Eingriffsrelation bestimmten Anforderungen der Angemessenheit genügt, d.h., ob die Geldleistung ihrer Höhe nach eine unverhältnismäßige Belastung des Verpflichteten darstellt oder sich etwa im Hinblick auf die Bedeutung der im Spiele befindlichen Rechtsgüter rechtfertigen läßt. Für den Betroffenen ist die vorgelagerte Frage entscheidend, ob es ihm überhaupt, d.h. losgelöst von allen quantitativen Erwägungen zugemutet werden kann, eine bestimmte Angelegenheit zu finanzieren, die nicht im steuerlich finanzierten Allgemeininteresse, sondern im (Gruppen-)Interesse einiger Weniger liegt. Ähnlich wie bei den Indienstnahmefällen ist die Zumutbarkeit umso eher zumutbar, je stärker den Geldleistungspflichtigen eine spezifische Verantwortungsbeziehung zu der begünstigten Gruppe oder der zu finanzierenden Aufgabe trifft 645 . Wenn es auf diese Weise gelänge, der Geldleistungspflicht ihren fremdnützigen Charakter zu nehmen und sie als „beitragsähnlich" zu bezeichnen, so läge hierin ein Legitimationsgrund für die Zumutbarkeit der Regelung 646 .

(b) Unterschied zum Gleichheitssatz Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß sich die Legitimationsproblematik unter Zuhilfenahme des Gleichheitsgedankens bereits ausreichend erfassen läßt. Es ist in der Tat nicht zu verkennen, daß die Auferlegung besonderer Finanzierungspflichten eine wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nicht gerechtfertigte Belastungsungleichheit auslösen kann. Dies ist bei der Auferlegung finanzieller Sonderlasten der Fall, sofern sich kein sachlich legitimierender Grund dafür findet, weshalb die Finanzierungslast einzelnen Wenigen und nicht der Allgemeinheit auferlegt wird.

644

S.o. S. 151 ff.

645

Der angesprochene Beziehungszusammenhang zwischen der Gruppe der Geldleistungspflichtigen und der zu finanzierenden Sachaufgabe läuft dem Gesichtspunkt einer besonderen Verantwortungsbeziehung zwischen der zahlenden und der begünstigten Gruppe weitgehend parallel. Vgl. hierzu Selmer, GewArch 1981, S. 45. 646

Der Sache nach ebenso Gusseck, Die Zumutbarkeit, S. 11; Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 324.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Es ist deshalb an dieser Stelle angebracht, das Verhältnis von Gleichheitssatz und Zumutbarkeitsprinzip näher und grundsätzlicher zu beleuchten: Zunächst springt ein formaler Unterschied beider Beurteilungsmaßstäbe ins Auge, wie er bereits oben angerissen wurde 647 . Zumutbarkeit und Gleichheit unterscheiden sich perspektivisch: Beide Maßstäbe sind Gradmesser für eine richtige, weil „abgewogene" Entscheidung. Die Gleichheit vergleicht horizontal die im Prinzip gleichgeordneten Rechtspositionen ungleich Betroffener, die Zumutbarkeit „vergleicht" nicht, sondern beurteilt in individualisierender Betrachtungsweise Belastungshöhe und Belastungsintensität eines Betroffenen. Die Gleichheitsprüfung erfolgt immer im Hinblick auf einen Vergleichsfall 6 4 8 , also „hinsichtlich" 649 , die Zumutbarkeitsprüfung, richtet den Blick zunächst isoliert auf die Betroffenensituation und erfolgt so gesehen „wegsichtlich" in dem Sinne, daß vergleichbare Situationen gerade keine Rolle spielen. Diese formal-methodische Unterscheidung beider Maßstäbe wird bereits in vielen Fällen eine brauchbare Abgrenzung erlauben, scheint jedoch bei einer inhaltlichen Betrachtung fragwürdig zu werden. Denn der Rechtsgedanke der sachlichen und persönlichen Verantwortlichkeit sowie der Sachnähe- bzw. Vorteilsgedanke, die allesamt das Zumutbarkeitsurteil steuern, sind in gleicher Weise klassische Differenzierungsgründe für die Gleichheitsprüfung 650. Hat die Zumutbarkeitsperspektive in diesem Zusammenhang neben dem Gleichheitsgedanken also doch keinen eigenständigen Wert? Für die Antwort auf diese Frage hilft ein Blick auf die tiefere Struktur der Gleichheitsprüfung weiter: Gleichbehandlung ist immer dann geboten, wenn keine zureichenden Gründe für eine unterschiedliche Behandlung bestehen651. Dies ist der Kern des Gleichheitsurteils, auch und gerade nach der „Neuen Formel" des Bundesverfassungsgerichts, wonach die zureichenden Rechtfertigungsgründe von solcher Art und von solchem Gewicht sein müssen, daß sie eine ungleiche Behandlung zu rechtfertigen vermögen 652 . „Zureichend" ist ein Differenzierungsgrund dann, wenn ein verfassungslegitimes Differenzierungsziel angestrebt werden soll und das Differenzierungskriterium in einem angemessenen Verhältnis zum Differenzierungsziel steht 653 . Bei der Frage nach 647

S.o. S. 87 f. und S. 164.

648

Robbers, DÖV 1988, S. 749 f.

649 Begriff von P. Kirchhof, (S. 911).

in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 124 Rn. 163

650 So für den Vorteilsgedanken F. Kirchhof in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 93 Rn. 17 (S. 406); ders., DRV 1989, S. 34 (1. Sp. unten); Badura, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 94; Böckenförde, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 96; Wendt, NVwZ 1988, S. 783 1. Sp. 651

Hesse, AöR 109 (1984), S. 178; Wendt, ebd., S. 781; Schoch, DVB1. 1988, S. 875.

652

BVerfGE 55, 72 (88); 75, 78 (105).

653

BVerfGE 82, 126 (146); Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 61; Schoch, DVB1. 1988, S. 874; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), S. 23; Schulin, Sozialrecht, S. 8.

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C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

der Zulässigkeit eines Differenzierungskriteriums sind demnach die beteiligten Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen, mit anderen Worten spielen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte eine Rolle 654 : Bei Abwägung mit den Zielrechtsgütern läßt sich ein Differenzierungsgrund umso leichter finden, je höherwertig dieses Zielrechtsgut ist. Ist die Gleichheitsprüfung insoweit der Verhältnismäßigkeitsprüfung vergleichbar, so sind auch die perspektivischen Unterschiede, die bei der Abgrenzung von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit ausschlaggebend waren, nun bei der Abgrenzung von Gleichheitslegitimation und Zumutbarkeitslegitimation fruchtbar zu machen: Zumutbarkeitsorientierte Legitimationsgründe sind anspruchsvoller als gleichheitsorientierte, denn sie können nicht (nur) mit Rücksicht auf hochwertige Zielrechtsgüter herangezogen werden, sondern müssen die individuell-subjektive, spezifische Zumutbarkeitshürde überwinden. Darin liegt ein nicht nur ein quantitativer, sondern ein kategorialer Unterschied. Im Bereich der fremdnützigen Geldleistungspflichten etwa kann der Gesetzgeber zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung den Sozialstaatsgedanken in die Waagschale werfen und damit eine Ungleichbehandlung rechtfertigen 655 . Darüber hinaus kann eine gleichheitsorientierte Legitimation auch auf die Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität 656 , der Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung 657 gestützt werden, ja selbst „finanzpolitische, volkswirtschaftliche, sozialpolitische oder steuertechnische Erwägungen" 658 können im Einzelfall eine Ungleichbehandlung legitimieren. Die zumutbarkeitsorientierte Legitimation setzt hier nicht nur früher an, sie liegt auch sachlich auf einer anderen Ebene. Denn sie kann nicht mit Rücksicht auf hochwertige oder weniger hochwertige Umfeldrechtsgüter von vorneherein relativiert werden und hat sich in voller Schärfe der Frage zu stellen, ob eine Legitimation auch und gerade im Hinblick auf die persönliche Situation gegeben ist. Bei dieser isoliert-vertikalen Betrachtungsweise können Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität und der Wettbewerbs Verzerrung keine Rolle spielen. Die Zumutbarkeit erfordert insoweit eine einerseits effektivere, andererseits 654 Müller, VVDStRL 47 (1988), S. 50; Badura, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 94, Schuppen, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 98. 655 Starck, in: Link, Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat, S. 68 f.; Schuppen, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 98, Zacher, Redebeitrag, VVDStRL 47 (1988), S. 104. 656 657

Schoch, DVB1. 1988, S. 880 1. Sp.; Müller, VVDStRL 47 (1988), S. 50.

F. Kirchhof, Rn. 17 (S. 407).

DRV 1989, S. 35; ders., in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 93

658 BVerfGE 74, 182 (200). Beispielsweise kann im Abgabenrecht eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden, wenn dem vom Gesetzgeber festgelegten Lenkungszweck Verfassungsrang zukommt und dem Lenkungszweck deshalb bei der gebotenen Abwägung der Vorrang gebührt; vgl. Schoch, DVB1. 1988, S. 881 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

anders gelagerte Legitimation, wie zusätzlich das Beispiel der sog. „Typengerechtigkeit" zeigt: Eine gleichheitsorientierte Legitimation kann bereits dann gegeben sein, wenn eine (an sich nicht hinzunehmende) Ungleichbehandlung zwar im konkreten Fall des Betroffenen vorliegt, in den weit überwiegenden, typischen Fällen jedoch vermieden wird 6 5 9 . Es liegt auf der Hand, daß der Gleichheitssatz in diesen Fällen eine „zahnlose" Hürde darstellt. Eine Zumutbarkeitslegitimation jedoch kann mit dem Argument der Typengerechtigkeit nicht begründet werden, hier muß die persönliche Situation des Betroffenen voll gewürdigt werden. Auch hier zeigt sich also, daß der „perspektivische" Unterschied von Zumutbarkeits· und Gleichheitsprüfung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, der Zumutbarkeit damit auch bei der Legitimationsfrage ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt: Allein die Tatsache, daß es vernünftig oder im Vergleich zu Dritten hinreichend begründet ist, den Betroffenen beispielsweise zu einer Fremdfinanzierung heranzuziehen, macht diese Belastung noch nicht zumutbar. Für letzteres bedürfte es besonderer Feststellungen darüber, daß den Pflichtigen eine gesteigerte Verantwortung für den Finanzierungssachverhalt trifft und daß diese Verantwortung es von dem Betroffenen gerade auch erfordert, eigene Interessen zurückzustellen und möglicherweise Angelegenheiten zu finanzieren, die normalerweise nicht „seine Sache" sind 660 . Dieser perspektivische Unterschied zeigt sich etwa in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Umlagenfinanzierung des Konkursausfallgeldes 661. Die für die Konkursausfallgeld Versicherung erforderlichen Mittel sind von allen Arbeitgebern aufzubringen, bei denen der Konkurs rechtlich nicht ausgeschlossen ist 662 . Im konkret entschiedenen Fall war die Frage, ob auch solche Arbeitgeber herangezogen werden können, die zwar rechtlich konkursfähig sind, bei denen aber - insoweit dem Fall fehlender Konkursfähigkeit vergleichbar - eine tatsächliche Konkursgefahr nicht besteht. Das Gericht prüfte die Zulässigkeit dieser Differenzierung nur im Hinblick auf Art. 3 GG und hielt die gesetzgeberische Anknüpfung (allein) an die rechtliche Konkursfähigkeit bereits deshalb für sachgerecht, weil die Alternativanknüpfung „praktisch kaum handhabbar wäre" 663 . Der Aspekt der spezifischen, individuell-subjektiven Finanzierungsverantwortung wurde also völlig ausgeblendet. Eine zumutbarkeitsorientierte Legitimation wäre aber nur gegeben, wenn die Gefahr eines Konkurses beim einzelnen Arbeitgeber tatsächlich gegeben ist, denn nur dann hätte er ein Risiko gesetzt, für das er 659

Schoch, DVB1. 1988, S. 879.

660

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 324.

661

BVerfG, NJW 1994, 1465 (1466).

662

§§ 186b Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 186c Abs. 2 S. 2 AFG.

663

BVerfG, NJW 1994, 1466 1. Sp.

12 Albrecht

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

rechtlich verantwortlich und demgemäß auch finanzierungspflichtig Dies ist eine ersichtlich andere Fragestellung.

wäre.

Die gleichheitsorientierte Legitimation unterscheidet sich von der zumutbarkeitsorientierten noch in anderer Hinsicht: Die Gleichheitsprüfung, die ihre Maßstäbe aus dem Umfeld der beteiligten Rechtsgüter zieht, ist weithin manipulierbar. Gelingt es nämlich nicht sofort, einen hinreichenden Legitimationsgrund für eine Ungleichbehandlung zu finden, so sollte man die ungleiche Regelung lange genug in einen jeweils größeren Zusammenhang stellen und den Gedanken der Gesamtschau bemühen, eine gleichheitsorientierte Legitimation wird sich dann schon finden 664 . Anders bei der Zumutbarkeit. Legitimationsgründe, die die (Un-)Zumutbarkeitshürde überwinden wollen, sind zwingend rückgekoppelt an die individuell-subjektive Situation des Betroffenen. Läßt sich eine hinreichende Legitimation in seiner Person nicht begründen, so ändern auch Argumente der Verwaltungspraktikabilität oder der drohenden Wettbewerbsverzerrung nichts am dann unausweichlichen Unzumutbarkeitsverdikt. (c) Die prinzipielle Zumutbarkeit im Bereich der Sonderabgaben Sonderabgaben sind - negativ gesprochen - Abgaben, die weder als Steuern noch als Vorzugslasten einzuordnen sind 665 . Mit dieser Definition wird zwar klar, was Sonderabgaben nicht sind, sie gibt aber keinen Aufschluß über handhabbare Zulässigkeitskriterien, denen auch Sonderabgaben unterliegen 666 . An sich böte es sich deshalb - wie oben aufgezeigt - an, die Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab anzulegen, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht eine positive Definition des Sonderabgabenbegriffes versucht hätte, die auf den ersten Blick ohne den Zumutbarkeitstopos auskommt. Nach dem Bundesverfassungsgericht 667 handelt es sich um eine zulässige Sonderabgabe, wenn (1) eine bestimmte homogene, d.h. abgrenzbare gesellschaftliche Gruppe zur Finanzierung einer besonderen Aufgabe in Anspruch genommen wird, zu der diese Gruppe (2) eine deutlich größere, durch eine objektive Interessenlage geprägte Sachnähe aufweist als die Allgemeinheit und deren Bewältigung in eine herausragende Verantwortung dieser Gruppe fällt. Schließlich darf (3) das Aufgabenaufkommen nur „gruppennützig", d.h. also im überwiegenden Interesse der belasteten Gesamtgruppe verwendet werden. 664

Hierauf verweist besonders Wendt, NVwZ 1988, S. 780.

665

So BVerfGE 13, 167 (170) anhand der baden-württembergischen Feuerwehrabgabe.

666

Henseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 18.

667

E 55, 274, (298 ff.).

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

17

Die Hoffnung, daß damit ein allgemeingültiger Zulässigkeitskatalog geschaffen worden wäre, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Schwerbehindertengesetz 668 wieder zunichte gemacht: Denn für Sonderabgaben, „bei denen nicht die Finanzierung einer besonderen Aufgabe Anlaß zu ihrer Einführung gab", könnten die zuvor entwickelten Maßstäbe nicht uneingeschränkt gelten 669 . Bezeichnenderweise hat das Gericht mit dieser Formulierung genau die Sonderabgaben aus der Begriffsdefinition wieder herausgenommen, die auch unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht unzulässig wären. Es handelt sich hierbei um Sonderabgaben mit Antriebs- und Ausgleichsfunktion, d.h. um solche, bei denen der Finanzierungszweck nicht im Vordergrund steht. Die Schwerbehindertenabgabe beispielsweise soll keine Umverteilung zulasten des Arbeitgeber und zugunsten der Schwerbehinderten bewerkstelligen, sondern den Arbeitgeber dazu anhalten, Schwerbehinderte einzustellen. Tut er dies nicht, so fällt die Ausgleichsabgabe an, um die Belastungsgleichheit mit solchen Arbeitgebern wieder herzustellen, die ihrer Einstellungsverpflichtung nachgekommen sind. Dadurch aber, daß der einzelne Arbeitgeber die Wahl hat, entweder die Abgabe zu zahlen oder der staatlichen Verhaltensempfehlung nachzukommen, handelt es sich nicht um eine Zwangsverpflichtung, die unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten bedenklich wäre. Denn nicht Umverteilung zugunsten der Schwerbehinderten ist das Thema, sondern finanzielle Kompensation für die Nichtbefolgung einer gesetzlich auferlegten Pflicht. Unter diesen Prämissen ist die Abgabe nicht anders zu beurteilen als die Beschäftigungspflicht selber. Diese aber ist unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt 670. Hat das Bundesverfassungsgericht seine in E 55, 274 entwickelte Sonderabgabendogmatik eingeschränkt, so stellt sich die Frage, ob man die Frage der Zulässigkeit von Sonderabgaben nicht besser in den Griff bekommt, wenn man ergänzend den Zumutbarkeitsgedanken heranzieht: Zumutbar sind insoweit Abgaben, denen ein eigener Vorteil des Abgabeverpflichteten gegenübersteht, die also „vorzugslastenähnlich" sind. Abgaben, bei denen keine solche Vorteilskongruenz besteht, die vielmehr „fremdnützig" 671 sind, d.h., im 668

E 57, 139 ff.

669

E 57, 139 (167).

670 Dieselben Erwägungen gelten für die Parallelproblematik der baden-württembergischen Feuerwehrabgabe, BVerfGE 13, 167 ff. Sie kann von den Dienstverpflichteten als Ausgleich für tatsächlich nicht geleistete Dienste erhoben werden. 671 Der Begriff „fremdnützig" bezieht sich jeweils auf die Person des Zahlungspflichtigen und unterscheidet sich insoweit von der Begriffsverwendung des Bundesverfassungsgerichtes, das die „Fremdnützigkeit" auf die gesamte Gruppe der Abgabepflichtigen bezieht, vgl. E 55, 307. Das vom BVerfG bevorzugte Begriffspaar „fremdnützig"- „gruppennützig" bringt unheilvolle Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich, besonders, wenn man die

12

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Interesse Dritter erhoben werden, bedürfen eines besonderen Rechtfertigungsbzw. Zurechnungsgrundes, der eine Legitimationsbrücke zwischen dem Zahlungspflichtigen und dem Begünstigten schlägt. Erst wenn sich eine besondere Verantwortlichkeit des Zahlenden für den Begünstigten begründen läßt, ist die Heranziehung zur Zahlung zumutbar. Diese Zumutbarkeitsüberlegungen erscheinen als konsequente Fortführung des Grundsatzes, daß die durch die Erledigung öffentlicher Angelegenheiten entstehenden Lasten nur die Allgemeinheit treffen und nur mit öffentlichen Mitteln bestritten werden dürfen 672 . Dadurch, daß der Bürger seine Steuern zahlt, kommt er bereits grundsätzlich seiner Finanzierungspflicht für - auch fremdnützige Aufgaben nach. Will man ihm daneben und zusätzlich noch weitere Fremdlasten aufbürden, so muß sich diese Ausnahme durch den Nachweis rechtfertigen lassen, daß die konkrete Fremdlast keine Last der Allgemeinheit ist, sondern unter eine besondere Verantwortlichkeit des zur Zahlung Herangezogenen fällt 673 . Unter dieser Voraussetzung ergibt sich folgendes: Handelt es sich bei den Sonderabgaben um sogenannte Ausgleichs- und Abschöpfungsabgaben, so sind diese unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten unbedenklich, weil es nicht eigentlich um Fremdlasten geht, d.h., vom Bürger wird nicht verlangt, Vorteile Dritter bzw. Interessen Dritter zu finanzieren. Vielmehr besteht bei diesen Abgaben eine Ähnlichkeit zu Gebühr und Beitrag. Denn Ausgleichs- und Abschöpfungsabgaben werden erhoben, wenn dem Pflichtigen durch den marktordnenden und ertragsnivellierenden Zugriff des Staates ein ungerechtfertigter Sondervorteil zulasten der anderen Marktteilnehmer zugeflossen ist, der im Nachhinein wieder kompensiert werden soll. So hat etwa die Abgabe nach dem Milch- und Fettgesetz den Sinn, das durch den staatlichen Zugriff auf den Milchmarkt verursachte Ertragsgefälle zulasten einzelner Milcherzeuger dadurch auszugleichen, daß die durch die Neuordnung begünstigten Marktteilnehmer mit einer Sonderabgabe belegt werden, die den Benachteiligten zufließt 674 . Dieselbe Situation stellt sich bei der Abgabe nach dem Hebammengesetz 675 : Niedergelassene Hebammen mit hohem Einkommen werden verpflichtet, Ausgleichszahlungen zugunsten solcher Hebammen zu leisten, deGruppennützigkeit einer Abgabe danach bestimmt, ob sie „überwiegend im Interesse der Gesamtgruppe verwendet wird", vgl. BVerfG, ebd. Zur Kritik hieran auch Henseler, Begriffsmerkmale, S. 124. 672

BVerfGE 23, 12 (23).

67 3

Friauf,

674

BVerfGE 18, 315 ff. (328).

675

FS für Jahrreiß, S. 50.

Das Gesetz vom 21.12.1938 (RGBl. I S. 1893) gilt als Landesrecht fort, vgl. BVerfGE 17, 287 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

ren Einkünfte hinter dem gesetzlich gewährleisteten jährlichen Mindesteinkommen zurückbleiben. Dadurch, daß auch die Zahlungsverpflichteten potentiell von den Ausgleichszahlungen profitieren, falls ihre Einkünfte unter das garantierte Mindesteinkommen sinken, weist die Abgabe eine Ähnlichkeit zum Beitrag auf, der sich ebenfalls allein aus einer abstrakten Nutzungsmöglichkeit heraus legitimiert. Beispiel für eine Abschöpfungsabgabe ist die Fehlbelegungsabgabe, mit der die im sozialen Wohungsbau gewährten Vergünstigungen - Beschränkung des Mietzinses auf die Kostenmiete - für den Fall abgeschöpft werden, daß das Einkommen des begünstigten Wohnungsinhabers gewisse Einkommensgrenzen überschreitet und dadurch die Voraussetzungen für die Wohnberechtigung entfallen 676 . Der Begünstigte wird nicht gezwungen, die Wohnung zu räumen, soll aber nicht weiter in den Genuß der aus dem sozialen Wohnungsbau resultierenden wirtschaftlichen Vorteile kommen. Die Abschöpfung eines nicht mehr gerechtfertigten Subventionsvorteils ist nach dem Bundesverfassungsgericht schon aus sich heraus zumutbar 677 . Aus diesen Beispielen 678 erhellt, daß bei den Ausgleichs- und Abschöpfungsabgaben eine gewisse Gegenleistungsabhängigkeit der Zahlungpflicht besteht, der Zahlungsverpflichtete also zuvor durch eine individualnützige Staatsaktion begünstigt wurde oder im selben Zuge begünstigt wird 6 7 9 . Individualnützige Zahlungspflichten sind unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten aber nicht relevant, sie sind bereits durch die Gegenleistungsabhängigkeit ausreichend legitimiert 680 und unterscheiden sich dadurch grundlegend von den sogenannten Fremdlasten. Bei den echten, also nicht vorzugslastähnlichen Sonderabgaben stellt sich die Zumutbarkeitsproblematik in voller Schärfe: Kann dem Betroffenen eine fremdnützige Abgabenleistung prinzipiell, d.h. unabhängig von der Belastungshöhe, überhaupt zugemutet werden, weil er eine besondere Verantwortung für den/die Begünstigten hat? Unter diesem Gesichtspunkt hat das Bundesverfassungsgericht die Investitionshilfeabgabe zur Förderung des Wohnungsbaues zu Recht abgelehnt. Das Investitionshilfegesetz 681 sah die Erhebung einer an die Einkommen- und Körperschaftsteuer anknüpfenden rückzahlbaren Abgabe vor, die von den 676

BVerfGE 78, 249 (267 f.).

677

So explizit BVerfGE 78, 249 (278).

678 Eine Zusammenstellung weiterer Ausgleichs- und Abschöpfungsabgaben findet sich bei Henseler, Begriffsmerkmale, S. 82 ff. 67 9

Henseler, ebd., S. 80 f.

680

Henseler, ebd., S. 80.

681

Vom 20.12.1982, BGBl. 1982 I S. 1857, 1867.

12

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Einkommensteuerpflichtigen aber erst von einer gewissen Einkommenshöhe an entrichtet werden sollte. Das Abgabeaufkommen sollte nach der Begründung der Bundesregierung gezielt zur Förderung des Wohnungsbaus verwendet werden 682 . Das Bundesverfassungsgericht, das in seiner Entscheidung683 zunächst die zuvor schon entwickelte Sonderabgabendogmatik bestätigte, ließ die Investitionshilfeabgabe in erster Linie am Kriterium der (fehlenden) Homogenität der Gruppe der Abgabepflichtigen scheitern. Denn einkommensteuerpflichtige Personen, körperschaftsteuerpflichtige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen seien nicht in der erforderlichen, abgrenzbaren Weise miteinander verbunden 684. Im Hinblick auf das stets individualbezogene Zumutbarkeitskriterium ist das Erfordernis einer „homogenen Gruppe" allerdings irrelevant, weil die Belastung eines einzelnen Abgabepflichtigen nicht im Hinblick auf eine besondere Gruppenserantwortlichkeit oder Gruppenbegünstigung, sondern lediglich mit Verweis auf eine besondere persönliche Verantwortung gerechtfertigt werden kann 685 . Deshalb trägt allein der vom Bundesverfassungsgericht im Anschluß hieran vorgetragene Einwand der fehlenden „spezifischen Beziehung zwischen dem Kreis der Abgabepflichtigen und dem Zweck der Förderung des Wohnungsbaues". Die Abgabeverpflichteten trifft nämlich keine höhere finanzwirtschaftliche Verantwortlichkeit 686 für den Wohnungsbau als die Allgemeinheit der Steuerzahler. Sie haben den erhöhten Bedarf an Wohnungen auch nicht in spezifischer Weise verursacht, so daß eine Finanzierungspflicht, die über die progressive Einkommensbesteuerung hinausgeht, unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt werden kann. Angesichts dessen stellt sich die Wertung ein, daß die Investitionshilfeabgabe aus prinzipiellen Gründen, d.h. unabhängig davon, inwieweit sie den Abgabenschuldner materiell belastet, unzumutbar ist. Ein Gegenbeispiel bildet die Berufsbildungsabgabe. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht auch diese Abgabe aus hier nicht interessierenden Gründen für verfassungswidrig erklärt 687 , unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten war die Abgabe aber nicht zu beanstanden. Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz688 sah vor, daß zur Sicherung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen von den Arbeitgebern eine Berufs682

BT-Drs. 9/2140, S. 72.

