116 25 6MB
German Pages 638 [639] Year 2015
I
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 191
II
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Thomas Riehm
Der Grundsatz der Naturalerfüllung
Mohr Siebeck
IV Thomas Riehm, geboren 1973, Studium der Rechtswissenschaften und Referendariat in München; 2006 Promotion an der LMU München; 2005–2007 DAAD-Fachlektor in Paris/ Créteil; 2008–2011 Forschungsstipendium der DFG; 2011 Habilitation an der LMU München (venia legendi: Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Europäisches Privatrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie); 2011–2012 Lehrstuhlvertretung an der Universität Augsburg; 2012–2013 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rechtsvergleichung, Europäisches Privatrecht und Zivilverfahrensrecht an der Phi lipps-Universität Marburg; seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Zivilverfahrensrecht und Rechtstheorie an der Universität Passau.
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn, der Geschwis ter Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und der Universität Passau.
e-ISBN PDF 978-3-16-152455-4 ISBN 978-3-16-152454-7 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel-Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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Vorwort Das vorliegende Werk beruht auf meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2011 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Für die Drucklegung wurde sie durchgehend überarbeitet und aktualisiert, sowie v.a. um das Kapitel zu den Internationalen und Europäischen Regelwerken erweitert. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand Juli 2014. Die Entstehung der Arbeit wurde durch ein Forschungsstipendium der DFG ermöglicht. Die Drucklegung wurde durch die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften sowie durch die DFG und die Universität Passau großzügig gefördert. Ihnen sei hierfür herzlich gedankt. Betreut wurde die Habilitationsschrift von meinem verehrten akademischen Lehrer Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris. Ihm verdanke ich meine wissenschaftliche Ausbildung; die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl von 1998 bis zu seiner Emeritierung 2005 hat mich fachlich wie persönlich ebenso bereichert wie geprägt. Daran war ganz wesentlich auch Prof. Dr. Hans Christoph Grigoleit, LL.M. beteiligt; aus dem Austausch mit ihm sind neben zahlreichen gemeinsamen Publikationen auch die Grundlagen zu dieser Arbeit entstanden. Besonderer Dank gebührt ihm auch dafür, dass er mich während meines DFG-Stipendiums an seinem Lehrstuhl beherbergt hat. Äußerst fruchtbar und anregend war auch der Gedankenaustausch mit den weiteren Kolleginnen und Kollegen, v.a. mit Prof. Dr. Carsten Herresthal, LL.M. und Prof. Dr. Marietta Auer, M.A., LL.M., SJD sowie mit dem viel zu früh verstorbenen Prof. Dr. Hannes Unberath, MJur. Ihnen allen sei an dieser Stelle auf das Herzlichste gedankt. Doppelter Dank gilt Prof. Dr. Stephan Lorenz: Zum einen für das Vertrauen, das er mir lange vor Abschluss meiner Promotion entgegengebracht hat, indem er mich als Co-Autor für das „Lehrbuch des neuen Schuldrechts“ geworben hatte, in dem schon der Kern einiger Gedanken der vorliegenden Arbeit entwickelt wurde. Und zum anderen für die rekordverdächtige Erstellung des Zweitgutachtens innerhalb nur eines Wochenendes. Die Entstehung dieser Arbeit wäre ohne tatkräftige Unterstützung von vielen Seiten nicht möglich gewesen. Dank hierfür gebührt zunächst den studentischen Hilfskräften des Lehrstuhls Grigoleit in München, namentlich Benjamin Bremer, Nele Briesemeister, Franziska Gruber, Aurelia Kössinger, Marika Öry, Piotr Rataj und Daniel Reich für ihre Hilfe bei der Literaturbeschaffung, sowie
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Vorwort
vor allem Christa Hausmann für ihre Allgegenwart während der Entstehung der Habilitationsschrift. Während der Vorbereitung der Drucklegung haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an meinen Lehrstühlen an der Philipps-Universität Marburg und an der Universität Passau wertvolle Dienste bei Literaturbeschaffung und Manuskriptkorrektur geleistet: In Marburg Sabine Albrecht, Pia Figge, Eliane Haustein, Jonathan Poppe, Anna Böhmer, Vanessa Hager und Anna Radina, in Passau Carmen Hüttinger, Anna Lena Jessen, Lukas Lindner und Theresa Wiedemann. Für die akribische Erstellung des Sachregisters danke ich Stephan Bühner (Marburg), Dr. Thomas A. Heiß und Stefan Trommler (Passau), und für mühevolles Korrekturlesen Monika Hilbert, Carmen Hüttinger und Lukas Lindner. Der größte Dank gebührt aber meiner Frau Bettina: Ohne sie wäre dieses Buch nie fertig geworden. Passau/München, im Juli 2014
Thomas Riehm
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Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 9 10
Erster Teil
Grundlagen § 1. Naturalerfüllung und Geldleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Geldkondemnation und Grundsatz der Naturalkondemnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die verschiedenen Stufen der Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die möglichen Verwirklichungsstufen des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Bewertung der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 20 31 43
64
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Die Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
VIII
Inhaltsübersicht
IV. Die Rechtsentwicklung in Deutschland seit dem Ende des römischen Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Rechtsentwicklung in Frankreich seit dem 18. Jahrhundert . . . . . VI. Die Rechtsentwicklung im common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Bedeutung ökonomischer Argumente im Leistungs störungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ökonomische Analyse des vertraglichen Leistungsstörungsrechts . . IV. Folgerungen für den Grundsatz der Naturalerfüllung im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Folgerungen für gesetzliche Naturalerfüllungsansprüche . . . . . . . . . .
89 105 120 147
150
150 155 164 190 215
Zweiter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht § 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
I. Die primäre Pflicht des Schuldners zur Naturalleistung . . . . . . . . . . . . II. Das primäre Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung . . . . . . . . . III. Der sekundäre Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers . . . . . . . . . IV. Dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252
§ 5. Die Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . .
269
I. Vertragliche Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fristablauf und Schadensersatzverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Persönliche Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
270
219 221 224 241
274 307 323 355
Inhaltsübersicht
IX
VI. Weitere Gründe für einen sofortigen Übergang auf den Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 VII. Folgerungen für den Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . 387
§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht . . . . . . . . . .
404
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 II. Die Anwendung auf die Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 III. Die Anwendung auf den negatorischen Beseitigungsanspruch . . . . . . 418
§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ansprüche auf die Herausgabe beweglicher Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterlassungspflichten (§ 890 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einstweiliger Rechtsschutz bei Naturalerfüllungsansprüchen . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429 430 433 439 441 445
Dritter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung in internationalen und europäischen Regelwerken § 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449
I. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 II. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im acquis communautaire . . . . 457
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Pflicht zur und der Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . II. Grenzen des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen und Umfang des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prozessrecht und Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463 465 504 518 524 526
X
Inhaltsübersicht
Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 I. Naturalerfüllung und Geldleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die geschichtliche Entwicklung des Grundsatzes der Natural erfüllung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . IV. Der Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . VII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung . . VIII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529 530 533 535 536 542 544 545 546
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
XI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1. Einbezogene Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
a) Keine Beschränkung auf vertragliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 b) Die universelle Dimension der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 c) Einbeziehung gesetzlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2. Einschränkung: Keine Behandlung der vertraglichen Lösungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3. Die Einbeziehung des Prozess- und Vollstreckungsrechts . . . . . . . . . 6 4. Terminologische Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
a) Naturalleistungsanspruch und Geldanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Primär- und Sekundäranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 c) Schadensersatz, Wertersatz, stellvertretendes Commodum . . . . . . . . . . . 9
III. Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 IV. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Erster Teil
Grundlagen § 1. Naturalerfüllung und Geldleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Geldkondemnation und Grundsatz der Naturalkondemnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einteilung nach dem Ziel von Klage, Urteil und Vollstreckung . . . . 2. Schuld und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Perspektiven von Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 15 17 18
XII
Inhaltsverzeichnis
II. Die verschiedenen Stufen der Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Naturalerfüllung durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners . . . . . . . . 3. Reiner Geldersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rangfolge der Befriedigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dogmatische Einordnung der Befriedigungsstufen . . . . . . . . . . . . . . .
a) Vertragliche Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rücktrittsfolgenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Actio negatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 20 22 23 24 25 25 26 28 29 30 30
III. Die möglichen Verwirklichungsstufen des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Materiell-rechtliche Verwirklichungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Naturalleistungspflicht des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Materiell-rechtlicher Vorrang des primären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Materiell-rechtlicher Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Prozessuale Verwirklichungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagbarkeit des Naturalerfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstreckbarkeit von Urteilen auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Handlungsvollstreckung durch Ersatzvornahme . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Handlungsvollstreckung durch Zwangsgeld bzw. Zwangshaft . . . . . dd) Mittelbarer Zwang durch Geldkondemnation oder Personalexekution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 33 33 35 37 37 39 39 40 41 42
IV. Die Bewertung der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Vertragliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Die Interessen des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Das Interesse am Erhalt der Naturalleistung (Substanzinteresse) ���� 44 (1) Vertretbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Unvertretbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Das Interesse an der plangemäßen Verwendung der Leistung (Verwendungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 cc) Das Interesse am rechtzeitigen bzw. zeitnahen Erhalt der Naturalleistung (zeitabhängiges Verwendungsinteresse) . . . . . . . . . . 47 dd) Das Interesse an der Vermeidung des Insolvenzrisikos (Solvenzinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Die Interessen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Inhaltsverzeichnis
XIII
aa) Das Interesse an der Befreiung von der Leistungspflicht (Liberationsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Interesse an der Realisierung des Vertragsgewinnes .(Gewinninteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Interesse an der Erbringung der Sachleistung selbst (Leistungserbringungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Interesse, die Rückabwicklung des Vertrags zu vermeiden (Vertragsdurchführungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 51 52 53
2. Gesetzliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Die Interessen des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Das Interesse am Erhalt der Naturalleistung (Substanzinteresse) ���� 54 bb) Das Interesse an der plangemäßen Verwendung des geschuldeten Gegenstandes (Verwendungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Das Interesse an der Vermeidung des Insolvenzrisikos (Solvenzinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Die Interessen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 aa) Das Interesse an der Befreiung von der Verbindlichkeit (Liberationsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Das Interesse an der Realisierung interner Kostenvorteile (Gewinn.interesse i.w.S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Das Interesse an der Erbringung der Leistung (Leistungserbringungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3. Die gemeinsamen Interessen beider Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Das Interesse an der Möglichkeit der Feststellung der Leistungspflicht dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Das Interesse an einer rechtssicheren Bestimmung des Schuldinhalts ���� 60 4. Die Interessen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
a) Absolute Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Forderungen Dritter (Gläubigerkonkurrenz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Funktionen des Naturalerfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Leitfragen für die funktionale Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Klassisches römisches Recht: Von der Personalexekution zur condemnatio pecuniaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung im Legisaktionenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Der Übergang zum Grundsatz der Geldkondemnation im Formularprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
XIV
Inhaltsverzeichnis
2. Die Rückkehr zu Naturalkondemnation und Natural vollstreckung im Kognitionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Das Fehlen eines Anspruches auf Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . 79
a) Die Fortsetzung der Kontroverse in der Zeit der Glossatoren . . . . . . . . 79 b) Weitere Ausdifferenzierungen in der Zeit der Kommentatoren . . . . . . . 81
5. Kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 6. Usus modernus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Die Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IV. Die Rechtsentwicklung in Deutschland seit dem Ende des römischen Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Deutsche Partikularrechte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
a) Ausgangspunkt: Orientierung am römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Wiedererstarken der Naturalkondemnation in der Neuzeit . . . . . . . . . . 91
2. Die Entwicklung in Deutschland bis zum preußischen Allgemeinen Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Deutsche Wissenschaft und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert . . . 94 a) Schuld und Haftung in der Diskussion des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . b) Die prozessuale Durchsetzung des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . aa) Die Trennung zwischen materiellem Anspruch und prozessualer Klagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94 96 96 97
4. Das Bürgerliche Gesetzbuch 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Grundsatz der Naturalerfüllung im BGB 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übergangstatbestände im BGB 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmöglichkeit (§ 275 BGB 1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachfristsetzung und ihre Entbehrlichkeit (§ 326 BGB 1900) . . . . . c) Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 99 100 100 101 103
5. Änderungen durch die Schuldrechtsreform 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Die Rechtsentwicklung in Frankreich seit dem 18. Jahrhundert . . . . . 105 1. Vom Vernunftrecht zum Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Code Civil . . . . . . . . . . 107 a) Der materiell-rechtliche Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . aa) Handlungspflichten i.w.S. (obligations de faire) . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterlassungspflichten (obligations de ne pas faire) . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit: Universeller Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . dd) Verbleibender Anwendungsbereich des Art. 1142 Code Civil . . . . . ee) Kein Vorrang der Naturalrestitution im Schadensrecht . . . . . . . . . . b) Die Zwangsvollstreckung mittels astreinte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 108 110 110 111 112 113
Inhaltsverzeichnis
XV
3. Die kaufrechtliche Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Ausblick: Aktuelle Reformbestrebungen in Frankreich . . . . . . . . . . 117 VI. Die Rechtsentwicklung im common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Zur geschichtlichen Entwicklung von common law und equity . . . 121 2. Die Entwicklung vertraglicher Erfüllungsansprüche nach common law und equity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Action of covenant, action of debt sur obligation und action of detinue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entwicklung der allgemeinen Haftung für Vertrags verletzungen aus dem Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Specific performance nach equity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der adequacy-test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Maßstäbe der discretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderregelungen im Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die vertragstheoretischen Begründungen für den Vorrang des Geldersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Zusammenhang mit den Voraussetzungen und Folgen des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124 126 128 129 131 134 136 138
3. Die Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Naturalerfüllung bei außervertraglichen Schuldverhältnissen . . . . 141 a) Ansprüche aus Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Ansprüche aus Rückabwicklung gescheiterter Verträge . . . . . . . . . . . . . 143
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
150
I. Zur Bedeutung ökonomischer Argumente im Leistungs störungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Erkenntnisziele der ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Deskriptive ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Normative ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
2. Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Verhältnis zur teleologischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Allokationseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Das Pareto-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Das Kaldor-Hicks-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
XVI
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2. Das Coase-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
a) Effizienzthese und Invarianzthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die Transaktionskostentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
3. Property rules und liability rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
a) Ökonomische Begründung der Unterscheidung und Folgerungen . . . . 162 b) Übertragung auf das Leistungsstörungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
III. Ökonomische Analyse des vertraglichen Leistungsstörungsrechts . . 164 1. Der Vertrag und seine Durchführung als Wohlfahrtssteigerung �� 165 2. Die ökonomische Funktion der Vertragsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Konkrete Vertragsbindung zum Schutz des vertragsimmanenten Wohlfahrtsgewinnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutionelle Vertragsbindung zum Schutz der vertrags spezifischen Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Vertrag als Schnittstelle zwischen den Risikosphären der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Prinzip der Indifferenz in der ökonomischen Analyse von Leistungsstörungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Die Lehre vom effizienten Vertragsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fälle des effizienten Vertragsbruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrgebot eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Minderung bzw. Wegfall des Leistungsinteresses des Gläubigers . . b) Grundannahmen der Lehre vom effizienten Vertragsbruch . . . . . . . . . . aa) Vollständige Kompensation des Gläubigerinteresses durch Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Realisierbarkeit des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kenntnis des Schuldners vom Leistungsinteresse des Gläubigers . . dd) Wirtschaftliche Neutralität des Vertragsbruches im Übrigen . . . . . c) Die marginale Bedeutung der Frage für das Leistungsstörungsrecht insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kritik der Lehre vom effizienten Vertragsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrgebot eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erhöhung des Leistungsaufwandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reduktion des Leistungsinteresses des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . dd) Moralische Grundsatzkritik an der Zulassung des effizienten Vertragsbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dogmatische Einordnung der Lehre vom effizienten Vertragsbruch . . .
166 167 169 171 173 173 173 174 174 174 175 177 178 179 180 181 181 184 186 187 189
IV. Folgerungen für den Grundsatz der Naturalerfüllung im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Ökonomische Nachteile des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . 191 a) Unwirtschaftlicher Leistungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Gefahr irrationalen Bestehens auf der Naturalerfüllung (hold-up) . . . . 192 c) Gefahr überteuerter Investitionen bzw. Vorhaltekosten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
XVII
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d) Risiko überhöhter Erfüllungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhandlungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Durchsetzungs- und Überprüfungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kein Anreiz zur Annahme des Mehrgebots eines Dritten . . . . . . . . . . . . h) Keine Schadensminderungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 195 196 197 198
2. Ökonomische Vorteile des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . a) Sichere Realisierung des Leistungsinteresses des Gläubigers . . . . . . . . . b) Anreiz für Verhandlungen vor Vertragsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vermeidung von Verlusten durch die Schadensermittlung . . . . . . . . . . . d) Vermeidung von Fehlanreizen durch defizitäre Schadensermittlung . . . e) Zutreffende Allokation der Verwendungsrisiken und -chancen . . . . . . . f) Vermeidung von Rechtsverfolgungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Schutz der vertragsspezifischen Investitionen des Schuldners . . . . . . . . h) Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs in die Verlässlichkeit von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 200 201 202 203 204 205 205
3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Der grundsätzliche Vorrang des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Definitionsmacht des Gläubigers hinsichtlich seines Leistungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Schutz der Investitionen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Schutz vor irrationalem bzw. rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Deckungsgeschäft und reiner Wertersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Disponibilität des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . .
207
207
208 209 210 211 213 214
V. Folgerungen für gesetzliche Naturalerfüllungsansprüche . . . . . . . . . . 215 Zweiter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht § 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
I. Die primäre Pflicht des Schuldners zur Naturalleistung . . . . . . . . . . . . 219 1. Existenz einer Naturalleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Vorrang der Naturalerfüllungspflicht des Schuldners . . . . . . . . . . . . 220 II. Das primäre Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung . . . . . . . . . 221 1. Existenz eines Rechts des Gläubigers auf die Naturalleistung . . . . 221 2. Vorrang des Rechts des Gläubigers auf die Naturalleistung . . . . . . 222
a) Grundsatz im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Sonderregelung im Schadensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
XVIII
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III. Der sekundäre Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers . . . . . . . . . 224 1. Existenz eines sekundären Naturalerfüllungsanspruches . . . . . . . . 225 2. Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsanspruches . . . . . . . . . . 227 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Umsetzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
3. Insbesondere: Der Anspruch auf Mängelbeseitigung . . . . . . . . . . . . 232
a) Nacherfüllung im Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Nacherfüllung im Kauf- und Mietrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Mängelbeseitigung im Reisevertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
4. Insbesondere: Der Naturalerfüllungsanspruch bei Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Der Schutz des Schuldners vor „Zwangsarbeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Das besondere Naturalleistungsinteresse des Schuldners . . . . . . . . . . . . 239 c) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
IV. Dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Erfüllungsanspruch als Primäranspruch oder als Rechtsbehelf? . . 241 a) Der Primäranspruch als Folge der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Die unterschiedlichen Voraussetzungen von Primäranspruch und Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Die dogmatische Einordnung des Nacherfüllungsanspruches . . . . . . . . 246
2. Schuldnerpflicht und klagbarer Erfüllungsanspruch . . . . . . . . . . . . . 247 3. Erfüllungsanspruch und Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
a) Der Primäranspruch als orginärer, schadensunabhängiger Anspruch . . 249 b) Insbesondere: Anderweitige Befriedigung des Leistungsinteresses . . . . 250
V. Die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Annahme der Naturalleistung als Obliegenheit des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners nach Eintritt einer Leistungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzpflicht des Gläubigers zur Annahme bzw. Mitwirkung an der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspruch des Schuldners auf Annahme der Naturalleistung? . . . . 5. Insbesondere: Die sog. voreilige (oder eigenmächtige) Selbstvornahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252 253 254 255 259
260 a) Eingrenzung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Differenzierende Lösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Dogmatische Konstruktion des Ausgleichsanspruches . . . . . . . . . . . . . . 266
Inhaltsverzeichnis
§ 5. Die Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . .
XIX 269
I. Vertragliche Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Individualvertragliche Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Abbedingung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . 272 II. Fristablauf und Schadensersatzverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Teleologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Die Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Die Überlegenheit des Fristsetzungsmodells gegenüber alternativen Regelungsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
2. Anforderungen an die Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
a) Die Konkretisierung der gesetzten Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Die Konkretisierung der Leistungsaufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Die Angemessenheit der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
3. Das Schadensersatzverlangen (§ 281 Abs. 4 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Die Schwebelage nach Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Rechtsnatur und Inhalt des Schadensersatzverlangens (§ 281 Abs. 4 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Folge des Schadensersatzverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
4. Vollständige und teilweise Nichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Recht zur Zurückweisung von Teilleistungen (§ 266 BGB) . . . . . . . b) Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach Annahme der Teilleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkungen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung der Arglist des Schuldners? . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die minus-Lieferung im Kauf- und Werkvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Behandlung der teilweisen Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 293 294 294 296 297 298
5. Sonderproblem: Anwendung auf bloße Herausgabeansprüche . . . 299 a) Sonderfall: Wohnraummiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übrige Mietverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendung des § 281 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung des § 281 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Höhe des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299 300 300 301 302 303
6. Die schadensrechtliche Parallelregelung in § 250 BGB . . . . . . . . . . . 305
a) Ablehnungsandrohung und Wegfall des Herstellungsanspruches . . . . . 305 b) Entbehrlichkeit der Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
III. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Die Funktionen der Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Unmöglichkeit und Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
XX
Inhaltsverzeichnis
3. Objektive und subjektive Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4. Vorübergehende Leistungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Der Erfüllungsanspruch während des Bestehens des Leistungshindernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Der Übergang auf den Geldleistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Anwendung der Verzugsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
5. Unsichere Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 IV. Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
a) Funktion des § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zur Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zur Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verstoß gegen die Privatautonomie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 327 327 329
2. Die Abwägung gem. § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Der Aufwand des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Leistungsinteresse des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unerheblichkeit des Vertragspreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Vertretenmüssen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das grobe Missverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht zu vertretende Leistungserschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zu vertretende Leistungserschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 334 335 337 339 340 341
3. Die Abwägung gem. §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . 342
a) Relative Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b) Absolute Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
4. Folgerungen für die Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 a) Ausgestaltung des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . 346 b) Ausgleichsanspruch für den Fall der nicht zu vertretenden Leistungserschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
5. Die schadensrechtliche Parallelregelung des § 251 Abs. 2 BGB . . . . 351 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Insbesondere: Der „Integritätszuschlag“ bei Kfz-Schäden . . . . . . . . . . . 353
V. Persönliche Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 1. Die Sonderrolle persönlicher Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 355
a) Der Begriff persönlicher Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der grundrechtliche Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Umsetzung der Schutzgebote im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Behandlung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht . . . . . . . . . . . .
355 356 357 359
2. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB . . . . . . . 360
Inhaltsverzeichnis
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die relevanten Leistungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Berücksichtigung von Ausweichmöglichkeiten des Schuldners . . . . d) Die Abwägung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Sekundärrechte des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI 360 362 364 365 369
3. Die ergänzende Anwendung von § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 VI. Weitere Gründe für einen sofortigen Übergang auf den Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
a) Absolute Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Relative Fixgeschäfte (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 c) Fixhandelskauf (§ 376 HGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
2. Erfüllungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
a) Die Anforderungen an die Erfüllungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . 377 b) Die Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
3. Allgemeine Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die zu berücksichtigenden Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interessewegfall des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besondere Dringlichkeit der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Arglist des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schadensersatz statt der Leistung günstiger als Naturalleistung . . .
380 380 381 381 382 383 384
4. Schwerwiegende Nebenpflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 VII. Folgerungen für den Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . 387 1. Naturalrestitution durch den Schuldner (§ 249 Abs. 1 BGB) . . . . . . 388 a) Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Leistungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadensersatzverlangen nach Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis einer teleologischen Reduktion der Folgen des Übergangstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konstruktive Umsetzung der teleologischen Reduktion . . . . . . . . .
389 391 392 393 394
2. Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schuldners: Das Deckungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
a) Das Deckungsgeschäft als Naturalrestitution durch Dritte . . . . . . . . . . 397 b) Die Ersetzungsbefugnis des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
3. Reiner Geldersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 4. Differenz- und Surrogationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
XXII
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§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht . . . . . . . . . .
404
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 1. Der universelle Geltungsanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 2. Generelle Ausnahme für dingliche Ansprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 II. Die Anwendung auf die Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Sachenrechtliche Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
a) Die Regelungen über den gutgläubigen Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Verbindung, Vermischung und Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
2. Die Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf die Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
a) Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 b) Grobe Unverhältnismäßigkeit (§ 275 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 c) Fristsetzung (§ 281 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
III. Die Anwendung auf den negatorischen Beseitigungsanspruch . . . . . . 418 1. Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 2. Grobes Missverhältnis (§ 275 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 a) Die Anwendbarkeit des § 275 Abs. 2 BGB auf den Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Tatbestand des § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entschädigung des Eigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis einer Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt und Ausgestaltung der Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
420 421 423 423 425
3. Fristsetzung (§ 281 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
a) Anwendbarkeit des § 281 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 b) Die Folgen eines Schadensersatzverlangens (§ 281 Abs. 4 BGB) . . . . . . . 427
§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ansprüche auf die Herausgabe beweglicher Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand der Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO . . . . . . 3. Vollstreckung vorgelagerter Beschaffungs- oder Herstellungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429 430 430 430 431
II. Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Die maßgeblichen Interessen und Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 2. Unvertretbare Handlungen (§ 888 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
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XXIII
a) Vertretbarkeit und Unvertretbarkeit der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 b) Ausschluss der Naturalvollstreckung nach § 888 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . 435 c) Ausschluss der Naturalvollstreckung bei Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . 436
3. Vertretbare Handlungen (§ 887 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
a) Verhältnis zum Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 b) Die ergänzende Anwendung des § 888 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
III. Unterlassungspflichten (§ 890 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 IV. Einstweiliger Rechtsschutz bei Naturalerfüllungsansprüchen . . . . . . 1. Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herausgabeansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansprüche auf vertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ansprüche auf unvertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansprüche auf Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Lieferansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441 441 442 443 443 444 444 445
V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Dritter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung in internationalen und europäischen Regelwerken § 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der primäre Naturalleistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Nacherfüllungsanspruch im CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Vorrang der Naturalerfüllung im CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449 450 450 451 451
a) Erfordernis der Voraussetzungen der Vertragsaufhebung für den Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 b) Die fehlende „Wesentlichkeit“ der Vertragsverletzung bei behebbaren Mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
4. Übergangstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 II. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im acquis communautaire . . . . 457 1. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 a) Der Nacherfüllungsanspruch und sein Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmöglichkeit und Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablauf einer angemessenen Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatz statt der Leistung und Mindestharmonisierung . . . . . . .
458 459 460 460
2. Die Pauschalreiserichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
XXIV
Inhaltsverzeichnis
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463
I. Die Pflicht zur und der Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . 465 1. Naturalerfüllungspflicht des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 2. Anspruch auf Naturalerfüllung (specific performance) . . . . . . . . . . . 466 a) Die Regelung in den PECL, PICC, ACQP, im DCFR und im GEK-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Ausschluss des Erfüllungsanspruches bei „entschuldigter Nichterfüllung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Vorrang des Deckungsgeschäfts in PECL und PICC . . . . . . . . cc) Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Erfüllungs anspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
466 467 469 472 473
3. Der Anspruch auf Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 4. Der Vorrang des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 a) Vorrang des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Freies Wahlrecht des Gläubigers zwischen den Rechtsbehelfen mit Ausnahme der Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abhängigkeit des Schadensersatzes statt der Leistung von den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Recht zur „Nachleistung“ in den PICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Vorrang des Nacherfüllungsanspruches („Heilungsrecht des Verkäufers“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Heilungsrecht in Art. 8:104 PECL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Nachleistungsrecht in Art. 7.1.4 PICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Regelung in den Acquis Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fristsetzung und Heilungsrecht im DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Der Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts . . . . . . (1) Unternehmerkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbraucherkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
476
5. Dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . a) Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klage auf künftige Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen des Erfüllungsanspruches und Beweislast . . . . . . . . . .
501 502 503 504
II. Grenzen des Erfüllungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
504
476 478 479 482 482 484 485 486 489 490 491 495 500
505 507 509 a) Der Maßstab der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 b) Abgrenzung zur „Änderung der Umstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
Inhaltsverzeichnis
XXV
4. Höchstpersönliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Höchstpersönliche Dienst- und Werkleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abhängigkeit der Erfüllung von einer persönlichen Beziehung . . . . . . . c) Regelungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
512 512 515 516
5. Sonstige Übergangstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
a) Ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . 516 b) Zeitkritische Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 c) Sonstige Übergangstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
III. Voraussetzungen und Umfang des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des Schadensersatzes: Das Kriterium der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art des Schadensersatzes: Vorrang des Deckungsgeschäfts vor Wertersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schadenskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
518 518 519 522 523
IV. Prozessrecht und Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
I. Naturalerfüllung und Geldleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
II. Die geschichtliche Entwicklung des Grundsatzes der Natural erfüllung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 III. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung . . . . . . 533 IV. Der Anspruch auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 V. Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragliche Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristablauf und Schadensersatzverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Persönliche Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Weitere Gründe für den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Folgerungen für den Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . .
536 536 536 537 538 539 540 541
VI. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . 542
XXVI
Inhaltsverzeichnis
VII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung . . 544 VIII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 IX. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
XXVII
Abkürzungsverzeichnis ABlEG AcP ACQP Am. Economic Rev. Am. Soc. Rev. AöR
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv für die civilistische Praxis Acquis Principles The American Economic Review American Sociological Review Archiv des öffentlichen Rechts
BB Betriebsberater The Bell Journal of Economics Bell J. Brit. J. L. Soc. British Journal of Law and Society Cal. L. Rev. Cam. L. J. Cass. civ. (1re/2e/3e) Cass. com. Cass. soc. CISG CMLR Colum. L. Rev.
California Law Review The Cambridge Law Journal Cour de cassation, (1re/2e/3e) chambre civile (1./2./3. Z ivilkammer) Cour de cassation, chambre commerciale (Kammer für Handelsrecht) Cour de cassation, chambre sociale (Kammer für Arbeitsrecht) Convention on the International Sale of Goods (UN-Kaufrechtsübereinkommen) Common Market Law Review Columbia Law Review
Dalloz DB DCFR
Le Recueil Dalloz Der Betrieb Academic Draft Common Frame of Reference (Akademischer Entwurf eines Gemeinsamen Referenzrahmens) Dig. Digesten Duke L. J. Duke Law Journal EJLR Emory L. J. ERCL ERPL Eur. J. Law Econ. EuZW
European Journal of Law Reform Emory Law Journal European Review of Contract Law European Review of Private Law European Journal of Law and Economics Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
GEK GEK-E
Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Anhang zum Verordnungsentwurf)
XXVIII GEK-VO-E
Abkürzungsverzeichnis
GPR GrünhutsZ GS
Entwurf für eine Verordnung über ein Gemeinsames E uropäisches Kaufrecht Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Großer Senat
Harv. L. Rev. IHR
Harvard Law Review Internationales Handelsrecht
Ind. L. Rev. IRLE
Indiana Law Review International Review of Law and Economics
J. Law & Econ. Journal of Law and Economics The Journal of Legal Studies J. Legal Stud. JbJZivRWiss Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler La Semaine Juridique Édition Générale JCP G Jherings Jahrbücher JherJb JLEO Journal of Law, Economics and Organization Juristische Rundschau JR Jura Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung KritV KTS
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Konkurs – Treuhand – Sanierung (Zeitschrift für Insolvenzrecht)
L.Q.R. Law Quarterly Review LMK Lindenmaier-Möhring-Kartei MDR Mich. L. Rev.
Monatsschrift für deutsches Recht Michigan Law Review
NJOZ NJW NotBZ NZBau NZI NZM NZV
Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Neue Zeitschrift für Baurecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Mietrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
öJBl OJLS
Juristische Blätter Oxford Journal of Legal Studies
PECL
Principles of European Contract Law (Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts)
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
PICC
UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge)
Q. J. Econ.
The Quarterly Journal of Economics
r + s RabelsZ
recht und schaden Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RDC Revue des Contrats Recht der Internationalen Wirtschaft RIW RJT Revue juridique Thémis RPfleger Rechtspfleger Revue trimestrielle de Droit civil RTDCiv. RTh Rechtstheorie Rutgers Law Review Rutgers L. Rev. RW Rechtswissenschaft S. Cal. L. Rev. Slg. Soc. Phil. & Policy Stanford L. Rev.
Southern California Law Review Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Social Philosophy and Policy Stanford Law Review
Temp. L. Rev. Temple Law Review Texas Law Review Tex. L. Rev. TranspR Transportrecht U. Chic. L. Rev. U. Colo. L. Rev. UCC UCLA L. Rev.
The University of Chicago Law Review University of Colorado Law Review Uniform Commercial Code University of California Los Angeles Law Review
Va. L. Rev. VRRL
Virginia Law Review Richtlinie über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechterichtlinie) Entwurf für eine Richtlinie über die Rechte der Verbraucher
VRRL-E
Wisc. L. Rev. Wisconsin Law Review WM Wertpapiermitteilungen Yale L. J.
The Yale Law Journal
ZCP ZEuP ZfRV
Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht
ZGS
XXX ZHR ZIP ZJS ZMR ZNR ZRG (GA) ZRG (RA) ZRP ZVglRWiss ZZP
Abkürzungsverzeichnis
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stifung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozeß
1
Einleitung I. Problemstellung Jeder Anspruch – vertraglich wie gesetzlich – ist auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, um dessentwillen der Vertrag bzw. die Rechtsordnung diesen Anspruch gewährt. Dieses Ziel kann in einer Geldzahlung oder einer Naturalleistung (als Oberbegriff für Sachleistung, Handlung und Unterlassung) bestehen. Die vorliegende Arbeit befasst sich nicht mit Geldansprüchen, sondern mit Ansprüchen auf Naturalleistungen, also mit der Frage, ob bzw. in welcher Weise die Rechtsordnung die Verwirklichung einer intendierten Naturalleistung sicherstellt. Dabei geht sie von der Prämisse aus, dass das Ziel und damit der Seinsgrund aller Ansprüche auf Naturalleistungen gerade die Herstellung eines bestimmten Zustandes in Natur ist – eine Sache soll übergeben und evtl. übereignet, eine Handlung vorgenommen, ein Werk errichtet werden etc.1 So einleuchtend, ja banal dieser Ausgangspunkt für einen deutschen Juristen im 21. Jahrhundert klingen mag – nicht umsonst nannte Ernst Rabel den naturalen Erfüllungsanspruch das „Rückgrat der Obligation“2 –, so irritierend erscheint auf den ersten Blick der rechtshistorische und rechtsvergleichende Befund: Die Gewährung gerichtlich durchsetzbarer und praktisch vollstreckbarer materiell-rechtlicher Ansprüche auf Naturalleistungen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern in Kontinentaleuropa eine Errungenschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit,3 im common law als „specific performance“ sogar bis heute eine eng begrenzte Ausnahme.4 Freilich ist dies nur ein erster und vorläufiger Befund. Eine eingehendere Untersuchung der Problematik – insbesondere unter Einbeziehung des Zwangsvollstreckungsrechts – wird mehr Parallelen mit den betrachteten historischen und ausländischen Rechtsordnungen aufzeigen, und zugleich auch zu den Sachgründen führen, welche einerseits für die Etablierung eines Grundsatzes der Naturalerfüllung, andererseits aber auch gegen eine einschränkungslose Ge1 Vgl. Friedmann, 111 L.Q.R. 628, 629 (1995); Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 343 f., 345 sowie ders., JZ 2008, 764 ff. 2 Rabel, Das Recht des Warenkaufs, 1936/1957, S. 375. 3 S. dazu eingehend unten § 2 (S. 64 ff.). 4 S. dazu unten § 2.VI (S. 120 ff.) sowie de Vries, ERPL 17 (2009), 581 ff.
2
Einleitung
währung zwangsweise durchsetzbarer Naturalleistungsansprüche sprechen. Diese Sachgründe, die nicht zuletzt mit Hilfe ökonomischer Analysemethoden ermittelt werden können, bedingen ein differenziertes System von hier so genannten Übergangstatbeständen, welche entweder dem Gläubiger ermöglichen, statt der primär geschuldeten Naturalleistung ein Geldäquivalent (z.B. in Gestalt des Ersatzes der Kosten eines Deckungsgeschäfts oder des entgangenen Gewinns aus der Weiterverwertung der geschuldeten Leistung) zu verlangen, oder dem Schuldner gestatten, sich durch die Zahlung eines Geldäquivalents von seiner Naturalleistungspflicht zu befreien. Diese weitgehend sachgesetzlich vorgegebenen Übergangstatbestände dienen im zweiten Teil der Arbeit als Maßstab für die Bewertung der Umsetzung des Grundsatzes der Natural erfüllung im deutschen Recht, und zwar hinsichtlich vertraglicher Primärleistungsansprüche ebenso wie hinsichtlich ausgewählter gesetzlicher Anspruchsgrundlagen, insbesondere des Schadens- und Sachenrechts, sowie im Zwangsvollstreckungsrecht. Abschließend soll auch das Leistungsstörungsrecht in internationalen und europäischen Regelwerken – von dem CISG über die PECL und den DCFR bis hin zum Verordnungsentwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht – einer Bewertung vor dem Hintergrund des zuvor gefundenen Grundsatzes der Naturalerfüllung einschließlich seiner Grenzen unterzogen werden.
II. Gegenstand der Untersuchung 1. Einbezogene Ansprüche a) Keine Beschränkung auf vertragliche Ansprüche Die jüngeren Untersuchungen über die Naturalerfüllung haben ausschließlich vertragliche Ansprüche in den Blick genommen.5 Der Grundsatz der Naturalerfüllung wurde dann jeweils auf spezifisch vertragsrechtliche Gesichtspunkte gestützt und aus dem Wesen des Vertrags bzw. des vertragsrechtlichen Leistungsanspruches abgeleitet. So fruchtbar diese Ansätze für das Vertragsrecht auch sind, scheinen sie doch insgesamt gesehen zu kurz zu greifen. Denn die jeweiligen Vertragstheorien – das belegt etwa ein Blick ins common law – folgen letztlich der prozessualen und dogmatischen Verankerung des Naturalerfüllungsgrundsatzes in der jeweiligen Rechtsordnung und suchen diese zu legitimieren: Wo das Prozess- und das Vollstreckungsrecht keine Klage auf Naturalleistung ermöglichen, überwiegen auch die Vertragstheorien, die im Vertrag nicht mehr als das Versprechen einer Geldleistung für den Fall der 5 Vgl. vor allem Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 210 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 316 ff.
Einleitung
3
Nichterbringung der Sachleistung sehen.6 Wo umgekehrt die prozessualen Behelfe für eine Durchsetzung des Naturalleistungsanspruches existieren, sehen auch die materiell-rechtlichen Vertragstheorien eine starke Rolle des Naturalleistungsanspruches vor.7 Das ist auch verständlich, bedenkt man, dass der genaue Inhalt eines Vertrags sich aus der Auslegung der Vertragserklärungen ergibt, welche ihrerseits von den Verkehrssitten und damit mittelbar von den jeweiligen prozessualen Gegebenheiten abhängt:8 Ist eine Durchsetzung von Naturalleistungsansprüchen prozessual regelmäßig ausgeschlossen, so ist auch ein Vertragsangebot vom objektiven Empfängerhorizont aus gesehen9 nur als Angebot der Geldleistung für den Fall der Nichterfüllung zu verstehen, weil das Versprechen einer nicht durchsetzbaren Naturalleistung offenkundig sinnlos wäre. Gewonnen ist damit freilich nicht viel: Zwar kann eine derartige Vertragstheorie das jeweilige nationale Recht konsistent erklären; ihre Leistungsfähigkeit zur Bewertung der jeweiligen Rechtsordnung10 muss aber wegen ihrer offenkundigen Abhängigkeit von den jeweiligen nationalen Prozessrechtssystemen und dem daraus resultierenden Vorverständnis bezweifelt werden. Der Grundsatz der Naturalerfüllung soll hier demgegenüber einer umfassenden Untersuchung unterzogen werden. Weil die Ausgangsprobleme – die historische Unmöglichkeit einer Naturalvollstreckung und die daraus folgenden Einschränkungen für die Klagbarkeit von Naturalerfüllungsansprüchen – nicht auf den vertraglichen Naturalerfüllungsanspruch beschränkt waren, kann sich auch diese Studie nicht auf vertragliche Ansprüche beschränken, wenngleich diese den Schwerpunkt der Arbeit ausmachen – nicht zuletzt, weil sie bisher am intensivsten behandelt wurden. Weit über vertragliche Primäransprüche hinausgehend sollen vielmehr auch die wichtigsten gesetzlichen Ansprüche in die Betrachtung mit einbezogen werden, weil sich die Frage nach der Existenz von Naturalerfüllungsansprüchen und ggf. ihres Vorranges auch dort stellt. Denn das Hauptproblem und auch die zugrunde liegenden Wertungen bleiben für alle Anspruchsgrundlagen im Kern die gleichen: Wie kann erreicht werden, dass die Naturalerfüllung einerseits immer dann durchgeführt wird, wenn sie sinnvoll ist, und andererseits immer dann durch einen Anspruch auf 6 So die klassische Sichtweise des common law bei Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 462 (1897); ebenso aus jüngerer Zeit etwa N.N., 81 Mich. L. Rev. 904, 905 f. (1983); R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 4.10 ff. (S. 118 ff.); Atiyah, 95 Harv. L. Rev. 509, 517 (1981). 7 Insbesondere bei M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007 (vgl. Fn. 5). 8 Zur Abhängigkeit der Reichweite der Vertragsbindung von den Verkehrssitten im Sinne gesellschaftlicher Konventionen etwa Rawls, A Theory of Justice, 1971, S. 344; ähnlich Fried, Contract as Promise, 1981, S. 16, allerdings bezogen auf die moralethische Vertragsbindung. 9 Vgl. zu dessen Maßgeblichkeit in allen Rechtsordnungen Canaris/Grigoleit, in: Hartkamp/Hondius/Hesselink (Hrsg.), Towards a European civil code, 42011, S. 587, 591 ff. 10 Diesen Anspruch stellt insbesondere Unberath an seine eigene Vertragstheorie, vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 6 ff.
4
Einleitung
Geldleistung ersetzt wird, wenn die Naturalerfüllung nicht mehr sinnvoll ist? Zu diesem Zweck sollen die Übergangstatbestände vom Anspruch auf Naturalerfüllung zu Ansprüchen auf Geldleistung systematisiert werden, um aus ihnen einen allgemeinen Grundsatz der Naturalerfüllung und seine Grenzen zu gewinnen. Dies dient zugleich dazu, die vorgefundenen Grenzen daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie einer Verallgemeinerung zugänglich sind, sie also auf Anspruchsgrundlagen übertragen werden können, für die sie nicht explizit gesetzlich vorgesehen sind.
b) Die universelle Dimension der Problematik Aus dem Vorstehenden wird schon eine Grundthese der vorliegenden Untersuchung deutlich: Dass nämlich historisch und rechtsvergleichend gesehen die Anerkennung eines Grundsatzes der Naturalerfüllung nicht in erster Linie auf vertragsrechtliche, sondern auf prozessrechtliche Erwägungen zurückgeht. Anders gewendet: Der Grundsatz der Geldkondemnation als das Gegenmodell war – jedenfalls auf dem europäischen Kontinent – nicht in erster Linie durch ein entsprechendes Vertragsverständnis bedingt, sondern beruhte auf Defiziten des antiken römischen Verfahrens- und vor allem Vollstreckungsrechts und Vollstreckungswesens; Defiziten, die entweder tatsächlich oder jedenfalls in den Augen der mittelalterlichen Rezeptoren des römischen Rechts bestanden.11 Das erhellt schon daraus, dass die Geldkondemnation nicht nur für vertragliche Verbindlichkeiten vorgesehen war, sondern auch für originäre Sachschulden wie etwa die rei vindicatio oder die Restitutionsklage.12 Als später die prozessualen und vollstreckungsrechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung von Sachleistungsansprüchen entstanden waren, folgte auch die materielle Rechtslehre mit der Vorstellung entsprechender Ansprüche – außerhalb wie innerhalb des Vertragsrechts. Bis in das 14. Jahrhundert hat die Rechtslehre für die Frage der Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung konsequenterweise nicht zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen unterschieden.13 Nach dem Wegfall der prozessualen und vollstreckungspraktischen Gründe für den Grundsatz der Geldkondemnation – in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts – war daher der Weg für einen Grundsatz der Naturalerfüllung als materiell-rechtliches Pendant zum prozessrechtlichen Grundsatz der Naturalkondemnation und zum vollstreckungsrechtlichen Grundsatz der Naturalvollstreckung frei. Wie die folgenden Erwägungen zeigen werden, sind die wesentlichen Gründe für den materiell-rechtlichen Grundsatz der Naturalerfüllung 11
Vgl. dazu eingehend unten § 2.II (S. 70 ff.). S. unten § 2.II.1.b) (S. 73 ff.). 13 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 266, der diese Differenzierung erst bei dem Kommentator Bartolus de Saxoferrato (1314–1357) verortet. 12
Einleitung
5
und seine Grenzen unabhängig von der Rechtsnatur und der dogmatischen Einordnung des betroffenen Anspruches. Das ermöglicht – und rechtfertigt – eine umfassende Untersuchung dieses Grundsatzes und seiner Verwirklichung im Privatrecht, ohne diese auf vertragliche Ansprüche zu beschränken.
c) Einbeziehung gesetzlicher Ansprüche Zwar kommt dem vertraglichen Anspruch dabei eine bedeutende und in weiten Teilen paradigmatische Rolle zu; die entscheidenden teleologischen Erwägungen gelten aber in gleicher Weise für gesetzliche Anspruchsgrundlagen. Das war offenbar auch dem Gesetzgeber des BGB 1900 und erst recht dem der Schuldrechtsreform 2002 bewusst, hat er doch die insoweit wesentlichen materiell-rechtlichen Regelungen zum Grundsatz der Naturalerfüllung nicht auf vertragliche Ansprüche beschränkt, sondern etwa in den §§ 241 Abs. 1, 275, 281 ff. BGB im allgemeinen Schuldrecht geregelt; diese Normen sind ausweislich ihrer systematischen Stellung grundsätzlich auf alle Schuldverhältnisse anwendbar, unabhängig von ihrem Ursprung.14 Aber auch die §§ 275 ff. BGB sind nicht der einzige Regelungskomplex des BGB für den Übergang von Naturalleistungsansprüchen auf Geldzahlungsansprüche. Ein weiterer Komplex, welcher sich den gleichen Sachfragen widmet, ist das Schadensrecht: Dieses hält in der Abstufung zwischen Naturalrestitution durch den Schädiger (§ 249 Abs. 1 BGB), Ersatz der Kosten einer Naturalherstellung (§§ 249 Abs. 2, 250 BGB) und Geldentschädigung (§ 251 BGB) eng verwandte Regelungen bereit. Hinzu kommen Übergangstatbestände im Rücktrittsfolgenrecht (Naturalherausgabe nach § 346 Abs. 1 BGB, Wertersatz nach § 346 Abs. 2 BGB) und im Bereicherungsrecht (Naturalherausgabe nach § 812 bzw. § 818 Abs. 1 BGB, Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB). Selbst im Sachenrecht existiert für die Vindikation aus § 985 BGB ein sachlich verwandtes Regime, das rechtstechnisch zwar beim Eigentumsübergang ansetzt, in der Sache aber ebenfalls Übergangstatbestände von der Naturalherausgabe auf Geldersatz enthält: Zu denken ist insoweit zum einen an die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb (§§ 892, 932 ff. BGB) und anschließende Ansprüche auf Erlösherausgabe bzw. Schadensersatz nach §§ 989 f., 816 Abs. 1 S. 1 BGB sowie zum anderen an die Regelungen über den originären Eigentumserwerb nach §§ 946 ff. BGB und die anschließende Wertersatzpflicht nach § 951 BGB i.V.m. §§ 812 Abs. 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB, für welche § 951 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich die Naturalherausgabe ausschließt.15 Über diese besonderen Regelungen hinaus stellt sich die Frage nach einer (ggf. analogen) Anwendung der §§ 275 ff. BGB auf gesetzliche Schuldverhältnisse. So ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 14
15
Vgl. zur Behandlung dinglicher Ansprüche unten § 6 (S. 404 ff.). Vgl. dazu eingehend unten § 6.II.1 (S. 409 ff.).
6
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etwa § 275 Abs. 2 BGB auch auf den sachenrechtlichen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB anzuwenden; richtigerweise gilt dies auch für § 281 BGB.16 Die Anwendung des § 281 BGB auf den Eigentumsherausgabeanspruch aus § 985 BGB wird ebenfalls diskutiert.17
2. Einschränkung: Keine Behandlung der vertraglichen Lösungsrechte Um ein Ausufern des behandelten Stoffs zu vermeiden, bleiben vertragliche Lösungsrechte – also insbesondere Rücktritt, Widerruf und Kündigung – außer Betracht. Diese führen zwar im Ergebnis letztlich auch zum Wegfall des Naturalleistungsanspruches, ersetzen diesen aber nicht durch einen Geldzahlungsanspruch. Die Spezifika des Naturalleistungsanspruches gegenüber einem Geldanspruch kommen daher hier nicht zum Tragen. Soweit ihre Voraussetzungen mit denjenigen eines Übergangstatbestandes zusammenfallen (insbesondere § 323 BGB gegenüber § 281 BGB oder § 326 BGB gegenüber §§ 275, 283 BGB), sind sie ohnehin Gegenstand der Untersuchung, bzw. wirken sich die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung auch auf die Rücktrittsvoraussetzungen aus.
3. Die Einbeziehung des Prozess- und Vollstreckungsrechts Die Untersuchung des Grundsatzes der Naturalerfüllung allein im materiellen Recht wäre schon im Ansatz unvollständig. Betrachtet man die historische Rechtsentwicklung in Europa im Hinblick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung, so zeigt sich, dass die einschlägigen Sachfragen teils im materiellen Recht (durch Gewährung oder Versagung von Naturalleistungsansprüchen), teils im Verfahrensrecht (durch Gewährung oder Versagung von Klagen auf die Naturalleistung) und teils im Vollstreckungsrecht (durch die Ermöglichung oder den Ausschluss der Vollstreckung von Naturalleistungsurteilen) behandelt wurden bzw. werden.18 An welcher systematischen Stelle dies konkret geschieht, ist oft historischer „Zufall“ bzw. hängt von den jeweiligen dogmati16 Vgl. dazu eingehend unten § 6.III (S. 418 ff.) sowie Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Deliktsrecht und Schadensrecht, 2011, Rn. 357 f. 17 Befürwortend OLG München BeckRS 2008, 9857; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 4; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 5; Heinrichs, FS Derleder, 2005, S. 87, 94; M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103 ff.; Katzenstein, AcP 206 (2006), 96, 117 ff.; ablehnend etwa MünchKomm-BGB/Baldus, 2013, § 985 Rn. 83 ff.; Gursky, Jura 2004, 433 ff.; s. ausführlich unten § 6.II.2.c) (S. 416 f.). 18 Vgl. dazu aus der Perspektive des internationalen Privatrechts auch Muir Watt, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 789 ff.
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schen Denkstrukturen ab (Stichwort „Aktionendenken“ vs. „Anspruchsdenken“). Die Untersuchung muss also unweigerlich den gesamten Weg von der materiell-rechtlichen Pflicht zur Naturalerfüllung – die in manchen Rechtsordnungen nur gedacht existiert und nie zur Verurteilung bzw. Vollstreckung gelangt –, über das subjektive Leistungsrecht des Gläubigers, die Klage und Verurteilung zur Naturalleistung im Prozess bis hin zur realen Vollstreckung der Naturalerfüllungspflicht betrachten.19 Anders ist insbesondere eine rechtsvergleichende Bewertung nicht möglich. Gerade auch im Hinblick auf eine zukünftige Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts kann auf diese enge Verzahnung von materiellem Recht und Prozess- und Vollstreckungsrecht nicht eindringlich genug hingewiesen werden. 20 Solange eine Vereinheitlichung nur auf der Ebene des materiellen Rechts erfolgt, kann sie den Grundsatz der Naturalerfüllung nicht umfassend regeln: Soll eine gemeinsame Rechtsordnung einen klagbaren Anspruch auf Naturalerfüllung gewähren, so muss das Verfahrensrecht deren Klagbarkeit ermöglichen und das Vollstreckungsrecht Regeln zur Vollstreckung entsprechender Urteile vorsehen. Darüber hinaus kann es in manchen Fällen zweckmäßig sein, zwar unbeschränkt klagbare Naturalleistungsansprüche bereitzustellen, gewisse Einschränkungen zum Schuldnerschutz aber im Vollstreckungsverfahren vorzunehmen, 21 wie dies im deutschen Recht etwa in § 888 Abs. 3 ZPO für Dienstleistungspflichten und in § 120 Abs. 3 FamFG für die eheliche Herstellungsklage geschieht. Auch hier ist eine enge Koordination von materiellem Recht einerseits und Prozess- und Vollstreckungsrecht andererseits unverzichtbar.
4. Terminologische Klarstellungen Vorab sind einige terminologische Klarstellungen angezeigt.
a) Naturalleistungsanspruch und Geldanspruch Wie bereits eingangs erwähnt, wird in der vorliegenden Arbeit unter „Naturalleistungsanspruch“ der Anspruch auf eine Nicht-Geldleistung verstanden, d.h. ein Anspruch auf eine Sache (Besitz- oder Eigentumsverschaffung), auf eine Handlung (Dienst- oder Werkleistung) oder auf ein Unterlassen. Der Naturalleistungsanspruch ist dabei der Anspruch auf das ursprüngliche Leistungsziel, bei vertraglichen Ansprüchen also auf den vertraglich vereinbarten Leistungsgegenstand, bei gesetzlichen Ansprüchen auf den gesetzlich intendierten 19 Vgl. auch Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 712; Faust/Wiese, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 47, 48 f. 20 S. dazu auch noch unten § 9.IV (S. 524 ff.). 21 S. dazu unten § 5.V.1 (S. 355 ff.).
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Leistungsgegenstand (z.B. die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB beim Schadensersatz). Den Gegenbegriff bilden Geldansprüche, d.h. solche Ansprüche, die von vornherein nur auf eine Geldleistung gerichtet sind, also Zahlungsansprüche im eigentlichen Sinne (Kaufpreisanspruch etc.) sowie nur auf Geldzahlung gerichtete Schadensersatzansprüche (z.B. der Anspruch auf Geldentschädigung aus § 251 Abs. 1 oder § 253 BGB) oder Wertersatzansprüche (z.B. §§ 346 Abs. 2, 818 Abs. 2 BGB).
b) Primär- und Sekundäranspruch Vor allem im Kontext des Vertragsrechts, aber auch im Schadensrecht wird häufig zwischen Primäranspruch und Sekundäranspruch unterschieden. Dabei beschreibt der Primäranspruch den Anspruch auf das ursprüngliche Anspruchsziel, der Sekundäranspruch die Folgen einer Leistungsstörung. Zumeist ist der Sekundäranspruch auf eine Geldleistung gerichtet (z.B. auf Schadensersatz nach § 249 Abs. 2 bzw. § 251 BGB, oder auf Wertersatz gem. § 346 Abs. 2 bzw. § 818 Abs. 2 BGB). Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäranspruch enthält jedoch zusätzliche Wertungselemente, weshalb diese Terminologie im Folgenden zunächst nicht zugrunde gelegt werden soll: Sie geht nämlich davon aus, dass es überhaupt einen „Primäranspruch“ auf die Naturalleistung gibt, und dass dieser darüber hinaus auch gegenüber einem „Sekundäranspruch“ auf Geldersatz vorrangig (eben „primär“) ist. 22 Hinzu kommt, dass der Begriff des Primäranspruches suggeriert, dass dieser nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig ist, sondern gewissermaßen den „Kern“ jedes Anspruches bildet – er folgt unmittelbar aus dem subjektiven Recht. 23 Der Begriff des Sekundäranspruches suggeriert demgegenüber das Erfordernis besonderer Voraussetzungen, eben eines Übergangstatbestandes von der Primär- auf die Sekundärebene. 24 Beides ist rechtsvergleichend nicht selbstverständlich und steht daher einer Verwendung als universeller Terminologie entgegen. Um derartige Vor-Wertungen zu vermeiden, wird daher in neutralen Kontexten vom „Naturalleistungsanspruch“ gesprochen, und der Begriff „Primärleistungsanspruch“ nur dann verwendet, wenn der betreffende Anspruch tatsächlich vorrangig gegenüber einem Sekundäranspruch ist. 25
22 So auch Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 240 f.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 204 f. 23 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 199 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 390 unter Hinweis auf BGH NJW 2006, 1198, 1199. 24 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 202 ff. 25 Vgl. zur Terminologie auch unten § 4.IV.1 (S. 241 ff.).
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c) Schadensersatz, Wertersatz, stellvertretendes Commodum Auf der Sekundärebene, also als Ersatz für einen ausgeschlossenen Naturalleistungsanspruch, sind verschiedene Anspruchsziele denkbar: Die Rechtsordnung kann einen Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse vorsehen (einschließlich eines entgangenen Gewinns aus der Weiterverwendung des Anspruchsgegenstandes), einen Anspruch auf Ersatz des objektiven Wertes der ausgebliebenen Leistung (ohne entgangenen Gewinn), einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses (d.h. die Herstellung des Zustandes, wie er heute ohne die Anspruchsentstehung bestehen würde), als Sonderfall hiervon einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die im Hinblick auf den Leistungsgegenstand erbracht wurden, oder schließlich einen Anspruch auf den Ersatz des stellvertretenden Commodum, d.h. desjenigen, was der Schuldner infolge des Untergangs – in einem weiteren Sinne auch durch die anderweitige Verwendung – des Leistungsgegenstandes erlangt hat. Erweitert man den Horizont über das deutsche Recht hinaus, so sind auch Ansprüche auf punitive damages oder Ansprüche lediglich auf vorhersehbare Schäden infolge der Leistungsstörung denkbar. Alle diese Anspruchsziele können an die Stelle einer ursprünglichen Naturalleistung treten und diese – mehr oder weniger umfänglich – ersetzen. Im Hinblick auf die hier untersuchten Übergangstatbestände vom Naturalleistungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch sind sie daher alle zu berücksichtigen. Freilich wird bei der näheren Ausgestaltung der Übergangstatbestände stets zu berücksichtigen sein, welche Rechtsfolge bei der Versagung eines Naturalleistungsanspruches eintritt, und inwieweit diese geeignet ist, die Interessen des Gläubigers zu befriedigen.
III. Zielsetzung der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung verfolgt verschiedene Ziele. Zum einen soll ein Beitrag zur Teleologie und zur Dogmatik des deutschen Rechts geleistet werden. Ein überpositiv entwickelter allgemeiner Grundsatz der Naturalerfüllung mit seinen Grenzen soll als Maßstab dienen, anhand dessen das geltende deutsche Leistungsstörungsrecht bewertet und bestehende Auslegungsspielräume in einer teleologisch und systematisch schlüssigen Weise ausgefüllt werden können. Gleiches gilt für die Untersuchung des Schadensrechts sowie des Rücktrittsfolgenrechts, des Bereicherungsrechts und der oben erwähnten sachenrechtlichen Übergangstatbestände. Dabei wird sich erweisen, dass viele aktuelle Auslegungsprobleme des Leistungsstörungsrechts wie auch des Schadens- und Rücktrittsfolgenrechts auf die immer wiederkehrende Frage des Übergangs von einer Naturalleistungspflicht auf eine Geldleistungspflicht zurückgehen. Zu
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denken ist etwa an die Selbstvornahme der Mängelbeseitigung im Kaufrecht, 26 an die an eine Fristsetzung zu stellenden Anforderungen 27 oder an die Ausfüllung des Begriffs der „groben Unverhältnismäßigkeit“ in § 275 Abs. 2 BGB, 28 aber auch an die Gewährung eines sog. „Integritätszuschlages“ beim Schadensersatz nach Verkehrsunfällen. 29 Ein vertieftes, auf allgemeinen Grundlagen beruhendes Verständnis dieser Übergangstatbestände sollte es daher ermöglichen, Antworten auf die genannten, technisch anmutenden Streitfragen zu finden, die im Einklang mit den Grundwertungen der (deutschen) Rechtsordnung stehen. Die Arbeit versteht sich aber auch als Beitrag zur Gestaltung eines zukünftigen europäischen Privatrechts. Gerade weil die Gewährung von Naturalleistungsansprüchen international sehr unterschiedlich gehandhabt wird, liegt hierin ein großer Streitpunkt bei allen internationalen Vereinheitlichungsbestrebungen. Die Herleitung eines überpositiven Grundsatzes der Naturalerfüllung und seiner immanenten Grenzen – unter Offenlegung der zugrunde liegenden gemeinsamen Wertungen, unter strikter Trennung rein konstruktiver Unterschiede von sachlichen Unterschieden, und unter Berücksichtigung anderer Regelungstraditionen, insbesondere des common law – soll auch dazu dienen, ein international konsensfähiges Modell des Naturalerfüllungsanspruches zu entwickeln.30 Daher liegt ein besonderes Augenmerk auf der Analyse und Bewertung der Vorhaben zur internationalen Rechtsvereinheitlichung auf europäischer und internationaler Ebene.
IV. Gang der Darstellung Der erste Teil der Arbeit ist den Grundlagen gewidmet. Anfangs werden die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Grundsatz der Naturalkondemnation und dem Grundsatz der Geldkondemnation herausgearbeitet, und die abstrakt möglichen Lösungsmodelle für die zugrunde liegenden Sachfragen dargestellt; es folgt eine Untersuchung der typischen Interessenlage.31 Der anschließende Abschnitt behandelt die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa, ausgehend vom römischen Recht als gemeinsamer Quelle, bis hin zu den heutigen Rechtsordnungen in Deutschland, Frankreich und dem vereinigten Königreich.32 Es folgt eine ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung im Vergleich zum Grundsatz der Gelderfüllung, insbesondere 26
S. unten § 4.V.5 (S. 260 ff.). S. unten § 5.II.2 (S. 279 ff.). 28 S. unten § 5.IV (S. 323 ff.). 29 S. unten § 5.IV.5.b) (S. 353 f.). 30 Ähnlich auch Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 45 ff., 208 ff. 31 § 1 (S. 15 ff.). 32 § 2 (S. 64 ff.). 27
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vor dem Hintergrund der Lehre vom effizienten Vertragsbruch, welche insgesamt einer kritischen Betrachtung unterzogen wird.33 Der zweite Teil gilt der Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung im deutschen Privatrecht. Zunächst wird der Erfüllungsanspruch des Gläubigers als Anspruch auf Naturalerfüllung untersucht, sowohl hinsichtlich seiner Existenz und seines Inhalts als auch hinsichtlich seines Vorrangs vor dem Geldanspruch.34 Der folgende Abschnitt ist den Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung gewidmet, d.h. den Übergangstatbeständen von einem Anspruch auf Naturalleistung auf einen Geldleistungsanspruch; es handelt sich dabei um den Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Frist, die Unmöglichkeit der Leistung, die grobe Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwandes, die persönliche Unzumutbarkeit, die Fixgeschäfte, die Erfüllungsverweigerung und die allgemeine Abwägung zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners.35 Im Anschluss wird der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht untersucht, namentlich seiner Anwendung auf die Vindikation und den negatorischen Beseitigungsanspruch.36 Den Abschluss des zweiten Teils bildet die Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung.37 Der dritte Teil widmet sich in einem Ausblick zunächst der Verwirklichung des Grundsatzes der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire38 und untersucht dann die Regelwerke, die der Vorbereitung eines Europäischen Privatrechts dienen (PECL, PICC, ACQP, DCFR, GEK-E), um die Ergebnisse der Untersuchung für deren Weiterentwicklung fruchtbar zu machen.39
33 § 3
(S. 150 ff.). (S. 219 ff.). 35 § 5 (S. 269 ff.). 36 § 6 (S. 404 ff.). 37 § 7 (S. 429 ff.). 38 § 8 (S. 449 ff.). 39 § 9 (S. 463 ff.). 34 § 4
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§ 1. Naturalerfüllung und Geldleistung I. Grundsatz der Geldkondemnation und Grundsatz der Naturalkondemnation Historisch wie rechtsvergleichend stehen sich zwei vermeintlich konträre Grundsätze gegenüber: Der Grundsatz der Geldkondemnation und der Grundsatz der Naturalkondemnation.1 Während beim Ersteren Klage und Urteil stets auf eine Geldsumme zu lauten haben, so dass eine unmittelbare zwangsweise Durchsetzung einer Naturalleistung nicht in Betracht kommt, sind beim Letzteren sowohl Klage und Urteil als auch grundsätzlich die Vollstreckung von Naturalleistungen möglich.
1. Einteilung nach dem Ziel von Klage, Urteil und Vollstreckung Paradigmatisch für den Grundsatz der Gelderfüllung ist der Formularprozess des römischen Rechts, 2 der ausschließlich Verurteilungen zu Geldzahlungen vorsah (omnis condemnatio pecuniaria)3, welche folgerichtig auch nur nach den Regeln über die Vollstreckung von Geldforderungen vollstreckt werden konnten.4 Das galt selbst für die rei vindicatio und die Restitutionsklage.5 Paradigmatisch für den Grundsatz der Naturalerfüllung ist demgegenüber der heutige § 241 Abs. 1 BGB, der jeden Anspruch – also auch Ansprüche auf Naturalleis1
Vgl. dazu auch den Überblick bei Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 730 ff. Vgl. dazu noch eingehend unten § 2.II.1 (S. 70 ff.). 3 Vgl. Inst. IV, 48: „Omnium autem formularum, quae condemnationem habent, ad pecuniariam aestimationem condemnatio concepta est.“ S. dazu Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 35 Rn. 3 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 91 ff.; Müller-Chen, JbJZivRWiss 1996, 1997, S. 23, 28; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 941; Schloßmann, JherJb 46 (1904), 321 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 771 f., 825 f. 4 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, §§ 56 ff. (S. 383 ff.); s. auch Schloßmann, JherJb 46 (1904), 321, 350: Seit Marc Aurel gab es die Erzwingung von Geldschulden durch Spezialexekution. 5 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 91 ff.; Müller-Chen, JbJZivRWiss 1996, 1997, S. 23, 28; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 941; Sliwka, Herausgabeansprüche als Teil des zivilrechtlichen Eigentumsrechts?, 2012, S. 42; s. ferner das Beispiel bei Boente, Neben einander und Einheit im Bürgerlichen Recht, 2013, S. 16 f. 2
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Erster Teil: Grundlagen
tungen – als solchen für klagbar erklärt, sowie die Regelungen der ZPO über Klage, Urteil und Vollstreckung von Naturalleistungsansprüchen auf Sachherausgabe, Handlungen oder Unterlassungen. Spricht der Grundsatz der Geldkondemnation nur von der ausschließlichen Verurteilung zu Geldleistungen und damit allein von den prozessualen Möglichkeiten, so lässt er sich doch nicht vom materiellen Recht trennen: Sieht das Prozessrecht keine Klagemöglichkeit für Naturalleistungen vor, so kann auch im materiellen Recht kein klagbarer Naturalleistungsanspruch existieren; sieht es dagegen eine solche Klagemöglichkeit vor, so muss es auch im materiellen Recht entsprechende Ansprüche geben, die mit dieser Klagemöglichkeit geltend zu machen sind. Ohnehin ist die Trennung von materiellem Anspruch (ius) und prozessualer Klagemöglichkeit (actio) erst eine Frucht der Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts in Kontinentaleuropa6 und kann daher bei der Betrachtung anderer, insbesondere historischer Rechtsordnungen nicht vorausgesetzt werden. Der „Grundsatz der Geldkondemnation“ hat daher über die Frage der Klagbarkeit hinaus auch materiell-rechtliche Bedeutung: Die Rechtsordnung sieht im Falle einer Leistungsstörung (Nichterfüllung bei Fälligkeit) keinen Anspruch auf Naturalleistung vor, sondern lediglich einen Anspruch auf Geld. In der Konsequenz gibt es auch nur eine Klage- und Vollstreckungsmöglichkeit für Geld. Allerdings ist die Einteilung in einen „Grundsatz der Geldkondemnation“ und einen „Grundsatz der Naturalkondemnation“ zu grob und kann die Varianz der Rechtsordnungen nicht umfassend abbilden. Beide Grundsätze sind nicht als Extrempositionen zu verstehen, die im einen Fall eine Naturalkondemnation, im anderen Fall einen Übergang auf eine Geldkondemnation völlig ausschließen. So sieht das common law, das gemeinhin dem Grundsatz der Geldkondemnation zugerechnet wird, in einigen Fällen gleichwohl Ansprüche auf specific performance (etwa bei Grundstückskäufen) und in der Folge insoweit auch Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten vor.7 Umgekehrt kennt das deutsche Recht, das dem Grundsatz der Naturalkondemnation verpflichtet ist (vgl. § 241 Abs. 1 BGB), zahlreiche Tatbestände des materiellen Rechts und des Vollstreckungsrechts, um von einem Naturalleistungsanspruch auf einen Geldzahlungsanspruch überzugehen: Hierzu zählen selbstverständlich die Unmöglichkeit (§§ 275 Abs. 1, 283 BGB), aber auch die Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB und im Vollstreckungsrecht die Vollstreckung vertretbarer Handlungen
6 Sie geht auf Windscheid zurück, vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 230 und dazu etwa Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 173; M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 765; Binder, Prozeß und Recht, 1927, S. 16 ff.; HKK-BGB/Hermann, 2003, §§ 194– 225 Rn. 19 f.; vgl. zu den immer noch fortwirkenden „forms of action“ im common law Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 174 ff. S. dazu unten § 2.IV.3.b)aa) (S. 96 f.). 7 S. näher unten § 2.VI.2.c) (S. 128 ff.).
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im Wege der Ersatzvornahme auf Kosten des Vollstreckungsschuldners (§ 887 ZPO).8 Die „Grundsätze der Gelderfüllung“ bzw. „der Naturalerfüllung“ sind daher nur als Vorrangregeln zu verstehen, welche das Regel-Ausnahme-Verhältnis festlegen. Beim Grundsatz der Gelderfüllung gewährt die Rechtsordnung im Falle einer Leistungsstörung vorrangig einen Anspruch auf Geldersatz und nur subsidiär oder in Ausnahmefällen einen Anspruch auf die Naturalleistung; beim Grundsatz der Naturalerfüllung gilt das Gegenteil.
2. Schuld und Haftung Die Unterscheidung zwischen Gelderfüllung und Naturalerfüllung erfolgte – v.a. im 19. Jahrhundert,9 aber auch darüber hinaus10 – in der Terminologie „Schuld und Haftung“.11 „Schuld“ beschreibt danach das Leistensollen des Schuldners, „Haftung“ seine Verantwortlichkeit für Nichterfüllung, also den Schadensersatz statt der Leistung.12 Wer den wesentlichen Inhalt der Obligation in der Haftung sieht, befürwortet einen Grundsatz der Gelderfüllung; wer die Schuld in den Vordergrund stellt, den Grundsatz der Naturalerfüllung. Terminologisch ist damit indessen nichts gewonnen – im Gegenteil: Die Begriffe Schuld und Haftung sind jedenfalls inzwischen mit derart vielen unterschiedlichen Bedeutungsschichten aufgeladen, dass sie im Folgenden bewusst so weit wie möglich vermieden werden, um begriffliche Festlegungen in diese vorgeformten Kategorien zu vermeiden. Der Klarheit halber wird von Gelderfüllung und Naturalerfüllung gesprochen. Hinter der Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung verbirgt sich eine weitere Frage, auf die im Folgenden zurückzukommen sein wird: Wenn Schuld und Haftung als gemeinsame Ausprägungen der Obligation verstanden wer 8
S. dazu unten § 7.II.3 (S. 437 ff.). Vgl. die großen Arbeiten von Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 1855; G. Hartmann, Die Obligation, 1875; Brinz, AcP 70 (1886), 371 ff.; Sohm, GrünhutsZ 4 (1877), 457 ff. 10 Vgl. die Nachweise bei HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 42 ff. sowie Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 44 ff. 11 Grundlegend etwa Siber, JherJb 50 (1906), 55 ff.; Überblick aus heutiger Sicht bei Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 17 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 32 f., 102 ff. sowie ausführlich bei Diestelkamp, in: Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, 1982, Bd. 6: Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, S. 21 ff. sowie näher unten § 2.IV.3.a) (S. 94 f.). 12 Vgl. zu diesem Begriff der Haftung nur HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 40 ff.; Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 20 f.; auf den vollstreckungsrechtlichen Haftungsbegriff, die Haftung des Schuldners für seine Verbindlichkeiten mit dem gesamten Vermögen (s. etwa Staudinger/Olzen, 2009, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 235), ist hier nicht näher einzugehen. 9
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Erster Teil: Grundlagen
den, wie dies die sog. „monistische Lehre“ (auch „Lehre von der Einheit der Obligation“) tut, so führt die Nichterfüllung nicht zum Erlöschen des einen Anspruches (auf die Naturalleistung) und zum Entstehen eines neuen Anspruches (auf Schadensersatz). Vielmehr tritt lediglich ein Übergang von der einen Erscheinungsform der Obligation in eine andere Erscheinungsform ein.13 Nach der „dualistischen Lehre“ sind Schuld und Haftung dagegen unterschiedliche, voneinander rechtlich unabhängige Gebilde.14 Beide können nach dieser Auffassung unterschiedliche Schicksale haben, und sind nicht notwendige Bestandteile der Obligation. Auch diese Debatte ist indessen aus heutiger Sicht von äußerst begrenztem praktischem Wert15 und kann in der Sache als längst abgeschlossen gelten: Schuld und Haftung gehören grundsätzlich zusammen; eine „vollständige“ Obligation enthält beide Elemente, das Leistensollen des Schuldners und das Forderndürfen des Gläubigers. Letzteres schließt grundsätzlich eine Verpflichtung des Schuldners zu Schadensersatz im Falle der Nichterfüllung ein, die allerdings im deutschen Recht unter dem Vorbehalt des Vertretenmüssens steht. In der prägnanten Formulierung von Larenz: „Der Schuld folgt die Haftung gleichsam wie ein Schatten nach.“16 Infolge der Kodifikation der relevanten praktischen Fragen können diese Denkmodelle keine Erkenntnisquellen sein, sondern nur noch schlagwortartige Beschreibungsversuche des Gefundenen, die also nicht mehr am Anfang, sondern nur noch am Ende einer Untersuchung stehen können. Auf sie ist daher an dieser Stelle nicht näher einzugehen.
3. Perspektiven von Gläubiger und Schuldner Der Grundsatz der Gelderfüllung und der Grundsatz der Naturalerfüllung werden meist aus der Perspektive des Gläubigers behandelt, d.h. unter dem Gesichtspunkt, was der Gläubiger – ursprünglich oder im Falle einer Leistungsstörung – vom Schuldner verlangen kann. Beide Grundsätze unterscheiden sich aber auch aus der Warte des Schuldners. Ein Vergleich muss daher beide Perspektiven im Blick behalten.17 Aus Sicht des Gläubigers geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen er anstelle der vom Anspruch primär intendierten Naturalleistung Geldersatz verlangen kann: Unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung kann er im Falle einer Leistungsstörung unmittelbar (d.h. ohne weitere Voraus13 Vgl. den Bericht von HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 41 über die Gesetzgebungsarbeiten zum BGB. 14 Vgl. HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 42 ff. m. umf. Nachw. 15 So bereits Bekker, JherJb 49 (1905), 1, 56. 16 Larenz, Schuldrecht I, 141987, § 2 IV (S. 23 f.); ähnlich bereits von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 3, 1917, S. 42. 17 Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 3 ff.
§ 1. Naturalerfüllung und Geldleistung
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setzungen wie etwa einer Mahnung oder Fristsetzung) und vorrangig Geldersatz verlangen. Dies ermöglicht ihm vor allem, zügig ein Deckungsgeschäft auf Kosten des Schuldners vorzunehmen. Gleichzeitig büßt der Schuldner bereits mit Eintritt der Leistungsstörung die Möglichkeit ein, seinen Vertragsgewinn noch zu verdienen, indem er die Naturalleistung selbst erbringt („Recht zur zweiten Andienung“ bzw. „zur Naturalandienung“). Vielmehr verliert er unmittelbar seinen Gewinn und muss stattdessen den Vertragsgewinn des Dritten finanzieren, von dem der Gläubiger das Deckungsgeschäft vornehmen lässt. Unter Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung kann und muss der Gläubiger dagegen zunächst Naturalerfüllung verlangen und benötigt einen besonderen Übergangstatbestand, um statt der Naturalleistung eine Geldzahlung verlangen zu können. Aus Schuldnersicht geht es um die Frage, ob der Schuldner von der Pflicht zur Naturalleistung befreit wird, wenn er dem Gläubiger eine Geldzahlung (das Interesse) anbietet. Plastisch wird das an einem Extrembeispiel, das die berühmten quattuor doctores aus Bologna Mitte des 12. Jahrhunderts gebildet hatten: Muss ein Bäcker, bei dem ein Verhungernder Brot gekauft hat, diesem das gekaufte Brot geben, oder kann er sich durch Zahlung des Interesses von seiner Leistungspflicht befreien?18 Damals waren drei der vier doctores (Bulgarus, Ugo und Jacobus) der Auffassung, der Schuldner könne sich durch die Geldzahlung befreien; nur Martinus war der Meinung, der Schuldner würde nur durch die Naturalleistung frei. Eine Folge der damaligen Mehrheitsmeinung findet sich noch Jahrhunderte später in manchen Äußerungen zum common law, etwa in dem berühmten Zitat von Oliver Wendell Holmes: „The duty to keep a contract at common law means a prediction that you must pay damages if you do not keep it, — and nothing else.“19 Gestattet man dem Schuldner die Befreiung durch eine Geldzahlung, so müsste man im Extremfall sogar annehmen, dass der Gläubiger in Annahmeverzug geriete, wenn er die Geldzahlung anstelle der Naturalleistung nicht annimmt. Für den Gläubiger bedeutet eine derart weitgehende Durchführung des Grundsatzes der Geldkondemnation, dass er faktisch überhaupt keine Möglichkeit hat, die Naturalleistung zu bekommen: Selbst wenn ihm der Schuldner das Interesse anbietet, könnte er doch mit diesem Geldbetrag nur einen weiteren Kaufvertrag schließen, bei dessen Erfüllung sich wieder das gleiche Problem stellen würde, so dass der Verhungernde im Beispiel womöglich in ein endloses Karussell von Interessezahlungen geriete, ohne jemals ein Brot zu erhalten. Selbstverständlich stellen sich auch praktische Schwierigkeiten: Woher sollte der Schuldner etwa im Vorhinein wissen, wie hoch das Interesse des Gläubigers 18 Vgl. dazu etwa Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 730; Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 540 ff.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 287 ff. 19 Vgl. Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 462 (1897).
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Erster Teil: Grundlagen
ist? Und selbst wenn er dem Gläubiger die (am Markt ermittelbaren) Kosten eines Deckungsgeschäfts anböte – warum sollte der Gläubiger die Transaktionskosten und v.a. die sonstigen (immateriellen) Nachteile der Vornahme eines Deckungsgeschäfts tragen, ganz zu schweigen von Schäden, die nicht in Geld aufzuwiegen sind, im Beispiel das Verhungern?20 Gleichzeitig besteht gelegentlich ein Interesse des Schuldners, sich von der Naturalleistungspflicht durch eine Interessezahlung zu befreien. Denkbar ist das etwa in Fällen, in denen Dritte die geschuldete Leistung günstiger erbringen können als der Schuldner selbst, sei es, weil die Leistungserbringung gerade für ihn unerwartet teuer geworden ist, oder weil er seine Ressourcen anderweitig günstiger einsetzen kann. Freilich spricht in diesen Fällen auch nichts dagegen, dass der Schuldner selbst den Dritten auf eigene Kosten beauftragt und dem Gläubiger damit nicht nur die Kosten des Deckungsgeschäfts, sondern auch die damit verbundenen „weichen“ Transaktionskosten abnimmt und darüber hinaus ihm die erhoffte Naturalleistung verschafft.
II. Die verschiedenen Stufen der Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers Das Leistungsinteresse des Gläubigers kann auf verschiedene Weisen befriedigt werden: Die am nächsten liegende Möglichkeit ist die Erbringung der Leistung in Natur durch den Schuldner selbst. Aber auch die Leistungserbringung durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners, das sog. Deckungsgeschäft kann das Leistungsinteresse befriedigen. Und schließlich ist es – jedenfalls bei wirtschaftlichen Gläubigerinteressen – denkbar, dass der Schuldner durch eine schlichte Geldzahlung den Gläubiger vermögensmäßig so stellt, als hätte er die Verbindlichkeit pflichtgemäß erfüllt; dies führt immerhin zur Befriedigung des vermögensmäßigen Leistungsinteresses des Gläubigers.
1. Naturalerfüllung durch den Schuldner Der unmittelbare und für beide Seiten des Schuldverhältnisses im Ausgangspunkt optimale Weg ist die Naturalerfüllung durch den Schuldner bzw. durch dessen Beauftragte und Erfüllungsgehilfen. Bei vertraglichen Schuldverhältnissen kann nur die naturale Erfüllung durch den Schuldner selbst beiden Parteien die Vorteile verschaffen, wegen derer sie den Vertrag ursprünglich geschlossen haben: Jede Partei schließt den Austauschvertrag nur deshalb, weil ihr die jewei-
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Vgl. dazu auch Remien, FS Hondius, 2007, S. 321, 322 ff.
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lige Gegenleistung mehr wert ist als die von ihr selbst zu erbringende Leistung. 21 Ein bloßer Austausch von Geldzahlungen würde sich im besten Fall durch Aufrechnung vollständig neutralisieren, wobei beide Parteien aber immerhin ihre Transaktionskosten verlören. Führt die objektivierende Bewertung der geschuldeten Leistungen in Geld zu einem Übergewicht der geschuldeten Leistung einer Seite und damit zu einer Netto-Zahlungspflicht, so hätte diese Partei den Vertrag niemals zu diesem Zweck geschlossen. Solange keine Störungen auftreten, wird der Vertrag daher typischerweise ohne jede gerichtliche Intervention durch naturale Erfüllung abgewickelt werden, weil nur dies im Interesse beider Seiten ist. Aber auch im Störungsfall kann die (ggf. gerichtlich angeordnete) Naturalerfüllung durch den Schuldner noch die beste Lösung darstellen: Aus Sicht des Gläubigers, weil er nach wie vor dasjenige erhält, was ihm nach dem Vertrag zusteht, und aus Sicht des Schuldners, weil er immer noch etwaige Vorteile aus Eigenleistungen ziehen und damit seinen Vertragsgewinn zumindest partiell sichern kann. Freilich sind im Störungsfall auch Gesichtspunkte denkbar, die gegen eine Naturalerfüllung durch den Schuldner sprechen: Der Gläubiger mag fürchten, dass die zwangsweise durchgesetzte Eigenleistung des Schuldners für ihn nicht mehr die gleiche Qualität aufweist wie die freiwillig erbrachte Leistung, ohne dass ihm effektive Rechtsbehelfe gegen derartige Minderleistungen zu Gebote stünden. 22 So wird kaum ein Gläubiger ein Interesse an zwangsweise durchgesetzten künstlerischen Darbietungen oder ärztlichen Behandlungen sowie sonstigen Dienstleistungen haben, für die ein besonderes persönliches Vertrauen erforderlich ist. Auch der Schuldner mag im Störungsfall durchaus Gründe haben, die Leistung nicht mehr selbst erbringen zu wollen, etwa weil die Leistungserbringung für ihn persönlich so teuer geworden ist, dass die Übernahme der Kosten eines Deckungsgeschäfts günstiger wäre. Bei gesetzlichen Verbindlichkeiten führt die Naturalerfüllung durch den Schuldner (bzw. durch von ihm Beauftragte) jedenfalls zur vollen Befriedigung des naturalen Leistungsinteresses des Gläubigers. Gelegentlich kann die Leistung durch den Schuldner selbst sogar die einzige Möglichkeit sein, das Leistungsinteresse des Gläubigers voll zu befriedigen (z.B. Veröffentlichung einer Gegendarstellung durch die gleiche Zeitung, die zuvor eine rufschädigende Tatsache verbreitet hatte). Dem Schuldner kann die Naturalleistung immerhin ermöglichen, etwaige wirtschaftliche Vorteile durch Eigenleistungen zu erzielen und damit die Kosten für die Leistungserbringung durch einen Dritten zu ersparen, soweit ihm dies möglich ist (z.B. Beseitigung von herabgefallenen Ästen 21 Sog. „Performance Interest“, vgl. dazu etwa Friedmann, 111 L.Q.R. 628, 629 (1995); Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 45 f. sowie näher unten § 3.III.1 (S. 165) m.N. 22 So bereits L. J. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen nach deren neuesten Ausgabe, 81818, § 743 Anm. 2; vgl. auch Puig, RDC 2005, 85, 87.
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Erster Teil: Grundlagen
vom Nachbargrundstück zur Erfüllung des Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB). Ist der Anspruch auf die Herausgabe eines Gegenstandes gerichtet, der sich beim Schuldner befindet (z.B. bei der Vindikation oder der Kondiktion einer erlangten Sache), so schont die Naturalerfüllung durch den Schuldner selbst dessen restliches Vermögen, weil er sich von seiner Verpflichtung allein durch die Herausgabe der Sache befreien kann. Jede Geldleistung anstelle der naturalen Herausgabe würde dagegen zu einer Belastung des übrigen Vermögens des Schuldners führen.
2. Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners Eine zweite Stufe der Befriedigung des Gläubigerinteresses ist die Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners. Damit sind nicht die Fälle gemeint, in denen der Schuldner selbst seinem eigenen Plan entsprechend einen Dritten (Subunternehmer, Angestellte oder auch eine Fremdfirma) mit der Naturalerfüllung beauftragt, sondern der Umstand, dass der Gläubiger einen anderen als den Schuldner mit der Naturalerfüllung beauftragt und dem Schuldner die Kosten der Naturalerfüllung in Rechnung stellt (sog. Deckungsgeschäft). Auch hier geht es um die Befriedigung des naturalen Leistungsinteresses des Gläubigers und daher aus dessen Sicht um Naturalleistung. 23 Vor allem kann der Gläubiger nach Vornahme des Deckungsgeschäfts seine Verwendungsplanung beibehalten und in Natur realisieren. Wollte der Gläubiger also etwa eine gekaufte Sache weitervermieten, so kann er dies genauso gut mit einer im Wege eines Deckungsgeschäfts von einem Dritten erworbenen gleichartigen Sache tun. Einen Nachteil erleidet der Gläubiger nur bei höchstpersönlichen Dienstleistungen (z.B. bei künstlerischen Darbietungen), weil hier die Erbringung durch Dritte nicht möglich ist bzw. ein aliud darstellt. Im Übrigen aber wird der Gläubiger – abgesehen von den Transaktionskosten für die erneute Beschaffung der Leistung von dem Dritten – gegenüber der Erbringung durch einen Dritten indifferent sein. Für den Schuldner stellt sich die Naturalerfüllung durch Dritte auf seine Kosten indessen völlig anders dar: Ihm wird – bei vertraglichen Leistungspflichten – die Möglichkeit genommen, seinen Vertragsgewinn durch eigene Leistung zu verdienen. Darüber hinaus muss er im Ergebnis den Vertragsgewinn des Dritten bezahlen und erleidet dadurch einen zusätzlichen Verlust, wenn der Preis des Dritten höher ist als der vereinbarte Vertragspreis. Bei Herausgabepflichten, die auf einen konkreten Gegenstand des Schuldners gerich23 Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1050 (2005) spricht daher zutreffend von „virtual specific performance“; ähnlich auch Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 946; S. A. Smith, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 93, 95 ff., 99 ff.
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tet sind, führt die Naturalerfüllung durch Dritte auf seine Kosten dazu, dass er sich nicht durch die Herausgabe des konkreten Gegenstandes befreien kann, sondern auf sein Stammvermögen zurückgreifen muss, um die Kosten des Deckungsgeschäfts (d.h. mindestens den Marktwert der herauszugebenden Sache) aufzubringen. 24 Indifferent wird der Schuldner nur dann sein, wenn er die geschuldete Leistung ohnehin nicht selbst erbringen konnte, sondern dafür einen Dritten hätte beauftragen müssen. Das kann insbesondere bei gesetzlichen Verbindlichkeiten der Fall sein (Schadensersatz mit Hilfe einer Reparaturfirma), aber auch bei der Mängelbeseitigung durch einen Verkäufer, der nicht zugleich Hersteller ist, oder durch einen Wohnungsvermieter, der hierfür ein Handwerksunternehmen zur Hilfe nehmen muss. In diesen Fällen besteht der Unterschied zwischen der Eigenleistung und der Naturalerfüllung durch Dritte im hier zugrunde liegenden Sinn lediglich darin, dass der Gläubiger und nicht der Schuldner selbst den tatsächlichen Leistungserbringer auswählt. Die Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners führt also immerhin dazu, dass das wirtschaftliche Interesse des Gläubigers an der Erfüllung der Verbindlichkeit (bzw. des Vertrags) so weit wie möglich verwirklicht wird. Das eigene Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung bleibt allerdings unbeachtet.
3. Reiner Geldersatz Die letzte Stufe der Befriedigung des Gläubigerinteresses ist der reine Geldersatz, der nicht der Vornahme eines Deckungsgeschäfts dient, sondern nur das als Geldbetrag ermittelte Leistungsinteresse des Gläubigers deckt. Anders als bei der Vornahme eines Deckungsgeschäfts erhält der Gläubiger nicht die Naturalleistung, sondern nur ein Geldäquivalent. Bei marktgängigen Sachen und Dienstleistungen sind beide Beträge zwar im Ausgangspunkt gleich; wollte der Gläubiger mit der Leistung aber weitere Erträge erzielen, so sind diese beim reinen Geldersatz mit zu berücksichtigen, nicht dagegen bei der Erstattung der Kosten eines Deckungsgeschäfts. Denn wenn der Gläubiger ein Deckungsgeschäft tatsächlich vornimmt, kann er die Erträge in Natur erzielen, so dass sie nicht im Wege des Schadensersatzes zu kompensieren sind.25 Aus Sicht des Gläubigers führt der reine Geldersatz nur dann zu einer vollen Befriedigung, wenn sein gesamtes Leistungsinteresse in Geld bezifferbar und beweisbar ist; insbesondere darf das Leistungsinteresse nicht immateriell sein. Hat der Gläubiger am Leistungsgegenstand zumindest auch ein Affektionsinteresse, kann der Ersatz des bloßen Vermögenswertes für ihn nicht genügend sein. 24 Vgl. dazu Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311 ff. sowie unten § 5.VII.1.c) (S. 392 ff.). 25 Vgl. auch U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 38 III 5 (S. 256 f.).
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Erster Teil: Grundlagen
Ist etwa eine Kinderzeichnung oder eine Speicherkarte mit Urlaubsfotos herauszugeben, kann der reine Geldersatz das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht einmal dann tatsächlich befriedigen, wenn ihm auch für immaterielle Einbußen eine Geldentschädigung zugesprochen werden sollte. Erst recht gilt das dann, wenn der Anspruch auf eine Leistung gerichtet ist, die überhaupt nicht in Geld aufzuwiegen ist, etwa die Beseitigung von Umweltschäden.26 Andererseits wird der Gläubiger an reinem Geldersatz immer dann interessiert sein, wenn ein Deckungsgeschäft nicht möglich ist, etwa bei höchstpersönlichen Leistungen. Hier kann ein Geldersatz – der dann auch den Ertragsausfallschaden umfassen muss – jedenfalls das wirtschaftliche und daher in Geld nachweisbare Leistungsinteresse befriedigen. Auch aus Sicht des Schuldners ist der reine Geldersatz die am meisten belastende Lösung, weil er über die Kosten eines Deckungsgeschäfts (und damit den Marktwert der Leistung) hinaus auch den gesamten Ertragsausfall in Geld zu ersetzen hat, den der Gläubiger nicht mehr in Natur erzielen kann. Im Hinblick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung ist der reine Geldersatz daher die denkbar schlechteste Lösung, weil der Vertrag durch einen reinen Geldaustausch (bzw. die Naturalleistung durch eine reine Geldzahlung) ersetzt wird. Der wirtschaftliche Zweck des Leistungsaustausches wird also sowohl auf Gläubiger- als auch auf Schuldnerseite vollständig verfehlt. Die durch den Vertrag intendierte gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung27 findet nicht statt: Zwar erhält der Gläubiger den Geldeswert desjenigen, was er mit dem Vertragsgegenstand erlangt hätte; aber der Schuldner erleidet – anders als vom Vertrag intendiert – eine Einbuße in gleicher Höhe.
4. Rangfolge der Befriedigungsmöglichkeiten Aus der Interessenlage der Parteien kann nunmehr eine Rangfolge dieser Befriedigungsmöglichkeiten abgeleitet werden: Aus Sicht des Gläubigers sind die beiden ersten Stufen nahezu identisch, weil in beiden Fällen sein naturales Leistungsinteresse befriedigt wird; erhält er – wie nach deutschem Recht regelmäßig – neben den Kosten des Deckungsgeschäfts selbst zusätzlich seinen Verzögerungsschaden und die zusätzlichen Transaktionskosten vom Schuldner ersetzt, so besteht der Unterschied für den Gläubiger lediglich darin, dass er die Mühen des Deckungsgeschäfts auf sich nehmen muss und für diese Unannehmlichkeiten sowie ggf. für weitere nicht liquide beweisbare Schadensposten keinen Ersatz erlangen kann. Die dritte Stufe ist für den Gläubiger hingegen häufig nachteilig, weil hier nicht mehr das naturale Leistungsinteresse befriedigt wird, sondern nur noch das Vermögensinteresse. 26 27
Vgl. zu einem Beispiel Remien, FS Hondius, 2007, S. 321, 322 f. Vgl. dazu eingehend unten § 3.III.1 (S. 165).
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Aus Sicht des Schuldners besteht der wesentliche Unterschied dagegen zwischen der ersten und der zweiten Stufe: Hier kann er schon auf der zweiten Stufe (Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners) sein Interesse an der Naturalandienung – bei vertraglichen Verbindlichkeiten die Differenz zwischen den eigenen Leistungserbringungskosten und dem Vertragspreis – nicht mehr realisieren, sondern muss statt dessen den Gewinn eines Dritten finanzieren. Zwischen der zweiten und der dritten Stufe besteht der Unterschied aus seiner Sicht nur (aber immerhin) darin, dass er neben dem Wert des Leistungsgegenstandes selbst auch den Wert des entgangenen Gewinnes ersetzen muss; je nach Verwendungsabsicht des Gläubigers kann dieser Unterschied geringfügig oder erheblich sein. Aus diesen Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Befriedigung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen folgt eine verhältnismäßig klare Rangfolge: Die Naturalerfüllung durch den Schuldner entspricht zunächst dem Interesse beider Parteien am besten. Ist diese nicht möglich oder für eine der Parteien nicht zumutbar, so ist die zweitbeste Lösung die Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners, also das Deckungsgeschäft. Ist auch dieses nicht realisierbar, kommt ein reiner Geldersatz in Betracht, der sich nicht an den Kosten des Deckungsgeschäfts orientiert, sondern an der Gesamtvermögenseinbuße des Gläubigers infolge der Nichterfüllung, mithin auch den zukünftigen Ertragsausfall umfasst.
5. Dogmatische Einordnung der Befriedigungsstufen Die soeben dargestellten drei Stufen der Befriedigung des Leistungsinteresses haben sich bewusst nicht an gesetzlichen Anspruchsgrundlagen orientiert. Denn je nach dem betroffenen Anspruch finden sich diese Stufen an unterschiedlichen dogmatischen Orten wieder. Zur Rückbindung an bekannte dogmatische Kategorien sollen die Stufen abschließend ihren Grundlagen im BGB zugeordnet werden.
a) Vertragliche Leistungspflichten Bei vertraglichen Leistungspflichten ergibt sich die erste Stufe (Naturalerfüllung durch den Schuldner selbst) aus § 241 Abs. 1 BGB oder, präziser formuliert, aus dem durch diese Vorschrift geprägten traditionellen Verständnis der vertraglichen Primärleistungspflicht, wie sie sich aus dem Vertrag selbst bzw. aus dem dispositiven Gesetzesrecht ergibt (z.B. § 433 Abs. 2 BGB). Die zweite Stufe – Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts – ist eine Form des Schadensersatzes statt der Leistung i.S.v. § 280 Abs. 3 BGB, und zwar nach hier vertretener Auffassung der Ersatz der Kosten einer Naturalrestitution entsprechend § 249
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Erster Teil: Grundlagen
Abs. 2 BGB. 28 Die dritte Stufe – reiner Geldersatz – ist ebenfalls eine Form des Schadensersatzes statt der Leistung i.S.v. § 280 Abs. 3 BGB, allerdings die Geldentschädigung i.S.v. § 251 BGB. Das oben erörterte Rangverhältnis dieser drei Befriedigungsstufen ist im allgemeinen Leistungsstörungsrecht exakt abgebildet: Die Naturalerfüllung durch den Schuldner selbst ist zunächst das einzige dem Gläubiger zustehende Recht. Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung steht unter zusätzlichen Voraussetzungen, insbesondere regelmäßig unter dem Erfordernis einer Fristsetzung (§ 281 Abs. 1 BGB), welches den grundsätzlichen Vorrang der Naturalleistung durch den Schuldner selbst sichert, und dem Erfordernis des Vertretenmüssens. 29 Innerhalb des Schadensersatzes statt der Leistung sorgt – folgt man der hier vertretenen Einordnung des Deckungsgeschäfts unter § 249 Abs. 2 BGB – das Schadensrecht für den Vorrang der Naturalleistung durch Dritte auf Kosten des Schuldners gegenüber dem reinen Geldersatz. Denn ein Anspruch auf reine Geldentschädigung besteht nach § 251 Abs. 1, 2 BGB nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, v.a. der Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit der Naturalherstellung oder ihrer mangelhaften Eignung zur Befriedigung der Gläubigerinteressen. Doch selbst wenn man der hier vertretenen dogmatischen Einordnung des Deckungsgeschäfts nicht folgt und sämtliche Erscheinungsformen des Schadensersatzes statt der Leistung als Geldentschädigung i.S.v. § 251 BGB begreifen wollte,30 würde sich die Subsidiarität des reinen Geldersatzes gegenüber dem Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts aus dem schadensrechtlichen Wirtschaftlichkeitspostulat bzw. der Schadensminderungsobliegenheit des geschädigten Gläubigers nach § 254 Abs. 2 BGB ergeben.31 Denn der Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts ist regelmäßig eine den Schuldner weniger belastende und das Gläubigerinteresse (mindestens) gleichermaßen befriedigende Variante des Schadensersatzes statt der Leistung.
b) Schadensersatzansprüche Im Rahmen von Schadensersatzansprüchen sind die drei Stufen in den §§ 249– 251 BGB niedergelegt: Die – praktisch seltene – Naturalrestitution durch den Schädiger gem. § 249 Abs. 1 BGB entspricht der Naturalerfüllung durch den Schuldner, der Ersatz der Kosten der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 2 BGB 28 Vgl.
bereits Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 ff. sowie eingehend unten § 5. VII.2.a) (S. 397 ff.) m.w.N. 29 Vgl. nur Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 734 f. sowie eingehend unten § 5.II.1 (S. 275 ff.). 30 Vgl. etwa BGHZ 186, 330, 332 (Rn. 10); BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 281 Rn. 36; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 (S. 680 ff.). 31 Vgl. dazu etwa BGHZ 55, 82, 84 ff.; BGHZ 66, 239, 248 f.; BGHZ 115, 364, 368 f.; BGHZ 143, 189, 193; BGHZ 155, 1, 4 f.; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 385 ff. (in Bezug auf verschiedene Möglichkeiten der Naturalrestitution).
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und § 250 BGB der Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners, und die Geldentschädigung nach § 251 BGB dem reinen Geldersatz. Das Rangverhältnis der drei Stufen ist allerdings nicht in gleicher Weise klar wie bei vertraglichen Leistungspflichten, denn der Geschädigte kann sich in den Fällen des § 249 Abs. 2 BGB (Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache) grundsätzlich frei zwischen der Naturalrestitution durch den Schädiger und der Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schädigers entscheiden.32 Dabei muss er nach h.M. nicht einmal darauf Rücksicht nehmen, ob der Schädiger den Schaden im Einzelfall selbst günstiger beheben könnte als der vom Geschädigten beauftragte Dritte.33 Hierfür gibt es im Schadensrecht aber einleuchtende Sachgründe: Der Geschädigte soll nicht gezwungen sein, seine Rechtsgüter – Gesundheit oder Eigentum – erneut dem Schädiger anzuvertrauen, nachdem dieser sie schon einmal beschädigt hatte.34 In den anderen Fällen, die von § 249 Abs. 2 BGB nicht erfasst sind, sieht das Schadensrecht denn auch einen Vorrang der Naturalrestitution durch den Schädiger vor dem Ersatz der Kosten der Naturalrestitution vor, indem § 250 BGB den Kostenersatz unter den Vorbehalt der Fristsetzung stellt.35 Die Subsidiarität des reinen Geldersatzes ist schließlich in § 251 BGB niedergelegt; diese Vorschrift erlaubt den Übergang von der Naturalrestitution (durch den Schädiger oder durch Dritte) auf den reinen Geldersatz nur bei Unmöglichkeit, mangelnder Eignung oder Unverhältnismäßigkeit der Naturalrestitution. Übergreifend gilt im Schadensrecht das Wirtschaftlichkeitsgebot, welches sich in § 249 Abs. 2 BGB (Merkmal der „Erforderlichkeit“ der Kosten der Naturalrestitution), § 251 Abs. 2 BGB (Ausschluss unverhältnismäßiger Aufwendungen zur Naturalrestitution) und § 254 Abs. 2 BGB (allgemeine Schadensminderungsobliegenheit des Geschädigten) niedergeschlagen hat.36 Danach ist unter verschiedenen – aus Sicht des Gläubigers gleichwertigen – Möglichkeiten des Schadensausgleichs diejenige zu wählen, die dem Schädiger den geringsten Aufwand verursacht. Das Wirtschaftlichkeitsgebot dient – unter Berücksichtigung des vollen Ausgleichsinteresses des Geschädigten – dem Schutz des Schädigers vor übermäßigen Belastungen. Es beeinflusst die Stufenfolge der verschiedenen Wege des Schadensersatzes, indem die aus Sicht des Schädigers günstigere Stufe vorzuziehen ist, wenn sie den Geschädigten in gleicher Weise befriedigt. 32
Vgl. nur BGHZ 63, 182, 184; BGHZ 121, 22, 26; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 IV 3 (S. 227); Staudinger/Schiemann, 2005, § 249 Rn. 215; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 357. 33 Vgl. MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 358. 34 Vgl. BGHZ 63, 182, 184; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 357; H. Lange/ Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 IV 2 (S. 226). 35 Vgl. zu diesem Gehalt des § 250 BGB nach heute h.M. nur H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 V 1 (S. 233) sowie grundlegend Frotz, JZ 1963, 391 ff. und näher unten § 5.II.6 (S. 305 ff.). 36 S. oben Fn. 31. 32003,
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Erster Teil: Grundlagen
c) Rücktrittsfolgenrecht Das Rücktrittsfolgenrecht (§§ 346 ff. BGB) gewährt ebenfalls zunächst einen Anspruch auf Rückgabe der erbrachten Leistungen in Natur (§ 346 Abs. 1 BGB). Die Ansprüche auf Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts und auf reinen Geldersatz (einschließlich des entgangenen Gewinns des Rückgewährgläubigers) ergeben sich im Verschuldensfalle über § 346 Abs. 4 BGB aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht, d.h. den §§ 280–283 BGB. Insoweit kann auf die Ausführungen zu vertraglichen Leistungspflichten verwiesen werden.37 Allerdings ist durchaus umstritten, ob diese Verweisung nur für nachträgliche Leistungsstörungen (nach Ausübung des Rücktrittsrechts) oder auch für anfängliche Leistungsstörungen (zwischen Leistung und Ausübung des Rücktrittsrechts) gilt.38 Hinzu kommt das – unstreitig auch bei anfänglichen Leistungsstörungen bestehende – Recht des Rückgewährgläubigers, anstatt der Rückgewähr der empfangenen Leistung gem. § 346 Abs. 2 BGB verschuldensunabhängig Ersatz des Wertes des zurückzugewährenden Gegenstandes zu verlangen. Dieser Wertersatzanspruch kompensiert Einbußen des Rückgewährgläubigers bei einer nicht zu vertretenden Verschlechterung oder einem nicht zu vertretenden Untergang der geschuldeten Sache, sowie bei Dienstleistungen, die ohnehin nicht in Natur zurückgewährt werden können. Seine wesentliche Bedeutung liegt bei Störungen, die bereits vor Anspruchsentstehung (bzw. vor Kenntnis vom Rücktrittsgrund) eingetreten sind, und die daher nach wohl h.M. keine Schadensersatzhaftung auslösen können. Es handelt sich mithin im Ausgangspunkt nicht um einen Übergangstatbestand von einem bereits bestehenden primären Naturalleistungsanspruch auf einen sekundären Geldleistungsanspruch, sondern um eine Festlegung des Inhalts des primären Rückgewähranspruches.39
37
S. oben § 1.II.5.a) (S. 25 f.). Für eine Beschränkung auf nachträgliche Störungen etwa S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 434; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1063; Wagner, FS U. Huber, 2006, S. 591, 617 f.; Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 10 Rn. 53; ders., JuS 2009, 481, 487 f.; für eine Anwendung auch auf vorherige Störungen, jedenfalls ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund die wohl h.M., vgl. Canaris, in: ders. (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. VII, XLVI; M. Schwab, JuS 2002, 630, 636; MünchKomm-BGB/Gaier, 2012, § 346 Rn. 60; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 346 Rn. 58; Palandt/Grüneberg, § 346 Rn. 15; Jürgen Kohler, ZGS 2005, 386 ff. 39 Vgl. zum Verhältnis zwischen der Wertersatzhaftung aus § 346 Abs. 2 BGB und der Schadensersatzhaftung aus §§ 346 Abs. 4, 280 ff. BGB insbesondere Faust, JuS 2009, 481, 489. 38
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d) Bereicherungsrecht Im Bereicherungsrecht ist der Anspruch auf Naturalleistung durch den Schuldner selbst in den einzelnen bereicherungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen verankert: Jeweils schuldet der Schuldner die Herausgabe des „Erlangten“, und das bedeutet nach zutreffender ganz h.M. die Herausgabe des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes in Natur.40 Die Tatbestände des Übergangs auf eine Geldleistung sind hier differenziert gestaltet: Zum einen sieht § 818 Abs. 2 BGB eine Wertersatzpflicht für die Fälle der Unmöglichkeit (wegen Unterganges oder bei generell nicht in Natur herausgebbaren Leistungsgegenständen) vor, zum anderen verweisen die § 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB für die Haftung des bösgläubigen oder verklagten Bereicherungsschuldners auf die allgemeinen Vorschriften, d.h. auf die §§ 280 ff. BGB. Im Hinblick auf Sachherausgabeschulden betrifft diese Verweisung zunächst die in § 292 BGB enthaltene Weiterverweisung auf die Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, namentlich auf § 989 BGB, der für den schuldhaften Untergang eine Verpflichtung zum vollen Schadensersatz anordnet. Diese Schadensersatzpflicht kann – ebenso wie die Schadensersatzpflicht statt der Leistung nach § 281 BGB – zweistufig verstanden werden: Zunächst als Verpflichtung zur Übernahme der Kosten einer Ersatzbeschaffung entsprechend § 249 Abs. 2 BGB, und nachrangig als Verpflichtung zum reinen Geldersatz (einschließlich eines entgangenen Gewinnes des Bereicherungsgläubigers41) gem. § 251 BGB.42 Ob darüber hinaus auch das Regime der §§ 275 ff. BGB auf den bösgläubigen oder verklagten Bereicherungsschuldner anzuwenden ist, ist in der Literatur umstritten; ein praktisches Bedürfnis besteht insoweit v.a. hinsichtlich der Herausgabe von Früchten.43 Aber auch der Fristsetzungsmechanismus des § 281 BGB hat in § 989 BGB keine funktionale Parallele, obwohl für ihn ein praktisches Bedürfnis besteht, um ein Mittel gegen den hartnäckig die Herausgabe verweigernden Schuldner in der Hand zu haben. Dabei ist allerdings umstritten, ob dies nur für den bösgläubigen oder auch für den gutgläubigen Bereicherungsschuldner gelten soll.44 Soweit die §§ 275 ff. BGB auf Bereicherungsansprüche anzuwenden sind45, gilt hinsichtlich der Hierarchie der ver-
40
Vgl. nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 71 I 1 (S. 254 f.). Vgl. BGH NJW 2014, 2790, 2793 (Rn. 32 ff.). 42 S. dazu oben § 1.II.5.a) (S. 25 f.). 43 Vgl. MünchKomm-BGB/M. Schwab, 2013, § 818 Rn. 291. 44 Vgl. MünchKomm-BGB/M. Schwab, 2013, § 818 Rn. 292, 295; sehr weitgehend M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 110: Anwendung auch gegenüber dem gutgläubigen Bereicherungsschuldner. 45 Vgl. zur Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB im Rahmen des Bereicherungsanspruchs BGH NJW 2014, 782; BGH NJW 2014, 2790, 2794 (Rn. 38 ff.). 41
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schiedenen Stufen der Befriedigung des Gläubigerinteresses das oben zu den vertraglichen Leistungspflichten Ausgeführte.46
e) Vindikation Die Vindikation (§ 985 BGB) ist (heute47) ihrem primären Inhalt nach mit Selbstverständlichkeit auf die Herausgabe der Sache in Natur gerichtet. Die Übergangstatbestände auf einen Geldleistungsanspruch sind ebenfalls differenziert ausgestaltet: Für die verschuldete Unmöglichkeit der Herausgabe oder die Verschlechterung der Sache sehen die §§ 989, 990 BGB eine Haftung nur beim bösgläubigen oder verklagten Besitzer vor; im Übrigen ist der Besitzer gem. § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB von einer Haftung befreit (mit Ausnahme des sog. Fremdbesitzerexzesses48). Die Schadensersatzpflicht umfasst wiederum nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen primär die Erstattung der Kosten einer Ersatzbeschaffung und subsidiär den reinen Geldersatz nach § 251 BGB. Unabhängig von einem Verschulden sieht § 816 Abs. 1 S. 1 BGB in den Fällen des Eigentumsverlustes durch gutgläubigen Erwerb nach den §§ 892, 932 ff. BGB eine bereicherungsrechtliche Herausgabepflicht hinsichtlich des Veräußerungserlöses vor, während § 951 BGB für den Eigentumsverlust nach den §§ 946 ff. BGB eine bereicherungsrechtliche Wertersatzpflicht statuiert.49 Auch bei der Vindikation stellt sich die Frage, ob über diese differenzierten Regelungen hinaus eine Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 281 BGB gerechtfertigt ist, um dem Eigentümer ein Mittel an die Hand zu geben, gegen einen hartnäckigen Herausgabeverweigerer vorzugehen, ohne den mühsamen Weg der Herausgabeklage und -vollstreckung beschreiten zu müssen.50
f) Actio negatoria Für die actio negatoria aus § 1004 Abs. 1 BGB besteht kein besonderes Leistungsstörungsrecht. Der Anspruch ist zunächst auf Beseitigung der Störung in Natur gerichtet. Ein Übergang auf eine Geldleistung ist nach zutreffender h.M. unter Anwendung des Allgemeinen Leistungsstörungsrechts möglich. Insbesondere kann der Gläubiger dem Schuldner nach § 281 Abs. 1 BGB eine angemessene Frist zur Störungsbeseitigung setzen und nach deren fruchtlosem
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S. oben § 1.II.5.a) (S. 25 f.). Zu abweichenden Auffassungen im römischen Recht s. unten § 2.II.1.b) (S. 73 ff.). 48 Vgl. nur BGHZ 24, 188, 196; BGHZ 31, 129, 132; Staudinger/Gursky, 2012, Vor §§ 987 ff. Rn. 32; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 993 Rn. 10. 49 Vgl. eingehend unten § 6.II.1 (S. 409 ff.). 50 Vgl. dazu eingehend unten § 6.II.2.c) (S. 416 f.). 47
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Ablauf zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen51 – nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen zunächst im Wege des Kostenersatzes für ein Deckungsgeschäft, subsidiär auch durch reinen Geldersatz. Insoweit gilt das Gleiche wie hinsichtlich der vertraglichen Leistungspflichten.52 Darüber hinaus wird im Rahmen des Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB dem Gläubiger, der die Beseitigung selbst – ohne Beachtung der Voraussetzungen des § 281 BGB – vornimmt, häufig auch ein Bereicherungsanspruch auf Ersatz der ersparten Aufwendungen des Schuldners gewährt.53 Bei dieser Frage der sog. „voreiligen Selbstvornahme“ handelt es sich aber richtigerweise nicht um ein spezifisches Problem des Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB, sondern um eine Frage des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, welche für vertragliche Leistungsansprüche in gleicher Weise zu beantworten ist.54
III. Die möglichen Verwirklichungsstufen des Grundsatzes der Naturalerfüllung Der Grundsatz der Naturalerfüllung kann in einer Rechtsordnung in verschiedenen Stufen verwirklicht sein. Es handelt sich mit anderen Worten nicht um ein festes Modell mit eindeutigen Ausprägungen und Grenzen, sondern um ein Prinzip, das in unterschiedlicher Intensität umgesetzt sein kann. Die einzelnen Verwirklichungsstufen auseinanderzuhalten, ist insbesondere für die rechtshistorische, rechtsvergleichende und rechtspolitische Würdigung verschiedener Konzepte unerlässlich. Schließlich wird auch den Interessen der Parteien des Schuldverhältnisses durch die verschiedenen Verwirklichungsstufen des Naturalerfüllungsgrundsatzes in unterschiedlicher Weise Rechnung getragen.
1. Materiell-rechtliche Verwirklichungsstufen Auf der Ebene des materiellen Rechts sind verschiedene Verwirklichungsstufen des Grundsatzes der Naturalerfüllung möglich.
51 Vgl. etwa Bezzenberger, JZ 2005, 373, 375 ff.; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 189 Fn. 61 sowie eingehend unten § 6.III.3 (S. 426 ff.). 52 S. oben § 1.II.5.a) (S. 25 f.). 53 St. Rspr. seit RGZ 127, 29, 33 f.; vgl. BGH NJW 1991, 2826; NJW 2004, 603; BGH NJW 2005, 1366, 1367; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 III 2d (S. 193 f.); Herresthal/ Riehm, NJW 2005, 1457, 1461. 54 Vgl. dazu Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457 ff. sowie eingehend unten § 4.V.5 (S. 260 ff.).
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Erster Teil: Grundlagen
a) Naturalleistungspflicht des Schuldners Die erste Stufe ist die gedankliche Existenz einer naturalen Leistungspflicht des Schuldners, mag ihr auch kein klagbarer Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegenüberstehen. Eine solche Naturalleistungspflicht ist jedenfalls im Vertragsrecht in allen Rechtsordnungen erforderlich. Denn weder ein vertragliches Haftungsrecht noch auch nur ein Begriff der Erfüllung sind überhaupt denkbar, ohne dass ein Maßstab dafür bestünde, was die geschuldete Leistung des Schuldners sein soll: Erfüllung liegt (jedenfalls auch) vor, wenn die geschuldete Leistung erbracht wurde,55 und Nichterfüllung liegt vor, wenn der eingetretene Leistungserfolg hinter dem Geschuldeten zurückgeblieben ist. Für beides ist die Vorstellung einer Erfüllungspflicht in Gestalt einer Naturalleistungspflicht des Schuldners unentbehrlich – mag ihr auch kein entsprechendes Forderungsrecht des Gläubigers gegenüberstehen. Zudem kann sich der Schuldner durch Naturalleistung von seiner Leistungspflicht befreien. Mit anderen Worten kann eine Rechtsordnung nicht sinnvoll davon ausgehen, dass Verträge nur in Geld erfüllbar sind; das wäre in der Tat auch eine völlig unsinnige Regelung, besteht doch der wirtschaftliche Hauptzweck entgeltlicher Verträge darin, Geld gegen eine Sachleistung einzutauschen, so dass selbstverständlich die Sachleistung die vertragsgemäße Leistung ist.56 Dementsprechend sehen auch alle Rechtsordnungen eine entsprechende Pflicht des Schuldners vor, auch wenn diese nicht immer in der Weise vorrangig ausgestaltet ist, dass der Schuldner sich nur durch die Naturalleistung befreien kann.57 Allerdings besteht diese Eindeutigkeit außerhalb des Vertragsrechts nicht in gleicher Weise. Zwar ist für die Vindikation eine naturale Leistungspflicht heute58 im gerade erwähnten Sinne von allen Rechtsordnungen anerkannt; gleiches gilt für Bereicherungsansprüche.59 Im Rücktrittsrecht – soweit überhaupt ein besonderes Rücktrittsfolgenrecht besteht60 – und im Recht des Schadensersatzes ist eine primäre Pflicht zur Naturalrestitution dagegen rechtsvergleichend bei weitem keine Selbstverständlichkeit, denn viele Rechtsordnungen erkennen – zumindest dem Buchstaben des Gesetzes nach – nur auf Geld gerichtete Schadensersatzansprüche an.61 55
S. auch McKendrick, Contract law, 102013, No. 18.3. Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 343 f. 57 Vgl. dazu näher unten § 2 (S. 64 ff.). 58 Vgl. zur Vindikation in historischer Perspektive etwa E. Picker, FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 699 ff., 702 f.; ders., FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 282 ff. 59 Vgl. von Bar/Swann (Hrsg.), Unjustified enrichment, 2010, Notes I zu Art. 5:101 PEL Unj. Enr. (S. 452 ff.). 60 Vgl. zum schottischen Recht etwa Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, 2004, S. 350 ff.: Anwendung des Bereicherungs- oder Vertragsrechts. 61 Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei von Bar, Non-contractual liability ari56
§ 1. Naturalerfüllung und Geldleistung
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b) Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung Auf der nächsten gedanklichen Verwirklichungsstufe steht dem Gläubiger ein der Naturalleistungspflicht des Schuldners korrespondierendes Recht auf die Naturalerfüllung zu. Der Gläubiger kann vom Schuldner bei Fälligkeit aufgrund dieses Rechts zumindest auch Naturalerfüllung (materiell-rechtlich) verlangen, d.h. ein Naturalerfüllungsverlangen wirkt etwa als Mahnung verzugsbegründend. Auch dieses Primärrecht als materiell-rechtliche Rechtsposition des Gläubigers ist in allen Rechtsordnungen anerkannt,62 mag auch eine Klage auf Naturalerfüllung ausgeschlossen sein. Dieses subjektive Recht ist etwa Gegenstand einer Abtretung. Ob dieses Recht des Gläubigers als Anspruch bezeichnet wird oder lediglich als materielles Recht auf die Naturalleistung, ist eine Frage der zugrunde liegenden Anspruchsdefinition. Versteht man als Anspruch im heutigen deutschen Verständnis nur klagbare Erfüllungsansprüche i.S.v. § 241 Abs. 1 BGB, so handelt es sich bei dem Primärrecht des Gläubigers noch nicht zwingend um einen Anspruch in diesem Sinne, sondern lediglich um ein subjektives Recht, vergleichbar der Position des Gläubigers einer Naturalobligation.63
c) Materiell-rechtlicher Vorrang des primären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers Bei der folgenden Verwirklichungsstufe ist das Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung nicht nur eine mögliche Ausprägung des gedanklichen Erfüllungsrechts des Gläubigers, sondern die vorrangige Ausprägung. Mit anderen Worten kann der Gläubiger zunächst (d.h. bei Fälligkeit) nur die Naturalerfüllung verlangen, und der Schuldner kann nur durch die Naturalleistung erfüllen. Fordert der Gläubiger bei Fälligkeit schon Geld statt der Naturalleistung, so kommt der Schuldner nicht in Verzug; bietet der Schuldner bei Fälligkeit Geld statt der Naturalleistung, so kann der Gläubiger die Annahme verweigern, ohne in Gläubi-
sing out of damage caused to another, 2009, Notes I zu Art. 6:101 PEL Liab. Dam. (S. 912 ff.) sowie unten § 2 (S. 64 ff.); zum historischen Überblick vgl. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985. Der DCFR sieht in Art. VI. – 6:101 Abs. 2 zumindest auch die Möglichkeit einer Naturalrestitution durch den Schädiger vor („Reparation may be in money (compensation) or otherwise, […]“). 62 Vgl. zur Anerkennung dieses Primärrechts (primary right) im common law ausdrücklich Pomeroy, Remedies and Remedial Rights by the Civil Action, 31894, S. 2; s. ferner Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 254; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 139 f.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 205 f.; unrichtig daher der Vorwurf gegen Unberath bei U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 321 Fn. 3, der unter Primäranspruch offenbar nur den klagbaren Primäranspruch verstehen will. 63 Vgl. dazu etwa G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 405 ff.: „Obligatorisches Leistungsrecht ohne rechtliche Zwangsbefugnisse“.
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gerverzug zu geraten. Mithin haben weder Gläubiger noch Schuldner die freie Wahl zwischen Naturalleistung und Geldzahlung. Im deutschen Recht ergibt sich dieser materielle Vorrang des primären Naturalerfüllungsrechts aus § 362 Abs. 1 BGB, wonach die Erfüllungswirkung nur eintritt, wenn „die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.“ Eine Geldleistung anstelle einer geschuldeten Sach- oder Dienstleistung kann daher – abgesehen von einer vom Gläubiger gebilligten Leistung an Erfüllungs statt – keine Erfüllungswirkung haben. Das galt trotz des Grundsatzes der Geldkondemnation auch im römischen Recht64 und im Spätmittelalter65 und gilt auch heute im common law66 sowie im französischen Recht67.68 Dies ist ein Beleg dafür, dass auch diese Rechtsordnungen die Obligation als primär auf die Naturalleistung gerichtet verstehen; ein gedankliches und im Fälligkeitszeitpunkt vorrangiges Recht auf die Naturalleistung liegt also auch hier zugrunde. Historisch war das freilich nicht immer unstreitig: In dem eingangs69 erwähnten Beispiel der quattuor doctores vom Verhungernden, der beim Bäcker Brot gekauft hatte, wurde dem Schuldner (Bäcker) von drei der vier doctores in der Tat gestattet, sich von seiner Leistungspflicht durch Zahlung des Interesses auch gegen den Willen des Gläubigers zu befreien.70 Auch sonst gingen viele Glossatoren und Kommentatoren im frühen Mittelalter davon aus, dass der Schuldner in bestimmten Fällen befugt war, sich (insbesondere von Dienstleistungspflichten) durch die Interesseleistung zu befreien.71 Bei den außervertraglichen Schuldverhältnissen ist dieser materiell-rechtliche Vorrang des primären Naturalerfüllungsrechts ebenfalls nicht selbstverständlich. So ist er zwar im Bereicherungsrecht (vgl. etwa Art. VII. – 5:101 Abs. 1, 2–4 DCFR)72 sowie bei der Vindikation und der actio negatoria weitgehend anerkannt.73 Im Schadensrecht wird indessen dem Schädiger gelegent64 Vgl.
Ulpian Dig. 50, 16, 176; Paulus Dig. 46, 3, 54; Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 53 Rn. 1, 9; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 45. 65 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 14. 66 Vgl. dazu etwa Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 31 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 143. 67 Vgl. bereits Pothier, Traité des obligations, 1805, Bd. 2, n° 494. 68 Vgl. dazu auch Atamer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 432, 433. 69 S. oben § 1.I.2 (S. 17 f.). 70 Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 730; Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 540 f. unter Hinweis auf Anonymus, in: Haenel (Hrsg.), Dissensiones Dominorum sive controversiae veterum iuris Romani interpretum qui glossatores vocantur, 1834, § 60 (S. 46 f.); s. auch Accursius, Corpus Iuris Civilis Iustiniaei, um 1230, Dig. 19, 1, 1 pr., glosse Agitur. 71 Vgl. etwa HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 8 ff. m.w.N. 72 Vgl. von Bar/Swann (Hrsg.), Unjustified enrichment, 2010, Notes I zu Art. 5:101 PEL Unj. Enr. (S. 452 ff.). 73 Vgl. etwa Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehungen zum Schadensersatzrecht, 1976, S. 183 ff.
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lich ein Wahlrecht gewährt, ob er den Schadensersatz in Natur oder durch eine Geldzahlung erbringen will (vgl. etwa § 249 Abs. 2 BGB).74
d) Materiell-rechtlicher Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers Auf der nächsten Stufe ist das Naturalerfüllungsrecht des Gläubigers nicht nur bei Fälligkeit das vorrangige Ziel der Obligation, sondern auch nach Fälligkeit, d.h. nach einer Pflichtverletzung des Schuldners. Das Recht auf Naturalerfüllung geht auf dieser Stufe den anderen Rechtsbehelfen bei Nichterfüllung, also insbesondere Rücktritt oder Schadensersatz, ggf. auch Wertersatz, vor. Zur Unterscheidung gegenüber der vorigen Stufe soll hier vom „sekundären Naturalerfüllungsrecht“ gesprochen werden, ohne dass insoweit die dogmatische Einordnung als Rechtsbehelf oder Primäranspruch präjudiziert werden soll.75 Erkennbar ist ein derartiger materiell-rechtlicher Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts daran, dass andere Rechtsbehelfe an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft sind, das Naturalerfüllungsrecht des Gläubigers hingegen grundsätzlich voraussetzungslos gewährt wird. Deutlichstes Beispiel für eine vorrangsichernde besondere Voraussetzung weiterer Rechtsbehelfe ist das Modell der Fristsetzung, das im deutschen Recht schon seit langem üblich ist (vgl. § 326 BGB a.F. sowie heute § 281 BGB).76 Denkbar ist aber auch eine kraft Gesetzes laufende angemessene Frist zur Nachholung der Leistung, wie sie in Art. 3 Abs. 5 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG für den kaufvertraglichen Nacherfüllungsanspruch vorgesehen ist,77 oder das Erfordernis einer Mahnung wie im aktuellen Reformvorhaben für das französische Schuldrecht (mise en demeure).78 Schließlich sichern auch zusätzliche Voraussetzungen für den Geldanspruch, wie sie etwa im deutschen Schadensrecht in § 251 BGB enthalten sind, den materiell-rechtlichen Vorrang des Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers, der keinen derartigen Voraussetzungen unterliegt. Gleiches gilt für die Übergangstatbestände auf Wertersatz in §§ 346 Abs. 2, 818 Abs. 2 BGB. Auch die Art. 47 ff. CISG sehen im Ergebnis einen materiell-rechtlichen Vorrang (auch) des sekundären Naturalerfüllungsrechts vor: Zwar kann der Käufer dem Verkäufer nach Art. 47 Abs. 1 CISG eine Nachfrist setzen; er muss dies 74 Aus Art. VI. – 6:101 Abs. 2 DCFR geht nicht hervor, wem die Wahl zwischen den verschiedenen Schadensersatzmöglichkeiten zusteht: Dem Schädiger, dem Geschädigten oder dem Gericht; vgl. dazu von Bar, Non-contractual liability arising out of damage caused to another, 2009, S. 909 f. 75 S. zu dieser Einordnung unten § 4.III.3 (S. 232 ff.). 76 Zur Geschichte des Fristsetzungserfordernisses im deutschen Recht vgl. eingehend U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 36 I 5 (S. 184 ff.) m.w.N.; ders., ZHR 161 (1997), 160, 165. 77 S. unten § 8.II.1.a)bb) (S. 460). 78 S. dazu unten § 2.V.3 (S. 116 f.).
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aber nicht tun.79 Vertragsaufhebung kann er nach Art. 49 Abs. 1 CISG jedoch nur verlangen, wenn er entweder zuvor eine Frist nach Art. 47 Abs. 1 CISG gesetzt hat oder eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen liegt erst auf dieser Ebene der wesentliche Unterschied: Das common law erlaubt dem Gläubiger nach Eintritt einer Leistungsstörung den sofortigen Übergang auf einen Schadensersatzanspruch, geht also gerade nicht von einem materiell-rechtlichen Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers aus. Auch der materiell-rechtliche Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers bedingt indessen noch nicht zwingend seine Klagbarkeit. Es ist durchaus denkbar, eine materiell-rechtliche Fristsetzungslösung mit einem prozessualen Grundsatz der Geldkondemnation zu verbinden: Der fruchtlose Ablauf einer Nachfrist wäre dann zwar materiell-rechtliche Voraussetzung einer Schadensersatz- oder Rückabwicklungsklage, bei deren Fehlen die Klage abzuweisen wäre; gleichwohl könnte eine Klage auf Naturalerfüllung (oder die Vollstreckung eines entsprechenden Urteils) ausgeschlossen sein. Das kann etwa nach dem CISG der Fall sein, wo der Fristsetzungsmechanismus der Art. 47 ff. CISG den Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsrechts auch dann sichert, wenn gem. Art. 28 CISG nach dem Recht des entscheidenden Gerichts kein klagbarer Erfüllungsanspruch gewährt wird.80 Erst der materiell-rechtliche Vorrang des sekundären Nacherfüllungsrechts des Gläubigers führt im Übrigen dazu, dass die Rechtsordnung auch Übergangstatbestände vom Naturalerfüllungsanspruch auf einen Geldersatzanspruch vorsehen muss. Solange der Gläubiger ohnehin nur Geld verlangen oder zumindest zwischen Naturalerfüllung und Geldersatz frei wählen kann, muss die Rechtsordnung nicht regeln, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger anstelle der Naturalleistung nur noch ein Geldäquivalent verlangen kann. Nötig sind allenfalls Regeln über den Ausschluss des Naturalerfüllungsanspruches, z.B. im Falle der Unmöglichkeit, die aber auch prozessual oder sogar vollstreckungsrechtlich ausgestaltet sein können, weil es hier nur noch darum gehen kann, den Schuldner vor missbräuchlichen Naturalerfüllungsverlangen zu schützen; im Übrigen wird der Gläubiger bei einem freien Wahlrecht schon im eigenen Interesse nur diejenige Rechtsfolge begehren, die ihn auch zum Ziel führt. Mit der Einführung eines Rangverhältnisses zwischen Naturalerfüllung und Geldleistung entsteht demgegenüber ein Bedarf nach Regelungen, die Ausnahmen vom Vorrang der Naturalerfüllung vorsehen, um dem Gläubiger ausnahmsweise die Geltendmachung des Geldersatzes anstelle der Naturalleistung zu gestatten. Das gilt etwa im Fall der Unmöglichkeit der Naturalerfüllung, oder wenn das Interesse des Gläubigers durch eine Naturalerfüllung nicht 79 80
Vgl. Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 47 CISG Rn. 13. Vgl. Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 47 CISG Rn. 11 m.w.N.
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mehr befriedigt werden kann (z.B. weil infolge des Zeitablaufs seit Fälligkeit der Gläubiger zu einem Deckungsgeschäft schreiten möchte). Dementsprechend finden sich in Rechtsordnungen, die keinen Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches kennen, auch keine Übergangstatbestände, sondern allenfalls Gründe für den Ausschluss der Naturalverurteilung; ein Fristsetzungsmechanismus entsprechend dem deutschen § 281 BGB etwa ist dem common law fremd.
2. Prozessuale Verwirklichungsstufen Ist im materiellen Recht ein Recht des Gläubigers auf die Naturalerfüllung vorgesehen, so stellt sich – unabhängig von dessen Vorrang – auf prozessualer Ebene die Frage nach dessen Durchsetzbarkeit, zunächst im Erkenntnisverfahren, dann im Vollstreckungsverfahren. Eine Verurteilung zur Naturalerfüllung (und damit auch eine hierauf gerichtete Klage) ist ferner praktisch nur effektiv, wenn auch eine Naturalvollstreckung möglich ist, d.h. im Vollstreckungsrecht und im faktisch existierenden Vollstreckungssystem vorgesehen ist.
a) Klagbarkeit des Naturalerfüllungsanspruches In prozessualer Hinsicht81 besteht die erste Stufe der Verwirklichung des Naturalerfüllungsgrundsatzes in der Klagbarkeit des Naturalerfüllungsanspruches. Diese setzt jedenfalls dessen gedankliche Anerkennung im materiellen Recht voraus, mag er auch nicht vorrangig sein. Klagbarkeit in diesem Sinne bedeutet, dass der Naturalerfüllungsanspruch als solcher zum Gegenstand von Klage und Urteil gemacht werden kann, dass also nicht etwa nur Zwangsmittel (z.B. eine private Vertragsstrafe oder ein gerichtliches Zwangsgeld bei Nichterfüllung) oder das Interesse vom Gläubiger eingeklagt werden können, sondern unmittelbar die Naturalleistung selbst. Der Schuldner kann also zu einer bestimmten Handlung oder Lieferung bzw. Herausgabe einer bestimmten Sache verurteilt werden. Die Anerkennung eines materiell-rechtlichen Naturalerfüllungsrechts setzt dabei nicht denknotwendig die Möglichkeit einer Verurteilung zur Naturalleistung voraus. Bereits die Existenz der dogmatischen Kategorie der Naturalobligationen, also materiell vollwertiger Ansprüche ohne Klagbarkeit,82 zeigt, dass Obligationen ohne zwangsweise Durchsetzungsmöglichkeiten denkbar sind und auch gedacht werden. Ob es sich hierbei um „vollwertige“ Obligationen 81 Damit soll nicht behauptet werden, die Klagbarkeit eines Anspruches sei dem Prozessrecht zuzuordnen; vielmehr handelt es sich nach zutreffender h.M. um eine Eigenschaft des materiell-rechtlichen Anspruches, vgl. nur M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 765 f. sowie Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 229; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 91906, § 44 (S. 192). 82 Vgl. dazu eingehend G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 240 ff.
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handelt, ist eine Frage des Obligationsbegriffes,83 die hier nicht näher vertieft werden soll, weil sie ohne sachlichen Erkenntniswert ist: Sieht man die Klagbarkeit als unverzichtbares Merkmal vollwertiger Obligationen an, so handelt es sich bei derartigen „stillen“ Primärrechten selbstverständlich nicht um vollwertige Obligationen; sieht man dies anders, so können auch unklagbare Obligationen vollwertig sein. Beides verrät nur etwas über die bevorzugte Definition des Obligationsbegriffes, aber nichts über die sachlichen Folgen bzw. die sachliche Richtigkeit oder Angemessenheit dieser Einordnung. Umgekehrt kann es keine Klage auf Naturalverurteilung ohne die dogmatische Konstruktion eines entsprechenden Primäranspruches auf Naturalerfül lung geben: Sobald man materielles Recht und Klagemöglichkeiten scheidet (was im deutschen Recht eine wissenschaftliche Errungenschaft des 19. Jahrhunderts ist84 und im englischen common law bis heute nicht durchgehend anerkannt ist85), muss jeder Klagemöglichkeit auch ein entsprechendes materielles Recht, eben ein klagbarer Anspruch zugrunde liegen. Im deutschen Recht ist diese Klagbarkeit nach richtiger Auffassung durch § 241 Abs. 1 BGB für alle Ansprüche gegeben bzw. wird jedenfalls stillschweigend für alle Ansprüche vorausgesetzt.86 Das common law gewährt dagegen auf prozessualer Ebene eine Klage auf specific performance – d.h. einen gerichtlich durchsetzbaren Naturalleistungsanspruch – im Vertragsrecht nur in bestimmten Ausnahmefällen, in denen der Gläubiger ein besonderes Interesse an der Naturalleistung hat.87 In den übrigen Fällen besteht zwar ein erfüllbares Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung in dem Sinne, dass der Schuldner sich von seiner (Schadensersatz-)Pflicht durch die Naturalleistung auch nach Fälligkeit grundsätzlich noch befreien kann;88 klagbar ist dieses Recht indessen nicht. Auch das römische Recht kannte eine actio auf die Naturalleistung nur in besonderen Fällen und blieb im Übrigen beim Grundsatz der Geldkondemnation, ließ also nur Klagen auf bestimmte Geldsummen zu.89
83
Vgl. näher G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 262 ff. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 229; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 91906, § 44 (S. 189 ff.); s. zum Ganzen K. H. Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozess, 1954, S. 2 f.; M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 765 f. 85 Vgl. dazu Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 174. 86 Vgl. nur M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 346 f. mit Nachweisen zum Streitstand; s. ferner Eichel, Künftige Forderungen, 2014, S. 307 ff. 87 Vgl. den Überblick bei Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 175 ff. sowie näher unten § 2.VI.2.c) (S. 128 ff.). 88 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 520. 89 Vgl. eingehend unten § 2.II.1.b) (S. 73 ff.). 84 Vgl.
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b) Vollstreckbarkeit von Urteilen auf Naturalerfüllung Die stärkste prozessuale Verwirklichungsstufe des Naturalerfüllungsgrundsatzes ist die Eröffnung der Vollstreckungsmöglichkeit für Urteile auf Naturalerfüllung. Dies setzt selbstverständlich die Klagbarkeit des Naturalerfüllungsanspruches voraus, nicht aber dessen materiell-rechtlichen (oder prozessualen) Vorrang. Umgekehrt sind aber auch klagbare Naturalerfüllungsansprüche ohne Vollstreckbarkeit denkbar, wie es das deutsche Recht etwa in § 888 Abs. 3 ZPO für Dienstverpflichtungen aus Arbeitsverträgen und in § 120 Abs. 3 FamFG für die eheliche Herstellungsklage vorsieht. Historisch ist die faktische organisatorische Möglichkeit einer staatlichen Naturalvollstreckung erst mit der Entwicklung der Territorien hin zu absolutistischen Fürstenstaaten im 16. Jahrhundert entstanden,90 weil sich erst seit dieser Zeit ein Verständnis des Staates entwickelte, der sich auch um die zwangsweise Durchsetzung privater Interessen kümmert.91 Dementsprechend begann erst dann überhaupt ein hierzu fähiges staatliches Vollstreckungswesen zu existieren.92 Innerhalb der Vollstreckbarkeit ist weiter zu unterscheiden zwischen Vollstreckungsmitteln, die auf die Naturalerfüllung durch den Schuldner gerichtet sind (im deutschen Recht also insbesondere Zwangsgeld und Zwangshaft gem. § 888 ZPO, aber auch die Wegnahme der Sache beim Schuldner gem. §§ 883 ff. ZPO), und Vollstreckungsmitteln, die letztlich doch nur zu einer Geldleistung des Schuldners führen, d.h. der Ersatzvornahme durch Beauftragung eines Dritten auf Kosten des Schuldners (im deutschen Recht § 887 ZPO).
aa) Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang Als echte Naturalvollstreckung – d.h. zur Herbeiführung der Naturalleistung durch den Schuldner – kann dabei nur die Herausgabevollstreckung durch Wegnahme und die „Vollstreckung“ der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 ZPO angesehen werden, weil nur diese Vollstreckungswege die Naturalleistung durch den Schuldner selbst erzwingen, diesem also seine Vorteile aus der Erbringung der Naturalleistung sichern: Bei der Herausgabevollstreckung durch Wegnahme verliert der Schuldner nur die herauszugebende Sache; bei der Abgabe einer Willenserklärung bleibt das übrige Vermögen ebenso geschont. Im Sinne der oben dargestellten Stufen der Befriedigung
90 Vgl. etwa Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 732; Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 550 ff. 91 Vgl. zum historischen Zusammenhang von Staatsverständnis und Vollstreckungswesen auch Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 530; W. Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 21982, § 1 III (S. 9). 92 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 550 ff.
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des Gläubigerinteresses93 liegt nur diese Form der Vollstreckung auf der ersten Stufe (Erbringung der Naturalleistung durch den Schuldner). Diese Form der Vollstreckung ist auch gegen hartnäckig die Leistung verweigernde Schuldner wirksam, weil der Leistungsgegenstand dem Gläubiger durch staatliche Gewalt unmittelbar – auch und gerade gegen den Willen des Schuldners – zugeführt wird.
bb) Handlungsvollstreckung durch Ersatzvornahme Die Zwangsvollstreckung durch Ersatzvornahme führt dagegen zur Naturalerfüllung nur aus Sicht des Gläubigers, der dadurch die Leistung in Natur erlangt. Aus Sicht des Schuldners ist sie faktisch identisch mit einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung, berechnet nach den Kosten des Deckungsgeschäfts – abgesehen von der Ersatzpflicht für sonstige Folgeschäden, die über die Kosten des Deckungsgeschäfts hinausgehen; diese sind aber typischerweise als Verzögerungsschäden ersatzfähig. Im Sinne der oben dargestellten Stufen der Befriedigung des Gläubigerinteresses94 liegt die Ersatzvornahme daher nicht auf der ersten Stufe (Erbringung der Naturalleistung durch den Schuldner), sondern auf der zweiten Stufe (Erbringung der Naturalleistung durch Dritte auf Kosten des Schuldners). Im praktischen Ergebnis ist eine Naturalverurteilung, die nur zu einer Vollstreckung durch Ersatzvornahme führt, daher nur eine prozessual anders gewandete Form der Geldkondemnation: Das Urteil lautet zwar auf die Naturalleistung, kann aber nur in Form einer Geldleistung vollstreckt werden.95 Von der reinen Geldkondemnation unterscheidet sich diese Vollstreckungsmöglichkeit aber immerhin dadurch, dass der Schuldner die Chance erhält, den Bestand seiner Leistungspflicht rechtskräftig klären zu lassen und sie gleichwohl noch erfüllen kann, wenn ein rechtskräftiges Leistungsurteil vorliegt. Der Geldvollstreckung kann er dann durch die Erbringung der Naturalleistung entgehen – woran er nach Rechtskraft des entsprechenden Leistungsurteils ein evidentes Interesse haben dürfte. Bei reiner Geltung des Grundsatzes der Geldkondemnation hat der Schuldner dagegen keine Möglichkeit, zunächst das Bestehen des Anspruches zu bestreiten, hierüber eine gerichtliche rechtskräftige Klärung herbeizuführen, dann aber den Anspruch doch noch in Natur zu erfüllen; das Bestreiten würde dem Gläubiger vielmehr immer unmittelbar das Recht geben, zum Schadensersatz überzugehen, und dem Schuldner damit die 93
S. oben § 1.II (S. 20 ff.). S. oben § 1.II (S. 20 ff.). 95 Vgl. auch M. Wolf, JZ 1963, 434, 435: „Die Kostentragung im Rahmen des § 887 ZPO ist ein Teil des vom nichtleistenden Schuldners zu erbringenden Schadensersatzes.“ Ebenso Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 863 (2006) zum deutschen Recht; umgekehrt sieht etwa Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 73 f. den schadensrechtlichen Ersatz der Kosten einer Ersatzvornahme als Vollstreckungsmaßnahme an. 94
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Möglichkeit nehmen, nach rechtskräftiger Klärung der Anspruchsberechtigung die Vorteile aus der eigenen Leistungserbringung noch zu ziehen. Gegen einen hartnäckig die Leistung verweigernden Schuldner führt die Vollstreckung durch Ersatzvornahme immerhin zu einem Geldanspruch des Gläubigers, der – Zahlungsfähigkeit des Schuldners vorausgesetzt – auf diese Weise jedenfalls sein Leistungsinteresse erhält.
cc) Handlungsvollstreckung durch Zwangsgeld bzw. Zwangshaft Besonders eigenartig ist die Vollstreckung von Urteilen, die auf die Vornahme unvertretbarer Handlungen gerichtet sind, durch die Androhung (und ggf. Vollstreckung) von Zwangsgeld oder gar Zwangshaft. Die Vollstreckung dieser Zwangsmittel führt – jedenfalls nach deutschem und englischem Vollstreckungsrecht, welches die Zwangsgelder nicht dem Gläubiger, sondern der Staatskasse zuführt96 – in keiner Weise zur Befriedigung des Gläubigerinteresses. Weder die Zwangsgeldzahlung an die Staatskasse noch die Inhaftierung des Schuldners führen insoweit weiter. Zwangsgeld und Zwangshaft wirken also allein über ihre Androhung, indem sie den Schuldner dazu anhalten sollen, die Leistung doch selbst zu erbringen, also – im Gegensatz zur Vollstreckung von Herausgabetiteln und Urteilen auf die Abgabe zu einer Willenserklärung – nicht durch unmittelbaren, sondern nur durch mittelbaren Zwang.97 Gegen einen hartnäckig die Leistung verweigernden Schuldner bietet diese Art der Vollstreckung nur insoweit eine Handhabe, als die Zwangsmittel immer wieder angedroht und vollstreckt werden können und der Druck auf den Schuldner damit so groß wird, dass er seine hartnäckige Weigerung möglicherweise aufgibt. Vor dem Hintergrund des vollstreckungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes98 sind der beliebigen Druckerhöhung aber Grenzen gesetzt. Nach deutschem Recht und auch nach englischem Recht hat der Gläubiger von der fruchtlosen Vollstreckung dabei keinerlei Vorteile:99 Sein Leistungsinteresse wird, wenn der Schuldner sich weiterhin hartnäckig weigert, die Leistung zu erbringen, weder in Natur noch in Geld befriedigt.100 Daher ist der Ansatz einiger Staaten (z.B. von Frankreich oder der Benelux-Länder) ver 96 Vgl. nur Zöller/K. Stöber, § 888 Rn. 13 sowie rechtsvergleichend näher A. Bruns, ZZP 118 (2005), 3 ff.; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 182 f. 97 Vgl. auch S. Arnold, ZEuP 2012, 315, 326. 98 Vgl. hierzu Wieser, ZZP 98 (1985), 50 ff. 99 Vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 14, 113, 192 f.; A. Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 8 ff. 100 Freilich mag das materielle Recht dem Gläubiger erlauben, nach erfolgloser Vollstreckung eines Naturalleistungsurteils Schadensersatz zu verlangen und damit immerhin materiell-rechtlich auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen. Dieser ist dann aber in seinen Voraussetzungen allein vom materiellen Recht und nicht vom Vollstreckungsrecht abhängig, und muss regelmäßig in einem neuen Prozess eingeklagt werden (vgl. zum deutschen Vollstreckungsrecht § 893 ZPO).
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ständlich, das Zwangsgeld dem Gläubiger zukommen zu lassen, um diesem im Falle der hartnäckigen Leistungsverweigerung wenigstens eine Mindestkompensation – unter Anrechnung auf einen späteren Schadensersatz statt der Leistung – zu gewähren.101
dd) Mittelbarer Zwang durch Geldkondemnation oder Personalexekution Neben den förmlichen Mitteln der Zwangsvollstreckung ist nicht zu verkennen, dass auch die bloße Gefahr einer Geldkondemnation für den Schuldner nicht unerheblichen Druck ausübt, die Naturalleistung zu erbringen.102 Denn durch die Verurteilung zu Schadensersatz statt der Leistung verliert er – nicht anders als durch den Zwang zur Tragung der Kosten der Ersatzvornahme103 – die Möglichkeit, seinen eigenen Vertragsgewinn bzw. sonstige Vorteile durch die persönliche Erbringung der Leistung zu realisieren. Die Nichterfüllung wird auf diese Weise für ihn mit großer Wahrscheinlichkeit zum Verlustgeschäft, was den Schuldner in seinem eigenen Interesse zur Erbringung der Naturalleistung anhalten wird. Erst recht gilt dies, wenn der vom Schuldner im Wege der Geldkondemnation zu leistende Schadensersatz nicht nur den tatsächlichen (oder gar vorhersehbaren) Schaden des Gläubigers abdeckt, sondern darüber hinaus Elemente des Strafschadensersatzes enthält (sog. punitive damages).104 Diese haben faktisch die gleiche Zwangswirkung wie eine im Vorhinein vereinbarte Vertragsstrafe oder eben auch wie die Verhängung eines Zwangs- oder Ordnungsgeldes. Vor diesem Hintergrund ist die Möglichkeit einer Naturalvollstreckung nicht das allein entscheidende Kriterium für die Frage, ob eine Rechtsordnung hinreichenden Druck aufbauen kann, um den Schuldner einer Naturalleistung zur naturalen Erfüllung zu bewegen. Vielmehr kann auch eine schneidige Schadensersatzpflicht eine ähnliche mittelbare Zwangswirkung wie ein drohendes vollstreckungsrechtliches Zwangsgeld entfalten und dementsprechend den Schuldner zur Naturalleistung anhalten.105 Der wesentliche Unterschied zur 101 Vgl. dazu näher Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 182 ff., 192 ff., der allerdings – infolge der Ablehnung einer Verknüpfung mit dem Schadensersatz statt der Leistung – dafür plädiert, das Zwangsgeld der Staatskasse zuzusprechen (ebd. S. 203 f.); ebenso auch A. Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 20 ff. 102 Vgl. dazu auch U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 322: Mittelbar erheblicher Druck auf den Schuldner durch den Schadensersatzanspruch, den Vertrag so wie versprochen zu erfüllen. 103 Vgl. soeben § 1.III.2.b)bb) (S. 40 f.). 104 Dies ist bei Vertragsverletzungen allerdings ausgesprochen selten, vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 70; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 292 f. m.N. zum kanadischen Recht. 105 Vgl. auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 73; R. Stürner, JZ 1976, 384, 385; aus dem Bereich des common law Pomeroy, Remedies and Remedial Rights by the Civil Action, 31894, S. 2; Narasimhan, 97 Yale L. J. 61, 65 (1987).
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„echten“ Naturalverurteilung mit Naturalvollstreckung besteht aber, wie bereits ausgeführt,106 darin, dass es der Ausschluss einer Naturalkondemnation mit entsprechendem Vollstreckungsrecht dem Schuldner unmöglich macht, zunächst das Bestehen des Anspruches rechtskräftig feststellen zu lassen, und danach die Leistung freiwillig zu erbringen. Der mittelbare Zwang durch eine bei Nichtleistung drohende Geldzahlungspflicht setzt vielmehr bereits im vorprozessualen Stadium – und ohne gerichtliche Kontrolle – ein; der Schuldner bestreitet das Bestehen der Forderung auf eigenes Risiko, während er bei Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung durch das Bestreiten der Leistungspflicht lediglich das Risiko eines etwaigen Verzögerungsschadens übernimmt, im Übrigen aber die Vorteile durch die Eigenleistung noch realisieren kann. Damit geht die – nicht zu unterschätzende107 – Signalfunktion des Naturalleistungsurteils bei Geltung des Grundsatzes der Geldkondemnation verloren.
IV. Die Bewertung der Interessenlage Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Modellen der Geldkondemnation und der Naturalkondemnation setzt eine Analyse der Interessen von Gläubiger und Schuldner in typischen Konstellationen voraus. Dabei soll zunächst die Interessenlage von Gläubiger und Schuldner bei vertraglichen Ansprüchen untersucht werden,108 bevor die insoweit gefundenen Ergebnisse auf gesetzliche Ansprüche übertragen werden.