683

E 71, 67, 256 ff. (276 ff.).

684

BVerfG, a.a.O., 279 f.

685

Ebenso Henseler, Begriffsmerkmale, S. 124.

686

P. Kirchhof,;

687

BVerfGE 55, 274 ff.: Verstoß gegen das Zustimmungsbedürfnis nach Art. 84 Abs. 1

ZIP 1984, S. 1423 (1431).

GG. 688

Vom 7.9.1976, BGBl. I S. 2658.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

13

bildungsabgabe erhoben wird, wenn die im jeweils vorigen Kalenderjahr angebotenen Ausbildungsplätze die Nachfrage um weniger als 12,5% übersteigen und eine wesentliche Verbesserung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage für das laufende Kalenderjahr nicht zu erwarten ist. Aufgrund der Abgabe sollten Zuschüsse an die Auszubildenden sowie besondere Hilfen zur Erhaltung gefährdeter betrieblicher Ausbildungsplätze gewährt werden. Im Sinne der Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes könnte man zunächst Zweifel haben, ob die Sicherung des Angebots an Ausbildungsplätzen nicht als Aufgabe im Interesse der Allgemeinheit unter ausschließlich staatlicher Verantwortung wahrzunehmen und folglich als öffentliche Last auch allein aus Steuermitteln zu finanzieren ist. Dann wäre die Abgabe jedenfalls als Sonderabgabe unzulässig, weil es sich nicht um einen „besonderen" Finanzbedarf handelte689. Allerdings ist dem Bundesverfassungsgericht darin beizupflichten, daß die praktische Berufsausbildung nie im engeren Sinne der staatlichen Sphäre überantwortet war, sondern immer von den Arbeitgebern selbst, also „staatsfern" organisiert und sichergestellt wurde. Deshalb kann bei der Finanzierung dieser Aufgabe auch von einem „besonderen Finanzbedarf 4 ausgegangen werden, der sich auf eine besondere Verantwortlichkeit der Arbeitgeber stützen läßt 690 . Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten jedoch ist die Argumentation des Gerichtes nicht zweifelsfrei. Denn wenn man der Mehrheitsmeinung des Senates folgt, kommt die Berufsausbildungsabgabe in jedem Fall, d.h., selbst wenn sie unmittelbar den Auszubildenden ausbezahlt wird, auch den Arbeitgebern zugute: Diese hätten an einer langfristigen, qualitativ zufriedenstellenden Entwicklung des Arbeitsmarktes als einer wesentlichen Voraussetzung künftiger eigener Leistungsfähigkeit einen unmittelbaren Nutzen 691 . Steht der Zahlungspflicht des Arbeitgebers in diesem Sinne eine „Gegenleistung" des Staates in Form der Sicherstellung ausreichender, künftiger Arbeitskräfte gegenüber, dann rückt die Abgabe in die Nähe eines Beitrages 692. Jedenfalls wäre die Abgabe als „vorzugslastähnliche Sonderabgabe" unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten ohne weiteres gerechtfertigt 693. Dem Bundesverfassungsgericht ist in diesem Punkte aber nur eingeschränkt zu folgen. Die Berufsbildungsabgabe dient sicherlich auch den Interessen der Arbeitgeber an einer langfristigen Sicherung des Angebots ausrei-

689

So die Richter Rinck, Steinberger und Träger Entscheidung des Senates, abgedruckt in E 55, 329 f. 690

Friaufi

691

BVerfGE 55, 314.

692

So ausdrücklich BVerfGE 55, 316.

693

S. bereits oben S. 173.

in: FS für Jahrreiß, S. 50.

in ihrer abweichenden Meinung zur

1

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

chend qualifizierter Arbeitskräfte. Das Aufkommen der Abgabe soll aber primär dazu dienen, ausbildungswilligen Jugendlichen ein möglichst ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zu gewährleisten. Dadurch dient die Abgabe nicht zuletzt den Belangen der Ausbildungswilligen selbst 694 , wie auch das Gericht nicht völlig verkennt, wenn es auf die Interessen der arbeitsplatzsuchenden Jugend und die der gesamten Gesellschaft verweist 695 . Entscheidend für den - jedenfalls teilweise - „fremdnützigen", weil den Interessen der Ausbildungswilligen dienenden Charakter der Berufsausbildungsabgabe ist die Tatsache, daß nach der Konzeption des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes Zuschüsse an die Auszubildenden gewährt werden und diesen auch unmittelbar und ausschließlich zugute kommen. Bejaht man die Fremdnützigkeit der Abgabe insoweit, so bedarf sie unter dem Aspekt prinzipieller Zumutbarkeit eines besonderen Zurechnungsgrundes im Sinne einer gesteigerten Verantwortlichkeit der Arbeitgeber für die zu finanzierende Aufgabe. Letztere ergibt sich daraus, daß die Arbeitgeber es in überkommener Tradition übernommen haben, die praktische Berufsausbildung sicherzustellen. Darüber hinaus sind sie es, die typischerweise über die Möglichkeit verfügen, Arbeitsplätze zu schaffen und anzubieten696. Aus dieser „tatsächlichen Garantenstellung" kraft übernommener Verantwortung heraus ist die staatliche Erwartung zu begründen, daß sowohl die Arbeitgeberschaft insgesamt als auch die einzelnen ausbildenden Arbeitgeber selbst dieser Verantwortung tatsächlich gerecht werden, indem sie für die Ausbildungswilligen auch entsprechend Ausbildungsplätze schaffen. Trifft den einzelnen Arbeitgeber in diesem Sinne eine persönliche Verantwortung für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, so ist ihm die Berufsausbildungsabgabe zumutbar. (d) Der Solidargedanke als tragende Zumutbarkeitserwägung Besonders im Sozialversicherungsrecht kann der Solidargedanke als prinzipielle Zumutbarkeitserwägung fruchtbar gemacht werden. Auch hier wiederum ist nicht die Frage entscheidend, ob sich dem Einzelnen gegenüber die Höhe der Abgabenbelastung rechtfertigen läßt, ob also die konkret verlangte Abgabensumme angesichts des Gemeinwohlinteresses an einer funktionierenden Sozialversicherung noch angemessen erscheint. Problematisch ist vielmehr, ob der Abgabenverpflichtete überhaupt gezwungen werden kann, ein fremdnütziges Abgabenaufkommen zu finanzieren.

694 Vgl. die abweichende Meinung der Richter Rinck, Steinberger und Träger, 55, 330. 695

BVerfGE 55, 317.

696

BVerfGE 55,313.

BVerfGE

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Das Bundesverfassungsgericht hat die Abgabenbelastung verschiedentlich dann gerechtfertigt, wenn vom Betroffenen eine besondere Solidarität mit dem durch die Abgabe begünstigten Personenkreis erwartet werden kann 697 . Dies wird deutlich bereits in einer frühen Entscheidung zum Kindergeldgesetz 698 . Nach diesem Gesetz sollen die besonderen Lasten kinderreicher Familien durch ein steuerfreies Kindergeld ausgeglichen werden, das von den Arbeitgebern im Umlageverfahren aufgebracht wird. Die Arbeitnehmer hingegen werden nicht zur Finanzierung herangezogen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich beim Kindergeldgesetz um eine sozialversicherungsrechtliche Regelung handelt, denn gerade im Sozialversicherungsrecht steht der Fürsorgegedanke neben dem das Privatversicherungsrecht beherrschenden Risikogedanken699. Geht es bei der Sozialversicherung - jedenfalls auch - um sozialen Ausgleich und nicht primär um die Abgeltung eines individuellen Vorteils 700 , so ist klar, daß der Sozialversicherungsbeitrag nicht als „Beitrag" im klassischen abgabenrechtlichen Sinne qualifiziert werden kann. Andererseits versagt hier angesichts der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts auch die Sonderabgabendogmatik. Denn nach Auffassung des Gerichtes treten Sozialversicherungsbeiträge aufgrund ihrer Zweckgebundenheit nicht in Konkurrenz zur Steuer, gefährden deshalb nicht die Systematik der Finanzverfassung 701 und sind auch keine Sonderabgabe im technischen Sinne 702 . Handelt es sich bei den Sozialversicherungsabgaben also weder um Beiträge (im abgabenrechtlichen Sinne) noch um Sonderabgaben, so bietet sich als Zulässigkeitskriterium insbesondere der Zumutbarkeitsmaßstab an: Danach wäre den Arbeitgebern die Finanzierung der Familienausgleichskassen zumutbar, wenn sie für diese Form sozialen Lastenausgleichs eine gesteigerte besondere Verantwortung trifft. Eine solche läßt sich begründen mit Hilfe der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Danach ist er verpflichtet, bei einer grundsätzlich leistungsgerechten und -bezogenen Bezahlung auch soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen, insbesondere auch die sozialversi697

Gusseck, Die Zumutbarkeit, S. 11.

698

BVerfGE 11, 105 ff.

699

BVerfGE 11, 114; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 13.

700

Isensee, ebd., S. 15.

701 Anmerkung: Die Gefahr, daß der Gesetzgeber durch die Einführung von Sonderabgaben die grundgesetzliche, auf die Steuererhebung fixierte Finanzverfassung unterläuft, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes der entscheidende Grund für die Einführung strenger Zulässigkeits- und Definitionskriterien im Hinblick auf das Institut der „Sonderabgabe". Vgl. BVerfGE 55, 304 f. sowie noch deutlicher E 81, 156 (188). 702 BVerfG, NJW 1987, 3115. Gegen die Herausnahme der Sozialversicherungsbeiträge aus dem Bereich der Sonderabgaben wendet sich besonders Henseler, NJW 1987, S. 3107 ff.

16

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

cherungsrechtliche Absicherung der Arbeitnehmer, deren er sich zur Gewinnerzielung bedient, zu gewährleisten 703. Unter diesem Blickwinkel hätte der Gesetzgeber die Arbeitgeber unter Berufung auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht zur Gewährung eines Kinderzuschlags zum Arbeitseinkommen verpflichten können. Beim Kindergeld handelt es um eine Art pauschalierten Kinderzuschlag, der allein dadurch, daß es sich nicht um eine direkte, sondern um eine indirekte Finanzierung handelt, nicht unzumutbar wird 7 0 4 . Das Bundesverfassungsgericht sieht letztlich also in der auf dem Arbeitsverhältnis fußenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer den entscheidenden Grund für die alleinige Finanzierungspflicht der Arbeitgeber 705 . Deutlich transparenter wird die Problematik prinzipieller Zumutbarkeit im Urteil des Gerichtes zur Erstattungspflicht der Arbeitgebers nach § 128 AFG 7 0 6 . Der Entscheiung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach § 128 AFG sind Arbeitgeber, die Arbeitsverhältnisse mit älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmern beendet haben, verpflichtet, der Bundesanstalt für Arbeit das entsprechend gezahlte Arbeitslosengeld einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu erstatten. Von dieser Erstattungsregelung werden auch Leistungen der Arbeitslosenhilfe erfaßt. Ziel dieser Regelung ist es, Frühverrentungen älterer Arbeitnehmer zulasten der Sozialversicherung (in diesem Fall der Arbeitslosenversicherung) zu vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es zunächst ab, die Erstattungspflicht als Sonderabgabe zu qualifizieren, weil den Zahlungen des Arbeitgebers ein Äquivalent in Form von sozialversicherungsrechtlichen Leistungen an die Arbeitnehmer gegenüberstehe, der Arbeitgeber letztlich also eine Gegenleistung erhalte. Ob man dem Gericht in diesem Punkte zu folgen hat, ist sehr zweifelhaft 707 , kann aber, soweit es auf die rechtsdogmatische Qualifizierung der Erstattungspflicht als Sonderabgabe ankommt, dahinstehen. Es zeigt sich aber einmal mehr, daß die Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht stringent durchgeführt, jedenfalls vom Einzelfall abhängig ist und daß mit Hilfe der dabei entwickelten Zulässigkeitskriterien keine optimale Grenzziehung zwischen verfassungsmäßigen und verfassungswidrigen Zahlungspflichten gewährleistet werden kann.

703

BVerfGE 11, 113.

704

BVerfGE 11, 114 (116).

705

Das Gericht spricht (ebd., 116) von einer „sachlichen Beziehung zwischen den Kindergeldleistungen an die Arbeitnehmer und der Beschränkung der Beitragspflicht auf die Arbeitgeber". 706

BVerfGE 81, 156 ff.

707

Dazu unten nächste Fn.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

1

Insoweit bleibt dann immer noch der Rückgriff auf den Zumutbarkeitsgrundsatz mit seiner spezifischen Fragestellung: Kann dem Arbeitgeber in prinzipieller Hinsicht zugemutet werden, an die Bundesanstalt für Arbeit Leistungen zu erbringen, die nicht in seinem, sondern in fremdem Interesse, mithin also fremdnützig sind? Denn unabhängig von der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, sonderabgabenrechtlich gesehen korrespondiere den Leistungen eine Gegenleistung, ist die Fremdnützigkeit der Erstattungspflicht offenbar: Sie kommt unmittelbar der Bundesanstalt zugute, deren vorher getätigte Aufwendungen sie kompensiert, sie fließt mittelbar sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu, da es Aufgabe der Bundesanstalt gerade ist, im Bedarfsfalle an diese zu leisten. In jedem Fall ist die Leistung nicht insofern „eigennützig", daß sie in irgendeiner Form wieder an die Erstattungsverpflichteten zurückflösse 708. Bei der Frage, warum gerade dem Arbeitgeber (und nicht der Allgemeinheit) das finanzielle Risiko der Frühverrentung älterer und langjähriger Arbeitnehmer zugemutet werden kann, kommt es darauf an, ob den Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für seine Arbeitnehmer trifft 7 0 9 und inwieweit er auch mit deren Arbeitslosigkeit und der daraus resultierenden Leistungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit in Verantwortungszusammenhang gebracht werden kann. Zunächst greift wiederum der Gedanke der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht. Regelmäßig haben Arbeitgeber in der Vergangenheit mannigfaltige Vorteile aus der langjährigen Beschäftigung von Arbeitnehmern gezogen. Aus der durch lange Betriebszugehörigkeit unter Beweis gestellten Betriebstreue älterer Arbeitnehmer resultiert deshalb eine erweiterte Fürsorgepflicht 710 gerade auch für den Fall, daß diese auf dem Arbeitsmarkt zunehmend zur Problemgruppe werden. Die gegenseitige Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erhält dabei umso mehr Gewicht, je länger das Arbeitsverhältnis gedauert hat. Mit anderen Worten trifft den Arbeitgeber auch eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers, die sich regelmäßig in einem arbeitsrechtlich erhöhten Kündigungsschutz zeigt. Betrifft diese Verantwortung zunächst unmittelbar nur die Verhinderung der Arbeitslosigkeit des Arbeit708 Die Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts (E 81, 187 f.), § 128 AFG überantworte dem Arbeitgeber das Risiko der Arbeitslosigkeit seiner älteren Arbeitnehmer, weshalb die Erstattung der Bundesanstalt ihm gegenüber „Gegenleistung" sei, bemüht unausgesprochen den Gedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag (Bundesanstalt wird im Risikobereich des Arbeitgebers tätig und leistet materiell in dessen Interesse) und wirkt reichlich gekünstelt. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob man den Begriff der „Gegenleistung" so weit fassen sollte, daß er auch „Dreiecksbeziehungen" umgreift. Mit der Annahme eines Gegenleistungsverhältnisses wollte das Gericht offenbar eine Auseinandersetzung mit der Sonderabgabenproblematik vermeiden. 709

Gagel, AFG, § 128 Rn. 89, 275.

7,0

BVerfGE 62, 256 (285).

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

nehmers, so ist damit noch nicht ohne weiteres gerechtfertigt, den Arbeitgeber auch in eine besondere sachliche Nähe zu den sozialen Folge kosten zu bringen, die ja gerade mit Eintritt der Arbeitslosigkeit entstehen. Hier arbeitet das Bundesverfassungsgericht zu Recht mit dem Veranlassungsgedanken, der auch die Auferlegung sozialer Folgekosten legitimiert 711 . In Anwendung der erweiterten Fürsorgepflicht ist es dem Arbeitgeber untersagt, den Arbeitnehmer ohne rechtfertigenden Grund auf Kosten der Sozialversicherung in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Die Zumutbarkeit der Erstattungs\>i\\c\\i steht und fällt deshalb mit der Frage, ob der betreffende Arbeitgeber die Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers konkret verursacht hat 712 , denn nur dann sind ihm auch die von der Bundesanstalt für Arbeit erbrachten Folgekosten zurechenbar. Der insoweit erforderliche Zurechnungszusammenhang ist unterbrochen, wenn der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet und Anspruch auf soziale Sicherung aus einem anderen Sozialversicherungssystem als dem der Arbeitslosenversicherung hat. Denn in diesem Fall realisiert sich gerade nicht ein vom Arbeitgeber mit der Frühverrentung verursachtes Risiko 713 , sondern ein Risiko beispielsweise der Unfall-, Kranken-, und Rentenversicherung. Mit Hilfe des Verantwortungs- und Veranlassungsgedankens läßt sich so die Zumutbarkeit bzw. die Unzumutbarkeit der konkreten Erstattungspflicht des Arbeitgebers feststellen. Dabei zeigt sich, daß der Zumutbarkeitsgedanke neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine eigenständige Problemlage erfaßt. Denn bei der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung handelt es sich um ein überragend wichtiges Gemeinwohlinteresse. Angesichts des Gewichts dieses Zielrechtsgutes dürfte es schwierig sein, Opferrechtsgüter zu finden, die zur UnVerhältnismäßigkeit der Erstattungspflicht führen könnten. Der Zumutbarkeitsmaßstab in seiner prinzipiellen Spielart hat hier eine weit höhere „Problemlösungskompetenz 44. Diese stellt der Zumutbarkeitsmaßstab auch bei der Künstlersozialabgabenentscheidung714 unter Beweis. Selbständige Künstler und Publizisten werden durch das Künstlersozialabgabengesetz in der gesetzlichen Krankenversiche-

711

BVerfGE 81, 156 (196 ff.).

712

Das BVerfG formuliert (ebd., 197), daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers fallen müsse, später (ebd., 198) spricht es von einer „besonderen Verantwortungsbeziehung" im Hinblick gerade auf die Erstattungspflicht. 7,3 Wenn der Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Ansprüche gegen die Renten-, Unfall-, und Krankenversicherung hat, hat der Arbeitgeber nach Ansicht des BVerfG (ebd., 198) nur „formell" an dieser Art von Arbeitslosigkeit mitgewirkt. 714

BVerfGE 75, 108 ff.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

189

rung pflichtversichert. Sie zahlen dabei wie Arbeitnehmer den halben Beitrag für ihre Renten- und Krankenversicherung an die Künstlersozialkasse. Diese wiederum finanziert die von ihr zu leistende andere Beitragshälfte zu einem Drittel aus einem Bundeszuschuß und zu zwei Dritteln aus der sogenannten Künstlersozialabgabe, die im Wege der Umlage von professionellen Vermarktern auf dem Gebiet der Kunst und Publizistik erhoben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst den sozialversicherungsrechtlichen Charakter der Abgabe festgestellt 715 und sodann - ohne auf die Sonderabgabenproblematik einzugehen716 - die entscheidende Frage formuliert: „Gibt es einen ... Grund dafür, daß ein Privater ... über seine Steuerpflicht hinaus ... zu einer Abgabe herangezogen wird, die weder ihm selbst noch seiner Gruppe zugute kommt, ihm vielmehr als fremdnützige Abgabe auferlegt wird, die sozialen Ausgleich und Umverteilung zum Ziel hat und herstellt?" 717 Stellt man die Frage nach der prinzipiellen Zumutbarkeit der Künstlersozialversicherungsabgabe in dieser Weise, so ist ein im Vergleich zur üblichen Sozialversicherung bedeutender Unterschied zu beachten: Während sich die sozialversicherungsrechtliche Finanzierungslast des Arbeitgebers normalerweise mit dessen arbeitsrechtlicher Fürsorgepflicht begründen, letztlich also aus seiner Stellung als Arbeitgeber ableiten läßt, versagt diese Argumentationskette bei der Künstlersozialversicherungsabgabe, denn die finanzierungspflichtigen Vermarkter von Kunst und Publizistik haben keine Arbeitgeberstellung gegenüber den selbständigen Künstlern und Publizisten 718 . Mit dem Rückgriff auf das Arbeitsverhältnis kann deshalb keine gesteigerte Verantwortlichkeit der Vermarkter für die Versicherten begründet werden. Ebensowenig taugt der Verweis auf den Gedanken der Gr«/v?ensolidarität 719, denn es geht nicht um die Einbeziehung neuer Versicherter in die eigene Gruppe, sondern um die Geltendmachung einer sozialen Verantwortlichkeit gegenüber einer neuen, anderen Gruppe. Bei der Auferlegung einer fremdnützigen Abgabe wird der Rahmen vorgegebener Gruppenhomogenität gerade zwangsläufig überschritten 720. Mangels weiterer Rechtfertigungsgründe hat 715

BVerfGE 75, 108 (157 f.); zustimmend Henseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 144 ff. 716 Das BVerfG nimmt die Sozialversicherungsbeiträge aus dem Begriff der Sonderabgabe heraus; vgl. BVerfG, NJW 1987, 3115 (3116). 717

BVerfGE 75, 108 (157).

7.8

So auch BVerfGE 75, 108 (159).

7.9

Hierzu Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 371; Isensee, Umverteilung durch Sozial Versicherungsbeiträge, S. 16, 18, 63. Isensee weist (ebd., S. 16) darauf hin, daß das Solidaritätsgebot einer der Bestimmungsgründe des Sozialversicherungsbeitrages ist. 720 BVerfGE 75, 108 (158). Kritisch zum Gedanken der Gruppensolidarität z.B. Papier, AöR 100 (1975), S. 640 (644 f.).

190

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

das Bundesverfassungsgericht deshalb zur Begründung einer „spezifischen Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung" 721 zwischen dem Abgabeverpflichteten und dem Versicherten auf das besondere kulturgeschichtlich gewachsene Verhältnis zwischen Künstlern und Publizisten einerseits sowie den Vermarktern andererseits rekurriert 722 . In diesem symbiotischen Verhältnis soll demnach ein adäquater Ausgleich für die fehlende Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung liegen. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten sind an der Richtigkeit dieser Sichtweise Zweifel angebracht. Denn die Frage nach der Zumutbarkeit einer Abgabe hängt nicht entscheidend davon ab, ob die Gruppe der Vermarkter als solche eine besondere Nähe zu den von ihnen Vermarkteten aufweist und ob dieses Verhältnis symbiotische Züge trägt. Die Zumutbarkeit ist individualbezogener Maßstab. Soll eine Zahlungspflicht demnach dem Einzelnen zumutbar sein, so ist entscheidend, ob ihm persönlich eine besondere Solidarität mit den Begünstigten obliegt. Bezogen auf die Künstlersozialabgabe heißt das, daß der einzelne Vermarkter selbst durch die Inanspruchnahme fremder Arbeitsleistung eine persönliche Mitverantwortung für die Versorgung der Versicherten geschaffen und begründet haben muß 723 . Allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe reicht nicht für die Zumutbarkeit der Zahlungspflicht aus. Bei der Künstlersozialabgabe läßt sich nun aber eine über die Gruppe hinausgehende persönliche Verantwortlichkeit der Zahlungsverpflichteten nicht durchweg feststellen. Denn es werden nicht nur solche Vermarkter zur Finanzierung herangezogen, die Werke von Künstlern und Publizisten tatsächlich vermarkten, es sind vielmehr alle Vermarkter unabhängig von individuellen Rechtsbeziehungen zu ihren „Kunden" zur Zahlung verpflichtet 724 . Hinzu kommt, daß § 25 Abs. 1 KSVG Abgabenpflicht und Abgabenhöhe nicht mit den an die versicherten Künstler und Publizisten gezahlten Arbeitsentgelten verknüpft 725 . Deshalb ist es möglich, daß Vermarkter auch dann zur Finanzierung herangezogen werden, wenn sie ausschließlich Werke solcher Personen vertreiben, die nicht nach § 2 KSVG versicherungspflichtig sind. In diesen Fällen fehlt es dann ebenfalls an einer persönlichen besonderen Verantwortung der Betroffenen für die Begünstigten. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz mag dies unschädlich sein, insoweit mag eine gruppenspezifische (nicht individuelle) Verantwortung als Legitima-

721

BVerfGE 75, 108 (158).

722

BVerfGE 75, 108 (159).

723

Ebenso Η enseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 159.

724

Vgl. § 24 KSVG, der auf das bloße „Betreiben eines Unternehmens" abstellt.

725

Henseler, Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, S. 157.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

191

tionsgrund ausreichen 726. Denn der Solidargedanke, der den individuellen Sozialversicherungsbeitrag ein Stück weit vom konkreten Risiko löst 727 , vermag eine ungleiche Belastung der Arbeitgeber mit dem Argument zu rechtfertigen, angesichts des gesamten Finanzbedarfs der Sozialleistungsträger sei ein gewisser Ausgleich, eine gewisse Umverteilung zwingend notwendig und demgegenüber falle die Ungleichbehandlung einzelner Arbeitgeber nicht ins Gewicht. Auf das dem Gleichheitsgedanken insoweit innewohnende Verhältnismäßigkeitselement wurde bereits oben hingewiesen728. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten aber reicht es nicht, einen Abgabenschuldner nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe heranzuziehen, ohne daß es auf „seine" tatsächliche (Mit-)Verantwortlichkeit ankäme. Hier zeigt sich wiederum die perspektivische Verschiedenheit gleichheitsorientierter und zumutbarkeitsorientierter Legitimationsgründe. Für die Künstlersozialversicherungsabgabe, die sich nach einem Wort Henselers 729 im „Grenzbereich zwischen präzisierter Verantwortung und gewillkürter Zwangspatenschaft" bewegt, hat dies die Konsequenz, daß die Abgabenbelastung der Betroffenen aus prinzipiellen Gründen unzumutbar ist, soweit es an einer besonderen persönlichen Verantwortlichkeit fehlt, weil sie selbst keine Werke versicherungspflichtiger Künstler und Publizisten vermarktet haben. In diesem Zusammenhang seien zur prinzipiellen (Un-)Zumutbarkeitskomponente noch drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Entgeltfortzahlungspflicht von Arbeitgebern angeführt. Zunächst hatte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des hessischen Bildungsurlaubsgesetzes und des nordrhein-westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes zu entscheiden730. Beide Länder verpflichteten darin die Unternehmen, Arbeitnehmer auf Antrag 731 für Zwecke der Weiterbildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Arbeitspflicht freizustellen. Das Bundesverfassungsgericht wandte sich zunächst rein quantitativ ausgerichteten Verhältnismäßigkeitserwägungen zu und fragte nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der gesetzlichen Regelung. Insbesondere für die Angemessenheit der Entgeltfortzahlungspflicht führte das Gericht an, daß der Gesetzeszweck durch „Gründe des Allgemeinwohls" gerechtfertigt sei, weil die Arbeitnehmerweiterbildung den Arbeitnehmer in die Lage versetze, die

726 BVerfGE 75, 108 (158 f.). Kritisch F. Kirchhof DRV 1989, S. 34: Das BVerfG habe den Solidaritätsgedanken in der Künstlersozialabgabenentscheidung sehr strapaziert. 727

F. Kirchhof\ Rn. 19 (S. 408). 728

S.o. S. 176.