1. Vertragliche Ansprüche a) Die Interessen des Gläubigers Für den Sachleistungsgläubiger besteht das Motiv für den Vertragsschluss darin, die Naturalleistung (gegen Entgelt) zu erlangen. Insbesondere im geschäftlichen Verkehr dient das Institut des Vertrags der Ermöglichung von Kooperation:109 Der Gläubiger vergibt eine Leistung an einen externen Schuldner, weil dieser sie günstiger herstellen oder beschaffen kann als er selbst, um den Leistungsgegenstand in seinem Betrieb weiter zu verwenden – sei es durch seine Weiterveräußerung oder durch seinen produktiven Einsatz im Betrieb. Da106
Vgl. soeben § 1.III.2.b)bb) (S. 40 f.). Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 425 f. 108 Vgl. hierzu auch die Interessenanalyse bei U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 I 1 (S. 139 ff.). 109 Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 99; T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 117 ff.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S. 33 f. sowie aus ökonomischer Sicht unten § 3.III.2.c) (S. 169 f.). 107
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mit diese Kooperation durch Vertrag funktioniert, ist der Gläubiger aber auf die Naturalleistung angewiesen; mit einer bloßen Geldleistung kann er diese Zwecke nicht erreichen. Dieses Interesse des Gläubigers an der Naturalleistung lässt sich in verschiedene Einzelaspekte aufteilen,110 die freilich nicht immer alle zugleich vorliegen werden. Zu unterscheiden ist zunächst das Substanzinteresse, d.h. das Interesse am gegenständlichen Erhalt der Naturalleistung, vom Verwendungs- oder Ertragsinteresse, d.h. vom Interesse, den vertraglichen Leistungsgegenstand plangemäß zu verwenden. Hinzu kommen ferner das Solvenzinteresse, das Interesse am Erhalt der Naturalleistung bei Fälligkeit oder zumindest möglichst zeitnah, und schließlich das Interesse an einer rechtssicheren Bestimmung des Schuldinhalts.
aa) Das Interesse am Erhalt der Naturalleistung (Substanzinteresse) Das wesentliche Interesse des Gläubigers besteht zunächst darin, die Naturalleistung gegenständlich zu erhalten: Wer eine Sache kauft, möchte die Sache erhalten (und dafür den Kaufpreis bezahlen); wer eine Werkleistung in Auftrag gibt, möchte, dass der Auftrag erledigt wird; wer eine Dienstleistung bestellt, möchte diese erhalten usw. Eine Geldzahlung kann dieses Interesse nicht unmittelbar befriedigen.111 Dieses Naturalleistungsinteresse wird idealerweise durch den Schuldner selbst befriedigt, weil sich der Gläubiger genau diesen mit seinen persönlichen Eigenschaften (Zuverlässigkeit, Qualität der Dienstleistung, Insolvenzrisiko etc.) ausgesucht hat, so dass in vielen Fällen die Erbringung der gleichen Leistung durch einen anderen Schuldner aus Sicht des Gläubigers und bei Berücksichtigung aller Umstände gleichwohl nicht dieselbe wäre.
(1) Vertretbare Leistungen Bei Leistungen (Sachen oder Handlungen), die nach den Vorstellungen des Gläubigers durch gleichartige Leistungen Dritter ersetzt werden können (vertretbare Leistungen), ist auch ein Deckungsgeschäft112 möglich. Ein solches führt dazu, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers (zwar verspätet, aber) letztlich doch in Natur befriedigt wird – nur eben nicht durch den Schuldner, sondern auf dessen Kosten durch einen Dritten. Damit verbleibt dem Gläubiger aber die Möglichkeit, seine Verwendungsplanung in Natur zu verwirklichen, 110 Vgl. dazu auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 324; Kitz, Die Dauerschuld im Kauf, 2005, S. 22 ff., allerdings mit z.T. abweichenden Klassifikationen und abweichender Terminologie; s. ferner U. Huber, FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 557. 111 Vgl. schon Ziebarth, Die Realexecution und die Obligation, 1866, S. 40; Josef Kohler, AcP 80 (1893), 141, 233. 112 Vgl. zur Definition des Deckungsgeschäfts Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740 f.
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so dass er zwar sein Substanzinteresse (in Gestalt der Kosten des Deckungsgeschäfts) in Geld liquidieren muss, sein Ertragsinteresse aber – soweit es nicht durch die Leistungsverzögerung endgültig ausgefallen und daher über den Verzögerungsschaden zu ersetzen ist113 – in Natur realisieren kann. Da zudem die Berechnung des Substanzinteresses bei vertretbaren (und daher typischerweise marktgängigen) Leistungen mit verhältnismäßig geringen Schwierigkeiten verbunden ist – wenn der Gläubiger tatsächlich ein Deckungsgeschäft vorgenommen hat, kann er schlicht die konkret entstandenen Kosten darlegen –, ist die Beeinträchtigung des Gläubigers durch die Verweisung auf das Geldinteresse regelmäßig wesentlich geringer. Freilich ist auch bei vertretbaren Vertragsleistungen die Vornahme des Deckungsgeschäftes auf Kosten des Schuldners für den Gläubiger nicht stets verlustfrei. Denn auch ein Deckungsgeschäft kann dem Gläubiger Unannehmlichkeiten verursachen, die durch Geld nicht ausgeglichen werden können.114 Ein Beispiel für derartige „weiche“ Transaktionskosten ist die – schadensrechtlich nach deutschem Recht grundsätzlich nicht ersatzfähige115 – „Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten“ zur Suche eines geeigneten Vertragspartners für das Deckungsgeschäft. Ein weiteres Beispiel ist der Umstand, dass der neue Vertragspartner möglicherweise nicht die gleichen Qualitäten (hinsichtlich seiner Dienstleistungen, seiner Zuverlässigkeit oder seines Insolvenzrisikos) bietet wie der ursprünglich ausgewählte Vertragspartner, oder dass der Gläubiger den neuen Anbieter noch nicht kennt und er daher neue Erkundigungen hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit und Bonität einholen muss. Inwieweit derartige „weiche“ Transaktionskosten bestehen, und wann die Beeinträchtigungen durch das weitere Zuwarten auf die Naturalleistung des ursprünglichen Schuldners diese überschreiten, kann nur der Gläubiger selbst beurteilen; gerade wegen der fehlenden Quantifizierbarkeit und intersubjektiven Nachvollziehbarkeit dieser Beeinträchtigungen scheidet eine treffende Schätzung durch ein Gericht aus.
(2) Unvertretbare Leistungen Die Besonderheit unvertretbarer Leistungen besteht darin, dass ihre Bewertung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Insbesondere ist eine Schadensberechnung anhand der Kosten eines Deckungsgeschäfts ausgeschlossen, weil ein solches bei unvertretbaren Leistungen ex praemissione nicht möglich ist. Damit ist aber auch die Erzielung der weiteren Verwendungsvorteile in Natur ausgeschlossen, weil diese ein Deckungsgeschäft voraussetzen. So bleibt nur die Möglichkeit eines reinen Geldersatzes nach dem Vermögenswert der Leistung und den zu erwartenden Vermögensvorteilen aus der Verwendung des Leis113 Vgl.
Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 742 f., 747, 749 f. Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 136 (1981). 115 Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 83, 89 m.w.N. 114 Vgl.
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tungsgegenstandes. Beides ist bei unvertretbaren Sachen aber nur sehr schwer zu schätzen, so dass der Gläubiger (oder/und der Schuldner) erheblichen Bewertungsunsicherheiten ausgesetzt sind. Diese Unsicherheiten führen zugleich zu einem erhöhten Prozessrisiko, weil über derartige Bewertungen schwieriger Einigkeit zu erzielen sein wird und jede Partei eine Chance sehen wird, das Gericht von ihrer Sicht der Bewertung zu überzeugen. Von vornherein kann eine Geldleistung das Interesse des Gläubigers an der Sachleistung nicht befriedigen, wenn dieser mit der unvertretbaren Leistung keine wirtschaftlichen, sondern rein ideelle Interessen verfolgt.116 Das Portrait eines Kindes, das ein namhafter Künstler für die Familiengalerie malen soll, mag zwar einen Geldwert haben, ist aber in seiner Bedeutung für den Gläubiger durch eine Geldzahlung nicht aufzuwiegen. Hier kann nur die Erbringung der Naturalleistung durch den Schuldner selbst das (immaterielle) Leistungsinteresse des Gläubigers tatsächlich befriedigen. Gleiches gilt beispielsweise für Urlaubsreisen117 oder für Unterlassungspflichten bei Ruhestörung im Nachbarverhältnis.118
bb) Das Interesse an der plangemäßen Verwendung der Leistung (Verwendungsinteresse) Typischerweise will der Gläubiger den Leistungsgegenstand im Rahmen seines Betriebes oder seiner privaten Lebensplanung zu einem bestimmten Zweck einsetzen.119 Soweit dieser Zweck allein darin besteht, mit der Sache Geld zu verdienen (z.B. durch den Weiterverkauf einer Kaufsache oder den Einsatz einer für ihn gefertigten Maschine in seinem Betrieb), kann dieser zwar durch die Zahlung von Geld grundsätzlich erreicht werden. Dafür muss der Gläubiger aber seinen Ertragsausfallschaden ermitteln und darlegen und zu diesem Zweck seine Verwendungsabsichten offenlegen120 und ihren Wert beziffern. Das ist mit erheblichen Schwierigkeiten und Bewertungsunsicherheiten verbunden. Im deutschen Recht gewähren die §§ 252 BGB, 287 ZPO dem Gläubiger insoweit zwar einige Erleichterungen; gleichwohl verbleibt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass das tatsächlich gerichtlich durchsetzbare Geldinteresse hinter dem wirklichen Wert des Naturalleistungsinteresses zurückbleibt.121 Dann kann 116
Vgl. auch Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 116 ff. (1981); Maultzsch, JZ 2010, 937, 940. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 326. 118 Vgl. Köhler, AcP 190 (1990), 496 ff. mit Hinweis auf H. Lehmann, Die Unterlassungspflicht, 1906, S. 266 f. 119 Vgl. auch Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740 f. 120 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 329; für die Ersatzfähigkeit des Ert rags ausfallschadens ist unerheblich, ob der Schuldner die Verwendungsplanung bei Vertragsschluss kannte, vgl. Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740. 121 Vgl. Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 138 f. (1981); vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 329 unter Hinweis auf Josef Kohler, AcP 80 (1893), 141, 233. 117 Vgl.
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selbst eine geplante wirtschaftliche Verwendung der Sachleistung nicht mehr in Geld aufgewogen werden. Hier kann allenfalls ein Deckungsgeschäft helfen, bei welchem der Gläubiger zwar die naturale Leistung erhält, aber eben nicht vom Schuldner selbst, sondern von einem Dritten auf Kosten des Schuldners. Doch auch in diesem Fall verbleiben für den Gläubiger trotz des Ersatzes aller nachweisbaren Kosten für die Suche nach einem neuen und gleichwertigen Anbieter noch erhebliche Unannehmlichkeiten sowie der Zeitverlust.122 Effektiver ist es hier regelmäßig auch aus Sicht des Gläubigers, zunächst auf die Naturalleistung durch den ursprünglichen Schuldner zu bestehen. Das Verwendungsinteresse des Gläubigers dient im Übrigen nicht nur der Gewinnerzielung, sondern umfasst auch die Amortisation von Aufwendungen, die der Gläubiger im Vertrauen auf die Vertragserfüllung durch den Schuldner getätigt hat. Dies kann zwar grundsätzlich auch durch eine bloße Geldleistung ausgeglichen werden – und zutreffend ordnet das deutsche Leistungsstörungsrecht diese Aufwendungen über die Rentabilitätsvermutung dem Schadensersatz statt der Leistung zu.123 Insoweit bestehen aber wieder die Schwierigkeiten der Schadensberechnung und der Beweisführung im Prozess, die bei frustrierten Aufwendungen besonders groß sein können. Das gilt vor allem dann, wenn allgemeine Investitionen nicht ausschließlich der vertraglichen Leistung zugeordnet werden können, sondern auch auf andere Weise amortisiert werden sollten.124 Auch insoweit erweist sich die Naturalleistung also als zielführender.
cc) Das Interesse am rechtzeitigen bzw. zeitnahen Erhalt der Naturalleistung (zeitabhängiges Verwendungsinteresse) Der Gläubiger hat ferner ein Interesse daran, die Naturalleistung zum Fälligkeitszeitpunkt, jedenfalls aber möglichst zeitnah danach zu erhalten. Dieses Interesse folgt aus dem Verwendungsinteresse des Gläubigers, der den Leistungsgegenstand bereits ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit für die avisierten Zwecke einsetzen möchte. Gleichwohl ist es vom oben125 erörterten Verwendungsinteresse zu unterscheiden, welches sich auf die gesamte mit dem geschuldeten Leistungsgegenstand angestrebte Verwendung bezieht, während es hier nur um die Zeit bis zur späteren Erlangung der Naturalleistung geht, nach deutschem Recht also um den Verzögerungsschaden i.S.v. § 280 Abs. 2 BGB.126 122 Vgl.
Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 117 ff. (1981). Vgl. nur S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 225; Canaris, JZ 2001, 499, 517; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 23. 124 Man denke etwa an die Errichtung einer Werkhalle, in der sowohl die vom Schuldner gekaufte (und nicht gelieferte) Maschine als auch andere (vorhandene) Maschinen zum Einsatz kommen sollten. 125 Vgl. § 1.IV.1.a)bb) (S. 46 f.). 126 Vgl. zu dessen Abgrenzung vom Ertragsausfallschaden nur Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 749 ff. 123
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Dieses Interesse am rechtzeitigen Erhalt der Naturalleistung kann – soweit insofern überhaupt ein besonderes Interesse besteht, die Verwendung also nicht ohne weiteres in vollem Umfang nachholbar ist – ex praemissione nicht mehr in Natur erreicht werden, wenn der Fälligkeitszeitpunkt überschritten ist. Hier stellt sich also die Frage eines etwaigen Überganges von dem Anspruch auf Naturalerfüllung auf ein Sekundärrecht nicht, weil die rechtzeitige Naturalerfül lung von vornherein wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen ist. Daher widmet sich diese Untersuchung nicht dem Verzögerungsschaden. Gleichwohl ist das Interesse am rechtzeitigen Erhalt der Leistung in verschiedener Hinsicht zu berücksichtigen, weil unterschiedliche Ausgestaltungen des Vorrangs der Naturalerfüllung Einfluss darauf haben, zu welchem Zeitpunkt etwa ein Deckungsgeschäft vorgenommen werden kann. Man denke etwa an eine Rechtsordnung, die einen unbedingten Vorrang der Naturalverurteilung und Vollstreckung vorsieht und dem Gläubiger erst im Vollstreckungsverfahren erlaubt, zur Ersatzvornahme zu schreiten – und im Kontrast dazu an eine Rechtsordnung, die dem Gläubiger unmittelbar bei Nichtleistung nach Fälligkeit gestattet, zum Schadensersatz überzugehen und ein Deckungsgeschäft vorzunehmen: Es ist evident, dass die erstgenannte Lösung das Interesse am rechtzeitigen Erhalt der Naturalleistung erheblich weniger befriedigt als die letztgenannte, weil der Gläubiger das gesamte Erkenntnisverfahren abwarten muss, um zum Deckungsgeschäft schreiten zu können. Das erhellt, dass das Interesse des Gläubigers am rechtzeitigen Erhalt der Naturalleistung dafür spricht, ihm Wege zur Verfügung zu stellen, seinen Verzögerungsschaden (nicht zuletzt im Interesse des insoweit ersatzpflichtigen Schuldners!) zu minimieren, indem ihm der Weg zu einem Deckungsgeschäft ermöglicht wird, sobald die Beeinträchtigungen des Gläubigers durch ein Deckungsgeschäft geringer sind als diejenigen durch den (weiteren) Leistungsverzug.127 Insoweit ist bei der Ausgestaltung bzw. Bewertung der verschiedenen Übergangstatbestände auch das Interesse des Gläubigers am rechtzeitigen Erhalt der Naturalleistung, also das zeitabhängige Verwendungsinteresse, zu berücksichtigen.
dd) Das Interesse an der Vermeidung des Insolvenzrisikos (Solvenzinteresse) Ein weiterer Nachteil der Geldleistung besteht aus Sicht des Gläubigers schließlich darin, dass der tatsächlichen Realisierung des Geldinteresses die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners entgegenstehen kann.128 Insbesondere bei Handlungspflichten, aber auch bei Herausgabeschulden steht Geldmangel des Schuld127
S. unten § 5.VI.3.b)dd) (S. 384 ff.). war bereits ein Argument der Reichstagsmehrheit anlässlich der Schaffung der §§ 888, 890 ZPO, vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 532. 128 Das
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ners seiner Fähigkeit zur Erbringung der Naturalleistung nicht grundsätzlich entgegen. So kann etwa auch ein mittelloser Arbeitnehmer persönlich seine Arbeitsleistung erbringen, auch wenn die Kosten einer Ersatzvornahme bei ihm nicht zu erlangen wären. Ein bloßer Anspruch auf die Geldleistung wäre für den Gläubiger daher wertlos, weil der Schuldner ihn nicht erfüllen könnte, bzw. weil er als bloße Insolvenzforderung nur quotal befriedigt würde.129 Es ist dann eine Frage der Gestaltung des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, ob in derartigen Fällen Wege zur Verfügung stehen, um dem Gläubiger die Naturalleistung auch dann zu verschaffen, wenn monetäre Sanktionen den Schuldner wegen seiner Mittellosigkeit nicht (mehr) treffen. Im deutschen Vollstreckungsrecht sieht insoweit etwa § 888 ZPO für nicht vertretbare Handlungen im Grundsatz die Anordnung der Zwangshaft vor,130 die auch mittellose Schuldner abschrecken kann; für vertretbare Handlungspflichten fehlt es allerdings an einer vergleichbaren Regelung.131
b) Die Interessen des Schuldners Auch aus Sicht des Sach- oder Dienstleistungsschuldners ist es evident, dass er den Vertrag schließt, um die Naturalleistung und nicht eine Geldleistung zu erbringen. Das zentrale Motiv für den Vertragsschluss aus seiner Sicht ist in der Regel die Gewinnerzielung durch die Ausnutzung der Differenz zwischen seinen internen Kosten für die Leistungserbringung und den externen Kosten, die er seinem Vertragspartner in Rechnung stellen kann.132 Diesen Gewinn kann er nur erzielen, wenn er tatsächlich die Naturalleistung in der kalkulierten Weise, also zu seinen internen Kosten erbringt; denn das Geldinteresse, das er dem Gläubiger ersetzen müsste, beträgt mindestens den Wert der Gegenleistung133 und überschreitet dieses in der Regel, so dass der Vertrag im Falle der Leistung des Geldinteresses für den Schuldner zum Verlustgeschäft wird. Im Einzelnen lassen sich verschiedene Interessen des Schuldners unterscheiden:134 Das Interesse an der Befreiung von der Leistungspflicht (Liberationsinteresse), das Interesse am Erhalt der Gegenleistung (Gewinninteresse), das Interesse, die Sachleistung selbst zu erbringen (Leistungserbringungsinteresse)
129
Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 330. besteht eine solche Möglichkeit im eben gebildeten Beispiel des Arbeitnehmers gem. § 888 Abs. 3 ZPO nicht. 131 S. dazu näher unten § 7.II.3.b) (S. 438 f.). 132 Vgl. zur Unterscheidung zwischen internen und externen Kosten der Leistungserbringung Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1458. 133 Vgl. zum Betrag der Gegenleistung als objektivem Mindestschaden nach deutschem Recht nur BGHZ 62, 119, 120; BGH NJW 1998, 2360, 2364; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 23. 134 Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 331 ff., mit einer geringfügig abweichenden Einteilung. 130 Freilich
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sowie das Interesse, die Rückabwicklung des Vertrags zu vermeiden (Vertragsdurchführungsinteresse).
aa) Das Interesse an der Befreiung von der Leistungspflicht (Liberationsinteresse) Offenkundig ist zunächst das Interesse des Schuldners, sich durch die Naturalerfüllung von seiner Leistungspflicht zu befreien. Im deutschen Recht tritt nach § 362 BGB die Erfüllungswirkung nur ein, wenn die geschuldete Leistung erbracht wird, und das bedeutet: die Naturalleistung.135 Wie oben dargelegt,136 gehen auch alle anderen untersuchten Rechtsordnungen davon aus, dass sich der Schuldner bei Fälligkeit nur durch Erbringung der Naturalleistung von der Leistungspflicht befreien kann. Freilich ist dieses Interesse nicht a priori vorgegeben, sondern folgt eben aus der Struktur des positiven Rechts, welches dem Schuldner die Befreiung grundsätzlich ausschließlich durch die Naturalleistung gestattet.137 Würde das positive Recht dem Schuldner auch gestatten, sich durch Leistung eines Geldbetrages zu befreien, wäre das Schuldnerinteresse darauf gerichtet, sich entweder durch die Naturalleistung oder durch Geldleistung zu befreien, letzteres insbesondere dann, wenn die Naturalleistung aufwändiger als erwartet und die Geldleistung dadurch die lukrativere Variante geworden ist. Bedeutsam ist das Liberationsinteresse vor allem im Hinblick auf die Bindung von Ressourcen, die für den Schuldner mit einer fortbestehenden Leistungspflicht verbunden ist: Wenn nach dem positiven Recht ein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers auf die Naturalleistung besteht, muss der Schuldner so lange mit einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger rechnen, wie dieser Naturalleistungsanspruch besteht, und dafür die erforderlichen Ressourcen (z.B. Personal oder Material) vorhalten.138 Erst mit der Erfüllung – oder einem anderweitigen Erlöschen des Naturalleistungsanspruches (im deutschen Recht z.B. nach einem berechtigten Schadensersatzverlangen des Gläubigers gem. § 281 Abs. 4 BGB) – ist der Schuldner dieser Notwendigkeit enthoben und kann über die gebundenen Ressourcen risikolos anderweitig verfügen.139
135 Vgl. nur MünchKomm-BGB/Fetzer, 2012, § 362 Rn. 1 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 346. 136 S. oben § 1.III.1.b) (S. 33). 137 S. dazu oben § 1.III.1.b) (S. 33). 138 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 334; Mommsen, Die Lehre von der Mora nebst Beiträgen zur Lehre von der Culpa, 1855, S. 306; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 13; s. zur geringeren Ressourcenbindung bei einem reinen Geldleistungsanspruch Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 165 f. 139 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Schutz des Liberationsinteresses M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 334 ff.
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bb) Das Interesse an der Realisierung des Vertragsgewinnes (Gewinninteresse) Wesentlich wichtiger aus Sicht des Schuldners ist sein Interesse, den Vertragsgewinn zu realisieren.140 Dieser besteht, wie eingangs erwähnt, bei ungestörter Vertragsdurchführung aus der Differenz zwischen den internen Gestehungskosten des Schuldners und dem Vertragspreis: Er verkauft eine Sache teurer, als sein Einkaufspreis war, oder setzt seine Arbeitskraft ein, die ihm keine unmittelbaren Kosten in Geld verursacht, und erhält dafür jeweils Geld als Gegenleistung. Dies ist der Hauptzweck, den der Naturalleistungsschuldner regelmäßig mit dem Vertragsschluss verfolgt. Auch wenn die zunächst erbrachte Leistung mangelhaft war, der Schuldner seine Leistungspflicht also nicht ordnungsgemäß erfüllt hat, hat er typischerweise noch ein Interesse daran, die Leistung in Natur zu vervollständigen. Zwar erzielt der Schuldner so möglicherweise keinen Vertragsgewinn mehr, wenn die ursprünglichen Leistungskosten zuzüglich der Nachbesserungskosten den Vertragspreis überschreiten. Aber immerhin kann er durch die nachträgliche Perfektionierung der Leistung noch die Gegenleistung „verdienen“141 und dadurch seinen Verlust minimieren.142 Die Zahlung des Geldinteresses, d.h. faktisch der (externen) Kosten einer Nachbesserung durch Dritte, ist auch in diesen Fällen für den Schuldner häufig ungünstiger als die Nachbesserung durch eigene Leute, weil der Schuldner wiederum seine Kostenvorteile (also die Differenz zwischen den eigenen internen Nachbesserungskosten und den externen Nachbesserungskosten bei Dritten) realisieren kann – wenn auch nur zur Verlustminimierung und nicht zur Gewinnerzielung.143 Interessant wird die Substitution der Naturalleistung durch eine Geldleistung für den Schuldner erst dann, wenn die Naturalleistung für ihn so aufwändig geworden ist, dass seine eigenen Kosten nicht nur den Vertragspreis, sondern sogar das ggf. zu leistende Geldinteresse überschreiten. Denn dann ist der Vertragsgewinn für ihn ohnehin verloren, und die Erbringung der Naturalleistung würde ihm (jedenfalls auf den ersten Blick) mehr Schaden zufügen als die Zahlung des Geldinteresses. Freilich kann er auch hier noch ein Interesse daran haben, die Naturalleistung zu erbringen, um seine Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen und seinen guten Ruf nicht zu gefährden. Aus Sicht des Schuldners kann es durchaus ratsam sein, ein einzelnes Verlustgeschäft hinzunehmen, um am Markt nach wie vor als zuverlässiger Vertragspartner angesehen zu werden. 140
Vgl. dazu auch Puig, RDC 2005, 85, 89 ff. Vgl. hierzu M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 332. 142 Vgl. Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1458; s. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 342; Grundmann, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 307, 311, die davon ausgehen, dass dem Schuldner in vielen Fällen trotz Nachbesserung noch ein Gewinn verbleibt. 143 S. unten § 4.III.3 (S. 232 ff.). 141
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Auf lange Sicht dient dann auch das Verlustgeschäft dem Gewinninteresse des Schuldners. Daher ist es nur folgerichtig, dass im deutschen Recht § 275 Abs. 2 BGB es dem Schuldner überlässt zu entscheiden, ob er die Einrede der groben Unverhältnismäßigkeit144 der Naturalleistung erheben möchte oder nicht;145 denn nur er kann bestimmen, welchen Mehraufwand ihm seine Reputation am Markt wert ist.
cc) Das Interesse an der Erbringung der Sachleistung selbst (Leistungserbringungsinteresse) Der Schuldner kann ferner ein eigenes Interesse an der Sachleistung selbst haben. Dies ist etwa im Arbeitsrecht besonders bedeutsam, wo der Arbeitnehmer durch die Erbringung der Arbeitsleistung sich auch selbst fortbildet bzw. zumindest seinen Kenntnisstand (und seinen Wert auf dem Arbeitsmarkt) durch die Arbeitspraxis aufrechterhält. Dementsprechend erkennt die Rechtsprechung hier dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung zu.146 Aber auch in anderen Bereichen kann der Schuldner ein besonderes Interesse daran haben, die vertragliche Leistung in Natur zu erbringen, etwa um den guten Ruf seiner Produkte nicht zu verlieren,147 um (z.B. als Architekt) ein Referenzobjekt vorzeigen zu können,148 oder um das eigene Produkt weiter zu verbreiten und so im Markt anderen potenziellen Abnehmern bekannt zu machen.149 Auch bei Sachleistungen kann in besonderen Fällen ein Interesse des Schuldners daran bestehen, den Leistungsgegenstand „loszuwerden“, also die Naturalleistung anstelle einer Geldleistung zu erbringen. Das ist etwa bei schwer verkäuflichen Gegenständen der Fall, für die der Schuldner endlich einen Käufer gefunden hat: Hier besteht ein – durch eine Berücksichtigung im Rahmen des Schadensersatzes nicht ausgleichbares – Interesse des Schuldners daran, den Vertrag in Natur durchzuführen, die Sache also auf den Käufer zu übertragen. Ein anderer Grund für dieses Interesse des Schuldners kann etwa sein, dass er den mit der Innehabung der Sache verbundenen Lasten entgehen möchte (z.B. Verkauf eines Reitpferdes zur Vermeidung der Kosten für Stall, Futter und 144 Dass im Übrigen nicht jede Überschreitung des Geldinteresses genügt, um die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB zu begründen, liegt nicht an den Interessen des Schuldners, sondern an den Interessen des Gläubigers, insbesondere daran, dass das Geldinteresse in der Praxis nie seine gesamten materiellen und immateriellen Einbußen aufwiegt, s. oben § 1.IV.1.a) (S. 43 ff.) sowie eingehend unten § 5.IV.1.d) (S. 329 ff.). 145 Gleichwohl krit. gegenüber der Einredekonstruktion Canaris, JZ 2001, 499, 504. 146 Vgl. grundlegend BAG (GS) NJW 1985, 2968, 2969 f. 147 Vgl. etwa Hüffer, Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln, 1976, S. 250; Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 347 ff. (1984); F. Peters, JZ 1996, 73, 74; Tröger, ZVglRWiss 107 (2008), 383, 418 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 337 f. 148 Vgl. LG Berlin NZBau 2007, 324; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 340; anders noch Josef Kohler, JherJb 17 (1879), 261, 278. 149 Vgl. RGZ 26, 213, 215 (zum preußischen ALR).
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Pflege, oder auch der Verkauf eines defizitären Unternehmens zur Vermeidung der fortlaufenden Verluste). Diesem Interesse entspricht die im deutschen Recht bewusst als Pflicht des Käufers ausgestaltete Abnahmepflicht in § 433 Abs. 1 S. 1 a. E. BGB.150
dd) Das Interesse, die Rückabwicklung des Vertrags zu vermeiden (Vertragsdurchführungsinteresse) Neben dem Interesse an der Erbringung der Sachleistung selbst hat der Schuldner schließlich ein evidentes Interesse daran, die Rückabwicklung des Vertrags zu vermeiden.151 Denn im Falle einer Rückabwicklung verliert er jedenfalls den Vertragsgewinn152 und muss darüber hinaus möglicherweise eine durch die Ingebrauchnahme entwertete Sache153 zurücknehmen. Im Falle einer Dienstleistung erhält er eventuell sogar überhaupt keinen Wertersatz, wenn sie bereits erbracht und für den Gläubiger wertlos ist.154 Bei der realen Durchführung des Vertrags treten diese Einbußen dagegen nicht ein.155 Auch wenn sich die vorliegende Untersuchung nur den Übergangstatbeständen von der Natural- zur Gelderfüllung widmet, und also die gänzliche Befreiung von der Leistungspflicht ebenso wie die Rückabwicklung des Vertrags außer Betracht bleiben, ist das Vertragsdurchführungsinteresse auch hier von Bedeutung, weil es etwa bei der Bestimmung der Reichweite von Übergangstatbeständen bei Teilleistungsstörungen zu beachten ist.156
2. Gesetzliche Ansprüche Während die typische Interessenlage bei vertraglichen Ansprüchen vergleichsweise umfassend erfasst werden kann,157 ist die Interessenlage bei gesetzlichen Ansprüchen vielschichtiger. Sie kann hier daher nur typisierend aufgegriffen werden; eine detaillierte Behandlung erfolgt jeweils im Rahmen der einzelnen 150
Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 2012, § 433 Rn. 78. Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 340 ff. 152 Vgl. auch Grundmann, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 307, 311; ders., AcP 204 (2004), 569, 586. 153 Nach deutschem Recht erhält er für diesen Wertverlust keinen Ersatz, vgl. § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB; s. dazu auch Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 117 mit Fn. 12; M. Heinrich, ZGS 2003, 253, 254. 154 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 341; Grundmann/Hoerning, in: Eger/ H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 420, 443 f.; Grundmann, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 307, 311. 155 Lediglich eine Kaufsache wird ebenfalls durch die Ingebrauchnahme entwertet; dieser Wertverlust trifft aber (bestimmungsgemäß) den Gläubiger, nicht den Schuldner. 156 S. dazu unten § 5.II.4 (S. 292 ff.). 157 Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 323 ff. 151
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Anspruchsgrundlagen. Insoweit bestehen allerdings einige allgemeine Grundsätze: Zwar hat bei den gesetzlichen Ansprüchen nicht der Schuldner selbst eine bestimmte Leistung versprochen und der Gläubiger sich auf dieses Versprechen verlassen, sondern es ist das Gesetz, das dem Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner auf eine bestimmte Leistung zuweist. Diese Zuweisung ist aber keine zufällige oder rein technische Entscheidung des Gesetzgebers, sondern beruht jeweils auf dem Gedanken, dass es eben die Naturalleistung ist, die das jeweilige Interesse des Gläubigers optimal befriedigt und dabei die Interessen des Schuldners im Rahmen des Möglichen schont.
a) Die Interessen des Gläubigers Die meisten der hier zu behandelnden gesetzlichen Anspruchsgrundlagen betreffen im weitesten Sinne Restitutionsansprüche, d.h. es soll ein früherer (oder ein hypothetischer aktueller) Zustand aufseiten des Gläubigers wiederhergestellt werden. Das gilt jedenfalls für das Schadensrecht, für das Rücktritts- und Widerrufsrecht sowie für die Vindikation und die actio negatoria. Im Bereicherungsrecht kommt es dagegen auf die rechtsgrundlos erlangten Vorteile des Bereicherungsschuldners an, so dass das Gläubigerinteresse am Erhalt einer konkreten Naturalleistung nicht im Mittelpunkt steht. Vielmehr betrachtet das Bereicherungsrecht vorrangig dasjenige, was der Bereicherungsschuldner erlangt hat, so dass die Pflicht zu dessen Herausgabe in Natur im Interesse des Schuldners liegt, um sein Stammvermögen vor dem Zugriff des Gläubigers zu schützen. Gleichwohl sind auch hier die ungerechtfertigte Bereicherung des Schuldners und die korrespondierende Entreicherung des Gläubigers häufig gegenständlich identisch (insbesondere bei der Leistungskondiktion), so dass es auch insoweit um Restitution geht.158
aa) Das Interesse am Erhalt der Naturalleistung (Substanzinteresse) In diesen Restitutionsfällen sind die Interessen des Gläubigers zunächst auf die Herstellung des konkreten Zustandes gerichtet, den das Gesetz anordnet: Beim Schadensersatzanspruch auf den hypothetischen status quo, wie er ohne das schädigende Ereignis bestünde; beim Rücktrittsrecht auf die Rückgabe des geleisteten Gegenstandes; beim Bereicherungsanspruch auf die Rückgabe des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes; bei der Vindikation auf die Herausgabe genau derjenigen Sache, deren Eigentümer der Gläubiger ist, und bei der actio negatoria die Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung. Stets ist die gesetzliche Wertung zunächst auf einen konkreten Gegenstand bzw. Zustand gerichtet und eben gerade nicht auf eine Geldleistung. Das primäre Ziel der ge158 Vgl. zu den unterschiedlichen Funktionen des Bereicherungsrechts nur BeckOKBGB/Wendehorst, 01.02.2014, § 812 Rn. 3 ff.
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setzlichen Regelung, das vom Gesetz geschützte Gläubigerinteresse, ist stets das naturale Interesse am „Haben“ des jeweiligen Gegenstandes bzw. im Schadensrecht am Bestehen des hypothetischen realen Zustandes, wie er ohne das schädigende Ereignis bestünde. Dieses Interesse ist jeweils um seiner selbst willen geschützt, also nicht wegen seines Vermögenswertes in Geld. Es geht insbesondere darum, dem Gläubiger einen Zustand zu verschaffen, der möglichst nah am geschuldeten Zustand liegt, und das bedeutet: unabhängig vom Vermögenswert der zu verschaffenden Rechtsposition, und ohne den Gläubiger mit den Risiken und Defiziten der Wertermittlung zu belasten. Im deutschen positiven Recht zeigt sich diese gesetzliche Wertung schon daran, dass alle hier behandelten Anspruchsgrundlagen primär einen Anspruch auf die Restitution in Natur vorsehen. Besonders deutlich ist das im Schadensrecht, wo § 249 Abs. 1 BGB den Primat der Naturalrestitution vor der Geldentschädigung ausdrücklich festschreibt und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB eine ausdrückliche Regelung der Naturalrestitution „auf Kosten des Schädigers“ vorsieht, d.h. der Geldleistung des Schuldners zur Herstellung des geschuldeten Zustandes in Natur – und damit grundsätzlich unabhängig vom Vermögenswert der zu ersetzenden Einbuße.159 Der Gläubiger soll danach also durch den Schadensausgleich einen Zustand erhalten, der nicht nur vermögensmäßig, sondern real möglichst nah bei dem hypothetischen Zustand liegt, der ohne das schädigende Ereignis bestünde.160 Beim Rücktritt soll der Rückgewährgläubiger gerade diejenige Sache zur ück erhalten, die er selbst hingegeben hat, um den status quo ante möglichst optimal abzubilden, so dass etwa Bewertungsunsicherheiten hinsichtlich der Sache zu seinen Lasten gehen und er auch das Risiko zufälliger Wertveränderungen (z.B. Kursverluste von Wertpapieren) so trägt, als hätte er die Sache nie aus der Hand gegeben.161 Gleiches gilt auch im Bereicherungsrecht, soweit dieses als Instrument der Rückabwicklung gescheiterter Zuwendungen dient, der Gegenstand von Be- und Entreicherung also der gleiche ist: Auch hier geht es aus Sicht des Gläubigers darum, gerade denjenigen Gegenstand (in Natur) wiederzuerhalten, den der Schuldner rechtsgrundlos erlangt hat. Beim Herausgabeanspruch aus § 985 BGB versteht sich von selbst, dass er primär auf die Verschaffung des Besitzes an der Sache gerichtet ist; nur diese ist Gegenstand des Eigentums, das durch die Vindikation realisiert wird. Auch die actio negatoria – sei es als Unterlassungsanspruch oder als Beseitigungsanspruch – ist gerade darauf gerichtet, die rechtswidrige Beeinträchtigung zu vermeiden bzw. zu beseitigen, also das geschützte absolute Recht in seiner 159
Vgl. dazu nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 25. Vgl. auch MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 323 ff. 161 Vgl. MünchKomm-BGB/Gaier, 2012, § 346 Rn. 17; Staudinger/Kaiser, Neubearbeitung 2012, § 346 Rn. 78; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 346 Rn. 31; a.A. NK-BGB/J. Hager, § 346 Rn. 22. 160
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Substanz (und unabhängig von seinem Vermögenswert) zu schützen. Darin liegt hier gerade der Unterschied zu dem Prinzip „dulde und liquidiere“,162 das im deutschen Recht nur ausnahmsweise Anwendung findet (vgl. etwa § 906 BGB).163
bb) Das Interesse an der plangemäßen Verwendung des geschuldeten Gegenstandes (Verwendungsinteresse) Auch gesetzliche Anspruchsgrundlagen schützen teilweise die Verwendungspläne des Gläubigers. Damit sind allerdings nicht in erster Linie die Ansprüche auf Herausgabe von Nutzungen für die Zeit gemeint, während welcher der Schuldner eine Sache rechtsgrundlos hatte; diese Ansprüche betreffen den primären Herausgabegegenstand und werden in diesem Zusammenhang behandelt. Unter dem Verwendungsinteresse des Gläubigers wird hier vielmehr das Interesse des Gläubigers an der weiteren Verwendung des geschuldeten Gegenstandes nach der Rückgabe durch den Schuldner verstanden. Zwar kann es insoweit nicht um die vertraglich vorausgesetzten bzw. die vom Gläubiger mit dem Vertragsschluss verfolgten Verwendungsinteressen gehen; jedoch ist auch für vertragliche Ansprüche nicht Voraussetzung des Schutzes von Verwendungsinteressen, dass diese zum Vertragsgegenstand gemacht wurden.164 Auch bei gesetzlichen Anspruchsgrundlagen ist nämlich der betroffene Gegenstand nicht um seiner selbst willen bzw. ausschließlich wegen seiner Substanz geschuldet, sondern gerade wegen der Möglichkeit seiner Nutzung durch den Gläubiger. Und diese Nutzungsmöglichkeit wird durch die naturale Erfüllung am besten befriedigt. So soll der Schadensersatz die Integrität der Lage des Gläubigers – und nicht lediglich deren Vermögenswert – wiederherstellen, damit er so weiter wirtschaften kann, wie er dies ohne das schädigende Ereignis gekonnt hätte. Auch der Rücktritt soll die Vermögensverschiebung rückgängig machen und den Leistungsgegenstand – einschließlich seiner Nutzungsmöglichkeit – wieder dem Rückgewährgläubiger zuordnen; gleiches gilt für die Leistungskondiktion als Hauptfall des Bereicherungsrechts. Schließlich soll auch die Vindikation dem Gläubiger den Besitz gerade deswegen vermitteln, damit er die Sache nach Belieben nutzen kann (vgl. § 903 Alt. 1 BGB).
162 Hier hat auch die ökonomische Unterscheidung zwischen property rules und liability rules ihren Ursprung und Hauptanwendungsbereich, vgl. nur Kaplow/Shavell, 109 Harv. L. Rev. 713 (1996) sowie näher unten § 3.II.3 (S. 161 ff.). 163 Vgl. hierzu etwa Maultzsch, JbJZivRWiss 2005, 2006, S. 57 ff. 164 S. oben § 1.IV.1.a)bb) (S. 46 f.).
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cc) Das Interesse an der Vermeidung des Insolvenzrisikos (Solvenzinteresse) Auch bei gesetzlichen Ansprüchen besteht ein Nachteil von Geldschulden darin, dass der Gläubiger sie bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht bei treiben kann, obwohl der Schuldner zu einer Naturalleistung in der Lage wäre. Man denke etwa an einen mittellosen Nachbarn, der aus § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung einer Störung durch hinüber gefallene Äste verpflichtet ist: Er könnte unproblematisch die Äste eigenhändig beseitigen (und hierdurch ggf. durch Androhung nicht-monetärer Zwangsmittel, d.h. Zwangshaft, angehalten werden); es wäre aber aussichtslos, von ihm die Kosten eines Deckungsgeschäfts bzw. der Ersatzvornahme zu erlangen. Nachdem zudem gerade die Beseitigung primär geschuldet ist, wäre es geradezu uneinsichtig, den mittellosen Beseitigungsschuldner von seiner Leistungspflicht durch den zwingenden Übergang auf eine Geldschuld faktisch zu befreien. Daher hat der Gläubiger hier ein evidentes Interesse an der Beseitigung in Natur und durch den Schuldner selbst.165
b) Die Interessen des Schuldners Die Naturalerfüllung bei gesetzlichen Ansprüchen dient aber auch den Interessen des Schuldners.
aa) Das Interesse an der Befreiung von der Verbindlichkeit (Liberationsinteresse) Selbstverständlich besteht das erste Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung in Natur auch bei gesetzlichen Ansprüchen darin, die Verbindlichkeit zu erfüllen, also der weiteren Leistungspflicht zu entgehen. Soweit eine Rechtsordnung – wie etwa das deutsche positive Recht (vgl. §§ 249 Abs. 1, 346 Abs. 1, 812 Abs. 1, 985, 1004 Abs. 1 BGB) – hierfür das Erfordernis einer Naturalerfüllung vorsieht, kann sich der Schuldner zunächst auch nur durch Leistung in Natur befreien. Freilich ist das Liberationsinteresse von der jeweiligen Ausgestaltung der Rechtsordnung abhängig; sieht der Gesetzgeber vor, dass der Schuldner auch durch eine Geldleistung frei werden kann, so ist auch sein Liberationsinteresse hierauf gerichtet.166
165 Zur vollstreckungsrechtlichen Behandlung des zahlungsunfähigen Störers s. unten § 7. II.3.b) (S. 438 f.). 166 S. dazu oben § 1.IV.1.b)aa) (S. 50).
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bb) Das Interesse an der Realisierung interner Kostenvorteile (Gewinninteresse i.w.S.) Auch wenn gesetzliche Ansprüche nicht darauf gerichtet sind, dem Schuldner einen (Vertrags-)Gewinn zu verschaffen, kann der Schuldner ein wirtschaftliches Interesse daran haben, durch die Erbringung der naturalen Leistung Kostenvorteile zu erzielen. Denn auch hier kann der Schuldner die gesetzlich geschuldete Leistung möglicherweise selbst zu seinen internen Kosten erbringen und muss nicht, wie dies beim Ersatz des Geldinteresses oder auch beim bloßen Wertersatz der Fall wäre, den externen Marktpreis der Leistung bezahlen. Zwar kann sich beides für den Schuldner gleich darstellen, etwa wenn er sich den herauszugebenden Gegenstand für seine eigenen Zwecke am Markt wiederbeschaffen muss, oder wenn er zur naturalen Leistung selbst gar nicht in der Lage ist und also ohnehin einen Dritten damit beauftragen muss (z.B. Reparatur eines Kfz nach einem vom Schuldner verursachten Unfall). In anderen Fällen kann der Schuldner die Leistung aber problemlos persönlich erbringen und die damit verbundenen Kostenvorteile gegenüber dem (externen) Marktpreis realisieren. Dies gilt etwa bei einfachen Tätigkeiten (vgl. das obige Beispiel der Beseitigungspflicht aus § 1004 Abs. 1 BGB167) oder solchen, für die der Schuldner (zufällig) hinreichend qualifiziert ist, aber auch bei Sachherausgabeschulden, wenn der Herausgabeschuldner sich keine Ersatzsache beschaffen muss, etwa weil er den geschuldeten Gegenstand selbst gar nicht benötigt oder eine günstigere Ersatzsache verwenden kann.
cc) Das Interesse an der Erbringung der Leistung (Leistungserbringungsinteresse) Schließlich kann – in Ausnahmefällen – der Schuldner auch ein eigenes Interesse daran haben, die Leistung in Natur zu erbringen, um diese loszuwerden. Ein spezifisches persönliches Leistungsinteresse wie etwa beim Arbeits- oder Werkvertrag168 ist dabei aber nicht anzuerkennen, weil es hierfür an der erforderlichen vertraglichen Bindung des Gläubigers durch die Leistungstreuepflicht fehlt.169 Denkbar ist dagegen, dass nach einem Rücktritt vom Vertrag ein besonderes Interesse des Rückgewährschuldners daran besteht, dass der Gläubiger die geleistete Sache zurücknimmt. Hier können im Einzelfall auch vertragliche Treuepflichten des Rückgewährgläubigers bestehen, die Leistung des Schuldners entgegenzunehmen, um diesen vom „Haben“ der Leistung zu entlasten.170 167
S. oben § 1.IV.2.a)cc) (S. 57). S. oben § 1.IV.1.b)cc) (S. 52 f.). 169 Vgl. hierzu insbesondere M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 464 ff. 170 Vgl. MünchKomm-BGB/Gaier, 2012, § 346 Rn. 16; ähnlich Staudinger/Kaiser, Neubearbeitung 2012, § 346 Rn. 91 ff.; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 346 Rn. 32; weiter168
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3. Die gemeinsamen Interessen beider Parteien Das gemeinsame Interesse beider Parteien ist darauf gerichtet, zur Vermeidung von Streit über das Bestehen des Anspruchsgrundes und über den Anspruchsinhalt beides möglichst sicher zu bestimmen.
a) Das Interesse an der Möglichkeit der Feststellung der Leistungspflicht dem Grunde nach Beide Parteien können zunächst ein legitimes Interesse daran haben, das Bestehen der Leistungspflicht dem Grunde nach gerichtlich feststellen zu lassen. Nicht jedes Bestreiten einer – später gerichtlich festgestellten – Leistungspflicht durch den Schuldner geschieht in bösem Glauben bzw. mit dem bloßen Ziel der Prozessverschleppung. Vielmehr mag tatsächlich unklar sein, ob ein Werkunternehmer für die vom Auftraggeber gerügten Mängel verantwortlich ist (bzw. ob überhaupt Mängel vorliegen). Ein Prozess um die Naturalleistung (im Beispiel also um die Nacherfüllung) ermöglicht dem Schuldner, das Bestehen seiner Leistungspflicht rechtskräftig feststellen zu lassen, um sie dann selbst zu erfüllen (und die verbleibenden Vorteile aus der Eigenleistung noch zu erzielen). Auch der Gläubiger kann in diesen Fällen ein Interesse daran haben, die Naturalleistungspflicht des Schuldners rechtskräftig feststellen zu lassen, um die Leistung anschließend vom Schuldner selbst durchführen zu lassen (und die Mühe der Vornahme eines Deckungsgeschäfts zu sparen). Unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung ist eine gerichtliche Klärung der Leistungspflicht des Schuldners jedoch nur inzident im Schadensersatzprozess möglich. Jede gerichtliche Klärung der Anspruchsberechtigung würde daher automatisch die Möglichkeit der Naturalerfüllung (die ja doch typischerweise prima facie in beider Interesse liegt) vernichten, weil nur noch die Gelderfüllung im Raum steht. Allein ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Naturalerfüllung kann dieses praktische Problem lösen. Freilich wird in vielen Fällen das Interesse des Gläubigers am raschen Erhalt der Leistung einem Abwarten bis zum rechtskräftigen Prozessabschluss entgegenstehen; selbst aus Sicht des Schuldners kann es günstiger sein, die Kosten eines Deckungsgeschäfts zu tragen, wenn diese geringer ausfallen als der bis Prozessende auflaufende Verzögerungsschaden zuzüglich der Kosten der Leistungserbringung. Die unvermeidbar lange Prozessdauer des Naturalleistungsprozesses wird daher sehr häufig dazu führen, dass der Gläubiger kein Interesse daran hat, zunächst ein Naturalleistungsurteil zu erstreiten und erst nach Erlangung eines vollstreckbaren Titels die Naturalvollstreckung zu betreiben. Das erklärt etwa, dass auch in Rechtsordnungen, die klagbare Naturalerfülgehend BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 437 Rn. 45: Generelle Rücknahmepflicht im Kaufrecht; wohl auch NK-BGB/J. Hager, § 346 Rn. 23.
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lungsansprüche grundsätzlich vorsehen, nur eine kleine Minderheit der Klagen tatsächlich auf Naturalerfüllung gerichtet sind,171 zumal wenn man mit einbezieht, dass in vielen Fällen die Vollstreckung im Wege der Ersatzvornahme erfolgt, also tatsächlich keine Naturalleistung durch den Schuldner erfolgt. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass in Systemen mit möglicher Naturalleistungsklage der Gläubiger wenigstens die Wahl hat, ob er Naturalerfüllung verlangen will oder nicht. Solange diese Wahl nicht schikanös getroffen wird, bleibt es dabei, dass nur der Gläubiger beurteilen kann, was ihm die Naturalleistung gerade durch den Schuldner (im Gegensatz zu einem Deckungsgeschäft oder der Ersatzvornahme) wert ist, wie lange er also am Naturalerfüllungsanspruch festhalten möchte. Das materiell-rechtliche Instrument für dieses Wahlrecht des Gläubigers sind einerseits das Naturalleistungsverlangen und andererseits eine Fristsetzung und das anschließende Schadensersatzverlangen (vgl. im deutschen Recht § 281 Abs. 1 und 4 BGB), das prozessuale Instrument ist die Möglichkeit der Naturalleistungsklage. Wer diese beiden Instrumente nicht gewährt, sondern den Gläubiger von vornherein auf die Geldkondemnation verweist, nimmt ihm die Möglichkeit, selbst sein Interesse an der Naturalerfüllung durch den Schuldner zu definieren und durchzusetzen.
b) Das Interesse an einer rechtssicheren Bestimmung des Schuldinhalts Bereits zuvor mitbehandelt, aber einer gesonderten Erwähnung würdig ist das Interesse an der rechtssicheren Bestimmung des Schuldinhalts. Dieses Interesse haben sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner, weil die rechtssichere Bestimmung des Schuldinhalts Streit zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses vermeidet und damit die Transaktionskosten der – unstreitigen wie auch streitigen – Vertragsdurchführung reduziert. Die geschuldete Naturalleistung ist durch Vertrag oder Gesetz eindeutig definiert und kann regelmäßig problemlos identifiziert werden;172 mit ihrer Erbringung wird das Leistungsinteresse des Gläubigers – ggf. mit Ausnahme des Verzögerungsschadens, soweit er nach der Natur der Sache nicht in Natur ausgeglichen werden kann – vollständig erfüllt. Die Darlegung des Geldinteresses erfordert dagegen zum einen, dass der Gläubiger den Wert der Sache selbst beziffert (Substanzausfallschaden173), was bei unvertretbaren Leistungen mit erheblichen Schwierigkeiten und Bewertungsunsicherheiten verbunden sein kann.174 Besonders problematisch ist die 171 Vgl. den empirischen rechtsvergleichenden Befund bei H. Lando/Rose, 24 IRLE 473, 475 ff. (2004). 172 Vgl. auch Harke, Allgemeines Schuldrecht, 2010, Rn. 164. 173 Vgl. zur Terminologie Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 ff. 174 S. oben § 1.IV.1.a)aa)(2) (S. 45 f.).
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Bezifferung zudem im Hinblick auf das Verwendungsinteresse des Gläubigers, das dem Schuldner nicht bekannt sein muss und dadurch sowohl dem Gläubiger ein erhebliches Missbrauchspotenzial als auch dem Schuldner Grund zum Bestreiten bietet. Insoweit besteht ein Dilemma zwischen der möglichst umfassenden Gewährung von Schadensersatz in Höhe des vollen Leistungsinteresses des Gläubigers (einschließlich fehlgeschlagener Verwendungsplanungen) einerseits und der rechtssicheren Berechenbarkeit andererseits. Führen Beschränkungen des Schadensersatzes – etwa auf aus Sicht des Schuldners vorhersehbare Schäden175 – systematisch zu einer Unterkompensation des Gläubigers und sind daher aus dessen Sicht interessenwidrig, führt dessen unbeschränkte Gewährung zu einem aus beiden Perspektiven interessenwidrigen Streitpotenzial. Ein klagbarer Anspruch auf die Naturalleistung kann diese Probleme vermeiden.
4. Die Interessen Dritter Interessen Dritter können einer Naturalleistungspflicht in zweifacher Hinsicht entgegenstehen: Zum einen als absolute Rechte am geschuldeten Gegenstand, und zum anderen als Forderungsrechte auf den geschuldeten Gegenstand im Falle der Gläubigerkonkurrenz.
a) Absolute Rechte Dritter Absolute Rechte Dritter können einer Naturalleistung durch den Schuldner entgegenstehen, etwa wenn sich die verkaufte Sache bei einem Dritten befindet (oder diesem sogar gehört) und dieser zur Herausgabe (oder Übereignung) nicht bereit ist. Hier stößt der Naturalleistungszwang an rechtliche Grenzen, weil sich ein Vollstreckungszwang grundsätzlich nur gegen den Schuldner des Anspruches richten kann, nicht gegen Dritte (vgl. im deutschen Recht auch § 886 ZPO). Dingliche Rechte sowie der Besitz Dritter sind daher als Grenzen des Naturalerfüllungsanspruches anzuerkennen. Ob diese Anerkennung bereits durch den Ausschluss des materiellen Naturalerfüllungsanspruches oder erst durch ein Vollstreckungsverbot erfolgt, ist allerdings eine andere Frage.176 Sachlich näherliegend ist eine vollstreckungsrechtliche Lösung, weil nur der zwangsweise Zugriff auf den Dritten tatsächlich gegen dessen Recht verstößt, während ein materiell-rechtlicher Naturalleistungszwang des Schuldners immerhin noch dazu führen kann, dass der Schuldner Anstrengungen unter175 Vgl. zum englischen Recht etwa die berühmten Entscheidungen Hadley v. Baxendale, EWHC J70 (1854) sowie Victoria Laundry (Windsor) Ltd. v. Newman Industries Ltd., 2 K.B. 528 (1949), und dazu aus ökonomischer Sicht Bebchuk/Shavell, 7 JLEO 284 (1991); Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 319 ff. S. auch unten § 9.III.2 (S. 519 ff.). 176 Vgl. dazu im Rechtsvergleich zwischen Deutschland und den USA auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 384 ff.
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nimmt, um den Dritten zur freiwilligen Preisgabe seiner Rechtsposition zu bewegen – ihm diese etwa abkauft.
b) Forderungen Dritter (Gläubigerkonkurrenz) Die Interessen Dritter können durch die Naturalerfüllung aber auch beeinträchtigt werden, wenn keine dinglichen Rechte, sondern lediglich Forderungen im Raume stehen.177 Konkurrieren zwei Gläubiger um dieselbe Sache, auf die sie beide einen Anspruch haben, die aber nur einmal vorhanden ist, so können naturgemäß nicht beide Ansprüche in Natur erfüllt werden; (mindestens) ein Gläubiger ist auf einen Geldanspruch zu verweisen. Die einschränkungslose Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches kann im Vollstreckungsverfahren zu einem „Wettlauf der Gläubiger“ führen, weil nur derjenige Gläubiger die Naturalleistung tatsächlich erhält, der sie als erstes einklagt und vollstreckt178 bzw. zumindest eine einstweilige Verfügung zur Sicherung seines Anspruches erstreitet.179 Die Geltung des vollstreckungsrechtlichen Prioritätsprinzips verbaut hier den Zugriff auf materielle Wertungen, die danach fragen könnten, bei welchem Gläubiger die geschuldete Sache „besser untergebracht“ ist, etwa weil sie einen größeren Nutzen erzielt.180 Keinen Ausweg bildet insoweit allerdings die Verweisung aller konkurrierenden Gläubiger auf den Geldleistungsanspruch. Dadurch wird das Verteilungsproblem nicht gelöst, sondern die geschuldete Sache verbleibt schlicht beim Schuldner, bzw. dieser kann sie nach Gutdünken sanktionslos einem der Gläubiger zuwenden und den anderen mit einer Geldleistung abfinden. Eine Zuweisung der Sachleistung an einen der konkurrierenden Gläubiger nach materiellen Kriterien ist also weder beim strengen Grundsatz der Gelderfüllung noch beim strengen Grundsatz der Naturalerfüllung möglich; nur eine Ermessensentscheidung des Richters über die Gewährung der Naturalleistung an einen der Prätendenten könnte das gewährleisten. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Entscheidung in Kenntnis aller Umstände, insbesondere der Verwendungszwecke aller Prätendenten ergeht, wie es offenbar im US-amerikanischen Zivilprozess möglich ist.181
177
Vgl. dazu auch eingehend Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 386 ff. Riezler, AcP 98 (1906), 372, 402 f.; de Boor, Die Kollision von Forderungsrechten, 1928, S. 87; J. Neuner, AcP 203 (2003), 46, 60 f. 179 Vgl. dazu P. Schlosser, ZZP 97 (1984), 121, 137 f. 180 Vgl. auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 387 i.V.m. S. 158 f. zum amerikanischen Recht, das hier im Rahmen der equity die Möglichkeit bietet, sämtliche beteiligten Interessen zu berücksichtigen und ggf. die Naturalleistung demjenigen Gläubiger zuzuweisen, der dringender auf sie angewiesen ist. 181 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 158 f.; s. aber auch BGH NJW 2013, 152, 154: Auflösung der Gläubigerkonkurrenz bzgl. einer Internet-Domain nach umfassender Abwägung der Interessen beider Gläubiger. 178 Vgl.
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Ist dies nicht möglich, so bleibt dem Schuldner die Möglichkeit, die konkurrierenden Gläubiger gegeneinander bieten zu lassen, um denjenigen zu ermitteln, der den höchsten Preis zu zahlen bereit ist, dem die Sache also am meisten wert ist. Aus dem derart gestiegenen Erlös kann er den anderen Gläubiger abfinden.182 Auf diese Weise wird zumindest derjenige Gläubiger in Natur bedient, der für den Leistungsgegenstand den höchsten Preis bietet, was zumindest eine Vermutung dafür begründet, dass er auch das höchste Leistungsinteresse hat. Verschärft wird die Problematik in der Insolvenz des Schuldners, wenn alle Gläubiger um das gesamte Vermögen konkurrieren, welches aber zur vollständigen Befriedigung aller Forderungen nicht ausreicht. Eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger (par conditio creditorum) ist hier nur möglich, wenn jeder Gläubiger nur einen Teil seiner Forderung erhält. Die Naturalleistung führt jedoch in der Regel zur vollständigen Befriedigung des betreffenden Gläubigers und ist daher mit den Zielen eines geordneten Insolvenzverfahrens nicht vereinbar.
5. Fazit Der Grundsatz der Naturalerfüllung trifft die Interessenlage der Parteien wie auch die Wertungen hinter den jeweiligen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen stets optimal: Wenn die Parteien im Vertrag eine Nicht-Geldleistung einer Seite vorsehen, oder wenn das Gesetz einen Anspruch auf eine Nicht-Geldleistung anordnet (z.B. auf Herausgabe einer Sache oder auf Beseitigung einer Beeinträchtigung), dann befriedigt nur die Erbringung der geschuldeten Sach- oder Dienstleistung in Natur einerseits das Erfüllungsinteresse des Gläubigers optimal, und belastet regelmäßig andererseits den Schuldner nur so weit wie hierfür unbedingt nötig. Jede Abweichung hiervon hin zu einer Geldleistung anstelle der Naturalleistung belastet mindestens eine der beiden Parteien stärker als die Naturalerfüllung, ohne der anderen in der Regel einen entsprechenden Mehrgewinn zu bringen, und ist daher eine a priori rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Dieser Grundgedanke ist nicht auf vertragliche Primärleistungsansprüche beschränkt, sondern gilt universell, insbesondere auch für gesetzliche Ansprüche.
182 Vgl. zu dieser Problematik auch unten § 3.III.3.a)aa) (S. 173 f.) und § 3.III.3.d)aa) (S. 181 ff.).
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§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa Bereits in der Einleitung ist darauf hingewiesen worden, dass der Grundsatz der Naturalerfüllung historisch und rechtsvergleichend keineswegs selbstverständlich ist. Hingewiesen sei nur auf die Mehrheitsmeinung innerhalb der quattuor doctores aus dem Bologna des 12. Jahrhundert zu dem oben bereits erwähnten Beispiel des Verhungernden, der beim Bäcker Brot kauft:1 Drei der vier Gelehrten gestatteten dem Bäcker – unter Berufung auf die Quellen des römischen Rechts –, sich durch Zahlung des Interesses von seiner Leistungspflicht zu befreien. Dieses radikale Bekenntnis bildete den Extrem- und zugleich Wendepunkt einer langen Entwicklung, während derer in ganz Europa der ursprüngliche Grundsatz der Naturalerfüllung erst durch den Grundsatz der Gelderfüllung verdrängt wurde, um sich dann bis in die heutige Zeit langsam, aber kontinuierlich wieder vorzuarbeiten. Die seit diesem Wendepunkt eingetretene, verhältnismäßig kontinuierliche Evolution über viele Jahrhunderte seit dem Mittelalter erscheint aus heutiger Sicht einerseits verständlich, wenn man beachtet, dass der Grundsatz der Naturalerfüllung den Interessen der Parteien am besten entspricht.2 Andererseits mutet aus dem gleichen Grund ihr Ausgangspunkt sonderbar an: der Grundsatz der Geldkondemnation. Das nachfolgende Kapitel soll nach den Ursachen für diesen historischen Wendepunkt und die anschließende Entwicklung suchen. Anzusetzen ist dabei im römischen Recht, auf welches sich die quattuor doctores im 12. Jahrhundert bezogen hatten.3 Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die historischen Entwicklungen auszumachen, welche – in Teilen Europas bis heute – einer durchgehenden Orientierung der Rechtsordnung am Grundsatz der Natural erfüllung entgegenstanden bzw. -stehen. Daher kann die Untersuchung nicht bei einer gewissermaßen linearen Behandlung der Entstehungsgeschichte des heutigen deutschen Rechts stehen bleiben, sondern muss die Entwicklung in verschiedenen Ländern Europas von den gemeinsamen römischen Wurzeln bis zur heute bestehenden Divergenz der Privatrechtsordnungen in den Blick 1
S. oben § 1.I.2 (S. 17 f.). S. oben § 1.IV (S. 43 ff.). 3 Vgl. zum Stellenwert historischer Argumente in der heutigen Dogmatik eingehend G rigoleit, ZNR 30 (2008), 259 ff. m.w.N. 2
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nehmen. Die Darstellung der Rechtsgeschichte wird aus diesem Grund mit der Rechtsvergleichung verschmelzen.
I. Grundlagen Die rechtsgeschichtliche wie auch die rechtsvergleichende Betrachtung kann sich dabei nicht auf einen dogmengeschichtlich orientierten Vergleich einzelner Rechtsinstitute (etwa des vertraglichen Primärleistungsanspruches) beschränken, sondern muss sich einer funktionalen Methode bedienen. Gerade im Hinblick auf die Frage des Naturalerfüllungsanspruches, die sich quer durch materielles Recht, Prozessrecht und Vollstreckungsrecht stellt, und deren praktische Lösungen im historischen und internationalen Vergleich an den verschiedensten Stellen dogmatisch verortet wurden, kann ein Vergleich nur anhand der praktischen Funktionen erfolgen, welche die jeweiligen Rechtsinstitute wahrnehmen.4 Vor einer rechtsvergleichenden Betrachtung sind daher die Funktionen von Natural- und Gelderfüllungsgrundsatz in einer abstrakten, von den heutigen positiv-rechtlichen und dogmatischen Kategorien losgelösten Form zu ermitteln.
1. Funktionen des Naturalerfüllungsanspruches Geht man zunächst vom deutschen Recht aus, dessen § 241 Abs. 1 BGB als paradigmatische Verankerung des Grundsatzes der Naturalerfüllung gilt,5 so erweist sich, dass der dort geregelte Naturalerfüllungsanspruch zwei verschiedene Funktionen hat, die für seine Beurteilung, besonders im Rechtsvergleich,6 strikt zu trennen sind. Einerseits bildet er die materiell-rechtliche Grundlage einer Klage auf Naturalerfüllung und entsprechender Vollstreckungsmaßnahmen, und andererseits dient er dogmatisch als Voraussetzung von Sekundäransprüchen. Die erste Funktion wird gemeinhin in rechtsvergleichenden Untersuchungen hervorgehoben;7 sie spielt allerdings in der gerichtlichen Praxis nur eine geringe Rolle.8 In vielen Fällen von Leistungsstörungen werden keine Klagen auf Na4
Vgl. zu den Grundlagen der funktionalen Rechtsvergleichung nur Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 3 II (S. 33 ff.); aus jüngerer Zeit auch De Coninck, RabelsZ 74 (2010), 318 ff.; Michaels, RabelsZ 74 (2010), 351 ff. 5 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 II (S. 469). 6 Zumindest angedeutet bei Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, 2008, S. 176 ff. 7 Vgl. etwa Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 II (S. 469 ff.). 8 Vgl. aus rechtsvergleichender Sicht H. Lando/Rose, 24 IRLE 473, 478 ff. (2004); Remien, FS Hondius, 2007, S. 321, 324 sowie bereits Rabel, Das Recht des Warenkaufs, 1936/1957,
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Erster Teil: Grundlagen
turalerfüllung erhoben, weil dieses Vorgehen für den Gläubiger zu zeitraubend und kostspielig wäre. Nach Prozessende – ggf. über mehrere Instanzen – hätte er oft kein Interesse mehr gerade an der Naturalleistung durch den Schuldner, mit dem er nun meist endgültig zerstritten ist;9 auch kann das Zuwarten auf die Naturalerfüllung wirtschaftlich sinnlos sein, weil die bis dahin aufgelaufenen Verzögerungsschäden exorbitant sind. Hinzu kommt, dass das Zwangsvollstreckungsrecht häufig keine Erzwingung der Naturalleistung durch den Schuldner selbst vorsieht, sondern allenfalls die Ersatzvornahme, die praktisch allerdings der Geldkondemnation gleichkommt.10 Lediglich in Fällen unvertretbarer Handlungspflichten (z.B. bei Ansprüchen auf Zeugniserteilung, Auskunft, Weiterbeschäftigung oder Rechnungslegung) ist diese Funktion praktisch bedeutsam, weil hier der Schadensersatz keine hinreichende Kompensation sicherstellen kann und eine Ersatzvornahme durch Dritte ausscheidet. Derartige Ansprüche sind aber selten und nicht der Hauptanwendungsfall des Grundsatzes der Naturalerfüllung; vor allem stellt sich im deutschen Recht die Frage nach den Grenzen der Naturalleistungspflicht nicht nur im Hinblick auf unvertretbare Handlungspflichten. Nicht hinreichend beachtet wird dabei die zweite Funktion des Erfüllungsanspruches im deutschen Recht, die man „virtuell“ nennen kann: Das Bestehen (bzw. der Fortbestand) eines Erfüllungsanspruches ist nach deutschem Recht – und insoweit rechtsvergleichend durchaus nicht selbstverständlich – notwendige Bedingung für die Geltendmachung von Sekundärrechten, namentlich des Schadensersatzes statt der Leistung. Um diesen verlangen zu können, muss der Gläubiger nach deutschem Recht nachweisen, dass der Schuldner seine Leistungspflicht verletzt hat (§ 281 Abs. 1 BGB). Selbst im Falle der Unmöglichkeit oder gleichgestellter Leistungsverweigerungsrechte (§ 275 Abs. 2 und 3 BGB) muss zumindest im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses eine Pflicht zur (natural verstandenen) Leistung bestanden haben, damit ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 283 BGB) oder zumindest auf Rückgewähr der Gegenleistung (§ 326 BGB) bestehen kann. Die Naturalvollstreckung steht in diesen Fällen nicht zur Debatte; es geht allein um die Betrachtung ex post, ob der Schuldner im Augenblick des Schadensersatzverlangens bzw. des Eintritts der Unmöglichkeit noch zur Naturalleistung verpflichtet war. Der Anspruch spielt in dieser – praktisch den Regelfall bildenden – Situation keine Rolle als klagbarer Anspruch auf Naturalerfüllung, sondern lediglich als – gesetzgebungstechnisch vorausgesetzte – Grundlage von Sekundärrechten, namentlich des Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung sowie des Rücktrittsrechts. Beide Sekundärrechte setzen die Prüfung voraus, ob S. 375 ff.; für die Praxis spricht auch U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 321 ff. vom „praktischen Vorrang des Schadensersatzes“ im deutschen Recht. 9 Vgl. auch Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 530. 10 S. unten § 7.II.3 (S. 437 ff.).
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im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung noch ein Erfüllungsanspruch bestand. Die Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung sind insoweit inzident zu prüfen, ohne dass eine Naturalverurteilung oder Naturalvollstreckung im Raume steht. Gleichwohl wird die Diskussion um die Reichweite der Schuldnerpflichten in der deutschen Wissenschaft vor allem anhand des Erfüllungsanspruches geführt.11 Der Grund dafür ist die pflichten- und verschuldensbezogene Konzeption des deutschen Leistungsstörungsrechts, wonach die Nichterfüllung einer fälligen und durchsetzbaren Leistungspflicht den Grundtatbestand aller Sekundärrechte bildet.12 Das ist besonders deutlich beim vertraglichen Primärleistungsanspruch sichtbar, dessen Bestehen, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit in § 281 Abs. 1 BGB und in § 283 BGB (dort nur bis zum Eintritt der Unmöglichkeit) Voraussetzung für die Gewährung eines Schadensersatzanspruches statt der Leistung ist. Zugleich ist der Naturalleistungsanspruch aber auch bei den Herausgabeansprüchen aus § 346 Abs. 1 BGB und § 818 Abs. 1 BGB Voraussetzung und gedankliche Grundlage der nachgelagerten Wertersatzansprüche aus § 346 Abs. 2 BGB bzw. § 818 Abs. 2 BGB. In anderen Rechtsordnungen, deren vertragliche Haftungsregimes anders strukturiert sind, und welche die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht nicht so tiefgreifend vollzogen haben wie das deutsche Recht, vor allem im common law, spielt diese Funktion des Naturalleistungsanspruches als dogmatische Voraussetzung von Sekundäransprüchen keine Rolle.13 Für sie stellt sich die Frage nach der Naturalleistungspflicht bzw. dem Naturalleistungsanspruch allein im Zusammenhang mit der Möglichkeit der späteren Naturalvollstreckung. Die Naturalerfüllung fungiert in diesem Zusammenhang nicht als primärer Anspruchsinhalt, sondern als Rechtsfolge (remedy) der Verletzung eines zwar gedanklich vorhandenen, aber als solches nicht durchsetzbaren Primärrechts. Die Sekundärrechte sind dabei schlicht und ohne weitere Voraussetzungen an den Nichteintritt des (vertraglich oder gesetzlich) geschuldeten Erfolges geknüpft. Die Grenzen der Leistungspflicht nach deutschem Verständnis (also etwa die Unmöglichkeit oder auch die Unverhältnismäßigkeit der Schuldneraufwendungen) tauchen bei dieser dogmatischen Konstruktion nicht als Beschränkungen eines Naturalerfüllungsanspruches auf, die inzident im Rahmen des Bestehens einer Schadensersatzpflicht zu prüfen wären, sondern als Entlas11
Vgl. exemplarisch Rödl, Die Spannung der Schuld, 2002 (noch zum alten Schuldrecht) sowie die Kontroverse zwischen E. Picker, JZ 2003, 1035 ff. und Canaris, JZ 2004, 214 ff. 12 Vgl. dazu etwa HKK-BGB/Schermaier, 2007, §§ 280–285 Rn. 2 ff.; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1079 ff., 1094 ff.; BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 276 Rn. 1; ders., Die Vertragsverletzung, 2007, S. 323 ff. 13 Vgl. aber auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 205 ff. m.N., der im common law die gleiche (überpositive) Grundstruktur wie im deutschen Recht findet und die remedies als Sanktion für die Verletzung des primary right sieht, das seinerseits eben nicht durchsetzbar ist, aber dennoch der Sache nach existiert.
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tungsgründe hinsichtlich der Haftung (so etwa die Unmöglichkeit oder die Unverhältnismäßigkeit im common law oder in Frankreich14). So liegt etwa die praktische Bedeutung des § 275 Abs. 2 BGB, der von vielen Autoren als paradigmatische Norm für die starke Stellung des Naturalleistungsanspruches im deutschen Schuldrecht angesehen wird und dementsprechend im Zentrum der Kontroverse steht,15 weniger darin, dass der Schuldner auch unter erschwerten Umständen weiterhin zur Leistung verurteilt wird, als darin, dass der Schuldner auch dann Schadensersatz statt der Leistung schuldet, wenn die Naturalleistung innerhalb der Grenzen des § 275 Abs. 2 BGB erschwert wurde und er sie gleichwohl verweigert – ein Ergebnis, das für einen common law Juristen keineswegs überraschend ist, weil die dortige Garantiehaftung erst dann ausgeschlossen ist, wenn die Nichtleistung auf höherer Gewalt beruht;16 gleiches gilt für das französische Recht, das ebenfalls eine Garantiehaftung des Schuldners bis zur Grenze der force majeure vorsieht.17 Die (angeblich) „erweiterte“ Erfüllungspflicht spielt als Naturalleistungspflicht insoweit also keine besondere Rolle; sie wirkt im praktischen Ergebnis lediglich als Erweiterung der Haftung, wie sie auch anderen Rechtsordnungen geläufig ist.18 Die Frage nach dem Bestehen einer primären Leistungspflicht und ihrer Grenzen tritt bei dieser Betrachtungsweise gar nicht ins Bewusstsein. Das hat dazu geführt, dass im common law etwa die gedankliche Existenz eines primären Anspruches auf die Leistung (mag er auch nicht als solcher klagbar sein) immer noch nicht allgemein anerkannt ist,19 obwohl er auch dort logisch notwendig ist, um die haftungsauslösende Nichterfüllung (breach of contract) als Zurückbleiben hinter dem Geschuldeten definieren zu können.20 Dies offenbart zwei fundamental verschiedene Funktionen des Naturalleistungsanspruches, die in der rechtsvergleichenden Debatte um dessen Stellenwert, insbesondere im Kontext eines etwaigen europäischen Vertragsrechts oder des Gemeinsamen Referenzrahmens, oft nicht hinreichend getrennt werden. Einerseits geht es um die Frage nach dem ideellen, rein materiell-rechtlichen Inhalt der Obligation: Was schuldet der Schuldner ursprünglich, und in welchen 14 Etwa die Entlastung von der Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung aufgrund force majeure gem. Art. 1147 f. Code Civil, welche die (nicht zu vertretende) Unmöglichkeit mit umfasst, vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 952 ff. 15 Vgl. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 41 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 73 ff.; E. Picker, JZ 2003, 1035 ff. 16 Zu entsprechenden Klauseln in englischen Verträgen vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 336; zur sachlich verwandten doctrine of frustration eingehend Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung nach englischem Recht, 2003. 17 Vgl. Art. 1148 Code Civil und dazu Fages, Droit des obligations, 42013, n° 313 f. 18 Zum Verhältnis zwischen Prinzip der Geldkondemnation und Haftungssystem s. auch Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 731. 19 Vgl. dazu etwa M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 139 f.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 205 f. 20 S. dazu oben § 1.III.1.a) (S. 32).
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Grenzen? Andererseits geht es um die Frage nach dem tatsächlichen Inhalt eines Richterspruches: Wozu wird der Schuldner verurteilt, und unter welchen Voraussetzungen? Gerade für die rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Untersuchungen wird diese Arbeit besonderen Wert auf die saubere Trennung dieser beiden Funktionen legen, um nicht zuletzt auch Gemeinsamkeiten verschiedener Rechtsordnungen zu Tage zu fördern, die bisher unter unterschiedlichen dogmatisch-konstruktiven Voraussetzungen verborgen liegen.
2. Leitfragen für die funktionale Rechtsvergleichung Ausgehend hiervon sowie von den oben bereits dargelegten Verwirklichungsstufen des Grundsatzes der Naturalerfüllung21 können Leitfragen formuliert werden, anhand derer andere – frühere und gegenwärtige, inländische und ausländische – Rechtsordnungen untersucht und miteinander verglichen werden können. Bereits oben wurde dargelegt, dass jede Rechtsordnung, die eine Haftung für die Nichterfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht vorsieht, zumindest von der gedachten Existenz eines Primäranspruches ausgehen muss, weil nur anhand des Auseinanderfallens von realer (Nicht-)Leistung und gesollter Primärleistung überhaupt festgestellt werden kann, ob eine haftungsauslösende Nichterfüllung vorliegt. 22 Freilich muss dieser Primäranspruch nicht zwingend klagbar ausgestaltet sein, ebenso wenig wie die Grenzen des Naturalerfüllungsanspruches (etwa Unmöglichkeit) in diesen notwendig inkorporiert sein müssen. Unterscheiden können sich die untersuchten Rechtsordnungen aber in folgenden Fragen: – Kann der Gläubiger den Schuldner auf Naturalerfüllung verklagen? Dann ist die naturale Leistung nicht nur eine gedachte objektiv-rechtliche Pflicht des Schuldners, sondern ein real durchsetzbares subjektives Recht des Gläubigers. – Ggf.: Für welche Anspruchsgründe und Anspruchsziele besteht die Möglichkeit einer Naturalvollstreckung? – Ist die (gedachte) objektiv-rechtliche Leistungspflicht vorrangig, d.h. kann der Schuldner sich von seiner anfänglichen Leistungspflicht nur durch die Naturalleistung und nicht durch die Leistung des Interesses befreien? – Ist ggf. das subjektive Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung materiell-rechtlich vorrangig, d.h. kann der Gläubiger den Schuldner durch die Mahnung des Interesses nicht in Verzug setzen? – Steht der Anspruch des Gläubigers auf das Interesse – wenn er nicht ohnehin der einzige Behelf im Falle der Nichterfüllung ist – unter besonderen Voraus21 22
S. oben § 1.III (S. 31 ff.). S. oben § 1.III.1.a) (S. 32).
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Erster Teil: Grundlagen
setzungen, insbesondere unter der Voraussetzung einer vorherigen Fristsetzung bzw. Inverzugsetzung? Ein solches Erfordernis würde den Vorrang der Naturalerfüllung selbst dann sichern, wenn der Naturalleistungsanspruch als solcher nicht klagbar oder nicht vollstreckbar ist. – Im Falle eines Vorranges des Naturalleistungsanspruches des Gläubigers: Unter welchen Voraussetzungen sieht die Rechtsordnung einen Übergang auf das Interesse vor? Diese Fragen werden den weiteren Gang der Untersuchung der Rechtsordnungen seit dem römischen Recht bis heute leiten.
II. Römisches Recht Das Verhältnis von Geldkondemnation und Naturalkondemnation im römischen Recht war geprägt durch die Möglichkeiten des römischen Vollstreckungswesens: Da dem römischen Rechtsdenken keine strenge gedankliche Trennung zwischen materiellem Recht und Verfahrens- und Vollstreckungsrecht zugrunde lag, bestimmten letztlich die Grenzen der Naturalvollstreckung die Grenzen dessen, was mit staatlicher Hilfe zu erlangen war, und dieses wiederum bildete den Gegenstand der anerkannten actiones. Eine actio gerichtet auf Naturalerfüllung konnte nur in dem Maße Sinn machen, in dem auch eine Vollstreckung der Naturalleistung faktisch möglich war.
1. Klassisches römisches Recht: Von der Personalexekution zur condemnatio pecuniaria In altrömischer Zeit standen einem Gläubiger keinerlei staatliche Hilfen zur Vollstreckung seiner Forderungen zu;23 es galt vielmehr der Grundsatz der privaten Personalexekution. Dieser wurde jedoch während der altrömischen Zeit aufgrund von Schuldnerschutzerwägungen schrittweise abgemildert.24 Das begann bereits mit dem alttestamentarischen Talionsprinzip, welches dem Kläger bei Deliktsklagen nur noch die Vergeltung „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ gestattete, aber keine übermäßige Privatrache mehr.
23 Vgl. zur erst langsam wachsenden Rolle der Staatsgewalt im römischen Vollstreckungsrecht Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 3 II 1 (S. 26 f.). 24 Vgl. Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 942 Fn. 19; Koschaker, ZRG (RA) 37 (1916), 348, 355 ff.
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a) Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung im Legisaktionenverfahren Zur Zeit des Zwölftafelgesetzes aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. galt das sog. Legisaktionenverfahren, 25 in dessen Rahmen die Vollstreckungsgewalt des Gläubigers durch die legis actio per manus iniectionem weiter eingeschränkt wurde. Der Vollstreckungszugriff erfolgte dabei zwar nach wie vor durch den Gläubiger selbst (indem er dem Schuldner die Hand auf die Schulter legte26), allerdings unter Aufsicht des Prätors und vor dessen Augen. Vor der Vollstreckung musste der geltend gemachte Anspruch zunächst unstreitig werden, sei es durch ein Anerkenntnis des Schuldners oder durch ein Erkenntnisverfahren. Dieses Erkenntnisverfahren betraf zumindest auch, wenn nicht sogar primär die geschuldete Leistung in Natur. 27 Eine anschließende Vollstreckung durch manus iniectio war aber nur zulässig, wenn auch eine Haftsumme in Geld ziffernmäßig festgestellt war, ggf. infolge eines gerichtlichen Schätzverfahrens (arbitrium litis aestimandae).28 Dem Schuldner war ab der Verurteilung eine Frist von 30 Tagen gewährt, um die geschuldete Leistung (in Natur) zu erbringen;29 danach konnte die legis actio per manus iniectionem eingeleitet werden, welche dem Gläubiger das Recht gab, den Schuldner zu fesseln (maximal mit 15 Pfund schweren Ketten!).30 Der Schuldner geriet auf diese Weise in eine Art Schuldhaft beim Gläubiger (für maximal 60 Tage, auf dessen Kosten); der Gläubiger hatte während dieser Frist aber nicht das Recht, ihn zu töten, zu verkaufen oder für sich arbeiten zu lassen. Erst wenn die Schuld nach Ablauf dieser Haft noch nicht getilgt war (durch den Schuldner oder einen Dritten), durfte der Gläubiger den Schuldner als Sklaven ins Ausland (trans Tiberim) verkaufen oder – möglicherweise – töten.31 Diese drastischen Sanktionen der hartnäckigen Nichtleistung führten gewiss dazu, dass die verurteilten Schuldner in den allermeisten Fällen die geschuldete Naturalleistung während der 30-tägigen „Gnadenfrist“ nach 25 Ob das Legisaktionenverfahren erst durch das Zwölftafelgesetz eingeführt wurde, ist unklar (vgl. dazu Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 4 I [S. 35]). 26 Vgl. Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 32 Rn. 12 ff. 27 Vgl. auch Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 32 Rn. 20. 28 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 III 1, 2 (S. 135). 29 Vgl. Tafel III 1 f. des Zwölftafelgesetzes: „Aeris confessi rebusque iure iudicatis XXX dies iusti sunto. Post deinde manus iniectio esto. In ius ducito.“; s. dazu Harke, Römisches Recht, 2008, § 1 Rn. 3; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 19 II 3 (S. 126). 30 Vgl. Tafel III 3 des Zwölftafelgesetzes: „Ni iudicatum facit aut quis endo eo in iure vindicit, secum ducito, vincito aut nervo aut compedibus xv pondo, ne maiore aut si volet minore vincito“. 31 Vgl. Gellius 20, 1, 46 f.: „Erat autem ius interea paciscendi ac, nisi pacti forent, habebantur in vinculis dies sexaginta. Inter eos dies trinis nundinis continuis ad praetorem in comitium producebantur, quantaeque pecuniae iudicati essent, praedicabatur. Tertiis autem nundinis capite poenas dabant, aut trans Tiberim peregre venum ibant.“ S. dazu Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 VIII 1 (S. 142 f.).
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Urteilserlass erbrachten;32 sie machten aber auch ein Bedürfnis nach Schuldnerschutz deutlich. Besonders während der 60-tägigen Schuldhaft hatte der Schuldner schon rein faktisch keine Möglichkeit, eine geschuldete Leistung in Natur selbst vorzunehmen, weil er ja eben beim Gläubiger in Ketten lag und daher weder ihm eine geschuldete Sache (selbst) übergeben oder verschaffen noch eine geschuldete Handlung selbst vornehmen konnte. Daher waren es während der Haftzeit wohl häufig die Angehörigen des Schuldners, welche die Schuld an seiner Stelle tilgen mussten. Hierzu bot sich die Geldleistung als universelles Mittel zur Befriedigung des Gläubigers an.33 Schon der Legisaktionenprozess bot dem Schuldner daher die Möglichkeit, die Fesselung nicht nur durch Erbringung der geschuldeten Leistung, sondern auch durch Zahlung der im Urteil festgelegten Haftsumme oder den Abschluss eines Vergleiches oder Erlasses (pacisci) abzuwenden; daher war die ziffernmäßige Festlegung einer solchen Haftsumme Voraussetzung der manus iniectio.34 Der Sache nach handelte es sich bei der manus iniectio um ein (hartes) Zwangsmittel, welches dazu diente, den Schuldner zur geschuldeten Leistung zu bewegen.35 Dabei darf davon ausgegangen werden, dass die bloße Drohung der physischen Zwangseinwirkung durch den Gläubiger einen Druck auf den Schuldner ausgeübt hat, der den Druck eines Zwangsgeldes oder der Zwangshaft im Sinne eines modernen Vollstreckungsrechts (vgl. etwa §§ 883 ff. ZPO) bei weitem übertraf. Bei der legis actio sacramento in rem und dem später daraus entwickelten sog. Sponsionsverfahren, die beide auf die Feststellung eines (dinglichen) Herrschaftsrechts an einer Person oder Sache gerichtet waren36 – also v.a. das Pendant der heutigen Vindikation des Eigentümers gegen den nichtberechtigten Besitzer –, war dem siegreichen Gläubiger möglicherweise gestattet, die streitbefangene Sache unmittelbar mit Gewalt an sich zu nehmen. Im Falle einer Weigerung des unterlegenen Besitzers war zwar wohl eine manus iniectio unzulässig; gleichwohl standen dem Gläubiger offenbar hinreichende Zwangsmittel zur Verfügung, um die Herausgabe der Sache in Natur durchzusetzen.37
32
Vgl. auch Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 81 Rn. 12 a.E. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 III 1 (S. 135). 34 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 III 1 (S. 135); G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 49 ff.; Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 81 Rn. 11; Spann, Der Haftungszugriff auf den Schuldner zwischen Personal- und Vermögensvollstreckung, 2004, S. 10 f.; gegen diese Lesart Morita, Revue historique de droit français et étranger 73 (1995), 201, 204 f. 35 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 I 1 (S. 131). 36 Vgl. dazu eingehend Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 14 (S. 89 ff.). 37 Vgl. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, 1966, § 14 VI 2 (S. 76); unentschiedener K aser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 14 VI 2 (S. 104 f.). 33 Vgl.
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Aus heutiger Sicht ist daher festzuhalten, dass im Legisaktionenverfahren ein System der Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung durch unmittelbaren und mittelbaren Zwang herrschte. Im Vordergrund stand die Erbringung der naturalen Leistung durch den Schuldner selbst und erst hilfsweise die Ablösung mittels der Zahlung einer Haftsumme durch den Schuldner oder Dritte. Übersetzt in eine materiell-rechtliche Terminologie – welche freilich dem klassischen römischen Recht noch fremd war – galt der Vorrang sowohl des primären als auch des sekundären Naturalerfüllungsanspruches, der klagbar und vollstreckbar war. Die Interesseleistung war subsidiär, wobei der Übergang vom Naturalleistungs- auf den Geldleistungsanspruch erst im Vollstreckungsverfahren erfolgte. Eine reine Vermögensvollstreckung in dem Sinne, dass der Gläubiger – allein oder im Zusammenwirken mit staatlichen Organen – zur Befriedigung seiner Geldforderungen auf das Vermögen des Schuldners zur Verwertung zugreifen konnte, ohne zugleich die Person zu belangen, kannte das klassische römische Recht dagegen wohl nicht.38
b) Der Übergang zum Grundsatz der Geldkondemnation im Formularprozess Auch dieses System von persönlicher Schuldknechtschaft und Ablösezahlung wurde noch als sehr drastisch empfunden. Die weitere Entwicklung des Schuldnerschutzgedankens führte dazu, dass die Vollstreckung im Legisaktionenverfahren dahingehend abgemildert wurde, dass die Höhe der Ablösezahlung sich – bei actiones auf einen bestimmten Gegenstand – dem objektiven Wert der Leistung (quanti ea res est),39 im Übrigen dem Interesse des Gläubigers (id quod interest) anpasste.40 Da das Interesse des Gläubigers diesen regelmäßig schadlos stellte, während die Personalvollstreckung nach dem Zwölftafelgesetz für den Gläubiger aufwändig und auch kostspielig war (private Organisation der 60-tägigen Schuldhaft samt Bewachung und Verpflegung), entwickelte sich die Ablösezahlung allmählich zum eigentlichen Ziel des gerichtlichen Verfahrens. Aus der Zwangsmaßnahme „Lösegeld“ wurde das Anspruchsziel „Interesse“; aus der realen Fesselung (lat. obligari) wurde die nur noch rein virtuelle obligatio, das heutige „Band des Schuldverhältnisses“.41
38 Vgl.
Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 20 VIII 2 (S. 145). Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 825. 40 Wobei freilich das Interesse nicht mit dem heutigen Begriff des Schadensersatzes statt der Leistung gleichzusetzen ist (vgl. eingehend Medicus, Id quod interest, 1962, S. 299 ff. sowie Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 826). 41 Der Begriff obligatio soll zuerst in den Institutionen des Gaius (um 160 n. Chr.) für die rechtliche Verpflichtung verwendet worden sein; vgl. dazu G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 52; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 1 ff.; HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 5 ff.; s. auch Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 32 Rn. 1 ff. 39 Vgl.
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Konsequenterweise waren die sich in der Folgezeit herausbildenden actiones des Formularprozesses ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. im Fall der Nichterfüllung nicht mehr auf die tatsächlich geschuldete (Primär-)Leistung zu richten, sondern unmittelbar auf das Interesse, d.h. auf die Zahlung der Ablösesumme.42 Dies gipfelte in dem klassischen Satz von Gaius, wonach jede Verurteilung auf eine Geldleistung zu lauten habe: „Omnium autem formularum, quae condemnationem habent, ad pecuniariam aestimationem condemnatio concepta est.“43 Dieser Grundsatz der Geldkondemnation galt nicht nur für (nach heutigem Verständnis) schuldrechtliche Pflichten aus Verträgen, sondern auch für dingliche Herausgabeansprüche, insbesondere für die Vindikation.44 Das änderte aber nichts daran, dass der eigentliche Inhalt der objektiven Leistungspflicht die jeweilige Naturalleistung war; die Nichterfüllung einer derartigen Pflicht war Voraussetzung der Verurteilung. Lediglich der materiell-rechtliche Schuldinhalt (Naturalleistung) und die prozessuale Klageformel und dementsprechend auch der Inhalt des Vollstreckungstitels (Geldleistung) fielen auseinander.45 In materiell-rechtliche Terminologie übertragen – d.h. ausgehend von einer Gleichsetzung von actio und Anspruch – entstand schon mit der schlichten Nichtleistung bei Fälligkeit ein ausschließlicher Geldleistungsanspruch (d.h. es konnte nur auf eine Geldleistung geklagt werden). Aus diesem Grund waren auch keine differenzierten Übergangstatbestände von einem Naturalleistungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch erforderlich; selbst die Unmöglichkeit hatte lediglich – als nicht zu vertretende – die Funktion einer vollständigen Befreiung von der Haftung, nicht aber die Funktion eines Überganges von der Naturalleistungs- auf die Geldleistungspflicht.46 Ob der Schuldner sich unmittelbar durch die Interesseleistung befreien konnte, ob also wenigstens der (gedachte) primäre Anspruch materiell-rechtlichen Vorrang genoss, war unklar; genau hierin lag der Grund für die umfangreichen Kontroversen während der Rezeption des klassischen römischen Rechts im Mittelalter.47 Sicher war auch insoweit – wie bereits oben hervorgehoben48 – zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit einer Zahlungsklage auf den Schuldner einen erheblichen Druck ausübte, die eigentlich geschuldete Leistung doch noch selbst in Natur zu erbringen. Auch insoweit handelte es sich also um ein mittelbares 42 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 6; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 54 IV 1 (S. 372 ff.). 43 Inst. IV, 48; vgl. dazu etwa Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 941 ff.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 54 IV 1 (S. 372). 44 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 91 ff.; Müller-Chen, JbJZivRWiss 1996, 1997, S. 23, 28; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 941. 45 Vgl. Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 942. 46 Vgl. auch Medicus, ZRG (RA) 86 (1969), 67, 103. 47 S. dazu unten § 2.II.4 (S. 79 ff.). 48 S. oben § 1.III.2.b)dd) (S. 42 f.).
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Zwangsmittel.49 Gleichwohl stand am Ende der klassischen Periode des römischen Rechts nicht mehr die Naturalleistung selbst im Mittelpunkt von Klage und Urteil, sondern die Geldzahlung.
2. Die Rückkehr zu Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung im Kognitionsverfahren Der Formalismus des klassischen Formularprozesses, auf welchem die Beschränkung der Kläger auf die Geldkondemnation und Geldvollstreckung letztlich beruhte, blockierte zunächst eine nachhaltige Weiterentwicklung des Prozess- und Vollstreckungsrechts hin zur Zulassung von Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung. In der nachklassischen Periode kollidierte dieser Formalismus aber mit dem immer stärker werdenden Bedürfnis der Praxis nach Flexibilisierung. Bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. entwickelte sich aus außerordentlichen Verfahrensarten (cognitio extra ordinem) das sog. Kognitionsverfahren, in welchem die Parteien nicht mehr auf die fest vorgegebene Klageund Erwiderungsformeln (actio und exceptio) beschränkt waren, sondern auch solche Ansprüche geltend machen konnten, die aus dem Klagensystem des Formularprozesses herausfielen.50 Vielmehr konnte der Gerichtsmagistrat selbst – unabhängig von einer Zulassung durch den Prätor – neue Klageformeln entwickeln, so dass auch die Kläger in diesem Verfahren über eine größere Freiheit in der Formulierung ihrer Klagebegehren verfügten, wenngleich nach wie vor feststehende hergebrachte Klageformeln (actiones) existierten. Infolge eines Gesetzes aus dem Jahre 342 n. Chr. löste das Kognitionsverfahren den Formularprozess endgültig ab. Auf der Ebene des Vollstreckungsrechts war das Kog nitionsverfahren durch eine starke Rolle der Staatsmacht gekennzeichnet; die Privatexekution durch den Gläubiger wurde in der nachklassischen Zeit ganz abgeschafft,51 auch wenn neben der – inzwischen etablierten – Vermögensvollstreckung auch die Personalvollstreckung gegen den unterlegenen Beklagten möglich blieb. Die neu gewonnene Freiheit der Kläger in der Formulierung der Klageanträge einerseits und die deutlich verbesserten Vollstreckungsmöglichkeiten andererseits – insbesondere der Schutz des Schuldners gegen übermäßige Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers infolge der Konzentration der Vollstreckung auf die Staatsmacht – führten dazu, dass in einigen Fällen eine actio auf Naturalleistungen zugelassen wurde. Die Naturalkondemnation – und in der Folge die Naturalvollstreckung – waren nicht zuletzt wegen der starken Infla49 Vgl. auch G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 54; Behrends, FS Sellert, 2000, S. 11, 13; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 952. 50 Vgl. den Überblick bei Harke, Römisches Recht, 2008, § 1 Rn. 22 ff. 51 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 96 I (S. 623 f.).
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tion um die Jahrhundertwende zum 4. Jahrhundert n. Chr. von großer Bedeutung, weil die Geldkondemnation dem Gläubiger einer Sachleistung kein taugliches Äquivalent bieten konnte.52 Eine einheitliche Auffassung scheint sich zum Anwendungsbereich der Naturalleistungsklage (und entsprechend der Naturalvollstreckung) in der nachklassischen Periode allerdings nicht herausgebildet zu haben; das Corpus Iuris Civilis Justinians enthält widersprüchliche Aussagen zu dieser Frage: Am Anfang der Entwicklung stand die Anerkennung der Naturalklage und -vollstreckung für Klagen auf Herausgabe einer Sache, wobei dem Schuldner die Sache durch den Executor mit Gewalt (manu militari) weggenommen wurde.53 In den Institutiones ist sogar davon die Rede, dass der Richter immer dann, wenn es möglich sei, insbesondere bei Geldzahlungen und bei Sachschulden, in natura verurteilen solle.54 Demgegenüber sollte die actio emti des Käufers lediglich auf das Interesse gerichtet sein, nicht auf die naturale Übergabe der Kaufsache.55 Allerdings ist das Corpus Iuris Civilis in dieser Hinsicht nicht eindeutig: So gehen die Ausführungen in den Institutiones zur Schenkung offenbar davon aus, dass dem Käufer aus dem Kaufvertrag ein Anspruch auf die naturale Übergabe der Kaufsache zusteht.56 Auch in den Digesten ist von einem Recht auf naturale Übergabe der Kaufsache die Rede.57 Im Ergebnis bestand eine Möglichkeit der Naturalverurteilung und -vollstreckung bei Obligationen auf dare und reddere,
52 Vgl. Harke, Römisches Recht, 2008, § 1 Rn. 24; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 772. 53 Vgl. Ulpian Dig. 6, 1, 68: „Qui restituere iussus iudici non paret contendens non posse restituere, si quidem habeat rem, manu militari officio iudicis ab eo possessio transfertur et fructuum dumtaxat omnisque causae nomine condemnatio fit.“ S. dazu HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 6; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 96 IV (S. 626); die Authentizität dieser Stelle ist allerdings umstritten, vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 773; Kaser/Hackl, a.a.O., § 96 IV Fn. 25 (S. 626). 54 Vgl. Inst. IV, 6, 32: „Curare autem debet iudex, ut omnimodo, quantum possibile ei sit, certae pecuniae vel rei sententiam ferat, etiam si de incerta quantitate apud eum actum est.“; vgl. dazu Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 772 f. 55 Vgl. Ulpian Dig. 19, 1, 1 pr.: „Si res vendita non tradatur, in id quod interest agitur, hoc est quod rem habere interest emptoris: hoc autem interdum pretium egreditur, si pluris interest, quam res valet vel empta est.“; ebenso der Codex Justinians, C. 4, 49, 4: „Si traditio rei venditae iuxta emptionis contractum procacia venditoris non fiat , quanti interesse compleri emptionem fuerit arbitratus praeses provinciae, tantum in condemnationis taxationem deducere curabit.“ 56 Vgl. Inst. II, 7, 2, 2: „Perficiuntur autem cum donator suam voluntatem scriptis aut sine scriptis manifestaverit: et ad exemplum venditionis nostra constitutio eas etiam in se habere necessitatem traditionis voluit, ut, et si non tradantur, habeant plenissimum et perfectum robur et traditionis necessitas incumbat donatori.“ (Hervorhebung vom Verf.); s. dazu auch Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 48 f. 57 Vgl. Ulpian Dig. 19, 1, 11, 2: „Et in primis ipsam rem praestare venditorem oportet, id est tradere: quae res, si quidem dominus fuit venditor, facit et emptorem dominum, si non fuit, tantum evictionis nomine venditorem obligat“.
§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa
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evtl. auch für die actio emti des Käufers.58 Für Handlungspflichten (obligationes faciendi) enthielten die Digesten zwar nach wie vor den Grundsatz der Geldkondemnation;59 allerdings waren auch insoweit für viele besondere Handlungspflichten Naturalleistungsurteile vorgesehen, so etwa für Ansprüche auf einen Vertragsschluss, auf Sicherheitsleistung, auf Befreiung oder auf Eingliederung in einen Verband.60 Soweit danach eine Naturalverurteilung auch für bestimmte Handlungspflichten in Betracht kam, erfolgte die Vollstreckung im Wege der Personalexekution.61 Hinzu kam ferner in vielen Fällen die Möglichkeit der actio arbitraria:62 Dem Kläger wurde eine Naturalleistung dadurch verschafft, dass dem Beklagten in einer Art Zwischenurteil aufgegeben wurde, den Kläger in Natur zu befriedigen, um eine Geldverurteilung durch das noch ausstehende Endurteil zu vermeiden. Die Besonderheit der Geldverurteilung bestand darin, dass sie in Höhe eines allein vom Kläger durch Schätzeid angegebenen, meist überhöhten Betrages erfolgte, der nicht auf das tatsächliche Erfüllungsinteresse beschränkt war. Der Sache nach lag darin eine einseitig vom Kläger festgesetzte und an diesen zu entrichtende Strafe für die Nichterfüllung der Pflicht, welche vom Gericht ausgesprochen wurde.63 Der praktische Effekt war der gleiche wie bei einem vollstreckungsrechtlichen Zwangsgeld: Der Schuldner erhielt durch das Zwischenurteil Klarheit über das Bestehen und den Inhalt seiner primären Leistungspflicht und wurde durch mittelbaren Zwang zur Naturalleistung angehalten. Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass der Grundsatz der Naturalkondemnation – in materiell-rechtlicher Terminologie also die Existenz eines klag- und vollstreckbaren Naturalleistungsanspruches – im nachklassischen römischen Recht für Sachherausgabeschulden wieder in den Vordergrund gerückt war. Lediglich für Handlungspflichten blieb es bei der Geldkondemnation, wobei auch insoweit die actio arbitraria zeigte, dass den römischen Juristen die Existenz einer materiell vorrangigen Naturalleistungspflicht durchaus bewusst war, mag der Vorrang auch lediglich durch das prozessuale Mittel einer Erfüllungsfrist zwischen dem Zwischen- und dem Endurteil gesichert worden sein. 58
Vgl. dazu eingehend Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 287 ff. Celsus, Dig. 42, 1, 13, 1: „Si quis promiserit prohibere se, ut aliquid damnum stipulator patiatur, et faciat ne quod ex ea re damnum ita habeatur, facit quod promisit: si minus, quia non facit quod promisit, in pecuniam numeratam condemnatur, sicut evenit in omnibus fac iendi obligationibus.“; vgl. hierzu Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 773; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 48; die Quellenlage im Hinblick auf Obligationen auf facere hält Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 266 für widersprüchlich. 60 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 93 II 2 b (S. 609 f.) m.w.N. 61 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 96 IV Fn. 27 (S. 626). 62 Vgl. dazu Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 93 II 2 c (S. 610 f.). 63 Vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 21997, § 93 II 2 c (S. 611); Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 27 Rn. 17, § 34 Rn. 13, § 83 Rn. 18. 59 Vgl.
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Hinsichtlich der Lieferpflicht des Verkäufers war unklar, ob sie als Sachschuld oder als Handlungspflicht in diesem Sinne einzuordnen war, ob also die actio emti des Käufers auf Übergabe der Sache oder auf das Interesse zu richten war.64 Auch sonst ist die Quellenlage des Corpus Iuris Civilis insgesamt uneinheitlich,65 was aber im Gegensatz zum zuvor streng durchgehaltenen Grundsatz der Geldkondemnation immerhin eine (partielle) Rückkehr zum Grundsatz der Naturalkondemnation darstellt.66
3. Das Fehlen eines Anspruches auf Nacherfüllung Die bisherigen Ausführungen betrafen nur den primären Erfüllungsanspruch selbst und seine Durchsetzbarkeit. Hinsichtlich der kaufrechtlichen Nacherfüllung, d.h. der Reparatur einer mangelhaften Kaufsache oder Ersatzlieferung einer mangelfreien gleichartigen Sache war die Rechtslage im römischen Recht zu klassischer Zeit wie zur Zeit des Kognitionsverfahrens eindeutig. Grundlage der kaufrechtlichen Gewährleistung war das sog. ädilizische Edikt,67 das die kurulischen Ädilen als zuständige Marktmagistrate für den Verkauf von Sklaven und Zugtieren auf dem Markt erlassen hatten. Dieses Edikt, das in seinen Grundzügen bereits im dritten Jahrhundert v. Chr. existierte,68 sah als Rechtsbehelfe des Käufers nur die heutige Minderung (actio quanti minoris) und die Rückabwicklung des Kaufvertrags (actio redhibitoria), die spätere Wandelung, vor.69 Ein Anspruch auf Nacherfüllung war in diesem wirtschaftlichen Kontext auch nicht zu erwarten: Die verkauften „Gegenstände“ waren natürlich gewachsene „Produkte“ (Sklaven und Tiere), und ihre „Mängel“ – z.B. Krankheiten oder schädliche Charaktereigenschaften – waren ohnehin nicht behebbar, so dass ein Nacherfüllungsanspruch sinnlos gewesen wäre.70 Die Frage nach der Möglichkeit einer Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung, also einer actio gerichtet auf eine Naturalleistung, stellte sich mithin im Bereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auf lange Zeit überhaupt nicht. Erst mit dem Aufkommen industriell gefertigter Massengü64 Vgl.
65 Vgl.
Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 287 ff. dazu Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 50 mit weiteren Bei-
spielen. 66 Ebenso Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 46 f. 67 Dig. 21.1. 68 Vgl. dazu Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 202014, § 41 Rn. 38 ff.; Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf, 1997, S. 123 ff., 272 ff. 69 Gaius Dig. 21.1.18 pr.: „Si quid venditor de mancipio adfirmaverit idque non ita esse emptor queratur, aut redhibitorio aut aestimatorio (id est quanti minoris) iudicio agere potest“; s. dazu auch Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 316 ff. 70 Vgl. Wagner, ZEuP 2012, 797, 798 f.; Baldus, Binnenkonkurrenz kaufrechtlicher Sachmängelansprüche nach Europarecht, 1999, S. 62; s. zum Ganzen auch Chiusi, Jura 2003, 217, 221 ff.
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ter und der daraus folgenden Möglichkeit des Austausches einer mangelhaften Sache durch eine andere, gleichartige Sache änderte sich dies für den Nachlieferungsanspruch. Und auch ein kaufrechtlicher Anspruch auf Nachbesserung konnte erst in das Blickfeld gelangen, als Hersteller der Sache und Verkäufer infolge einer arbeitsteiligen Vertriebsorganisation nicht mehr identisch waren, so dass werk(lieferungs)vertragliche Nachbesserungsansprüche nicht mehr genügten.71 Für das römische Kaufrecht kann daher festgehalten werden, dass Nacherfüllungsansprüche keine Rolle spielten.
4. Die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter Die widersprüchliche Rechtslage nach dem Corpus Iuris Civilis prägte die wieder aufkeimende Diskussion um die Frage der Naturalerfüllung in der mittelalterlichen Rechtstheorie.72
a) Die Fortsetzung der Kontroverse in der Zeit der Glossatoren Die besondere Autoritätsgläubigkeit der Glossatoren ab dem Ende des 11. Jahrhunderts führte dazu, dass Sachargumenten in dieser Diskussion keine so bedeutende Rolle zukam, wie sie heute zu erwarten wäre.73 Die Widersprüchlichkeit der Quellen stellte sie daher vor große Schwierigkeiten und führte – wenig überraschend – dazu, dass im Hinblick auf die Geltung der Grundsätze der Geldkondemnation oder der Naturalkondemnation keine Einigkeit zu erzielen war.74 Während bei Sachschulden (mit Ausnahme der actio emti) die Naturalverurteilung verhältnismäßig eindeutig für möglich gehalten wurde,75 bestand hinsichtlich der obligationes faciendi und der actio emti unter den Glossatoren und später unter den Kommentatoren die Uneinigkeit fort, die schon das Corpus Iuris Civilis geprägt hatte.76 Viele Juristen lehnten in der Folge der einflussreichen Glossatoren Bulgarus und Ugo de Porta Ravennate – zwei der berühmten quattuor doctores aus 71
S. auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 799. Vgl. dazu Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277 ff.; Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 532 ff. sowie eingehend Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 51 ff. 73 Vgl. auch Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 51; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, S. 49 ff. 74 Vgl. Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 51 f. 75 Gegen eine Naturalvollstreckung durch gewaltsame Wegnahme Schrage, Bulletin de la Société Archéologique et Historique de l’Orléanais N. S. IX (1985), 53, 57, der davon ausgeht, dass Herausgabeurteile mittels der actio iudicati durch eine (Zweit-)Verurteilung auf eine Geldzahlung vollstreckt wurden. 76 Vgl. die ausführliche Wiedergabe des Streitstandes bei den Glossatoren und Kommentatoren bei Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 51 ff., 133 ff., 190 ff., 238 ff.; Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 269. 72
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Bologna – für Handlungspflichten ebenso wie für die actio emti (die ebenfalls als Handlungspflicht verstanden wurde) generell eine Verurteilung zur Naturalerfüllung (und deren Vollstreckung) ab. Sie vertraten also – mit Ausnahme der Sachherausgabeschulden – die Geltung des Grundsatzes der Geldkondemnation.77 Diese Auffassung gipfelte in dem in dieser Formulierung erst in der Zeit der Postglossatoren geprägten Satz „nemo praecise cogi ad factum“.78 Die Vertreter der Gegenmeinung gingen im Anschluss an den nicht minder einflussreichen Glossatoren Martinus Gosia – ebenfalls einer der quattuor doctores – umgekehrt von der grundsätzlichen Möglichkeit der Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung für alle Schuldarten aus. Dabei wurde von manchen Autoren nicht nur für die Sachüberlassung im Rahmen einer Miete, sondern auch für Werkleistungen und sogar Dienstleistungen aus Arbeitsverträgen eine Naturalverurteilung mit Vollstreckung angenommen.79 Hinsichtlich der Leistungspflichten aus Werkverträgen scheint dies sogar der allgemeinen Meinung der Professoren in Bologna entsprochen zu haben.80 Erleichtert wurde dies durch die aus der Zeit des Kognitionsverfahrens beibehaltene Möglichkeit des Schätzeides, der zugleich die Funktionen des Schadensersatzes und des Zwangsgeldes erfüllte.81 Hinzu kamen schließlich unzählige differenzierende Auffassungen, die – ausgehend vom damaligen Wissenschaftsverständnis, welches die überlieferten römischen Quellen als unumstößliche „ratio scripta“ zugrunde legte82 – versuchten, die unterschiedlichen Quellenbelege durch Anknüpfung an verschiedene Unterscheidungsmerkmale der jeweils behandelten Sachverhalte miteinander in Einklang zu bringen.83 Vor allem für Handlungspflichten aus verschiedenen Ursprüngen blieb dabei umstritten, ob die Handlungsverurteilung oder 77 Vgl.
Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 269. 78 Der Satz wird überwiegend dem Postglossatoren Jacobus de Ravanis (Jacques de Revigny) zugeschrieben (vgl. Schrage, Bulletin de la Société Archéologique et Historique de l’Orléanais N. S. IX (1985), 53 ff. sowie Dawson, 57 Mich. L. Rev. 495, 506 ff. (1959)); andere Autoren sehen Antoine Favre (Präsident des Senats von Savoyen im 16. Jahrhundert) als Urheber an (vgl. Puig, RDC 2005, 85); s. zu seiner Genese eingehend Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 27 ff., insb. S. 44 ff. 79 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 270; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 286. 80 Vgl. zum Naturalleistungszwang eines Schreibers bzw. Kopisten Accursius, Corpus Iuris Civilis Iustiniaei, um 1230, Dig. 39, 1, 21, 4, glosse Sive: „Ex hac littera collige argoquod scriptor potest cogi ad scribendum et poni in compedibus […] et ita concordant orrmes doctores bon. residentes. Et est ratio ne turbetur publica utilitas, id est studium, sicut et hic ne conterrmatur edictum praetori ’.“ (wiedergegeben bei Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 271). 81 S. bereits oben § 2.II.2 (S. 75 ff.) a.E. 82 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, S. 55. 83 Vgl. dazu insbesondere Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 70 ff.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 306.
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die Geldverurteilung die Regel und die jeweils andere Form die Ausnahme sein sollte.84 Am Ende der Glossatorenzeit ist die Lage damit nicht wesentlich klarer als zum Ende des römischen Reiches: Für Ansprüche auf Sachherausgabe wurde durchgehend der Naturalerfüllungszwang befürwortet; überwiegend galt das auch für die actio emti, bei obligationes dandi und bei unvertretbaren Handlungspflichten.85 Hinzu kamen ferner die beeideten Versprechen, für die der Erfüllungszwang aus dem Eid selbst folgen sollte,86 sowie vertragliche Pflichten, die an die Stelle gesetzlicher Pflichten treten konnten.87 Hinsichtlich der übrigen (also der vertretbaren) Handlungspflichten wurde ein Erfüllungszwang hingegen weit überwiegend abgelehnt: „Nemo praecise cogi ad factum“. Die Differenzierungen wurden aber immer zahlreicher und unübersichtlicher; das galt auch für die Situationen, in denen präziser Erfüllungszwang ausnahmsweise zugelassen wurde.88
b) Weitere Ausdifferenzierungen in der Zeit der Kommentatoren Im 13. und 14. Jahrhundert verfolgten die Kommentatoren die Suche nach den anzuwendenden Differenzierungskriterien anhand der Quellenlage weiter. Für Sachherausgabeansprüche blieb es beim Grundsatz der Naturalverurteilung. Die Diskussion konzentrierte sich weiterhin auf die Handlungspflichten (obligationes faciendi), die insbesondere Bartolus de Saxoferrato (1314–1357) in seiner umfassenden und einflussreichen Kommentierung des Corpus Iuris Civilis untersuchte.89 Bartolus war dabei der erste Kommentator, der die Unterscheidung nicht nur anhand der Anspruchsziele, sondern zusätzlich hinsichtlich der Anspruchsgründe suchte. Bei gesetzlichen und testamentarischen Ansprüchen auf facere sei stets eine Naturalverurteilung möglich; von derartigen Ansprüchen könne der Schuldner sich nicht durch eine Schadensersatzzahlung befreien. Anders sei dies hinsichtlich vertraglich begründeter Ansprüche; hier könne der Gläubiger – sofern die Leistung noch möglich sei – zwischen Naturalverurteilung und Geldverurteilung wählen. Dem vertraglichen Versprechen der Naturalleistung füge das Gesetz gewissermaßen eine Pflicht zur Zahlung von Schadensersatz für den Fall der Nichterfüllung hinzu; das Vertragsversprechen 84 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 271. 85 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 8; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 290 f. 86 Vgl. eingehend Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 51 ff., 133 ff. 87 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 8. 88 Vgl. Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 321. 89 Die Glosse ist mit Übersetzung abgedruckt bei Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 331 ff.; s. dazu ferner Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 272 f.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 298 ff.
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könne den Schuldner zudem nicht so weit binden, dass es ihn zu einer Handlung zwinge, die er selbst nicht (mehr) erbringen wolle.90 Die Verpflichtung des Verkäufers zur Übergabe der Kaufsache ordnete Bartolus im Anschluss an die Glossatoren im Grundsatz ebenfalls als Handlungspflicht in diesem Sinne ein.91 Sie habe aber auch Elemente einer Sachherausgabepflicht, die dazu führten, dass die Naturalverurteilung ausnahmsweise möglich sei.92 Die von Bartolus eingeführte Unterscheidung nach Anspruchsgründen setzte sich in der Folgezeit durch, wobei die späteren Kommentatoren im 14. und 15. Jahrhundert allerdings weitere Ausnahmefälle vertraglicher Handlungspflichten anerkannten, in denen eine Naturalverurteilung möglich sein sollte. So wurde etwa die Auffassung von Accursius übernommen, wonach Handlungspflichten aus Werkverträgen allgemein natural durchsetzbar seien. Auch die Möglichkeit eines spezifischen vertraglichen Naturalleistungsversprechens wurde anerkannt, bei welchem der Schuldner zur versprechensgemäßen Naturalleistung gezwungen werden konnte; daneben – nach Auffassung vieler späterer Kommentatoren an dessen Stelle – trat das eidliche Versprechen, das ebenfalls in Natur durchsetzbar sein sollte.93 In prozessualer Hinsicht konnte der Schuldner der Schadensersatzverurteilung bis zum Abschluss des Verfahrens entgehen, indem er die Naturalleistung noch erbrachte.94 Materiell-rechtlich betrachtet fand also keine vollständige Umwandlung der Obligation in eine Schadensersatzverpflichtung anstelle der ursprünglichen Naturalleistungspflicht statt; vielmehr blieb die Naturalleistungspflicht bis Prozessende der materiell-rechtliche Anspruchsinhalt.95 Diesem Naturalleistungsanspruch fehlte aber im Bereich vieler Handlungspflichten die Klagbarkeit und dementsprechend auch die Vollstreckbarkeit. Am Ende der Kommentatorenzeit ähnelte damit das Meinungsbild dem am Ende der Glossatorenzeit: Sachherausgabeschulden waren in Natur zu erfüllen und insoweit ggf. vollstreckbar; das wurde zunehmend auch für die Übergabeverpflichtung des Verkäufers angenommen. Für Handlungspflichten (obliga tiones faciendi) hing die Möglichkeit einer Naturalverurteilung vom Anspruchs 90 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 272. 91 Ebenso Jacobus de Ravanis ( Jacques de Revigny), der Begründer des Satzes „nemo praecise cogi ad factum“, vgl. die Nachweise bei Schrage, Bulletin de la Société Archéologique et Historique de l’Orléanais N. S. IX (1985), 53, 60 f.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 293 f. 92 Vgl. Bartolus (Fn. 89), ad. D. 45, 1, 72, Nr. 39 (bei Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 345 ff.). 93 Vgl. die Nachweise bei Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 273 f. 94 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 274; Schrage, Bulletin de la Société Archéologique et Historique de l’Orléanais N. S. IX (1985), 53, 56, jeweils m.N. 95 Vgl. dazu auch oben § 1.III.1.b) (S. 33).
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grund ab: Gesetzliche und testamentarische Pflichten waren in Natur zu erfüllen, vertragliche nur in (immer häufiger anerkannten) Ausnahmefällen; für die übrigen vertraglichen Handlungspflichten blieb es bei dem Satz „nemo praecise cogi ad factum“. Was die Anspruchsgründe anbelangt, konzentrierte sich die Diskussion in der Folge Bartolus’ auf vertragliche Handlungspflichten; für gesetzliche und testamentarische Handlungspflichten war der Naturalleistungszwang nahezu allgemein anerkannt.
5. Kanonisches Recht Zur bedeutsamsten Ausnahme von diesem Grundsatz der Geldkondemnation bei vertraglichen Handlungspflichten entwickelte sich die des eidlichen Leistungsversprechens.96 Vor allem die kanonistische Lehre leitete den Naturalleistungszwang in diesen Fällen aus der Sündhaftigkeit des Eidbruches her.97 Der Eid bildete damit gewissermaßen nicht nur die dogmatische Brücke zur Anerkennung bindender vertraglicher Versprechen überhaupt98 – die heutige Privatautonomie –, sondern auch zur Einführung des Naturalleistungszwanges und in der Folge eines materiell-rechtlichen Grundsatzes der Naturalerfüllung.99 Allerdings bestand auch unter den Kanonisten des 13. und 14. Jahrhunderts keine Einigkeit hinsichtlich der Frage, ob das durch Eid bekräftigte Leistungsversprechen in Natur zu erfüllen war, oder ob es auch durch eine Geldzahlung abgelöst werden konnte. Wie unter den weltlichen Juristen des Mittelalters gab es auch unter den Kanonisten Stimmen, die dem eidlichen Versprechen generell einen Naturalleistungszwang entnahmen, und Gegenstimmen, die einen solchen ablehnten und dem Gläubiger nur einen – vor der kirchlichen Gerichtsbarkeit durchsetzbaren – Anspruch auf eine Geldleistung zusprachen.100 Erst gegen Ende des Mittelalters – und damit parallel zur entsprechenden Entwicklung bei den Kommentatoren im weltlichen Zivilrecht – entwickelte sich auch unter den Kanonisten die Auffassung einer spezifischen Bedeutung des eidlichen Versprechens, das einen Naturalleistungszwang auslöste. Für die übrigen Fälle verwiesen die Kanonisten auf den Diskussionsstand zum weltlichen Zivilrecht.101 96 Zu den Wurzeln des Grundsatzes pacta sunt servanda im kanonischen Recht des 4. Jahrhunders n. Chr. vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 542 f.; Stöhr, AcP 214 (2014), 425, 439. 97 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 9; Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 274 ff. 98 Vgl. dazu Decock, Theologians and Contract Law, 2012, S. 107 ff. 99 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544. 100 Vgl. die Nachweise bei Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 275 f. 101 Vgl. Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 276.
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Eine Besonderheit des Kirchenrechts waren seine sehr effektiven Zwangsmittel, die bis hin zur Exkommunikation reichten,102 welche zur damaligen Zeit der Vernichtung der bürgerlichen Existenz nahe kam. Das versah eine Naturalleistungsverurteilung durch kirchliche Gerichte mit besonderem Nachdruck und machte sie so erst sinnvoll. Das Konzept des mittelbaren Leistungszwanges durch Androhung anderer, mit der geschuldeten Leistung nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehender Zwangsmittel färbte in der Folge auch auf das weltliche Zivilrecht ab, das ebenfalls Geldstrafen und Haftstrafen aner kannte.103
6. Usus modernus Am Ende des Mittelalters waren – nach den Arbeiten der Glossatoren und Kommentatoren – in allen drei Gruppen von Obligationen (dare, facere, praestare; aus praestare wurde bald tradere) Fälle anerkannt, in denen auf Naturalleistung geklagt werden konnte; gleichwohl gab es in allen drei Gruppen aber auch Fälle, in denen nur die Geldkondemnation zulässig war.104 Diese unklare Rechtslage war die Grundlage des usus modernus im Kontinentaleuropa der frühen Neuzeit. Auch hier prägten immer neue Differenzierungsversuche die rechtswissenschaftliche Diskussion; die Streitigkeiten des Mittelalters wurden fortgesetzt.105 Infolge des sich im Rahmen eines moderneren Wissenschaftsverständnisses herausbildenden freieren Verhältnisses zu den römischen Rechtsquellen konnten die Juristen eher den Sachargumenten folgen und sahen sich nicht mehr strikt und unbedingt an alle Texte des Corpus Iuris Civilis gebunden. Zwar kam es während der sog. eleganten Jurisprudenz in Frankreich und in den Niederlanden im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss des Humanismus noch einmal zu einer Rückkehr zur strengen Geldkondemnation des antiken römischen Rechts, die zwar nicht für Herausgabepflichten, aber doch für alle Handlungspflichten und die Übergabeverpflichtung des Verkäufers gelten sollte.106 Diese vorübergehende Rückwärtswendung konnte den Vormarsch der Naturalkondemnation aber nicht aufhalten.107 Der usus modernus entwickelte sich, befreit vom formalistischen Denken des Mittelalters, aufgrund der oben schon ausgearbeiteten Sachargumente hin zum Grundsatz der Naturalkondemnation. Dazu trugen verschiedene Einflüsse bei: Einerseits die jeweiligen 102 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544; Decock, Theologians and Contract Law, 2012, S. 86 ff. 103 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544. 104 Vgl. zusammenfassend Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 774. 105 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 10; Coing, Europäisches Privatrecht I, 1985, § 84 II (S. 432 ff.). 106 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544 f. m.N. 107 Vgl. HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 10.
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örtlichen Partikularrechte und Überlieferungen,108 die nun nicht mehr automatisch dem römischen Recht unterlegen waren, sondern mit diesem in Verbindung traten und dieses im Einzelfall auch ergänzen oder verdrängen konnten.109 Auf diese Weise fand der universelle Grundsatz der Naturalkondemnation, der im germanischen Recht aus dem Gedanken der Vertragstreue abgeleitet worden war und verbreitet zugelassen wurde,110 auch immer mehr Eingang in das gemeine Recht. Andererseits führten auch der Rationalismus und das daraus abgeleitete Naturrecht bzw. Vernunftrecht111 zu einer weiteren Ablösung von den römischen Quellen und ihrer kritischen Hinterfragung, was wiederum den Grundsatz der Naturalerfüllung erstarken ließ. Mit der zunehmenden Konzentration auf Sachargumente verlor der Grundsatz der Geldkondemnation immer mehr an Boden; vielmehr rückte der – auch aus dem Naturrecht übernommene112 – Gedanke ins Zentrum, dass ein Versprechen zu halten sei, auch wenn es auf eine Handlung gerichtet ist. Römisches Recht, das mit diesem Gedanken nicht in Einklang stand, wurde für „unvernünftig“ erklärt und außer Anwendung gelassen.113 Auch die Möglichkeit des Schuldners, sich durch Interesseleistung zu befreien, passte nicht zur – aus der Vernunft abgeleiteten – Bindung an das Versprechen, und wurde daher zunehmend abgelehnt.114 Dies führte dazu, dass die Gerichte im 18. Jahrhundert bei Handlungs- und Unterlassungspflichten nach gemeinem Recht ohne weiteres zur Naturalleistung verurteilten.115 Auch das Reichsgericht hat diese Praxis übernommen.116 Damit war im gemeinen Recht spätestens im 19. Jahrhundert die Existenz eines klagbaren Naturalleistungsanspruches durchgehend anerkannt.117 Dieser wurde von vielen Autoren auch bereits als vorrangiges Ziel der Obligation an108
S. dazu unten § 2.IV.1 (S. 89 ff.). Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, S. 207. 110 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 548. 111 Vgl. zur uneinheitlichen Terminologie Auer, FS Canaris, 2007, Bd. 2, S. 931, 933 ff. 112 Vgl. sogleich unter § 2.III (S. 88 f.). 113 Vgl. Molina, De iustitia et iure, 1659, tractatus II, disputatio 562, n. 4 (wiedergegeben bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 546). 114 Vgl. Thomasius, Dissertatio inauguralis iuridica: An promissor facti liberetur praestando id, quod interest?, 1721, S. 5 (§ 5), zit. bei HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 10. 115 Vgl. auch OAG Kassel SeuffA Bd. 2, Nr. 272: „Wenn auch anzunehmen wäre, daß nach römischem Rechte bei den auf ein Thun oder Unterlassen gerichteten Verträgen eine Verurtheilung nur auf Leistung des Interesses stattfinde, so ist doch diese Bestimmung bei der Aufnahme des römischen Rechtes in Deutschland nicht allgemein anerkannt worden, vielmehr darf nach gemeinem deutschen Gerichtsgebrauche die Klagbitte, beziehungsweise die Verurtheilung auch bei Verträgen der obgedachten Art auf den Vertragsgegenstand selbst gerichtet werden.“; ebenso OAG Rostock SeuffA Bd. 7, Nr. 18; zu beiden Zitaten vgl. Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 954. 116 Vgl. RGZ 10, 176, 178 f. zur Naturalvollstreckung nach gemeinem Recht. 117 Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776 mit Hinweis auf von Wächter, Pandekten II, 1881, § 167; von Arndts Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, 141889, § 219. 109 Vgl.
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gesehen, d.h. der Gläubiger sollte kein freies Wahlrecht zwischen der Klage auf Naturalerfüllung und der Klage auf das Interesse haben, sondern zunächst auf den Naturalerfüllungsanspruch beschränkt sein.118 Dementsprechend konnte auch der Schuldner eine Sachleistungsschuld nicht von sich aus durch eine Inter essezahlung erfüllen. Die Klage auf das Interesse sollte erst möglich sein, wenn die Naturalleistung unmöglich geworden war oder der Gläubiger das Interesse hieran verloren hatte.119
7. Fazit Die Entwicklung und Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts bis zum Ende des Mittelalters zeigen, dass das Bestreben nach einem Schutz der Schuldner vor der harten Personalvollstreckung des klassischen römischen Rechts (und zugleich auch nach einem Schutz des Gläubigers vor dem damit verbundenen Aufwand) dazu führte, dass der ursprünglich (d.h. im Legisaktionenverfahren) universell geltende Grundsatz der Naturalkondemnation und Naturalvollstreckung sukzessive dem Grundsatz der Geldkondemnation wich. Dieser dominierte dann das klassische römische Recht des Formularprozesses. Mit der Herausbildung „humaner“ Vollstreckungsmethoden, insbesondere mit dem Übergang von der Privatvollstreckung durch den Gläubiger auf die staatliche Vollstreckung in der nachklassischen Zeit, gewann auch der Grundsatz der Naturalerfüllung wieder an Boden.120 Die mittelalterliche Jurisprudenz war in der Folge durch die Widersprüchlichkeit des Corpus Iuris Civilis im Hinblick auf die Naturalerfüllung geprägt, welche ihre Ursache in der breiten zeitlichen Streuung der für das Corpus Iuris Civilis verwendeten Quellen hat, die sich über Epochen der Geldkondemnation und der Naturalkondemnation er streckten.121 Diese historische Verknüpfung von Vollstreckungsschutz und Geldkondemnation geht auf valide Sachgründe zurück: Die Naturalkondemnation ist zwar bei Herausgabepflichten hinsichtlich konkreter Sachen, die sich beim Schuldner befinden, leicht und ohne unverhältnismäßige Zwangswirkungen durch (gewaltsame) Wegnahme der Sache durchsetzbar – und wurde insoweit dementsprechend nahezu durchgängig zugelassen, sobald ein staatliches Vollstreckungsverfahren hierfür zur Verfügung stand. Bei Handlungspflichten ist die Vollstreckung aber nur durch mittelbare Zwangsmittel (Zwangsgeld, Zwangs118 Vgl. etwa G. C. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, 1866, S. 67 f.; Ziebarth, Die Realexecution und die Obligation, 1866, S. 33 f.; zusammenfassend Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 947 ff. 119 Vgl. etwa G. C. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, 1866, S. 67 f. 120 Vgl. auch Hugon, RDC 2005, 183, 185 f. 121 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 537 f.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 278 ff.
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haft, Androhung sonstiger Übel wie etwa der Exkommunikation oder der Versklavung) möglich,122 und diese Zwangsmittel bergen – sofern sie nicht im Hinblick auf das Geldinteresse des Gläubigers begrenzt werden – das Risiko übermäßiger Eingriffe in die Freiheitsrechte des Schuldners, insbesondere wenn sie vom Gläubiger selbst angewandt werden. Davon zeugen nicht zuletzt auch die in den meisten Rechtsordnungen enthaltenen Vorschriften über die Begrenzung von Vertragsstrafen, welche wirtschaftlich dem gleichen Zweck dienen. Generell spiegelte die Zurückhaltung gegenüber der zwangsweisen naturalen Durchsetzung von Handlungspflichten eine gegenüber dem heutigen Verständnis zurückhaltendere Auffassung vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger wider: Einem freien Menschen sollte der Staat nicht die Erfüllung einer „lediglich“ zivilrechtlichen Handlungspflicht abzwingen können, weil dies der weniger autoritären Rolle des Staates im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht entsprach.123 Der Ausschluss des Naturalleistungszwanges war also in erster Linie ein Ausschluss der Naturalvollstreckung durch Zwangsmittel; der Schuldner einer Handlungspflicht sollte nicht gleichsam zum Sklaven des Gläubigers werden.124 Diese Sachgründe dürften es letztlich gewesen sein, welche diejenigen römischen und mittelalterlichen Juristen motiviert hatten, die für den Grundsatz der Gelderfüllung plädierten. Mit der „Humanisierung“ des Vollstreckungsrechts im nachklassischen römischen Recht waren diese Gründe aber nicht mehr gleich gewichtig, so dass die Einführung eines Naturalleistungszwanges – wie er immer im Interesse der Parteien gelegen hatte – wieder als taugliche Möglichkeit erschien. Dass diese Errungenschaft des nachklassischen römischen Rechts im Mittelalter zunächst wieder verloren ging,125 dürfte nicht an validen Sachgründen liegen, sondern vor allem an dem Zusammenwirken zwischen einem positivistischen Wissenschaftsverständnis der mittelalterlichen Rechtstheorie einerseits und der äußerst knappen und unvollständigen Quellenlage zum römischen Recht andererseits.126 Die Rückkehr zum Grundsatz der Gelderfüllung war also keine offene teleologische oder gar rechtsgestaltende Entscheidung der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, sondern lediglich ein Produkt der formalistischen Auffassung von der Rolle der Wissenschaft, vor allem von ihrer strikten Bindung an die römischen Quellen, wie sie im Mittelalter vorherrschte, und 122
S. bereits oben § 1.III.2.b)cc) (S. 41 f.). Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544. 124 Vgl. auch Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 314; Luig, FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 177, 193. 125 Zumindest setzte die Weiterentwicklung ab dem 12. Jahrhundert nicht am erreichten status quo zur Zeit des Kognitionsverfahrens an, sondern fiel wieder auf den alten Grundsatz der Gelderfüllung aus dem Formularprozess zurück. 126 So auch Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 318 f.; Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 306. 123 Vgl.
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wie sie auch in den humanistischen Strömungen der eleganten Jurisprudenz im 16. Jahrhundert noch einmal aufflammte.127 Ausgehend von diesem Rückschritt zur Geldkondemnation zu Beginn der Rezeption des römischen Rechts im Hochmittelalter, und abgesehen von anderen formalistischen bzw. autoritätsgläubigen Phasen, lässt sich die Entwicklung aber im Sinne eines stetigen Wiedervordringens des Grundsatzes der Naturalerfüllung deuten.128 Angesichts des Umstandes, dass dieser den Parteiinteressen grundsätzlich besser entspricht als der Grundsatz der Geldkondemnation, und der gegenläufige Grundsatz nur auf formalistischen Tendenzen des jeweiligen herrschenden Wissenschaftsverständnisses beruht, ist diese Entwicklung nicht weiter verwunderlich; sie setzt sich auch in der Neuzeit bis zum heutigen Tag weiter fort.
III. Die Naturrechtslehre Diese Tendenz zeigte sich auch (und vor allem) in der Naturrechtslehre, die im späten 16. Jahrhundert von den Niederlanden ihren Ausgang nahm. Die Abkehr von der reinen Quellengläubigkeit der mittelalterlichen Rezeption und die Forderung nach einer Orientierung der Rechtsfindung an rationalen Sachargumenten bewirkte eine noch weiter gehende Öffnung hin zum Grundsatz der Naturalerfüllung. Dieser wurde im 16. Jahrhundert vornehmlich von Louis Molina (1535–1600) aus der Bindung des Schuldners an sein gegebenes Versprechen abgeleitet, welche zunächst moraltheologisch begründet wurde.129 Ulrik Huber (1636–1694) nahm dann auf naturrechtlicher Grundlage an, es existiere keine „civilis causa“ dafür, das gegebene Versprechen brechen und treubrüchig werden zu dürfen, unabhängig davon, ob sich das Versprechen auf die Hingabe einer Sache oder auf eine Handlung beziehe; insoweit dürfe auch der Wille des Schuldners gebeugt werden, um das Versprechen durchzusetzen.130 Die kontinentaleuropäische Grundtendenz des 17. und 18. Jahrhunderts folgte diesen vernunftbezogenen Argumenten, so dass jedenfalls am Ende des 18. Jahrhunderts die ehemals herrschende Meinung zur reinen Geldkondemnation bei obligationes faciendi als überholt angesehen wurde;131 für Übergabe- und Herausgabe-
127 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, S. 49 ff.; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang, 1994, S. 318 f. 128 Vgl. auch Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 306. 129 Vgl. dazu Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 546. 130 Vgl. die Nachweise bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 547. 131 Vgl. etwa L. J. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen nach deren neuesten Ausgabe, 81818, § 743 Anm. 2 und dazu Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 549.
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schulden sowie für gesetzliche Handlungspflichten war die Naturalkondemnation ohnehin schon viel länger allgemein anerkannt. Noch Hugo Grotius (1583–1645) meinte, dass nach dem Naturrecht eine Person, die sich zu einer Handlung verpflichtet habe, diese auch vornehmen müsse (sofern sie möglich sei); sie könne sich aber „nach bürgerlichem Recht“ (d.h. nach römischem Recht132) auch durch Zahlung des Interesses befreien.133 Diese Meinung stand aber am Beginn des Aufstiegs der niederländischen Rechtswissenschaft; viele sind ihr nicht mehr gefolgt. Die ganz überwiegende Meinung ging vielmehr im Anschluss an Molina und Simon van Groenewegen (1613– 1652) dahin, dass der Gläubiger den Schuldner stets zur Naturalerfüllung verurteilen lassen und der Schuldner sich nicht durch Leistung des Interesses befreien konnte.134 Die Begründung dieser Auffassung folgte wiederum der naturrechtlichen Lehre von der Bindungswirkung des gegebenen Versprechens, die als Bindung in Natur verstanden wurde: Versprochen war die Naturalleistung, daher war der Schuldner auch an dieses Versprechen (und nicht an das Versprechen eines Geldäquivalents) gebunden.135
IV. Die Rechtsentwicklung in Deutschland seit dem Ende des römischen Reichs 1. Deutsche Partikularrechte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Neben dem römischen Recht, wie es an den Universitäten in Bologna und später auch in den übrigen kontinentaleuropäischen Ländern gelehrt wurde, kam im Mittelalter und in der frühen Neuzeit den Partikularrechten der verschiedenen Einzelstaaten große praktische Bedeutung zu. Deren Entwicklung war vom römischen Recht nicht völlig unabhängig, sondern stand in ständiger Wechselwirkung mit diesem: Die Partikularrechte wurden von Juristen ausgearbeitet, die im römischen Recht geschult waren, und die Gerichte berücksichtigten bei ihrer Anwendung sowohl das römische Recht als auch die jeweiligen lokalen Traditionen oder Partikularrechte, die auf diese Weise in der Praxis verschmolzen.
132 Vgl.
Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 547. Grotius, Inleiding tot de hollandsche Rechts-Geleertheyt, 1631, III, 3, 41 (zit. nach Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 547); vgl. zur Begründung der Vertragsbindung bei Grotius auch T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 89 ff. 134 Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776; Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 546; Dondorp, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 265, 277. 135 Vgl. die Nachweise bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 546. 133
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a) Ausgangspunkt: Orientierung am römischen Recht In den deutschen Partikularrechten des Mittelalters war die Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung zunächst offenbar wenig verbreitet.136 Ihr Anwendungsbereich umfasste hauptsächlich Herausgabepflichten in Bezug auf bewegliche oder unbewegliche Sachen, bei denen die Gerichte den Berechtigten selbst wieder in den Besitz einsetzen konnten, z.B. durch symbolische Akte (bei Grundstücken) oder durch naturale Wegnahme einer Sache vom Unberechtigten und ihre Herausgabe an den Berechtigten.137 Insoweit entsprachen die Partikularrechte dem damaligen Stand der Rezeption des nachklassischen römischen Rechts, wo für Herausgabeklagen ebenfalls die Naturalverurteilung und -vollstreckung statthaft waren.138 Für die Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungspflichten sind offenbar keine Regelungen zur Naturalvollstreckung überliefert; die verfügbaren Quellen betreffen lediglich die Vollstreckung wegen Geldforderungen.139 Gerichtliche Zwangsmittel zur Durchsetzung von Handlungspflichten existierten also offenbar nicht; diese konnten nur als Geldforderungen (eingeklagt und) vollstreckt werden. Diese Vollstreckung war dann vermutlich – ähnlich der Schuldknechtschaft des römischen Rechts – als Personalvollstreckung ausgestaltet.140 Vor manchen Gerichten – z.B. im Bereich des Ingelheimer Oberhofs – enthielten nahezu alle Klageformeln eine Schadensklausel, d.h. der Kläger trug zunächst seinen primären Anspruch vor, benannte aber gleichzeitig die Geldsumme, deren Ersatz er begehrte, wenn der Beklagte den geltend gemachten (und ihm vom Gericht zuerkannten) Anspruch nicht erfüllte. Der Geldbetrag entsprach dabei nicht zwingend dem Interesse, sondern durfte offenbar vom Kläger frei geschätzt werden.141 Dieses Verfahren, das für Handlungspflichten ebenso galt wie für Herausgabepflichten, entsprach dem römischen Schätzeid des Kognitionsverfahrens142 und hatte wie dieser die Funktion eines mittelbaren Zwangsmittels (entsprechend einem an den Gläubiger zu entrichtenden Zwangsgeld) zur Durchsetzung der primären Leistungspflicht.143 Gebräuchlich waren auch bedingte Schadensklagen für den Fall, dass der Schuldner nicht 136
Vgl. eingehend Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 533 ff. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 535 m.N. 138 Vgl. soeben § 2.II.4.a) (S. 79 ff.). 139 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 533 zum sächsischen Recht; s. auch HKKBGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 7. 140 So HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 7 unter Hinweis auf Lex Salica 56. §§ 1 und 5; Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, 1985, S. 28 f.; ausf. zum sächsischen Recht des 13.-16. Jahrhunderts Breßler, Schuldknechtschaft und Schuldturm, 2004. 141 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 536. 142 S. oben § 2.II.4.a) (S. 79 ff.). 143 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 536. 137 Vgl.
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innerhalb von 14 Tagen nach Ergehen des Urteils in Natur erfüllte;144 auch das entsprach römischen Vorbildern, in diesem Fall der Erfüllungsfrist des Legisaktionenverfahrens.145 Außerhalb des fränkischen Rechts sind derartige Gerichtspraktiken zwar nicht überliefert; im bayerischen und sächsischen Recht scheint aber zumindest die Vereinbarung entsprechender Vertragsklauseln, die dem Gläubiger eine freie Berechnung seines Nichterfüllungsschadens erlaubten, üblich gewesen und von den Gerichten auch toleriert worden zu sein.146 Die Existenz solcher Strafklauseln lässt eher darauf schließen, dass keine gerichtlichen Vollstreckungswege für Handlungspflichten (z.B. Zwangsgeldanordnungen) vorhanden waren, so dass die Parteien den Weg über Strafklauseln wählen mussten, um eine Handhabe gegen säumige Schuldner zu haben.
b) Wiedererstarken der Naturalkondemnation in der Neuzeit Mit der Entwicklung hin zu absolutistischen Fürstenstaaten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ging die Vorstellung eines „starken Staates“ einher, der auch private Rechte „polizeylich“ durchsetzt und in bislang private Lebensbereiche hineinregiert.147 Dies führte dazu, dass die oben erwähnten Sachgründe gegen eine zwangsweise Durchsetzung von Handlungspflichten148 als weniger gewichtig empfunden wurden: Die Freiheit des Bürgers geriet unter den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, zu welcher immer häufiger auch die Einhaltung privatrechtlicher Pflichten gezählt wurde.149 Damit war der Weg frei für eine umfassende Naturalvollstreckung durch staatliche Organe, auch von Handlungspflichten jeglicher Art. Zwar sah noch die kursächsische Prozessordnung von 1622 die Naturalvollstreckung nur für Herausgabeansprüche vor; die „Erläuterte Prozessordnung“ Sachsens von 1724 enthielt dann aber ein umfassendes Vollstreckungsrecht, auch für obligationes faciendi.150 Damit war der Grundsatz der Naturalverurteilung und -vollstreckung (wohl erstmals) auf deutschem Boden vollständig durchgeführt. So sinnvoll und sachgerecht diese Entwicklung im Ansatzpunkt war, so sehr offenbarte die Folgezeit aber auch, dass Grenzen der Naturalverurteilung erforderlich wurden: Die strenge und universelle Durchführung der Natural-
144 Vgl.
Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 536 unter Hinweis auf Rotthaus, Redde und Schult in den Urteilen des Ingelheimer Oberhofes, 1959, S. 43 f.; Gudian, ZRG (GA) 90 (1973), 121, 138. 145 S. oben § 2.II.1.a) (S. 71 ff.). 146 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 537. 147 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 550 f. 148 S. oben § 2.II.7 (S. 86 ff.). 149 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 550. 150 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 551 f.
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verurteilung führte nämlich auch zu teilweise bizarren Exzessen, bis hin zu Zwangstrauungen zur Durchsetzung von Verlöbnissen.151 Für Zwangsgelder gab es keine Obergrenzen, und Zwangshaft war unproblematisch möglich,152 was Missbrauch nicht ausschloss, sondern geradezu dazu einlud. Auch bei den einzelnen Zwangsmitteln entwickelten die Gesetzgeber eine erstaunliche Kreativität, deren Ergebnisse von heutigen Grundrechtsstandards weit entfernt wären: Das gilt etwa für das Zwangsmittel der sog. „Presser“, bei dem ein gerichtlicher Exekutor beim Schuldner auf dessen Kosten einquartiert wurde und von diesem verköstigt und täglich bezahlt werden musste (vgl. § 48 der Preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793).153 So dienten die verschiedenen Partikularrechte in der Neuzeit gewissermaßen als Versuchslabore für die Möglichkeiten der Naturalverurteilung und -vollstreckung, die viele sinnvolle Lösungen hervorbrachten, aber eben auch untaugliche oder zumindest unverhältnismäßige Lösungsversuche. Die große Tendenz hinter der Gesamtentwicklung war aber die Abkehr von der Geldkondemnation und die Hinwendung zum Naturalerfüllungszwang.
2. Die Entwicklung in Deutschland bis zum preußischen Allgemeinen Landrecht Über Ulrik Huber (1636–1694)154 und Christian Thomasius (1655–1728) fand die Naturrechtslehre auch Eingang in die deutsche Rechtsentwicklung im 18. Jahrhundert.155 Thomasius leitete die Erzwingbarkeit der Naturalerfüllung – in Fortsetzung des Gedankens der naturrechtlichen Bindung an das gegebene Versprechen – aus dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda her, der nun also auch in specie verstanden werden sollte: Einzuhalten sei nicht nur die Bindung an den Vertrag ganz allgemein (als Grundlage einer Verurteilung auf die Naturalleistung oder das Geldäquivalent), sondern speziell an das darin enthaltene Naturalleistungsversprechen.156 Hinzu kam das Argument aus 151 Vgl. den aus Halle überlieferten Fall einer Zwangstrauung aus dem Jahre 1713, wiedergegeben bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 551. 152 Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 552. 153 Vgl. dazu auch Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 552; Menger, AcP 55 (1872), 371, 386 Anm. 17. 154 Vgl. zu ihm oben § 2.III (S. 88 f.). 155 Vgl. Thomasius, Dissertatio inauguralis iuridica: An promissor facti liberetur praestando id, quod interest?, 1721, § V; vgl. dazu Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 547 f. 156 Vgl. Thomasius, Dissertatio inauguralis iuridica: An promissor facti liberetur praestando id, quod interest?, 1721, § VI; dazu Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 548; Luig, FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 177, 191; s. zu diesem Begründungszusammenhang aus heutiger Sicht auch Canaris, FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 1, S. 129, 147 f.
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der „germanischen Treue“ – das bei Thomasius mit naturrechtlichen Gedanken verschmilzt –, welche gleichermaßen verlange, dass der Schuldner an sein gegebenes Versprechen gebunden sei.157 Mit der Konzentration auf den Anspruch auf Naturalerfüllung gerieten auch dessen materiell-rechtliche Grenzen ins Blickfeld der Diskussion. Schon Ulrik Huber hatte im 17. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass es Umstände gibt, unter denen der Gläubiger aus der Natur der Sache heraus anstatt der Naturalleistung das Interesse verlangen würde. Die von ihm genannten Fälle waren – wie bereits im römischen Recht158 – die Unmöglichkeit der Naturalleistung, ferner der Verzug des Schuldners und der Wegfall des Nutzens der Naturalleistung für den Gläubiger (der spätere Inter essewegfall des § 286 Abs. 2 BGB 1900).159 In dieser Hinsicht hat sich – abgesehen von Präzisierungen und der Erfindung des Fristsetzungserfordernisses – bis heute in der Tat nicht mehr viel geändert. Bis Thomasius wird der Anspruch auf Naturalerfüllung ausschließlich aus der Sicht des Gläubigers betrachtet: Diesem soll die Wahl zwischen Naturalerfüllung und Gelderfüllung zustehen. Die Interessen des Schuldners, insbesondere sein eigenes Interesse daran, Aufwendungen für die Ersatzvornahme durch einen Dritten zu ersparen, also die Vorteile einer Eigenleistung zu erzielen, sind allenfalls reflexartig durch (meist prozess- bzw. vollstreckungsrechtlich ausgestaltete) Erfüllungsfristen geschützt, nicht durch materiell-rechtliche Einschränkungen des Wahlrechts des Gläubigers. Allerdings hatte bereits Arnold Vinnius (1588–1657) im 17. Jahrhundert die Interessen des Schuldners berücksichtigt und dem Gläubiger einer Handlungspflicht den Übergang auf das Interesse nur gestattet, wenn der Schuldner in Verzug war.160 Zum allgemeinen Gedankengut war dies aber offenbar noch nicht geworden; dem Gläubiger wurde im 17. und 18. Jahrhundert vielmehr grundsätzlich die freie Wahl zwischen Erfüllungs- und Interesseklage zugebilligt. Der allgemeine Naturalerfüllungszwang findet sich schließlich auch im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1793 (ALR): Dieses sah in ALR I 5, §§ 393 f. ausdrücklich die Naturalerfüllung für Kaufverträge und in ALR I 11, § 877 für Ansprüche auf Handlungen vor. Konsequenterweise sah auch die Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 (prAGO) umfassende Regelungen über die Naturalvollstreckung aller Handlungspflichten vor (vgl. zur Zulässigkeit der Vollstreckung ALR I 5, § 276). Die Vollstreckung
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Vgl. dazu Luig, FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 177, 188 f. m.N. S. oben § 2.II.1.a) (S. 71 ff.). 159 Vgl. Ulrik Huber, Ulrici Huberi positiones juris secundum institutiones & pandectas, 41685, ad Inst. 3.16 (de verb obl.) und dazu Luig, FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 177, 193 f. 160 Vgl. Vinnius, In quatuor libros Institutionum Imperialium Commentarius, 41665, ad Inst. 3.24, Nr. 7 und dazu Luig, FS Coing, 1982, Bd. 1, S. 177, 194. 158
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erfolgte nach den Vorschriften der prAGO durch Anwendung persönlichen Zwanges, durch Ersatzvornahme oder durch Forderung des Interesses.161 Auch das ALR gestattete dem Gläubiger noch die freie Wahl zwischen der Geltendmachung des Erfüllungsanspruches und der Interesseforderung (vgl. ALR I 5, § 394 und § 397). Lediglich im Falle der nachträglichen, vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit haftete dieser auf Schadensersatz, ohne dass der Gläubiger die Naturalleistung fordern konnte (vgl. ALR I 5, §§ 360, 364) – eine ohnehin zwingende Ausnahme vom Grundsatz der Naturalerfüllung.162 Das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Naturalleistung blieb also im ALR nach wie vor unberücksichtigt.
3. Deutsche Wissenschaft und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert a) Schuld und Haftung in der Diskussion des 19. Jahrhunderts Im Deutschland des 19. Jahrhunderts flammt die Diskussion um Geld- oder Naturalerfüllung noch einmal kurz auf, allerdings in der Terminologie „Schuld und Haftung“.163 Gefragt wird, was das „Wesen“ der Obligation sei. Die „Schuld“ kennzeichnet dabei das (naturale) Leistensollen des Schuldners, die „Haftung“ seine Verantwortlichkeit für den Fall der Nichterfüllung, also den Schadensersatz statt der Leistung.164 Wer den wesentlichen Inhalt der Obligation in der Haftung sieht,165 befürwortet einen Grundsatz der Gelderfüllung; wer die Schuld in den Vordergrund stellt,166 den Grundsatz der Naturalerfüllung. Die Befürworter der erstgenannten Ansicht waren aber wenige – im we161 Vgl. §§ 47–53 prAGO und dazu RGZ 22, 255, 257; HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362– 371 Rn. 10; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 945. 162 S. unten § 5.II (S. 274 ff.). 163 Grundlegend etwa Siber, JherJb 50 (1906), 55 ff.; Überblick aus heutiger Sicht bei Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 17 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 32 f., 102 ff. sowie ausführlich bei Diestelkamp, in: Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, 1982, Bd. 6: Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, S. 21 ff. 164 Vgl. zu diesem Begriff der Haftung nur HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 40 ff.; Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 20 f.; auf den vollstreckungsrechtlichen Haftungsbegriff, die Haftung des Schuldners für seine Verbindlichkeiten mit dem gesamten Vermögen (s. etwa Staudinger/Olzen, 2009, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 235), ist hier nicht näher einzugehen. 165 So etwa Brinz, GrünhutsZ 1 (1874), 11 ff.; ders., Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2/1, 21879, S. 1 ff., 6, 25 ff.; ders., AcP 70 (1886), 371 ff. 166 So v.a. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840–1849, Bd. 1, S. 338 f.; ders., Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851/53, Bd. 1, S. 4; Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 1855, S. 70; Sohm, GrünhutsZ 4 (1877), 457 ff.; G. Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 159 ff.
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sentlichen Alois Ritter von Brinz.167 Insgesamt scheint im 19. Jahrhundert der Grundsatz der Geldkondemnation für das materielle Recht überwiegend aber überwunden. Die damaligen Lehrbücher der Pandekten sehen sie nur noch als Reminiszenz aus der Vergangenheit an.168 Die ganz überwiegende Auffassung schließt sich dagegen – in der Folge von Savigny und Mommsen – der Gegenauffassung an, wonach der primäre Gegenstand der Obligation die Leistung selbst sei.169 Das Wesen der Obligation bestehe in der Schuld, d.h. in der Pflicht des Schuldners zur Erbringung der Naturalleistung.170 Für das materielle Recht war die Frage nach dem Inhalt der Schuld damit entschieden, und zwar zugunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung.171 Mit der Kodifikation des Schuldrechts im BGB 1900 ebbte die Diskussion ohnehin ab, weil sich die Lösungen für praktische Fragen nunmehr nicht mehr aus dem „Begriff“ oder „Wesen“ der Obligation ergeben konnten, sondern primär aus dem Gesetz selbst.172 Auf dieses Gesetz hatte die Diskussion wenig Einfluss.173 Die Frage der dogmatischen Einordnung der gesetzlich vorgegebenen Ergebnisse vermochte keine derart engagierte Diskussion mehr zu entfachen, wie es die romanistische Grunddebatte über Schuld und Haftung im Begriff der Obligation getan hatte.174 167 Vgl. soeben Fn. 165; besonders deutlich Brinz, AcP 70 (1886), 371, 374 f.: „Die Leistung ist ein Mittel zur Endigung oder Lösung der Haftung“; s. ferner Sohm/Mitteis/Wenger, Institutionen, 171949, S. 356 mit Fn. 1. Vgl. zum Ganzen auch Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, 1970, S. 160 f. 168 Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776 mit Hinweis auf von Arndts Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, 141889, § 219; von Wächter, Pandekten II, 1881, § 167 B (S. 278); s. auch Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 955 f. sowie Sintenis, ZCP 11 (1838), 20, 21: „Seit Glück [Anm. d. Verf.: Pandektenkommentar von Christian Friedrich von Glück, 1796], der mit abgenutzten schwachen Waffen kämpft, hat man diese Frage aus dem Gesichte verloren“. Ebenso HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 11. 169 So v.a. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840–1849, Bd. 1, S. 338 f.; ders., Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851/53, Bd. 1, S. 4; Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 1855, S. 70; ders., Die Lehre von der Mora nebst Beiträgen zur Lehre von der Culpa, 1855, S. 32 f.; Ziebarth, Die Realexecution und die Obligation, 1866, S. 33 ff.; G. Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 159 ff.; Sohm, GrünhutsZ 4 (1877), 457 ff. 170 Vgl. G. Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 164. 171 So auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 102 ff. 172 S. auch HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 47. 173 Vgl. auch Diestelkamp, in: Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, 1982, Bd. 6: Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, S. 21, 44 f. 174 Diestelkamp, in: Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, 1982, Bd. 6: Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, S. 21, 28 f. S. aber auch Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 42 ff. mit weiteren Nachweisen zur weiteren Diskussion im 20. Jahrhundert; Sutschet selbst arbeitet allerdings noch mit begrifflichen Ableitungen aus dem Begriff der Obligation, insbesondere ebd. S. 153.
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b) Die prozessuale Durchsetzung des Erfüllungsanspruches Einem großen Aufsatz des Pandektisten Sintenis aus dem Jahr 1838 ist es zu verdanken, dass die Problematik des naturalen Erfüllungszwangs schließlich im Vollstreckungsrecht verortet wurde: Nach Sintenis war hinsichtlich der Gewährung des Naturalleistungszwanges nicht die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Schuldinhalten (dare, facere, tradere) entscheidend, sondern der Schutz der Schuldnerfreiheit, der aber besser im Vollstreckungsverfahren zu gewährleisten sei.175 Die für die Verhinderung der zwangsweisen Durchsetzung bestimmter Ansprüche (insbesondere auf höchstpersönliche Dienstleistungen) sprechenden Sachgründe seien im Vollstreckungsrecht zu berücksichtigen,176 nicht im materiellen Recht, so dass der materiell-rechtliche Erfüllungsanspruch ohne Einschränkungen gewährt werden könne.177
aa) Die Trennung zwischen materiellem Anspruch und prozessualer Klagbarkeit Mit dieser Verortung der Problematik im Vollstreckungsrecht korrespondiert die von Windscheid propagierte Trennung zwischen dem materiellen Anspruch und seiner prozessualen Durchsetzbarkeit:178 Wenn die Anerkennung eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die Naturalleistung nicht mehr automatisch auch die Anerkennung seiner zwangsweisen Durchsetzbarkeit bedeutete, weil beide Institute nicht mehr in einer einheitlichen Vorstellung von der actio zusammenfallen, dann war der Weg frei für den Gedanken eines – schon immer den Kern der Obligation bildenden,179 aber nicht unbedingt als durchsetzbarer Anspruch ins Bewusstsein getretenen – universellen Primäranspruches als materiell-rechtlichem Naturalerfüllungsanspruch. In der Folgezeit bis zur Schaffung des BGB 1900 gewann diese Vorstellung immer mehr an Überzeugungskraft und fand bald Eingang in die bürgerlich-rechtlichen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts. So sah etwa der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von 1861 in seinem Art. 115 ausdrücklich vor: „So lange die Erfüllung der Verbindlichkeit selbst möglich ist, kann der Gläubiger im Falle des Art. 109180 lediglich die Klage auf Erfüllung stellen. Er kann jedoch mit der Klage auf Erfüllung die Entschädigungsforderung auf den Fall verbinden, dass der Schuldner der Verurtheilung zur Erfüllung innerhalb einer vom
175 Vgl.
Sintenis, ZCP 11 (1838), 20, 63 ff. Vgl. dazu auch HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 21. 177 Vgl. auch Sintenis, ZCP 11 (1838), 20, 72 ff. 178 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 2 ff.; s. hierzu näher G. Schulze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2014, S. 5, 8 f. 179 Vgl. Behrends, FS Sellert, 2000, S. 11, 12 f. 180 Anm.: Art. 109 regelte die zu vertretende Nichterfüllung oder Schlechterfüllung. 176
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Richter festzusetzenden Frist nicht Genüge leisten würde.“181 Inhaltsgleich war § 761 des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen von 1865. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 ging sogar noch einen Schritt weiter, indem es in Art. 356 ADHGB den Vorrang des Naturalleistungsanspruches durch das Erfordernis einer Fristsetzung vor dem Übergang auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung bzw. vor der Ausübung eines Rücktrittsrechts absicherte; ausgenommen hiervon waren lediglich Fixgeschäfte (Art. 357 ADHGB). Auf der Ebene des Erkenntnisverfahrens bringt die Reichs-CPO von 1877 schließlich einige wesentliche Neuerungen:182 Die Trennung von Erkenntnisund Vollstreckungsverfahren führte zu dem Erfordernis eines bestimmten Klageantrags (§ 230 Abs. 2 Nr. 2 CPO, wortgleich heute § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), der einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben musste, damit die Vollstreckungsorgane – die nicht mehr mit dem Prozessgericht identisch waren – den Urteilsausspruch vollstrecken konnten. Eine Klage auf die Naturalleistung konnte also nur noch zu einem Naturalleistungsurteil führen, das in der Folge auch natural zu vollstrecken war; ein Übergang auf den Schadensersatz im Vollstreckungsverfahren war nicht mehr möglich. Damit mussten Naturalleistungsklage und Schadensersatzklage bereits im Erkenntnisverfahren unterschieden werden. Nur noch eine Reminiszenz an die frühere Einheitslehre von Natural- und Geldleistungspflicht enthielt § 240 Nr. 3 CPO (heute § 264 Nr. 3 ZPO), der den Übergang von der Naturalklage auf die Geldzahlungsklage während des Erkenntnisverfahrens nicht als Änderung des Streitgegenstandes ansah.
bb) Vollstreckungsrecht Die neuen Regelungen in den Prozessordnungen bzw. den Entwürfen hierzu betrafen aber lediglich die Verurteilung zur Leistung in Natur, nicht die Möglichkeit einer Vollstreckung in Natur.183 Die Vollstreckungsordnungen sahen teilweise vielmehr einen ausdrücklichen Ausschluss der Naturalvollstreckung vor, so dass die Naturalverurteilung lediglich Grundlage einer Geldvollstreckung werden konnte, im Hinblick auf die Naturalleistung durch den Schuldner selbst also eine bloße Appellfunktion hatte (und als Grundlage für eine spätere Schadensersatzvollstreckung diente). So enthielt etwa der Entwurf einer Prozeß-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Preußischen Staat von Christian Friedrich Koch aus dem Jahre 1864 folgenden § 1032:
181
Zitiert nach Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 955. Vgl. dazu Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, 1970, S. 177 f. 183 Vgl. zu § 761 des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen Sintenis, Anleitung zum Studium des bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen, 1864, S. 211. 182
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„Wenn dem Gläubiger nach dem zu vollstreckenden Urtheil eine andere Leistung als die Zahlung einer Geldsumme gebührt, so findet vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 1034. bis 1039.184 eine Vollstreckung des Urtheils nur in der Art statt, daß der Schuldner dem Gläubiger das in Geld festzusetzende Interesse zu zahlen gezwungen wird.“185
Unmittelbarer Zwang zur Erzwingung einer Handlung sollte nach § 1040 dieses Entwurfs nur nach den „besonderen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts“ stattfinden. Dieser Entwurf wurde freilich nie Gesetz. Die Reichs-CPO von 1877 enthielt demgegenüber bereits die aus der heutigen ZPO bekannten Vorschriften über die Naturalvollstreckung (§§ 769 ff. CPO 1877): Die Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen (oder einer Quantität davon) konnte ebenso in Natur durch die gewaltsame Wegnahme der Sache vollstreckt werden (§§ 769 f. CPO) wie die Räumung einer Immobilie (§ 771 CPO). Die Vollstreckung vertretbarer Handlungspflichten erfolgte im Wege der Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners (§ 773 CPO), also nicht durch Zwang; dieser war – in Gestalt von Geldstrafen und Haft – der Vollstreckung unvertretbarer Handlungspflichten (§ 774 CPO) und der Vollstreckung von Duldungs- und Unterlassungspflichten (§ 775 CPO) vorbehalten.186 Die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung führte mit Rechtskraft des Urteils zur Fiktion der Willenserklärung (§ 779 CPO). Diese Vorschriften waren freilich bei ihrer Entstehung nicht unumstritten: So wurde im Reichstag die Streichung der späteren §§ 774 f. CPO (heute §§ 888, 890 ZPO) beantragt, weil sie die Möglichkeit vorsahen, zivilrechtliche Ansprüche durch Geld- und Haftstrafen zu erzwingen.187 Die Reichstagsmehrheit entschied sich aber gegen diesen Antrag, um den Gläubiger gegenüber hartnäckigen (oder zahlungsunfähigen) Schuldnern nicht machtlos dastehen zu lassen. Gleichwohl enthielt auch die Reichs-CPO trotz der grundsätzlichen universellen Möglichkeit der Naturalvollstreckung einige Zugeständnisse an die römisch-rechtliche Tradition der Geldkondemnation bzw. teilte deren Skepsis gegenüber der Naturalexekution bei Handlungspflichten,188 so insbesondere die tatbestandliche Begrenzung der Vollstreckung von Dienstleistungspflichten,189 184 Anm.: Diese Regelungen enthalten Sondervorschriften über die naturale Vollstreckung der Herausgabe beweglicher und unbeweglicher Sachen sowie über die Ersatzvornahme der Veränderung einer Sache, die sich im Besitz des Schuldners befindet, auf Kosten des Schuldners; vgl. dazu auch W. Ernst, FS K.W. Nörr, 2003, S. 219, 225 f. 185 Vgl. dazu auch Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 957. 186 Zur Entstehungsgeschichte des Zwangsgelds im deutschen Prozessrecht vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 5 ff. 187 Vgl. Antrag des Abgeordneten Reichensperger, zitiert bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 531 f. 188 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 554. 189 Diese Ausnahme wurde allerdings erst 1898 eingeführt, weil der Gesetzgeber der Ansicht war, dass es den modernen freiheitlichen Anschauungen nicht mehr entspreche,
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und bei vertretbaren Handlungspflichten die Begrenzung auf die Ersatzvornahme (also den Ausschluss von Zwangsmitteln gegen den Schuldner).
4. Das Bürgerliche Gesetzbuch 1900 a) Der Grundsatz der Naturalerfüllung im BGB 1900 Das BGB von 1900 basierte auf dem eben geschilderten Diskussionsstand am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Es bestand immer noch Streit zwischen den Verfechtern eines Grundsatzes der Naturalerfüllung und seinen Gegnern, die der Auffassung waren, Gegenstand der Obligation sei nicht das Recht auf die Leistung selbst, sondern lediglich die geldmäßige Haftung des Schuldners. Dieser Streit dauerte auch noch während der Beratungen zum BGB an; die Zahl der Gegner wurde allerdings immer geringer.190 Dieser Streit wurde schließlich in § 241 S. 1 BGB 1900 eindeutig zugunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung entschieden:191 „Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern“ (heute wortgleich § 241 Abs. 1 S. 1 BGB). Damit war die Existenz eines materiellen Naturalerfüllungsanspruches festgelegt, der zudem vorrangig ausgestaltet war, d.h. der Gläubiger konnte zunächst nur Naturalerfüllung verlangen; Geldleistungsansprüche waren nur subsidiär vorgesehen.192 Der Naturalerfüllungsanspruch sollte ferner auch klagbar sein, unabhängig von dem konkret betroffenen Schuldinhalt;193 der Begriff des „Schuldverhältnisses“ i.S.v. § 241 BGB 1900 sollte sogar auf klagbare Verbindlichkeiten beschränkt bleiben.194 Für die Vollstreckbarkeit von Naturalleistungsurteilen sorgten schließlich die bereits skizzierten Bestimmungen der CPO.195
jemanden durch Geldstrafe oder Haft in fremden Diensten festzuhalten; vgl. Hahn/Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. VIII, 1898, S. 531; s. dazu auch Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 555 Fn. 119; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 956 f. mit Fn. 87. 190 Vgl. die Nachweise bei HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 37 mit Fn. 156; s. aus der Zeit vor den Beratungen insbesondere die Auffassung von Brinz, AcP 70 (1886), 371, 374 f. 191 Vgl. Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, 1903, S. 156; HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 41. 192 Vgl. zur Dogmengeschichte auch Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, 1970, S. 177 f. 193 Vgl. Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 959; Avenarius, JR 1996, 492, 496; HKKBGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 41 sowie eingehend U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 I 2 (S. 145 ff.). 194 Vgl. Mot., 1888, Bd. 2, S. 3 f. 195 Vgl. soeben § 2.IV.3.b)bb) (S. 97 ff.).
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b) Übergangstatbestände im BGB 1900 Mit der Anerkennung eines vorrangigen Naturalerfüllungsanspruches bestand auch das Bedürfnis für die Schaffung von Übergangstatbeständen, welche dem Gläubiger ermöglichten, anstelle der Naturalleistung einen Anspruch auf Geldleistung zu verfolgen.196 Das BGB 1900 enthielt insoweit eine Vielzahl von Einzelregelungen, welche in ihrer Summe darauf abzielten, zum einen den Vorrang der Naturalleistung im Interesse beider Parteien grundsätzlich zu wahren, zum anderen aber auch das Interesse des Gläubigers an einer effektiven Befriedigung seines Leistungsinteresses nicht aus dem Auge zu verlieren, ihm also Möglichkeiten an die Hand zu geben, ggf. anstelle der Naturalleistung das Interesse zu verlangen. Zugleich sollte aber auch der Schuldner davor geschützt werden, gewissermaßen ohne Vorwarnung anstelle der Naturalleistungspflicht einer Geldzahlungspflicht ausgesetzt zu sein.197
aa) Unmöglichkeit (§ 275 BGB 1900) Ein wesentlicher Übergangstatbestand war die Unmöglichkeit der Naturalleistung. Die entsprechende Regelung in § 275 Abs. 1 BGB 1900, welche bestimmte, dass der Schuldner bei nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung frei werde, wenn er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten habe, bot allerdings Anlass zu divergierenden Interpretationen:198 Teile der Literatur erklärten das Merkmal „nicht zu vertreten“ für überflüssig, weil der Primäranspruch auf die naturale Leistung auch dann ausgeschlossen sein müsse, wenn die Unmöglichkeit vom Schuldner zu vertreten sei, weil eine Verurteilung zur Naturalleistung auch dann sinnlos sei (impossibilium nulla est obligatio199). 200 Eine andere Auffassung verstand § 275 Abs. 1 BGB 1900 demgegenüber als Regelung der Haftungsbefreiung, entnahm der Vorschrift also nur die Befreiung von der sekundären Schadensersatzpflicht, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hatte, und überließ die Befreiung von der primären Leistungspflicht einem ungeschriebenen Grundsatz impossibilium nulla est obligatio, der
196 Vgl. zum Zusammenhang zwischen vorrangigem Naturalerfüllungsanspruch und dem Erfordernis von Übergangstatbeständen auch U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 199 f. 197 Vgl. Mot., 1888, Bd. 2, S. 49 f.: Aus den Unmöglichkeitsvorschriften folge, dass der Gläubiger nicht vorzeitig das Interesse fordern, der Schuldner es ihm auch nicht vorzeitig aufdrängen dürfe. 198 Vgl. etwa den Meinungsüberblick aus der „Endzeit“ dieser Vorschrift bei J. Wilhelm/ Deeg, JZ 2001, 223, 224 f. 199 Celsus, Dig. 50, 17, 185; s. dazu etwa von Wächter, AcP 15 (1832), 97, 116. 200 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, 91997, Rn. 337; Staudinger/Löwisch, 1999, § 275 Rn. 58; Palandt61/Heinrichs, § 275 Rn. 24; L.-C. Wolff, JZ 1995, 280, 281.
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in § 275 Abs. 1 BGB 1900 nicht geregelt sei. 201 Eine dritte Auffassung dagegen sah in § 275 Abs. 1 BGB 1900 lediglich die Befreiung von der Primärleistungspflicht, die gleichwohl – dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend – vom fehlenden Vertretenmüssen abhängen sollte, so dass trotz vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit der Leistung eine Verurteilung zur Naturalleistung in Betracht kommen sollte, 202 weil auf diese Weise im Prozess offen bleiben könne, ob die Behauptung des Schuldners zutreffe, die Leistung sei ihm unmöglich. Die Verurteilung zur Naturalleistung war demnach nur ausgeschlossen, wenn der Schuldner nachweisen konnte, dass er die Unmöglichkeit der Leistung nicht zu vertreten hatte.203 Der Übergang zum Schadensersatz sollte nach dieser Auffassung nicht unmittelbar nach § 280 BGB 1900 (bzw. § 325 BGB 1900) stattfinden, sondern nach § 283 BGB 1900, wenn also der Schuldner nach rechtskräftiger Verurteilung zur Naturalleistung die Leistung nicht rechtzeitig erbrachte. 204
bb) Nachfristsetzung und ihre Entbehrlichkeit (§ 326 BGB 1900) In § 326 BGB 1900 wurde – erstmals im Bürgerlichen Recht205 – der Fristsetzungsmechanismus etabliert, welcher einerseits dem Gläubiger gestattete, in eigener Initiative und ohne Hilfe des Gerichts die Voraussetzungen für einen Übergang von der Naturalleistungspflicht auf den Geldleistungsanspruch zu schaffen, und andererseits aber auch das Interesse des Schuldners schützte, nicht unmittelbar nach Eintritt des Verzuges anstelle der Naturalleistungspflicht einer Schadensersatzpflicht ausgesetzt zu werden. Der Anwendungsbereich der Vorgängervorschrift des § 326 BGB 1900 war – anders als der des heutigen § 281 BGB – auf synallagmatische Hauptleistungspflichten aus gegenseitigen Verträgen beschränkt. 206 Zudem musste die Fristsetzung mit einer Ablehnungsandro201 Vgl.
Musielak, Grundkurs BGB, 61999, Rn. 400 f., 409; Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, § 33 Nr. 6 (S. 100 f.). 202 Das entsprach auch der Position der Rechtsprechung, vgl. BGHZ 56, 308; BGH NJW 1974, 2317; NJW 1976, 1500; BGHZ 97, 178; zust. J. Wilhelm/Deeg, JZ 2001, 223, 226. 203 Vgl. RGZ 88, 76, 78; BGHZ 62, 388, 393; BGHZ 141, 179. Zust., aber ohne ausdrückliche Stellungnahme zur Frage, ob die Klage als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen sei, Brehm, JZ 1974, 573, 575; Jürgen Kohler, JuS 1991, 943, 945; S. U. Wittig, NJW 1993, 635, 638. 204 Vgl. J. Wilhelm/Deeg, JZ 2001, 223, 225 ff.; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 77 Fn. 28; U. Huber, ZIP 2000, 2137, 2142; s. dazu auch den instruktiven Überblick bei M. Schwab, NZM 2003, 50, 53 f. 205 Die Vorbildregelung fand sich in den Art. 354–356 ADHGB 1861; vgl. zur Geschichte des Fristsetzungsmechanismus’ eingehend U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 36 I 5 (S. 184 ff.) m.w.N.; ders., ZHR 161 (1997), 160, 165. 206 Dies führte dazu, dass die Rechtsprechung gelegentlich auch Nebenpflichten zu Hauptleistungspflichten „umdeklarierte“, um zur Anwendbarkeit des § 326 BGB zu gelangen, vgl. zur Pflicht des Mieters zur Vornahme von Schönheitsreparaturen etwa MünchKomm-BGB4/Emmerich, § 326 Rn. 28 m.w.N.
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hung verbunden werden – ein Erfordernis, an dem in der Praxis immer wieder Fristsetzungen scheiterten. 207 Bei nicht-synallagmatischen Pflichten war eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung erst nach rechtskräftiger Verurteilung zur Leistung möglich (§ 283 BGB 1900). In richterlicher Rechtsfortbildung hat die Rechtsprechung bald Ausnahmetatbestände anerkannt, in denen ein sofortiger Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatz statt der Leistung (in der Terminologie des BGB 1900: Schadensersatz wegen Nichterfüllung) ohne Fristsetzung nach § 242 BGB gerechtfertigt war. Der wichtigste Fall war die ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung des Schuldners, die das Fristsetzungserfordernis als bloße Förmelei erscheinen lassen würde. 208 Bei sog. relativen Fixgeschäften, bei welchen das Interesse des Gläubigers mit dem Leistungszeitpunkt „steht und fällt“, sah § 361 BGB 1900 ein (verschuldensunabhängiges) Rücktrittsrecht des Gläubigers vor. Beim Handelskauf gewährte § 376 HGB anstelle des Rücktrittsrechts zusätzlich auch einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Naturalleistung, der im Bürgerlichen Recht lediglich unter der Voraussetzung des Interessewegfalls nach § 326 Abs. 2 BGB 1900 geltend gemacht werden konnte. 209 Ohne Fristsetzung konnte der Gläubiger ferner nach den §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB 1900 auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen, wenn er infolge des Schuldnerverzugs das (objektive) Interesse an der Naturalleistung verloren hatte. 210 Anders als der Fristsetzungsmechanismus nach § 326 Abs. 1 BGB 1900 bestand diese Möglichkeit nicht nur für synallagmatische Hauptleistungspflichten, sondern für jegliche Leistungspflichten, auch aus Gesetz (§ 286 Abs. 2 BGB 1900). Neben den bereits erwähnten relativen Fixgeschäften betraf diese Regelung vor allem andere Fälle, in denen der Gläubiger ein besonderes Interesse an der zeitnahen Naturalleistung hatte, z.B. wenn eingelagerte Möbel beim Lagerhalter nicht mehr auffindbar waren, der Einlagerer dringend auf Möbel angewiesen war und sich daher neues Mobiliar anschaffen musste. 211 Diese Regelung sollte ein opportunistisches Abgehen des Gläubigers vom Naturalerfüllungsanspruch verhindern, indem dieser solange an der Naturalerfüllung festgehalten wurde, wie seine Verwendungsplanung objektiv noch realisierbar war. Dementsprechend legte die Rechtsprechung diese Vorschrift eng aus:212 Zwar war es nicht erforderlich, dass der Schuldner den Interessewegfall vorhersehen konnte;213 es musste aber ein nachweisbarer Kausalzusammenhang 207 Vgl. etwa BGH MDR 1970, 756; RGZ 120, 193, 195; MünchKomm-BGB4/Emmerich, § 326 Rn. 64 ff.; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 43 II 1 (S. 373 f.). 208 Vgl. nur BGHZ 143, 42, 46; Palandt61/Heinrichs, § 284 Rn. 35, § 326 Rn. 20. 209 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1998, 1489, 1491; s. auch Palandt61/Heinrichs, § 326 Rn. 21. 210 Vgl. dazu eingehend U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 48 (S. 493 ff.). 211 Vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 480. 212 Vgl. Palandt61/Heinrichs, § 326 Rn. 21. 213 Vgl. RGZ 94, 326; BGH NJW 1971, 798.
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zwischen dem Leistungsverzug des Schuldners und dem objektiven Interessewegfall bestehen. 214
c) Nacherfüllung Einen Nacherfüllungsanspruch kannte das BGB 1900 nur für das Werk- und Mietrecht. Im Werkvertragsrecht war dies ohnehin naheliegend, weil der Werkunternehmer selbst in aller Regel über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, sein Werk zu vervollständigen bzw. zu reparieren (§ 633 Abs. 2 S. 1 BGB 1900). Im Mietrecht galt die Pflicht des Vermieters zur Erhaltung des vertragsgemäßen Gebrauchs, die in der Sache eine fortlaufende Pflicht zur Beseitigung etwa auftretender Mängel begründete (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB 1900). Beide Institute knüpften an das römische Recht an und waren in der Sache unumstritten. 215 Ihre Durchsetzung in Natur war – wie bei allen Ansprüchen des BGB 1900 – selbstverständlich. Anders lag es dagegen im Kaufrecht: Hier gewährte das BGB 1900 keinen Anspruch des Käufers einer mangelhaften Stücksache auf Nacherfüllung, sondern lediglich die Rechte auf Wandelung, Minderung (§ 459 BGB 1900) und – bei Arglist oder Eigenschaftszusicherung – einen Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse (§ 463 BGB 1900). 216 Lediglich beim Gattungskauf sah § 480 BGB 1900 einen Anspruch auf Nachlieferung einer mangelfreien Sache vor, der aber gegenüber den übrigen Rechtsbehelfen nicht vorrangig ausgestaltet war. Die Vertragspraxis blieb hierbei aber nicht stehen, sondern führte verbreitet in den AGB ein Nachbesserungsrecht des Verkäufers ein – und korrespondierend einen entsprechenden Anspruch des Käufers –, 217 das im Jahr 1977 schließlich zur Einführung des § 476a BGB a.F. führte. Diese Vorschrift regelte aber lediglich die Kostenverteilung im Rahmen eines solchen „freiwilligen“ Nachbesserungsrechts, begründete aber nicht selbst ein solches Recht. Damit blieb es nach der Gesetzeslage in allen Fällen des Kaufvertrags bei dem freien Wahlrecht des Käufers zwischen Wandelung und Minderung, beim Gattungskauf zusätzlich noch der Nachlieferung.
214 Vgl.
U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 48 II 4 (S. 501 f.). Vgl. HKK-BGB/Oestmann, 2013, §§ 535–580a Rn. 21 ff. 216 Nach Harke, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 237, 251 f. handelte es sich hierbei um einen „Übersetzungsfehler“ aus dem römischen Recht. 217 Vgl. Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S. 25. 215
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5. Änderungen durch die Schuldrechtsreform 2002 Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 wurde das Leistungsstörungsrecht des BGB umfassend reformiert. Der Grundsatz der Naturalerfüllung, wie er bereits dem BGB 1900 zugrunde lag, wurde nicht mehr angetastet, sondern blieb in § 241 Abs. 1 BGB verankert. Der Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches wurde durch die §§ 281–283 BGB noch deutlicher in den Vordergrund gestellt, indem der Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung nunmehr allgemein – also auch für nicht-synallagmatische und gesetzliche Ansprüche – grundsätzlich einem Fristsetzungserfordernis unterworfen wurde (§ 281 Abs. 1 BGB). Die Fristsetzung ist im Wesentlichen in den Fällen entbehrlich, in denen sie es nach der Rechtsprechung bereits nach dem BGB 1900 war: Unmöglichkeit (§ 283 BGB) und ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Hinzu kam die allgemeine Abwägungsregelung des § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB, welche dem Gläubiger den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz gestattet, „wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruches rechtfertigen.“ Hierbei handelt es sich um eine Auffangregelung für alle Fallgruppen und Einzelfälle, in denen nach dem vorherigen Recht die Fristsetzung gem. § 242 BGB entbehrlich sein sollte. Die Sondervorschrift des § 282 BGB, welche den Übergang auf den Schadensersatzanspruch statt der Leistung auch bei gravierenden Nebenpflichtverletzungen erlaubt, 218 hat kaum praktische Bedeutung und ergibt sich ihrem Sinn nach auch aus § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB. 219 Als weitere Übergangstatbestände hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 die Einreden der groben Unverhältnismäßigkeit und der persönlichen Unzumutbarkeit in § 275 Abs. 2 und 3 BGB eingeführt. Nach Auffassung der Gesetzesverfasser lag hierin allerdings keine Neuregelung, sondern nur eine ausdrückliche Festschreibung des Rechtszustandes, der sich auch nach dem BGB 1900 infolge der Begrenzung des Naturalerfüllungsanspruches nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben hatte. In der Tat erlauben diese Vorschriften vor allem eine Präzisierung, nicht aber eine inhaltliche Änderung der Grenzen, denen der Naturalerfüllungsanspruch auch vor der Reform unterlag. 220 Ob bzw. inwieweit mit diesen Vorschriften eine Stärkung des Grundsatzes der Naturalerfüllung insofern einhergeht, als der vom Schuldner zu treibende Aufwand zur Erbringung der Naturalleistung gegen-
218
Vgl. dazu S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 364. S. unten § 5.VI.4 (S. 386 f.). 220 S. dazu eingehend unten § 5.III.5 (S. 322 f.) und § 5.IV.3 (S. 342 ff.). 219
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über dem früheren Rechtszustand erhöht wird, 221 ist an dieser Stelle nicht zu erörtern. 222 Am deutlichsten sichtbar ist die Änderung durch die Einführung eines allgemeinen kaufrechtlichen Anspruches auf Nacherfüllung im Falle eines Rechtsoder Sachmangels (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB). 223 Diese erfolgte unmittelbar aufgrund des Umsetzungsbefehls der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, folgte aber auch einer verbreiteten Vertragspraxis. Für den Nacherfüllungsanspruch gilt grundsätzlich das allgemeine Leistungsstörungsrecht mit der Folge, dass er in Natur durchgesetzt werden kann. Lediglich hinsichtlich des Schutzes des Verkäufers vor unverhältnismäßigen Nacherfüllungsaufwendungen sieht § 439 Abs. 3 BGB eine Sonderregelung gegenüber § 275 Abs. 2 BGB vor. Geändert wurde dieses Konzept seither lediglich in einem Detail: Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung224 wurde mit Wirkung vom 13. Juni 2014 die allgemeine Abwägungsregelung des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf die Fälle der Schlechtleistung beschränkt. Da die Parallelregelung im – hier vorrangig interessierenden – Übergangstatbestand des § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB indessen unangetastet geblieben ist, soll auf diese Änderung hier nicht näher eingegangen werden.225
V. Die Rechtsentwicklung in Frankreich seit dem 18. Jahrhundert 1. Vom Vernunftrecht zum Code Civil Die vernunft- bzw. naturrechtlichen Strömungen des 18. Jahrhunderts hatten in Frankreich besonders großen Einfluss. Dem entspricht es, dass der Grundsatz der Naturalerfüllung dort viele Anhänger fand. Namentlich der einflussreiche Jurist Robert-Joseph Pothier (1699–1772) übernahm den Gedanken der Naturalerfüllung für alle Pflichten, auch für „reine“ Handlungspflichten (d.h. solche, die nicht in der Übergabe einer Sache bestanden). Pothier ging dabei davon aus, dass der Gläubiger zwar die Möglichkeit haben sollte, bei der Nichterfüllung von Handlungs- und Unterlassungspflichten sofort auf Schadensersatz überzugehen; eine Naturalverurteilung sollte dadurch aber nicht ausgeschlossen wer221 So der implizite Vorwurf der Kritiker dieser Norm, vgl. etwa Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, passim; E. Picker, JZ 2003, 1035 ff. 222 S. dazu unten § 5.IV.1.d) (S. 329 ff.). 223 S. dazu im Einzelnen unten § 4.III.3.b) (S. 233 ff.). 224 Vom 20.9.2013, BGBl. I, S. 3642. 225 Vgl. zu dieser eingehend Riehm, NJW 2014, 2065 ff.
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den. 226 Gleichwohl schränkte Pothier die Naturalerfüllungspflicht des Schuldners insoweit ein, als für derartige Handlungspflichten zwar eine Naturalverurteilung, aber keine Naturalvollstreckung stattfinde; auf der Vollstreckungsebene gelte vielmehr die Maxime nemo potest praecise cogi ad factum. 227 Die Verfasser des Code Civil von 1804 sind Pothier in diesem Punkt allerdings nicht vollständig gefolgt. Der Text des Code Civil ist in dieser Hinsicht widersprüchlich: Einerseits setzt Art. 1184 Abs. 2 Code Civil228 voraus, dass der Gläubiger die Erfüllung der Verbindlichkeit in Natur verlangen kann; andererseits enthält Art. 1142 Code Civil für obligations de faire et de ne pas faire eine Sonderregelung, wonach im Falle der Nichterfüllung unmittelbar (nur) Schadensersatz verlangt werden kann. 229 Allerdings umfassen die hiervon betroffenen obligations de faire weitaus mehr als die Handlungspflichten nach deutschem Recht: Der Gegenbegriff ist allein die obligation de donner, d.h. die Verpflichtung zur Übertragung von Eigentum, die nach französischem Recht nahezu keinen praktischen Anwendungsbereich hat, weil das Eigentum beim Kaufvertrag unmittelbar durch den Kaufvertragsschluss übergeht. 230 Selbst die Besitzverschaffungspflicht des Verkäufers, ja sogar reine Geldleistungspflichten gelten als obligation de faire. 231 Dem Wortlaut des Art. 1142 Code Civil nach besteht für alle diese Pflichten kein Naturalleistungsanspruch, sondern lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz. Hinzu kommt, dass sich der Gläubiger einer vertretbaren Handlung nach Art. 1144 Code Civil 232 gerichtlich ermächtigen lassen kann, die Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners durchführen zu lassen, also auch insoweit unmittelbar auf Schadensersatz übergehen kann. 233 226 Vgl. Pothier, Traité des obligations, 1805, Bd. 1, n° 146: „Le juge, sur cette demande, prescrit un certain temps dans lequel le débiteur sera tenu de faire ce qu’il a promis; et faute par lui de le faire dans ledit temps, il le condamne aux dépens, dommages et intérêts.“; vgl. dazu auch Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 27 ff.; Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, n° 42. 227 Vgl. Pothier, Traité des obligations, 1805, Bd. 1, n° 157 und dazu eingehend Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 60 ff. 228 Art. 1184 Abs. 2 S. 2 Code Civil lautet: „La partie envers laquelle l’engagement n’a point été exécuté, a le choix ou de forcer l’autre à l’exécution de la convention lorsqu’elle est possible, ou d’en demander la résolution avec dommages et intérêts.“ 229 Art. 1142 Code Civil lautet: „Toute obligation de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts en cas d’inexécution de la part du débiteur.“ 230 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Fabre-Magnan, RTDCiv. 1996, 85 ff.: „Le mythe de l’obligation de donner“; s. ferner Puig, RDC 2005, 85, 87. 231 Vgl. Fages, Droit des obligations, 42013, n° 150; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 3; Viney, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 167, 172. 232 Art. 1144 Code Civil lautet: „Le créancier peut aussi, en cas d’inexécution, être autorisé à faire exécuter lui-même l’obligation aux dépens du débiteur. Celui-ci peut être condamné à faire l’avance des sommes nécessaires à cette exécution.“ 233 Vgl. dazu eingehend Lonis-Apokourastos, La primauté contemporaine du droit à l’exécution en nature, 2003, S. 137 ff.; s. zur funktionalen Äquivalenz von Ersatzvornahme und
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Diese Vorschriften, deren Text bis heute unverändert ist, wurden unmittelbar mit dem Grundsatz nemo potest praecise cogi ad factum begründet. 234 Aus der Unzulässigkeit einer Vollstreckung von Handlungspflichten – wegen des angenommenen naturrechtlichen Verbots, einen freien Menschen durch staatliche Gewalt zu einer Handlung zu zwingen – wurde gefolgert, dass derartige Erfüllungsansprüche bereits materiell-rechtlich ausgeschlossen werden sollten. 235 In dieser Hinsicht blieb der Text des Code Civil also hinter dem Stand des preußischen ALR zurück, das auch insoweit einen Anspruch auf Naturalerfüllung vorsah und seine Verwirklichung erst auf der Ebene des Vollstreckungsrechts ausschloss.
2. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Code Civil Obwohl der Text der einschlägigen Bestimmungen des Code Civil bis heute unverändert geblieben ist, hat sich das französische Recht ständig fortentwickelt. Das bereits im Gesetzestext angelegte Spannungsverhältnis zwischen dem (vermeintlichen) Vorrang der Geldkondemnation in Art. 1142 Code Civil und der (ebenso vermeintlichen) Gleichrangigkeit zwischen Natural- und Geldkondemnation in Art. 1184 Code Civil führt zu fortwährenden Diskussionen und Unklarheiten.
a) Der materiell-rechtliche Anspruch auf Naturalerfüllung Die offenbar unaufhaltsame – und wie gezeigt durch Sachgründe getragene – Entwicklung zum Grundsatz der Naturalerfüllung hat die französische Rechtsprechung dazu bewegt, den Anwendungsbereich des Art. 1142 Code Civil immer weiter zu reduzieren, dem Gläubiger einer obligation de faire also über den Schadensersatzanspruch hinaus auch einen Anspruch auf Naturalerfüllung zu gewähren; aus der Regel fehlender Vollstreckbarkeit von Handlungspflichten wurde die Ausnahme. 236
Schadensersatz oben § 1.III.2.b)bb) (S. 40 f.); unrichtig daher Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 946 oben; Lonis-Apokourastos, a.a.O., S. 137, die hierin eine Form der Naturalerfüllung sehen. 234 Vgl. dazu Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 73 f., 86 ff.; Malaurie/Aynès/ Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1130; Morita, Revue historique de droit français et étranger 73 (1995), 201 ff. 235 Vgl. Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 74 ff.; ders., in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 205 ff.; Viney, ebd., S. 167, 174 f. 236 Vgl. auch Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 37; Mestre, in: ders. (Hrsg.), Le juge et l’exécution du contrat, 1993, S. 91, 93; Molfessis, RDC 2005, 37, 40.
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aa) Handlungspflichten i.w.S. (obligations de faire) Das betrifft zunächst – insoweit im Einklang mit der jahrhundertealten Tradition des gemeinen Rechts237 – diejenigen obligations de faire, die sich auf die Übergabe von Sachen beziehen (von einem Teil der Lehre als obligations de praestare bezeichnet238). So wird der Verkäufer auch nach französischem Recht unstreitig zur Lieferung der Kaufsache (in Natur) verurteilt, 239 der Vermieter zur Übergabe der Mietsache, der Entleiher zur Rückgabe etc.240 Ohnehin zu einer Naturalverurteilung führt der Herausgabeanspruch des Eigentümers (action en revendication). 241 Hinzu kommt die Naturalverurteilung auch bei Handlungspflichten im (engen) Sinne der deutschen Terminologie, etwa zur Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage242 oder zur Erhaltung der Mietsache durch den Vermieter während der Mietzeit 243. Bei Verpflichtungen auf die Abgabe von Willenserklärungen hat die französische Rechtsprechung über den Erfüllungsanspruch hinaus die – dem deutschen § 894 ZPO entsprechende – Lehre vom jugement valant acte entwickelt, wonach die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung diese Erklärung unmittelbar ersetzt, so dass Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung faktisch zusammenfallen. 244 Als dogmatische Begründung für diese Rechtsprechung wird in der Literatur die Vorschrift des Art. 1184 Abs. 2 S. 2 Code Civil245 herangezogen, welche das Bestehen einer Naturalleistungspflicht auch bei Handlungspflichten voraussetze. 246 Nach einer anderen Auffassung in der französischen Rechtslehre soll 237
S. oben § 2.II.6 (S. 84 ff.). Puig, RDC 2005, 85, 87; Fages, Droit des obligations, 42013, n° 150; grundlegend Pignarre, RTDCiv. 2001, 41 ff. 239 Zum historischen Hintergrund vgl. Morita, Revue historique de droit français et étranger 73 (1995), 201, 213 ff. 240 Vgl. dazu und zu weiteren Beispielen Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 48 m.N.; s. ferner Puig, RDC 2005, 85, 87; Molfessis, RDC 2005, 37, 39 f. 241 Vgl. näher Sliwka, Herausgabeansprüche als Teil des zivilrechtlichen Eigentumsrechts?, 2012, S. 166. 242 Vgl. Cass. soc., 14.6.1972, JCP 1972, II, 17275; vgl. hierzu eingehend Radé/Tournaux, RDC 2005, 197, 202 ff.; Lonis-Apokourastos, La primauté contemporaine du droit à l’exécution en nature, 2003, S. 51 ff. 243 Vgl. Cass. civ. 3e, 3.4.1996, Bull. civ. III, n° 91, S. 59; in diesem Fall hielt die Cour de cassation es sogar für möglich, den Vermieter auf die Klage einer Mieterin hin zu verurteilen, die Erweiterung eines Einkaufszentrums um mehr als zehn Ladengeschäfte rückgängig zu machen, was die Vorinstanz als unverhältnismäßiges Naturalleistungsverlangen angesehen und daher nur Schadensersatz zugesprochen hatte. 244 Vgl. Laithier, RDC 2005, 161, 163; zur Einordnung des § 894 ZPO als Naturalvollstreckung s. oben § 1.III.2.b)aa) (S. 39 f.). 245 S. oben Fn. 228. 246 Vgl. Viney, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 167, 172 f. 238 Vgl.
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Art. 1142 Code Civil sogar nur die Nichtleistung des Schuldners nach bereits erfolgter Naturalverurteilung betreffen, also die Nichtbeachtung eines Leistungsurteils, so dass schon im Ausgangspunkt kein Widerspruch zwischen dieser Vorschrift und Art. 1184 Abs. 2 Code Civil bestehe. 247 Hinzu kommt die materielle Begründung des Naturalleistungszwanges aus dem Wesen der vertraglichen Bindung, d.h. dem Grundsatz pacta sunt servanda (in der französischen Terminologie: la force obligatoire du contrat), der unmittelbar in Art. 1134 Abs. 1 Code Civil 248 niedergelegt ist. 249 Das Spannungsverhältnis zwischen diesem Grundsatz und Art. 1142 Code Civil sei im Sinne der grundsätzlichen Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches aufzulösen. Art. 1142 Code Civil soll nach dieser – heute im Ergebnis ganz herrschenden – Lehre lediglich die Möglichkeit eines sofortigen Überganges des Gläubigers auf den Schadensersatz gewähren, ohne aber die naturale Durchsetzung der Leistungspflicht auszuschließen. 250 Diese Möglichkeit wird darüber hinaus von einem bedeutenden Teil der Literatur sogar als materiell vorrangig angesehen, d.h. eine Schadensersatzverurteilung soll nur in Betracht kommen, wenn die Naturalverurteilung ausgeschlossen ist (z.B. wegen Unmöglichkeit). 251 Bis hierhin ist die Rechtsprechung der Cour de cassation der Literatur aber noch nicht gefolgt: In einer Reihe von Entscheidungen wurde dem Tatgericht vielmehr ausdrücklich ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl der passenden Sanktion der Nichterfüllung zugestanden, so dass auch instanzgerichtliche Entscheidungen gebilligt wurden, die dem Kläger aus Ermessensgründen die eigentlich begehrte Naturalleistung verweigerten und ihm lediglich Schadensersatz zusprachen: Art. 1142 Code Civil gebe dem Richter nur (aber immerhin) die Möglichkeit, zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz nach seinem Ermessen zu wählen. 252 Das betraf auch Fälle, 247 Vgl.
Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 91 ff. Abs. 1 Code Civil lautet: „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites.“ 249 Vgl. die Zusammenfassungen der Diskussion bei Molfessis, RDC 2005, 37, 40; Lai thier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 37 ff., 53 ff.; ferner Viney, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 167, 182; D. Mazeaud, FS Larroumet, 2010, S. 329, n° 11; a.A. Laithier, ebd., S. 58 ff. 250 Vgl. Viney, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 167, 175; Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 34 ff. 251 Vgl. Grosser, Les remèdes à l’inexécution du contrat, 2000 (Typoskript), n° 542 ff. (S. 693 ff.); Lonis-Apokourastos, La primauté contemporaine du droit à l’exécution en nature, 2003, n°1 (S. 17); Fontaine, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 1019, n° 32 (S. 1033); a.A. Laithier, RDC 2005, 161, 172 ff.; ders., Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 53 ff. 252 Vgl. Cass. Req., 20.12.1820, Sirey 1819–1821, 349: „[…] les articles invoqués du Code Civil, et particulièrement l’art. 1142, […] sont conçus en termes facultatifs qui laissent au juge le pouvoir d’adopter le mode d’indemnité qui leur paraît le plus juste et le plus favorable à 248 Art. 1134
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in denen die Instanzgerichte die Naturalleistung für unverhältnismäßig gehalten und daher lediglich zu Schadensersatz verurteilt hatten. 253
bb) Unterlassungspflichten (obligations de ne pas faire) Auch für Unterlassungspflichten (obligations de ne pas faire) hat die französische Rechtsprechung inzwischen – abweichend vom früheren Verständnis des Art. 1143 Code Civil – einen Naturalleistungsanspruch des Gläubigers eingeführt, 254 d.h. der Gläubiger kann für die Zukunft die Unterlassung in Natur verlangen, gesichert durch die Androhung einer Art Ordnungsgeld, der astreinte. 255 Das gilt auch für deliktische Unterlassungspflichten (entsprechend dem deutschen § 1004 Abs. 1 BGB). Hinzu kommt ein auf die Verletzung der Unterlassungspflicht gestützter Anspruch auf Beseitigung desjenigen (in Natur), was entgegen der obligation de ne pas faire geschaffen wurde. So kann etwa der Grundstückseigentümer, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft eine mit erheblichen Lärm- und Geruchsemissionen verbundene Autolackiererei baurechtswidrig errichtet wurde, vom Nachbarn gem. Art. 1143 Code Civil nicht nur Ersatz der Kosten der Ersatzvornahme verlangen, sondern unmittelbar die Beseitigung. 256
cc) Fazit: Universeller Anspruch auf Naturalerfüllung Der französische Gesetzgeber hat diesen Normwandel inzwischen anerkannt: Mit Dekret Nr. 88-209 vom 4.3.1988 wurde die „procédure d’injonction de faire“ in den Code de Procédure Civile eingeführt (Art. 1425-1 bis 1425-9 NCPC). Dieses Verfahren erlaubt es dem Gläubiger, 257 dem Schuldner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine – allerdings nicht vollstreckbare – gerichtliche Leistungsaufforderung (ähnlich einem Mahnbescheid nach deutschem Prozessrecht, nur eben bezogen auf eine Handlungspflicht) zustellen zu lassen. Effektiv wird diese injonction in der Praxis durch die Möglichkeit, darin eine astreinte provisoire, also ein vorläufiges Zwangsgeld festsetzen zu lassen, l’intérêt des parties ; […] cette disposition est éminemment justifiée par sa sagesse et son but.“; vgl. dazu Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 88 f. 253 Vgl. etwa Cass. civ. 3e, 24.6.1971, Bull. civ. III, n° 411, S. 292 zur Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung bei einem Bauwerk. 254 Vgl. zum negatorischen Rechtsschutz nach französischem Recht eingehend Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehungen zum Schadensersatzrecht, 1976, S. 90 ff., speziell zur Rechtsfolgenseite S. 111 ff. 255 Vgl. zur astreinte unten § 2.V.2.b) (S. 113 ff.). 256 Vgl. Cass. civ. 3e, 22.5.1997, Pourvoi n° 93–20957; Bull. civ. III, n° 113, S. 75; Dalloz 1999, 374; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1129. 257 Der Anwendungsbereich ist beschränkt auf Verträge, an denen nicht nur Kaufleute beteiligt sind; gedacht ist also v.a. an Verbraucher, die auf diese Weise säumige Handwerker zur Leistung anhalten können.
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so dass der Gläubiger im Ergebnis doch eine Vollstreckungsmöglichkeit erlangt. Unabhängig von der genauen Wirkungsweise setzen beide Institute jedenfalls gedanklich die Existenz eines klag- und vollstreckbaren Naturalerfüllungsanspruches für Handlungspflichten voraus – ein Ergebnis, das mit dem Wortlaut des Art. 1142 Code Civil nicht vereinbar ist und somit die gesetzesderogierende Wirkung der französischen Rechtsprechung anerkennt. Dementsprechend geht die übereinstimmende Praxis und Lehre zum französischen Recht dahin, dem Gläubiger jeglicher Leistungspflicht, unabhängig vom Anspruchsziel, einen vollstreckbaren Anspruch auf Naturalerfüllung zu gewähren. 258 Eine Grenze der allgemeinen Naturalerfüllungspflicht besteht nur noch bei sittlicher, tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit;259 zur tatsächlichen Unmöglichkeit in diesem Sinne zählt auch die Unverhältnismäßigkeit der erforderlichen Aufwendungen des Schuldners. 260 Art. 1142 Code Civil wird teilweise sogar als „überholter Text“ angesehen, der zu dem tatsächlich praktizierten Recht „in perfektem Widerspruch“ stehe. 261
dd) Verbleibender Anwendungsbereich des Art. 1142 Code Civil Anzuwenden ist die Vorschrift des Art. 1142 Code Civil nach der h.M. in der französischen Literatur nur noch auf höchstpersönliche Verbindlichkeiten (obligations personnelles oder obligations intuitu personae), wobei der höchstpersönliche Charakter nicht nur die Unvertretbarkeit der Dienstleistung meint, sondern den besonderen Bezug zu den Persönlichkeitsrechten des Schuldners. 262 Als Beispiele werden einerseits Ansprüche auf die Herstellung künstlerischer Werke (etwa eines Portraits263 oder eines literarischen Werkes) ge-
258 Vgl. etwa Fages, Droit des obligations, 42013, n° 287; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1131, jeweils m.w.N. 259 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1130. 260 Vgl. Cass. civ. 1re, 30.6.1965, Bull. civ. I, n° 437, betreffend die (nach Auffassung der Cour de cassation nicht in Natur einklagbare) vertragliche Verpflichtung eines Grundstücksverkäufers, auf dem verkauften Grundstück Wohnungen zu errichten, wenn sich nachträglich infolge von Vorgaben der Baubehörde herausstellt, dass die Wohnungen nicht ohne Veränderung gegenüber den ursprünglichen Bauplänen, die Vertragsinhalt geworden waren, errichtet werden können. 261 Vgl. D. Mazeaud, RJT 44 (2010), 243, 246: „Texte désuet, […] en parfaite contradiction avec notre droit positif “. 262 Vgl. etwa Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1134; Puig, RDC 2005, 85, 87 f.; Wéry, L’exécution forcée en nature, 1993, S. 89 f., der dieser Einschränkung selbst kritisch gegenübersteht. 263 So das berühmte Urteil Whistler (Cass. v. 14.3.1900, Sirey 1900, I, 489), in welchem die Cour de cassation dem Auftraggeber eines Portraits von James Abbott McNeill Whistler (heute bekannt als Portrait of Lady Eden) einen Anspruch auf die naturale Herausgabe des bereits fertig gestellten Portraits versagte und ihn stattdessen auf einen Schadensersatzanspruch in Geld verwies. Zum Sachverhalt und seinem Hintergrund vgl. den Bericht in der
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Erster Teil: Grundlagen
nannt;264 andererseits soll auch bei einer Leistungsverweigerung aus religiösen oder Gewissensgründen die Verurteilung zur Naturalleistung ausgeschlossen sein und nur (aber immerhin!265) eine Schadensersatzpflicht bestehen. 266 Wesentliche praktische Bedeutung hat der Ausschluss der Naturalleistungspflicht in Art. 1142 Code Civil schließlich im Rahmen von Vorverträgen, die im französischen Recht eine wesentlich größere Rolle spielen als im deutschen Recht. 267 Von diesen handeln wesentliche Teile der französischen Diskussion um die Naturalleistungspflicht, 268 weil sich hier die – durch völlig andere Sachgesichtspunkte überlagerte – Frage stellt, inwieweit aus einem Vorvertrag auf Abschluss des Hauptvertrags geklagt (und infolgedessen das positive Interesse verlangt) werden kann, und inwieweit lediglich eine Schadensersatzpflicht besteht (die auf das negative Interesse gerichtet wäre). Diese Frage, die im deutschen Recht ebenfalls diskutiert wird, 269 ist aber nicht unmittelbar an die Problematik des Anspruches auf Naturalerfüllung gebunden, sondern folgt Erwägungen zum Inhalt und der möglichen Bindungswirkung von Vorverträgen, 270 denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann.
ee) Kein Vorrang der Naturalrestitution im Schadensrecht Der eben beschriebene universelle Anspruch auf Naturalerfüllung bezieht sich im französischen Recht allerdings nur auf vertragliche Leistungsansprüche sowie auf gesetzliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Im SchaNew York Times vom 18.12.1897 (http://query.nytimes.com/mem/archive-free/pdf?res=FB 0C1FF7385416738DDDA10994DA415B8785F0D3, geprüft am 1.12.2014). 264 Das wird allerdings nicht mit der Natur als obligation de faire begründet, sondern mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht des Künstlers und seiner Kunstfreiheit, welche ihn dazu berechtigen, selbst über das Schicksal seines Kunstwerkes zu bestimmen – ggf. um den Preis einer Schadensersatzhaftung in Geld (vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1134); s. dazu auch Gautier, Propriété littéraire et artistique, 82012, n° 126. 265 Nach deutschem Recht würde hier § 275 Abs. 3 BGB sowohl der Naturalverurteilung als auch der Schadensersatzpflicht entgegenstehen, wenn nicht ohnehin schon der gesamte Verpflichtungsgrund an § 138 BGB scheitert. 266 Vgl. etwa Cass. civ. 2e, 21.11.1990, Dalloz 1991, 434: Keine Verurteilung eines geschiedenen jüdischen Mannes zur Übergabe eines „Scheidebriefes“ (get) an seine geschiedene Frau, um dieser eine erneute Heirat nach jüdischem Ritus zu ermöglichen (5. Buch Mose 24, 1). 267 Das liegt einerseits am Fehlen des sachenrechtlichen Trennungsprinzips, andererseits am Verbot von Potestativbedingungen (vgl. dazu Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965, S. 20 ff.). 268 Vgl. etwa D. Mazeaud, RDC 2005, 61 ff.; Montoya Mateus, RDC 2005, 211 ff.; Nuytten, RDC 2005, 75 ff., jeweils m.w.N.; ferner Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 49 f.; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965, S. 29 ff. 269 Vgl. dazu etwa Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 75; MünchKomm-BGB/Busche, Vor § 145 Rn. 65 ff. 270 Vgl. auch Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1130 a.E., die den Bezug zur Frage der Naturalverurteilung bei Handlungspflichten (zu Recht) völlig leugnen.
§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa
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densersatzrecht hat sich eine solche Sichtweise noch nicht durchgesetzt; hier beschränkt die Praxis der Cour de cassation die Ersatzpflicht in der Regel auf reine Geldzahlungen. Allerdings lässt sich in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, welcher die Schadensbemessung exklusiv obliegt (appréciation souveraine des juges du fond), etwa im Bereich des Nachbarrechts (troubles du voisinage) eine gewisse Tendenz hin zu einer schadensrechtlich verstandenen Pflicht zur Störungsbeseitigung in Natur beobachten. 271 Eine in der französischen Rechtsprechung272 und Literatur häufig vertretene Auffassung gewährt dem Geschädigten sogar überhaupt keinen Anspruch auf Naturalrestitution durch den Schädiger, sondern nur auf Ersatz der Kosten der – von ihm selbst zu organisierenden – Naturalrestitution durch Dritte: „Ainsi, c’est au créancier de faire faire les travaux, au débiteur de les payer; en d’autres termes, au créancier les ennuis matériels, au débiteur les soucis pécuniaires.“273 Das Defizit des rein in Geld bemessenen Schadensersatzes gegenüber der Naturalrestitution wird dabei also gesehen, aber dem Geschädigten zugewiesen.
b) Die Zwangsvollstreckung mittels astreinte Die astreinte ist die französische Form des Zwangsgeldes, welche zunächst von der Rechtsprechung extra legem entwickelt worden war:274 Der ursprüngliche Code Civil sah keine Zwangsmittel vor, und der Code de Procédure Civile lediglich für eng umgrenzte Fälle die Zwangshaft (contrainte par corps, Art. 2059 ff. Code Civil 1804, Art. 780 ff. CPC 1806, abgeschafft im Jahr 1867). 275 Natural vollstreckbar waren lediglich Herausgabeurteile (wozu auch die Verurteilung des Verkäufers zur Übergabe der Kaufsache zählte) mittels der saisie-revendication (Art. 826 ff. CPC 1806). Um die dadurch entstehende Lücke in der Rechtsdurchsetzung zu schließen, entwickelte die französische Rechtsprechung schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts – ausgehend von der Annahme, ihre Aufgabe sei es nicht nur, Recht zu sprechen, sondern auch für dessen effektive Durchsetzung zu sorgen – das Zwangsmittel der astreinte, welches ein Leistungsurteil ergänzen konnte. 276 Die astreinte konnte (und 271
78 f.
Vgl. etwa Galand-Carval, in: U. Magnus (Hrsg.), Unification of Tort Law, 2001, S. 77,
272 Vgl. Cass. civ. 1re, 24.6.1924, Sirey 1925, I, 97: „Aucune disposition légale n’autorise les tribunaux à condamner une partie, en réparation d’un dommage causé par elle, à exécuter un acte qui ne lui est imposé ni par la convention ni par la loi, alors qu’elle refuse de l’accomplir.“ 273 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 976 a.E. 274 Vgl. dazu Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1134 f.; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 33 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 III (S. 473 ff.). 275 Vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 34. 276 Vgl. Muir Watt, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 789, 796; eingehend Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 36 ff.
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Erster Teil: Grundlagen
kann) dabei für alle Verurteilungen ausgesprochen werden, sogar für reine Geldleistungsurteile. 277 Das Verfahren der ursprünglichen astreinte war zweistufig ausgestaltet und zeigte von Anfang an ihren Hybridcharakter zwischen Zwangsmittel und Schadensersatz: Wurde dem Schuldner gem. Art. 1244-1 Code Civil eine Gnadenfrist zur Erbringung der Leistung (in Natur) gesetzt, so wurde zugleich vorsorglich eine Zahlungsverpflichtung für den Fall der Nichtleistung bei Fristablauf sowie teilweise auch für die weitere Zahlungsverzögerung während der Gnadenfrist ausgesprochen. Der Betrag der astreinte orientierte sich jedoch nicht am Leistungsinteresse des Klägers, sondern wurde vom Richter nach freiem Ermessen festgesetzt, wobei er u.a. die Hartnäckigkeit und Dauer der Leistungsverweigerung berücksichtigte. 278 Nur wenn der verurteilte Schuldner die geschuldete Naturalleistung tatsächlich bis zum Ablauf der Gnadenfrist (oder bis zur Entscheidung über den Schadensersatz279) nicht erbracht hatte, wurde er endgültig zur Geldzahlung verurteilt, wobei nunmehr der Schadensersatz tatsächlich anhand des Leistungsinteresses des Gläubigers berechnet wurde. Wenn die wegen der Leistungsverzögerung bereits angefallene astreinte den Betrag des Leistungsinteresses überschritt, konnte diese ursprünglich auf das Leistungsinteresse begrenzt werden, so dass sie letztlich mit dem Schadensersatz zusammenfiel. Im Rahmen ihrer endgültigen Festsetzung konnte sie noch weiter – sogar bis auf Null – reduziert werden; als Zwangsmittel hatte sie so nur provisorischen Charakter (und wurde daher auch astreinte provisoire genannt) und wirkte nur als vage Drohung.280 Später setzten die Gerichte allerdings auch endgültige astreintes fest, die nicht auf das Leistungsinteresse begrenzt wurden, sondern reine Zwangsmittel waren (sog. astreinte définitive). 281 Besondere praktische Bedeutung hatte und hat die vom Gericht zu verhängende und in Geld zu vollstreckende astreinte nicht zuletzt wegen der Defizite des staatlichen Vollstreckungswesens in Frankreich: Die französischen Vollstreckungsbehörden können die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen ablehnen, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung („troubles graves“) befürchten.282 Je nach politischer Ausrichtung der jeweiligen Regierungen wurde von dieser Möglichkeit in unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht – bis hin zu systematischen Weigerungen der Sicherheitsbehörden, die zwangs277 Vgl.
Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1134. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1135; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 35 f. 279 Vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 35 m.N. 280 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1135. 281 Vgl. zum Ganzen Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 35 ff.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1135. 282 Vgl. Conseil d’État, 30.11.1923 (Couitéas), Dalloz 1923, III, 59; s. dazu auch Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 37 m.w.N.; Malaurie/Aynès/StoffelMunck, Les obligations, 62013, n° 1123. 278 Vgl.
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weise Räumung von Mietwohnungen oder Aussperrung von streikenden Arbeitnehmern (jeweils aufgrund rechtskräftiger Gerichtsurteile!) durchzusetzen. 283 Die astreinte gab den Gerichten daher ein Mittel an die Hand, um die Durchsetzung ihrer Urteile von den politisch agierenden Verwaltungsbehörden unabhängig zu machen. Erst durch ein Gesetz vom 5.7.1972 wurde das Institut der astreinte gesetzlich geregelt und später durch das Gesetz vom 9.7.1991 reformiert – letztere Reform mit dem ausdrücklichen Ziel, den Vorrang der Naturalvollstreckung vor der Vollstreckung in Geld zu sichern.284 Heute kann eine astreinte für unvertretbare Handlungspflichten ausgesprochen werden (z.B. Verpflichtung zur Rechnungslegung, 285 zur Zeugniserteilung durch einen Arbeitgeber, 286 zur Räumung einer Mietsache287 oder zur Errichtung eines Bauwerks288). Sie kann auch nachträglich vom Vollstreckungsgericht verhängt werden (Art. 33 Abs. 2 des Gesetzes vom 9.7.1991). Nach dem gegenwärtigen Gesetzesstand existiert die astreinte – wie nach dem früheren Richterrecht – als provisorisches und als definitives Zwangsgeld: Die astreinte provisoire, die den Regelfall bildet, wird im Leistungsurteil nur vorläufig angedroht (meist in einem Geldbetrag pro Tag des weiteren Leistungsverzuges) und kann bei der endgültigen Festsetzung reduziert werden, ggf. sogar bis auf Null. Das Leistungsinteresse des Gläubigers ist insoweit kein maßgeblicher Bemessungsfaktor; die astreinte ist insgesamt vom Schadensersatz unabhängig (Art. 34 Abs. 1 des Gesetzes vom 9.7.1991). Es kommt gem. Art. 36 des Gesetzes vom 9.7.1991 allein auf das Verhalten des Schuldners während der Gnadenfrist an, insbesondere darauf, ob er die Leistungsverzögerung zu vertreten hat.289 Die astreinte définitive wird demgegenüber endgültig festgesetzt, nachdem eine astreinte provisoire erfolglos geblieben ist; ihr Betrag kann nicht mehr nachträglich modifiziert werden (Art. 36 Abs. 2 des Gesetzes vom 9.7.1991).290 Insgesamt ermöglicht die astreinte eine konsequente und effektive Durchsetzung sämtlicher Naturalleistungspflichten, zu denen französische Gerichte verurteilen. In dem Maße, wie das französische Recht – entgegen dem Wortlaut des 283 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1123 a.E.; Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 61 ff.; s. auch die Statistiken aus 1995 bei Lonis-Apokourastos, La primauté contemporaine du droit à l’exécution en nature, 2003, S. 485 f.: Nur 14 % der Anträge auf Zwangsräumung führten tatsächlich zu einer Räumung durch die Staatsgewalt! 284 Vgl. Hugon, RDC 2005, 183, 185 mit Fn. 8. 285 Vgl. Cass. civ. 1re, 5.7.1933, Dalloz hebdomadaire 1933, 425. 286 Vgl. Cass. soc., 29.6.1966, Bull. civ. IV, n° 641. 287 Vgl. Cass. com., 15.11.1967, Bull. Civ. III, n° 369. 288 Vgl. Cass. civ. 1re, 12.2.1964, Bull. civ. I, n° 82. 289 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 1135. 290 Vgl. hierzu auch Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 49 ff.
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Art. 1142 Code Civil – Naturalleistungsansprüche auch bei obligations de faire anerkennt, stehen der zwangsweisen Durchsetzung der Naturalleistungspflicht also keine Hindernisse im Wege. Im praktischen Ergebnis ist daher im französischen Recht – entgegen einer verbreiteten Annahme291 – der Grundsatz der Naturalerfüllung bereits im (in der Praxis) geltenden Recht voll verwirklicht: Für nahezu sämtliche Ansprüche besteht die Möglichkeit der Naturalverurteilung und der Naturalvollstreckung. Die wenigen Ausnahmen sind entweder durch besondere materiell-rechtliche Erwägungen bedingt (Vorverträge) oder folgen unmittelbar aus dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Schuldners.
3. Die kaufrechtliche Nacherfüllung Das französische Kaufrecht ist in verschiedene Kaufrechtsordnungen gespalten, die die Frage der Nacherfüllung unterschiedlich regeln. Für den Verbrauchsgüterkauf enthalten die Art. L 211-1 bis L-211-18 des Code de la Consommation (eingeführt durch Ordonnance des Justizministers n° 2005-136 vom 17. Februar 2005292) im Wesentlichen eine getreue Wiedergabe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie mit einigen redaktionellen Anpassungen und Konkretisierungen. Das französische Recht gewährt daher einen Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung (Art. L 211-9 Code Cons.), der entsprechend den Vorgaben des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie293 auch vorrangig ausgestaltet ist: Vertragsauflösung und Minderung sind gem. Art. L 211-10 Code Cons. nur zulässig, wenn die Nacherfüllung unmöglich ist oder die verlangte Art der Nacherfüllung nicht innerhalb einer Frist von einem Monat nach der Mängelrüge des Käufers oder nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer vorgenommen werden kann. 294 Die Frist von einem Monat ab Mängelrüge ist eine hilfreiche Konkretisierung der „angemessenen Frist“ in Art. 3 Abs. 5 zweiter Spiegelstrich der Richtlinie, die zu mehr Rechtssicherheit als die Lösung der Richtlinie295 führt. Die französische Umsetzung gewährt neben den – durch die Richtlinie vorgegebenen – Rechten auf Nacherfüllung, Minderung und Rücktritt auch einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Schadensersatz in Art. L 211-11 Code Cons. 296
291 Vgl.
etwa HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 12; zutreffend demgegenüber die Darstellung bei Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 III (S. 472 f.). 292 Text der Vorschriften mit deutscher Übersetzung abgedruckt in RIW 2005, 930 ff. 293 S. dazu unten § 8.II.1.a) (S. 458 ff.). 294 Vgl. dazu Witz/W.-T. Schneider, RIW 2005, 921, 927 295 S. zur Kritik an der Richtlinienlösung noch unten § 8.II.1.a)bb) (S. 460). 296 Zur Einordnung der Vorschrift als Anspruchsgrundlage s. Witz/W.-T. Schneider, RIW 2005, 921, 927.
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Daneben besteht aber auch ein Schadensersatzanspruch des Käufers einer mangelhaften Sache nach den allgemeinen Vorschriften des Code Civil, namentlich aus Art. 1641 ff. Code Civil (garantie des vices cachés). Diese begrenzen zwar ihrem Wortlaut nach die Schadensersatzhaftung auf Fälle positiver Kenntnis des Verkäufers vom Mangel (Art. 1645 Code Civil). Die Rechtsprechung vermutet diese Kenntnis aber bei professionellen Verkäufern unwiderleglich und gelangt so zu einer zwingenden Schadensersatzhaftung für jeden Mangel, die nicht von einem vorherigen Nacherfüllungsverlangen abhängt.297 Diese Vorschriften werden durch die Vorschriften des Code de la Consommation nicht verdrängt, sondern stehen in freier Konkurrenz zueinander. 298 Im praktischen Ergebnis steht es dem Käufer einer mangelhaften Sache daher auch nach der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie frei, zwischen Nacherfüllung und Schadensersatz zu wählen. Ein effektiver Vorrang der Nacherfüllung besteht nicht.
4. Ausblick: Aktuelle Reformbestrebungen in Frankreich Derzeit mehren sich die Entwürfe für eine tiefgreifende Reform des französischen Schuldvertragsrechts. 299 Nachdem dieses bei bisherigen Reformen des Code Civil – zuletzt etwa bei der Reform des Verjährungsrechts im Jahr 2008 – stets ausgespart worden war, wurde zunächst im September 2005 der Vorentwurf einer Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern um Pierre Catala (Avant-projet de réforme du droit des obligations [articles 1101 à 1386 du code civil] et du droit de la prescription [articles 2234 à 2281 du code civil]) dem Justizministerium übergeben, das sog. Avant-projet Catala.300 Dieser Entwurf sah – als Anpassung an den bereits praktizierten Rechtszustand301 – die Abschaffung des Art. 1142 Code Civil und seine Ersetzung durch einen neuen Art. 1154 Code Civil vor, der einen universellen Anspruch auf Naturalerfüllung auch bei obligations de faire gewähren sollte: „l’obligation de faire s’exécute si possible en nature“.302 Entsprechendes soll nach den Art. 1152 Abs. 3, 1154-1 und 1155 Abs. 3 297 Cass. civ. 1re v. 19. Januar 1965, Bull. civ. I, n° 52 (= Dalloz 1965, 389); diese Vermutung gilt sogar dann, wenn der Verkäufer die Kaufsache nie zu Gesicht bekommen hat, weil sie vom Hersteller direkt an den Kunden geliefert wurde, vgl. Cass. civ. 1re v. 8. Juni 1999, Dalloz Affaires 1999, 1171; vgl. hierzu Malaurie/Aynès/Gautier, Les contrats spéciaux, 62012, n° 411. 298 S. Witz/W.-T. Schneider, RIW 2005, 921, 929. 299 Vgl. etwa den Überblick über die verschiedenen Projekte, ihre Urheber und ihre Methodik bei D. Mazeaud, FS Larroumet, 2010, S. 329 ff.; ferner Pizarro Wilson, ZEuP 2012, 229, 234 ff. 300 Catala, Avant-projet de réforme du droit des obligations (Articles 1101 à 1386 du Code civil) et du droit de la préscription (Articles 2234 à 2281 du Code civil), 2005 (http://www.ju stice.gouv.fr/art_pix/RAPPORTCATALASEPTEMBRE2005.pdf) (geprüft am 1.12.2014). 301 Vgl. D. Mazeaud, RJT 44 (2010), 243, 246. 302 Vgl. dazu auch Fages, Droit des obligations, 42013, n° 287 sowie eingehend Laithier, in:
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des Avant-projet Catala für die übrigen Anspruchsziele (obligations de donner, de ne pas faire und de donner à usage) gelten. Nachdem das Justizministerium diesen Vorentwurf aber bereits für die Reform des Verjährungsrechts nicht zu Rate gezogen hat und zudem die Chancellerie des französischen Justizministeriums zwischenzeitlich einen eigenen Reformentwurf vorgestellt hatte,303 ist nicht damit zu rechnen, dass dieses Projekt Aussichten auf eine gesetzgeberische Umsetzung hat. Auch der Entwurf der Chancellerie wurde nie von offizieller Seite veröffentlicht, so dass auch dieser offensichtlich nicht Gesetz werden soll. Hinzu kommt schließlich eine weitere Arbeitsgruppe der Académie des Sciences Morales unter dem Vorsitz von François Terré, die Ende 2008 – ebenfalls unter der Schirmherrschaft des französischen Justizministeriums – einen Entwurf zur Reform des französischen Vertragsrechts vorgestellt hat.304 Am 27. November 2013 hat die französische Justizministerin nunmehr einen Gesetzesentwurf vorgelegt, aufgrund dessen die Regierung ermächtigt werden soll, im Verordnungswege nach Art. 38 der französischen Verfassung das Vertragsrecht zu reformieren.305 Im Zusammenhang mit diesem Gesetzesentwurf liegt bereits ein Text des „bureau du droit des obligations“ des französischen Justizministeriums vom 23. Oktober 2013 vor,306 der offenbar die Grundlage der demnächst zu erwartenden Verordnung bilden wird.307 Der ursprüngliche Entwurf der Chancellerie sah die Ersetzung des Art. 1142 Code Civil durch die allgemeine Gewährung eines Naturalleistungsanspruches vor; Art. 110 des Entwurfes lautete: „Les obligations de donner, de faire ou de ne pas faire s’exécutent en principe en nature.“ Hinzu kam die allgemeine Regelung der Durchsetzbarkeit des Naturalleistungsanspruches in Art. 162 des EntCartwright/Vogenauer/Whittaker (Hrsg.), Reforming the French law of obligations, 2008, S. 123 ff.; Miller, in: Cartwright/Vogenauer/Whittaker (Hrsg.), Reforming the French law of obligations, 2008, S. 141 ff. 303 Chancellerie (Französisches Justizministerium), Projet de réforme du droit des contrats, 2008 (http://www.lexinter.net/ACTUALITE/projet_de_reforme_du_droit_des_contrats. htm, geprüft am 1.12.2014). Die Website des französischen Justizministeriums erwähnt den Entwurf zwar anlässlich der Vorstellung des zweiten Teils der Reform, betreffend die allgemeinen Vorschriften über Obligationen, bezeichnet ihn auch als weit verbreitet, stellt ihn allerdings selbst nicht bereit (vgl. http://www.textes.justice.gouv.fr/projets-de-reformes-10179/ reforme-du-regime-des-obligations-et-des-quasi-contrats-22199.html, geprüft am 1.12.2014). 304 Vgl. den Abdruck des Entwurfes und die Erläuterungen in Terré (Hrsg.), Pour une réforme du droit des contrats, 2009. 305 Art. 3 des Projet de loi relatif à la modernisation et à la simplification du droit et des procédures dans les domaines de la justice et des affaires intérieures, 27. November 2013 (http://www.senat.fr/leg/pjl13-175.pdf, geprüft am 1.12.2014), S. 24; s. dazu D. Mazeaud, Dalloz 2014, 291 ff. 306 Bureau du droit des obligations, Avant-projet de réforme du droit des obligations, 23. Oktober 2013 (http://www.clementfrancois.fr/dl/ap-ordonnance-obligations-2013–10–23. pdf) (geprüft am 1.12.2014). 307 Diesen Text legt offensichtlich D. Mazeaud, Dalloz 2014, 291 ff. seiner Erläuterung zugrunde, ohne ihn aber explizit zu erwähnen.
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wurfes: „Le créancier d’une obligation de faire peut en poursuivre l’exécution en nature sauf si cette exécution est impossible ou si son coût est manifestement déraisonnable.“ In vergleichbarer Weise sah der Entwurf der Terré-Gruppe vor, Art. 1142 Code Civil abzuschaffen und durch einen allgemeinen Naturalleistungsanspruch für alle Anspruchsziele zu ersetzen: Art. 105 dieses Entwurfes lautete: „Le créancier peut, après mise en demeure du débiteur, exiger l’exécution forcée d’une obligation chaque fois qu’elle est possible et que son coût n’est pas manifestement disproportionné par rapport à l’intérêt que le créancier en retire.“308 In der Sache übereinstimmend bestimmt Art. 129 des Entwurfes des bureau du droit des obligations: „Le créancier d’une obligation peut, après mise en demeure, en poursuivre l’exécution en nature sauf si cette exécution est impossible ou si son coût est manifestement déraisonnable.“ Dass die beiden zuletzt zitierten Entwürfe die naturale Durchsetzung des Anspruches von einer Mahnung (mise en demeure) abhängig machen, dürfte keine praktische Bedeutung entfalten: Da die Klageerhebung der mise en demeure gleichsteht, sich die Frage einer zwangsweisen Durchsetzung der Naturalleistungspflicht aber ohnehin erst im Prozess stellen kann, ist der Schuldner automatisch stets in Verzug, wenn ein Gericht über den Anspruch auf Naturalerfüllung entscheidet. Innovativer ist die in allen drei zitierten Entwürfen enthaltene Einschränkung, wonach die Naturalerfüllung nicht verlangt werden kann, wenn ihre Kosten offensichtlich unvernünftig bzw. unverhältnismäßig im Verhältnis zum Gläubigerinteresse sind. Der Wortlaut dieser Einschränkung im Terré-Entwurf ist offenbar § 275 Abs. 2 BGB (bzw. Art. 9:102 Abs. 2 lit. b) PECL; Art. III. – 3:302 Abs. 3 lit. b) DCFR) nachgebildet;309 in der Sache gilt das aber auch für die Entwürfe der Chancellerie und des bureau du droit des obligations. Die Regelung entspricht der Auffassung eines Teils der französischen Rechtsprechung, wonach die Naturalerfüllung – derzeit nach dem Ermessen des Tatgerichts – nicht angeordnet werden soll, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert.310 Diese Regelungsvorschläge werden von einem Teil der französischen Literatur kritisiert, weil sie darin eine Aufweichung des Prinzips der strengen Vertragsbindung durch ökonomische Erwägungen sieht.311 Wie bereits oben gezeigt wurde, ist das zwar in der Sache richtig; selbst wer jedoch der Übertragung ökonomischer Argumente in den rechtlichen Diskurs kritisch 308 Vgl.
dazu Remy-Corlay, in: Terré (Hrsg.), Pour une réforme du droit des contrats, 2009, S. 263 ff. 309 Die Erläuterung der Arbeitsgruppe Terré gibt keinen Hinweis auf die Herkunft dieser Einschränkung, vgl. Remy-Corlay, in: Terré (Hrsg.), Pour une réforme du droit des contrats, 2009, S. 263 ff. 310 Vgl. etwa Cass. civ. 3e, 24.6.1971, Bull. civ. III, n° 411, S. 292: Berücksichtigung des Einwands der Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung bei einem Bauwerk; s. dazu oben § 2.V.2.a)aa) (S. 108 ff.). 311 Vgl. Ancel/Brun/Forray u.a., JCP G 2008, I.213, 18, n° 12.
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Erster Teil: Grundlagen
gegenübersteht, muss indessen anerkennen, dass in der Sache dieselben Argumente dann unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs einem Anspruch auf Naturalerfüllung entgegenstehen können.312 Alle hier vorgestellten Reformentwürfe belegen, dass der – ohnehin nur noch auf dem Papier stehende – Ausschluss der Naturalleistungspflicht bei obligations de faire in Art. 1142 Code Civil die bevorstehende Reform des französischen Schuldvertragsrechts nicht überdauern wird.313 Die schon seit langer Zeit fortschreitende Entwicklung der französischen Rechtspraxis hin zur universellen Zulassung der Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung und zu einem Vorrang der Naturalerfüllung,314 wird sich auch in einem etwaigen reformierten Gesetzestext niederschlagen und diesen – vermeintlichen – Unterschied des französischen Rechts gegenüber anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, insbesondere gegenüber dem deutschen Recht, eliminieren.
VI. Die Rechtsentwicklung im common law Traditionell wird das common law im Hinblick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung als Gegenpol zum gegenwärtigen kontinentaleuropäischen Recht angesehen: Während auf dem Kontinent der Grundsatz der Naturalerfüllung gelte, herrsche im common law der Grundsatz der Gelderfüllung, der nur ausnahmsweise zugunsten der Gewährung von Naturalerfüllung (specific performance) durchbrochen sei.315 Daher ist hier auch ein Blick auf das common law angezeigt, insbesondere auf seine Gründe zur Verweigerung von Ansprüchen auf Naturalerfüllung. Aus den bereits in der Einleitung genannten Gründen wird hier bewusst kein Schwerpunkt auf die Entwicklung der vertraglichen Naturalerfüllungsansprüche – und damit verbunden der jeweils zugrunde gelegten Vertragstheorien – gelegt. Das Problem der Naturalverurteilung und -vollstreckung stellt sich vielmehr unabhängig von der Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruches, und gerade im common law zeigt sich, dass wegen des dort noch vorherrschenden aktionenrechtlichen Denkens die jeweiligen Vertrags-
312 So auch Viney, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 167, 183 (n° 17); D. Mazeaud, FS Larroumet, 2010, S. 329, n° 33. 313 Vgl. D. Mazeaud, FS Larroumet, 2010, S. 329, n° 11; ders., Dalloz 2014, 291, 293. 314 Vgl. auch Pizarro Wilson, ZEuP 2012, 229, 236 ff. 315 Repräsentativ Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 IV (s. 477 ff.); vgl. ferner Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 210 mit Hinweis auf Herman, ZfRV 2005, 94 ff.; zu Recht einschränkend aber Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 35 V (S. 482); Treitel, in: Mehren (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, 2008, Nr. 16–38; Remien, in: Schulte-Nölke/R. Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 139, 142; Schwenzer, 1 EJLR 289, 290 ff. (1998–99).
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theorien bzw. Theorien über die „Natur“ vertraglicher Leistungsversprechen lediglich den jeweils gegebenen prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten folgen, aber nicht selbst deren Grundlagen bilden.316
1. Zur geschichtlichen Entwicklung von common law und equity Anders als die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen geht das common law nicht unmittelbar auf römischrechtliche Wurzeln zurück.317 Eine umfassende und systematische wissenschaftliche Rezeption des römischen Rechts hat in England nicht stattgefunden.318 Vielmehr begann die Entwicklung des (englischen) common law mit der Eroberung Englands durch William the Conqueror im Jahre 1066 und wurde zunächst durch die im weiteren Verlauf des Mittelalters herrschenden Normannenkönige geprägt. Von dieser Zeit an bestand eine starke Zentralverwaltung, die bald auch die rechtsprechende Gewalt in Zivilund Strafsachen innehatte.319 Diese zentrale Gerichtsbarkeit (sog. common law courts) entwickelte das common law im Kontrast einerseits zum kanonischen Recht,320 das die geistlichen Gerichte auf dem Gebiet Englands (courts christian) etabliert hatten,321 und andererseits zu den jeweiligen lokalen Rechtsbräuchen der feudalherrschaftlichen Gerichte322. Da sich die common law courts auf die Macht des Königs stützen konnten und die Tätigkeit kirchlicher und feudalherrschaftlicher Gerichte auf dem Gebiet des Vertragsrechts als Übergriff auf ihre Kompetenzen ansahen, drängten sie diese immer weiter zurück und setz-
316 Vgl.
zu diesem Zusammenhang eingehend Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 174 ff. 317 Vgl. zum Folgenden eingehend Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 (S. 177 ff.); mit Blick auf den Naturalerfüllungsanspruch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 35 ff.; zur Geschichte des englischen Leistungsstörungsrechts Weidt, Antizipierter Vertragsbruch, 2008, S. 8 ff. 318 Vgl. zu den gleichwohl nicht unerheblichen Einflüssen des römischen Rechts auf das common law etwa Zimmermann, ZEuP 1993, 4 ff.; ders., AcP 202 (2002), 243, 256 f. sowie den folgenden Absatz im Text. 319 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 II (S. 179 f.). 320 Die geistlichen Gerichte setzten eidliche Versprechen – wie auf dem Kontinent (s. oben § 2.II.5 (S. 83 f.)) – in Natur durch und verfügten hierfür über beträchtliche Zwangsmittel bis hin zur Exkommunikation, vgl. Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 22 f.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 35; Hazeltine, FG Kohler, 1909, S. 67, 79 f.; Fry, A Treatise on the Specific Performance of Contracts, 61921, § 24 (S. 10 f.). 321 Vgl. zum Verhältnis zwischen kanonischem Recht und common law Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 21 ff. 322 Auch von diesen sind Naturalverurteilungen überliefert, vgl. Fry, A Treatise on the Specific Performance of Contracts, 61921, § 31 (S. 14 f.); Hazeltine, FG Kohler, 1909, S. 67, 76 f.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 35.
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Erster Teil: Grundlagen
ten auf diese Weise das common law als einheitliche, für ganz England geltende Rechtsordnung durch.323 Inhaltlich folgte die Entwicklung des common law zwar eigenen Prinzipien; diese waren vom römischen Recht aber nicht völlig unabhängig: Die ersten bedeutenden Juristen des common law (etwa Ranulf de Glanvill [†1190] oder Henry de Bracton [ca. 1210–1268]) waren selbst auf dem Kontinent im römischen Recht ausgebildet worden324 und haben viele Grundgedanken des mittelalterlichen römischen Rechts in das common law übernommen.325 Die Gemeinsamkeiten zwischen common law und römisch-kanonischem Recht sind daher erheblich; die Entwicklung in England war vom Kontinent keinesfalls völlig abgekoppelt, wie gelegentlich angenommen wird.326 Eine zentrale Parallele zwischen common law und römischem Recht ist das writ-System feststehender Klageformeln, das an die actiones des römischen Formularprozesses angelehnt war. Es galt danach der Grundsatz „ubi remedium ibi ius“, so dass Klagebegehren nur dann zulässig waren, wenn sie einem anerkannten writ entsprachen. Aus diesem writ-System folgt ein bis heute an Klagemöglichkeiten orientiertes („aktionenrechtliches“) Rechtsdenken, welches dazu führt, dass die Idee materiell-rechtlicher Ansprüche, die unabhängig von Klageformen existieren, im common law nicht weit verbreitet ist. Anders als im kontinentalen Rechtsdenken, das eine umfassende Dogmatik materieller Rechte und Ansprüche entwickelt hat, die unabhängig von ihrer prozessualen Durchsetzbarkeit als existierend vorausgesetzt werden, orientiert sich das Rechtsdenken der common lawyers bis heute vorwiegend an remedies (Rechtsbehelfen für Vertragsverletzungen), die ihrerseits als prozessuale Klagemöglichkeiten verstanden werden, nicht als materiell-rechtliche Ansprüche.327 Die formalistische Bindung an feste writs führte im Laufe der Jahrhunderte dazu, dass die common law courts zunehmend unflexibler wurden und ihre Rechtsprechung immer weniger Raum für individuelle Gerechtigkeitserwägungen ließ. Im 14. Jahrhundert wandten sich die Rechtssuchenden, die in dem Urteil des common law court keine gerechte Lösung ihres Rechtsproblems 323 Vgl.
Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 23 ff. Birks/McLeod, in: dies. (Hrsg.), Justinian’s Institutes, 1987, S. 1, 7; Plucknett, A concise history of the common law, 51956, S. 256 ff.; P. Stein, Roman Law in European History, 1999, S. 64. 325 Vgl. dazu eingehend Radley-Gardner, RabelsZ 76 (2012), 1101, 1103 ff.; Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 11 ff. Zu weiteren Einflüssen des römischen Rechts auf das common law vgl. ausf. P. Stein, The Character and Influence of the Roman Civil Law, 1988, S. 151 ff. 326 Vgl. die Nachweise bei Zimmermann, JZ 1992, 8, 15 f. sowie umfassend ders., ZEuP 1993, 4 ff. 327 Vgl. näher Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 175 f., dort auch zu modernen Tendenzen (etwa bei Zakrzewski, Remedies Reclassified, 2005, S. 103 ff.), neben den remedies sogenannte substantive rights anzuerkennen, die dem materiell-rechtlichen Anspruchsbegriff des kontinentalen Rechts entsprechen. S. dazu auch eingehend unten § 4.III.3 (S. 232 ff.). 324 Vgl.
§ 2. Die Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa
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sahen, immer häufiger unmittelbar an den König, um eine billige, an Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit (gegenüber einer formalistischen Bindung an feststehende writs) orientierte Entscheidung ihres Falles zu erlangen. Der König delegierte diese Aufgabe der Billigkeit (equity) in der Folge an die Kanzler (chancellors).328 Diese waren bis ins 16. Jahrhundert Geistliche und nicht Juristen, und damit einerseits vor allem an ihr Gewissen (und nicht an das common law) gebunden, andererseits wesentlich durch das kanonische Rechtsdenken geprägt.329 Die Billigkeitsentscheidungen der chancellors hoben nicht etwa die Entscheidungen der common law courts auf, sondern verboten lediglich dem Gläubiger, der nach common law ein ihm günstiges, aber nach ihrer Auffassung mit der Billigkeit nicht vereinbares Urteil erlangt hatte, sich auf diese günstige Rechtsposition zu berufen, und drohten für den Fall der Zuwiderhandlung Geld- oder Haftstrafen an. Auf diese Weise entwickelte sich in Gestalt der equity eine Parallelrechtsordnung neben dem common law, die – infolge der Verselbständigung als eigene Behörde, der chancery, und der Orientierung an deren Präjudizien – zunehmend selbst konstante Rechtsregeln entwickelte. Gleichwohl behielten die Gerichte bei der Anwendung der equity stets ein Element des Ermessens (discretion), das ihnen trotz der Regelbildung gestattete, die Besonderheiten jedes Einzelfalles zu berücksichtigen.330 Anlässlich des Aufsehen erregenden Falles Earl of Oxford im Jahr 1615,331 bei welchem chancery und common law court in ein und derselben Sache angerufen worden waren und entgegengesetzt entschieden hatten, stellte der Attorney-General Sir Francis Bacon im Namen des Königs James I. fest, dass sich die equity im Konfliktfall stets gegen das common law durchsetzte: equity shall prevail.332 Auf diese Weise koexistierten mit common law und equity zwei unterschiedliche Gerichtsbarkeiten mit unterschiedlichen anzuwendenden Regeln auf dem englischen Territorium. Erst durch den Supreme Court of Judicature Act aus den Jahren 1873–1875 (zuletzt reformiert durch den Supreme Court Act 1981 von Königin Elizabeth II.) wurde die Trennung der beiden Gerichtsbarkeiten aufgehoben und ein einheitliches Obergericht geschaffen, der High Court, über welchem das House of Lords die einheitliche höchste Instanz bildet.333 Gleichwohl wurde auch hierdurch die materiell-rechtliche Trennung von common law und equity nicht aufgehoben. Bis heute haben beide Regelungskomplexe ihre 328
Vgl. dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 48 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 III (S. 184 ff.); Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 27 ff. 329 Vgl. Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 28 f. 330 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 49. 331 Earl of Oxford’s Case (1615) I Ch. Rep. I, 21 ER 485. 332 Vgl. dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 III (S. 186). 333 Vgl. dazu näher Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 V (S. 195 ff.).
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inhaltliche Eigenständigkeit ebenso behalten wie den grundsätzlichen Gegensatz zwischen dem Formalismus des common law und der einzelfallbezogenen Billigkeitsorientierung der equity.334 Dabei gilt weiterhin – nunmehr gesetzlich festgelegt335 – der Vorrang der equity.
2. Die Entwicklung vertraglicher Erfüllungsansprüche nach common law und equity Die Entwicklung der Position des angelsächsischen Rechts im Hinblick auf Naturalerfüllungsansprüche hat sich vor allem anhand vertraglicher Ansprüche vollzogen.
a) Action of covenant, action of debt sur obligation und action of detinue Für Ansprüche aus Verträgen erklärten sich die common law courts zunächst generell nicht zuständig: Es sei nicht die Aufgabe des Court of the Lord King, private Vereinbarungen zu schützen, schrieb der einflussreiche englische Jurist Ranulf de Glanvill im 12. Jahrhundert.336 Hintergrund dieser Kompetenzbeschränkung war, dass die common law courts ursprünglich dazu dienten, das königliche Lehnswesen zu verwalten,337 also auf im heutigen Sinne hoheitliche Streitigkeiten um die Lehen spezialisiert waren. „Einfache Vereinbarungen Privater“ fielen nicht in diesen Kompetenzbereich. Damit aber war dem common law von vornherein die Entwicklung eines privaten Vertragsrechts im eigentlichen Sinne verwehrt. Die Entwicklung von Sanktionsmechanismen, die Vertragsverletzungen im heutigen Sinne betrafen, musste daher auf dem Gebiet des Straf- und Deliktsrechts erfolgen. Lediglich für schriftliche Verträge, die in einer gesiegelten Urkunde abgeschlossen waren, sah die action of covenant eine Möglichkeit vor, die Erfül334
Vgl. dazu eingehend Burrows, 22 OJLS 1 (2002). Vgl. Chapter 54 Sect. 49 Abs. 1 des Supreme Court Act 1981: „Subject to the provisions of this or any other Act, every court exercising jurisdiction in England or Wales in any civil cause or matter shall continue to administer law and equity on the basis that, wherever there is any conflict or variance between the rules of equity and the rules of the common law with reference to the same matter, the rules of equity shall prevail.“ 336 Vgl. Glanvill, Tractatus de legibus et consuetudinibus regni Angliae, 1188, Libro X, Cap. 8, § 5: „Super hoc notandum est, quod curia domini regis hujusmodi privatas conven tiones de rebus dandis vel accipiendis in vadium vel alias hujusmodi extra curiam sive etiam in aliis curiis, quam in curia domini Regis factis, tueri non solet nec warrantizare; et ideo, si non fuerint servate, Curia domini regis se inde non intromitztet ac per hoc de jure diversorum creditorum priorum vel posteriorum aut de privilegio eorum non tenetur responderi.“ S. dazu auch Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte seit der Ankunft der Normannen im Jahre 1066 nach Christi Geburt, 1828, S. 225. 337 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 II (S. 179 f.). 335
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lung vor den common law courts zu erzwingen.338 Diese Klage konnte bis ins 13. Jahrhundert hinein auch auf eine Naturalleistung gerichtet werden, wenn eine konkrete Sache geschuldet war (nicht dagegen bei persönlichen Handlungspflichten).339 Sie litt aber von vornherein unter dem Mangel, dass ein starker Formalismus für den Beweis des Vertragsschlusses erforderlich war. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts beschränkten die common law courts die action of covenant allerdings auf eine Geldverurteilung.340 Die Ursachen für diese Entwicklung sind unklar;341 vieles spricht jedoch dafür, dass es – wie auch im römischen Recht342 – der Mangel an praktischen Vollstreckungsmöglichkeiten für die Durchsetzung von Naturalleistungspflichten war, der die common law courts dazu bewegte, keine Naturalverurteilungen auszusprechen.343 Da das Vollstreckungsrecht des common law keinen Zugriff auf die Person erlaubte und auch im Übrigen die Vollstreckungswege umständlich waren, ist es wahrscheinlich, dass die common law courts die Verurteilung zu Naturalleistungen guten Gewissens der chancery überließen, die insoweit über das effektivere Vollstreckungsinstrumentarium, insbesondere die Möglichkeit der Verhängung von Geld- und Haftstrafen, verfügten.344 Neben der action of covenant bestand die action of debt sur obligation, mit welcher der Gläubiger die Erfüllung eines Zahlungsversprechens einklagen konnte, das der Schuldner für den Fall abgegeben hatte, dass er eine bestimmte Naturalleistungspflicht nicht bis zu einem bestimmten Termin erfüllt hatte. Bei dieser bedingten Zahlungspflicht handelte es sich wirtschaftlich um eine Vertragsstrafe, deren Androhung dem Schuldner einen Anreiz bot, die eigentlich vereinbarte Naturalleistung zu erbringen.345 Der Anspruch auf die Leistung selbst wurde als „rein vertraglicher“ Anspruch angesehen, für welchen die common law courts nicht zuständig waren; über den Zahlungsanspruch aus dem bedingten Zahlungsversprechen entschieden sie dagegen, wohl wegen der Nähe zum Strafrecht. Diese action bot dem Gläubiger im praktischen Ergebnis einen besseren Schutz als die action of covenant, weil sie ihm – über die mittelbare Strafdrohung – die Naturalleistung verschaffen konnte. Im 18. Jahrhundert 338 Vgl. dazu Hazeltine, FG Kohler, 1909, S. 67, 69 ff.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 37 ff. 339 Vgl. Simpson, A History of the Common Law of Contract, 1975, S. 14. 340 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 38; Simpson, A History of the Common Law of Contract, 1975, S. 14 f. 341 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 38 f. 342 S. dazu oben § 2.II.1.b) (S. 73 ff.). 343 So auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 39; Plucknett, A concise history of the common law, 51956, S. 678; Hazeltine, FG Kohler, 1909, S. 67, 87; ähnlich Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 163. 344 Ebenso Dawson, 57 Mich. L. Rev. 495, 538 (1959); Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 124 f. (1981); Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 39. 345 Vgl. dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 36 f.
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wurde allerdings die bedingte Zahlungspflicht dogmatisch als Vertragsstrafe eingeordnet, und in der Folge ihre Höhe auf das Leistungsinteresse des Gläubigers beschränkt. Damit verlor die action of debt sur obligation ihre Effektivität, weil sie dem Gläubiger nicht mehr bieten konnte als eine gewöhnliche vertragliche Schadensersatzklage, wie sie sich bis dahin aus dem Deliktsrecht entwickelt hatte.346 Für Kaufverträge über bewegliche Sachen schließlich hatten die common law courts ferner die action of detinue angewendet, die eine allgemeine Vindikationsklage des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer darstellte:347 Weil man davon ausging, dass – wie im heutigen französischen Recht – der Abschluss des Kaufvertrags über eine bewegliche Sache unmittelbar zum Übergang des Eigentums auf den Käufer führt, war der Verkäufer ab diesem Moment unberechtigter Besitzer der Kaufsache. Der Käufer konnte daher die Kaufsache beim Verkäufer mit Hilfe der action of detinue vindizieren. Allerdings litt auch die action of detinue an der Schwäche, dass dem Beklagten im Urteil die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich von der Herausgabepflicht durch Zahlung des im Urteil festgesetzten Wertes der Sache zu befreien.348 Auch insoweit bestand also keine effektive Möglichkeit der naturalen Durchsetzung. Die originär vertragsrechtlichen Instrumente des common law konnten dem Gläubiger daher letztlich nur die Verurteilung zu einer Geldleistung bieten, keine Naturalverurteilung. Sowohl die action of covenant als auch die action of debt sur obligation hatten zudem das gravierende praktische Defizit, dass sie förmliche schriftliche Verträge voraussetzten, im Falle der action of covenant sogar gesiegelte Vereinbarungen. Für alltägliche formlose Verträge waren sie daher unbrauchbar.349
b) Die Entwicklung der allgemeinen Haftung für Vertragsverletzungen aus dem Deliktsrecht Wegen dieser Defizite der spezifischen Klagen aus Verträgen entwickelte sich daneben eine gesonderte Haftung für die Verletzung vertraglicher Versprechen, die ihre Grundlage ursprünglich im Deliktsrecht hatte.350 Den Ausgangspunkt bildete die action of trespass on the case (auch action on the case), die vor einer 346 Vgl.
Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 37. Vgl. dazu auch Sliwka, Herausgabeansprüche als Teil des zivilrechtlichen Eigentumsrechts?, 2012, S. 224 ff. 348 Vgl. dazu insgesamt Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 141; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 40 f. 349 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 39. 350 Vgl. dazu eingehend Simpson, A History of the Common Law of Contract, 1975, S. 199 ff.; Plucknett, A concise history of the common law, 51956, S. 637 ff.; Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 24 f.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 44 ff. 347
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jury (also nicht unmittelbar vor einem königlichen Gericht) verhandelt wurde und bei unerlaubten Handlungen (malfeasance) eine Klage auf Schadensersatz ermöglichte. Im Laufe eines Jahrhunderts wurde die Haftung für malfeasance auf eine Haftung für misfeasance erweitert (Vornahme einer an sich erlaubten Handlung in rechtswidriger Weise), worunter auch die fehlerhafte Durchführung eines (vertraglichen) Versprechens gefasst wurde.351 In einem weiteren Schritt wurde die action of trespass auf Fälle der nonfeasance erstreckt, in denen also ein Versprechen des Schuldners überhaupt nicht erfüllt wurde. Da es zentral nun nicht mehr um das Delikt des trespass ging, sondern vorrangig um das Versprechen (assumpsit) und seinen Inhalt, wurde die Klage action of assumpsit genannt.352 Die action of assumpsit ermöglichte nun – im Gegensatz zur action of covenant – die Verfolgung auch formloser vertraglicher Versprechen, solange nur die Übernahme der Verpflichtung durch den Schuldner (assumpsit) vor der jury nachgewiesen werden konnte. Ab dem 16. Jahrhundert verdrängte sie daher die spezifisch vertragsrechtlichen Klageformen.353 Seit der Entscheidung Slade aus dem Jahre 1602354 war die action of assumpsit die allgemeine Klageform zur Durchsetzung (auch) vertraglicher Primäransprüche.355 Das Klageziel der action of assumpsit war nie Erfüllung in Natur, sondern stets nur Schadensersatz (damages), also eine Geldleistung.356 Ob das positive oder – angesichts der deliktsrechtlichen Herkunft naheliegender – das negative Interesse geschuldet war, lässt sich für die Frühzeit nicht sagen, weil die Schadensbemessung ausschließlich Sache der jury war und durch die ordentlichen Gerichte nicht kontrolliert wurde. Zuletzt wurde aber ein Anspruch auf das positive Interesse gewährt.357 Im Rahmen der Berechnung des positiven Interesses wurde zunächst offenbar einer Art Surrogationsmethode gefolgt, d.h. der Gläubiger konnte den vollen Geldwert der geschuldeten Leistung verlangen und durfte seine Leistung weiterhin erbringen, so dass der Vertrag wenigstens auf seiner Seite in Natur durchgeführt wurde. Später haben die Gerichte allerdings auch in England den Schadensersatz nach der Differenzmethode berechnet, so dass im Falle einer Vertragsverletzung der Vertrag auch nicht mehr einseitig durchgeführt, sondern insgesamt im Rahmen der damages in Geld abgerechnet wurde.358
351 Vgl.
Pomeroy, Remedies and Remedial Rights by the Civil Action, 31894, § 20 (S. 17). Vgl. etwa Zimmermann, ZEuP 1993, 4, 25 f. 353 Vgl. auch HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 12. 354 4 Co Rep 92b, 76 ER 1074 (K.B. 1602). 355 Vgl. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 33. 356 Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 776 f.; ders., ZEuP 1993, 4, 26. 357 Vgl. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 33; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 45. 358 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 47 f., 63 ff. m.w.N. 352
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Neben der zwar ursprünglich deliktsrechtlich fundierten, aber speziell auf vertragliche Versprechen ausgerichteten action of assumpsit kennt das heutige common law auch den writ of mandamus, mit welchem Leistungen jedweder Art durch mittelbaren Zwang (Androhung von Geld- oder Haftstrafen) erzwungen werden können. Dieses Instrument wird allerdings von der Praxis auf die Erzwingung öffentlich-rechtlicher Pflichten beschränkt, die (auch) im Interesse Privater bestehen, so dass auch hieraus kein vertraglicher Erfüllungsanspruch abgeleitet werden kann.359 Im Ergebnis war (und ist) damit die action of assumpsit der zentrale Rechtsbehelf des common law für die vertragliche Haftung, wobei hier ausschließlich der Grundsatz der Geldkondemnation gilt.
c) Specific performance nach equity Die strenge Begrenzung der „vertraglichen“ Haftung (d.h. der deliktischen Haftung für Vertragsbruch) auf Geldansprüche nach dem common law erwies sich bald als unzureichend. In vielen Fällen genügte der Geldschadensersatz nicht, um die Einbuße des Gläubigers auszugleichen. In diesen Fällen griffen die chancery courts ein und gewährten dem Gläubiger ausnahmsweise einen Anspruch auf die Naturalleistung (specific performance) als equitable relief. Als Begründung für diesen – ausnahmsweise bestehenden – Naturalleistungszwang wurde die verpflichtende Kraft des Versprechens (promise) herangezogen.360 Dies verwundert angesichts der ursprünglichen kirchenrechtlichen Vorbildung der chancellors nicht, war doch im kanonischen Recht seit jeher aus der bindenden Kraft des Versprechens – zunächst nur des eidlichen Versprechens, später auch sonstiger Versprechen – der Grundsatz pacta sunt servanda einschließlich des Naturalerfüllungszwanges abgeleitet worden.361 Infolge der Aufteilung in common law und equity folgte die praktische Rangfolge der Rechtsbehelfe allerdings der Kompetenzverteilung zwischen den common law courts und den chancery courts: Grundsätzlich waren nur die common law courts zur Entscheidung berufen, so dass nur Schadensersatz in Geld (mit der action of assumpsit) verlangt werden konnte. Nur dann, wenn dieses Ergebnis mit der Billigkeit nicht vereinbar war, konnten die chancery courts eingreifen und den Beklagten in Korrektur des Ergebnisses der common law courts zur Naturalerfüllung verurteilen. Dem historischen Vorrang der Geldkondemnation im common law liegen somit keine materiell-rechtlichen
359 Vgl. dazu etwa Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 138 f. 360 Vgl. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 39 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 780; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 52. 361 S. oben § 2.II.5 (S. 83 f.).
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Erwägungen zugrunde, sondern ausschließlich prozessuale bzw. kompetenzielle Gründe.362 Für das Eingreifen der chancery courts durch die Gewährung von specific performance etablierten sich mit der Zeit feste Regeln, die auch heute, nach der Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten infolge des Supreme Court of Judicature Act 1871–1873, weiterhin Geltung beanspruchen.363 Die Regelsanktion für Vertragsverletzungen bleibt danach die Gewährung von Schadensersatz in Geld (damages).364 Specific performance wird danach nur dann gewährt, wenn der Schadensersatz keine adäquate Rechtsfolge darstellt (sog. adequacy-test), und auch dann nur nach dem Ermessen des Gerichts (discretion).365 Beides sind klassische Merkmale der billigkeitsorientierten equity-Rechtsprechung und nach wie vor nur aus der historischen Teilung der Gerichtszweige zu erklären:366 Der adequacy-test sicherte früher den kompetenziellen Vorrang der common law courts vor den chancery courts,367 und die discretion ist das allgemeine Merkmal der equity-Rechtsprechung, das deren einzelfallbezogenen Billigkeitscharakter sichert.
aa) Der adequacy-test Der sog. adequacy-test setzt voraus, dass dem Gläubiger nach dem common law kein hinreichender Rechtsbehelf zur Verfügung steht, der sein Interesse an der Erfüllung des Vertrags sichert.368 Dieser Test ist in der Literatur nicht unumstritten,369 entspricht aber der Gerichtspraxis. Zur Konkretisierung des adequacy-test hat die Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen entwickelt, in denen der Schadensersatz nach common law für inadequate gehalten, also specific performance gewährt wird. Die praktisch wichtigste Fallgruppe der specific
362
S. auch Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–6. Vgl. dazu eingehend Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 120 ff. 364 Vgl. etwa Dawson, 57 Mich. L. Rev. 495, 538 (1959); Farnsworth, 70 Colum. L. Rev. 1145, 1156 (1970); Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351, 354 (1978); Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 1–10. 365 Vgl. den Überblick bei Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 1–9 f. 366 Ebenso Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 1–18. 367 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 126. 368 Grundlegend Harnett v. Yielding, 2 Sch. & Lef. 549, 553 (1805); Adderley v. Dixon, 1 S. & S. 607, 610 (1824); Cohen v. Roche, 1 K.B. 169 (1927). Vgl. dazu eingehend Cunnington, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 115 ff.; Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–1 ff.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 126 ff.; Nachtigäller, Erfüllungszwang im englischen Vertragsrecht, 2000, S. 45 ff.; s. auch sec. 359 Restatement (second), Contracts: „Specific performance or an injunction will not be ordered if damages would be adequate to protect the expectation interest of the injured party“; vgl. dazu auch Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 120 (1981). 369 Krit. bereits etwa Story, Commentaries on Equity Jurisprudence, 131886, Vol. II, S. 25; w.N. bei Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 126. 363
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performance bilden danach Grundstückskäufe;370 umgekehrt wurde der Schadensersatz für marktgängige Waren (= vertretbare Sachen) stets für adequate gehalten.371 Außerhalb dieser Fallgruppen orientiert sich die Rechtsprechung jedoch überwiegend an allen Umständen des Einzelfalles und prüft jeweils, ob der Schadensersatz im konkreten Einzelfall „der Gerechtigkeit“ ebenso dient wie die erzwungene Naturalerfüllung.372 Berücksichtigt werden dabei zunächst Schwierigkeiten bei der Schadensbemessung, ob also das Erfüllungsinteresse des Gläubigers angemessen in einer Geldsumme abgebildet werden kann. Das ist bei vertretbaren und marktgängigen Sachen regelmäßig der Fall, weil der Gläubiger hier durch den Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts effektiv schadlos gestellt werden kann (sieht man einmal von den durch das Deckungsgeschäft verursachten Transaktionskosten ab). Bei Verträgen mit rein wirtschaftlicher Zielsetzung kann das Leistungsinteresse des Gläubigers ebenfalls durch einen Geldausgleich in Höhe des entgangenen Gewinns befriedigt werden, wenn dieser Gewinn ohne weiteres rechtssicher ermittelbar ist. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, und muss der Gläubiger im Falle eines Geldersatzes eine Unterkompensation fürchten (z.B. weil ein immaterielles Interesse an der Leistung besteht oder sein Interesse aus anderen Gründen nicht in liquide beweisbarer Form in Geld festgestellt werden kann), so ist der Schadensersatz inadequate, so dass specific performance gewährt werden kann.373 Ein häufiger Fall hiervon sind einzigartige (unique) Vertragsgegenstände, die am Markt nicht ersetzbar sind.374 Entscheidend ist hierbei 370
Vgl. etwa Welling v. Crosland, 129 S.C. 127, 123 S.E. 776 ff. (1924). sec. 360 Restatement (second), Contracts, comment c; Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 142 f.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 127 f. m.N.; Nachtigäller, Erfüllungszwang im englischen Vertragsrecht, 2000, S. 46 ff.; Jones/Goodhart, Specific performance, 21996, S. 143 ff.; Bridge, The Sale of Goods, 22009, Rn. 11.99; Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–11 f.; anders allerdings Sky Petroleum v. VIP Petroleum, 1 W.L.R. 576 (1974), wo specific performance für die Erfüllung eines langfristigen Liefervertrags über Benzin trotz der Fungibilität gewährt wurde; begründet wurde dies allerdings mit Besonderheiten des Benzinmarktes, die Deckungsgeschäfte bei anderen Verkäufern praktisch unmöglich machten. 372 Vgl. etwa comment a zu Sec. 359 Restatement (second): „Adequacy is to some extent relative, and the modern approach is to compare remedies to determine which is more effective in serving the ends of justice. Such a comparison will often lead to the granting of equitable relief.“ 373 Vgl. Sheet Metal Workers’ International Association v. Herre Bros., 201 F.3d 231 (3d Cir. 1999); Allegheny Energy, Inc. v. DQE, Inc., 171 F.3d 153 (3d Cir. 1999); s. dazu eingehend Pomeroy, A Treatise on the Specific Performance of Contracts, 21897, § 28 (S. 91); Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–15; Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–008, jeweils m.w.N. 374 Grundlegend Pusey v. Pusey, 1 Vern. 273, 23 Eng. Rep. 465 (1684): Auseinandersetzung um ein historisch wertvolles Horn, das der Familie Pusey vom dänischen König überreicht worden war und wohl auch das Eigentum an einem bestimmten Stück Land verkörperte; vgl. näher Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–016. 371 Vgl.
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nicht die rein objektive Ersetzbarkeit der Leistung, sondern die Frage, ob ein am Markt beschaffter Ersatz gerade für den Gläubiger gleichwertig wäre.375 Auch die mangelnde Solvenz des Schuldners ist nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur ein Grund, den Schadensersatz als inadequate anzusehen.376 Denn auch dann kann der Gläubiger durch eine Naturalleistung besser stehen als durch eine nicht beizutreibende Geldleistung, insbesondere wenn er den Leistungsgegenstand selbst ohne weiteres in Natur pfänden kann oder die geschuldete Leistung ohnehin nur in einer Handlung besteht, welche der Schuldner unabhängig von seiner Solvenz vornehmen kann.377 Insgesamt geht die Tendenz des common law dahin, im Zweifel die adequacy zu bejahen und dementsprechend specific performance zu gewähren.378 Teilweise wird sogar nicht mehr danach gefragt, ob die Gewährung von Schadensersatz inadequate ist, sondern nur noch danach, ob die Gewährung der Naturalerfüllung appropriate ist.379 Allerdings ist zu beachten, dass bei den Konkretisierungen des adequacy-test das Interesse des Schuldners, seine Leistung in Natur zu erbringen und sich dadurch seinen Vertragsgewinn zu sichern, nicht berücksichtigt wird.
bb) Maßstäbe der discretion Fällt der adequacy-test negativ aus, so ordnet das Gericht gleichwohl nicht automatisch specific performance an. Vielmehr steht ihm unter dieser Voraussetzung lediglich die Möglichkeit offen, von der es dann nach seinem Ermessen (discretion) Gebrauch macht. Nach heutigem Verständnis verweist dieses Ermessen aber nicht auf das freie Belieben des Richters, sondern unterliegt bindenden Regeln, die ihrerseits zu Präjudizien erstarkt (bzw. erstarrt) sind. Auch insoweit existieren also feststehende Fallgruppen, in denen – trotz inadequacy des Schadensersatzes – kein Anspruch auf specific performance gewährt wird.380
375 Vgl. zum Ganzen Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 132 ff.; Nachtigäller, Erfüllungszwang im englischen Vertragsrecht, 2000, S. 48 ff. 376 Vgl. Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–18. 377 Vgl. dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 146 ff. m.w.N. 378 Ausdrücklich besagt comment a zu Sec. 359 Restatement (second): „Doubts should be resolved in favor of the granting of specific performance or injunction.“ Vgl. hierzu auch Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 120 (1981). 379 Vgl. Beswick v. Beswick A.C. 58, 88, 90 f., 102 (1968); Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–005; Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436, 438; Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 82 ff.; s. weitere Fälle bei Burrows, Legal Studies 4 (1984), 102 ff. 380 Vgl. hierzu eingehend Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 145 ff.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 156 ff.; Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–029 ff.
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Eine wesentliche Fallgruppe ist die der tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit: Wenn die Naturalleistung aus faktischen oder rechtlichen Gründen nicht mehr erbracht werden kann, kann auch kein Anspruch auf specific performance gewährt werden.381 Auch die Unzumutbarkeit der Leistung für den Schuldner – wegen des Schutzes seiner Freiheitsrechte, insbesondere im Bereich von persönlichen Handlungspflichten,382 aber auch zum Schutz sonstiger Grundrechte383 oder zum Schutz vor unangemessenen, bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Härten durch die Naturalleistung384 – führt zur Versagung von specific performance, entsprechend in etwa dem deutschen § 275 Abs. 3 BGB. Auch bei einem Missverhältnis zwischen den Kosten und dem Nutzen der Leistung versagen die Gerichte – ähnlich dem deutschen § 275 Abs. 2 BGB – Ansprüche auf specific performance:385 In der Entscheidung 3615 Corp v. New York Life Insurance Co. war ein Grundstück verkauft worden, das bei Vertragsschluss mit einem stark renovierungsbedürftigen Bürohaus bebaut war (Kaufpreis: $ 35.000). Kurz vor Erfüllung wurde es durch einen Wasserschaden beschädigt, der nur für $ 1.125.000 hätte beseitigt werden können. Das Gericht verweigerte hier einen Anspruch auf Herstellung des Gebäudes in Natur, weil die Reparaturkosten völlig außer Verhältnis zu dem Wert lagen, den das Gebäude im vertragsgemäßen (= renovierungsbedürftigen) Zustand gehabt hätte.386 Ausgeschlossen ist specific performance ferner bei nicht hinreichend bestimmten Leistungspflichten (z.B. der „Bau eines erstklassigen Theaters“), die ebenfalls aus faktisch zwingenden Gründen nicht natural durchgesetzt werden können. Specific performance wird auch dann nicht gewährt, wenn die Vollstreckung auf große Schwierigkeiten stoßen würde,387 was insbesondere bei
381
Vgl. den Überblick bei Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 157 ff. Arthur v. Oakes, 63 F. 310, 317 f. (7th Cir. 1894): Kein Zwang von Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung; Warner Bros. Pictures Inc. v. Nelson 1 K.B. 209 (1937): Kein Zwang einer Schauspielerin, in Filmen aufzutreten; s. dazu Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–020 ff. 383 Vgl. Gates v. Billboard Publications, Inc., 81 A.D.2d 776, 777 (1984): Kein Zwang eines Verlegers, ein Buch zu publizieren (Schutz der Verlagsfreiheit [ first amendment]). 384 Vgl. Patel v. Ali, 1 Ch. 283 (Ch. D. 1984): Krebserkrankung der Verkäuferin eines Hauses nach Vertragsschluss, wodurch sie auf Hilfen aus der Nachbarschaft angewiesen war; Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. (1998) AC 1, HL: Kein Anspruch eines gewerblichen Immobilienvermieters gegen den Mieter auf naturale Erfüllung einer vertraglich übernommenen Betriebspflicht, wenn diesem durch den Betrieb die Insolvenz droht (vgl. dazu MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 620 f., auch zur gegenteiligen Haltung der schottischen Gerichte). 385 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 172 f. 386 Vgl. 717 F.2d 1236 (8th Cir. 1983); s. auch Texas v. New Mexico, 482 U.S. 124, 131, 96 L.Ed.2d 105, 116 (1987). 387 Vgl. Besinger v. National Tea Co., 221 N.E.2d 156, 159 (III. App. Ct. 1966): Kein Erfüllungszwang bei nur wenig konkretisierter Pflicht zur Errichtung eines Supermarkts; s. 382 Vgl.
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auf Dauer angelegten persönlichen Dienstleistungspflichten der Fall ist; hinzu kommen Fälle, in denen eine fruchtbare Zusammenarbeit der Parteien unter dem Zwang eines Naturalleistungsurteils nicht zu erwarten ist, so dass die zwangsweise erwirkte Leistung des Schuldners nicht die Qualität hätte, die der Gläubiger erwarten dürfte (ohne dass insoweit Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden). Nach diesen Grundsätzen besteht etwa bei Verträgen über persönliche Dienstleistungen und bei Arbeitsverträgen,388 aber auch bei Bauverträgen kein Anspruch auf specific performance.389 Und ferner ist specific performance ausgeschlossen, wenn die Naturalleistung rechtlich geschützte Interessen Dritter verletzt,390 insbesondere wenn der Schuldner insolvent ist und die Naturalleistung zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung eines Gläubigers gegenüber den anderen Geldleistungsgläubigern führen würde.391 Schließlich kann auch das Verhalten des Gläubigers nach Eintritt der Leistungsstörung einem Anspruch aus specific performance entgegenstehen. So versagt die Rechtsprechung specific performance etwa dann, wenn der Gläubiger nach dem Vertragsbruch ohne hinreichenden Grund zu lange mit der Geltendmachung des Erfüllungsanspruches gewartet hat und der Schuldner daher nicht mehr damit rechnen musste, einem Naturalerfüllungsverlangen ausgesetzt zu sein (sog. Theorie der laches, entspricht im deutschen Recht in etwa der Verwirkung).392 Ein besonderer Fall des Gläubigerverhaltens nach dem Vertragsbruch liegt im Schadensersatzverlangen: Hat der Gläubiger bereits Schadensersatz und nicht Naturalerfüllung verlangt, und hat sich der Schuldner schon darauf eingestellt, indem er etwa anderweitig über den Vertragsgegenstand disponiert hat, so ist der Anspruch auf specific performance ausgeschlossen.393 Hier findet der Rechtsgedanke des § 281 Abs. 4 BGB eine Parallele.
auch Bethlehem Engineering Export Co. v. Christie, 105 F.2d 933 (2d Circ. 1939): Unklarer Vertragsinhalt. 388 Vgl. Arthur v. Oakes, 63 F. 310, 317 f. (7th Cir. 1894). 389 Vgl. Yonan v. Oak Park Fed. Sav. & Loan Assn., 27 Ill. App. 3d 967, 974 (1975): Dem Gericht fehle die Sachkenntnis, um die Naturalerfüllung eines Bauvertrags vollstrecken zu können; s. aber auch City Stores Co. v. Ammerman, 266 F. Supp. 766 (D.D.C. 1967), wo specific performance bei einem Bauvertrag gewährt und sogar als Grundsatz bezeichnet wurde. Vgl. zum Ganzen Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, § 13; Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27-027 f. 390 Vgl. etwa Curran v. Holyoke Water Power Co., 116 Mass. 90 (1874): Beeinträchtigung anderer Grundstückseigentümer durch die Naturalerfüllung eines Grundstückskaufvertrags. 391 Vgl. auch § 87 InsO. 392 Vgl. Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 5–24 ff. m.w.N.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 178 m.N. 393 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 179 m.N.
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d) Sonderregelungen im Kaufrecht Für den vertraglichen Naturalerfüllungsanspruch des Käufers existieren spezialgesetzliche Vorschriften: So gewährt Sec. 52 des englischen Sale of Goods Act 1979 dem Käufer einen universellen Anspruch auf Lieferung der Kaufsache in Natur, der allerdings von einer Ermessensentscheidung des Gerichts abhängt („if it thinks fit“).394 Immerhin sollte diese Regelung das englische Recht dem schottischen Recht annähern, das specific performance als Regelfall ansieht, aber Ausnahmen zulässt.395 Zurückhaltender ist insoweit § 2–716 des US-amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC), der den Anspruch des Käufers auf Naturalerfüllung auf Waren beschränkt, die entweder nicht vertretbar (unique) oder sonst für eine Naturalerfüllung geeignet sind, und sogar eine ausdrückliche Vereinbarung eines Naturalerfüllungsanspruches nur außerhalb von Verbraucherverträgen anerkennt.396 Die generellen Rechtsbehelfe nach equity betreffen im US-amerikanischen Recht also nur Konstellationen außerhalb des kaufrechtlichen Übereignungsanspruches des Käufers. Einen generellen Anspruch auf Nacherfüllung (in der Form der Nachlieferung oder der Nachbesserung) sieht das common law nicht vor.397 Freilich wird auch hier in der Praxis der Verkäufer schon im eigenen Interesse auf einen Sachmangel häufig mit dem Angebot der Nacherfüllung reagieren,398 v.a. wenn der Käufer droht, andernfalls sein Rücktrittsrecht auszuüben;399 gegen den Willen des Verkäufers ist die Nacherfüllung nach den allgemeinen Regeln aber grundsätzlich nicht durchsetzbar. Umgekehrt kann aber auch der Verkäufer die Minderung oder die Vertragsaufhebung – jedenfalls nach Fälligkeit – nicht durch ein Angebot der Mängelbeseitigung abwenden.400
394 Sec. 52 (1) Sale of Goods Act 1979 lautet: „In any action for breach of contract to deliver specific or ascertained goods the court may, if it thinks fit, on the plaintiff ’s application, by its judgement or decree direct that the contract shall be performed specifically, without giving the defendant the option of retaining the goods on payment of damages.“ Vgl. dazu auch S. Arnold/Unberath, ZEuP 2004, 366, 377 f.; MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/ Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 621. 395 Vgl. Bridge, The Sale of Goods, 22009, Rn. 11.95 sowie MacQueen/Dauner-Lieb/ Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Con text, 2013, S. 612, 622; zum schottischen Recht näher L. Macgregor, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 67, 78 f. 396 § 2-716 (1) UCC lautet: „Specific performance may be decreed if the goods are unique or in other proper circumstances. In a contract other than a consumer contract, specific performance may be decreed if the parties have agreed to that remedy.“ 397 Vgl. nur M. Stöber, ZEuP 2009, 578, 583; Zerres, RIW 2003, 746, 748 ff. 398 Vgl. Howells/Twigg-Flesner, in: Schermaier (Hrsg.), Verbraucherkauf in Europa, 2003, S. 303, 304; s. aus der Praxis etwa den Sachverhalt der Entscheidung des House of Lords in J.H. Ritchie Ltd. v. Lloyd Ltd, [2007] 1 WLR 670, mitgeteilt bei M. Stöber, ZEuP 2009, 578, 579. 399 Vgl. Zerres, RIW 2003, 746, 749 f. 400 Vgl. Bartfeld, Das Sachleistungsvertragskonzept der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
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Zu einem Nacherfüllungsanspruch des Käufers kann es nur in den Fällen des breach of warranty kommen, wenn also der Verkäufer dem Käufer eine bestimmte Eigenschaft der Kaufsache im Rahmen einer warranty (implizite oder explizite Beschaffenheitsvereinbarung) zugesichert hatte. Insoweit ist nach den allgemeinen Grundsätzen die Gewährung von specific performance hinsichtlich der Herstellung der versprochenen Eigenschaften rein theoretisch denkbar.401 Jedoch scheitert hier in der Regel der adequacy-test, weil die Reparatur der Kaufsache auch durch einen Dritten auf Kosten des Verkäufers vorgenommen werden kann;402 generell ausgeschlossen ist ein Anspruch auf specific performance aber nicht.403 Lediglich im Rahmen von Verbrauchsgüterkäufen sieht das englische Recht in Sec. 48b des englischen Sale of Goods Act 1979 – konform zu Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG404 – eine Nacherfüllungspflicht bei Sachmängeln vor. Diese Nacherfüllungspflicht ist jedoch – anders als in der Richtlinie und im deutschen Recht – nicht von vornherein vorrangig gegenüber einer Zurückweisung der Kaufsache (right to reject gem. Sec. 14 Sale of Goods Act 1979) oder einem Schadensersatzverlangen ausgestaltet; vielmehr entstehen diese Rechte wegen einer mangelhaften Sache sofort bei Gefahrübergang und stehen zunächst gleichrangig neben dem Nacherfüllungsanspruch. Nur dann, wenn der Käufer zunächst eine Frist zur Nacherfüllung setzt, ist er an diese Fristsetzung nach Sec. 48d des Sale of Goods Act auch gebunden und kann erst nach Fristablauf auf die genannten Sekundärrechte übergehen.405 Ein aktuelles Reformprojekt406 (consumer rights bill 2013/14) sieht u.a. eine Klarstellung der Rechte des Verbrauchers im Falle einer Lieferung mangelhafter Waren vor. Nach Sec. 21 ff. dieses Entwurfs hat der Verbraucher ein „early right to reject“ während einer Frist von maximal 30 Tagen nach Lieferung. Auch dieses Recht soll aber nicht einem Nacherfüllungsvorbehalt unterliegen. Vielmehr im deutschen, englischen und französischen Recht, 2008, S. 130, 133 m.w.N.; Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 112. 401 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 186. 402 Vgl. etwa die Entscheidung Sadat v. American Motors Corp., 448 N.E.2d 900 (Illinois Court of Appeal 1983), bestätigt durch 470 N.E.2d 997 (Illinois 1984), wo ein Anspruch auf Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache aufgrund des adequacy-test abgelehnt wurde. 403 Vgl. die Entscheidung Colorado-Ute Electric Association, Inc. v. Envirotech Corp., 524 F. Supp. 1152, 1159 (D. Colorado 1981) und dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 186. 404 Vgl. zu deren Umsetzung in England näher S. Arnold/Unberath, ZEuP 2004, 366 ff. 405 Vgl. Lowe v. W. Machell Joinery Ltd. [2011] EWCA Civ 794, (2011) All ER (D) 115 und dazu MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 617; ferner S. Arnold/Unberath, ZEuP 2004, 366, 372 f. Beseitigt der Verkäufer auf Verlangen oder zumindest mit Zustimmung des Käufers den Mangel, so entfällt nach der Rechtsprechung des House of Lords regelmäßig das Rücktrittsrecht, vgl. M. Stöber, ZEuP 2009, 578 ff. 406 Entwurf, Begründung und Begleitdokumente sind unter https://www.gov.uk/government/publications/consumer-rights-bill veröffentlicht (geprüft am 1.12.2014).
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entfällt das right to reject nach Sec. 23 Abs. 6 f. nur dann, wenn der Verbraucher die Nacherfüllung begehrt oder ein Nacherfüllungsangebot des Unternehmers annimmt (und auch dann nur für diesen einen Nacherfüllungsversuch). Schadensersatz soll der Käufer ebenfalls ohne einen Vorrang der Nacherfüllung geltend machen können (Sec. 18 Abs. 7 lit. (b)). Insoweit soll die Rechtslage im Kern also unverändert bleiben.
e) Die vertragstheoretischen Begründungen für den Vorrang des Geldersatzes Hier ist nicht der Ort, die Entwicklung der Vertragstheorie(n) des common law im Einzelnen nachzuzeichnen.407 Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass die Beschränkung der vertraglichen Haftung auf den Schadensersatz in Geld, wie sie im common law historisch infolge des deliktsrechtlichen Ursprungs der vertraglichen Haftungsklage entstanden ist, auch – und gewissermaßen nachträglich – durch einen vertragstheoretischen „Unterbau“ gerechtfertigt worden ist. Das vertragliche Leistungsversprechen wird danach nicht als Versprechen einer Naturalleistung verstanden, sondern als „disjunctive obligation“, die gleichrangig auf Schadensersatz oder auf Erfüllung gerichtet sei.408 Inhalt des Vertrags sei eine Garantie für die Leistungserbringung, indem für den Fall der Nichterbringung Schadensersatz versprochen wird.409 Der bekannteste und einer der pointiertesten Vertreter einer solchen Vertragstheorie ist O. W. Holmes, der am Ende des 19. Jahrhunderts den klassischen Satz prägte: „The duty to keep a contract at common law means a prediction that you must pay damages if you do not keep it, – and nothing else.“410 Die Beschränkung auf den Schadensersatz sei schon dem vertraglichen Versprechen immanent. Freilich dürfte eine solche Beschränkung des Leistungsversprechens kaum je der Intention des Schuldners entsprechen, kann dieser seinen Vertragsgewinn doch ausschließlich dann erzielen, wenn er die geschuldete Leistung in Natur erbringt, und nicht durch eine Schadensersatzleistung an den Gläubiger (die ihm in aller Regel einen Verlust bescheren wird411).412 Dementsprechend ging auch Holmes nicht etwa davon aus, das Vertragsversprechen sei auf Naturalleistung oder Schadensersatz gerichtet, sondern behauptete lediglich, die Rechtsordnung
407 Vgl.
etwa die Überblicke bei Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 71 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 118 ff.; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 255 ff. 408 Krit. dazu Cunnington, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 115, 133 f. 409 Vgl. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 158. 410 Vgl. Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 462 (1897). 411 Vgl. Grundmann, AcP 204 (2004), 569, 586 f. 412 Vgl. Barnett, 4 Soc. Phil. & Policy 179, 183 (1986); ähnlich Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 228.
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messe dem – nur auf die Naturalleistung gerichteten – Leistungsversprechen zugleich eine Garantie für den Schadensersatz im Falle der Nichterfüllung zu.413 Die deliktsrechtliche Fundierung der vertraglichen Haftung führte zudem dazu, dass die Berechtigung des Rechtsinstituts „Vertrag“ insgesamt infrage gestellt wurde.414 Die Nichterfüllung durch den Schuldner könne überhaupt nur dann eine Haftung begründen, wenn dadurch ein Schaden verursacht werde, der über das Ausbleiben der versprochenen Leistung hinausgeht, insbesondere wenn der Gläubiger im Vertrauen auf versprechenskonformes Verhalten des Schuldners vermögensschädigende Dispositionen getroffen habe. Die Haftung des Schuldners wird damit völlig vom Inhalt des Versprechens entkoppelt und ist lediglich auf das negative Interesse gerichtet.415 Auf die Spitze getrieben wurde diese Auffassung durch Atiyah, der Verträgen in vielen Situationen jegliche faktische Verbindlichkeit in dem Sinne abspricht, dass der Vertragsbruch im Ergebnis sanktionslos bleiben soll, wenn der Gläubiger sich zum gleichen Preis anderweitig eindecken kann und daher keinen ersatzfähigen Schaden erleidet.416 Dass Vertreter dieser Auffassung dem Naturalleistungszwang grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, verwundert nicht, erkennen sie doch generell keinen Schutz des positiven Vertragsinteresses an.417 Soweit unter den Vertretern der klassischen Vertragsrechtslehren, die für einen Schutz des positiven Interesses des Gläubigers eintreten, gleichwohl ein Anspruch auf specific performance abgelehnt wird, werden hierfür vor allem ökonomische Argumente angeführt, insbesondere die (angebliche) Verhinderung (angeblich) effizienter Vertragsbrüche durch einen generellen Naturalleistungszwang;418 auf diese Argumente ist gesondert einzugehen.419 Weitere Sachargumente gegen den Naturalleistungszwang sind auch Besonderheiten des englischen bzw. US-amerikanischen Prozess- oder materiellen Rechts geschuldet: So soll etwa das Recht des Gläubigers auf ein Verfahren vor einer jury gewahrt werden, das nur für common-law-Klagen auf Schadensersatz zulässig ist;420 oder Leistungsverzögerungen sollen vermieden werden, weil das common law keinen generellen Ersatz von Verzögerungsschäden vorsieht, so dass 413 Vgl. Holmes, The Common Law, 1881, S. 236; s. dazu auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 259; L. Smith, in: Cohen/McKendrick (Hrsg.), Comparative Remedies for Breach of Contract, 2005, S. 222; Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 45 ff. 414 Besonders prägnant durch Gilmore, The death of contract, 1974. 415 In diese Richtung bereits Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 85 (1936) und ähnlich Raz, 95 Harv. L. Rev. 916, 937 (1982); vgl. hierzu Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 212 ff. 416 Vgl. Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1979, S. 1 ff.; ders., Promises, Morals, and Law, 1981, S. 185. 417 S. aber auch Raz, 95 Harv. L. Rev. 916, 937 (1982), der den Schutz des positiven Interesses und sogar einen Anspruch auf specific performance immerhin dann anerkennt, wenn das Vertrauen des Gläubigers nicht anders geschützt werden kann. 418 Vgl. die Nachweise bei Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 261 ff. 419 S. unten § 3.III.3 (S. 173 ff.). 420 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 345 f.
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der Gläubiger u.U. mit einem Schadensersatzanspruch, gerichtet auf das vollständige Erfüllungsinteresse (einschließlich Ertragsausfallschäden) besser steht als mit einem nur mit großer (entschädigungsloser) Verspätung durchsetzbaren Naturalleistungsanspruch.421 Diese Gesichtspunkte sind ebenfalls besonderen Umständen des common law of obligations geschuldet und dürfen nicht dazu verführen, die Position des common law zum Naturalerfüllungsanspruch unbesehen als Vorbild für andere Regelungen zu sehen.
f) Der Zusammenhang mit den Voraussetzungen und Folgen des Schadensersatzanspruches Im Übrigen ist die geringe Neigung der common-law-Juristen zu Naturalleistungsansprüchen auch dadurch bedingt, dass die Alternative, der Schadensersatz, leicht verfügbar ist: Die Haftung des Schuldners auf damages ist im common law als strenge Garantiehaftung ausgestaltet, so dass das monetäre Erfüllungsinteresse des Gläubigers unabhängig von einem Verschulden des Schuldners regelmäßig befriedigt wird. Anders als im deutschen Recht, wo der Gläubiger ohne die Gewährung eines (primären und verschuldensunabhängigen) Naturalleistungsanspruches leer ausgehen würde, wenn der Schuldner die Leistungsstörung nicht zu vertreten hat, ist durch die Garantiehaftung im anglo-amerikanischen Recht zumindest eine monetäre Kompensation stets sichergestellt. Ein Ausschluss der Garantiehaftung kommt nur in engen Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei objektiver Unmöglichkeit der Leistung infolge (unvorhersehbarer) höherer Gewalt oder rechtlicher Verbote.422 Allerdings ist dieser Unterschied zum deutschen Recht nicht so groß, wie es zunächst den Anschein hat,423 weil auch das Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB einerseits vermutet wird und dieses andererseits im – praktisch bedeutsamsten – Fall der Nichtleistung trotz Fristsetzung (§ 281 Abs. 1 BGB) nicht auf die ursprüngliche Schlecht- oder Nichtleistung bezogen sein muss, sondern lediglich auf die Nicht-Nacherfüllung bis Fristablauf;424 insoweit sind jedoch praktisch keine Exkulpationsgründe denkbar, die nicht auch nach dem common law zu einer Entlastung führen würden. Umgekehrt führt allerdings der Schadensersatz nach common law systematisch zu einer Unterkompensation des Gläubigers. Das liegt zum einen an 421
Vgl. dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 353 f. Vgl. die Darstellung der Rechtsentwicklung bei Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 160 ff., insbes. S. 191 f.; ferner Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 332 ff. 423 Ebenso Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 335; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung nach englischem Recht, 2003, S. 289, 505 ff.; Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 191 f. 424 Vgl. nur S. Lorenz, FS U. Huber, 2006, S. 423, 426, 429; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1093. 422
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den allgemeinen Defiziten jeder Schadensberechnung, insbesondere daran, dass nicht alle tatsächlichen Schadensposten in ihrer Höhe präzise ermittelbar und liquide beweisbar sind. Zum anderen kommt aber speziell im common law hinzu, dass der Schadensersatz im Vertragsrecht nach der sog. Hadley v. Baxendale-Doktrin auf vorhersehbare Schadensposten begrenzt ist, d.h. Posten, die der Schuldner schon im Moment des Vertragsschlusses vorhersehen konnte.425 Damit nimmt die Rechtsprechung in Kauf, dass tatsächlich infolge des Vertragsbruches eingetretene Schäden des Gläubigers nicht ersetzt werden, der Schadensersatz also hinter dem Erfüllungsinteresse zurückbleibt. Im Hinblick hierauf erstaunt die Zurückhaltung bei der Gewährung von specific performance, weil gerade durch diese eine Unterkompensation des Gläubigers vermieden werden könnte.
3. Die Zwangsvollstreckung Die Unterscheidung zwischen common law und equity ist nicht nur für die anzuwendenden materiell-rechtlichen Vorschriften relevant, sondern auch für das maßgebliche Vollstreckungsrecht:426 Nach dem klassischen common law ist das Gericht darauf beschränkt, dem Vollstreckungsorgan einen writ of execution zu übermitteln, in welchem diesem aufgegeben wird, von einem bestimmten Schuldner eine bestimmte Geldsumme einzutreiben.427 Eine weitere Überwachung der Vollstreckung durch die Gerichte findet nicht statt. Das Vollstreckungsorgan kann zur Durchsetzung der Geldforderung bewegliches und unbewegliches Vermögen des Schuldners an sich nehmen bzw. beschlagnahmen und zugunsten des Gläubigers verwerten. Hinzu kommt das sog. garnishment, d.h. die Einziehung von Forderungen des Vollstreckungsschuldners (beschränkt für Arbeitslohn, sog. wage deduction) durch den Vollstreckungsgläubiger, also ebenfalls eine Form der Vermögensvollstreckung.428 Lediglich für die Herausgabe beweglicher und unbeweglicher Sachen sind die zwangsweise Räumung des betroffenen Grundstücks (aufgrund eines writ of possession) bzw. die Wegnahme der geschuldeten Sache (aufgrund eines writ of specific delivery) 425 Vgl. die berühmte Entscheidung des High Court Hadley v. Baxendale vom 23.2.1854, EWHC J70 (1854); s. dazu etwa Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 159; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 319 ff.; Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 37 ff.; aus ökonomischer Sicht Bebchuk/Shavell, 7 JLEO 284 (1991). 426 Vgl. hierzu auch Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 141; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 178 f. 427 Vgl. dazu auch Rule 69 (1) der Federal Rules of Civil Procedure (F.R.C.P.). 428 Die früher bestehende Möglichkeit, dem Schuldner wegen der Nichterfüllung einer Geldschuld Zwangshaft anzudrohen (committal), ist in England durch sec. 4 des Debtor’s Act 1869/1878 im wesentlichen abgeschafft worden.
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durch ein amtliches Organ möglich.429 In der Summe sieht das klassische common law also regelmäßig nur eine Geldvollstreckung vor – was zu dem Befund passt, dass es grundsätzlich auch nur eine Geldverurteilung kennt.430 Equity decrees, insbesondere Verurteilungen zu specific performance (in Form einer injunction für Unterlassungspflichten431 oder einer order for specific performance für Pflichten auf ein positives Tun), gelten dagegen als persönliche Anordnung des jeweiligen Richters; ihre Nichteinhaltung wird als Missachtung des Gerichts (contempt of court) angesehen, die besondere Sanktionen nach sich zieht, vor allem Geldstrafen (fines) entsprechend dem deutschen Zwangs- und Ordnungsgeld, und in Ausnahmefällen sogar Haftstrafen; aber auch eine Sequestration des Schuldnervermögens zur Druckausübung auf den Schuldner ist möglich.432 Welche dieser – durchaus harten – Zwangsmittel angeordnet werden, obliegt dem Ermessen des Richters.433 Diese besondere Härte der Zwangsmittel ist ein zusätzlicher Grund für die Zurückhaltung gegenüber der Gewährung von specific performance.434 Die Rechtslage ist insoweit im Geltungsbereich des common law uneinheitlich; viele Staaten haben inzwischen eigene Vollstreckungsrechtsordnungen mit besonderen Regelungen, die meistens Elemente des common law und der equity verbinden.435 Im englischen und schottischen Recht ist etwa die Vollstreckung gegen die Person mit Haftstrafen nur noch eine theoretische Möglichkeit, aber keine praktische Realität mehr.436 Hinzu kommt in vielen Staaten die Möglichkeit, bei vertretbaren Handlungspflichten (auch betreffend die Abgabe von Willenserklärungen) im Vollstreckungswege die Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners anzuordnen.437
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Vgl. in England Rule 16 und 17 der CCR Order 26 (warrants of execution, delivery and possession); s. dazu auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 216; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 178. 430 Vgl. auch Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 141. 431 Vgl. dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 31996, § 14 III (S. 186). 432 Vgl. Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–5. 433 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 217; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 179. 434 Vgl. Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–002; Yorio/ Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 2–5 f.; Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436, 438; van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 608 sowie bereits Rabel, Das Recht des Warenkaufs, 1936/1957, S. 375. 435 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 216 f. 436 Vgl. Treitel, in: Beale (Hrsg.), Chitty on Contracts, 312012, Bd. 1, Rn. 27–002; MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633. 437 Vgl. Rule 70 S. 1 F.R.C.P.
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4. Naturalerfüllung bei außervertraglichen Schuldverhältnissen Die soeben skizzierten Beschränkungen des Vollstreckungsrechts im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Verurteilungen zu Naturalleistungen lassen darauf schließen, dass auch im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse die Verurteilung zur Naturalerfüllung die Ausnahme ist.
a) Ansprüche aus Eigentumsschutz Der Eigentümer hat nach dem common law verschiedene Möglichkeiten, die Sache von einem unrechtmäßigen Besitzer zurückzuerlangen:438 Die action of detinue hat einen deliktsrechtlichen Ursprung (Klage gegen das widerrechtliche Haben); sie ist auf die Herausgabe beweglicher Sachen gerichtet und soll dem Eigentümer den von einem Besitzer unrechtmäßig vorenthaltenen Besitz zurückschaffen.439 Allerdings ist die action of detinue nicht ausschließlich auf die naturale Herausgabe der Sache (und deren zwangsweise Durchsetzung) gerichtet. Vielmehr unterliegt auch hier die Naturalverurteilung der discretion des Gerichts, das im Herausgabeurteil in jedem Fall zugleich einen Wert der Sache festsetzt, welchen der Besitzer zu ersetzen hat, wenn er die Sache nicht herausgibt; insoweit besteht zumindest ein Gleichrang von Natural- und Geldkondemnation, wenn überhaupt eine Naturalkondemnation stattfindet.440 Im englischen Recht wurde die action of detinue durch Sec. 2 (1) des Torts (Interference with Goods) Act 1977 förmlich abgeschafft. An ihre Stelle trat ein deliktsrechtliches Haftungskonzept für die widerrechtliche Entziehung der Sache, bei welchem eine Verurteilung zur Herausgabe der Sache in Natur ebenfalls nur nach dem Ermessen des Gerichts stattfindet, und dem Schuldner im Übrigen die Möglichkeit der Befreiung von der Herausgabepflicht in Geld vorzubehalten ist (Sec. 3 (2 f.) des Torts (Interference with Goods) Act 1977). Bei Immobilien tritt an die Stelle der action of detinue die action of ejectment als Immobiliarvindikation, die natural eingeklagt und tatsächlich auch in Natur durch die Vollstreckungsorgane durchgesetzt
438 Vgl. Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich II, 2001, S. 113 m. Fn. 156 f.; A. Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996, S. 241 ff. 439 Dazu gibt es das besondere Verfahren des replevin, mit welchem der Gläubiger die Vindikation (etwa von Sicherungseigentum, aber auch von gewöhnlichem Eigentum) effizient durchsetzen kann, weil der Besitz hier schnell vorläufig zugewiesen werden kann, bevor die materielle Berechtigung endgültig geklärt wird. Hierbei handelt es sich aber nur um ein vorläufiges Verfahren, das auf den materiellen Inhalt einer abschließenden Verurteilung aus der action of detinue keinen Einfluss hat (vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 113 f.). 440 Vgl. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, 1932, S. 141; Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 41.