729

A.a.O., S. 150.

DRV 1989, S. 35; ders., in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 93

730

Vgl. zu beiden Gesetzen BVerfGE 77, 308 ff.

731

— des Arbeitnehmers!

192

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Folgen wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels besser zu verstehen, was letztlich im Interesse der Gesamtgesellschaft sei 732 . Daneben beurteilte das Gericht die dem Arbeitgeber auferlegte Belastung deshalb als verhältnismäßig, weil das Gesetz diesen Belastungen vielfältige Grenzen setze733. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten kommt es aber gerade nicht darauf an, ob die Eingriffsrelation bezogen auf das Verhältnis von Ziel- und Opferrechtsgütern bestimmten Anforderungen der Angemessenheit entspricht, die Belastung also durch gewisse Entlastungselemente kompensiert wird und so zu einem insgesamt günstigen Verhältnismäßigkeitsurteil führt. Entscheidend ist vielmehr, ob die Regelung dem Arbeitgeber auch für sich genommen überhaupt zugemutet werden kann. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es einen rechtfertigenden Grund dafür gäbe, gerade den (konkreten) Arbeitgeber als Entgeltfortzahlungsverpflichteten für eine Weiterbildung heranzuziehen, die unmittelbar nicht ihm selbst, sondern seinen Arbeitnehmern, allenfalls noch mittelbar der Allgemeinheit zugute kommt. Seine Pflichten der Allgemeinheit gegenüber erfüllt der Arbeitgeber aber bereits dadurch, daß er Steuern zahlt. Das Bundesverfassungsgericht hat den rechtfertigenden Grund für die Heranziehung in der arbeitsrechtlich fundierten Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitnehmer einerseits und Arbeitgeber andererseits gesehen, ohne dies allerdings näher zu problematisieren 734. Gerade hier hätte es aber einer vertieften Argumentation bedurft. Denn die arbeitsrechtliche Verantwortung des Arbeitgebers dürfte schwerlich noch den Bereich (allgemein)politischer Weiterbildung des Arbeitnehmers umfassen 735. Begründet man das Bedürfnis nach Arbeitnehmerweiterbildung in der Weise, wie es das Bundesverfassungsgericht tut, so verwirklicht sich durch das bei den Arbeitnehmern festzustellende Informationsdefizit nicht ein spezifisch vom Arbeitgeber, sondern ein von der Allgemeinheit veranlaßtes Risiko, das sich jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Fürsorge auf den Arbeitgeber abwälzen läßt. An anderer Stelle hat das Gericht den Risikogedanken auch in solch einschränkendem Sinne verwendet. Soweit die Berufsbildungsgesetze nämlich dazu verpflichteten, entgeltlichen Zusatzurlaub auch für pädagogisch befähigte Mitarbeiter als Teil des Ausbildungspersonals zu gewähren, sieht das Gericht den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers überschritten: Die Durch732

BVerfGE 77, 308 (332 f.).

733

So etwa sei der Bildungsurlaub auf eine Jahreskalenderwoche beschränkt; Planungen der Arbeitgeber seien auch weiterhin möglich, weil das Gesetz den bildungswilligen Arbeitnehmern eine Pflicht zur frühzeitigen Mitteilung ihres Vorhabens auferlege. 734

BVerfGE 77, 308 (337).

735

So aber BVerfGE 77, 333.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

193

führung der Weiterbildung sei Sache überbetrieblicher Bildungsträger, nicht Sache des Arbeitgebers, so daß sich die Freistellung und Entgeltfortzahlung für das Ausbildungspersonal nicht aus dem einzelnen Arbeitsverhältnis heraus rechtfertigen lasse736. Hier handelt es sich um eine typische Zumutbarkeitserwägung im prinzipiellen Sinne 737 . Denn inhaltlich geht es nicht darum, ob die Kostenbelastung des Arbeitgebers unter Berücksichtigung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit der Höhe nach unangemessen sei. Zumutbar ist die Kostentragung vielmehr nur dann, wenn sie überhaupt durch einen zumutbarkeitsorientierten Zurechnungsgrund gerechtfertigt ist. Zu beachten ist, daß die unterschiedliche Betrachtungsperspektive zumutbarkeitsorientierter und gleichheitsorientierter Zurechnung, wie sie oben dargestellt wurde 738 , auch hier heranzuziehen ist: Die Frage, ob die Kostenbelastung der Arbeitgeber eine im Vergleich zur Allgemeinheit ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt, beantwortet sich unter anderem danach, ob das Differenzierungsziel (die Arbeitnehmerweiterbildung) in einem angemessenen Verhältnis zum Differenzierungskriterium (der arbeitsrechtlichen Verantwortung des Arbeitgebers) steht 739 . Die Gleichheitsprüfung ist damit - ebenso wie die Verhältnismäßigkeitsprüfung - mit einer Rechtsgüterabwägung befrachtet, die den Blick auf die subjektiv-persönlichen Interessen des Arbeitgebers verstellt und die zumutbarkeitsrelevanten Fragen der Interessenkollision und Identitätswahrung weitgehend ausklammert. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ließe sich gleichheitsbezogen mit sozialstaatlichen Argumenten und der Überlegung rechtfertigen, daß die Kostenbelastung sich für die Arbeitgeber in Grenzen halte, weshalb auch die Bedeutung der Ungleichbehandlung im Vergleich zur Allgemeinheit relativiert werde. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten greift diese Argumentation nicht. Denn hier kommt die Frage nach der besonderen persönlichen Verantwortlichkeit ungeschmälert und unrelativiert in Ansatz. Dasselbe Problem liegt auch der Entscheidung zum hessischen Gesetz über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit zugrunde. Die Arbeitgeber wurden durch dieses Gesetz dazu verpflichtet, ehrenamtlich in der Jugendarbeit tätigen Arbeitnehmern bezahlten Sonderurlaub zu gewähren. Die vom Bundesverfassungsgericht unter dem Topos „Zumutbarkeit" zunächst angestellten Erwägungen 740 betreffen die Höhe der Zahlungspflicht und gehören 736

So ausdrücklich BVerfGE 77, 308 (337).

737

Dahingehend läßt sich die Formulierung des Gerichts verstehen, für die Frage, ob die Kosten der ... erforderlichen Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber zu tragen sind, komme es nicht auf die Erforderlichkeit, sondern auf die Zumutbarkeit an, vgl. BVerfG, a.a.O., 334. 738

S.o. S. 174 ff.

739

Schoch, DVB1. 1988, S. 874 r. Sp.

740

BVerfGE 85, 226 (235 f., 236 unten).

13 Albrccht

194

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

der Sache nach in die Angemessenheitsprüfung 741. Die andere Frage, ob für die Kostenlast des Arbeitgebers überhaupt ein zumutbarkeitsbegründender Rechtfertigungsgrund gegeben ist, wird vom Gericht dann problematisiert und zu Recht verneint. Zwar besteht auch hier zwischen Arbeitnehmer einerseits und Arbeitgeber andererseits eine arbeitsrechtliche Verantwortungsbeziehung, diese rechtfertigt es aber nicht, dem einzelnen Arbeitgeber 742 die volle Kostenlast für private gesellschaftliche Aktivitäten seiner Arbeitnehmer aufzuerlegen, die er nicht veranlaßt hat und für die er nicht das Risiko trägt 743 . Zwar ist es richtig, daß die ehrenamtliche Tätigkeit des Arbeitnehmers in der Jugendarbeit geeignet ist, seine Verantwortungsbereitschaft und Initiative zu fördern, Tugenden also, von denen auch der Arbeitgeber profitiert; dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Förderung der (überbetrieblichen) Jugendarbeit eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt 744 . Denn eine gesteigerte Verantwortlichkeit ließe sich insoweit nur aus dem Arbeitsverhältnis ableiten. Es ist aber nicht ersichtlich, daß und warum dieses auch private, gesellschaftliche Aktivitäten des Arbeitnehmers umfaßt, die in keinem Bezug zu betrieblichen Angelegenheiten stehen. Daß das Bundesverfassungsgericht die prinzipielle Komponente des Zumutbarkeitsmaßstabes auch sonst anerkennt, zeigt abschließend eine Entscheidung zur Errichtung von Innungskrankenkassen im Handwerk. In dieser Entscheidung745 hatte das Gericht darüber zu befinden, ob es gerechtfertigt ist, die für die Errichtung solcher Innungskrankenkassen notwendige Mitwirkung der Arbeitnehmerseite mit der Zustimmung allein der sogenannten Gesellenausschüsse gleichzusetzen, Nichtgesellen von der Arbeitnehmermitwirkung aber auszuschließen. Der Senat sah einen rechtfertigenden Grund für diese Ungleichbehandlung in der besonderen Verbundenheit der Gesellen mit dem Meisterbetrieb und der Handwerksinnung, die den übrigen Arbeitnehmern gerade fehle. Ob diese historisch begründete Argumentation unter neuen, europarechtlich geprägten Bedingungen746 auf Dauer zu halten ist, bleibe dahingestellt. Bemerkenswert ist aber, daß das Gericht unter Rekurs auf den Ge741

Vgl. bereits oben zur Tendenz des BVerfG, Zumutbarkeit und Angemessenheit gleichzusetzen. 742

Nur individualbezogen kann die Zumutbarkeit möglicher Maßstab sein.

743

So auch BVerfGE 85, 237.

744 Im Ergebnis ebenso BVerfGE 85, 236 f.; allerdings hält es der Senat - obiter dictum - für denkbar, den Arbeitgeber wenigstens mit einem Teil der (Lohn-)Kosten zu belasten. Dies ist jedoch nicht gerechtfertigt, weil sich die Zumutbarkeitsproblematik auch bei einer Teilkostenbelastung nicht anders darstellt; an der prinzipiell fehlenden Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ändert sich nichts. 745

BVerfGE 11, 310 ff.

746

Die Entscheidung des Senats stammt aus dem Jahre 1960.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

195

danken der Zumutbarkeit eine Einschränkung macht: Entstünde zwischen den im Gesellenausschuß vertretenen Gesellen und den übrigen Arbeitnehmern bei der Frage der Errichtung von Innungskrankenkassen ein Interessengegensatz, so könne den Nichtgesellen nicht zugemutet werden, auf eine Bekundung ihres Willens zu verzichten 747. Für diesen Fall wäre die überprüfte Regelung also prinzipiell unzumutbar, denn auf eine Willensbekundung könnte auch dann nicht verzichtet werden, wenn der Verzicht durch etwaige überwiegende Gemeinwohlerwägungen gerechtfertigt wäre. Bezeichnenderweise hat der Senat auch gar nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgedanken operiert, der hier zur Problemlösung in der Tat nichts beitragen könnte: Es kommt gerade nicht auf die Relation im Spiele befindlicher Rechtsgüter und Interessen an. Unter dem Gesichtspunkt der Wahrung eigener Interessen bei der Errichtung von Innungskrankenkassen ist es den Nichtgesellen aus prinzipiellen Gründen nicht zuzumuten, daß Gremien, in denen sie nicht vertreten sind, über ihre Köpfe hinweg entscheiden, zumal auch die an der Errichtungsentscheidung nicht Beteiligten Pflichtmitglieder der neuen Innungskrankenkasse werden. Unter diesen Umständen wird dem Betroffenen die Hintanstellung eigener Interessen nicht zugemutet. Rechtfertigungsgründe wie etwa die vom Bundesverfassungsgericht erwähnte „besondere Stellung der Gesellen im Aufbau des Handwerks" 748 , etwaige historische Erwägungen oder das Argument vorteilhafter Verwaltungspraktikabilität könnten zwar in die quantitativ ausgerichtete Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden und zu einem positiven Verhältnismäßigkeitsurteil führen, nicht aber die prinzipiell verstandene Zumutbarkeitsschranke überwinden. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß der Zumutbarkeitsmaßstab insoweit einen eigenständigen Bedeutungs- und Prüfungsgehalt aufweist.

e) Die Zumutbarkeit als Grenze möglicher Steuerbelastung (1) Die beschränkte Anwendbarkeit

des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist seiner Funktion nach Schranke staatlicher Eingriffe. Für diese Aufgabe scheint er gerade auch im Steuerrecht als Paradefall hoheitlicher Eingriffsverwaltung prädestiniert. Versucht man jedoch, die Frage nach der Zulässigkeit einer konkreten steuerlichen Belastung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgedankens in den Griff zu bekommen, so zeigt sich bald die Untauglichkeit dieses Maßstabes. Grund dafür ist die dem Verhältnismäßigkeitsgedanken per definitionem eigene, vorgegebene

13'

747

BVerfGE 11, 325.

748

BVerfGE 11, 324.

196

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Zweck-Mittel-Ausrichtung 749 , die steuerlichen Besonderheiten nicht ausreichend Rechnung trägt. Das Steuerrecht unterscheidet „reine Finanzierungssteuern" von „Lenkungssteuern" 750. Lenkungssteuern haben den Sinn, den Steuerunterworfenen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen oder ihn von einem sozial unerwünschten, jedoch nicht verbotenen Verhalten abzubringen. Beispielsweise wird der Zweck der Sonderumsatzsteuer nach dem Absicherungsgesetz751 am besten erfüllt, wenn der Betroffene die Steuer vermeidet, m.a.W. haben Lenkungsabgaben nicht in erster Linie Ertragsfunktion, sondern Verhaltenssteuerungsfunktion. Mit Hilfe dieser Steuerungsfunktion läßt sich nun eine relativ griffige Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen. Denn den Lenkungssteuern läßt sich ein konkreter Verwaltungszweck entnehmen, auf den die zur Zweckerreichung erforderlichen Mittel bezogen werden können: Bei der Besteuerung des Werkfernverkehrs etwa bezweckte der Gesetzgeber nicht in erster Linie, das Steueraufkommen zu erhöhen, er verfolgte vielmehr das verkehrspolitische Ziel, den Werkfernverkehr im Rahmen der allgemeinen Verkehrsordnung zurückzudrängen 752. Aufgrund dieser Zwecksetzung konnte man das Regelungsmittel (die Besteuerung des Werkfernverkehrs) zu dem damit verfolgten Regelungsziel (der Eindämmung des Werkfernverkehrs) in Relation setzen753. Die gleiche Möglichkeit besteht auch bei den nicht zu den Steuern gehörenden Vorzugslasten, auch dort steht in Form des Vorteilsgedankens ja ein konkreter Verwaltungszweck zur Verfügung, den man mit den Regelungsmitteln in Beziehung setzen könnte 754 . Bei den reinen Finanzierungsabgaben fehlt es an einem konkreten Verwaltungszweck als Anknüpfungspunkt. Die Steuerlast des Einzelnen dient insoweit nur einem „Generalzweck", der Mittelbeschaffung für den allgemeinen Staatshaushalt. Dieser beschränkt sich darauf, den Vermögenstransfer vom Steuerpflichtigen in die Staatskasse zu gewährleisten 755. Die Frage, wie 749 Dies gilt unmittelbar für die Teilgrundsätze der Geeignetheit und Angemessenheit. Aber auch die Erforderlichkeit eines Mittels kann nur im Hinblick auf den Regelungszweck beurteilt werden, ein mildestes Mittel ist nur bezogen auf einen konkreten Zweck denkbar. 75 0

Tipke/Kruse,

751

Vom 29.11.1968, BGBl. I S. 582.

AO, § 3 Rn. 9 ff.; Vogel, DStZ 1977, S. 8, 10.

752

Hierzu BVerfGE 16, 147 (161).

75 3

Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 287 f.

75 4

F. Kirchhof,\

755

Grundriß des Abgabenrechts, S. 21.

BVerfGE 84, 239 (269); F. Kirchhof\ebd., S. 20; ders., VVDStRL 52 (1993), S. 88; Vogel, in: FS für Martens, S. 268; Schuppert, in: FS für Zeidler, S. 701; Vogel, DStZ 1977, S. 8 - 1 0 ; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, S. 187 ff. — In neuerer Zeit hat diese Sichtweise allerdings Widerspruch erfahren. Danach soll der Zweck einer Steuerlast nicht mehr allgemein in der Stärkung des Staatshaushalts lie-

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

197

das eingenommene Geld konkret verwendet wird, steht in keinem Zweckbezug zu dieser Transferleistung 756. Dies folgt per definitionem bereits daraus, daß die Steuer ein Finanzierungsinstrument ist, dem jedes Gegenleistungselement fehlt 757 . Der Generalzweck der allgemeinen Einnahmenerzielung ist jedoch kein brauchbarer Anknüpfungs- und Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies gilt zunächst für die Teilgrundsätze der Geeignetheit und der Erforderlichkeit deshalb, weil jede auch noch so hohe Steuer geeignet ist, den Einnahmenerzielungszweck zu erfüllen. Angesichts wachsender Staatstätigkeit und wachsenden Finanzbedarfs des Staates erweist sich auch das Erforderlichkeitskriterium als „Papiertiger" 758 , denn es unterliegt keinen Zweifeln, daß höhere Geldmittel zur Befriedigung höheren staatlichen Finanzbedarfs auch erforderlich sind. Schließlich läuft bei reinen Finanzierungssteuern entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung 759 auch das Angemessenheitskriterium ins Leere. Das Angemessenheitsurteil setzt zunächst eine bestimmte zu beurteilende Relation von Mittel und Zweck voraus 760 . Ändert sich nun das Mittel, weil der Staat seine Eingriffintensität verstärkt, so kann das bisher angemessene Zweck-Mittel-Verhältnis dann unangemessen werden, wenn Mittel und Zweck einander nunmehr auf eine andere, veränderte Weise zugeordnet sind, m.a.W. sich die Zuordnungsrelation verschoben hat. Eine solche Verschiebung ist aber nur möglich, wenn der verfolgte Regelungszweck

gen, sondern in der staatlichen Teilhabe an dem durch ein konkretes Eigentumsobjekt vermittelten ökonomischen Handlungsspielraum (Ρ. Kirchhof\ JZ 1982, S. 307; kritisch auch Söhn, Fin Arch. 46 [1988], S. 167). Gegen diesen Ansatz bestehen jedoch Bedenken. Zum einen fehlt es bei vielen Steuern wie etwa der Lohnsteuer an einem konkreten Bezug zu Einzelvermögensrechten. Zum anderen wird übersehen, daß die Steuer ihrer Intention und Wirkungsweise nach ein das Vermögen treffender Liquiditätsentzug bleibt, der Staat also letztlich nur auf das Vermögen des Einzelnen zugreift. Daß sich der Staat bei der Bemessung dieses Vermögenszugriffs auch konkreter Eigentumsobjekte als Indikatoren für die individuelle Leistungsfähigkeit bedient, ändert nichts an der Tatsache, daß die Steuer diese Eigentumspositionen typischerweise nicht im Auge hat (so überzeugend Wendt y NJW 1980, S. 2111, 2113). 756 Hier setzt die Kritik von Arnims (VVDStRL 39 [1981], S. 311) an, der einen Zusammenhang zwischen der steuerlichen Belastung und den Verwendungszwecken herstellen will. Dieser Ansatz ist jedoch bedenklich, weil dann für das Verhältnismäßigkeitsurteil inzidenter eine Entscheidung über die dem Parlament allein zustehende Dringlichkeit einer finanzierten öffentlichen Aufgabe nötig wäre. 757 Dazu bereits oben S. 172 f. Ebenso Schuppert, in: FS für Zeidler, S. 702 mit dem ergänzenden Hinweis, daß der Zurechnungzusammenhang zwischen Ausgaben- und Einnahmenentscheidung zusätzlich dadurch unterbrochen sei, daß die haushaltsmäßigen Mittelzuweisungen nach § 3 Abs. 2 HGrG keine Außenwirkung entfalteten. 758

Formulierung von Schuppert, in: FS für Zeidler, S. 701.

75 9

Söhn, FinArch 46 (1988), S. 167.

76 0

Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 302.

198

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

auch bei einer verstärkten Eingriffsintensität bestehen bleibt. Bezogen auf die Steuerlast (als Mittel) ergibt sich die Besonderheit, daß sich mit jeder Erhöhung der Steuer auch das Regelungsziel, die Einnahmenerzielung verändert, denn jedes Drehen an der Steuerschraube zieht einen erhöhten Steuerertrag nach sich. Auf diese Weise kann sich das Verhältnis von Regelungsmittel (Steuererhöhung) und Regelungsziel (höhere Einnahmenverschaffung) auch nicht grundlegend in unangemessener Weise verändern, es verschiebt sich vielmehr auf eine andere, höhere Ebene, ohne seine bisherige Zuordnungsrelation zu verlieren 761 . Auch wenn man das Angemessenheitskriterium etwas anders in dem Sinne faßt 762 , daß der Eingriff in ein Grundrecht nicht wesentlich schwerer wiegen darf als die Nachteile, die sich ohne den Grundrechtseingriff ergeben würden, erweist es sich nicht als brauchbarer. Denn ohne den Eingriff müßte der Staat auf einen von ihm benötigten Steuermehrertrag verzichten, der aber gerade in der Mehrbelastung des Einzelnen liegt. Auch insoweit also läuft die Steuermehrbelastung des Einzelnen mit der Ertragssteigerung parallel, so daß sich am Zuordnungsverhältnis beider Größen nichts ändert, was nun plötzlich zur Unangemessenheit der Steuerbelastung führen müßte. Nach alldem ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip mit allen seinen drei Teilvarianten nicht brauchbar, um die Steuerlast des Einzelnen zu begrenzen. Der entscheidende Grund dafür ist die Tatsache, daß die reine Finanzierungssteuer von ihrem konkreten Verwaltungszweck, der allein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Verhältnismäßigkeitsprüfung sein könnte, abgekoppelt ist 763 .

761 So auch F. Kirchhof,i VVDStRL 52 (1993), S. 88: „Auch wenn die Steuerschraube angezogen wird, bleibt die Steuer ... wegen des höheren Ertrages angemessen." A.A. Dechsling, Das Vehältnismäßigkeitsgebot, S. 12 mit der Erwägung, es gebe eine „mehrpolige" Proportionalitätsprüfung, die neben Zweck und Mittel auch die Person des Betroffenen in die Abwägung miteinschließe. Folgt man dem, so verwischen sich die Konturen der Angemessenheitsprüfung, weil mehrere „Unterverhältnisse" miteinander in Beziehung gebracht werden. Ohne Begründung behauptet Dechsling außerdem, die steuerliche Proportionalitätsprüfung verlange auch eine Bewertung der zu erbringenden Geldleistung und des staatlichen Interesses an ihr. Damit übersieht er aber die Trennung steuerlicher Einnahmeund Ausgabeentscheidungen nach dem Non-Affektationsprinzip (Schuppert, in: FS für Zeidler, S. 702), die letztlich auch für die Entkopplung konkreter Verwaltungszwecke vom Generalzweck der Einnahmenerzielung verantwortlich ist. 76 2 763

Vogel in: FS für Martens, S. 269.

So die überwiegende Meinung in der Literatur; s. die Nachweise oben Fn. 636. Darüber hinaus: Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 287; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 78 f.; Wendt, NJW 1980, S. 2117; Lücke, DÖV 1974, S. 770; ders., DVB1. 1975, S. 362 (364 r. Sp.). A.A. wohl (allerdings ohne Begründung) Friauf in: DStJG 12 (1989), S. 24 f. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, S. 193 weist darauf hin, daß letztlich jeder Versuch scheitere, aus den Freiheitsrechten i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einen Maßstab für die Belastungswirkung beim Bürger zu finden. Eine effektive Grenze sieht er nur im Gleichheitssatz, freilich in dem

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

(2) Die Anwendbarkeit

199

des Zumutbarke its grundsatzes

Der Zumutbarkeitsgedanke begegnet nicht denselben Schwierigkeiten wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn er beurteilt nicht die Relation von Zweck und Mittel, sondern das Verhältnis einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Person des Pflichtigen 764 . Deshalb schadet es auch nicht, wenn bei reinen Finanzierungssteuern die Zweckanknüpfung versagt. Im Rahmen der Zumutbarkeit kann deshalb die Belastungshöhe des Steuerschuldners seiner persönlichen Situation gegenübergestellt werden. Bei dieser Betrachtung muß man sich allerdings darüber im klaren sein, daß damit zunächst nur ein sehr offenes Wertungsprinzip geschaffen ist, dem eine konkrete Belastungsgrenze nicht ohne weiteres entnommen werden kann 765 . Dennoch ist der Zumutbarkeitsgrundsatz nicht völlig konturenlos.

(a) Die prinzipielle Komponente Eine Steuererhebung kann aus prinzipiellen Gründen unzumutbar sein, wenn die spezifische Problematik nicht in der Frage nach dem quantitativen Zuviel, sondern gerade darin liegt, ob dem Betroffenen diese Steuer überhaupt angesonnen werden kann. Bereits oben wurde auf den leading case des Bundesverfassungsgerichts zur Kirchensteuerpflicht verwiesen 766. Wird ein selbst nicht kirchlich gebundener Steuerpflichtiger allein deshalb zur Kirchensteuerpflicht herangezogen, weil er mit einem Angehörigen der finanzierten Glaubensgemeinschaft verheiratet ist, so ist die Steuerpflicht aus prinzipiellen Gründen unzumutbar, weil den Pflichtigen keinerlei Finanzierungsverantwortlichkeit für eine fremde Glaubensgemeinschaft trifft. Das Problem stellt sich im Hinblick auf die Zwangsfinanzierung in besonderer Schärfe, wenn die finanzierte Glaubensgemeinschaft Inhalte, Thesen und Anschauungen vertritt, die der Pflichtige nicht teilt. Unzumutbar ist die Finanzierungspflicht aber bereits ohne diese Wertekollision, weil den Pflichtigen schon keine irgendwie geartete Solidarpflicht, keine besondere Verantwortung für die Finanzierung 767 kirchlicher Angelegenheiten trifft, worauf sich die (Kirchen-)Steuerpflicht gründen könnte. Anders als bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es bei der Unzumutbarkeitsproblematik nicht darauf an, ob die SteuBewußtsein, daß die Grenzziehung dann nicht mehr auf vertikaler, sondern auf horizontaler Ebene erfolgt. 76 4

Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94.