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wird.441 Insoweit findet also ausschließlich eine Naturalverurteilung, keine Geldverurteilung statt. Gegen Beeinträchtigungen eines Grundstücks durch Störungen, die von einem Nachbarn ausgehen, steht dem Eigentümer nach common law die deliktsrechtliche Haftung wegen private nuisance zu. Diese ist allerdings nach common law nur auf Schadensersatz in Geld gerichtet. Insoweit besteht aber genau wie bei vertraglichen Primärleistungsansprüchen die Möglichkeit, nach equity eine injunction zu erlangen, mit welcher dem Nachbarn verboten wird, die Störung fortzusetzen (prohibitory injunction), oder – seltener – ihm aufgegeben wird, sie zu beseitigen (mandatory injunction).442 Diese injunction wird wiederum mit den Mitteln der equity vollstreckt, d.h. ihre Missachtung wird als contempt of court gewertet und mit mittelbaren Zwangsmitteln (Zwangsgeldern) bis hin zur Zwangshaft durchgesetzt. Möglich ist schließlich noch das sog. abatement, d.h. die Ermächtigung des Eigentümers, die Störung selbst zu beseitigen.443 Wegen der generellen Untauglichkeit von Schadensersatz zur dauerhaften Beseitigung der Beeinträchtigung hat sich die injunction inzwischen zum Hauptrechtsbehelf des Eigentümers entwickelt.444
b) Schadensersatzansprüche Das Schadensersatzrecht des common law ist insgesamt auf eine Geldentschädigung ausgerichtet.445 Damages werden klassischerweise als Geldbetrag verstanden, den der Schädiger dem Geschädigten zu ersetzen hat; einen Grundsatz der Naturalrestitution kennt das common law nicht.446 Selbst wenn die Schädigung in einer rechtswidrigen Entziehung einer Sache besteht, findet nach Sec. 3 des Torts (Interference with Goods) Act 1977 eine Verurteilung zur naturalen Herausgabe der beweglichen Sachen nur nach dem Ermessen des Gerichts statt.447 Die Herstellung in Natur kann nur in wenigen Ausnahmefällen verlangt werden,448 wie bei vertraglichen Leistungsansprüchen unter der Voraussetzung, dass der Schadensersatz in Geld nicht adequate ist.449 Das betrifft zunächst die 441
Vgl. dazu Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 117. Vgl. hierzu Elliott/Quinn, Tort law, 82011, S. 282 f., 391 f.; W. H. Rogers, in: Koziol/R. Schulze (Hrsg.), Tort law of the European Community, 2008, S. 365, Rn. 16/61 (S. 389). 443 Vgl. Elliott/Quinn, Tort law, 82011, S. 283. 444 Vgl. etwa Elliott/Quinn, Tort law, 82011, S. 282 f., 391 f. 445 Vgl. für einen Überblick etwa Elliott/Quinn, Tort law, 82011, S. 375 ff.; W. H. Rogers, in: U. Magnus (Hrsg.), Unification of Tort Law, 2001, S. 53, 54 f. 446 Vgl. von Bar, Non-contractual liability arising out of damage caused to another, 2009, S. 920 (Notes I.13 zu Art. 6:101 PEL Liab. Dam.); W. H. Rogers, in: Koziol/R. Schulze (Hrsg.), Tort law of the European Community, 2008, S. 365, Rn. 16/61 (S. 389). 447 Vgl. soeben § 2.VI.4.a) (S. 141 f.). 448 Vgl. W. H. Rogers, in: Koziol/R. Schulze (Hrsg.), Tort law of the European Community, 2008, S. 365, Rn. 16/61 (S. 389). 449 Vgl. Elliott/Quinn, Tort law, 82011, S. 391. 442
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bereits erwähnte Haftung für private nuisance (entsprechend der kontinentalen actio negatoria),450 die nach der anglo-amerikanischen Systematik dem Deliktsbzw. Schadensrecht zuzuordnen ist. Im Arbeitsrecht wird im Falle einer unberechtigten Kündigung zwar ein Anspruch auf Wiedereinstellung gewährt, der aber seinerseits nicht in Natur vollstreckbar ist, so dass die Folge einer Missachtung des entsprechenden Urteils wiederum nur eine Erhöhung der geschuldeten Schadensersatzsumme ist. Herausgabe in Natur kann ferner bei der rechtswidrigen Entziehung einer Sache verlangt werden.451 Schließlich ist Naturalherstellung zur Wiederherstellung des Rufes nach einer deliktischen Rufschädigung (z.B. durch Verbreitung unwahrer Tatsachen) möglich, allerdings zwangsweise nur insoweit durchsetzbar, als dem Schuldner die Veröffentlichung des Urteils aufgegeben wird.
c) Ansprüche aus Rückabwicklung gescheiterter Verträge Das common law differenziert bei der Rückabwicklung fehlgeschlagener Verträge nicht wie das deutsche Recht zwischen Rücktrittsrecht, Bereicherungsrecht und Vindikation. Zwar existieren Rechtsbehelfe, die auf das Eigentum an der (unwirksam) übertragenen Sache gestützt sind, und funktional der kontinentalen Vindikation entsprechen;452 im Übrigen werden jedoch restitution (Rückgewähr) und unjust enrichment (ungerechtfertigte Bereicherung) meist gemeinsam behandelt, ohne dass zwischen beiden klar unterschieden würde oder auch nur Einigkeit darüber bestünde, ob es sich überhaupt um eigenständige Rechtsinstitute handelt.453 Ein Rechtsinstitut, das der deutschen Leistungskondiktion entsprechen würde, ist dem common law dabei fremd:454 Die Rückabwicklung findet im Wesentlichen über den deliktischen Schutz des Eigentumsrechts statt, der in Sec. 3 des Torts (Interference with Goods) Act 1977 geregelt ist.455 Selbst für die Rückabwicklung fehlgeschlagener Verträge, insbesondere nach einer Leistungsstörung (breach of contract), existiert keine besondere Rückabwicklungsordnung. Vielmehr werden auch hier Ausgleichsansprüche – soweit sie überhaupt gewährt werden – dadurch realisiert, dass das Eigentum an der Sachleistung 450
Vgl. soeben § 2.VI.4.a) (S. 141 f.). Vgl. ebenfalls § 2.VI.4.a) (S. 141 f.). 452 Vgl. soeben § 2.VI.4.b) (S. 142 f.). 453 Vgl. eingehend Kull, 83 Cal. L. Rev. 1191 (1995); Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, 2004, S. 189 ff.; s. zur durchaus widersprüchlichen Terminologie und Systematik auch Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 22004, § 22 (S. 73). 454 Vgl. näher Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich I, 2000, Kap. 2 Rn. 303, 371.; s. aber auch Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, 2004, S. 193 ff. zu einzelnen Fällen bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung nach Irrtum oder anderen Willensmängeln. 455 Vgl. dazu § 2.VI.4.a) (S. 141 f.). 451
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infolge des Rücktritts (rescission) unmittelbar an den Rückgewährgläubiger zurückfällt,456 so dass dieser wiederum auf dessen Grundlage nach Sec. 3 des Torts (Interference with Goods) Act 1977 Herausgabe oder Schadensersatz verlangen kann. In anderen Fällen, insbesondere bei vertraglichen Rücktrittsrechten, arbeitet die Rechtsprechung mit der Fiktion einer vertraglichen Rückabwicklungsregelung, auf welche die allgemeinen Regeln für vertragliche Ansprüche Anwendung finden.457 Auch die Fälle einer Eingriffskondiktion nach deutschem Verständnis werden im common law deliktisch gelöst und richten sich nach Sec. 3 des Torts (Interference with Goods) Act 1977; auch insoweit bestehen also keine spezifischen Rückabwicklungsregeln.458 Anders liegt es im US-amerikanischen Recht, wo Sec. 372 (1) des Restatement (Second) Contracts für die Rückabwicklung eines fehlgeschlagenen Vertrags in manchen Fällen einen vorrangigen Anspruch auf specific performance gewährt, unabhängig vom adequacy-test.459 Dieser Anspruch besteht aber nicht zugunsten der vertragsbrüchigen Partei und auch nicht in der Situation, dass der (vertragstreue) Sachleistungsschuldner seine Leistung bereits voll erbracht hat.460 Damit sind wesentliche Fälle von der Rückabwicklung in Natur ausgeschlossen.
5. Fazit In der Gesamtschau offenbart die Entwicklungsgeschichte des common law deutliche Parallelen zur Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts auf dem Kontinent: Wie beim römischen Aktionensystem waren es die Mängel des Vollstreckungswesens und der Formalismus des writ-Systems, die zur Beschränkung des Gläubigers auf die Geldverurteilung führten; vertragstheoretische Erwägungen über den Inhalt des Versprechens spielten dagegen allenfalls eine untergeordnete Rolle, insbesondere weil die Beschränkung auf Geldverurteilungen schon bestand, bevor überhaupt in Gestalt der action of assumpsit erstmals Ansprüche spezifisch auf vertragliche Versprechen gestützt wurden. Das Ventil für diesen offenbar ungenügenden Rechtsschutz war die equity, über welche sich das Bedürfnis der Praxis nach Ansprüchen auf Naturalerfüllung 456 Vgl. Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich I, 2000, Kap. 3 Rn. 667; eine bereicherungsrechtliche Abwicklung nimmt Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, 2004, S. 274 f. an. 457 S. oben § 2.VI.2 (S. 124 ff.). 458 Vgl. Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich II, 2001, Kap. 6 Rn. 313 m. Fn. 1075; s. auch Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, 2004, S. 195 f.: „unjust enrichment by wrongdoing“. 459 Vgl. auch Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 220. 460 Vgl. A. Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996, S. 247 f.
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Geltung verschafft hat. Da auf dieser Ebene einerseits bessere Vollstreckungsmöglichkeiten bestanden und andererseits kein so strenger Formalismus hinsichtlich der zulässigen Klagegegenstände herrschte, wurde auf diesem Umweg der Naturalerfüllungsanspruch eingeführt. Insgesamt hat die historische Entwicklung des common law über die vergangenen nahezu 1000 Jahre eine offenbar unaufhaltsame Entwicklung hin zur Anerkennung von Naturalerfüllungsansprüchen gezeigt.461 So wird auch in der englischen Literatur immer wieder davon gesprochen, dass sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen specific performance und damages inzwischen nahezu umkehre.462 Dem entspricht es, dass auch in dem – im Auftrag der englischen law commission erstellten, freilich nicht Gesetz gewordenen463 – Entwurf eines Contract Code von Harvey MacGregor aus dem Jahr 1973 als primärer Rechtsbehelf ein Anspruch auf Naturalerfüllung vorgesehen war.464 Auch in anderen Ländern im Einflussbereich des common law werden in neueren Gesetzeswerken Ansprüche auf specific performance großzügiger anerkannt, so etwa in sec. 448 (a) des Entwurfes für einen israelischen Civil Code von 2007.465 Damit ist zwar der gedankliche Ansatz des common law dem kontinentaleuropäischen Juristen fremd, insbesondere weil dem Primärrecht – das in seiner gedanklichen Existenz durchaus anerkannt wird – die Klagbarkeit fehlt und das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Rechtsbehelfe im common law formal umgekehrt ist: Grundsätzlich wird Schadensersatz gewährt, nur subsidiär Naturalerfüllung. Allerdings ist dieser Unterschied wesentlich geringer, als er auf den ersten Blick scheint.466 Denn betrachtet man die Kombination aus common law und equity genauer, so erweist sich, dass der Naturalerfüllungsanspruch in den461
So auch die Einschätzung von Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 35 V (S. 482). 462 Vgl. Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1989, S. 63 ff.; Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436, 438; deutlich bereits Fry, A Treatise on the Specific Performance of Contracts, 61921, S. 21: „if prophecy were the function of a law writer, it might be suggested that [the Courts] will more and more approximate to such a rule [that every contract is specifically enforceable until the contrary be shown].“ Hingewiesen sei insoweit v.a. auf die Entscheidungen des House of Lords in Beswick v. Beswick A.C. 58, 88, 102 (1968), des australischen High Court in Coulls v. Bagot’s Executor and Trustee Co., 40 A.L.J.R. 471 (1967) sowie der Chancery Division in Sky Petroleum v. VIP Petroleum, 1 W.L.R. 576 (1974). 463 Angesichts der schottischen Herkunft von Harvey MacGregor und der dadurch bedingten stark römisch-rechtlichen Prägung seines Entwurfes ist dies nicht weiter verwunderlich. 464 Vgl. H. MacGregor, Contract code, 1993, S. 87 ff. 465 Der Entwurfstext ist in englischer Übersetzung abgedruckt in Siehr/Zimmermann (Hrsg.), The Draft Civil Code for Israel in Comparative Perspective, 2008, S. 249 ff.; zur Regelung des Naturalerfüllungsanspruches in diesem Entwurf vgl. nur Grigoleit, in: Siehr/Zimmermann (Hrsg.), The Draft Civil Code for Israel in Comparative Perspective, 2008, S. 75, 77 ff. 466 Ähnlich auch Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 110. 31996,
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jenigen Fällen, in welchen er tatsächlich wirtschaftlich notwendig ist, um die Interessen des Gläubigers zu wahren, die Regel ist. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Geldzahlungspflicht nach common law und der Naturalverurteilung nach equity ist nur ein formal-prozessuales, das für die relevanten Fallgruppen (z.B. Grundstückskäufe sowie generell einzigartige Vertragsgegenstände) faktisch umgekehrt ist, weil hier der adequacy-test stets zugunsten der specific performance ausfällt. Die weiteren Ausnahmen von der Naturalleistungspflicht, wie sie in den diversen Fallgruppen der discretion des Gerichts aufscheinen, sind durchweg an Sachgesetzlichkeiten orientiert, die auch in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen abgebildet sind, also etwa auch im deutschen Leistungsstörungsrecht als Übergangstatbestände von der Naturalleistungspflicht auf eine Geldzahlungspflicht existieren. Praktisch bedeutsam sind nur zwei Unterschiede: Einerseits der adequacy-test und andererseits das Fehlen eines Fristsetzungsmechanismus, welcher den Vorrang des Naturalleistungsanspruches materiell-rechtlich sichert. Der adequacy-test schränkt auf den ersten Blick in der Tat die Möglichkeit der Gewährung von specific performance erheblich ein, v.a. weil er das gegenüber dem kontinentalen Recht umgekehrte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Naturalleistung und Schadensersatz verkörpert. Bei näherer Betrachtung dürfte der adequacy-test aber wohl nur diejenigen Fälle ausschließen, in denen sinnvollerweise ohnehin kein rational handelnder Gläubiger auf der Naturalleistung bestehen würde. Im Ergebnis werden auf dieser Ebene daher wohl überwiegend Missbrauchskonstellationen herausgefiltert. Immerhin aber sichert der adequacy-test auch einen Vorrang der Naturalerfüllung durch Dritte auf Kosten des Schuldners (virtual specific performance) vor der eigentlichen Naturalleistung durch den Schuldner, weil auch diese Möglichkeit den Schadensersatz als adequate erscheinen lässt.467 Das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung in Natur mag zwar nach der Dauer der vorprozessualen Auseinandersetzungen nicht mehr gleichermaßen schutzwürdig sein, weil er die Leistung in der Zwischenzeit längst freiwillig hätte erbringen können. Der Nachteil dieses Rangverhältnisses liegt indessen darin, dass der Schuldner sich in den meisten Fällen unmittelbar einer Schadensersatzpflicht ausgesetzt sieht, wenn er das Bestehen des Anspruches bestreitet; er kann also nicht die Rechtskraft des Leistungsurteils abwarten, um danach doch noch in Natur zu erfüllen und die damit verbundenen Vorteile noch zu erzielen. Im Hinblick auf das im common law nicht vorgesehene Fristsetzungserfordernis ist es fraglich, ob dieses Fehlen überhaupt zu einem praktisch (und nicht nur dogmatisch) relevanten Unterschied führt: Auch im Geltungsbereich des common law wird kein vernünftiger Gläubiger unmittelbar nach erfolglosem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes Klage auf Schadensersatz erheben, son467 Vgl.
Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 187.
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dern zunächst – schon im Interesse der Vermeidung unnötiger Prozess- und sonstiger Transaktionskosten – versuchen, den Schuldner zur Erfüllung zu bewegen. Bis der Streit von einem Gericht entschieden wird, hat der Schuldner typischerweise – sofern er nicht die Existenz des Vertrags insgesamt redlicherweise bestreitet – genug Gelegenheit gehabt, seine Naturalleistung zu erbringen, so dass in aller Regel sein Naturalandienungsrecht auch ohne ein ausdrückliches Fristsetzungserfordernis geschützt bleiben dürfte. Dadurch, dass der Gläubiger bei zu langer Untätigkeit auch seinen Naturalerfüllungsanspruch verwirkt,468 ist zudem sichergestellt, dass der Schuldner nicht zu lange über den Fortbestand seines naturalen Leistungsinteresses im Unklaren bleibt. Die wesentlichen Funktionen des deutschen Fristsetzungserfordernisses sind im common law daher auf andere Weise gewahrt.
VII. Zusammenfassung Betrachtet man die historische Entwicklung des Naturalerfüllungsanspruches in Europa, so sind einige immer wiederkehrende Tendenzen erkennbar: Die Konzeption eines klagbaren Naturalerfüllungsanspruches ist zunächst nur dann möglich, wenn das Vollstreckungsrecht und das praktische Vollstreckungswesen eine naturale Vollstreckung erlauben. Hierin liegt der wahre Grund für die Versagung von Naturalleistungsansprüchen, im römischen Formularprozess ebenso wie im frühen common law. Diese Haltung hat ihre Wurzeln im aktio nenrechtlichen Denken: Wer das materielle Recht von den im Prozess zugelassenen Klageformeln her denkt, und zugleich im Vollstreckungsrecht nur die Vollstreckung wegen Geldforderungen kennt, hat es notwendigerweise schwer, eine Vorstellung von Primärrechten auf Naturalleistung zu entwickeln.469 Erst ein „modernes“ Vollstreckungsrecht, das auch für die Vollstreckung von Naturalleistungsurteilen ein hinreichendes Instrumentarium – Zwangsgelder, ggf. auch Ersatzvornahme470 – vorsah, machte die Verurteilung zu einer Naturalleistung sinnvoll. Da aber die wissenschaftliche Entwicklung des Rechts von der gerichtlichen Praxis ausging, und die heute gedachten materiell-rechtlichen Ansprüche ihren Ursprung in den actiones, d.h. den zulässigen Klageformeln haben, waren auch materiell-rechtliche Naturalleistungsansprüche zunächst nicht denkbar: Denn warum sollte ein Anspruch konstruiert werden, der weder vollstreckbar noch einklagbar war? 468
S. oben § 2.VI.2.c)bb) (S. 131 ff.). Vgl. auch G. Schulze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2014, S. 5, 18. 470 Vgl. zur Einordnung der Ersatzvornahme zwischen Vollstreckungsrecht und Schadensersatz statt der Leistung unten § 7.II.3 (S. 437 ff.). 469
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Erster Teil: Grundlagen
Sobald und soweit aber ein staatliches Vollstreckungswesen existierte, das in der Lage war, Naturalerfüllungsansprüche in einer Weise durchzusetzen, die einerseits eine effektive Zwangsvollstreckung nutzte, andererseits aber die Schuldnerfreiheit nicht unverhältnismäßig einschränkte (etwa durch Schuldhaft oder Körperstrafen), gewann die Idee von klagbaren Naturalerfüllungsansprüchen an Boden – sehr früh bei Herausgabeansprüchen, die in der Tat durch Wegnahme der Sache leicht und schonend zu vollstrecken sind, und später bei Ansprüchen auf Handlungen. Das lässt sich bereits aus der Interessenlage der Parteien erklären, der typischerweise die Gewährung eines unbedingten Naturalleistungsanspruches am besten entspricht.471 Diese Interessenlage begründete offenbar über die Jahrhunderte einen starken ökonomischen Druck hin zur Anerkennung von Naturalleistungsurteilen und zur Naturalvollstreckung, der sich letztlich auch in der wissenschaftlichen und später gesetzlichen Anerkennung materiell-rechtlicher Naturalleistungsansprüche niederschlug. Soweit zwischenzeitlich wieder Rückschritte hin zur Favorisierung der Geldkondemnation erfolgten – beispielsweise zur Zeit der Glossatoren und Kommentatoren –, waren diese v.a. durch einen wissenschaftstheoretischen Formalismus von geradezu begriffsjuristischer Rigidität bedingt, der teleologische und ökonomische Sachargumente in den Hintergrund drängte. Sobald aber die jeweils dominante Wissenschaftstheorie die Berücksichtigung teleologischer Gesichtspunkte gestattete, war die Tendenz zur Anerkennung von Naturalleistungsansprüchen nicht aufzuhalten.472 Die Entwicklung hin zur Naturalkondemnation findet ihr Ende erst in den Sachgesetzlichkeiten, die tatsächlich gegen eine Naturalkondemnation sprechen: Diese sind entweder materieller Natur, betreffen also die Sinnlosigkeit der Naturalleistung selbst (Unmöglichkeit, Unwirtschaftlichkeit, Wegfall des Naturalleistungsinteresses des Gläubigers infolge Zeitablaufs), oder folgen aus der praktischen oder rechtlichen Unmöglichkeit ihrer Vollstreckung durch Zwangsmittel ohne Verstoß gegen Grundrechte des Schuldners. Vor diesem historischen und rechtsvergleichenden Hintergrund scheint die immer wieder anzutreffende These473 von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Grundsätze der Naturalerfüllung und der Gelderfüllung nicht überzeugend. Vielmehr stellt sich der Grundsatz der Naturalerfüllung als eine Art höhere Evolutionsstufe des Rechts dar,474 die durch die Überwindung des mate471
S. oben § 1.IV (S. 43 ff.). als Beispiel Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 544 zu einer Rückkehr zur Geldkondemnation im 16./17. Jahrhundert in Frankreich und den Niederlanden im Zuge der sog. „eleganten Jurisprudenz“, die zum antiken römischen Recht zurückkehren wollte. 473 Vgl. etwa Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 83 ff.; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 I 1 (S. 141): „Entscheidung des positiven Rechts, für die es keine ‚a priori‘ richtige Lösung gibt“, freilich mit einer gewissen Sympathie für den Grundsatz der Naturalerfüllung (S. 144 f.); offen auch Kötz, Vertragsrecht, 22012, Rn. 755 f. 474 In dieser Richtung etwa Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 169; vgl. dazu Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 283 f. 472 Vgl.
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riell-rechtlichen Denkens in aktionenrechtlichen bzw. prozessrechtlichen Kategorien und die Entwicklung eines leistungsfähigen Vollstreckungswesens erreicht wurde.475 Rechtsordnungen, in denen dieser Grundsatz nicht voll verwirklicht ist, etwa das common law, scheinen diese Entwicklung noch nicht vollständig nachvollzogen zu haben.476 Diese Erkenntnis sollte vor allem im Kontext internationaler, insbesondere europäischer Vereinheitlichungsbestrebungen berücksichtigt werden: Die Entscheidung zwischen dem Grundsatz der Naturalerfüllung und dem Grundsatz der Gelderfüllung ist keine Entscheidung zwischen zwei gleichwertigen, auf jeweils unterschiedlichen Traditionen beruhenden Grundsätzen, zwischen denen möglicherweise sogar ein Kompromiss gefunden werden könnte (wie dies etwa mit Art. 28 CISG versucht wurde477), sondern eine Entscheidung zwischen Fortschritt und Rückschritt in der historischen Entwicklung des Schuldrechts.478 Gleichzeitig allerdings zeigt die vorstehende Untersuchung auch – und das belegt die Kompromissregelung des Art. 28 CISG schlagend –, dass eine solche Entscheidung nicht allein im materiellen Recht getroffen werden kann, sondern eine Abstimmung von materiellem Recht, Verfahrensrecht und Vollstreckungsrecht voraussetzt. Wo Vollstreckungs- und Verfahrensrecht keine hinreichenden Bestimmungen zur Durchsetzung materiell-rechtlicher Naturalerfüllungsansprüche vorsehen, wäre ein „rein materiell-rechtlicher“ Naturalerfüllungsanspruch zwecklos.
475 Vgl. zur Entwicklung des Rechts als evolutionärem Prozess Henke, Über die Evolution des Rechts, 2010, passim, speziell zum Einfluss ökonomischer Folgen S. 71, 74; aus ökonomischer Sicht etwa Kirchgässner, Homo oeconomicus, 42013, S. 302 ff. 476 Vgl. dazu eingehend Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 196 ff. 477 Vgl. dazu noch unten § 8.I.1 (S. 450). 478 Vgl. auch Katz, 25 IRLE 378, 385 (2005), der – aus dem Blickwinkel der US-amerikanischen Literatur! – den Grundsatz der Naturalerfüllung als „modern thinking“ bezeichnet.
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§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung Der Befund der historisch-rechtsvergleichenden Untersuchung hat – wie schon zuvor die Interessenanalyse – die These nahegelegt, dass der Grundsatz der Naturalerfüllung auf Bedürfnisse der Rechtspraxis zurückgeht, die sich immer dann Bahn brechen, wenn zum einen das Vollstreckungsrecht eine Naturalvollstreckung ohne übermäßige Belastungen des Schuldners ermöglicht und zum anderen die jeweils herrschende Rechtswissenschaftstheo rie die Berücksichtigung von Sachargumenten (im Gegensatz zu autoritätsgläubigen Argumenten) zulässt. Die nachfolgende ökonomische Analyse soll untersuchen, ob der Grundsatz der Naturalerfüllung tatsächlich effizienter ist als der Grundsatz der Gelderfüllung, inwiefern also auch wirtschaftliche Sachgründe vorliegen, die zugunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung streiten und die treibende Kraft hinter den historischen Rechtsentwicklungen sein können.
I. Zur Bedeutung ökonomischer Argumente im Leistungsstörungsrecht Bevor eine vertiefte ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung und seines Gegenstücks, des Grundsatzes der Gelderfüllung, unternommen werden kann, ist zunächst allgemein die Bedeutung der ökonomischen Analyse für die Rechtswissenschaft und speziell für die vorliegende Untersuchung zu erörtern.
1. Erkenntnisziele der ökonomischen Analyse a) Deskriptive ökonomische Analyse Die ökonomische Analyse stellt dem Juristen zunächst ein Analyseinstrumentarium zur Verfügung, d.h. Werkzeuge zur Ermittlung der ökonomischen Auswirkungen von rechtlichen Regelungen (durch Gesetz oder Rechtsprechung). Dies erfolgt zunächst wertungsfrei und ohne Anspruch auf Autorität (sog. de-
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skriptive ökonomische Analyse1) und ist schon aus diesem Grund aus rechtlicher Sicht unbedenklich. Jede zusätzliche Folgenbetrachtung bei Gesetzgebung und Rechtsanwendung dient zunächst einer umfassender informierten und daher meist „richtigeren“ Entscheidungsfindung. Die Beschränkungen dieser Werkzeuge liegen auf der Hand: Die ermittelten Auswirkungen sind nur so valide wie die zugrunde liegenden Modellannahmen, die daher in jedem Fall offen gelegt und einer kritischen Bewertung unterzogen werden müssen. 2 Da typischerweise die empirischen Daten für eine zuverlässige Quantifizierung der ökonomischen Modellannahmen fehlen, ist auch der Aussagegehalt der deskriptiven ökonomischen Analyse beschränkt. Belastbare quantitative Aussagen werden sich daher nur in den seltensten Fällen finden.3 Immerhin aber kann die deskriptive ökonomische Analyse verschiedene Regelungsmodelle im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen vergleichen und damit zumindest relative Aussagen liefern. Diese können jedenfalls einen möglichen Ausgangspunkt für die Bewertung der betreffenden Regelungsmodelle liefern.
b) Normative ökonomische Analyse Ein zweiter, vom ersten unabhängiger Schritt besteht darin, die Effizienz (in einem noch zu ermittelnden Sinne), üblicherweise die größtmögliche Steigerung der Gesamtwohlfahrt, zum Maßstab der Rechtssetzung und Rechtsgewinnung zu machen (sog. normative oder rechtspolitische ökonomische Analyse). Für die Rechtssetzung bedeutet dies das – für sich genommen legitime und verständliche – Ziel, die Verschwendung von Ressourcen in Gestalt volkswirtschaftlicher Reibungsverluste zu vermeiden. Der Gesetzgeber kann sich legitimer Weise bei der Gestaltung der Rechtsordnung ein derartiges Ziel setzen, das i.d.R. neben andere Ziele treten wird: Setzt sich der Gesetzgeber ein bestimmtes inhaltliches Regelungsziel (etwa eine bestimmte Steuerung des Verhaltens der Bürger), so kann er mit den Mitteln der ökonomischen Analyse des Rechts – jedenfalls in der Theorie – evaluieren, ob dieses Ziel durch die zu erlassende Regelung auf effiziente Weise erreicht wird, oder ob zu viele Nebeneffekte eintreten, die durch ein anderes Regelungsmodell vermieden werden können (z.B. Steuerstatt Strafrecht o.ä.). Insoweit ist die ökonomische Analyse ein unbedenkliches Werkzeug der Folgenbetrachtung im Gesetzgebungsprozess, das auch normative Aussagen zur Bewertung einer bestimmten Regelung – etwa im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Eingriffsintensität und Zielerreichung – gestattet.4 1 Vgl.
Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 120 ff. S. dazu unten § 3.III.3.b) (S. 174 ff.). 3 Vgl. etwa zur Beliebigkeit vieler Annahmen zur Höhe von Transaktionskosten Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1005 (2005). 4 S. etwa Kirchgässner, Homo oeconomicus, 42013, S. 247 ff. 2
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Erster Teil: Grundlagen
Das Effizienzziel kann aber auch vom Gesetzgeber zum alleinigen oder jedenfalls stark vorrangigen Maßstab der Gesetzesgestaltung erhoben werden. Das liegt insbesondere im (dispositiven) Vertragsrecht nahe, wo die Aufgabe der Rechtsordnung darin besteht, die Vereinbarungen der Parteien umzusetzen, ihnen also zur Geltung zu verhelfen. Geht man von der Prämisse aus, dass eine von den Parteien übereinstimmend gewollte Regelung im Ausgangspunkt effizient ist, also der Steigerung der Gesamtwohlfahrt dient,5 so liegt es nahe, die dispositiven vertragsergänzenden Regelungen am selben Effizienzziel zu orientieren. Sie wären dann allein (oder doch zumindest vorrangig) daran zu messen, ob sie in der Lage sind, das von den Parteien Gewollte ohne vermeidbare Reibungsverluste umzusetzen.6 Soweit hier in der Literatur ein inhaltlicher Widerspruch zwischen konsequenzialistisch orientierter ökonomischer Analyse und moralischen Ansprüchen (bzw. Gerechtigkeitsansprüchen) an das Vertragsrecht behauptet wird,7 liegt dem die implizite Annahme zugrunde, die Erfüllung der Gebote der Moral (bzw. der Ethik oder der Gerechtigkeit) sei ineffizient. Diese Annahme wäre allerdings erst zu beweisen; ob sie zutrifft oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, einerseits welcher Effizienzbegriff, und andererseits welche Vorstellungen von Moral, Ethik oder Gerechtigkeit angelegt werden.8 Berücksichtigt man bei der ökonomischen Analyse auch Fernwirkungen rechtlicher Regelungen über den Kontext eines einzelnen Geschäfts hinaus, insbesondere Vertrauensverluste bei der Gesamtheit der Marktakteure, so dürften sich Effizienzziel und moralische Vorstellungen von Gerechtigkeit häufig sehr stark annähern. Diese umfassende Sicht auf ökonomische Nah- und Fernwirkungen wird vernachlässigt, wenn der ökonomischen Analyse vorgeworfen wird, sie stelle die kurzfristige Effizienz – häufig noch als egoistisches Verhalten Einzelner verstanden – über moralische Erwägungen. Betrachtet man jedoch die langfristigen Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt, so wirkt sich übermäßig egoistisches Verhalten Einzelner zulasten Dritter bzw. der Allgemeinheit zum einen bereits in einer negativen Entwicklung der Gesamtwohlfahrt gerade durch die Belastung Außenstehender, und zudem regelmäßig in negativen Reputationseffekten zulasten dieser Einzelnen aus.9 Es ist also gerade nicht effizient im Sinne einer Gesamtbetrachtung. Ein deutliches Beispiel für die Integration solcher Fernwirkungen ist die Folgenbetrachtung bei der sog. Lehre vom effizienten Vertragsbruch, auf die noch unten einzugehen ist.10 5
Vgl. dazu näher unten § 3.III.1 (S. 165). Vgl. auch R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 2.2 (S. 24 f.). 7 Vgl. etwa die Fundamentalkritik bei Kennedy, 33 Stanford L. Rev. 387 (1981). 8 Vgl. dazu auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 128 f. 9 Interessanterweise hängen die negativen Reputationseffekte gerade davon ab, inwiefern das egoistische Verhalten gesellschaftlich als unmoralisch empfunden wird, so dass auf diese Weise die allgemeinen Moralvorstellungen unmittelbare Auswirkungen auf die Effizienzbetrachtung haben. 10 S. unten § 3.III.3 (S. 173 ff.), insbesondere § 3.III.3.d)dd) (S. 187 f.) und § 3.IV.2.h) (S. 207). 6
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Eine wesentliche Schwäche im Hinblick auf Gerechtigkeitserwägungen hat allerdings das gängig formulierte und in vielen ökonomischen Untersuchungen zugrunde gelegte Effizienzkriterium nach Kaldor/Hicks:11 Dieses geht davon aus, dass die Verteilung der Güter auf die einzelnen Marktakteure ökonomisch neutral ist, dass also die bloße Verschiebung eines Gutes von einem Akteur auf einen anderen – vorbehaltlich etwaiger Transaktionskosten – effizienzneutral ist. Ein solcher Effizienzbegriff kann in der Tat keinen uneingeschränkten normativen Vorrang beanspruchen; seine Ergebnisse sind gewissermaßen einer Gerechtigkeitskontrolle zu unterziehen, bevor ihnen ggf. normative Kraft zugesprochen werden kann.12 Das ist sicher ein Defizit des verwendeten Effizienzbegriffes, spricht aber nicht fundamental gegen die ökonomische Analyse, sondern zunächst nur gegen den verwendeten Effizienzbegriff. Hieraus folgt die im Folgenden zugrunde gelegte Stellung der normativen ökonomischen Analyse: Die mit Hilfe der Werkzeuge der ökonomischen Analyse vorgenommene Betrachtung der Auswirkungen eines bestimmten Regelungsmodells ist für den Gesetzgeber ein wesentliches Entscheidungskriterium, das seine Entscheidungen jedenfalls insoweit beeinflussen sollte, als Effizienznachteile einer bestimmten Regelung zumindest gesehen und gegen etwaige andere Wertungen – die sich z.B. aus Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit ergeben können – abgewogen werden sollten.13 Im allgemeinen Vertragsrecht werden allerdings häufig keine derartigen Gesichtspunkte existieren, die zur Rechtfertigung ineffizienter Lösungen dienen könnten. Denn das allgemeine Vertragsrecht ist typischerweise ungeeignet, um Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit zu verwirklichen, weil seine Wirkungen die Vertragsparteien unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrer Vermögenssituation treffen.14
2. Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts Die ökonomische Analyse muss sich innerhalb bestimmter Modelle von der wirtschaftlichen Realität bewegen. Diese Modelle sind zwangsläufig nur grobe Abbildungen der tatsächlichen Welt und basieren ihrerseits auf bestimmten Annahmen, etwa über das Verhalten der Marktakteure unter bestimmten Einflüssen:15 Werden die Akteure ausschließlich ihren persönlichen Nutzen maximieren oder werden sie altruistisch handeln? Wie gehen sie mit Prognoseunsicherheiten um: Ziehen sie den gegenwärtigen geringeren, aber sicher eintretenden 11
Vgl. dazu sogleich unten § 3.II.1.b) (S. 157 ff.). Vgl. eingehend unten § 3.II.1.b) (S. 157 ff.). 13 Ähnlich auch Tröger, AcP 212 (2012), 296, 306. 14 Vgl. dazu auch Honsell, FS Mayer-Maly, 2002, S. 287, 294, 296 u.ö.; Canaris, Iustitia distributiva, 1997, S. 125 ff.; Wagner, ZEuP 2006, 180 ff.; krit. Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 32009, S. 228 ff. 15 S. hierzu eingehend Kirchgässner, Homo oeconomicus, 42013, S. 12 ff. 12
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Vorteil einem späteren, nur möglicherweise eintretenden, dafür aber größeren Vorteil vor? Werden sie überhaupt rational handeln oder ihre Entscheidungen von gänzlich „unökonomischen“ Erwägungen leiten lassen?16 Eine Effizienzbetrachtung setzt zudem eine Kostenanalyse voraus, die wiederum von den tatsächlichen Gegebenheiten abhängt und eine Quantifizierung voraussetzt: Wie teuer ist die Neuverhandlung eines Vertrags nach erfolgtem Vertragsbruch tatsächlich? Wie ist der Verlust des Vertrauens des gesamten Rechtsverkehrs in die Wirksamkeit abgeschlossener Verträge monetär zu bewerten? Um wie viel ist die zwangsweise durchgesetzte Erfüllung eines Dienstvertrags qualitativ schlechter (und daher weniger wert) als die freiwillige Erfüllung? Legt man sich in diesen Fragen fest und definiert in dieser Weise das zugrunde gelegte ökonomische Modell, so kann die ökonomische Analyse in der Tat Aussagen zur Effizienz bestimmter Regelungsansätze treffen. Die Geltung der Aussagen beschränkt sich aber auf das jeweils verwendete Modell;17 sie sind nicht mit Aussagen vergleichbar, die auf der Basis eines anderen Modells gemacht wurden, und sie können insbesondere keinen Anspruch auf empirische Wahrheit erheben.18 Die Folge hieraus muss zunächst sein, dass die zugrunde gelegten Modellannahmen offengelegt werden, und dass die ökonomischen Schlussfolgerungen im Wissen um ihre Abhängigkeit von diesen Annahmen gezogen und dargestellt werden. Vergleichbar sind die Schlussfolgerungen dann nur mit anderen Schlussfolgerungen aufgrund derselben Modellannahmen; widersprüchliche Folgerungen haben ihre Ursache dagegen meist in abweichenden Modellannahmen, die nicht offengelegt wurden. Bei Berücksichtigung dieser Einschränkungen bleiben ökonomische Aussagen jedoch möglich und sinnvoll.
3. Verhältnis zur teleologischen Argumentation Legt der Gesetzgeber einer gesetzlichen Regelung – explizit oder implizit – ökonomische Effizienzerwägungen zugrunde, so werden diese Erwägungen zum Gesetzeszweck und bestimmen über den Weg der teleologischen Interpretation auch die Rechtsanwendung. Insbesondere im Vermögensrecht kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber der Verschwen-
16
Vgl. zur hiermit angesprochenen Verhaltensökonomie allgemein Sunstein (Hrsg.), Behavioral law and economics, 2000; Englerth, in: C. Engel/Englerth/Lüdemann u.a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, 2007, S. 60 ff., speziell zum Schuld- bzw. Vertragsrecht Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff.; Korobkin, in: Sunstein (Hrsg.), Behavioral law and economics, 2000, S. 116 ff. 17 Grundsätzlich krit. gegenüber der ökonomischen Analyse des Rechts daher etwa Rittner, JZ 2005, 668, 669 f.; von Hayek, Rechtsordnung und Handelnsordnung, 2003, S. 13, 111, 116. 18 Vgl. zur Unbeweisbarkeit der zugrunde liegenden Annahmen auch Kirchgässner, Homo oeconomicus, 42013, S. 207 ff.
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dung von Ressourcen entgegenwirken will.19 Wie sich an zahlreichen Einzelregelungen nachweisen lässt, haben ökonomische Erwägungen – im Sinne einer Vermeidung von Ressourcenverschwendungen bzw. einer Effizienzorientierung – in das Vermögensrecht des BGB Eingang gefunden, auch wenn dies vom Gesetzgeber selten explizit gemacht wird. So verfolgt etwa § 275 Abs. 2 BGB offenkundig den Zweck, ineffiziente Leistungsanstrengungen zu verhindern, die beim Gläubiger keinen äquivalenten Vorteil bewirken. 20 Die Regelung der Fristsetzung in § 281 BGB lässt sich dadurch erklären, dass der Gläubiger mit der Fristsetzung zum Ausdruck bringen kann, wie weit sein Interesse an der Naturalerfüllung in zeitlicher Hinsicht reicht, d.h. ab wann es für ihn vorteilhafter ist, zu einem Deckungsgeschäft zu schreiten; diese Offenlegung von Informationen, die bei Vertragsschluss sinnvollerweise noch vor dem Schuldner geheim gehalten werden, ist unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoll, weil sie dem Schuldner ermöglicht, eine informierte Entscheidung über die Sinnhaftigkeit weiterer Naturalleistungsanstrengungen zu treffen. In diesen Fällen entspricht es allgemeinen Grundsätzen teleologischer Rechtsanwendung, wenn vergleichbare ökonomische Erwägungen auch bei der Auslegung und Anwendung des geschriebenen Rechts zugrunde gelegt werden. 21 Auf diese Weise führt die teleologische Argumentation im Vermögensrecht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung typischerweise jedenfalls zu einer Vermutung für die Maßgeblichkeit des Effizienzkriteriums. 22 Das bedeutet aber keineswegs, dass Ergebnisse der ökonomischen Analyse unbesehen über den Umweg des teleologischen Arguments die rechtlich richtige Lösung vorgeben. 23 Vielmehr steht es dem Gesetzgeber nach dem oben Ausgeführten frei, auch ökonomisch suboptimale Lösungen aus anderen Gründen (etwa verteilungspolitischen Erwägungen) zu wählen; eine solche Wahl ist für den Rechtsanwender verbindlich und muss auch im Rahmen der teleologischen Auslegung konsequent weitergedacht werden – ggf. entgegen ökonomischer Präferenzen.24
II. Grundbegriffe Vor der ökonomischen Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung sind einige Grundbegriffe zu klären. 19
Vgl. etwa Tröger, ZVglRWiss 107 (2008), 383, 417. nur NK-BGB/Dauner-Lieb, § 275 Rn. 38 ff., 45 sowie näher unten § 5.IV.1.a) (S. 325 ff.). 21 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 31995, S. 204 ff. 22 Zur Aufgabe des Vertragsrechts aus Sicht der Ökonomie vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 136 ff. 23 Vgl. dazu eingehend Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 143 ff. 24 So auch Kirchner, FS Schäfer, 2008, S. 37, 46; F. Kübler, FS Steindorff, 1990, S. 687, 697 f. 20 Vgl.
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1. Allokationseffizienz Das Kernproblem der ökonomischen Analyse des Rechts ist es, ökonomische Kriterien für die Bestimmung und Bewertung von Zuständen zu definieren. Das abstrakte Ziel der ökonomischen Analyse besteht dabei im weitgehend konsentierten Ansatzpunkt darin, die Auswirkungen auf die „Gesamtwohlfahrt“ zu bestimmen, bzw. (für die normative ökonomische Analyse) zu optimieren. Was allerdings unter „Gesamtwohlfahrt“ zu verstehen und wie deren Verbesserung zu ermitteln ist, ist sehr problematisch, wenn man einerseits subjektive Werturteile des Betrachters vermeiden und andererseits in der Tradition liberalen Denkens auf die subjektiven Bewertungsmaßstäbe der betroffenen Individuen abstellen möchte. 25 Denn dann müsste die Gesamtwohlfahrt anhand der subjektiven Bewertung der Situation (und ihrer Veränderung) durch alle einzelnen Betroffenen bestimmt werden. Eine Veränderung könnte – ohne Rückgriff auf Werturteile des Betrachters – danach nur dann als Verbesserung bezeichnet werden, wenn jeder einzelne Betroffene ihr hypothetisch zustimmen würde.26 Eine solche Lösung ist aber in der Praxis selbstverständlich undurchführbar. Daher wurden in der ökonomischen Theorie andere Modelle zur Ermittlung der Gesamtwohlfahrt und ihrer Steigerung entwickelt; die wichtigsten sind das Pareto-Kriterium und das Kaldor-Hicks-Kriterium. Beide Kriterien dienen dem Ziel, eine effiziente Allokation von Ressourcen zu bestimmen. Eine Wohlfahrtssteigerung bei gleichbleibender Menge der Gesamtressourcen erfolgt dadurch, dass Ressourcen zu derjenigen Person transferiert werden, die daraus den größten Nutzen ziehen kann. Beide Kriterien dienen also der Bestimmung der Allokationseffizienz, indem verschiedene Zustände darauf hin verglichen werden, in welchem Zustand die Güterzuordnung im Interesse des Gesamtwohls effizienter ist.
a) Das Pareto-Kriterium Der italienische Ökonom Vilfredo Pareto (1848–1923) entwickelte eine einfache Entscheidungsregel zur Beantwortung der Frage, ob ein Zustand A besser ist als ein Zustand B. Diese Entscheidungsregel kommt ohne Werturteile aus und ermöglicht auch den Vergleich von inkomparablen Umständen, die keinen gemeinsamen Bewertungsmaßstab haben und daher nicht ohne subjektive Bewertungen des Betrachters miteinander verglichen werden können. Nach dem Pareto-Kriterium stellt ein Zustand A gegenüber einem anderen Zustand B eine Verbesserung dar, wenn im Zustand A mindestens eine der be25
Vgl. dazu eingehend Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 32009, S. 47 ff. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 12; s. zum Verhältnis von Konsens und objektiver „Richtigkeit“ auch Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 167 ff. 26 Vgl.
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troffenen Parteien besser steht als im Zustand B, während keine der anderen betroffenen Parteien schlechter steht als im Zustand B.27 In einer subjektivierenden Formulierung bedeutet das Pareto-Kriterium, dass der Zustand A gegenüber dem Zustand B insgesamt vorzugswürdig ist, wenn mindestens eine betroffene Partei den Zustand A dem Zustand B vorziehen würde, während alle übrigen Betroffenen zwischen beiden Zuständen indifferent sind. Das Pareto-Kriterium verzichtet also auf eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen einer Zustandsänderung auf die Gesamtgesellschaft und akzeptiert nur solche Änderungen als Verbesserung, die für keinen Betroffenen eine (noch so geringe) Verschlechterung darstellen. Dementsprechend wird ein Zustand als Pareto-optimal bezeichnet, wenn eine Verbesserung des Zustandes einer Partei nur noch durch die Verschlechterung des Zustandes einer anderen Partei möglich ist. Wiederum kommt es nicht darauf an, ob die Verschlechterung des Zustandes einer Partei schwerer wiegt als die Verbesserung des Zustandes der anderen Partei. Trotz der Abhängigkeit des Pareto-Kriteriums von der Zustimmung (oder zumindest Indifferenz) aller Beteiligten, die auf ein Vetorecht jedes einzelnen Betroffenen hinausläuft, 28 hat das Pareto-Kriterium im Vertragsrecht eine erhebliche Bedeutung. Denn Verträge werden von rationalen Akteuren 29 nur geschlossen, wenn ihre Durchführung auf beiden Seiten eine Verbesserung des Zustandes herbeiführt. Unter der Voraussetzung, dass die Durchführung keine negativen Auswirkungen auf Dritte hat, führt ein – freiwilliger und rationaler – Vertragsschluss bzw. die Durchführung dieses Vertrags daher stets zu einer Pareto-Verbesserung.30
b) Das Kaldor-Hicks-Kriterium Freilich ermöglicht das Pareto-Kriterium keine Feststellung des idealen Optimums für die Gesamtgesellschaft, denn ein Pareto-optimaler Gesamtzustand könnte – wenn man eine Kompensation von Nachteilen der einen durch Vorteile der anderen Betroffenen zulässt – durchaus noch verbessert werden, wenn die Summe aller Verbesserungen zugunsten eines Teils der Betroffenen größer ist als die Summe der Verschlechterungen zulasten des anderen Teils der Betroffenen. Derartige Situationen können (und sollen) durch das Kriterium der Pareto-Optimalität nicht erfasst werden, weil die weitere Optimierung hier eine Bewertung der einander gegenüber stehenden Vor- und Nachteile voraussetzt, 27 Vgl.
28 Vgl.
R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 1.2 (S. 12 f.). H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012,
S. 13. 29 Vgl. zum ökonomischen Menschenbild des „REMM“ (resourceful, evaluative, maxi mizing man) nur Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 32005, S. 28 ff. 30 Vgl. etwa Köndgen/von Randow, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 122, 125 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 32005, S. 48.
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die nicht immer objektiv möglich ist. Nur das Kriterium der Pareto-Optimalität ist in der Lage, ein Optimum ohne subjektive – und damit im Verdacht der Willkür stehende – Bewertungen des Betrachters zu bestimmen. Andererseits setzt eine weitere Optimierung bei rein monetären oder zumindest in Geld konvertierbaren Vor- und Nachteilen keine (willküranfällige) Bewertung der Vor- und Nachteile voraus. Die Ökonomen Kaldor und Hicks haben daher vorgeschlagen, den Begriff des Optimums um eine derartige Vergleichsrechnung zu erweitern. Nach dem von ihnen entwickelten sog. Kaldor-Hicks-Kriterium ist ein Zustand A auch dann einem Zustand B vorzuziehen, wenn zwar eine Verbesserung zugunsten einer Partei eine Verschlechterung zulasten anderer Betroffener nach sich zieht, bei Verrechnung aller Verbesserungen und Verschlechterungen aber noch ein Überschuss im Sinne einer Gesamt-Verbesserung verbleibt; darauf, ob die Verschlechterungen tatsächlich im Einzelnen durch die Verbesserungen kompensiert werden, die benachteiligten Beteiligten also für ihre Nachteile von den Bevorzugten entschädigt werden, kommt es dabei nicht an.31 Es handelt sich also um eine strikt rechnerische Betrachtungsweise, die auf Gesichtspunkte der Fairness oder der Verteilungsgerechtigkeit keine Rücksicht nimmt. Im privaten Vermögensrecht, speziell im Leistungsstörungs- und Haftungsrecht kann das Kaldor-Hicks-Kriterium jedoch wichtige Aufgaben erfüllen, weil hier Fragen der Verteilungsgerechtigkeit richtigerweise keine Rolle spielen, da im Vorhinein nicht abstrakt feststeht, wen (oder auch nur welche soziale Gruppe) die Nachteile aus der Anwendung einer Regel treffen werden.32 Vielmehr treffen die Vor- und Nachteile vertragsrechtlicher Regelungen grundsätzlich alle Personen zufällig in ihrer Rolle als Gläubiger oder Schuldner, ohne dass eine bestimmte soziale Gruppe typischerweise häufiger als Gläubiger oder als Schuldner auftritt.33 Verteilungspolitische Effekte können mit den Mitteln des privaten Leistungsstörungs- und Haftungsrechts nicht erzielt werden und können daher auch bei der ökonomischen Analyse dieser Regeln außer Betracht bleiben.34 Beachtlich bleiben dagegen Fairness-Argumente, die ethischer Natur sind und dem konsequenzialistischen Denken im Privatrecht Grenzen setzen können. Das Kaldor-Hicks-Kriterium kann daher nicht unbesehen zur abschlie31 Vgl. etwa Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 127 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 32005, S. 51 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 19 ff.; R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 1.2 (S. 13); Cooter/ Ulen, Law & economics, 62013, S. 42. 32 S. oben § 3.I.1.b) (S. 151 ff.) bei und in Fn. 14. 33 Vgl. zu diesem Argument H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 23. 34 So auch H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 18 f., 23 f.; Ott, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 25, 31.
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ßenden Bewertung rechtlicher Regelungen eingesetzt werden; es gibt aber zumindest die ökonomisch-konsequenzialistische Bewertung zutreffend wieder, welche dann einer Überprüfung anhand ethischer Fairness-Erwägungen bedarf.35
2. Das Coase-Theorem Auf der Basis der Annahme, dass die Durchführung freiwillig und rational abgeschlossener Verträge stets zu einer Pareto-Verbesserung (und damit zu einer effizienteren Ressourcenallokation) führt,36 hat Ronald Coase in seinem grundlegenden Aufsatz „The Problem of Social Cost“ das nach ihm benannte Coase-Theorem aufgestellt.37
a) Effizienzthese und Invarianzthese Nach diesem Theorem führt die Ermöglichung des Abschlusses und der Durchführung von Verträgen zu einer ständigen (Pareto-)Verbesserung der Ressourcenallokation. Die Gewährung von Vertragsfreiheit allein führt damit schon zu einer stetigen Pareto-Optimierung.38 Gedankliche Voraussetzung für einen derartigen „freien Fluss“ der Ressourcen an den Ort, an dem sie den größten Nutzen erzielen, ist jedoch die Abwesenheit von Transaktionskosten: Sowohl der Abschluss von Verträgen (einschließlich der Vertragsverhandlungen) als auch deren Durchführung müssen gewissermaßen „reibungsfrei“ verlaufen können, damit die möglichen Potenziale für eine Pareto-Verbesserung tatsächlich genutzt werden können. Unter dieser Annahme können aus dem Coase-Theorem Folgerungen abgeleitet werden, die trotz der offensichtlichen Realitätsferne seiner Voraussetzungen39 von großer theoretischer Bedeutung sind: Zum einen folgt daraus, dass die Ressourcen am Markt gewissermaßen automatisch durch Transaktionen dorthin bewegt werden, wo sie den höchsten Nutzen erzielen, d.h. wo sie subjektiv am höchsten bewertet werden; die effiziente Ressourcenallokation ergibt sich also von selbst (sog. Effizienzthese). Und zum anderen kann daraus abgeleitet werden, dass die Erzielung einer effizienten Ressourcenverteilung einerseits von der anfänglichen Ressourcenverteilung und andererseits auch von der Ge35 Ähnlich auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 128 f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 32005, S. 54 ff. 36 Vgl. soeben § 3.II.1.a) (S. 156 f.) a.E. 37 Vgl. Coase, 3 J. Law & Econ. 1 (1960); s. dazu auch Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit?, 32009, S. 71 ff. 38 Vgl. dazu auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 32005, S. 61. 39 Dies erkennt auch Coase selbst an, vgl. ders., 3 J. Law & Econ. 1, 15 (1960): „This is, of course, a very unrealistic assumption.“
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staltung der Rechtsordnung unabhängig ist (sog. Invarianzthese). Denn selbst wenn die Rechtsordnung die Ressourcen anfänglich oder nachträglich in ineffizienter Weise zuordnen sollte, würden doch die Marktmechanismen wieder dafür sorgen, dass die Ressourcen an den Ort bewegt werden, wo sie den größten Nutzen bewirken. Selbst wenn also etwa eine Sache durch ein Gerichtsurteil derjenigen Partei zugewiesen würde, die aus der Sache den geringeren Nutzen zieht, würde doch die andere Partei ihr die Sache wieder abkaufen, wenn sie selbst sie höher bewertet.40 Weder die anfängliche noch die nachträgliche Güterverteilung noch überhaupt die Ausgestaltung der Rechtsordnung – abgesehen von der Ermöglichung und Durchsetzung von Verträgen – können dies verhindern.41
b) Die Transaktionskostentheorie Praktische Bedeutung erlangt das Coase-Theorem vor allem durch einen Umkehrschluss: Das Fehlen von Transaktionskosten ist unabdingbare Voraussetzung für den „freien Fluss“ der Ressourcen an den Ort, an dem sie den größten Nutzen bringen; umgekehrt verhindert dann aber die Existenz von Transaktionskosten in der realen Welt genau diesen freien Fluss, weil Transaktionen dann nur noch dann vorgenommen werden, wenn der Gesamtgewinn beider Parteien größer ist als die durch die Transaktion verursachten Kosten für die Suche nach einem Vertragspartner, Vertragsverhandlungen, ggf. Rechtsdurchsetzung u.ä.42 Damit unterbleiben Transaktionen, die eigentlich zu einer Pareto-Verbesserung führen würden, weil der zu erzielende Gewinn die Transaktionskosten nicht überschreitet. Dann aber fällt nicht nur die Effizienzthese, sondern auch die Invarianzthese des Coase-Theorems: Die anfängliche oder nachträgliche Zuordnung von Ressourcen durch die Rechtsordnung hat dann durchaus Auswirkungen auf die Möglichkeit, das Pareto-Optimum zu erreichen:43 Gerade in Bereichen, in denen Transaktionskosten typischerweise sehr hoch sind und außer Verhältnis zu den durch die jeweiligen Transaktionen bewirkten Pareto-Verbesserungen stehen, sind die Marktmechanismen nicht mehr tauglich, um tatsächlich Pareto-effiziente Zustände herbeizuführen. Das lenkt den Blick auf die staatlichen Institutionen, im vorliegenden Zusammenhang also insbesondere auf das Rechtssystem einschließlich des Gerichtswesens. Denn deren Ausgestaltung ist in doppelter Hinsicht für die Allokationseffizienz relevant: Einerseits inhaltlich durch die Zuweisung bestimm40 Vgl.
Coase, 3 J. Law & Econ. 1, 15 (1960). im Kontext der Entscheidung zwischen Natural- und Gelderfüllungsgrundsatz auch Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 538 f. 42 Vgl. hierzu ausführlich Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 32003, S. 53 ff., insbesondere 57 ff. 43 Vgl. Coase, 3 J. Law & Econ. 1, 19 ff. (1960). 41 Vgl.
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ter Rechtspositionen, die durch Markttransaktionen wegen evtl. prohibitiver Transaktionskosten nicht in jedem Fall revidiert werden kann, und andererseits prozedural durch die Gestaltung des Ablaufs der Transaktionen selbst, insbesondere also durch das Vertragsrecht, wo eine Minimierung der Reibungsverluste durch Transaktionskosten dazu führen kann, dass mehr Pareto-verbessernde Transaktionen stattfinden. Diesen Fragen widmet sich die Transaktionskostentheorie, die daher insbesondere für die ökonomische Analyse des Vertrags- und Vermögensrechts von großer Bedeutung ist.44
3. Property rules und liability rules Im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Natural- und Gelderfüllung ist auf eine fundamentale Kategorisierung von Rechtsregeln hinzuweisen, die 1972 von den amerikanischen Autoren Calabresi und Melamed entwickelt wurde:45 Die Unterscheidung zwischen „property rules“ und „liability rules“. Während eine property rule dem Rechtsinhaber ein Abwehrrecht (in Natur) gegen ungewollte Eingriffe Dritter gewährt, gibt eine liability rule dem Inhaber im Falle eines Eingriffs kein Abwehrrecht, sondern lediglich einen Ersatzanspruch in Geld (entsprechend dem Grundsatz „dulde und liquidiere“).46 Die Unterscheidung wurde ursprünglich anhand von Beispielen aus dem Sachenund Umweltrecht entwickelt,47 aber schon bald auf die Unterscheidung zwischen den vertraglichen Ansprüchen auf Naturalerfüllung und Gelderfüllung übertragen.48 Die Terminologie der deutschen Übersetzungen ist insoweit uneinheitlich: Manche Autoren sprechen von der Gegenüberstellung von „Verfügungsrechten“ (property rights) und „Haftungsrechten“ (liability rights),49 andere von „Eigentumsregeln“ (property rules) und „Haftungsregeln“ (liability rules).50 Zur Vermeidung vorschneller Fehlschlüsse auf etablierte Institute des deutschen Rechts (Eigentum oder Verfügung) wird im Folgenden die englische Termi44 Vgl. dazu etwa Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 133 ff. mit umfangreichen Nachweisen sowie aus der ökonomischen Literatur den Überblick bei Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 32003, S. 55 ff. 45 Vgl. Calabresi/Melamed, 85 Harv. L. Rev. 1089 (1972). 46 Die dritte Kategorie, die Calabresi/Melamed, 85 Harv. L. Rev. 1089 (1972) entwickeln, betrifft unveräußerliche Rechte (inalienability), die im vorliegenden Kontext ohne Bedeutung sind, da vertragliche Rechte und sonstige schuldrechtliche Ansprüche stets veräußerlich (im Sinne von „jedenfalls nachträglich durch Vertrag disponibel“) sind. 47 Vgl. Calabresi/Melamed, 85 Harv. L. Rev. 1089 (1972); s. auch Cooter/Ulen, Law & economics, 62013, S. 95 ff. 48 Vgl. Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351 (1978); s. dazu auch Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 558 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 225 ff. 49 Vgl. Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 558. 50 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 226.
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nologie beibehalten; Rechtspositionen, die durch eine property rule geschützt werden, sollen property rights genannt werden, solche, die lediglich durch eine liability rule geschützt werden, liability rights.
a) Ökonomische Begründung der Unterscheidung und Folgerungen Geht man nach dem Coase-Theorem von der Unerheblichkeit der ursprünglichen Rechtszuweisung aus, weil sich – abgesehen von den Transaktionskosten – die optimale Verteilung der Rechte stets im Verhandlungswege ergeben würde,51 so wäre die Unterscheidung zwischen property rights und liability rights nicht nötig:52 Erweist sich ein Eingriff in ein fremdes Recht als erforderlich, so müssen Eingreifer und Rechtsinhaber über die Zulassung des Eingriffs verhandeln. Ein rational handelnder Rechtsinhaber wird dem Eingriff zustimmen, wenn der Eingreifer ihm einen Ausgleich in der Höhe anbietet, die ihm der Verzicht auf seine Rechtsposition wert ist. Ob die Rechtsordnung die konkrete Rechtsposition als property right oder als liability right ausgestaltet hat, ist für das Verhandlungsergebnis unerheblich, weil der Ausgleichsbetrag, der im Falle eines bloßen liability right zu bezahlen wäre, gerade dem Preis entspricht, den der Rechtsinhaber für den Verzicht auf ein property right verlangen würde. Berücksichtigt man allerdings die praktische Möglichkeit und die Transaktionskosten von Verhandlungen zwischen Rechtsinhabern und Eingreifern, so ändert sich das Bild erheblich: Wenn Verhandlungen zwischen den Parteien aus praktischen Gründen nicht möglich sind, etwa weil – im Umweltrecht – eine unübersehbar große Zahl von Rechtsinhabern betroffen ist, oder weil der Eingriff nicht planmäßig, sondern fahrlässig erfolgt, so dass vorherige Verhandlungen über dessen Zulassung nicht möglich sind, oder wenn die Transaktionskosten derartiger Verhandlungen prohibitiv hoch sind, dann würde sich ein property right faktisch als Eingriffssperre auswirken, weil der Eingreifende keine praktische Möglichkeit hat, dem Rechtsinhaber sein Recht abzuhandeln. Die Gewährung eines bloßen liability right würde dagegen den Eingriff – gegen entsprechende Kompensation im Nachhinein – gestatten. Akzeptiert man danach die Prämisse, dass ein Eingriff in eine Rechtsposition unter bestimmten Umständen effizient sein kann – was etwa daraus gefolgert werden kann, dass der Inhaber der Rechtsposition dem Eingriff gegen eine bestimmte Kompensationsleistung zustimmen würde –, so kann daraus geschlossen werden, dass die Gewährung eines bloßen liability right in denjenigen Fällen effizienter ist als die Gewährung eines property right, in welchen die Transaktionskosten für entsprechende Verhandlungen zwischen den Parteien hoch sind und sich die Höhe der angemessenen Kompensationsleistung auch ohne Zutun des Rechtsinhabers 51
S. dazu oben § 3.II.2 (S. 159 ff.). hierzu auch Coleman/Kraus, 95 Yale L. J. 1335, 1335 f. (1986); Cooter/Ulen, Law & economics, 62013, S. 99. 52 Vgl.
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leicht bestimmen lässt. Umgekehrt ist die Gewährung eines property right effizienter, wenn einerseits die Transaktionskosten für Verhandlungen zwischen den Parteien über die freiwillige Aufgabe des Rechts niedrig sind und andererseits der Schaden schwer zu quantifizieren ist.53
b) Übertragung auf das Leistungsstörungsrecht Aus diesem Ansatz können auch Erkenntnisse für das vertragliche Leistungsstörungsrecht, insbesondere im Hinblick auf die Gewährung von Naturalleistungsansprüchen gewonnen werden.54 Der Anspruch auf Naturalerfüllung einschließlich der damit verbundenen Möglichkeit des Naturalleistungszwanges entspricht dabei einem property right auf die vertragliche Leistung, die Beschränkung auf einen Geldleistungsanspruch im Falle einer Vertragsverletzung einem bloßen liability right. Geht man von den eben ausgeführten ökonomischen Präferenzregeln zwischen beiden Kategorien aus, so sprechen jedenfalls im Vertragsrecht die Effizienzerwägungen für die Schaffung einer property rule des Gläubigers auf die Naturalleistung, also eines durchsetzbaren Erfüllungsanspruches. Denn Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger über einen Verzicht des Gläubigers auf seinen Anspruch sind einfach möglich, da lediglich die beiden Vertragsparteien betroffen sind, die bereits in Kontakt miteinander stehen, so dass die Transaktionskosten derartiger Verhandlungen verhältnismäßig gering sein dürften. Zugleich ist der Schaden des Gläubigers infolge der Nichterfüllung für einen außenstehenden Richter nicht einfach zu ermitteln: Zwar lässt sich bei marktgängigen Gütern zumindest der Substanzausfallschaden anhand des Marktpreises bestimmen; bei nicht marktgängigen Gütern oder bei Einzelstücken ist schon dies nicht mehr ohne weiteres möglich. Vor allem aber ist der Ertragsausfallschaden von der Verwendungsplanung des Gläubigers abhängig, die dem Gericht zum einen nicht bekannt und zum anderen auch nicht in jedem Fall mit der beweisrechtlich erforderlichen Überzeugungskraft ermittelbar ist, insbesondere wenn die Verwendungsplanung selbst spekulativ ist. Diese Erwägungen sprechen für die Favorisierung einer property rule. Dabei ist allerdings zu beachten, dass weder historisch noch vergleichend Rechtsordnungen eine reine und ausschließliche Naturalerfüllungspflicht vorsehen; jede Rechtsordnung, die überhaupt einen durchsetzbaren Naturalleistungsanspruch gewährt, hält zugleich Übergangstatbestände bereit, die dem 53 Vgl. Calabresi/Melamed, 85 Harv. L. Rev. 1089, 1125 f. (1972); Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351, 352 (1978); Coleman/Kraus, 95 Yale L. J. 1335, 1336 f. (1986); Cooter/Ulen, Law & economics, 62013, S. 99 ff.; aus vertragsrechtlicher Perspektive auch Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 560. 54 Vgl. dazu etwa Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 558 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 225 ff., 284 f.; Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 366 ff. (1984); Yorio/Thel, Contract Enforcement, 22011, S. 1–22 ff.
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Gläubiger oder Schuldner den Übergang von der Naturalleistung auf eine Geldleistung ermöglichen.55 Das Verhältnis von property right und liability right ist in diesem Kontext also kein ausschließliches, sondern beruht auf einem Kontinuum zwischen beiden Ansätzen mit flexiblen Übergangsmöglichkeiten. Hinsichtlich des Erfüllungsinteresses in der Zeit ist etwa die Gewährung eines property right auf die Leistung ausgeschlossen, weil nach Eintritt der Fälligkeit die Leistung nicht mehr in Natur rückwirkend nachgeholt werden kann; insoweit bleibt nur die nachträgliche Kompensation durch einen Schadensersatzanspruch (auf den Verzögerungsschaden), also die Etablierung einer liability rule.56 Nur für den eigentlichen Erfüllungsanspruch besteht überhaupt eine Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers zwischen der Schaffung einer property rule und einer liability rule, wobei auch insoweit für die Fälle etwa der naturgesetzlichen Unmöglichkeit eine liability rule vorgesehen werden muss, weil eine property rule bei Unmöglichkeit leerlaufen und den eigentlich intendierten Schutz des Gläubigerrechts vereiteln würde. Auch sonstige Übergangstatbestände zum Schadensersatz, die zum Schutz der Rechtsposition des Gläubigers erforderlich sein können, wenn die – verspätete – Naturalleistung sein Leistungsinteresse nicht mehr vollständig befriedigen kann, sind mit einer reinen property rule nicht darstellbar. In Wahrheit sind daher auch diejenigen Vertragsrechtsordnungen, die einen durchsetzbaren Naturalerfüllungsanspruch vorsehen, nicht allein auf den property rule-Ansatz gegründet, sondern kombinieren Elemente beider Ansätze.57 Gleichwohl sprechen die soeben angestellten Erwägungen für einen Grundsatz der Naturalerfüllung, also für die Schaffung einer property rule zugunsten von Naturalleistungsgläubigern als Ausgangspunkt, der dann allerdings Ausnahmen zugänglich sein muss, wenn der durch die Regel intendierte Schutz der Gläubigerinteressen durch eine property rule nicht vollständig gewahrt ist.
III. Ökonomische Analyse des vertraglichen Leistungsstörungsrechts Ausgangspunkt jeder ökonomischen Analyse der Rechtsfolgen von Vertragsverletzungen58 muss die Untersuchung der ökonomischen Funktion des Vertrags im Markt sein. Diese ist schon von der frühen klassischen ökonomischen Theorie herausgearbeitet worden.59 55
S. oben § 2.VII (S. 147 ff.). Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 226. 57 Ebenso Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 225 f., 284 f. 58 Vgl. zur ökonomischen Analyse des Leistungsstörungsrechts allgemein H.-B. Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 495 ff. 59 Vgl. bereits A. Smith, Wealth of Nations, 1776, S. 308; Dicey, Lectures on the relation 56 Vgl.
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1. Der Vertrag und seine Durchführung als Wohlfahrtssteigerung Zwei Parteien schließen miteinander einen Austauschvertrag, wenn und weil jede Partei sich durch ihn besser stellen will. Jede Partei gibt ihre Leistung, um die Gegenleistung der anderen Partei zu erhalten, weil nach ihrer subjektiven Werteinschätzung die Gegenleistung für sie mehr wert ist als die eigene Leistung (sog. performance interest):60 Dem Auftraggeber einer Bauleistung ist das Bauwerk mehr wert als das Geld auf dem Konto; dem Bauunternehmer ist das Geld auf dem Konto mehr wert als die Erbringung der Bauleistung.61 Dadurch bewirkt der Vertrag (bzw. seine Durchführung) – unter der Annahme rational handelnder Parteien, und ohne nachträgliche Veränderungen der vertragsbegleitenden Umstände – eine Steigerung der Gesamtwohlfahrt, weil die betreffenden Güter zu derjenigen Person transferiert werden, die daraus den (mutmaßlich) größeren Nutzen ziehen kann. Der infolge der Vertragsdurchführung erzielte Vertragsgewinn besteht für jede Partei in der Differenz zwischen der erhaltenen Gegenleistung und der erbrachten eigenen Leistung. Es mutet nur auf den ersten Blick paradox an, dass diese Differenz für beide Seiten zugleich positiv sein kann. Die Paradoxie löst sich aber sofort auf, wenn man Leistung und Gegenleistung für die Bewertung nicht in Geld umrechnet, sondern als Naturalleistung betrachtet, so wie die Parteien dies selbst bei Vertragsschluss sehen. Denn dann besteht aus Sicht des Sachleistungsgläubigers der Vertragsgewinn in der Differenz zwischen dem mit dem Leistungsgegenstand zu erzielenden (materiellen oder immateriellen) Nutzen und dem Vertragspreis. Aus Sicht des Sachleistungsschuldners liegt der Vertragsgewinn in der Differenz zwischen dem Vertragspreis und seinen internen Leistungserbringungskosten. Damit wird deutlich, dass ein Vertrag von rationalen Parteien geschlossen (und durchgeführt) wird, sobald der Nutzen der Vertragsleistung für den Sachleistungsgläubiger höher ist als die internen Leistungserbringungskosten des Sachleistungsschuldners (zuzüglich der Transaktionskosten für Vertragsschluss und -durchführung); der Vertragspreis wird dann – je nach Verhandlungsmacht der Parteien – im Bereich zwischen diesen beiden Größen liegen.
between law & public opinion in England during the nineteenth century, 1930, S. 150; Birmingham, 24 Rutgers L. Rev. 273, 274 (1970), sowie den Überblick bei Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007, S. 16 ff. 60 Vgl. etwa Friedmann, 111 L.Q.R. 628, 629 (1995); Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 45 f. 61 Vgl. ähnlich schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, Nr. 1133a f.; s. dazu auch Gordley, 69 Cal. L. Rev. 1587, 1617 (1981).
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2. Die ökonomische Funktion der Vertragsbindung Die vorstehende Betrachtung galt nur der Funktion des Vertrags und seiner ungestörten Durchführung. Die Bindung an den Vertrag hat in diesen Konstellationen keine eigenständige Bedeutung, weil die Durchführung des Vertrags unter der Annahme rationaler Parteien und unveränderter Umstände ebenso im Interesse der Parteien liegt wie sein Abschluss, so dass die Parteien den Vertrag aus den gleichen Gründen durchführen werden, aus denen sie ihn abgeschlossen haben. Neben ihrem eigenen unmittelbaren Interesse an der Vertragsdurchführung brauchen sie hierfür keinen weiteren Grund in Gestalt einer zur Durchführung zwingenden Vertragsbindung. Relevant wird die Bindung an den Vertrag erst dann, wenn die Vertragsdurchführung in Gefahr gerät, weil sie im entscheidenden Moment (d.h. bei Fälligkeit der Leistung) nicht mehr im unmittelbaren Interesse der verpflichteten Partei liegt, insbesondere infolge einer Änderung der vertragsrelevanten Umstände.62 Denn dann ist ein äußerer, nicht allein in den aktuellen Motivationen der Parteien liegender Grund erforderlich, um den Vertrag trotz der veränderten Umstände oder Interessenlage doch noch durchzuführen.63
a) Konkrete Vertragsbindung zum Schutz des vertragsimmanenten Wohlfahrtsgewinnes Dabei kann die Durchführung des Vertrags ökonomisch gleichwohl effizient sein, obwohl eine (rationale) Partei das unmittelbare Interesse daran verloren hat. Das gilt zunächst dann, wenn durch die Änderungen der Umstände das Leistungsinteresse des Gläubigers zwar unter den Vertragspreis fällt (und der Gläubiger daher kein Interesse mehr an der Vertragsdurchführung hat), aber noch über den Leistungserbringungskosten des Schuldners liegt. Gleich liegt es bei dem spiegelbildlichen Fall, dass die Leistungserbringungskosten des Schuldners über den Vertragspreis steigen (so dass der Schuldner das Interesse an der Vertragsdurchführung verliert), aber noch unter dem Leistungsinteresse des Gläubigers liegen. In beiden Fällen führt die Durchführung des Vertrags weiterhin zu einem Wohlfahrtsgewinn – nur eben zu einem geringeren als von den Parteien ursprünglich angestrebt. Daher wäre ein Vertragsbruch ineffizient; die Bindung an den Vertrag, d.h. dessen zwangsweise Durchführung gegen
62 Vgl. auch Menetrez, 47 UCLA L. Rev. 859, 883 f. (2000); S. Lorenz, FS Wolfsteiner, 2008, S. 121 sowie grundlegend von Jhering, Der Zweck im Recht, 1877, Bd. 1, S. 78; von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936, S. 71; Fikentscher, FS Hefermehl, 1971, S. 41, 50; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 29. 63 Vgl. zur Legitimation der Vertragsbindung auch Canaris, FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 1, S. 129, 147 ff.
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den Willen einer Partei, dient hier also der Sicherung des Wohlfahrtsgewinnes aus dem konkreten Vertrag.
b) Institutionelle Vertragsbindung zum Schutz der vertragsspezifischen Investitionen Aber selbst in Konstellationen, in denen der konkrete Vertrag infolge einer Änderung der Umstände keinen Wohlfahrtsgewinn mehr produzieren kann, weil die Leistungserbringungskosten des Schuldners über das Leistungsinteresse des Gläubigers gestiegen sind, ist es denkbar, dass das Institut der Vertragsbindung als solches noch effizient ist – und in der Folge auch die Vertragsdurchsetzung im konkreten Fall.64 Denn die Vertragsbindung schützt die Investitionen, die auf beiden Seiten im Hinblick auf die Vertragsdurchführung getätigt werden: Aufwendungen des Schuldners zur Vorbereitung der Leistungserbringung, und solche des Gläubigers im Hinblick auf die weitere Verwendung des Leistungsgegenstandes. Hätten die Parteien nicht die Gewissheit, dass der Vertrag unabhängig von der Entwicklung der Umstände durchgeführt werden wird, so würden sie entweder diese Investitionen nicht tätigen (und damit wohlfahrtssteigernde Effekte der Vertragsdurchführung vergeben), oder sie müssten sich gegen die Nichtdurchführung des Vertrags versichern, um durch die Investitionen in diesem Fall keinen Schaden zu erleiden.65 Das Institut der Vertragsbindung führt nun dazu, dass der Anreiz für vertragsspezifische Investitionen auf beiden Seiten erhalten bleibt, weil ihre Amortisation nicht mehr dem Risiko opportunistischen Verhaltens66 der Gegenseite ausgesetzt ist. Soweit die Vertragsbindung reicht, muss der Gläubiger nicht selbst das Risiko von Leistungsstörungen im Hinblick auf die vertragsspezifischen Investitionen des Gläubigers und auf dessen Verwendungsplanung versichern, weil der Schuldner diese Versicherung – in Gestalt der Vertragsbindung – übernimmt.67 Zwar ist die bloße Verlagerung der Versicherungskosten 64 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 366 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 136 f.; Craswell, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2001, S. 19, 28 ff. 65 Vgl. dazu auch H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 427 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 148; Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 349 ff. (1984); Craswell, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2001, S. 19, 28 ff. sowie T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 141 ff. 66 Unter opportunistischem Verhalten wird in der ökonomischen Theorie eigennütziges strategisches Verhalten ohne Rücksicht auf rechtliche oder moralische Normen verstanden, vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 427. 67 Vgl. S. Lorenz, FS Wolfsteiner, 2008, S. 121; s. auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 981 ff. (2005), in Auseinandersetzung mit der Auffassung, die hier ein Problem der „overreliance“ sieht, dass also der Gläubiger infolge der vollen Versicherung seiner vertragsspezifischen Investitionen durch den Schuldner dazu verleitet werden könne, ineffiziente Investitionen zu tätigen (vgl. dazu Shavell, 11 Bell J. 466, 472 (1980); ders., 99 Q. J. Econ. 121, 127 f. (1984); Tröger, ZGS 2005, 462, 463).
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vom Gläubiger auf den Schuldner bei gesamtökonomischer Betrachtung neutral; allerdings kann der Schuldner das betreffende Risiko im Zweifel besser einschätzen als der Gläubiger, weil er hinsichtlich der Leistung selbst und eventueller Leistungshindernisse typischerweise über die besseren Informationen verfügt.68 Dadurch sinken die Versicherungskosten insgesamt, was wiederum einem Wohlfahrtsgewinn entspricht. Dieser Wohlfahrtsgewinn lässt sich einfach verdeutlichen, indem ein fiktives Vertragsrecht ohne das Institut der Vertragsbindung gedacht wird: Wären Verträge nicht automatisch bindend, so müsste jeder Vertragsgläubiger entweder mit dem Schuldner gesondert eine explizite Bindung69 oder – wirtschaftlich gleichbedeutend – andere vertragliche Sanktionen für die Nichterfüllung (etwa Vertragsstrafen) aushandeln;70 fände sich der Schuldner zu einer solchen Bindung nicht bereit, so müsste der Gläubiger sein Ausfallrisiko anderweitig versichern, z.B. durch den vorsorglichen Abschluss eines Deckungsgeschäfts für den Fall einer Leistungsverweigerung des Schuldners – das seinerseits wiederum mangels Vertragsbindung nicht verlässlich wäre usw. Bei diesen Vorsorgemaßnahmen des Gläubigers kommt hinzu, dass dieser keine vollständigen Informationen über die Leistungsbereitschaft und das Leistungsvermögen des Schuldners haben kann und daher, wenn er Wert auf die Leistung legt, sich eher überversichern wird. Die Folge wären erheblich erhöhte Transaktionskosten, die bei jeder Transaktion anfallen und das Wirtschaftsleben erheblich bremsen würden. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Zulassung eines Vertragsbruches durch die Rechtsordnung würden daher neben den Kosten des konkreten Vertragsbruchs – die in den hier relevanten Fällen sogar Gewinne sein können – auch die erhöhten Transaktionskosten aller Vertragspartner umfassen. Um die Schuldner hiervon abzuhalten, wenn volkswirtschaftliche Schäden durch den Vertragsbruch drohen, müssten diese erhöhten Transaktionskosten aller bei den vertragsbrüchigen Schuldnern internalisiert werden – etwa durch einen Aufschlag auf den zu leistenden Schadensersatz. Nähme man etwa willkürlich an, dass jeder 100. geschlossene Vertrag nach der Lehre vom effizienten Vertragsbruch71 gebrochen wird, so müsste dafür gesorgt werden, dass der Schuldner im Rahmen des Schadensersatzes nicht nur den konkreten Ausfall seines Gläubigers tragen muss, sondern auch die Versicherungskosten der 99 übrigen Vertragsgläubiger, die sich gegen einen Vertragsbruch versichert haben (z.B. 68 Vgl. zur Kaufrechtsrichtlinie Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 78; näher zur effizienten Verteilung des Risikos von Leistungsstörungen etwa H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 437 ff. 69 Sofern die fiktive Rechtsordnung wenigstens eine solche explizite Bindung ihrerseits für wirksam erachtet. 70 Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 368 f. 71 Vgl. zu dieser eingehend sogleich § 3.III.3 (S. 173 ff.).
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durch Offenhalten von Alternativangeboten o.ä.). Denn dieser Versicherungsbedarf ist zu den wirtschaftlichen Folgen der Zulassung von Vertragsbrüchen zu zählen.
c) Der Vertrag als Schnittstelle zwischen den Risikosphären der Parteien Das Institut der Vertragsbindung ermöglicht es den Vertragsparteien überhaupt erst, Arbeitsteilung in effektiver Weise vorzunehmen:72 Die vertraglichen Leistungspflichten bilden die Schnittstelle der Interessen- und Risikosphären der Vertragsparteien. Jede Partei verfolgt grundsätzlich ihre eigenen Interessen und Verwendungspläne, die sich jedoch in dem einen Vertrag überschneiden. Die eine Partei verspricht der anderen eine Sachleistung, die diese entsprechend ihrer eigenen Verwendungsplanung für ihre Zwecke verwenden möchte; die versprechende Partei wiederum plant die Gegenleistung (regelmäßig den Vertragspreis) für ihre Zwecke ein.73 Welche Zwecke jede Partei mit der ihr gebührenden Vertragsleistung verfolgt, ist für die jeweils andere Partei grundsätzlich unerheblich. Die Interessen der Parteien müssen sich nur hinsichtlich der vereinbarten Leistungen in dem Sinne decken, dass der eine genau das erbringen will, was der andere erhalten möchte. Die weitere Verwendung der (wie geschuldet erbrachten) Vertragsleistung fällt grundsätzlich in den Risikobereich des jeweiligen Leistungsgläubigers. Ebenso unerheblich ist für den jeweiligen Gläubiger, auf welche Weise der jeweilige Schuldner die Vertragsleistung zu erbringen gedenkt. Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Leistungserbringung fallen grundsätzlich in den Risikobereich des betroffenen Schuldners.74 Je geringer die Übereinstimmung zwischen den Interessen der Parteien sein muss, desto größer sind die Chancen auf einen Vertragsschluss, und desto geringer sind die jeweiligen Kosten eventueller Versicherungen gegen Störungen, weil jede Vertragspartei nur Störungen ihres eigenen Risikobereiches zu versichern hat, die im Zweifel günstiger zu versichern (oder zu steuern) sind als Störungen im Bereich des anderen Vertragspartners.75 Wenn der Gläubiger sich darauf verlassen kann, eine vertraglich versprochene Leistung tatsächlich zu er72 Vgl. dazu auch Mestmäcker, FS Hoppmann, 1994, S. 311, 320 f.; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 28 f.; T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 117 ff. 73 Vgl. Friedmann, 18 J. Legal Stud. 1, 7 (1989); Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 61 (1936); Köndgen/von Randow, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 122, 131; s. auch Ayres/Klass, 2004 Wisc. L. Rev. 507, 514: „[T]he whole point of promising is to convince others to rely on one’s future actions.“ 74 Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 25. 75 Vgl. zur Kaufrechtsrichtlinie Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 78; s. ferner H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 437 ff.
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halten, wird er eher einen externen Vertragspartner für eine Aufgabe bemühen, als wenn er insoweit von Unwägbarkeiten aus der für ihn verborgenen Schuldnersphäre abhängt; im letzteren Fall wird er eher versuchen, die Leistung selbst zu erbringen, wenn und weil er die damit verbundenen Risiken dann besser erkennen und steuern kann. Die Versicherung durch den Schuldner, die in den bindenden vertraglichen Leistungspflichten impliziert ist, macht die Arbeitsteilung für den Gläubiger erst kalkulierbar. Die Erfüllungspflicht für vertragliche Leistungspflichten erweist sich dabei als ideale Schnittstelle für die Verbindung der gegenseitigen Interessen. Durch die unbedingten Erfüllungspflichten und ggf. die Verpflichtung zur Leistung von komplettem Schadensersatz bei Nichtleistung (einschließlich des entgangenen Gewinns) kann sich jeder Vertragsgläubiger nach Vertragsschluss darauf verlassen, die versprochene Leistung oder notfalls zumindest die volle monetäre Kompensation hierfür zu erhalten.76 Anders als wenn er selbst die Produktion des Leistungsgegenstandes übernimmt, ist er also von den vorgelagerten Risiken entlastet bzw. muss nur über den Vertragspreis die Versicherungskosten des Schuldners bezahlen, die im Zweifel geringer und vor allem kalkulierbar sind. Was seine eigene Leistung anbelangt, entlastet ihn der Vertrag vom Verwendungsrisiko der Gegenseite, wenn er nur ordnungsgemäß (d.h. auch qualitativ pflichtgemäß) leistet. Das Institut der Vertragsbindung ermöglicht so die zuverlässige wirtschaftliche Kooperation der Parteien, indem die komplexe Zusammenarbeit entflochten und auf genau definierte Leistungspflichten reduziert wird, deren Einhaltung die Gegenseite jeweils zur Grundlage ihrer eigenen Planung machen kann.77 Risikosphären werden auf diese Weise voneinander abgekapselt und Risiken jeder Partei durch Bindung an das Versprechen auf der einen und Vertrauen auf der anderen Seite ersetzt. Das ist nur unter Geltung des Grundsatzes der Vertragsbindung denkbar.78
76 Ähnlich
Fried, Contract as Promise, 1981, S. 13 f.; Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1008 (2005). 77 Vgl. auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1008 (2005); H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 428 f.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S. 33 f. 78 Vgl. bereits A. Smith, Lectures on Jurisprudence, 1762, S. 87 ff.; ders., Wealth of Nations, 1776, S. 231 ff. (V.I.II) und dazu Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007, S. 21 ff.; Mestmäcker, A legal theory without law, 2007, S. 22 ff.; vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 99; Remien, FS Hondius, 2007, S. 321, 323.
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171
d) Das Prinzip der Indifferenz in der ökonomischen Analyse von Leistungsstörungsregeln Im Rahmen der ökonomischen Analyse von Rechtsbehelfen bei Leistungsstörungen hat Melvin A. Eisenberg das „Prinzip der Indifferenz“ formuliert.79 Nach diesem Prinzip muss es das Ziel von Leistungsstörungsregeln sein, den Gläubiger im Falle der Nichtleistung durch den Schuldner so zu behandeln, dass es für ihn keinen Unterschied macht, ob er die (primäre) Vertragsleistung oder die kraft des Leistungsstörungsrechts geschuldete Sekundärleistung erhält.80 Dies folge nicht nur aus einem vertragsrechtlichen Gebot der Fairness, sondern vor allem aus ökonomischen Erwägungen: Wenn der Schuldner den Gläubiger im Falle eines Vertragsbruches in einer Weise entschädigen muss, die es für den Gläubiger unerheblich macht, ob er die ordnungsgemäße Erfüllung oder die Entschädigung erhält, dann zwingt dies den Schuldner dazu, bei der Entscheidung darüber, ob er den Vertrag bricht oder nicht, das vollständige Leistungsinteresse des Gläubigers (und damit den gesamten durch die Vertragsdurchführung auf Gläubigerseite erzielten Wohlfahrtsgewinn) in seine Entscheidung einzubeziehen, also zu internalisieren.81 Das gesamtwirtschaftliche Interesse an der Vertragsdurchführung wird dadurch zum Eigeninteresse des Schuldners, so dass er den Vertrag nur dann brechen wird, wenn sein Gewinn infolge des Vertragsbruches größer ist als der entgangene Gewinn des Gläubigers, der Vertragsbruch insgesamt also wohlfahrtssteigernd wirkt (sog. efficient breach of contract – effizienter Vertragsbruch82). Aus Sicht des Gläubigers führt eine Leistungsstörungsregelung, die dem Prinzip der Indifferenz folgt, dazu, dass er auf die Amortisation seiner vertragsspezifischen Investitionen vertrauen kann und diese daher auch in effizienter Weise vornehmen kann. So erhält der Gläubiger den Anreiz, genau diejenigen Investitionen zu tätigen, die für den aus seiner Sicht maßgeblichen Einsatz des Leistungsgegenstandes erforderlich und damit effizient sind. Zwar ist teilweise geltend gemacht worden, eine Entschädigung des Gläubigers, die an seinem vollständigen Leistungsinteresse orientiert ist, könnte diesem Anreiz zu übermäßigen, ineffizienten Investitionen geben.83 Ein Grund für ein derartiges „übermäßiges Vertrauen“ des Gläubigers in die Leistung des Schuld79 Vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 979 ff. (2005); s. zuvor bereits Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 699 f. (1986). 80 Vgl. auch Craswell, 61 S. Cal. L. Rev. 629, 636 (1988): „The stated goal of contract damages is compensation: ‚to put the plaintiff in as good a position as he would have been in had the defendant kept his contract.‘“ (Zitat aus der Entscheidung des New Hampshire Supreme Court, Hawkins v. McGee, 84 N.H. 114, 117, 146 A. 641, 643 (N.H. 1929)). 81 Vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 980 (2005). 82 Vgl. dazu eingehend sogleich unter § 3.III.3 (S. 173 ff.). 83 Vgl. insbesondere Shavell, 11 Bell J. 466, 472 (1980); ders., 99 Q. J. Econ. 121, 124 (1984); ferner Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 700 ff. (1986).
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Erster Teil: Grundlagen
ners (overreliance) könnte etwa darin bestehen, dass er bei seinen Investitionsentscheidungen die statistische Wahrscheinlichkeit von Leistungsstörungen außer Acht lässt, wenn er im Falle einer solchen Störung stets voll entschädigt w ürde.84 Diese Argumentation geht jedoch bereits auf der Basis ihrer eigenen Annahmen fehl, weil das deutsche Recht – und auch das common law – keineswegs bei jeder Leistungsstörung eine Entschädigung des Gläubigers vorsehen, sondern eben auch Haftungsausschlussgründe kennen, deren Risiko ein perfekt rationaler Gläubiger bei seiner Investitionsentscheidung berücksichtigen müsste, was seine Investitionsbereitschaft in jedem Fall reduziert. Darüber hinaus finden die Investitionen des Gläubigers bei der Bemessung des Schadensersatzes auch nicht unbesehen Berücksichtigung, sondern unterliegen etwa im deutschen Recht gem. § 284 BGB einer Billigkeitsbewertung, die übermäßige Investitionen vom Ersatz ausnehmen kann. Auch sonst ist die Steuerung vertragsspezifischer Investitionen nicht das einzige und nicht einmal ein vorrangiges Kriterium für die ökonomische Bewertung von Leistungsstörungsregelungen; würde man das Leistungsstörungsregime allein an diesem Ziel ausrichten, könnten viele wichtigere Zwecke wie etwa die Vermeidung von (ineffizienten) Vertragsbrüchen nicht verfolgt werden. Das Problem der overreliance ist daher allenfalls ein Randaspekt, der gegenüber dem Prinzip der Indifferenz keine entscheidende Rolle spielt, sondern lediglich im Einzelfall bei der Bemessung einer Geldentschädigung als Korrektiv herangezogen werden kann, um ineffiziente, bereits ex ante unvernünftige Investitionen vom Schutz auszunehmen.85 Im Hinblick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung ist das Prinzip der Indifferenz zudem dahingehend zu konkretisieren, dass die Indifferenz des Gläubigers nicht allein an der monetären Gleichwertigkeit von Naturalerfüllung und Geldersatz zu messen ist. Soweit der Gläubiger immaterielle Interessen verfolgt, die in der Berechnung des Nichterfüllungsschadens in Geld keine Berücksichtigung finden können, ist er nicht indifferent zwischen der Naturalleistung und dem Geldersatz – jedenfalls wenn er den Geldersatz nicht für ein Deckungsgeschäft nutzen kann, das ihm eine Realisierung seiner immateriellen Interessen trotz des Vertragsbruchs ermöglicht. Werden hier Naturalleistung und Geldersatz in Höhe des monetären Erfüllungsinteresses unbesehen gleichgesetzt86 und der Gläubiger insoweit – als Prämisse – für indifferent gehalten, gerät die 84 Vgl. Craswell, 18 J. Legal Stud. 365, 376 f. (1989) sowie näher und mit empirischen Belegen Sloof/Oosterbeek/Riedl u.a., 26 IRLE 263 (2006). 85 Vgl. dazu näher Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 981 ff. (2005); Edlin/Reichelstein, 86 Am. Economic Rev. 478 (1996). Zur Widerlegung weiterer ökonomischer Einwände gegen das Prinzip der Indifferenz, die alle in der deutschen Rechtsordnung keine Basis finden, Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 983 ff. (2005). 86 So etwa Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 288; Shavell, 99 Q. J. Econ. 121, 123 Fn. 6 (1984).
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eigentlich relevante Frage des Schutzes immaterieller Erfüllungsinteressen gar nicht erst in den Blick.
3. Die Lehre vom effizienten Vertragsbruch Im Zusammenhang mit der ökonomisch effizienten Ausgestaltung des (vertraglichen) Leistungsstörungsrechts, insbesondere mit der Auswahl des effizienten vorrangigen „Rechtsbehelfs“ (Anspruch auf Naturalerfüllung oder Schadensersatz) wird immer wieder die sog. „Lehre vom effizienten Vertragsbruch“ (efficient breach of contract doctrine) analysiert und als Argument für die eine oder andere Lösung angeführt.87 Ausgangspunkt dieser Lehre ist die Erkenntnis, dass nicht jeder Vertragsbruch per se ineffizient sein muss. Vielmehr sind Konstellationen denkbar, in denen die Gesamtwohlfahrt bei Durchführung des Vertrags weniger gesteigert wird als bei einem Vertragsbruch des Schuldners, oder der Vertragsbruch sogar eine Minderung der Gesamtwohlfahrt verhindert.
a) Fälle des effizienten Vertragsbruches In dieser Hinsicht werden im Wesentlichen zwei Konstellationen diskutiert: Das günstigere Angebot eines Dritten und die Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung soll auch noch der Wegfall bzw. die Minderung des Leistungsinteresses des Gläubigers als dritte Möglichkeit in den Blick genommen werden – im Hinblick auf einen effizienten Vertragsbruch des Gläubigers.
aa) Mehrgebot eines Dritten Das erste Beispiel für einen effizienten Vertragsbruch ist das Mehrgebot eines Dritten C hinsichtlich einer bereits von A an B verkauften (aber noch nicht gelieferten) Speziessache:88 Schließt man aus dem Mehrgebot des C, dass er auch einen höheren Nutzen aus der Sache ziehen würde als B, so würde auf den ersten Blick die Gesamtwohlfahrt gesteigert werden, wenn A die Sache nicht 87 Vgl. z.B. die vereinfachte Darstellung bei Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 535; eingehender M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 355 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 232 ff.; allgemein McChesney, 28 J. Legal Stud. 131 (1999); Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831 (2006); Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975 (2005). Die Lehre wurde erstmals formuliert von Birmingham, 24 Rutgers L. Rev. 273, 284 (1970); s. aus der älteren Literatur etwa Goetz/Scott, 77 Colum. L. Rev. 554 (1977); Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351 (1978); Schwartz, 89 Yale L. J. 271 (1979); Shavell, 99 Q. J. Econ. 121 (1984); Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341 (1984); Craswell, 61 S. Cal. L. Rev. 629, 635 (1988); Friedmann, 18 J. Legal Stud. 1 (1989); A. J. Triantis/G. G. Triantis, 41 J. Law & Econ. 163 (1998); eingehend kritisch Nodoushani, RTh 2006, 467 ff. 88 Vgl. nur Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 f.; Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 264 ff.
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an B, sondern an C verkaufen und liefern, dem B dagegen lediglich sein Erfüllungsinteresse in Geld ersetzen würde. In einem solchen Fall sei der Vertragsbruch des A im Verhältnis zu B effizient und müsse also von der Rechtsordnung zugelassen werden – jeweils unter der Prämisse, dass das Mehrgebot des C das Erfüllungsinteresse des B übersteigt und B für seinen Ausfall von A voll entschädigt wird.
bb) Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners Ein weiterer klassischer Beispielsfall der Lehre vom effizienten Vertragsbruch ist die Steigerung der Produktionskosten des Schuldners bei gleichbleibendem Leistungsinteresse des Gläubigers:89 Auch hier sind Fälle denkbar, in denen die Produktionskosten das Leistungsinteresse des Gläubigers schließlich überschreiten, so dass die Vertragsdurchführung für den Schuldner mehr Kosten mit sich bringen würde, als der Gläubiger durch sie gewinnen könnte. Auch dann sei das Bestehen auf Vertragsdurchführung ineffizient, der Vertragsbruch (wiederum unter voller Entschädigung des Gläubigers in Höhe seines Leistungsinteresses) also aus ökonomischer Sicht vorzugswürdig.
cc) Minderung bzw. Wegfall des Leistungsinteresses des Gläubigers Ein anderer denkbarer Fall eines effizienten Vertragsbruches liegt schließlich darin, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers absinkt oder gar wegfällt.90 Auch dann kann die Vertragsdurchführung für ineffizient gehalten werden, weil der Leistungsgegenstand an eine Stelle transferiert wird, wo er keinen wirtschaftlichen Erfolg erzielt bzw. der erzielte wirtschaftliche Erfolg hinter den Leistungsaufwendungen des Schuldners zurückbleibt, so dass die mit dem Vertrag intendierte Steigerung der Gesamtwohlfahrt nicht eintritt.
b) Grundannahmen der Lehre vom effizienten Vertragsbruch Die Lehre vom effizienten Vertragsbruch beruht auf einer Reihe von Annahmen, die allerdings häufig nicht explizit dargelegt werden.91 Nur wenn diese Annahmen zutreffen, kann überhaupt der Versuch unternommen werden, die innere Konsequenz dieser Auffassung zu überprüfen und ggf. auch Folgerungen daraus zu ziehen.92 89
Vgl. dazu Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 236 ff. Vgl. hierzu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1021 ff. (2005). 91 Vgl. aber etwa Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 998 ff. (2005); s. zur Abhängigkeit der Entscheidung zwischen Schadensersatz und Naturalerfüllung von (empirisch nicht nachprüfbaren) Annahmen über Transaktionskosten auch Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 71 f. 92 Vgl. zur Gefahr einer Ableitung von Konsequenzen aus kontrafaktischen Annahmen bei der ökonomischen Analyse auch Fezer, JZ 1988, 223, 224. 90
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aa) Vollständige Kompensation des Gläubigerinteresses durch Schadensersatz Eine wesentliche Grundannahme der Lehre vom effizienten Vertragsbruch geht davon aus, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers durch den Schadensersatz vollständig kompensiert wird. Mit anderen Worten basiert die Lehre – implizit oder explizit – auf der Annahme, das jeweils geltende Recht trage dem Grundsatz der Indifferenz93 bereits Rechnung.94 Diese Annahme ist auch zentral, denn nur durch sie kann die Lehre davon ausgehen, dass der Schuldner in der Tat die gesamten Nachteile, die der Vertragsbruch für den Gläubiger mit sich bringt, internalisiert und in seine Entscheidung zwischen Vertragsbruch und Vertragsdurchführung einbezieht. Nur dann bestünde überhaupt die Möglichkeit, dass die Entscheidung, die er in seinem eigenen Gewinninteresse zugunsten des Vertragsbruches trifft, auch gesamtwirtschaftlich vorteilhaft ist.95 Dies setzt allerdings voraus, dass der Gläubiger tatsächlich indifferent zwischen Naturalleistung und Schadensersatz ist.96 Jedoch ist die Gewährung von Schadensersatz strukturell nicht in der Lage, dem Grundsatz der Indifferenz wirklich Rechnung zu tragen und den Gläubiger für den Ausfall der Naturalleistung umfassend zu entschädigen.97 Am nächsten kommt der Schadensersatz der Naturalleistung noch dann, wenn eine fungible Leistung betroffen ist, die er anderweitig am Markt beschaffen kann. In diesem Fall führt die Erstattung der Kosten des Deckungsgeschäftes und eines eventuellen Verzögerungsschadens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten, wie sie etwa das deutsche Schuldrecht vorsieht (§§ 280 Abs. 2 und 3, 281, 286 BGB), tatsächlich zu einer Entschädigung des Gläubigers für alle messbaren wirtschaftlichen Nachteile.98 Indessen verbleiben selbst in diesem günstigsten Fall noch nicht in Geld messbare, aber existente Nachteile beim Gläubiger, die diesen keinesfalls indifferent lassen, sondern schlechter stellen als bei der Erbringung der Naturalleistung. Darunter fallen insbesondere der Aufwand zur Schadensermittlung und zur Prozessführung (mit Ausnahme der erstattungsfähigen Anwalts- und Gerichtskosten), der 93
Vgl. hierzu oben § 3.III.2.d) (S. 171 ff.). Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 999 (2005): „[T]he theory of efficient breach treats the indifference principle not only as normatively correct but also as descriptively accurate.“; ebenso bereits Goetz/Scott, 77 Colum. L. Rev. 554, 558 (1977). 95 Vgl. auch T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 179 ff. 96 S. etwa Shavell, 99 Q. J. Econ. 121, 123 Fn. 6 (1984): „Any nonmonetary variable affect ing the well-being of a party is thus assumed to have a monetary equivalent.“ 97 Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 543 spricht insoweit zu Recht von der „Achillesferse der Doktrin vom effizienten Vertragsbruch“. Vgl. auch A. J. Triantis/G. G. Triantis, 41 J. Law & Econ. 163, 187 ff. (1998); Jimenez, 56 UCLA L. Rev. 59, 97 f. (2008). 98 Vgl. Muris, Duke L. J. 1982, 1053, 1055 f. Das US-amerikanische Schuldrecht bleibt allerdings sogar insoweit hinter dem tatsächlichen wirtschaftlichen Schaden des Gläubigers zurück, weil die Kosten eines Deckungsgeschäfts und Verzögerungsschäden nicht stets, Rechtsverfolgungskosten sogar nie ersetzt werden, vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 995 (2005). 94 Vgl.
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etwa im deutschen Recht als „Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten“ vom Schadensersatz ausgeschlossen ist,99 sowie die eigene Arbeitsleistung und der eigene Aufwand zur Vornahme des Deckungsgeschäftes.100 Hinzu kommt ggf. der Schaden durch den Vertrauensverlust bei den Kunden des Gläubigers, der zwar üblicherweise nicht bezifferbar ist, aber dennoch eintritt (Verlust an „Sozialkapital“,101 sog. Reputationseffekte).102 Entgangene zukünftige Aufträge wegen seiner „Unzuverlässigkeit“ (die in Wahrheit nur auf dem Vertragsbruch seines Vorlieferanten beruhte) können jedoch üblicherweise nicht gerichtsfest ermittelt werden, auch nicht durch einen pauschalen Aufschlag auf die Schadenssumme.103 Alle diese Nachteile finden bei der Berechnung des zu leistenden Gläubigerinteresses keine Berücksichtigung und führen dazu, dass der Schuldner nicht sämtliche negativen Auswirkungen des Vertragsbruches internalisiert, also tendenziell „zu früh“ die Entscheidung zugunsten des Vertragsbruches treffen würde.104 Zudem dürfen die Kosten eines (unterstellt: möglichen) Deckungsgeschäftes nicht unbesehen als Schadensersatz und damit als Leistungsinteresse des Gläubigers zugrunde gelegt werden. Denn der Wert, den die vertragsgemäße Leistung für den Gläubiger tatsächlich hat, und der also für die ökonomische Bewertung des Leistungsaustausches maßgeblich ist, bestimmt sich nicht nach dem Preis, der am Markt hierfür zu entrichten ist (also den Kosten eines Deckungsgeschäfts), sondern nach dem Nutzen, den der Gläubiger aus der Sache ziehen kann bzw. möchte. Gerade in den Fällen, in denen der Leistungsaufwand des Schuldners ansteigt (und damit häufig auch die Kosten eines Deckungsgeschäfts, etwa weil der allgemeine Marktpreis für die erforderlichen Vorleistungen Dritter steigt), sagen die (ebenfalls gestiegenen) Kosten eines Deckungsgeschäftes nichts darüber aus, ob der Nutzen, den der Gläubiger aus der vertraglichen Leistung 99
Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 83 m.w.N. Vgl. auch Köndgen/von Randow, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 122, 128. 101 Vgl. zu diesem Begriff etwa Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 32003, S. 12. 102 Vgl. Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 347 f. (1984); Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 702 ff. (1986); s. aus empirischer Sicht den Bericht von Macaulay, 28 Am. Soc. Rev. 55, 63 (1963) über Zuverlässigkeitsbewertungen von Lieferanten im Handelsverkehr und den daraus folgenden Konsequenzen für die zukünftige Zusammenarbeit. 103 Vgl. etwa Jimenez, 56 UCLA L. Rev. 59, 98 (2008); auch der Schuldner verliert infolge des Vertragsbruches an Reputation (vgl. die empirischen Belege hierfür bei Baumer/Marschall, 65 Temp. L. Rev. 159, 165 (1992); s. ferner Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1008 (2005); Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 235). Allerdings treffen die entsprechenden Nachteile ohnehin ihn, so dass er sie bei einer rationalen Entscheidung über den Vertragsbruch berücksichtigen wird. 104 Nach US-amerikanischem Recht bestehen sogar noch weitere Defizite hinsichtlich der Ermittlung des Schadens, etwa durch die Begrenzung des vertraglichen Schadensersatzes auf sicher beweisbare (sog. certainty rule) und vorhersehbare Schäden durch die Hadley v. Baxendale-Doktrin, vgl. dazu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 991 ff. (2005). 100
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ziehen möchte, diesen entspricht bzw. sie übersteigt.105 Als Gläubigerinteresse müsste in diesen Fällen daher dasjenige angesetzt (und dem Schuldner als Schadensersatz aufgebürdet) werden, was dem tatsächlichen Vorteil entspricht, den der Gläubiger aus der vertraglichen Leistung erzielen kann.106 Bei nicht fungiblen Gütern, für die nicht ohne weiteres Ersatz am Markt beschafft werden kann, kommen weitere Probleme hinzu: Einerseits ist bereits die Ermittlung des Substanzwertes mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, weil dieser eben nicht anhand eines Marktpreises bestimmt werden kann, sondern nur durch approximative Ermittlungsverfahren wie etwa durch Bildung des Durchschnittspreises grob vergleichbarer Transaktionen, z.B. bei der Grundstückswertermittlung. Und andererseits muss, wenn ein Deckungsgeschäft, welches die Verwendungsmöglichkeit des Gläubigers erhalten könnte, nicht möglich ist, auch der Ertragsausfallschaden vollständig ermittelt werden. Das setzt schwierige und mit großen Unsicherheiten behaftete Prognosen über die Rentabilität der vom Gläubiger geplanten Verwendung der Vertragsleistung voraus. Zweifel bei dieser Bewertung gehen im deutschen Recht trotz der Schätzungsmöglichkeit des § 287 ZPO und der reduzierten Darlegungsanforderungen in § 252 S. 2 BGB zulasten des Gläubigers, weil dieser die Beweislast für seinen Schaden trägt.107 Insoweit reflektiert also der Schadensersatz in Geld nicht einmal das wirtschaftliche Leistungsinteresse des Gläubigers vollständig.
bb) Realisierbarkeit des Schadensersatzes Als weitere Voraussetzung geht die Lehre vom effizienten Vertragsbruch – wiederum unter dem Gesichtspunkt der Indifferenz des Gläubigers zwischen Schadensersatz und Naturalleistung – davon aus, dass der Gläubiger seinen Schadensersatzanspruch auch tatsächlich realisieren kann. Das setzt zum einen voraus, dass im Falle des (unterstellt: im Übrigen effizienten) Vertragsbruches überhaupt ein Schadensersatzanspruch besteht, also dessen rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Das würde nach deutschem Recht nicht nur die Rechtswidrigkeit des Vertragsbruches voraussetzen,108 sondern überdies, dass der Schuldner den Vertragsbruch zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), was nicht zwingend der Fall sein muss,109 auch wenn bei einem aus wirtschaftlichen 105 Vgl.
Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 839 mit Fn. 32 (2006). zu einer vergleichbaren Argumentation im deutschen Recht bei der Bemessung des geschuldeten Leistungsaufwandes in den Fällen des § 275 Abs. 2 BGB unten § 5.IV.2.b) (S. 334 f.). 107 Vgl. zur Unabhängigkeit der Beweislastverteilung von den Anforderungen an das Beweismaß nur Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 125 f. 108 S. dazu unten § 3.III.3.e) (S. 189 f.). 109 Anders offenbar U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 324 f.: Der Schuldner eines fälligen und einredefreien Anspruches hat seine Nichterfüllung stets zu vertreten. 106 Vgl.
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Gründen bewusst vorgenommenen Vertragsbruch regelmäßig Vorsatz gegeben sein wird. Aber es muss auch sichergestellt sein, dass der Schadensersatz tatsächlich zugesprochen wird, was etwa an Beweisproblemen in einem etwaigen Prozess scheitern kann, wie auch der gesamte Prozess unterbleiben kann, weil seine Durchführung für den Gläubiger unwirtschaftlich ist (z.B. weil die Kosten und Risiken der Prozessführung in keinem Verhältnis zum erwarteten Schadensersatz stehen).110 Dementsprechend werden in der Praxis offenbar nur sehr selten Schadensersatzansprüche für Folgeschäden (außerhalb der Kosten von Deckungsgeschäften) geltend gemacht.111 Kann der Schuldner dies in seiner Entscheidung über Durchführung oder Bruch des Vertrags einkalkulieren – etwa weil die Schadenssummen typischerweise zu gering sind, um eingeklagt zu werden –, verfälscht dies wiederum seine Entscheidung zugunsten eigentlich ineffizienter Vertragsbrüche. Die Möglichkeit der tatsächlichen Realisierung des Schadensersatzes setzt ferner auch voraus, dass der Schuldner zahlungsfähig ist. Ein insolventer Schuldner kann den Gläubiger nicht so stellen, wie dieser im Falle einer Naturalleistung stünde. Demgegenüber ist nicht ausgeschlossen, dass er die Naturalleistung erbringen könnte, insbesondere wenn persönliche Tätigkeiten betroffen sind, die der Schuldner ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situation erbringen kann.112 Und schließlich muss ein etwaiges Schadensersatzurteil praktisch vollstreckbar sein; auch insoweit sind tatsächliche Hindernisse denkbar, etwa ein Wohnsitz des Schuldners im Ausland oder eben das Fehlen pfändbaren Vermögens. Auch die Annahme der Realisierbarkeit des Schadensersatzes ist also keineswegs stets zutreffend.
cc) Kenntnis des Schuldners vom Leistungsinteresse des Gläubigers In der Praxis setzt ein effizienter Vertragsbruch zudem voraus, dass der Schuldner das Leistungsinteresse des Gläubigers in dem Zeitpunkt kennt, in welchem er die Entscheidung zwischen Vertragsdurchführung und Vertragsbruch trifft. Nur dann kann er beurteilen, ob sein Vorteil aus dem Vertragsbruch größer ist als das Leistungsinteresse des Gläubigers, und damit mittelbar die Effizienz des Vertragsbruches kontrollieren. Indessen ist dies in der Praxis aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen:113 Zunächst hat der Gläubiger typischerweise keinerlei Veranlassung, während der Vertragsverhandlungen sein Leistungsinteresse vollständig offen zu legen, weil er dadurch seine Verhandlungsposition 110 Auch im US-amerikanischen Recht gibt es (z.B. wegen der Besonderheiten der Verfahren vor den trial juries) keine Sicherheit, dass ein rechtlich bestehender Schadensersatzanspruch tatsächlich realisiert wird, vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1008 (2005). 111 Vgl. zur britischen Handelspraxis Beale/Dugdale, 2 Brit. J. L. Soc. 45, 54 f. (1975); es ist zu vermuten, dass die tatsächliche Handelspraxis auch in Deutschland nicht anders ist. 112 Vgl. dazu bereits oben § 1.IV.1.a)cc) (S. 47 f.). 113 Vgl. zum Folgenden Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1000 (2005).
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schwächt; denn der Schuldner würde diese Information für den Versuch nutzen, den Vertragspreis bis knapp unter das Leistungsinteresse des Gläubigers zu erhöhen, um damit maximal am erwarteten Vertragsgewinn des Gläubigers zu partizipieren. Und selbst wenn der Gläubiger sein Leistungsinteresse offenlegen würde, wäre dies nur das Leistungsinteresse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, das sich in der Zeit bis zur Entscheidung des Schuldners über den Vertragsbruch verändern kann. Darüber hinaus müsste der Schuldner, um tatsächlich alle negativen Folgen seines Vertragsbruches zu internalisieren und so in die Entscheidung über den Vertragsbruch einzubeziehen, auch außerhalb des eigentlichen, bezifferbaren Leistungsinteresses alle weiteren negativen Folgen kennen, die der Vertragsbruch aufseiten des Gläubigers nach sich ziehen würde: Unannehmlichkeiten infolge der Ersetzung der Naturalleistung durch die Geldzahlung, ggf. unbezifferbare Transaktionskosten eines Deckungsgeschäfts, aber auch die Prozesskosten eines eventuellen Rechtsstreits um die Verpflichtung zum Schadensersatz und um die Schadenshöhe. All dies sind jedoch Informationen, die dem Schuldner nicht zugänglich sind und weitgehend auch gar nicht zugänglich sein können, weil sie im Zeitpunkt seiner Entscheidung über den Vertragsbruch noch gar nicht feststehen (z.B. die Prozesskosten). Damit ist es ausgeschlossen, dass der Schuldner einseitig ohne zusätzliche Informationen eine vollständig rationale und insgesamt effiziente Entscheidung über den Vertragsbruch trifft.
dd) Wirtschaftliche Neutralität des Vertragsbruches im Übrigen Schließlich geht die Lehre vom effizienten Vertragsbruch (meist implizit) davon aus, dass ein effizienter Vertragsbruch nur Auswirkungen auf die beiden Parteien des betroffenen Vertrags hat und die Wirtschaft im Übrigen davon unberührt bleibt.114 Das zugrunde gelegte ökonomische Modell betrachtet lediglich die Situation der Vertragsparteien, ohne die Auswirkungen auf das Institut des Vertrags insgesamt in den Blick zu nehmen, obwohl dessen Funktionieren für die Wohlfahrtssteigerung in der Gesellschaft essentiell ist.115 Indessen hat die Zulassung effizienter Vertragsbrüche erhebliche Folgen für das Institut des Vertrags als solches: Vertragliche Versprechen hätten nicht mehr die gleiche Bindungswirkung wie ohne die Zulassung, der Grundsatz pacta sunt servanda wäre geschwächt.116 Die Wahrscheinlichkeit eines Vertragsbruches durch den Schuldner wäre höher – wobei der Vertragsbruch nicht von Umständen abhängt, die der Gläubiger kontrollieren oder auch nur übersehen kann. Da, wie eben gezeigt, ein Vertragsbruch trotz des grundsätzlichen Ersatzes des bezifferbaren Leistungsinteresses des Gläubigers immer zu einem nicht ersatzfä114
Vgl. auch die Kritik bei Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1005 ff. (2005). S. oben § 3.III.1 (S. 165). 116 Vgl. auch Remien, FS Hondius, 2007, S. 321, 324. 115
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higen Restschaden führt, müsste sich jeder Gläubiger insoweit absichern. Wenn er zuverlässig mit der Vertragsleistung planen möchte, muss er entweder einen Reservevertrag mit einem zweiten Lieferanten abschließen oder dem Schuldner das Recht auf einen effizienten Vertragsbruch gegen eine Garantieprämie „abkaufen“. Beides führt zu erhöhten Transaktionskosten, und zwar nicht nur für diejenigen Fälle, in denen tatsächlich ein effizienter Vertragsbruch stattfindet, sondern für alle Verträge, die für den Gläubiger von wirtschaftlicher Bedeutung sind.117 Ein empirischer Beleg dafür, dass eine strenge Durchführung des Grundsatzes pacta sunt servanda, d.h. das Festhalten am Vertrag trotz der Möglichkeit eines (scheinbar) effizienten Vertragsbruches insgesamt betrachtet effizient ist, kann darin gesehen werden, dass entsprechende Vertragsklauseln, die es dem Schuldner gestatten würden, von der Vertragsdurchführung im Falle eines günstigeren Drittangebotes gegen Erstattung des entgangenen Gewinns des Gläubigers abzusehen, in den üblichen Standardverträgen nicht vorgesehen sind.118 Offenbar besteht in der Handelspraxis also ein Konsens dahingehend, dass Verträge auch insoweit bindend sein sollen, als Mehrgebote Dritter kein Anlass für einen Vertragsbruch sein dürfen.
c) Die marginale Bedeutung der Frage für das Leistungsstörungsrecht insgesamt Für einen deutschen Juristen mutet es irritierend an, das Leistungsstörungsrecht ausschließlich durch die Brille der Ermöglichung effizienter Vertragsbrüche zu betrachten. Empirisch stellen diese ein unwichtiges Problem dar; die meisten Vertragsbrüche erfolgen nicht in Konstellationen, in denen ihre gesamtwirtschaftliche Effizienz auch nur infrage steht, sondern aus rein eigennützigen Motiven. Nach dem oben Dargelegten ist dies auch nur folgerichtig, weil dem Schuldner sowohl die Informationen als auch der Anreiz fehlen, das Leistungsinteresse des Gläubigers bei seiner Entscheidung zwischen Vertragsbruch und Vertragsdurchführung tatsächlich zu berücksichtigen. Er wird den Vertrag daher regelmäßig schon dann brechen, wenn seine Leistungsaufwendungen den Vertragspreis oder auch nur seine kalkulierten Kosten überschreiten. Derartige Vertragsbrüche sind grundsätzlich ineffizient, und es ist in erster Linie die Aufgabe der Rechtsordnung, diese zu verhindern. Die Ermöglichung effizienter Vertragsbrüche – soweit es solche überhaupt gibt – ist demgegenüber allenfalls eine nachrangige Aufgabe, weil diese empirisch bei Weitem in der Minderzahl sind.119 117
Vgl. auch oben § 3.III.2.b) (S. 167 ff.). dazu auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1006 f. (2005); Matthias Lehmann, JZ 2007, 525, 526; Wackerbarth, ZGS 2006, 369, 371; ausführlich auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 ff. 119 Krit. gegenüber der Konzentration auf effiziente Vertragsbrüche auch Köndgen/von 118 Vgl.
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Daraus folgt, dass die Rechtsordnung effiziente Vertragsbrüche allenfalls insoweit begünstigen sollte, als deren Effizienz außer Frage steht. Solange für eine bestimmte Fallgruppe unklar ist, ob ein Vertragsbruch effizient ist oder nicht, muss die Rechtsordnung den Vertragsbruch zu verhindern suchen. Insoweit besteht eine klare Argumentationslastregel zulasten der Zulassung von Vertragsbrüchen unter Effizienzgesichtspunkten.120
d) Kritik der Lehre vom effizienten Vertragsbruch Da sich bereits die wesentlichen Annahmen der Lehre vom effizienten Vertragsbruch als kontrafaktisch erwiesen haben, kann die Lehre vom effizienten Vertragsbruch in ihrer Gesamtheit nicht überzeugen. Doch selbst, wenn man die Annahmen teilt, sind die meisten Schlussfolgerungen dieser Lehre auch in sich weitgehend unschlüssig.121
aa) Mehrgebot eines Dritten Das betrifft zunächst die Fallgruppe des Mehrgebotes eines Dritten.122 Insoweit sind zwei Unterfälle zu differenzieren: Verträge über vertretbare, am Markt liquide verfügbare Güter (Waren oder Dienstleistungen), und Verträge über unvertretbare oder am Markt nicht verfügbare Güter. Existiert ein liquider Markt für die vertragliche Leistung, so ist das Problem des Mehrgebotes eines Dritten schwer vorstellbar: Damit überhaupt ein Konflikt zwischen zwei unterschiedlich hohen Angeboten bestehen kann, muss entweder der Gläubiger unter dem Marktpreis oder der Dritte über dem Marktpreis eingekauft haben; beides ist unwahrscheinlich, solange sich der Marktpreis in der Zwischenzeit nicht verändert hat. Hat der Gläubiger unter dem (heutigen) Marktpreis eingekauft, und bietet der Dritte den Marktpreis, so entspricht auch das Leistungsinteresse des Gläubigers (mindestens) dem Marktpreis, weil dieser die Kosten eines Deckungsgeschäfts repräsentiert. Da zu diesen Kosten noch die Transaktionskosten für das Deckungsgeschäft sowie eventuelle Rechtsverfolgungskosten im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner hinzukommen, kann der Vertragsbruch des Schuldners in dieser Konstellation nie effizient sein – ganz abgesehen davon, dass der Schuldner nicht über die erforderlichen Informationen verfügt, um das Leistungsinteresse des Gläubigers beurteilen zu können. Im Übrigen könnte sich der Dritte bei einem liquiden Markt jederzeit anderRandow, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 122, 130. 120 Vgl. zu dieser Argumentationsfigur nur Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 150 ff. 121 Vgl. hierzu insgesamt auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 360 ff.; Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 998 ff. (2005). 122 Vgl. zu dieser Fallgruppe oben § 3.III.3.a)aa) (S. 173 f.).
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weitig eindecken und wäre nicht darauf angewiesen, das Gut ausgerechnet beim Schuldner zu beschaffen; auf diese Weise könnten sogar beide Vertragsgewinne realisiert werden: Der des Gläubigers und der des Dritten.123 Und schließlich könnte der Dritte auch dem Gläubiger das Gut (oder seinen Anspruch gegen den Schuldner) abkaufen, was im Übrigen präzisere Informationen über die jeweilige subjektive Bewertung des Gutes zu Tage fördern würde, weil beide Parteien sich auf einen Vertrag einigen müssten, der nur zustande käme, wenn das Gut für den Dritten tatsächlich mehr wert wäre als für den Gläubiger.124 Relevanter wird die Frage nach der Möglichkeit eines effizienten Vertragsbruches bei Gütern, die nicht am Markt liquide verfügbar sind, also bei unvertretbaren Waren oder Dienstleistungen. Das klassische Beispiel hierfür ist der Grundstückskauf. Auch hier besteht indessen das Problem, dass der Schuldner (Verkäufer) das Leistungsinteresse des Gläubigers im Zeitpunkt der Entscheidung über den Vertragsbruch nicht kennt und daher keine informierte und effiziente Entscheidung treffen kann.125 Er würde den Vertrag im Zweifel evtl. sogar schon brechen, wenn der von dem Dritten gebotene Preis nur höher ist als der vom Gläubiger gebotene Preis, oder zumindest höher als der Marktpreis. Das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers liegt aber in jedem Fall höher als der Vertragspreis (sonst hätte er den Vertrag nicht geschlossen), und möglicherweise auch über dem Marktpreis. Es ist nur für den Schuldner nicht von außen erkennbar.126 Das gilt bereits für das anfängliche Leistungsinteresse, und es gilt erst recht für zukünftige Veränderungen des Leistungsinteresses – und damit des Wohlfahrtsgewinnes, den die Vertragsdurchführung aufseiten des Gläubigers bewirken würde.127 Hinzu kommt, dass das Leistungsinteresse noch um die – nicht in Geld messbaren – Nachteile erhöht werden müsste, die für den Gläubiger mit dem Übergang von der Naturalleistung auf den Geldersatz verbunden sind. Denn wie bereits oben dargelegt, bleibt der in Geld festgesetzte Schadensersatz statt der Leistung systematisch um diese Elemente hinter dem wahren Leistungsinteresse des Gläubigers zurück.128 Aufgedeckt werden kann das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers erst in Verhandlungen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner (oder dem überbietenden Dritten). Wenn der Schuldner oder der Dritte dem Gläubiger dessen Recht auf die vertragsgemäße Leistung abkaufen wollen, müssen sie ihm eine 123
Dies wird etwa übersehen von Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351, 368 f. (1978). Vgl. dazu Schwartz, 89 Yale L. J. 271, 284 (1979); Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 709 (1986); Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1003 f. (2005); Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 235 f. 125 Dieses Problem wird häufig nicht gesehen, vgl. etwa Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 266. 126 Vgl. dazu Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 265; Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1004 ff., 1011 (2005); M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 363. 127 S. oben § 3.III.3.b)cc) (S. 178 f.). 128 S. oben § 3.III.3.b)aa) (S. 175 ff.). 124
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Ausgleichszahlung anbieten. Wenn diese Ausgleichszahlung das tatsächliche Leistungsinteresse (einschließlich der immateriellen bzw. nicht unmittelbar in Geld bezifferbaren Komponenten) überschreitet, wird ein rationaler Gläubiger bereit sein, auf das Leistungsrecht zu verzichten und dies entweder dem Schuldner oder dem Dritten abtreten. In diesen Verhandlungen kann tatsächlich festgestellt werden, ob der Dritte das Gut höher bewertet als der Gläubiger;129 denn nur in diesem Fall kommt der Vertrag mit dem Gläubiger zustande. Dann handelt es sich aber nicht mehr um einen effizienten einseitigen Vertragsbruch des Schuldners (efficient breach), sondern um eine einvernehmliche (und schon deswegen mutmaßlich effiziente) Vertragsaufhebung (efficient termination).130 Forciert werden kann diese Kommunikation zwischen Schuldner und Gläubiger durch einen Anspruch des Gläubigers auf Partizipation am Gewinn des Schuldners durch das Drittgeschäft, wie dies etwa im deutschen Recht der Anspruch auf das stellvertretende commodum nach § 285 BGB vorsieht.131 Ein solcher Partizipationsanspruch führt zwar einerseits dazu, dass der Schuldner ein etwaiges günstigeres Drittgeschäft möglicherweise nicht durchführt, weil er den Erlös nicht behalten darf, also nur wirtschaftlich für den Gläubiger handeln würde.132 Ein rational handelnder Schuldner würde in einem solchen Fall jedoch nicht einfach auf das Drittgeschäft verzichten, sondern in Verhandlungen mit dem Gläubiger treten, um den Mehrerlös zwischen sich und dem Gläubiger zu verteilen. Er kann den Gläubiger dabei vor die Wahl stellen, den Vertrag durchzuführen (so dass der Gläubiger „nur“ die Leistung erhält) oder den Vertrag zugunsten des Drittgeschäfts zu brechen und den Gläubiger – unter Verzicht auf einen weiteren Anspruch auf das stellvertretende commodum – am Mehrgewinn anteilig zu beteiligen. Auch im Zuge dieser Verhandlungen wird der Gläubiger sein Leistungsinteresse jedenfalls insoweit aufdecken, als es die Untergrenze für akzeptable Verhandlungsergebnisse darstellt. Nimmt der Schuldner das Drittgeschäft dagegen ohne vorherige Verhandlungen mit dem Gläubiger vor, so muss er den Mehrerlös vollständig abführen. Gegen diese Lösung wird eingewandt, sie führe zu zusätzlichen Transaktionskosten für die Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger über 129 Vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1002 (2005); Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 235; Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 137 (1981); Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 360, 366 (1984); Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 269. 130 Vgl. dazu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1000 (2005); Mahoney, 24 J. Legal Stud. 139, 141 (1995); unter dem Blickwinkel der Unterscheidung zwischen property Rights und liability Rights auch Kronman, 45 U. Chic. L. Rev. 351, 379 (1978). 131 In der amerikanischen Literatur wird hierfür auch der Begriff „disgorgement interest“ für das Interesse des Gläubigers, am Gewinn des Schuldners infolge eines Vertragsbruches zu partizipieren, verwendet (vgl. etwa Eisenberg, 105 Mich. L. Rev. 559, 579 ff. (2006)). 132 Vgl. etwa Köndgen/von Randow, in: Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, 1989, S. 122, 130; Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 268.
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die einvernehmliche Vertragsaufhebung.133 Das ist zwar richtig, begründet aber kein durchschlagendes Argument für die Zulassung eines effizienten Vertragsbruches in dieser Konstellation. Denn auch der einseitige Vertragsbruch durch den Schuldner würde zu Transaktionskosten im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner führen, die nicht offensichtlich geringer sind als die Transaktionskosten, die durch den Übergang von der Naturalleistung auf den Schadensersatz entstehen.134 Denn in diesem Fall entstehen unvermeidbar die Kosten der Schadensermittlung und ggf. die Kosten der Rechtsverfolgung; bei einem einseitigen Vertragsbruch durch den Schuldner ist es wesentlich wahrscheinlicher als bei einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung, dass diese Fragen gerichtlich ausgetragen werden. Ex ante kann keinesfalls sicher festgestellt werden, welche dieser Transaktionskosten höher sind.135 Eine Vermutung besteht eher dahingehend, dass die Verhandlungskosten vor dem Vertragsbruch des Schuldners geringer sind als danach, wenn einmal vollendete Tatsachen geschaffen sind, etwa das verkaufte Grundstück bereits einem besser bietenden Dritten verkauft und übereignet wurde. Unberath bemerkt dazu treffend: „Zuerst den Vertrag verletzen, dann über den Schaden verhandeln, dürfte eine der teuersten Formen der Kommunikation sein“136.
bb) Erhöhung des Leistungsaufwandes In der Fallgruppe der Erhöhung des Leistungsaufwandes kann der Lehre vom effizienten Vertragsbruch zumindest ein richtiger Kern nicht abgesprochen werden: Es sind in der Tat Situationen denkbar, in denen die tatsächliche Durchführung des Vertrags bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung unsinnig ist, weil der Leistungsaufwand des Schuldners das Leistungsinteresse des Gläubigers selbst unter Berücksichtigung sämtlicher zusätzlicher Nachteile für den Gläubiger (z.B. die Kosten der Schadensermittlung, Rechtsverfolgungskosten, Kosten vergeblicher Leistungsaufforderungen) überschreitet.137 Ausgeschieden werden üblicherweise diejenigen Fälle, in denen mit dem gestiegenen Leistungsaufwand des Schuldners zugleich das Leistungsinteresse des Gläubigers ansteigt.138 Stellen sich etwa bei notwendigen Erdbauarbeiten 133 Vgl. R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 4.10 (S. 120); Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 850 (2006); ders., Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 314 ff. 134 Vgl. Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1005 f. (2005); Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 235; Schwartz, 89 Yale L. J. 271, 285 (1979); Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 380 (1984); Macneil, 68 Va. L. Rev. 947, 968 f. (1982). 135 Vgl. zur allgemeinen Gefahr der Beliebigkeit von Transaktionskostenbestimmungen Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1005 (2005). 136 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 f. unter Hinweis auf Macneil, 68 Va. L. Rev. 947, 968 f. (1982); ähnlich auch Nodoushani, RTh 2006, 467, 481. 137 Vgl. auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1014 f. (2005). 138 Vgl. etwa Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1014 Fn. 79 (2005).
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Schwierigkeiten heraus, die den Leistungsaufwand des Schuldners ansteigen lassen (z.B. ein schwierigerer Boden als vorhergesehen), so sind diese Erdbauarbeiten auch für den Gläubiger mehr wert, weil er sie sonst von einem anderen Schuldner auch nur zu einem höheren Aufwand (und damit zu einem höheren Marktpreis) erhalten könnte; es stellt sich dann allenfalls die Frage einer Nachverhandlung über den Vertragspreis.139 Diese Fälle sind durchaus denkbar; allerdings darf das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht unbesehen mit dem Marktpreis der Leistung gleichgesetzt werden. Vielmehr hängt sein Leistungsinteresse von der konkret beabsichtigten Verwendung ab. Im Falle eines Wiederverkaufs wird der Gläubiger im Zweifel von einem gestiegen allgemeinen Marktpreis ebenfalls profitieren, so dass sein Leistungsinteresse mit der Erhöhung des Leistungsaufwandes ansteigt. Anders liegt es jedoch, wenn der Wert, den die Leistung für den Gläubiger hat, von den gestiegenen Kosten unabhängig ist. So mag etwa der Gläubiger durch die Nutzung der auf dem auszuhebenden Grundstück zu errichtenden Fabrikhalle einen gewissen wirtschaftlichen Vorteil erzielen wollen, der nicht dadurch größer wird, dass die Errichtung der Fabrikhalle teurer wird. Hier ist es tatsächlich denkbar, dass der Leistungsaufwand des Schuldners so weit ansteigt, dass er den Wert, den die Leistung für den Gläubiger hat, überschreitet. Gleiches gilt für das Schulbeispiel des verkauften Ringes (Einzelstück), der auf den Seegrund sinkt und nicht dadurch mehr wert wird, dass er nur unter größtem Aufwand geborgen werden kann. Freilich besteht auch in dieser Fallgruppe das Problem, dass der Schuldner im Zeitpunkt seiner (einseitigen) Entscheidung zwischen Vertragsbruch und Vertragsdurchführung nicht wissen kann, wie hoch das Leistungsinteresse des Gläubigers tatsächlich ist. Um aber eine rationale, informierte Entscheidung zu treffen, wie sie nach dem Modell des effizienten Vertragsbruchs erforderlich wäre, müsste er für seine Entscheidung über alle Informationen verfügen, um das Leistungsinteresse des Gläubigers vollständig bestimmen zu können. Die einzige Information, über welche der Schuldner indes zuverlässig verfügt, und die er im Zweifel zur Grundlage seiner Entscheidung machen wird, ist der Vertragspreis. Dieser sagt allerdings nichts über das tatsächliche Leistungsinteresse des Gläubigers aus – im Gegenteil: Er ist mit Sicherheit geringer als dieses, sonst hätte der Gläubiger den Vertrag nicht geschlossen.140 Würde die Rechtsordnung dem Schuldner in dieser Situation den Vertragsbruch ohne weiteres aus Effizienzgesichtspunkten gestatten, so könnte nur ein (kostenintensiver) Rechtsstreit zwischen den Parteien ex post klären, ob der Vertragsbruch tatsächlich aus ökonomischen Gründen zulässig war oder nicht, weil erst dann (wenn überhaupt) die erforderlichen Informationen offengelegt werden würden. Auch hier ist es 139 Vgl. im deutschen Recht § 313 BGB; s. hierzu auch BGHZ 59, 365, 368 f. sowie S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 306. 140 Vgl. dazu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1004 ff. (2005).
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aus ökonomischer Sicht Aufgabe der Rechtsordnung, Anreize dergestalt zu setzen, dass die Parteien nach einer Erhöhung des Leistungsaufwandes über eine einvernehmliche Vertragsanpassung und ggf. Vertragsaufhebung verhandeln (efficient termination), weil nur im Rahmen dieser Verhandlungen das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers offen gelegt wird und zu vermuten ist, dass das Ergebnis der Einigung effizient ist.141 Konkret sollte der Schuldner vom Gläubiger eine Erhöhung des Vertragspreises fordern (oder der Gläubiger eine entsprechende Ausgleichszahlung anbieten), um den erhöhten Leistungsaufwand abzufangen, wozu sich ein rationaler Gläubiger bis zur Höhe seines Leistungsinteresses bereitfinden würde. Umgekehrt könnte der Schuldner auch versuchen, sich freizukaufen, indem er dem Gläubiger einen Betrag zwischen dem zu erwartenden Leistungsaufwand und dem Leistungsinteresse des Gläubigers anbietet; ein rational handelnder Gläubiger würde auf ein solches Angebot eingehen, weil er dadurch mehr erhielte als sein eigentliches Leistungsinteresse. Zwar entstehen auch durch diese Verhandlungen Transaktionskosten; wie in der Fallgruppe des Mehrgebots eines Dritten steht aber keinesfalls fest, dass diese höher wären als bei einem einseitigen Vertragsbruch des Schuldners, wo Transaktionskosten für die Schadensermittlung und ggf. die gerichtliche Durchsetzung entstehen. Das Gegenteil ist vielmehr plausibel.142 Unabhängig von den Transaktionskosten verbleibt jedoch die Gefahr, dass ein irrationaler Gläubiger trotz des Angebots des Schuldners in ineffizienter Weise auf der naturalen Vertragsdurchführung wie vereinbart besteht (sog. hold-up).143
cc) Reduktion des Leistungsinteresses des Gläubigers Gleich zu behandeln ist schließlich die letzte Fallgruppe des Wegfalls bzw. der Reduktion des Leistungsinteresses des Gläubigers. Der Unterschied zur Fallgruppe der Erhöhung des Leistungsaufwandes des Schuldners besteht lediglich darin, dass es hier der Gläubiger ist, der das Interesse an der Durchführung des Vertrags verliert, weil diese ihm einen Verlust bescheren würde. Ineffizient ist die Vertragsdurchführung aber auch in diesem Fall erst (aber immerhin), wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers hinter den vertragsspezifischen Investitionen des Schuldners zurückbleibt, weil sie dann zu einem echten Wohlfahrtsverlust führt. Nimmt man nun an, dass dem Schuldner kein eigenes Recht auf reale Vertragsdurchführung zustehe, sondern lediglich auf Schadensersatz in Höhe des entgangenen Vertragsgewinns, so würde der Gläubiger den Vertrag stets bre141 Vgl. Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 707 ff. (1986); DeLong, 22 Ind. L. Rev. 737, 754 (1989); Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1000 f. (2005); Eidenmüller, JZ 2005, 216, 222; Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 539. 142 Vgl. Laithier, RDC 2005, 161, 180 f. sowie soeben § 3.III.3.d)aa) (S. 181 ff.). 143 Vgl. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 843 f. (2006).
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chen, sobald der Verlust, den er bei Vertragsdurchführung erleiden würde (die Differenz aus Vertragspreis und Leistungsinteresse), größer als der von ihm zu ersetzende Vertragsgewinn des Schuldners wird. Das ist zugleich genau diejenige Schwelle, ab der die Vertragsdurchführung ineffizient wäre. Allerdings ist der Vertragsgewinn des Schuldners – genauso wie im umgekehrten Fall der Leistungserschwerung des Schuldners das Leistungsinteresse des Gläubigers – für den Gläubiger nicht ohne weiteres ermittelbar, sondern tritt erst im Rahmen der Verhandlungen über die Abstandszahlung des Gläubigers zutage. Denn der Schuldner wird die Höhe seiner erforderlichen Investitionen (Kosten der Leistungserbringung) vor dem Gläubiger ebenso geheim halten wie dieser sein wahres Leistungsinteresse, weil er dadurch seine Verhandlungsposition hinsichtlich des Vertragspreises verschlechtern würde. Die Problematik ist insoweit spiegelbildlich zur Erhöhung des Leistungsaufwandes des Schuldners. Auf die dortigen Ausführungen zur ökonomischen Vorzugswürdigkeit von Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner trotz der dadurch induzierten Transaktionskosten ist daher zu verweisen.144
dd) Moralische Grundsatzkritik an der Zulassung des effizienten Vertragsbruchs Neben dieser – ihrerseits ökonomisch fundierten – Kritik an der Lehre vom effizienten Vertragsbruch wird diese Lehre auch aus dem viel grundsätzlicheren Blickwinkel der Moral angegriffen: Die Vertragsbindung folge nicht aus Effizienzerwägungen, sondern aus der moralischen Pflicht, ein gegebenes Versprechen zu halten; der Bruch des Vertrags könne daher nicht mit Effizienzargumenten gerechtfertigt werden.145 Dieses Argument verliert allerdings viel von seiner Schärfe, wenn man den Gedanken akzeptiert, dass die „gewachsenen“ Regeln der Moral ihrerseits eine Vermutung der Effizienz für sich tragen. Angesichts ihrer Jahrtausende langen Entwicklung als gesellschaftliche Verhaltensnormen spricht vieles dafür, dass sie diejenigen Regeln widerspiegeln, die ein möglichst reibungsloses Zusammenleben in der Gesellschaft ermöglichen. Freilich erfordert dies eine Betrachtung, die über ein konkretes Zweipersonenverhältnis hinausreicht und die gesamtgesellschaftlichen Effekte „unmoralischen“ Verhaltens berücksichtigt.146 Die institutionelle Bindung an das gegebene Versprechen eröffnet für rational handelnde Menschen – selbst wenn man sie als amoralisch denkt – die Möglichkeit des Vertrauens in das gegebene Wort. Nur wer selbst den Grundsatz der 144
Vgl. soeben § 3.III.3.d)bb) (S. 184 ff.). Vgl. etwa eingehend Linzer, 81 Colum. L. Rev. 111, 116 ff. (1981); Menetrez, 47 UCLA L. Rev. 859 (2000); M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 364 ff.; s. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 233; Stöhr, AcP 214 (2014), 425, 444 ff. 146 Vgl. dazu bereits oben § 3.I.1.b) (S. 151 ff.). 145
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Versprechensbindung aufrechterhält, kann auch erwarten, dass ihm gegenüber Wort gehalten wird.147 Wer selbst wortbrüchig ist oder Wortbrüche Anderer erfährt, verliert das Vertrauen in gegebene Versprechen. Ohne das Vertrauen in gegebene Versprechen wäre aber ein arbeitsteiliges Wirtschaftsleben nicht denkbar; jeder Marktakteur müsste sich gegen mögliche Wortbrüche seiner Geschäftspartner durch Versicherungen oder dem Bestehen auf Vorleistungen absichern.148 Zudem ist das Vertrauen der Vertragspartner von hohem wirtschaftlichem Wert: Als unmoralisch angesehenes Verhalten wird vom Markt bestraft und daher von den Marktakteuren im eigenen Interesse vermieden. Solange der Bruch des Versprechens als solcher als unmoralisch bewertet wird, zieht er – unabhängig von seiner Effizienz im Zweipersonenverhältnis zum konkreten Vertragspartner – bei globaler Betrachtung negative Reputationseffekte nach sich, welche dem vertragsbrüchigen Marktteilnehmer in Zukunft den Marktzugang erschweren.149 Er wird höhere Preise zahlen müssen bzw. selbst zu niedrigeren Preisen anbieten müssen, um die Versicherungskosten der Gegenseite zu kompensieren. Das führt zwar nicht automatisch dazu, dass jeder Vertragsbruch ineffizient ist; aber die Schwelle, ab welcher der Vertragsbruch effizient wird, wird erstens höher und zweitens schwieriger zu ermitteln, weil die Reputa tionseffekte nicht einfach ex ante quantifizierbar sind. Diese Berücksichtigung negativer Reputationseffekte in der Effizienzbetrachtung führt zwar nicht direkt zur Konvergenz ökonomischer und moralischer Kriterien für die Zulassung von Vertragsbrüchen. Gleichwohl verliert der Gegensatz an Schärfe, weil einerseits die ökonomische Analyse moralische Werte mit berücksichtigt, und weil andererseits auch die moralische Bindung Ausnahmen von der Bindung an gegebene Versprechen anerkennen muss, wenn sich etwa die dem Versprechen zugrunde liegenden Annahmen fundamental geändert haben.150 Die hier favorisierte verhandlungsorientierte Lösung ist aus moralischer Sicht ohnehin unproblematisch, weil sie gegenüber einer einseitigen Vertragsbruchslösung den entscheidenden Vorteil hat, dass gerade kein Bruch eines Versprechens erfolgt, sondern eine gemeinsame Änderung des Versprechensinhalts, die nicht gegen den Willen auch nur einer der beiden Vertragsparteien erfolgen kann.
147
In diesem Sinne auch Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 422. Vgl. dazu bereits oben § 3.III.2.b) (S. 167 ff.). 149 Vgl. auch Ulen, 83 Mich. L. Rev. 341, 347 ff. (1984); M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 365; HKK-BGB/Oestmann, 2003, §§ 145–156 Rn. 10 f. 150 S. etwa Shavell, 56 Emory L. J. 439, 457 f. (2006), der die Bewertung von Vertragsbrüchen als unmoralisch deutlich einschränkt und sogar den „effizienten Vertragsbruch“ als moralisch einordnet. 148
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e) Dogmatische Einordnung der Lehre vom effizienten Vertragsbruch Aus den oben genannten Beispielen kann entnommen werden, dass es Situationen geben kann, in denen ein Vertragsbruch ökonomisch effizienter ist als die Vertragsdurchführung. Ob daraus allerdings auch dogmatische Folgerungen zu ziehen sind, und wenn ja, welche, ist indessen durchaus zweifelhaft.151 Denn ökonomische und rechtliche Beurteilung folgen völlig verschiedenen Regeln und Zielen und müssen nicht in ihren Ergebnissen übereinstimmen: Nicht alles, was ökonomisch sinnvoll ist, muss auch – selbst nach den Forderungen einer normativen ökonomischen Analyse – rechtmäßig sein. Wenn also ein Vertragsbruch aus ökonomischer Sicht sinnvoll sein soll, bedeutet das lediglich, dass die ökonomische Analyse die Forderung an die Rechtsordnung erhebt, der Vertragsbruch (d.h. die Verweigerung der Naturalleistung) solle in gewissen Situationen faktisch zugelassen werden; evtl. sollte die Rechtsordnung sogar einen Anreiz zu einem solchen Vertragsbruch bieten. An die Stelle der verweigerten Naturalleistung muss aber auch nach den Annahmen der Befürworter eines effizienten Vertragsbruches eine Schadensersatzpflicht des vertragsbrüchigen Schuldners in Höhe des vollen Leistungsinteresses des Gläubigers treten. Jedenfalls nach deutschem Recht ist indessen die Widerrechtlichkeit des Vertragsbruches Voraussetzung des Anspruches des Gläubigers auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB152). Würde man also die ökonomische Effizienz des Vertragsbruches in einer konkreten Situation zum Anlass nehmen, diesen für rechtmäßig zu erklären, so würde damit zugleich die Grundlage für den Schadensersatzanspruch des Gläubigers entfallen – und damit die zentrale Prämisse der Lehre vom effizienten Vertragsbruch, dass der Gläubiger vollen Ersatz seines Leistungsinteresses erhält. Daher kann die Lehre vom effizienten Vertragsbruch, soweit man ihr überhaupt folgen möchte,153 nicht dazu führen, dass Vertragsbrüche als rechtmäßig angesehen werden, wenn sie effizient sind. Unmittelbare rechtsdogmatische Folgerungen aus dieser Lehre im Sinne einer Rechtfertigung von Vertragsbrüchen sind ausgeschlossen. Vielmehr kann die Lehre vom effizienten Vertragsbruch allenfalls zum Anlass genommen werden, die Regelungen des geltenden Rechts daraufhin zu überprüfen, ob sie die zutreffenden Anreize setzen, damit der Schuldner in einem Fall, in dem der Vertragsbruch effizient sein kann, den Vertrag tatsächlich bricht – und vor allem nur in einem solchen Fall. Die Sanktionen des Vertragsbruches müssen dann für den Schuldner weniger nachteilig als die Erzwingung der Naturalleistung sein. Trotz dieser Anreizsetzung muss der Vertragsbruch 151
Vgl. dazu auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 232 f. zur Integration der Rechtswidrigkeit in das Tatbestandsmerkmal des Vertretenmüssens nur Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1100 f. 153 S. dazu oben § 3.III.3.c) (S. 180 f.). 152 Vgl.
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auch in einem solchen Fall von der Rechtsordnung notwendigerweise als rechtswidrig angesehen werden, damit überhaupt Sanktionen eingreifen können und der Gläubiger Kompensation erlangen kann.154 Ein Beispiel für eine derartige Anreizsetzung ist die Vorschrift des § 275 Abs. 2 BGB, die es dem Schuldner zwar gestattet, im Falle grob unverhältnismäßiger Leistungsaufwendungen die Naturalleistung zu verweigern, aber im Zusammenspiel mit §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB zugleich zu einer Schadensersatzpflicht des Schuldners führt, wenn er das Leistungshindernis zu vertreten hat. Der Schuldner muss in diesem Zusammenhang genau diejenigen Erwägungen anstellen, die nach der ökonomischen Theorie vom effizienten Vertragsbruch nötig sind, um die Effizienz der Nichterfüllung zu bestimmen, weil er seinen Leistungsaufwand zum Leistungsinteresse des Gläubigers (das er faktisch erst im Verhandlungswege ermitteln kann) ins Verhältnis setzen muss.155
IV. Folgerungen für den Grundsatz der Naturalerfüllung im Vertragsrecht Nach Auffassung vieler Autoren in der rechtsökonomischen Literatur hat die Theorie des effizienten Vertragsbruches unmittelbare Auswirkungen auf die rechtspolitische Wahl zwischen dem Grundsatz der Naturalerfüllung und dem Grundsatz der Gelderfüllung.156 Danach bestehe bei Gewährung eines Anspruches auf Naturalerfüllung die Gefahr, dass Vertragsbrüche auch dann verhindert würden, wenn sie eigentlich effizient wären. Nur die Möglichkeit des Gläubigers zum sofortigen Übergang auf Schadensersatzansprüche sei geeignet, effiziente Vertragsbrüche zu ermöglichen.157 In der Tat würde ein unbegrenzt durchsetzbarer Anspruch auf die Naturalleistung sämtliche Vertragsbrüche verhindern – abgesehen von den Fällen echter physischer Unmöglichkeit –, und damit auch die (wenigen) effizienten Vertragsbrüche. Umgekehrt würde eine ausschließliche Anwendung des Grundsatzes der Gelderfüllung Vertragsbrüche erleichtern – und damit auch effiziente Vertragsbrüche –, weil der Schuldner sich seiner (als solche dann gar nicht bestehenden) Naturalleistungspflicht stets durch schlichte Nichtleistung entziehen könnte. So pauschal kann die Frage aber nicht beantwortet werden. Vielmehr haben in ökonomischer Hinsicht beide Grundsätze ihre Vor- und Nachteile in spezifi154
Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 232 f. S. dazu noch eingehend unten § 5.IV.1.d) (S. 329 ff.). 156 Vgl. etwa Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831 (2006); ders., 99 Q. J. Econ. 121 (1984); Muris, Duke L. J. 1982, 1053 ff. 157 Vgl. etwa R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 4.8 (S. 133); Shavell, 99 Q. J. Econ. 121, 132 (1984); Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 381 ff.; ders., RDC 2005, 161, 177 ff. 155
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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schen Situationen. Die ökonomische Analyse des Leistungsstörungsrechts kann aber immerhin fruchtbar gemacht werden, um eine möglichst effiziente Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen beiden Anspruchszielen anzustreben.
1. Ökonomische Nachteile des Anspruches auf Naturalerfüllung Dem Naturalerfüllungsgrundsatz werden in der ökonomischen Literatur verschiedene ökonomische Nachteile gegenüber dem Gelderfüllungsgrundsatz unterstellt.158 Diese Nachteile werden jeweils mit der Lehre vom effizienten Vertragsbruch begründet, d.h. dem Naturalerfüllungsgrundsatz wird vorgeworfen, effiziente Vertragsbrüche zu verhindern. Über die allgemeinen Vorbehalte gegenüber dieser Lehre hinaus, die bereits oben geltend gemacht wurden,159 sind hier daher die spezifischen Folgerungen für die Problematik der Naturalerfüllung zu untersuchen.
a) Unwirtschaftlicher Leistungsaufwand Der erste Nachteil bestehe darin, dass unter Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung diese auch dann verlangt werden könne, wenn sie mit unwirtschaftlich hohen Kosten (im Vergleich zum Leistungsinteresse des Gläubigers) verbunden sei. Das Leistungsinteresse könnte insoweit insbesondere anhand der Kosten eines Deckungsgeschäfts berechnet werden.160 Gemeint sind damit nicht nur die Fälle, in denen nach deutschem Recht § 275 Abs. 2 BGB den Schuldner wegen eines groben Missverhältnisses von der Naturalleistungspflicht freistellt,161 sondern auch solche, in denen der Leistungsaufwand des Schuldners das Leistungsinteresse des Gläubigers nur leicht überschreitet und daher kein grobes Missverhältnis i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB vorliegt, also auch nach deutschem Recht in der Tat eine Naturalleistungspflicht bestünde. Diese Nachteile überzeugen jedoch schon aus ökonomischer Perspektive nicht. Überschreiten die Aufwendungen des Schuldners lediglich die Kosten eines Deckungsgeschäfts (etwa weil der Schuldner im Vergleich zu anderen Anbietern besonders ineffizient arbeitet), so ist nicht einsichtig, warum nicht der Schuldner dieses Deckungsgeschäft selbst vornehmen und die Leistung dann an den Gläubiger weitergeben sollte. Unter der Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung würden die Transaktionskosten hierfür lediglich beim Gläubiger statt beim Schuldner anfallen; dabei ist nicht gesagt, dass sie dort gerin158 Vgl.
Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 833 (2006). § 3.III.3 (S. 173 ff.). 160 So etwa Harke, Allgemeines Schuldrecht, 2010, Rn. 164. 161 Vgl. dazu näher unten § 5.IV (S. 323 ff.). 159 Vgl.