76 5

F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 88; ders., Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, S. 63; Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 123 f. 766

BVerfGE 19, 226 ff.; s. bereits oben S. 124 f.

767

Insoweit wird auf die parallelen Ausführungen S. 124 f., 184 ff. verwiesen.

200

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

erpflicht vielleicht im Hinblick auf höherwertige Rechtsgüter gerechtfertigt werden könnte. Entscheidend ist, daß den Pflichtigen nichts an die finanzierte Glaubensgemeinschaft bindet und es seiner autonomen Entscheidung überlassen sein muß, ob er vielleicht freiwillige Beiträge leisten will. So gesehen bringt die Zumutbarkeit ein Stück weit die Eigenständigkeit der Persönlichkeit zur Geltung.

(b) Die quantitative Komponente Trifft den Steuerpflichtigen - wie im Regelfall, wenn es um die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben geht - die Finanzierungsverantwortlichkeit für eine Steuer 768, so ist kein Raum für prinzipielle Zumutbarkeitserwägungen. Der Verhältnismäßigkeitsmaßstab geht ebenfalls ins Leere, weil der hierfür notwendige Zweck-Mittel-Vergleich wegen des Fehlens konkreter Verwaltungszwecke nicht möglich ist. Insoweit kann nur noch die quantitative Zumutbarkeitskomponente als Belastungsgrenze wirken, die perspektivisch auf das Verhältnis der konkreten Steuerpflicht zur Person des Betroffenen ausgerichtet ist. Zwar schließt diese Betrachtung es nicht aus, daß auch andere Rechtsgüter in den Blick genommen werden, die zumutbarkeitsrelevanten Umstände werden jedoch anders als die verhältnismäßigkeitsrelevanten nicht schon per definitionem durch diesen Blick auf andere im Spiele befindliche Gemeinwohlinteressen relativiert 769 . Ohne Berücksichtigung des „Rechtfertigungsumfeldes" kann ein staatlicher Eingriff deshalb für sich genommen betrachtet und im Hinblick auf die konkrete Situation des Betroffenen gewertet werden. Charakteristisch für diese Anwendungssituation ist ein nicht dem Steuerrecht entstammendes Beispiel, das Lücke zur Verdeutlichung des Zumutbarkeitsmaßstabes angeführt hat 770 : Einem Bauherrn wird anläßlich der Änderung einer baulichen Anlage die Herstellung von mehreren Stellplätzen aufgegeben. Die Baukosten für diese Änderung betragen etwa 80.000 DM, die Kosten für die Herstellung der Stellplätze wegen der komplizierten örtlichen Verhältnisse etwa 100.000 DM. Eine reine Verhältnismäßigkeitsbetrachtung greift hier zu kurz. Setzt man das angewandte Mittel (die Auflage zur Herstellung von Stellplätzen) mit dem damit verfolgten Zweck (dem Freihalten öffentlichen Verkehrsraums von Fahrzeugen) ins Verhältnis, so wird die Tatsache, daß die Kosten für die 768 Nach BVerfGE 84, 329 (269) ist die Steuer eine alle Inländer treffende Gemeinlast, die sich gerade aus der Gleichheit der Lastenteilung rechtfertigt. 76 9

Selmer, AöR 101 (1976), S. 416.

770

DÖV 1974, S. 770.

II. Der selbständige Zumutbarkeitsgrundsatz

201

Erfüllung der Auflage höher liegen als die Kosten für das Bauvorhaben insgesamt, völlig ausgeblendet. Denn auch bei einer einzelfallorientierten Angemessenheitsprüfung bleibt als entscheidender Rechtfertigungsgesichtspunkt das Vorhandensein gewichtiger öffentlicher Belange, angesichts deren Bedeutung dem Betroffenen schon schlagkräftige Gegeninteressen zur Seite stehen müssen, will er zur Unangemessenheit dieser Relation kommen. Je gewichtiger das Gemeinwohlinteresse, desto schwieriger ist die Unangemessenheit einer Regelung geltend zu machen. Dies ist bei der Zumutbarkeitsbetrachtung anders. Gerade weil Gemeinwohlinteressen nicht im Zentrum der Beurteilung liegen, ist eine isolierte Bewertung der Belange möglich, die für die Erträglichkeit des Eingriffs aufsehen des Betroffenen von Bedeutung sind. Bezogen auf das Steuerrecht bedeutet dies, daß eine hohe finanzielle Belastung für sich genommen bereits die Unzumutbarkeit der Steuerlast bewirken kann. Mit Hilfe der Zumutbarkeit kann, obwohl sie ein offener Wertungsmaßstab ist, eine äußerste Grenze steuerlicher Belastung gefunden werden. Unzumutbar ist für den Betroffenen unter normalen Umständen771 die erdrosselnde Steuer 772, d.h. eine solche, die den Steuerpflichtigen seiner wirtschaftlichen Existenz berauben würde. Denn die Rechtsordnung mutet es dem Steuerpflichtigen nicht zu, seiner Steuerpflicht um jeden Preis, auch um den der Existenzvernichtung nachzukommen. Die Zumutbarkeit zieht aber schon vor diesem äußersten Punkt eine Belastungsgrenze unter dem Gesichtspunkt der Eigenständigkeit der Persönlichkeit. Dieser Gesichtspunkt umfaßt nämlich nicht nur die persönliche Freiheit, sondern auch den Grundsatz freier wirtschaftlicher Selbstverantwortlichkeit 773. Die staatliche Besteuerung hat deshalb dort zu enden, wo sie (nicht notwendigerweise existentielle) Bedürftigkeit verursachen würde und zur Inspruchnahme staatlicher Transferleistungen durch den Betroffenen führen müßte 774 . Dabei ist nicht entscheidend, daß dem Betroffenen tatsächlich keine Mark in der Tasche fehlt, wenn die Besteuerung durch Sozialhilfe ausgeglichen wird 7 7 5 . Der individualbezogene 771

Etwas anderes kann in Krisenzeiten gelten (vgl. S. 124 f., 184 ff.). Deshalb darf die Zumutbarkeitsgrenze auch für die Fälle wirtschaftlicher Existenzbedrohung nur in ganz vorsichtiger Weise abstrahiert, jedenfalls nicht verabsolutiert werden. 77 2 Friauf; 30, 250 (272).

in: DSÜG 12 (1989), S. 25; BVerfG in st. Rspr., vgl. nur E 23, 288 (314);

77 3

Czub, a.a.O., S. 57 ff.; Friauf;

774

Der Sache nach ebenso Söhn, FinArch. 46 (1988), S. 167.

in: DSÜG 12 (1989), S. 29 ff.

775 In diesem Punkte hätte man mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgedankens - sofern man diesen mit Teilen der Literatur für einschlägig erachtet - wieder Schwierigkeiten, weil die „Angemessenheit" der Steuerlast durch Kompensationsleistungen hergestellt werden könnte. Mit der Zumutbarkeit dagegen gelingt es, die persönliche Situation des Betroffenen isoliert zu werten.

202

C. Die Zumutbarkeit als eigenständiger Verfassungsmaßstab

Grundsatz der Zumutbarkeit verbietet es bereits, den Steuerpflichtigen durch übermäßige Besteuerung zum Sozialhilfeempfänger zu degradieren. Denn durch den Verweis auf die Sozialhilfe würde der „Vorrang des eigenverantwortlichen Erwerbs vor staatsvermittelter Subsistenz"776 als Ausdruck der Eigenständigkeit der Persönlichkeit mißachtet. Im übrigen ist die Zumutbarkeit bzw. die Unzumutbarkeit der konkreten Steuerbelastung eine Frage des Einzelfalles, die sich einer generellen Darstellung entzieht. In Übereinstimmung mit Friauf und P. Kirchhof wird man aber jedenfalls sagen können, daß die verfassungsrechtliche Problemzone beispielsweise bei der Einkommensteuerbelastung ab der 50%-Marke der Gesamtbelastung des erzielten Einkommens beginnt 777 .

4. Zwischenergebnis In seiner quantitativen und prinzipiellen Komponente bringt der Zumutbarkeitsgedanke mit dem Verhältnismäßigkeitsgedanken nicht oder nicht ausreichend erfaßbare Wertungsaspekte in eine konkrete Entscheidung ein. Deshalb ist die Zumutbarkeit neben der Verhältnismäßigkeit isoliert als Wertungsmaßstab darstellbar. Auch wenn er zuweilen in engem Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesehen wird 7 7 8 , ändert dies nichts daran, daß der Zumutbarkeitsgedanke - wie oben aufgezeigt - eigenständige Wertungsaspekte zur Geltung bringt 779 und eigenständige Fragestellungen verfolgt. Um der jeweils unterschiedlichen „Problemerfassungskompetenz" beider Maßstäbe Rechnung zu tragen, ist es nicht sinnvoll, den Zumutbarkeitsgedanken in die Verhältnismäßigkeitsprüfung „einzubauen", wie dies insbesondere das Bundesverfassungsgericht mit Vorliebe tut. Vielmehr ist es notwendig, der Eigenständigkeit des Zumutbarkeitsgedankens auch prüfungsmethodisch Ausdruck zu verleihen.

776

Begriff von Friauf,\

77 7

P. Kirchhof,\

in: DStJG 12 (1989), S. 29.

zitiert nach Friauf,

in: DSÜG 12 (1989), S. 9.

778

So z.B. BVerfGE 37, 1 (22 ff.); BayObLG, BayVBl. 1963, S. 93; Herschel, AuR 1968, S. 193 (196); Sommer, DVB1. 1973, S. 481 ff. (482); Herrler, Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden, S. 218; Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 89; Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater, S. 113 f. 779 So ausdrücklich, allerdings ohne nähere Begründung, auch Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 149 f.; im Ergebnis ebenso Lücke, Die (Un-) Zumutbarkeit, S. 57.

D. Ableitung und verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes Gegenstand dieses letzten Teils der Arbeit ist die Frage nach dem Geltungsgrund des Zumutbarkeitsmaßstabes. Hierzu wurden und werden in Literatur und Rechtsprechung die vielfältigsten Ansätze vertreten. Soweit die Zumutbarkeit auf einen gleichnamigen allgemeinen Rechtsgrundsatz oder auf ein Rechtsprinzip von Treu und Glauben gestützt wird, kann sich die Frage nach der Rechtsgrundlage nicht nur in an die Verfassung anknüpfenden Erwägungen erschöpfen: Begreift man die Zumutbarkeit als übergeordneten Leitsatz staatlichen Handelns, so kann man sie auch nur aus höchst abstrakten rechtstheoretisch, zum Teil auch übergesetzlich begründeten Überlegungen ableiten. Dies mag auf den ersten Blick als unvermeidlich erscheinen, wurde doch bereits oben 780 betont, daß sich der Zumutbarkeitsgedanke ohne weiteres als Teil der gerechtigkeitsorientierten Billigkeit, gleichsam als Element der überpositiven Gerechtigkeitsidee begreifen läßt. Andererseits ist mit der Möglichkeit einer rechtstheoretisch-abstrakten Ableitung noch nicht allzuviel für deren Brauchbarkeit gewonnen, denn es wird mit höherem Abstraktionsgrad umso schwieriger werden, aus dem gewonnenen Ergebnis praktische Folgerungen für die Anwendung zu ziehen. Aus diesem Grunde sei es bereits jetzt vorweggenommen: Ziel der nun folgenden Überlegungen ist es, die Zumutbarkeit nicht auf eine mögliche, sondern gerade auf die Rechtsgrundlage zu stellen, die ihr thematisch am nächsten steht und die sich unter Praktikabilitätsgesichtspunkten am geeignetsten erweist. Andere Ableitungs- und Verankerungsmöglichkeiten, die im Grundsatz möglicherweise ebenfalls tragfähig sind, sollen damit nicht in Abrede gestellt werden.

I . Die Zumutbarkeit als Allgemeiner Rechtsgrundsatz Das Recht kennt eine Unzahl sogenannter „bloßer Rechtsgedanken" . Darunter sind Leitgedanken und Leitsätze zu verstehen, die als Fundament jedes gedeihlichen menschlichen Zusammenlebens unabdingbar sind, weil sie in typisierender Weise immer wieder das soziale Leben bestimmende Grund-

780

S. 40 f.

204

D. Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Situationen beschreiben 781. Als eine solche allgemeinste Form der Rechtsbildung ist etwa das Verbot des „neminem laedere" oder der Grundsatz der prinzipiellen Gleichordnung zweier Menschen, andererseits auch die Anerkennung gewisser Autoritäten, etwa der elterlichen Autorität durch die Kinder, zu nennen. Bloße Rechtsgedanken sind als allgemeinste Grundforderungen zunächst in der Sphäre des Ethischen angesiedelt, ohne Bestandteil der positiven Rechtsordnung zu sein 782 . Rechtliche Anerkennung erhalten sie erst, wenn sie durch rechts grundsätzliche Konkretisierung und/oder gewohnheitsrechtliche Übung gleichsam in die Rechtsordnung „inkorporiert" werden 783 . Mit dieser „Verrechtlichung" gewinnen bloße Rechtsgedanken normativen Charakter und werden zu Rechtsgrundsätzen. Im Gegensatz zu Rechtsregeln sind Rechtsgrundsätze Normen 784 , die nur allgemein die Verwirklichung eines Zieles fordern, ohne daß sie genauer bestimmen, durch welches Verhalten dies geschehen soll 785 . Rechtsgrundsätze sind also als Optimierungsgebote zu begreifen. Demgegenüber sind Regeln Normen, die stets entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt sein können 786 . Rechtssätze haben also eher unbedingten Charakter. Stellt man die Frage, wie die so beschriebenen Rechtsgrundsätze gewonnen werden, so ergibt sich kein einheitliches Bild. Im wesentlichen sind zwei Ansätze denkbar: (1)

781

Aus mehreren Sätzen des geschriebenen Rechts wird bei abstahierender Betrachtungsweise ein gemeinsamer Grundgedanke herausgeschält und als allgemeiner Gesetzesgedanke für verallgemeinerungsfähig erklärt 787 . Das Übereinstimmende, Gemeinsame bereits vorhandener Vorschriften wird als Allgemeiner Rechtsgrundsatz dann auch auf solche Fallkonstellationen angewandt, die das Gesetz nicht positiv geregelt hat. Me-

Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, S. 56 f.

782

Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 165 f. betont im Anschluß an Luhmann die lediglich beschreibende Funktion allgemeiner Rechtsgedanken. Allgemeine Rechtsgedanken sind demnach „wie Werte ein Mittel, ein zeitloses (statisches, ontologisches) System darzustellen". 783

Penski, JZ 1989, S. 111; Dreier, Rechtbegriff und Rechtsidee, S. 28 f.

784

Zum Normcharakter von Rechtsgrundsätzen bzw. (als Synonym hierfür) Rechtprinzipien Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, S. 19. 785

Penski, JZ 1989, S. 107.

786

Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, S. 19.

787

Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 97 f.; Schack, in: FS für Laun, S. 277, 279 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 123; Weyreuther, DÖV 1989, S. 325 f.

I. Die Zumutbarkeit als Allgemeiner Rechtsgrundsatz

(2)

205

thodisch handelt es sich dabei um einen Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine (Induktionsschluß)788. Der Allgemeine Rechtsgrundsatz wird direkt auf die Rechtsidee zurückgeführt und ergibt sich seinerseits als Bauprinzip der Rechtsordnung aus dem Gedanken der Gerechtigkeit 789 . Rechtsgrundsätze sind so gesehen oberste, ranghöchste Rechtsquellen, mit denen sich auch die anderen Rechtsquellen nicht in Widerspruch setzen dürfen, ohne ihren Rechtscharakter in Frage zu stellen 790 . Ihren Geltungsgrund ziehen diese fundamentalen Rechtsnormen aus der Tatsache, daß sie von keinem Rechtsgenossen ernstlich angezweifelt werden können 791 und insofern eine zwingende geistige Überzeugungskraft besitzen792.

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen zu Natur und Geltungsgrund der allgemeinen Rechtsgrundsätze soll nun untersucht werden, ob und inwieweit sich aus den eben beschriebenen Ansätzen auch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der (Un-)Zumutbarkeit ableiten läßt. Bereits im zweiten und dritten Teil dieser Arbeit wurde immer wieder der „Zumutbarkeitsgrundsatz" erwähnt, ohne daß damit klargestellt worden wäre, ob es sich dabei auch im rechtstechnischen Sinne um einen Rechtsgrundsatz handelt. In diesem Sinne wird die Zumutbarkeit häufig in Literatur und Rechtsprechung angesprochen, eine Begründung dafür findet sich allerdings in den wenigsten Fällen 793 . Meist beschränken sich die Stellungnahmen 788 Anmerkung: Es ist deshalb verfehlt, allgemeine Rechtsgrundsätze mittels einer Analogie begründen zu wollen; so aber Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 64 ff. Denn die Analogie erlaubt nur den Schluß vom Besonderen zum Besonderen und beschränkt sich auf die Gleichstellung eines zweiten, ganz bestimmten Tatbestandes, während ein induktiv gewonnener allgemeiner Rechtsgrundsatz Geltung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen beansprucht (Canaris, ebd., S. 97 f.). 789

Vgl. zur Ableitung aus der Gerechtigkeitsidee Canaris,

Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 120 ff.; Wolff,

ebd., S. 196 ff.;

in: GedS für Jellinek, S. 37 ff.; Coing,

Oberste Rechtsgrundsätze, S. 54 ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 33 ff., 174 ff.; Stern, in: FS für Lerche, S. 165 ff. (169); von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO (Stand März 1992), § 227 Rn. 170 f.; Henkel, in: FS für Mezger, S. 309; Herschel, AuR 1968, S. 197; aus der Rechtsprechung etwa BVerwGE 42, 222 ff.; kritisch zu diesem Ansatz Weyreuther, JZ 1989, S. 321 (327). 790

Wolff,

in: GedS für Jellinek, S. 34 (37).

791

Wolff/

Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 121.

792

Huber, ZSR NF 96 (1977), S. 19; ihm folgend Zimmerli, ZSR NF 97 I (1978), S. 22.

793

Selmer, D Ö V 1972, S. 553; von Groll,

in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,

A O (Stand

März 1992), § 227 Rn. 170: „weiteres Gerechtigkeitspostulat ist ... der Gedanke der Zumutbarkeit"; Paulick, StbJb 1957/58, S. 85 ff. (118); Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassung, S. 311; Henkel, in: FS für Mezger, S. 260 ff.; Zimmerli, ZSR NF 97 I (1978), S. 17; Kruse, Steuerrecht I, S. 67 ff. (69); unklar Bräutigam, in: FS für das Bundesverwaltungsgericht, 1978, S. 77 ff. (S. 86: „übergreifender Gedanke"). Aus der Rechtsprechung BayVerfGH, DÖV 1965, 820 (821 1. Sp.). A.M. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit,

2 0 6 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

- wenn überhaupt - auf den Hinweis, daß die Zumutbarkeit ein gerechtigkeitsorientierter Maßstab sei. Sodann wird unspezifiziert auf ihren Prinzipiencharakter verwiesen 794.

1. Die Zumutbarkeit als allgemeiner Gesetzesgedanke Versucht man, einen Grundsatz der Zumutbarkeit aus mehreren Sätzen des geschriebenen Rechts zu abstrahieren, so setzt dies zweierlei voraus: Einmal muß der Zumutbarkeitsgedanke an mehreren Stellen innerhalb und /oder außerhalb eines bestimmten Rechtsgebietes positiv normiert sein, zum anderen muß die Zusammenschau der Gesetzesformulierungen die Positivierung eines allgemeinen Rechtsprinzips erkennen lassen. „Allgemein" in diesem Sinne ist ein den einzelnen Vorschriften gemeinsames Rechtsprinzip aber nur dann, wenn es sich jeweils um vergleichbare Tatbestände, nicht um Sondertatbestände handelt. 795 Bezogen auf den Zumutbarkeitsbegriff würde eine Verallgemeinerung ausscheiden, wenn den einzelnen Vorschriften keine einheitliche Konzeption und keine vergleichbare Idee von Funktion und Inhalt des Begriffes zugrunde liegen würde. Bereits oben 796 wurde die Zumutbarkeit als Gesetzesbegriff in verschiedenen Rechtsbereichen untersucht. Dabei hat sich gezeigt, daß die jeweils erfaßten Fallkonstellationen bereits formal keiner einheitlichen Bewertung zugänglich sind: Diente die Zumutbarkeit einmal der Auffindung des normalen gesetzlichen Pflichtenprogramms, so diente es an anderer Stelle der Pflichtenbegrenzung. Erteilte der Gesetzgeber im einen Fall selbst mit Hilfe der Zumutbarkeit Dispens vom Zwang gesetzlicher Vorschriften, so überließ er dies an anderer Stelle wieder dem Rechtsanwender, der dann eine zumutbarkeitsorientierte Einzelfallprüfung vorzunehmen hatte. Verwandte der Gesetzgeber die Zumutbarkeit einerseits zur Begrenzung der Pflichten des Bürgers,. so diente sie ihm andererseits wieder zur /tectobegrenzung. Zu dieser funktional verstandenen Uneinheitlichkeit des Zumutbarkeitsbegriffes tritt noch die bereits oben festgestellte inhaltliche Vielschichtigkeit hinzu: Wird die Zumutbarkeit einerseits rein wirtschaftlich betrachtet, so nimmt der Gesetzgeber an anderer Stelle die ganze Bandbreite möglicher S. 64 ff.; kritisch auch Feldhaus, DVB1. 1979, S. 301 ff. (302): Die Zumutbarkeit soll jedenfalls im öffentlichen Recht kein allgemeiner Rechtsgrundsatz sein. Eine Begründung für diese Behauptung findet sich nicht. 794

Vgl. die Nachweise in Fn. 793.

795

Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 99; Lücke, Die (Un-) Zumutbarkeit, S. 77 f. 796

S. 47 ff., insb. S. 56.

I. Die Zumutbarkeit als Allgemeiner Rechtsgrundsatz

207

Zumutbarkeitssituationen in Betracht. Schließlich begeht der Gesetzgeber zuweilen auch den Mittelweg, indem er in Form detaillierter Wertungen vorgibt, was im Einzelfall in die Zumutbarkeitsiiberlegung einzustellen und damit unter „Zumutbarkeit" zu verstehen ist. Alles in allem läßt sich feststellen, daß der in verschiedenen Gesetzen normierte Zumutbarkeitsbegriff keiner einheitlichen Bewertung zugänglich ist. Es ist charakteristisch für die Zumutbarkeit, daß sie in den einzelnen Regelungsbereichen auf jeweils ganz spezielle Verhältnisse zugeschnitten ist und insoweit allein den Einzelfall im Auge hat 797 . Dadurch sind die einzelnen Zumutbarkeitserwägungen von der Besonderheit des einzelnen Rechtsgebietes abhängig und verallgemeinerungsfähigen Aussagen nicht zugänglich. Fehlt den jeweiligen Vorschriften aber ein übereinstimmender Grundgedanke, so mangelt es damit auch an der Basis für die Bildung eines allgemeinen Rechtsgedankens, der eine solche Übereinstimmung ja gerade voraussetzt. Deshalb ist es untunlich, einen allgemeinen Rechtsgedanken der Zumutbarkeit aus der Zusammenschau einfachgesetzlicher Zumutbarkeitsbegriffe abzuleiten.

2. Zur Ableitung eines Zumutbarkeitsgrundsatzes aus der Gerechtigkeitsidee Allgemeine Rechtsgrundsätze ergeben sich als Ableitungen aus dem Prinzip der Gerechtigkeit im Hinblick auf ganz allgemeine, typische Situationen und Interessenlagen des menschlichen Zusammenlebens, die entweder dauernd oder in gewissen raum-zeitlichen Begrenzungen konstant sind 798 . Als aus dem Gerechtigkeitsgedanken unmittelbar resultierende Fundamentalnormen jeder Rechtsordnung sind sie Bestandteil der menschlichen Vernunft und können von keinem Rechtsgenossen ernsthaft angezweifelt werden 799 . Gehört nun auch die Zumutbarkeit zu solch unmittelbar auf die Gerechtigkeitsidee rückführbaren Grundsätzen? Bereits oben 800 wurde darauf hingewiesen, daß die Zumutbarkeit im Recht als Teil der gerechtigkeitsorientierten Billigkeit begriffen werden kann, weil sie methodisch der Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit dient. Versteht man als Ziel des Gerechtigkeitsstrebens

797

So auch schon Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 78.

798

Wolff,

799

in: GedS für Jellinek, S. 37.

Wolff, in: GedS für Jellinek, S. 37; Huber, ZSR NF 96 I (1977), S. 19, und Zimmerli, ZSR NF 97 I (1978), S. 22 sprechen von einer „geistigen Überlegenheit" solcher Rechtsgrundsätze. 800

S. 40 ff.

2 0 8 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

die wohlproportionierte Verteilung der Güter und Lasten, der Vor- und Nachteile innerhalb einer jeweils gegebenen Gemeinschaft 801, so ist sicher nicht zu bestreiten, daß es Aufgabe der Zumutbarkeit gerade ist, auf einen in diesem Sinne „gerechten Zustand" hinzuwirken 802 . Fraglich ist aber, ob die Zumutbarkeit bereits mit dieser „Gerechtigkeitsorientierung" allein alle Merkmale eines Rechtsgrundsatzes aufweist. Dazu gehören nach allgemeiner Ansicht 803 über das Gerechtigkeitsmoment hinaus (1) die fehlende umfassende Positivierung, (2) die Anwendbarkeit als Fundamentalnorm auf gewisse Standardsituationen, welche eine gewisse Falltypik erkennen lassen sowie (3) die notwendige begriffliche Unschärfe des Grundsatzes selbst. Legt man diese Maßstäbe an den Zumutbarkeitsgedanken an, so wird man wohl attestieren müssen, daß es sich um einen Allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt. Denn eine umfassende gesetzliche Regelung des Zumutbarkeitsgedankens fehlt, seine begriffliche Unschärfe wurde im Rahmen dieser Untersuchung ebenfalls bereits mehrfach angesprochen, auch lassen sich bei der Anwendung der Zumutbarkeit gewisse Typizitäten herstellen: Der Ausgleich widerstreitender Interessen gerade auch unter Einbeziehung der individuell-persönlichen Situation des Betroffenen ist ein für jedes menschliche Zusammenleben typischer Umstand; die Tatsache, daß ein Interessenausgleich nicht ohne Gewichtung und Berücksichtigung der Betroffenensituation erfolgen kann, ist vernünftigerweise nicht abzustreiten. Der Zumutbarkeitsgedanke weist damit alle Merkmale eines allgemeinen, unmittelbar aus dem Gerechtigkeitspostulat abgeleiteten Rechtsgrundsatzes auf. Mit diesem Ergebnis, ja mit der Konstruktion allgemeiner Rechtsgrundsätze überhaupt ist aber nicht viel gewonnen804. Haupteinwand gegen die Anerkennung Allgemeiner Rechtsgrundsätze ist deren Unbrauchbarkeit für die Lösung konkreter Entscheidungsprobleme 805. Wegen ihres Hangs zur Inhaltsschwäche kommen Rechtsgrundsätze oftmals nicht über das Umschreibungsstadium hinaus und verleiten unter Berufung auf die „Grundsätzlichkeit" 806 zu oberflächlichem Argumentieren. Nun kann man diesen Vorwurf jedem unbestimmten Rechtsbegriff, erst recht also dem Begriff der „Zumutbarkeit" ma801

Brugger, JZ 1989, S. 1 ff. (5).

802

Vgl. von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,

AO (Stand 1992), § 227 Rn. 171.

803

So etwa Stern, in: FS für Lerche, S. 174; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 46 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 106 ff. 804

Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, S. 22.

805

Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 83 f.; Weyreuther, DÖV 1989, S. 321 (327 f.); kritisch auch Erichsen, VerwArch. 65 (1974), S. 423 ff.: „undurchdringlicher Dschungel"; Alexy (Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, S. 22 f.) spricht von „schwachen Prinzipien", welche „nicht mehr als einen Katalog von Gesichtspunkten oder Topoi" darstellten. 806

Weyreuther

(ebd.) spricht von der „Wolkigkeit" des Grundsatzes.

II. Das Prinzip von Treu und Glauben als Geltungsgrund

209

chen. Gerade deshalb ist es aber nicht befriedigend, den für sich genommen schon überaus formalen, abstrakten Zumutbarkeitsgedanken aus der noch viel abstrakteren Gerechtigkeitsidee abzuleiten und so der begrifflichen Unschärfe noch Vorschub zu leisten. Um es noch einmal zu betonen: Weil es möglich ist, den Zumutbarkeitsgedanken unmittelbar auf die Gerechtigkeitsidee zurückzuführen, handelt es sich dabei auch um einen Allgemeinen Rechtsgedanken. Weil diese Ableitungskette sich aber selbst wiederum nur denkbar unscharf konturieren läßt und andererseits auch nichts zur Präzision des Zumutbarkeitsbegriffes beiträgt, sind andere Ableitungsmöglichkeiten zu untersuchen und gegebenenfalls vorzuziehen. Als Ergebnis kann dennoch an dieser Stelle festgehalten werden, daß die bisher nicht rechtstechnisch verstandene Einordnung der Zumutbarkeit als „Grundsatz" gerechtfertigt ist und aufrechterhalten werden kann. I I . Das Prinzip von Treu und Glauben als Geltungsgrund In § 242 BGB hat der Gedanke Ausdruck gefunden, daß jedermann in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat. Die Wortverbindung verpflichtet zur billigen Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer und fordert redliches und loyales Verhalten 807 . Rechtsprechung 808 und Lehre 809 entnehmen diesem im BGB normierten Gedanken einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der die gesamte Rechtsordnung beherrscht. Rechtsgebiete, in denen er generell ausgeschlossen wäre, gibt es demnach nicht 810 . Daß der Gedanke von Treu und Glauben auch im Öffentlichen Recht seine Wirkung entfaltet, ist heute 811 praktisch unbestritten 812. 807

BGHZ 85, 48; Ϋ^ηάϋ Heinrichs, § 242 BGB Rn. 1, 3; Jauernig/ Vollkommen BGB, § 242, Anm. la und lc; Larenz, Methodenlehre, S. 169; Grabitz, DVB1. 1973, S. 675 ff.

(680). 808

Vgl. nur BVerfGE 59, 167; BGHZ 68, 304; 85, 48; 94, 349; 95, 113 f.; OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1954, 216 (217); BAG, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Bl. 354. 809 Vgl. nur Jauernig / Vollkommer, BGB, § 242, Anm. 3a; Palandt ! Heinrichs, §242 BGB Rn. 1; Schlegel, SozSi 1969, S. 291 (296), Röwer, Die Zumutbarkeit des Rechtsgehorsams, S. 1; Herschel, AuR 1968, S. 193 (197). 810

BGHZ 68, 304.

811

Die Kritik hiergegen gründete sich in der Vergangenheit hauptsächlich auf zwei Einwände: Erstens sei der flexible Grundsatz von Treu und Glauben nicht mit der Formstrenge des Öffentlichen Rechts zu vereinbaren; zweitens sei das Öffentliche Recht maßgeblich vom „Öffentlichen Interesse" bestimmt, das sich nicht mit Privatinteressen vergleichen lasse. Vgl. Gowa, Die Rechtsnorm von Treu und Glauben, S. 40; kritisch auch Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 169 ff.

14 Alhrccht

2 1 0 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Betont man das im Grundsatz von Treu und Glauben enthaltene Rücksichtnahmegebot, so stellt sich die Frage, ob sich die Zumutbarkeit nicht gerade deshalb als Bestandteil von Treu und Glauben darstellt 813 . Denn wenn man mit Hilfe der Zumutbarkeit invididuell-persönliche Belange des Pflichtigen im Entscheidungsprozeß berücksichtigt, bedeutet dies ja der Sache nach nichts anderes als eine Rücksichtnahme auf die Person des Pflichtigen. Hinzu kommt noch ein zweites: Sowohl bei der einfachrechtlichen als auch bei der verfassungsrechtlichen Betrachtung des Zumutbarkeitsmaßstabes hat sich eine Gemeinsamkeit gezeigt: Jeweils anhand des Gesetzes bzw. der Verfassung gefundene Ergebnisse werden gegebenenfalls mit Hilfe der Zumutbarkeit in die „Sphäre des Erträglichen" hinein korrigiert. Die Korrektur erfolgt dabei oft genug dadurch, daß an sich zwingende Vorschriften unter Rückgriff auf höhere Interessen „durchbrochen" werden. Hier liegt die Parallele zum Grundsatz von Treu und Glauben auf der Hand, denn auch dort geht es thematisch um die „rechtsethische Durchbrechung des an sich zwingenden Gesetzeswortlauts" 814 im Einzelfall. Trotz dieser funktionalen Gemeinsamkeiten ist es jedoch nicht gerechtfertigt, den Zumutbarkeitsgrundsatz im Bereich des Öffentlichen Rechts auf das Prinzip von Treu und Glauben zu stützen815. Denn es besteht ein fundamentaler Unterschied: Das Rechtsprinzip von Treu und Glauben setzt eine 812

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 30; Baumann, Der Begriff von Treu und Glauben im Öffentlichen Recht, S. 77 f.; Nebinger, Verwaltungsrecht AT, S. 88; Häberle, Öffentliches Interesse, S. 422; Pernice , Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 513; Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 81 ff.; Schleifenbaum, DVB1. 1969, S. 350 ff.; ders., Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts, S. 125; Grabitz, DVB1. 1973, S. 675; Pesendorfer, ÖZÖR NF 28 (1977), S. 266. Aus der Rechtsprechung OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1954, 217; BVerwGE 8, 261 (269); 10, 64 (68); 19, 188 (189 ff.); 29, 291 (295); 40, 147 (150). 813

So ein beachtlicher Teil der Literatur, allerdings ohne nähere Begründung: Nebinger, a.a.O., S. 88 f.; Weber, JurJb. 1962/63, S. 212 ff. (213, 228 f.); Schlegel, SozSi 1969, S. 291 (296); ders., SchlHA 1969, S. 169 f.; Buche, SchlHA 1969, S. 172; Bluhm, SchlHA 1969, S. 174; Röwer, Die Zumutbarkeit des Rechtsgehorsams, S. 1 ff; Herschel, AuR 1968, S. 197; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 29, 36; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 92; wohl auch Rüthers, in: FS für Zeidler, S. 24 ff.; eine Begründung findet sich bei Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 81 ff.; ders., DÖV 1974, S. 769 (771); ders., DVB1. 1975, S. 362 (394 1. Sp.). Aus der Rechtsprechung OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1954, 217; BAG, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Bl. 354. 814 815

Wieacker,

ebd., S. 36; hierzu bereits oben S. 28.

Ebenso, allerdings ohne Begründung Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im Öffentlichen Recht, S. 514. A.A. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 92 (ohne Begründung), und Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 81-86. Lücke unterscheidet zunächst den allgemeinen Rechtsgedanken von Treu und Glauben einerseits und die analoge Anwendung des § 242 BGB andererseits, wobei allerdings nicht klar wird, woraus sich das Bedürfnis für eine Analogie im Öffentlichen Recht ergibt, wenn doch ein entsprechender allgemeiner Rechtsgrundsatz existiert und deshalb keine Regelungslücke vorliegt.

II. Das Prinzip von Treu und Glauben als Geltungsgrund

211

umfassende Interessen- und Güterabwägung voraus, mit Hilfe derer dann festgestellt werden kann, ob und inwieweit sich ein Interesse gegenüber einem anderen durchsetzt 816. Eine umfassende Güterabwägung ist dem Zumutbarkeitsgedanken jedoch per se fremd. Die zur quantitativ verstandenen Zumutbarkeitskomponente angestellte Untersuchung 817 hat ergeben, daß die zumutbarkeitsorientierte Abwägung immer auf die Person des Pflichtigen ausgerichtet ist und das Verhältnis einer Pflicht zur persönlichen Situation des Betroffenen im Blick hat. Selbst dort, wo Drittinteressen in diese Perspektive hineinspielen, weil sie die persönlich-individuelle Lage mitbestimmen, ist die Interessenabwägung nicht umfassend in dem Sinne, daß alle beteiligten Rechtsgüter zueinander ins Verhältnis gesetzt würden, um auf diese Weise zur richtigen Entscheidung zu kommen. Zu diesem Unterschied kommt noch ein Zweites: Mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben läßt sich die prinzipielle (qualitative) Zumutbarkeitskomponente nicht erklären. Diese nimmt die auferlegte Belastung als solche, also isoliert in den Blick und läßt die möglicherweise betroffenen Drittinteressen völlig außer acht 818 . Von einer umfassenden Interessenabwägung, wie sie das Prinzip von Treu und Glauben voraussetzt, kann hier deshalb keine Rede sein 819 . Die Ableitung des Zumutbarkeitsgedankens aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben erscheint noch aus einem weiteren Grunde ungereimt. Mit Hilfe dieses Rechtsgrundsatzes gewinnt die objektive Werteordnung des Grundgesetzes 820, wie sie namentlich im Grundrechtsteil ihren Ausdruck gefunden hat, Eingang in das jeweilige Rechtsgebiet. Die Generalklausel von Treu und Glauben dient also insbesondere dem Bürger dazu, seine Grundrechte in einem umfassenden Sinne zur Geltung zu bringen 821 . Wie sich bei der Untersuchung zur prinzipiellen und qualitativen Komponente gezeigt hat, besitzt die Zumutbarkeit eine solch grundrechtswahrende Funktion schon aus sich heraus, so daß es des Rekurses auf den Gesichtspunkt 816 Jauernig/ Vollkommer, BGB, § 242, Anm. ld; Palandt/Heinrichs, ke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 85. 817

Oben S. 131 ff.

8,8

Hierzu oben S. 149 ff.

§ 242 Rn. 5; Lük-

819 Dies ist auch der Haupteinwand gegen Liickes widersprüchliche Konzeption (Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 81 ff.): Lücke trennt die Verhältnismäßigkeit scharf von der Zumutbarkeit, weil nur die Verhältnismäßigkeit einer Interessenabwägung prinzipiell zugänglich sei. Die Zumutbarkeit sei ein isoliert personenbezogener, abwägungsfeindlicher Maßstab. Dadurch, daß Lücke den Zumutbarkeitsgedanken auf eine Analogie zu § 242 BGB stützt, führt er die Interessenabwägung quasi „durch die Hintertür" wieder ein. Zur Kritik hieran auch Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100 Fn. 297. 820

BVerfGE 7, 205.

821

Palandt/Heinrichs, BGB, § 242 Rn. 7 - 1 2 ; BGHZ 31, 313; 33, 149.

14*

212

D. Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

von Treu und Glauben nicht bedarf. Eine hierauf gestützte Ableitung des Zumutbarkeitsmaßstabes stellt sich vielmehr als zwar nicht schädlicher, jedenfalls aber unnötiger Umweg dar. Thematisch liegt es deshalb viel näher, die Grundrechte selbst als Geltungsgrund heranzuziehen 822. Schließlich ist mit einer Anknüpfung an den Gesichtspunkt von Treu und Glauben auch in praktischer Hinsicht nicht viel gewonnen. Denn im Öffentlichen Recht werden die Konturen des Grundsatzes von Treu und Glauben zunehmend unschärfer, weil wichtige Fallgruppen, die im Zivilrecht ohne weiteres noch Bestandteile des Grundsatzes sind, aus diesem Konnex herausgelöst und verselbständigt werden. Zu denken ist hier etwa an den verwaltungsrechtlichen Vertrauensgrundsatz 823, der zunehmend im Rechtsstaatsprinzip verortet wird 8 2 4 , die in §§48 und 49 VwVfG normierten Grundsätze über Bestand, Widerruf und Rücknahme von Verwaltungsakten sowie die Grundsätze über die Verwirkung im Öffentlichen Recht 825 . Betrachtet man diesen Verselbständigungsprozeß zusammen mit der per se schon grundrechtswahrenden Funktion der Zumutbarkeit, so ist kein Grund ersichtlich, den Zumutbarkeitsmaßstab auf den seinerseits sehr unscharfen Grundsatz von Treu und Glauben zu stützen.

I I I . Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund Bei der Frage nach dem Geltungsgrund des Zumutbarkeitsmaßstabes stößt man in Literatur und Rechtsprechung häufig auf das Rechtsstaatsprinzip 826. Der Zumutbarkeitsgedanke wird dabei als rechtsstaatlich gebotene Schranke öffentlich-rechtlicher Pflichten verstanden, die wiederum als Ausfluß eines

822

Hierzu vgl. unten S. 222 ff.

823

Burmester, DÖV 1981, S. 503 (509 ff.) sieht beispielsweise keinen Konnex zum Grundsatz zu Treu und Glauben. 824 BVerwGE 59, 128 (167); Maurer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 251; ders., in: FS für Boorberg-Verlag, S. 223 ff.; Kopp, BayVBl. 1980, S. 38 ff. 825

Ossenbühl (in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 160 ff.) spricht von Allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts". 826 Aus der Literatur Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 89; ders., AöR 101 (1976), S. 416; Steinberg, BB 1968, S. 433 ff. (435 f.); Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 87 f.; A. Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, S. 140 f.; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 90 Rn. 33; Gern, DÖV 1986, S. 462 ff. (469 r. Sp.); offenlassend, jedoch mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, F. Kirchhof, Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, S. 63 f. — Aus der Rechtsprechung BayVerfGHE 9 II, 158 (177); BayVerfGHE 13 II, 45 (53); BayVerfGH, BayVBl. 1963, 92 (93); BayVerfGH, NJW 1983, 2871 (2871 r. Sp.); BayObLG, DÖV 1962, S. 352 (353 1. Sp.); BVerwG, NJW 1971, 1712 (1713 r. Sp.).

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

213

umfassenden rechtsstaatlichen Übermaßverbotes zu begreifen sei 827 . Diese rechtsstaatliche Ableitung findet eine Stütze in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen das Gericht den Zusammenhang zwischen Rechtsstaatlichkeit und Zumutbarkeit betont 828 . In den angegebenen „Stellungnahmen" von Literatur und Rechtsprechung nimmt sich der Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip jedoch nur ziemlich dürftig aus, denn obwohl die Zumutbarkeit als „rechtsstaatlich" etikettiert wird, findet sich für diese Ableitung meist keine nähere Begründung 829 . Die anzutreffende floskelhafte Verwendung des Rechtsstaatsbegriffes 830 vermag den Zumutbarkeitsgrundsatz eher zu verdunkeln als zu erhellen. Rekurriert man nämlich isoliert, das heißt ohne Vermittlung durch konkrete Verfassungsnormen auf das Rechtsstaatsprinzip, so ist nicht zu begründen, warum die Zumutbarkeit gerade rechts staatliche Forderung sein soll 831 . Betrachtet man den Rechtsstaatsgrundsatz deshalb als sedes materiae, weil beide Gesichtspunkte - Rechtsstaatlichkeit und Zumutbarkeit - gleichermaßen der Begrenzung der Staatsgewalt dienen, so besagt dies ebenfalls noch nichts, denn eine solche Begrenzungsfunktion kommt nicht nur dem Rechtsstaatsprinzip, sondern auch den Grundrechten und dem Demokratieprinzip zu.

827

Selmer, Steuerrecht und Bankgeheimnis, S. 89.

828

BVerfGE 9, 167 (170): nicht rechtstaatswidrig, weil er etwa dem Betroffenen Unzumutbares auferlegte"; BVerfGE 17, 306 (313 f.): „Der Grundsatz der Rechtstaatlichkeit verlangt, ... daß der Einzelne vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt bewahrt bleibt". Dazu gehört nach Auffassung des Gerichtes (S. 317) auch, daß kein unzumutbarer Eingriff vorliegt. BVerfGE 27, 88 (100); 23, 127 (133 f.); 68, 155 (171); 68, 272 (282); 76, 256 (359 f.); BVerfG, NJW 1986, 1536 (1537); BVerfG, NJW 1988, 543 (544). BVerfGE 78, 249 (285): „... Grenzen der Zumutbarkeit im Sinne rechtstaatlicher Verhältnismäßigkeit". Wohl auch BVerfGE 38, 61 (vgl. die Feststellung auf S. 81: „... keine durchgreifenden rechtstaatlichen Bedenken" im Zusammenhang mit der detaillierten Zumutbarkeitsprüfung auf S. 92 ff.). 829 Vgl. die Nachweise in Fn. 826. — Näheres findet sich allenfalls noch bei Steinberg (BB 1968, S. 433 ff.) und Lücke (Die (Un-)Zumutbarkeit). Beide betonen die Zumutbarkeit als Bestandteil der Gerechtigkeitsidee, die in Art. 20 Abs. 3 GG (Gesetz und Recht) ihren positivrechtlichen Niederschlag gefunden habe. Lücke begnügt sich hierzu in seiner Untersuchung zur (Un-)Zumutbarkeit mit dem Hinweis (a.a.O., S. 87 f.), daß sich Rechtsstaatsprinzip und Zumutbarkeit darin einig sind, staatliche Macht zu beschränken. Bereits deshalb sei es gerechtfertigt, die Pflichtengrenze der (Un-)Zumutbarkeit in das Rechtsstaatsprinzip einzuordnen. 830 Die Floskelhaftigkeit des Umgangs mit dem Rechtstaatsprinzip betont besonders Kunigy Das Rechtsstaatsprinzip, S. 233 ff. 831 Kritisch zur Thesenhaftigkeit einer Ableitung aus dem Rechtstaatsprinzip (allerdings in bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) H. Schneider, in: FS für das Bundesverfassungsgericht, S. 390 ff. (393); Schnapp, in: FS für Scupin, S. 899 ff. (904 ff.); Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 83.

2 1 4 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Im folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob zwischen Zumutbarkeit und Rechtstaatsgrundsatz über die angesprochene allgemeine Schranken-Parallele hinaus noch weitere Gemeinsamkeiten bestehen, die es rechtfertigen, die Zumutbarkeit als gerade und spezifisch rechtstaatliche Forderung zu begreifen. Das Grundgesetz hat den liberalen, bürgerlichen Rechtsstaat rein formaler Prägung hinter sich gelassen; grundgesetzliche Rechtsstaatlichkeit erschöpft sich nicht darin, daß sie Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt und das Institut einer öffentlich-rechtlichen Entschädigung gewährleistet 832. Der Rechtsstaat des Grundgesetzes weist darüber hinaus eine materielle Dimension auf* 33, er setzt nicht nur eine Bindung an das Recht als solches, sondern an bestimmte Inhalte des Rechts voraus 834 . Insbesondere der Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG, die staatliche Gewalt sei nicht nur an das Gesetz, sondern an „Gesetz und Recht" gebunden, wird die grundgesetzliche Verankerung materieller Gerechtigkeitselemente entnommen835. Will man den Zumutbarkeitsmaßstab im Rechtsstaatsgedanken verankern, so ist mit einem Rückgriff auf dessen formelle Elemente (s.o.) nichts gewon832 Dies sind die anerkannten und unverzichtbaren Elemente des „formalen" Rechtsstaatsbegriffes, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 997; Stern, Staats-

recht I, S. 608; Herzog, in: Maunz/Dürig,

Art. 20, Rn. V I I 16.

833

Der Rechtsstaat des Grundgesetzes ist damit so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was im 19. Jahrhundert Friedrich Julius Stahl (zit. nach Schachtschneider, JA 1978, S. 186) unter Rechtsstaatlichkeit verstand: „Rechtsstaat ist der Staat, der die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit, wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts genau bestimmt und unverbrüchlich sichert. Er bedeutet nicht Ziel und Inhalt des Staates, sondern Art und Charakter, dieselben zu verwirklichen." 834 BVerfGE 6, 32 (41); 6, 55 (72); 20, 323 (331); 25, 269 (290); 28, 264 (277); Benda, Wege zum Rechtsstaat, S. 81; Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 999 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 609; Schachtschneider, JA 1978, S. 185 ff. (186); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. V I I 21 ff.; Scheuner, in: FS zum 100jährigen Bestehen des DJT, Bd. II, S. 229 ff. (247 ff.); Hesse, in: FS für Smend, S. 71 ff. (77); Späth, DStZ 1978, S. 465 ff. (469); Starck, ZRP 1979, S. 209 (212); Kimminich, DÖV 1979, S. 765 (766 f.); Einschränkend Schnapp, in: von Münch, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 22 f. — Die materielle Konzeption ist nicht unwidersprochen geblieben. So kritisiert etwa Böckenförde (in: FS für Arndt, S. 53 ff., insb. S. 72 f.) den unbedingten Geltungsanspruch des von den herrschenden Anschauungen geprägten Wert- und Gerechtigkeitsdenkens. Darüber hinaus übersehe der Ruf nach dem materiellen Rechtsstaat die Eigenbedeutung formaler rechtlicher Garantien. In dieselbe Richtung geht die Kritik von Forsthoff, in: FS für C. Schmitt, S. 36 ff. 835 A.M. F. Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 35 f.: Wegen der Gefahr, daß parteiliche Gerechtigkeitserwägungen in Form von „subjektiv" empfundener Gerechtigkeit vorgefundene Rechtssätze überspielen, könne das Gerechtigkeitselement zwar ethische, allgemeine Forderungen an das Recht stellen, notwendiges, inhaltliches Merkmal des Rechts sei es aber nicht. Es erschöpfe sich darin, das Rechtssetzen anzuleiten (ebd., S. 36).

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

215

nen. Am ehesten ließe sich an die formal-rechtstaatlich verbürgte „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" anknüpfen. Es erscheint aber zum einen ungereimt, das oftmals system- und wortlautsprengende Zumutbarkeitskorrektiv gerade auf einen Gesichtspunkt zu stützen, der wie kein zweiter von gesetzlicher Form und Förmlichkeit lebt. Zum anderen ist ein Eingriff nicht bereits dann zumutbar, wenn er aufgrund eines Gesetzes erfolgt und den Vorrang des Gesetzes beachtet. Ganz im Gegenteil beginnt das Zumutbarkeitskorrektiv erst nach Beachtung solcher formellrechtsstaatlicher Vorgaben zu wirken: Die Zumutbarkeit weist mit ihrer gerechtigkeitsorientierten Einzelfallausrichtung eine weit mehr materielle Dimension auf, sie verschafft dem Individuell-Besonderen oft genug neben oder gar gegen die Typik des Gesetzes Geltung. Ein Zumutbarkeitsmaßstab läßt sich deshalb, wenn überhaupt, nur als Ausprägung materieller Rechtsstaatlichkeit erklären. Dabei ist aber in Rechnung zu stellen, daß es unmöglich ist, den Rechtsstaatsbegriff, noch dazu in seiner materiellen Komponente, abschließend zu definieren 836. Er läßt sich aber auf einzelne „Größen", Merkmale und Topoi zurückführen, die nach allgemeiner Ansicht Bestandteile grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit sind. Dazu gehören (1) das Prinzip der Verhältnismäßigkeit 837, (2) die institutionelle Gewährleistung individueller Grundrechte 838 sowie (3) die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Idee der Gerechtigkeit 839. Diese drei Rechtsstaatselemente erscheinen auf den ersten Blick auch als tauglicher Anknüpfungspunkt für die Ableitung des Zumutbarkeitsmaßstabes, was in einem nun folgenden zweiten Blick näher betrachtet werden soll.

836

Herzog, in: Maunz/Dürig,

Art. 20 Rn. VII 21.

837

Zur Anerkennung als materielles Rechtsstaatselement Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 1034; Stern, Staatsrecht I, S. 67; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. V I I 71 ff.; Schachtschneider, JA 1978, S. 188. 838 Zur Anerkennung als materielles Rechtsstaatselement Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 998, 1001; Stern, Staatsrecht I, S. 624; Schnapp, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 23; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. V I I 23; Scheuner, FS für den DJT, Bd. II, S. 249; Hesse, FS für Smend, S. 78; Schachtschneider, JA 1978, S. 187. 839 Schachtschneider, JA 1978, S. 186; Kimminich, DÖV 1979, S. 766; Späth, DStZ 1978, S. 469; Schmidt-Aßmann, a.a.O., S. 1007; Stern, Staatsrecht I, S. 631; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. VII 14, 45, 61; kritisch zur Gerechtigkeit als möglichem Erkenntnisgegenstand der Rechtswissenschaft Schnapp, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 22, und Scheuner, FS für den DJT, Bd. II, S. 248.