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Erster Teil: Grundlagen
ger ausfallen würden. Im Hinblick auf die „weichen“ Transaktionskosten, die mangels Quantifizierbarkeit nicht als Schaden ersatzfähig sind und daher bei demjenigen verbleiben, der das Deckungsgeschäft tatsächlich vornimmt, ist es effizienter, diese beim Schuldner anzusiedeln, weil er diese dann in die Kalkulation des eigenen Vertragsbruches einbeziehen wird. In den anderen Fällen der Leistungserschwerung, in denen also auch die Kosten eines Deckungsgeschäfts mit ansteigen, ist ein Vertragsbruch allein aufgrund der gestiegenen Leistungserbringungskosten ohnehin nicht effizient, weil mit den gestiegenen Kosten des Deckungsgeschäfts regelmäßig auch der Wert der Leistung für den Gläubiger und damit sein Leistungsinteresse steigt.
b) Gefahr irrationalen Bestehens auf der Naturalerfüllung (hold-up) Ein weiterer Nachteil eines unbeschränkten Anspruches auf Naturalerfüllung wird in der Gefahr gesehen, dass der Gläubiger in irrationaler Weise auf der Naturalerfüllung bestehen könnte, obwohl der Schuldner ihm eine Ausgleichszahlung anbietet, die sein Leistungsinteresse überschreitet. Allerdings besteht diese Gefahr eigentlich auf der Basis des ökonomischen Menschenbildes (REMM162) nicht, weil sie ja gerade irrationales, nicht gewinnmaximierendes Verhalten des Gläubigers voraussetzt; sie ist insoweit schon als Annahme im ökonomischen Modell widersprüchlich. Umgekehrt deutet ein solches Gläubigerverhalten auf der Basis des REMM darauf hin, dass das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers eben doch höher liegt als dasjenige, welches ein Gericht später feststellt, weil mit dem Vertragsbruch etwa diverse nicht in Geld bezifferbare Unannehmlichkeiten verbunden sind. Nur dann macht das Bestehen des Gläubigers auf der Naturalerfüllung als rationales Verhalten Sinn, und dann besteht gerade kein Grund, dem Gläubiger die naturale Erfüllung des Vertrags zu verweigern. Fälle, in denen der Gläubiger nur noch aus Schikane zu seinem eigenen Schaden trotz eines angemessenen Abfindungsangebots des Schuldners auf der naturalen Vertragsdurchführung besteht, können jedenfalls auch innerhalb von Naturalerfüllungsmodellen durch den allgemeinen Rechtsmissbrauchseinwand (im deutschen Recht ggf. auch durch seine spezielle Ausprägung in § 275 Abs. 2 BGB163) gelöst werden, ohne dass insoweit vom Grundsatz der Naturalerfüllung abgerückt werden müsste. Wichtig bleibt aber die Erkenntnis, dass die Anerkennung des Grundsatzes der Naturalerfüllung zu derartigen Einschränkungen nötigt, um missbräuchlichem bzw. schikanösem Verhalten des Gläubigers entgegenzuwirken. 162 Resourceful, evaluating, maximizing man, vgl. dazu Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 32003, S. 5; krit. dazu etwa Rittner, JZ 2005, 668, 669; w.N. zur Kritik bei M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 360 ff. 163 Vgl. zu § 275 Abs. 2 BGB als Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots nur S. Lorenz/ Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 310 sowie unten § 5.IV.1.a) (S. 325 ff.).
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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c) Gefahr überteuerter Investitionen bzw. Vorhaltekosten des Schuldners Die ökonomischen Kritiker des Naturalerfüllungsanspruches befürchten ferner, seine Existenz könnte den Schuldner dazu verleiten, teure Investitionen zur Vermeidung des Erschwerungsrisikos vorzunehmen, also etwa teurere Maschinen anzuschaffen, mit denen er auch unter erschwerten Umständen erfüllen könnte. Diese Investitionen könnten sich insgesamt als ineffizient erweisen (Problem der sog. overreliance).164 Auch diese Annahme ist bereits auf der Basis des ökonomischen Modells vom REMM nicht schlüssig: Der Schuldner wird, wenn er rational handelt, nur solche Investitionen in seine eigene Erfüllungsfähigkeit tätigen, die er durch die erzielten Entgelte auch amortisieren kann. Selbstverständlich führen diese Investitionen in die eigene Erfüllungsfähigkeit (in Gestalt von Vorhaltekosten) zu einem steigenden Preisniveau. Dieser Zusammenhang ist ein genereller: Je höher die von der Rechtsordnung an den Schuldner gestellten Anforderungen an seine Leistungsanstrengungen sind, desto höher sind die Preise, weil der Schuldner in der einen oder anderen Form Versicherungskosten für seine Erfüllungsfähigkeit einkalkulieren muss.165 Allerdings bedeutet dies nicht automatisch eine Ineffizienz im ökonomischen Sinne. Denn der Zusammenhang besteht auf Gläubigerseite in umgekehrter Richtung: Je geringer die an die Erfüllungsbemühungen des Schuldners zu stellenden Anforderungen der Rechtsordnung sind, desto höher sind die Versicherungskosten des Gläubigers, der sich seinerseits gegen einen möglichen Ausfall der Leistung des Schuldners absichern muss. Auch hier kann nicht ex ante und abstrakt gesagt werden, welche Versicherungskosten höher sind: die des Schuldners für erhöhten Erfüllungsaufwand, oder die des Gläubigers gegen eventuellen Leistungsausfall;166 wenn insoweit eine Vermutung im Raum steht, dann diejenige, dass der Schuldner die Erfüllungsrisiken besser überblicken kann als der Gläubiger und daher insoweit geringere Versicherungskosten hat, also cheapest cost avoider ist.167 Wer diese Kosten trägt, ist aus ökonomischer Sicht unerheblich, weil sie in beiden Fällen bei der Kalkulation des Gläubigers berücksichtigt werden und aus dessen Sicht Teil der Aufwendungen zur Erlangung der Vertragsleistung sind – entweder als Rückstellung für einen Ausfall des Schuldners oder als Teil des Vertragspreises, den der Schuldner um seine Versicherungsaufwendungen erhöhen muss. Die 164 Vgl. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 833 (2006); Sloof/Oosterbeek/Riedl u.a., 26 IRLE 263 (2006). 165 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 288, der freilich – ohne Not – die Versicherung ausschließlich auf die materiellen Interessen des Gläubigers bezieht. 166 Vgl. zu den Kriterien der Zuordnung von Versicherungskosten durch Erfüllungszwang Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 288. 167 Vgl. zur Kaufrechtsrichtlinie Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 78.
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Erster Teil: Grundlagen
Verteilung dieser Kosten zwischen Gläubiger und Schuldner hat also auf die Frage, ob ein Vertrag abgeschlossen und durchgeführt wird, keinen Einfluss; der Gläubiger wird stets die Summe aus Vertragspreis und eigenen Versicherungskosten mit seinem Leistungsinteresse vergleichen. Steigt der Vertragspreis wegen höherer Anforderungen an die Erfüllungsbereitschaft des Schuldners, so sinken zugleich die Versicherungskosten des Gläubigers, und umgekehrt. Solange nicht zuverlässig festgestellt werden kann, welche Kosten höher sind, kann hieraus kein Argument für oder gegen den Grundsatz der Naturalerfüllung hergeleitet werden.168
d) Risiko überhöhter Erfüllungskosten Als weiterer Nachteil des Grundsatzes der Naturalerfüllung wird angeführt, dass der Schuldner Gefahr laufe, dem Gläubiger im Falle einer Leistungserschwerung entweder eine überhöhte Ausgleichszahlung (d.h. höher als das Leistungsinteresse des Gläubigers) zahlen oder sogar gravierend überhöhte Erfüllungskosten tragen zu müssen. Auch insoweit müsste der Schuldner also Versicherungskosten ansetzen.169 Allerdings gilt auch hier das zur Gefahr überteuerter Investitionen des Schuldners in seine Leistungsfähigkeit Gesagte: Aufseiten des Gläubigers entsprechen den Versicherungskosten des Schuldners jeweils reduzierte Versicherungskosten, weil er im Falle des Leistungsausfalls bei einer Abstandszahlung des Schuldners mit einer entsprechenden Überkompensation rechnen kann, die den Erwartungswert des Vertrags für ihn im gleichen Maße erhöht bzw. seine eigenen Versicherungskosten gegen den Leistungsausfall reduziert. Auch hier dürften bei genereller Betrachtung eher die Versicherungskosten des Schuldners geringer sein als diejenigen des Gläubigers. Der Unterschied zwischen dem Grundsatz der Naturalerfüllung und dem Grundsatz der Gelderfüllung besteht insoweit also nur darin, dass die Versicherungskosten gegen eine Leistungserschwerung einmal den Schuldner (Naturalerfüllung) und einmal den Gläubiger (Gelderfüllung) treffen. Diese Verteilung ist aber, wie soeben zum Risiko überteuerter Investitionen gezeigt, ökonomisch neutral. Eine Folgerung zu Ungunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung lässt sich daraus nicht ableiten. Soweit befürchtet wird, der Gläubiger könne eine illusorisch hohe – insbesondere eine über seinem tatsächlichen Leistungsinteresse liegende – Ausgleichszahlung verlangen, um auf den Naturalleistungsanspruch zu verzichten, mag tatsächlich ein Bedarf nach einer Begrenzung durch das Rechtsmissbrauchsverbot bestehen. Allerdings wäre ein solches Gläubigerverhalten irrational, weil er 168 Auch empirisch scheint die Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches sogar zu weniger überhöhten Investitionen der Gläubiger zu führen als Schadensersatzansprüche, vgl. Sloof/Oosterbeek/Riedl u.a., 26 IRLE 263, 288 ff. (2006) 169 Vgl. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 845 (2006).
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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in einem solchen Fall verlieren würde, wenn er statt der vom Schuldner angebotenen Abstandszahlung weiterhin auf Naturalerfüllung bestehen würde. Denn durch eine Naturalerfüllung erhielte er „nur“ sein Leistungsinteresse, nicht mehr. Sollte er gleichwohl offensichtlich mehr als sein Leistungsinteresse als Ausgleichszahlung verlangen, ist dieses Verlangen einerseits rechtsmissbräuchlich, und andererseits könnte ihm der Schuldner allein durch die „Drohung“, den Vertrag schlicht in Natur zu erfüllen, begegnen.
e) Verhandlungskosten Gegen die Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches wird ferner eingewandt, er führe dazu, dass der Schuldner einen effizienten Vertragsbruch nicht einfach einseitig begehen könne, sondern sich von seinen Vertragspflichten im Verhandlungswege freikaufen müsse. Durch diese Verhandlungen entstünden Transaktionskosten, die bei Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung nicht anfallen würden. Indessen würden Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner (mit entsprechenden Verhandlungskosten) auch unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung stattfinden – nur mit umgekehrter Initiative: Ein rationaler Gläubiger würde bei einem drohenden Vertragsbruch des Schuldners eine Preiserhöhung bis zur Höhe seines wahren Leistungsinteresses anbieten, um den Schuldner doch noch zur Naturalerfüllung zu bewegen. Auch hier würden Verhandlungskosten anfallen, die nicht offensichtlich höher oder niedriger sind als diejenigen, die bei Verhandlungen über den „Freikauf“ des Schuldners anfallen, wie sie bei Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung zu erwarten wären170. Umgekehrt führt aber der Grundsatz der Gelderfüllung dazu, dass der Schuldner eher versucht sein wird, den Vertrag ohne Vorwarnung zu brechen, weil er sich im Recht fühlt, wenn er die Naturalleistung nicht erbringt. Dann aber könnte der Gläubiger mit seinem Verhandlungsangebot zu spät kommen, und die Parteien müssten nachträglich über die Höhe des Schadensersatzes streiten. Wenn aus den Verhandlungskosten überhaupt ein Ergebnis abgeleitet werden können soll, so würde es eher für den Grundsatz der Naturalerfüllung streiten, weil hier der Schuldner im Vorfeld seiner Entscheidung über den Vertragsbruch in Verhandlungen mit dem Gläubiger treten müsste, und vorherige Verhandlungen im Zweifel erfolgversprechender und weniger kostenintensiv sind als nachträgliche Verhandlungen nach erfolgtem Vertragsbruch.171 Hinzu kommt unter dem Gesichtspunkt der behavioural economics, dass die Parteien bei den Verhandlungen über den „Freikauf“ des Schuldners bzw. über eine Preiserhöhung eine gewisse Präferenz für die gesetzlich vorgesehene Regel170
S. oben § 3.III.3.d)bb) (S. 184 ff.). Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 f.; Macneil, 68 Va. L. Rev. 947, 968 f. (1982). 171 Vgl.
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Erster Teil: Grundlagen
lage einnehmen werden: Es wird wahrscheinlicher sein, dass die Parteien sich im Falle einer Leistungserschwerung auf die naturale Vertragsdurchführung einigen, wenn diese gesetzlich als (dispositiver) Regelfall vorgesehen ist (sog. Besitzeffekte).172 Diese Präferenz ist zwar nur schwach in dem Sinne, dass die Parteien die Naturalerfüllung dann nicht vereinbaren werden, wenn aus ihrer Sicht erhebliche Gründe gegen sie sprechen; es handelt sich der praktischen Wirkung nach um eine Argumentationslastregel. Diese schwache Präferenz unterstützt aber den Vorrang der Naturalleistung in den zweifelhaften Fällen, in welchen die Kosten des Vertragsbruches allenfalls leicht über dem Wohlfahrtsgewinn infolge des Vertragsbruches liegen, ohne dass klar feststünde, welche Kosten höher sind. Da beim Vertragsbruch immer auch „weiche“, nicht gerichtsfest nachweisbare Kosten entstehen, die bei der Entscheidung des Schuldners für oder gegen den Vertragsbruch keine Berücksichtigung finden, weil sie wegen der fehlenden Nachweisbarkeit beim Gläubiger verbleiben, in den Grenzfällen (aus Schuldnersicht) der Vertragsbruch also eigentlich noch ineffizient ist, helfen die Besitzeffekte zugunsten der Naturalerfüllung bei der Vermeidung ineffizienter Vertragsbrüche.
f) Durchsetzungs- und Überprüfungskosten Ein weiterer ökonomischer Kritikpunkt gegen den Grundsatz der Naturalerfüllung betrifft die Kosten der Vollstreckung: Könnte der Gläubiger den Schuldner zur Naturalerfüllung mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung zwingen, so könnte der Vollstreckungszwang selbst hohe (Transaktions-)Kosten verursachen. Die Gerichte müssten prüfen, ob die geschuldete Leistung überhaupt, und wenn ja, ob sie in der geschuldeten Qualität erbracht wurde; der Schuldner könnte in gewissen Fällen dem Anreiz erliegen, die (gerichtlich erzwungene) Leistung nicht in der geschuldeten Qualität zu erbringen, ohne dass dies gerichtsfest nachweisbar wäre (z.B. bei der erzwungenen Mitwirkung an einer Opernaufführung).173 Diese Kosten der Vollstreckung könnten die Naturalerfüllung ineffizient machen, weil sie – addiert zum Leistungsaufwand des Schuldners – dazu führen könnten, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers überschritten wird. Indessen sehen selbst die ökonomischen Kritiker des Grundsatzes der Naturalerfüllung ein, dass auch die Geldabwicklung zu Transaktionskosten führt, welche die Ineffizienz des Vertragsbruches verschleiern können.174 Insbesondere müssen die Gerichte das Leistungsinteresse des Gläubigers bewerten (sofern dieses nicht im Vertrag ex ante pauschalisiert ist). Das mag hinsichtlich 172
Vgl. dazu auch Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 72 ff. m.w.N. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 845 f. (2006); s. auch M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 3 f. 174 Vgl. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 846 (2006). 173 Vgl.
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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des Substanzausfallschadens bei marktgängigen Sachen noch verhältnismäßig einfach sein; der Ertragsausfallschaden hängt aber ausschließlich von den Dispositionen des Gläubigers ab, die dem Schuldner unbekannt sind,175 und birgt daher ein großes Potenzial für Streitigkeiten und Bewertungsunsicherheiten. Hinzu kommt, dass nicht alle Schadensposten auf Gläubigerseite sicher in Geld ermittelbar (z.B. Unannehmlichkeiten der Ersatzbeschaffung, aufgewendete eigene Arbeitskraft etc.) oder zur Überzeugung des Gerichts nachweisbar sind. Diese Bewertungsdefizite würden ineffiziente Vertragsbrüche unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung erleichtern, weil sie die Schwelle, ab welcher der Schuldner den Vertrag bricht, unter das (wahre) Leistungsinteresse des Gläubigers absenken, so dass ein Vertrag in Grenzfällen gebrochen würde, obwohl die Vertragsdurchführung in Wahrheit, d.h. unter Berücksichtigung der nicht gerichtsfest nachweisbaren „weichen“ Bestandteile des Leistungsinteresses, insgesamt effizienter wäre als die Geldabwicklung. Wiederum müsste eine ökonomische Bewertung nachweisen, dass die Verluste durch die Schadensberechnung hinter den Kosten der Naturalvollstreckung zurückbleiben; empirisches Material hierzu liegt soweit ersichtlich nicht vor.176 Auch insoweit kann die ökonomische Analyse daher keinen Nachteil des Naturalerfüllungsanspruches nachweisen.
g) Kein Anreiz zur Annahme des Mehrgebots eines Dritten Gegen die Gewährung eines Anspruches auf Naturalerfüllung wird ferner geltend gemacht, er verhindere effiziente Vertragsbrüche in den Fällen des Mehrgebots eines Dritten.177 In der Tat hat der Schuldner auf den ersten Blick unter Geltung des Naturalerfüllungsgrundsatzes keinen Anreiz, mit einem Dritten einen Vertrag zu schließen, der mehr bietet als das Erfüllungsinteresse des Erstgläubigers. Denn wenn er verpflichtet ist, die Naturalleistung in jedem Fall an den Erstgläubiger zu erbringen, könnte er einen Vertrag mit dem Dritten über denselben Leistungsgegenstand niemals erfüllen, hätte also auch keinen Anreiz zu dessen Abschluss.178 Allerdings ist die Unmöglichkeit der Leistung eine logisch selbstverständliche Grenze jedes Naturalerfüllungsanspruches.179 Ent175 Auf die Kenntnis des Schuldners von der Verwendungsplanung des Gläubigers kommt es für die Ersatzfähigkeit des Schadens nach deutschem Recht nur in den Grenzen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB an, vgl. Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740 m.w.N. 176 Auch Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 846 (2006) bleibt insoweit unentschieden und ohne empirische Belege: „One might expect that the costs and difficulties of enforcing specific performance would usually dominate those of enforcing the expectation measure of damages, especially where specific performance is literal. But cases where specific performance would be easier to enforce are probably not infrequent.“ Vgl. auch das Gegenbeispiel ebd. in Fn. 48. 177 Vgl. zu dieser Fallgruppe oben § 3.III.3.a)aa) (S. 173 f.). 178 So etwa Finsinger/Simon, KritV 1987, 262, 269. 179 Vgl. dazu noch unten § 5.II.6 (S. 305 ff.).
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scheidet sich nun der Schuldner, das Mehrgebot des Dritten anzunehmen, und handelt es sich tatsächlich um einen nicht wiederzubeschaffenden Leistungsgegenstand – andernfalls stellt sich die Frage nach der Konkurrenz zwischen beiden Vertragspartnern ohnehin nicht –, so steht es dem Schuldner auch unter der Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung faktisch frei, den Leistungsgegenstand dem zweiten Vertragsgläubiger zuzuwenden. Gegenüber dem ersten Gläubiger tritt dadurch Unmöglichkeit ein, was in jedem Fall zum Wegfall des Naturalleistungszwanges führt. Er ist in diesem Verhältnis wegen seines vorsätzlichen Vertragsbruches zwar selbstverständlich schadensersatzpflichtig, doch ist gerade dies ohnehin die Prämisse der Lehre vom effizienten Vertragsbruch.180 Der Naturalerfüllungsanspruch kann den Schuldner faktisch also nur dann am Vertragsbruch hindern, wenn dem Gläubiger zugleich eine rechtliche Möglichkeit zusteht, den Schuldner an der Leistung an den Dritten zu hindern, etwa im Wege einer einstweiligen Verfügung181. In diesen Fällen könnte ein sicherbarer Naturalerfüllungsanspruch des Erstgläubigers in der Tat einen – unterstellt – effizienten Vertragsbruch des Schuldners verhindern. Auch an einer Vermittlung eines Vertrags zwischen dem Erstgläubiger und dem Dritten hätte der Schuldner kein Interesse, weil er hiervon nicht profitieren würde, so dass er seine Informationen über den Dritten nicht an den Erstgläubiger (und die über den Erstgläubiger nicht an den Dritten) weiterleiten würde. Jedoch sind diese Einwände – unabhängig davon, dass in den Fällen des Mehrgebots eines Dritten ohnehin bereits aus ökonomischer Sicht große Bedenken gegen die Zulassung effizienter Vertragsbrüche bestehen182 – auch in sich nicht überzeugend. Denn alle aufgezeigten Schwierigkeiten können auch unter Geltung des Naturalerfüllungsgrundsatzes ohne weiteres durch freiwillige Transaktionen zwischen den Beteiligten überwunden werden,183 die regelmäßig effizienter sein werden als ein einseitiger Vertragsbruch.184 Die einzige ökonomisch relevante Grenze liegt bei missbräuchlichen Naturalleistungsverlangen, bei denen der Leistungsaufwand des Schuldners nicht durch ein entsprechendes Leistungsinteresse des Gläubigers gedeckt wird.
h) Keine Schadensminderungsobliegenheit Schließlich wird gegen die Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches eingewandt, dieser könne nur „ganz oder gar nicht“ gewährt werden, so dass es insbesondere keine Möglichkeit gebe, eine Obliegenheit des Gläubigers zur 180
S. oben § 3.III.3.b)aa) (S. 175 ff.). zum Bestehen einer solchem Möglichkeit durch einstweilige Verfügung im deutschen Recht gem. § 935 ZPO nur P. Schlosser, ZZP 97 (1984), 121, 137 f.; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 102014, Rn. 1580; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 935 Rn. 7. 182 S. oben § 3.III.3.d)aa) (S. 181 ff.). 183 Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 234 f. 184 S. oben § 3.IV.1.e) (S. 195 f.). 181 Vgl.
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Minderung des infolge der Nichterfüllung eingetretenen Schadens zu begründen.185 Die Problematik wird in der amerikanischen Entscheidung Weathersby v. Gore deutlich:186 Der Farmer Gore hat Weathersby Anfang März im Voraus die Baumwolle verkauft, die er auf einer bestimmten Fläche im laufenden Jahr ernten würde; der Vertragspreis lag bei 30 Cent je Pfund. Anfang Mai sagte der Farmer den Vertrag einseitig auf; das Pfund Baumwolle kostete zu diesem Zeitpunkt am Markt bereits 35 Cent. Ende September verlangte Weathersby von Gore die Lieferung der Baumwolle (in Natur); der Marktpreis war inzwischen auf 80 Cent je Pfund gestiegen. Das amerikanische Gericht verweigerte die Gewährung von specific performance, weil der Kunde bereits bei der Vertragsaufsage Anfang Mai ein Deckungsgeschäft hätte vornehmen und so seinen Schaden (bzw. den Aufwand des Schuldners) hätte minimieren können, ohne sein Leistungsinteresse einzubüßen. Indessen ist fraglich, warum der Verkäufer in dieser Konstellation überhaupt schutzwürdig sein sollte. Denn zeitgleich mit seiner Vertragsaufsage Anfang Mai hätte er selbst das Deckungsgeschäft zum Marktpreis von 35 Cent abschließen und den Käufer im September aus dem Deckungsgeschäft beliefern können.187 Damit hätte er seine Naturalleistungspflicht erfüllt. Das Problem reduziert sich daher auf die Frage, welche Person das Deckungsgeschäft effizienter vornehmen kann. Insoweit spricht vieles dafür, dass dies der Verkäufer ist: Er kann besser als der Käufer beurteilen, wie endgültig seine Vertragsaufsage ist, und dementsprechend den Zeitpunkt des Deckungsgeschäfts richtig wählen, während der Käufer möglicherweise erst versuchen wird, den Verkäufer dennoch im Verhandlungswege zur Einhaltung des Vertrags zu bewegen, und bei steigenden Marktpreisen dadurch wertvolle Zeit verliert. Vor allem aber führt die Zuweisung des Deckungsgeschäfts an den Verkäufer dazu, dass dieser auch die „weichen“ Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts zu tragen hat, d.h. die als Schadensersatz nicht ersatzfähigen Aufwendungen für die eigene Mühewaltung. Damit muss er tatsächlich alle negativen Effekte seines Vertragsbruches internalisieren und kann auf diese Weise eine rationale und tatsächlich effiziente Entscheidung zwischen der Naturalerfüllung mit eigenen Ressourcen oder durch Deckungsgeschäft treffen; zum Vertragsbruch kommt es dann in keinem Fall. Gerade die Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches führt
185 Vgl. dazu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1022 (2005) mit Beispiel auf S. 1024; s. auch Laithier, in: Cartwright/Vogenauer/Whittaker (Hrsg.), Reforming the French law of obligations, 2008, S. 123, 181; ders., Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004, S. 393 ff. 186 556 F.2d 1247 (5th Circuit 1977), zit. bei Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1024 (2005). 187 Ähnlich Goetz/Scott, 69 Va. L. Rev. 967, 990 (1983) sowie U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 VI 3 (S. 170); Ulen, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, 2002, Bd. 3, S. 481, 483.
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hier zu der effizienten Lösung, dass der Verkäufer sich im eigenen Interesse um das Deckungsgeschäft bemüht.188 Es besteht daher kein Anlass, dem Käufer insoweit eine Schadensminderungsobliegenheit aufzuerlegen und im Interesse von deren Umsetzbarkeit lediglich einen Geldleistungsanspruch zu gewähren.
2. Ökonomische Vorteile des Anspruches auf Naturalerfüllung In der ökonomischen Theorie werden aber auch zahlreiche Vorteile eines Anspruches auf Naturalerfüllung geltend gemacht.189
a) Sichere Realisierung des Leistungsinteresses des Gläubigers Zunächst hat der Anspruch auf Naturalerfüllung den Vorteil, dass er das Leistungsinteresse des Gläubigers optimal verwirklichen kann und damit die aus dem Vertrag und seiner Durchführung folgenden wirtschaftlichen Vorteile sichert.190 Der Gläubiger erhält grundsätzlich191 genau diejenige Leistung, die er aufgrund des Vertrags erwarten durfte, die er also in seine Kalkulationen einbezogen hat. Damit können auch seine Verwendungszwecke, die ja den Kern der ökonomischen Nutzenbewertung ausmachen, möglichst optimal erreicht werden – nämlich in Natur. Dies entspricht dem eingangs postulierten192 Prinzip der Indifferenz zwischen realer Erfüllung und „Rechtsbehelf“193 im Fall der Nichterfüllung, weil der „Rechtsbehelf“ mit der ursprünglich geschuldeten Naturalleistung sogar identisch ist. Das gilt zwar nicht für das zeitbezogene Erfüllungsinteresse, soweit dieses infolge der Verzögerung der Leistung bis zur Vollstreckung eines Naturalleistungsurteils endgültig nicht mehr realisiert werden kann (Verzögerungsschaden). Das ist indessen ein allgemeines Problem der naturgesetzlichen Unmöglichkeit und keine spezifische Folge des Anspruches auf Naturalerfüllung; vielmehr würde auch ein Urteil auf Schadensersatz in Geld nicht sofort bei Fälligkeit ergehen und vollstreckt werden, so dass sich die gleichen Probleme der Leistungsverzögerung auch bei einem Anspruch auf Geldzahlung stellen 188
S. auch Schwartz, 89 Yale L. J. 271, 286 ff. (1979). Vgl. dazu auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1018 ff. (2005). 190 Vgl. auch Birmingham, 24 Rutgers L. Rev. 273, 292 (1970). 191 Bei Ansprüchen auf persönliche Dienst- oder Werkleistungen kann dies freilich zweifelhaft sein, wenn man annimmt, dass eine gegen den Willen des Schuldners erzwungene Leistung nicht die gleiche Qualität hat wie eine freiwillige Leistung, ohne dass diese Qualitätseinbuße leistungsstörungsrechtliche Konsequenzen hätte, etwa weil sie in der Spannbreite der „akzeptablen“ Leistungen bleibt. S. zu diesem Problem unten § 7.II.1 (S. 433 f.). 192 S. oben § 3.III.2.d) (S. 171 ff.). 193 Ob der Naturalerfüllungsanspruch in diesem Sinne ein Rechtsbehelf oder der Primäranspruch ist, kann an dieser Stelle offen bleiben; s. dazu § 4.IV.1 (S. 241 ff.). 189
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würden. Allenfalls kann sich nach den Umständen des Falles erweisen, dass der Verzögerungsschaden bis zur Vollstreckung eines Naturalleistungsurteils so anwachsen würde, dass er durch die Vorteile der Naturalleistung durch den Schuldner nicht aufgewogen werden kann. In einem solchen Fall – dessen Vorliegen regelmäßig allein vom Gläubiger festgestellt werden kann, weil nur dieser über die relevanten Informationen hinsichtlich seiner Verwendungsplanung verfügt194 – kann es vorzugswürdig sein, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen und dessen Kosten zu liquidieren, das Naturalerfüllungsinteresse des Gläubigers also nur mittelbar zu befriedigen.195 Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Vorzugswürdigkeit des Naturalleistungsanspruches.
b) Anreiz für Verhandlungen vor Vertragsbruch Die Existenz eines Anspruches auf Naturalerfüllung führt ferner dazu, dass die Parteien eher gezwungen werden, vor einem einseitigen Vertragsbruch über eine einvernehmliche Vertragsaufhebung zu verhandeln. Denn der Schuldner kann sich dann nicht durch einseitige Erfüllungsverweigerung von seiner Naturalerfüllungspflicht befreien, weil er befürchten muss, auch später noch erfolgreich auf Naturalleistung in Anspruch genommen zu werden; er muss sich insoweit daher verfügbar halten. Ändern sich die Umstände aufseiten des Schuldners dergestalt, dass er den Vertrag nicht mehr erfüllen möchte (etwa bei Steigerung der Produktionskosten oder einem Mehrgebot eines Dritten), so führt das bloße einseitige Lossagen vom Vertrag – anders als bei Geltung des Gelderfüllungsgrundsatzes – nicht eo ipso dazu, dass die Naturalleistungspflicht in eine Geldleistungspflicht umgewandelt, der Schuldner also von der Naturalleistungspflicht befreit wird. Vielmehr kann der Gläubiger zunächst nach wie vor auf der Naturalleistung bestehen und dadurch den Schuldner zwingen, mit ihm in Verhandlungen über einen Freikauf von der Naturalleistungspflicht zu treten. Im Rahmen dieser Verhandlungen wird der Gläubiger sein tatsächliches Leistungsinteresse offenbaren, weil dieses die Untergrenze dessen ist, was ein rationaler Gläubiger als Kompensation für die Aufgabe des Naturalleistungsanspruches verlangen wird. Das praktische Ergebnis wird im Idealfall eine einvernehmliche – und schon aus diesem Grund Pareto-superiore – Lösung sein, sei es eine Vertragsaufhebung (ggf. gegen Abfindung), eine Anpassung der Gegenleistung oder sonstiger Vertragsbedingungen (z.B. der Lieferfrist), oder auch die weitere Durchführung entsprechend den ursprünglich vereinbarten Konditionen.196 Erst wenn diese einvernehmliche Lösung scheitert, wird überhaupt ein (kostenintensives) Gerichtsverfahren erforderlich. 194
S. dazu unten § 3.IV.3.b) (S. 209 f.). Vgl. dazu Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 995, 1041 ff. (2005). 196 Vgl. Ulen, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, 2002, Bd. 3, S. 481, 481 f. 195
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Erster Teil: Grundlagen
Unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung besteht dieser Anreiz zu Verhandlungen über einvernehmliche Vertragsanpassung oder -aufhebung demgegenüber nicht in gleicher Weise, weil der Schuldner nicht befürchten muss, am Naturalerfüllungsanspruch festgehalten zu werden. Er muss seine Kapazität zur Erbringung der Naturalleistung nicht mehr aufrecht erhalten und könnte daher „auf gut Glück“ den Vertrag brechen und den Leistungsgegenstand anderweitig verwerten, in der Hoffnung, das (gerichtsfest nachweisbare) Leistungsinteresse des Gläubigers würde seinen Gewinn aus der anderweitigen Verwertung nicht aufzehren, oder der Gläubiger würde keine Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend machen.197 Ist der Leistungsgegenstand aber bereits anderweitig verwertet, können auch Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger nicht mehr zu einer realen Vertragsdurchführung führen – es sei denn, der Schuldner erwirbt den Vertragsgegenstand zurück.
c) Vermeidung von Verlusten durch die Schadensermittlung Ein weiterer evidenter Vorteil eines Anspruches auf Naturalerfüllung ist die Vermeidung von Verlusten durch die Schadensermittlung.198 Derartige Verluste treten in mehrfacher Weise auf. Zum einen bewirkt die Schadensermittlung selbst Transaktionskosten, etwa weil Sachverständige mit der Schadensschätzung oder der Ermittlung von Schätzungskosten beauftragt werden müssen.199 Hinzu kommen Kosten der Streitbeilegung (z.B. eines selbständigen Beweisverfahrens oder auch eines vollständigen Rechtsstreits), wenn die Schadensermittlung streitig verläuft. Dies ist nicht unwahrscheinlich, hängt doch die Ermittlung des Gläubigerinteresses hinsichtlich des Ertragsausfallschadens von Umständen ab, die der Schuldner nicht kennt (nämlich der Verwendungsplanung des Gläubigers), und die er daher häufig Anlass haben wird anzuzweifeln . Diese Kosten werden bei einer Naturalerfüllung vermieden, weil hier lediglich die Naturalerfüllung so zu erfolgen hat, wie sie vertraglich vereinbart ist. Zwar können auch insoweit Überwachungskosten anfallen, etwa für die Qualitätskontrolle. Diese unterscheiden sich aber nicht von den Überwachungskosten, die bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung entstehen würden.200 Die letztgenannten Überwachungskosten sind indessen in der Vertragskalkulation der Parteien bereits enthalten und machen die Vertragsdurchführung daher nicht ineffizient.
197 Offenbar besteht in der Praxis eine große Zurückhaltung gegenüber der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf das positive Interesse, soweit es die Gegenleistung übersteigt, vgl. Beale/Dugdale, 2 Brit. J. L. Soc. 45, 57 f. (1975). 198 S. auch Kornhauser, 57 U. Colo. L. Rev. 683, 712 ff. (1986). 199 Vgl. auch Calabresi, The Costs of Accidents, 1970, S. 28: Sog. tertiäre Schadenskosten. 200 S. oben § 3.IV.1.e) (S. 195 f.).
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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d) Vermeidung von Fehlanreizen durch defizitäre Schadensermittlung Neben den unmittelbaren Kosten der Schadensermittlung hat die Gelderfüllung den weiteren Nachteil, dass die Schadensermittlung in vielen Bereichen chronisch defizitär ist, also nicht das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers abdeckt. 201 Das folgt etwa daraus, dass immaterielle Einbußen wie der Zeitverlust durch die Schadensermittlung, ggf. die Suche nach einem Partner für ein Deckungsgeschäft, sowie für die eigene Mühewaltung im Rahmen der Rechtsverfolgung nach deutschem Recht 202 – wie auch nach den meisten anderen Rechtsordnungen 203 – keine ersatzfähigen Schadensposten darstellen. Hinzu kommt, dass Affektionsinteressen am Leistungsgegenstand beim Vertragsschadensersatz nicht berücksichtigt werden.204 Auch die beweisrechtlichen Anforderungen an den Nachweis entgangenen Gewinns und sonstiger Ertragsausfallschäden führen dazu, dass der Schadensersatz nicht alle Posten umfassen kann, die tatsächlich infolge der Leistungsstörung eingebüßt wurden, weil eben nicht alle möglichen Erträge auch nur mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bekannt sind oder jedenfalls dem Gericht belegt werden können. Hinzu kommen schließlich faktische Defizite in der Anspruchsdurchsetzung, weil nicht alle Schadensersatzansprüche tatsächlich gerichtlich geltend gemacht und mit Erfolg durchgesetzt werden. 205 Zwar ist eine zu geringe Bemessung des Schadensersatzes statt der Leistung nicht schon für sich genommen ökonomisch nachteilig, weil jede Geldzahlung gesamtwirtschaftlich betrachtet neutral ist. Jedoch führt sie dazu, dass Schuldner zu früh einen Anreiz haben, Verträge zu brechen, wenn ihnen als Sanktion nur ein – gegenüber der Naturalerfüllung defizitärer – Schadensersatzanspruch droht. Um ineffiziente Vertragsbrüche zu verhindern, muss aber sichergestellt sein, dass der Schuldner sämtliche Kosten des Vertragsbruches internalisiert und zur Grundlage seiner Entscheidung über den Vertragsbruch macht. Unter Geltung des Grundsatzes der Gelderfüllung würde der Schuldner den Vertrag dagegen schon dann brechen, wenn sein Leistungsaufwand (oder der von einem Dritten gebotene Preis für den gleichen Vertragsgegenstand) die zu erwartende Schadensersatzzahlung überschreitet, selbst wenn das wahre Leistungsinteresse des Gläubigers noch höher ist als der Leistungsaufwand des Schuldners (oder das Gebot des Dritten), die Vertragsdurchführung also effizient wäre. 206 Wiederum führt nur der Grundsatz der Naturalerfüllung zu Verhandlungen 201
Vgl. dazu auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 989 ff. (2005). Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 83, 89 m.w.N. 203 Vgl. zum US-amerikanischen Recht Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 995 f. (2005). 204 Vgl. zum ökonomischen Hintergrund Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 284. 205 Vgl. Beale/Dugdale, 2 Brit. J. L. Soc. 45, 55 ff. (1975). 206 S. auch Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 313. 202
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Erster Teil: Grundlagen
zwischen den Parteien, in denen der Gläubiger sein wahres Leistungsinteresse – einschließlich der gerichtlich nicht durchsetzbaren „weichen“ Bestandteile – offenbaren und durchsetzen kann, so dass ineffiziente Vertragsbrüche unterbleiben.
e) Zutreffende Allokation der Verwendungsrisiken und -chancen Das Leistungsinteresse des Gläubigers, wie es als Schadensersatz statt der Leistung ersetzt wird, umfasst die entgangenen Gewinne aus der Verwendung der Sache. Dabei handelt es sich jedoch um rein spekulative Tatsachen, die dem Gericht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (vgl. im deutschen Recht §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO) belegt werden müssen. Das Gericht wird dann einen Geldbetrag festsetzen, der dem geschätzten Verlust des Gläubigers aus der entgangenen Verwendung des Leistungsgegenstandes entspricht. Der Gläubiger erhält so einen festen Geldbetrag, während bei störungsfreier Vertragsdurchführung in Wirklichkeit nur eine (mehr oder weniger große) Chance auf die Erzielung eines Gewinnes infolge der Verwendung des Leistungsgegenstandes bestanden hätte. Das Risiko, dass der Verwendungsgewinn nicht eintritt – etwa ein geplanter Weiterverkauf aus Gründen scheitert, die mit der Leistungsstörung in keinem Zusammenhang stehen –, wird dem Gläubiger durch die Abwicklung in Geld also abgenommen und auf den Schuldner übertragen. Selbst wenn man dies durch einen Risiko-Abschlag auf den Schadensersatz berücksichtigen, dem Gläubiger also nur den (geschätzten) Erwartungswert seines entgangenen Gewinns ersetzen würde, 207 würde er von dem Verwendungsrisiko entlastet, weil er auch diesen reduzierten Betrag sicher erhielte, während bei realer Vertragsdurchführung die Möglichkeit verbliebe, dass er überhaupt keinen Gewinn erzielt.208 Umgekehrt besteht auch die Möglichkeit, dass der Gläubiger tatsächlich aus dem Vertragsgegenstand einen höheren Gewinn erzielen würde als er ex ante zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann. Auch diese Chance kann durch den Geldersatz nicht zutreffend abgebildet werden. Nur durch eine naturale Durchführung des Vertrags verbleibt die Verwendungsmöglichkeit beim Gläubiger als Chance und Risiko, so dass dieser die Chancen ebenso wie die Verlustrisiken tragen muss. Lediglich eine Abwicklung des Vertrags durch ein Deckungsgeschäft würde zu einer vergleichbaren Risikoverteilung führen, weil auch dann der Gläubiger die Leistung in Natur erhält und die Verwendungsrisiken tatsächlich eingeht. Bei der reinen Abwicklung in Geld – also auch hinsichtlich des Ertragsausfallschadens – ist dies aber nicht 207 Vgl. zu derartigen Tendenzen die rechtsvergleichenden Nachweise bei Fleischer, JZ 1999, 766, 768 sowie zum deutschen Recht Mäsch, Chance und Schaden, 2004, S. 321 ff. 208 Vgl. zur unterschiedlichen Bewertung von Erwartungswert und Risiko durch risiko averse Personen nur H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 438 f.
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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möglich. Gerade risikoaverse Gläubiger könnten durch die Möglichkeit eines Geldanspruches dazu verleitet werden, in opportunistischer Weise einen geringfügigen (und objektiv im Hinblick auf ihr Leistungsinteresse bedeutungslosen) Vertragsbruch des Schuldners auszunutzen, um das Verwendungsrisiko durch die Schadensersatzforderung auf den Schuldner zu übertragen.
f) Vermeidung von Rechtsverfolgungskosten Bei jedem Rechtsbehelf können Rechtsstreitigkeiten entstehen, bei Ansprüchen auf Naturalerfüllung ebenso wie bei Ansprüchen auf Schadensersatz. Allerdings ist die Prozessführung bei Klagen auf Schadensersatz aufwändiger als bei Klagen auf Naturalerfüllung: Bei beiden Anspruchszielen muss das Bestehen des Primäranspruches nachgewiesen werden, bei der Schadensersatzklage aber zusätzlich der Schaden, wofür ggf. auch Sachverständigengutachten oder andere Schadensermittlungsmethoden erforderlich sind. Der Prozessstoff ist also für Schadensersatzklagen zwingend umfangreicher als für Naturalerfüllungsklagen. Daran ändern auch eventuelle Kosten für die Überprüfung der Naturalleistung und ihrer Qualität im Vollstreckungsverfahren nichts, 209 weil diese Kosten auch im Schadensersatzprozess für die Klärung der Vorfrage der Nichterfüllung des Primäranspruches anfallen. 210 Die zu erwartenden Transaktionskosten eines Schadensersatzprozesses sind damit in der Regel höher als die eines Prozesses auf Naturalleistung.
g) Schutz der vertragsspezifischen Investitionen des Schuldners Nicht nur auf Gläubigerseite sichert die naturale Vertragsdurchführung die vertragsspezifischen Investitionen und damit die Gewinnerwartungen. Auch auf Schuldnerseite können im Zeitpunkt der Leistungsstörung bereits erhebliche Investitionen im Hinblick auf die Vertragsdurchführung erfolgt sein, die durch eine reine Geldabwicklung entwertet würden. So mag der Schuldner ein geschuldetes Werk zum Zeitpunkt der Fälligkeit schon weitgehend – aber eben nicht vollständig – fertig gestellt haben. Würde er im Leistungsstörungsfall nur noch eine Geldzahlung schulden, so sind seine Investitionen in die partielle Herstellung des Werks möglicherweise endgültig und ersatzlos verloren. Dieser wirtschaftliche Schaden träte unabhängig davon ein, ob die Nichterfüllung dem Schuldner vorwerfbar ist. Selbst dann, wenn die Nichterfüllung durch höhere Gewalt bedingt ist, bestünde für den Gläubiger unter der Geltung des Gelderfüllungsgrundsatzes die Möglichkeit, die Investitionen des Schuldners durch den Übergang vom Naturalerfüllungs- auf einen Schadensersatzanspruch zu vernichten. Er könnte insbesondere dann, wenn sein Interesse an der Vertrags209 210
So aber Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 845 f. (2006). Vgl. soeben § 3.IV.2.c) (S. 202).
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Erster Teil: Grundlagen
durchführung aus Gründen wegfällt, die eigentlich in seinen Risikobereich fallen, eine geringfügige Leistungsverzögerung des Schuldners zum Anlass nehmen, in opportunistischer Weise auf den Schadensersatz überzugehen und so die Investitionen des Schuldners wertlos machen. 211 Der Naturalerfüllungsgrundsatz führt demgegenüber dazu, dass dem Gläubiger die Möglichkeit genommen wird, jede noch so geringfügige Leistungsstörung des Schuldners zum Anlass für eine Vertragsaufsage (bzw. den Übergang auf einen Schadensersatzanspruch in Geld) zu nehmen, weil er auch im Leistungsstörungsfalle grundsätzlich auf den Naturalerfüllungsanspruch beschränkt ist. Die reale Vertragsdurchführung kann etwa auch dann noch effizient sein, wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers inzwischen unter den Vertragspreis gesunken ist, 212 so dass dieser eigentlich ein Interesse daran hätte, die Leistungsstörung des Schuldners zum Anlass für ein Abgehen vom Vertrag zu nehmen (und evtl., soweit die Rechtsordnung dies zulässt, eine etwaige Differenz zwischen Marktpreis und Vertragspreis als Schadensersatz zu liquidieren). Denn es ist nicht auszuschließen, dass die noch erzielbaren Erträge aus der Verwendung des Vertragsgegenstandes die Investitionen des Schuldners übersteigen, so dass bei einer Gesamtbetrachtung ein Gewinn erzielt wird. Ob dies der Fall ist oder nicht, kann nur festgestellt werden, wenn sowohl die Gestehungskosten des Schuldners als auch das Leistungsinteresse des Gläubigers bekannt sind. Diese Informationen werden wiederum erst im Rahmen von Verhandlungen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner über eine einvernehmliche Vertragsaufhebung (oder die Anpassung der Gegenleistung) ans Licht gelangen. 213 Der erforderliche Anreiz für derartige Verhandlungen besteht aber nur unter Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung, und zwar auch zulasten des Gläubigers. Dieser darf also keine freie Wahl zwischen Gelderfüllung und Naturalerfüllung haben, sondern muss zunächst auf den Naturalerfüllungsanspruch beschränkt sein, um in derartigen Fällen ineffiziente einseitige Vertragsbrüche zu verhindern. Denn nur dann muss auch der Gläubiger zunächst versuchen, mit dem Schuldner eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, wenn sich die reale Durchführung des Vertrags für ihn als nachteilig darstellt.
211 Vgl. bereits Grossmann-Doerth, Die Rechtsfolgen vertragswidriger Andienung, 1934, S. 186: „Kernpunkt des ganzen Andienungsproblems ist: Gäbe es keine Marktschwankungen, so würde es ein Lossagungsproblem von irgendwelcher Lebensbedeutung auch nicht geben. […] Wenn der Verkäufer Ersatz anbietet oder rechtzeitigen Ersatz in Aussicht stellen kann und daraufhin der Käufer an der Lossagung vom Vertrage interessiert ist, so in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – das wird jeder Kenner der Verhältnisse des Handels bestätigen – nur deshalb, weil der Markt seit Abschluss gefallen ist.“ S. dazu auch Eidenmüller/N. Jansen/ Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281 f.; Wagner, ZEuP 2012, 797, 814. 212 S. oben § 3.III.3.d)cc) (S. 186 f.). 213 S. oben § 3.III.3.d)cc) (S. 186 f.).
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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h) Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs in die Verlässlichkeit von Verträgen Der Grundsatz der Naturalerfüllung stärkt schließlich auch das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Verlässlichkeit von Verträgen. Könnte sich jeder Vertragsschuldner von seiner Leistungspflicht durch eine Geldzahlung befreien, so gälte dies nicht nur für den „eigentlichen“ Vertragsschuldner, sondern auch für den Schuldner eines vom Gläubiger abgeschlossenen Deckungsgeschäfts. Letztlich hätte der Gläubiger, dem es doch im Kern um die Naturalleistung geht, keine rechtliche Möglichkeit, die Naturalleistung sicher zu erhalten. Vor allem aber müssten Vertragsgläubiger sich in den Fällen, in denen die Naturalleistung nicht anderweitig durch ein Deckungsgeschäft beschafft werden kann, gegen eine Leistungsverweigerung des Schuldners absichern, etwa durch die Vereinbarung von Vertragsstrafen oder andere vertragliche Sicherungsmechanismen. 214 Da eine solche Unsicherheit sämtliche Verträge betreffen würde, müssten sich auch sämtliche Gläubiger hiergegen auf die eine oder andere Weise absichern, was die Transaktionskosten für jeden Vertragsschluss erhöhen würde. Freilich können diese zusätzlichen Transaktionskosten nicht quantifiziert werden; sie sind aber größer als Null und – auf die Summe aller Verträge gerechnet – nicht offensichtlich geringer als die gelegentlichen Wohlfahrtsgewinne durch den Ausschluss von Naturalerfüllungsansprüchen.
3. Fazit Die ökonomische Analyse hat einige eindeutige Vorzüge des Grundsatzes der Naturalerfüllung, aber auch gewisse Nachteile ergeben. Danach kann aus ökonomischer Sicht weder ein ausschließlicher Anspruch auf Naturalerfüllung noch ein ausschließlicher Anspruch auf Gelderfüllung befürwortet werden. Dementsprechend verfolgt auch keine gegenwärtige Rechtsordnung einen unbeschränkten Anspruch auf Naturalerfüllung, ebenso wie keine gegenwärtige Rechtsordnung ausschließlich Ansprüche auf Geldersatz vorsieht. 215 Die Alternative zwischen „nur Geldersatz“ und „nur Naturalerfüllung“216 ist in der ökonomischen Diskussion daher zu begrenzt gestellt; entscheidend sind vielmehr die Voraussetzungen, unter denen das eine oder andere Anspruchsziel gewährt wird. 217 Hierfür kann die ökonomische Analyse Anhaltspunkte liefern, denen im Folgenden nachzugehen ist. 214 Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 148; Craswell, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2001, S. 19, 28 ff. 215 S. dazu ausführlich oben § 2 (S. 64 ff.). 216 Diese tritt deutlich hervor etwa bei Shavell, 99 Q. J. Econ. 121, 130 ff. (1984). 217 Zumindest zwischen verschiedenen Vertragstypen differenzierend nunmehr Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831 (2006).
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Erster Teil: Grundlagen
a) Ausgangspunkt: Der grundsätzliche Vorrang des Anspruches auf Naturalerfüllung Aus ökonomischer Sicht ist also zunächst ein Anspruch auf Naturalerfüllung vorzugswürdig, weil er die Pareto-effiziente Durchführung eines Vertrags genauso sichert, wie die Parteien ihn geschlossen haben.218 Die mit dem Vertrag und seiner Durchführung verbundene Wertschöpfung wird dadurch so weit wie möglich erhalten, und weitergehende Transaktionskosten durch die Umwandlung in Geldansprüche sowie die damit einhergehenden Verluste für den Gläubiger werden vermieden. Ein weiterer wesentlicher Vorteil des Naturalerfüllungsanspruches als primäres Gläubigerrecht auch im Falle einer Leistungsstörung219 liegt in der Stärkung der Kooperation der Parteien vor einem möglichen Vertragsbruch, welche zur Offenbarung relevanter Informationen und damit grundsätzlich zu rationalen und Pareto-effizienten Vereinbarungen über die Fortsetzung, Anpassung oder Aufhebung des Vertrags führt. Hierfür ist es im Ansatzpunkt unerheblich, ob der Anspruch auf eine vertretbare oder unvertretbare Leistung gerichtet ist. Denn ob eine Vertragsleistung – aus der relevanten Sicht des Gläubigers, dessen Verwendungszwecke auch aus ökonomischer Sicht zentral sind – durch eine andere Leistung ersetzbar ist, kann häufig erst im Rahmen dieser Verhandlungen ermittelt werden. Im Übrigen mag zwar bei vertretbaren Leistungen ein Ersatz am Markt leicht erhältlich sein, so dass der Anspruch auf Naturalerfüllung für die praktische Befriedigung der Interessen des Gläubigers unnötig ist. Gleichwohl ist es auch insoweit zunächst effizienter, wenn der Schuldner die Naturalleistung selbst erbringt, weil dieser dann seinen Vertragsgewinn realisieren kann und zudem die Transaktionskosten für das Deckungsgeschäft entfallen. Lediglich dann, wenn die Einbußen des Gläubigers durch die (weitere) Leistungsverzögerung größer sind als die Wohlfahrtsverluste infolge des Deckungsgeschäfts, erweist sich das Deckungsgeschäft als die ökonomisch vorzugswürdige Lösung. Aus der ökonomischen Analyse ergeben sich ferner Ansatzpunkte für Einschränkungen des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Situationen, in denen die Durchsetzung eines Anspruches auf Naturalerfüllung ineffizient wäre. So sollte ein Anspruch auf Naturalerfüllung nicht durchsetzbar sein, wenn die Naturalleistung wirtschaftlich sinnlos ist, 220 etwa weil sie erheblich teurer ist als das Naturalleistungsinteresse des Gläubigers (z.B. in Konstellationen des deut218
Ebenso etwa Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1018 (2005). Damit ist keine dogmatische Festlegung in der Frage verbunden, ob der Naturalerfüllungsanspruch ein Primärrecht oder ein Rechtsbehelf ist (s. dazu unten § 4.IV.1 (S. 241 ff.)). 220 Von einer insoweit unbeschränkten Naturalleistungspflicht geht offenbar die Kritik von Shavell aus, vgl. Shavell, 84 Tex. L. Rev. 831, 838 (2006): „[T]he contract does not provide for parties to be excused from the obligation to perform under problematic contingencies, such as high cost“. 219
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
209
schen § 275 Abs. 2 BGB). 221 Ein unbedingter und strikt vorrangiger Anspruch auf Naturalerfüllung ohne jeglichen Übergangstatbestand auf Schadensersatz in Geld ist daher ökonomisch evident ineffizient – unabhängig davon, ob man der Lehre vom effizienten Vertragsbruch insgesamt folgt oder nicht.
b) Die Definitionsmacht des Gläubigers hinsichtlich seines Leistungsinteresses Die Übergangstatbestände müssen jedoch das fundamentale Informationsproblem berücksichtigen, das bereits oben herausgearbeitet wurde: Nur der Gläubiger kennt sein Leistungsinteresse in allen Komponenten, den materiellen wie den immateriellen. Nur er kann anhand seiner Verwendungsplanung beurteilen, ob die Einbußen, die mit dem weiteren Zuwarten auf die Naturalleistung des Schuldners und mit der Unsicherheit hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des Schuldners verbunden sind, einen Übergang auf eine Geldleistung als günstiger erscheinen lassen. Diese Einbußen sind nicht nur der zeitabhängige Ertragsausfall und die Beitreibungskosten, die durch den Ersatz des Verzögerungsschadens abgedeckt werden können, sondern auch immaterielle und daher nicht ersatzfähige Einbußen, etwa der Verlust des Vertrauens in die Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit des Schuldners, die Unannehmlichkeiten, die mit der Durchsetzung des Anspruches verbunden sind, oder anderes. Durch den Übergang auf eine Geldleistung entstehen dem Gläubiger Einbußen durch die Aufwendungen für die Suche nach einem Deckungsgeschäft (wo ein solches möglich ist), die nicht zwingend durch Schadensersatz vollständig abgegolten sind, sowie durch die allgemeinen Risiken der Schadensberechnung und etwaige Beweisprobleme vor Gericht hinsichtlich des Schadensumfanges. Schließlich hängt die Schadensberechnung auch davon ab, ob das Leistungsinteresse des Gläubigers überhaupt durch ein Deckungsgeschäft befriedigt werden kann, was wiederum durch seine persönliche Verwendungsplanung und damit durch seine verdeckten Präferenzen determiniert ist. 222 Denn der Gläubiger hat es in der Hand, die Spezifizität seines Leistungsinteresses selbst zu bestimmen: Schuldet er etwa selbst einem Drittabnehmer Waren eines bestimmten Herstellers (des Schuldners), so kommt ein Deckungsgeschäft bei einem anderen Hersteller nicht einmal dann in Betracht, wenn dessen Waren objektiv vergleichbar sind. Nur der Gläubiger kann wissen, was ihm die Leistung gerade durch den Schuldner wert ist, und ob die Leistung durch einen anderen für ihn einen gleichwertigen Ersatz darstellt, also den mit der Vertragsdurchführung intendierten Wohlfahrtsgewinn realisiert. 221 Vgl. etwa Shavell, 99 Q. J. Econ. 121, 132 (1984): „Under specific performance, the reach set is by definition empty. […]; whenever production cost exceeds the expectancy, there b ought to be breach, but there is not.“ 222 Vgl. dazu Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 737, 740 f.
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Erster Teil: Grundlagen
Sofern Verhandlungen im Vorfeld eines Vertragsbruches – als optimale Lösung dieses Informationsproblems – nicht möglich sind oder scheitern, spricht diese Informationsverteilung dafür, dem Gläubiger grundsätzlich ein Recht zum einseitigen Übergang vom Naturalerfüllungsanspruch auf den Geldersatzanspruch zuzubilligen. Denn weder der Schuldner, noch der Gesetzgeber, noch der Richter können die hierfür erforderliche Abwägung vornehmen, weil ihnen hierfür jeweils die erforderlichen Informationen über die Verwendungsplanung des Gläubigers fehlen. Aus diesem Grund ist ein gesetzlich oder richterlich angeordneter Übergang vom Anspruch auf die Naturalerfüllung zum Geldersatz – sei es sofort bei Eintritt der Leistungsstörung, sei es nach einer gesetzlich oder richterlich, also extern bestimmten Frist – gegenüber einem einseitigen Bestimmungsrecht des Gläubigers unterlegen. Dieser Übergang sollte allenfalls einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle unterzogen werden, um das Risiko opportunistischen Verhaltens des Gläubigers anlässlich geringfügiger Vertragsbrüche zu minimieren.
c) Der Schutz der Investitionen des Schuldners Freilich birgt eine einseitige Gestaltungsmöglichkeit des Gläubigers zum Übergang von der Naturalerfüllungspflicht auf eine Geldzahlungspflicht das Risiko, dass bereits getätigte vertragsspezifische Investitionen des Schuldners vernichtet werden. Zwar ist der Schuldner im Falle einer Leistungsstörung aus moralischer Sicht nicht mehr unbedingt schutzwürdig; aus ökonomischer Perspektive kommt es hierauf aber nicht an. Entscheidend bleibt insoweit allein, ob durch die weitere Durchführung des Vertrags in Natur die durch den Vertrag erstrebten Wohlfahrtsgewinne noch realisiert werden können oder nicht. Nicht jede Leistungsstörung des Schuldners führt dazu, dass diese Wohlfahrtsgewinne vereitelt werden, und es kann häufig so sein, dass den Investitionen des Schuldners im Falle der weiteren Vertragsdurchführung ein entsprechender (oder überschießender) Nutzen des Gläubigers gegenüberstehen würde. Das gilt insbesondere dann, wenn die Leistungsstörung nicht in einer „reinen“ Nichtleistung besteht, sondern in einer Schlechtleistung, der Schuldner also geleistet hat, wenngleich mangelhaft. Inwieweit der Schuldner bereits Investitionen getätigt hat, die es aus ökonomischer Sicht rechtfertigen würden, an der Vertragsdurchführung festzuhalten, entzieht sich allerdings der Kenntnis des Gläubigers. Wiederum sind Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner über das weitere Schicksal des Vertrags die Optimallösung, um diese Informationen ans Licht zu bringen und zur Grundlage einer Pareto-effizienten Entscheidung zu machen. Sind solche aber nicht möglich, oder scheitern sie, so bedarf die einseitige Gestaltungsmacht des Gläubigers einer Begrenzung zum Schutze der Investitionen des Schuldners. Hierin liegt die ökonomische Rechtfertigung der aus dem deut-
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
211
schen Schuldrecht bekannten „zweiten Chance“ des Schuldners, d.h. des Erfordernisses einer Nachfristsetzung durch den Gläubiger: Dieser Mechanismus verbindet die einseitige Gestaltungsmöglichkeit des Gläubigers mit dem erforderlichen Investitionsschutz des Schuldners: Setzt der Gläubiger dem Schuldner eine (Nach-)Frist zur Leistung (i.S.v. § 281 Abs. 1 BGB), so kommuniziert er auf diese Weise die Dringlichkeit seines Leistungsinteresses, deckt also die bis dahin verdeckte Information gegenüber dem Schuldner auf. 223 Die Information betrifft zum einen den Umstand, dass der Gläubiger an der Naturalleistung durch den Schuldner ein Interesse hat, und zum anderen auch den Termin, bis zu welchem dieses Interesse noch fortbesteht, ab wann es für den Gläubiger also voraussichtlich günstiger wäre, die Naturalerfüllung durch den Schuldner abzulehnen und stattdessen zu einem Deckungsgeschäft zu schreiten. Der Schuldner hat danach die Möglichkeit, die Leistung innerhalb der Frist noch zu erbringen, also seine Investitionen zweckgemäß zu nutzen (und dadurch den Vertragsgewinn zu realisieren). Hieraus erklärt sich zugleich, dass die Dauer der zu setzenden Frist nach deutschem Recht grundsätzlich mindestens so zu bemessen ist, dass eine bereits angefangene Leistung zu Ende gebracht werden kann.224 Denn schutzwürdige Investitionen sind typischerweise nur im Falle einer bereits angefangenen Leistung getätigt. Während der Frist kann der Schuldner nun die Entscheidung treffen, ob er noch natural erfüllen oder lieber die Kosten eines Deckungsgeschäfts tragen (bzw. anderweitig Schadensersatz leisten) will. Dies sichert ihm die Möglichkeit, den Wert seiner bereits getätigten und ggf. verlorenen Investitionen bei seiner Entscheidung über die Vertragsdurchführung zu berücksichtigen. Zudem eröffnet die Fristsetzung eine Kommunikation zwischen Gläubiger und Schuldner, die zu Verhandlungen über eine einvernehmliche Vertragsanpassung oder Vertragsaufhebung führen kann. Unter Geltung des Vorrangs der Naturalerfüllung mit gleichzeitigem Erfordernis einer Nachfristsetzung besteht grundsätzlich keine Gefahr eines einseitigen Vertragsbruches mit sofortiger Totalliquidation ohne den Willen beider Parteien. Vielmehr werden die Parteien vorläufig zur Kommunikation gezwungen und erhalten so auch die Möglichkeit der weiteren Kooperation, sofern diese in ihrem gemeinsamen Interesse liegt.
d) Der Schutz vor irrationalem bzw. rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Gläubigers Auch wenn davon auszugehen ist, dass rationale Vertragsparteien im Verhandlungswege effiziente Reaktionen auf Leistungsstörungen vereinbaren – vorausgesetzt, die Rechtsordnung bietet ihnen hinreichende Anreize für Verhandlun223 224
Vgl. dazu auch Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 734 f. S. unten § 5.II.2.c) (S. 284 f.).
212
Erster Teil: Grundlagen
gen, bevor vollendete Tatsachen geschaffen werden –, können diese Verhandlungen aus verschiedenen Gründen möglicherweise gar nicht erst stattfinden oder scheitern, denn nicht alle Vertragsparteien handeln vollständig rational. Irrationales Verhalten des Schuldners kann bei Anerkennung einer einseitigen Gestaltungsmacht des Gläubigers neutralisiert werden, weil der Gläubiger den Übergang vom Naturalerfüllungsanspruch zum Anspruch auf Schadensersatz ohne Mitwirkung des Schuldners herbeiführen kann; ggf. kann auch auf das Erfordernis einer Fristsetzung verzichtet werden, etwa bei Leistungsverweigerung des Schuldners oder sonstiger Unzumutbarkeit weiteren Zuwartens auf die Leistung des Schuldners. Problematisch bleibt aber irrationales Verhalten des Gläubigers, d.h. entweder ein „zu frühes“ Übergehen auf den Schadensersatzanspruch (mit dem Risiko der Vernichtung vertragsspezifischer Investitionen des Schuldners) oder ein Festhalten am Naturalerfüllungsanspruch in Fällen, in denen der Übergang zum Geldersatz (eindeutig) wohlfahrtsfördernder wäre. Gegen das „zu frühe“ Übergehen auf den Schadensersatzanspruch ist die objektive Bestimmung einer „angemessenen“ Mindestfrist wirksam, die sich an der ökonomischen Schutzwürdigkeit der vertragsspezifischen Investitionen des Schuldners orientiert. Gegen ein irrationales Festhalten des Gläubigers am Naturalerfüllungsanspruch – d.h. trotz des Angebots einer angemessenen, sein Erfüllungsinteresse mindestens erreichenden Ausgleichszahlung durch den Schuldner, oder gar im Falle der objektiven Unmöglichkeit der Naturalerfüllung – muss eine Rechtsordnung aus ökonomischer Sicht Vorkehrungen treffen, d.h. den Anspruch auf Naturalerfüllung begrenzen bzw. einen Tatbestand für den automatischen Übergang auf die Geldleistung im Schuldnerinteresse schaffen. Hierfür müssen diejenigen Sachverhalte identifiziert werden, in denen der Anspruch auf Naturalerfüllung eindeutig ineffizienter ist als ein Anspruch auf Geldersatz, das Bestehen des Gläubigers auf Naturalerfüllung (ggf. trotz eines Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung bzw. einer sonstigen angemessenen Ausgleichszahlung des Schuldners) also irrational ist und daher als schikanös oder rechtsmissbräuchlich zu bewerten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gerichte das Leistungsinteresse des Gläubigers niemals vollständig in Geld erfassen können. 225 Keinesfalls darf daher das Naturalerfüllungsbegehren des Gläubigers schon dann als rechtsmissbräuchlich gewertet werden, wenn der Leistungsaufwand des Schuldners das (gerichtlich festgestellte) monetäre Leistungsinteresse des Gläubigers schlicht überschreitet. Vielmehr ist die Differenz mit zu berücksichtigen, die aus Sicht des Gläubigers zwischen der Naturalerfüllung durch den Schuldner und dem Geldersatz besteht. Dieser „Integritätszuschlag“226 kann freilich nicht pauschal 225
S. oben § 3.IV.2.d) (S. 203 f.). zu diesem Kriterium im Rahmen des Schadensersatzrechts eingehend unten § 5. IV.5 (S. 351 ff.). 226 Vgl.
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
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bemessen werden, 227 sondern hängt vom Einzelfall ab, insbesondere vom Gewicht der immateriellen Faktoren im Leistungsinteresse des Gläubigers. Diese können ggf. im Prozess festgestellt werden; v.a. ist aber zu beachten, dass aus dem Bestehen des Gläubigers auf der Naturalleistung – unter der Annahme rationalen Verhaltens des Gläubigers – regelmäßig geschlossen werden kann, dass derartige immaterielle Faktoren von hinreichendem Gewicht existieren, so dass zumindest eine starke Vermutung gegen die Missbräuchlichkeit des Naturalleistungsverlangens des Gläubigers besteht. Zudem darf eine entsprechende Regelung dem Schuldner auch keinen Anreiz bieten, durch die bloße Behauptung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Gläubigers einen Rechtsstreit über die Naturalleistungspflicht mit offenem Ausgang zu provozieren. Beides spricht dafür, die objektive Grenze des Anspruches auf Naturalerfüllung erst dort zu ziehen, wo das irrationale und schikanöse Verhalten des Gläubigers evident ist.
e) Deckungsgeschäft und reiner Wertersatz Innerhalb des Anspruches auf Geldersatz sind wiederum zwei Varianten zu unterscheiden: Der Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäftes (zuzüglich etwaiger Verzögerungsschäden) und der Ersatz des reinen Vermögensschadens, d.h. der wertmäßigen Einbuße des Gläubigervermögens in Geld (Substanzausfall und Ertragsausfall). Zwischen diesen beiden Varianten sprechen aus ökonomischer Sicht die besseren Gründe für einen Vorrang des Deckungsgeschäfts. 228 Denn dieses ermöglicht es dem Gläubiger, seine Verwendungsplanung in Natur zu verwirklichen, also die erstrebte Wertschöpfung tatsächlich zu erzielen. Auch führt es zu einer dem Vertrag entsprechenden Allokation des Verwendungsrisikos, das – mit Ausnahme des verspätungsbedingten Ertragsausfalls – beim Gläubiger verbleibt. Auch für den Schuldner ist der Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts typischerweise mit geringeren Kosten verbunden, weil er den Ertragsausfallschaden des Gläubigers nur bis zum Zeitpunkt der Vornahme des Deckungsgeschäfts zu ersetzen hat. Sobald daher ein Deckungsgeschäft überhaupt möglich ist – was von der Verwendungsplanung des Gläubigers abhängt –, gebührt diesem aus ökonomischer Sicht der Vorrang gegenüber dem Ersatz der Vermögenseinbuße in Geld. Vorkehrungen sollte die Rechtsordnung aus ökonomischer Sicht insoweit treffen, als dem Gläubiger bei der Schadensberechnung aufgegeben werden muss, den Schaden so gering zu halten, wie dies ohne Beeinträchtigung seiner Verwendungsplanung möglich ist. Insbesondere ist auch ein opportunistisches Übergehen des Gläubigers auf den Vermögensschaden – zur Abwälzung des Ver-
227 So zu § 275 Abs. 2 BGB aber Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 2 Rn. 67 ff. 228 So auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1041 ff. (2005).
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Erster Teil: Grundlagen
wendungsrisikos – zu verhindern.229 Dies ist aber durch eine allgemeine Schadensminderungsobliegenheit, wie sie etwa das deutsche Schadensrecht in § 254 Abs. 2 S. 1 BGB vorsieht, bereits möglich. Diese kann auch steuern, inwieweit eine besonders spezifische Verwendungsplanung des Gläubigers, die ein Deckungsgeschäft unmöglich machen würde (etwa die Beschränkung der Verwendungsmöglichkeit auf Waren nur eines Herstellers, oder der Kauf nur zur Deckung eines bestimmten Drittgeschäfts), schadensrechtlich anzuerkennen oder eben mangels objektiver Berechtigung der Beschränkung als missbräuchlich zu qualifizieren ist.
f) Disponibilität des Grundsatzes der Naturalerfüllung Die obigen Ausführungen betreffen ausschließlich den Fall, dass die Parteien bei Vertragsschluss das Risiko von Leistungshindernissen, Leistungserschwerungen und anderen Leistungsstörungen nicht explizit vorhergesehen und hierfür eine Rechtsfolge vereinbart haben. Wenn die Parteien selbst einen Anspruch auf Naturalerfüllung auch jenseits der eben skizzierten ökonomischen Grenzen vorsehen oder umgekehrt ihn auch dann ausschließen, wenn er nach dem oben Gesagten abstrakt sinnvoll wäre, so ist – wie allgemein bei vertraglichen Vereinbarungen – zu vermuten, dass diese Lösung unter den besonderen Umständen des Falles Pareto-effizient ist, weil die Parteien sie sonst nicht vereinbart hätten. 230 Aus ökonomischer Sicht sind derartige Vereinbarungen also anzuerkennen, ist der Grundsatz der Naturalerfüllung also dispositiv. Voraussetzung der Anerkennung vertraglicher Vereinbarungen ist freilich, dass diese tatsächlich das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Parteien sind, im Rahmen derer beide Parteien ihre Interessen zur Geltung bringen konnten. Über die Zulässigkeit einer Abbedingung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, für deren Anerkennung auch aus ökonomischer Sicht wegen der typischerweise unterlegenen Verhandlungssituation einer Vertragspartei Besonderheiten gelten, 231 ist damit nichts ausgesagt. 232
229 Vgl. zu den Anforderungen an die Schadensminderungsobliegenheit bei Deckungsgeschäften eingehend Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1044 ff. (2005). 230 Vgl. hierzu allgemein R. A. Posner/Rosenfield, 6 J. Legal Stud. 83, 89 (1977). 231 Vgl. dazu aus ökonomischer Sicht allgemein H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 552 ff.; Adams, in: M. Neumann (Hrsg.), Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, 1984, S. 655 ff. 232 Vgl. dazu näher unten § 5.I.2 (S. 272 ff.).
§ 3. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung
215
V. Folgerungen für gesetzliche Naturalerfüllungsansprüche Der Unterschied zwischen Naturalerfüllungsansprüchen und Ansprüchen auf Geldleistung wird in der (rechts-)ökonomischen Literatur nahezu ausschließlich mit Blick auf vertragliche Naturalerfüllungsansprüche behandelt. Dementsprechend ist auch die vorstehende ökonomische Analyse von vertraglichen Konstellationen ausgegangen. Die gleichen Sachfragen stellen sich indessen auch bei gesetzlichen Ansprüchen auf Naturalerfüllung, 233 und die ökonomischen Gesichtspunkte sind überwiegend dieselben. Denn wenn man davon ausgeht, dass nicht nur die Durchführung eines Vertrags zu einer Pareto-Verbesserung führt, sondern auch die Erfüllung eines gesetzlichen Anspruches, können nahezu alle ökonomischen Argumente aus dem Vertragsrecht auch auf den gesetzlichen Anspruch Anwendung finden. Die Ziele der Effizienzbetrachtung sind bei gesetzlichen Ansprüchen die gleichen wie bei vertraglichen Ansprüchen: Der gesetzliche Anspruch weist dem Gläubiger einen bestimmten Gegenstand in Natur zu, und die Naturalleistung durch den Schuldner führt dazu, dass er genau diesen zugewiesenen Gegenstand auch erhält. Zugleich sichert sie, dass der Schuldner – wenn er dazu rein tatsächlich in der Lage ist – etwaige Vorteile aus Eigenleistungen ziehen und so seinen eigenen Leistungsaufwand minimieren kann. Das ist besonders augenfällig bei Herausgabeansprüchen aus Eigentum, Rücktritt oder ungerechtfertigter Bereicherung, weil der Sinn des gesetzlichen Anspruches hier darauf gerichtet ist, dem Gläubiger einen bestimmten Gegenstand zu verschaffen, den der Schuldner besitzt: Die naturale Herausgabe dieses Gegenstandes ist der am wenigsten transaktionskostenintensive Weg der Befriedigung des Gläubi gerinteresses, weil der Wert des herauszugebenden Gegenstandes nicht ermittelt werden muss; zudem befriedigt er das Herausgabeinteresse des Gläubigers voll und schont zugleich das restliche Vermögen des Schuldners optimal. Schadensersatzansprüche sind darauf gerichtet, den Gläubiger in den Zustand zu versetzen, in dem er sich befände, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (vgl. exemplarisch den Wortlaut des § 249 Abs. 1 BGB; ebenso Art. VI.-6:101 (1) DCFR). Sowohl eine Über- als auch eine Unterkompensation des Gläubigers sind zu vermeiden, soll das Haftungsrecht nicht Fehlanreize hinsichtlich der Verhaltenssteuerung aufseiten des Schädigers oder des Geschädigten setzen.234 Die optimale Kompensation wird durch eine möglichst weitgehende Durchführung des Schadensersatzes in Natur sichergestellt, also
233
S. oben Einl. II.1 (S. 2 ff.). zur Verhaltenssteuerung durch Haftungsrecht nur Wagner, Karlsruher Forum 2006, 2006, S. 5, 19 ff. m.w.N. 234 Vgl.
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Erster Teil: Grundlagen
durch den Vorrang der Naturalrestitution. 235 Ob diese durch den Schuldner oder durch Dritte erfolgt, ist im Hinblick auf die Befriedigung des Geschädigteninteresses unerheblich; der Schuldner wird allerdings rein faktisch nur sehr selten zur (effizienten) Naturalrestitution in der Lage sein, weil ihm hierfür die Fähigkeiten fehlen. Schon rein faktisch wird daher meist nur ein „Deckungsgeschäft“ infrage kommen, d.h. die Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schädigers (vgl. im deutschen Recht § 249 Abs. 2 BGB). Da der Schädiger zudem typischerweise keine spezifischen Investitionen getätigt hat, um den Schadensersatzanspruch selbst in Natur zu erfüllen, besteht auch kein Anlass zum Investitionsschutz durch die Gewährung eines Rechts zur Naturalandienung. Vielmehr kann dem Gläubiger auch aus ökonomischer Sicht regelmäßig gestattet werden, unmittelbar zu einem „Deckungsgeschäft“ zu schreiten, ohne dem Schuldner zuvor die Möglichkeit zu geben, den Schaden selbst zu beheben. Insgesamt hängt die Effizienz des Naturalerfüllungsgrundsatzes bei gesetzlichen Ansprüchen danach von der Effizienz des gesetzlichen Anspruches selbst ab: Ist die Gewährung eines gesetzlichen Anspruches effizient – was zu ermitteln nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein kann –, so gilt dies auch für die Gewährung eines entsprechenden Naturalleistungsanspruches.
235 Vgl. zu diesem nach deutschem Schadensrecht nur Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Deliktsrecht und Schadensrecht, 2011, Rn. 561 ff.
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Zweiter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht Die Erkenntnisse der Interessenanalyse, der historischen und rechtsvergleichenden Untersuchung und der ökonomischen Analyse des Naturalerfüllungsanspruches sollen in diesem Abschnitt dazu verwendet werden, den Grundsatz der Naturalerfüllung zunächst abstrakt zu formulieren, und im Anschluss ausgewählte Fragen des geltenden deutschen Rechts an diesem Maßstab zu messen, um auf dieser Grundlage Vorschläge für die Auslegung und Fortbildung der lex lata, ggf. auch für die Gesetzgebung zu entwickeln. Diese Analyse soll im weiteren Verlauf der Untersuchung auch als Basis für die Bewertung geplanter europäischer Rechtsordnungen dienen.
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§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers Die vorangegangenen Untersuchungen haben ergeben, dass die Gewährung eines Naturalerfüllungsanspruches im Grundsatz sowohl den Interessen der Parteien am besten entspricht als auch ökonomisch die effizientere Lösung ist als die bloße Gewährung eines Schadensersatzanspruches.1
I. Die primäre Pflicht des Schuldners zur Naturalleistung 1. Existenz einer Naturalleistungspflicht Orientiert man sich an den eingangs vorgestellten Verwirklichungsstufen des Naturalerfüllungsgrundsatzes, 2 so besteht kein Zweifel daran, dass die ersten beiden Stufen sowohl der Interessenlage von Gläubiger und Schuldner entsprechen als auch ökonomisch effizient sind: Der Schuldner muss primär zur Naturalleistung verpflichtet sein, wobei über die korrespondierende Rechtsposition des Gläubigers – also einen entsprechenden Primäranspruch als subjektives Forderungsrecht – an dieser Stelle ausdrücklich noch keine Festlegung getroffen sein soll. Nur die gedankliche Konstruktion einer materiellen Primärpflicht zur Naturalleistung ist in der Lage, den „Normalfall“ dogmatisch abzubilden, dass der Schuldner die Naturalleistung bei Fälligkeit fehlerfrei erbringt: Hier erreicht das Schuldverhältnis sein Ziel in Natur, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Schuldner die geschuldete Leistung erbracht hat, so dass Erfüllung der Leistungspflicht eintritt.3 Das setzt aber voraus, dass die Leistungspflicht des Schuldners auf die Naturalleistung gerichtet ist, denn nur dann decken sich Geschuldetes und Geleistetes.
1 Ebenso auch die Schlussfolgerung von Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 113. 2 S. oben § 1.III.1 (S. 31 ff.). 3 Vgl. zum common law auch McKendrick, Contract law, 102013, No. 18.3.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
2. Vorrang der Naturalerfüllungspflicht des Schuldners Diese primäre Leistungspflicht des Schuldners muss ferner vorrangig ausgestaltet sein, d.h. es darf dem Schuldner kein freies Wahlrecht eingeräumt werden, anstelle der Naturalleistung bereits bei Fälligkeit eine Geldleistung in Höhe des Erfüllungsinteresses des Gläubigers zu erbringen. Denn damit wäre – jedenfalls bei vertraglichen Ansprüchen – der Grundsatz pacta sunt servanda inhaltlich ausgehöhlt; das Rechtsinstitut des Vertrags wäre entwertet. Die Zahlung des Interesses würde dem Gläubiger zwar erlauben, sich die Naturalleistung durch ein Deckungsgeschäft anderweitig zu beschaffen, sofern es sich um eine vertretbare Sache oder Handlung handelt. Wäre allerdings jeder Vertrag von vornherein nach Wahl des Schuldners nur auf die Naturalleistung oder das Geldinteresse ausgerichtet, so würde sich für den Gläubiger auch bei dem Deckungsgeschäft das gleiche Problem stellen, dass er nämlich auch dann nicht sicher sein könnte, die Naturalleistung tatsächlich zu erhalten. Es bestünde also die (abstrakte) Gefahr, dass der Gläubiger von einem Schuldner zum anderen weiterverwiesen wird und überall nur das Interesse erhält (d.h. den Vertragspreis für das jeweilige Deckungsgeschäft bei einem Dritten zuzüglich sonstiger Schäden), das aber letztlich nie den eigentlichen Zweck erfüllen kann, den der Gläubiger mit dem ursprünglichen Vertragsschluss bezweckt hat. Das Ergebnis wäre eine stetige4 Akkumulation von Transaktionskosten durch die ständige Weiterverweisung, ohne dass das eigentliche Vertragsziel, nämlich der Erhalt der Naturalleistung durch den Gläubiger zur weiteren Verwendung, erreicht würde. In der Tat geht selbst derjenige Teil der angloamerikanischen Vertragsrechtslehre, der einem vertraglichen Leistungsversprechen (lediglich) ein implizites Versprechen einer Geldzahlung für den Fall der Nichtleistung entnimmt,5 von einem Vorrang der Primärleistungspflicht aus: Auch hier soll der Schuldner vorrangig die Naturalleistung erbringen, und liegt hierin der eigentliche Schuldinhalt; erst subsidiär soll der Geldersatz geschuldet sein. Das folgt schon daraus, dass die haftungsauslösende Nichtleistung bzw. Schlechtleistung als „breach of contract“ gewertet wird, was logisch voraussetzt, dass der contract ursprünglich auf die (fehlerfreie) Naturalleistung gerichtet war, weil er andernfalls nicht „gebrochen“ werden könnte.6 Die englischsprachige Literatur bezeichnet diese 4 Bis der Vertragspreis des Deckungsgeschäfts so hoch wäre, dass das Interesse für den jeweiligen Schuldner einem Zwangsgeld gleichkäme, er also lieber die Naturalleistung statt des Interesses erbringt. 5 Vgl. etwa Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 462 (1897); ebenso aus jüngerer Zeit etwa N.N., 81 Mich. L. Rev. 904, 905 f. (1983); R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 4.10 ff. (S. 118 ff.); Atiyah, 95 Harv. L. Rev. 509, 517 (1981). 6 So bereits Sir William Blackstone, der „Urvater“ des heutigen common law, vgl. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1753, Vol. I, Chapter XV., der den Lieferanspruch des Käufers als „right“ bezeichnet, dessen Verletzung (wrong) die Sanktion (remedy) auslöst; s. zu dieser Lesart auch Birks, 20 OJLS 1, 5 (2000).
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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Schuldnerpflicht denn auch ausdrücklich als primary duty7 (z.T. sogar primary right 8), wodurch einerseits ihr Vorrang zum Ausdruck kommt (primary), andererseits auch die Fixierung auf die Perspektive der Schuldnerpflicht (duty), ohne damit zwangsläufig ein korrespondierendes klagbares Gläubigerrecht (remedy) zu verbinden. Besonders deutlich kommt diese Unterscheidung in dem folgenden Zitat von Lord Diplock in der Entscheidung Photo Production Ltd v. Securicor Transport Ltd. zum Ausdruck: „[A] Contract is the source of primary legal obligations upon each party to it to procure whatever he has promised will be done, is done […] Every failure to perform a primary obligation is a breach of contract. The secondary obligation on the part of the contract breaker to which it gives rise by implication of the common law is to pay monetary compensation to the other party for the loss sustained by him in consequence of the breach.“9
Im deutschen Recht folgt ohnehin aus der Existenz eines klagbaren Erfüllungsanspruches in § 241 Abs. 1 BGB, dass – als Vorstufe – darunter auch eine Naturalleistungspflicht des Schuldners besteht, welche ebenfalls vorrangig gegenüber eine Geldleistungspflicht ausgestaltet ist: Eine Geldzahlung durch den Schuldner hat keine Erfüllungswirkung.10
II. Das primäre Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung 1. Existenz eines Rechts des Gläubigers auf die Naturalleistung Korrespondierend zur Pflicht des Schuldners zur Naturalleistung muss auch dem Gläubiger ein subjektives Recht auf die Naturalleistung zustehen. Da sein Interesse – am Vertrag wie am gesetzlichen Anspruch – lediglich auf die Naturalleistung gerichtet ist, ist diese das gewissermaßen natürliche Ziel seines subjektiven Rechts auf die Leistung. Dies muss unabhängig davon gelten, ob die konkrete Rechtsordnung dieses subjektive Recht als klagbar ausgestaltet oder nicht. Auch jeder Ersatzanspruch wegen Vertragsbruchs für den Fall der Nichtleistung setzt denknotwendig voraus, dass ein zuvor bestehendes Leistungs-
7 Vgl. etwa Birks, 20 OJLS 1, 27 (2000); S. A. Smith, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 93, 99 ff.; Cunnington, ebd., S. 115, 137; Rowan, Remedies for Breach of Contract, 2012, S. 11 f. 8 Vgl. z.B. Pearce/Halson, 28 OJLS 73, 75 ff. (2008): „Right to performance“. 9 Photo Production Ltd. vs. Securicor Transport Ltd. [1980] AC 827, 848 f. (HL). 10 Vgl. dazu rechtsvergleichend auch Atamer, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 432, 433.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
recht des Gläubigers verletzt wurde; der Schadensersatz ist dann die Kompensation für die Vereitelung dieses Leistungsrechts. Die Sinnhaftigkeit einer Unterscheidung zwischen der Leistungspflicht des Schuldners, dem subjektiven Leistungsrecht des Gläubigers und schließlich dessen Klagbarkeit11 zeigt sich v.a. in den Fällen der Unmöglichkeit der Naturalleistung: Hier ist es zwar evident sinnlos, dem Gläubiger einen klagbaren Anspruch auf die Naturalleistung zuzuerkennen, weil dieser niemals im Vollstreckungswege durchsetzbar sein kann. Gleichwohl sind die – aus dem vertraglichen Leistungsversprechen12 bzw. unmittelbar aus dem Gesetz folgende – Leistungspflicht des Schuldners und das primäre subjektive Gläubigerrecht gedankliche Voraussetzungen für eine Sekundärhaftung.
2. Vorrang des Rechts des Gläubigers auf die Naturalleistung Entsprechend dem Vorrang der Naturalerfüllung zulasten des Schuldners (als Vorrang der Naturalerfüllungspflicht), muss auch ein Vorrang des primären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers bestehen: Solange keine Störung eingetreten ist, besteht jedenfalls bei vertraglichen Verbindlichkeiten keinerlei Anlass, dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, anstelle der Naturalleistung sofort die Geldleistung zu verlangen und eine etwa angebotene Naturalleistung des Schuldners zurückzuweisen. Das folgt aus dem grundsätzlich schützenswerten Interesse des Schuldners, die geschuldete Leistung selbst in Natur zu erbringen und auf diese Weise seinen Vertragsgewinn, d.h. die Differenz zwischen den eigenen Leistungserbringungskosten und dem Vertragspreis zu realisieren. Müsste er stattdessen das Geldinteresse leisten, so könnte er diesen Gewinn nicht erzielen und müsste darüber hinaus den Gewinn eines Anderen – des Partners eines Deckungsgeschäfts des Gläubigers – finanzieren. Hieraus ergibt sich sein Interesse an einer Möglichkeit zur (ersten) Andienung der geschuldeten Naturalleistung.
a) Grundsatz im deutschen Recht Daher sieht das deutsche Recht zutreffend auch aus Sicht des Gläubigers regelmäßig vor, dass diesem bei Fälligkeit nur die geschuldete Leistung zusteht; der Übergang auf eine Geldleistungspflicht steht unter zusätzlichen Vorausset11 In diese Richtung auch PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 13 f., der allerdings dem hier abgelehnten Rechtsbehelfs-Konzept anhängt (ebd. Rn. 1). 12 Vgl. zu dieser – ganz herrschenden – Deutung des § 311a Abs. 2 BGB nur Canaris, FS Heldrich, 2005, S. 11, 27 ff.; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1080 ff.; s. ferner U. Huber, Leistungsstörungen I, 1999, § 22 I 4 (S. 529).
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
223
zungen wie die Unmöglichkeit der Naturalleistung (§§ 275, 280 Abs. 1, 3, 283 BGB) oder dem fruchtlosen Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Leistungsfrist (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB). Das gilt auch für die gesetzlichen Ansprüche auf Herausgabe nach Rücktritt (§ 346 Abs. 1, 2 BGB), ungerechtfertigter Bereicherung (§ 818 Abs. 1, 2 BGB) oder Eigentum (§§ 985, 989 f. BGB), die ebenfalls primär auf Naturalleistung gerichtet sind.
b) Sonderregelung im Schadensrecht Lediglich im deutschen Schadensrecht sieht § 249 Abs. 2 S. 1 BGB für die Beseitigung von Sach- oder Körperschäden ein freies Wahlrecht des Geschädigten zwischen der schadensrechtlichen Naturalrestitution durch den Schädiger selbst und dem Ersatz der Kosten einer Naturalrestitution durch Dritte vor.13 In diesem Sonderfall besteht ein Naturalandienungsinteresse des Schädigers ohnehin nur in seltenen Ausnahmefällen, weil der Schädiger selbst zur Schadensbeseitigung in Natur typischerweise nicht in der Lage ist, so dass regelmäßig ohnehin nur der Schadensersatz durch Ersatz der Kosten der Naturalrestitution durch Dritte in Betracht kommt. Nach herrschender Auffassung steht dem Geschädigten die Ersetzungsbefugnis aber – in den Grenzen des Rechtsmissbrauchsverbots – selbst dann zu, wenn der Schädiger den Schaden mit geringem Aufwand tatsächlich selbst beseitigen könnte.14 Der Schädiger darf dem Geschädigten die Schadensbeseitigung in Natur nicht gegen dessen Willen aufdrängen.15 Diese freie Ersetzungsbefugnis des Geschädigten ist schadensrechtlichen Besonderheiten geschuldet: Nachdem es gerade der Schädiger war, der den Schaden verursacht hat, soll dem Geschädigten nicht zugemutet werden, die beschädigte Sache oder gar sich selbst als Person erneut in die Obhut des Schädigers zu begeben – wenn auch zum Zwecke der Schadensbehebung.16 Da es ohnehin unwahrscheinlich ist, dass der Schädiger überhaupt selbst zur Behebung eines Sach- oder Körperschadens in Natur in der Lage ist, bestehen gegen eine solche geringfügige Beeinträchtigung des Naturalandienungsinteresses des Schädigers – der zudem typischerweise als schuldhafter Schädiger nicht schutzwürdig ist – keine Bedenken.17 Für andere Schadensposten als Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen (z.B. Rufschädigungen) besteht keine freie Wahlmöglichkeit des Geschädigten; vielmehr kann er zunächst ausschließlich Naturalrestitution durch den Schä13 Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 357; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 IV 3 (S. 227); Staudinger/Schiemann, 2005, § 249 Rn. 215. 14 Vgl. MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 358 m.w.N. 15 Vgl. U. Picker, Die Naturalrestitution durch den Geschädigten, 2003, S. 51 f. 16 Vgl. nur H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 IV 2 (S. 226); Staudinger/ Schiemann, 2005, § 249 Rn. 210; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 357. 17 Ebenso i.E. Staudinger/Schiemann, 2005, § 249 Rn. 213.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
diger verlangen. Ein Übergang auf den Ersatz der Herstellungskosten18 ist nur nach § 250 BGB durch Fristsetzung möglich.19 In jedem Fall steht der Anspruch auf Ersatz des Vermögenswertes nach § 251 BGB unter der zusätzlichen Voraussetzung der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Herstellung in Natur, 20 so dass der Grundsatz des Vorrangs der Naturalrestitution 21 uneingeschränkt gilt. Die Ersetzungsbefugnis des Geschädigten betrifft also nicht das Verhältnis zwischen Naturalrestitution und Wertersatz, sondern lediglich dasjenige zwischen den beiden Formen der Naturalrestitution – Herstellung durch den Schädiger selbst und Herstellung durch den Geschädigten bzw. durch Dritte auf Kosten des Schädigers. 22
III. Der sekundäre Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers Besteht hinsichtlich des primären Naturalerfüllungsrechts des Gläubigers im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Divergenz zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen, stellt sich der Befund nach Eintritt einer Leistungsstörung (insbesondere Nichtleistung bei Fälligkeit) deutlich kontroverser dar. 23 Hat der Schuldner bei Fälligkeit nicht oder nur mangelhaft geleistet, so divergieren die verschiedenen betrachteten Rechtsordnungen hinsichtlich der Frage, ob der Gläubiger nunmehr einen klag- und ggf. auch vollstreckbaren Anspruch auf die Naturalleistung hat, oder ob ihm lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz – evtl. unter zusätzlichen Voraussetzungen – zusteht. Der Naturallerfüllungsanspruch nach Eintritt einer Leistungsstörung soll im Folgenden sekundärer Naturalerfüllungsanspruch genannt werden.
18 Vgl. zu dieser Rechtsfolge grundlegend Frotz, JZ 1963, 391 ff.; Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 4; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 1; unentschieden zwischen Restitutionskosten und Wertersatz H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 V 1 (S. 233 f.). 19 S. dazu unten § 5.II.6 (S. 305 ff.). 20 S. dazu unten § 5.IV.5 (S. 351 ff.). 21 S. dazu nur Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Deliktsrecht und Schadensrecht, 2011, Rn. 528, 562 ff. 22 Zu Tendenzen der Rechtsprechung zur Umgehung dieses Vorrangverhältnisses durch Erweiterungen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (z.B. Behandlung der Ersatzbeschaffung als Naturalrestitution) etwa Staudinger/Schiemann, 2005, § 249 Rn. 212 f. sowie unten § 5.IV.5.b) (S. 353 f.). 23 Vgl. im Einzelnen oben § 2 (S. 64 ff.).
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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1. Existenz eines sekundären Naturalerfüllungsanspruches Die obige Untersuchung der Interessenlage hat ebenso wie die ökonomische Analyse ergeben, dass die Gewährung eines derartigen Naturalerfüllungsanspruches im Ausgangspunkt interessengerecht und effizient ist, weil auch nach Eintritt einer Leistungsstörung sowohl der Gläubiger regelmäßig weiterhin an der Naturalleistung interessiert ist, als auch der Schuldner nach wie vor ein – grundsätzlich schutzwürdiges – Interesse daran hat, die Leistung in Natur zu erbringen. Ein vollständiger Ausschluss des Anspruches auf Naturalerfüllung würde diese prima facie interessengerechte und effiziente Lösung vereiteln. Besonders augenfällig ist das Bedürfnis nach einem sekundären Naturalerfüllungsanspruch in den Fällen, in welchen dem Gläubiger durch das Ausbleiben der Naturalleistung kein nachweisbarer Vermögensschaden entsteht, so dass ein Anspruch auf Schadensersatz ins Leere ginge. Hier besteht die einzige Möglichkeit einer Befriedigung des Gläubigerinteresses in der Zuerkennung eines durchsetzbaren Anspruches auf die Naturalleistung. 24 Aber auch in den übrigen Fällen hat der Schuldner auch im Falle einer Leistungsstörung noch ein schutzwürdiges Interesse daran, seine Naturalleistung zu erbringen, um sich eine etwaige Gegenleistung zu verdienen oder jedenfalls – bei einseitigen und gesetzlichen Verpflichtungen – den Vorteil aus einer Eigenleistung zu realisieren, ohne dass dadurch Interessen des Gläubigers beeinträchtigt würden: Selbst wenn ein Leistungsdefizit einmal eingetreten ist – sei es, dass die Leistung bei Fälligkeit nicht erbracht wurde, oder dass sie mangelhaft war –, ist es im Zweifel ressourcenschonender, wenn der Schuldner die noch ausstehende Leistung (bzw. die Nacherfüllung) erbringt, weil dadurch die Transaktionskosten vermieden werden, die durch ein Deckungsgeschäft und die spätere Geltendmachung der Kosten beim Schuldner entstehen. Bei der Schlechtleistung kommt hinzu, dass der Schuldner typischerweise mit dem Leistungsgegenstand bereits vertraut ist und daher der tatsächliche Aufwand zur Mängelbeseitigung bei ihm häufig geringer ausfallen wird als bei Dritten. 25 Nicht umsonst geht die Einführung des allgemeinen kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruches infolge der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG auf die weit verbreitete Praxis des Einzelhandels zurück, Nacherfüllungsrechte in AGB auch dort zu vereinbaren, wo sie gesetzlich nicht vorgesehen waren: Unter Geltung des alten Schuldrechts enthielten 80–90 % der AGB die Vereinbarung eines Vorrangs der Nacherfüllung zugunsten der Schuldner. 26 24
Vgl. dazu auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 328 ff. Vgl. Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 107. 26 Vgl. Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S. 25; s. hierzu Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 2 m. Fn. 1; Staudenmayer, NJW 1999, 2393, 2395; Grundmann, ERCL 3 (2007), 121, 131; Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281. 25
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Daher ist es sinnvoll, dass das deutsche Recht in § 241 Abs. 1 BGB dem Gläubiger ein klagbares Recht auf die Naturalleistung gewährt, das (auch) für den Fall der Nichtleistung bei Fälligkeit besteht. Gleiches gilt für die Nacherfüllungsansprüche, wie sie etwa in §§ 439 Abs. 1, 535 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 635 Abs. 1 BGB vorgesehen sind, die jeweils dem Sachleistungsgläubiger einen durchsetzbaren Anspruch auf Beseitigung von Mängeln der Sachleistung gewähren. Zu kritisieren ist demgegenüber die Position des common law, welches Ansprüche auf specific performance nur unter besonderen Voraussetzungen gewährt.27 Zwar sorgt auch das common law (bzw. die equity) dafür, dass in denjenigen Fällen, in welchen ein Bedürfnis nach einem Naturalerfüllungsanspruch besteht, tatsächlich eine Klage auf specific performance möglich ist. Es ist aber stets Sache des Gläubigers, die Voraussetzungen einer Klage auf specific performance nachzuweisen, und selbst beim Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen (inadequacy der bloßen Geldzahlung) besteht noch ein richterlicher Ermessensspielraum. 28 Diese Ermessensausübung kann dazu führen, dass das Gericht trotz tatsächlichen Bedürfnisses nach einem naturalen Erfüllungsanspruch keinen solchen gewährt, etwa weil es aus prozessualen Gründen nicht über alle erforderlichen Informationen verfügt. Außerdem beschränkt der adequacy-Test die Prüfung auf die Interessen des Gläubigers, fragt also lediglich, ob der Schadensersatz hinreicht, um das Leistungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen, während das Leistungserbringungsinteresse des Schuldners keinen Eingang in die Prüfung findet. Indessen ist der Schuldner nicht in allen Fällen einer Leistungsstörung automatisch nicht mehr schutzwürdig hinsichtlich seines Naturalandienungsinteresses. Bestreitet er etwa in gutem Glauben bereits den Anspruchsgrund, so kann es gleichwohl im Interesse beider Parteien liegen, dass der Schuldner nach der rechtskräftigen Feststellung des Anspruchsgrundes die Gelegenheit erhält, die Naturalleistung nunmehr zu erbringen – selbst wenn aus Sicht des Gläubigers eine Schadensersatzzahlung tatsächlich ausreichen würde, um sein Leistungsinteresse zu befriedigen. In diesen Fällen kann es – trotz der mit dem Prozess verbundenen Verzögerung – gleichwohl effizient sein, dem Schuldner die naturale Erfüllung noch zu gestatten. Dies ist aber nur möglich, wenn man dem Gläubiger jedenfalls auch die Möglichkeit zuspricht, vom Schuldner die Naturalleistung zu verlangen. Könnte er bereits im Prozess nur Schadensersatz verlangen, so käme eine nachträgliche Naturalerfüllung nach Erlass des Urteils nicht mehr in Betracht; das Leistungsurteil könnte seine Klarstellungs- und Appellfunktion nicht entfalten. 29
27
S. oben § 2.VI.2.c) (S. 128 ff.). S. oben § 2.VI.2.c)bb) (S. 131 ff.). 29 S. dazu oben § 1.IV.3.a) (S. 59 f.). 28
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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2. Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsanspruches Steht dem Gläubiger sinnvollerweise ein Anspruch auf Naturalerfüllung zu, so ist sein Verhältnis zu Geldleistungsansprüchen zu bestimmen. Nur theoretisch denkbar ist dabei eine Exklusivität des Naturalerfüllungsanspruches, d.h. der Verzicht auf jegliche Geldleistungsansprüche. Dies würde den Gläubiger jedoch in Fällen, in denen die Naturalerfüllung physisch unmöglich oder ohne Zutun des Schuldners nicht erreichbar ist, faktisch rechtlos stellen. Daher sieht jede Rechtsordnung, die einen Naturalerfüllungsanspruch anerkennt, im Leistungsstörungsfall jedenfalls hilfsweise immer auch Ansprüche auf Geldleistungen vor (vgl. zum deutschen Recht insbesondere § 280 Abs. 1, 3 BGB i.V.m. §§ 281–283 BGB).
a) Grundlagen Damit ist eine Entscheidung zu treffen zwischen einem freien Wahlrecht des Gläubigers zwischen den Ansprüchen auf Naturalerfüllung und Schadensersatz einerseits und einem Vorrang der Naturalerfüllung andererseits. Aus Sicht des Gläubigers spricht zunächst vieles für ein freies Wahlrecht, wie es etwa das englische Verbrauchsgüterkaufrecht vorsieht: Dem Käufer steht nach Sec. 48b des englischen Sale of Goods Act 1979 ein Anspruch auf Nacherfüllung (entsprechend Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) zu, der aber gegenüber dem Schadensersatzanspruch wegen Vertragsverletzung nicht vorrangig ist.30 Im deutschen Recht besteht ein solches freies Wahlrecht beispielsweise im Rahmen der Naturalrestitution von Körper- und Sachschäden nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB.31 Ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen Natural- und Geldleistung birgt jedoch die Gefahr, dass das Naturalandienungsinteresse des Schuldners nicht hinreichend berücksichtigt wird: Der Gläubiger wird bei seiner freien Entscheidung zwischen Naturalerfüllung durch den Schuldner und der Vornahme eines Deckungsgeschäfts auf Kosten des Schuldners nicht berücksichtigen, dass der Schuldner durch die Naturalerfüllung noch seine Gegenleistung verdienen oder zumindest sonstige Vorteile aus Eigenleistungen ziehen kann. Zwar ist richtig, dass der Schuldner nach Eintritt einer – ggf. auch noch von ihm zu vertretenden! – Leistungsstörung in seinem Naturalandienungsinteresse nicht mehr in gleichem Umfang schutzwürdig ist wie bei Fälligkeit.32 Dabei handelt es sich jedoch zunächst „nur“ um eine moralische Erwägung, die 30 S. oben § 2.VI.2.d) (S. 134 ff.) sowie Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 200 f.; für die Einordnung von Erfüllungsanspruch und Schadensersatz als „prima vista gleichrangig“ Schmidt-Kessel, in: Remien (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, 2008, S. 85, 98. 31 Vgl. soeben § 4.II.2.b) (S. 223 f.). 32 In diese Richtung etwa Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 245 ff.
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mit den obigen ökonomischen und teleologischen Erwägungen nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist: Auch nach einer Leistungsstörung kann eine Erbringung bzw. Fortsetzung der Leistung durch den Schuldner effizient sein, wenn der Gläubiger zwischen Naturalleistung durch den Schuldner und der Vornahme eines Deckungsgeschäfts indifferent ist33 und der Schuldner durch die Naturalleistung Vorteile gegenüber einem Deckungsgeschäft ziehen, insbesondere wenn er die Leistung persönlich erbringen kann. Der hierfür erforderliche Schutz der Schuldnerinteressen kann nur gewährleistet werden, wenn der Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers vorrangig ausgestaltet wird, d.h. wenn der Gläubiger auch im Falle einer Leistungsstörung zunächst nur die Naturalerfüllung verlangen und nur unter zusätzlichen Voraussetzungen auf einen Geldleistungsanspruch übergehen kann. Denn dann ist sichergestellt, dass die schutzwürdigen Schuldnerinteressen bei der Entscheidung über das Anspruchsziel berücksichtigt werden. Freilich bedürfen diese zusätzlichen Voraussetzungen des Geldleistungsanspruches einer genauen Überprüfung anhand derjenigen Kriterien, welche den grundsätzlichen Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches rechtfertigen.34 Ausgangspunkt hierfür ist der Umstand, dass der Gläubiger für eine gewisse Zeit nach Eintritt der Fälligkeit sein objektives Interesse an der Erbringung der Leistung durch den Schuldner typischerweise noch nicht verloren haben wird. Denn nur selten wird seine Verwendungsplanung mit der Einhaltung des Fälligkeitszeitpunktes durch den Schuldner „stehen und fallen“; im Regelfall wird eine geringfügige Leistungsverzögerung ihm zwar möglicherweise einen Verspätungsschaden verursachen, sein Interesse am Leistungsgegenstand aber nicht völlig entfallen lassen.35 Auf der anderen Seite behält auch der Schuldner sein Interesse daran, die Naturalleistung noch zu erbringen und die damit verbundenen Vorteile zu realisieren. Daher kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass die Interessen des Schuldners an der Erbringung der Naturalleistung es rechtfertigen, dem Gläubiger ein weiteres (kurzes) Zuwarten auf die Naturalleistung des Schuldners zuzumuten.36 Wie lange diese Frist dauert, während welcher die Erbringung der Leistung durch den Schuldner für den Gläubiger noch zumutbar ist, kann sinnvollerweise nur der Gläubiger selbst bestimmen, weil nur dieser seine Verwendungsplanung und deren Zeitabhängigkeit kennt; die Frist ist nur eben typischerweise nicht Null. 33 Ist das Deckungsgeschäft für den Gläubiger nachteiliger, etwa weil damit Transaktionskosten verbunden sind, die über den Verzögerungsschaden hinausgehen, den der Gläubiger infolge des Wartens auf die Leistung des Schuldners erleidet, so wird er schon in seinem Interesse auf der Naturalerfüllung durch den Schuldner bestehen, so dass sich die Frage eines rechtlichen Vorrangs für die Praxis nicht stellt. 34 Vgl. dazu im Einzelnen unten § 4.V.5 (S. 260 ff.). 35 Vgl. bereits Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 746. 36 Vgl. dazu auch Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 17 Rn. 3 ff.
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Nur dann, wenn (ausnahmsweise) das Naturalleistungsinteresse des Gläubigers bereits bei Fälligkeit bzw. vor Ablauf einer angemessenen Frist entfällt, kann ihm nicht zugemutet werden, dem Schuldner noch eine Gelegenheit zur Naturalerfüllung zu geben. Ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, ist durch Abwägung der gegenseitigen Interessen zu ermitteln: Einerseits das Interesse des Gläubigers, seine Verwendungsplanung in Natur zu verwirklichen – sei es mit der Leistung des Schuldners, sei es mit einem abgeschlossenen Deckungsgeschäft –, und andererseits das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Naturalleistung und der Erzielung der damit verbundenen Vorteile gegenüber einem Deckungsgeschäft auf seine Kosten.37 Das Gläubigerinteresse überwiegt etwa, wenn der Gläubiger mit einer Naturalerfüllung durch den Schuldner innerhalb der Frist ohnehin nicht mehr rechnen kann – sei es, weil die Naturalerfüllung insgesamt unmöglich geworden ist,38 sei es, weil der Schuldner die Naturalerfüllung ernsthaft verweigert hat,39 oder weil die Verwendungsplanung des Gläubigers in besonderer Weise zeitabhängig ist, so dass sie zu scheitern droht, wenn er nicht umgehend ein Deckungsgeschäft vornimmt. Eine besondere Ausprägung des letztgenannten Falles ist das sog. absolute Fixgeschäft, bei welchem die Leistung durch Zeitablauf sogar unmöglich oder jedenfalls wirtschaftlich vollkommen sinnlos wird.40 Solange aber nach der Abwägung der beiderseitigen Interessen das Schuldnerinteresse an der Erbringung der Naturalleistung überwiegt, bildet die bloße einmalige Leistungsstörung aufseiten des Schuldners keinen Grund, dem Gläubiger den sofortigen Übergang auf einen Geldleistungsanspruch zu gestatten; ein solcher Übergang würde vielmehr auf opportunistisches Verhalten des Gläubigers hindeuten, der eine – objektive nicht hinreichend gravierende – Leistungsstörung zum Anlass nimmt, auf die naturale Durchführung des Vertrags zu verzichten, die ihm aus anderen Gründen lästig geworden ist (etwa weil sich herausgestellt hat, dass seine Verwendungsplanung nicht realisierbar ist, oder der Marktpreis für die Leistung inzwischen gefallen ist41). Daher ist im Zweifel auch der Gläubiger an der naturalen Erfüllung durch den Schuldner festzuhalten.42
37 S. zu dieser Abwägung und den dabei zugrunde zu legenden Kriterien eingehend unten § 5.VI.3 (S. 380 ff.). 38 S. unten § 5.II.6 (S. 305 ff.). 39 S. unten § 5.VI.2 (S. 377 ff.). 40 S. dazu unten § 5.VI.1.a) (S. 372 f.). 41 Vgl. Grossmann-Doerth, Die Rechtsfolgen vertragswidriger Andienung, 1934, S. 186; Wagner, ZEuP 2012, 797, 814. 42 Ebenso S. Lorenz, JZ 2001, 742, 743.
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b) Umsetzung im deutschen Recht Das deutsche allgemeine Leistungsstörungsrecht entspricht diesen Maßstäben, indem es durch § 281 Abs. 1 BGB den Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches – und damit den Schutz des Naturalandienungsinteresses des Schuldners – durch das Erfordernis einer Fristsetzung vor dem Übergang auf den Schadensersatzanspruch sicherstellt: Der Schuldner soll – gerade zum Schutz seiner vertrags- bzw. erfüllungsspezifischen Investitionen – auch nach Eintritt einer Leistungsstörung noch eine „zweite Chance“ erhalten, die Leistung zu erbringen.43 In Ausnahme von diesem Grundsatz ist die Nachfristsetzung entbehrlich bei Unmöglichkeit der Naturalleistung (§ 283 BGB), Unzumutbarkeit der weiteren Durchführung (§ 282 BGB), ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB) oder allgemein, wenn nach Abwägung der Interessen von Schuldner und Gläubiger ein sofortiger Übergang auf den Schadensersatz gerechtfertigt ist (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Eine Parallele findet diese Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts für Schadensersatzansprüche einerseits in der Vorschrift des § 250 BGB, die ebenfalls den Übergang von der Naturalrestitution auf den Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts unter den Vorbehalt der Fristsetzung (mit Ablehnungsandrohung) stellt,44 und andererseits in den zusätzlichen Voraussetzungen, die § 251 BGB für den Übergang auf den Ersatz des Vermögensinteresses aufstellt. Allerdings hat das Fristsetzungserfordernis des § 250 BGB kaum einen praktischen Anwendungsbereich,45 weil in den wesentlichen Fällen des Schadensersatzes – bei Körper- und Sachschäden – dem Geschädigten die freie Wahl zwischen Naturalrestitution durch den Schädiger und Ersatz der Kosten einer Naturalrestitution durch Dritte zusteht. Dieses freie Wahlrecht ist allerdings durch Besonderheiten des Schadensersatzes gerechtfertigt.46 Die Regelungen zum Rücktritts- und Bereicherungsrecht gestalten den Naturalerfüllungsanspruch hinsichtlich des Primäranspruches ebenfalls vorrangig aus (§§ 346 Abs. 1 BGB, 818 Abs. 1 BGB); Wertersatz wird nach §§ 346 Abs. 2, 818 Abs. 2 BGB nur subsidiär bei Unmöglichkeit der naturalen Herausgabe geschuldet. Ein Fristsetzungserfordernis im Falle einer Nichtleistung bei Fälligkeit – mit der Folge eines Vorrangs des sekundären Naturalerfüllungsanspruches – ergibt sich für das Rücktrittsrecht aus § 346 Abs. 4 BGB i.V.m. § 281 BGB. Für das Bereicherungsrecht existiert eine entsprechende Verweisung für den bösgläubigen oder verklagten Bereicherungsschuldner in §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB; es ist jedoch zu erwägen, § 281 BGB zumindest analog auf den Be43 Vgl. dazu Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 734; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 11 Rn. 5; § 12 Rn. 4. 44 Vgl. BGH NJW 2013, 450, 451 (Rn. 19). 45 Vgl. nur Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 1. 46 S. oben § 4.II.2.b) (S. 223 f.).
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reicherungsanspruch anzuwenden, soweit diese Anwendung der Wertung des § 818 Abs. 3 BGB nicht zuwiderläuft – etwa im Rahmen der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, wo § 818 Abs. 3 BGB ohnehin nach richtiger Auffassung teleologisch zu reduzieren ist47. Im Sachenrecht sieht die Vindikation aus § 985 BGB keinen Fristsetzungsmechanismus zugunsten des Gläubigers vor; ein Übergang auf einen Schadensersatzanspruch ist vielmehr nur bei Unmöglichkeit der Herausgabe nach §§ 989, 990 BGB zulasten des bösgläubigen oder verklagten Besitzers möglich; unabhängig von diesen engen Voraussetzungen bestehen bereicherungsrechtliche Geldansprüche auf Wertersatz oder Erlösherausgabe bei Vermischung, Vermengung oder Verarbeitung nach den §§ 946 ff., 951, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB oder bei Veräußerung nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein freier Übergang von dem naturalen Herausgabeanspruch – nach erfolgloser Fristsetzung – ist dem Gläubiger nur dann möglich, wenn man mit einem Teil der Lehre die Vorschrift des § 281 BGB auch auf die Vindikation anwendet; dies ist grundsätzlich zu befürworten, sofern dabei die sachenrechtlichen Wertungen der §§ 987 ff. BGB nicht konterkariert werden.48 Hinsichtlich des negatorischen Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB besteht ebenfalls keine Sonderregelung zum Übergang auf einen Geldersatzanspruch nach Fristsetzung. Insoweit ist aber nach zutreffender Auffassung zum einen § 281 BGB anzuwenden, um dem Gläubiger nach erfolgloser Fristsetzung den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung zu gestatten,49 und zum anderen für den Fall der „Selbstvornahme“ der Beseitigung durch den Eigentümer ohne Fristsetzung ein Anspruch analog § 285 BGB auf Herausgabe der ersparten Eigenaufwendungen des Schuldners vorzusehen.50 Dadurch ist einerseits der grundsätzliche Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches auch im Interesse des Schuldners gesichert, und andererseits das Interesse des Gläubigers an einer möglichst vollständigen Befriedigung seines (naturalen) Leistungsinteresses gewahrt.
47 Vgl.
zu dieser Lehre von der Gegenleistungskondiktion Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 73 III (S. 321 ff.). 48 Vgl. näher unten § 6.II.2.c) (S. 416 f.). 49 Vgl. Bezzenberger, JZ 2005, 373, 375 ff.; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 189 sowie unten § 6.III.3 (S. 426 ff.). 50 Im Ergebnis ebenso, aber gestützt auf eine Aufwendungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB RGZ 127, 29, 33 f.; BGH NJW 1991, 2826; NJW 2004, 603; NJW 2005, 1366, 1367; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 III 2 d (S. 193 f.); Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1461; s. dazu näher unten § 4.V.5 (S. 260 ff.).
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3. Insbesondere: Der Anspruch auf Mängelbeseitigung Eine praktisch besondere Rolle spielt der sekundäre Anspruch auf Naturalerfüllung dann, wenn die Leistungsstörung nicht in der schlichten Nichtleistung des Schuldners bei Fälligkeit besteht, sondern in einer Schlechtleistung. Hier stellt sich die Frage, ob der Schuldner verpflichtet sein soll, den Mangel in Natur zu beheben, um das Leistungsinteresse des Gläubigers voll zu befriedigen, oder ob insoweit ein Geldausgleich – in Gestalt einer Minderung der Gegenleistung oder eines Geldersatzes für die Mängelbeseitigungskosten – ausreichend ist. Ausdrücklich nicht behandelt werden soll im Folgenden die Frage, ob überhaupt Gewährleistungsansprüche auf Mängelbeseitigung sinnvoll sind, oder ob nicht ein Minderungs- oder Rücktrittsrecht genügt; untersucht wird lediglich, ob ein solcher Gewährleistungsanspruch auf die Beseitigung des Mangels in Natur oder statt dessen lediglich auf den Ersatz der Mängelbeseitigungskosten gerichtet sein sollte. Insoweit ist zwischen Werkverträgen und anderen Verträgen (insbesondere Kauf- und Mietverträgen) zu unterscheiden.
a) Nacherfüllung im Werkvertrag Bei Werkverträgen unterscheidet sich die Mängelbeseitigungspflicht inhaltlich typischerweise nicht von der ursprünglichen Herstellungspflicht. Ein Unternehmer, der in der Lage ist, ein Werk selbst herzustellen, ist in aller Regel auch in der Lage, etwaige Mängel des Werks selbst zu beseitigen. Damit gelten alle Gründe, die für die Annahme einer primären Herstellungspflicht in Natur sprechen, auch für die Beseitigung durch Nacherfüllung: Das naturale Leistungsinteresse des Bestellers ist durch eine Mängelbeseitigung durch den Unternehmer optimal gewahrt; zugleich kann der Unternehmer durch eine Mängelbeseitigung in Natur seine Vorteile durch die eigene Leistungserbringung noch nutzen. Auf diese Weise kann er entweder sogar seinen Vertragsgewinn noch teilweise realisieren, oder zumindest seine Verluste durch die anfängliche Schlechtleistung minimieren, weil er nicht die externen Mängelbeseitigungskosten eines Dritten zu bezahlen hat, sondern lediglich seine eigenen internen Beseitigungskosten.51 Im Hinblick auf die Nacherfüllung kommt hinzu, dass der Unternehmer mit dem Werk schon vertraut ist und daher regelmäßig weniger Einarbeitungsaufwand benötigt als ein Dritter, der vom Besteller im Wege eines Deckungsgeschäfts mit der Mängelbeseitigung beauftragt wird.52 Daher ist die Mängelbeseitigung durch den Unternehmer selbst typischerweise effizienter als die Beauftragung eines Dritten. Hinzu kommt, dass der Unterneh51
Vgl. dazu bereits Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1458. Vgl. im Kontext der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 107. 52
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mer bei einer eigenen Mängelbeseitigung in Natur mit eigenen Augen prüfen kann, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt; lässt der Besteller den Mangel ohne Zutun des Unternehmers beseitigen, um dann vom Unternehmer die Kosten erstattet zu verlangen, vereitelt er diese Kenntnis des Unternehmers. Auch wenn die dann eintretende Beweisnot des Unternehmers mit den Mitteln des Beweisrechts gemildert oder sogar rechtlich ausgeschlossen werden kann,53 wird sich doch jedenfalls tatsächlich häufig Streit an der Frage entzünden, ob überhaupt ein beseitigungspflichtiger Mangel vorlag. Dieser Streit wird durch eine vorrangige naturale Mängelbeseitigungspflicht des Unternehmers so weit wie möglich vermieden. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, wenn das deutsche Recht seit jeher dem Besteller gegen den Unternehmer im Falle der mangelhaften Herstellung einen Anspruch auf Nacherfüllung gewährt (vgl. heute §§ 634 Nr. 1, 635 BGB). Die Nacherfüllung kann durch Neuherstellung oder Reparatur des Mangels erfolgen (§ 635 Abs. 1 BGB). Für den Besteller dürften beide Varianten typischerweise äquivalent sein, weil er bei neu hergestellten Werken (und nur insoweit kommt eine Neuherstellung i.S.v. § 635 Abs. 1 BGB überhaupt sinnvollerweise in Betracht) regelmäßig noch kein besonderes Integritätsinteresse am Behalten gerade der einen konkreten Sache haben wird, welches einen Vorrang der Reparatur vor der Neuherstellung begründen könnte. Wegen dieser Gleichwertigkeit beider Alternativen für den Besteller ist es gerechtfertigt, dem Unternehmer grundsätzlich die Wahl zu überlassen, weil nur er beurteilen kann, welche der Varianten für ihn kostengünstiger ist. Lediglich wenn eine der beiden Varianten dem Besteller nicht zumutbar ist, weil z.B. ausnahmsweise entweder ein besonderes Integritätsinteresse der Neuherstellung entgegensteht oder umgekehrt eine Reparatur angesichts vielfältiger Defizite die Beseitigung des Mangels nicht garantieren kann, ist dem Besteller zuzugestehen, der Wahl des Unternehmers zu widersprechen und – in den Grenzen der absoluten Unverhältnismäßigkeit nach § 635 Abs. 3 BGB54 – die jeweils andere Nacherfüllungsmethode zu fordern.55
b) Nacherfüllung im Kauf- und Mietrecht Anders liegt es im Ausgangspunkt im Kauf- und Mietrecht: Dort ist der Sachleistungsschuldner ursprünglich nur zur Verschaffung der Sache zu Eigentum bzw. zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet, nicht aber zu ihrer Herstellung. Über die Fertigkeiten zur Herstellung der Sache verfügt der Verkäufer bzw. Vermieter typischerweise nicht. Möglich ist dem professionellen Sachleistungsschuldner daher zwar typischerweise – beim Kauf oder der Vermietung aus53 Vgl.
Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459 und näher unten § 4.V.5.b) (S. 262 ff.). S. dazu unten § 5.IV.3.b) (S. 344 ff.). 55 Ebenso zum alten Werkvertragsrecht BGHZ 96, 111, 119; zum neuen Recht vgl. BeckOK-BGB/Voit, 01.02.2013, § 635 Rn. 7. 54
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tauschbarer Sachen56 (z.B. Autovermietung) – die Nachlieferung einer vergleichbaren Sache, weil er regelmäßig über die entsprechenden Einkaufskanäle verfügen wird. Durch eine solche Nachlieferung würde das Erfüllungsinteresse des Käufers bzw. Mieters in vollem Umfang befriedigt, und der professionelle Verkäufer bzw. Vermieter könnte gleichzeitig seine Skalenvorteile nutzen, um die Ersatzsache günstiger zu erwerben, als dies dem Käufer bzw. Mieter als Einzelkunde im Endkundenmarkt möglich wäre. Insoweit ist ein Nachlieferungsanspruch in Natur effizient. Sofern der Verkäufer allerdings nicht zufällig gleichzeitig Hersteller der Sache ist (etwa beim Werklieferungsvertrag gem. § 651 BGB), ist er zur Reparatur nicht typischerweise besser in der Lage als der Käufer; gleiches gilt hinsichtlich des Vermieters im Vergleich zum Mieter. Für einen Anspruch auf Nachbesserung spricht aber unter Effizienzgesichtspunkten zunächst, dass der professionelle Verkäufer bzw. Vermieter auf dem Markt für Reparaturdienstleistungen als Großnachfrager Skalenvorteile erzielen kann, die dem Käufer bzw. Mieter verwehrt sind – möglicherweise sogar durch Unterhaltung einer eigenen Reparaturabteilung.57 Hinzu kommt, dass selbst wenn der Verkäufer bzw. Vermieter die Reparaturdienstleistungen zu den gleichen Konditionen wie der Käufer bzw. Mieter einkaufen muss (etwa bei einem individuellen Wohnungsvermieter, der zur Mängelbeseitigung genau wie der Mieter auch einen Handwerker beauftragen müsste), die Zuerkennung eines Anspruches auf Mängelbeseitigung in Natur sämtliche Transaktionskosten und Risiken der Mängelbeseitigung dem Sachleistungsschuldner auferlegt. Das betrifft insbesondere auch die „weichen“ Transaktionskosten, die im Rahmen des Schadensersatzes für die Kosten eines Deckungsgeschäfts nicht ersatzfähig sind, z.B. die eigene Mühewaltung für die Suche eines geeigneten Reparaturdienstleisters.58 Indem der Verkäufer bzw. Vermieter einer Sache auch diese Aufwendungen tragen muss, wird er sie rationaler Weise bei seiner Kalkulation der Aufwendungen zur Mängelprävention berücksichtigen, so dass er insoweit das effiziente Präventionsniveau finden wird. Könnte er dagegen die „weichen“ Transaktionskosten und Risiken der Mängelbeseitigung auf den Käufer bzw. Mieter abwälzen, so würde er tenden56 Vgl. zur Kontroverse um die Gewährung eines Nachlieferungsanspruches beim Stückkauf vertretbarer Sachen befürwortend BGH NJW 2006, 2839, 2841; Canaris, JZ 2003, 831 ff.; ders., FS H.P. Westermann, 2008, S. 137 ff.; Schürholz, Die Nacherfüllung im neuen Kaufrecht, 2005, S. 167 ff.; Schroeter, AcP 207 (2007), 28, 49 ff.; ablehnend T. Ackermann, JZ 2002, 378 ff.; Jacobs, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 371, 377 ff.; s. auch den Überblick zum deutschen und österreichischen Recht bei Tröger, ZVglRWiss 107 (2008), 383, 402 ff. 57 Vgl. auch M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 304; Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 107; Schroeter, AcP 207 (2007), 28, 60. 58 Vgl. zur ökonomischen Analyse des Nacherfüllungsanspruches näher Tröger, ZVglRWiss 107 (2008), 383, 418 ff.; Friehe/Tröger, 33 Eur. J. Law Econ. 159 (2012) sowie im Kontext der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 105 ff.
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ziell geringere Aufwendungen zur Mängelprävention tätigen, als insgesamt effizient wären. Die Effizienz eines vorrangigen Nacherfüllungsanspruches des Käufers zeigt sich schließlich auch darin, dass vor Inkrafttreten der §§ 437 Nr. 1, 439 BGB die AGB vieler seriöser Händler ein Nacherfüllungsrecht vorsahen, mit dessen Hilfe der Verkäufer den sofortigen Übergang des Käufers auf die Minderung bzw. Wandelung verhindern konnte, der ihm nach altem Kaufrecht drohte.59 Diese Gründe sprechen – wenn auch in schwächerer Form als beim Werkvertrag – für die Gewährung eines vorrangigen Anspruches auf Nachlieferung und Nachbesserung in Natur auch beim Kauf- und Mietvertrag. Es ist daher überzeugend, wenn das deutsche Recht – im Kaufrecht den Vorgaben des Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG folgend – in den §§ 437 Nr. 1, 439 BGB einen Nacherfüllungsanspruch des Käufers und in § 535 Abs. 1 BGB einen Anspruch des Mieters auf Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache (der die Mängelbeseitigung umfasst60) vorsieht.61 Dies muss aus den genannten Gründen – entgegen einigen Stimmen in der Literatur62 – auch dann gelten, wenn der Verkäufer bzw. Vermieter keine eigene Reparaturwerkstatt unterhält.63 Allerdings sieht das deutsche Kaufrecht – anders als das Werkvertragsrecht64 und das Mietrecht, in welchem allerdings die Nachlieferung kaum eine praktische Rolle spielt – ein Wahlrecht des Käufers zwischen Nachlieferung und Nachbesserung vor (vgl. § 439 Abs. 1 BGB, Art. 3 Abs. 3 S. 1 VerbrGKRL65).66 Die Gesetzesbegründung rechtfertigt ein solches Wahlrecht sinngemäß mit dem Gesichtspunkt, dass der Verkäufer einer mangelhaften Sache nicht schutzwürdig 59 Vgl. nur Medicus, ZIP 1996, 1925, 1927; Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 2 m. Fn. 1; Staudenmayer, NJW 1999, 2393, 2395. S. auch die spieltheoretische Analyse bei Friehe/ Tröger, 33 Eur. J. Law Econ. 159, 174 ff., 182 f. (2012), wonach ein Vorrang der Nacherfüllung optimale Anreize für den Verkäufer biete, von Anfang an gute Qualität zu liefern. 60 Vgl. statt aller Palandt/Weidenkaff, § 535 Rn. 36 ff. 61 Vgl. dazu auch die rechtsvergleichende Tabelle bei Friehe/Tröger, 33 Eur. J. Law Econ. 159, 162 f. (2012) mit einer Zusammenstellung der wichtigsten Rechtsordnungen und ihrer Einstellungen zum Vorrang der Nacherfüllung. 62 Vgl. MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 2012, § 439 Rn. 23; ders., NJW 2002, 241, 244. 63 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 232 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 846; Staudinger/Matusche-Beckmann, 2014, § 439 Rn. 117; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 43. 64 Vgl. soeben § 4.III.3.a) (S. 232 f.). 65 Vgl. zum Wahlrecht des Käufers nach der Richtlinie etwa Micklitz, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 2008, Rn. H.261; Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 65; W. Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1416. 66 Vgl. zum Streit um die Rechtsnatur dieses Wahlrechts einerseits Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 75 f.; Spickhoff, BB 2003, 589, 594; Jacobs, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 371, 376 f.; BeckOKBGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 9 f. (elektive Konkurrenz), andererseits Gsell, FS U. Huber, 2006, S. 299, 309 ff.; Büdenbender, AcP 205 (2005), 386 ff. (modifizierte Wahlschuld).
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sei, weil er seine Pflichten aus dem Kaufvertrag verletzt habe; es sei dann legitim, zunächst den Käufer entscheiden zu lassen, auf welche Weise das Vertragsziel der Lieferung einer mangelfreien Sache noch verwirklicht werden könne.67 Ökonomisch ist eine solche rein moralische Argumentation allerdings nicht überzeugend, weil der Verkäufer in seinem Naturalerfüllungsinteresse auch dann noch schutzwürdig ist, wenn er – durchaus auch schuldlos – anfänglich seine Leistungspflicht durch die Lieferung einer mangelhaften Sache verletzt hat.68 Ein Wahlrecht des Käufers birgt das Risiko einer Entscheidung zugunsten einer überoptimalen Beseitigungsweise, die zur Wahrung seines Erfüllungsinteresses nicht erforderlich ist, und die er als Druckmittel gegen den Verkäufer einsetzen kann (Gefahr des moral hazard).69 Zugleich kann nur der Verkäufer zuverlässig einschätzen, welche Variante für ihn die günstigere ist.70 Für ein Wahlrecht des Käufers kann allerdings angeführt werden, dass es im Kaufrecht möglicherweise häufiger als im Werkvertragsrecht Fälle gibt, in welchen der Käufer ein besonderes Integritätsinteresse am Behalten gerade der bereits in Betrieb genommenen Kaufsache hat, welches bei einem Wahlrecht des Verkäufers nicht berücksichtigt würde. Man denke etwa an ein Notebook, das der Käufer bereits auf seine persönlichen Bedürfnisse eingerichtet und mit seinen Daten bespielt hat: Hier hat der Käufer im Falle eines sich nachträglich zeigenden Sachmangels ein evidentes Interesse daran, nur Nachbesserung und nicht Nachlieferung zu verlangen, um nicht den gesamten Einrichtungsaufwand – der hinsichtlich der eigenen Arbeitszeit nicht einmal als Schadensersatz ersatzfähig wäre – wiederholen zu müssen. Gleichwohl ist bei der Anwendung des § 439 BGB zu berücksichtigen, dass ein solches besonderes Integritätsinteresse des Käufers nicht in jedem Fall besteht. Es ist daher – im Rahmen der sog. relativen Unverhältnismäßigkeit gem. § 439 Abs. 3 S. 2 BGB – streng zu prüfen, ob der Mehraufwand des Verkäufers infolge der vom Käufer gewählten Art der Nacherfüllung durch ein besonderes Integritätsinteresse gerechtfertigt ist. Fehlt es hieran, so kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art ablehnen und schuldet nach § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 BGB nur noch die andere Art der Nacherfüllung. Aus den gleichen Gründen ist es auch zutreffend, wenn die Rechtsprechung dem Verkäufer innerhalb der (vom Käufer gewählten) Nachbesserung gestattet, selbst über die tauglichste Reparaturmöglichkeit zu entscheiden.71 67 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 231 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 845. 68 S. oben § 4.III.1 (S. 225 f.). 69 Vgl. Grundmann/Bianca/Gomez, Einl. Rn. 108. 70 Kritisch daher auch W. Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1416 f.; Medicus, ZIP 1996, 1925, 1927. 71 Vgl. OLG Celle NJW 2013, 2203, 2205; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 122014, Rn. 671, 3488.
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c) Mängelbeseitigung im Reisevertragsrecht Parallel zum Kauf- und Mietrecht sieht § 651c Abs. 2 BGB auch für das Recht des Reisevertrags im Falle eines Reisemangels zunächst einen Anspruch des Kunden gegen den Reiseveranstalter auf Abhilfe vor. Auch hier gilt, dass der Veranstalter zwar typischerweise den Mangel nicht selbst beseitigen kann, sondern auf einen Leistungserbringer vor Ort angewiesen ist, er also wie der Kunde selbst einen Dritten beauftragen muss. Gleichwohl kann er typischerweise Vorteile aus dem Umstand ziehen, dass er kraft seiner Nachfragemacht günstigere Konditionen bei den Leistungserbringern erhält und daher durch die Abhilfe Kosten gegenüber einer Selbstabhilfe durch den Kunden einsparen kann. Auch hier ist es daher sinnvoll, dass der Abhilfeanspruch ausweislich der Regelungen des § 651c Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BGB vorrangig vor einem Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die Selbstabhilfe durch den Reisenden ist: Dieser Geldersatz kann grundsätzlich nur dann verlangt werden, wenn eine vom Reisenden bestimmte angemessene Frist abgelaufen ist. Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Veranstalter die Abhilfe verweigert oder die sofortige Abhilfe durch ein besonderes Interesse des Reisenden geboten wird (§ 651c Abs. 3 S. 2 BGB). Zudem kann der Veranstalter die Abhilfe verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert (§ 651c Abs. 2 S. 2 BGB); auch in diesem Fall hat der Reisende Anspruch auf Ersatz seiner Mängelbeseitigungsaufwendungen. Diese Voraussetzungen für den Übergang entsprechen exakt den allgemeinen oben dargelegten Voraussetzungen für den Übergang von der Naturalleistung auf die Geldleistung72 – allerdings mit dem Unterschied, dass § 651c Abs. 2 S. 1 BGB als Geldersatz keinen vollen Schadensersatz statt der Leistung gewährt, sondern lediglich den Ersatz der Aufwendungen für die Abhilfe, diesen jedoch ohne ein Verschuldenserfordernis. Weitere Schäden, insbesondere einen bei – typischerweise zu konsumptiven Zwecken geschlossenen – Pauschalreiseleistungen schwer vorstellbaren Er tragsausfallschaden, erhält der Reisende allerdings auf der Grundlage des § 651f Abs. 1 BGB, d.h. im Verschuldensfalle, wobei das Verschulden vermutet wird. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift umfasst die Ersatzpflicht des Veranstalters den gesamten „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“, also auch die Kosten des Deckungsgeschäfts, ohne dass die Ersatzpflicht jedoch von einer Fristsetzung zur Abhilfe entsprechend § 651c Abs. 1 S. 1 BGB abhängig wäre. Danach könnte der Reisende bei einem vom Veranstalter verschuldeten Mangel der Reise ohne weitere Voraussetzungen Ersatz der Abhilfekosten zwar nicht über § 651c Abs. 2 S. 1 BGB, aber als Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 651f Abs. 1 BGB erlangen. Damit würde allerdings das Naturalandienungsrecht des Reiseveranstalters umgangen. Zu Recht nimmt daher die ganz h.M. an, dass der Anspruch aus § 651c Abs. 3 BGB hinsichtlich der Selbstabhilfekos72
Vgl. ausführlich oben § 5 (S. 269 ff.).
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ten lex specialis gegenüber dem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 651f Abs. 1 BGB ist, so dass die Kosten des Deckungsgeschäfts – eigentlich systemwidrig – nicht als Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt werden können.73 Darüber hinaus verlangt die überwiegende Auffassung für die Geltendmachung sonstiger Folgeschäden nach § 651f Abs. 1 und 2 BGB, dass der Reisende den Mangel rechtzeitig angezeigt und dem Veranstalter Gelegenheit gegeben hat, den Mangel zu beseitigen.74 Jedenfalls im Hinblick auf die immaterielle Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude (§ 651f Abs. 2 BGB) ist dem zuzustimmen, weil es sich dabei um das (immaterielle) Erfüllungsinteresse des Reisenden, genauer um den Ertragsausfallschaden handelt. Dessen Ersatz sollte nach dem Grundsatz der Naturalerfüllung nur nachrangig nach der eigentlichen Erfüllung (bzw. Mängelbeseitigung) geschuldet sein.
4. Insbesondere: Der Naturalerfüllungsanspruch bei Handlungspflichten Handlungspflichten spielen historisch und rechtsvergleichend eine Sonderrolle im Hinblick auf den Naturalerfüllungszwang. Hier hat der Grundsatz nemo praecise cogi ad factum seinen Ursprung,75 und hier bestehen in der Tat spezifische Wertungsgesichtspunkte für einen Ausschluss des Naturalleistungszwanges.
a) Der Schutz des Schuldners vor „Zwangsarbeit“ Hier ist die Interessenlage insoweit besonders, als der Schuldner tatsächlich durch Zwang gegen seinen Willen zu einem Verhalten gebracht werden soll, so dass ein erheblicher Eingriff in seine Persönlichkeitssphäre erfolgt. Dieser Eingriff in die Handlungsfreiheit bedarf besonderer Begründung, und es ist nicht von vornherein evident, dass er allein durch ein vertragliches Versprechen oder durch eine gesetzliche Handlungspflicht gerechtfertigt ist. Hierin liegt die stärkste Rechtfertigung des Grundsatzes der Geldkondemnation im antiken römischen Recht; die Beschränkung der Naturalvollstreckung bei Ansprüchen auf Handlungen soll „dem römischen Freiheitsverständnis nicht gemäß“ gewesen sein.76 Im Fluss war allerdings die Antwort auf die Frage, welche Ansprüche 73
Vgl. nur MünchKomm-BGB/K. Tonner, § 651f Rn. 35. Vgl. BGHZ 92, 177, 178 ff.; LG Frankfurt a.M. RRa 1998, 234, 235; AG Hamburg RRa 1998, 39, 40; BeckOK-BGB/Geib, 01.02.2014, § 651f Rn. 8; a.A. MünchKomm-BGB/K. Tonner, § 651f Rn. 14; Staudinger/A. Staudinger, 2011, § 651f Rn. 13 f., die bei unterlassener Mängelanzeige lediglich § 254 BGB anwenden wollen. 75 S. oben § 2.II.4.a) (S. 79 ff.) und öfter. 76 So Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 949 unter Hinweis auf Sintenis, ZCP 11 (1838), 74
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als Handlungspflichten in diesem Sinne gesehen werden: So wurde das von den Glossatoren im frühen Mittelalter etwa auch für den Lieferungsanspruch des Käufers vertreten (actio empti), der ursprünglich nicht den Herausgabe- bzw. Übergabeansprüchen zugeordnet war; diese Einordnung – mit der Folge der Durchsetzbarkeit in Natur – setzte sich erst im 14. Jahrhundert durch.77 Für die „echten“ Handlungspflichten blieb es dagegen bei dem Grundsatz nemo potest praecise cogi ad factum. In der Tat stellen sich für diese Pflichten aus der Natur der Sache erhebliche Probleme bei der naturalen Durchsetzung, da der Schuldner hier nicht nur zur Passivität gezwungen werden muss (wie bei der Wegnahme einer Sache, die er zu dulden hat), sondern zu einem aktiven Tun. Hierzu bleibt faktisch nur der Einsatz von mittelbaren Zwangsmitteln, d.h. die Androhung von Übeln (Zwangsgelder, Zwangshaft, früher auch Körperstrafen) für den Fall der Nichterfüllung. Mit der Anerkennung der Menschenrechte sind den Zwangsmitteln zudem höherrangige Grenzen gesetzt (Ausschluss von Körperstrafen bzw. unmittelbarem körperlichem Zwang für die Nichterfüllung78; allgemeiner Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Gegen einen sich trotz der zulässigen mittelbaren Zwangsmittel hartnäckig weigernden Schuldner gibt es kein praktisches Mittel, ihn zur Vornahme der geschuldeten Handlung zu zwingen. Hinzu kommt die tatsächliche Schwierigkeit, dass die erzwungene Handlung häufig nicht die Qualität haben wird, die der Gläubiger ursprünglich erwartet, ohne dass ihm hieraus vollständig werthaltige Gewährleistungsansprüche erwachsen würden (etwa bei Dienstverträgen).79 Daraus haben einige Rechtsordnungen die Konsequenz gezogen, dass für Ansprüche auf ein positives Tun schon materiell-rechtlich kein Anspruch auf Naturalerfüllung besteht (vgl. im französischen Recht Art. 1142 Code Civil für die obligations de faire et de ne pas faire, allerdings eingeschränkt durch ein Selbstvornahmerecht des Gläubigers nach Art. 1143, 1144 Code Civil für vertretbare Handlungen, und von der Rechtsprechung inzwischen faktisch derogiert80).
b) Das besondere Naturalleistungsinteresse des Schuldners Allerdings hat der Schuldner bei Handlungspflichten ein besonderes Interesse daran, die geschuldete Leistung persönlich zu erbringen, weil hier die Differenz zwischen internen Leistungserbringungskosten und den Kosten einer Ersatzvornahme – und damit der Vorteil des Schuldners durch die persönliche Leis20, 75 f.; s. auch von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 41880, II 1, S. 220 ff. 77 Vgl. dazu auch Dilcher, ZRG (RA) 78 (1961), 277, 287 ff., 300. 78 Vgl. nur MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 888 Rn. 1. 79 Vgl. bereits L. J. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen nach deren neuesten Ausgabe, 81818, § 743 Anm. 2 sowie Puig, RDC 2005, 85, 87; M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 3 f. 80 S. oben § 2.V.2.a)aa) (S. 108 ff.).
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tungserbringung – besonders groß ist. Denn der Einsatz der eigenen Arbeitskraft verursacht dem Schuldner typischerweise keinen Geldaufwand, anders als der Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts. Der eigentlich leistungswillige Schuldner, der lediglich zunächst den Anspruchsgrund in redlicher Weise bestreitet, hat daher ein besonderes Interesse daran, eine Gelegenheit zu erhalten, die Leistung tatsächlich zu erbringen.
c) Folgerungen Der Schutz der schuldnerischen Freiheitssphäre erfordert lediglich einen Ausschluss der Vollstreckung durch Zwangsmittel gegenüber dem Schuldner selbst, keinen Ausschluss des klagbaren Anspruches. Bei vertretbaren Handlungspflichten ist im Falle einer Verurteilung zur Erfüllung überhaupt keine Beeinträchtigung der Schuldnerfreiheit zu befürchten, weil er selbst ein Deckungsgeschäft zugunsten des Gläubigers vornehmen kann und auch die Vollstreckung ohne weiteres durch Ersatzvornahme erfolgen kann, ohne die Handlungsfreiheit des Schuldners zu beeinträchtigen.81 Nur bei unvertretbaren Handlungspflichten kann ein Konflikt überhaupt eintreten. Aber auch in diesen Fällen ginge die Versagung eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die Naturalleistung zu weit, weil sie die Appellfunktion eines Leistungsurteils – sei es auch nicht vollstreckbar – ignoriert. Schließt man bereits die materiell-rechtliche Leistungsklage aus, so könnte der Schuldner nicht (gutgläubig) zunächst das Bestehen der Leistungspflicht dem Grunde nach leugnen, um sich dann dem rechtskräftigen Urteil zu beugen und seine Vorteile aus der Naturalleistung doch noch zu realisieren, um einer Schadensersatzhaftung zu entgehen. Rechtsordnungen ohne materiell-rechtlichen Erfüllungsanspruch geben dem Gläubiger ausschließlich die Möglichkeit, auf Schadensersatz zu klagen, und verschließen dem Schuldner daher die Möglichkeit, nach Ergehen eines Urteils doch noch in Person zu leisten. Daher ist die Lösung des deutschen Rechts vorzugswürdig, bei allen Arten von Handlungspflichten einen klagbaren Erfüllungsanspruch zu gewähren (§ 241 Abs. 1 BGB), und den Schutz der Persönlichkeitssphäre des Schuldners erst im Vollstreckungsrecht zu berücksichtigen (vgl. § 888 Abs. 3 ZPO).82
81 82
S. dazu unten § 7.II.3 (S. 437 ff.). Vgl. dazu näher unten § 7.II.2 (S. 434 ff.).
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IV. Dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches Die sachliche Entscheidung zugunsten der Gewährung eines vorrangigen Naturalerfüllungsanspruches mit einseitigem Recht des Gläubigers zum Übergang auf den Schadensersatzanspruch nach Fristsetzung präjudiziert noch nicht die dogmatische Einordnung dieses Anspruches und seine Voraussetzungen.
1. Erfüllungsanspruch als Primäranspruch oder als Rechtsbehelf? Eine intensive Auseinandersetzung besteht hinsichtlich der Frage, ob der naturale Erfüllungsanspruch als „Rechtsbehelf“, d.h. als Sanktion für die Nichterfüllung (remedy), oder als originärer, seit Vertragsschluss bzw. Anspruchs entstehung bestehender Primäranspruch anzusehen ist83. Die erste Sichtweise entspricht dem angloamerikanischen Rechtskreis und liegt auch den neueren Vereinheitlichungsprojekten zugrunde (vgl. Art. 9:102 PECL; Art. 7.2.2 PICC; Art. III.-3:302 DCFR);84 die zweite Sichtweise entspricht dem klassischen Blick auf das deutsche Recht.85 Die praktische Bedeutung dieser dogmatischen Streitfrage ist allerdings nicht allzu hoch einzuschätzen:86 Gerichtlich geltend gemacht wird der naturale Erfüllungsanspruch typischerweise erst, wenn der Schuldner bei Fälligkeit nicht geleistet hat. Eine Rechtsordnung, die – wie etwa das common law – generell einem aktionenrechtlichen Denken verhaftet ist, wird daher klagbare Ansprüche nur in Gestalt von Rechtsbehelfen für den Fall der Nichterfüllung denken, so dass auch der naturale Erfüllungsanspruch, wenn er denn gewährt wird, als Rechtsbehelf, d.h. als Klageform für den Fall einer Leistungsstörung ausgestaltet ist.87 Die dahinter stehenden Primärrechte (das hier sog. primäre Naturalerfüllungsrecht des Gläubigers) werden nicht als 83 So etwa M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 371 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 205 ff. 84 Vgl. dazu eingehend M.-P. Weller, JZ 2008, 764 ff. sowie unten § 9.I.5 (S. 501 ff.). 85 Vgl. BGH NJW 2001, 1724 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 389 ff.; Langheineken, Anspruch und Einrede nach dem Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, 1903, S. 23; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 63; anders in neuerer Zeit dagegen Harke, Allgemeines Schuldrecht, 2010, Rn. 163; U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 320, 330; Schlechtriem/ Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 62005, Rn. 459 f., 465 f.; PWW/Schmidt-Kessel, vor §§ 275 ff. Rn. 10; § 275 Rn. 1; w. Nachw. bei M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 392 ff. 86 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 197: „überflüssig“ und „irreführend“; U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 312 Fn. 2 a.E.; anders aber offenbar Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, 2008, S. 176 ff. 87 So zum römischen Recht auch die Position von von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840–1849, §§ 204 f.
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gerichtlich durchsetzbare Rechtspositionen angesehen, sondern lediglich als Schuldnerpflicht, deren Verletzung die genannten Sanktionen nach sich zieht.88
a) Der Primäranspruch als Folge der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht Ein solches Modell entspricht aber zum einen nicht der modernen Anspruchsdogmatik, die sich bei der Anerkennung materiell-rechtlicher Ansprüche von den Klagemöglichkeiten (den früheren actiones) gelöst hat, und ist zum anderen auch für die praktischen Bedürfnisse des Rechtsverkehrs unzureichend. Als Begründer der modernen Anspruchsdogmatik gilt allgemein Windscheid, der im Hinblick auf das römische Recht actiones anerkannte, die eine Rechtsverletzung nicht voraussetzten, sondern unmittelbar bereits aus dem Vertrag selbst entstanden.89 Damit war die Idee eines Primäranspruches geboren, der unabhängig von einer Pflichtverletzung bereits im Fälligkeitszeitpunkt besteht. Die Klagbarkeit ist dann nur noch eine Eigenschaft dieses materiellen Anspruches, nicht mehr seine Voraussetzung; der Anspruch ist aber auch nicht mit seiner Klagbarkeit identisch, sondern besteht unabhängig hiervon.90 Diese Verselbständigung des materiell-rechtlichen Anspruches gegenüber den prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten ermöglicht erst die Emanzipation des materiellen Rechts vom Prozessrecht und damit die Entwicklung einer rationalen Anspruchslehre des materiellen Rechts, die sich an Sachgesetzlichkeiten orientieren kann, ohne an das Korsett prozessualer Klageformen gebunden zu sein. Umgekehrt eröffnet sie zugleich die Möglichkeit, die Klageformen von bestimmten materiell-rechtlichen Anspruchskonstellationen zu lösen und dadurch ein selbständiges Prozessrecht zu entwickeln, das sich an den Sachfragen des gerichtlichen Verfahrens und nicht am materiellen Recht orientiert. Prozessrechtliche Institute wie die Feststellungsklage oder die Klage auf künftige Leistung sind nur denkbar, wenn das materielle Recht von seiner prozessualen Durchsetzbarkeit (verstanden als spezifische Leistungsklage für ein bestimmtes materielles Recht, die actio) geschieden wird. Daher ist es überzeugend, wenn der BGB-Gesetzgeber – in Übernahme der Lehren Windscheids – in § 241 Abs. 1 BGB den primären Erfüllungsanspruch als klagbares subjektives Recht ausgestaltet hat:91 Der Anspruch entsteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 241 Abs. 1 BGB bereits „kraft des Schuld88
Vgl. etwa Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 254. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 2 zur actio emti; zur Kontroverse zwischen Savigny und Windscheid über die Einordnung der actio näher M.P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 371 ff.; s. ferner zu Windscheids Einfluss auf die heutige Anspruchsdogmatik Boente, Nebeneinander und Einheit im Bürgerlichen Recht, 2013, S. 100 ff. 90 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 4 f. 91 Vgl. bereits Langheineken, Anspruch und Einrede nach dem Deutschen Bürgerlichen 89 Vgl.