2 1 6 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

1. Die Zumutbarkeit als Teil des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips Eine Ableitung des Zumutbarkeitsmaßstabes aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist nicht überzeugend. Die Gründe hierfür resultieren zunächst aus der fehlenden Vergleichbarkeit beider Handlungsmaßstäbe. Darüber hinaus bestehen Bedenken, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst wiederum so unbekümmert, wie es zum Teil in Literatur und Rechtsprechung geschieht, auf das Rechtsstaatsprinzip zu gründen. Bereits oben 840 wurde nachgewiesen, daß sich Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit grundsätzlich voneinander unterscheiden. Eine Parallele besteht allenfalls insoweit, als sich beide Beurteilungsmaßstäbe in dem Bemühen einig sind, „übermäßiges" staatliches Handeln zu unterbinden, um dadurch die Freiheitsbeschränkung für den Bürger zu minimieren. Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch schon erschöpft. Denn die Art und Weise, wie Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit dieses Ziel zu erreichen suchen, ist kategorial verschieden: Geht es im ersten Fall um die Gewährleistung eines dem Bürger verbleibenden Freiheitsraumes, so steht im zweiten Fall das Verhältnis von Ziel- und Opferrechtsgütern, von Eingriffszweck und Eingriffsmittel in Rede, ohne daß es dabei intentional auf das „Verschonungsinteresse" des Bürgers ankäme. Bereits wegen dieses grundlegenden Unterschiedes kann die Zumutbarkeit nicht als Sproß eines rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes begriffen werden 841 . Hinzu kommt aber noch ein Zweites: Auch der Verhältnismäßigkeitsgedanke selbst kann nicht so unproblematisch im Rechtsstaatsprinzip verortet werden, wie dies zum Teil in Literatur 842 und Rechtsprechung 843 geschieht. Bedenken hiergegen finden sich bereits bei Lerche 844 angedeutet, eine eingehende Begründung dieser Vorbehalte hat dann Kunig 8 4 5 nachgeliefert. Mit ihm ist zunächst von der wohl unstreitigen Feststellung auszugehen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - unterstellt als Bestandteil der Rechtsstaat840

S. 110 ff.

841

So auch mit überzeugender Begründung Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 53 ff., insb. S. 55 ff. 842

Vgl. die Nachweise in Fn. 826.

843

So z.B. BVerfGE 19, 342 (348 f.); 23, 127 (133); 24, 367 (404); 25, 269 (292); 38, 348 (368); 43, 243 (288); 76, 256 (359); 78, 249 (285); BVerwG, NJW 1971, 1712 (1713). 844 Lerche (Übermaß und Verfassungsrecht, S. 32) verweist auf einen Zirkelschluß: Stütze man das Verhältnismäßigkeitsgebot auf das Rechtsstaatsprinzip, so interpretiere man dort zunächst hinein, was man dann daraus wieder abzuleiten versuche. Kritisch zur thesenhaften Ableitung der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip auch H. Schneider, in: FS für das Bundesverfassungsgericht, S. 390 ff.; Schnapp, in: FS für Scupin, S. 899 (904 ff.); Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 83 ff. 845

Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff.

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

217

lichkeit - die Mäßigung staatlicher Eingriffe intendiert, eine Zielsetzung, die auch dem Grundrechtssystem innewohnt. Zu beachten ist aber, daß die Grundrechte eine viel ausgefeiltere Schrankensystematik zu entfalten vermögen als das der Rechtsstaatsgrundsatz mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgedankens je tun könnte 846 . Kunig weist zu Recht darauf hin, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei besonders sensiblen Grundrechten wie Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG auch in besonderer Weise von den Spezifika des betroffenen Grundrechts beeinflußt und unter Umständen modifiziert wird 8 4 7 . Die „Verhältnismäßigkeit" von Grundrechtseingriffen ist deshalb primär anhand der spezifisch grundrechtlichen Sachproblematik zu beurteilen. Der Rückgriff auf ein allgemeines, unspezifiziertes Rechtsstaatsprinzip verbietet sich, weil für eine Trennung von „grundrechtlichen" und „rechtsstaatlichen" Aussagen kein Anlaß besteht848: Ist die Beschränkung des Schutzbereiches ein Problem der Grundrechtsauslegung, so kann für das Problem der Beschränkung der Grundrechtsschranke (als „Schranken-Schranke" verstanden) nichts anderes gelten. Die Frage, inwieweit sich der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit deshalb überhaupt zur Begründung des Verhältnismäßigkeitsgebotes fruchtbar machen läßt, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung und kann hier dahingestellt bleiben. Denn bereits aus den angesprochenen Problemen wird deutlich, daß eine grundrechtliche Argumentation thematisch viel näher liegt als eine rechtsstaatliche 849. Für die hier interessierende Frage nach dem Geltungsgrund des Zumutbarkeitsmaßstabs bestätigt sich damit das bereits bei einem systematischen Vergleich beider Gesichtspunkte gewonnene Ergebnis, daß der Zumutbarkeitsgedanke nicht auf den der Verhältnismäßigkeit gestützt werden kann. Stehen Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit als selbständige Prüfungsmaßstäbe mit jeweils eigenständigem Beurteilungsgehalt nebeneinander, so ist es möglich, bereits eine Stufe früher anzusetzen und die Zumutbarkeit - gleichsam ohne „Vermittlung" durch das Verhältnismäßigkeitsgebot - direkt aus der gemeinsamen Wurzel „Rechtsstaatsprinzip" abzuleiten. 846 Zur Gefahr, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestehende und ausdifferenzierte Grundrechtsschranken nivellieren könnte, vgl. bereits Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 47; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 445 f.; andererseits Wendt, AöR 104 (1979), S. 418 ff. 847

A.a.O., S. 356 f.

848

Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 355.

849 Dies ist wohl auch der Grund, warum das Bundesverfassungsgericht seine rechtsstaatliche Argumentation zwar nicht aufgibt, aber doch differenziert. Das Gericht formuliert, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „ergebe sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde aber bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst", vgl. BVerfGE 19, 342 (349); 61, 126 (134); 76, 1 (50 f.). Starck (ZRP 1979, S. 212) spricht z.B. von einem den Grundrechten immanenten Verhältnismäßigkeitsprinzip.

2 1 8 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

2. Die Anknüpfung an die rechtsstaatliche Grundrechtsverbürgung Die Untersuchung zum Zumutbarkeitsgrundsatz hat ergeben, daß dieser im Verfassungsrecht freiheitswahrenden Charakter hat: Der Einzelne soll nicht in seiner Eigenständigkeit tangiert werden, seine individuell-subjektiven Wertungen, seine höchstpersönlichen Interessen sollen bei der staatlichen Pflichtenauferlegung Berücksichtigung finden. Aufgrund dieser freiheitsschützenden Funktion läßt sich der Zumutbarkeitsgedanke in Zusammenhang zu den Grundrechten bringen 850 , denn auch dort geht es thematisch darum, den Freiheitsraum des Bürgers zu gewährleisten und Eingriffe auf das unvermeidliche Maß zu beschränken. Betont man weiterhin mit der allgemeinen Ansicht im Schrifttum und Rechtsprechung 851, daß die Freiheitsgrundrechte ihrerseits zum „Gewährleistungsprogramm" grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit gehören, so läßt sich die Zumutbarkeit oder - anders gewendet - das Verbot der Unzumutbarkeit auch unter diesem Gesichtspunkt als rechtsstaatliche Forderung begreifen. Denn nach dem Grundgesetz gehören Rechtsstaat und Freiheitlichkeit untrennbar zusammen. Wenn sich diese Freiheitlichkeit gerade in der verbürgten Existenz von Freiheitsgrundrechten manifestiert 852, so nimmt auch das thematisch gleichgelagerte Zumutbarkeitsgebot an dieser Verbürgung teil. Bei näherem Hinsehen erscheint die gezeigte Verklammerung jedoch nicht zweifelsfrei. Denn sie steht und fällt mit der Frage, ob die eben skizzierte liberale Freiheitskonzeption, die dem Zumutbarkeitsgedanken zugrundeliegt, den Rechtsstaat des Grundgesetzes treffend charakterisiert, die Parallele zur Zumutbarkeit sich also als tragfähig erweist. Liberales Freiheitsdenken basiert auf der Idee, individuelle Freiheit vom Staat zu gewährleisten und dem Bürger dadurch eine staats- und rechtsfreie Sphäre zu ermöglichen 853 . So gesehen ist das Freiheitsverständnis des liberalen Rechtsstaates typischerweise „antistaatlich", denn es wendet sich gegen den zwar ordnenden, aber freiheitsschmälernden Staatseingriff.

850

So z.B. Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 326 f.

851

Vgl. nur Stern, Staatsrecht I, S. 622; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. VII 12, 23; Scheuner, in: FS für den DJT, Bd. II, S. 249. Derselben Meinung ist auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers im Rechtsstaat betont, vgl. E 17, 306 (313 f.). 852

BayObLG, BayVBl. 1963, 352 (353): „Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechtsgarantien". 853 Stern, Staatsrecht I, S. 622; Scheuner, in: FS für den DJT, Bd. II, S. 249; Böckenförde, in: FS für Arndt, S. 75 f.; Schachtschneider, JA 1978, S. 187; Ramm, JZ 1972, S. 137 (139).

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

219

Im Hinblick auf die Rechtstaatlichkeit des Grundgesetzes greift diese antistaatliche Sichtweise zu kurz. Im sozialen Rechtsstaat ist der Gesetzgeber zu einer sozial verträglichen und ausgleichenden Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung verpflichtet 854 . Diese Gestaltungsauflage erfordert geradezu den Staatseingriff, um die materiellen Voraussetzungen rechtsstaatlicher Freiheit herzustellen 855. Mit einer einseitig eingriffsfeindlichen Sichtweise läßt sich deshalb das Wesen sozialer Rechtsstaatlichkeit nicht in der richtigen Weise erfassen 856. Das „antistaatliche" Eingriffs- und Schrankendenken ist damit natürlich keineswegs über Bord geworfen, vielmehr bleibt es elementares Element der Grundrechtssystematik 857 und behält dort weiterhin Bedeutung. Insofern, d.h. über diese grundrechtliche Brücke fehlt auch nicht jeder Konnex zu rechtsstaatlichem Gedankengut. Als Wesensmerkmal 8 5 8 sozialer Rechtsstaatlichkeit kann das antistaatliche Freiheitsdenken aber nicht (mehr) begriffen werden. Damit wird die Parallele zum Zumutbarkeitsgrundsatz entscheidend abgeschwächt: Versteht man die rechtsstaatliche Freiheit des Grundgesetzes als inhaltlich gebundene, nicht auf die Gewährleistung einer staatsfreien Sphäre beschränkte Freiheit 859 , so zeigt sich insoweit ein Unterschied zum Zumutbarkeitsgrundsatz, in dem sich (weiterhin) ausschließlich der Gedanke des staatsfreien individuellen Freiheitsraumes, das Streben nach Eingriffsverschonung manifestiert 860. Zwar ist auch die Zumutbarkeit insoweit „inhaltlich gebunden", als sie auf die Herstellung eines materiell gerechten Zustandes zielt, dieses Ziel sucht sie aber auf dem Wege der traditionellen liberalen „Antistaatlichkeit" zu erreichen. Dies zeigt sich schon daran, daß die Zumutbarkeitsgrenze oftmals gerade dort von Bedeutung ist, wo der Staat seinem so854

BVerfGE 8, 329; Bachof, Wege zum Rechtsstaat, S. 82, 86.

855

Hesse, in: FS für Smend, S. 85 ff.; Scheuner, D Ö V 1971, S. 505 ff. (510); Schau-

mann, JZ 1970, S. 48 ff. (48 f.); Benda (AöR 101 [1976], S. 506 f.) verweist darauf, daß der Staat des Grundgesetzes gesellschaftliche Veränderungen beeinflußt und das Recht als Instrument des sozialen Wandels einsetzt. Auch das Bundesverfassungsgericht bejahe den positiven Gestaltungsauftrag (ebd., S. 511). 856 Hesse, in: Tohidipur, Der bürgerliche Rechtsstaat, S. 300 f.; Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 374 f. Kritisch zur staatsabwehrenden Komponente des liberalen Freiheitsbegriffes auch Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 52 f., und T. Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, S. 124 Fn. 22. 857

T. Schmidt, a.a.O., S. 124 Fn. 22. S. dazu auch unten, S. 226 ff.

858

Gerade auf dieser wesensmäßigen Gleichartigkeit würde aber die Ableitung des Zumutbarkeitsgedankens aus dem Rechtstaatsprinzip basieren. 859 Grundlegend Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 225; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 201 ff., 205 f.; Kimminich, DÖV 1979, S. 765 (770), Hesse, in: FS für Smend, S. 85 ff. 860 Bräutigam etwa (in: FS für das BVerwG, S. 85) betont die Zumutbarkeit als Schranke des staatlichen Zugriffs in der Rechtsprechung des BVerwG.

2 2 0 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

zial- und rechtsstaatlichen Gestaltungsauftrag nachkommt: Der Zumutbarkeitsgedanke stellt sich insoweit sogar als Bremse für die Realisierung rechtsstaatlicher Forderungen dar. Selbst wenn man sich aber über diese Bedenken hinwegsetzte, steht der Ableitung des Zumutbarkeitsgrundsatzes aus der rechtsstaatlichen Verbürgung der Freiheitsgrundrechte noch ein weiterer Einwand entgegen: Der Rechtsstaat garantiert nur die Existenz von Freiheitsgrundrechten überhaupt, eine weitergehende Aussage läßt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht ableiten 861 . Der Verweis auf den prinzipienhaften Charakter grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit darf nicht dazu führen, die ausgefeilte, differenzierte Systematik der Freiheitsrechte einzuebnen862. Insbesondere Kunig hat hier zu Recht mit seiner Kritik angesetzt und nachgewiesen, daß ein Rechtsstaatsprinzip als selbständige Verfassungsnorm nicht in Geltung ist 863 . Grundgesetzliche Rechtsstaatlichkeit läßt sich zwar als eine dem Grundgesetz immanente „verfassungspolitische Denkungsart" 864 begreifen, die Lösung konkreter Einzelprobleme ist aber nur anhand der konkreten Verfassungsnorm zu finden 865 . Ein Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip ist nicht nur unnötig, sondern vernebelt oft genug die verfassungsrechtliche Argumentation. Dies gilt auch und gerade für die Begründung des Zumutbarkeitsgrundsatzes. Betont man seine freiheitswahrende Funktion und zieht man deshalb - wie oben gezeigt - eine Parallele zum „Wesen" der Freiheitsrechte, so bieten die Grundrechte selbst eine sachgerechtere, thematisch näherliegende, weil konkretere Anknüpfung 866 . Der Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip hat allenfalls etiketthaften Charakter 867. Denn die entscheidenden Kriterien für die Zumutbarkeitsprüfung finden sich nicht im Rechtsstaatsprinzip, sondern in den differenzierten Freiheitsgrundrechten selbst. Deshalb ist es gerechtfertigt, die Grundrechte unmittelbar - also ohne Vermittlung durch das Rechtsstaats-

861 Schachtschneider, JA 1978, S. 187: „Der materielle Rechtsstaat gewährleistet diese Freiheiten, ohne daß sie die Ausgestaltung und Grenzziehung haben müssen, die das Grundgesetz gegeben hat." 862

Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 1001, 1004.

863

Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 259 ff., 293 ff., 460, 463. Kritisch zum Rechtsstaatsprinzip bereits H. Schneider, in: FS für das BVerfG, Bd. II, S. 391. 864

Kunig, a.a.O., S. 483. Ebenso bereits Schnapp, FS für Scupin, 1983, S. 906.

865

Ähnlich Schnapp, JuS 1983, S. 850 (853); ders., in: FS für Scupin, S. 899 (905 f.).

866

Ebenfalls kritisch zur Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, allerdings bezogen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 82-85. 867 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 460. Charakteristisch etwa die nicht weiter präzisierte Feststellung Pieroths (AöR 115 [1990], S. 39), daß die Maßstäbe des Rechtsstaatsprinzips und der Verhältnismäßigkeit unmittelbar mit „Freiheitssicherung" zu tun hätten.

III. Das Rechtsstaatsprinzip als Geltungsgrund

221

prinzip, als dessen Bestandteil sie begriffen werden - als Geltungsgrund für den Zumutbarkeitsgrundsatz heranzuziehen.

3. Ableitung aus der rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsidee Zumutbarkeit und Rechtsstaatlichkeit haben einen gemeinsamen Berührungspunkt dadurch, daß sie beide gleichermaßen unmittelbar gerechtigkeitsorientiert sind 868 . Im Grundgesetz findet sich diese Gerechtigkeitsorientierung in Art. 20 Abs. 3 GG mit der Formel von „Gesetz und Recht" verkörpert 869 . Es ist jedoch verfehlt, den Zumutbarkeitsgrundsatz allein wegen dieser Gemeinsamkeit aus dem Gedanken der Rechtstaatlichkeit abzuleiten. Denn das Grundgesetz bietet auf das in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Gerechtigkeitspostulat eine durchaus differenzierte Antwort: Bereits durch die Existenz effektiver Grundrechte wird dem Gerechtigkeitspostulat entsprochen 870. Die Grundrechte wiederum geben Aufschluß darüber, was das Grundgesetz im konkreten Fall unter materieller Gerechtigkeit versteht 871; so gesehen ist der in Art. 20 Abs. 3 GG angelegte Dualismus von positivem Gesetz und überpositivem Recht nicht aktuell. Bezogen auf die Ableitung des Zumutbarkeitsgrundsatzes bietet sich hier dasselbe Bild wie eben unter 2. dargestellt: Sind für die Konkretisierung des Gerechtigkeitspostulates wiederum primär die (Freiheits-)Grundrechte maßgebend, so ist ein Rückgriff auf das „Rechtsstaatsprinzip" unnötig und nichtssagend. Deshalb spricht vieles dafür, die Zumutbarkeit als eigenständigen Beurteilungsmaßstab im Verfassungsrecht auch insoweit auf die Grundrechte unmittelbar zu stützen.

868 Daß dies - unabhängig von der Frage nach dem materiellen oder formellen Rechtsstaatsbegriff - jedenfalls für den Rechtsstaat des Grundgesetzes gilt, ist unbestritten (vgl. nur Stern, in: FS für Lerche, 1993, S. 165 ff. [173]). Angezweifelt wird dagegen die praktische Brauchbarkeit des Gerechtigkeitstopos, vgl. Scheuner, in: FS für den DJT, Bd. II, S. 248; Schnapp, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 22; F. Kirchhof Private Rechtssetzung, S. 35 f. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit argumentativ eng miteinander verknüpft, vgl. hierzu die eingehende Analyse von Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 23 ff., 165. 869

Vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, S. 1007.

870

Schachtschneider, JA 1978, S. 187; Schmidt-Aßmann, ebd., S. 1008.

871

Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 336.

222

D. Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund 1. Stellungnahmen in Literatur und Rechtsprechung Bereits oben wurde angedeutet, daß der Zumutbarkeitsmaßstab seine thematische Nähe zu den Freiheitsgrundrechten auch dann nicht verleugnen kann, wenn man ihn aus dem Prinzip von Treu und Glauben oder aus dem Rechtsstaatprinzip ableitet. Den Gedanken, die (Freiheits-)Grundrechte unmittelbar, gleichsam ohne Vermittlung durch andere „Prinzipien" als Sitz des Zumutbarkeitsmaßstabs heranzuziehen, hat das Bundesverfassungsgericht früh zum Ausdruck gebracht. Bereits in der Hebammenentscheidung872 findet sich die Formulierung, das Gewicht des zu beurteilenden Eingriffs überschreite nicht die Grenzen der grundrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit. Diese Linie setzt sich in späteren Stellungnahmen fort, wonach das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit eines Eingriffs „bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst" folge 873 . Im Hinblick auf die Verankerung gerade des Zumutbarkeitsgedankens leiden manche Stellungnahmen freilich darunter, daß das Gericht - wie oben bereits aufgezeigt „Zumutbarkeit" und „Verhältnismäßigkeit" nicht immer sauber auseinanderhält 874 . Im Verlaufe der jeweils aufgebotenen Argumentation wird jedoch klar, daß das Bundesverfassungsgericht auch den Zumutbarkeitsgedanken als „vom Wesen der Grundrechte" mitumfaßt sieht 875 . Der grundrechtlichen Ableitung des Zumutbarkeitsmaßstabes haben sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof* 76 und Teile der Literatur 877 angeschlossen. Eine eingehende Begründung findet sich allerdings - soweit ersichtlich - nirgends; die meisten Stellungnahmen begnügen sich damit, den funktionalen Zusammenhang mit den Grundrechten zu betonen. 872

BVerfGE 9, 338 (346). Hervorhebungen im Text vom Verf.

873

So z.B. BVerfGE 61, 126 (134).

874 So ist z.T. nur vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Rede, der sich aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergebe. Denn die Grundrechte als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat dürften nur so weit beschränkt werden, als dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich sei, vgl. BVerfGE 19, 342 (248 f.); 61, 126 (134); 65, 1 (44); 76, 1 (50 f.). 875

So etwa, wenn das Gericht den Gedanken der Zumutbarkeit erst an späterer Stelle erwähnt, dann aber einen Konnex zu den Grundrechten herstellt, vgl. im Volkszählungsurteil E 65, 1 ff. (S. 44 einerseits, S. 54 f. andererseits). 876 877

BayVerfGH, NJW 1983, 2871 (r. Sp.).

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 326 f.; Brozat, DStR 1983, S. 76 (78); Schnapp, JuS 1983, 850 (852 1. Sp. Mitte i.V.m. S. 853 1. Sp.); Tipke, Betriebsprüfung, S. 100 (mit dem Hinweis auf Art. 19 Abs. 2 GG); Bettermann/Loh, BB 1969, S. 70; Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, S. 304 (wo der „Zusammenhang mit den Grundrechten" betont wird).

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

223

2. Funktionale Parallelen zum „Wesen der Grundrechte" Ausgangspunkt für jede Überlegung zur grundrechtlichen Anbindung des Zumutbarkeitsgedankens ist die Frage nach Charakter und Funktion der Grundrechte. Präzisierungsbedürftig ist insoweit die bundesverfassungsgerichtliche Formel vom „Wesen der Grundrechte": Handelt es sich um reine Abwehrrechte oder haben sie mehr institutionellen Charakter, gewährleisten sie dem Grundrechtsträger gar einen status positivus? Schließlich: Können sie mit den Kategorien „Eingriff 4 , „Schranke" und „Schranken-Schranke" überhaupt in der richtigen Weise erfaßt werden? Die Frage nach dem geltenden bzw. als richtig anzuerkennenen Grundrechtsverständnis kann hier nicht offenbleiben. Denn von ihr hängt ab, ob Zumutbarkeitsgedanke einerseits und Freiheitsrechte andererseits den nötigen Grad an funktionaler Gemeinsamkeit, die nötige dogmatische Nähe zueinander aufweisen, die es braucht, um die Zumutbarkeit als Teil des grundrechtlichen Schrankensystems zu begreifen. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß der Zumutbarkeitsmaßstab in seiner Betonung des Individuellen, Atypischen, Eigenständig-Persönlichen den Freiheitsraum des Einzelnen, das heißt, sein ganz persönliches Interesse an der Eingriffsverschonung im Blick hat. Per definitionem richtete sich die Zumutbarkeit deshalb immer gegen den staatlichen Eingriff, sie war in den untersuchten Fällen immer in gewisser Weise „antistaatlich" ausgerichtet. Aufgrund dessen erscheint bereits jetzt klar: Der Zumutbarkeitsmaßstab läßt sich nur dann in den Grundrechten verankern, wenn auch diese vom Eingriffs· und Schrankendenken 878 her verstanden werden können, insoweit also eine die Verankerung rechtfertigende grundsätzliche Parallele festzustellen ist.

a) Vom abwehrrechtlichen zum institutionellen Grundrechtsverständnis Herkömmlicherweise werden Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen verstanden 879. Dieser Grundrechtskonzeption liegt die 878 Der Begriff „Eingriffs- und Schrankendenken" stammt von Häberle (Wesensgehaltsgarantie, S. 222 ff.) und wird von diesem als Gegenbegriff zum institutionellen Grundrechtsverständnis gebraucht. Obwohl der Begriff bei Häberle negativ besetzt ist, wird auf die - allerdings wertneutrale - Verwendung dieses treffend-plakativen Begriffes nicht verzichtet. 879

Die abwehrrechtliche Grundrechtskomponente wird bis heute nicht ernsthaft bestritten, vgl. etwa die ständige Rechtsprechung des BVerfG seit dem Lüth-Urteil (E 7, 198 [204]); aus dem neueren Schrifttum Jarras, AöR 110 (1985), S. 364; Brugger, JZ 1987, S. 633 (634); Schlink, EuGRZ 1984, S. 457; Starck, in: Heyde/Starck, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte, S. 12; ders., JuS 1981, S. 237 (238 f.).

2 2 4 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Vorstellung einer ursprünglichen und allgemeinen menschlichen Freiheit 880 zugrunde, die es gegenüber dem staatlichen Machtanspruch zu verteidigen gilt: Freiheit ist nur als Freiheit vom Staat zu begreifen, Freiheit und (staatliches) Recht stehen in einem Verhältnis grundsätzlicher Antinomie. Unter der Herrschaft dieses Grundrechtsverständnisses konnte sich das die Grundrechtsdogmatik bis heute beherrschende Eingriffs- und Schrankendenken entfalten, wonach der „Eingriff" als notwendiger „Übergriff 4 oder besser: „Angriff 4 auf den Freiheitsbereich des Einzelnen minimiert, d.h. der Staat „in seine Schranken" verwiesen werden müsse881. Das abwehrrechtliche Grundrechtsverständnis hat insbesondere durch Häberle 882 und seine Vorstellung vom institutionellen Charakter der Grundrechte harsche Kritik erfahren. Hauptangriffspunkt dieser Kritik ist das traditionelle Verständnis des Verhältnisses von Freiheit und Recht: Begreife man das Recht als potentielle Bedrohung der individuellen Freiheit, so idealisiere man den Freiheitsbegriff und verkenne dessen Wesen. Freiheit ist nach der institutionellen Grundrechtslehre stets rechtliche Freiheit, m.a.W. bedarf sie der rechtlichen Gestaltung und Ausformung. Grundrechtsbegrenzung und -ausgestaltung läßt sich somit nicht als Abschwächung oder Durchbrechung der Freiheit, sondern umgekehrt als notwendige Bedingung für die Realisierung grundrechtlicher Freiheit begreifen 883. Folgt man dem, so ist es nur konsequent, auch das traditionelle Eingriffsund Schrankendenken über Bord zu werfen: Weil es gerade Aufgabe des Staates ist, die notwendigen Bedingungen rechtlicher Freiheit zu schaffen, können die hierfür erforderlichen staatlichen Maßnahmen die Freiheit weder beschränken noch in sie eingreifen 884 .

880 Die Grundrechtsauslegung sei deshalb vom Prinzip „in dubio pro libertate" beherrscht, so P. Schneider, VVDStRL 20 (1963), S. 1 ff. (31); ders., in: FS für den DJT, Bd. II, S. 263 ff. (280); kritisch dazu Pestalozzi Der Staat 2 (1963), S. 445, und SchulzSchaeffer, Der Freiheitssatz des Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz, S. 23, 48. — Lübbe-Woljf (Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 87 ff., insb. S. 98) hat nachgewiesen, daß auch das Bundesverfassungsgericht seiner Rechtsprechung einen „natürlichen", d.h. nicht präformierten Freiheitsbegriff zugrundelegt. In E 32, 54 (72) heißt es etwa, daß die vertretbaren Grundrechtsschranken unter Beachtung der grundsätzlichen Freiheitsvermutung und des Verfassungssatzes der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zu fixieren seien. 881 Starck, in: Heyde/Starck, S. 457 ff. 882

Vierzig Jahre Grundrechte, S. 12 ff.; Schlink, EuGRZ 1984,

Wesensgehaltsgarantie, S. 145 ff., 222 ff.