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verhältnisses“, hat also keine weiteren Voraussetzungen, und das Prozessrecht gewährt für einen derartigen Anspruch die Möglichkeit seiner gerichtlichen Geltendmachung jedenfalls ab Fälligkeit (vgl. im Übrigen die §§ 257 ff. ZPO). Auch die übrigen Normen des BGB, die vertragliche Primäransprüche explizit regeln (z.B. §§ 433, 535, 598, 631 BGB), geben allein den Vertrag als Anspruchsvoraussetzung an („Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer […] verpflichtet…“, etc.).92 Gleiches gilt für die Formulierung gesetzlicher Ansprüche, etwa in § 346 Abs. 1 BGB, § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, § 985 BGB oder § 1004 Abs. 1 BGB: Jeweils ist der Schuldner unter den Voraussetzungen der gesetzlichen Tatbestände „verpflichtet“, bzw. der Gläubiger kann die entsprechende Naturalleistung (Herausgabe oder Beseitigung) „verlangen“, ohne dass es darauf ankäme, dass der Schuldner diese Verpflichtung bei Fälligkeit (d.h. in diesen Fällen: sofort, vgl. § 271 BGB) nicht erfüllt hätte. Freilich könnten diese Normen auch so verstanden werden, dass lediglich das Primärrecht des Gläubigers unmittelbar entstehen solle, seine Klagbarkeit aber die Nichterfüllung durch den Schuldner voraussetze.93 Wollte man mit einer solchen Konstruktion aber Ernst machen, so würde dies die Nichterfüllung des Schuldners zur – vom Gläubiger zu beweisenden – Voraussetzung des Erfüllungsanspruches machen.94 Dies widerspricht eindeutig der in § 362 Abs. 1 BGB angelegten Beweislastverteilung zulasten des Schuldners,95 wäre teleologisch durch nichts zu rechtfertigen96 und auch praktisch kaum durchführbar, weil es dem Gläubiger den Beweis einer negativen Tatsache auferlegen würde. Die Konstruktion wäre schließlich auch mit der in § 259 ZPO vorgesehenen Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung nicht vereinbar. Denn eine solche prozessuale Möglichkeit ist nur denkbar, wenn die materiell-rechtliche KlagGesetzbuch, 1903, S. 19 ff.; aus heutiger Zeit etwa M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 389; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 197 f.; Avenarius, JR 1996, 492, 495 f. 92 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 389; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 940. 93 So J. Braun, AcP 205 (2005), 127, 137 ff.; Harke, Allgemeines Schuldrecht, 2010, Rn. 163; J. Schmidt, FS Jahr, 1993, S. 401, 412 ff.; U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 329 ff.; wohl auch PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 1; wie hier dagegen Schur, Leistung und Sorgfalt, 2001, S. 50, freilich mit zirkulärer Argumentation, wie J. Braun, AcP 205 (2005), 127, 147 zutreffend anmerkt. 94 So liegt es im englischen Recht, vgl. nur Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436, 438; vgl. zu diesem Argument auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 404 f.; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 758. Freilich wird diese Beweislastverteilung von der deutschen Rechtsprechung auch im Prozess um den Nichterfüllungsschaden zugrunde gelegt, obwohl dieser unzweifelhaft als Rechtsbehelf ausgestaltet ist (vgl. nur BGH NJW 1993, 1704, 1706; Rosenberg, Beweislast, 51965, S. 346 f.; Eyinck, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting (Hrsg.), Handbuch der Beweislast, 32008, § 362 Rn. 12 m.w.N.); zwingend ist diese Argumentation daher nicht. 95 Allg. M., vgl. nur MünchKomm-BGB/Fetzer, 2012, § 363 Rn. 1. 96 Vgl. zum teleologischen Hintergrund dieser Beweislastverteilung Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 134.
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barkeit97 der Forderung von Anfang an gegeben ist; lediglich für die vorzeitige prozessuale Geltendmachung enthält § 259 ZPO besondere Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse. Gleiches gilt bezüglich der nach deutschem Recht ebenfalls zulässigen Feststellungsklage hinsichtlich einer künftigen Leistungspflicht,98 die zwar nicht zu einem vollstreckbaren Leistungsurteil führt, aber doch zur Feststellung einer zukünftigen Leistungspflicht, die nur bei der Existenz eines entsprechenden klagbaren Primäranspruches vor Eintritt einer Leistungsstörung denkbar ist. Wollte man diese prozessualen Möglichkeiten ohne einen primären klagbaren Naturalerfüllungsanspruch, also auf der Basis eines Rechtsbehelfsmodells erklären, so wäre man zu einer erheblichen Ausweitung sog. antizipierter Vertragsbrüche genötigt, um in den Fällen eines berechtigten Rechtsschutzinteresses des Gläubigers auch vor Fälligkeit zu einer tatsächlichen Klagemöglichkeit zu gelangen.99 Umgekehrt ist es durchaus auch möglich, die Rechtslage des common law auf der Grundlage der Existenz eines Primäranspruches dogmatisch zu erklären: Wie oben bereits ausgeführt,100 unterliegt der Anspruch auf Naturalleistung nach common law zusätzlichen Voraussetzungen; er ist also nicht automatisch mit Vertragsschluss gegeben, sondern gegenüber dem Schadensersatzanspruch sogar insofern subsidiär, als er nur gegeben wird, wenn der Schadensersatz nicht ausreichend ist.101 Der Naturalerfüllungsanspruch wird daher regelmäßig als remedy qualifiziert, für das zusätzlich zur bloßen Nichtleistung des Schuldners noch weitere Voraussetzungen erforderlich sind.102 Jedoch können die zusätzlichen Voraussetzungen des common law von einem kontinentaleuropäischen Standpunkt aus auch so verstanden werden, dass der Naturalerfüllungsanspruch voraussetzungslos an den ursprünglichen Leistungsanspruch geknüpft ist und allein seine gerichtliche Geltendmachung Beschränkungen unterworfen ist.103 Denn auch die zusätzlichen Voraussetzungen der specific performance nach dem common law ändern nichts daran, dass inhaltlich allein die specific 97 Vgl. zur Klagbarkeit als materiell-rechtliche Eigenschaft der Forderung nur M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 382 ff.; a.A. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 403 ff.; hiergegen zutreffend G. Schulze, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2014, S. 5, 14 f. 98 Vgl. zur Zulässigkeit der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO bei betagten oder bedingten Rechtsverhältnissen BGH NJW 1992, 436, 437; BGH NJW-RR 2005, 637 f.; Musielak/Foerste, § 256 Rn. 4. 99 Die Lehre vom anticipatory breach des common law dürfte gerade auf diese defizitäre Trennung von materiellem Anspruch und prozessualer Klagemöglichkeit zurückzuführen sein (vgl. zu dieser Lehre eingehend Liu, 66 Cam. L. J. 574 (2007); Weidt, Antizipierter Vertragsbruch, 2008, passim). 100 S. oben § 2.VI.2.c) (S. 128 ff.). 101 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 204. 102 S. unten § 2.VI.2.c) (S. 128 ff.). 103 Vgl. zur Rolle der Klagbarkeit Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 196 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 232 ff.; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 757.
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performance auf die Verwirklichung des Vertragsinhalts bezogen ist und nur diese von den Parteien ursprünglich gewollt wurde. Alle anderen remedies sind demgegenüber auf ein anderes Ziel (Schadensersatz oder Rückabwicklung) gerichtet, verwirklichen also gerade nicht den Vertrag selbst nach dem Willen der Parteien. Diese Sichtweise entspricht auch einer neueren Auffassung zum englischen Recht.104
b) Die unterschiedlichen Voraussetzungen von Primäranspruch und Rechtsbehelfen Hinzu kommt, dass sich die anderen Rechtsbehelfe – d.h. Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung – vom Erfüllungsanspruch sowohl in Bezug auf ihren Inhalt als auch in Bezug auf ihre Voraussetzungen unterscheiden: Ihr Inhalt ist gerade nicht – wie der Erfüllungsanspruch – auf die Verwirklichung des (ursprünglichen) Anspruchsgegenstandes gerichtet, sondern auf eine davon verschiedene Leistung, insbesondere auf die Zahlung von Schadensersatz statt der Leistung. Der Vorrang des (oben sog. sekundären) Naturalerfüllungsanspruches äußert sich gerade darin, dass die Verpflichtung zum Schadensersatz statt der Naturalleistung nicht unmittelbar bei Eintritt einer Leistungsstörung entsteht, sondern von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, etwa der Unmöglichkeit der Naturalleistung, einer erfolglosen Fristsetzung oder einer sonstigen Interessenabwägung.105 Neben diese zusätzlichen Tatbestandsmerkmale tritt das Erfordernis der Zurechenbarkeit der Leistungsstörung.106 Im deutschen Recht tritt dieses Erfordernis in Gestalt des Vertretenmüssens (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) deutlich zutage. Aber auch in anderen Rechtsordnungen, deren Leistungsstörungsrecht keine Verschuldens-, sondern eine Garantiehaftung vorsieht, sind Haftungsausschlussgründe vorgesehen, die den Schadensersatzanspruch des Gläubigers ausschließen, obwohl der Schuldner die Leistung bei Fälligkeit nicht (oder nicht wie geschuldet) erbracht hat; zu denken ist insoweit etwa an höhere Gewalt (force majeure) oder ein Verschulden des Gläubigers. Der klagbare Erfüllungsanspruch folgt dagegen unmittelbar aus dem subjektiven Recht des Gläubigers auf die Leistung, das er im Prozess aktualisiert, und hängt gerade nicht von weiteren Voraussetzungen ab, weder von einer bestimmten Form der Leistungsstörung noch von einem Zurechnungskriterium.107 Der Übergang auf einen Geldleistungsanspruch ist dagegen mehr als eine bloße 104 Vgl. Zakrzewski, Remedies Reclassified, 2005, S. 103 ff. und dazu Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 176; vgl. auch J. Braun, AcP 205 (2005), 127, 135 ff., allerdings im Hinblick auf das Eigentum und dessen Schutz durch Abwehransprüche. 105 S. oben § 4.III.2 (S. 227 ff.). 106 Vgl. generell zum Erfordernis von Zurechnungsgründen für Sekundäransprüche Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 294 ff. 107 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 195 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 390 unter Hinweis auf BGH NJW 2006, 1198, 1199.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Aktualisierung des subjektiven Rechts auf Erfüllung auf der Vermögensebene – eben ein eigenständiger Anspruch, der an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft ist. Daher ist es sinnvoll, insoweit eine kategoriale Trennung vorzunehmen und den Naturalerfüllungsanspruch von den Rechtsbehelfen dogmatisch und terminologisch zu trennen: Der Naturalerfüllungsanspruch ist der Primäranspruch, Geldleistungsansprüche sind sekundäre Ansprüche.
c) Die dogmatische Einordnung des Nacherfüllungsanspruches Schwierigkeiten macht die dogmatische Einordnung des Nacherfüllungsanspruches im Verhältnis zum ursprünglichen Erfüllungsanspruch. Hier stellt sich erneut die Frage, ob der Nacherfüllungsanspruch als Rechtsbehelf anzusehen ist, oder ob es sich nach wie vor um den ursprünglichen Primäranspruch handelt, der nur durch den Gefahrübergang inhaltlich modifiziert wurde. Hier darf die Aufnahme des Nacherfüllungsanspruches in die Rechtsbehelfskataloge der §§ 437 Nr. 1, 634 Nr. 1 BGB nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich kategorial um etwas anderes handelt als bei den übrigen (echten) Rechtsbehelfen des Gewährleistungsrechts.108 Denn der Nacherfüllungsanspruch besteht schlicht aufgrund des Leistungsdefizits bei Gefahrübergang, ohne dass weitere Voraussetzungen wie etwa ein Verschulden des Sachleistungsschuldners, ein fruchtloser Fristablauf o.ä. hinzukommen. Der Nacherfüllungsanspruch erweist sich damit schlicht als Residuum des ursprünglichen Primäranspruches, bei welchem die Pflicht zur Übergabe und Übereignung durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB entfallen ist, so dass nur noch die Pflicht zur Verschaffung der Mangelfreiheit aus § 433 Abs. 1 S. 2 BGB übrig geblieben ist, und der im Übrigen inhaltlich modifiziert wurde:109 Die inhaltliche Modifikation liegt im Übergang des Wahlrechts hinsichtlich der Art und Weise der Verschaffung der Mangelfreiheit auf den Käufer,110 in der Anwendung der Grenze der (einfachen) sog. „absoluten“ Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 3 BGB über § 275 Abs. 2 BGB hinaus,111 sowie schließlich in der Anwendung der 108 Ebenso
Albers, ZEuP 2012, 687, 692 f. auch die ganz h.M., vgl. Canaris, in: ders. (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. VII, XXV; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 504; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 6; Staudinger/Matusche-Beckmann, 2014, § 439 Rn. 1; P. Huber, NJW 2002, 1004, 1005; zum Werkvertragsrecht vgl. BGHZ 68, 372, 374; MünchKomm-BGB/Busche, § 635 Rn. 2. 110 Auch vor Gefahrübergang ist der Verkäufer verpflichtet, eine mangelfreie Sache zu liefern und zu diesem Zweck ggf. einen von ihm entdeckten Mangel durch Auswahl einer anderen Sache oder durch Reparatur zu beseitigen, um eine mangelfreie Sache übergeben und übereignen zu können (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB); allerdings kann er selbst entscheiden, welchen Weg er wählt, um einen vor Übergabe entdeckten Mangel zu beseitigen. 111 Soweit man – entgegen der hier vertretenen Auffassung (s. unten § 5.IV.3.b) (S. 344 ff.)) – die Grenze der absoluten Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB geringer ansetzt als nach § 275 Abs. 2 BGB. 109 So
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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zweijährigen Verjährung nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB anstelle der regelmäßigen Verjährung des Primäranspruches nach §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Praktische Auswirkungen hat die dogmatische Einordnung zunächst hinsichtlich des Fortbestandes von Sicherheiten, die für den ursprünglichen Primäranspruch bestellt waren. So sichert etwa eine Erfüllungsbürgschaft, die für den ursprünglichen Herstellungsanspruch des Werkbestellers eingeräumt wurde, ohne weiteres auch den Anspruch auf Nacherfüllung, nicht jedoch sonstige Gewährleistungsrechte.112 Auch die Einrede des nichterfüllten Vertrags aus § 320 BGB (bzw. im Werkvertragsrecht aus § 641 Abs. 3 BGB) erstreckt sich auf den Nacherfüllungsanspruch, d.h. der Nacherfüllungsanspruch steht – genau wie der Primäranspruch – im Synallagma mit dem Kaufpreisanspruch,113 dem Werklohnanspruch (vgl. auch § 641 BGB) bzw. dem Mietanspruch,114 so dass wegen der noch ausstehenden Nacherfüllung die Gegenleistung verweigert werden kann. Überwiegend wird aus der dogmatischen Einordnung des Nacherfüllungsanspruches als Residuum des ursprünglichen Primäranspruches auch gefolgert, dass der Verzug mit dem Primäranspruch sich automatisch als Verzug mit dem Nacherfüllungsanspruch fortsetze, und dass insbesondere eine Fristsetzung für den Primäranspruch die Wirkung habe, dass im Falle einer mangelhaften Leistung während der gesetzten Erfüllungsfrist keine erneute Fristsetzung zur Nacherfüllung erforderlich sei, so dass der Gläubiger ohne weiteres vom Vertrag zurücktreten bzw. ggf. Schadensersatz statt der Leistung verlangen könne.115 Eine solche Folgerung kann aber nicht aus der rein begrifflichen Einordnung des Nacherfüllungsanspruches als Fortsetzung des Primäranspruches gezogen werden, sondern bedarf einer sachlichen Legitimation, die sich v.a. am Zweck der Verzugsregeln und des Fristsetzungserfordernisses zu orientieren hat.116
2. Schuldnerpflicht und klagbarer Erfüllungsanspruch Bereits oben ist auf die analytische Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Schuldnerpflicht zur Naturalleistung und dem korrespondierenden klagbaren Erfüllungsanspruch des Gläubigers hingewiesen worden:117 Während 112 Ebenso Wassermann/Nobbe, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts- Handbuch, 32007, § 91 Rn. 276. Das gilt jedoch nur, wenn ihre zeitliche Geltung nicht bis zur Abnahme beschränkt wurde; vgl. zu einer solchen Interpretation der Erfüllungsbürgschaft OLG Celle NJW-RR 2005, 970, 971; BeckOK-BGB/Rohe, 01.02.2014, § 767 Rn. 19. 113 Vgl. dazu nur S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 500. 114 Vgl. nur BGHZ 84, 42, 46; BeckOK-BGB/Ehlert, 01.11.2013, § 536 Rn. 5. 115 Vgl. dazu eingehend unten § 5.II.2.b) (S. 281 ff.). 116 Vgl. dazu MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 62, 86 ff.; Vor § 275 Rn. 16; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 89 ff. sowie eingehend unten § 5.II.2.b) (S. 281 ff.). 117 S. oben § 4.II.1 (S. 221 f.).
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
die Schuldnerpflicht das Gesollte beschreibt, bildet der klagbare Erfüllungsanspruch das entsprechende konkrete Ziel einer Klage auf Naturalerfüllung.118 Selbst wenn der Erfüllungsanspruch nicht als durchsetzbares Klagerecht bestehen sollte, ist es zur dogmatischen Begründung jeglicher Sekundärhaftung notwendig, ein „Sollen“ des Schuldners zu definieren, das nicht erfüllt wurde. Diese Sichtweise ist nicht identisch mit dem oben kritisierten remedy-Konzept:119 Der Erfüllungsanspruch muss kein remedy sein, das erst mit einer Pflichtverletzung zur Entstehung gelangt, sondern kann auch – wie im deutschen Recht – von vornherein und ohne zusätzliche Voraussetzungen bestehen. Gleichwohl ist er nicht die identische Kehrseite der Schuldnerpflicht, sondern kann ein separates Schicksal haben. Besonders augenfällig ist das bei der anfänglich unmöglichen Leistung, wo von Anfang an kein durchsetzbarer Erfüllungsanspruch bestehen kann (im deutschen Recht: § 275 Abs. 1 BGB120), gleichwohl aber aus dem vertraglichen Versprechen eine gesollte Leistung abgeleitet werden kann, deren Nichterbringung die dogmatische Grundlage für die sekundäre Schadensersatzhaftung bildet (im deutschen Recht: § 311a Abs. 2 BGB).121 Auch bei der nachträglichen Unmöglichkeit bildet die Nichterfüllung des Gesollten die Haftungsgrundlage für den sekundären Schadensersatzanspruch des Gläubigers, obwohl Unmögliches gerade nicht verlangt werden kann: Auch hier besteht zwar die Schuldnerpflicht, aber kein korrespondierender Erfüllungsanspruch. Dadurch lässt sich auch erklären, warum die Haftung für die Nichterfüllung einer unmöglich gewordenen Leistungspflicht im deutschen Recht als Haftung für Pflichtverletzung gem. §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB eingeordnet wird.122 Es geht bei dem Begriff der Pflichtverletzung keinesfalls – wie in der deutschen Reformdiskussion teilweise behauptet wurde123 – ausschließlich um die Verlet118 In
der Sache entspricht dem das Konzept der „halbseitigen Leistungspflicht“ von Soergel/Gsell, § 311a Rn. 6; s. auch U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 334, der insofern terminologisch zwischen „Erfüllungspflicht“ (Erfüllungsanspruch im hier verwendeten Sinne) und „Vertragspflicht“ (Leistungspflicht im hier verwendeten Sinne) unterscheidet. 119 So aber offenbar PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 1, 13 f. 120 Irreführend ist daher die amtliche Überschrift des § 275 BGB: „Ausschluss der Leistungspflicht“. Richtigerweise geht es nur um den Ausschluss des Erfüllungsanspruches (krit. zur Terminologie auch PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 1). 121 Vgl. dazu nur Canaris, JZ 2001, 499, 506 ff.; ders., FS Heldrich, 2005, S. 11 ff.; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1080 ff.; ebenso die Konstruktion in vielen internationalen Regelwerken, vgl. Art. 9:102(2)(a) PECL, Art. 7.2.2(a) PICC, Art. III.-3:302(3)(a) DCFR und dazu Faust, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 65, 67. 122 S. auch Looschelders, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 213, 223 ff., 263. 123 Vgl. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 65 f.; Schapp, JZ 2001, 583, 585; von Wilmowsky, JuS 2002, Beil. 1 zu Heft 1, 3*, 14*; Jürgen Kohler, ZZP 118 (2005), 25, 31; G. Vollkommer, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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zung von Verhaltenspflichten. Vielmehr kann das schlichte Zurückbleiben des Geleisteten hinter dem Gesollten (eben der Leistungspflicht des Schuldners)124 genügen, um den Begriff einer Pflichtverletzung ohne jede begriffliche Verrenkung zu erfüllen.
3. Erfüllungsanspruch und Schaden a) Der Primäranspruch als orginärer, schadensunabhängiger Anspruch Mit der dogmatischen Einordnung des Erfüllungsanspruches als Primäranspruch oder als Rechtsbehelf hängt auch die Frage zusammen, ob der Erfüllungsanspruch voraussetzt, dass dem Gläubiger infolge der Leistungsstörung ein Schaden entstanden ist: Sieht man den Erfüllungsanspruch als Sanktion für eine Pflichtverletzung an, so liegt es nicht fern, eine Sanktion nur zu verhängen, wenn durch die Pflichtverletzung auch ein Schaden entstanden ist. Versteht man den Erfüllungsanspruch dagegen wie hier als Primäranspruch, der bereits mit Vertragsschluss (bzw. mit Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen) entsteht und klagbar ist, lässt sich nicht begründen, warum für seine Durchsetzung ein Schaden des Gläubigers erforderlich sein sollte – will man nicht den Schaden ausschließlich darin sehen, dass die geschuldete Leistung (unabhängig von ihrem Vermögenswert) nicht erbracht wurde. Von praktischer Relevanz ist diese Frage, die in anderen Rechtsordnungen umstritten ist125 und auch historisch keineswegs immer eindeutig beantwortet wurde,126 zunächst bei Unterlassungsansprüchen, deren Verletzung nicht automatisch einen (nachweisbaren) Schaden des Gläubigers nach sich zieht. Bei (positiven) Leistungsansprüchen ist die Frage dagegen weniger bedeutsam, weil das Ausbleiben der Leistung für den Gläubiger nahezu immer einen Schaden darin der Praxis, 2003, S. 123, 128; Finkenauer, WM 2003, 665, 667 f.; in dieser Richtung auch Heckel, JZ 2012, 1094, 1095 f. 124 So die heute herrschende Definition der Pflichtverletzung, vgl. schon Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 133, 135 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 668, 672; ferner S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 181; S. Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 2006, S. 5, 38; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 182 f.; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1082 ff.; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 336; Looschelders, Schuldrecht AT, 112013, Rn. 484; Staudinger/ Otto, 2009, § 280 Rn. C 1; ähnlich MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 280 Rn. 12: „Jedes Defizit gemessen am positiven Leistungsinteresse des Gläubigers“. 125 Vgl. zum französischen Recht etwa Fages, Droit des obligations, 42013, n° 286; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 62013, n° 961; das praktische Problem liegt hier darin, dass immaterieller Schadensersatz (préjudice moral) unabhängig von der Existenz eines wirtschaftlichen Schadens gewährt werden soll (und auch gewährt wird). 126 Vgl. etwa die Nachweise zu Puchta und Savigny bei Ziebarth, Die Realexecution und die Obligation, 1866, S. 25, die für den Begriff der Obligation jeweils verlangen, dass die geschuldete Handlung Vermögenswert hat.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
stellt. Anders kann es hingegen sein, wenn die Leistung entweder keinen Vermögenswert hat, oder der Gläubiger anderweitig befriedigt wird, sei es durch eine Versicherung, sei es durch eine vertragliche Risikoverlagerung auf Dritte (z.B. Abnehmer des Gläubigers), oder weil ein Dritter (oder der Gläubiger selbst) die geschuldete Leistung bereits vorgenommen hat. Insoweit ist allerdings festzuhalten, dass die besondere Stärke des Naturalleistungsanspruches gerade darin liegt, dass er auch dann bestehen kann, wenn die Leistung für den Gläubiger keinen messbaren Vermögenswert hat, also insbesondere bei unvertretbaren Dienstleistungen oder bei nicht ersetzbaren Sachleistungen ohne schätzbaren Vermögenswert: Hier kann nur der Naturalerfüllungsanspruch das Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen und den Vertragszweck (bzw. den Zweck der anspruchsgewährenden Norm) verwirklichen. Den Naturalerfüllungsanspruch mangels eines (nachweisbaren) Vermögensschadens abzulehnen, hieße den Gläubiger in diesen Fällen vollständig rechtlos zu stellen, obwohl der Vertrag bzw. das Gesetz ihm eine bestimmte Rechtsposition zuweisen. Nicht umsonst sind es gerade diese Fälle, in denen auch das common law einen Anspruch auf specific performance gewährt. Dementsprechend setzt der vertragliche Primärleistungsanspruch im deutschen Recht nach ganz herrschender und zutreffender Auffassung keinen (Vermögens-)Schaden des Gläubigers voraus.127 Folgerichtig muss auch der Vertragsgegenstand (z.B. eine Handlung) bzw. Leistungsgegenstand eines gesetzlichen Anspruches keinen Vermögenswert haben.128 Auch gesetzliche oder vertragliche Unterlassungsansprüche bestehen unabhängig von einem nachweisbar eingetretenen Schaden; vielmehr dienen sie regelmäßig gerade dazu, präventiv die Gefahr eines (praktisch meist nicht nachweisbaren) Schadenseintritts zu verhindern, und würden daher vollständig entwertet, wenn sie von einem Schadensnachweis abhängig gemacht würden.
b) Insbesondere: Anderweitige Befriedigung des Leistungsinteresses Das gilt auch dann, wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers tatsächlich anderweitig befriedigt wurde – sei es durch ein Naturereignis (z.B.: Das freizuschleppende Schiff wird von der Flut befreit), sei es wenn ein Dritter die geschuldete Leistung erbracht hat (z.B.: Der Nachmieter einer Wohnung hat die vom Vormieter geschuldeten Schönheitsreparaturen inzwischen selbst vorgenommen). Insoweit ist zu unterscheiden: Soweit die Befriedigung des Gläubigers zugleich zur Unmöglichkeit der Leistung (durch Zweckerreichung) führt, ist der Naturalleistungsanspruch aus diesem Grund ausgeschlossen (§ 275 127 Vgl. BGH NJW 2006, 1198, 1199; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 390; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 V (S. 162 ff.). 128 Vgl. Prot., 1897 ff., Bd. 1, S. 465; HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 20, 33; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 391; Rütten, FS Gernhuber, 1993, S. 939, 953 mit Fn. 69.
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Abs. 1 BGB); auf die Frage der Erforderlichkeit eines Schadens für das Bestehen eines Erfüllungsanspruches kommt es daher nicht mehr an. Ist dagegen die Leistungserbringung nach wie vor möglich, weil das Leistungsinteresse des Gläubigers trotz der schadensvermeidenden „Befriedigung“ durch einen Dritten fortbesteht,129 so entsteht dem Gläubiger durch das Ausbleiben der Primärleistung zwar tatsächlich kein Schaden. Das ist nach § 241 Abs. 1 BGB jedoch unbeachtlich, weil der Primärleistungsanspruch eben nicht auf den Ausgleich eines Schadens gerichtet ist, sondern auf die Verschaffung desjenigen, was der Schuldner dem Gläubiger versprochen hat bzw. was die gesetzliche Anspruchsgrundlage dem Gläubiger zuweist; eine Bezugnahme auf einen – wie auch immer ermittelten – Schaden des Gläubigers ist darin nicht angelegt. Die Frage nach der Einbuße des Gläubigers stellt sich allenfalls im Schadensersatzstadium, wenn geprüft wird, ob dem Gläubiger überhaupt ein nach § 280 Abs. 3 BGB zu ersetzender Schaden „statt der Leistung“ entstanden ist. Hier ist in der Tat problematisch, wie mit Fällen zu verfahren ist, in denen das Leistungsinteresse des Gläubigers anderweitig befriedigt wurde (sei es, dass dies zur Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung geführt hat, sei es, dass der Schuldner seiner – fortbestehenden – Leistungspflicht nicht nachgekommen ist). Insoweit führen aber die schadensrechtlichen Grundsätze der Vorteilsausgleichung130 zu einer wertungsgerechten Lösung: Zu fragen ist danach, ob die Befriedigung des Gläubigers durch Eigen- oder Drittleistungen den Zweck verfolgte, den Schuldner zu entlasten.131 Dies ist regelmäßig nicht der Fall: Leistungen aus vom Gläubiger abgeschlossenen Versicherungen entlasten den Schädiger ebenso wenig wie Eigenleistungen des Gläubigers, welche über die Schadensminderungsobliegenheit des § 254 Abs. 2 BGB hinausgehen.132 Auch Drittleistungen werden regelmäßig aufgrund eines eigenen Verhältnisses des Dritten zum Gläubiger vorgenommen werden, also nicht den Zweck verfolgen, den ursprünglichen Schuldner zu entlasten.133 In dem klassischen Beispielsfall des Mieters, der die – wirksam auf ihn abgewälzten – Schönheitsreparaturen bei Mietende nicht ausgeführt hat, haftet er dem Vermieter also auch dann auf Schadensersatz, wenn dieser sie auf den Nachmie-
129 Vgl. zur Frage, wann ein anderes Geschäft zum Wegfall des Naturalleistungsinteresses führt und daher als Deckungsgeschäft im technischen Sinne zu betrachten ist, Grigoleit/ Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740 f. 130 Vgl. hierzu den Überblick bei Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Deliktsrecht und Schadensrecht, 2011, Rn. 542 ff. 131 So auch BGH NJW 2007, 2697, 2698 für die Wirkung eines schadensmindernden Gewährleistungsvergleichs zwischen Auftraggeber und Generalunternehmer zugunsten des mangelhaft leistenden Subunternehmers. 132 Vgl. dazu nur H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 9 V 2 (S. 511 d.); § 9 VIII (S. 520 ff.). 133 Vgl. H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 9 VII (S. 519 f.).
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
ter abwälzen konnte.134 Denn der Nachmieter verfolgte mit der Leistung an den Gläubiger eigene Zwecke und wollte den Schuldner nicht entlasten; zugleich wird sich der Gläubiger diese Leistung in irgendeiner Form erkauft haben, etwa durch eine geringere Miete, so dass sogar ein Schaden besteht, wenngleich dieser kaum sicher beweisbar (und auch nicht kongruent mit der ausgebliebenen Leistung des Mieters) sein wird. Wirklich entscheidend wird die Frage nach der Erforderlichkeit eines Schadens, wenn die – vom Mieter pflichtwidrig nicht reparierte – Mietsache nach Mietende ohnehin abgerissen oder umgebaut werden sollte. Hier gewährt die deutsche Rechtsprechung zumindest einen Geldausgleich aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn es zu einem Abriss bzw. Umbau tatsächlich kommt.135 Indessen lässt sich diese Rechtsprechung nicht einmal mit der Erwägung rechtfertigen, der Vertragsbruch des Mieters bliebe sonst sanktionslos: Umgekehrt müsste ein Verlangen des Vermieters nach Erfüllung der Schönheitsreparaturpflicht in Natur als rechtsmissbräuchlich gewertet werden, wenn klar ist, dass das vermietete Gebäude alsbald abgerissen wird. Dann kann aber auch die Nichterfüllung dieser – nicht mehr durchsetzbaren – Pflicht keine Sanktion mehr nach sich ziehen. Zudem erleidet der Vermieter ohnehin keine Einbuße: Während der Vertragslaufzeit tritt kein Nachteil ein, weil es nur der Mieter ist, der die unrenovierte Wohnung bewohnt und dadurch eine Einbuße erleidet (wobei er selbstverständlich nicht berechtigt ist, wegen der fehlenden Schönheitsreparaturen die Miete zu mindern). Nach Ende der Mietdauer schlägt sich die ausbleibende Reparatur zwar theoretisch im Wert der Mietsache nieder; dieser Wertverlust wird aber niemals realisiert, wenn die Sache ohnehin abgerissen bzw. umgebaut wird. Daher besteht auch kein Ausgleichsbedürfnis zugunsten des Vermieters; vielmehr entspricht es der Wertung des § 326 Abs. 2 BGB, dass der Gläubiger, welcher dem Schuldner die Erfüllung seiner Pflicht in Natur unmöglich (oder sinnlos) macht, insoweit keinen Ausgleich erhält.136
V. Die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners Bereits aus der obigen Untersuchung der Interessenlage und der ökonomischen Analyse des Naturalerfüllungsanspruches folgte, dass dieser nicht nur dem Interesse des Gläubigers an der Realisierung seines Leistungsinteresses in Na134 So bereits BGHZ 59, 56, 62; LG Duisburg NZM 1999, 955 (unter der Geltung des alten Schuldrechts). 135 Vgl. BGHZ 92, 363, 369 ff.; BGHZ 151, 53, 58 ff.; BGH NJW 2005, 425, 426 f.; BGH NZM 2014, 270, 271 (Rn. 15 ff.); die französische Rechtsprechung gewährt sogar einen Schadensersatzanspruch wegen Vertragsverletzung, vgl. Cass. civ. 3e, 30.1.2002, Bull. civ. III, n° 17, LPA 2002, n° 230, S. 10 (m. Anm. Stoffel-Munck). 136 Ebenso im Ergebnis Blank/Börstinghaus/Blank, § 535 Rn. 389; Emmerich, NZM 2000, 1155, 1158.
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tur dient, sondern auch dem Interesse des Schuldners: Das gilt zunächst für Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, bei denen der Schuldner durch die Erbringung der Naturalleistung zugleich seinen Gegenleistungsanspruch von der Einrede des nichterfüllten Vertrags befreit und damit erst werthaltig macht, so dass er seinen Vertragsgewinn realisiert.137 Es gilt aber auch für andere vertragliche und gesetzliche Ansprüche, weil der Schuldner auch so durch die persönliche Leistungserbringung die Differenz zwischen seinen eigenen internen Leistungserbringungskosten und den Kosten einer Beschaffung des Leistungsgegenstandes am Markt (als Deckungsgeschäft) erspart. Damit stellt sich die Frage, inwieweit dieses Interesse des Schuldners auch rechtlichen Schutz genießt, sei es lediglich als Reflex, als subjektives Recht oder sogar als klag- und vollstreckbarer Anspruch auf Annahme der Naturalleistung durch den Gläubiger.138
1. Die Annahme der Naturalleistung als Obliegenheit des Gläubigers Aus dem Umstand, dass der Gläubiger bei Fälligkeit der Leistung nur die Naturalleistung fordern kann, folgt unmittelbar zunächst eine Obliegenheit des Gläubigers zur Annahme der rechtzeitig angebotenen Naturalleistung.139 Diese Obliegenheit umfasst auch die Vornahme notwendiger Mitwirkungshandlungen (etwa der Erklärung der Annahme einer Übereignung oder die tatsächliche Entgegennahme einer Sache).140 Nimmt der Gläubiger die naturale Leistung nicht an bzw. eine erforderliche Mitwirkungshandlung nicht vor, so gerät er nach deutschem Recht in Annahmeverzug (§ 293 BGB).141 Auch nach Eintritt einer Leistungsstörung – d.h. bei Nicht- oder Schlechtleistung zur Fälligkeit – besteht diese Obliegenheit des Gläubigers fort, soweit sein Anspruch nach wie vor ausschließlich auf die Naturalleistung gerichtet ist. Erst wenn das Leistungsstörungsrecht dem Gläubiger den Übergang auf einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gestattet, stellt sich überhaupt die Frage, ob er die gleichwohl angebotene Naturalleistung zurückweisen darf, ohne in Annahmeverzug zu geraten, oder ob umgekehrt der Schuldner dem Gläubiger dann 137
S. oben § 1.IV.1.b)bb) (S. 51 f.). dazu auch eingehend M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 464 ff.; zum sog. „Recht zur zweiten Andienung“ des Verkäufers ausführlich Mankowski, JZ 2011, 781 ff. 139 Vgl. etwa BGH NJW 2006, 1195; s. auch BGHZ 23, 293, 300: Eine „Pflicht des Schuldners, den geschuldeten Gegenstand zu leisten, […] ist ohne die Berechtigung des Schuldners, den geschuldeten Gegenstand zu leisten, undenkbar.“ 140 Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 293 Rn. 16 f.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 468 f. 141 Vgl. zu weiteren Folgen der „ernsthaften und endgültigen Annahmeverweigerung“ des Gläubigers weiterführend F. Peters, JZ 2012, 125 ff., allerdings ohne Rückgriff auf die Konstruktion einer Annahmepflicht. 138 Vgl.
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noch die Naturalleistung gegen dessen Willen aufdrängen kann. Die Folge einer solchen Annahmeobliegenheit des Gläubigers ist, dass die korrespondierende Rechtsposition des Schuldners lediglich eine Obliegenheitsberechtigung ist, d.h. der Schuldner kann die Annahme durch den Gläubiger nicht selbst verlangen und wegen der Nichtannahme keinen Schadensersatz verlangen.142 Vielmehr werden bei Verletzung der Annahmeobliegenheit durch den Gläubiger lediglich dessen eigene Rechte nach Maßgabe der §§ 293 ff. BGB beschnitten. Lediglich für manche Ansprüche ist zugleich eine Pflicht des Gläubigers zur Annahme der Naturalleistung formuliert (vgl. z.B. § 433 Abs. 2 a.E. BGB für den Anspruch des Verkäufers auf Abnahme der Kaufsache oder § 640 BGB für den Anspruch des Werkunternehmers auf Abnahme des Werkes). Dies führt zunächst nur dazu, dass dem Schuldner ein klagbarer Anspruch auf Annahme der Leistung zusteht, der auch in dieser Richtung auf Naturalerfüllung gerichtet ist. Daneben kann er für den Fall einer unberechtigten Annahmeverweigerung Anspruch auf Schadensersatz geltend machen, insbesondere wegen Verzögerung der Annahme (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB), aber auch – nach erfolgloser Fristsetzung – Schadensersatz statt der Leistung wegen der gesamten Nichtdurchführung des Kaufvertrags.143 Auch im Arbeitsrecht ist ein durchsetzbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung anerkannt, der vor allem mit der besonderen Interessenlage des Arbeitnehmers begründet wird.144
2. Die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners nach Eintritt einer Leistungsstörung Auch nach Eintritt einer Leistungsstörung kann der Gläubiger nach deutschem Recht zunächst grundsätzlich nur die Naturalleistung verlangen; vor dem Übergang auf den Schadensersatzanspruch muss er dem Schuldner zunächst eine Frist zur Leistung setzen. Dieses Fristsetzungserfordernis schützt das sog. „Recht des Schuldners zur (zweiten) Andienung“,145 welches wiederum dem Naturalleistungsinteresse des Schuldners auch im Falle einer Leistungsstörung noch zur Geltung verhelfen soll.146 Insoweit besteht (zumindest) eine korrespondierende Annahmeobliegenheit des Gläubigers hinsichtlich der Natural142 So die h.M., vgl. die Darstellung bei M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 469 ff. m. umf. N. 143 Vgl. statt aller BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 433 Rn. 59, 61. 144 Vgl. grundlegend BAG (GS) AP Nr. 14 zu § 611 BGB. 145 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 86, 89 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 583, 586 f. und dazu etwa S. Lorenz, NJW 2006, 1175 ff.; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2115 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 262, 498 ff. 146 S. dazu oben § 4.III.2 (S. 227 ff.) sowie näher Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 734 ff.
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leistung. Freilich offenbart die Möglichkeit einer Fristsetzung zugleich eine Schwäche des Schutzes des schuldnerischen Naturalleistungsinteresses nach Eintritt einer Leistungsstörung: Zum einen besteht dann kein Schutz, wenn eine Fristsetzung entbehrlich ist (z.B. nach § 283 BGB oder nach § 281 Abs. 2 BGB), und zum anderen zeigt sie, dass die Naturalerfüllungsmöglichkeit des Schuldners nur bis zum Fristablauf besteht. Nach Fristablauf weist § 281 BGB dem Gläubiger ein Wahlrecht zu, vom Schuldner entweder die Naturalleistung oder stattdessen Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Dieses ius variandi mag durch § 242 BGB im Einzelfall beschränkt sein, und hinsichtlich dieser Grenzen des ius variandi ist das Naturalleistungsinteresse des Schuldners zu berücksichtigen;147 im Grundsatz jedoch kann der Schuldner dem Gläubiger die Naturalleistung nach Fristablauf nicht mehr gegen dessen Willen aufdrängen. Umgekehrt folgt daraus, dass ein Naturalerfüllungsrecht des Schuldners – sei es schadensersatzbewehrt oder nicht – nur insoweit besteht, als der Gläubiger tatsächlich auf den naturalen Erfüllungsanspruch beschränkt ist. Sobald der Gläubiger berechtigt ist, stattdessen eine Geldleistung zu verlangen, entfällt diese Position des Schuldners, weil die Rechtsordnung sein Interesse an der Erbringung der Naturalleistung dann nicht mehr für schutzwürdig erachtet.
3. Schutzpflicht des Gläubigers zur Annahme bzw. Mitwirkung an der Leistung Ob darüber hinaus dem Schuldner in allen Fällen zwar möglicherweise kein durchsetzbarer Anspruch auf Annahme der Leistung, aber doch zumindest ein gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB schadensersatzbewehrtes Recht auf die Annahme seiner Leistung durch den Gläubiger zusteht, wird zum deutschen Recht kontrovers beurteilt.148 Die überwiegende Auffassung lehnt eine derartige Schutzpflicht des Gläubigers hinsichtlich des Naturalleistungsinteresses des Schuldners unter Hinweis auf den abschließenden Charakter der Vorschriften über den Gläubigerverzug einerseits und der Spezialregelungen einer Abnahmepflicht in den §§ 433 Abs. 2, 640 BGB andererseits ab.149 Bei Nichtabnahme bzw. unterlassener Mitwirkung trotz bestehender Naturalleistungspflicht steht dem Schuldner danach kein Schadensersatzanspruch zu, sondern lediglich der Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen nach § 304 BGB. Al147
S. dazu unten § 5.II.3.a) (S. 286 ff.). eingehend M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 464 ff.; rechtsvergleichend Martens, RabelsZ 76 (2012), 705 ff.; im Hinblick auf das „Recht“ des Verkäufers zur zweiten Andienung ablehnend z.B. Mankowski, JZ 2011, 781 ff. m. umf. N.; insgesamt abl. gegenüber einem Recht des Schuldners auf Leistungserbringung Josef Kohler, JherJb 17 (1879), 261, 278. 149 Vgl. BGH NJW 2000, 1336, 1338; Raab, JZ 2001, 251 ff.; U. Huber, Leistungsstörungen I, 1999, § 7 III 4 (S. 185); MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 280 Rn. 132; weitere Nachw. bei M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 472 ff. 148 Vgl.
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lerdings konzediert auch die h.M., dass die Vertragsauslegung im Einzelfall eine (schadensersatzbewehrte) Pflicht des Gläubigers zur Annahme der Naturalleistung ergeben kann.150 Das soll insbesondere bei solchen Mitwirkungshandlungen des Gläubigers gelten, die so bedeutend sind, dass ihre Unterlassung den gesamten Vertragszweck gefährdet.151 Bei Bauverträgen geht der BGH sogar von einer umfassenden Kooperationspflicht aus.152 Darüber hinausgehend wird in der neueren Literatur teilweise eine universelle vertragliche Schutzpflicht des Gläubigers angenommen, die Naturalleistung des Schuldners anzunehmen und erforderliche Mitwirkungshandlungen vorzunehmen.153 Diese Schutzpflicht wird aus der allgemeinen Leistungstreuepflicht abgeleitet: Der Gläubiger sei nach § 241 Abs. 2 BGB auch gehalten, auf das Naturalerfüllungsinteresse des Schuldners Rücksicht zu nehmen, ihm also die Naturalleistung nicht durch das Unterlassen von Mitwirkungshandlungen oder der Annahme der Leistung unmöglich zu machen. Auf diese Weise soll der Schuldner einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB erlangen, wenn der Gläubiger die Leistung des Schuldners in zu vertretender Weise vereitelt.154 Dieser Schadensersatzanspruch umfasst zum einen Schäden des Schuldners infolge der Verzögerung der Leistung – insoweit über den Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen nach § 304 BGB hinausgehend – sowie sogar einen Anspruch auf Schadensersatz „statt der Gegenleistung“, wenn infolge der Pflichtverletzung des Gläubigers die Durchführung des Vertrags insgesamt scheitert und der Schuldner dadurch seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert. Hinsichtlich des letztgenannten Anspruches ist wiederum umstritten, ob er auf §§ 280 Abs. 1, 3, 282 BGB155 oder auf § 280 Abs. 1 BGB zu stützen ist156. In der Tat würde die Anwendung des § 280 Abs. 1 BGB Haftungslücken schließen, die das Recht des Gläubigerverzugs lässt. So sind nach § 304 BGB etwa Schäden nicht ersatzfähig, die entstehen, weil die weitere Produktion des Schuldners dadurch blockiert wird, dass er die vom Gläubiger nicht abgenommenen Leistungsgegenstände lagern muss; gleiches gilt für Schäden, die der Schuldner beim Rücktransport der Ware erleidet.157 Auf der gleichen Grundlage ist auch die von beiden Parteien (und damit auch vom Gläubiger) zu vertre150
Vgl. bereits RGZ 30, 97, 103; Armbrüster/Bickert, NZBau 2006, 153, 154. Armbrüster/Bickert, NZBau 2006, 153, 154. 152 Vgl. BGH NJW 1996, 2158 f.; BGHZ 156, 82, 89. 153 Vgl. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 526 ff. 154 M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 528 ff.; ähnlich im Kontext der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit Canaris, FS E. Lorenz, 2004, S. 147, 159 ff.; Rauscher, ZGS 2002, 333, 335 f. 155 So M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 532 f. 156 So Canaris, FS E. Lorenz, 2004, S. 147, 160 f.; offen gelassen bei Rauscher, ZGS 2002, 333, 336. 157 Vgl. dazu etwa Staudinger/Löwisch/Feldmann, 2009, § 304 Rn. 4 f. 151 Vgl.
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tende Unmöglichkeit der Leistung zu behandeln: Auch hier vereitelt der Gläubiger die Leistung des Schuldners in zu vertretender Weise und fügt diesem insoweit einen Schaden zu, als er infolge der Unmöglichkeit seine Gegenleistung nicht mehr verdienen kann.158 Das Recht des Gläubigerverzuges, das seinerseits kein Verschulden des Gläubigers voraussetzt, ist insoweit nach zutreffender h.M. nicht als abschließende Regelung anzusehen, weil es lediglich einen Mindestschutz des Schuldners sicherstellen soll, ohne die allgemeinen Grundsätze der Verschuldenshaftung nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB auszuschließen.159 Fraglich ist damit allein, ob aus § 241 Abs. 2 BGB eine universelle Pflicht des Gläubigers gefolgert werden kann, dem Schuldner die Naturalleistung zu ermöglichen. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist (auch) der Gläubiger verpflichtet, auf die Interessen des Schuldners Rücksicht zu nehmen. Soweit einerseits der Gläubiger selbst auf den Naturalerfüllungsanspruch beschränkt ist, also noch kein freies Wahlrecht hinsichtlich der Geltendmachung eines Geldleistungsanspruches hat, und andererseits der Schuldner ein Interesse an der eigenen Naturalleistung hat, er also tatsächlich Vorteile durch die Eigenleistung realisieren kann (und nicht selbst ein Fremdunternehmen zum gleichen Preis wie der Gläubiger beauftragen müsste), muss dieses Naturalleistungsinteresse des Schuldners als rechtlich geschützt angesehen werden, denn die Naturalleistung ist in diesem Fall die einzige Möglichkeit für den Schuldner, von seiner Leistungspflicht (durch Erfüllung) frei zu werden. Zum Schutz dieses Naturalleistungsinteresses ist die Annahme einer derartigen Rücksichtnahmepflicht des Gläubigers aus § 241 Abs. 2 BGB in der Tat überzeugend. Eine schuldhafte Annahmeverweigerung, eine schuldhafte Verweigerung der Mitwirkung, das sonstige schuldhafte Vereiteln der Naturalleistung oder ein schuldhaftes unberechtigtes Verlangen nach Geldersatz anstelle der ausschließlich geschuldeten Naturalleistung verletzt das berechtigte und rechtlich geschützte Naturalleistungsinteresse des Schuldners und fügt diesem Schaden zu. Der Gläubiger schuldet dem Schuldner in diesem Fall Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB in Höhe des infolge der Leistungsvereitelung eingetretenen Schadens. Im Falle einer bloßen Annahmeverzögerung ist dies der Schaden, der dem Schuldner infolge der Leistungsverzögerung entsteht (etwa wegen seiner Vorhaltekosten oder zwischenzeitlich eingetretener Preissteigerungen). Wird die Leistung infolge des Verschuldens des Gläubigers insgesamt unmöglich, ist der entgangene Gewinn des Schuldners aus der Vertragsdurchführung geschuldet, d.h. die Differenz aus dem Vertragspreis und den eigenen Leistungserbrin158 Vgl. dazu näher Canaris, FS E. Lorenz, 2004, S. 147, 159 ff.; ähnlich Rauscher, ZGS 2002, 333, 335 f.; anders noch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 351 f.: Ausschließliche Anwendung der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB i.V.m. § 254 BGB mit Schadensberechnung nach der Surrogationsmethode. 159 Vgl. näher C. Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, 1997, S. 45; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 537 ff. m.w.N.
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gungskosten, nach den allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung reduziert um diejenigen Vorteile, die der Schuldner infolge der Nichtleistung durch die anderweitige Verwendung seiner Ressourcen erzielt hat. Dieses Ergebnis entspricht für die ausschließlich vom Gläubiger zu verantwortende Vereitelung der Leistung der Regelung des § 326 Abs. 2 BGB. Die schadensrechtliche Konstruktion über §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB hat indessen den Vorteil, dass sie auch auf andere Forderungen als solche aus gegenseitigen Verträgen anzuwenden ist: Zum einen für nicht-synallagmatische Vertragspflichten, und zum anderen für gesetzliche Leistungspflichten. Denn auch insoweit handelt es sich um Schuldverhältnisse, auf die § 241 Abs. 2 BGB grundsätzlich Anwendung findet.160 Sollte eine derartige Annahmepflicht mit dem Charakter des jeweiligen Schuldverhältnisses nicht vereinbar sein – denkbar etwa beim Gläubiger eines deliktischen Schadensersatzanspruches, soweit hier nicht ohnehin schon die Ersetzungsbefugnis des Geschädigten aus § 249 Abs. 2 BGB reicht –, so kann dem im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB Rechnung getragen werden, weil nach dieser Vorschrift die Schutz- und Rücksichtnahmepflichten nur „nach dem Inhalt“ des Schuldverhältnisses bestehen „können“. Zwar kann bei nicht-synallagmatischen Vertragspflichten und gesetzlichen Leistungspflichten infolge der Leistungsvereitelung kein Vertragsgewinn entgehen. Gleichwohl kann der Schuldner einen Schaden erleiden, der ihm bei (rechtzeitiger) Annahme der Naturalleistung nicht entstanden wäre: Ist etwa ein Störer nach § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung von herübergefallenen Ästen vom Grundstück des Eigentümers verpflichtet, und verweigert der Eigentümer dem leistungswilligen Störer schuldhaft das Betreten des Grundstücks zum Zwecke der Beseitigung, so hat der Eigentümer dem Störer nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB die Mehrkosten zu ersetzen, die diesem durch die Verzögerung entstehen, wenn die Äste infolge der Witterung inzwischen teilweise verrottet und daher aufwändiger zu entfernen sind. Zudem können auch hier Fälle der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit auftreten, die ebenfalls schadensrechtlich lösbar sind: Der Gläubiger hat infolge der (auch) vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der Kosten des Deckungsgeschäfts (gemindert nach § 254 BGB); der Schuldner hat einen Gegenanspruch in Höhe der Differenz zwischen den nunmehr von ihm geschuldeten Kosten des Deckungsgeschäfts und seinen eigenen internen Leistungserbringungskosten, ebenfalls gemindert nach § 254 BGB. Denn ohne das Mitverschulden des Gläubigers hätte er die Leistung in Natur zu seinen eigenen Erfüllungskosten erbringen können, so dass ihm die – höheren – Kosten des Deckungsgeschäfts erspart geblieben wären.
160 A.A. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 560 ff., der die Existenz eines schadensersatzbewehrten Naturalerfüllungsrechts des Schuldners als Spezifikum des Vertrags ansieht.
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Schließlich erlaubt die Annahme einer schadensersatzbewehrten Pflicht des Gläubigers zur Annahme der Naturalleistung auch eine Lösung der Selbstvornahmefälle, wenn also der Gläubiger dem Schuldner die Naturalleistung dadurch unmöglich macht, dass er sie selbst anstelle des Schuldners vornimmt, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Übergang vom Naturalerfüllungs- auf einen Geldleistungsanspruch vorliegen. Denn auch hier hat – sofern der Gläubiger die Selbstvornahme zu vertreten hat, was jedoch in der Regel der Fall sein wird – der Schuldner einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die entgangene Möglichkeit der Naturalleistung entstanden ist, bei gegenseitigen Verträgen also die entgangene Gegenleistung. Dieser Anspruch ist nach den allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung um die Vorteile zu kürzen, die der Schuldner in Gestalt der ersparten Eigenaufwendungen zur Leistungserbringung erzielt hat.161 Diese Anrechnungsmöglichkeit tritt neben etwaige Ansprüche des Gläubigers aus § 285 BGB oder § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.162
4. Anspruch des Schuldners auf Annahme der Naturalleistung? Zu weit ginge es jedoch, dem Schuldner – außerhalb der gesetzlich geregelten Sonderfälle der §§ 433 Abs. 2, 640 BGB, spezieller vertraglicher Regelungen und des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsanspruches – einen durchsetzbaren Anspruch auf Annahme der Naturalerfüllung zuzugestehen.163 Ein solcher Anspruch wäre mit der gesetzlichen Systematik nicht vereinbar, weil dann die Sonderregelungen der §§ 433 Abs. 2, 640 BGB überflüssig wären. Vor allem aber ist er nach der Interessenlage des Schuldners nicht erforderlich: Anders als der Gläubiger, der für den Leistungsgegenstand eine – idealerweise in Natur zu verwirklichende – Verwendungsplanung hat und hierfür den Leistungsgegenstand in Natur benötigt, hat der Schuldner typischerweise kein spezifisches Interesse daran, den Leistungsgegenstand in Natur zu erbringen. Sein Interesse ist in der Regel lediglich darauf gerichtet, sich von seiner Verbindlichkeit zu befreien und ggf. seinen Vertragsgewinn zu realisieren.164 Evtl. kommt das Interesse dazu, weitere Lagerkosten oder sonstige Vorhaltekosten zu vermeiden. All das sind aber rein monetäre Interessen, die durch eine Geldzahlung ohne weiteres auszugleichen sind, zumal ihr Wert regelmäßig liquide beweisbar sein dürfte. 161 Vgl. in diesem Sinne bereits Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459; vgl. dazu auch unten bei und in Fn. 198. 162 Vgl. zu diesen eingehend sogleich § 4.V.5 (S. 260 ff.). 163 Ebenso M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 475 ff., 527 f., dort auch zu Ausnahmen von diesem Grundsatz kraft Vertragsauslegung. 164 S. oben § 1.IV.1.b) (S. 49 ff.).
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Nur im Ausnahmefall hat der Schuldner auch ein spezifisches Interesse an der naturalen Leistungserbringung, das durch eine Geldleistung nicht befriedigt werden kann. Das ist etwa bei Arbeitnehmern der Fall, bei denen die Arbeitsleistung nicht nur der Erlangung des Gehalts dient, sondern zugleich der Erhaltung der eigenen Qualifikation und nicht zuletzt auch der grundrechtlich gebotenen Ermöglichung seiner Selbstverwirklichung durch Arbeit.165 Auch im Kauf- und Werkvertragsrecht sind Konstellationen denkbar, in welchen dem Schuldner die fortdauernde Aufrechterhaltung der Leistungsbereitschaft auch unter Berücksichtigung einer Geldentschädigung (aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) nicht mehr zugemutet werden kann, so dass die Gewährung gesetzlicher Annahmeansprüche gerechtfertigt ist. Verallgemeinerbar ist dieser Gedanke aber nicht im Hinblick auf sämtliche Ansprüche, sondern nur auf solche, in denen (ausnahmsweise) ein spezifisches, nicht in Geld zu befriedigendes Interesse des Schuldners an der naturalen Leistungserbringung besteht. In allen anderen Fällen genügt die Annahme einer Schutzpflicht des Gläubigers i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, die Leistungserbringung durch den Schuldner nicht zu vereiteln. Nur scheinbar durchbricht § 649 S. 1 BGB für den Werkvertrag die grundsätzliche Annahmeobliegenheit bzw. -pflicht des Gläubigers. Nach dieser Vorschrift kann der Werkbesteller den Werkvertrag zwar jederzeit kündigen und damit (auch) seine Pflicht zur Abnahme des Werkes in Wegfall bringen. Allerdings schuldet er gleichwohl den Werklohn und kann hiervon lediglich die infolge der Kündigung ersparten Aufwendungen des Unternehmers in Abzug bringen (§ 649 S. 2 BGB). Dadurch ist im Ergebnis jedenfalls das monetäre Interesse des Unternehmers an der Leistungserbringung vollständig geschützt, weil er nicht nur Ersatz seiner bisher zur Vertragserfüllung aufgewandten Kosten, sondern darüber hinaus seinen gesamten Vertragsgewinn erhält. Es wird lediglich auf die naturale Vertragserfüllung dort verzichtet, wo der Gläubiger kein Interesse mehr daran hat und sie daher wegen der typischerweise nicht gegebenen Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung ökonomisch unsinnig wäre.166
5. Insbesondere: Die sog. voreilige (oder eigenmächtige) Selbstvornahme Der Wert des Naturalerfüllungsrechts des Schuldners zeigt sich dann, wenn der Gläubiger dem Schuldner die Möglichkeit nimmt, die Verbindlichkeit zu erfüllen, indem er die geschuldete Leistung selbst vornimmt, ohne dem Schuldner zuvor eine Frist zur Leistungserbringung zu setzen. Dieses Problem, das überwiegend im Zusammenhang mit der eigenmächtigen Mängelbeseitigung durch 165 166
Vgl. grundlegend BAG (GS) AP Nr. 14 zu § 611 BGB. Vgl. auch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 724.
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den Käufer diskutiert wird,167 ist in Wahrheit ein universelles:168 Nicht nur das Nacherfüllungsrecht des Verkäufers, sondern generell das Erfüllungsrecht jedes Schuldners ist im deutschen Recht durch das Fristsetzungserfordernis geschützt.169 Das gilt für andere vertragliche Ansprüche genauso wie für gesetzliche Ansprüche, etwa aus § 1004 Abs. 1 BGB.170 Dementsprechend muss auch die Lösung des Problems einheitlich sein.
a) Eingrenzung der Fragestellung Auszuscheiden sind dabei zunächst diejenigen Fälle, in denen die Fristsetzung von vornherein entbehrlich ist, etwa weil der Schuldner die (Nach-)Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB) oder wenn die Leistung besonders dringlich ist (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB). In diesen Fällen genießt die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners ohnehin keinen rechtlichen Schutz mehr, so dass der Gläubiger ohne weiteres zum Deckungsgeschäft schreiten und die geschuldete Leistung selbst vollbringen kann; er kann vom Schuldner dann nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 2 BGB) vollen Schadensersatz statt der Leistung (mindestens) in Höhe der Kosten des Deckungsgeschäfts verlangen.171 Einer – methodologisch regelmäßig ausgeschlossenen172 – Analogie zum werkvertragsrechtlichen Selbstvornahmerecht nach § 637 BGB173 bedarf es hierfür nicht, denn dieses steht einerseits selbst unter Fristsetzungsvorbehalt, und unterscheidet sich andererseits gegenüber dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (gerichtet auf Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts) nur im Verzicht auf das Vertretenmüssen des Verkäufers und der Existenz eines Vorschussanspruches. Auszuscheiden sind ferner die Fälle, in denen die „Selbstvornahme“ durch den Gläubiger die Erfüllung durch den Schuldner nicht unmöglich werden 167 Vgl. grundlegend BGHZ 162, 219; aus der nahezu unübersehbaren Literatur nur S. L orenz, NJW 2003, 1417 ff.; ders., NJW 2005, 1321 ff.; Dauner-Lieb/Dötsch, ZGS 2003, 250 ff.; Katzenstein, ZGS 2004, 144 ff.; ders., ZGS 2004, 300 ff.; M. Tonner/Wiese, BB 2005, 903 ff.; von Hertzberg, FS U. Huber, 2006, S. 339 ff.; Skamel, Nacherfüllung beim Sachkauf, 2008, S. 173 ff.; Paehler, Die Selbstvornahme des Käufers, 2010. 168 Vgl. nur Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457 ff.; Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 130 ff.; H.-F. Müller, FS Maier-Reimer, 2010, S. 485 ff.; rechtsvergleichend Signat, ZEuP 2009, 716 ff. 169 Eine Ausnahme besteht in § 536a Abs. 2 BGB für das Recht des Vermieters zur Mängelbeseitigung, das lediglich durch ein Mahnungserfordernis (Verzug) geschützt ist; vgl. dazu Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1460 f. 170 Vgl. zur Anwendbarkeit des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB unten § 6.III.3.a) (S. 426 f.). 171 So auch BGH NJW 2005, 3211, 3212 f. 172 Denkbar ist eine Analogie etwa dann, wenn der (kaufrechtliche) Sachmangel in der fehlerhaften Montage der Kaufsache durch den Verkäufer liegt (§ 434 Abs. 2 S. 1 BGB). 173 Hierfür F. Peters, JR 2004, 353, 354 f.
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lässt.174 Wer etwa eine Sache zunächst im Versandhandel bestellt und ungeduldig kurz darauf im örtlichen Fachhandel die gleiche Sache erwirbt, ohne dem Versandhändler zuvor erfolglos eine Frist zur Lieferung gesetzt zu haben, verletzt nicht einmal die Naturalerfüllungsbefugnis des Versandhändlers: Dieser kann ohne weiteres die Sache liefern, und der Käufer bleibt gem. § 433 Abs. 2 BGB zur Abnahme verpflichtet; es bestehen schlicht zwei Kaufverträge nebeneinander. Ebenso liegt es, wenn der Käufer zur Beseitigung des Mangels die Sache repariert, der Verkäufer aber nach wie vor eine mangelfreie Ersatzsache liefern dürfte und könnte.175 In diesen Fällen kann der Verkäufer auf der naturalen Durchführung des Vertrags bestehen bzw. bei Abnahmeverweigerung des Käufers Schadensersatz nach allgemeinen Grundsätzen verlangen, so dass er keinerlei Einbußen erleidet; das Deckungsgeschäft hat der Käufer auf eigene Rechnung und eigenes Risiko vorgenommen.
b) Differenzierende Lösung der Rechtsprechung Umstritten sind allein die Fälle, in denen einerseits die Selbstvornahme des Gläubigers die Naturalerfüllung durch den Schuldner tatsächlich unmöglich macht – etwa indem er den Mangel einer Stücksache selbst reparieren oder ein geschuldetes Werk selbst vervollständigen lässt –, und andererseits der Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB vorausgesetzt hätte. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich: Während der Bundesgerichtshof im Kaufrecht sämtliche Ansprüche des Käufers im Falle einer „eigenmächtigen Mängelbeseitigung“ kategorisch verneint,176 gewährt er bei der eigenmächtigen Vervollständigung von Teilleistungen im Werkvertragsrecht177 und bei der eigenmächtigen Ersatzvornahme einer Störungsbeseitigung nach § 1004 Abs. 1 BGB178 Ausgleichsansprüche gegen den Schuldner in Höhe der von diesem ersparten Eigenaufwendungen. Als Grundlage der Ausgleichsansprüche wird beim negatorischen Beseitigungsanspruch § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (Rückgriffskondiktion) und im Werkver174
Vgl. dazu Skamel, Nacherfüllung beim Sachkauf, 2008, S. 176 ff. auch BVerfGK 9, 263 = BVerfG JuS 2007, 181 (Faust). In dem im Text gebildeten Fall erhält der Verkäufer allerdings nach § 439 Abs. 4 BGB i.V.m. § 346 BGB die (anfänglich) mangelhafte und inzwischen vom Käufer reparierte Sache wieder; der Käufer kann dann nach § 347 Abs. 2 BGB Verwendungsersatz jedenfalls in der Höhe verlangen, in welcher der Verkäufer durch die eigenmächtige Reparatur bereichert ist, so dass der Käufer im Ergebnis doch Ersatz erhält. 176 Vgl. BGHZ 162, 219; bestätigt durch BGH NJW-RR 2009, 667; NJW 2010, 1448; NJW-RR 2011, 462, 463. Ebenso Dauner-Lieb/Dötsch, ZGS 2003, 250 ff.; Ball, NZV 2004, 217, 227; Schroeter, JR 2004, 441 ff.; Sutschet, JZ 2005, 574 ff.; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 497 f. 177 BGH NJW-RR 2005, 357, 359. 178 St. Rspr. seit RGZ 127, 29, 33 f.; vgl. BGH NJW 1991, 2826; NJW 2004, 603; NJW 2005, 1366, 1367; vgl. dazu Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 III 2 d (S. 193 f.). 175 Vgl.
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tragsrecht die Anrechnungsvorschrift des § 324 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. (entspricht § 326 Abs. 2 S. 2 BGB) herangezogen, wobei auch diese Anrechnungsvorschrift auf dem gleichen bereicherungsrechtlichen Gedanken beruht.179 Die Differenzierung des Bundesgerichtshofs überzeugt indessen nicht. Zunächst besteht kein Grund, die Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners bei der kaufrechtlichen Gewährleistung stärker zu schützen als in anderen Fällen. Insbesondere ist das Argument des Bundesgerichtshofs verfehlt, das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht (§§ 437 ff. BGB) enthalte eine vorrangige Spezialregelung, welche die Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts verdränge.180 Umgekehrt ist es gerade das Charakteristikum des „neuen“ kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts, dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht über die „Brücke“ der Pflicht zur mangelfreien Leistung (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) auch die kaufrechtliche Gewährleistung regelt.181 Dass die – ohnehin nur klarstellende – Vorschrift des § 437 BGB nur § 326 Abs. 5 BGB, nicht aber die anderen Absätze dieser Vorschrift in Bezug nimmt, hat keine einschränkende Funktion, sondern liegt daran, dass die Norm nur die unmittelbaren und spezifischen Gewährleistungsrechte des Käufers aufzählt, zu denen die Anrechnungsnorm des § 326 Abs. 2 S. 2 BGB ebenso wenig gehört wie § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB. Auch die vom Bundesgerichtshof angeführten Beweisschwierigkeiten des Verkäufers182 können keinen völligen Ausschluss der Rechte des Käufers rechtfertigen. Vielmehr trägt der Käufer ohnehin die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels bei Gefahrübergang (§ 363 BGB)183 sowie für die Höhe der ersparten Aufwendungen des Verkäufers i.S.v. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB.184 Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung – zu Recht – dem Gläubiger, der Mängel eigenmächtig beseitigt und dabei keine Beweise sichert, die Beweislast für Mängel unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung auch dann auferlegt, wenn diese – wie im Werkvertragsrecht – eigentlich den Schuldner treffen würde.185 Verbleibende Missbrauchsrisiken – z.B. ein arglistiges Zusammenspiel zwischen dem Gläubiger und der reparierenden Fremdwerkstatt – können im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO gelöst werden, zumal der Schuldner den 179 Vgl.
P. Bydlinski, ZGS 2005, 129, 130 f. BGHZ 162, 219, 225. 181 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 94 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 596; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 480; S. Lorenz, NJW 2005, 1321, 1322 ff.; Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 135. 182 Vgl. BGHZ 162, 219, 228; ebenso Dauner-Lieb/Dötsch, NZBau 2004, 233, 235; A. Arnold, ZIP 2004, 2412, 2415; Sutschet, JZ 2005, 574, 575 f. 183 Vgl. nur BGH NJW 2006, 434; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 434 Rn. 119. 184 Vgl. BGH NJW 2002, 57, 58; Repgen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting (Hrsg.), Handbuch der Beweislast, 32008, § 326 Rn. 14. 185 Vgl. BGH NJW 2009, 360; vgl. auch BGH NJW 2006, 434 zur fahrlässigen Beweisvereitelung durch den Käufer. 180
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Mangel schlicht mit Nichtwissen bestreiten und damit dem Gläubiger den vollen Beweis aufbürden kann. Damit trägt der Gläubiger das volle Beweisrisiko, wenn er die Leistung selbst anstatt des Schuldners erbringt.186 Vor allem aber überzeugt das vom Bundesgerichtshof im Kaufrecht gefundene Ergebnis nicht. Zu Recht geht er zwar von der Schutzwürdigkeit des Nacherfüllungsrechts des Verkäufers aus; diese Schutzwürdigkeit besteht in gleicher Weise hinsichtlich der Naturalerfüllungsbefugnis jedes Schuldners.187 Das Naturalerfüllungsrecht des Schuldners ist jedoch nicht absolut geschützt, sondern nur in den Grenzen seines Zwecks: Es soll dem Schuldner (lediglich) die Möglichkeit verschaffen, die Vorteile aus der eigenen Leistungserbringung zu bewahren, d.h. seinen Vertragsgewinn zu erzielen. Selbstverständlich schützt es den Schuldner aber nicht davor, die Leistung selbst erbringen zu müssen, d.h. die eigenen (internen) Leistungserbringungskosten aufzubringen. Geschützt ist m.a.W. lediglich die Differenz zwischen den eigenen internen Leistungserbringungskosten des Schuldners und den (externen) Kosten einer Drittleistung.188 Diese Differenz kann erheblich sein, denn die internen Aufwendungen des Schuldners in diesem Sinne erfassen nur die konkret anfallenden Geldbeträge für Material und ggf. eigenes Personal des Schuldners, nicht aber den Wert seiner eigenen Arbeitszeit, (wenn und) weil dieser kein Vermögensopfer des Schuldners repräsentiert.189 Plastisch wird das etwa am Beispiel des Anspruches auf Beseitigung herübergefallener Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB: Der Störer könnte den Anspruch durch eigene Arbeit ohne jegliche monetären Kosten selbst erfüllen, seine internen Erfüllungskosten sind also Null;190 die externen Kosten eines Deckungsgeschäfts sind der Preis eines Fachunternehmens am Markt (einschließlich Anfahrt und Arbeitszeit).191 Das Naturalerfüllungsrecht schützt den Schuldner vor dieser Differenz, nicht aber vor der eigenen Ar186 Vgl. Katzenstein, ZGS 2004, 300, 303; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459; Gsell,
ZIP 2005, 922, 928; Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 135. 187 S. oben § 4.V.3 (S. 255 ff.). 188 Vgl. auch F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 242; H. Oetker/ Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 227. 189 Vgl. bereits Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1457 f.; zustimmend Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 134. 190 Wenn man von etwaigen Opportunitätskosten absieht, d.h. davon, dass der Schuldner durch die Aufwendung seiner Arbeitszeit konkrete andere Einbußen hat, weil er in dieser Zeit tatsächlich anderweitig Geld verdient hätte (und nicht nur abstrakt hätte verdienen können). 191 Freilich können die internen und externen Kosten im Einzelfall auch identisch sein (für regelmäßige Identität zu Unrecht Dötsch, MDR 2004, 975, 978), insbesondere wenn der Schuldner zur Erfüllung ebenfalls ein Fremdunternehmen hätte einsetzen müssen, etwa wenn ein Wohnungsvermieter zur Mängelbeseitigung den gleichen Handwerker hätte einschalten müssen, den auch der Mieter (eigenmächtig, d.h. ohne die Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 BGB) eingeschaltet hatte. In diesen Fällen ist der Schuldner aber nicht schutzwürdig, weil er auch bei vertragstreuem Verhalten des Gläubigers die externen Leistungserbringungskosten hätte tragen müssen.
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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beitsleistung. Teleologisch ist daher bei der „eigenmächtigen“ Selbstvornahme nur der Ausschluss des Anspruches auf Ersatz der externen Leistungserbringungskosten (aus § 281 Abs. 1 BGB oder § 637 BGB) geboten,192 nicht dagegen auch der Ausschluss eines Anspruches auf die ersparten Aufwendungen des Schuldners. Gleiches gilt für das Argument, durch die „voreilige Selbstvornahme“ unterlaufe der Gläubiger die Voraussetzungen des § 887 ZPO für die vollstreckungsrechtliche Ersatzvornahme (rechtskräftiges Leistungsurteil).193 Auch diese Vorschrift betrifft zum einen nur die externen Leistungserbringungskosten (Kosten der Ersatzvornahme), schützt den Schuldner also nicht davor, seine eigenen Leistungserbringungskosten tragen zu müssen; sachlich handelt es sich um einen Teil des Schadensersatzes statt der Leistung194. Zum anderen dient das Erfordernis eines rechtskräftigen (oder zumindest vollstreckbaren) Leistungstitels ohnehin nicht dem absoluten Schutz des Naturalerfüllungsrechts des Schuldners, weil dieses durch die Übergangstatbestände des materiellen Rechts (insbesondere die Fristsetzungsmöglichkeit) begrenzt ist, die meist vor Erlass eines vollstreckbaren Titels eintreten.195 Die kaufrechtliche Lösung der Rechtsprechung ist schließlich auch in ihrem Ergebnis mit der leistungsstörungsrechtlichen Systematik und Teleologie nicht vereinbar.196 Die vom Bundesgerichtshof angenommene Rechtsfolge – Ausschluss jeglicher Ansprüche des Gläubigers bei gleichzeitigem Erhalt des vollen Gegenleistungsanspruches des Schuldners – findet im gesamten BGB keine Parallele; alle Regelungen verwandter Situationen sehen zumindest eine Auskehrung bzw. Anrechnung der ersparten Aufwendungen des Schuldners vor:197 Nicht einmal dann, wenn man das Naturalerfüllungsrecht des Schuldners als echtes schadensersatzbewehrtes Recht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB ansieht, würde der Schuldner im Falle einer schuldhaften Verletzung dieses Rechts so gut gestellt, weil er nur Schadensersatz in Höhe des dem Schuldner entgangenen Vertragsgewinns bzw. des verlorenen Vorteils durch Eigenleistung schulden würde, wobei die ersparten Aufwendungen des Schuldners nach den allgemeinen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung abzuziehen wären;198 eine ver192 Vgl. nur Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457; S. Lorenz, NJW 2003, 1417, 1418; Dauner-Lieb/Dötsch, ZGS 2003, 250. 193 Vgl. Gursky, NJW 1971, 782, 785 f.; ders., JZ 1992, 312, 314. 194 S. oben § 1.III.2.b)bb) (S. 40 f.). 195 Vgl. BGH NJW 2004, 603, 604; Katzenstein, ZGS 2004, 300, 306; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 49 II 2 (S. 520 f.); Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 III 2 d (S. 193 f.); Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459. 196 Vgl. auch Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2013, Rn. 203. 197 Ebenso Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 135; vgl. auch Staudinger/Otto, 2009, § 280 Rn. E 8. 198 Vgl. bereits Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459; inkonsequent daher Weller, der zwar einerseits ein schadensersatzbewehrtes Recht des Schuldners auf Vornahme der Natu-
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
bleibende Bereicherung hätte der Schuldner unabhängig von einem Schaden des Gläubigers herauszugeben.199 Auch die Regelungen der §§ 326 Abs. 2 S. 2, 537 Abs. 1 S. 2, 615 S. 2, 649 S. 2 BGB sehen im Falle einer vom Gläubiger zu vertretenden Vereitelung der Leistung des Schuldners stets eine Anrechnung der ersparten Aufwendungen vor. 200
c) Dogmatische Konstruktion des Ausgleichsanspruches Es verbleibt die Frage nach der dogmatischen Konstruktion eines Anspruches des Gläubigers auf die ersparten Aufwendungen des Schuldners. Im Rahmen gegenseitiger Verträge bietet sich die (unmittelbare) Anwendung des § 326 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 4 BGB201 oder zumindest eine Gesamtanalogie zu den §§ 326 Abs. 2 S. 2, 537 Abs. 1 S. 2, 615 S. 2, 649 S. 2 BGB202 an. Beide Lösungen haben indessen den konstruktiven Nachteil, dass sie nur die Anrechnung ersparter Aufwendungen auf die Gegenleistung vorsehen und lediglich § 326 Abs. 4 BGB einen unmittelbaren Auskehranspruch des Gläubiger vorsieht, und auch das nur für den Fall, dass der Gläubiger seine Gegenleistung bereits erbracht hat. Bei Verpflichtungen aus nicht-gegenseitigen Verträgen oder gesetzlichen Verpflichtungen (insbesondere beim Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB, bei dem die Frage häufig praktisch wird) reicht diese Analogiebasis dagegen nicht aus. Als allgemeine Grundlage eines Ausgleichsanspruches, die auch außerhalb gegenseitiger Verträge anwendbar ist, liegt daher ein bereicherungsrechtlicher Anspruch nahe. 203 Zu denken ist dabei zunächst an die allgemeine Rückgriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB), welche die Rechtsprechung bei der Selbsterfüllung von Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB anwendet. 204 In der Tat erlangt der Schuldner infolge der Selbsterfüllung durch den ralleistung annimmt (M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 526 ff.), dem Gläubiger aber gleichwohl keinen Ersatz bei eigenmächtiger Selbstvornahme gewähren will (a.a.O., S. 497 f.). 199 Vgl. Mot., 1888, Bd. 2, S. 208; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 326 Rn. 83; vgl. auch öst. OGH öJBl. 2007, 780, 783 ff., der ebenfalls einen Bereicherungsanspruch gewährt. 200 Vgl. auch P. Bydlinski, ZGS 2005, 129, 130 f.; H. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 227. 201 So S. Lorenz, NJW 2005, 1321, 1322; Gsell, ZIP 2005, 922, 925; Ebert, NJW 2004, 1761, 1763; für Analogie zu § 326 Abs. 2 S. 2 BGB BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 437 Rn. 37 f.; Katzenstein, ZGS 2004, 144 ff.; M. Tonner/Wiese, BB 2005, 903, 905 ff.; H. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 226 m. Fn. 513; i.E. auch Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 137. 202 In diese Richtung P. Bydlinski, ZGS 2005, 129, 131. 203 Ansprüche aus (nicht berechtigter) Geschäftsführung ohne Auftrag (dafür etwa Oechsler, NJW 2004, 1825, 1826 f.) würden einen Fremdgeschäftsführungswillen aufseiten des Gläubigers voraussetzen, der nicht immer gegeben sein dürfte (vgl. auch P. Bydlinski, ZGS 2005, 129, 131); im Übrigen wäre die Folge gem. § 684 S. 1 BGB ohnehin nur ein Bereicherungsanspruch. 204 Vgl. BGHZ 60, 235, 243; BGH NJW 2004, 603, 604; in diesem Sinne auch Herresthal/ Riehm, NJW 2005, 1457 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 III 2 d (S. 193 f.);
§ 4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers
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Gläubiger auf dessen Kosten die Befreiung von seiner Verbindlichkeit, und dies ohne rechtlichen Grund. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rückgriffskondiktion sind daher erfüllt, so dass der Gläubiger vom Schuldner nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen Herausgabe der ersparten Eigenaufwendungen verlangen kann. Die bloße Abschöpfungsfunktion dieser Anspruchsgrundlage stellt dabei sicher, dass der Schuldner keine Einbuße an seinem Stammvermögen hinnehmen, sondern lediglich das herausgeben muss, was ihm an tatsächlicher Vermögensersparnis verbleibt. Damit muss er insbesondere keinen Wertersatz für seine ersparte Arbeitskraft leisten, wenn er diese nicht anderweitig (monetär) gewinnbringend einsetzen konnte. Methodisch kühner, aber überzeugend leitet Hartmann – ohne Abweichung im Ergebnis – den Ausgleichsanspruch des Gläubigers aus § 285 BGB ab. 205 Er sieht in dieser Norm mit der heute wohl überwiegenden Literatur eine Art Eingriffskondiktion hinsichtlich des nur relativ dem Gläubiger zugewiesenen Anspruchsgegenstandes – entsprechend § 816 Abs. 1 S. 1 BGB für absolute Rechte. 206 Mit der Unmöglichkeit der Naturalleistung tritt an die Stelle des Anspruchsgegenstandes dasjenige, was der Schuldner als Surrogat erlangt hat. In Parallele zur Behandlung im Rahmen von § 812 BGB liegt der Gedanke dann nicht fern, auch die ersparten Aufwendungen des Schuldners zur Leistungserbringung als dasjenige anzusehen, was der Schuldner infolge der Befreiung von der Leistungspflicht erlangt hat.207 Folgt man dem, so steht auch der Umstand, dass der Gläubiger die Unmöglichkeit der Naturalerfüllung zu vertreten hat, einem Anspruch auf Ersatz der ersparten Aufwendungen aus § 285 BGB nicht entgegen, weil dieser unabhängig von der Ursache besteht, welche zur Unmöglichkeit geführt hat. Allerdings ist nach dieser Auslegung von § 285 BGB das Verhältnis dieser Norm zu § 326 Abs. 2 S. 2 BGB neu zu bestimmen: Beide Vorschriften dienen dem gleichen Ziel, der Abschöpfung einer infolge der Unmöglichkeit beim Schuldner verbliebenen Bereicherung. Für gegenseitige Verträge macht § 326 Abs. 2 S. 2 BGB dem ersten Anschein nach die Anwendung des § 285 BGB hinsichtlich der ersparten Aufwendungen des Schuldners überflüsähnlich Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2013, Rn. 205: Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 684, 818 Abs. 2 BGB) oder Rückgriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB). 205 Vgl. F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 238 ff.; Katzenstein, ZGS 2004, 144, 149. 206 Vgl. F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 7 ff., insbes. S. 21 ff.; Bollenberger, Das stellvertretende Commodum, 1999, S. 103 ff., insbes. S. 110 ff.; E. Picker, AcP 183 (1983), 369, 511 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 227 f.; a.A. (für schadensrechtliche Deutung des § 285 BGB entsprechend dem Gedanken der Vorteilsausgleichung) Hans Stoll, FS Schlechtriem, 2003, S. 677, 688; Löwisch, NJW 2003, 2049, 2051. 207 Vgl. eingehend F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 226 ff., speziell für den Fall der Selbstvornahme der Mängelbeseitigung S. 240.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
sig, weil sich die entsprechende Rechtsfolge bereits aus § 326 Abs. 2 S. 2 BGB ergibt. Jedoch kann die Norm auch so verstanden werden, dass sie lediglich eine technische Abwicklungsmodalität für die Geltendmachung des Anspruches aus § 285 BGB im Rahmen gegenseitiger Verträge enthält. 208 Damit ist der Weg frei für eine umfassende Anwendung des § 285 BGB im Hinblick auf die ersparten Aufwendungen des Schuldners bei Unmöglichkeit der Naturalerfüllung. Damit können sämtliche Fälle der „voreiligen Selbstvornahme“ einer einheitlichen Lösung zugeführt werden: Der Schuldner hat dem Gläubiger nach § 285 BGB dasjenige herauszugeben, was er infolge der Selbstvornahme erspart hat, d.h. die ersparten Aufwendungen für seine eigene Leistung. Im Rahmen gegenseitiger Verträge ist dieser Anspruch nach Maßgabe des § 326 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 4 BGB geltend zu machen, d.h. er ist von der etwa vom Gläubiger noch zu erbringenden Gegenleistung abzuziehen und nur dann, wenn die Gegenleistung schon erbracht wurde, an den Gläubiger auszukehren.
208 So
F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 235 f., 240.
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§ 5. Die Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung Im Vorstehenden wurde begründet, warum der Anspruch auf Naturalerfüllung als Primäranspruch sowie als vorrangige Folge auch im Falle einer Leistungsstörung die überlegene Lösung gegenüber einem sofortigen Schadensersatzanspruch des Gläubigers ist. Gleichwohl kann der Anspruch auf Naturalerfüllung nicht das einzige Recht des Gläubigers im Falle einer Leistungsstörung sein. Denn der Naturalerfüllungsanspruch rechtfertigt sich durch die Interessenlage einerseits des Gläubigers, der durch ihn sein naturales Erfüllungsinteresse befriedigt erhält, und andererseits des Schuldners, der durch ihn die Möglichkeit behält, Vorteile aus der persönlichen Erbringung der Leistung zu erzielen, insbesondere seinen Vertragsgewinn zu verdienen. Den Interessen des Gläubigers wäre aber durch eine ausschließliche Gewährung eines Naturalleistungsanspruches nicht gedient: Im klaren Fall einer physischen Unmöglichkeit der Leistungserbringung – und sei sie auch vom Schuldner verschuldet – ist ein Naturalerfüllungsanspruch wertlos. Ungenügend ist er zudem im Fall einer hartnäckigen Leistungsverweigerung durch den Schuldner, denn diese könnte der Gläubiger nur durch Erhebung einer Leistungsklage – ggf. durch alle Instanzen – bis zum rechtskräftigen Leistungsurteil mit anschließender Naturalvollstreckung durchbrechen. Bis dahin können Jahre vergangen sein, und die Verwendungsplanung des Gläubigers kann (und wird häufig) gescheitert sein. Die Gewährung eines vorrangigen Naturalerfüllungsanspruches muss daher notwendigerweise mit Übergangstatbeständen einhergehen, die entweder dem Gläubiger gestatten, vom Schuldner statt der naturalen Leistung eine Geldleistung zu verlangen, oder dem Schuldner gestatten, sich statt durch die naturale Leistung durch eine Geldleistung zu befreien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass historisch und rechtsvergleichend die „Entdeckung“ des vorrangigen Naturalerfüllungsanspruches einhergeht mit der „Entdeckung“ von Gründen, die diesen Vorrang durchbrechen. Am augenfälligsten ist dies sicherlich bei der physischen Unmöglichkeit der Naturalleistung, die schon früh und mit Selbstverständlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Naturalerfüllung anerkannt war;1 aber auch der Gedanke einer angemessenen Frist – sei sie vom 1 S. zum Zusammenhang von Vorrang der Naturalerfüllung und Einführung des Unmöglichkeitstatbestandes auch Himmelschein, AcP 135 (1932), 255, 258, 282.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Gesetz2 oder vom Richter festgelegt3 oder seit dem ADHGB auch einseitig vom Gläubiger gesetzt4 – folgte der Anerkennung der Möglichkeit von Naturalleistungsurteilen unmittelbar nach. Weitere Übergangstatbestände sind dann angezeigt, wenn entweder die Interessen des Gläubigers es erfordern, ihm die Vornahme eines Deckungsgeschäfts auf Kosten des Schuldners (oder den Übergang auf den Ersatz des reinen Vermögensschadens) zu gestatten, oder die Interessen des Schuldners es verlangen, ihn gegen Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts von der Naturalleistungspflicht zu befreien. Der Terminus „Übergangstatbestand“ wird hier in einem weiten Sinne verwendet, der alle Fälle erfasst, in denen ein Anspruch auf eine naturale Leistung durch einen Geldleistungsanspruch ersetzt wird, sei es durch Schadensersatz statt der Leistung, sei es durch Wertersatz oder Herausgabe der Bereicherung (z.B. in Gestalt ersparter Aufwendungen). Im folgenden Abschnitt sollen aus der oben untersuchten Interessenlage der Parteien und der ökonomischen Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung die erforderlichen Übergangstatbestände entwickelt und jeweils überprüft werden, inwieweit das deutsche Recht diese Tatbestände enthält, bzw. wie die entsprechenden Normen des deutschen Rechts auszulegen sind, um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen.
I. Vertragliche Abbedingung Der durchsetzbare Anspruch auf Naturalerfüllung kann zunächst durch vertragliche Vereinbarung der Parteien ausgeschlossen werden. Da seine Existenz aus der typischen Interessenlage der Parteien abgeleitet wurde,5 spricht im Ausgangspunkt nichts dagegen, dass die Parteien bei einer atypischen Interessenkonstellation auf ihn auch wirksam verzichten dürfen.6 Hierbei sind verschiedene Varianten zu unterscheiden: Die Abbedingung bereits des primären Naturalerfüllungsanspruches – z.B. die Herabstufung der Naturalleistung zu einer Obliegenheit des Schuldners, durch deren Einhaltung er die vertraglich vereinbarte Sekundärpflicht vermeiden kann –, die Abbedingung des Nacherfüllungsanspruches, sowie die bloße Abbedingung des Vorranges der Naturalerfüllung – z.B. dadurch, dass im Falle einer Leistungsstörung Naturalerfül2 Zur Vollstreckungsfrist für Leistungsurteile nach dem Zwölftafelprozess s. oben § 2. II.1.a) (S. 71 ff.). 3 Vgl. etwa Art. 1244–1 Code Civil und dazu oben § 2.V.2.b) (S. 113 ff.). 4 Vgl. zur Geschichte des Fristsetzungserfordernisses U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 36 I 5 (S. 184 ff.) m.w.N.; ders., ZHR 161 (1997), 160, 165 sowie oben § 2.IV.4.b)bb) (S. 101 ff.). 5 S. oben § 1.IV (S. 43 ff.). 6 Vgl. schon oben § 3.IV.3.f) (S. 214).
§ 5. Die Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung
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lungsanspruch und Schadensersatzanspruch und/oder Rücktritt nach Wahl des Gläubigers nebeneinander bestehen sollen. Zu unterscheiden ist ferner zwischen der Abbedingung in Individualverträgen und in AGB.
1. Individualvertragliche Abbedingung In Individualverträgen bestehen gegen die Abbedingung des primären Anspruches auf Naturalerfüllung kraft der allgemeinen Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1 BGB) keine Bedenken. Die Parteien können etwa grundsätzlich seine Klagbarkeit ausschließen7 oder für den Fall einer Nichtleistung ausschließlich ein Recht auf Schadensersatz, eine Vertragsstrafe und/oder ein Rücktrittsrecht vorsehen. Damit bringen sie zum Ausdruck, dass sie in der konkreten Situation kein Interesse daran haben, dass die Leistung gerade in Natur erbracht wird, und dass beide Parteien die mit der erzwungenen Naturalleistung verbundenen Unannehmlichkeiten vermeiden wollen.8 Darüber hinausgehend können die Parteien ihre Pflichten als Naturalobligationen ausgestalten und also neben der naturalen Durchsetzbarkeit des Erfüllungsanspruches auch Sekundärrechte für den Fall der Nichterfüllung ausschließen (sog. gewillkürte Naturalobligationen); der klassische Fall hiervon sind sog. gentlemen’s agreements.9 Möglich ist – außerhalb des Anwendungsbereiches des § 475 BGB und der §§ 305 ff. BGB – auch die Abbedingung des Nacherfüllungsanspruches, der insbesondere bei Privatverkäufern häufig nicht interessengerecht ist; bei Privatverkäufen nicht vertretbarer Sachen wird teilweise sogar der Annahme – bzw. Fiktion – eines konkludenten Ausschlusses des Nacherfüllungsanspruches das Wort geredet.10 Auch auf den Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches können die Parteien individualvertraglich ohne weiteres verzichten, mit der Wirkung, dass der Gläubiger im Falle einer Leistungsstörung unmittelbar auf einen Geldleistungsanspruch übergehen darf. Praktisch bedeutsame Fälle hiervon sind die sog. absoluten oder relativen Fixgeschäfte,11 bei denen entweder bereits nach der Natur der Sache die Möglichkeit der Leistung nach dem festgelegten Termin entfällt oder nach dem Willen der Parteien die Naturalleistung nach dem Termin ausgeschlossen sein soll, um schnell Klarheit über die Folgen einer Leistungsstörung zu haben. Gesetzlich normiert ist diese Möglichkeit des sofortigen Überganges auf den Schadensersatzanspruch für den Fixhandelskauf in § 376 Abs. 1 HGB;12 im Übrigen können die Parteien auf das Fristsetzungserfordernis entweder ver 7
Vgl. BGH BeckRS 2006, 5541; G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 584 ff. Vgl. dazu aus ökonomischer Sicht oben § 3.IV.3.f) (S. 214). 9 Vgl. dazu G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 252 f.; 593 ff. 10 Vgl. Jauernig/C. Berger, § 439 Rn. 5. 11 Vgl. dazu noch näher unten § 5.VI.1 (S. 372 ff.). 12 Vgl. dazu etwa Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 34; Herresthal, ZIP 2006, 883, 883 f. sowie näher unten § 5.VI.1.c) (S. 376 f.). 8
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
traglich verzichten,13 oder nach der vertraglichen Interessenlage ist die Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich. Ebenfalls individualvertraglich möglich ist eine Modifikation der gesetzlichen Voraussetzungen für den Übergang vom Naturalerfüllungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch. So kann der Schuldner eine Garantie für die Naturalleistung übernehmen und so auf das Verschuldenserfordernis der §§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 Abs. 1 S. 1 BGB verzichten; die Parteien können auch die Schwelle der groben Unverhältnismäßigkeit in § 275 Abs. 2 BGB oder § 439 Abs. 3 BGB konkretisieren bzw. modifizieren,14 indem sie die vom Schuldner geschuldeten Leistungsanstrengungen näher und abschließend bestimmen; die letztgenannten Vereinbarungen dürften meist nicht allein den Übergang auf den Schadensersatz betreffen, sondern zugleich auch die Schadensersatzhaftung des Schuldners für weitergehende Leistungshindernisse ausschließen. Auch kann die Dauer der angemessenen Frist in § 281 Abs. 1 BGB im Vertrag vorweg bestimmt werden. Umgekehrt können die Voraussetzungen des Überganges auch erschwert werden, indem etwa zusätzlich zur Fristsetzung eine Ablehnungsandrohung gefordert wird oder an die Stelle des (einfachen) Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4 BGB das Erfordernis einer Klageerhebung auf Schadensersatz gesetzt wird.
2. Abbedingung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist die Abbedingung des Naturalerfüllungsanspruches bzw. seines Vorranges am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen. Der Ausschluss der Klagbarkeit eines Naturalleistungsanspruches in AGB des Schuldners dürfte dabei im Hinblick auf die klare Regelung des § 241 Abs. 1 BGB und die eminente praktische Bedeutung eines durchsetzbaren Naturalleistungsanspruches regelmäßig bereits eine überraschende Klausel i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB darstellen, wenn die Leistungspflicht des Schuldners im übrigen Vertrag sichtbar vereinbart ist. Zugleich gefährdet ein solcher Ausschluss auch dann, wenn er deutlich erfolgt und daher nicht überraschend ist, in aller Regel den Vertragszweck und ist daher nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB unwirksam.15 Das gilt erst recht für die Herabstufung einer vertraglichen Leistungspflicht zur Naturalobligation, bei welcher zugleich die Sekundärrechte des Gläubigers abgeschnitten würden.16 Unzulässig ist auch der Ausschluss des Nacherfüllungsanspruches: Im Bereich von Verbrauchsgüterkäufen ergibt 13
Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 161. Hinblick auf § 439 Abs. 3 BGB sind freilich bei Verbrauchsgüterkäufen die Beschränkungen des § 475 Abs. 1 BGB zu beachten. 15 Ebenso G. Schulze, Die Naturalobligation, 2008, S. 588. 16 Vgl. Staudinger/Coester, 2013, § 307 Rn. 277. 14 Im
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sich dies schon aus § 475 Abs. 1 BGB; aber auch bei Unternehmergeschäften und beim Immobilienkauf ist der Ausschluss des Nacherfüllungsanspruches in AGB nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam, weil dieser Anspruch eine wesentliche Vertragspflicht darstellt.17 Einschränkungen des Nacherfüllungsanspruches sind an § 309 Nr. 8 b) dd) BGB zu messen. Hinsichtlich des Ausschlusses des Vorrangs des Naturalerfüllungsanspruches durch Verzicht auf das Erfordernis der Fristsetzung oder durch Einführung anderer Übergangstatbestände ist zu unterscheiden: Soweit dies durch die Vereinbarung eines Fixgeschäftes geschieht, muss dies als Teil der Einigung über die essentialia negotii erfolgen; die „Umwidmung“ eines individualvertraglichen Liefertermins i.S.v. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in die Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts in AGB des Einkäufers verstößt regelmäßig gegen § 305b BGB und § 305c Abs. 2 BGB sowie überdies gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.18 Unwirksam ist nach § 309 Nr. 4 BGB auch die isolierte Abbedingung des Fristsetzungserfordernisses in AGB, um dem Sachleistungsgläubiger im Falle einer Leistungsstörung den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz zu gestatten; das gilt auch im unternehmerischen Verkehr gem. § 307 Abs. 1 BGB.19 Unter diese Vorschrift fällt auch die Statuierung einer Frist, die ohne explizite Setzung durch den Gläubiger ab Fälligkeit automatisch laufen soll. 20 Umgekehrt kann ein individualvertraglich vereinbartes Fixgeschäft nicht durch AGB entwertet werden, etwa indem der Charakter der Fixabrede negiert oder gleichwohl ein Fristsetzungserfordernis aufgestellt wird (§ 305b BGB). 21 In gleicher Weise sind auch Klauseln in AGB unwirksam, die ein Fristsetzungserfordernis dort aufstellen, wo eine Fristsetzung gesetzlich nach § 323 Abs. 2 BGB oder §§ 440, 636 BGB entbehrlich ist (vgl. ferner auch § 308 Nr. 2 BGB). 22 Soweit dagegen lediglich die Voraussetzungen des Überganges nach § 275 Abs. 2 BGB oder nach § 281 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB konkretisiert werden, bestehen gegen eine Regelung in AGB keine Bedenken. So können die Parteien etwa Fälle bestimmen, in denen die Interessen des Gläubigers einen sofortigen Übergang auf den Schadensersatzanspruch rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 17 Vgl. nur MünchKomm-BGB/Kieninger, § 307 Rn. 72; Pfeiffer, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 225, 240 f. 18 Vgl. Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen/Thüsing (Hrsg.), Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 3410/2013, Stichwort „Einkaufsbedingungen“, Rn. 9 f. 19 Vgl. zum alten Schuldrecht BGH NJW 1990, 2065, 2067; zum neuen Recht Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen/Thüsing (Hrsg.), Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 3410/2013, Stichwort „Einkaufsbedingungen“, Rn. 7; MünchKomm-BGB/Kieninger, 2012, § 309 Nr. 4 Rn. 12; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 162. 20 Vgl. MünchKomm-BGB/Kieninger, § 309 Nr. 4 Rn. 8. 21 Vgl. MünchKomm-HGB/Grunewald, § 376 Rn. 15. 22 Vgl. etwa BGH NJW 2013, 3022, 3024 (Rn. 20); Staudinger/Coester-Waltjen, 2013, § 308 Nr. 2 Rn. 6; BeckOK-BGB/J. Becker, 01.02.2014, § 308 Nr. 2 Rn. 5; Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 32.
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BGB), solange diese Konkretisierung nicht auf eine faktische Abbedingung des Fristsetzungserfordernisses hinausläuft. 23
II. Fristablauf und Schadensersatzverlangen Bereits im Zusammenhang mit dem Vorrang des Anspruches auf Naturalerfüllung ist die zentrale Bedeutung der Fristsetzung gem. § 281 Abs. 1 BGB im deutschen Leistungsstörungsrecht hervorgehoben worden. 24 Das Erfordernis einer (Nach-)Fristsetzung in § 281 Abs. 1 BGB ist ein Spezifikum des deutschen Rechts, das schon vor der Schulrechtsreform 2002 in § 326 Abs. 1 BGB a.F. enthalten war – damals noch verschärft um das Erfordernis, die Fristsetzung mit einer Ablehnungsandrohung zu verbinden. Im heutigen deutschen Leistungsstörungsrecht ist das Erfordernis der Fristsetzung im Grundsatz allen Sekundärrechtsbehelfen wegen Pflichtverletzung vorgeordnet, welche die Naturalleistung ersetzen oder in Wegfall bringen sollen. Augenfällig ist das zunächst bei den Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (§§ 281 Abs. 1, 314 Abs. 2 S. 1, 323 Abs. 1 BGB), auf welche das Kauf- und Werkvertragsrecht unmittelbar verweisen (§§ 437 Nrn. 2, 3; 634 Nrn. 2–4 BGB); entsprechende Regelungen gelten aber auch im Verbraucherdarlehensrecht (§ 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB), im Mietrecht (vgl. § 543 Abs. 3 S. 1 BGB) und im Reisevertragsrecht (§ 651e Abs. 2 BGB). Eine Ausnahme bildet insoweit allein § 536a Abs. 2 BGB für den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung bei der Mängelbeseitigung durch den Vermieter. Alle anderen Übergangstatbestände lassen sich als Ausnahme vom Fristsetzungserfordernis begreifen: Dieses ist stets anwendbar und ermöglicht dem Gläubiger ohne besondere Tatbestandsvoraussetzungen jederzeit, nach Fristablauf zum Schadensersatz überzugehen bzw. vom Vertrag zurückzutreten. Die übrigen Tatbestände erlauben einen Übergang bzw. Rücktritt ohne Fristsetzung, aber unter besonderen Tatbestandsvoraussetzungen, etwa im Falle von Unmöglichkeit, grober Unverhältnismäßigkeit, aber auch von ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung u.a. 25 23
Vgl. dazu auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 498. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 496 ff.; Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 156 ff.; Grundmann, ERCL 3 (2007), 121, 129 ff.; Schroeter, AcP 207 (2007), 28, 38 ff. S. zur Geschichte der Fristsetzung U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 36 I 5 (S. 184 ff.) m.w.N.; zu den Änderungen durch die Schuldrechtsreform vgl. S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 196 m.w.N. 25 Dem entspricht es, dass die ursprüngliche Schuldrechtskommission und auch noch der Diskussionsentwurf des BMJ zur Schuldrechtsmodernisierung in § 282 Abs. 1 DiskE (abgedruckt bei Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 11) die Fristsetzung zum zentralen Übergangstatbestand erklärt und alle anderen Übergangstatbestände in der allgemeinen Abwägungsklausel des § 282 Abs. 2 DiskE „versteckt“ hatten. Diese Regelung 24 Vgl.
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1. Teleologische Grundlagen Das Nachfristerfordernis bewirkt eine Verstärkung des Naturalleistungsanspruches, 26 allerdings nicht auf der Ebene des gerichtlichen bzw. vollstreckungsrechtlichen Naturalerfüllungszwanges. Denn letzterer kommt typischerweise zu spät;27 die Naturalerfüllung kann außerdem mit der Fristsetzung zwar nachdrücklich angefordert, aber nicht durchgesetzt werden. Zur gerichtlichen Durchsetzung des Naturalleistungsanspruches ist eine Fristsetzung vielmehr gar nicht erforderlich.28 Das Besondere an der Fristsetzung ist daher die außergerichtliche, vorprozessuale Verstärkung des Naturalleistungsanspruches zur Wahrung sowohl der Interessen des Gläubigers als auch der des Schuldners.
a) Die Interessenlage Die Fristsetzung dient zunächst den Interessen des Gläubigers, indem sie ihm ermöglicht, selbst den Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu welchem er an der Naturalleistung durch den Schuldner noch interessiert ist, 29 bzw. ab welchem er statt dessen ein Deckungsgeschäft für die günstigere Alternative hält. Er muss nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Prozesses um die Naturalerfüllung warten, um dann die Leistung im Vollstreckungswege zu erhalten, sondern kann bereits vorprozessual den Übergang auf einen Schadensersatzanspruch in rechtssicherer Weise herbeiführen und so nach Fristablauf im Wesentlichen risikolos30 ein Deckungsgeschäft auf Kosten des Schuldners vornehmen. Die Fristsetzung dient dabei auch zur Offenlegung relevanter interner Informationen des Gläubigers: Häufig ergibt sich der Fälligkeitszeitpunkt nicht aus einer expliziten Parteivereinbarung, sondern aus der gesetzlichen Vermutungsregel des § 271 Abs. 1 BGB. Dann ist die Leistung zwar formal „sofort“ fällig; das ist aber nicht das, was sich die Parteien als tatsächlichen Leistungszeitpunkt vorstellen.31 Denn es ist beiden Parteien klar, dass die Leistung nicht „sofort“ war freilich viel zu unübersichtlich und ist zu Recht im Reformprozess durch die neuen §§ 281–283 BGB ersetzt worden. 26 Ähnlich Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 243. 27 Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 201. 28 Abgesehen von prozesspraktischen Erwägungen wie etwa der Vermeidung der Kostenfolge des § 93 ZPO. 29 Vgl. auch U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 48 I (S. 495); Schlechtriem, FS Müller-Freienfels, 1986, S. 525, 529. 30 Freilich wird er nicht immer ermitteln können, ob der Schuldner sich gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann, so dass er mit dem Schadensersatzanspruch evtl. ausfällt. Jedoch ist eine solche Exkulpation bei § 281 BGB nur sehr schwer möglich, weil die Nichtleistung – Möglichkeit der Erfüllung unterstellt – typischerweise entweder auf Geldmangel oder Unwillen des Schuldners beruhen wird (vgl. S. Lorenz, FS U. Huber, 2006, S. 423, 431). 31 Vgl. auch BGH NJW-RR 2001, 806; OLG Celle NJW-RR 2011, 455, 456: Fälligkeit einer Bauleistung erst mit Ablauf einer angemessenen Fertigstellungsfrist nach Vertragsschluss.
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erbracht werden kann und soll; es kann nur eben noch kein exakter Termin festgelegt werden, und die Rechtsordnung fingiert die sofortige Fälligkeit als rechtliches Konstrukt, das gerade wegen des Mahnungs- und des Fristsetzungserfordernisses, das jeglichen Sekundärfolgen grundsätzlich vorausgeht, keine unmittelbaren rechtlichen Folgen zeitigt. Wann der Gläubiger die Leistung tatsächlich braucht, hängt von seiner Verwendungsplanung ab, die nur er selbst kennt. Wenn diese in besonderer Weise zeitabhängig ist, wird er auf einem Fixgeschäft bzw. zumindest auf der vertraglichen Definition des Leistungszeitpunktes bestehen. In anderen Fällen kann er durch Mahnung und Fristsetzung auf die Dringlichkeit seines Anliegens hinweisen. Der Schuldner kann dadurch seine Kapazitäten sinnvoll einteilen, indem er nicht alles, was nominell „sofort“ fällig ist (vgl. § 271 Abs. 1 BGB), auch sofort erledigt, sondern je nach tatsächlich vom Gläubiger offenbarter Dringlichkeit staffelt. Müsste er stets damit rechnen, bei der geringsten Verzögerung seinen Vertragsgewinn sofort einzubüßen und darüber hinaus sogar einen Verlust zu erzielen (denn das bedeutet der Schadensersatz statt der Leistung für ihn regelmäßig), so könnte er seine Kapazitäten nicht in gleicher Weise effizient einteilen. Daher ist es auch wichtig, dass die Frist vom Gläubiger gesetzt werden muss32 und nicht kraft Gesetzes läuft.33 Denn dadurch wird nicht nur überhaupt ein „Mahneffekt“ ausgelöst,34 sondern vor allem stellt der Gläubiger dadurch klar, dass und wie dringend er die Leistung benötigt.35 Im Übrigen bedeutet das Erfordernis der Nachfristsetzung für den Gläubiger keine wesentliche Einschränkung: Bis er zu seinem Geld, d.h. der Schadensersatzzahlung kommt, vergeht ohnehin eine erhebliche Zeit (nicht selten erst ein Gerichtsverfahren), im Verhältnis zu welcher die Nachfrist nicht ins Gewicht fällt. Die hierdurch eintretende, regelmäßig nur kurze Verzögerung der Naturalerfüllung beeinträchtigt die Gläubigerinteressen typischerweise nicht mehr als der sofortige Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung. Denn letzterer ist für den Gläubiger mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden, die nicht durchwegs durch den Schadensersatz abgedeckt sind: Es fallen erneute Transaktionskosten für das Deckungsgeschäft an, es droht Streit mit dem Schuldner über die Schadensberechnung, und es besteht die Gefahr ei32 Darauf hatte während der Schuldrechtsreform die Kommission Leistungsstörungsrecht bestanden, s. in Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 374 f. Fn. 2. 33 Hinsichtlich des Rücktrittsrechts beim Verbrauchsgüterkauf ist das aufgrund richtlinienkonformer Auslegung des § 323 BGB anders zu beurteilen, vgl. Canaris, in: ders. (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. VII, XXV f.; Unberath, ZEuP 2005, 5, 28 ff.; Erman/Grunewald, § 437 Rn. 3; MünchKomm-BGB/S. Lorenz, 2012, Vor § 474 Rn. 20; Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 32013, § 2 Rn. 180, jeweils m.w.N. 34 Darauf stellt Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 247 entscheidend ab. 35 Ähnlich der Sache nach auch HKK-BGB/Schermaier, 2007, §§ 280–285 Rn. 117 mit Fn. 998.
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nes möglicherweise seinen Bedürfnissen nicht voll entsprechenden Deckungsgeschäfts. Umgekehrt gibt die Fristsetzung dem Gläubiger eine Chance, doch noch die Naturalleistung vom Schuldner zu erlangen, die sein Interesse an der Naturalleistung voll befriedigen würde. Dementsprechend setzen Gläubiger in der Praxis schon im eigenen Interesse regelmäßig auch nach einer Pflichtverletzung noch eine Frist zur Nachbesserung bzw. Erfüllung, selbst wenn dies gesetzlich nicht erforderlich wäre.36 Ist ausnahmsweise die Verwendungsplanung des Gläubigers derart streng zeitabhängig, dass er die Leistung bereits kurz nach Fälligkeit nicht mehr verwenden kann, so ist dies bei der Bemessung der „Angemessenheit“ der Frist zu berücksichtigen,37 was im Einzelfall bis zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung insgesamt führen kann.38 Vor allem aber dient das Fristsetzungserfordernis den Interessen des Schuldners:39 Dieser soll eine „zweite Chance“ erhalten, die Naturalleistung doch noch zu bewirken, bevor er der – für ihn wesentlich ungünstigeren – Sekundärhaftung ausgesetzt wird.40 Aus Sicht des Schuldners dient das Fristsetzungserfordernis damit (nur, aber immerhin) dem Schutz der Differenz zwischen den internen (Eigenleistung) und den externen Kosten der Leistungserbringung (Deckungsgeschäft).41
b) Die Überlegenheit des Fristsetzungsmodells gegenüber alternativen Regelungsmodellen Diese besondere Funktion wird am deutlichsten, wenn man sich aus der Perspektive eines Gesetzgebers denkbare Alternativmodelle überlegt:42 Der Gläubiger hat es mit der Fristsetzung in der Hand, den Zeitraum zu bestimmen, während dessen er noch an der Naturalleistung (und noch nicht am Geldersatz) interessiert ist, ohne insoweit von der Dauer eines Erfüllungsprozesses abhängig zu sein. Alternativlösungen bestehen entweder darin, dem Gläubiger sofort den Weg zur Geldkondemnation zu öffnen, oder die Geldkondemnation erst im Vollstreckungsverfahren zu gewähren, indem er das Erfüllungsurteil entweder sofort durch Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners vollstrecken lässt, oder im Urteil dem Schuldner eine Frist zur Naturalleistung setzen lässt, nach deren 36 Vgl. etwa den Sachverhalt in BGH NJW 2010, 1805; s. auch den Kommentar C. zu Art. 8:106 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 453. 37 S. dazu unten § 5.II.2.c) (S. 284 f.). 38 S. unten § 5.VI.3.a) (S. 380 f.). 39 Schmidt-Kessel, in: Remien (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, 2008, S. 85, 99 hält das Interesse des Schuldners an der Nacherfüllung sogar für den „einzigen Rechtfertigungsgrund für die deutsche Nachfristlösung beim Schadensersatz“. 40 Vgl. auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 243. 41 S. dazu eingehend oben § 1.IV.1.b) (S. 49 ff.). 42 Vgl. zur teleologischen Rechtfertigung des Fristsetzungsmodells auch Dubovitskaya, JZ 2012, 328, 329 f., die allerdings selbst für eine gläubigerfreundlichere Lösung plädiert.
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Ablauf er ohne weiteres aus demselben Urteil Schadensersatz verlangen kann (vgl. auch § 255 Abs. 1 ZPO). Die erste Lösung (sofortige Geldkondemnation) gibt dem Gläubiger die Möglichkeit opportunistischen Abgehens vom Vertrag, d.h. den Übergang von der Naturalerfüllung auf die Geldkondemnation ohne Bezug gerade zur Pflichtverletzung des Schuldners, etwa wenn er merkt, dass er ein schlechtes Geschäft geschlossen hat oder aus anderen Gründen als der (zunächst geringfügigen) Pflichtverletzung des Schuldners – d.h. der Nichtleistung bei Fälligkeit – von der Naturalerfüllung abgehen möchte.43 Denn im Regelfall entspricht bei einer nur kurzfristigen Leistungsverzögerung die Naturalerfüllung durch den Schuldner noch dem Interesse des Gläubigers.44 Die zweite Lösung (Fristsetzung bzw. Übergang erst im Vollstreckungsverfahren) hält den Gläubiger während der gesamten Prozessdauer bis zum Beginn der Zwangsvollstreckung an der Naturalerfüllung durch den Schuldner fest, obwohl die dadurch verursachten Nachteile durchaus mit der Zeit gravierender werden: Mit zunehmendem Zeitablauf nach Eintritt der Fälligkeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Verwendungsplanung des Gläubigers infolge der Leistungsverzögerung scheitert. Eine andere gesetzgeberische Lösung bestünde darin, nicht dem Gläubiger die Möglichkeit (und Last) der Fristsetzung zu gewähren (bzw. aufzubürden), sondern kraft Gesetzes eine „angemessene Frist“ nach der Fälligkeit, nach dem ersten (mangelhaften) Leistungsversuch oder nach einer Mängelanzeige des Gläubigers in Gang zu setzen, nach deren Ablauf der Gläubiger ipso iure zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen kann. Eine solche Lösung hat etwa die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG für das Rücktritts- und Minderungsrecht des Käufers wegen Sachmängeln gewählt: Nach Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich der Richtlinie kann der Verbraucher Minderung oder Vertragsauflösung verlangen, „wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat“.45 Diese Lösung hat allerdings den Nachteil, dass der Gläubiger keine Gelegenheit hat, die zeitliche Komponente seines Naturalleistungsinteresses an den Schuldner zu kommunizieren. Weder der Gesetzgeber noch der Richter kann so genau wie der Gläubiger einschätzen, wie lange er an der Naturalleistung noch interessiert ist. Hinzu kommt, dass der Richter erst ex post im Rahmen des Rechtsstreits um die Minderungs- bzw. Rücktrittsfolgen feststellen kann, welche Frist unter Berücksichtigung der Interessen von Gläubiger und Schuldner „angemessen“ ist. Für den Schuldner ergibt sich daraus keine Möglichkeit, ex ante Klarheit darüber zu gewinnen, bis zu welchem Zeitpunkt er sich leistungsbereit halten muss. Gegenüber dem Fristsetzungsmodell des deutschen Rechts hat die Lösung der Kaufrechtsrichtlinie allerdings immer43
S. auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 813 f. Vgl. schon oben § 4.III.2.a) (S. 227 ff.). 45 S. dazu unten § 8.II.1 (S. 458 ff.). 44
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hin den Vorteil, dass die Gläubiger nicht mehr so leicht in die „Falle“ einer vergessenen Fristsetzung tappen können: In der Praxis geschieht es immer wieder, dass Gläubiger den Schuldner zwar mahnen, aber keine konkrete Frist zur Leistung setzen, so dass trotz Verstreichens eines langen Zeitraums zwischen Fälligkeit und Schadensersatzverlangen die Voraussetzungen für den Übergang mangels Fristsetzung noch nicht gegeben sind. In diesen Fällen ist das Modell der Richtlinie für den Gläubiger vorteilhaft. Allerdings ist gerade der vom Fristsetzungserfordernis ausgehende Anreiz für den Gläubiger, die konkrete Frist zu setzen und dadurch die wichtigen Informationen über die Dringlichkeit seines naturalen Leistungsinteresses zu kommunizieren, aus ökonomischer Sicht der besondere Vorteil des deutschen Modells. Etwaige Nachteile für den Gläubiger bei „vergessener“ Fristsetzung sollten besser durch Ausgleichsansprüche auf die ersparten Aufwendungen des Schuldners abgemildert werden,46 statt auf das Fristsetzungserfordernis ganz zu verzichten. Die materielle Fristsetzungslösung des deutschen Rechts bildet insoweit einen teleologisch überzeugenden Kompromiss, der sowohl opportunistische Vertragsbrüche des Gläubigers zulasten des Schuldners verhindert als auch dessen Interesse an einer (auch zeitlich) effektiven Vertragsdurchführung nicht unzumutbar beeinträchtigt.
2. Anforderungen an die Fristsetzung Aus den soeben dargestellten Zwecken des Fristsetzungserfordernisses ergeben sich die Anforderungen an den Inhalt der Fristsetzung.
a) Die Konkretisierung der gesetzten Frist Erforderlich ist zunächst, dass der Gläubiger dem Schuldner überhaupt eine Frist setzt, d.h. zum Ausdruck bringt, bis zu welchem Zeitpunkt er an den Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches gebunden bleiben will. Das erfordert wegen der für den Schuldner einschneidenden Rechtsfolge (Verlust des Naturalandienungsrechts) regelmäßig eine genaue Bestimmung der Frist. Es reicht daher nicht aus, wenn der Gläubiger dem Schuldner schlicht aufgibt, die Leistung „binnen angemessener Frist“ zu erbringen,47 weil dadurch die von § 281 Abs. 1 BGB intendierte Aufdeckung von Informationen über die Zeitabhängigkeit der gläubigerischen Verwendungsplanung gerade unterbleibt. Für den Schuldner bleibt offen, wie lange er noch Gelegenheit hat, die Leistung zu erbringen, und ab wann er damit rechnen muss, dass sein Naturalleistungsangebot durch ein Schadensersatzverlangen gem. § 281 Abs. 4 BGB hinfällig gemacht wird; er kann seine In46 47
S. dazu oben § 4.V.5 (S. 260 ff.). So aber K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 49, 53 mit Fn. 26; Dubovitskaya, JZ 2012, 328, 330 ff.
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vestitionen in den Erfüllungsversuch nicht zuverlässig daran ausrichten, ob ihm überhaupt noch genug Zeit für die Erfüllung bleibt.48 Die Bestimmung der angemessenen Frist durch das Gericht ex post reicht hierfür nicht aus. Der Bundesgerichtshof hat allerdings in einer neueren Entscheidung eine Aufforderung zur „umgehenden Mängelbeseitigung“ als Fristsetzung genügen lassen, weil aus den Umständen erkennbar sei, wie lange eine solche „umgehende“ Frist höchstens sein kann.49 Soweit damit auf das Erfordernis einer konkreten Fristbestimmung verzichtet wird, ist dieser Entscheidung nicht zu folgen. Denn der Schuldner kann auf diese Art nicht vor dem Ende eines später angestrengten Prozesses erfahren, wie lange er sich noch leistungsbereit halten muss und soll, und ab wann er mit einem (berechtigten) Deckungsgeschäft rechnen muss. Wenn stets eine Aufforderung zur „sofortigen“ oder „umgehenden“ Mängelbeseitigung (bzw. Lieferung) genügen würde, wäre das Fristsetzungserfordernis entwertet. Denn dessen Sinn besteht gerade darin, dem Schuldner durch einen genauen Ablauftermin Klarheit über die Ernsthaftigkeit des Leistungsverlangens zu verschaffen – insoweit ein Plus gegenüber der Mahnung. Das ist auch dann gewahrt, wenn der Gläubiger eine zu kurze (präzise) Frist setzt und diese später vom Gericht durch eine „angemessene“ (also auch „weiche“) Frist ersetzt wird;50 denn auch dann bekommt der Schuldner durch das qualifizierte Drängen des Gläubigers die verschärfte Warnung und muss sich auf einen begrenzten Zeitraum zur Naturalleistung einstellen – dass ihm vom Gericht später „Gnade“ gewährt, begünstigt ihn, ändert aber nichts an der initialen Warnfunktion der Fristsetzung. Die Aufforderung zu einer „sofortigen Leistung“ o.ä. ist aber zu pauschal, um dem Schuldner diese Warnung zuteilwerden zu lassen; gerade dann, wenn damit keine Ablehnungsandrohung verbunden ist.51 Daher ist zu differenzieren: Zunächst ist anhand einer Auslegung der Fristsetzung unter Berücksichtigung aller begleitenden Umstände zu ermitteln, ob sich ein Endtermin mit hinreichender Genauigkeit ermitteln lässt. Das wird v.a. bei Fällen besonderer Dringlichkeit der Fall sein, die ohnehin nahe an § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB stehen, und wo „sofort“ etwa „noch an diesem Tag“ oder „bis morgen“ bedeutet. Es genügt aber auch, wenn der Gläubiger dem Schuldner seine Verwendungsplanung einschließlich ihrer zeitlichen Grenzen aufzeigt („mein Endabnehmer hat eine Leistungsfrist bis in fünf Tagen gesetzt und will 48 Ihn insoweit auf den späteren Prozess zu verweisen, in welchem die „angemessene Frist“ geklärt wird (so K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 49, 53 mit Fn. 26), ist keine Alternative, weil der Ausgang eines solchen Prozesses im Zeitpunkt der Fristsetzung nicht vorhersehbar ist. 49 BGH NJW 2009, 3153; zust. etwa Hk-BGB/R. Schulze, § 281 Rn. 7. 50 Das ist ein zentrales Argument des BGH, vgl. NJW 2009, 3153, 3154 (Rn. 11). 51 Vgl. auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 68; Kommentar D. zu Art. 8:106 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 453 f.
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danach zurücktreten“) und in diesem Zusammenhang auf „umgehende Leistung“ drängt, weil auch hier klar ist, dass die Leistung so rechtzeitig beim Gläubiger sein muss, dass der Endabnehmer noch rechtzeitig beliefert werden kann. Ist aber das Fristende auch nach Auslegung der Erklärung noch unbestimmt, und könnte daher erst der Richter das genaue Fristende bestimmen, so liegt keine hinreichende Fristsetzung für § 281 Abs. 1 BGB vor.52
b) Die Konkretisierung der Leistungsaufforderung Die Fristsetzung dient dazu, dem Schuldner eine zweite (und letzte) Chance zur Erbringung der Naturalleistung zu gewähren. Dazu muss der Schuldner aber wissen, was von ihm verlangt wird. Im früheren Schuldrecht war dies unproblematisch, weil der Nachfristsetzung nach § 326 Abs. 1 BGB a.F. ohnehin eine Mahnung vorauszugehen hatte, für welche ein Bestimmtheitserfordernis galt (und weiterhin gilt),53 und deren Inhalt das Ziel der Nachfristsetzung präjudizierte. Die Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB setzt keine vorherige Mahnung mehr voraus; sie übernimmt – wenn nicht ohnehin eine Mahnung vorausgeht – aber die gleichen Funktionen wie die frühere Kombination aus Mahnung und Nachfristsetzung,54 und muss daher auch den gleichen inhaltlichen Anforderungen an die Bestimmtheit genügen. Daher muss auch die Leistungsaufforderung in der Fristsetzung erkennen lassen, welche Leistung vom Schuldner verlangt wird.55 Insoweit ist zwischen dem Anspruch auf die Primärleistung und eventuellen Nacherfüllungsansprüchen zu unterscheiden: Für den Anspruch auf die Primärleistung genügt es, wenn der Gläubiger eine Frist zur Vertragserfüllung setzt, weil dadurch auf den Vertragsinhalt Bezug genommen wird, der den Inhalt der Leistungspflicht hinreichend konkret beschreibt.56 Für die Geltendmachung von Nacherfüllungsansprüchen zur Mängelbeseitigung ist dagegen erforderlich, dass der konkret zu beseitigende Mangel benannt wird, damit der Schuldner weiß, was von ihm verlangt wird.57 Keinesfalls kann eine pauschale Fristsetzung „zur Herstellung der Mangelfreiheit“ genügen, wenn die zu beseitigenden Mängel nicht konkret genannt werden; die Zulassung einer solchen Fristsetzung würde den Gläubiger zu einer pauschalen Fristsetzung „auf Verdacht“ bereits bei Fälligkeit geradezu einladen. Dies hat Auswirkungen auf die Folgen einer Nichtleistung nach Fristsetzung: Der Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung ist auf diejenigen 52 Ähnlich auch Schollmeyer, ZGS 2009, 491, 492 f.; Raphael Koch, NJW 2010, 1636, 1637 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 74; großzügiger dagegen Faust, JZ 2010, 202, 203, der bereit ist, auf das Erfordernis der Bestimmtheit der Fristsetzung zu verzichten. 53 Vgl. BGH NJW 1998, 2132; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 286 Rn. 48. 54 Vgl. nur Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 746 f. 55 Wie hier MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 61. 56 Ebenso BGH NJW 2010, 2200; NJW-RR 1988, 310. 57 Vgl. BGH NJW 2010, 2200, 2201; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 61.
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Leistungsdefizite begrenzt, hinsichtlich derer dem Schuldner eine Frist gesetzt wurde. Wurde die Leistung bei Fälligkeit überhaupt nicht erbracht, so erstreckt sich die Fristsetzung auf das „Ob“ der Leistung, d.h. bei weiterer Nichtleistung bis Fristablauf kann der Gläubiger zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen bzw. vom Vertrag zurücktreten. Gleiches gilt, wenn der Schuldner bis Fristablauf nur eine Teilleistung erbringt, die der Gläubiger nach § 266 BGB zurückweist. Hat der Gläubiger die Frist zur Beseitigung eines bestimmten Mangels gesetzt, so kommt es darauf an, ob dieser Mangel bei Fristablauf behoben ist, ob also die konkrete Leistungspflichtverletzung abgestellt wurde.58 Wegen eines anderen, etwa noch verbliebenen Mangels kann er dagegen – trotz der vorhergehenden Fristsetzung wegen einer Nichtleistung oder eines anderen Mangels – nicht auf den Schadensersatz statt der (ganzen) Leistung übergehen bzw. vom (ganzen) Vertrag zurücktreten.59 Denn hinsichtlich des anderen Mangels hat er dem Schuldner keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben. Wenn der Schuldner den Mangel nicht kannte oder kennen musste, hatte er die Nichtleistung bei Fristablauf insoweit auch nicht zu vertreten, so dass schon aus diesem Grund ein Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung ausscheidet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB);60 der Schuldner war insoweit nicht einmal in Verzug (§ 286 Abs. 4 BGB).61 Aber auch ein Rücktritt wegen des verbliebenen Mangels ist nach hier vertretener Auffassung ausgeschlossen, weil der Gläubiger insoweit noch keine Frist gesetzt hatte und daher der Vorrang der Naturalerfüllung fortbesteht.62 Das führt ggf. zu einem Erfordernis doppelter (oder noch häufigerer) Fristsetzung – einmal für die Leistung selbst, und einmal je Mangel (wobei selbstverständlich die Beseitigungsverlangen für mehrere Mängel in einer einheitlichen Fristsetzung kombiniert werden können). Das gilt konsequenterweise auch dann, wenn die erste Fristsetzung sich auf die Nichtleistung insgesamt bezog, also etwa der Käufer zunächst nach Fälligkeit die Lieferung der Kaufsache mit Fristsetzung geltend gemacht hat, und die dann während der Frist gelieferte Kaufsache sich als mangelhaft erweist:63 Auch 58 Insoweit ganz h.M., vgl. etwa Dauner-Lieb, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 143, 146 ff.; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 62005, § 18 III 4 (S. 286 f.). 59 Wie hier S. Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 2006, S. 5, 72 f.; ders., FS U. Huber, 2006, S. 423, 429; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 62005, § 18 III 4 (S. 287); Jauernig/C. Berger, § 437 Rn. 9; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 62, 86 ff.; Vor § 275 Rn. 16; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 89 ff.; wohl auch OLG Düsseldorf NJW 2014, 2802, 2803; a.A. Canaris, DB 2001, 1815, 1816; J. Braun, ZGS 2004, 423, 424; M. Schwab, JR 2003, 133 sowie noch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 504. 60 Ebenso Dauner-Lieb, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 143, 161. 61 Das gilt auch dann, wenn man – mit der hier vertretenen Auffassung (vgl. Grigoleit/ Riehm, AcP 203 (2003), 727, 755 ff.; dies., JuS 2004, 745, 747 f.) – davon ausgeht, dass bei der mangelhaften Leistung die Mahnung hinsichtlich der Nacherfüllung entbehrlich ist. 62 Vgl. Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 92; a.A. Dauner-Lieb, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 143, 161 f. 63 Auch insoweit a.A. Canaris, DB 2001, 1815, 1816.
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hier haben Gläubiger und Schuldner typischerweise noch ein Interesse daran, dass der Schuldner die „angefangene“ Leistung vervollständigt; die weitere Verzögerung durch eine erneute Fristsetzung ist dem Gläubiger nicht automatisch unzumutbar, und der Schuldner kann nach wie vor die Vorteile aus der eigenen Leistungserbringung ziehen. Mit dieser Beschränkung der Reichweite der Fristsetzung auf das konkret angemahnte Leistungsdefizit ist keine unzumutbare Einschränkung für den Gläubiger verbunden: Vor einem immer wiederkehrenden Erfordernis von zu vielen Fristsetzungen für jeden neu aufgefundenen Mangel schützt ihn schon § 440 BGB bzw. im Werkvertragsrecht § 636 BGB. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass entweder es für das „Fehlschlagen“ der Nachbesserung i.S.v. § 440 S. 2 BGB bzw. § 636 BGB genügen sollte, dass nach zwei Nachbesserungsversuchen die Kaufsache bzw. das Werk noch nicht mangelfrei sind – im Gegensatz zu einer auf den konkreten Mangel bezogenen Betrachtung64 –, oder dass zumindest beim Maßstab der „Zumutbarkeit“ der weiteren Mängelbeseitigung i.S.v. §§ 440, 636 BGB angemessen auf die Interessen des Käufers bzw. Bestellers Rücksicht genommen wird.65 Sobald schutzwürdige Interessen seinerseits im Raume stehen – sei es die Unzuverlässigkeit des Schuldners allgemein, sei es die zahlenmäßige Häufung von Mängeln oder der zu erwartende Zeitablauf bis zur endgültigen Brauchbarkeit der Sache –, sollten diese Normen ihm den Übergang zum Schadensersatz statt der Leistung bzw. den Rücktritt ohne (erneutes) Erfordernis der Fristsetzung gestatten.66 Außerhalb dieser kauf- und werkvertragsrechtlichen Sondernormen ergibt sich ein entsprechendes Übergangs- bzw. Rücktrittsrecht ohne (weitere) Fristsetzung aus § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Damit ist stets gewährleistet, dass der Gläubiger dann, wenn er ein berechtigtes Interesse am Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung hat, keine (erneute) Frist setzen muss, so dass im Umkehrschluss eine „doppelte Fristsetzung“ nur erforderlich ist, wenn der sofortige Übergang nicht zur Interessenwahrung des Gläubigers nötig ist, der Gläubiger also andernfalls in opportunistischer Weise vom Naturalerfüllungsanspruch abgehen würde.
64 Eine solche verfolgt die h.M., vgl. BGH NJW 2011, 2873 (Rn. 16); Hk-BGB/Saenger, § 440 Rn. 2; Erger, NJW 2013, 1485, 1488. 65 Sehr streng in diesem Zusammenhang BGH NJW 2013, 1523, wo der BGH trotz einer Häufung verschiedenster (für sich genommen jeweils geringfügiger) Mängel eines Wohnmobils dem Käufer gleichwohl den Rücktritt trotz § 440 BGB verweigert hat, weil für die – immer neuen und vom Verkäufer auf Anfrage stets sofort beseitigten – Mängel keine eigenständige Frist gesetzt worden war. 66 Vgl. als Beispiel OLG Hamm NJW-RR 2011, 1423.
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c) Die Angemessenheit der Frist Die vom Gläubiger gesetzte Frist muss ferner angemessen sein. Insoweit findet eine richterliche ex-post-Kontrolle der einseitig bestimmten Frist statt.67 Ausgangspunkt ist jedoch die Fristbestimmung des Gläubigers, der sich hierdurch die Möglichkeit zum Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung bzw. zum Rücktritt verschafft, m.a.W. also die zeitliche Begrenzung seines Interesses an der Naturalleistung durch den Schuldner bestimmt.68 Über die hierfür erforderlichen Informationen über seine Verwendungsplanung und deren Zeitabhängigkeit verfügt nur der Gläubiger selbst. Die Interessen des Schuldners spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle: Durch die Nichtleistung bzw. Schlechtleistung bei Fälligkeit hat er seine Leistungspflicht verletzt, so dass sein Interesse, die Leistung doch noch zu erbringen, zwar existent, aber nicht vorrangig gegenüber dem Gläubigerinteresse am Erhalt der Naturalleistung und am Übergang auf den Schadensersatz ist; seine „erste Chance“ zur Realisierung der Vorteile aus dem Vertrag hat er vertan. Er hat kein Recht mehr, dem Gläubiger eine Naturalleistung aufzudrängen, an welcher dieser gerade infolge der Leistungsverzögerung kein Interesse mehr hat. Die Obergrenze der angemessenen Frist wird daher durch die Dringlichkeit der Verwendungsplanung des Gläubigers bestimmt: Je zeitnäher er die Leistung benötigt, um seine Verwendungsplanung umzusetzen, desto kürzer ist die Frist zu bemessen – bis hin zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB, wenn die Leistung unmittelbar nach Fälligkeit für den Gläubiger nicht mehr von Interesse ist. Fehlt es an Anhaltspunkten für eine besondere Dringlichkeit des Gläubigerinteresses (die auch nicht durch den Ersatz von Verzögerungsschäden aufgefangen werden kann), so ist der Blick auf die Interessen des Schuldners zu richten: Dieser soll durch die Nachfristsetzung die Gelegenheit erhalten, seine Vorteile aus der Naturalerfüllung noch zu ziehen. Die Frist muss daher so bemessen sein, dass er seine Leistung noch erbringen kann. Da aber der Fälligkeitszeitpunkt im Moment der Fristsetzung bereits verstrichen sein muss (vgl. den Wortlaut des § 281 Abs. 1 BGB), kann die Dauer nicht den vollen Zeitraum umfassen, den der Schuldner zur Erbringung seiner Leistung „von Null auf“ bräuchte. Herkömmlich wird daher formuliert, die Frist müsse so bemessen sein, dass der Schuldner eine bereits im Wesentlichen ins Werk gesetzte und abgeschlossene Leistung zu Ende bringen könne.69 Diese – im Regelfall zutreffende – Formel ist bereits das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen des Gläubigers am zeitnahen Erhalt der Naturalleistung (bzw. der Eröffnung der Möglichkeit zum Übergang auf ein Deckungsgeschäft) und den Interessen des Schuldners an 67
Vgl. BGH NJW 1982, 1279, 1280; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 70. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 157. 69 Vgl. etwa MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 71. 68 Ähnlich
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der Sicherung seiner Vorteile aus der eigenen Leistungserbringung. Mit zu berücksichtigen ist demnach auch, wie groß und schutzwürdig diese Vorteile des Schuldners sind: Je größer der für den Schuldner noch realisierbare Gewinn aus der eigenen Leistungserbringung ist, desto eher rechtfertigt dieser, dem Gläubiger das Warten auf die Naturalleistung (regelmäßig gegen Ersatz des Verzögerungsschadens) zuzumuten.70 Unter dem Gesichtspunkt der Verhaltenssteuerung durch Haftung kann ferner berücksichtigt werden, ob der Schuldner das Leistungsdefizit zu vertreten hat. In diesem Fall ist sein Interesse an der Leistungserbringung weniger schutzwürdig, so dass die Frist eher kürzer zu bemessen ist.71 Durch den Fristablauf kann der Gläubiger nach dem gegenwärtigen deutschen Recht nichts verlieren; insbesondere verliert er allein durch den Fristablauf – anders als nach altem Schuldrecht (§ 326 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB 1900) – nicht seinen Anspruch auf Erfüllung in Natur (Umkehrschluss aus § 281 Abs. 4 BGB). Vielmehr gewinnt er mit Fristablauf lediglich die zusätzliche Möglichkeit, zwischen der Naturalerfüllung und dem Schadensersatz statt der Leistung bzw. dem Rücktritt zu wählen. Das gibt ihm jedoch einen Anreiz, evtl. eine zu kurze Frist zu setzen, um zusätzlich Druck auf den Schuldner auszuüben, oder um sich ggf. die Möglichkeit zu verschaffen, in opportunistischer Weise von der Naturalerfüllung durch den Schuldner abzugehen, obwohl sein Leistungsinteresse bei objektiver Betrachtung das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung in Natur nicht überwiegt. Die Interessen des Schuldners werden durch die zu kurze Frist übergangen. Die einseitige Gestaltungsmacht des Gläubigers bedarf daher insoweit der Beschränkung, als die Länge der Frist nachträglich einer gerichtlichen Kontrolle auf ihre Angemessenheit, d.h. insbesondere auf die hinreichende Berücksichtigung der Schuldnerinteressen, unterzogen wird. Gleichwohl erfüllt die zu kurze Fristsetzung ihre Warnfunktion, weil der Schuldner auch dann erkennen kann, dass der Gläubiger zur Annahme der Naturalerfüllung möglicherweise nicht mehr bereit sein wird. Daher ist es gerechtfertigt, eine zu kurze Fristsetzung nicht generell als unwirksam zu behandeln, sondern die Frist auf eine angemessene Dauer (ex post) zu verlängern.72
70 Ebenso 71 Ebd.
Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 157.
72 Ganz h.M., vgl. nur RGZ 56, 231, 234 f.; BGH NJW 1985, 2640; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 77; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 83; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 43 I 5 a (S. 367 f.); s. auch Dubovitskaya, JZ 2012, 328, 332 f., die die automatische Fristverlängerung von einer Rüge des säumigen Schuldners abhängig machen will.
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3. Das Schadensersatzverlangen (§ 281 Abs. 4 BGB) Der Fristablauf für sich genommen führt noch nicht zum vollständigen Übergang von der Primär- auf die Sekundärebene. Es tritt vielmehr nach der Konzeption des § 281 BGB eine besondere Schwebelage ein: Nunmehr liegt es in der Hand des Gläubigers, ob er weiterhin auf Naturalleistung besteht, oder ob er auf den Schadensersatzanspruch übergeht und damit den Naturalleistungsanspruch gem. § 281 Abs. 4 BGB zum Wegfall bringt. Zugleich hat er nach § 323 BGB bei gegenseitigen Verträgen das Recht, vom Vertrag zurückzutreten. Mit Blick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung sind insoweit zwei Sichtweisen zu unterscheiden: Aus Sicht des Gläubigers lässt bereits der Fristablauf die Bindung an den Naturalerfüllungsanspruch entfallen, denn ab diesem Augenblick hat er die Möglichkeit, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Der Schuldner bleibt dagegen noch an den Naturalerfüllungsanspruch gebunden; seine Bindung endet erst mit dem Schadensersatzverlangen des Gläubigers (bzw. mit dessen Rücktrittserklärung).
a) Die Schwebelage nach Fristablauf Das freie Wahlrecht des Gläubigers zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz statt der Leistung ist für den Schuldner mit einer erheblichen Unsicherheit verbunden: Er muss sich einerseits erfüllungsbereit halten, weil der Gläubiger jederzeit von ihm noch Erfüllung verlangen kann. Andererseits kann der Gläubiger ohne weitere Vorwarnung auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen (bzw. vom Vertrag zurücktreten).73 Diese Position kann der Gläubiger zu opportunistischem Verhalten ausnutzen, indem er auf Kosten des Schuldners spekuliert und je nach Marktentwicklung von ihm Geldersatz oder die Naturalleistung verlangt. Da der Schuldner keine rechtliche Möglichkeit hat, dem Gläubiger eine Frist zur Entscheidung zwischen Naturalerfüllung, Geldersatz und Rücktritt zu setzen,74 besteht die Gefahr ineffizienter Ressourcenallokationen während der Schwebelage, weil der Schuldner sich sowohl auf die Naturalleistung als auch auf eine Geldzahlung als auch auf einen Rücktritt einstellen muss. Der Vorschlag der Regierungsbegründung, der Schuldner könne dem Gläubiger jederzeit die Naturalleistung anbieten und damit die Unsicherheit beenden,75 ist praktisch allenfalls bei einfachen punktuellen Leistungen wie etwa der Pflicht 73
Vgl. nur Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 489. Gsell, FS U. Huber, 2006, S. 299, 301; für die analoge Anwendung des § 264 Abs. 2 BGB dagegen Heinrichs, FS Derleder, 2005, S. 87, 107. 75 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 140 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 681; ebenso Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 48 f.; a.A. Gsell, JbJZivRWiss. 2001, 2001, S. 105, 115; vgl. zum Ganzen Finn, ZGS 2004, 32 ff. 74 Vgl.
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zur Übergabe und Übereignung einer bestimmten Kaufsache umsetzbar, die keine aufwändigen Vorbereitungshandlungen erfordern, und würde zudem voraussetzen, dass der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht zurückweisen darf. Bei komplexen Leistungen – etwa der Errichtung eines Bauwerks – kann der Schuldner ohnehin nicht riskieren, die Leistung auf eigenes Risiko bis zur Angebotsreife fertigzustellen, ohne zu wissen, ob der Gläubiger diese dann annehmen wird. Indessen kann der Gläubiger jedenfalls jederzeit – auch in dem Augenblick, in welchem der Schuldner die Naturalleistung anbietet – dem Naturalerfüllungsangebot mit einem Schadensersatzverlangen bzw. mit einer Rücktrittserklärung begegnen.76 Damit ist zwar die Unklarheit beseitigt, weil der Anspruch auf Naturalerfüllung endgültig untergeht (§§ 281 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB); die Vorbereitungshandlungen des Schuldners, die sehr aufwändig sein können, sind aber vergebens gewesen. Hinzu kommt, dass eine zutreffende Auffassung in der Literatur dem Gläubiger zusätzlich das Recht zugesteht, die Naturalleistung nach Fristablauf schlicht zurückzuweisen,77 ohne dadurch in Annahmeverzug zu geraten78. Diese reine Zurückweisung unterscheidet sich vom Schadensersatzverlangen gem. § 281 Abs. 4 BGB dadurch, dass sie dem Gläubiger die Wahl zwischen Schadensersatz (nach der Surrogationsmethode) und dem Rücktritt (mit der Konsequenz einer Schadensberechnung nach der Differenzmethode) offen hält.79 Die Zurückweisung der Naturalleistung durch den Gläubiger ist kein Verstoß gegen das oben angenommene schadensersatzbewehrte Recht des Schuldners auf Naturalerfüllung, weil dieses Recht mit Fristablauf erlischt: Ab diesem Zeitpunkt ist der Gläubiger ohnehin jederzeit berechtigt, auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen, so dass das Naturalerfüllungsrecht des Schuldners keinen rechtlichen Schutz mehr genießt.80 Das ist auch teleologisch richtig, definiert doch die „angemessene Frist“ des Gläubigers typischerweise den Zeitraum, während dessen die Naturalerfüllung erfolgen muss, damit der Gläubiger seine Verwendungsplanung noch umsetzen kann.81 An die Zurückweisung der Naturalerfüllung ist der Gläubiger nach Treu und Glauben allerdings gebunden, d.h. er verhielte sich treuwidrig, wenn er 76 Vgl. auch Scholz, Gestaltungsrechte im Leistungsstörungsrecht, 2010, S. 243; Medicus/ S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 489. 77 Vgl. Finn, ZGS 2004, 32, 37; Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 49; Gsell, JbJZivRWiss. 2001, 2001, S. 105, 115; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 3 ff.; Bressler, NJW 2004, 3382, 3385; vgl. auch BGHZ 154, 119, 122 f. (zum alten Werkvertragsrecht); a.A. Althammer, NJW 2006, 1179, 1181; Faust, FS U. Huber, 2006, S. 239, 246 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 80 ff.; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 49; Jacobs, FS Otto, 2008, S. 137, 141 ff. 78 Insoweit a.A. Derleder/Hoolmans, NJW 2004, 2787, 2790. 79 Vgl. auch Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 3. 80 Vgl. Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 3 sowie näher oben § 4.V.3 (S. 255 ff.). 81 S. oben § 5.II.2.c) (S. 284 f.).
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im Anschluss doch noch auf der Naturalerfüllung bestehen würde.82 Auf diese Weise erhält der Schuldner immerhin Klarheit darüber, dass er sich nicht mehr erfüllungsbereit halten muss. Die Bindung des Gläubigers ist freilich nicht absolut: Ändern sich die relevanten Umstände – zeigt sich etwa, dass der Schuldner nicht über die nötigen Geldmittel zur Schadensersatzleistung verfügt, die Naturalleistung aber noch erbringen könnte –, so handelt der Gläubiger gleichwohl nicht treuwidrig, wenn er dann wieder auf die Naturalerfüllung zurückschwenkt. Bei komplexen Leistungspflichten, deren Erfüllung vom Schuldner einen hohen Vorbereitungsaufwand erfordert, wird der Schuldner den Gläubiger naheliegender Weise vor seinem Erfüllungsversuch bitten, sich über seine weiteren Pläne zu erklären. Gewährt der Gläubiger dem Schuldner daraufhin eine weitere Fertigstellungsfrist, oder erklärt er, die Leistung keinesfalls mehr anzunehmen (auch wenn er sich noch nicht zwischen Schadensersatz nach der Surrogationsmethode und Rücktritt mit Schadensersatz statt der Differenzmethode entscheidet), so darf sich der Schuldner jeweils darauf einstellen.83 Denn der Gläubiger würde sich auch hier treuwidrig verhalten, wenn er ohne neue Tatsachen – die freilich auch darin liegen können, dass der Schuldner weiterhin nicht leistet84 – dann noch auf einen anderen Anspruch überwechseln würde.85 Auch diese Bindung folgt „nur“ aus Treu und Glauben und ist nicht absolut: Wenn der Schuldner während dieser Zeit mangelhaft leistet oder dem Gläubiger aus anderen Gründen das weitere Abwarten unzumutbar macht, kann er die Naturalleistung zurückweisen, ohne daran durch seine Fristgewährung gebunden zu sein. Problematisch ist die Lage allein, wenn der Gläubiger sich trotz einer Anfrage des Schuldners nicht hinsichtlich des gewählten Anspruches festlegt, sondern beispielsweise schlicht schweigt.86 Hier wird dem Schuldner teilweise in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 264 Abs. 2 BGB gestattet, dem Gläubiger eine Frist zur Entscheidung zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz zu setzen.87 Allerdings scheitert die unmittelbare Anwendung die82 Vgl.
Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 49; Finn, ZGS 2004, 32, 37. Althammer, NJW 2006, 1179, 1181. 84 So die Konstellation in BGH NJW 2006, 1198, wo der BGH – zu Recht – zugelassen hat, dass der Gläubiger trotz erneuten Erfüllungsverlangens nach Fristablauf vom Vertrag zurücktritt, weil der Schuldner weiterhin keine Anstalten gemacht hat, seine Leistungspflicht zu erfüllen. 85 So zu § 326 BGB a.F. bereits RG Warn 1917 Nr. 167; BGH NJW 1985, 438; s. dazu eingehend Wertenbruch, AcP 193 (1993), 191, 196 ff. 86 S. dazu auch Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 490. 87 Vgl. Heinrichs, FS Derleder, 2005, S. 87, 107; M. Schwab, JR 2003, 133, 135 f.; sogar für eine gesetzliche Erklärungsfrist Ramming, ZGS 2003, 113, 115, 117 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 99; dagegen zu Recht Scholz, Gestaltungsrechte im Leistungsstörungsrecht, 2010, S. 244 f.; Gsell, FS U. Huber, 2006, S. 299, 301; Schüttlöffel, Der nicht rechtzeitig leistende Sachschuldner zwischen Primär- und Schadensersatzhaftung, 2006, S. 111 ff., 115. 83 Ebenso
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ser Norm daran, dass zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz kein freies Wahlrecht des Gläubigers im Sinne einer Wahlschuld besteht, sondern – auch nach Fristablauf – ein grundsätzlicher Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches, weil nur der Übergang zum Schadensersatz von einer Handlung des Gläubigers abhängt, nicht aber die Geltendmachung des Erfüllungsanspruches.88 Die analoge Anwendung dieser Fristsetzungsmöglichkeit scheitert bereits am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung bewusst gegen die Einführung einer Fristsetzungsmöglichkeit des Schuldners entschieden hat.89 Auch eine Lösung über die Regelungen des Gläubigerverzugs90 scheitert dann, wenn die Leistung des Schuldners erhebliche Vorbereitungen erfordert, weil auch die §§ 293 ff. BGB grundsätzlich ein tatsächliches Angebot der (fertigen) Leistung voraussetzen (§ 294 BGB). Eine interessengerechte Lösung dürfte auch hier nur über Treu und Glauben anhand der Umstände des Einzelfalles zu finden sein: Kündigt der Schuldner die Naturalerfüllung rechtzeitig unter Hinweis auf die erforderlichen Vorbereitungen an, so wird man vom Gläubiger erwarten können, dass er diese rechtzeitig ablehnt, wenn er beabsichtigt, die fertige Leistung nicht anzunehmen, sondern statt dessen Schadensersatz zu verlangen. Äußert er sich nicht, so handelt er treuwidrig, wenn er danach die Naturalerfüllung doch zurückweist.91
b) Rechtsnatur und Inhalt des Schadensersatzverlangens (§ 281 Abs. 4 BGB) Beim Schadensersatzverlangen i.S.v. § 281 Abs. 4 BGB handelt es sich um eine geschäftsähnliche Handlung, nicht um eine Willenserklärung92: Der Gläubiger erklärt keinen Verzicht auf den Naturalerfüllungsanspruch, sondern er verliert ihn kraft Gesetzes.93 Gleichwohl ist dieser Verlust vom Inhalt der Erklärung des Gläubigers abhängig: Verlangt er nicht Schadensersatz statt der Leistung, sondern lediglich Schadensersatz neben der Leistung (Verzögerungsschaden oder Integritätsschäden), so behält er seinen Erfüllungsanspruch. Auch wenn 88 Vgl. Gsell, FS U. Huber, 2006, S. 299, 301; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 69; Finn, ZGS 2004, 32, 37; Kleine/Scholl, NJW 2006, 3462. 89 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 197 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 784; rechtspolitisch krit. hierzu Marotzke, KTS 2002, 1, 38 mit Hinweis auf Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 733, wo die Fristsetzungsmöglichkeit des § 355 BGB a.F. gerade für gesetzliche Rücktrittsrechte für wichtig gehalten wird. 90 Dafür Gsell, FS U. Huber, 2006, S. 299 ff. 91 Ebenso Scholz, Gestaltungsrechte im Leistungsstörungsrecht, 2010, S. 244; ähnlich im Ergebnis M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 535. 92 So aber Krause, Jura 2002, 299, 301. 93 Vgl. nur BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 281 Rn. 50; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 8.
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er ein Schadensersatzverlangen nur androht oder sich lediglich vorbehält, Schadensersatz statt der Leistung geltend zu machen, tritt die Rechtsfolge des § 281 Abs. 4 BGB nicht ein.94 Ob das Schadensersatzverlangen bereits mit der Fristsetzung verbunden werden kann, ist umstritten. Relevant ist dies vor allem dann, wenn der Gläubiger eine Erfüllungsklage mit einer (bedingten) Schadensersatzklage gewissermaßen „auf Vorrat“ verbindet, also erst ein vollstreckbares Leistungsurteil und im gleichen Prozess für den Fall der Nichtleistung innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist (§ 255 ZPO) ein Schadensersatzurteil anstrebt.95 Da das Schadensersatzverlangen mit der Folge des § 281 Abs. 4 BGB lediglich der Rechtssicherheit dient, indem der Schuldner danach weiß, dass er sich nicht mehr erfüllungsbereit halten muss, spricht nichts dagegen, dass der Gläubiger schon bei Fristsetzung Schadensersatz für den Fall der Nichtleistung bis Fristablauf verlangt – wenn denn dabei deutlich wird, dass er tatsächlich bei Fristablauf ohne weitere Prüfung auf seinen Anspruch auf Naturalerfüllung verzichten will.96 Ein solches aufschiebend bedingtes Schadensersatzverlangen hat dann die Wirkung des § 281 Abs. 4 BGB ab Eintritt der Bedingung, d.h. sobald die gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist. Es ermöglicht dem Gläubiger dann in der Tat, Erfüllungsklage und Klage auf künftige Schadensersatzleistung (§ 259 ZPO) in einem Prozess zu verbinden.97 Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob der Gläubiger sich von einem einmal erklären Schadensersatzverlangen wieder lösen kann, mit der Folge, dass der Erfüllungsanspruch wieder auflebt.98 Zunächst ist klarzustellen, dass eine Anfechtung des Schadensersatzverlangens weder wegen eines Irrtums über die Wirkung des § 281 Abs. 4 BGB noch wegen eines Irrtums über die Höhe des dem Gläubiger zustehenden Schadensersatzes in Betracht kommt,99 weil es sich hierbei lediglich um unbeachtliche Motivirrtümer (Rechtsfolgenirrtümer) handelt. Die Möglichkeit eines Widerrufs des Schadensersatzverlangens wird dagegen verbreitet verneint,100 und das zu Recht: Die Rechtsfolge des § 281 Abs. 4 BGB schützt das Vertrauen des Schuldners, zur Naturalerfüllung nicht mehr 94 Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 103; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 11. 95 Vgl. dazu Wieser, NJW 2003, 2432 ff.; ders., NJW 2003, 3458 ff.; Schur, NJW 2002, 2518, 2519 ff.; Gsell, JZ 2004, 110 ff. 96 Ebenso Gsell, JZ 2004, 110, 115 f.; Wieser, NJW 2003, 3458 ff.; Staudinger/Otto/ Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 15; a.A. Schur, NJW 2002, 2518, 2519. 97 Vgl. näher Gsell, JZ 2004, 110, 115 ff.; Wieser, NJW 2003, 2432 ff.; a.A. (meist kein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf zukünftige Schadensersatzleistung) Schur, NJW 2002, 2518 ff. 98 Vgl. dazu Kleine/Scholl, NJW 2006, 3462 ff.; Scholz, Gestaltungsrechte im Leistungsstörungsrecht, 2010, S. 198 ff. 99 Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 106. 100 Vgl. etwa MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 106; Staudinger/Otto/ Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 9.
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verpflichtet zu sein. Nach Zugang des Schadensersatzverlangens kann er anderweitig über den Leistungsgegenstand disponieren. Hat er insoweit noch keine Dispositionen getroffen, wird er einem – unzulässigen – Naturalerfüllungsverlangen des Gläubigers im Anschluss an ein Schadensersatzverlangen ohnehin bereits im eigenen Interesse nachkommen, also konkludent einer entsprechenden vertraglichen Rückgängigmachung des Übergangs vom Erfüllungs- auf den Schadensersatzanspruch zustimmen.101 Verweigert er die Zustimmung zur naturalen Durchführung, nachdem der Gläubiger bereits den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung erklärt hatte, so wird dies regelmäßig daran liegen, dass er tatsächlich anderweitig disponiert hat. Nur in echten Extremfällen (etwa wenn der Gläubiger es sich wenige Sekunden nach Zugang des Schadensersatzverlangens anders überlegt) wird man ausnahmsweise dem Gläubiger nach Treu und Glauben gestatten, sich von seinem Schadensersatzverlangen wieder zu lösen; in solchen Fällen würde der Schuldner rechtsmissbräuchlich handeln, wenn er den Gläubiger am Schadensersatzverlangen festhielte.
c) Folge des Schadensersatzverlangens Durch das Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung erlischt gem. § 281 Abs. 4 BGB der Anspruch auf Erfüllung in Natur. Diese Wirkung tritt allerdings nur dann ein, wenn die Voraussetzungen des Schadensersatzes tatsächlich vorliegen.102 Hat der Schuldner die Leistungsstörung etwa nicht zu vertreten, so bleibt es trotz Schadensersatzverlangens des Gläubigers beim Naturalerfüllungsanspruch; andernfalls würde der Gläubiger leer ausgehen, weil er weder Naturalerfüllungsanspruch noch Schadensersatzanspruch hätte. Dem Wortlaut des § 281 Abs. 4 BGB lässt sich diese Einschränkung zwar nicht entnehmen; sie folgt aber aus der Funktion der Norm als Übergangstatbestand, die voraussetzt, dass ein anderer Anspruch überhaupt existiert, in welchen der Erfüllungsanspruch übergehen kann. Zudem besteht der Zweck des § 281 Abs. 4 BGB lediglich darin, dem Schuldner Rechtsklarheit darüber zu verschaffen, ob er sich weiter erfüllungsbereit halten muss oder nicht. Dieser Zweck rechtfertigt keine vollständige Befreiung des Schuldners durch ein sachlich nicht gerechtfertigtes Schadensersatzverlangen. Vielmehr muss hier die Rechtssicherheit für ihn hinter dem Schutz des subjektiven Rechts des Gläubigers zurückstehen. Konstruktiv kann dieses – allgemein geteilte103 – Ergebnis auch dadurch erzielt werden, dass mit der oben vertretenen Auffassung § 285 BGB auf den 101 Dies ist im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne weiteres möglich, vgl. nur Staudinger/ Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. D 9. 102 Vgl. Gsell, JbJZivRWiss. 2001, 2001, S. 105, 116; entsprechend auch der Formulierungsvorschlag von Krebs, DB Beilage Nr. 14/2000, 1, 11. Zum Parallelproblem bei § 340 Abs. 1 BGB ebenso RGZ 77, 290, 292; BGH LM § 17 UWG Nr. 2. 103 Vgl. die Nachweise in Fn. 102.
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„ersatzlosen“ Untergang des Naturalerfüllungsanspruches analog angewendet wird: Dann hat der Schuldner im Falle eines erfolglosen Schadensersatzverlangens dem Gläubiger dasjenige herauszugeben, was er infolge des Überganges erspart, d.h. den Aufwand für die Erbringung der Naturalleistung. Ein Unterschied zur bloßen Aufrechterhaltung des Naturalerfüllungsanspruches besteht dann, wenn man mit einer neueren Auffassung in der Literatur annimmt, dass der Anspruch aus § 285 BGB nach Bereicherungsgrundsätzen zu erfüllen ist.104 Denn dann wird der gutgläubige Schuldner, der die Naturalleistung anderweitig verwertet, weil er auf ein Schadensersatzverlangen des Gläubigers vertraut, das sich im Nachhinein als erfolglos herausstellt, vom Anspruch auf Naturalerfüllung insoweit befreit, als er durch die anderweitige Verwertung nichts erlangt oder erspart hat (§ 818 Abs. 3 BGB analog). Der endgültige Übergang nach § 281 Abs. 4 BGB tritt im Interesse des Schuldners ein, denn ab diesem Zeitpunkt kann dieser sich darauf verlassen, dass er die Naturalleistung nicht mehr erbringen muss, muss sich also nicht mehr erfüllungsbereit halten. Für den Gläubiger führt das Schadensersatzverlangen dagegen zu einer Verschlechterung der Rechtslage, weil er sein Wahlrecht zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz endgültig – zugunsten des Schadensersatzes – verliert. Zwar ist auch für ihn der Verlust dieser Wahlmöglichkeit mit einem Gewinn an Rechtssicherheit verbunden, weil er nun die Naturalerfüllung durch den Schuldner auf keinen Fall mehr annehmen muss. Aber das muss er bereits ab Fristablauf nicht mehr, da ihm insoweit ein Zurückweisungsrecht zusteht.105 Der Ausschluss des Naturalerfüllungsanspruches liegt daher ausschließlich im Interesse des Schuldners, nicht im Interesse des Gläubigers.
4. Vollständige und teilweise Nichtleistung Der Übergang auf den Schadensersatz erfolgt zunächst nur insoweit, als die Leistung auch tatsächlich gestört ist. Wurde ein (quantitativer oder qualitativer) Teil der Leistung bereits fehlerfrei erbracht (oder war er noch nicht fällig), und leistet der Schuldner nach Fristsetzung nur den anderen Teil nicht,106 so ist zwar der Naturalerfüllungsanspruch hinsichtlich des nicht geleisteten Teils nach einem Schadensersatzverlangen gem. § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Hinsichtlich des Rests der Schuld kann aber ein Naturalerfüllungsanspruch durchaus sinnvoll sein, bzw. kann dem Gläubiger der bereits geleistete Rest belassen wer-
104 Vgl.
F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 260 ff. Vgl. soeben § 5.II.3.a) (S. 286 ff.). 106 Vgl. zur Ermittlung und Bedeutung der Teilbarkeit der Leistung eingehend Canaris, 2. FS Medicus, 2009, S. 17 ff. 105
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den. Insoweit ist eine Wertung erforderlich, um zu entscheiden, ob der Gläubiger diese Naturalleistung behalten kann (bzw. muss), oder ob er auch insoweit auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen darf, den bereits geleisteten Teil also zurückgeben darf bzw. auf etwaige noch nicht fällige Leistungsteile verzichten kann (Schadensersatz statt der ganzen Leistung gem. § § 281 Abs. 1 S. 2, 3 BGB, ggf. i.V.m. § 283 S. 2 BGB).
a) Das Recht zur Zurückweisung von Teilleistungen (§ 266 BGB) Dabei ist vorrangig das Recht des Gläubigers zur Zurückweisung von Teilleistungen gem. § 266 BGB zu beachten: Diese Vorschrift gestattet dem Gläubiger, quantitative und qualitative Teilleistungen zurückzuweisen, ohne dass er in Annahmeverzug gerät.107 Das erweitert (bzw. präzisiert) aus seiner Sicht den Vorrang der Naturalerfüllung dahingehend, dass er nur die vollständige und pflichtgemäße Leistung annehmen muss. Die Wertung des Gesetzes geht dabei davon aus, dass die Verwendungsplanung des Gläubigers nur durch eine vollständige Leistung umsetzbar ist. Insoweit hängt es infolge der Gewährung eines einseitigen Zurückweisungsrechts – nach der Interessenlage völlig zutreffend – allein vom Gläubiger und seiner konkreten Verwendungsplanung ab, ob die angebotene Teilleistung sein Leistungsinteresse wenigstens teilweise befriedigt (so dass er zu ihrer Annahme bereit sein wird) oder nicht (so dass er sie zurückweisen wird). Konsequenterweise hat die Zurückweisung einer Teilleistung keine Auswirkungen auf den ursprünglichen Erfüllungsanspruch: Der Gläubiger kann nach wie vor die ganze Naturalleistung verlangen; ein Übergang auf die Sekundärebene erfolgt nicht automatisch, sondern nur nach den allgemeinen Vorschriften, wenn sich anlässlich des Teilleistungsversuchs zeigt, dass die pflichtgemäße Leistung unmöglich ist (insbesondere bei unbehebbaren Mängeln),108 wenn der Schuldner trotz Fristsetzung des Gläubigers die vollständige Leistung nicht erbringt, oder wenn der Schuldner zugleich ernsthaft und endgültig die vollständige Leistung verweigert, etwa wenn er behauptet, nur die angebotene Teilmenge oder (mindere) Qualität zu schulden.
107
Vgl. nur MünchKomm-BGB/Krüger, 2012, § 266 Rn. 18. verneint allerdings die h.M. die Anwendbarkeit des § 266 BGB und zwingt den Gläubiger so zur Annahme der unvollständigen Leistung, so dass er nur unter den Voraussetzungen des § 323 Abs. 5 BGB (i.V.m. § 326 Abs. 5 Hs. 1 BGB) vom Vertrag zurücktreten bzw. nach § 283 S. 2 BGB i.V.m. § 281 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann (vgl. BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 266 Rn. 3; MünchKomm-BGB/ Krüger, 2012, § 266 Rn. 2; S. Lorenz, NJW 2013, 1341, 1342; Staudinger/Bittner, 2009, § 266 Rn. 40; S. Lorenz, FS Wolfsteiner, 2008, S. 121, 127 f.). 108 Hier
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b) Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach Annahme der Teilleistung Auch nach der Annahme einer Teilleistung – sei es, weil der Gläubiger das Leistungsdefizit nicht bemerkt, sei es, weil er von seinem Zurückweisungsrecht keinen Gebrauch macht – sieht das BGB noch einen Vorrang der Vertragsdurchführung in Natur vor: Zunächst steht dem Gläubiger nur der Primäranspruch auf den Rest der Naturalleistung zu – ggf. modifiziert als Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 439, 635 BGB.109 Das folgt einerseits aus dem verbleibenden Interesse des Gläubigers an der (möglichen) Teilleistung, andererseits aus dem Interesse des Schuldners, den Vertrag zumindest so weit wie möglich durchzuführen bzw. die Schuld so weit wie möglich selbst zu erfüllen. Für diesen quantitativen oder qualitativen Leistungsrest gilt zunächst grundsätzlich das Fristsetzungserfordernis nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB, somit also der Vorrang der (vollständigen) Naturalerfüllung. Auch bei fruchtlosem Fristablauf bleibt der Vorrang der Naturalerfüllung insoweit bestehen, als sich der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (wie auch der Rücktritt) zunächst nur auf die ausgebliebene Teilleistung bezieht (früher sog. kleiner Schadensersatz). Hinsichtlich des Leistungsrests spricht das Naturalerfüllungsinteresse des Schuldners – wie bei der ungeteilten Primärleistung auch – dagegen, dem Gläubiger ein Recht zum freien einseitigen Übergang vom Naturalerfüllungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch zuzubilligen.
aa) Einschränkungen des Übergangs Das Wahlrecht des Gläubigers muss vielmehr im Interesse des Schuldners eingeschränkt werden, um opportunistischen (und unverhältnismäßigen) Vertragsbrüchen des Gläubigers vorzubeugen.110 Maßstab dieser Einschränkung ist der Nachweis eines fehlenden (objektiven) Interesses des Gläubigers an der noch möglichen Teilleistung: Ist die Verwendungsplanung des Gläubigers auch mit der Teilleistung noch sinnvoll realisierbar (wenn auch ggf. nur teilweise), so ist er hinsichtlich dieses Teils auch an der Naturalerfüllung festzuhalten und handelt missbräuchlich, wenn er ein – objektiv danach nicht erhebliches – Leistungsdefizit zum Anlass einer Zurückweisung der Gesamtleistung nimmt. Schadensersatz statt der ganzen Leistung (und der Rücktritt vom gesamten Vertrag) sind daher zu Recht an die zusätzliche Voraussetzung geknüpft, dass die Teilleistung für den Gläubiger objektiv nicht von Interesse ist (§ 281 Abs. 1 S. 2, 3 BGB bzw. § 323 Abs. 5 S. 1, 2 BGB).111 109
S. dazu oben § 4.III.3 (S. 232 ff.). S. Lorenz, FS Wolfsteiner, 2008, S. 121, 122 f., 126 ff. 111 Vgl. zu diesem gemeinsamen Sachgrund hinter den Regelungen für Teil- und Schlechtleistungen Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115, 117 ff.; zustimmend MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 243. 110 Vgl.
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Diese Tatbestandsvoraussetzungen orientieren sich vorrangig am Interesse des Gläubigers am Erhalt der vollständigen Naturalleistung. Insoweit legt die Regelung des BGB zwei verschiedene Regel-Ausnahme-Verhältnisse zugrunde:112 Bei der quantitativen Teilleistung wird vermutet, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers teilbar ist, so dass es durch die Teilleistung immerhin teilweise befriedigt wird. Bis zur Widerlegung dieser Vermutung (durch den Nachweis eines Interessewegfalls) wird der Gläubiger an der naturalen Durchführung festgehalten (§ 281 Abs. 1 S. 2 BGB). Umgekehrt wird bei der Schlechtleistung vermutet, dass das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht teilbar ist, weil er seine Verwendungsplanung mit einer mangelhaften Sache normalerweise nicht umsetzen kann. Daher wird der Gläubiger im Regelfall nicht an der mangelhaften Naturalleistung festgehalten, sondern darf hinsichtlich der gesamten Leistung auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen; nur wenn der Schuldner nachweist, dass der Mangel unerheblich ist, wird dem Gläubiger zugemutet, die mangelhafte Leistung zu behalten und nur hinsichtlich des Mangels auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen kann es für die „Erheblichkeit“ des Mangels dabei – entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs – nicht allein auf ein objektives Verhältnis zwischen der Wertminderung durch den Mangel und dem Wert der mangelfreien Leistung ankommen,113 sondern vorrangig darauf, ob der Mangel die Verwendungsplanung des Gläubigers in lediglich unerheblicher Weise beeinträchtigt. Denn diese Verwendungsplanung (und nicht ein objektiver Marktwert) bestimmt das Naturalleistungsinteresse des Gläubigers, das für den Übergangstatbestand des § 281 Abs. 1 S. 3 BGB ausschlaggebend ist.114 Unzutreffend ist daher auch die in der Rechtsprechung anzutreffende Formulierung, ein Mangel sei nicht unerheblich, wenn „ein durchschnittlicher Käufer die Sache in Kenntnis des Mangels zu einem niedrigeren Preis erworben hätte oder vom Kauf Abstand genommen hätte.“115 Relevant kann gerade nicht die Sichtweise eines „durchschnittlichen Käufers“, sondern muss die konkrete Verwendungsplanung des Gläubigers sein, weil nur deren Umsetzung durch den Grundsatz der Naturalerfüllung geschützt
112 Vgl. dazu eingehend Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115 ff.; S. Lorenz, FS Wolfsteiner, 2008, S. 121, 132 ff. 113 So aber BGH NJW 2011, 2872: Unerheblichkeit des Mangels, wenn die Mängelbeseitigungskosten ein Prozent des Kaufpreises nicht überschreiten; dagegen zutr. krit. C. Höpfner, NJW 2011, 3693 ff. 114 So zutreffend OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 400, 401 f.; ferner MünchKomm- BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 243; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 323 Rn. C 27; zumindest missverständlich dagegen OLG Düsseldorf NJOZ 2008, 601 = ZGS 2007, 157; NJW-RR 2009, 398, 399 f. 115 So etwa OLG Brandenburg NJW-RR 2007, 928, 929.
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wird.116 Dem konkreten Gläubiger ist mit einer mangelhaften Leistung nicht gedient, die zwar trotz des Mangels den Zwecken eines „durchschnittlichen Käufers“ genügt, aber gerade wegen des Mangels nicht seinen konkreten Zwecken. Dementsprechend können auch Prozentgrenzen117 für die Unerheblichkeit eines Mangels allenfalls ein erster grober Anhaltspunkt sein, der durch eine umfassende Würdigung der Interessen des konkreten Käufers zu ergänzen ist.118 Ein Indiz für die „Erheblichkeit“ der Pflichtverletzung ist dagegen der Verstoß gegen eine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung, weil eine solche ein besonderes Interesse des Käufers am Vorhandensein der konkreten Beschaffenheit dokumentiert.119
bb) Berücksichtigung der Arglist des Schuldners? Zugleich folgt daraus, dass – entgegen der Auffassung des BGH120 – subjektive Kriterien aufseiten des Schuldners, insbesondere seine Arglist, nicht unmittelbar für die Erheblichkeit des Mangels relevant sind. Der BGH stützt seine Auffassung maßgeblich darauf, dass der Wortlaut des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB (ebenso wie § 281 Abs. 1 S. 3 BGB) nicht auf die Erheblichkeit des Mangels abstelle, sondern auf die Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Die Pflichtverletzung würde durch arglistiges Verhalten des Verkäufers verstärkt, so dass sie im Regelfall auch bei objektiv (und im Hinblick auf die Verwendungsplanung des Käufers) geringfügigen Mängeln gleichwohl nicht mehr unerheblich sei.121 Dabei verkennt der BGH allerdings, dass die Pflicht zur sachmangelfreien Lieferung aus § 433 Abs. 1 S. 2 BGB keine Verhaltenspflicht ist;122 ihre Verletzung ist kein Fehlverhalten, sondern schlichte Nichterfüllung durch objektive Nicht-
116 So zu Recht auch BGH NJW 2011, 1674, 1675 (Rn. 18), zur Parallelfrage im Dienstvertragsrecht (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Maßstab des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB, vgl. ebd. Rn. 15); ebenso ferner Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 216. 117 Solche werden in Rechtsprechung und Literatur reichhaltig vertreten, vgl. die Zusammenstellung von Äußerungen zwischen 1 % und 15 % bei H. Rösler, AcP 207 (2007), 564, 592 f. m.N., der selbst eine Grenze der Mängelbeseitigungskosten von 5–10 % des Kaufpreises vorschlägt (a.a.O. S. 593). 118 Ablehnend gegenüber der Anwendung von Prozentgrenzen auch OLG Köln NJW 2007, 1694, 1696; OLG Düsseldorf ZGS 2007, 157; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 243 f.; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 215; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 323 Rn. 39; Fischinger/Lettmaier, ZGS 2009, 394, 398; ebenso zum österreichischen Recht östOGH ZVR 2006, 285, 287; s. nunmehr BGH BB 2014, 1999 (Rn. 16, 30 ff.): Zwar umfassende Interessenabwägung, aber „in der Regel“ keine Unerheblichkeit bei Mängelbeseitigungskosten über 5 % des Werts der mangelfreien Sache. 119 So auch BGH NJW-RR 2010, 1289, 1291 (Rn. 23); NJW 2013, 1365, 1366 (Rn. 16); Palandt/Grüneberg, § 323 Rn. 32. 120 Vgl. BGHZ 167, 19. 121 Vgl. BGHZ 167, 19, 23 (Rn. 12). 122 Dem BGH insoweit zustimmend aber H. Rösler, AcP 207 (2007), 564, 595 f.
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herbeiführung des geschuldeten Erfolges.123 Ob ein Fehlverhalten des Schuldners zu dieser Nichterfüllung geführt hat, ist bei derartigen erfolgsbezogenen Leistungspflichten keine Frage der Pflichtverletzung, sondern eine solche des Vertretenmüssens.124 Das systematische Argument des BGH ist daher verfehlt. Teleologisch spielt die Arglist des Verkäufers für das hier relevante Interesse des Käufers am Behalten der mangelhaften Sache keine unmittelbare Rolle.125 Gleichwohl liegt ein richtiger Kern der BGH-Rechtsprechung in der Erkenntnis, dass das arglistige Verschweigen des (objektiv unerheblichen) Mangels durch den Verkäufer das Vertrauen des Käufers in die (weitere) Durchführung des Vertrags untergräbt und ihm deshalb regelmäßig ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Zugleich ist das Naturalandienungsinteresse des arglistigen Verkäufers nicht schutzwürdig. Daher besteht insoweit jedenfalls kein Vorrang der Nacherfüllung; der Käufer kann sofort den Kaufpreis mindern oder auf den Schadensersatz statt der Leistung (in der Form des sog. „kleinen Schadensersatzes“) übergehen. Das ist aber nicht eine Frage der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB (bzw. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB), sondern der Unzumutbarkeit der Mangelbeseitigung nach § 440 S. 1 BGB.126 Hinzu kommen Sanktionen für die Arglist nach allgemeinem Recht, insbesondere die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sowie die Haftung nach den Grundsätzen der vorvertraglichen Informationspflichtverletzung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB),127 die bei Arglist ohne weiteres neben dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht anwendbar sind.128 Diese ermöglichen ebenfalls eine Rückabwicklung des Vertrags und kommen dem vom BGH erzielten Ergebnis damit nahe, ohne allerdings zu dogmatischen Verwerfungen beim Begriff der Pflichtverletzung und ihrer Erheblichkeit in §§ 281 Abs. 1 S. 3, 323 Abs. 5 S. 2 BGB zu führen.
c) Folgerungen für die minus-Lieferung im Kaufund Werkvertragsrecht Die teleologische Fundierung der Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Teilleistung muss auch den Ausschlag in der „berühmten“ Streitfrage über die Reichweite der Gleichstellung von minus-Lieferung und Sachmangel in § 434 Abs. 3 BGB und § 633 Abs. 2 S. 3 BGB geben. 123 Ebenso
S. Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926; H. Roth, JZ 2006, 1026, 1027. Vgl. näher Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1082 ff. 125 So i.E. auch Kulke, ZGS 2006, 412 ff.; ders., ZGS 2008, 169 ff.; Looschelders, JR 2007, 309 ff.; H. Roth, JZ 2006, 1026. 126 Vgl. S. Lorenz, NJW 2006, 1925, 1927; H. Roth, JZ 2006, 1026, 1027 f.; insoweit a.A. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 243b, der gleichwohl aus der Arglist auf die Erheblichkeit des Mangels schließt. 127 Vgl. S. Lorenz, NJW 2006, 1925, 1927. 128 Vgl. BGHZ 180, 205. 124
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Hier wird von der wohl überwiegenden Auffassung angenommen, die Gleichstellung von minus-Lieferung und Sachmangel in den genannten Vorschriften habe nicht nur (selbstverständlich) Auswirkungen auf die Anwendung des spezifischen kaufrechtlichen bzw. werkvertragsrechtlichen Gewährleistungsrechts, sondern würde darüber hinaus auch auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 281 Abs. 1 S. 2, 3 BGB bzw. § 323 Abs. 5 BGB ausstrahlen. Es sollen also nicht nur die Einschränkungen des Nacherfüllungsanspruches durch die §§ 439, 635 BGB, die kurze gewährleistungsrechtliche Verjährung etc. auf die minus-Lieferung Anwendung finden; vielmehr soll dort auch ein Übergang auf den Schadensersatz statt der ganzen Leistung (bzw. ein Rücktritt vom gesamten Vertrag) zulässig sein, wenn die minus-Leistung nicht unerheblich ist.129 Diese Auffassung ist jedoch teleologisch nicht zu rechtfertigen: Die Wertungen, die für eine Differenzierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Teil- und Schlechtleistung sprechen, gelten auch dann, wenn es sich bei der fraglichen Schuld um die Lieferverpflichtung eines Verkäufers oder die Herstellungspflicht eines Werkunternehmers handelt. Weder die Besonderheiten des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts noch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erfordern ein Abweichen von dem geschilderten Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Teilleistung.130
d) Die Behandlung der teilweisen Schlechtleistung Für die sog. teilweise Schlechtleistung gilt dann Entsprechendes: Zunächst ist hinsichtlich des mangelhaften Teils zu fragen, ob der Mangel unerheblich ist und damit schon insoweit den Übergang auf die Geldleistungspflicht ausschließt. In diesem Fall bleibt sogar der Naturalleistungsanspruch (als Nacherfüllungsanspruch) bestehen; die Frage der Auswirkungen auf den Leistungsrest stellt sich nicht mehr. Ist der Gläubiger dagegen nach § 281 Abs. 1 S. 3 BGB berechtigt, hinsichtlich des mangelhaften Teils Schadensersatz statt der (insoweit „ganzen“) Leistung zu verlangen, entfällt also insoweit die Beschränkung auf Nacherfüllung und Minderung, so ist in einem zweiten Schritt zu fragen, ob das Ausbleiben der Naturalerfüllung hinsichtlich der mangelhaften Teilleistung auch den mangelfreien Teil der Leistung erfasst. Dafür ist § 281 Abs. 1 S. 2 BGB einschlägig, weil die mangelhafte Teilleistung insoweit, als der Gläubiger von der Nach129 Vgl. etwa Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 202 ff.; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 323 Rn. A 28; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 434 Rn. 115; H. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 175 a.E.; im Ansatz auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 216. 130 Vgl. bereits Canaris, ZRP 2001, 329, 334 f.; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 219 f. sowie eingehend Grigoleit/Riehm, ZGS 2002, 115 ff.; Canaris, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 177, 191 ff.; Grigoleit, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 55, 83; ebenso Windel, Jura 2003, 793, 795; Heiderhoff/Skamel, JZ 2006, 383, 388 ff.; Thier, AcP 203 (2003), 399, 425 ff.; S. Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 2006, S. 5, 113; i.E. auch Markus Müller/D. Matthes, AcP 204 (2004), 732, 754.
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erfüllung auf den Schadensersatz statt der Leistung übergegangen ist, wie eine teilweise Nichtleistung wirkt. Es ist also zu fragen, ob die nunmehr nur noch teilweise mögliche Leistung für den Gläubiger noch von Interesse ist.131
5. Sonderproblem: Anwendung auf bloße Herausgabeansprüche Die Anwendung des § 281 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 4) BGB auf reine Herausgabeansprüche ist Gegenstand der Diskussion. Entzündet hat sich der Streit zunächst an der Anwendung der Vorschrift auf den mietrechtlichen Räumungsbzw. Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB;132 die Frage stellt sich in gleicher Weise auch bei der Anwendung auf die Vindikation gem. § 985 BGB.133 Insoweit sind drei Fragen zu unterscheiden:134 Zunächst die Anwendbarkeit des § 281 Abs. 1 BGB, d.h. die Frage, ob der Herausgabegläubiger vom Herausgabeschuldner nach erfolgloser Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann; ferner die Anwendbarkeit des § 281 Abs. 4 BGB, d.h. die Frage, ob ein Schadensersatzverlangen des Herausgabegläubigers zum endgültigen Wegfall des Herausgabeanspruches führt; und schließlich – in Abhängigkeit von der Antwort auf die beiden ersten Fragen – die Bemessung eines etwaigen Schadensersatzanspruches statt der Leistung, einschließlich der Rechtsposition des Herausgabeschuldners nach Wegfall des Herausgabeanspruches.
a) Sonderfall: Wohnraummiete Auszuscheiden sind vorab die Fälle der Wohnraummiete: Hier schuldet der Mieter während einer gerichtlich gewährten Räumungsfrist gem. § 571 Abs. 2 BGB keinen weiteren Schadensersatz, sondern nur die Nutzungsentschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB; diese Vorschrift würde umgangen, wenn man dem Vermieter gestattete, ohne Räumungsprozess unmittelbar nach § 281 BGB auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen. Liegen die Voraussetzungen eines Widerspruches gegen die Kündigung vor, oder ist der Ausgang eines Prozesses über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung abzuwarten, so darf der Mieter nach § 571 Abs. 1 S. 1 BGB die Mietsache – abgesehen von § 546a Abs. 1 131 Ebenso S. Lorenz, NJW 2003, 3097, 3099; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 221; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 256; i.E. auch Markus Müller/D. Matthes, AcP 204 (2004), 732, 746 ff., 754 f. 132 Vgl. dazu etwa Emmerich, NZM 2002, 362, 367; Brauer, NotBZ 2002, 402 ff.; M. Schwab, NZM 2003, 50 ff.; Dedek, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 183, 183 ff.; Katzenstein/Hüftle, NZM 2004, 601 ff.; Jost, FS Otte, 2005, S. 145 ff.; Heinrichs, ERCL 2 (2006), 342, 352; Klinck, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 302 ff.; Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311 ff. 133 Vgl. dazu näher unten § 6.II.2.c) (S. 416 f.). 134 Vgl. eingehend Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311 ff.
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BGB – risikolos zurückhalten,135 so dass insoweit auch ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ausgeschlossen sein muss. Auf diese Weise setzt sich der wohnraummietrechtliche Kündigungs- und Räumungsschutz stets gegen eine etwaige Schadensersatzpflicht nach § 281 BGB durch.136 Sollte gleichwohl trotz Einhaltung des Mieterschutzrechts § 281 BGB zur Anwendung gelangen (etwa bei einer Fristsetzung zum Ablauf der gerichtlichen Räumungsfrist), so würde schließlich § 571 Abs. 1 S. 2 BGB den Schadensersatzanspruch nach Billigkeitsgesichtspunkten begrenzen, so dass die Geltendmachung eines Schadens in Höhe des Verkehrswerts (oder auch nur in Höhe des entgangenen Gewinns aus einem gescheiterten Weiterverkauf der Mietsache137) in aller Regel nicht möglich ist.138
b) Übrige Mietverhältnisse aa) Anwendung des § 281 Abs. 1 BGB In den anderen Fällen, d.h. bei der Gewerberaummiete und der Miete beweglicher Sachen (Autos oder auch DVDs), aber auch bei der Leihe gibt § 281 BGB dem Herausgabegläubiger ein schneidiges Mittel in die Hand, um seinen Herausgabeanspruch durchzusetzen:139 Er kann nach Fristablauf ohne weiteres, insbesondere ohne zunächst einen Herausgabeprozess führen zu müssen, Schadensersatz statt der Leistung verlangen, und erhält dafür ein vollstreckbares Urteil – wenn er bereit ist, die Sache für einen (in seiner Durchsetzung nicht immer sicheren) Schadensersatzanspruch zu opfern.140 Zwar wird der Vermieter von Gewerbeimmobilien regelmäßig nicht auf die Rückgabe der Sache verzichten wollen, um stattdessen einen – nur selten in voller Höhe vollstreckbaren – Schadensersatzanspruch zu erhalten.141 Bei der Kfz-Miete und erst recht beim DVD-„Verleih“ sind derartige Konstellationen aber durchaus auch praktisch denkbar. Die Anwendung des § 281 Abs. 1 BGB in diesen Fällen erhält 135 Vgl. Elzer, in: Elzer/Riecke (Hrsg.), Mietrechtskommentar, 2009, § 571 Rn. 3; BeckOKBGB/Wöstmann, 01.05.2013, § 571 Rn. 5. 136 Ähnlich im Ergebnis M. Schwab, NZM 2003, 50, 54 f., allerdings ohne Rückgriff auf § 571 BGB. 137 Vgl. dazu Elzer, in: Elzer/Riecke (Hrsg.), Mietrechtskommentar, 2009, § 571 Rn. 4. 138 So auch Jost, FS Otte, 2005, S. 145, 149 f.; Heinrichs, ERCL 2 (2006), 342, 353; Palandt/ Grüneberg, § 281 Rn. 4; Schaltenbrand, Schadensersatz statt der Leistung, 2008, S. 16 f. 139 Vgl. auch Unberath, ZMR 2004, 309, 314. 140 Nur zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass es dem Gläubiger selbstverständlich unbenommen bleibt, keinen Schadensersatz zu verlangen, sondern auf der Herausgabe bzw. Räumung zu bestehen. 141 Auch das ist allerdings nicht ausgeschlossen; man denke etwa an einen Immobilienfonds, der eine Gewerbeimmobilie an einen solventen Mieter vermietet hat und bei Liquiditätsbedarf und/oder Verkaufsschwierigkeiten am freien Markt den schwebenden Streit über die Wirksamkeit einer Kündigung dazu nützt, die Immobilie nach Fristsetzung zum Ertragswert an den Mieter zu übertragen.
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dem Gläubiger alle Sanktionsmöglichkeiten für die hartnäckige Herausgabeverweigerung des Mieters – und das effektiver als nach § 283 BGB a.F., weil er nicht zuerst ein rechtskräftiges Herausgabeurteil erstreiten muss. Derartige Fälle sind auch keinesfalls automatisch missbräuchlich: Insbesondere bei unklarem Verbleib der Sache kann der Herausgabegläubiger ein berechtigtes Interesse daran haben, sich nicht auf die langwierige und möglicherweise letztlich erfolglose Herausgabevollstreckung einzulassen und stattdessen den Wert der Sache über den Schadensersatz statt der Leistung zu liquidieren.142 Auch in anderen Situationen kann es für den Herausgabegläubiger sinnvoll sein, zeitnah ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, und nicht von dem unsicheren Verhalten des Herausgabeschuldners abhängig zu sein. Die Interessen des Schuldners – etwa die Schwierigkeit eines Gewerberaummieters, rechtzeitig Ersatzräume anzumieten – können im Rahmen der „Angemessenheit“ der vom Gläubiger gesetzten Frist berücksichtigt werden. Dass der Herausgabeschuldner auf diese Weise einer horrenden Schadensersatzpflicht ausgesetzt sein kann (man denke etwa an die Gewerberaummiete, aber auch die Kfz-Miete), ist kein maßgebliches Gegenargument. Denn auch bei der schuldhaften Zerstörung der Mietsache haftet der Herausgabeschuldner gem. § 283 BGB auf den gesamten Sachwert, ohne dass gegen dieses Haftungsrisiko Bedenken bestünden.143 Hinzu kommt, dass ein Schadensersatzanspruch aus § 281 Abs. 1 BGB ohnehin nur gegeben ist, wenn der Schuldner die Sache nicht fristgerecht herausgibt, obwohl er sie herausgeben kann, und wenn er darüber hinaus die Nichtherausgabe zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).
bb) Anwendung des § 281 Abs. 4 BGB Auch die Anwendung des § 281 Abs. 4 BGB zulasten des säumigen Herausgabeschuldners begegnet keinen Bedenken: Wenn er den Sachwert in Geld ersetzt, darf er nicht weiterhin einem Herausgabeanspruch in Natur ausgesetzt sein. Er muss die ursprünglich herauszugebende Sache also behalten dürfen. Der Ausschluss des Herausgabeanspruches gem. § 281 Abs. 4 BGB gilt zunächst gegenüber dem mietrechtlichen Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB. Es besteht aber kein Grund, dem Vermieter, der (zufällig) zugleich Eigentümer der Sache ist, seinen eigentumsrechtlichen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB zu belassen. Auch dieser muss daher ausgeschlossen sein – sei es aufgrund einer Anwendung des § 281 BGB auch auf diesen Anspruch,144 sei es, indem man 142 Vgl. auch das Beispiel in der Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 139 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 677 f.: Dem Verleiher eines Buches müsse nach erfolgloser Herausgabevollstreckung die Möglichkeit gegeben werden, vom Entleiher Schadensersatz in Höhe des Verkehrswerts zu erlangen. 143 Ebenso Klinck, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 302, 303 f. 144 S. dazu unten § 6.II.2.c) (S. 416 f.).
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§ 281 Abs. 4 BGB ein dauerndes obligatorisches Besitzrecht i.S.v. § 986 Abs. 1 BGB entnimmt145. Mit dem Schadensersatzverlangen statt der Leistung erhält der Mieter zugleich Klarheit hinsichtlich seiner Pflicht zur Herausgabe der Sache: Diese erlischt mit dem Schadensersatzverlangen endgültig, so dass etwa der Herausgabeschuldner keine Anstrengungen mehr unternehmen muss, die Sache zurückzuerlangen, wenn er (z.B. infolge Untervermietung oder Verlusts) keinen Zugriff darauf hat.
cc) Höhe des Schadens Der zu ersetzende Schaden des Herausgabegläubigers besteht im vollen Wert der Sache;146 eine getrennte Betrachtung von Substanz- und Nutzungswert147 ist nicht angezeigt. Denn bei ordnungsgemäßer Rückgabe könnte der Vermieter die Mietsache weiterhin nutzen und – je nach seiner Planung148 – entweder Erlöse aus der erneuten Vermietung an einen anderen Mieter oder einen Gewinn aus dem Verkauf der Mietsache erzielen, oder aber die Sache selbst nutzen. Dieser Ertragsausfallschaden ist ohne weiteres als Schadensersatz statt der Leistung zu qualifizieren und als solcher grundsätzlich aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ersatzfähig. Geht man von dem praktisch wahrscheinlichsten Fall aus, dass der Vermieter die Mietsache nach Herausgabe erneut vermieten würde, so besteht der Schaden in den entgehenden Mieterlösen; das entspricht zunächst dem Verzögerungsschaden, wie er über § 546a Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB ohnehin zu ersetzen ist.149 Muss der Mieter die Mietsache nach dem Schadensersatzverlangen des Vermieters allerdings nie mehr herausgeben (§ 281 Abs. 4 BGB), so erfasst der Schadensersatz die gesamte während der Restnutzungsdauer tatsächlich noch erzielbare Miete in kapitalisierter (und abgezinster) Form, abzüglich der notwendigen Kosten für die Verwaltung und Unterhaltung der Mietsache während dieser Zeit.150 Dies entspricht bei sicher vermietbaren Grundstücken dem Verkehrswert, ermittelt nach dem Ertragswertverfahren.151 145 So
M. Schwab, NZM 2003, 50, 51. So auch Schaltenbrand, Schadensersatz statt der Leistung, 2008, S. 153 sowie im Kontext des § 985 BGB E. Becker, Schadensersatz nach Fristsetzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 2012, S. 204 ff. 147 Für eine solche Kandelhard, in: Herrlein/Kandelhard (Hrsg.), Mietrecht, 42010, § 546a Rn. 36 ff., 39; noch weiter einschränkend Katzenstein/Hüftle, NZM 2004, 601, 604 f.: Nur die Kosten der Verschaffung des Besitzes seien ersatzfähig. 148 Vgl. zur Maßgeblichkeit der Verwendungsplanung des Gläubigers für die Ermittlung des Ertragsausfallschadens Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740 f. 149 Vgl. Kandelhard, in: Herrlein/Kandelhard (Hrsg.), Mietrecht, 42010, § 546a Rn. 36. 150 So konsequent M. Schwab, NZM 2003, 50; dass lediglich der Verzögerungsschaden für die vorübergehende Vorenthaltung geschuldet sein könne (so Kandelhard, in: Herrlein/ Kandelhard (Hrsg.), Mietrecht, 42010, § 546a Rn. 36), ist eine petitio principii, weil dies den Fortbestand der Herausgabepflicht trotz § 281 IV BGB voraussetzt. 151 Vgl. Metzger, Wertermittlung von Immobilien und Grundstücken, 52013, S. 66; vgl. 146
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dd) Teleologische Einschränkungen Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die Anwendung des § 281 BGB dem Gläubiger ein Druckmittel gewährt, das nicht in allen Fällen durch seine Interessen gefordert wird, bzw. das in manchen Konstellationen zum Missbrauch geradezu einlädt. Bereits oben wurde ausgeführt, dass die Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB lediglich den Interessewegfall des Gläubigers abbildet, indem vermutet wird, dass bei Fristablauf das Interesse des Gläubigers an der Naturalerfüllung entfallen ist:152 Der Gläubiger darf nach Fristablauf darauf vertrauen, dass der Schuldner ihm die Naturalerfüllung nicht mehr gegen seinen Willen aufdrängen kann.153 Der Fristablauf dient mit anderen Worten gerade dazu, den Gläubiger von der Bindung an den Naturalerfüllungsanspruch zu befreien und ihm – zur zeitnahen Realisierung seiner Verwendungsplanung – ein Deckungsgeschäft zu ermöglichen, welches dann sein Interesse an der Naturalerfüllung durch den Schuldner entfallen lässt. Ist die ursprüngliche Verwendungsplanung des Gläubigers aber trotz Fristablaufs noch umsetzbar, wenn der Schuldner die Leistung in Natur erbringen würde, so besteht auch das – objektiv verstandene – Interesse des Gläubigers an der Naturalleistung durch den Schuldner fort. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Gläubiger nach Fristablauf noch keinerlei Dispositionen im Hinblick auf ein Deckungsgeschäft getätigt hat. Solange aufseiten des Gläubigers nach Fristablauf noch keine relevante Veränderung eingetreten ist, welche sein Interesse an der Naturalleistung hat entfallen lassen, ist sein Vertrauen darauf, dass ihm die Naturalleistung nicht mehr aufgedrängt werden kann, noch nicht schutzwürdig. Gerade bei der Vermietung von Immobilien wird dies häufig der Fall sein:154 Typischerweise wird der Vermieter hier planen, die Mietsache nach Räumung durch einen Mieter an einen anderen Mieter weiterzuvermieten. Diese Verwendungsplanung wird kaum je infolge der Verzögerung der Rückgabe endgültig scheitern. Selbst wenn ein bereits gefundener Mietinteressent wegen der Verzögerung vom Mietvertrag Abstand nimmt bzw. einen schon abgeschlossenen Mietvertrag deswegen kündigt (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB), ist hierdurch die Weitervermietung auch §§ 17 ff. ImmoWertV. Der von M. Schwab, NZM 2003, 50 und Schüttlöffel, Der nicht rechtzeitig leistende Sachschuldner zwischen Primär- und Schadensersatzhaftung, 2006, S. 236 angenommene Unterschied zwischen Restnutzungswert und Verkehrswert besteht daher in der Regel nicht. 152 S. oben § 5.II.2.c) (S. 284 f.). 153 S. dazu oben § 5.II.3.a) (S. 286 ff.). 154 Dementsprechend scheint zum früheren § 286 Abs. 2 BGB, der den Interessewegfall zur Voraussetzung des Überganges des Vermieters vom Herausgabeanspruch auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung machte – und an den die hier vertretene Lösung angelehnt ist –, der Nachweis des Interessewegfalls des Vermieters niemals gelungen zu sein, vgl. Emmerich, NZM 2002, 362, 367; M. Schwab, NZM 2003, 50, 52 Fn. 18.
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nicht endgültig ausgeschlossen; die eingetretenen Einbußen kann der Vermieter ohne weiteres nach § 546a Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB als Schadensersatz wegen Verzögerung der Räumung geltend machen, ohne dass hierfür § 281 BGB anwendbar wäre.155 Besteht aber das ursprüngliche Interesse an der Naturalherausgabe objektiv fort, so muss der Vermieter aus zweckwidrigen Motiven handeln, wenn er die Verzögerung gleichwohl zum Anlass nimmt, die vom Mieter nach Fristablauf angebotene Räumung bzw. Herausgabe zurückzuweisen. In diesen Fällen ist dem Herausgabeschuldner daher nach § 242 BGB der Nachweis zu gestatten, dass der Gläubiger sein Interesse an der naturalen Herausgabe der Sache trotz Fristablaufs objektiv noch nicht verloren hat. Gelingt dieser Nachweis,156 so darf der Schuldner dem Gläubiger die Naturalleistung trotz Fristablaufs weiterhin aufdrängen, weil schutzwürdige Interessen des Gläubigers nicht entgegenstehen. Das gilt selbst dann, wenn der Gläubiger bereits Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat, der naturale Herausgabeanspruch also nach § 281 Abs. 4 BGB weggefallen ist. Denn der Ausschluss des Erfüllungsanspruches in § 281 Abs. 4 BGB erfolgt nur im Interesse des Schuldners157 und darf daher nicht gegen diesen angewendet werden, wenn dieser die Naturalleistung noch erbringen will. Konstruktiv ist dieses „Aufdrängungsrecht“ des Herausgabeschuldners allerdings nicht auf der Tatbestandsseite des § 281 BGB zu verorten, sondern auf der Rechtsfolgenseite:158 Dem Schuldner ist ausnahmsweise zu gestatten, sich von seiner Schadensersatzpflicht statt der Leistung, bei welcher die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich analog § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen ist, durch Herausgabe der Sache in Natur zu befreien. Durch diese – zunächst zugegebenermaßen überkonstruiert wirkende – Lösung bleibt einerseits die gläubigerschützende Funktion des § 281 BGB erhalten, indem der Gläubiger nach Fristsetzung ein Schadensersatzurteil auf den Wert der Sache erstreiten kann, ohne zuerst einen Herausgabeprozess samt erfolgloser Vollstreckung führen zu müssen. Andererseits wird der Schuldner vor einer überbordenden Schadensersatzpflicht geschützt, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Gläubigers möglich ist: Dem Gläubiger wird durch die naturale Herausgabe ja nur das „aufgedrängt“, was er ursprünglich ohnehin haben wollte, 155 Vgl.
etwa MünchKomm-BGB/Bieber, 2012, § 546a Rn. 19 f.: Nur in Ausnahmefällen wird dies anders liegen, z.B. wenn der Vermieter die vermietete Gewerbeimmobilie nach der Räumung durch den Mieter für seinen eigenen Betrieb nutzen wollte, und er infolge der Verzögerung andere Räume kaufen oder anmieten musste. 156 Zu Beweiserleichterungen durch Vermutungsregeln vgl. Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311, 319 ff. 157 S. oben § 5.II.3.c) (S. 291 f.). 158 Vgl. eingehend Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311, 317 ff. sowie unten § 5.VII.1.c) (S. 392 ff.).
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und auch das nur, wenn der Schuldner nachweist, dass keine schutzwürdigen Interessen des Gläubigers dagegen sprechen.
6. Die schadensrechtliche Parallelregelung in § 250 BGB Im Schadensrecht findet die Vorschrift des § 281 BGB eine Parallele in der Fristsetzungsregelung des § 250 BGB. Diese regelt nach zutreffender h.M. den Übergang von der Naturalrestitution durch den Schädiger auf den Geldersatz für ein Deckungsgeschäft, d.h. die Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schädigers.159 Dementsprechend ist der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift sehr gering, weil der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB in den meisten Fällen des Schadensersatzes ohnehin ein freies Wahlrecht zwischen Naturalrestitution durch den Schädiger und dem Ersatz der hierfür erforderlichen Kosten hat,160 und weil überdies häufig schon die nach § 249 Abs. 1 BGB zu ersetzende Einbuße in einer Geldsumme besteht, so dass für § 250 BGB kein Raum ist.161 Zudem ist diese Vorschrift beim Schadensersatz der Leistung nicht anwendbar, weil hier der Rechtsgedanke des § 281 Abs. 4 BGB einer erneuten schadensrechtlichen Fristsetzung entgegensteht.162 Innerhalb ihres Anwendungsbereichs fallen drei wesentliche Unterschiede zu § 281 BGB ins Auge: Zunächst ist – wie nach § 326 BGB a.F. – zusätzlich zur Fristsetzung noch eine Ablehnungsandrohung erforderlich. Ferner fehlt eine Parallelregelung zu den Tatbeständen der Entbehrlichkeit der Fristsetzung in § 281 Abs. 2 BGB. Und schließlich enthält § 250 S. 2 Hs. 2 BGB eine Abweichung von § 281 Abs. 4 BGB insoweit, als der Herstellungsanspruch schon bei Fristablauf erlischt, und nicht erst dann, wenn der Kostenersatz geltend gemacht wird.
a) Ablehnungsandrohung und Wegfall des Herstellungsanspruches Anders als § 281 Abs. 1 BGB genügt für den Übergang nach § 250 BGB nicht die bloße Fristsetzung, sondern es ist zusätzlich die Androhung erforderlich, dass der Geschädigte die Naturalherstellung nach Fristablauf nicht mehr annehmen werde. Das setzt voraus, dass der Geschädigte eindeutig zu erkennen gibt, dass er nach Fristablauf auf einer Geldleistung bestehen werde, zur Annahme der Naturalrestitution also definitiv nicht mehr bereit sein würde.163 159 Grundlegend Frotz, JZ 1963, 391 ff.; Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 4; Münch-
Komm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 1; unentschieden zwischen Restitutionskosten und Wertersatz H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 V 1 (S. 233 f.). 160 S. oben § 4.II.2.b) (S. 223 f.). 161 Vgl. BGH NJW 2013, 450. 162 S. unten § 5.VII.2.b) (S. 399 f.). 163 Vgl. BGHZ 40, 345, 352; BGH WM 1965, 287; NJW-RR 1987, 44; 1990, 971; 1996, 700; NJW 1992, 2220, 2222; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 V 3 (S. 234); MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 7.
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Diese Ablehnungsandrohung dient – wie die Zusammenschau mit § 250 S. 2 Hs. 2 BGB ergibt – nicht in erster Linie dem Schutz des Schädigers, sondern v.a. dem des Geschädigten, weil dieser – anders als nach § 281 Abs. 4 BGB – seinen Herstellungsanspruch bereits mit Fristablauf verliert, nicht erst mit dem Verlangen der Herstellungskosten. Dem entspricht das genannte Erfordernis der Eindeutigkeit der Ablehnungsandrohung, das den Geschädigten vor dem unfreiwilligen Verlust des Herstellungsanspruches schützt. Aus dem gleichen Grund ist es zutreffend, wenn die Rechtsprechung dem Geschädigten das Recht zubilligt, trotz des Verlusts des Herstellungsanspruches nach § 250 S. 2 Hs. 2 BGB gleichwohl wieder auf diesen zurück zu wechseln, wenn sich herausstellt, dass der Schädiger zur Geldleistung nicht in der Lage ist, wohl aber zur Naturalrestitution.164 Auch wenn in dem Erfordernis einer Ablehnungsandrohung und in der Rechtsfolge des § 250 S. 2 Hs. 2 BGB eine Systemwidrigkeit gegenüber § 281 Abs. 1 BGB liegt, ist es methodologisch unzulässig, dieses im Wege einer systematischen Korrektur aus dem ausdrücklichen Tatbestand des § 250 BGB zu entfernen und die Norm so an § 281 BGB systematisch anzugleichen. Diese Aufgabe obliegt allein dem Gesetzgeber. Bei der Anwendung der Norm – insbesondere bei der Auslegung von Ablehnungsandrohungen – ist aber zugunsten des Geschädigten zu berücksichtigen, dass die Ablehnungsandrohung durch die Reform vom Regelfall zur Anomalie geworden ist. Es sollte dem Geschädigten daher nicht zum Nachteil gereichen, wenn er eine Frist setzt und dabei die Ablehnungsandrohung vergisst: Erfüllt der Schädiger innerhalb der Frist seine Herstellungspflicht nicht, so sollte die erneute Fristsetzung (dann mit Ablehnungsandrohung) gem. § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB entbehrlich sein, weil schon der erste Fristablauf gezeigt hat, dass der Schädiger zur Herstellung nicht bereit ist. Nach Ablauf der ersten Frist sollte dann ein Wahlrecht des Geschädigten zwischen Herstellung und Geldersatz bestehen, da der Herstellungsanspruch im Falle der Entbehrlichkeit der Fristsetzung erst mit dem Verlangen von Geldersatz endgültig untergeht.165 Diese Lösung nähert die praktischen Ergebnisse zu § 250 BGB dem § 281 BGB an, ohne die Norm jedoch in methodologisch bedenklicher Weise zu derogieren.
b) Entbehrlichkeit der Fristsetzung Regelungen über die Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach dem Vorbild des § 281 Abs. 2 BGB enthält § 250 BGB nicht. Das war nach altem Schuldrecht unproblematisch, weil auch § 326 BGB a.F. keine solchen Regelungen enthielt, 164 MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 11; BeckOK-BGB/Schubert, 01.11.2011, § 250 Rn. 10; a.A. Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 9. 165 Vgl. BGH WM 1965, 287; NJW-RR 1987, 43, 44; NJW 1992, 2221, 2222; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 7 a.E.; Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 7 a.E.
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sondern die Rechtsprechung die Ausnahmen aus § 242 BGB herleitete.166 Da der Gesetzgeber durch die Schuldrechtsreform hieran nichts ändern wollte, können diese Entbehrlichkeitsvorschriften weiterhin angewandt werden. Dogmatisch vorzugswürdig ist aber anstelle der Herleitung aus § 242 BGB heute eine Analogie zu § 281 Abs. 2 BGB,167 ohne dass sich in der Sache hierdurch etwas gegenüber dem früheren Rechtszustand ändern würde. Im Rahmen der allgemeinen Abwägung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB sind daher zwanglos auch die Fälle zu lösen, in denen die Naturalherstellung in der Praxis so unüblich ist, dass die Fristsetzung aussichtslos ist.168
III. Unmöglichkeit Bereits mehrfach wurde oben erwähnt, dass ein durchsetzbarer – vertraglicher oder gesetzlicher – Anspruch auf Naturalerfüllung bei Unmöglichkeit der Naturalleistung sinnlos ist. Die Leistungspflicht mag dann zwar noch als dogmatische Grundlage für eine Sekundärhaftung wegen Nichterfüllung („Pflichtverletzung“ in der Terminologie der §§ 280 ff. BGB) herhalten, wie das in § 311a Abs. 2 BGB und § 283 BGB vorgesehen ist;169 ein durchsetzbarer Erfüllungsanspruch ist aber sinnlos, weil das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht mehr in Natur befriedigt werden kann. Eindeutig ist diese Lage aber nur bei der (nachgewiesenen) endgültigen physischen Unmöglichkeit der Naturalleistung, d.h. wenn die Leistung von niemandem in der Gegenwart oder Zukunft erbracht werden kann. Unter „Unmöglichkeit“ im rechtlichen Sinne werden aber auch zahlreiche weitere Leistungshindernisse verstanden, die nicht mit der gleichen Eindeutigkeit zum Ausschluss des Naturalleistungsanspruches bzw. zum Übergang auf eine Geldleistungspflicht führen müssen. Hierauf soll der Schwerpunkt der nachfolgenden Erörterungen liegen.
1. Die Funktionen der Unmöglichkeit Der Begriff der Unmöglichkeit im deutschen Recht hat genau genommen drei Funktionen: Zunächst führt die Unmöglichkeit zum Ausschluss des Anspruches auf die Primärleistung (§ 275 Abs. 1 BGB); ferner ist sie Grundlage eines Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 166 Vgl. etwa BGHZ 40, 345, 352; BGHZ 143, 42, 46 (Entbehrlichkeit bei Erfüllungsverweigerung). 167 Ebenso MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 250 Rn. 7. 168 Vgl. BGHZ 40, 345, 352 zur Stellung eines Ersatzfahrzeugs durch die Versicherung des haftpflichtigen Unfallgegners. 169 S. oben § 4.IV.2 (S. 247 ff.).
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BGB, sofern auch dessen weitere Voraussetzungen vorliegen, insbesondere der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat; und schließlich kann die Unmöglichkeit auf der Ebene des Vertretenmüssens die Haftung auf Schadensersatz völlig ausschließen, wenn das Leistungshindernis nicht zu vertreten ist.170 Die ersten beiden Funktionen können zusammengefasst als Übergangstatbestand begriffen werden, welcher den Anspruch auf Naturalerfüllung durch einen Schadensersatzanspruch ersetzt;171 die dritte Funktion ist ein Haftungsbefreiungstatbestand. Ob ein Übergang oder eine vollständige Befreiung stattfindet, hängt nach deutschem Recht davon ab, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Ausschlussfunktion ist für die physische Unmöglichkeit ontologisch vorgegeben;172 die Befreiungsbzw. Übergangsfunktion ist eine Frage positiv-rechtlicher Wertung und kann z.B. durch rechtsgeschäftliche Garantieübernahmen oder auch durch eine generelle gesetzliche Garantiehaftung modifiziert werden. Dogmatisch gesehen liegen die beiden Funktionen der Unmöglichkeit auf unterschiedlichen Ebenen: Die Übergangsfunktion betrifft den Bestand des Anspruches auf die Naturalleistung, die Befreiungsfunktion das Vertretenmüssen als Voraussetzung einer Schadensersatzhaftung. Das ist vor allem im Hinblick auf die Rechtsvergleichung von Bedeutung, weil in Rechtsordnungen, die keinen durchsetzbaren Naturalleistungsanspruch vorsehen, die erste Funktion gegenstandslos ist, während die zweite Funktion ihre Bedeutung für die Frage behält, ob die Nichterfüllung dem Schuldner zurechenbar ist. Die Unmöglichkeit wirkt hier als Unterfall der force majeure bzw. der frustration typischerweise als Entlastungstatbestand.173 Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung ist allein die erste Funktion der Unmöglichkeit von Bedeutung, also der Übergangstatbestand, der sich aus einer Zusammenschau von § 275 Abs. 1 BGB und § 283 BGB ergibt.
170 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 198; ähnlich U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 327. Vgl. auch Canaris, in: R. Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 43, 44, der die doppelte Funktionalität in der Befreiung von der Naturalleistungspflicht einerseits und als Haftungsgrundlage für den Schadensersatzanspruch andererseits sieht. 171 Vgl. etwa Himmelschein, AcP 135 (1932), 255, 258; ders., AcP 158 (1959/1960), 273, 275; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, 2004, S. 282 ff.; Dieckmann, ZGS 2008, 14, 15; s. auch Rödl, Die Spannung der Schuld, 2002, S. 64 ff.: „Umschalttatbestand“. 172 Vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 199; Canaris, in: R. Schulze/Schulte- Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 43, 49 sowie bereits von Wächter, AcP 15 (1832), 97, 115 f. 173 Vgl. zum französischen Recht Fages, Droit des obligations, 42013, n° 310 ff.; zum englischen Recht Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 334 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung.
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2. Unmöglichkeit und Wertung Die Neufassung und Aufteilung des § 275 BGB in die Abs. 1 und 2–3 haben es ermöglicht, ontologische Fragen von Wertungsfragen zu trennen und § 275 Abs. 1 BGB tatsächlich für die naturgesetzliche oder rechtliche174 Unmöglichkeit zu reservieren.175 Terminologisch sollte daher folgende Einteilung zugrunde gelegt werden: Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB ist nur die echte, physische oder rechtliche Unmöglichkeit, wo also unter jedem denkbaren Aufwand (einschließlich des Rückgriffs auf Dritte) der Schuldner oder jedermann nicht in der Lage ist, die Leistung zu erbringen, ohne dass hierfür eine rechtliche Wertungsentscheidung über die Zumutbarkeit der Leistungserbringung erforderlich wäre.176 In diesen Fällen (und nur in diesen!) ist der automatische und wertungsunabhängige Ausschluss des Naturalerfüllungsanspruches gerechtfertigt. Alle anderen Fälle, in denen die Erbringung der Leistung theoretisch möglich ist, auch wenn der Schuldner hierfür selbst ein Deckungsgeschäft am Markt vornehmen müsste – und dies möglich ist, sei es auch mit großem finanziellen Aufwand –, sind keine Fälle der Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB, sondern nur Fälle, in welchen eine grobe Unverhältnismäßigkeit i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB oder persönliche Unzumutbarkeit i.S.v. § 275 Abs. 3 BGB in Betracht kommt. Diese Norm bietet die zutreffenden Ansatzpunkte für die hier erforderliche Bewertung, welcher Leistungsaufwand dem Schuldner zuzumuten bzw. wirtschaftlich sinnvoll ist; die Kategorie der Unmöglichkeit in § 275 Abs. 1 BGB ist hierfür ungeeignet. Nur in diesem engen Sinne soll der Begriff der Unmöglichkeit auch im Folgenden verwendet werden. Allerdings ist zu beachten, dass die Unmöglichkeit auch in diesem engen Sinne noch Wertungsentscheidungen erfordert, nämlich über die Reichweite der ursprünglichen Schuld: Ob etwas unmöglich geworden ist, ist tatsächlich eine ontologische Frage; was aber unmöglich werden muss, ist eine Frage des Inhalts der ursprünglichen Schuld,177 und hier bestehen erhebliche Wertungsspielräume: Zunächst hinsichtlich der Frage, ob die Leistungspflicht auf ein Ergebnis oder nur auf eine bestimmte Handlung (ein „Versuchen“, ein Ergebnis
174 S. zur rechtlichen Unmöglichkeit näher Jäpel, Rechtliche Unmöglichkeit und gesetzliches Verbot, 2014, S. 42 ff. 175 So auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 168 ff.; M. Becker, RW 2013, 123, 133 ff. 176 Ebenso auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 133 ff., 140 ff.; ähnlich zum alten Recht auch Rödl, Die Spannung der Schuld, 2002, S. 53 ff., 70 ff. 177 Vgl. zur Abhängigkeit der Unmöglichkeit von der Bestimmung des Schuldinhalts nur S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 312 ff.; MünchKomm- BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 33 sowie im (aufschlussreichen) medizinrechtlichen Kontext M. Becker, RW 2013, 123, 136 ff.; grundlegend Himmelschein, AcP 135 (1932), 255, 282.
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herbeizuführen) gerichtet ist;178 Wertungen erfordert auch die Abgrenzung zwischen Stückschuld und Gattungsschuld, die dafür entscheidend ist, ob Unmöglichkeit eintritt, wenn ein einzelnes Stück nicht mehr geleistet werden kann: Je weiter die ursprüngliche Leistungspflicht gefasst wird, desto eher ist die Leistung noch möglich. Praktisch wird dies etwa bei der Frage des Anspruches auf Nacherfüllung beim Stückkauf, bei welchem viele Autoren Unmöglichkeit einer Nachlieferung annehmen, weil diese nicht den ursprünglich geschuldeten Gegenstand verschafft, so dass allenfalls eine Nachbesserung in Betracht komme.179 Nimmt man hier jedoch großzügiger entweder beim Stückkauf vertretbarer Sachen ohne besonderes Interesse des Käufers an dem verkauften Stück eine Gattungsschuld (oder zumindest eine Stückschuld mit ersetzbarer Primärleistung180) an,181 so ist die Nachlieferung nicht unmöglich. Ist dann die Wertungsfrage hinsichtlich des Schuldinhaltes entschieden, erfordert die Beurteilung der Unmöglichkeit der Erfüllung i.S.v. § 275 Abs. 1 keine weitere Wertung mehr. Dieses enge Verständnis der Unmöglichkeit, das im Folgenden zugrunde gelegt wird, ermöglicht eine trennscharfe Abgrenzung zu den Fällen der groben Unverhältnismäßigkeit in § 275 Abs. 2 BGB und zugleich eine technisch präzise Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB.182
3. Objektive und subjektive Unmöglichkeit Der Wortlaut des § 275 Abs. 1 BGB unterscheidet zwischen subjektiver („für den Schuldner“) und objektiver („für jedermann“) Unmöglichkeit. Die objektive Unmöglichkeit im oben dargestellten physischen oder rechtlichen Sinne bereitet dabei keine Schwierigkeiten: Erfasst sind Fälle, in denen es aus naturgesetzlichen oder rechtlichen Gründen für jedermann völlig ausgeschlossen ist, die Naturalleistung zu erbringen. Ein klassisches Schulbeispiel ist der Verkauf eines bestimmten Gemäldes (Stückkauf) als Werk eines berühmten Meisters, während es in Wahrheit ein Werk eines Schülers oder Epigonen ist: Hier ist es naturgesetzlich ausgeschlossen, die Urheberschaft des Gemäldes nachträglich zu ändern, so dass der Sachmangel objektiv für jedermann unbehebbar ist (objektive qualitative Unmöglichkeit). Ebenso ist es bei der Verpflichtung zur Herstellung eines Werkes, das naturwissenschaftlich nicht herstellbar ist, etwa eines perpetuum mobile. Objektiv unmöglich ist auch die Erfüllung eines abso178 Vgl. dazu im Hinblick auf Kartenlegen und andere „übernatürliche“ Leistungen BGH NJW 2011, 756. 179 So etwa U. Huber, FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 523 Fn. 9; Faust, ZGS 2004, 252, 253 ff.; im Ausgangspunkt auch T. Ackermann, JZ 2002, 378, 379. 180 Vgl. zu dieser Figur Canaris, FS H.P. Westermann, 2008, S. 137 ff. 181 So etwa T. Ackermann, JZ 2002, 378, 381 f.; E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2005: Schuldrechtsmodernisierung, 2006, S. 118; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 253. 182 In diesem Sinne auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 168 ff.
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luten Fixgeschäfts nach Ablauf des Erfüllungszeitraums.183 In derartigen Fällen ist ein Anspruch auf Naturalerfüllung sinnlos, weil es weder einen Grund gibt, den Gläubiger statt eines (etwaigen) Übergangs auf einen Geldleistungsanspruch an der – auf immer ausgeschlossenen – naturalen Vertragsdurchführung festzuhalten, noch der Schuldner durch ein Leistungsurteil oder gar dessen Vollstreckung zur Leistung angehalten werden könnte. Erfasst ist aber auch die subjektive Unmöglichkeit „für den Schuldner“ (sog. Unvermögen). Diese Kategorie führt nicht mit der gleichen Evidenz zur Notwendigkeit des Überganges vom Natural- auf einen Geldleistungsanspruch. Denn wenn eine Leistung zwar für den Schuldner unmöglich, für einen Dritten aber möglich ist, könnte auch der Schuldner den Dritten mit der Naturalleistung auf eigene Kosten beauftragen.184 Ist der Schuldner etwa nicht Eigentümer der verkauften Sache, so könnte er sie dem Dritteigentümer abkaufen und an den Gläubiger liefern lassen; fehlen ihm die Kenntnisse oder Fähigkeiten, das beauftragte Werk herzustellen, kann er ein entsprechend spezialisiertes Fachunternehmen mit der Herstellung beauftragen. In Wahrheit ist die Leistung auch für ihn daher nicht unmöglich, sofern es sich nicht um eine höchstpersönliche Leistungspflicht handelt, die kein Dritter übernehmen könnte (wobei dann mit Unmöglichkeit in der Person des Schuldners bereits objektive Unmöglichkeit eintritt185). Die Frage ist vielmehr lediglich, ob dem Schuldner zugemutet werden kann, einen Dritten auf eigene Kosten mit der Leistung zu beauftragen. Das ist aber keine wertungsfreie Frage der naturgesetzlichen Unmöglichkeit mehr, sondern eine solche der rechtlichen Wertung, namentlich der Bestimmung des Maßes der vom Schuldner geschuldeten Anstrengungen.186 Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn man den Schuldner generell nicht für verpflichtet hält, sich zur Erfüllung der Hilfe Dritter zu bedienen:187 Beschränkt man den Schuldinhalt – unabhängig vom Vorliegen einer höchstpersönlichen Leistungspflicht – von vornherein auf die Eigenleistung durch den Schuldner selbst, so ist die Unmöglichkeit für den Schuldner tatsächlich der objektiven Unmöglichkeit gleichwertig. Gleiches gälte, wenn man die Formu183 Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 46 und dazu unten § 5.VI.1.a) (S. 372 f.). 184 Vgl. etwa BGHZ 131, 176, 183; BAG NZA 2005, 118, 120; OLG München NJW-RR 2012, 826; Hk-BGB/R. Schulze, § 275 Rn. 15; zur kaufrechtlichen Nacherfüllung Medicus, ZIP 1996, 1925, 1927. 185 Vgl. M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 584 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 38; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 141; für subjektive Unmöglichkeit allerdings Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 63, weil die Person des Schuldners im Vordergrund stehe. 186 Ebenso Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 19 ff.; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 142 ff.; Erman/H. P. Westermann, § 275 Rn. 15; PWW/ Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 12; etwas enger U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 328; Bartels/Sajnovits, JZ 2014, 322, 324: Abstellen auf das konkrete vertragliche Pflichtenprogramm. 187 In diese Richtung offenbar Jürgen Kohler, AcP 205 (2005), 93, 121.
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lierung „soweit diese für den Schuldner […] unmöglich ist“ in § 275 Abs. 1 BGB dahingehend versteht, dass dem Schuldner niemals zugemutet werden könnte, sich zur Erfüllung Dritter zu bedienen: Auch dann wäre die subjektive Unmöglichkeit stets kraft Gesetzes als vollständige Unmöglichkeit zu werten. Gegen eine solche einschränkende Auslegung spricht jedoch entscheidend, dass der Schuldner ohnehin sehr häufig nicht persönlich zur Erbringung der geschuldeten Leistung in der Lage ist. Abgesehen von juristischen Personen, die schon aufgrund der Natur der Sache nicht selbst handeln können, sondern nur durch ihre Organe, ist auch in sonstigen Fällen die Einschaltung von Erfüllungsgehilfen selbstverständlich möglich und geschuldet. Niemand käme etwa auf die Idee, die Pflicht eines Generalunternehmers zur Herstellung eines Wohnhauses mit der Begründung zu verneinen, dies sei ihm (subjektiv) unmöglich, weil er nicht über die erforderlichen Fähigkeiten als Installateur, Maurer o.ä. verfüge und überdies sich die erforderlichen Baumaterialien nicht in seinem Eigentum befänden: Selbstverständlich ist der Generalunternehmer verpflichtet, hierfür Erfüllungsgehilfen einzuschalten, ohne sich auf subjektive Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 Alt. 1 BGB berufen zu können.188 Sollte einer der vorgesehenen Erfüllungsgehilfen ausfallen, ist er zudem verpflichtet, für Ersatz zu sorgen und das Haus ggf. mit anderen Unternehmern fertigzustellen, wiederum ohne sich auf subjektive Unmöglichkeit berufen zu können. Gegen die Annahme subjektiver Unmöglichkeit als Übergangstatbestand in Fällen, in denen der Schuldner ein Deckungsgeschäft bei einem Dritten abschließen könnte, spricht ferner, dass er dann, wenn er die „subjektive Unmöglichkeit“ zu vertreten hat, die Kosten des Deckungsgeschäfts mit dem leistungsfähigen Dritten ohnehin gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 Abs. 1 BGB als Schadensersatz statt der Leistung zu tragen hat. Dann aber sind keine Gründe ersichtlich, ihn nicht zur Herbeiführung des Leistungserfolges in Natur zu verurteilen, da er diesem Urteil eben durch die Beauftragung des Dritten auf eigene Kosten nachkommen könnte. Gegenüber der bloßen Schadensersatzverurteilung hätte ein Leistungsurteil in dieser Konstellation den Vorteil, dass dem Schuldner nicht nur die monetären Kosten des Deckungsgeschäfts aufgebürdet würden, sondern darüber hinaus auch die „weichen“, als Schadensersatz nicht realisierbaren Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts (Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten). Würde man hier subjektive Unmöglichkeit annehmen, so wäre eine Verurteilung zur Naturalleistung aber durch § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, so dass ausschließlich eine Schadensersatzverurteilung in Betracht käme. 188 Vgl. auch OLG Hamm NZBau 2007, 709, 710; s. auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 54 dazu, dass ein Mieter, der vertraglich die Räum- und Streupflicht übernommen hat, hierzu aber körperlich nicht mehr in der Lage ist, verpflichtet ist, einen Dritten damit zu beauftragen.
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Die Folge dieser Auffassung ist aber eine erhebliche Einengung des Anwendungsbereichs der subjektiven Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 Alt. 1 BGB.189 Diese kommt nur in Betracht, wenn zwar ein Dritter zur Leistung in der Lage ist, aber objektiv völlig ausgeschlossen ist, dass er die Leistung auch für den Schuldner erbringt, egal was der Schuldner ihm dafür bietet.190 Das kann auch der Fall sein, wenn dieser Dritte objektiv unauffindbar ist (z.B. ein Dieb der geschuldeten Sache). Weitere Beispiele sind rechtliche Verbote für den Schuldner selbst, die er auch nicht durch Einschaltung Dritter umgehen kann, z.B. der Entzug einer Gaststättenerlaubnis für einen Mieter, der sich gegenüber dem Vermieter zum Betrieb einer Gaststätte verpflichtet hatte – aber nur, wenn die Betriebspflicht nach dem Vertragsinhalt nicht auf einen Treuhänder delegiert werden darf.191 Die übrigen Fälle sind dann tatsächlich eine Frage der Leistungserschwerung i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB bzw. der Unzumutbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB,192 nicht der Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB.193 Die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB bietet dann insbesondere die Möglichkeit, den vom Schuldner geschuldeten Aufwand zur Leistungserbringung zu bestimmen, insbesondere welchen Preis er einem leistungsfähigen Dritten bezahlen müsste, damit dieser die Leistung erbringt. Folgerichtig stellt § 275 Abs. 2 S. 2 BGB auch darauf ab, ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat oder nicht; denn bei einer zu vertretenden Leistungserschwerung schuldet er ohnehin Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, so dass er jedenfalls gegenüber Leistungsanstrengungen bis zur Höhe des geschuldeten Schadensersatzes (der seine eigenen kalkulierten Leistungserbringungskosten regelmäßig übersteigt) nicht schutzwürdig ist.194
4. Vorübergehende Leistungshindernisse Unmöglichkeit wurde oben ohne weiteres als „endgültiges Leistungshindernis“ definiert, und insoweit ist der Ausschluss des Anspruches auf Naturalerfüllung zwingend. Steht dagegen nicht fest, dass das Leistungshindernis dauerhaft sein wird, sondern besteht eine Möglichkeit, das Leistungshindernis noch zu 189 Ebenso MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 54; Gsell, JZ 2004, 110, 118; PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 12; Looschelders, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 213, 216 f.; anders E. Picker, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 1, 26 f., der konsequenterweise davon ausgeht, dass Unvermögen und Unverhältnismäßigkeit i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB nicht voneinander zu unterscheiden sind. 190 Vgl. etwa BGHZ 141, 179, 182; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 53. 191 Vgl. BGH LM § 275 Nr. 3; DB 1957, 1223. 192 Vgl. für Arbeitsleistungen etwa MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 39. 193 Ähnlich Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 366 f.; Rödl, Die Spannung der Schuld, 2002, S. 70 ff., allerdings zum alten Schuldrecht. 194 Vgl. zur Rolle des Vertretenmüssens bei § 275 Abs. 2 S. 2 BGB eingehend unten § 5. IV.2.d) (S. 337 ff.).
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beheben, so liegt keine Unmöglichkeit in diesem Sinne vor. Beispiele für derartige vorübergehende Leistungshindernisse sind ein Embargo, das den Import der verkauften Ware verbietet, ein befristetes Berufsverbot, das der geschuldeten Tätigkeit entgegensteht, oder wenn eine Ausnahmegenehmigung von einem gesetzlichen Verbot erst beschafft werden muss. Insoweit von „einstweiliger“, „zeitweiliger“ oder „vorübergehender Unmöglichkeit“ zu sprechen,195 scheint terminologisch nicht glücklich, weil damit eine Anwendung des Unmöglichkeitsrechts, also der §§ 275, 283, 326 BGB, insinuiert wird, und damit die Möglichkeit eines sofortigen Überganges vom Naturalerfüllungs- auf den Geldleistungsanspruch. Gerade die Anwendung dieser Vorschriften ist in den Fällen einstweiliger Leistungshindernisse jedoch alles andere als selbstverständlich. Zudem wäre dann jede Leistungsverzögerung, die nicht ad hoc beseitigt werden kann (z.B. die Fertigstellung eines Rohbaus), und zweifellos schlicht den Tatbestand des Verzuges verwirklicht, zugleich „vorübergehend unmöglich“.196 Um insoweit terminologische Verwirrungen oder Vorfestlegungen zu vermeiden, soll daher im Folgenden von „einstweiligen Leistungshindernissen“ die Rede sein.197 Gleichwohl werden – und insoweit ist der Terminus „vorübergehende Unmöglichkeit“ berechtigt198 – nur solche Leistungshindernisse relevant, die tatsächlich, wenn sie von Dauer wären, die Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1, 2 oder 3 BGB ausschließen würden. Hindernisse, deren Überwindung dem Schuldner etwa im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB zuzumuten ist, können nicht einmal als „vorübergehende Unmöglichkeit“ berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Behandlung vorübergehender Leistungshindernisse ist zwischen den beiden Funktionen des Primäranspruches nach deutschem Recht zu unterscheiden: Soweit er lediglich als dogmatische Grundlage eines Überganges auf den Geldleistungsanspruch dient, steht kein als solcher durchsetzbarer Naturalleistungsanspruch im Raum, dessen Vollstreckung an dem vorübergehenden Leistungshindernis scheitern könnte. Insoweit spielt das Leistungshindernis daher nur bei der Frage eine Rolle, ob der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten hat. Nur wenn tatsächlich ein Urteil auf Naturalleistung begehrt 195 So die Titel der Beiträge von Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143 ff. („einstweilige Unmöglichkeit“); Kaiser, FS Hadding, 2004, S. 121 ff.; Gsell, FS Buchner, 2009, S. 267 ff. („zeitweilige Unmöglichkeit“); A. Arnold, JZ 2002, 866 ff.; Däubler, FS Heldrich, 2005, S. 55 ff.; Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347 ff.; Harke, ZRG (RA) 123 (2006), 102 ff. („vorübergehende Unmöglichkeit“). 196 Krit. daher auch P. Schmidt, Die Unmöglichkeit der Erfüllung in Ansehung der Zeit, 2007, S. 87 ff.; Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347. 197 Vgl. bereits Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 1902, S. 124: Soweit die vorübergehende Unmöglichkeit kein unbehebbar obligationswidriges Verhältnis schaffe, sei sie überhaupt keine Unmöglichkeit, sondern komme „nur als Verzögerung der Leistung in Betracht“. Ebenso die Terminologie bei Treichel, Zeitweilige Leistungshindernisse, 2010, passim. 198 Vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 145.
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wird, muss dem Schuldner eine Möglichkeit gewährt werden, sich auf das Leistungshindernis zu berufen, um sinnlosen Vollstreckungsmaßnahmen zu entgehen.
a) Der Erfüllungsanspruch während des Bestehens des Leistungshindernisses Problematisch ist zunächst das Schicksal des Anspruches auf Naturalerfüllung während des Bestehens des Leistungshindernisses. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Schuldner wirklich auf Erfüllung verurteilt werden können soll, wenn feststeht, dass er derzeit nicht leisten kann. Insoweit sind verschiedene Lösungsmodelle denkbar: Der Erfüllungsanspruch könnte nach § 275 Abs. 1 BGB insgesamt ausgeschlossen, also erloschen sein; er könnte – nach dem Rechtsgedanken des § 275 Abs. 1 BGB zumindest derzeit ausgeschlossen sein, so dass eine Erfüllungsklage als „derzeit unbegründet“ abzuweisen wäre;199 dann würde sich die Anschlussfrage stellen, ob der Gläubiger wenigstens ein Urteil auf künftige Leistung (§ 259 ZPO)200 oder sogar eine bedingte Verurteilung201 erlangen könnte. Und schließlich kann der materiell-rechtliche Anspruch uneingeschränkt fortbestehen und die Lösung des Sachproblems dem Vollstreckungsrecht überantwortet werden. Unstreitig dürfte sein, dass ein vollständiger und endgültiger Ausschluss des Erfüllungsanspruches nach § 275 Abs. 1 BGB keine sachgerechte Lösung des Problems einstweiliger Leistungshindernisse darstellt. 202 Denn wenn die Leistung später wieder möglich wird, wäre der Anspruch gleichwohl ausgeschlossen, so dass die naturale Vertragsdurchführung ohne sachlichen Grund endgültig scheitert. Die überwiegende Auffassung spricht sich jedoch in Anwendung des Rechtsgedankens des § 275 Abs. 1 BGB – und in Anlehnung an einen Formulierungsvorschlag des Regierungsentwurfes203 – dafür aus, den Erfüllungsanspruch während des Bestehens des Leistungshindernisses zu suspendieren. Überwiegend wird dabei angenommen, der Anspruch sei während des Beste-
199 So die h.M., vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 147; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 308; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, 2005, S. 209 ff.; Däubler, FS Heldrich, 2005, S. 55, 59; Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347, 349; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 134 m.w.N. 200 Bejaht von der h.M., vgl. Fn. 199. 201 So Kaiser, FS Hadding, 2004, S. 121, 129; ähnlich Harke, ZRG (RA) 123 (2006), 102, 148 ff. 202 Vgl. nur Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 145 f.; Treichel, Zeitweilige Leistungshindernisse, 2010, S. 137. 203 Nach § 275 Abs. 1 BGB-RegE (Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 6 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 441) sollte die Leistungspflicht ausgeschlossen sein, „soweit und solange“ sie für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist.
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hens des Leistungshindernisses nicht fällig204 oder zumindest nicht durchsetzbar. 205 Jedenfalls sei eine Leistungsklage als „derzeit unbegründet“ abzuweisen. 206 Unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO könne der Gläubiger Klage auf künftige Leistung erheben. 207 Zugleich sei bei gegenseitigen Verträgen der Anspruch auf die Gegenleistung suspendiert, sei es gem. § 320 BGB oder nach dem Rechtsgedanken des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. 208 Eine Alternative zu dieser materiell-rechtlichen Lösung bestünde darin, dem Anspruch auf Naturalerfüllung während des Bestehens des Leistungshindernisses lediglich die Klagbarkeit zu nehmen, 209 nur eine bedingte Verurteilung „für den Fall des Wegfalls des Leistungshindernisses“ zuzulassen, 210 oder sogar den Schuldner uneingeschränkt zur Leistung zu verurteilen und die Lösung des Sachproblems dem Vollstreckungsverfahren zu überlassen. 211 Gegen die letztgenannte Lösung spricht allerdings, dass damit die Feststellung des Bestehens eines Leistungshindernisses gänzlich aus dem Erkenntnisverfahren ausgeklammert und in das Vollstreckungsverfahren verlagert wird. Das Vollstreckungsverfahren ist aber strukturell für derartige Sachverhaltsfeststellungen nicht geeignet: Der Gerichtsvollzieher kann etwa im Rahmen der Wegnahmevollstreckung nach §§ 883 ff. ZPO lediglich den Schuldner aufsuchen und nach der Sache suchen, ohne dass er weitere Erhebungen (z.B. Zeugenvernehmungen) zum etwaigen Verbleib der Sache vornehmen könnte. Seine einzige Handhabe ist die eidesstattliche Versicherung nach § 883 Abs. 2 ZPO. Der eintretende Zustand wäre für Gläubiger und Schuldner gleichermaßen unbefriedigend: Der Gläubiger hätte nicht mehr die Möglichkeiten des Erkenntnisverfahrens, den Verbleib der geschuldeten Sache zu ermitteln, sondern könnte nur auf gut Glück Vollstreckungsversuch um Vollstreckungsversuch unternehmen; der Schuldner wäre dauernden – u.U. auch kreditschädigenden – erfolglosen Vollstreckungs204
Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 136, 146; Gsell, FS Buchner, 2009, S. 267, 270 ff., 272. 205 Vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 155; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 48, 77. 206 Vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 146 f.; A. Arnold, JZ 2002, 866, 869; Münch Komm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 134; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 308; Däubler, FS Heldrich, 2005, S. 55, 59; Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347, 349; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 46; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 4 Rn. 25. 207 Vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 114; U. Huber, Leistungsstörungen I, 1999, § 3 I 2 b (S. 68); Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 84 f.; K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 49, 62; vgl. auch RG, JW 1919, 188 f. 208 Vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 150; Däubler, FS Heldrich, 2005, S. 55, 59; Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 8 Rn. 8. 209 So wohl Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 4 Rn. 25. 210 So Kaiser, FS Hadding, 2004, S. 121, 129. 211 So Kuhlmann/Nauen, FS Ehmann, 2005, S. 31, 59 ff.; zum alten Schuldrecht auch Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), 279, 281 f.
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versuchen ausgesetzt. 212 Im Falle der Verurteilung zu vertretbaren Handlungen käme evtl. hinzu, dass der Gläubiger die Vollstreckung durch Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners nach § 887 ZPO einleiten und damit de facto Schadensersatz statt der Leistung auch dann erlangen könnte, wenn der Schuldner das Hindernis nicht zu vertreten hat. 213 Diese Nachteile können aber durch eine bedingte Verurteilung zur Leistung umgangen werden, 214 die indessen keinen Gegensatz zu der oben skizzierten materiell-rechtlichen Lösung (Suspendierung des Erfüllungsanspruches), sondern vielmehr ihre prozessuale Ergänzung darstellt: Wird der Schuldner infolge der vorübergehenden materiell-rechtlichen Suspendierung des Erfüllungsanspruches nur verurteilt, nach Wegfall des (konkret bezeichneten) Hindernisses zu leisten, so handelt es sich um ein Urteil auf eine bedingte Leistung i.S.v. § 726 ZPO. Um daraus vollstrecken zu können, muss zunächst der Gläubiger den Wegfall des Hindernisses entweder über öffentliche Urkunden (§ 726 Abs. 1 ZPO) oder – realistischer Weise – im Klauselerteilungsverfahren nach § 731 ZPO nachweisen. 215 Das Klauselerteilungsverfahren ist ein gewöhnliches Erkenntnisverfahren, das dem Gläubiger alle Nachweismöglichkeiten eröffnet.216 Prozessual ist eine derartige bedingte Verurteilung das exakte Abbild des materiellen Rechts: Der Erfüllungsanspruch besteht dem Grunde nach, kann aber gegenwärtig wegen des Leistungshindernisses nicht in Natur durchgesetzt werden. Zudem dient sie der Prozessökonomie, weil die Rechtskraft des bedingten Leistungsurteils dazu führt, dass im Klauselerteilungsverfahren nur noch der Wegfall des Hindernisses geprüft wird, nicht aber aufs Neue der Bestand des Erfüllungsanspruches. Würde man dem Gläubiger ansinnen, stets eine erneute Leistungsklage zu erheben, müsste der Bestand der Forderung dem Grunde nach stets erneut geprüft werden, ohne dass eine Bindung an die Ergebnisse der ersten Leistungsklage bestünde.
212 Vgl.
Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 148 f. Allerdings dürften nur schwer Fälle denkbar sein, in denen für den Schuldner ein beachtliches Leistungshindernis besteht, das gleichwohl im Wege der Ersatzvornahme überwunden werden kann: Entweder handelt es sich um eine höchstpersönliche Leistungspflicht, dann ist auch eine Ersatzvornahme nach § 887 ZPO ausgeschlossen; oder die Leistungspflicht ist vertretbar, dann kann auch der – persönlich unvermögende – Schuldner ein Deckungsgeschäft zugunsten des Gläubigers vornehmen, so dass nicht einmal ein vorübergehendes Leistungshindernis besteht (s. dazu oben § 5.III.3 (S. 310 ff.)). 214 Dafür Kaiser, FS Hadding, 2004, S. 121, 129; anders Gsell, FS Buchner, 2009, S. 267, 272 ff.: Befristete Verurteilung ab dem Moment, für den der Schuldner den Fortbestand des Hindernisses nicht mehr beweisen kann; generell gegen eine Klage auf zukünftige Leistung bei vom Beklagten zu beweisenden vorübergehenden Einwendungen Eichel, Künftige Forderungen, 2014, S. 323. 215 Vgl. auch Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 147; a.A. aufgrund einer umgekehrten Sicht der Beweislast Gsell, FS Buchner, 2009, S. 267, 274. 216 Vgl. nur Musielak/Lackmann, § 731 Rn. 6. 213
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Zulässig ist eine derartige bedingte Verurteilung in der Tat aufgrund einer Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO. Die hierfür erforderliche Besorgnis, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde, ergibt sich bereits aus dem ernsthaften Bestreiten der Leistungspflicht. 217 Der Zulässigkeit der Klage auf künftige Leistung sollte nicht entgegenstehen, dass der Schuldner die Leistungspflicht dem Grunde nach anerkennt, sich aber auf das vorübergehende Hindernis beruft; denn auch in dieser Situation hat der Gläubiger ein legitimes Interesse daran, das Bestehen des Hindernisses sachlich prüfen und feststellen zu lassen. Erkennt der Schuldner den Anspruch jedoch mit dieser Einschränkung sofort an, und erweist sich das Hindernis als tatsächlich bestehend, so sollte der Kläger die Verfahrenskosten nach § 93 ZPO (für den anerkannten Teil) i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO (hinsichtlich der Einschränkung) zu tragen haben. 218 In den Urteilstenor ist die Bedingung aufzunehmen, unter welcher die Leistungspflicht des Schuldners steht, d.h. der Wegfall des (genau bezeichneten) Leistungshindernisses. 219 Bei Wegfall des Hindernisses muss (und kann) der Gläubiger dann die Klauselerteilungsklage nach § 731 ZPO erheben. Da diese Verurteilung ein minus gegenüber einer vom Gläubiger eventuell beantragten unbeschränkten Verurteilung des Schuldners zur Leistung darstellt, kann das Gericht sie ohne weiteres vornehmen, ohne gegen § 308 Abs. 1 ZPO zu verstoßen. Damit dürfte sie in allen Fällen einstweiliger Leistungshindernisse zulässig sein; für eine Abweisung der Klage als „derzeit unbegründet“ (mit der Folge, dass der Gläubiger nach Wegfall des Hindernisses erneut Leistungsklage erheben muss)220 besteht danach kein Raum mehr. Bei vorübergehenden Leistungshindernissen ist daher der Erfüllungsanspruch analog § 275 Abs. 1–3 BGB (in den Fällen der Abs. 2 und 3 BGB nur nach Erhebung der Einrede) als vorübergehend suspendiert anzusehen;221 prozessual führt das zu einer Verurteilung des Schuldners zur zukünftigen Leistung gem. § 259 ZPO.
b) Der Übergang auf den Geldleistungsanspruch Hinsichtlich des Überganges vom Naturalerfüllungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch steht im deutschen Recht die Anwendung der §§ 283, 326 BGB einerseits oder der §§ 281, 323 BGB andererseits im Raum. Sähe man das vorübergehende Leistungshindernis als Fall der Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB an, so könnte der Gläubiger ohne weiteres bei Fälligkeit auf den 217
Vgl. nur MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, § 259 Rn. 13; Gsell, JZ 2004, 110, 115. in der Sache auch Gsell, FS Buchner, 2009, S. 267, 276 ff., allerdings mit dem Ziel einer befristeten statt einer bedingten Verurteilung. 219 Vgl. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, § 259 Rn. 17. 220 So – außerhalb der Voraussetzungen des § 259 ZPO – die h.M., vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 148; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 134 und die übrigen Nachw. aus Fn. 199. 221 Ebenso BGH NZI 2013, 457, 463 (Rn. 52). 218 So
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Schadensersatzanspruch aus § 283 BGB übergehen, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat, und andernfalls zumindest die Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrags nach § 326 BGB begehren. Das gälte konsequenterweise auch dann, wenn das Leistungshindernis zwar bei Fälligkeit besteht, aber in absehbarer Weise bald behoben werden würde. Die im Rahmen des Vorrangs der Naturalerfüllung und seiner Sicherung durch ein Fristsetzungserfordernis maßgebliche Wertung, dass der Gläubiger zunächst regelmäßig auch dann noch ein Interesse an der Naturalleistung hat, wenn diese bei Fälligkeit nicht sogleich erbracht wurde, und dass zugleich auch im Falle einer anfänglichen Leistungsstörung das Naturalandienungsinteresse des Schuldners grundsätzlich schutzwürdig bleibt, 222 behält indessen auch bei vorübergehenden Leistungshindernissen Gültigkeit. Auch hier ist dem Gläubiger regelmäßig zuzumuten, dem Schuldner eine Frist zur Naturalleistung zu setzen, bevor er auf einen Geldleistungsanspruch übergeht (oder vom Vertrag zurücktritt). 223 Nur dann, wenn bereits absehbar ist, dass die Naturalleistung durch den Schuldner frühestens zu einem Zeitpunkt erfolgen kann, in dem der Gläubiger infolge der Verzögerung kein Interesse mehr an der Naturalleistung durch den Schuldner hat, sondern zur Realisierung seiner Verwendungsplanung ein Deckungsgeschäft vornehmen muss, oder ihm das weitere Zuwarten aus anderen Gründen nicht mehr zugemutet werden kann (etwa weil er schnell Klarheit über die Durchführung des Vertrags benötigt), kann ihm der sofortige Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung (bzw. mindestens der Rücktritt) gestattet werden. Diese – teleologisch überzeugende – Rechtsfolge wird teilweise damit begründet, dass ein vorübergehendes Leistungshindernis gem. § 242 BGB dann einem dauernden Hindernis gleichzustellen sei, wenn das weitere Zuwarten auf die Leistung dem Gläubiger nicht mehr zumutbar sei, und wenn auch dem Schuldner nicht mehr zugemutet werden konnte, den Vertrag nach Beseitigung des Hindernisses noch zu erfüllen. 224 Danach würden sich die Rechtsfolgen aus den §§ 283, 326 BGB ergeben, sobald die Unmöglichkeit gem. § 242 BGB als dauernde zu behandeln wäre. Allerdings ermöglichen diese Vorschriften nur den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz bei Fälligkeit der Leistung, ohne insoweit Raum für die erforderliche Abwägung zu lassen. Vorzugswürdig ist es demgegenüber, diese Prüfungen in den §§ 281, 323 BGB zu verorten, die einerseits regelmäßig das Erfordernis einer Fristsetzung vorsehen (§§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB), und andererseits die erforderliche Interessenabwägung 222
S. oben § 4.III.2 (S. 227 ff.). auch Harke, ZRG (RA) 123 (2006), 102, 150 f.; Kuhlmann/Nauen, FS Ehmann, 2005, S. 31, 50 f. 224 So zum alten Schuldrecht bereits BGHZ 83, 197, 200 f.; Larenz, Schuldrecht I, 141987, § 21 I a (S. 306); zum neuen Schuldrecht Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347, 351, 354 ff.; wohl auch Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, 2005, S. 213 f. 223 Vgl.
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für den sofortigen (oder zumindest vorzeitigen) Übergang auf die Sekundär ebene in § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB ausdrücklich vorsehen. 225 Die zum alten wie zum neuen Schuldrecht erörterte Frage, wann eine „vorübergehende Unmöglichkeit“ der dauernden Unmöglichkeit gleichzustellen sei, 226 stellt sich damit nicht mehr: Eine solche Gleichstellung ist nicht erforderlich, weil der sofortige bzw. vorzeitige Übergang auf die Sekundärebene auch ohne die dogmatische Einordnung als Unmöglichkeit aufgrund der Interessenabwägung gem. § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB möglich ist. Insoweit kann insbesondere auch berücksichtigt werden, dass das Hindernis – mag die genaue Dauer auch unklar sein – jedenfalls sicher nicht binnen der gem. § 281 Abs. 1 BGB zu setzenden „angemessenen Frist“ behoben werden kann, so dass dem Gläubiger gestattet werden kann, ohne Fristsetzung zum Schadensersatz überzugehen bzw. zurückzutreten, weil in derartigen Fällen die Fristsetzung sicher nicht zu einer Erfüllung führen wird.227 Allerdings setzt die Anwendung der §§ 281, 323 BGB nach deren Wortlaut eine fällige und nach h.M. auch eine durchsetzbare228 Primärleistungspflicht voraus. Ein denkbarer Einwand gegen die hier vertretene Auffassung könnte darin bestehen, dass die Suspendierung des Erfüllungsanspruches entsprechend § 275 Abs. 1 BGB die Fälligkeit oder Durchsetzbarkeit in diesem Sinne ausschließt. Teleologisch dient das ungeschriebene Kriterium der Durchsetzbarkeit jedoch dazu, den Schuldner vor einem Verlust seiner Naturalandienungsmöglichkeit zu bewahren, solange er berechtigt ist, die Leistung zu verweigern; denn insoweit fehlt es an einer Pflichtverletzung des Schuldners, die den Übergang des Gläubigers auf Sekundärrechte rechtfertigen könnte. 229 Ob die „Suspendierung“ der Naturalleistungspflicht die Durchsetzbarkeit in diesem Sinne hindert, ist wiederum anhand des Zwecks der Suspendierung zu beurteilen: Hier geht es allein darum, ein (unbeschränktes) Urteil auf Naturalerfüllung zu verhindern, um den Schuldner vor der Zwangsvollstreckung wegen eines gegenwärtig nicht realisierbaren Anspruches zu schützen. Dieser Gesichtspunkt betrifft aber ausschließlich die Verurteilung zur Leistung in Natur, nicht dagegen die „virtuelle“ Funktion des Primäranspruches als Voraussetzung des Überganges auf Sekundärrechte. Vielmehr schützt ein Leistungshindernis niemals vor dem Übergang auf Sekundärrechte (Schadensersatz oder Rücktritt), sondern führt diesen im Falle der echten (dauernden) Unmöglichkeit umgekehrt sogar 225 Ebenso
Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 154 ff., 160. Vgl. etwa Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 51 ff.; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 4 Rn. 24; Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347, 349 f. 227 Ebenso MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 145; A. Arnold, JZ 2002, 866, 869; Kuhlmann/Nauen, FS Ehmann, 2005, S. 31, 51 Fn. 99; vgl. auch BGH NJW-RR 2003, 13; KG NJW-RR 2009, 1180, 1181, jeweils zu § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B. 228 Vgl. dazu Herresthal, Jura 2008, 561 ff. 229 Vgl. dazu eingehend Herresthal, Jura 2008, 561, 562 f. 226
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unmittelbar herbei (vgl. §§ 283, 326 BGB), ohne dass der Ausschluss der Naturalleistungspflicht gem. § 275 Abs. 1 BGB dem entgegenstünde. Die „Pflichtverletzung“, die § 280 Abs. 1 BGB auch in diesem Fall fordert, besteht schlicht in der Nichterfüllung der Leistungspflicht, ohne dass es – in diesem Rahmen – darauf ankäme, ob der Grund in einem dauernden oder vorübergehenden Leistungshindernis oder gar in bloßem Unwillen des Schuldners liegt; diese Fragen sind allein bei der Frage relevant, ob der Schuldner das Ausbleiben der Erfüllung zu vertreten hat. 230 Daher steht die Suspendierung der Naturalleistungspflicht gem. § 275 Abs. 1 BGB nur der unbeschränkten Verurteilung zur Leistung in Natur entgegen, nicht aber dem Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung gem. § 281 BGB. 231 Insoweit von einer „fiktiven Fälligkeit“ bzw. „fiktiven Durchsetzbarkeit“ zu sprechen 232 oder gar die §§ 281, 323 BGB nur analog anzuwenden, 233 scheint nicht erforderlich, da schlicht das – ohnehin nur ungeschriebene – Tatbestandsmerkmal der „Durchsetzbarkeit“ seinem Zweck entsprechend ausgelegt wird. Der Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB setzt neben dem fruchtlosen Ablauf einer dem Schuldner gesetzten Frist (bzw. deren Entbehrlichkeit) voraus, dass der Schuldner die Nichterfüllung bei Fristablauf zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Im Falle eines vorübergehenden Leistungshindernisses kommt es dabei darauf an, ob er das Hindernis zu vertreten hat oder nicht. Ist das Hindernis erst eingetreten, als er sich bereits im Verzug befand, haftet er gem. § 287 S. 2 BGB grundsätzlich auch für zufällige Leistungshindernisse. 234
c) Anwendung der Verzugsfolgen Das gleiche wie für die §§ 281, 323 BGB gilt für die Anwendung der Verzugsfolgen: Auch insoweit steht die Suspendierung des Naturalerfüllungsanspruches infolge des vorübergehenden Leistungshindernisses nicht der Annahme einer fälligen, durchsetzbaren Leistungspflicht entgegen. 235 Hat der Schuldner das vorübergehende Leistungshindernis zu vertreten (§ 286 Abs. 4 BGB), so kommt er durch eine Mahnung oder ein Mahnungssurrogat i.S.v. § 286 Abs. 2 BGB in
230
Vgl. eingehend Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1082 f., 1088, 1092 ff. A. Arnold, JZ 2002, 866, 869 sowie im Ergebnis S. Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 2006, S. 5, 79 f.; Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 155 f.; MünchKomm-BGB/ W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 148. 232 So etwa S. Lorenz, Karlsruher Forum 2005, 2006, S. 5, 79 f.; ebenso Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 155 f.; dagegen Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347, 350. 233 So MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 145, 148. 234 Vgl. dazu näher Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1099 f. 235 Ebenso BGH NZI 2013, 457, 463 (Rn. 52). 231 Ebenso
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Verzug. 236 Eine Mahnung ist hier auch nicht etwa generell sinnlos: Sie kann den Schuldner zu erhöhten Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses anhalten und ihm die Dringlichkeit des Leistungsverlangens vor Augen führen. 237 Kann der Schuldner auf das Hindernis ohnehin keinen Einfluss nehmen, so ist auch die Mahnung nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB) entbehrlich. 238 Hat der Schuldner das vorübergehende Leistungshindernis dagegen nicht zu vertreten, bleibt die bloße Leistungsverzögerung trotz Mahnung folgenlos; der Gläubiger kann lediglich (aber immerhin) nach Fristsetzung gem. § 323 BGB vom Vertrag zurücktreten.
5. Unsichere Unmöglichkeit In der Praxis ist durchaus nicht immer klar, ob die Leistung des Schuldners tatsächlich unmöglich geworden ist oder der Schuldner dies nur zu seinem Schutz behauptet. Nach der zum alten Schuldrecht herrschenden Auffassung konnte der Schuldner dann, wenn er eine etwaige Unmöglichkeit jedenfalls zu vertreten hätte, ohne sachliche Prüfung der Unmöglichkeit zur Leistung verurteilt werden.239 Der Gläubiger erhielt dadurch die Möglichkeit, nach Rechtskraft des Leistungsurteils und Fristsetzung ohne weitere Voraussetzungen zum Schadensersatz statt der Leistung überzugehen (§ 283 BGB a.F.). Auf diese Weise konnte er erheblichen Druck auf den Schuldner ausüben, seine Leistungspflicht zu erfüllen. 240 Diese Möglichkeit besteht nach neuem Recht nicht mehr, weil die Befreiung des Schuldners von der Naturalleistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB unabhängig vom Vertretenmüssen eintritt. 241 Beruft sich der Schuldner im Prozess auf die Unmöglichkeit der Leistung, so liegt darin stets ein erhebliches Bestreiten der Naturalleistungspflicht, so dass diese Frage durch Beweiserhebung zu klären ist. 242 Die Beweislast für die Unmöglichkeit trägt nach den allgemeinen
236 Vgl. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 161 ff.; a.A. Medicus, FS Heldrich, 2005, S. 347,
353 f.
237
Vgl. zu diesem Zweck der Mahnung Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 744 ff. Canaris, FS U. Huber, 2006, S. 143, 162 f. 239 Grundlegend RGZ 54, 28, 32 f.; vgl. ferner RG SeuffA 67, Nr. 74; RGZ 88, 76, 77 f.; RGZ 107, 15, 17; RGZ 109, 234, 235; RGZ 160, 257, 263; BGH NJW 1974, 1552, 1554; BGH NJW 1999, 2034, 2035; Palandt61/Heinrichs, § 275 Rn. 25; für das Unvermögen auch Brehm, JZ 1974, 573, 575. 240 Vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 117. 241 Vgl. nur Gsell, JZ 2004, 110, 118. 242 Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 165; Zimmer, NJW 2002, 1, 2; K aiser, MDR 2004, 311, 313; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 8 Rn. 2 f. 238 Vgl.
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Regeln der Schuldner. 243 Eine Verurteilung des Schuldners zur Leistung ohne Beweiserhebung über die von diesem behauptete Unmöglichkeit scheidet damit aus. Die praktische Bedeutung dieser Änderung gegenüber der früheren Rechtslage ist aber minimal: Erstrebt der Gläubiger tatsächlich eine Naturalvollstreckung, so entspricht es auch seinem Interesse, dem Einwand der Unmöglichkeit nachzugehen, weil die Naturalvollstreckung ausscheidet, wenn die Naturalleistung tatsächlich unmöglich ist. Gelingt dem Schuldner der Nachweis der Unmöglichkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts, so wird er zur Leistung verurteilt; scheitert die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gleichwohl, so kann der Gläubiger auch jetzt noch eine Frist nach § 281 Abs. 1 BGB setzen und auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen (vgl. dazu auch § 893 ZPO); diese Vorschrift übernimmt insoweit die Funktion des § 283 BGB a.F. 244 Daneben kann er gem. § 255 ZPO auch eine Fristsetzung durch das Gericht beantragen. 245 Will der Gläubiger jedoch lediglich die Möglichkeit eines Übergangs auf den Schadensersatzanspruch schaffen, so kann er dem Schuldner jederzeit – auch noch während des laufenden Prozesses – eine Frist zur Leistung nach § 281 Abs. 1 BGB setzen. Nach fruchtlosem Fristablauf kann das Gericht die Frage der Unmöglichkeit offenlassen und den Schuldner auf wahlweiser Grundlage von § 281 Abs. 1 BGB oder § 283 BGB zum Schadensersatz verurteilen, wenn der Schuldner sich hinsichtlich des Vertretenmüssens nicht entlastet, da die Voraussetzungen einer der beiden Vorschriften dann auf jeden Fall erfüllt sind. 246 Der Gläubiger kann seinen ursprünglichen Leistungsantrag unproblematisch gem. § 264 Nr. 3 ZPO auf den Schadensersatzantrag umstellen 247 oder einen Schadensersatzantrag zumindest hilfsweise für den Fall stellen, dass das Gericht zur Annahme von Unmöglichkeit gelangt.
IV. Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse Als ein wesentlicher Fall, in welchem die naturale Erfüllung eines Anspruches ineffizient und das Bestehen des Gläubigers auf dieser daher missbräuchlich sein kann, wurde oben die Situation identifiziert, dass die Leistungserbrin243 Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 162; Jürgen Kohler, AcP 205 (2005), 93, 95. 244 Vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 111 f.; Dedek, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 183, 191. 245 Vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 115. 246 Vgl. bereits S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 191. 247 Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, 275 Rn. 166; Jürgen Kohler, AcP 205 (2005), 93, 100; Gsell, JZ 2004, 110, 120.
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gungskosten des Schuldners das Leistungsinteresse des Gläubigers überschreiten. 248 In dieser Situation ist es in der Tat prima facie effizient, den Gläubiger mit einem Anspruch auf das Geldinteresse abzufinden, um dem Schuldner einen Leistungsaufwand zu ersparen, der beim Gläubiger keinen entsprechend hohen Vorteil generiert. Auf diese Weise wird eine Verschwendung von Ressourcen und die damit verbundene Senkung der Wohlfahrt vermieden. Ein Schulbeispiel hierfür ist der verkaufte (oder testamentarisch vermachte) Ring, der auf den Seegrund gefallen ist und nur mit einem Aufwand (theoretisch) wieder geborgen werden kann, der den Wert, den der Ring für den Gläubiger repräsentiert, bei weitem überschreitet. 249 Lebensnäher ist etwa der Fall, dass die Beseitigung eines geringfügigen (aber nicht duldungspflichtigen) Überbaues über das Grundstück des Gläubigers ein Vielfaches desjenigen kostet, was die überbaute Grundstücksfläche dem Gläubiger wert ist. 250 Daher sehen alle hier untersuchten Rechtsordnungen Mechanismen vor, die in derartigen Fällen den Anspruch auf Naturalerfüllung ausschließen: In Frankreich zeigt die Rechtsprechung zwar – trotz des scheinbar entgegenstehenden Wortlauts des Art. 1142 Code Civil – eine starke Tendenz zur Verurteilung auch zu unverhältnismäßigen Naturalleistungen. 251 Der Entwurf des bureau du droit des obligations für ein reformiertes Schuldrecht sieht in seinem Art. 129 a.E. eine Regelung vor, die – nach dem Vorbild des § 275 Abs. 2 BGB – Ansprüche auf Naturalerfüllung ausschließt, wenn diese mit offensichtlich unvernünftigen Aufwendungen verbunden sind. 252 Diese Regelung betrifft – wie ihr deutsches Vorbild – lediglich den Naturalleistungsanspruch, nicht dagegen die Haftung des Schuldners wegen Nichterfüllung. Auch die Rechtsprechung im common law verweigert im Rahmen einer Ermessensentscheidung (discretion) einen – ansonsten gegebenen – Anspruch auf Naturalerfüllung (specific performance), wenn der Aufwand des Schuldners zur Leistungserbringung
248
S. oben § 3.III.3.d)bb) (S. 184 ff.). Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, § 28 Nr. 8 (S. 89) nennt dieses Beispiel „viel gebraucht“. 250 Vgl. die Konstellationen in BGH NJW 2008, 3122; NJW 2008, 3123; NJW-RR 2010, 315; NJW 2010, 2341; OLG Brandenburg BeckRS 2010, 26421; OLG Stuttgart BeckRS 2009, 26410 und dazu unten § 6.III.2 (S. 419 ff.). 251 Vgl. etwa Cass. civ. 3e v. 11.5.2005, n° 03–21136, Bull. civ. III, n° 103 = RTDCiv. 2005, 596 (Mestre/Fages): Verurteilung zu Abriss und Neubau eines Einfamilienhauses, weil die Höhe 33 cm hinter den vertraglichen Vereinbarungen zurückblieb; Cass. civ. 3e v. 17.1.1984, Bull. civ. III, n° 91: Abriss und Neubau eines Schwimmbades, weil statt der vereinbarten vier Stufen nur drei vorhanden waren. S. zu dieser Rechtsprechung aus rechtsvergleichender Sicht Fauvarque-Cosson, RDC 2006, 529 ff.; insgesamt krit. Fages, Droit des obligations, 42013, n° 286 mit Fn. 30. 252 Art. 129: „Le créancier d’une obligation de faire peut, après mise en demeure, en poursuivre l’exécution en nature sauf si cette exécution est impossible ou si son coût est manifestement déraisonnable.“ 249 Schon
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außer Verhältnis zum Interesse des Gläubigers an der Leistung ist.253 Im deutschen Recht schließlich kann dem Schuldner die Einrede der groben Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwands gem. § 275 Abs. 2 BGB zustehen. 254 Diese ist im Folgenden näher zu untersuchen. 255
1. Grundlagen a) Funktion des § 275 Abs. 2 BGB Die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB führt im praktischen Ergebnis nahezu zu einer Gleichstellung der groben Unverhältnismäßigkeit mit der Unmöglichkeit der Leistung. Der technische Unterschied besteht darin, dass die „echte“ Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB als rechtsvernichtende Einwendung ausgestaltet ist, die vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, während die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB vom Schuldner zu erheben ist. Nachdem in beiden Fällen allerdings der entlastende Sachverhalt vom Schuldner vorzutragen und ggf. zu beweisen ist, 256 beschränkt sich der praktische Unterschied darauf, dass der Schuldner in den Fällen des § 275 Abs. 2 BGB die Möglichkeit hat, zwischen der Naturalerfüllung und ihrer Verweigerung zu wählen, indem er ggf. auf die Erhebung der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB verzichtet. 257 Da in den relevanten Fällen die Erbringung der Naturalleistung noch möglich ist, ist dieses Wahlrecht des Schuldners sinnvoll, weil dieser – in seltenen Ausnahmefällen – ein Interesse daran haben kann, die Leistung doch in Natur zu erbringen, etwa um die weitere Geschäftsbeziehung zum Gläubiger nicht zu gefährden, weil er nicht bereit ist, das stellvertretende commodum nach § 285 BGB auszukehren, 258 oder weil der Gläubiger ihm einen anderweitigen Ausgleich für seine Mehraufwendungen zugesagt hat.
253 Vgl. Neufang, Erfüllungszwang, 1998, S. 172 f. und dazu eingehend oben § 2.VI.2.c) bb) (S. 131 ff.). 254 Gegen einen Zusammenhang zwischen § 275 Abs. 2 BGB und der Lehre vom effizienten Vertragsbruch Faust/Wiese, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 47, 58 f. 255 Vgl. zur historischen Entwicklung in Deutschland bis zur Schaffung des § 275 Abs. 2 BGB näher M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 168 ff. m.N. aus der Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform. 256 S. auch R. Freitag, NJW 2014, 113, 114, der in § 275 Abs. 2 und 3 BGB sogar Gestaltungsrechte sieht. 257 Vgl. etwa S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 320; Canaris, JZ 2001, 499, 504; krit. gegenüber der Einredekonstruktion Maier-Reimer, in: Dauner-Lieb/ Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 291, 293; NK-BGB/ Dauner-Lieb, § 275 Rn. 16; eingehend Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 385 ff. 258 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 145 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 688 f.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Im Übrigen ist die Regelung der groben Unverhältnismäßigkeit aber – zu Recht – von der Regelung der Unmöglichkeit abgeleitet, so dass auch die Funktionen der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB die gleichen sind wie die des Anspruchsausschlusses aus § 275 Abs. 1 BGB:259 In erster Linie bildet die Norm einen Übergangstatbestand vom Anspruch auf die Naturalleistung auf einen Geldanspruch. Dies jedenfalls dann, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat, weil dann an die Stelle der Naturalleistungspflicht ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB tritt. Liegen die Voraussetzungen für einen Sekundäranspruch nicht vor, so könnte sich § 275 Abs. 2 BGB sogar als Haftungsbefreiungstatbestand – und damit als Zufallsgeschenk an den Schuldner – auswirken. 260 Diese Funktion ist allerdings zweifelhaft, weil sie durch den Zweck der Vorschrift nicht verlangt wird: Der Schuldner soll vor einem übermäßigen Leistungsaufwand geschützt werden, der durch das Interesse des Gläubigers an der Naturalerfüllung nicht gerechtfertigt ist. Eine Befreiung auch vom gewöhnlichen Leistungsaufwand, zu dem der Schuldner eigentlich – d.h. ohne die Leistungserschwerung – verpflichtet gewesen wäre, ist durch diesen Zweck nicht gefordert. Diesen Aufwand hätte der Schuldner stets tragen müssen, und er hat kein schutzwürdiges Interesse daran, auch diesen Aufwand nur deshalb nicht mehr erbringen zu müssen, weil zusätzlicher Aufwand erforderlich (geworden) ist, den er nach § 275 Abs. 2 BGB verweigern kann. Die „gewöhnlichen“ Kosten der Leistungserbringung sollten daher nicht dem Schuldner belassen, sondern dem Gläubiger zugewiesen werden. Bei synallagmatischen Hauptleistungspflichten ist diese Wertung gesetzgebungstechnisch dadurch umgesetzt, dass der Schuldner auch im Falle nicht zu vertretender Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwandes nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB jedenfalls seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert, der typischerweise dem Wert des „gewöhnlichen“ Leistungsaufwands des Schuldners (sogar zuzüglich seines Vertragsgewinnes) entspricht (vgl. auch die Bewertung in § 346 Abs. 2 S. 2 BGB). Bei anderen, insbesondere gesetzlichen Leistungspflichten, geht die h.M. davon aus, dass der Schuldner von seiner Leistungspflicht bei einer nicht zu vertretenden Leistungserschwerung i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB vollständig und ersatzlos befreit wird. 261 Allerdings verbleibt auch hier zumindest ein Anspruch auf das stellvertretende commodum gem. § 285 BGB, der nach hier vertretener Auffassung auch einen Zugriff auf die ersparten „gewöhnlichen“ Aufwendungen des Schuldners erlaubt. 262 Damit hat § 275 Abs. 2 259
Vgl. dazu eingehend oben § 5.III.1 (S. 307 f.). So die h.M., vgl. etwa Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 222 ff., 308 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 101 ff.; BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 275 Rn. 52. 261 Vgl. die Nachweise in Fn. 260. 262 S. dazu unten § 5.IV.4.b) (S. 347 ff.) m.w.N. 260
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BGB auch bei nicht zu vertretenden Leistungshindernissen nur dann echte Befreiungswirkung, wenn der Schuldner infolge der Befreiung keine Leistungsaufwendungen erspart– etwa weil der im See versunkene Ring auch für ihn verloren ist, so dass sein Vermögen trotz der Leistungsbefreiung nicht gemehrt bleibt. Die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB erweist sich danach als reiner Übergangstatbestand von der Naturalleistungspflicht auf eine Geldleistung. Das Vertretenmüssen des Schuldners ist – auf der Rechtsfolgenseite263 – lediglich für die Höhe der Geldleistung relevant: Bei zu vertretenden Leistungserschwerungen ist Schadensersatz statt der Leistung geschuldet (§ 283 BGB), bei nicht zu vertretenden Erschwerungen Herausgabe der verbleibenden Bereicherung in Gestalt der ersparten „gewöhnlichen“ Leistungsaufwendungen (§ 285 BGB).
b) Verhältnis zur Unmöglichkeit Das Verhältnis der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB zur „echten“ Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB wurde bereits oben erörtert:264 Unter Abs. 1 der Vorschrift fallen nach der hier vertretenen Auffassung lediglich solche Leistungshindernisse, die schlechthin, d.h. unabhängig vom Aufwand des Schuldners, unüberwindbar sind, ohne dass zur Ermittlung der Unüberwindbarkeit eine Wertungsentscheidung erforderlich ist. Alle praktisch irgendwie überwindbaren Leistungshindernisse sind dagegen § 275 Abs. 2 BGB zugeordnet, weil diese Norm den zutreffenden (und v.a. hinreichend flexiblen) Bewertungsmaßstab bereithält, um zu ermitteln, welche Leistungsanstrengungen dem Schuldner im Hinblick auf das Naturalleistungsinteresse des Gläubigers noch zuzumuten sind.
c) Verhältnis zur Störung der Geschäftsgrundlage Unvorhergesehene Leistungserschwerungen können auch als Störungen der Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB angesehen werden. Das Verhältnis dieser Norm zur Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB wird häufig als sehr komplex empfunden. 265 Indessen gewinnt das Verhältnis beider Institute an Klarheit, wenn die Funktionen streng getrennt werden: Die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB reagiert lediglich auf die Ineffizienz des Anspruches auf Naturalerfüllung (ge263
Zur Berücksichtigung auf Tatbestandsseite s. unten § 5.IV.2.d) (S. 336). S. oben § 5.III.2 (S. 309 ff.). 265 Vgl. dazu etwa M. Stürner, Jura 2010, 721 ff.; Schmidt-Recla, FS Laufs, 2006, S. 641, 659 ff.; Looschelders, in: Remien (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, 2008, S. 63, 74 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 19 ff.; Schlüter, ZGS 2003, 346 ff. sowie monographisch M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 259 ff.; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007. 264
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genüber einer Geldleistung), während der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Störung des vertraglichen Äquivalenzgefüges insgesamt betrifft. 266 Beide Vorschriften kollidieren daher nicht miteinander, sondern ergänzen sich in ihrem Überschneidungsbereich:267 Erhöht sich mit der Leistungserschwerung zugleich das Leistungsinteresse des Gläubigers (etwa weil der Marktpreis des verkauften Guts seit Vertragsabschluss gestiegen ist), so liegt schon tatbestandlich kein Fall des § 275 Abs. 2 BGB vor, weil es an einem Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand des Schuldners (Beschaffungskosten) und Leistungsinteresse des Gläubigers (Kosten des Deckungsgeschäfts) fehlt. 268 Bleibt dagegen das Leistungsinteresse des Gläubigers trotz der Leistungserschwerung konstant, so kann 269 die Steigerung des Leistungsaufwands des Schuldners, die unterhalb der Schwelle des § 275 Abs. 2 BGB bleibt, zu einer schweren Äquivalenzstörung führen, die einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet. Soweit hier der Schuldner das Risiko einer Leistungserschwerung explizit oder implizit übernommen hat (z.B. durch eine Festpreisvereinbarung), 270 bleibt es bei der naturalen und unveränderten Durchführung des Vertrags. Überschreitet die Leistungserschwerung die Grenze des § 275 Abs. 2 BGB, so kann er sich dieser übermäßigen Belastung durch die Erhebung der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB entziehen, so dass keine Äquivalenzstörung eintritt; insoweit schließt § 275 Abs. 2 BGB den Wegfall der Geschäftsgrundlage tatbestandlich aus, auch wenn der Schuldner das Risiko der Leistungserschwerungen nicht übernommen hat. 271 Das von der wohl h.M. dagegen befürwortete freie Wahlrecht des Schuldners zwischen der Einrede des groben Missverhältnisses und dem Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. Aufhebung272 würde dagegen in den Fällen des groben Missverhältnisses zu Ergebnissen führen, die von den Parteien nicht vereinbart worden wären, denn die denkbare Vertragsanpassung könnte nur darin liegen, die Gegenleistung an den gestiegenen Leistungsaufwand anzupassen. Eine solche Anpassung würde aber in aller Regel dem Interesse des Gläubigers widersprechen, da ja gerade Voraussetzung der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB ist, dass der Leistungsaufwand des Schuldners – an dem sich der 266 Vgl. M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 261. 267 Vgl. zum Folgenden bereits S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 408. 268 Ebenso MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 21. 269 Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind insoweit nicht deckungsgleich, vgl. Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 278. 270 So die zutreffende Einschränkung bei M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 262. 271 Ebenso Mückl, Jura 2005, 809, 811. 272 Vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 115; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 23 f.; Schwarze, Jura 2002, 73, 78; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 62005, § 3 Rn. 68, § 27 Rn. 40; für Vorrang des § 313 BGB Schlüter, ZGS 2003, 346, 349 f.
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angepasste Vertragspreis orientieren müsste – in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers stehen muss. Daher wäre ohnehin nur ein Rücktrittsrecht aus § 313 Abs. 3 S. 1 BGB möglich, das in seinen praktischen Wirkungen einer Anwendung der §§ 275 Abs. 2, 326 BGB entspricht. 273 Ist dagegen die Grenze des § 275 Abs. 2 BGB nicht erreicht, und hat der Schuldner das Risiko der Leistungserschwerung nicht übernommen, so kommt lediglich eine Vertragsanpassung bzw. -aufhebung nach § 313 BGB in Betracht. 274
d) Verstoß gegen die Privatautonomie? Gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 2 BGB – bzw. genauer gesagt gegen einen Umkehrschluss aus dieser Norm – wird eingewandt, sie missachte den Grundsatz der Privatautonomie, weil sie vom Schuldner Leistungsanstrengungen verlange, die dessen ursprüngliche Kalkulation überschreiten. 275 Gemünzt ist dieses Argument ausschließlich auf vertragliche Verpflichtungen, weil bei gesetzlichen Ansprüchen von vornherein keine vorherige Kalkulation des schuldnerischen Leistungsaufwands in Betracht kommt. Zudem richtet es sich vor allem gegen die Erhöhung des Leistungsaufwands bei nicht zu vertretenden Leistungshindernissen;276 bei zu vertretenden Leistungshindernissen kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Schuldner zumindest zu Aufwendungen bis zur Höhe des Schadensersatzes statt der Leistung verpflichtet sein muss. Diese Kritik geht allerdings von der unzutreffenden Annahme aus, der Leistungsaufwand des Schuldners sei stets Gegenstand des Vertrags und damit Inhalt der privatautonomen Bindung beider (!) Parteien. 277 Dies würde jedoch voraussetzen, dass der „gewöhnliche“ Leistungsaufwand des Schuldners tatsächlich Gegenstand der vertraglichen Einigung der Parteien geworden ist. Bereits oben wurde indessen herausgearbeitet, dass die vertragliche Leistungspflicht 273 Ebenso
Mückl, Jura 2005, 809, 811. Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, 2005, S. 53 f. 275 Vgl. insbesondere E. Picker, JZ 2003, 1035 ff.; ders., FS Konzen, 2006, S. 687 ff.; ders., in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 1, 7, 11 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, passim, insbesondere S. 139 ff.; ders., GPR 2008, 262 ff.; J. Wilhelm, DB 2004, 1599 ff. (Ablehnung jedes Mehraufwands); einschränkend auch T. Ackermann, JZ 2002, 378, 382 f.; U. Huber, FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 546, 548 f., 561 f., 566; Vogt, Gesetzliche und rechtsgeschäftliche Beschränkungen der Mängelrechte des Käufers, 2005, S. 84 ff., 130: Beschränkung auf den Kaufpreis; dagegen zu Recht Canaris, JZ 2004, 214 ff. 276 So bereits im Titel seiner Beiträge E. Picker, JZ 2003, 1035 ff.; ders., FS Konzen, 2006, S. 687 ff. 277 Vgl. etwa Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 218: „… kann der Schuldner auf etwas in Anspruch genommen werden, was er mit dem zur Debatte stehenden Rechtsgeschäft nicht (mehr) versprochen hat.“ Ebenso E. Picker, JZ 2003, 1035, 1036; ders., FS Konzen, 2006, S. 687, 688: „Mehraufwandspflicht als Abkehr von der Regelung der Parteien“. 274 Ähnlich
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erfolgsbezogen definiert ist:278 Vereinbart (und daher geschuldet) ist lediglich die vereinbarte Leistung als Erfolg, nicht der Weg, auf welchem der Schuldner diesen Erfolg herbeiführt. 279 Gerade durch diese inhaltliche Beschränkung des Vertrags können die Risikosphären der Parteien voneinander getrennt werden, so dass die Kooperation durch Vertrag ökonomisch sinnvoll wird. Zwar will sich der Schuldner möglicherweise tatsächlich subjektiv nur in Höhe seines anfänglich kalkulierten Leistungsaufwands binden. Schon das ist allerdings zweifelhaft, weil dies im realen Vertragsgeschehen bedeuten würde, dass der Schuldner seine Kalkulation offen legen müsste, um mit dem Gläubiger eine Einigung über eine Beschränkung des geschuldeten Leistungsaufwands auf diese Kalkulation zu erzielen. Eine solche Offenlegung widerspricht aber eklatant seinem Verhandlungsinteresse, weil sie seinen Verhandlungsspielraum aufdeckt und dem Gläubiger so die Möglichkeit gibt, diesen bei den Preisverhandlungen voll auszunutzen. Selbst wenn aber der Schuldner tatsächlich seinen kalkulierten Leistungsaufwand aufdecken würde, hätte der Gläubiger regelmäßig keinen Anlass, sich auf eine Beschränkung des geschuldeten Aufwands einzulassen. Denn er hat ein erhebliches Interesse daran, dass der Schuldner seinen Leistungsaufwand bei unvorhergesehenen Leistungserschwerungen erhöhen muss, weil er sonst für das Ausfallrisiko anderweitig Sorge tragen, sich also gegen Leistungserschwerungen selbst versichern müsste. Für seine Kalkulation wären diese Versicherungskosten zum Vertragspreis hinzuzurechnen, so dass es für ihn wirtschaftlich darauf ankommt, wer das Risiko von Leistungserschwerungen günstiger versichern kann. Der Schuldner kann seinen Leistungsaufwand aber selbst optimal kalkulieren und absichern; er ist ja nicht gezwungen, die Leistung überhaupt zu versprechen, und kann dementsprechend entweder sein Leistungsversprechen – und damit den Inhalt der vertraglichen Vereinbarung – durch eine ausdrückliche oder konkludente Beschränkung auf den Vorrat, Belieferungsvorbehalte o.ä. einschränken, 280 oder Vorsorge treffen, indem er sich z.B. den Kaufgegenstand vor Vertragsschluss besorgt oder diesen gründlich untersucht, bei Werkverträgen die Kosten sorgfältig abschätzt und ggf. das Werkobjekt gründlich untersucht etc. Vor zu vertretenden Leistungserschwerungen kann er sich zudem durch die Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt schützen. Und 278
S. oben § 3.III.2.c) (S. 169 f.). Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, 2006, S. 67 ff., 70 ff. m. w. N.; vgl. zur Erfolgsbezogenheit des Leistungsbegriffs im BGB auch J. Emmert, Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten, 2001, S. 43 ff., 47 f. 280 Selbstverständlich können derartige Beschränkungen sowohl ausdrücklich als auch konkludent zum Vertragsinhalt gemacht werden (vgl. dazu auch Grigoleit, in: Artz/ Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 55, 61 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 30a); hier wird lediglich die Lösung des dispositiven Gesetzesrechts für den Fall untersucht, dass keine derartige Vereinbarung getroffen wurde. 279 Ebenso
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schließlich kann er sich gegen viele Risiken einfacher versichern als der Gläubiger (z.B. durch eine Hausrats- oder Betriebsmittelversicherung). Gerade das von Picker gebildete Beispiel des verkauften Cabrios, das dem Verkäufer gestohlen wird und in Murmansk wieder auftaucht, 281 zeigt das deutlich: Dieses Risiko kann der Verkäufer mit einer Sachversicherung (z.B. Kaskoversicherung für das Auto) absichern, der Käufer dagegen nicht. Der Gläubiger hat keine Möglichkeit, das Schutzniveau auf Schuldnerseite zu steuern; er kann auch nicht dessen Kalkulation übersehen und wissen, ob er die Ware schon vorrätig hat oder erst am Markt beschaffen muss etc., und weiß daher nicht einmal, welche Risiken er absichern müsste. 282 Der Umfang der letztendlich aus der vertraglichen Vereinbarung entstehenden Leistungspflicht hängt aber vom Willen beider Parteien ab, d.h. Schuldner und Gläubiger müssen sich im Vertrag auf einen geschuldeten Leistungsaufwand einigen. Schon der Umstand, dass die Vorratsschuld bzw. der Selbstbelieferungsvorbehalt bei der Gattungsschuld als Beschränkung empfunden werden, zeigt, dass das dispositive Recht von einer unbeschränkten Leistungspflicht ausgeht. 283 Lediglich bei der Stückschuld wird die Übernahme eines Beschaffungsrisikos als Ausnahme, das Fehlen einer Beschaffungspflicht als Regelfall angesehen. 284 Das betrifft aber lediglich das anfängliche Fehlen des Leistungsgegenstandes, nicht seinen nachträglichen Verlust beim Schuldner. Da eine Einigung über den geschuldeten Leistungsaufwand in der Praxis typischerweise nicht explizit erfolgt, 285 und auch eine konkludente Einigung nach dem Gesagten ausscheidet, weil die erforderlichen Kalkulationsgrundlagen nicht zu Tage treten, 286 muss das dispositive Recht eine Standardregelung vorsehen, die den Interessen beider Parteien entspricht. 287 Wegen der günstigeren Präventions- und Versicherungsmöglichkeit des Schuldners ist dies regelmäßig die Verlagerung der Risiken von Leistungserschwerungen auf den Schuldner. Daraus folgt dann die grundsätzliche Ergebnisbezogenheit der vertraglichen Leistungspflicht, auf deren Erfüllung sich der Gläubiger verlassen kann. Die von Picker und Lobinger vorgeschlagene Beschränkung des Leistungsaufwands auf den ursprünglich vom Schuldner kalkulierten Aufwand würde dagegen ein-
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E. Picker, JZ 2003, 1035, 1036. Grigoleit, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 55, 63; Tröger, ZVglRWiss 107 (2008), 383, 389 ff., 416 ff. 283 So i.E. auch Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, 2004, S. 79. 284 Vgl. nur S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 176; s. zum alten Recht auch U. Huber, Leistungsstörungen I, 1999, § 24 V (S. 606 ff.). 285 Abgesehen von einzelnen Beschränkungen wie z.B. Selbstbelieferungsvorbehalten. 286 Anders aber E. Picker, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 1, 11 f. 287 Vgl. dazu eingehend Unberath/Cziupka, AcP 209 (2009), 37, 37, 48 ff. sowie Grigoleit, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 55, 63 f. 282 Ähnlich
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seitig nur die Interessen des Schuldners berücksichtigen, ohne auf die Interessen des Gläubigers Rücksicht zu nehmen. Dabei wird allerdings nicht behauptet, die Erhöhung des Leistungsaufwandes bis zur Grenze des § 275 Abs. 2 BGB folge tatsächlich aus einer privatautonomen Vereinbarung der Parteien. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine dispositive gesetzliche Regelung, die als solche grundsätzlich heteronom wirkt. 288 Ähnlich wie die Bestimmung der geschuldeten Sorgfalt in § 276 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch die Bestimmung der erforderlichen Leistungsanstrengungen nach § 275 Abs. 2 BGB solange Aufgabe des Gesetzgebers bzw. des konkretisierenden Rechtsanwenders, wie die Parteien selbst keine abweichende Regelung getroffen haben.289 Der bloße Vertragsschluss über eine bestimmte Sachleistung ist aus den genannten Gründen noch keine abweichende Regelung in diesem Sinne, die den geschuldeten Leistungsaufwand reduzieren würde; erforderlich ist hierfür vielmehr die konkrete vertragliche Zuweisung bestimmter Risiken an eine Partei.
2. Die Abwägung gem. § 275 Abs. 2 BGB Nach § 275 Abs. 2 BGB setzt die Einrede voraus, dass der Aufwand des Schuldners „unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht.“ Die zentralen Bezugspunkte des groben Missverhältnisses sind also einerseits der Aufwand des Schuldners und andererseits das Leistungsinteresse des Gläubigers.290
a) Der Aufwand des Schuldners Verhältnismäßig eindeutig ist zunächst das Element des Leistungsaufwands des Schuldners: Dieser setzt sich aus seinem gegenständlichen und monetären Einsatz einerseits und seinem Arbeitseinsatz andererseits zusammen. 291 Der gegenständliche Einsatz ist der Wert des Leistungsgegenstands bzw. (als monetärer Einsatz) die Kosten, die der Schuldner zu dessen Beschaffung aufwenden muss; der Arbeitseinsatz betrifft die Verwendung der eigenen Arbeitskraft des Schuldners, die nicht ohne weiteres in Geld bemessen werden kann, aber 288 Vgl. zum Verhältnis von Autonomie und Heteronomie bei der Gestaltung dispositiven Vertragsrechts grundlegend Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S. 66 ff. 289 Vgl. auch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, 2010, S. 29. 290 Vgl. nur OLG München NJW-RR 2013, 1036, 1037; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 304 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 69 f.; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 87 ff. 291 Vgl. M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 173.
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gleichwohl zu dem Aufwand zählt, der in die Abwägung nach § 275 Abs. 2 BGB einzustellen ist. 292 Als Maß für die Arbeitskraft ist nicht nur der Betrag anzusetzen, den der Schuldner durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erzielen könnte (Opportunitätskosten), weil dies den Wert meist nicht vollständig erfasst, den seine Zeit für den Schuldner hat. Vielmehr kann der Leistungsaufwand für die Arbeitskraft auch dem entsprechen, was dem Schuldner seine Freizeit wert ist, m.a.W. welcher Betrag ihm normalerweise geboten werden müsste, damit er freiwillig auf die Freizeit verzichtet. Das dürfte in der Regel sein üblicher Arbeitslohn sein, ggf. sogar unter Berücksichtigung von Mehrarbeitszuschlägen. Immaterielle Aufwendungen des Schuldners dürften praktisch wohl nur schwer vorstellbar sein;293 ausgeschlossen sind sie jedoch nicht:294 Man denke etwa an eine verkaufte Sache, an welcher der Verkäufer noch vor der Lieferung an den Käufer ein besonderes Affektionsinteresse entwickelt (etwa weil er nunmehr besondere Erinnerungen mit ihr verbindet). Die Einbeziehung eines solchen Affektionsinteresses entspricht dem ökonomischen Zweck der Norm, einen Wohlfahrtsverlust durch die naturale Erfüllung zu vermeiden. Denn unter „Wohlfahrt“ im ökonomischen Sinne sind entgegen landläufigen Vorurteilen nicht nur geldwerte Interessen, sondern auch immaterielle Aspekte zu verstehen, weil auch diese den betroffenen Personen „etwas wert“ sind. 295 Sie sind im Hinblick auf die Einordnung als „Schuldneraufwand“ nicht anders zu bewerten als etwa eine Erhöhung der erforderlichen Arbeitsleistung, weil sich eine vertraglich versprochene Tätigkeit als aufwändiger herausstellt als ursprünglich vereinbart. Auch (unvorhergesehene296) Risiken, denen der Schuldner durch die Naturalleistung ausgesetzt wäre, sind bei seinem Aufwand zu berücksichtigen. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Nachteil für den Schuldner mit absoluter Sicherheit eintritt (dann ist er ohne weiteres dem Aufwand zuzurechnen) oder nur mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit. Er wird dann zwar nicht in voller Höhe, aber doch mindestens mit seinem statistischen Erwartungswert anzusetzen sein. 297 292 Vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 95; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 82. 293 So MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 82, Fn. 166. 294 Ebenso Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, 2004, S. 128 f.; a.A. M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 173 Fn. 40; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 62005, § 3 Rn. 79. 295 Vgl. R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 1.2 (S. 10 f.). 296 Vorhergesehene Risiken sind – wie auch der sonstige vorhergesehene Leistungsaufwand des Schuldners – schon deshalb nicht unverhältnismäßig, weil ihre Tragung durch den Schuldner „dem Inhalt des Vertrags“ entspricht (vgl. S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 308). 297 Ebenso Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 95.
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Abzustellen ist insoweit auf den gesamten Leistungsaufwand des Schuldners, nicht auf den Mehraufwand infolge der Leistungserschwerung. 298 Das folgt aus der ökonomischen Grundlage der Einrede, weil die Effizienz der naturalen Leistungserbringung nur aus einer Gegenüberstellung des Gesamtaufwands mit dem Gesamtertrag der Naturalleistung ermittelt werden kann. Eine Berücksichtigung lediglich des Mehraufwands wäre allenfalls dann unschädlich, wenn auf der Gegenseite auch nur der Gewinn berücksichtigt würde, Grundaufwand und Gegenleistung also aus der Berechnung „gekürzt“ würden. Das würde aber zum einen mittelbar doch zur – verfehlten 299 – Berücksichtigung des Vertragspreises führen, wenn dieser dem „Grundaufwand“ des Schuldners nicht entspricht, und zum anderen die Berechnung dann verfälschen, wenn der Gläubiger keinen kommerziellen Gewinn aus der Leistung zieht, weil dann das Missverhältnis des Schuldneraufwands zu einem Gewinn von Null mathematisch nicht ermittelt werden kann. Eine einigermaßen zuverlässige Ermittlung des Missverhältnisses ist daher nur auf der Basis von Gesamtaufwand des Schuldners auf der einen und Gesamtertrag des Gläubigers auf der anderen Seite möglich.
b) Das Leistungsinteresse des Gläubigers Das wesentliche Element des gläubigerischen Naturalleistungsinteresses ist zunächst – und insoweit mit dem Schadensersatz statt der Leistung übereinstimmend – das Substanzinteresse des Gläubigers, d.h. der reine Vermögenswert der Leistung für den Gläubiger, z.B. die Kosten der Beschaffung eines Ersatzgegenstandes am Markt (falls diese möglich ist). Hinzu kommt das Verwendungsinteresse, d.h. der Gewinn, den der Gläubiger aus der Verwendung der Sache zu ziehen plant, soweit er diesen nicht auch auf der Grundlage eines Deckungsgeschäfts ziehen könnte. Das Leistungsinteresse des Gläubigers in diesem Sinne ergibt sich damit aus seiner konkreten Verwendungsplanung (die damit spätestens im Prozess um den Erfüllungsanspruch aufgedeckt werden muss, wenn der Schuldner die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB erhebt). Auch (und vor allem) bei der Ermittlung des Leistungsinteresses des Gläubigers darf nicht bei einer rein monetären Bewertung des Anspruchsgegenstandes für den Gläubiger – etwa im Sinne der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes statt der Leistung – stehen geblieben werden. Denn in seiner Funktion als Übergangstatbestand von der Naturalleistungspflicht auf einen Geldersatz schützt § 275 Abs. 2 BGB gerade das Interesse des Gläubigers am Erhalt der 298 Vgl. Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 2 Rn. 44; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 83; Mückl, Jura 2005, 809, 811; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 257 ff.; a.A. M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 174. 299 S. unten § 5.IV.2.c) (S. 335 ff.).
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Leistung in Natur. Der Maßstab kann daher nicht identisch mit dem rein vermögensmäßigen Leistungsinteresse, d.h. dem in Geld geschuldeten Schadensersatz statt der Leistung als Vermögenswert sein, sondern muss gerade das spezifische Interesse des Gläubigers an der Naturalleistung umfassen, d.h. dasjenige, was ihm die Naturalleistung mehr wert ist als ihr reiner Geldwert.300 Daher sind auch immaterielle Bestandteile des Leistungsinteresses zu berücksichtigen, etwa ein besonderes Affektionsinteresse des Gläubigers an einem bestimmten Leistungsgegenstand,301 aber auch der Aufwand, den die Vornahme eines Deckungsgeschäfts für den Gläubiger bedeuten würde, und der als „Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten“ nicht im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung ersatzfähig wäre.302 Hinzu kommt ein Reputationsinteresse des Gläubigers, wenn dieser vor seinen eigenen Abnehmern um seinen Ruf fürchten muss, wenn er die Leistung wegen der Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners nicht in Natur erbringen kann.303 Denn auch diese Elemente sind Teil des spezifischen Naturalleistungsinteresses des Gläubigers und unterscheiden dieses erst vom bloßen Vermögensinteresse.304
c) Die Unerheblichkeit des Vertragspreises Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Vertragspreis.305 Dieser könnte ohnehin nur bei gegenseitigen Verträgen ins Spiel kommen, so dass seine Berücksichtigung zu einer eigenartigen Sonderbehandlung synallagmatischer Verbindlichkeiten gegenüber anderen Verbindlichkeiten führen würde. Vor allem aber ist der Vertragspreis aus ökonomischer Sicht – und eine solche liegt § 275 Abs. 2 BGB zugrunde – keine relevante Größe.306 Er liegt – jedenfalls bei 300 Ebenso
M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 175; PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 20; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 275 Rn. 44; Löhnig, ZGS 2005, 459, 460. 301 Inzwischen ganz h.M., vgl. nur Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, 2005, S. 42; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 296 f.; Maultzsch, JZ 2010, 937, 940; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 92; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 80; PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 17; BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 275 Rn. 54; Hk-BGB/R. Schulze, § 275 Rn. 21; aus ökonomischer Sicht auch Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 284 f.; a.A. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 53 f. 302 Vgl. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 249 Rn. 84, 89 m.w.N. sowie oben § 1. IV.1.a)aa) (S. 44 ff.). 303 Ebenso Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 89 a.E. 304 S. näher oben § 1.IV.1.a) (S. 43 ff.) und § 3.IV.2.a) (S. 200 f.). 305 Ebenso BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 275 Rn. 54; a.A. offenbar Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 280 ff. sowie für die Begrenzung des kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruches T. Ackermann, JZ 2002, 378, 383 f.; U. Huber, FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 546, 458 f., 561 f., 566; Vogt, Gesetzliche und rechtsgeschäftliche Beschränkungen der Mängelrechte des Käufers, 2005, S. 84 ff., 130. 306 Die gegenteilige Ansicht von Köndgen, FS Schäfer, 2008, S. 275, 280 ff. widerlegt sich
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rational handelnden Vertragsparteien – stets zwischen dem Leistungsaufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers;307 seine genaue Höhe auf dieser Bandbreite hängt vom jeweiligen Verhandlungsgeschick der Parteien ab. Solange dem Aufwand des Schuldners ein entsprechender Vorteil des Gläubigers gegenübersteht, ist die Transaktion wohlfahrtsökonomisch unabhängig vom Vertragspreis neutral, weil die Zahlung des Vertragspreises beim Sachleistungsschuldner einen Vorteil generiert, der dem Abfluss beim Sachleistungsgläubiger genau entspricht. Ob der Schuldner bei späteren Leistungserschwerungen mit der Leistung noch einen Gewinn oder einen Verlust macht, hängt von der Höhe des vereinbarten Preises und damit von seinem Verhandlungsgeschick ab, und hat keinen Einfluss auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 275 Abs. 2 BGB.308 Übernimmt er das Preisrisiko (z.B. durch eine Festpreisvereinbarung), so ist er daran gebunden; will er sich vor den Kosten unvorhersehbarer Leistungserschwerungen schützen, so muss er das Erschwerungsrisiko vertraglich im Voraus auf den Gläubiger abwälzen. Führt die nachträgliche Leistungserschwerung zu einer gravierenden Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses, so kann dieser Gesichtspunkt im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berücksichtigt werden; § 275 Abs. 2 BGB bietet dafür weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck eine Grundlage.309 Für eine Beschränkung der geschuldeten Aufwendungen auf den Vertragspreis wird ferner angeführt, dass sonst ein Wertungswiderspruch zwischen überwindbaren und unüberwindbaren Leistungshindernissen drohen würde:310 Bei unüberwindbaren Leistungshindernissen i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB würde der Schuldner auf keinen Fall Mehraufwendungen schulden, sondern unmittelbar nur Schadensersatz gem. § 283 BGB bzw., wenn er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, sogar nur die Rückerstattung der Gegenleistung gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, bei nicht-synallagmatischen Leistungspflichten sogar gar nichts. Bei überwindbaren Leistungshindernissen werde ihm dagegen zugemutet, sogar bei nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen Anstrengungen ggf. über das monetäre Leistungsinteresse und damit über die Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruches aus § 283 BGB hinaus zu unternehmen. Allerdings liegt hierin kein Wertungswiderspruch, sondern vielmehr eine konsequente Durchführung des Rechtsgedankens des § 275 Abs. 2 BGB:311 Solange das Leistungshindernis überwindbar ist, besteht die Möglichkeit, das naturale selbst, weil der Vertragspreis in allen dort genannten Berechnungsbeispielen mathematisch neutralisiert wird (ebd. S. 281 f.). 307 S. oben § 3.III.1 (S. 165). 308 So auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 105. 309 Vgl. auch M. Stürner, Jura 2010, 721, 725 sowie oben § 5.IV.1.c) (S. 327 ff.). 310 Vgl. T. Ackermann, JZ 2002, 378, 1135; ebenso bereits Rödl, Die Spannung der Schuld, 2002, S. 91. 311 Vgl. auch Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 27; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 357 ff.
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Leistungsinteresse des Gläubigers noch zu befriedigen; diese Möglichkeit rechtfertigt einen gewissen Mehraufwand des Schuldners.312 Bei unüberwindbaren Leistungshindernissen fehlt dagegen diese Möglichkeit von vornherein, so dass es sinnlos ist, dem Schuldner einen Mehraufwand zuzumuten, der unter keinen Umständen zu einer Befriedigung des Gläubigers führen kann.
d) Das Vertretenmüssen des Schuldners Nach § 275 Abs. 2 S. 2 BGB ist „bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen […] auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“ So einleuchtend der von der Gesetzesbegründung angeführte Gedanke ist, dass der Schuldner nicht davon profitieren können soll, dass er selbst die Leistungserschwerung in zu vertretender Weise herbeigeführt hat,313 so wenig scheint dieser zu dem ökonomischen Zweck der Vorschrift zu passen: Denn die Verschwendung von Ressourcen durch eine Naturalleistung, deren Aufwand über dem Interesse des Gläubigers liegt, tritt unabhängig davon ein, ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat oder nicht. Immerhin rechtfertigt das Vertretenmüssen aber ohne weiteres, die geschuldeten Leistungsanstrengungen über den Vertragspreis hinaus bis zum (monetären) Leistungsinteresse zu erhöhen, weil der Schuldner dieses ohnehin nach § 283 BGB ersetzen muss. Nach (zutreffender) h.M. soll die Funktion des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB jedoch nicht hierin bestehen, weil der Schuldner Leistungsanstrengungen (mindestens) bis zur Höhe des Leistungsinteresses auch dann schuldet, wenn er die Leistungserschwerung nicht zu vertreten hat.314 Hinzu kommt, dass das Vertretenmüssen des Schuldners sogar gegen eine Erhöhung der Leistungsanstrengungen des Schuldners angeführt werden könnte, weil der Gläubiger in diesem Fall wenigstens über § 283 BGB Ersatz seines vollen (monetären) Erfüllungsinteresses erhalten kann, während er bei nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen nach der h.M. ganz leer ausgeht.315 Gerade bei nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen hat der Gläubiger daher ein besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung des (verschuldensunabhängigen) Anspruches auf Naturalerfüllung, weil hier – jedenfalls wenn man der 312
Zu dessen Grenzen s. unten § 5.IV.2.e) (S. 339 ff.). Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 131 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 663. 314 S. oben § 5.IV.2.b) (S. 334 f.). 315 Dieser Gedanke wird zumindest angedeutet bei Helm, Wirtschaftliche Leistungserschwerungen, 2005, S. 83, 95; M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 176, indem bei nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen das Leistungsinteresse des Gläubigers wegen des drohenden vollständigen Rechtsverlustes höher anzusetzen sei; a.A. insoweit Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, 2005, S. 43. S. hierzu auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 341 ff. 313 Vgl.