883

Häberle, ebd., S. 163 ff., 225 f.; Schulz-Schaeffer, Der Freiheitssatz des Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz, S. 49; Scheuner (VVDStRL 22 [1965], S. 1 ff. [41]) spricht von einer „Freiheit im Recht". 884

Häberle, ebd., S. 225 f.

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

225

Der Kritik an der abwehrrechtlichen Konzeption ist sicherlich zuzugeben, daß Freiheit nicht abstrakt, sondern nur real verstanden werden kann 885 . In der Tat mutet die Vorstellung einer „Vorstaatlichkeit" der Freiheit reichlich gekünstelt an. Garantieren die Grundrechte lediglich - mit negativer Tendenz - das Verschontbleiben des Einzelnen vor dem Staatseingriff, so bleibt die Freiheit für viele Grundrechtsträger papierene, wertlose Verheißung, sie denaturiert zum Privileg Weniger, wenn sie nicht durch Schaffung und Sicherung der gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur realen Freiheit möglichst Vieler wird 8 8 6 . Durch die Vorstellung erst, daß die realen Bedingungen für die Inanspruchnahme von Grundrechten in weiten Teilen durch den gestaltenden Staatseingriff herzustellen sind, wird die Annahme eines objektivrechtlichen Wertcharakters der Grundrechte verständlich 887. Darüber hinaus erscheinen vor diesem Hintergrund die Problematik der Drittwirkung von Grundrechten im Privatrechtsbereich und die Existenz von Sozialrechten als positive Leistungsansprüche an den Staat nicht weiter als Fremdkörper, sondern als notwendige Verwirklichung des grundgesetzlichen Freiheitsbegriffs 888 . Auf der anderen Seite muß sich die eben skizzierte institutionelle Betrachtungsweise aber entgegenhalten lassen, daß sie dem rechtssetzenden und grundrechtsgestaltenden Staat als „Hüter der Freiheit" einen viel zu großen Vertrauensvorschuß gewährt. Die ungewollte Gefahr des Rückfalls in überwunden geglaubtes positivistisches Staatsallmachtsdenken ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. So überzogen es einerseits anmutet, den Staat als latenten, freiheitsbedrohenden Leviathan zu betrachten, so verfehlt ist es andererseits, das potentielle Spannungsverhältnis von Freiheit und staatlichem Recht gering zu achten889. Der Freiheitsbegriff und mit ihm der Inhalt der Freiheitsrechte darf sich deshalb nicht im institutionellen, vom einzelnen Grundrechtsträger abstrahierten Ordnungsmoment erschöpfen 890. Wirkliche Freiheit umschließt auch die 885

Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff. (174).

886

Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 351 ff. (375 f.).

887

Rupp, AöR 101 (1976), S. 176 ff.; Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik, S. 24 ff.; Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 376; Schaumann, JZ 1970, S. 49 ff.; Jarras, AöR 110 (1985), S. 365 ff.; Scheuner, DöV 1971, S. 513. — Hingegen sieht Starck (in: Heyde/ Starck, Vierzig Jahre Grundrechte, S. 21) mit der Erweiterung der Grundrechte um die Dimension positiver Leistungsansprüche den erlaubten Rahmen der Grundrechtsauslegung überschritten. 888

Schaumann, JZ 1970, S. 49.

889

Ähnlich Forsthoff (Der introvertierte Rechtsstaat, S. 182 ff.), der den Wandel der Grundrechte in absolute Werte kritisiert und feststellt (ebd., S. 182 unten), daß das „neue Grundrechtsverständnis immer weniger auf dem Freiheitsgedanken" basiere. 890

Zur Gefahr des „Verlorengehens" des individual-rechtlichen Charakters grundrechtlicher Freiheit vgl. bereits Rupp, NJW 1966, S. 2037 (2039). 15 Albrccht

2 2 6 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Möglichkeit zum Gebrauch eines Restes „natürlicher" Freiheit, der als Konstituante einer freiheitlichen gesellschaftlichen Ordnung nicht wegzudenken ist 8 9 1 . Insoweit verbleibt den Grundrechten eine insgesamt deutliche „antistaatliche" Stoßrichtung 892. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus läßt sich bereits jetzt festhalten, daß das traditionelle Eingriffs- und Schrankendenken auch bei Anerkennung eines institutionellen Grundrechtsverständnisses einen gewichtigen Stellenwert bei der Ausdeutung des „Wesens" der Grundrechte behält 893 . Deshalb rückt auch die Möglichkeit, den Zumutbarkeitsgedanken unmittelbar in den Freiheitsgrundrechten zu verankern, in greifbare Nähe.

b) Die bleibende Aktualität des Eingriffs- und Schrankendenkens Anerkennt man die objektivrechtliche Dimension der Grundrechte und bejaht man solchermaßen deren instititutionellen Charakter, so schließt dies nicht aus, sie weiterhin auch als Abwehrrechte zu begreifen. Grundrechte haben vielmehr einen Doppelcharakter 894: Subjektivrechtliche und objektivrechtliche Seite gemeinsam machen das „Wesen der Grundrechte" aus: Institutionell-objektiv verstanden statuieren sie eine „ungefähre soziale Ordnung" 895 , die für das staatliche und gesellschaftliche Leben Maßstäbe setzt 896 . Das verfassungsdirigierende Wertesystem begründet aber keine unmittelbaren Ansprüche des Bürgers 897 . Selbständig anspruchsbegründend sind Grundrechte nur in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte. In der Abwehrfunktion gewährleisten sie mit antistaatlicher Schutzrichtung einen Kern natürlicher persönli-

891 Daß dies gerade auch dann gilt, wenn man einem institutionellen Grundrechtsverständnis anhängt, betont Ramm, JZ 1972, S. 137 (139). 892

Starck (in: Ηeyde/Starck, Vierzig Jahre Grundrechte, S. 19) betont den Vorrang der subjektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte mit dem Argument, die Grundrechtsschranken wären unnötig, wenn man die Freiheit nur nach (vom grundrechtsgestaltenden Staat, d. Verf.) vorgegebenen Kriterien ausüben dürfe. Differenzierend auch Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 201 ff., 238. 893 Dies konzediert nun auch Häberle (Wesensgehaltsgarantie, Vorwort zur 2. Auflage), wenn er dem „Schrankendenken im Rahmen grundrechtssichernder Geltungsfortbildung eine wichtige, wenn auch begrenzte Aufgabe" zuerkennt. 894 Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik, S. 26 f. Fn. 42; Scheuner, DöV 1971, S. 505 (509 f.); Hotz, Zur Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, S. 30; Ramm, JZ 1972, S. 145. 895

Lerche, Rezension von ,Häberle, Wesensgehaltsgarantie', DÖV 1965, S. 212 ff.

(213). 896 897

BVerfGE 7, 198 (205).

Starck, in: Heyde/Starck, (1985), S. 363, 389 f.

Vierzig Jahre Grundrechte, S. 21 f.; Jarass, AöR 110

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

227

eher Freiheit, der sich auch bei institutioneller Betrachtung nicht wegdenken läßt 898 , will man den Freiheitsbegriff nicht geradezu auf den Kopf stellen. Bestimmt man den objektiven Grundrechtsgehalt in enger Anlehnung an die subjektiv-rechtliche Freiheit, indem man die subjektive Freiheit zum allgemeinen Richtmaß verobjektiviert, ohne ihren ausgrenzenden Anspruchscharakter zu verleugnen 899, so resultiert aus dem solchermaßen definierten Doppelcharakter der Grundrechte keine Auflösung der Eingriffsvorstellung. Herkömmliches Eingriffs- und Schrankendenken ist zunächst unentbehrlich als lediglich „technische" Hilfskonstruktion: Auch wenn man nicht die Auffassung teilt, daß die natürliche Freiheit des Menschen prinzipiell unbegrenzt ist 900 , bietet das Eingriffsdenken doch ein Erklärungsmodell für das Verfahren 901 der Zuordnung von Freiheit und Freiheitsbegrenzung: prinzipielle Freiheit, mithin also „Erlaubtsein" als Regel und staatlicher Regelungseingriff als Ausnahme 902 . Daraus wiederum folgt die für sich genommen banale Erkenntnis, daß der Staat für seine Eingriffe rechtfertigungspflichtig, konkret gesprochen also argumentationsbelastet ist. Begreift man die Eingriffsvorstellung als Hilfskrücke für die technische Zuordnung bzw. Unterscheidung von Grundrechts-Schutzbereich und Grundrechtsbegrenzung, so steht ihr auch ein institutionelles Grundrechts Verständnis nicht entgegen. Die Kritik an den Kategorien „Eingriff', „Schranke" und „Schrankenschranke" ist aber auch aus sachlichen Gründen nicht gerechtfertigt 903. Die Verkürzung der konkreten Freiheit eines bestimmten Betroffenen stellt sich nämlich immer als Eingriff dar. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die staatliche Maßnahme gleichzeitig der Verwirklichung einer objektiv-institutionellen Grundrechtsordnung dient und damit den abstrakt-objektivierten Freiheitsbegriff im Sinne Häberles erfüllt. Treffend ist die Formulierung Schwabes904: „Wer einem Verbot unterliegt, dessen konkrete Freiheit wird nicht befördert, ausgestaltet oder was auch sonst immer, sondern beschränkt".

898 So schon W. Schmidt, AöR 91 (1966), S. 64, und Ramm, JZ 1972, S. 139 1. Sp.; Scheuner, DÖV 1971, S. 508 1. Sp. 899

Eine solche Möglichkeit deutet Böckenförde, S. 49 f. an.

Zur Lage der Grundrechtsdogmatik,

900 Zur „natürlichen Freiheit" vgl. etwa C. Schmitts „Verteilungsprinzip", wonach die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist, C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 901

Lübbe-Wolff,;

902

Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff.; Lübbe-Wolff,\

a.a.O., S. 68.

903

A.A. Rupp, AöR 101 (1976), S. 173; kritisch auch Böckenförde, rechtsdogmatik, Fn. 138. 904

15:

Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 142.

ebd., S. 68.

Zur Lage der Grund-

2 2 8 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Betrachtet man den individuellen Freiheitsraum, läßt sich nahezu jede staatlich veranlaßte Maßnahme als Eingriff darstellen. Dies mag anhand dreier Beispiele kurz skizziert werden, wo die Annahme eines staatlichen Eingriffs zunächst nicht naheliegt: 1. Die Lösung der Drittwirkungsproblematik etwa (die sich gerade bei institutionell-objektivem Grundrechtsverständnis stellt), muß nicht zwingend am Konflikt zwischen den betroffenen Bürgern ansetzen. Betrachtet man das Verhältnis des Bürgers X zum Staat, der durch seine Gerichte oder seine Verwaltung die Position des Bürgers Y schützt und dadurch die konkrete Freiheit des Bürgers X beschneidet, so versagt die Eingriffs- und Schrankenvorstellung nicht 905 . 2. In derselben Weise läßt sich auch leistendes und leistungsbegrenzendes Staatshandeln rechtstechnisch über die Eingriffsvorstellung abwickeln, so etwa beim Anspruch auf Erteilung vorenthaltener Genehmigungen, bei der NichtZuteilung einer staatlichen Subvention, beim Angriff auf die Genehmigungserteilung eines andern: Entscheidend ist, daß sich die staatliche Untersagung durch Nichtgenehmigung ebenso wie die staatliche Beeinträchtigung durch Leistungsgewährung an andere als Eingriff in den Freiheitsgebrauch des Betroffenen darstellt 906 . 3. Schließlich ist auch die staatliche Ermächtigung zum privaten Grundrechtseingriff eine Einschränkung der Grundrechte des Betroffenen, wenn die Ermächtigung nicht den verfassungsmäßigen Anforderungen entspricht 907 . Zwar handelt hier auf den ersten Blick nur ein Privater. Der ermächtigende Staat, gegen den sich gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte richten, muß sich den privaten Eingriff als Folge seiner Rechtssetzung aber zurechnen lassen, so daß er auch selbst grundrechtseinschränkend tätig geworden ist. Auch bei diesem der Drittwirkungsproblematik eng benachbarten Problem versagt das Eingriffs- und Schankendenken also keineswegs. Läßt sich das Eingriffs- und Schrankendenken auch bei Anerkennung eines objektiv-institutionellen Grundrechtsverständnisses rechtsdogmatisch fruchtbar machen, so existiert damit eine weitere Parallele zum Zumutbarkeitsgrundsatz: Sind sich abwehrrechtliche Grundrechtskonzeption und individuell-persönliche Zumutbarkeit zunächst schon in dem Bemühen einig, den Freiheitsraum des Einzelnen vor übermäßigem Staatshandeln zu schützen, so kann nun festgestellt werden, daß diese Zielparallele auch mit einer methodischen 905 906

Schlink, EuGRZ 1984, S. 464.

Schlink, EuGRZ 1984, S. 465; Lübbe-Wolff,\ rechte, S. 69 ff., 226 ff., 315. 907

Wolff,

Die Grundrechte als Eingriffsabwehr-

Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 95; Lübbeebd., S. 178 ff.

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

229

Parallele einhergeht: Es ist ebenso „Wesen der Grundrechte" wie Kennzeichen des Zumutbarkeitsgedankens, diesen Freiheitsschutz gerade mit den Denkkategorien von Eingriff und Schranke zu bewerkstelligen.

c) Die Zumutbarkeit als grundrechtliche Schrankenschranke (1) Reichert man das abwehrrechtliche Grundrechts Verständnis um objektiv-institutionelle Elemente an, so folgt daraus zwangsläufig, daß sich die in Art. 1 Abs. 3 GG statuierte Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte nicht in der Beachtung des Gesetzesvorbehalts erschöpfen kann. Denn der Gesetzesvorbehalt verlangt nur, daß ein Gesetz vorliegt, nicht aber, wie dieses beschaffen ist 908 . Nimmt man die Bindung an Art. 1 Abs. 3 GG ernst, dann muß der Gesetzgeber auch bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen: So ist es allgemein anerkannt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne, wie er oben dargestellt wurde, die Geltungsintensität der Grundrechte dirigiert 909 . Der Gesetzgeber kann grundrechtseinschränkende Gesetze eben nicht ohne Wechselwirkung mit den eingeschränkten Grundrechten oder besser: nicht ohne Rückkopplung an deren freiheitliche Bedeutung erlassen. Dabei hat er nicht nur die vom Grundgesetz selbst aufgezeigten Vorgaben zu berücksichtigen 910, sondern ist vielmehr der Beachtung einer allgemeinen Zweck-Mittel-Struktur unterworfen 911. Wie oben bereits aufgezeigt wurde, sind Situationen denkbar, in denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit seiner perspektivischen Zweck-Mittel-Ausrichtung die u.U. atypischen individuell-persönlichen Belange des Pflichtigen nicht genügend berücksichtigt oder gar ganz versagt, weil sich die spezifische Fallproblematik mit den Kategorien von „Zweck" und „Mittel" überhaupt nicht erfassen läßt. In solchen Situationen kann eine Rückkopplung des grundrechtseinschränkenden Gesetzes an die Bedeutung des Einzelgrundrechts mit Hilfe des Zumutbarkeitsgrundsatzes erfolgen. Beispielsweise kann der grundrechtliche Freiheitschutz (Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungs- bzw. der wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit) bei strangulierenden Steuerbelastungen nur über die Zumutbarkeitsgrenze bewerkstelligt werden 912 . 908

Schlink, EuGRZ 1984, S. 459.

909

Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 84 ff.; Schlink, EuGRZ 1984, S. 459 ff.

910

Beispielsweise dürfen Gesetze, die nicht allgemeine Gesetze sind, aus Gründen des Jugend- und Ehrenschutzes die Meinungs- und Pressefreiheit beschränken (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu dem Zweck, die Verwahrlosung von Kindern zu verhindern, dürfen Gesetze das Mittel der Trennung von der Familie einsetzen (Art. 6 Abs. 3 GG); vgl. Schlink, EuGRZ 1984, S. 459. 911

Starck, in: Heyde/Starck,

912

S.o. S. 195 ff.

Vierzig Jahre Grundrechte, S. 15 f.

2 3 0 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Anknüpfend an den Gedanken der Bewahrung des individuellen Freiheitsraums vor unzumutbaren, weil die persönlich-individuelle Situation nicht genügend berücksichtigenden Eingriffen läßt sich das Verbot unzumutbaren Staatshandelns ähnlich wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 913 in die Schrankensystematik einbauen. (2) Eine Verankerung des Verbots der Unzumutbarkeit in den Grundrechten ist aber auch aus einem anderen Grunde geboten: Ähnlich wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist der Zumutbarkeitsgrundsatz auch Ausdruck der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG. Ausgangspunkt ist insoweit die Erkenntnis, daß sich der Wesensgehalt der Grundrechte nicht absolut und ein für allemal danach bestimmen läßt, was von dem Grundrechtsgehalt nach der Beschränkung überhaupt noch übrigbleibt 914 . Diese von Grabitz 915 als „Torso-Formel" bezeichnete Vorstellung sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, den Wesensgehalt lediglich zu umschreiben und Maßstäbe dafür, was von dem Grundrecht überhaupt noch „übrigbleiben" muß, nicht zu liefern. Will man der „Wesensgehaltssperre" überhaupt irgendeine handhabbare Kontur verleihen, so erscheint es als zwingend, sie relativ zu bestimmen: Der jeweils maßgebende Wesensgehalt ist danach immer verletzt, wenn die (Teil-)Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität sowie der Grundsatz der Zumutbarkeit nicht beachtet werden, das betroffene Grundrecht also übermäßig eingeschränkt wird 9 1 6 . Der Wesensgehaltsgarantie wird andererseits entsprochen, wenn in eine staatliche Eingriffsentscheidung alle nach Lage des Falles zu berücksichtigenden Belange, insbesondere die grundrechtsrelevanten, eingestellt werden 917 . Das Verbot der Unzumutbarkeit bringt solche grundrechtlichen Gesichtspunkte in den Vorgang der Güterabwägung ein: In dem Bestreben, den Einzelnen vor einer persönlich-individuellen Überforderung zu bewahren, verwirklicht das Verbot unzumutbaren Staatshandelns ein wesentliches Anliegen der Wesensgehaltsgarantie, nämlich eine Aushöhlung des Grundrechtsgehalts 918 zu verhindern. Wer als Zeuge 9,3 Etwa in BVerfGE 19, 342 (348 f.): Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Garant dafür, daß der allgemeine Freiheitsanspruch des Bürgers nur soweit eingeschränkt wird, als dies zum Schutze öffentlicher Interessen unerläßlich ist. 914 Hendricks , in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 19 Rn. 25; Stein, Staatsrecht, § 19 III (S. 183 ff.); so auch das Bundesverwaltungsgericht, E 1, 269 (273); 2, 85 (87); 4, 24 (37). 915

Freiheit und Verfassungsrecht, S. 107.

916

L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten, S. 263; Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 101; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 77; vom Standpunkt der Güterabwägung aus auch Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 58 ff. (64); kritisch Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 72 ff. 917 918

Häberle, ebd., S. 58 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein,

Art. 19 Rn. 10.

Dies betonen besonders die Kritiker einer relativen Wesensgehaltstheorie, vgl. Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 65 ff.

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

231

Jehovas beispielsweise sowohl den Wehrdienst als auch den Ersatzdienst verweigert, darf mit Rücksicht auf das Verbot der Unzumutbarkeit nicht durch staatliche Strafsanktionen in eine Situation unüberwindlichen psychischen Zwanges versetzt werden, er darf als Persönlichkeit mit Selbstachtung weder unmittelbar (durch Zwang zur Dienstleistung) noch mittelbar (durch die staatliche Strafsanktion) „gebrochen" werden 919 . Der Zumutbarkeitsgrundsatz gewährleistet hier durch seine individualbezogene besondere Eingriffsrechtfertigung den (relativ in Beziehung zu den „Umfeldrechtsgütern" zu bestimmenden) Wesensgehalt der Gewissensfreiheit in einem Rechtssystem, das den Menschen als Persönlichkeit und nicht abstrakte Werte zum Mittelpunkt hat. (3) Als Bestandteil der Grundrechtsgarantien nimmt der Zumutbarkeitsgrundsatz aber nicht nur an deren Verbürgungen, sondern auch an deren Grenzen teil. Mit anderen Worten sind Situationen denkbar, in denen sich der Bürger nicht auf das Verbot der Unzumutbarkeit staatlichen Handelns berufen kann. Es handelt sich dabei um Fallkonstellationen, in denen das Grundgesetz selbst die generelle Zumutbarkeit eines staatlichen Eingriffs angeordnet hat mit der Folge, daß der Zumutbarkeitsgrundsatz ins Leere läuft: Gerade die Belange, die unter normalen Umständen mit Hilfe der Zumutbarkeit berücksichtigt werden sollen, werden von der Verfassung selbst für nicht berücksichtigungsfähig erklärt. Ihre freiheitswahrende Funktion verliert die Zumutbarkeit etwa dann, wenn das Grundgesetz wie bei Art. 9 Abs. 2, Art. 21 Abs. 2 GG und Art. 18 GG echte Freiheitsverkürzungen 920 festlegt, für die auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip keine Geltung beanspruchen kann 921 . In solchen Fällen ist das Verhältnis von Freiheit und Eingriff, wie es oben als notwendig und konstitutiv für die Anwendung des Zumutbarkeitsgrundsatzes dargestellt wurde, grundlegend gestört: Auf eine „natürliche Freiheit" zum Kampf gegen die Grundlagen der Verfassungsordnung kann sich der Bürger nicht berufen 922.

919

S. dazu im einzelnen bereits oben S. 131 f.

920

T. Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, S. 124. Im Hinblick auf Art. 18 Matthey, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 18 Rn. 4 („Grundrechtsschranke"), Rn. 22 („Reduzierung der Grundrechtsdimension", der Betroffene könne das Grundrecht „nicht mehr ausüben" und „zur Rechtfertigung seines ... Handelns nicht mehr anführen"). 921 922

T. Schmidt, ebd., S. 171; Schmidt-Bleibtreu/Klein,

Art. 9 Rn. 3.

Matthey, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 18 Rn. 22 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 18 Rn. 1, 2, 2a.

232

D. Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

3. Thematische Grundrechtsparallelen Der Zumutbarkeitsgedanke läßt sich nicht nur in einen funktionalen Zusammenhang zu den Freiheitsgrundrechten bringen, auch thematische Parallelen sind offenkundig. Im Rahmen der Untersuchung zum Verhältnis von Zumutbarkeit und Angemessenheit923 hat sich erwiesen, daß der Zumutbarkeitsgedanke in besonderer Weise die „Eigenständigkeit der Persönlichkeit" schützt, indem er die Ordnungs- und Wertvorstellungen, die Handlungsmaßstäbe und Motivationslagen des Einzelnen zur Geltung bringt. Hier kann der Zumutbarkeitsmaßstab eine ihm eigene Wirkung entfalten, weil diese Aspekte der Persönlichkeitsentfaltung von der Verhältnismäßigkeitsperspektive nicht intendiert sind. Thematisch bestehen dabei weitgehende Überschneidungen mit der Schutzrichtung einzelner Grundrechte 924, so insbesondere mit Art. 4 Abs. 1 und 3 sowie Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG: Auch sie bewahren den Grundrechtsträger davor, eigene Wertvorstellungen und Handlungsmaßstäbe preisgeben zu müssen, die seine Identität, sein „So-sein" ausmachen925. Dieser Schutz geht zuweilen sogar soweit, daß - wie gerade die Sportunterrichtsfälle muslimischer Mädchen zeigen - Dispens von an sich verbindlichen Regelungen gewährt werden muß. Die angesprochenen, thematisch gleichgelagerten Grundrechtsverbürgungen können vor diesem Hintergrund als verfassungsrechlich besonders wertvolle und besonders geschützte Ausprägungen eines allgemeinen Zumutbarkeitsgedankens angesehen werden, dessen Grundanliegen in einer von der Würde des Menschen gelenkten Verfassungsordnung 926 das gesamte Staat-BürgerVerhältnis durchzieht. Andere Ausprägungen des Zumutbarkeitsgedankens, wie etwa das Problem der wirtschaftlichen Selbstschädigung oder die Unzumutbarkeit wegen eines fehlenden Verantwortlichkeitszusammenhanges 927 genießen nicht diesen besonderen thematischen Grundrechtsschutz, haben aber funktional ihre ebenfalls spezifisch grundrechtliche Wirkungsweise. In doppelter Hinsicht steht das Verbot der (Un-)Zumutbarkeit also in einem Konnex zu den Grundrechtsgarantien. Es ist deshalb auch gerechtfertigt, hierin den Sitz verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsmaßstabes zu sehen.

923

Vgl. oben S. 121 ff.

924

Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 326.

925

Dies zeigt sich besonders in den oben (S. 131 ff.) dargestellten „Gewissensfällen".

926

Starck, JZ 1981, S. 458.

927

Dazu oben S. 159 ff.

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

233

4. Die Zumutbarkeit und ihre Parallele zum Menschenwürdeprinzip Sowohl bei der prinzipiellen als auch bei der quantitativen Zumutbarkeitskonzeption hat sich nachweisen lassen, daß die Zumutbarkeit auf die Wahrung der Eigenständigkeit der Persönlichkeit, den Schutz des Individuell-Persönlichen hin orientiert ist. Dieser Aspekt legt es nahe, die Zumutbarkeit in Zusammenhang zu dem Prinzip der Menschenwürde zu bringen, wie es in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Bereits mehrfach ist dies im Rahmen dieser Arbeit auch schon angeklungen928, ohne daß es dort jeweils auf Inhalt und Funktion des Menschenwürdeprinzips entscheidend angekommen wäre. Dies soll nun nachgeholt werden. Es ist nicht überraschend, daß über die inhaltliche Bedeutung der „Menschenwürde" keine Einigkeit herrscht. Zu vielfältig sind die ethisch-philosophischen Grundanschauungen, die sich hinter diesem schillernden Begriff verbergen. Die Palette möglicher „Würdebegriffe" reicht dabei von objektivethischen bis hin zu subjektiv-psychologischen Vorstellungen: Existiert im ersten Fall die präzise Inhalts- und Rangordnung eines „Reichs der Werte", anhand derer sich die menschliche Würde nach dem jeweiligen Verwirklichungsgrad in der Person des Einzelnen bestimmen läßt, so steht im zweiten Fall das subjektiv-individuelle Empfinden des Einzelmenschen im Vordergrund, woraus dann folgerichtig die Unmöglichkeit einer Werteordnung resultiert, nach der man die Menschenwürde bestimmen könnte 929 . Das Bundesverfassungsgericht 930 und ein Teil des Schrifttums 931 operieren schon seit langem mit der sogenannten „Objektformel", die sich im Hinblick auf die Praktikabilität der jeweils erzielten Ergebnisse jedenfalls im Grundsatz 932 als tragfähig erwiesen hat: Die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verbietet es, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität 928

Insb. S. 45 f.

929

Vgl. hierzu die Zusammenstellung einiger Menschenwürdekonzepte bei Gern, NJW 1983, S. 1586 f. 930 BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198 (205); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 30, 1 (26); 45, 187 (228); 50, 167 (175); 56, 37 (43); 61, 1 (34); 74, 102 (122). 931 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 28; Stern, in: FS für Scupin, S. 638; Wintrich, BayVBl. 1957, S. 139 1. Sp.; Starck,, JZ 1981, S. 459; Baumüller, Das BVerfG und Art. 1 Abs. 1 GG, S. 66; Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 34; kritisch ders., JZ 1985, S. 209; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 57 ff. — Grundsätzlich zustimmend, jedoch teilweise ergänzend und modifizierend: Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 20 Rn. 46 ff. (S. 839 ff.); Hoerster, JuS 1983, S. 93 ff.; Redeker, BayVBl. 1985, S. 76; Dusik, Grenzprobleme der Menschenwürde, S. 47 ff.; Grimm, Allgemeine Wehrpflicht und Menschenwürde, S. 55: „Würde ist der Seinswert des Menschen". 932

Zu den Modifizierungen und Ergänzungen s. Fn. 931.

2 3 4 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

prinzipiell in Frage stellt. Diese von Dürig 933 geprägte Formel steht in der Tradition Kants, der den Würdebegriff im Sinne einer Zweckunabhängigkeit, einer Eigenwertigkeit des Menschlichen interpretiert: Würde kommt einem vernünftigen Wesen deshalb zu, weil es keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt 934 : „ I m Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde ... Das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, d.i. Würde." 9 3 5

Dieser (eigen-)wertbezogenen Konzeption steht Luhmanns leistungsorientierter Würdebegriff gegenüber: Würde ist danach definiert als „Bedingung gelingender Selbstdarstellung eines Menschen als individuelle Persönlichkeit" 9 3 6 , die nicht bereits an die Eigenwertigkeit des Menschen anknüpft, sondern erst an das Resultat erfolgreicher Identitätsbildung937 . Den Bedenken, 938 die sich gegen diese Konzeption ergeben , kann und muß hier nicht nachgegangen werden. Denn auch Luhmann zieht nicht die Konsequenz, daß sich der Einzelne seine Würde erst verdienen muß; Freiheit und Würde sind auch bei ihm als prinzipiell vorstaatliche Kategorien angelegt939 und insoweit gerade nicht „leistungsabhängig"940. Die Bedeutung der Menschenwürde ist deshalb - gleichgültig, welcher Konzeption man für die Ausfüllung des Würdeprinzips im einzelnen folgt mit einigen „unverlierbaren" Grundkonstanten verknüpft, die sich mit den Begriffen Unverfügbarkeit, Selbstbestimmung und Eigenwertigkeit bezeichnen lassen941. Hier liegt auch der Schnittpunkt mit dem Begriff der Zumut933

AöR 81 (1956), S. 127.

934

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 67.

935

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 68.

936

Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 61.

937

Formulierung von Graf Vitzthum, JZ 1985, S. 207.

938

Problematisch ist insbesondere die Frage, wonach sich die Maßstäbe für eine „gelungenen Identitätsbildung" richten; vgl. Starck, JZ 1981, S. 463; Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 20 Rn. 44 (S. 838). 939

Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 72.

940

Dies betonen auch Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 20 Rn. 44; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 119. 941 Ebenso Graf Vitzthum, JZ 1985, S. 201, 207; ders., ZRP 1987, S. 34; Wintrich, BayVBl. 1957, S. 138; Stern, in: FS für Scupin, S. 628, 636; Baumüller, Das BVerfG und Art. 1 Abs. 1 GG, S. 6 4 - 6 8 ; Grimm, Allgemeine Wehrpflicht und Menschenwürde, S. 50 ff.; Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 20 Rn. 46 ff.; Höfling, NJW 1983, S. 1583; Hoerster, JuS 1983, S. 95; Maihofer, Die Würde des Menschen, Bd. I, S. 16.

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

235

barkeit, der sich ebenfalls um diese Grundkonstanten rankt: In seiner quantitativen Komponente bringt der Zumutbarkeitsgedanke die Eigenständigkeit und Unverfügbarkeit des Individuums etwa dann zur Geltung, wenn seine Persönlichkeit durch übermäßig harte Strafen „gebrochen" werden soll 942 , wenn die Gewissensnot des Kriegsdienstverweigerers beim Dienst an der Waffe mißachtet wird 9 4 3 , wenn die Glaubensüberzeugung des Zeugen bei der Entscheidung über seine Vereidigung keine ausreichende Berücksichtigung findet 944, wenn ein obligatorisches Schulgebet dazu führen würde, daß einzelne Schüler durch den Gebetszwang in der Klassengemeinschaft diskriminiert werden 945 oder wenn in den Fällen des § 81a StPO der Beschuldigte unter Mißachtung seiner persönlichen Situation zum Untersuchungsgegenstand herabgewürdigt wird 9 4 6 . In der prinzipiellen Zumutbarkeitskonzeption kommt der Menschenwürdebezug dann zum Tragen, wenn ein Betroffener mangels besonderer persönlicher (Zahlungs-)Verantwortlichkeit als bloße Geldbeschaffungsquelle betrachtet wird. Der Arbeitnehmer etwa, der zur Finanzierung einer Glaubensgemeinschaft herangezogen wird, der er nicht angehört, ist in seinem Persönlichkeitsrecht und dadurch auch in seiner Menschenwürde verletzt 947 . Der thematische Zusammenhang von Zumutbarkeit und Menschenwürde zeigt sich besonders in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch 948: „Das Lebensrecht des Ungeborenen kann zu einer Belastung der Frau führen, die wesentlich über das normalerweise mit der Schwangerschaft verbundene Maß hinausgeht. Es ergibt sich die Frage der Zumutbarkeit (Hervorhebung vom Verfasser), mit anderen Worten die Frage, ob der Staat auch in solchen Fällen mit dem Mittel des Strafrechts die Austragung der Schwangerschaft erzwingen darf ... In einer solchen Konfliktslage, die im allgemeinen auch keine eindeutige moralische Beurteilung zuläßt und in der die Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft den Rang einer achtenswerten Gewissensentscheidung haben kann, ist der Gesetzgeber zur besonderen Zurückhaltung verpflichtet" 949 . Kommt es wegen der

942

BVerfGE 23, 127 (133).

943

S. bereits oben S. 131 ff. Die Frage der Kriegsdienstverweigerung steht in engem Zusammenhang mit Gewissensfreiheit und Menschenwürde; vgl. dazu Berg, AöR 107 (1982), S. 595, 600. 944

S. bereits oben S. 137.

945

S. bereits oben S. 138 f.

946

S. bereits oben S. 139 f.

947

BVerfGE 19, 226 (237 ff.); Ossenbühl, in: FS für Gesellschaft für Rechtspolitik,

S. 326. 948

BVerfGE 39, 1 ff.

949

BVerfGE 39, 1 (48).

2 3 6 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Menschenwürde des Nasciturus generell zu einem Vorrang seines Lebensrechts vor dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter, so ist es andererseits Ausdruck der Menschenwürde der Schwangeren, wenn im konkreten Fall ihrer „achtenswerten Gewissensentscheidung" durch das Zumutbarkeitsprinzip Geltung verschafft wird. Die Zumutbarkeit ist hier unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Eigenständigkeit der Person Ausdruck der Menschenwürdegarantie 950 . Dies wirft die Frage auf, ob der Zumutbarkeit eigenständige Bedeutung neben der Menschenwürdegarantie zukommt, oder ob besser nicht gleich Art. 1 Abs. 1 GG zur Lösung solcher Fälle heranzuziehen ist. Die Antwort hierauf ist mit Blick auf Funktion und Rechtsnatur der Menschenwürdegarantie zu suchen: Unabhängig von der Frage, ob Art. 1 Abs. 1 GG selbst ein Grundrecht enthält 951 ist jedenfalls anerkannt, daß die Menschenwürdegarantie als Leitprinzip der Verfassung auf die Einzelgrundrechte ausstrahlt 952, mit anderen Worten wird sie in den Einzelgrundrechten präzisiert. Dies bedeutet konsequenterweise, daß jede staatliche Belastung auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürde hin zu überprüfen ist. Dabei ist jedoch zu beachten, daß nicht schon jede Rechtsgutsverletzung, die notwendigerweise den persönlichindividuellen Bereich berührt, die Menschenwürde tangiert 953 . Als verfassungsrechtliche Fundamentalnorm ist das Menschenwürdeargument nur dann einsetzbar, wenn es um einen verfassungsrechtlichen Fundamentalkonsens geht; man wird Art. 1 Abs. 1 GG als „eiserner Ration des Verfassungsrechts" 954 nur gerecht, wenn man seinen herausgehobenen Verfassungsrang nicht durch inflationäre Verwendung aushebelt955. Dies bedeutet konkret, daß nicht bereits jede Güterabwägung, die die individuell-persönliche Situation außer Betracht läßt, zugleich einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG beinhaltet. Ansonsten wäre beinahe jeder Rechtsverstoß eine Verletzung der Menschenwürde 956. Die Güterabwägung wird vielmehr, wie bereits oben dargestellt 957 , von den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit ge950

Ebenso Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsprinzip, S. 150; Hummel-Lilj egren, Zumutbare Arbeit, S. 69. 951 Dagegen Wertenbruch, Grundgesetz und Menschenwürde, S. 31 ff.; Geddert-Steinacher, ebd., S. 167 ff.; Redeker, BayVBl. 1985, S. 75; kritisch Kloepfer, in FS für BVerfG, Bd. II, S. 413; Stern, in: FS für Scupin, S. 634. 952 Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 20 Rn. 11, 12, 56 ff.; Gern, NJW 1983, S. 1588; Wintrich, BayVBl. 1957, S. 137 f.; Stern, in: FS für Scupin, S. 638. 953

Maihofer,

954

Begriff von Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 34.

Würde des Menschen, Bd. I, S. 15.

955 Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 36; ders., JZ 1985, S. 209; kritisch auch Starck, JZ 1981, S. 463; Maihofer, Würde des Menschen, Bd. I, S. 15. 956

Der Sache nach ebenso Geddert-Steinacher,

S. 54. 957

S. 111 ff., 121 ff.

Menschenwürde als Verfassungsprinzip,

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

237

steuert, über die der jeweilige Menschenwürdegehalt in die Entscheidung einfließen kann. Besonders über die Zumutbarkeit und deren einseitige Ausrichtung auf das Verhältnis von Pflicht und persönlicher Situation vermag die Menschenwürde den Güterabwägungsvorgang zu steuern. Die thematische Parallele von Zumutbarkeit und Menschenwürde geht hier mit einer wirksamen funktionalen Parallele einher. Beschränkt man die Verwendung des Menschenwürdeargumentes richtigerweise auf fundamentale Eingriffe, so ist der Zumutbarkeit ein weites Anwendungsfeld sicher: Die Zumutbarkeitsgrenze kann bereits wirken, wenn der Schutzbereich der Würdenorm noch überhaupt nicht verletzt ist. Unzumutbarkeit ist eine zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für eine Menschenwürdeverletzung, mit anderen Worten begründet ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG zwar zwingend die Unzumutbarkeit des Eingriffs, umgekehrt ist aber nicht jede unzumutbare Belastung zugleich ein Eingriff in die Menschenwürde. Einem „notwendigen Gleichlauf 4 von Zumutbarkeit und Menschenwürde stünde bereits entgegen, daß die Zumutbarkeit als relativer Maßstab absoluten Antworten, wie sie die Menschenwürdegarantie verlangt 958 , grundsätzlich nicht zugänglich ist 959 . Absolute Zumutbarkeitsgrenzen können nur dann anerkannt werden, wenn das Grundgesetz selbst ein absolutes Verbot anordnet. Für diesen Fall ist der Rückgriff auf die Zumutbarkeit zwar zulässig, aber überflüssig, weil dann der absolute Verbotsbezirk entweder der Spezialvorschrift oder der Menschenwürde verletzt ist und diese Normen vorrangige Anwendung finden. Als Beispiel mag etwa Art. 102 GG 9 6 0 dienen: Die Todesstrafe ist selbst dann abgeschafft, wenn sie durch überwiegende Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt werden könnte. Demnach ist auch die Zumutbarkeitsgrenze absolut zu verstehen. Ein Gegenbeispiel bildet die Problematik um den finalen Rettungsschuß. Seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit scheitert nicht an Art. 102 GG, da dieser nur die repressive Ahndung eines Verbrechens, nicht dessen präventive Verhinderung verbietet 961 ; dies folgt bereits aus dem Begriff der „Strafe", der notwendig voraussetzt, daß der Betroffene die Straf-Vollstreckung nicht selbst verhindern kann. Der finale Rettungsschuß verstößt auch nicht gegen 958 Überwiegend wird bei der Menschenwürde eine absolute Eingriffsgrenze angenommen. BVerfGE 75, 369 (380): „Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluß der Menschenwürde ist, wirken die Schranken absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs". Zustimmend Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 128 Rn. 40; kritisch hierzu Kloepfer, in: FS für das BVerfG, Bd. II, S. 411 ff. 959

Hierzu bereits oben S. 46 f.

960

Art. 102 läßt sich als Spezialvorschrift zu Art. 1 Abs. 1 GG begreifen, weil die Todesstrafe selbst dann mit der Menschenwürde unvereinbar wäre, wenn es Art. 102 GG nicht gäbe, vgl. Kunig, in: v. Münch, GG-Kommentar, Art. 102 Rn. 16. 961

Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F, Rn. 553.

2 3 8 D .

Verfassungsrechtliche Verankerung des Zumutbarkeitsmaßstabes

Art. 1 Abs. 1 GG, denn er knüpft an das rechtswidrige Vorverhalten des Täters an und degradiert diesen nicht nur zur bloßen staatlichen Zielscheibe 962 . Der finale Rettungsschuß kann vielmehr durch Abwägung gerechtfertigt werden; der Gesetzgeber hat dem durch detaillierte gesetzliche Regelung, etwa in § 54 Abs. 2 bad.-württ. Polizeigesetz Rechnung getragen. Daneben ist jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Rettungsschuß im Sinne einer ZweckMittel-Relation geeignet, erforderlich und proportional sowie - zweckunabhängig - dem Betroffenen zumutbar ist. Die spezifische Zumutbarkeitsgrenze würdigt dabei in besonderem Maße und - trotz der thematischen Parallele funktional unabhängig vom Einsatz des Menschenwürdeargumentes - die Frage, ob der Täter, auf den geschossen werden soll, zum Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn es der Rechtsbrecher jederzeit in der Hand hat, seinen rechtswidrigen Angriff zu beenden und damit die Gefahren für sein Leben zu minimieren 963 . Es hat sich bei diesem Blick auf die Menschenwürdegarantie gezeigt, daß sich die Zumutbarkeit als „kleine Münze" der Menschenwürde begreifen läßt. Deshalb ist es gerechtfertigt, den verfassungsrechtlichen Sitz des Zumutbarkeitsgrundsatzes in Art. 1 Abs. 1 GG sowie in seinen Einzelausprägungen, den Freiheitsgrundrechten, zu erblicken.

5. Folgerung aus der Anbindung an die Grundrechte und die Menschenwürde Bei der Frage nach dem Geltungsgrund des Zumutbarbeitsmaßstabes haben sich funktionale und thematische Parallelen zu Wesen und Institution der Freiheitsrechte einerseits, zur Menschenwürdegarantie andererseits finden lassen. Freiheitsrechte und Menschenwürdegarantie dienen ebenso wie der Zumutbarkeitsmaßstab dem Freiheitschutz des Bürgers. Unabhängig von der Anerkennung eines objektiv-institutionellen Grundrechtsgehaltes dient die Zumutbarkeit in Verbindung mit den Abwehrrechten auch immer der Aufrechterhaltung eines Restes „natürlicher" Freiheit des Einzelnen „vom" Staat. Der verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsgrundsatz kann deshalb niemals in Verkehrung dieser Schutzrichtung als Ermächtigung für den Staat zum Eingriff in die Freiheit des Bürgers herangezogen werden 964 . Zwar bleibt es dem

962

Merten, in: FS für Doehring, S. 592; Lorenz., in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 128 Rn. 42. 963 So ausdrücklich zur Zumutbarkeit - allerdings unter Vermengung mit dem Proportionalitätsgedanken - Merten, ebd., S. 602. 964

Instruktiv in diesem Zusammenhang ist das Sondervotum der Richter Rupp v. Brünneck und Simon zum Abtreibungsurteil E 39, 1 (73 ff.). Beide Richter halten es für eine

IV. Die (Freiheits-)Grundrechte als Geltungsgrund

239

Gesetzgeber unbenommen, die „Zumutbarkeit" einfachrechtlich als Mittel zur Freiheitsverkürzung einzusetzen, etwa unter Berufung auf diesen Topos staatliche Leistungen zu verweigern. In verfassungsrechtlicher Hinsicht aber ist der Zumutbarkeitsgedanke strikt an den Gesichtspunkt der Eingriffsverschonung mit antistaatlicher Stoßrichtung gebunden.

Verkehrung der „Freiheits"rechte in ihr Gegenteil, wenn sie als objektive Wertentscheidungen dazu dienen sollen, den Freiheitsraum des Einzelnen zu verkürzen. Dies liegt aber nur in der Konsequenz der Ausweitung bloßer Abwehrrechte zu Richtwerten für die Sozialgestaltung. — Für die Zumutbarkeitsproblematik stellt sich diese Frage nicht, weil dem Zumutbarkeitsgrundsatz in Anbindung an das „Wesen der Freiheitsrechte" eine solch sozialgestaltende Funktion fehlt.

E. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung I . Ergebnisse zu den Kapiteln A. und B. 1. Philologische Erwägungen haben ergeben, daß als „Zumutung" nur ein Verlangen gelten kann, das vom Betroffenen aus Gründen, die seiner persönlichen Sphäre entstammen, als lästig, schwierig, widersinnig oder ungerecht empfunden wird. Auch die juristische Fachterminologie kann an diesen Erwägungen nicht achtlos vorübergehen. Juristisch gesehen können folglich mit dem Zumutbarkeitskriterium nur solche Fallkonstellationen erfaßt werden, in denen es um die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse und Situationen geht. Ausschließlich drittbezogene Interessen können niemals über die Zumutbarkeit Eingang in die juristische Argumentation finden. 2. Als Rechtsbegriff unterscheidet sich die Zumutbarkeit grundlegend von der Unmöglichkeit: Bei der Unmöglichkeit kann eine Leistung tatsächlich nicht erfolgen, bei der Unzumutbarkeit kann sie zwar erfolgen, ist aber normativ vom Betroffenen nicht zu verlangen: Er kann leisten, muß dies aber nicht. 3. Die Zumutbarkeit hängt wesensmäßig mit dem Zuständigkeits- und Verantwortlichkeitsgedanken zusammen. Die Zumutbarkeit ist umso eher zu bejahen, als der Betroffene ein bestimmtes Risiko zu verantworten hat, für dessen Folgen er bei wertender Betrachtung „zuständig" ist. 4. Die Zumutbarkeitsklausel ist Korrektiv der starren Gesetzesanwendung im Interesse einer gerechten Einzelfallentscheidung. Als Korrektiv berücksichtigt sie normative Gesichtspunkte, die der gesetzgeberischen Wertung zu entnehmen sind. Als normatives Prinzip ist die Zumutbarkeitsklausel Teil der Rechtsanwendung, nicht der Rechtsschöpfung. 5. Die Unterscheidung in relative und absolute (Un-)Zumutbarkeit ist mangels vergleichbarer Parallele nicht ins Öffentliche Recht zu übernehmen, stattdessen spricht man besser von konkret-individueller und abstrakt-genereller (Un-)Zumutbarkeit. 6. Als Teil der gerechtigkeitsorientierten Billigkeitsentscheidung ist die Zumutbarkeit einzelfallbezogen, im Spannungsfeld von Individualität und Normsystem berücksichtigt sie das Individuell-Besondere. Für die Gerechtigkeitsaussage generell-abstrakter Rechtsnormen ist der Zumutbarkeitsgedanke nicht geeignet.

II. Ergebnisse zu den Kapiteln C. und D.

241

7. Als subjektbezogener Rechtsmaßstab ist die Zumutbarkeit inhaltlich allein nach der Person des Betroffenen zu beurteilen. Eine „Objektivierung" bzw. „Generalisierung" ist möglich, soweit es um die Frage geht, ob vom Betroffenen empfundene Unzumutbarkeiten von der Rechtsordnung anerkannt werden. Maßstab hierfür ist die Sicht des objektiven Durchschnittsbetrachters. 8. Vom Zumutbarkeitsgedanken kann per definitionem keine absolute Grenzziehung zwischen (gerade) noch Zumutbarem und (schon) nicht mehr Zumutbarem erwartet werden. Eine inhaltliche Konkretisierung des Begriffes läßt sich nur im Einzelfall treffen. Generell-abstrakt ist eine Annäherung nur durch Umschreibung möglich. 9. Der Gesetzgeber bedient sich des Begriffes der (Un-)Zumutbarkeit auf den verschiedensten Rechtsgebieten. Eine einheitliche „Unzumutbarkeitssystematik" oder auch nur eine einheitliche Verwendung des Begriffes im einfachen Gesetzesrecht ist nicht erkennbar. 10. Zumutbarkeit und Abwägung schließen sich nicht aus. Die Zumutbarkeitsgrenze kann nicht starr und absolut, sondern nur relativ bestimmt werden. Als relative Größe ist die Zumutbarkeit der Abwägung zugänglich. Die Abwägung wird allerdings durch die strenge Personenbezogenheit der Zumutbarkeit beschränkt. Dies führt dazu, daß der Abwägungsvorgang hier einen spezifisch personenbezogenen Blickwinkel hat und zwar das Verhältnis einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Person des Betroffenen gewichtet, nicht aber das Verhältnis der im Spiele befindlichen Rechtsgüter und Interessen.

I I . Ergebnisse zu den Kapiteln C. und D. 11. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit werden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte oftmals in einem Atemzug genannt. Zwar ist dabei nicht abschließend zu entnehmen, wie und wodurch sich beide Argumentationstopoi im einzelnen voneinander unterscheiden, es ist jedoch unverkennbar, daß dem Zumutbarkeitsgedanken jedenfalls auch eigenständige Bedeutung beigemessen wird, weil sich mit seiner Hilfe eigenständige Wertungsaspekte in die Entscheidung einbringen lassen. 12. Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit sind gleichermaßen Bestandteil der Abwägung im Verfassungsrecht. Dies äußert sich insbesondere darin, daß eine „abgewogene" Entscheidung nur dann vorliegt, wenn sie erstens verhältnismäßig und zweitens dem Betroffenen auch zumutbar ist. 13. Als „Abgewogenheitsmaßstäbe" unterscheiden sich Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in doppelter Hinsicht:

16 Albrecht

242

E. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung

a) Wird die Zumutbarkeit im quantitativen Sinne verstanden, so ist sie zwar wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine relative Größe, beide Maßstäbe unterscheiden sich aber perspektivisch: Während mit Hilfe der Verhältnismäßigkeit eine Zweck-Mittel-Beziehung in den Blick genommen wird, beurteilt die Zumutbarkeit das Verhältnis einer (unter Umständen bereits als verhältnismäßig anzusehenden) Pflicht im Hinblick auf die persönliche Situation des Betroffenen. Entscheidend ist hierbei, daß die Situation des Pflichtigen bei der Zumutbarkeitsperspektive anders als bei der Verhältnismäßigkeit nicht durch den Blick auf die bei der Abwägung beteiligten Zielrechtsgüter relativiert, sondern einer isoliert-eigenständigen Beurteilung unterzogen wird. b) Wird die Zumutbarkeit im prinzipiellen Sinne verstanden, so unterscheiden sich Zumutbarkeits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur perspektivisch, sondern kategorial. Weil die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch hier in das Korsett eines Zweck-Mittel-Verhältnisses eingezwängt ist, versagt sie in den Fällen, in denen sich die spezifische Sachverhaltsproblematik nicht ausreichend mit der Zweck-Mittel-Betrachtung erfassen läßt, sei es, daß man der Eingriffsmaßnahme schon keinen konkreten Verwaltungszweck zuordnen kann, sei es, daß die staatliche Belastung nicht quantitativ-zweckbezogen ihrer Höhe und ihres Umfangs nach, sondern grundsätzlich, d.h. aus prinzipiellen Gründen angegriffen wird. 14. Obwohl der Zumutbarkeitsgedanke ein zwingend individualbezogener Bewertungsmaßstab ist, läßt er sich im Hinblick auf seine prinzipielle Komponente in gewissem Maße abstrahieren und typisieren: a) Fremdnützige und drittbegünstigende Zwangsverpflichtungen des Bürgers sind diesem nur zumutbar, wenn für die Heranziehung ein entsprechender Legitimationsgrund in Form gesteigerter Verantwortlichkeit des Herangezogenen für die zu erfüllende Aufgabe besteht. b) Fremdnützige und drittbegünstigende Zwangsfinanzierungspflichten, die über die allgemeine Steuerlast hinausgehen, sind dem Bürger gegenüber nur dann zumutbar, wenn ihn für die Begünstigten und die ihnen gewährten Vorteile eine besondere Verantwortlichkeit trifft oder von ihm eine sonst die Maßnahme legitimierende besondere Solidarität erwartet werden kann. Unzumutbar ist es für den Betroffenen, den sozialen oder wirtschaftlichen Gegenspieler finanzieren zu müssen, wenn sich die mit der Finanzierung ermöglichte oder unterstützte Tätigkeit gerade wieder gegen den Finanzierungspflichtigen richten kann. Insoweit mutet die Rechtsordnung nicht zu, die eigenen Interessen zu verleugnen. 15. Weil es möglich ist, den Zumutbarkeitsgedanken unmittelbar auf die Gerechtigkeitsidee zurückzuführen, handelt es sich um einen Allgemeinen Rechtsgrundsatz. Seine verfassungsrechtliche Verankerung findet der Zumut-

II. Ergebnisse zu den Kapiteln C. und D.

243

barkeitsmaßstab als Verbot unzumutbaren Staatshandelns im Menschenwürdeprinzip verbunden mit den Freiheitsgrundrechten als dessen Einzelausprägungen.

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