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h.M. folgt, die in § 275 Abs. 2 BGB auch einen Befreiungstatbestand sieht – sein gesamtes Leistungsinteresse auf dem Spiel steht, während er bei zu vertretenden Leistungserschwerungen wenigstens in Höhe seines Geldinteresses befriedigt wird, so dass lediglich sein spezifisches Naturalleistungsinteresse in Gefahr ist. Allerdings wird der Gläubiger bei Leistungserschwerungen im Hinblick auf synallagmatische Hauptleistungspflichten zumindest über § 326 Abs. 1 BGB von seiner Gegenleistungspflicht befreit und erhält dadurch eine gewisse Kompensation; bei anderen Leistungspflichten kann er nach hier vertretener Auffassung jedenfalls über § 285 BGB den vom Schuldner ersparten „gewöhnlichen“ Leistungsaufwand ersetzt verlangen, so dass auch insoweit der Gläubiger nicht leer ausgeht.316 Die Berücksichtigung des Vertretenmüssens des Schuldners kann aber auch ökonomisch gerechtfertigt werden.317 Es führt im praktischen Ergebnis dazu, dass der Schuldner einen Leistungsaufwand betreiben muss, der das Gläubigerinteresse – auch unter Berücksichtigung aller immaterieller Gesichtspunkte – überschreiten kann (bzw. um mehr überschreiten kann, als dies bei nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen der Fall wäre). Diese Mehrleistung gegenüber einem Schuldner, der die Erschwerung nicht zu vertreten hat, verpufft bei ökonomischer Betrachtung, wenn und weil sie zu keinem korrespondierenden Vorteil des Gläubigers führt. Damit hat sie den ökonomischen Effekt einer staatlichen Strafe, die ebenfalls „nur“ ein Verhalten des Schuldners sanktioniert, ohne zugleich dem Gläubiger einen korrespondierenden Vorteil zu verschaffen – im Gegensatz zu einer Schadensersatzzahlung, die wenigstens eine Einbuße des Gläubigers ausgleicht. Dieses Instrument dient wie jede Sanktion der Verhaltenssteuerung, d.h. der Steuerung des Sorgfaltsniveaus aufseiten des Schuldners:318 Er wird (rationaler Weise) die nach § 276 BGB erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um den Eintritt zurechenbarer Leistungserschwerungen zu verhindern und auf diese Weise den erhöhten Leistungsaufwendungen zu entgehen. Aus diesem Sanktionscharakter der Berücksichtigung des Vertretenmüssens in § 275 Abs. 2 S. 2 BGB folgt, dass das Vertretenmüssen nicht pauschal aufwandserhöhend berücksichtigt werden darf, sondern nur nach dem Maß seines Vorliegens. Das Vertretenmüssen aufgrund einer bloßen Garantieübernahme oder leichter Fahrlässigkeit rechtfertigt keine so weit gehenden Sanktionen wie die grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Herbeiführung der Leistungs-
316
S. dazu unten § 5.IV.4.b) (S. 347 ff.). Vgl. auch die Deutung bei Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 280 f.: Der Gläubiger würde bei verschuldetem Unvermögen einer Entlastung des Schuldners nicht zustimmen. 318 Vgl. zur ökonomischen Funktionsweise von Sanktionen allgemein R. A. Posner, Economic analysis of law, 72007, § 7.2 (S. 219 ff.) sowie Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff. 317
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erschwerung.319 Diese Differenzierung nach Verschuldensgraden scheint auch die Rechtsprechung der Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB zugrunde zu legen, wenn der Bundesgerichtshof etwa im Zusammenhang mit einem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausführt, dass „die nach § 275 Abs. 1320 S. 1 BGB gebotene Abwägung bei einem Anspruch auf Beseitigung eines grob fahrlässig (und erst recht eines vorsätzlich) errichteten Überbaus in der Regel dazu führen [wird], dass die Einrede zu versagen ist.“321 Gleichwohl bleibt das Vertretenmüssen nur eines unter mehreren Abwägungselementen, so dass auch bei Vorsatz des Schuldners noch ein Leistungsverweigerungsrecht bestehen kann, wenn das Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse nur hinreichend groß ist.322
e) Das grobe Missverhältnis Das wesentliche Kriterium für die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB ist das „grobe Missverhältnis“ zwischen Leistungsaufwand des Schuldners und Leistungsinteresse des Gläubigers. Da beide Größen nicht ausschließlich in Geld ermittelbar sind, kann keinesfalls ein rein zahlenmäßiges Verhältnis zwischen beiden Größen angegeben werden.323 Hinzu kommt, dass nach § 275 Abs. 2 BGB bei der Bestimmung des groben Missverhältnisses auch der Inhalt des Schuldverhältnisses sowie die Gebote von Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. Die Berücksichtigung des Inhalts des Schuldverhältnisses führt bei vertraglichen Schuldverhältnissen zudem jedenfalls dazu, dass das anfängliche, von den Parteien zugrunde gelegte Verhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse als angemessen anzusehen ist, so dass dieses kein „grobes Missverhältnis“ darstellen kann – und das unabhängig vom Vertragspreis.324
319
So auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 339 f. Richtig: Abs. 2 (Anm. d. Verf.). 321 BGH NJW 2008, 3123, 3125 (Rn. 23); ähnlich auch Schlechtriem, FS Sonnenberger, 2004, S. 125, 127. 322 So zutreffend BGH NJW 2014, 1881, 1882 (Rn. 7 ff.). 323 So aber Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 2 Rn. 67 ff.; Jauernig/A. Stadler, § 275 Rn. 26 f.; Maier-Reimer, in: Dauner-Lieb/Konzen/ K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 291, 294; einschränkend allerdings Faust/Wiese, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 47, 56 f.: Feste Prozentgrenzen nur bei monetärer Messbarkeit der abzuwägenden Größen; wie hier die h.M., vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 89; Erman/H. P. Westermann, § 275 Rn. 26; M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 180 ff. m. umf. Nachw. 324 Vgl. bereits S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 308; s. auch M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 177 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 87. 320
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Im Einzelnen ist im Hinblick auf die Präventionsfunktion des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB zwischen zu vertretenden und nicht zu vertretenden Leistungserschwerungen zu differenzieren.
aa) Nicht zu vertretende Leistungserschwerungen Ausgangspunkt der Abwägung für nicht zu vertretende Leistungserschwerungen ist das vollständige Leistungsinteresse des Gläubigers: Bis zu diesem Maß ist es ökonomisch stets sinnvoll, dass der Schuldner die Leistung in Natur erbringt; wie oben dargelegt, gilt das unabhängig davon, ob dieser Leistungsaufwand die Höhe der Gegenleistung überschreitet (falls eine solche existiert).325 Das vollständige Leistungsinteresse des Gläubigers in diesem Sinne ist aber nicht auf das monetäre Leistungsinteresse beschränkt, wie es im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung ersatzfähig wäre. Vielmehr ist ein Aufschlag für das spezifische Naturalleistungsinteresse vorzunehmen, der die immateriellen Gesichtspunkte des Erfüllungsinteresses reflektiert, insbesondere die Unannehmlichkeiten (nicht ersatzfähige Transaktionskosten) eines Deckungsgeschäfts sowie ggf. besondere Affektionsinteressen des Gläubigers. Eine feste Prozentgrenze kann hierfür nicht angegeben werden, weil die zugehörigen Ausgangswerte von Fall zu Fall variieren. Zu berücksichtigen ist ferner ein Aufschlag für den Grundsatz pacta sunt servanda: Die Vertragsbindung (in Gestalt der Bindung an die Naturalerfüllung) hat per se einen Wert.326 Würde die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB vorschnell zugelassen, würde darunter das Gesamtvertrauen des Marktes in die naturale Durchführung abgeschlossener Verträge leiden, und jeder Vertragspartner müsste sich gegen etwaige Verluste infolge der Verweigerung einer naturalen Durchführung versichern. Diese hypothetischen Versicherungskosten sind ebenfalls in die Abwägung einzubeziehen, weil sie durch den Naturalerfüllungszwang aufseiten des Gläubigers vermieden werden, bzw. weil der Naturalerfüllungszwang trotz Leistungserschwerung diese Versicherung ersetzt. Um eine – zwangsläufig willkürliche – Quantifizierung dieser Gesichtspunkte zu vermeiden, bietet es sich an, sie konstruktiv im Rahmen des „groben“ Missverhältnisses zu berücksichtigen: Verglichen werden technisch betrachtet nur die zahlenmäßig vorliegenden Beträge für Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse. Ob das Missverhältnis zwischen beiden Größen „grob“ ist, bestimmt der Richter nach seiner Überzeugung327 unter Berücksichtigung der genannten „weichen“ Abwägungselemente.328 Je stärker diese vorliegen (etwa ein 325
S. oben § 5.IV.2.c) (S. 335 ff.). S. oben § 3.III.2.b) (S. 167 ff.). 327 Vgl. zu deren Maßgeblichkeit für jede rechtliche Abwägungsentscheidung Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 77 ff. 328 Hierbei handelt es sich um das Abwägungs- bzw. Wertungsmaß, vgl. zu dieser Figur 326
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Affektionsinteresse des Gläubigers an der spezifischen Naturalleistung), desto größer muss das Missverhältnis zwischen beiden Größen sein, um als „grob“ im Sinne des § 275 Abs. 2 BGB zu gelten. Fehlt ein besonderes spezifisches Naturalleistungsinteresse des Gläubigers, so ist ein „grobes“ Missverhältnis zwar noch nicht beim einfachen Überwiegen des Schuldneraufwands anzunehmen, weil auch dann noch Aufschläge für die „weichen“ Transaktionskosten und den Grundsatz pacta sunt servanda zu berücksichtigen sind; große zusätzliche Anstrengungen sind dem Schuldner aber nicht zuzumuten.
bb) Zu vertretende Leistungserschwerungen Bei zu vertretenden Leistungshindernissen ist der Sanktionscharakter des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB zusätzlich zu berücksichtigen. Je nach dem Maß des Verschuldens des Schuldners kann daher ein höherer Leistungsaufwand zu verlangen sein, der das naturale Leistungsinteresse des Gläubigers überschreitet. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass – gerade wegen des Vertretenmüssens – ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus § 283 BGB besteht. Dieser befriedigt zumindest das in Geld messbare Leistungsinteresse des Gläubigers, so dass diesem eher ein Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung zugemutet werden kann.329 Allein der Sanktionscharakter der Norm kann in diesen Fällen keine wesentliche Überschreitung des Leistungsinteresses rechtfertigen; es genügt, wenn der Leistungsaufwand des Schuldners neben dem monetären Leistungsinteresse des Gläubigers einen Aufschlag für die Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts (einschließlich der „Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten“) sowie bei schwerwiegendem Verschulden eine Art „Präventionsaufschlag“ umfasst. Dieser „Präventionsaufschlag“ soll insbesondere verhindern, dass der Schuldner gezielt aus sorgfaltswidrigem oder gar vorsätzlichem Verhalten den Vorteil der Leistungsbefreiung zieht, bzw. ihm präventiv einen Anreiz zu sorgfaltsgemäßem Handeln bieten. Hat der Gläubiger ein spezifisches Interesse an der Naturalleistung, das durch den Schadensersatz statt der Leistung nicht aufgewogen werden kann (z.B. die Verfügungsgewalt über einen Grundstücksteil, der grob fahrlässig überbaut wurde), so fällt der Verschuldensgrad stärker ins Gewicht: Hier geht es nicht mehr allein um eine Sanktionierung des Schuldnerverhaltens (ohne korrespondierenden Vorteil des Gläubigers), sondern auch und gerade um die Befriedigung des gläubigerischen Leistungsinteresses, das nur im Wege der Naturalerfüllung möglich ist. Daher müssen die Leistungsanstrengungen des Schuldners hier erheblich erhöht werden. Bei grob fahrlässigem oder vorsätzliRiehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 92 ff.; zust. M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 354 f. 329 Vgl. auch Helm, Wirtschaftliche Leistungserschwerungen, 2005, S. 83, 95; M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, 2010, S. 176.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
chem Verhalten des Schuldners kommt eine Befreiung vom Naturalerfüllungsanspruch dann kaum noch in Betracht.330 Bei leichter Fahrlässigkeit wird man eine Befreiung zwar noch für möglich halten können, allerdings ist auch hier aus Präventionsgesichtspunkten ein angemessener (weiterer) Aufschlag auf das Leistungsinteresse erforderlich, um Schuldner allgemein zur Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt bei der Leistungserbringung anzuhalten. Ergibt sich das Vertretenmüssen nicht aus einem Verschulden, sondern aus der Übernahme einer Garantie, so spielen Präventions- und Sanktionsgesichtspunkte keine Rolle. Ob bzw. inwieweit dann der Leistungsaufwand des Schuldners zu erhöhen ist, ist durch Auslegung der übernommenen Garantie zu ermitteln.331 Soweit sich die Garantie nicht auf das Risiko bezieht, das sich in der konkreten Leistungserschwerung niedergeschlagen hat, bleibt diese unbeachtlich, d.h. der Schuldner wird so behandelt, als hätte er die Leistungserschwerung nicht zu vertreten. Bezieht sie sich dagegen genau auf die eingetretene Leistungserschwerung, so ist wiederum durch Auslegung der Garantie zu bestimmen, wie weit die versprochenen Leistungsbemühungen des Schuldners reichen sollen. Hat der Schuldner etwa ein Beschaffungsrisiko nur aus seinem eigenen Warenbestand oder aus der Produktion eines bestimmten Herstellers übernommen, so beschränkt sich der von ihm geschuldete Leistungsaufwand hierauf. Weitergehende Leistungsanstrengungen sind nicht unter dem Gesichtspunkt der zu vertretenden Leistungserschwerung (§ 275 Abs. 2 S. 2 BGB) gerechtfertigt. Nur bei unbeschränkten Erfüllungsgarantien kann eine Erhöhung des geschuldeten Leistungsaufwandes in Betracht kommen – wobei allerdings die Auslegung der Garantien auch hier meist ergeben wird, dass sie nicht völlig unbeschränkt gelten sollte.
3. Die Abwägung gem. §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB Für die Nacherfüllung im Kauf- und Werkvertragsrecht enthalten die §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB weitere Regelungen über die Berücksichtigung eines Missverhältnisses zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse. Diese geben dem Verkäufer bzw. Werkunternehmer ebenfalls das Recht, entweder eine Art der Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung/Neuherstellung) zugunsten der anderen Art zu verweigern (sog. relative Unverhältnismäßigkeit), oder die Nacherfüllung insgesamt zugunsten von Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz statt der Leistung zu verweigern (sog. absolute Unverhältnismäßigkeit).332 Beide Einreden beruhen aber auf demselben ökono330 So zum Anspruch auf Beseitigung eines grob fahrlässig errichteten Überbaus zu Recht BGH NJW 2008, 3123, 3125. 331 Vgl. auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 252 f., 408 ff. 332 Vgl. nur BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 38 f.
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mischen Prinzip, das auch § 275 Abs. 2 BGB zugrunde liegt: Der Vermeidung von Naturalleistungsaufwendungen, die nicht durch ein korrespondierendes Naturalleistungsinteresse des Gläubigers gedeckt sind.
a) Relative Unverhältnismäßigkeit Die Einrede der relativen Unverhältnismäßigkeit betrifft das Verhältnis zwischen Nachbesserung und Nachlieferung bzw. Neuherstellung. Beide Formen der Nacherfüllung zielen darauf, das naturale Leistungsinteresse des Gläubigers vollständig zu befriedigen, nur auf unterschiedliche Weise. Häufig werden beide Formen aus Sicht des Gläubigers – soweit sie überhaupt möglich sind333 – daher äquivalent sein, wenn und weil er an der neu erworbenen bzw. hergestellten Sache noch kein besonderes Affektionsinteresse hat. Im Übrigen ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalles, wie sich die beiden Formen der Nacherfüllung auf das Gläubigerinteresse auswirken. Zu berücksichtigen sind neben dem zentralen Gesichtspunkt, ob das naturale Leistungsinteresse des Gläubigers voll befriedigt wird, auch alle sonstigen Beeinträchtigungen des Gläubigers durch die Nacherfüllung: Etwa die Wartezeit bis zum Abschluss der Nacherfüllung und der damit verbundene Nutzungsausfall, der Verlust von bereits getätigten Investitionen in die Sache durch eine Nachlieferung, aber auch immaterielle Belastungen des Gläubigers wie die Mühewaltung zur Abwicklung der Nacherfüllung, ein bereits entstandenes Affektionsinteresse an der Sache oder der Umstand, dass der Schuldner zur Nachbesserung die Wohnung des Gläubigers betreten muss.334 Wird allerdings das naturale Leistungsinteresse durch eine Variante nicht voll befriedigt (z.B. verbleibender Minderwert trotz Nachbesserung), so muss sich der Gläubiger darauf nicht einlassen, d.h. diese Nacherfüllungsmethode bleibt von vornherein außer Betracht.335 Aufseiten des Schuldners sind vorrangig die finanziellen Belastungen durch die jeweilige Form der Nacherfüllung zu berücksichtigen, d.h. die Kosten der jeweiligen Nacherfüllungsmöglichkeit einschließlich der finanziellen Nachteile, die ihm etwa dadurch entstehen, dass er bei der Nachlieferung eine gebrauchte Sache zurücknehmen muss, ggf. ohne hierfür Nutzungsersatz zu erhalten (vgl. § 474 Abs. 2 S. 1 BGB). Soweit immaterielle Belastungen überhaupt denkbar sind, wären auch diese zu berücksichtigen.
333 Zur Debatte um die Möglichkeit einer Nachlieferung beim Stückkauf vgl. nur BGH NJW 2006, 2839, 2841; T. Ackermann, JZ 2002, 378 ff.; ders., JZ 2003, 1154 ff.; Canaris, JZ 2003, 831 ff.; ders., JZ 2003, 1156 ff.; ders., FS H.P. Westermann, 2008, S. 137 ff.; Kamanabrou, ZGS 2004, 57 ff.; Schürholz, Die Nacherfüllung im neuen Kaufrecht, 2005, S. 167 ff.; Schroeter, AcP 207 (2007), 28, 49 ff.; E. Picker, FS H.P. Westermann, 2008, S. 583 ff. 334 Vgl. MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 2012, § 439 Rn. 22; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 44 mit weiteren Beispielen. 335 Vgl. BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 44.
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Die Belastungen des Gläubigers durch die jeweilige Nacherfüllungsmethode sind im Anschluss den entsprechenden Kosten des Schuldners gegenüberzustellen. Sind aus Sicht des Gläubigers beide Varianten gleichwertig, so sind die Kosten des Schuldners das einzig maßgebliche Kriterium, so dass dieser eine Nacherfüllungsmethode bereits bei leicht überwiegenden Kosten zugunsten der anderen Methode verweigern kann. Das Wahlrecht des Käufers zwischen den Nacherfüllungsmethoden – das ohnehin teleologisch zweifelhaft ist 336 – wird dadurch nicht ausgehöhlt,337 weil diese Regel eben nur dann eingreift, wenn er kein besonderes (schutzwürdiges) Interesse an einer bestimmten Form der Nacherfüllung hat. Sind die beiden Methoden aus Sicht des Gläubigers nicht gleichwertig, so ist das Defizit des Gläubigers ins Verhältnis zum Kostenvorteil des Schuldners durch die jeweilige Methode zu setzen. Dabei sind auch die immateriellen Beeinträchtigungen beider Seiten ggf. durch pauschale Aufschläge zu berücksichtigen. Aus den gleichen Präventionsgesichtspunkten wie bei § 275 Abs. 2 S. 2 BGB kann auch hier berücksichtigt werden, ob bzw. in welchem Maße der Schuldner den Mangel zu vertreten hat.338 Da hier keine (weitgehende) Rechtlosstellung des Gläubigers droht, sondern sein naturales Leistungsinteresse auf jeden Fall erfüllt wird, ist der Maßstab der Unverhältnismäßigkeit – wie dies auch im von § 275 Abs. 2 BGB abweichenden Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB angelegt ist – nicht so streng wie in § 275 Abs. 2 BGB anzulegen. Die Angabe von Prozentgrenzen ist im Hinblick auf die zu berücksichtigenden immateriellen Interessen auch hier ausgeschlossen.339
b) Absolute Unverhältnismäßigkeit Die sog. absolute Unverhältnismäßigkeit betrifft die Ablehnung der Nacherfüllung insgesamt zugunsten der übrigen Rechtsbehelfe des Käufers bzw. Bestellers (Rücktritt, Minderung und ggf. Schadensersatz statt der Leistung). Insoweit steht also hinsichtlich der Mängelbeseitigung die Befriedigung des Naturalerfüllungsinteresses des Gläubigers insgesamt auf dem Spiel, nicht nur deren Art und Weise. Auch hier ist eine Gesamtabwägung erforderlich, in die aufsei336
S. oben § 4.III.3.b) (S. 233 ff.). Das befürchtet BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 47. 338 Ebenso OLG Karlsruhe ZGS 2004, 432, 433 f.; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 46; MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 2012, § 439 Rn. 23; H. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 213; a.A. Ball, NZV 2004, 217, 224; Erman/ Grunewald, § 439 Rn. 13; K. Kirsten, ZGS 2005, 66, 70 f.; W. Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1417. 339 S. bereits oben § 5.IV.2.e)aa) (S. 340 f.) sowie grundsätzlich auch BGH WM 2014, 1447, 1451 f. (Rn. 40 ff.); anders aber Harke, in: Artz/Gsell/S. Lorenz (Hrsg.), Zehn Jahre Schuldrechtsmodernisierung, 2014, S. 237, 258: 30 %; LG Ellwangen NJW 2002, 517: 20 %; Bitter/ Meidt, ZIP 2001, 2114, 2121; L. Haas, in: L. Haas/Medicus/Rolland u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 Rn. 161; P. Huber, NJW 2002, 1004, 1007; Erman/Grunewald, § 439 Rn. 13: 10 %; fein differenzierend BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 47 a.E.: zwischen 5 % und 25 % je nach Verschuldensgrad. 337
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ten des Gläubigers sein Naturalleistungsinteresse einzustellen ist, d.h. das materielle und immaterielle Interesse am Erhalt der mangelfreien Kaufsache bzw. des mangelfreien Werks. Dieses Interesse umfasst demgemäß nicht nur den reinen mangelbedingten Minderwert der Kaufsache bzw. des Werkes, sondern auch die infolge des Mangels entgehenden Verwendungsmöglichkeiten sowie die sonstigen Unannehmlichkeiten, die mit dem Mangel für ihn verbunden sind. Zu vergleichen ist seine Lage bei Mängelbeseitigung mit der Lage bei Ausübung eines der verbleibenden Rechtsbehelfe (Rücktritt, Minderung, ggf. Schadensersatz). Aufseiten des Schuldners sind – wie bei der relativen Unverhältnismäßigkeit – vorrangig die Kosten der Mängelbeseitigung zu berücksichtigen, darüber hinaus auch weitere (regelmäßig ausschließlich finanzielle) Nachteile. Der Wortlaut des § 439 Abs. 3 BGB sieht zwar kein „grobes Missverhältnis“ wie § 275 Abs. 2 BGB vor, sondern spricht allgemeiner von der „Unverhältnismäßigkeit“ der Beseitigungsaufwendungen. Dies könnte dafür sprechen, die Befreiungsgrenze des § 439 Abs. 3 BGB niedriger anzusetzen als nach § 275 Abs. 2 BGB.340 Teleologisch ist für eine solche Differenzierung aber keinerlei Rechtfertigung erkennbar: Wie bei § 275 Abs. 2 BGB auch geht es allein um die Reichweite des Vorrangs des Naturalerfüllungszwangs, der auch im Nacherfüllungsstadium grundsätzlich noch im Interesse beider Parteien besteht.341 Dass der Schuldner bereits teilweise geleistet hat und „nur noch“ ein Mangel zu beseitigen ist, mindert nicht automatisch das Naturalerfüllungsinteresse des Gläubigers; beeinträchtigt ihn der Mangel tatsächlich nur geringfügig, so ist das im Rahmen der nach § 439 Abs. 3 BGB gebotenen Abwägung ohnehin zu berücksichtigen. Das Kriterium des „groben Missverhältnisses“ in § 275 Abs. 2 BGB ist vage genug, um den Besonderheiten aller Einzelfälle Rechnung tragen zu können. Für eine Angleichung der Maßstäbe der absoluten Unverhältnismäßigkeit in § 439 Abs. 3 BGB an den Maßstab des § 275 Abs. 2 BGB spricht schließlich im Anwendungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG auch, dass die Richtlinie in Art. 3 Abs. 3 keine Einrede der absoluten Unverhältnismäßigkeit einräumt, sondern lediglich eine Einrede der relativen Unverhältnismäßigkeit, und ansonsten einen Ausschluss der Nacherfüllung insgesamt nur bei Unmöglichkeit vorsieht.342 Auch wenn der gemeinschaftsrechtliche Begriff der Unmöglichkeit nicht zwingend mit dem deutschen Unmöglichkeitsbegriff identisch sein 340 Dafür die h.M., vgl. BGH NJW 2009, 1660, 1662 (Rn. 18); MünchKomm-BGB/S. Lorenz, 2012, Vor § 474 Rn. 18; ders., NJW 2009, 1633, 1637; Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 24, 76 f.; H. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 42013, Rn. 216. 341 S. oben § 4.III.3 (S. 232 ff.). 342 Vgl. zu diesem Problem EuGH, Urt. v. 16.6.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 (Weber/ Wittmer und Putz/Medianess), Slg. 2011, I-5257 = NJW 2011, 2269, Rn. 63 ff. mit Vorlagebeschluss BGH NJW 2009, 1660 und nachfolgend BGHZ 192, 148, 160 ff. (Rn. 28 ff.); aus der Literatur MünchKomm-BGB/S. Lorenz, 2012, Vor § 474 Rn. 18; Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 32013, § 2 Rn. 163; K. Kirsten, ZGS 2005, 66, 67 f.; Zerres, RIW 2003, 746, 751; Pfeiffer, ZGS 2002, 217 ff.; s. aber auch Tröger, AcP 212
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muss,343 entwertet eine einfache Schwelle „bloßer Unverhältnismäßigkeit“ den in der Richtlinie vorgesehenen Vorrang der Nacherfüllung zu sehr. Das „grobe Missverhältnis“ i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB scheint demgegenüber besser geeignet, den unionsrechtlichen Begriff der Unmöglichkeit auszufüllen.344 Eine Begrenzung des geschuldeten Nacherfüllungsaufwandes auf den Kaufpreis kommt aus den gleichen Gründen wie bei § 275 Abs. 2 BGB nicht in Betracht.345
4. Folgerungen für die Rechtsfolgenseite Die Einrede des groben Missverhältnisses zwischen dem Leistungsaufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers nach § 275 Abs. 2 BGB bzw. nach §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB betrifft unmittelbar nur den Naturalleistungsanspruch selbst. An seine Stelle treten Ansprüche auf Geldersatz: Bei Vertretenmüssen des Schuldners der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB bzw. §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 3, 440 BGB oder §§ 634 Nr. 4, 636 BGB;346 im Übrigen stellt sich die Frage nach der Existenz anderer Ausgleichsansprüche.
a) Ausgestaltung des Schadensersatzes statt der Leistung Hinsichtlich des Schadensersatzes statt der Leistung ist v.a. problematisch, wie dieser Schadensersatz zu bemessen ist, um den Zweck der Norm nicht zu konterkarieren. Würde man den Schadensersatz unbesehen an den Kosten eines Deckungsgeschäfts orientieren, so müsste der Schuldner in den Fällen, in denen die Leistungserschwerung jedermann trifft, also auch das Deckungsgeschäft unverhältnismäßig teuer ist, über den Weg des Schadensersatzes statt der Leistung genau denjenigen überhöhten Leistungsaufwand tragen, vor dem ihn die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB schützen soll.347 Behandelt man hier den Ersatz der Kosten (2012), 296, 327 f., der die Anwendung der „absoluten Unverhältnismäßigkeit“ in § 439 Abs. 3 BGB nach wie vor für richtlinienkonform hält. 343 Für eine Ausfüllungskompetenz des deutschen Gesetzgebers aber Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 32013, § 2 Rn. 185; s. zum Begriff der Unmöglichkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie noch unten § 8.II.1.a)aa) (S. 459 f.). 344 Ebenso i.E. Canaris, JZ 2004, 214, 219 f.; Lippstreu/Rachlitz, Jura 2012, 304, 309 sowie die Stellungnahme der Kommission vor dem EuGH, wiedergegeben in EuGH, Urt. v. 16.6.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 (Weber/Wittmer und Putz/Medianess), Slg. 2011, I-5257 = NJW 2011, 2269, Rn. 65 a.E. 345 Vgl. dazu eingehend oben § 5.IV.2.c) (S. 335 ff.) sowie Canaris, JZ 2004, 214, 218 ff.; zutreffend BGH WM 2014, 1447, 1451 (Rn. 39 a.E.). 346 Vgl. zur Anspruchsgrundlage BGH NJW 2013, 370, 371 (Rn. 8). 347 S. dazu auch Goetz/Scott, 69 Va. L. Rev. 967, 1003 f. (1983) zur parallelen Wertungsentscheidung des US-amerikanischen Rechts.
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des Deckungsgeschäfts als Naturalrestitution durch Dritte analog § 249 Abs. 2 BGB,348 so sorgt bereits auf der Ebene des Schadensrechts § 251 Abs. 2 BGB dafür, dass nicht die Kosten des Deckungsgeschäfts zu ersetzen sind, wenn diese gegenüber dem (vermögensmäßigen) Interesse des Gläubigers unverhältnismäßig hoch sind. Diese Schwelle liegt jedenfalls maximal dort, wo auch die des § 275 Abs. 2 BGB liegt, nicht höher.349 Das folgt schon daraus, dass § 251 Abs. 2 BGB die Vorbildnorm für § 275 Abs. 2 BGB war, und zudem aus dem Wortlaut, der bei § 251 Abs. 2 BGB nur von „unverhältnismäßigen Aufwendungen“ spricht, während § 275 Abs. 2 BGB ein „grobes Missverhältnis“ zwischen Leistungsaufwendungen und Leistungsinteresse verlangt. Daher kann der Gläubiger im Ergebnis als Schadensersatz statt der Leistung nur sein Wertinteresse ersetzt verlangen, d.h. den Substanzwert des Vertragsgegenstandes und seinen Ertragsausfallschaden, nicht die Kosten eines Deckungsgeschäfts.350 Das gleiche gilt für den Fall, dass der Schuldner die Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit der hierfür erforderlichen Aufwendungen nach § 439 Abs. 3 BGB bzw. § 635 Abs. 3 BGB berechtigterweise verweigert. Auch hier kann Schadensersatz nur in Höhe des mangelbedingten Minderwerts verlangt werden, nicht in Höhe der (unverhältnismäßigen) Mängelbeseitigungskosten.351 Diese schadensrechtliche Lösung hat den Vorzug, dass sie auch dann zu zutreffenden Ergebnissen führt, wenn die Leistungserschwerung nur den Schuldner trifft, nicht aber jedermann: Hier sind die Kosten des Deckungsgeschäfts nicht automatisch unverhältnismäßig i.S.v. § 251 Abs. 2 BGB und können daher zwanglos über § 249 Abs. 2 BGB liquidiert werden, ohne dass der Ausschluss des naturalen Erfüllungsanspruches gem. § 275 Abs. 2 BGB zu Modifikationen nötigt.
b) Ausgleichsanspruch für den Fall der nicht zu vertretenden Leistungserschwerung Problematisch ist der Geldausgleich dann, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung nicht zu vertreten hat: Hier liegen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB nicht vor (§ 280 Abs. 1 348
Vgl. dazu näher Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 ff. BGH NJW 2013, 370, 371 f. (Rn. 12): Identität des Maßstabes von § 251 Abs. 2 BGB mit dem des § 635 Abs. 3 BGB; s. dazu auch Canaris, JZ 2001, 499, 501; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 434; zum Verhältnis von § 275 Abs. 2 BGB zu § 251 Abs. 2 BGB auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 463 ff.; anders, aber auf Grundlage des alten Schuldrechts und daher ohne Berücksichtigung des § 275 Abs. 2 BGB, P. Gebauer, Naturalrestitution beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung, 2002, S. 85 ff. 350 Wie hier BGH NJW 2013, 370, 371 f. (Rn. 12); zu § 439 Abs. 3 BGB ebenso BGH WM 2014, 1447. 351 So zutreffend BGH NJW 2013, 370, 371 f. (Rn. 12); BGH WM 2014, 1447, 1451 (Rn. 34 ff.), unter zutreffender Berufung auf eine entsprechende Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB. 349 Vgl.
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S. 2 BGB), so dass der Gläubiger ganz leer auszugehen droht. Anders als die Vorschriften der §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 S. 3, 651c Abs. 2 S. 2 BGB, welche die Rechtsprechung vor der Schaffung des § 275 Abs. 2 BGB zur Lösung der Fälle grob unverhältnismäßiger Leistungsaufwendungen herangezogen hatte,352 und die auch der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform als Vorbild des § 275 Abs. 2 BGB betrachtet hat,353 enthält § 275 Abs. 2 BGB keine Regelung über einen verschuldensunabhängigen Wertausgleich zugunsten des Gläubigers, wenn der naturale Erfüllungsanspruch ausgeschlossen ist. Dieses Problem ist in der Gesetzesbegründung zwar gesehen, aber nicht gelöst worden.354 Nach der gesetzlichen Ausgangslage steht der Gläubiger aber nicht völlig rechtlos: Bei gegenseitigen Verträgen kann er immerhin nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB seine Gegenleistung zurückverlangen bzw. wird er von der Gegenleistungspflicht befreit. Bei allen (auch gesetzlichen) Verpflichtungen ist der Schuldner daneben gem. § 285 BGB zur Herausgabe des stellvertretenden commodums verpflichtet, d.h. desjenigen, was er infolge des leistungserschwerenden Umstands erlangt hat. Im von Picker gebildeten Beispiel des verkauften Cabrios, das gestohlen wird und in Murmansk wieder auftaucht, schuldet der Verkäufer also dann, wenn man ihm die Berufung auf § 275 Abs. 2 BGB gestattet, jedenfalls nach § 285 BGB die Abtretung seiner Ansprüche gegen den Dieb bzw. auf etwaige Versicherungsleistungen, und das unabhängig davon, ob er den Diebstahl zu vertreten hat. Aus der gesetzlichen Haftungsregelung kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass der Schuldner bei fehlendem Vertretenmüssen von jeglichen finanziellen Folgen freigestellt werden müsse. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB stellt lediglich den Anspruch auf das positive Interesse unter dem Vorbehalt des Vertretenmüssens, nicht aber sonstige Folgen. Nach der gegenwärtig h.M. hängt der Ausgleichsanspruch des Gläubigers allerdings von Zufälligkeiten ab: Bei synallagmatischen Hauptleistungspflichten wird er zumindest durch die Freistellung von der Gegenleistungspflicht entschädigt; im Übrigen kommt es gem. § 285 BGB darauf an, ob der Schuldner infolge des leistungserschwerenden Umstandes einen konkreten Gegenstand bzw. Anspruch erlangt hat oder nicht. Eine Haftungslücke besteht insoweit allerdings für die vom Schuldner ersparten Eigenaufwendungen:355 Man denke etwa an einen Erben, der nach dem Inhalt des Testaments einem Dritten eine wertvolle Standuhr als Vermächtnis zuwenden soll, die er zuvor bei einer Fachwerkstatt auf Kosten des Nachlasses restaurieren lassen sollte. Wird diese Uhr in einer Weise un352
Vgl. BGHZ 62, 388, 393 f.; NJW 1988, 699, 700. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662. 354 Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662. 355 Zu einem Ausgleichsanspruch nach Enteignungsgrundsätzen bei einem Ausschluss des negatorischen Beseitigungsanspruches nach § 275 Abs. 2 BGB s. unten § 6.III.2.c) (S. 423 ff.). 353 Vgl.
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verschuldet beschädigt, die eine i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB grob unverhältnismäßig teure Reparatur erforderlich macht, bevor der Erbe sie zur Restaurierung gibt, so erspart er einerseits die Übereignung der Uhr, an deren Stelle gem. § 285 BGB ggf. die Abtretung etwaiger Ansprüche gegen den Schädiger oder eine Versicherung tritt; eine weitere Bereicherung verbleibt insoweit nicht. Andererseits erspart er aber auch die Kosten der Restaurierung, die im Nachlass und damit in seinem Vermögen verbleiben. Diese Aufwendungen erspart er wirtschaftlich betrachtet auf Kosten des Vermächtnisnehmers, weil diesem der Erfolg der Restaurierung zugestanden hätte. Wertungsmäßig liegt also eine Nichtleistungskondiktion vor, wobei die Bereicherung des Erben nicht durch einen Eingriff in eine absolut geschützte Rechtsposition erfolgt, sondern lediglich durch die Beeinträchtigung des Gegenstandes einer Forderung, also einer nur relativ (zugunsten des Vermächtnisnehmers) geschützten Rechtsposition. Eine Eingriffskondiktion im klassischen Begriffssinne liegt daher nicht vor.356 Der vorstehend formulierte bereicherungsrechtliche Gedanke liegt jedoch nach einer verbreiteten und zustimmungswürdigen Auffassung § 285 BGB zugrunde.357 Wie bereits oben ausgeführt,358 sollten – entgegen der bisher h.M.359 – auch die ersparten Aufwendungen des Schuldners als erlangtes commodum eingeordnet werden.360 Auf diese Weise gelangt man zu einem auf die tatsächliche Ersparnis beschränkten Abschöpfungsanspruch des Gläubigers, der dem Zweck des § 275 Abs. 2 BGB entspricht: Der Schuldner soll durch diese Norm zwar vor einem übermäßigen Leistungsaufwand geschützt werden; vor dem „gewöhnlichen“ Leistungsaufwand schützt die Norm dagegen nicht. Der Schuldner soll durch den Wegfall des Naturalerfüllungsanspruches zwar nichts verlieren, aber auch nichts gewinnen. Nichts anderes gilt im Übrigen für die „echte“ Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB: Wird die Standuhr im vorigen Beispiel nicht beschädigt, sondern gestohlen, und wird die Erfüllung des Vermächtnisses dem Erben dadurch unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB, so erscheint es auch hier sachgerecht, ihn die Ersparnis eigener Aufwendungen für die eigentlich geschuldete Restaurierung an den Vermächtnisnehmer gem. § 285 BGB auskehren zu lassen.361 356
Vgl. nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 69 I 2 d (S. 174 f.). Vgl. dazu näher F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 231 ff.; Katzenstein, ZGS 2004, 144, 149; Bollenberger, Das stellvertretende Commodum, 1999, S. 111 ff.; E. Picker, AcP 183 (1983), 369, 512; ders., FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 316. 358 S. oben § 4.V.5.c) (S. 266 ff.). 359 Explizit Ulrici, Jura 2005, 612, 615; Hans Stoll, FS Schlechtriem, 2003, S. 677, 691 bei und mit Fn. 54; implizit BeckOK-BGB/Unberath, 01.03.2011, § 285 Rn. 10; Staudinger/ Löwisch/Caspers, 2009, § 285 Rn. 2 ff., 30 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 285 Rn. 18 ff. 360 Hierfür F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 231 ff.; Katzenstein, ZGS 2004, 144, 149. 361 Vgl. F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 230 ff. 357
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Bei § 275 Abs. 2 BGB stellt sich allerdings die Frage, was der Schuldner tatsächlich erspart hat: Keinesfalls können es die überhöhten Erfüllungskosten sein, weil dadurch gerade umgesetzt würde, was die Rechtsordnung durch § 275 Abs. 2 BGB verbietet, da der Schuldner den grob unverhältnismäßigen Erfüllungsaufwand doch leisten müsste. Auch ein Anspruch auf den maximal gerade noch geschuldeten Leistungsaufwand kommt nicht in Betracht, weil dies praktisch zu erheblichen Bewertungsproblemen führen würde: Es ist etwas anderes, bei konkreten Kosten der Leistungserbringung zu entscheiden, ob sie grob unverhältnismäßig sind oder nicht, als abstrakt anzugeben, was die maximal gerade noch verhältnismäßigen Kosten gewesen wären. Dem Schutzzweck des § 275 Abs. 2 BGB entspricht es vielmehr, die „gewöhnlichen“ Erfüllungskosten als erlangte Ersparnis anzusehen, d.h. die Kosten, die der Schuldner für die Erfüllung ursprünglich einkalkuliert hatte. Im obigen Beispiel des Erben sind dies die ersparten Kosten der Restaurierung, die beim Nachlass real angefallen wären und infolge der Beschädigung der Standuhr nunmehr entfallen. Ein Wertungswiderspruch zur Leistungsfreiheit des Schuldners nach § 275 Abs. 2 BGB (oder bei „echter“ Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB) besteht insoweit nicht, weil auch diese Leistungsfreiheit nur insoweit besteht, als kein stellvertretendes commodum i.S.v. § 285 BGB erlangt wurde, also auch hier eine etwa noch verbleibende Bereicherung des Schuldners herauszugeben ist. Wie bereits oben ausgeführt,362 sind die ersparten Aufwendungen in diesem Sinne aber nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln, d.h. das Stammvermögen des Schuldners darf nur in der Weise angetastet werden, in der es auch bei der „gewöhnlichen“ Erfüllung, d.h. bei Hinwegdenken der befreienden Leistungserschwerung, angetastet worden wäre. Insbesondere darf eine ersparte Arbeitstätigkeit des Schuldners nicht mit ihrem objektiven Marktwert angesetzt werden, sondern muss insoweit außer Betracht bleiben; alle geschuldeten Leistungsgegenstände sind nach § 818 Abs. 2 BGB allein mit dem internen Vermögenswert für den Schuldner anzusetzen, so dass nur die real von ihm ersparten Kosten (z.B. Material- und Personalkosten) zu ersetzen sind. Die Anwendung des § 285 BGB führt auch im Rahmen gegenseitiger Verträge zu angemessenen Lösungen, indem insoweit § 326 Abs. 2 S. 2 BGB und § 326 Abs. 3 BGB parallel angewendet werden:363 Zunächst tritt die Herausgabe der Ersparnis an die Stelle der ausgeschlossenen Leistungspflicht (§ 285 BGB). Soweit danach die Gesamtleistung des Schuldners (ggf. erbrachte Teilleistung zuzüglich Ersparnisherausgabe) wertmäßig hinter dem ursprünglich geschuldeten Leistungsgegenstand (bei objektiver Wertbestimmung) zurückbleibt, ist die Gegenleistung nach Minderungsgrundsätzen zu kürzen (§§ 326 Abs. 3, 441 Abs. 3 BGB). Lediglich bei vom Gläubiger zu vertretender Leistungserschwe362
S. oben § 4.V.5.c) (S. 266 ff.). F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 241 f.
363 Dafür
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rung (bzw. Erschwerung während des Annahmeverzugs) entfällt eine solche proportionale Kürzung der Gegenleistung; der Gläubiger muss sie voll erbringen und erhält nur die Ersparnis des Schuldners (technisch im Wege der Anrechnung nach § 326 Abs. 2 S. 2 BGB).
5. Die schadensrechtliche Parallelregelung des § 251 Abs. 2 BGB Vorbild für die Schaffung des § 275 Abs. 2 BGB war u.a. die schadensrechtliche Vorschrift des § 251 Abs. 2 BGB,364 die nunmehr lex specialis für das Schadensrecht ist.365 Nach dieser Regelung kann der Schädiger die schadensrechtliche Naturalrestitution verweigern, wenn sie für ihn mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist.
a) Grundlagen Der teleologische Ausgangspunkt dieser Vorschrift ist der gleiche wie bei § 275 Abs. 2 BGB: Die Herstellung des schadensrechtlich geschuldeten Zustands in Natur nach § 249 Abs. 1 oder 2 BGB, die vom Vorliegen eines Vermögensschadens unabhängig ist,366 kann für den Schädiger derart hohe Aufwendungen bedeuten, dass es aus seiner Sicht effizienter sein kann, wenn er dem Gläubiger nur die Vermögenseinbuße ersetzt. Zwar sind hier – anders als bei vertraglichen Ansprüchen – nicht der Grundsatz pacta sunt servanda und das dadurch bewirkte Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Verbindlichkeit und zuverlässige Erfüllung von Verträgen zu schützen, weil der Schädiger die Schadensbeseitigung nicht aufgrund seines Versprechens, sondern aufgrund Gesetzes schuldet. Gleichwohl besteht ein wesentlicher ökonomischer Zweck von gesetzlichen Haftungsanordnungen gerade in der angemessenen Prävention weiterer Schädigungen, indem der Schädiger zur Beachtung des optimalen Sorgfaltsniveaus angehalten wird. Die Bestimmung des ökonomisch optimalen Sorgfaltsniveaus erfolgt aber dadurch, dass dem schuldhaft handelnden Schädiger sämtliche von ihm verursachten Einbußen auferlegt werden, unabhängig von deren objektivem Vermögenswert, so dass dieser den Anreiz hat, seine Präventionsbemühungen genau so zu steuern, dass seine Präventionskosten gerade unterhalb des Erwartungswerts der vermiedenen Schäden liegen.367 Kann er einen Teil der Schäden auf den Gläubiger abwälzen, weil dieser nicht voll und in Natur ent364 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662. 365 S. nur PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 2. 366 Vgl. nur H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 I 2 (S. 213). 367 Vgl. dazu H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 52012, S. 202 ff.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
schädigt wird, so sinkt dadurch der Erwartungswert der drohenden Einbußen, und der potenzielle Schädiger wird weniger als die ökonomisch optimalen Präventionskosten aufwenden, um Schäden zu vermeiden. Ersetzt der Schädiger dem Geschädigten nur den Vermögensschaden, so liegt darin häufig eine faktische Abwälzung eines Teils des wahren Schadens auf den Gläubiger. Denn der bloße Ersatz des (nachweisbaren) Vermögensschadens reicht häufig nicht aus, um das Interesse des Geschädigten an der Wiedergutmachung des Schadens zu befriedigen.368 Denn auch im Schadensrecht gibt es viele Einbußen, die durch eine reine Geldzahlung nicht ausgeglichen werden können, angefangen von echten Affektionsinteressen (z.B. die Liebe zu einem Haustier) über die „Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten“, die den Geschädigten zwar real belastet, aber als Schaden nicht ersatzfähig ist, bis hin zu den Eingewöhnungsschwierigkeiten beim Erhalt einer neuen Sache anstelle der vertrauten beschädigten Sache. All diese Einbußen rechtfertigen es, dem Schadensersatzschuldner mehr Aufwendungen zur Naturalrestitution zuzumuten, als der beweisbaren vermögensmäßigen Einbuße des Geschädigten entspricht. Daher ist auch im Rahmen von § 251 Abs. 2 BGB regelmäßig nicht allein darauf abzustellen, ob Naturalrestitution oder Geldersatz für den Schädiger günstiger sind. Entscheidend ist vielmehr – insoweit wie bei § 275 Abs. 2 BGB – das Verhältnis zwischen dem spezifischen Interesse des Geschädigten an der Naturalrestitution (spezifisches Naturalerfüllungsinteresse), das auch Aufschläge für die genannten immateriellen Aspekte enthält, und dem Geldaufwand des Schädigers zur Naturalherstellung. Wird der dadurch gesteckte Rahmen für die Aufwendungen zur Naturalrestitution überschritten, so erhält der Geschädigte immerhin den Geldersatz nach § 251 BGB, d.h. seine vermögensmäßige Einbuße wird voll ausgeglichen. Anders als bei § 275 Abs. 2 BGB muss er also nicht befürchten, lediglich die vom Schuldner ersparten Aufwendungen zur eigenen Schadensbeseitigung (oder nach h.M. sogar nichts) zu erhalten.369 Schon von seinem Wortlaut her setzt § 251 Abs. 2 BGB nur die (einfache) „Unverhältnismäßigkeit“ der Aufwendungen zur Naturalrestitution voraus, kein „grobes Missverhältnis“ wie § 275 Abs. 2 BGB. Die Schwelle für den Übergang auf den Geldersatz liegt also terminologisch im Schadensrecht niedriger als im allgemeinen Leistungsstörungsrecht. Dieser Unterschied ist – anders als bei der sog. absoluten Unverhältnismäßigkeit in §§ 439 Abs. 3 S. 3, 635 Abs. 3 S. 3 BGB370 – auch sachlich gerechtfertigt. Denn zum einen ist, wie soeben ausgeführt, im Schadensrecht kein allgemeiner Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs auf die Geltung des Grundes pacta sunt servanda geboten, der im Ver368
S. bereits oben § 1.IV.2.a) (S. 54 ff.). S. dazu soeben § 5.IV.4.b) (S. 347 ff.). 370 S. dazu oben § 5.IV.3.b) (S. 344 ff.). 369
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tragsrecht einen Grund für die Erhöhung des schuldnerischen Leistungsaufwandes bildet. Hinzu kommt, dass der Geschädigte im Falle des § 251 Abs. 2 BGB unabhängig von einem Verschulden des Schädigers an der Unverhältnismäßigkeit der Kosten einer Naturalrestitution stets zumindest sein Vermögens interesse ersetzt erhält, so dass er nicht Gefahr läuft, gar nichts zu erhalten. Da freilich beide Schwellen jeweils im Wege einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln sind, und sich eine pauschale Bestimmung des Mehraufwands in allen Fällen verbietet,371 kann nicht generell gesagt werden, dass bei § 275 Abs. 2 BGB stets eine höhere Prozentgrenze anzusetzen wäre als bei § 251 Abs. 2 BGB. In ein und demselben Fall liegt allerdings die Schwelle des § 275 Abs. 2 BGB jeweils über derjenigen des § 251 Abs. 2 BGB.372
b) Insbesondere: Der „Integritätszuschlag“ bei Kfz-Schäden Besondere praktische Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Frage, ob bei der Reparatur eines unfallgeschädigten Wagens Ersatz der Reparaturkosten oder des Wiederbeschaffungsaufwandes für ein Ersatzfahrzeug verlangen kann. Dogmatisch wird diese von der Rechtsprechung im Merkmal der „Erforderlichkeit“ der Aufwendungen zur Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verortet, weil auch die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs als Naturalrestitution verstanden wird.373 Nach der vorzugswürdigen Gegenmeinung ist bei individualisierten Gebrauchtfahrzeugen eine Naturalrestitution im Wege der Ersatzbeschaffung nicht möglich, so dass der Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands als Geldersatz i.S.v. § 251 BGB einzuordnen ist. Die Grenze zwischen Reparaturkosten und Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes bildet dann das Merkmal der „unverhältnismäßigen Aufwendungen“ in § 251 Abs. 2 BGB.374 Zur Bevorzugung der Reparatur gegenüber der Wiederbeschaffung gewährt die h.M. – unabhängig von der dogmatischen Konstruktion des ersatzfähigen Wiederbeschaffungsaufwandes – dem geschädigten Fahrzeughalter einen pauschalen Aufschlag von 30 % auf den vom Gutachter ermittelten Wiederbeschaffungswert,375 wenn er ein besonderes Interesse daran hat, gerade das beschädigte Fahrzeug zu behalten und weiter zu benutzen.376 371 S. zum pauschalen Integritätszuschlag beim Schadensersatz nach Kfz-Unfällen aber sogleich im Text. 372 S. oben § 5.IV.4.a) (S. 346 f.). 373 Vgl. BGHZ 115, 364, 368; BGHZ 154, 395, 397; ebenso Palandt/Grüneberg, § 249 Rn. 15 ff. 374 Vgl. Staudinger/Schiemann, 2005, § 251 Rn. 22; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 251 Rn. 10, 42; Medicus, JuS 1973, 211 ff.; vgl. zum Ganzen Ruppert, ZJS 2010, 466 ff. 375 Vgl. BGHZ 115, 364, 371 f.; Palandt/Grüneberg, § 249 Rn. 25; Medicus, JuS 1973, 211 ff.; MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 251 Rn. 41; krit. zur Gewährung des „Integritätszuschlags“ bei Kfz Staudinger/Schiemann, 2005, § 251 Rn. 22 a.E. 376 Dieses besondere Integritätsinteresse wird regelmäßig dadurch nachgewiesen, dass der Geschädigte das Fahrzeug fachgerecht und vollständig reparieren lässt und mindestens sechs
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Dieser „Integritätszuschlag“ ist nach dem eben Ausgeführten im Grundsatz gerechtfertigt, dient er doch der Befriedigung des durch den Schadensersatz primär geschützten Integritätsinteresses des Geschädigten, das durch den rein vermögensmäßigen Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands nach § 251 BGB nicht abgedeckt ist. Richtig ist es auch, den Integritätszuschlag selbst dann zu berücksichtigen, wenn die Wiederbeschaffung nicht als Wertersatz, sondern als Form der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 2 BGB angesehen wird. Denn auch dann gilt das sog. Wirtschaftlichkeitspostulat, wonach der Schädiger durch den Schadensersatz nicht mehr zu belasten ist, als zur Befriedigung des Gläubigerinteresses erforderlich ist.377 Die dahinter stehende Sachfrage ist unabhängig von ihrer dogmatischen Einordnung dieselbe. Auch die Orientierung des Integritätszuschlages am Wiederbeschaffungswert anstatt am bloßen Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert des beschädigten Fahrzeugs)378 ist zutreffend: Zwar besteht die Vermögenseinbuße des Geschädigten, die nach § 251 BGB zu ersetzen wäre, tatsächlich nur in dem Wiederbeschaffungsaufwand, weil ihm der Restwert des beschädigten Fahrzeugs verbleibt.379 Jedoch dient das Kriterium der Unverhältnismäßigkeit in § 251 Abs. 2 BGB dem Schutz seines Interesses am Erhalt des gesamten nutzbaren Kfz, dessen Wert damit die Untergrenze für das Integritätsinteresse bildet. Der Restwert des beschädigten Fahrzeugs wäre in diesem Zusammenhang in der Tat, wie der Bundesgerichtshof mit Recht betont, lediglich ein hypothetischer Rechnungsposten, den der Geschädigte nicht realisiert.380 Der pauschale Integritätszuschlag von 30 % lässt sich freilich nur mit dem besonderen Bedürfnis nach einer effektiven Handhabung von Massenfällen erklären. Richtigerweise kann es sich dabei allenfalls um einen groben Richtwert handeln, vom dem im Einzelfall je nach der Intensität des spezifischen Naturalleistungsinteresses des Geschädigten – d.h. der aus seiner Sicht bestehenden Differenz zwischen Naturalrestitution und Wertersatz – nach oben oder unten abzuweichen ist.381
Monate weiternutzt, vgl. BGHZ 115, 364; BGHZ 154, 395; BGHZ 162, 161; BGH NJW 2008, 2183; BGH NJW-RR 2010, 277 f.; BGH NJW 2011, 669. 377 S. oben § 1.II.5.b) (S. 26 f.). 378 Vgl. BGHZ 115, 364, 371 f.; BGHZ 115, 375; BGHZ 154, 395, 400. 379 Vgl. BGHZ 162, 170, 174. 380 BGHZ 154, 395, 400. 381 So auch die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur, vgl. Medicus, JuS 1973, 211, 212; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 6 XIV 5 c (S. 398 f.); MünchKomm-BGB/ H. Oetker, 2012, § 251 Rn. 42 m.w.N.
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V. Persönliche Unzumutbarkeit 1. Die Sonderrolle persönlicher Handlungspflichten Viele frühere und heutige Rechtsordnungen schließen für persönliche Handlungspflichten den Naturalerfüllungsanspruch kategorisch aus;382 hier hat die Parömie nemo praecise cogi ad factum ihren Ursprung.383
a) Der Begriff persönlicher Leistungen Das Spezifikum der persönlichen Leistungspflichten besteht – nach der ganz gängigen und auch hier zugrunde gelegten Definition – in ihrer Unvertretbarkeit, d.h. sie sind nicht delegierbar.384 Dies führt dazu, dass insoweit der Erfüllungsanspruch nur über Zwangsmittel (Zwangsgeld oder Zwangshaft) durchgesetzt werden kann.385 Der Erfüllungszwang kann auch im Notfall nicht durch die Einschaltung eines Dritten als Erfüllungsgehilfen abgewendet werden, so dass lediglich das Vermögen des Schuldners betroffen wäre. Vielmehr trifft er den Schuldner notwendigerweise unmittelbar in seiner persönlichen Freiheitssphäre, weil er ggf. gegen seinen Willen gezwungen wird, eine Handlung vorzunehmen. Die zwangsweise Durchsetzung von Handlungspflichten wird jedoch häufig als unangemessener Eingriff in die Freiheitssphäre des Schuldners angesehen, der geradezu zu einer Versklavung des Schuldners im Interesse des Gläubigers führen könnte.386 Über das Argument der Versklavung hinaus sind es vor allem auch seine Grundrechte, die durch die zwangsweise Durchsetzung von Leistungspflichten beeinträchtigt werden: So kann die geschuldete Leistung nach ihrem Inhalt oder nach den Umständen ihrer Erbringung mit religiösen Geboten oder mit dem Gewissen des Schuldners kollidieren; auch eine Kollision mit anderen rechtlichen oder moralischen Verpflichtungen oder mit eigenen Rechten oder Rechtsgütern kann der persönlichen Leistungserbringung durch den Schuldner entgegenstehen.387 So kann etwa eine sonntägliche Arbeitspflicht sowohl mit religiösen Pflichten (Kirchgang) als auch mit der Ausübung des Wahlrechts388 kollidieren; ebenso kann der Bedarf des eigenen 382 Vgl. zum römischen Recht oben § 2.II.4.a) (S. 79 ff.), zum heutigen französischen Recht Art. 1142 Code Civil und dazu oben § 2.V.2.a) (S. 107 ff.). 383 Vgl. dazu bereits oben § 2.II.4.a) (S. 79 ff.). 384 Vgl. M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 21 ff., 241 ff.; s. auch Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 385, 388 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 112. 385 Vgl. M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 151. 386 Vgl. zu beiden Gesichtspunkten unten § 7.II.2 (S. 434 ff.); s. zum philosophischen Hintergrund dieser Sonderrolle Barnett, 4 Soc. Phil. & Policy 179, 185 ff. (1986); ferner Drabe, Die Naturalerfüllung im französischen Recht mit Hilfe der „astreinte“, 1968, S. 20. 387 Vgl. zu weiteren Beispielsfällen Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 384 f. 388 Damit soll nicht gesagt werden, dass der Schuldner hier tatsächlich ein Leistungsver-
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erkrankten Kindes nach persönlicher Betreuung oder die Beerdigung eines engen Familienmitglieds der Leistung entgegenstehen.
b) Der grundrechtliche Hintergrund Den zitierten Fällen ist gemeinsam, dass die Leistungspflicht hier mit grundrechtlich geschützten Rechtspositionen des Schuldners kollidiert. Der Gläubiger als Privatperson ist zwar an die Grundrechte nicht gebunden. Jedoch muss der Staat – d.h. die Zivilgerichte – bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche die Grundrechte der Prozessparteien einerseits in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat beachten; und andererseits obliegt ihm zugleich der Schutz der grundrechtlichen Gewährleistungen vor Eingriffen Dritter (sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte).389 Wie soeben dargelegt, können persönliche Leistungspflichten in besonderem Maße mit Grundrechten bzw. grundrechtlich geschützten Rechtsgütern des Schuldners kollidieren. Relevant sind teilweise spezielle Grundrechtsgewährleistungen wie die Religionsund Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder jedenfalls die negative allgemeine Handlungsfreiheit als Freiheit, eine Handlung nicht vornehmen zu wollen. Ein Gericht, das im Kollisionsfall eine Leistungspflicht zwangsweise durchsetzen will, muss also prüfen, ob es dadurch nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte des Schuldners eingreift. Allein der Umstand, dass die Leistungspflicht auf Vertrag oder Gesetz beruht, genügt zur Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs genauso wenig wie das zur Unterstützung angeführte Argument, dass auch der Anspruch des Gläubigers seinerseits vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) umfasst ist.390 Hinzu kommt, dass bei vertraglichen Ansprüchen der Anspruch des Gläubigers selbst auch aufgrund der Vertragsfreiheit geschützt ist, denn es ist gerade deren Ziel, dem Gläubiger einen verbindlichen und durchsetzbaren Anspruch zu gewähren. Daneben können im Einzelfall auf Gläubigerseite auch eigene, besondere Grundrechte treten, wenn der Vertrag gerade zu deren Verwirklichung dient, so beispielsweise beim Vertrag zwischen Verlag und Druckerei über die Herstellung einer Zeitung, wo zugunsten des Verlags als Leistungsgläubiger die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG streitet.391 Es geht verfassungsrechtlich in den hier reweigerungsrecht hätte; regelmäßig wird ihm die Möglichkeit der Briefwahl eine problemlose Wahrnehmung des Wahlrechts trotz Sonntagsarbeit gestatten (anders wohl Staudinger/ Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 104). 389 Vgl. zu dieser – heute ganz herrschenden – Konstruktion der mittelbaren Grundrechtswirkung im Privatrecht Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.; ders., Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 23 ff.; ders., FS Cian, 2010, S. 383, 387 ff. 390 Vgl. BVerfGE 45, 142, 179; Maunz/Dürig/Papier, 2010, Art. 14 Rn. 201 und dazu Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 388. 391 Vgl. auch das Beispiel bei Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 402 f.: Filmverleiher beruft
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levanten Fällen der Leistungserschwerung also um die Zuordnung einander gegenüberstehender Grundrechtspositionen nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs (praktische Konkordanz).392
c) Die Umsetzung der Schutzgebote im Zivilrecht Zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen – d.h. zur Erfüllung der Schutzpflichten gegenüber den Grundrechten des Schuldners ebenso wie ggf. gegenüber denjenigen des Gläubigers – stehen dem Gesetzgeber verschiedene Wege zur Verfügung:393 Ist die gesamte Vertragserfüllung von vornherein nur unter Verstoß gegen Grundrechte einer Vertragspartei möglich, so verstößt nach deutschem Recht bereits der Vertrag selbst gegen die guten Sitten und ist daher gem. § 138 BGB nichtig. Die Beispiele reichen von der überlangen Vertragsdauer eines Bierlieferungsvertrags (Verstoß gegen Art. 12 GG)394 über sog. Ebenbürtigkeitsklauseln in Erbverträgen (Verstoß gegen die Eheschließungsfreiheit)395 bis zur vertraglichen Verpflichtung zur Empfängnisverhütung innerhalb von Arbeitsverträgen oder Partnerschaften396. Für den früheren „Musterfall“ grundrechtswidriger Verträge, die Prostitution, hat das ProstG inzwischen eine vermittelnde Lösung entwickelt, wonach zwar der Vertrag über die Prostitution selbst tatsächlich insofern sittenwidrig und nichtig ist, als die Verpflichtung der Prostituierten zur Erbringung ihrer Dienstleistungen betroffen ist, der Entgeltanspruch jedoch entsteht, sobald die Leistung der Prostituierten (sei es auch nur teilweise) erbracht wurde (§§ 1 S. 1, 2 S. 2 ProstG).397 Eine andere Möglichkeit der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten besteht darin, den Vertrag zwar für wirksam zu erachten, allerdings die konkrete Leistungspflicht auszuschließen, wie dies § 275 Abs. 3 BGB regelt. Ist es nur die konkrete Leistungserbringung selbst, die – möglicherweise nicht schlechthin, sondern nur unter bestimmten Umständen – gegen die Grundrechte des Schuldners verstößt, so kann der staatlichen Schutzpflicht durch einen solchen Anspruchsausschluss genügt werden. Zudem können die entgegensich gegenüber dem Kinobetreiber auf seine Kunstfreiheit (beim Film „Die Sünderin“, vgl. BVerwGE 1, 303 ff. und Bosch/Habscheid, JZ 1954, 213). 392 Vgl. BVerfGE 52, 1, 29; BVerfGE 95, 48, 58; BVerfGE 98, 17, 37. 393 S. auch den Überblick bei Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 471 ff. 394 Vgl. BVerfGK 3, 112 = NJW 2004, 2008. 395 S. zu Zölibatsklauseln in Arbeitsverträgen auch BAG NJW 1957, 1688, 1689 f. (allerdings gestützt auf § 134 BGB). 396 LAG Hamm DB 1969, 2353, 2354 – allerdings noch gestützt auf die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte über § 134 BGB; Staudinger/Sack/Fischinger, 2011, § 138 Rn. 626. 397 Vgl. zur Dogmatik dieser besonderen Form halbseitiger Teilnichtigkeit etwa Arm brüster, NJW 2002, 2763 ff.
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stehenden persönlichen Leistungshindernisse auch auf der Ebene des Vertretenmüssens berücksichtigt werden, indem sie als Begrenzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB verstanden werden. Die Antwort auf die Frage nach dem Vertretenmüssen ist dafür entscheidend, ob an den Anspruchsausschluss in der Folge gleichwohl Sanktionen geknüpft werden können, die vom Verlust des Anspruches auf die Gegenleistung (§§ 326 Abs. 1, 616 BGB) über den Schadensersatz statt der Leistung bis hin zur Kündigung eines Arbeitsvertrags reichen können.398 Und schließlich kann der Gesetzgeber den Grundrechtskonflikt auf materiell-rechtlicher Ebene unberücksichtigt lassen und den Schuldner lediglich im Vollstreckungsrecht schützen. Insoweit besteht im deutschen Recht etwa gem. § 888 Abs. 3 ZPO ein letzter Schutz des Schuldners vor quasi-physischem Zwang zur Leistung.399 Vor den größten Härten schützt letztendlich die allgemeine vollstreckungsrechtliche Härteklausel des § 765a ZPO, wonach das Vollstreckungsgericht eine Vollstreckungsmaßnahme ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen kann, „wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.“ Hierdurch kann auch bei persönlich zu erfüllenden Leistungspflichten ohne Beschneidung der materiell-rechtlichen Rechtsposition ein Grundrechtsschutz im Einzelfall verwirklicht werden,400 falls nicht bereits die vorgenannten Schutzmechanismen greifen. Praktisch besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vollstreckung von mietrechtlichen Räumungsurteilen bei Suizidgefahr des verurteilten Mieters.401 Auch hierbei handelt es sich um eine Leistungspflicht, die nur in Person erfüllt werden kann, und bei der besondere Grundrechtseinschränkungen drohen. Der Unterschied zwischen Zwangsvollstreckung und materiell-rechtlichen Sekundärfolgen ist dabei nur ein gradueller: Auch der drohende Schadensersatzanspruch übt eine gewisse (mittelbare) Zwangswirkung auf den Schuldner aus, die in ihrer Wirkung von derjenigen einer Zwangsgeldandrohung verschieden ist. Das Zwangsgeld wird solange verhängt, bis der Schuldner die Leistung erbracht hat; es findet keine Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse des Gläubigers statt (wie überhaupt das Zwangsgeld nach deutschem Recht nicht dem Gläubiger, sondern der Staatskasse zufließt). Infolgedessen kann sich der Schuldner im Vollstreckungswege nicht von seiner Leistungspflicht „freikaufen“, sondern bleibt stets zur persönlichen Leistung verpflichtet. Mit der Be398
S. dazu noch näher unten § 5.V.2.e) (S. 369 ff.). S. dazu unten § 7.II.2.b) (S. 435 f.). 400 Zum Grundrechtsschutz durch § 765a ZPO vgl. BVerfGE 46, 325, 332 f.; BVerfGE 49, 220, 226 f.; BVerfGE 52, 214, 219; s. auch Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 43 Rn. 6 f. m.w.N. 401 Vgl. etwa BVerfG NJW 1991, 3207; NJW 1994, 1272 f.; NJW 1994, 1719 f. 399
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zahlung des Schadensersatzes statt der Leistung wird der Schuldner dagegen von der Naturalleistungspflicht endgültig frei, so dass kein weiterer Zwang zur Handlung mehr besteht. Abgesehen hiervon unterscheiden sich die vollstreckungsrechtlichen und materiell-rechtlichen Rechtsfolgen der Nichterfüllung nicht kategorial. Zwischen diesen einfachgesetzlichen Möglichkeiten zum Schutze der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter und Rechte des Schuldners hat der Gesetzgeber – und in Ausfüllung seiner Wertungen der Rechtsanwender – die Wahl. Je nach der Eigenart der betroffenen Rechtsgüter bzw. Rechtspositionen und Intensität der befürchteten Beeinträchtigung einerseits und der Schutzwürdigkeit der Gläubigerinteressen andererseits kann schon der bloße Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO oder die fehlende Vollstreckbarkeit nach § 818 Abs. 3 ZPO genügen. Die lediglich vollstreckungsrechtlichen Beschränkungen können aber die materiell-rechtlichen Folgen einer Leistungspflichtverletzung nicht ausschließen. Das gilt insbesondere für Schadensersatzpflichten und Vertragsstrafen, aber auch für Rücktritts- oder Kündigungsrechte der Vertragsgegenseite, deren Existenz bzw. drohende Ausübung für den Schuldner eine ähnliche Wirkung entfalten kann wie die Androhung eines Zwangsgelds.402 Dies kann es in manchen Fällen erforderlich machen, dem Schuldner materiell-rechtlichen Schutz nach § 275 Abs. 3 BGB, oder gar nach § 138 BGB zu gewähren.
d) Die Behandlung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass eine Verurteilung zur Naturalerfüllung auch bei persönlichen Handlungspflichten grundsätzlich möglich ist. Die Sonderrolle persönlicher Handlungspflichten spricht nicht gegen die prinzipielle Anerkennung eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die Handlung, der – selbst wenn er z.T. nicht vollstreckbar ist – jedenfalls mit den Mitteln des materiellen Rechts sanktioniert ist, insbesondere mit einem Schadensersatzanspruch bei Nichterfüllung und im Arbeitsrecht mit der Möglichkeit einer verhaltensbezogenen Kündigung wegen Pflichtverletzung. Der von diesen Sekundärfolgen ausgehende begrenzte mittelbare Leistungszwang rechtfertigt sich bei vertraglichen Handlungspflichten aus dem vertraglichen Versprechen selbst:403 Wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Handlung verspricht, so kann sich der Gläubiger darauf nur dann verlassen, wenn einerseits die Nichteinhaltung des Versprechens für den Schuldner mit Sanktionen verbunden ist, und wenn er andererseits sichergehen kann, dass wenigstens sein monetäres Leistungsinteresse befriedigt wird. Die gleiche Rechtfertigung gilt erst recht für Vertragsstrafen, die für den Fall der Nichtleistung versprochen werden. 402 S. zum vollstreckungsrechtlichen Schutz auch Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 403 mit Fn. 62; A. Blomeyer, JZ 1954, 309, 312; Luhmann, AöR 90 (1965), 257, 281 f. 403 Vgl. dazu auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 212 ff., 217 ff.
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Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Übergangstatbestände vom Naturalerfüllungsanspruch auf den Schadensersatzanspruch statt der Leistung sind daher keine Besonderheiten zu beachten. Insbesondere ist der Fristsetzungsmechanismus des § 281 BGB auch auf nicht vollstreckbare Handlungspflichten ohne weiteres anwendbar, weil der dadurch ausgeübte mittelbare Druck darauf beschränkt ist, dem Gläubiger das (monetäre) Leistungsinteresse zu verschaffen. Umgekehrt hat der Gläubiger gerade dann ein besonderes Interesse an einem Übergang auf den Schadensersatzanspruch statt der Leistung, wenn der Naturalerfüllungsanspruch als solcher nicht vollstreckbar ist.
2. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Untersuchung kommt der Vorschrift des § 275 Abs. 3 BGB eine zentrale Bedeutung zu,404 weil sie den materiell-rechtlichen Übergang von der Naturalleistungspflicht auf eine Geldleistungspflicht – in Gestalt des Schadensersatzanspruches statt der Leistung gem. § 283 BGB – regelt.405 Wie § 275 Abs. 2 BGB hat auch Abs. 3 der Vorschrift eine doppelte Funktion:406 als Übergangstatbestand auf den Schadensersatz statt der Leistung und als Haftungsausschluss. Weil aber die nach § 275 Abs. 3 BGB maßgeblichen leistungsbefreienden Umstände nur selten vom Schuldner zu vertreten sind,407 so dass ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers ausscheidet, liegt der Schwerpunkt der praktischen Bedeutung sogar in der ersatzlosen Befreiung von der Leistungspflicht. Lediglich verschuldensunabhängige Rechtsfolgen wie der Wegfall der Gegenleistungspflicht nach §§ 326, 616 BGB oder die personenbezogene Kündigung im Arbeitsrecht kommen dann noch in Betracht.
a) Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des § 275 Abs. 3 BGB beschränkt sich nach dem Wortlaut der Vorschrift auf Leistungen, die der Schuldner „persönlich zu erbringen hat“. Dies deckt sich mit der oben408 herausgearbeiteten Sonderrolle derjeni404
Zu § 888 Abs. 3 ZPO s. noch unten § 7.II.2 (S. 434 ff.). zu dieser Vorschrift eingehend Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, passim; Joachim, FS Horn, 2006, S. 49 ff.; Canaris, FS Cian, 2010, S. 383 ff.; M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 150 ff., 595 ff. 406 S. oben § 5.IV.1.a) (S. 325 ff.). 407 Ausgeschlossen ist dies freilich nicht, etwa wenn sich ein Schuldner verpflichtet, sonntagmorgens Zeitungen auszutragen, die Arbeitsleistung dann aber jeden Sonntagmorgen wegen religiöser Pflichten verweigert; hier liegt eine anfängliche persönliche Unzumutbarkeit i.S.v. § 311a Abs. 2 BGB vor, die er bei – hier vorliegender Kenntnis – zu vertreten hat. S. dazu näher sogleich unter § 5.V.2.e) (S. 369 ff.). 408 § 5.V.1.a) (S. 355 f.). 405 Vgl.
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gen Leistungspflichten, deren Erfüllung der Schuldner nicht auf andere delegieren kann.409 Dies sind in erster Linie Pflichten zur Vornahme unvertretbarer Handlungen, von dem klassischen Beispiel der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers oder der Dienstpflicht einer Sängerin, über die Erteilung von Auskünften über Umstände, die allein dem Schuldner bekannt sind, sowie höchstpersönliche Werkleistungen (z.B. die Herstellung eines Kunstwerks), bis hin zur Räumung einer Mietwohnung nach Beendigung des Mietverhältnisses.410 Die oben geschilderten Konflikte mit geschützten Rechten und Rechtsgütern des Schuldners können aber auch bei anderen, nicht in diesem Sinne höchstpersönlichen Verpflichtungen auftreten. So kann auch ein Warenhändler in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn er erfährt, dass sein Kunde die verkaufte – für sich neutrale – Ware zur Herstellung von Kriegswaffen verwenden will, oder wenn er damit Straftaten begehen will;411 auch kann es für einen gläubigen Juden zu einem Konflikt mit seiner grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit führen, wenn der vertraglich vereinbarte Fälligkeitstermin einer – durchaus auch vertretbaren – Sachleistung auf den Sabbat fällt.412 Zwar wird sich der Konflikt in Fällen vertretbarer Leistungen häufig durch die Einschaltung eines Dritten als Erfüllungsgehilfen vermeiden lassen, so dass sich die allenfalls – bei § 275 Abs. 2 BGB zu verortende – Frage stellen kann, ob die dafür erforderlichen Kosten nicht außer Verhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers stehen. Manchmal ist aber die Einschaltung eines Erfüllungsgehilfen trotz prinzipieller Vertretbarkeit der geschuldeten Leistung aus praktischen Gründen ausgeschlossen, etwa weil der Konflikt erst sehr kurzfristig offenbar wird. Hier wird teilweise vertreten, § 275 Abs. 3 BGB sei insoweit anzuwenden, weil auch hier die Leistung zumindest faktisch höchstpersönlich zu erbringen sei: Eine Delegation sei zwar rechtlich (bzw. vertraglich) zulässig, aber faktisch ausgeschlossen.413 In der Tat trifft in diesen Fällen der Gewissenskonflikt den Schuldner mit der gleichen Unausweichlichkeit wie bei rechtlich höchstpersönlichen Leistungspflichten, so dass die Analogie gerechtfertigt ist. In anderen Fällen dagegen besteht das ideelle bzw. immaterielle Leistungshindernis beim Schuldner trotz einer auch faktisch bestehenden Delegationsmöglichkeit, wenn auch die Einschaltung eines Dritten als Erfüllungsgehilfen den Schuldner in die gleichen Gewissensnöte stürzen würde wie die persönliche 409 Vgl. M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 21 ff., 241 ff.; s. auch Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 385, 388 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 112. 410 Vgl. aber auch LG Köln NZM 2005, 621: Anwendung des § 275 Abs. 3 BGB auf die Pflicht eines Mieters zum Betrieb des gemieteten Geschäftslokals, ohne das Fehlen einer persönlichen Leistungspflicht (der Mieter hätte den Betrieb an einen Dritten verpachten können) überhaupt zu problematisieren; s. dazu M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 154 ff. 411 Vgl. RGZ 92, 355, 358; RGZ 96, 237, 240; RGZ 99, 156, 157; RGZ 106, 316, 318. 412 Vgl. zu dieser Konfliktlage, allerdings anhand eines Falles persönlicher Dienstleistungspflicht, bereits Bosch/Habscheid, JZ 1954, 213, 213 f. 413 Vgl. Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 388 f.
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Erbringung der Leistung. Das kann etwa im erstgenannten Beispielsfall der militärischen Verwendung der verkauften Sache gelten, weil der Schuldner sich dann zumindest vorwerfen könnte, einen Dritten mit der Leistung beauftragt und damit letztlich doch genau den Erfolg bewirkt zu haben, den ihm sein Gewissen verbietet. Auf diese Fälle ist § 275 Abs. 3 BGB seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht anzuwenden. Auch eine analoge Anwendung scheitert an der klaren gesetzgeberischen Intention, den Anwendungsbereich der – verhältnismäßig niedrigen – Schwelle des § 275 Abs. 3 BGB auf solche Leistungspflichten zu beschränken, bei denen immaterielle bzw. ideelle Konfliktlagen besonders häufig sind: höchstpersönliche Leistungspflichten. Allerdings hat die Rechtsprechung vergleichbare Fälle schon früher über ein Leistungsverweigerungsrecht aus Gewissensgründen, aus Glaubensgründen o.ä. jeweils über § 242 BGB gelöst.414 Diese Lösung ist auch heute noch tragfähig. Insbesondere ermöglicht sie besser als eine analoge Anwendung des § 275 Abs. 3 BGB, die Besonderheiten der jeweiligen Leistungspflicht zu berücksichtigen, und die Schwelle des Leistungsverweigerungsrechts ggf. auf einem anderen Niveau festzulegen, als § 275 Abs. 3 BGB das nahelegen würde.415
b) Die relevanten Leistungshindernisse Die Vorschrift des § 275 Abs. 3 BGB spricht in ihrem Wortlaut nur allgemein von dem „seiner [des Schuldners] Leistung entgegenstehenden Hindernis[…]“ und würde damit prinzipiell alle Leistungshindernisse erfassen, unabhängig von ihrer materiellen oder immateriellen Natur. Die Berücksichtigung materieller Leistungserschwerungen würde sich jedoch mit der Regelung des § 275 Abs. 2 BGB überschneiden und dazu führen, dass materielle Leistungserschwerungen bei höchstpersönlichen Leistungspflichten bereits die Anwendung der (einfachen) „Zumutbarkeitsregel“ des § 275 Abs. 3 BGB begründen könnten. Darin würde eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung höchstpersönlicher gegenüber delegierbaren Leistungspflichten liegen, wo materielle Erschwerungen erst dann ein Leistungsverweigerungsrecht begründen, wenn der Leistungsaufwand in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht.416 Die Höchstpersönlichkeit der Leistungspflicht wirkt sich vielmehr nur bei solchen Leistungshindernissen bzw. -erschwerungen aus, 414
Vgl. RGZ 92, 355, 358; RGZ 96, 237, 240; RGZ 99, 156, 157; RGZ 106, 316, 318; BGH NJW 1991, 693, 694; krit. dazu Diederichsen, FS Michaelis, 1972, S. 36 ff.; s. ferner Bosch/ Habscheid, JZ 1954, 213 ff.; Wieacker, JZ 1954, 466 ff. und aus heutiger Sicht Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 411 f. sowie Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 142 ff., der die Lösung für die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen allerdings generell außerhalb des § 275 Abs. 3 BGB sucht. 415 S. dazu noch unten § 5.V.3 (S. 371); a.A. insoweit M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 156 f. 416 S. dazu oben § 5.IV.2 (S. 332 ff.).
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die gerade in der Person des Schuldners bestehen und von dieser nicht getrennt werden können. Daher beschränkt die h.M. zutreffenderweise das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB im Wege einer restriktiven Auslegung bzw. einer teleologischen Reduktion auf immaterielle oder ideelle Leistungshindernisse.417 Dementsprechend beschränkt sich auch die Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bei der Aufzählung von Anwendungsbeispielen auf immaterielle oder ideelle Leistungshindernisse.418 Derartige Leistungshindernisse sind etwa die schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen, den der Schuldner unabdingbar pflegen muss, die Einberufung eines Arbeitnehmers zum Wehrdienst im Ausland, der bei Nichtbefolgung der Einberufung mit der Todesstrafe rechnen muss,419 aber auch die Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen.420 Auch eine Erkrankung des Schuldners selbst kann ein nach § 275 Abs. 3 BGB zu berücksichtigendes persönliches Leistungshindernis begründen, sofern es nicht ohnehin zur Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB führt421 – etwa wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit trotz Erkrankung zwar ausführen könnte, aber nur auf Kosten einer langsameren Genesung.422 Umstritten ist, ob § 275 Abs. 3 BGB auch auf die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen anzuwenden ist. Dagegen wird eine Passage aus der Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz angeführt, wonach sich die „Fälle der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen […] nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen“ lassen.423 Hieraus wird teilweise abgeleitet, eine Lösung über § 275 Abs. 3 BGB verstoße gegen den Willen des Gesetzgebers und sei daher unzulässig; zudem sei die Gewissensproblematik nicht auf persönliche Leistungspflichten beschränkt, so dass der beschränkte Anwendungsbereich des § 275 Abs. 3 BGB hierauf 417 Vgl. bereits Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662: „In diesen Fällen sollen nicht nur objektive, sondern auch auf die Leistung bezogenene persönliche Umstände des Schuldners berücksichtigt werden“; ferner Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 386; Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 371 f.; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 5 Rn. 33. 418 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662 f. 419 Vgl. den Sachverhalt in BAG NJW 1983, 2872, 2874. 420 Beispiele nach Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662 f. 421 Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit begründet nach h.M. echte Unmöglichkeit der Arbeitsleistung, vgl. zum früheren Recht BAG AP § 1 KSchG 1969 „Krankheit“ Nr. 30 sowie die Darstellung bei Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 290 ff. m.N.; nach der Schuldrechtsreform vgl. J. Joussen, NZA 2001, 745, 747; M. Fischer, DB 2001, 1923, 1924; Däubler, NZA 2001, 1329, 1332; Herbert/Oberrath, NJW 2005, 3745, 3747. 422 Vgl. Henssler/Muthers, ZGS 2002, 219, 223; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 118; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 108. 423 Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 l. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 661.
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nicht passe.424 Stattdessen wird eine Lösung über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, im Arbeits- und Dienstvertragsrecht über § 616 BGB sowie im Übrigen über § 242 BGB befürwortet.425 Allerdings ist bereits oben gezeigt worden, dass die Differenzierung zwischen höchstpersönlichen und anderen Leistungspflichten auch im Hinblick auf Gewissenskonflikte zu überzeugen vermag. Die vergleichsweise niedrige Schwelle des Leistungsverweigerungsrechts aus § 275 Abs. 3 BGB ist bei nicht-persönlichen Leistungspflichten nicht in gleicher Weise angemessen wie bei persönlichen Leistungspflichten, weil insoweit echte Gewissenskonflikte wesentlich unwahrscheinlicher und typischerweise durch Delegation der Leistung auflösbar sind.426 Daher ist es überzeugend, wenn die h.M. auch (und gerade) Gewissenskonflikte nach § 275 Abs. 3 BGB behandelt, weil diese den Schuldner bei höchstpersönlichen Leistungen in besonderem Maße treffen können.427
c) Die Berücksichtigung von Ausweichmöglichkeiten des Schuldners Ein Leistungshindernis im Sinne des § 275 Abs. 3 BGB besteht nur, wenn bzw. soweit dieses der Leistungserbringung tatsächlich im Wege steht. Hat der Schuldner dagegen die Möglichkeit, das Leistungshindernis zu umgehen, so besteht von vornherein – und unabhängig von einer Abwägung – kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB, weil schon kein (schutzwürdiges) „Leistungshindernis“ im Sinne dieser Vorschrift besteht.428 So kann etwa eine Kollision zwischen einer sonntäglichen Arbeitspflicht und dem Wahlrecht unproblematisch durch Briefwahl aufgelöst werden, ohne dass der Arbeitnehmer auch nur im Geringsten in seiner Wahlrechtsausübung beeinträchtigt wird.429 Weniger eindeutig liegt es allerdings, wenn der Schuldner eine naheliegende Ausweichmöglichkeit nicht nutzt und der Gewissens- oder andere Konflikt im letzten Moment dann doch unausweichlich wird. Das kann etwa der Fall sein, wenn der Schuldner die Briefwahlmöglichkeit nicht nutzt und den Arbeitgeber erst am Samstagabend, wenn es für die Beantragung von Briefwahlunterlagen zu spät ist, auf den Konflikt aufmerksam macht. Dem Schuldner hier die Einrede aus § 275 Abs. 3 BGB wegen der abstrakt zu einem früheren Zeitpunkt 424
Vgl. v.a. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 139 ff. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004. 426 S. oben § 5.V.2.a) (S. 360 ff.). 427 Vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 105; Henssler/Muthers, ZGS 2002, 219, 223; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 118; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 5 Rn. 29; Looschelders, Schuldrecht AT, 112013, Rn. 482; Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 390 ff. 428 Vgl. das Druckerbeispiel bei Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 405; in Bezug auf die grundrechtliche Gewissensfreiheit auch von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 Rn. 25 m.w.N. 429 Diese Ausweichmöglichkeit übersehen offenbar Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 104, die hier ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers annehmen. 425 Vgl.
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bestehenden Ausweichmöglichkeit insgesamt zu verweigern hieße, sein Wahlrecht effektiv zu vereiteln. Gleiches gilt für Gewissensgründe, die erst vorgebracht werden, wenn die letzte Ausweichmöglichkeit verstrichen ist: Auch hier bedeutete ein Ausschluss der Berufung auf § 275 Abs. 3 BGB, dass der Schuldner verpflichtet würde, gegen sein Gewissen zu handeln. Das dürfte vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 1 GG nicht in jedem Fall, sondern nur nach einer Einzelfallabwägung gerechtfertigt sein. Das Verstreichenlassen der Ausweichmöglichkeit kann hier durchaus als Verschulden des Schuldners gewertet werden, welches einerseits die von ihm geschuldeten „moralischen Anstrengungen“ erhöht, und andererseits im Falle einer gleichwohl zulässigen Leistungsverweigerung zu einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung führen kann (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB).
d) Die Abwägung im Einzelnen Die Grundstruktur der Einrede aus § 275 Abs. 3 BGB entspricht der des § 275 Abs. 2 BGB: Auch hier ist eine Abwägung erforderlich zwischen einerseits der Belastung, welche die Naturalleistung für den Schuldner mit sich bringt, und andererseits dem Interesse des Gläubigers an der Naturalleistung. Der Unterschied zu § 275 Abs. 2 BGB liegt darin, dass bei § 275 Abs. 3 BGB lediglich immaterielle Leistungshindernisse zu berücksichtigen sind. Der Grundsatz pacta sunt servanda führt dabei dazu, dass – wie auch in der Gesetzessystematik angelegt – die Wertungslast430 bei dem Schuldner liegt, der die Einrede des § 275 Abs. 3 BGB erhebt.431 Die Konzentration auf immaterielle Leistungshindernisse erschwert die Abwägung, weil diese mit dem (regelmäßig materiellen) Leistungsinteresse des Gläubigers nicht kommensurabel sind. Daher bleibt für die Praxis nur eine Verweisung auf die Überzeugungsbildung des Richters, der die immaterielle Belastung des Schuldners durch die Erfüllungspflicht würdigen und in ein Verhältnis zum Gläubigerinteresse setzen muss.432 Zu berücksichtigen ist dabei zunächst die grundrechtliche Fundierung der beiderseitigen Interessen:433 Aufseiten des Schuldners werden häufig persönliche Grundrechte wie die Religions-, Gewissens- oder Meinungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder jedenfalls die Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG stehen. Aufseiten des Gläubigers stehen der eigentumsrechtlich als Vermögensrecht geschützte Anspruch 430 Vgl. zu diesem Rechtsinstitut Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 138 ff.; ders., RW 2013, 1, 17 ff. 431 Ähnlich Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 397. 432 Vgl. dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 77 ff.; ders., RW 2013, 1, 15 f., 17; für einzelne Abwägungsdirektiven vgl. die – freilich im Detail nicht immer überzeugende (vgl. dazu sogleich im Text) – Zusammenstellung typischer Konfliktlagen bei Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 345 ff. 433 S. oben § 5.V.1.b) (S. 356 f.) sowie eingehend Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 394.
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selbst und ggf. weitere durch die geschuldete Leistung zu verwirklichende Grundrechte. Damit ist die Abwägung in erster Linie eine Grundrechtsabwägung, bei welcher sowohl das Übermaßverbot als auch das Untermaßverbot zu berücksichtigen sind und das Gericht im Falle kollidierender Grundrechtspositionen diese in praktische Konkordanz zu bringen hat.434 Aufseiten des Schuldners ist das konkret geltend gemachte Leistungshindernis zu berücksichtigen. Wie allgemein bei Fragen subjektiver Grundrechte wie der Religions- und Gewissensfreiheit kommt es für die Ermittlung des „ob“ sowie der Schwere der Beeinträchtigung nicht auf die Sicht des Richters an, sondern allein auf die (begründete) Perspektive des Schuldners und Grundrechtsberechtigten.435 Dementsprechend muss die zutreffende Frage lauten, ob der Schuldner sich durch den geltend gemachten Umstand (in nachvollziehbarer, aber nicht infrage zu stellender Weise) an der Leistung gehindert sieht. Eindeutig ist das etwa, wenn er sich durch die Leistungserbringung strafrechtlichen Sanktionen aussetzen würde (z.B. im Fall der kollidierenden Einberufung zum Wehrdienst). Im Übrigen sind aber auch rein moralische Pflichten zu berücksichtigen, etwa die moralische Verpflichtung zur Anwesenheit bei der Beerdigung eines engen Freundes oder zur Pflege eines Angehörigen. Dabei ist indessen stets zu beachten, dass zwischen der vertraglichen Leistungspflicht und den strafrechtlichen, religiösen oder moralischen Anforderungen ein „dialektisches Wechselspiel“436 besteht: Die Anforderungen des Strafrechts, aber auch der Religion und des Gewissens sind nicht statisch, sondern können ihrerseits in Abhängigkeit vom Gläubigerinteresse divergieren. Die Bindung an das gegebene Wort (eines Vertragsversprechens) ist sowohl in den wesentlichen Religionen als auch aus moralischer Sicht ein hoher Wert, der eine Ausnahme von anderen religiösen und moralischen Verpflichtungen begründen kann. So kann etwa ein besonders intensives Gläubigerinteresse (z.B. Lebensgefahr bei einem sonntags zu behandelnden Patienten) eine Ausnahme von dem religiösen Verbot der Sonntagsarbeit rechtfertigen. Sogar die Länge der nach § 142 StGB erforderlichen Wartefrist kann durch entgegenstehende vertragliche Pflichten beeinflusst werden.437 Die praktische Konkordanz muss also nicht automatisch stets zulasten der vertraglichen Leistungspflicht gehen. Aufseiten des Gläubigers ist zunächst und selbstverständlich der Wert der Leistung selbst zu berücksichtigen, genauer: seine Einbuße für den Fall des 434
S. oben § 5.V.1.b) (S. 356 f.) sowie näher Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 387 ff. BVerfG 32, 98, 107; BAG AP § 611 Direktionsrecht Nr. 27; AP § 611 Gewissensfreiheit Nr. 1; von Münch/Kunig/Mager, Art. 4 Rn. 25; MünchKomm-BGB/Henssler, § 616 Rn. 48. 436 So Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 395. 437 Vgl. etwa MünchKomm-StGB/Zopfs, 2012, § 142 Rn. 85. A.A. offenbar Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 311: Wartepflicht sei generell höher zu bewerten als Vertragspflichten. 435 Vgl.
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Ausbleibens der Leistung. Dazu zählt jede materielle Einbuße, also der Substanz- und der Ertragsausfallschaden. Hinzu können aber auch immaterielle Einbußen kommen, so etwa der Umstand, dass ein angestellter Arzt für eine lebenswichtige Operation benötigt wird, bei seiner Leistungsverweigerung aus persönlichen Gründen also das Leben oder zumindest die Gesundheit des Patienten in Gefahr sind.438 Zusätzlich ist nach dem Normzweck des § 275 Abs. 3 BGB aber auch zu berücksichtigen, inwieweit der Gläubiger gerade auf die höchstpersönliche Leistungserbringung angewiesen ist. Dass der Gläubiger sich gerade den Schuldner persönlich ausgesucht hat und der Vertrag dem Schuldner untersagt, seine Leistung durch die eines Dritten zu substituieren, bedeutet nämlich noch nicht zwingend, dass die Leistung aus Sicht des Gläubigers auch bei einem persönlichen Leistungshindernis aufseiten des Schuldners nicht durch einen Dritten in vergleichbarer Weise erbracht werden kann. Wenn z.B. bei einer Opernaufführung eine Zweitbesetzung in Bereitschaft steht – wie dies an größeren Opernhäusern regelmäßig der Fall ist –, bleibt zwar die Leistungspflicht der Solo-Sängerin der Erstbesetzung eine höchstpersönliche. Gleichwohl kann der Gläubiger ihren Ausfall (z.B. wegen der Erkrankung ihres Kindes) wesentlich leichter auffangen, als wenn sie die einzige ist, welche die Rolle an diesem Abend singen kann. Dementsprechend ist ihr in diesem Fall eher ein Leistungsverweigerungsrecht zuzubilligen. Umstritten ist, ob bei der Abwägung auch zu berücksichtigen ist, ob der Schuldner das immaterielle Leistungshindernis zu vertreten hat, sein Eintreten also entweder bei Vertragsschluss voraussehen konnte oder musste (Gedanke des § 311a Abs. 2 S. 2 BGB) oder verschuldet hat, z.B. durch das Auslassen einer naheliegenden Ausweichmöglichkeit.439 Dagegen spricht zunächst die Gesetzessystematik, wonach sich das Vertretenmüssen gem. § 275 Abs. 2 S. 2 BGB nur auf die Regelung der groben Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwandes bezieht,440 und gerade nicht auf die persönliche Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB. Die entsprechende Regelung zur groben Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwandes ist erst in einem späten Stadium infolge einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers in § 275 Abs. 2 S. 2 BGB behalten worden und entgegen dem Regierungsentwurf nicht auf § 275 Abs. 3 BGB erstreckt worden.441 Diese Änderung ging auf die Stellungnahme des Bundesrates und 438 Vgl.
Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 398. Für universelle Geltung des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB etwa NK-BGB/Dauner-Lieb, § 275 Rn. 63; i.E. auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 117; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, 2004, S. 158; gegen die Berücksichtigung des Vertretenmüssens Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 2 Rn. 84; Erman/H. P. Westermann, § 275 Rn. 31. 440 S. dazu oben § 5.IV.2.d) (S. 337 ff.). 441 Vgl. zunächst § 275 Abs. 2 S. 3 BGB-RegE (Regierungsbegründung zum SMG. BTDrs. 14/6040, S. 6 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 441). 439
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(v.a.) die Gegenäußerung der Bundesregierung zurück,442 welche sich wiederum auf einen Beitrag von Löwisch zu den arbeitsrechtlichen Besonderheiten des Leistungsstörungsrechts bezog, der allerdings seinerseits das Vertretenmüssen gar nicht thematisierte.443 Erst der Rechtsausschuss schuf die gegenwärtige Fassung, in der die persönliche Unzumutbarkeit in Abs. 3 ausgelagert wurde, so dass die Berücksichtigung des Vertretenmüssens allein in § 275 Abs. 2 S. 2 BGB verblieben ist.444 Als materielle Begründung dieser Regelung verblieb letztlich lediglich die Befürchtung, einem kranken Arbeitnehmer könnte das Leistungsverweigerungsrecht nach dem heutigen § 275 Abs. 3 BGB verwehrt werden, weil er seine Krankheit zu vertreten habe.445 Zugleich wurde jedoch anerkannt, dass es sich beim Vertretenmüssen um einen Aspekt handelt, der auch ohne den ausdrücklichen Hinweis im Gesetz bei der Abwägung zu berücksichtigen sei.446 So richtig diese Auffassung für den zitierten Einzelfall des schuldhaft erkrankten Arbeitnehmers ist, so wenig lässt sich daraus ableiten, das Vertretenmüssen des Schuldners dürfe generell keine Rolle für die Gewährung des Leistungsverweigerungsrechts spielen. Für eine derart allgemeine Aussage sind die denkbaren Anwendungsfälle des § 275 Abs. 3 BGB zu vielgestaltig. Allerdings dürfte der richtige Ort für seine Berücksichtigung bereits die Ermittlung des persönlichen Leistungshindernisses auf Schuldnerseite sein: Auch manche entgegenstehenden moralischen oder religiösen Pflichten können an Intensität verlieren, wenn sich der Schuldner sehenden Auges oder schuldhaft überhaupt erst in die Konfliktlage hineinmanövriert hat. Dies ist jedoch kein zwingendes Kriterium, und viele Gewissenskonflikte bestehen auch dann in gleicher Weise, wenn sie für den Schuldner vorhersehbar oder zu einem früheren Zeitpunkt vermeidbar waren. Den Schuldner hier gleichwohl zu einer Naturalleistung zu zwingen, also gegen seine moralische oder religiöse Verpflichtung zu verstoßen, nur weil er den Konflikt hätte vermeiden können, dürfte mit der staatlichen Schutzpflicht zugunsten der entsprechenden Grundrechte nicht vereinbar sein. Vielmehr dürfte der praktischen Konkordanz zwischen dem eigentumsrechtlich geschützten Anspruch des Gläubigers und den entgegenstehenden Grund442 Vgl. Stellungnahme des Bundesrats. BT-Drs. 14/6857, S. 11 (Nr. 21) = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 944 und zustimmend Gegenäußerung der Bundesregierung. BT-Drs. 14/6857, S. 47 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 1005 f., wo allerdings die komplette Streichung des heutigen § 275 Abs. 2 S. 2 BGB befürwortet wurde, weil das Vertretenmüssen des Schuldners ohnehin in der allgemeinen Abwägung zu berücksichtigen sei. 443 Löwisch, NZA 2001, 465, 465 f. 444 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses. BT-Drs. 14/7052, S. 12 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 441. 445 So ausdrücklich Gegenäußerung der Bundesregierung. BT-Drs. 14/6857, S. 47 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 1005. 446 Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung. BT-Drs. 14/6857, S. 47 r. Sp. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 1005.
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rechten des Schuldners häufig auch dadurch Rechnung getragen werden können, dass der Schuldner in diesen Fällen nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB bzw. nach § 311a Abs. 2 BGB Schadensersatz statt der Leistung schuldet, dem Gläubiger also jedenfalls sein monetäres Leistungsinteresse voll zu ersetzen hat.447 Heuert etwa ein Arbeitnehmer muslimischen Glaubens bei einem Schlachthof an, und verweigert er dann die Arbeit mit dem Hinweis darauf, dass ihm der Kontakt mit Schweinefleisch aus religiösen Gründen verboten sei (was er bei Vertragsschluss schon wusste), so mag hierin ein Verschulden bei Vertragsschluss liegen, und überdies ein Anspruch des Arbeitgebers auf Schadensersatz statt der Leistung gem. § 311a Abs. 2 S. 2 BGB für die Kosten einer Ersatzkraft bestehen (und selbstverständlich auch ein Recht zur personenbezogenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, evtl. auch zur Anfechtung gem. § 119 Abs. 2 BGB). Gleichwohl wäre es mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn ein Gericht den Arbeitnehmer gleichwohl zur Arbeitsleistung verurteilen würde (unabhängig von der ohnehin fehlenden Vollstreckbarkeit gem. § 818 Abs. 3 ZPO).448 Ihm muss daher ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zustehen – dessen Geltendmachung im Übrigen den Anspruch des Arbeitgebers aus § 311a Abs. 2 S. 2 BGB überhaupt erst eröffnet. Das Vertretenmüssen des Schuldners ist daher bei der nach § 275 Abs. 3 BGB vorzunehmenden Abwägung zu dessen Lasten zwar zu berücksichtigen, allerdings nur mit einem geringen Gewicht, und dies innerhalb der Feststellung des entgegenstehenden Hindernisses.449
e) Die Sekundärrechte des Gläubigers Die Sekundärrechte des Gläubigers bestimmen sich, wie bereits mehrfach angedeutet, auch im Falle des § 275 Abs. 3 BGB nach den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB bzw. § 311a Abs. 2 BGB. In diesen Fällen erweist sich die persönliche Unzumutbarkeit als echter Übergangstatbestand von der Naturalleistung auf ein Geldäquivalent. Gerade bei persönlichen Leistungshindernissen der hier relevanten Art zeigt sich die Berechtigung eines solchen Übergangstatbestandes: Die kollidierenden moralischen, religiösen oder anderen persönlichen Gründe werden in aller Regel nur der Naturalleistung entgegenstehen, nicht der Bezahlung eines Geldäquivalents: pecunia non olet.
447 (Auch) hier zeigt sich, dass der grundrechtliche Eigentumsschutz nicht stets ein Schutz in specie ist, sondern auch als Vermögensschutz realisiert werden kann; vgl. dazu noch näher unten § 6.III.2.a) (S. 420 f.). 448 A.A. insoweit Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 358 ff., der den Vertragsschluss bei vorhersehbarer Grundrechtskollision als Grundrechtsverzicht wertet; ähnlich i.E. auch Diederichsen, FS Michaelis, 1972, S. 36, 40. 449 Ähnlich i.E. auch Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 410 f.; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 5 Rn. 31.
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Die Schadensersatzhaftung steht nach dem ausdrücklichen Wortlaut der genannten Vorschriften allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten haben muss. Soweit nicht eine Haftung wegen Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB)450 oder wegen einer übernommenen Garantie (§ 276 Abs. 1 S. 1 a.E. BGB) vorliegt, kommt es hierfür auf das Verschulden des Schuldners an. Die Frage nach dem Gewicht entgegenstehender rechtlicher, moralischer oder religiöser Pflichten stellt sich hierbei erneut, diesmal im Rahmen der Ermittlung der verkehrserforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB): Diese gebietet keine einschränkungslose Aufgabe eigener Grundrechtspositionen und keine Verletzung anderweitiger rechtlicher oder auch moralischer Verpflichtungen zugunsten einer bestimmten (vertraglichen oder gesetzlichen) persönlichen Leistungspflicht.451 Regelmäßig wird die Existenz eines derartigen Leistungshindernisses zugleich das Verschulden des Schuldners und damit einen Schadensersatzanspruch und auch die Verwirkung vereinbarter Vertragsstrafen ausschließen (§§ 339 S. 1, 286 Abs. 4 BGB).452 Damit ist zugleich die Gefahr gebannt, dass der drohende Schadensersatzanspruch auf den Schuldner erheblichen Druck zur Erbringung der Naturalleistung ausübt, welcher der Wirkung eines staatlichen Zwangsgelds entspricht:453 Regelmäßig droht ein solcher Schadensersatzanspruch eben nicht. In den wenigen Fällen, in denen der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat, hat er das Risiko i.d.R. sehenden Auges in Kauf genommen (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB) und verdient daher auch keinen Schutz vor dem mittelbaren Zwang zur Leistung, der von der Schadensersatzpflicht bzw. einer Vertragsstrafe ausgeht. Eine weitere Sekundärfolge ist der Verlust des Anspruches auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB), der mit der Erhebung der Einrede aus § 275 Abs. 3 BGB ipso iure eintritt.454 Ob im Rahmen von Dienstverträgen der Entgeltanspruch gemäß § 616 BGB aufrechterhalten wird, wenn es sich nur um (nicht verschuldete) punktuelle Leistungsverweigerungen handelt, bedarf im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine Erörterung,455 weil es für die Frage der Naturalleistungspflicht keine Rolle spielt. Hinzu kommt als Sekundärfolge bei Dauerschuldverhältnissen – namentlich bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen – das Kündigungsrecht des Gläubigers, das wegen des bestehenden mate450
hof.
451
Vgl. dazu das obige Beispiel des Arbeitnehmers muslimischen Glaubens im Schlacht
Vgl. etwa Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 276 Rn. 16; aus der Zeit vor der Schaffung des § 275 Abs. 3 BGB etwa Löwisch, AcP 165 (1965), 421, 424 ff. 452 A.A. offenbar Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 404, allerdings ohne nähere Begründung. 453 Vgl. dazu Canaris, FS Cian, 2010, S. 383, 404. 454 Vgl. nur MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 326 Rn. 8; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 326 Rn. 5. 455 Vgl. zur Problematik Tillmanns, Strukturfragen des Dienstvertrages, 2007, S. 368 f.; MünchKomm-BGB/Henssler, § 616 Rn. 49; Kamanabrou, GS Zachert, 2010, S. 400 ff.; G reiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 143 ff.
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riell-rechtlichen Leistungsverweigerungsrechts des Schuldners allerdings keine verhaltensbezogene Kündigung zulässt, sondern lediglich (aber immerhin) eine personenbezogene Kündigung als ultima ratio – nach dem Vorbild einer krankheitsbedingten Kündigung.456 Auch dieses ist hier nicht näher zu erörtern.
3. Die ergänzende Anwendung von § 242 BGB Oben wurde festgehalten, dass das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB zwar richtigerweise auf rechtlich oder faktisch nicht delegierbare (persönliche) Leistungspflichten beschränkt ist, dass aber auch bei anderen Leistungspflichten vergleichbare Gewissenskonflikte auftreten können. Weil die Gewissenskonflikte und andere persönliche Hindernisse hier bei typisierender Betrachtung weniger häufig und v.a. wegen der (gewissensschonenden) Möglichkeit einer Delegation der Leistung auf Dritte weniger gravierend sein werden, sollte § 275 Abs. 3 BGB hier auch nicht analog angewendet werden.457 Gleichzeitig darf daraus nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass persönliche Leistungshindernisse hier generell unbeachtlich seien. Vielmehr kann insoweit auf die Rechtspraxis vor der Schuldrechtsreform zurückgegriffen werden. Danach kann entweder bereits eine Vertragsauslegung ergeben, dass die Naturalleistung im Konfliktfall nicht geschuldet ist,458 oder es wird über § 242 BGB korrigierend in den Vertrag eingegriffen, mit der Folge, dass dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht.459 Die hierbei vorzunehmende Abwägung unterscheidet sich strukturell und inhaltlich nicht von der Abwägung des § 275 Abs. 3 BGB. Lediglich die Schwelle, ab welcher ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners bejaht wird, dürfte in aller Regel höher liegen, weil das Hindernis ihn wegen der Möglichkeit einer Delegation der Leistung auf Dritte nicht im gleichen Maße trifft wie bei höchstpersönlichen Leistungspflichten.
456 Vgl. etwa BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1 unter B I 2 b ff. (= NJW 1990, 203, 204 ff.); Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004, S. 500 ff. 457 S. bereits oben § 5.V.2.a) (S. 360 ff.). 458 Die hier – und auch bei § 275 Abs. 3 BGB – vorzunehmende Abwägung verortet Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 173 ff. generell im Rahmen der Vertragsauslegung. Das überschätzt allerdings die Möglichkeit, den wirklichen Willen der Parteien ex post zu ermitteln, und führt damit letztlich zu fiktiven Auslegungsergebnissen, deren Bezeichnung als (heteronomes) dispositives Gesetzesrecht methodenehrlicher ist (s. dazu auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 378 f.). 459 S. die Nachweise oben Fn. 414.
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VI. Weitere Gründe für einen sofortigen Übergang auf den Schadensersatz Neben der Unmöglichkeit und den ihr gleichgestellten Tatbeständen der groben Unverhältnismäßigkeit des Leistungsaufwands und der persönlichen Unzumutbarkeit bestehen noch einige andere Gründe, die einen sofortigen Übergang vom Naturalleistungsanspruch auf einen Schadensersatzanspruch ohne vorherige Fristsetzung rechtfertigen.
1. Fixgeschäfte Unter Fixgeschäften versteht man Rechtsgeschäfte, bei denen das Leistungsinteresse des Gläubigers in besonderem Maße zeitabhängig ist, und daher bereits im Vertrag ein bestimmter Leistungstermin oder Leistungszeitraum fest vereinbart ist. Im Hinblick auf den Grundsatz der Naturalerfüllung besteht die Besonderheit von Fixgeschäften darin, dass der Gläubiger mit Ablauf des Leistungstermins bzw. Leistungszeitraums nicht mehr an den Vorrang der Naturalerfüllung gebunden ist, sondern unmittelbar auf einen Geldanspruch übergehen kann. Herkömmlich wird zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften unterschieden.
a) Absolute Fixgeschäfte Bei den sog. absoluten Fixgeschäften kann die geschuldete Leistung nach der Natur der Sache bzw. nach dem Inhalt der vertraglichen Leistungspflicht nur in einem bestimmten Zeitraum erbracht werden; mit Ablauf dieses Zeitraums tritt Unmöglichkeit ein.460 Beispiele für absolute Fixgeschäfte sind der Werkvertrag eines Fotografen, von einem bestimmten Ereignis (z.B. einer Hochzeitsfeier) Aufnahmen anzufertigen, die Teilnahme an einer bestimmten Opernaufführung als Sänger, oder zeitlich gebundene Wettbewerbsverbote. Auch die Arbeitsverpflichtung eines Arbeitnehmers kann eine absolute Fixschuld darstellen, wenn die Arbeitsleistung im Einzelfall nicht nachholbar ist.461 In aller Regel sind auch (selbständige) Unterlassungspflichten absolute Fixschulden, wenn und weil diese durchgehend zu erfüllen sind und eine Zuwiderhandlung nicht mehr ungeschehen zu machen ist.462 460 Vgl. nur Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 14 ff.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 45 ff. 461 Vgl. zu dieser umstrittenen Frage U. Huber, Leistungsstörungen I, 1999, § 6 III 4 (S. 164 ff.); Staudinger/Löwisch/Feldmann, 2009, Vor §§ 286–292 Rn. 9 f.; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 48. 462 Vgl. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 49 f.; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 23 f.
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Da die Einordnung einer Verpflichtung als absolutes Fixgeschäft die Folgen der Unmöglichkeit bei Verstreichen des Leistungszeitraums unmittelbar herbeiführt, insbesondere ohne weitere Voraussetzungen oder Wertungen den Naturalerfüllungsanspruch ausschließt und den Gläubiger auf einen Geldanspruch verweist, ist bei der Annahme absoluter Fixgeschäfte Zurückhaltung geboten. So hat der Bundesgerichtshof zu Recht einen Flugbeförderungsvertrag selbst dann nicht als absolutes Fixgeschäft angesehen, wenn es sich um einen Zubringerflug handelt.463 Denn auch bei einer Verspätung des Fluges hat der Fluggast in aller Regel noch ein Interesse daran, sein Flugziel zu erreichen, so dass der Naturalerfüllungsanspruch für ihn sinnvoll ist. Problematisch ist insofern das häufig zitierte Beispiel des Weihnachtsbaums, der nur bis Weihnachten als ein solcher geliefert werden könne:464 Ein entsprechender Baum kann dem Gläubiger physisch auch nach Weihnachten noch geliefert werden. In der Tat wird der Gläubiger dafür zwar meist keine Verwendung mehr haben;465 gerade dieses Verwendungsrisiko muss der Gläubiger indessen grundsätzlich selbst tragen, wenn er es nicht durch die Vereinbarung eines (dann aber relativen) Fixgeschäfts auf den Schuldner überträgt. Hier liegt also kein absolutes Fixgeschäft vor, weil gerade nicht die Leistung als solche (Übereignung eines Baumes) durch Zeitablauf unmöglich wird, sondern allenfalls die Erreichung des vom Gläubiger angestrebten weiteren Verwendungszwecks. Diese und andere Fälle besonderer Eilbedürftigkeit bzw. Terminabhängigkeit sind vielmehr ohne weiteres über die allgemeine Abwägungsregelung des § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB (bzw. für das Rücktrittsrecht § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) lösbar, ohne dass dafür die starre Einordnung als absolutes Fixgeschäft nötig wäre. Wie allgemein bei der Unmöglichkeit466 ist daher auch für die Einordnung als absolutes Fixgeschäft nur zu fragen, ob nach Zeitablauf die Leistung überhaupt nicht mehr erbracht werden kann bzw. ihr Inhalt nicht mehr der geschuldete Inhalt ist (z.B. beim Singen alleine auf der Bühne anstatt in einem Chor). Daher ist das absolute Fixgeschäft keine eigenständige Kategorie, sondern schlicht über den allgemeinen Unmöglichkeitsbegriff zu lösen. Der Begriff des absoluten Fixgeschäfts hat dabei lediglich ordnende, nicht aber konstitutive Funktion.
463
BGH NJW 2009, 2743 f.; anders BGHZ 60, 14, 16 f. für einen Reisevertrag. etwa Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 420; Looschelders, Schuldrecht AT, 112013, Rn. 471; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 323 Rn. B 101. 465 Selbst das ist nicht zwingend – die Traditionen darüber, ob, wann und wie lange ein Weihnachtsbaum aufgestellt wird, divergieren zwischen den Religionen und auch regional erheblich. 466 S. oben § 5.III.2 (S. 309 f.). 464 Vgl.
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b) Relative Fixgeschäfte (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) Die sogenannten relativen Fixgeschäfte zeichneten sich bislang dadurch aus, dass die besondere Zeitabhängigkeit des Erfüllungsinteresses des Gläubigers nicht aus der Natur der Sache folgte, sondern aus der vertraglichen Vereinbarung.467 Seit der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie zum 13. Juni 2014 genügt es, wenn sie aus den Umständen bei Vertragsschluss, insbesondere auch aus einer einseitigen Äußerung des Schuldners hervorgeht, solange nur der Termin selbst vertraglich vereinbart wurde.468 Trotz des Ablaufs des vereinbarten Leistungstermins bzw. Leistungszeitraums bleibt in diesen Fällen die naturale Leistung im technischen Sinne möglich; sie ist nur für den Gläubiger nicht mehr brauchbar, und diese Zeitabhängigkeit seines Leistungsinteresses hat Ausdruck im Vertrag oder in den vertragsschlussbegleitenden Umständen gefunden. Voraussetzung für die Annahme eines relativen Fixgeschäftes ist demnach, dass der Gläubiger im Vertrag sein Interesse an der Naturalerfüllung in spezifischer Weise an einen Leistungstermin bzw. Leistungszeitraum geknüpft hat. Herkömmlich wird formuliert, dass der Vertrag mit der Einhaltung des Termins „stehen und fallen“ soll.469 Entscheidendes Kriterium für die Annahme eines relativen Fixgeschäfts ist danach, dass nach der Prognose des Gläubigers bei Vertragsschluss sein Interesse an der Naturalleistung mit Ablauf des vereinbarten Leistungstermins oder -zeitraums entfallen wird.470 In diesem Fall endet der Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches nach dem Parteiwillen; der Gläubiger kann nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB vom Vertrag zurücktreten, ohne zuvor eine Frist setzen zu müssen. Indiz für die Annahme eines Fixgeschäfts ist – neben der Verwendung von Begriffen wie „fix“ oder „prompt“471 – vor allem der Umstand, dass der Gläubiger die Zeitabhängigkeit seiner Verwendungsplanung offengelegt und zum Vertragsinhalt erhoben hat. Wer etwa als Autohersteller den Zulieferer in eine Just-in-Time-Lieferkette einbindet, vereinbart dafür ein relatives Fixgeschäft, weil er auch bei geringfügigen Verzögerungen schnell reagieren und ggf. Deckungsgeschäfte vornehmen muss, ohne sich auf langwierige Fristsetzungen einlassen zu müssen. Gleiches gilt für einen Einzelhändler, der „für das Weihnachtsgeschäft“ bei seinem Lieferanten Ware bestellt, wenn und weil die Weiterverkaufschancen nach der Weihnachtszeit auch dann drastisch sinken, wenn es sich nicht um typische Weihnachtsware handelt.472 467
Vgl. dazu eingehend Schwarze, AcP 207 (2007), 437 ff. S. näher Riehm, NJW 2014, 2065, 2067 f. 469 St. Rspr. seit RGZ 51, 347, 348; vgl. z.B. BGHZ 110, 88, 96; BGH WM 1984, 639, 641. Zu Recht krit. zu dieser Formel Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 441; Staudinger/Otto/ Schwarze, 2009, § 323 Rn. B 101. 470 So Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 450 f. 471 Vgl. Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 40. 472 Vgl. OLG Braunschweig OLGE 43, 38 und dazu Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 451. 468
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Ob dem Gläubiger bei einem relativen Fixgeschäft zugleich stets auch der Übergang zum Schadensersatz statt der Leistung offen steht, ist umstritten.473 Die zutreffende h.M. beantwortet diese Frage differenzierend anhand einer Auslegung der vertraglichen Vereinbarung: Nach der Auslegungsregel des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB bedeutet eine relative Fixschuld zunächst lediglich, dass – entsprechend dem früheren § 361 BGB 1900 – für den Fall des fruchtlosen Verstreichens des Leistungszeitraums ein Rücktrittsrecht bestehen soll. Da eine entsprechende Regelung für den Übergang auf den Schadensersatz in § 281 Abs. 2 BGB fehlt und nur für den Handelskauf in § 376 Abs. 1 HGB vorgesehen ist, ist davon auszugehen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht automatisch auch der Weg zum Schadensersatz offen stehen soll.474 Das lässt sich auch teleologisch rechtfertigen, belastet doch der Übergang auf den Schadensersatz den Schuldner stärker als der bloße Rücktritt.475 Ein Übergang auf den Schadensersatz ist nach dieser Auffassung nur unter den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 oder Abs. 2 Alt. 2 BGB möglich, wenn also der Gläubiger dem Schuldner – trotz Ablaufs des fix vereinbarten Leistungstermins! – entweder eine (zusätzliche) Frist zur Leistung gesetzt hat476 oder nach Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Übergang auf den Schadensersatz gerechtfertigt ist, wobei insoweit die bloße Fixschuldvereinbarung nicht genügen soll, sondern zusätzlich ein objektiver Interessewegfall aufseiten des Gläubigers gefordert wird.477 Dieser wird freilich regelmäßig auch vorliegen – es sei denn, der Gläubiger hat das Fixgeschäft ohne objektiven Grund abgeschlossen. In den Fällen, in denen nach dem Vorstehenden bei Verstreichen des fixen Leistungstermins zwar ein Rücktrittsrecht, aber kein Schadensersatzanspruch besteht, muss sich der Gläubiger dann entscheiden: Tritt er sofort vom Vertrag zurück, verliert er zugleich die Möglichkeit, dem Schuldner eine Frist nach § 281 Abs. 1 BGB zu setzen und danach auf den Schadensersatz überzugehen, weil kein fälliger durchsetzbarer Leistungsanspruch mehr besteht. Hat der Schuldner die Nichtleistung aber nicht zu vertreten, so kann ohnehin kein Schadensersatzanspruch entstehen, so dass der Gläubiger hierdurch nichts verliert; gleiches gilt, wenn ihm kein Schaden entsteht, weil er die Leistung zum gleichen Preis bei einem Dritten beziehen kann. In diesen Fällen kann der Verzicht auf den Schadensersatzanspruch durch sofortigen Rücktritt also aus Sicht des Gläubigers durchaus sinnvoll sein. Wollen die Parteien bei einem relativen 473
Vgl. dazu Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 453 m.w.N. So etwa Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 29 mit Fn. 29; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 59; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 110; Ramming, ZGS 2002, 412, 415; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 203; für einen Gleichlauf von § 281 Abs. 2 und § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB dagegen Jaensch, NJW 2003, 3613, 3614 f. 475 Ebenso Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 453. 476 So der Vorschlag von MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 59. 477 So auch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 203; s. zu § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB näher unten § 5.VI.3 (S. 380 ff.). 474
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Fixgeschäft dagegen sicherstellen, dass der Gläubiger bei Verstreichen des Leistungstermins auch Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, so können sie das Fristsetzungserfordernis abbedingen.478 Anders als beim absoluten Fixgeschäft liegt das Ende des Naturalleistungsanspruches – durch Rücktritt oder Schadensersatzverlangen – aber in der Hand des Gläubigers. Diesem steht mit dem Ablauf des vereinbarten Leistungszeitraums zwar ein Rücktrittsrecht und möglicherweise auch ein Schadensersatzanspruch zu. Gleichwohl kann er weiterhin auf Naturalerfüllung bestehen, wenn sich seine Prognose eines Wegfalls des Leistungsinteresses im Nach hinein etwa als unzutreffend herausstellt, er also (wider Erwarten) doch noch Verwendung für die Naturalleistung hat. Er hat also nach wie vor – wie nach Ablauf der Frist nach § 281 Abs. 1 BGB479 – ein uneingeschränktes Wahlrecht zwischen Naturalerfüllung, Rücktritt und ggf. Schadensersatz; die Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts enthebt ihn nur des Erfordernisses einer Fristsetzung.
c) Fixhandelskauf (§ 376 HGB) Beim Fixhandelskauf i.S.v. § 376 HGB liegt eine Besonderheit darin, dass der Übergang zum Schadensersatz statt der Leistung480 nicht von den Voraussetzungen des § 281 BGB abhängt, sondern automatisch mit Fristablauf möglich ist (§ 376 Abs. 1 S. 1 a.E. HGB). Diese vollständige Synchronisierung der Voraussetzungen von Rücktritt und Schadensersatz rechtfertigt sich aus der besonderen Eilbedürftigkeit des Handelsverkehrs, weil hier der Käufer auch zügig die Möglichkeit haben muss, zu einem Deckungsgeschäft zu schreiten.481 Der wesentliche Unterschied zwischen dem Fixhandelskauf und den allgemeinen Regelungen über das relative Fixgeschäft besteht heute aber darin, dass der Gläubiger nach Verstreichen des Leistungstermins die Naturalerfüllung nur noch verlangen kann, wenn er diese Absicht „sofort nach dem Ablaufe der Zeit oder der Frist dem Gegner anzeigt“ (§ 376 Abs. 1 S. 2 HGB). Versäumt er diese Anzeige, so tritt der Übergang vom Erfüllungs- auf den Schadensersatzanspruch kraft Gesetzes ein; er hat kein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Schadensersatz mehr. Diese Schlechterstellung des Gläubigers gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB wirft schwierige Abgrenzungsfragen zwischen dem Fixhandelskauf und dem relativen Fixgeschäft nach BGB 478
S. dazu oben § 5.I.1 (S. 271 f.). S. dazu oben § 5.II.3.a) (S. 286 ff.). 480 Die Verwendung des Terminus „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ hat historische Gründe und bedeutet keine sachliche Abweichung, vgl. nur Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 29. 481 Vgl. nur Herresthal, ZIP 2006, 883, 883 m. Fn. 4; MünchKomm-HGB/Grunewald, § 376 Rn. 2. 479
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auf, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann.482 Richtigerweise dürfte durch Auslegung der Fixschuldvereinbarung anhand der Interessenlage der Parteien zu ermitteln sein, ob ein grundsätzlicher Ausschluss des Erfüllungsanspruches bei Verstreichen des Leistungstermins gewollt ist.483 Dabei ist insbesondere auf das Interesse des Schuldners zu blicken, schnell Klarheit darüber zu erhalten, ob er sich weiter erfüllungsbereit halten muss oder nicht. Liegen hier bei Vertragsschluss erkennbare Umstände vor, die auf ein Interesse des Schuldners hindeuten, den Leistungsgegenstand im Falle einer Leistungsverspätung zügig anderweitig zu verwerten (etwa ein Markt mit kontinuierlichem Preisverfall), so ist von der Vereinbarung eines Fixhandelskaufs i.S.v. § 376 HGB auszugehen. Fehlen derartige Anhaltspunkte, so wird den Parteien mit der Vereinbarung eines bürgerlich-rechtlichen Fixgeschäfts i.S.v. §§ 281 Abs. 2 Alt. 2, 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB hinreichend gedient sein.484
2. Erfüllungsverweigerung Der Vorrang des sekundären Naturalerfüllungsanspruches, der im deutschen Recht durch das Fristsetzungserfordernis des § 281 Abs. 1 BGB gesichert ist, besteht nur im Interesse des Schuldners.485 Dementsprechend kann der Schuldner auf sein Naturalerfüllungsrecht auch verzichten. Der deutlichste Verzicht ist die Erfüllungsverweigerung: Weigert sich der Schuldner ernsthaft und endgültig, die Naturalleistung zu erbringen, so ist eine Fristsetzung durch den Gläubiger sinnlos, weil sie nur zu einer weiteren Verzögerung führt, ohne dass sie die Chancen des Gläubigers verbessert, die Naturalleistung zu erhalten. Daher ist es folgerichtig, wenn § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB die Nachfristsetzung für entbehrlich erklärt, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Mit der Verweigerung der Leistung entsteht das Wahlrecht des § 281 BGB zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz, d.h. der Gläubiger kann entweder seinen Erfüllungsanspruch weiterverfolgen oder stattdessen Schadensersatz verlangen.
a) Die Anforderungen an die Erfüllungsverweigerung Die Kriterien für die Annahme einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung folgen aus dem Zweck dieser Regelung: Der Schuldner muss eindeutig zum Ausdruck bringen, dass er auch im Falle einer Fristsetzung des 482 Vgl. dazu etwa Herresthal, ZIP 2006, 883 ff.; Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 33 ff. 483 Ähnlich Canaris, Handelsrecht, 242006, § 29 Rn. 35. 484 Für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 376 HGB auf kaufmännische Käufer Herresthal, ZIP 2006, 883, 889 f. 485 S. oben § 4.III.2.a) (S. 227 ff.).
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Gläubigers oder eines vergleichbaren Leistungsverlangens nicht bereit wäre, die Leistung zu erbringen;486 es muss deutlich sein, dass die Weigerung sein letztes Wort ist.487 Die bloße Nichteinhaltung eines zugesagten Leistungstermins, eine ausweichende Reaktion auf Leistungsaufforderungen oder die Äußerung rechtlicher Zweifel am Bestehen der Leistungspflicht genügen nicht.488 Dagegen genügt es, wenn er den Grund des Anspruches ernsthaft bestreitet, etwa das Vorliegen eines Mangels489 oder die Wirksamkeit eines Vertrags leugnet. Auch eine (unwirksame) Rücktrittserklärung beinhaltet eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung.490 Da es der Gläubiger nach der gesetzlichen Konzeption des § 281 BGB ohnehin in der Hand hat, den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung durch die Bestimmung der (angemessenen) Frist einseitig herbeizuführen, kommt es auch nur auf die Verweigerung der Erfüllung während dieser zu setzenden Frist an; es genügt also, wenn der Schuldner sich weigert, die Leistung innerhalb der (angemessenen) Frist zu erbringen, unabhängig davon, ob diese Frist tatsächlich bereits gesetzt wurde oder nachträglich vom Gericht ermittelt wird. Beharrt der Schuldner also etwa darauf, er werde keinesfalls innerhalb eines Monats leisten, und betrüge die nach § 281 Abs. 1 BGB zu setzende angemessene Frist zwei Wochen, so liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung i.S.v. § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB vor, selbst wenn der Schuldner zur Leistung nach Ablauf des Monats grundsätzlich bereit wäre. Denn auch in dieser Situation wäre es eine leere Förmelei, dem Gläubiger aufzugeben, dem Schuldner erst die zweiwöchige Frist zu setzen und deren fruchtlosen Ablauf abzuwarten, bevor er auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen darf.491 Relevant kann eine Erfüllungsverweigerung schließlich nur dann sein, wenn zu diesem Zeitpunkt noch ein Erfüllungsanspruch besteht, der Schuldner also 486
Ebenso BGH NJW 2009, 2532, 2533; s. auch BGHZ 193, 315, 323 ff. (Rn. 21 ff.): Erklärung des Schuldners, bis zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leisten zu können, genügt nicht, weil offen bleibt, ob er bis zum Ablauf einer angemessenen Nachfrist doch leisten könnte. 487 Das gilt uneingeschränkt nur für den – hier einzig relevanten – Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung. Im Anwendungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie sind an die Anforderungen der Erfüllungsverweigerung vor Rücktritt (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) in richtlinienkonformer Auslegung geringere Anforderungen zu stellen, vgl. Riehm, NJW 2014, 2065, 2066. 488 Vgl. S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 200. 489 Das gilt (selbstverständlich) nur, solange der Gläubiger noch Naturalerfüllung verlangt. Hat er selbst bereits den Mangel beseitigt und verlangt nur noch Schadensersatz, so ist ein anschließendes „prozesstaktisches Bestreiten“ der Mangelhaftigkeit durch den Schuldner unerheblich, vgl. BGH NJW 2006, 1195, 1197 (Rn. 25); BGH NJW-RR 2009, 667 f.; OLG Düsseldorf NJW 2014, 1115, 1117. 490 Vgl. nur BGHZ 51, 190, 192 f.; BGHZ 53, 150, 151; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 101. 491 Vgl. auch BGH NJW-RR 2003, 13; KG NJW-RR 2009, 1180, 1181 zur Frist nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B.
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überhaupt noch die Möglichkeit zur Erfüllung hat. Hat der Gläubiger etwa einen Mangel bereits selbst beseitigt und dem Schuldner dadurch die Nachbesserung unmöglich gemacht, so schadet diesem auch die ernsthafte und endgültige Verweigerung der Nachbesserung nicht mehr.492
b) Die Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit Wie die Weigerung, die Leistung innerhalb der (fiktiven) angemessenen Frist nach § 281 Abs. 1 BGB zu erbringen, muss auch die ernsthafte und endgültige Verweigerung der Naturalerfüllung vor Fälligkeit einen unmittelbaren Übergang zum Schadensersatz statt der Leistung ermöglichen.493 Zwar besteht hier nur für das Rücktrittsrecht eine ausdrückliche Regelung in § 323 Abs. 4 BGB. Aber auch für den Schadensersatz ist eine Fristsetzung sinnlos, wenn der Schuldner deutlich genug zum Ausdruck bringt, dass er nicht leisten wird. Mit der Aufnahme des vorzeitigen Rücktrittsrechts in § 323 Abs. 4 BGB war nicht beabsichtigt, den bis zur Schuldrechtsreform geltenden gewohnheitsrechtlich anerkannten Schadensersatzanspruch bei vorzeitiger Erfüllungsverweigerung494 abzuschaffen.495 An die Erfüllungsverweigerung sind dabei insofern weitergehende Anforderungen zu stellen, als die Weigerung sich (selbstverständlich) nicht nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt vor Fälligkeit beziehen darf, sondern gerade die Leistung bei Fälligkeit betreffen muss. Das mag zu höheren Anforderungen an die Annahme der Ernsthaftigkeit führen, die jedoch im Rahmen der allgemeinen Auslegungsgrundsätze ohne weiteres berücksichtigt werden können. Liegen diese Voraussetzungen vor, so sollte man dem Gläubiger – in erweiternder Auslegung des § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB – auch schon vor Eintritt der Fälligkeit gestatten, auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen;496 das Abwarten der Fälligkeit wäre in diesem Fall nur eine leere Förmelei.497 Die Möglichkeit eines frühzeitigen Übergangs liegt nicht zuletzt auch im Interesse des Schuldners, weil der Gläubiger durch den zeitnahen Abschluss eines Deckungsgeschäfts (noch vor Fälligkeit der ursprünglichen Forderung) den Eintritt eines – vom Schuldner gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu ersetzenden – Verzögerungsschadens vermeiden kann.
492
So zutreffend BGH NJW-RR 2009, 667. hierzu U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 51 (S. 566 ff.); MünchKommBGB/W. Ernst, 2012, § 381 Rn. 62; s. aber auch BGHZ 193, 315, 322 ff. (Rn. 21 f.): Die Weigerung darf sich nicht nur auf die Leistung bei Fälligkeit beziehen, sondern muss dahin gehen, dass auch innerhalb einer angemessenen Nachfrist nicht geleistet werden könne. 494 Vgl. dazu U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 51 II 2 (S. 577 ff.). 495 Ebenso MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 51. 496 Ebenso MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 51; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 51 II 1 (S. 575). 497 Vgl. BGH NJW 1974, 1080, 1081. 493 Vgl.
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3. Allgemeine Abwägung Oben wurde herausgearbeitet, aus welchen Gründen der Vorrang der Naturalerfüllung durch ein Fristsetzungserfordernis geschützt wird:498 Der Schuldner hat typischerweise auch nach Eintritt der Fälligkeit noch ein Interesse daran, die Naturalleistung zu erbringen und die sich daraus ergebenden Vorteile zu ziehen; und der Gläubiger verliert sein Interesse an der Naturalerfüllung durch den Schuldner regelmäßig nicht schon bei Fälligkeit, weil es regelmäßig auch noch durch eine spätere Erfüllung befriedigt werden kann und er dadurch die Transaktionskosten eines Deckungsgeschäfts erspart. Der gesetzlichen Konzeption des § 281 Abs. 1 BGB liegt also eine typisierende Bewertung der Interessenlage zugrunde, die jedoch nicht immer den Umständen des Einzelfalles gerecht wird. Zur Berücksichtigung solcher Besonderheiten erklärt § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB die Fristsetzung für entbehrlich, „wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruches rechtfertigen.“499
a) Die zu berücksichtigenden Umstände Die bei der Abwägung zu berücksichtigenden „beiderseitigen Interessen“ sind oben bereits eingehend dargestellt worden:500 Aufseiten des Gläubigers steht sein Interesse am Erhalt der Naturalleistung und an der Verwirklichung seiner Verwendungsplanung, wobei aus seiner Warte der Unterschied zwischen der Naturalerfüllung durch den Schuldner und einem Deckungsgeschäft auf Kosten des Schuldners nur in den dafür aufzuwendenden „weichen“ Transaktionskosten besteht, die nicht als Schaden ersatzfähig sind. Für ihn wäre daher – die Möglichkeit eines Deckungsgeschäfts unterstellt – ein Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung schon dann sinnvoll, wenn die Nachteile infolge des Zuwartens bis zum Ablauf einer angemessenen Frist die nicht ersatzfähigen Nachteile eines Deckungsgeschäfts überwiegen.501 Aufseiten des Schuldners ist als sein Naturalerfüllungsinteresse zu berücksichtigen, dass er die Vorteile aus 498
S. oben § 5.II.1 (S. 275 ff.). Die gleichlautende Regelung in § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist mit Wirkung vom 13.6.2014 auf Schlechtleistungen beschränkt worden, um den (vermeintlichen) Anforderungen der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU gerecht zu werden. Für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung beim Rücktritt wegen einer reinen Nichtleistung kann daher nicht mehr unmittelbar auf diese Vorschrift zurückgegriffen werden. Die folgenden Ausführungen sind aber – außerhalb des engen Anwendungsbereichs der Verbraucherrechterichtlinie – auf den Rücktritt übertragbar, vgl. näher Riehm, NJW 2014, 2065, 2067 ff. 500 S. oben § 1.IV (S. 43 ff.). 501 So sogar Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 247, der die Interessen des Schuldners bei der Abwägung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB unbeachtet lassen will, weil dieser die Leistungsstörung zu vertreten habe und daher nicht schutzwürdig sei; dagegen zu Recht die h.M., vgl. etwa MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 58 sowie sogleich im Text. 499
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der persönlichen Erbringung der Leistung ziehen können soll, also den Vertragsgewinn bzw. sonstige Kostenvorteile gegenüber einem Deckungsgeschäft; hinzu kann ein Interesse an der Erbringung der Leistung selbst treten. Zu berücksichtigen sind bei dieser Abwägung nur diejenigen Umstände, die kausal auf der Leistungsverzögerung beruhen. Die Regelung des § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB soll dem Gläubiger gerade nicht ermöglichen, nunmehr aus anderen Gründen vom Naturalerfüllungsanspruch abzugehen und stattdessen Schadensersatz zu verlangen.502 Diese wechselseitigen Interessen sind gegeneinander abzuwägen. Dabei steht nicht der Übergang auf den Schadensersatzanspruch insgesamt infrage, sondern nur der sofortige Übergang. Zu vergleichen ist also die Lage bei sofortigem Übergang mit der Lage bei einem Übergang nach einer angemessenen Nachfrist. Nur wenn gerade das Zuwarten des Gläubigers bis zum Fristablauf diesen mehr belastet, als die „zweite Chance“ zur Erfüllung den Schuldner begünstigt, ist der sofortige Übergang auf den Schadensersatzanspruch gerechtfertigt.
b) Fallgruppen Zur Konkretisierung der allgemeinen Abwägungsregelung in § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB ist es im Interesse der Rechtssicherheit sinnvoll, Fallgruppen zu bilden, in denen die Fristsetzung generell oder doch zumindest grundsätzlich entbehrlich ist.
aa) Interessewegfall des Gläubigers Das Abwägungsergebnis ist zunächst eindeutig, wenn der Gläubiger infolge der zeitlichen Verzögerung das Interesse an der naturalen Leistung verliert, weil seine Verwendungsplanung in besonderem Maße zeitabhängig ist und daher bereits mit Nichtleistung bei Fälligkeit scheitert. Anders als beim relativen Fixgeschäft i.S.v. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Leistungstermin in qualifizierter Form zum Vertragsinhalt geworden ist;503 entscheidend ist allein die tatsächliche einseitige Verwendungsplanung des Gläubigers, ohne dass der Schuldner diese kennen muss.504 Die Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts enthebt lediglich von der Prüfung, ob das Interesse des Gläubigers infolge der Terminversäumung tatsächlich entfallen ist.505 502
Vgl. etwa Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 2 Rn. 142; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 127; zum alten Schuldrecht BGH NJW 1998, 534, 535; RGZ 70, 127, 131; RGZ 96, 126, 129. 503 S. dazu oben § 5.VI.1.b) (S. 374 ff.). 504 Vgl. BGH NJW 1971, 798; Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740; Canaris, FS Wiedemann, 2002, S. 3, 33; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 107; a.A. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 124. 505 Ebenso Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 107; Schwarze, AcP 207 (2007), 437, 447 f.
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Das Interesse des Gläubigers hängt dabei von seiner konkreten Verwendungsplanung ab;506 der Gläubiger muss sich vom Schuldner nicht darauf verweisen lassen, dass er den Leistungsgegenstand auch für einen anderen Zweck nutzen könnte. Zerschlägt sich diese konkrete Planung infolge der Leistungsverzögerung – etwa weil der Abnehmer, für welchen der Gläubiger den Leistungsgegenstand beschafft hat, seinerseits vom Vertrag zurücktritt –, so ist die Naturalleistung für den Gläubiger sinnlos; sein Leistungsinteresse kann nicht mehr natural befriedigt werden, so dass eine Fristsetzung sinnlos ist und ein Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung unabhängig von den Interessen des Schuldners gerechtfertigt ist. Scheitert die Verwendungsplanung des Gläubigers nicht endgültig, sondern nur vorübergehend – z.B. weil der Leistungsgegenstand während des Verzuges nicht vermietet werden kann –, so bleibt sein Interesse an der Naturalerfüllung bestehen, und der sofortige Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung ist nicht gerechtfertigt.507 Führt der Gläubiger den Interessefortfall selbst herbei, indem er ohne vorherige Nachfristsetzung ein Deckungsgeschäft abschließt, so berechtigt ihn das schon deswegen nicht zum Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung, weil der Schuldner den Interessefortfall nicht zu vertreten hat,508 bzw. weil es jedenfalls an einem normativen Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Schuldners und dem Interessewegfall fehlt.509 Nur wenn dadurch die Leistung des Schuldners tatsächlich unmöglich wird (durch Zweckerreichung510), entfällt dadurch auch der Naturalerfüllungsanspruch (nach § 275 Abs. 1 BGB); freilich tritt an seine Stelle kein Schadensersatzanspruch aus § 283 BGB, sondern lediglich ein Anspruch aus § 285 BGB auf den Ersatz der ersparten Aufwendungen.511
bb) Besondere Dringlichkeit der Leistung Das Interesse des Gläubigers am sofortigen Übergang auf den Schadensersatzanspruch kann auch dann überwiegen, wenn die Naturalleistung besonders dringlich ist und dem Gläubiger aus diesem Grund nicht zugemutet werden 506 Vgl. RG JW 1916, 258; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 103; Grigoleit/ Riehm, AcP 203 (2003), 727, 740; MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 281 Rn. 37. 507 Vgl. Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 742 f. 508 Vgl. zum Bezugspunkt des Vertretenmüssens in derartigen Fällen Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1093; S. Lorenz, NJW 2002, 2497, 2501 ff. einerseits; Gsell, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 337, 341 ff. andererseits. 509 Vgl. Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 112; S. Lorenz, FS Leenen, 2012, S. 147, 160 ff. 510 Insoweit kommt es nicht auf die Verwendungsplanung des Gläubigers an, sondern auf die faktische Möglichkeit der Leistungserbringung, s. oben § 5.III.2 (S. 309 f.). 511 Vgl. im Einzelnen oben § 4.V.5 (S. 260 ff.).
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kann, dem Schuldner eine Frist nach § 281 Abs. 1 BGB zu setzen.512 Das Leistungsinteresse entfällt hier allein aufgrund des Zeitablaufs, ohne dass es der Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts bedürfte. Zu denken ist insoweit etwa an Just-in-time-Lieferverträge (sofern nicht ohnehin ein relatives Fixgeschäft vereinbart wurde) oder den Auftrag an einen Klempner zur (sofortigen) Behebung eines Wasserrohrbruches.513 In diesen Fällen ergibt sich die faktische Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung bereits aus den für die Bemessung der Nachfrist geltenden Grundsätzen, da bei besonderer Dringlichkeit der Leistung die angemessene Frist u.U. wenige Stunden oder noch weniger beträgt.514 Aus Sicht des Gläubigers ist hier zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass der Schuldner sich bereits einmal als unzuverlässig erwiesen hat, ihn daran zweifeln lassen kann, ob er innerhalb der (kurz bemessenen) Nachfrist leisten wird. Da er auch durch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts Zeit verlieren wird, kann ihm nach den Umständen des Falles nicht zuzumuten sein, sowohl dem ursprünglichen Schuldner fruchtlos eine erneute Leistungsfrist einzuräumen, als auch die Zeit für ein Deckungsgeschäft zu verlieren. Dann ist es gerechtfertigt, ihm das Deckungsgeschäft sofort zu gestatten.
cc) Arglist des Schuldners Hat der Schuldner die Leistungsstörung vorsätzlich bzw. arglistig herbeigeführt – meist geht es um die arglistige Täuschung über das Vorliegen eines Sachmangels –, so verliert der Schuldner nach Auffassung der Rechtsprechung ebenfalls sein Naturalandienungsrecht.515 Diese Rechtsprechung ist zutreffend, weil einerseits der betrügerische Schuldner schon aus Gründen der Generalprävention nicht erwarten darf, seinen Vertragsgewinn noch zu erzielen, und weil andererseits dem Gläubiger nicht zugemutet werden kann, sich weiterhin auf eine Naturalleistung durch den arglistigen Schuldner einzulassen, in den er jegliches Vertrauen verloren haben dürfte.516
512 Vgl. BGH NJW 2005, 3211, 3212; NJW 2006, 988, 989; Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 118. 513 Vgl. Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 323 Rn. B 121; Staudinger/dies., 2009, § 281 Rn. B 118. 514 S. oben § 5.II.2.c) (S. 284 f.). 515 BGHZ 167, 19, 24; BGH NJW 2007, 835, 837; BGH NJW 2008, 1371, 1373; BGHZ 180, 205, 214 (Rn. 24); Staudinger/Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 118; s. dazu auch H. Rösler, AcP 207 (2007), 564, 590 f. 516 Beachte aber auch BGH NJW 2010, 1805: Auch das wegen Arglist unmittelbar bestehende Rücktrittsrecht erlischt, wenn der Mangel während einer (überflüssigerweise gesetzten) Nachfrist beseitigt wird, der Naturalleistungsanspruch also erfüllt wird. Dann ist der Gläubiger in der Tat nicht mehr schutzwürdig, weil er sein Vertrauen in den Schuldner offenbar doch nicht verloren hatte.
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dd) Schadensersatz statt der Leistung günstiger als Naturalleistung Denkbar ist ein sofortiger Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatz statt der Leistung auch dann, wenn die Kosten der Naturalerfüllung für den Schuldner höher sind als der Schadensersatz statt der Leistung. Soweit hier der Schuldner nicht bereits die Naturalleistung nach § 275 Abs. 2 BGB verweigern kann, weil die Schwelle des „groben Missverhältnisses“ nicht erreicht ist, hat er jedenfalls doch kein Interesse daran, die Naturalleistung zu erbringen,517 weil er dadurch keine Vorteile gegenüber der Schadensersatzleistung erzielen kann. Strebt der Gläubiger in einem solchen Fall sofort den Schadensersatz statt der Leistung an, kann das dem Schuldner nur recht sein. Zu denken ist etwa an den Fall, dass ein verkauftes Auto, das weit entfernt vom Firmensitz des Verkäufers eingesetzt wird und dort wegen eines Sachmangels liegenbleibt. Liegt der vertragliche Erfüllungsort für die Nacherfüllung beim Belegenheitsort des Autos518 und überschreiten schon die – gem. § 439 Abs. 2 BGB vom Verkäufer zu tragenden519 – Transportkosten zur Werkstatt des Verkäufers die Kosten einer Reparatur vor Ort, so hat der Verkäufer kein Interesse daran, die Reparatur selbst vorzunehmen; zu einer Reparatur vor Ort könnte man den Käufer unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 BGB geradezu für verpflichtet halten. Ähnlich liegt es, wenn während des Zuwartens auf die Naturalleistung der – vom Schuldner zu ersetzende – Verzugsschaden immer weiter anwächst: Ist hier absehbar, dass der Verzugsschaden zusammen mit den Kosten der Naturalerfüllung die Kosten eines Deckungsgeschäfts erheblich überschreiten würde, so gebietet ebenfalls die Schadensminderungsobliegenheit die sofortige Vornahme eines Deckungsgeschäfts.520 Eine gesetzte Nachfrist würde ein rational handelnder Verkäufer in diesen Fällen entweder verstreichen lassen oder mit einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung beantworten – in der Hoffnung, danach „nur“ den geringeren Schadensersatz statt der Leistung zahlen zu müssen. Es besteht daher kein Grund, den Käufer hierzu zu verpflichten. Teilweise wird in der Literatur vorgeschlagen, das gleiche Ergebnis – Ersatz der Kosten des „Not-Deckungsgeschäfts“ ohne Fristsetzung – in diesen Fällen dadurch zu erzielen, dass die 517 Besteht ausnahmsweise ein spezifisches Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung in Natur (s. oben § 1.IV.1.b)cc) (S. 52 f.)), so wäre dies selbstverständlich zu berücksichtigen und stünde einem sofortigen Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatz statt der Leistung von vornherein entgegen. 518 Vgl. zu dieser Problematik BGHZ 189, 196 ff.; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 13 f. 519 Vgl. dazu Hellwege, AcP 206 (2006), 136 ff.; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 439 Rn. 21; Unberath/Cziupka, JZ 2008, 867, 873 f. 520 So auch Gsell, LMK 2013, 353035, sub 3, freilich mit anderer Konstruktion; vgl. auch BGH NJW 2010, 2426, 2429 (Rn. 31 f.) zum schadensrechtlichen Parallelproblem.
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Kosten als Verzögerungsschaden statt als Schadensersatz statt der Leistung eingeordnet werden.521 Dadurch wird allerdings die schadensphänomenologische Unterscheidung der § 280 Abs. 1–3 BGB522 ohne Not aufgegeben: Die Vorschrift des § 281 Abs. 2 BGB bietet gerade in den Ausnahmefällen des „Notgeschäfts“ den passenden Ansatzpunkt, um die Problematik ohne dogmatische Verwerfungen innerhalb der Schadenskategorien zu lösen.523 Besonders deutlich wird das, wenn der Gläubiger das Deckungsgeschäft vornimmt, um seinen Abnehmer rechtzeitig zu beliefern, weil dieser ansonsten von seinem Vertrag mit dem Gläubiger Abstand nehmen wollte: Scheitert hier der Vertrag mit dem Abnehmer, so liegt ein Fall des Interessewegfalls vor, so dass die Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB entbehrlich ist.524 Verhindert der Gläubiger das, indem er gewissermaßen in letzter Sekunde ein Deckungsgeschäft vornimmt, so wäre es sinnwidrig, von ihm hier eine Fristsetzung zu erwarten; es liegt ebenfalls ein Fall des § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB vor. Gegen einen sofortigen Übergang wird in diesen Fällen allerdings eingewendet, dass § 275 Abs. 2 BGB (bzw. § 439 Abs. 3 BGB) dem Schuldner eine Einrede gewähren, von der er Gebrauch machen kann, aber nicht muss; dieses Wahlrecht würde dem Schuldner aus der Hand geschlagen, wenn der Gläubiger einseitig den Übergang herbeiführen könnte.525 Allerdings betreffen diese Einreden lediglich den Schutz des Schuldners vor unverhältnismäßigen Naturalerfüllungsverlangen des Gläubigers. Sie enthalten keine Aussage dazu, ob dem Gläubiger die unverhältnismäßige Naturalerfüllung gegen seinen Willen aufgezwungen werden darf; diese Frage ist allein in § 281 Abs. 1 und 2 BGB geregelt. Hinzu kommt, dass der Schuldner in der Praxis die unverhältnismäßige Naturalerfüllung in aller Regel nicht erbringen wollen wird, sondern allein von der – verfehlten – Rechtsprechung Gebrauch machen will, die dem Gläubiger im Falle einer Selbstvornahme ohne vorherige Fristsetzung sämtliche Rechte abschneidet; die Frage wird also erst virulent, wenn der Gläubiger die Leistung bereits selbst vorgenommen hat.526 Gewährt man dem Gläubiger dagegen bei „voreiliger“ Selbstvornahme einen Anspruch auf die vom Schuldner ersparten Auf-
521 Faust, FS U. Huber, 2006, S. 239, 256; Haberzettl, NJW 2007, 1328, 1330 f.; Klöhn, JZ 2010, 46, 47 f.; MünchKomm/Ernst, 2012, § 286 Rn. 118; S. Lorenz, FS Leenen, 2012, S. 147, 154 ff.; Gsell, LMK 2013, 353035, sub 3; Nietsch, NJW 2014, 2385, 2388 f. 522 Vgl. dazu Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727 ff. 523 Ebenso in der Sache zum alten Leistungsstörungsrecht U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 35 VI 4 (S. 171). 524 S. oben § 5.VI.3.b)aa) (S. 381 f.). 525 BGH NJW 2006, 1195, 1197 im Hinblick auf das Verhältnis von Nacherfüllung und Minderung. 526 So der Sachverhalt in BGH NJW 2006, 1195, wo der Verkäufer tatsächlich sowohl von der Nacherfüllung als auch von der Minderung befreit wurde; s. dazu oben § 4.V.5.b) (S. 262 ff.).
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wendungen,527 so dürfte der Schuldner gegen den Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatz statt der Leistung keinen Widerstand leisten, weil seine Ersatzpflicht durch den Übergang in den hier relevanten Fallgruppen dann reduziert würde. Gegen einen sofortigen Übergang kann auch nicht eingewandt werden, dass der Gläubiger nicht einschätzen kann, ob die Naturalerfüllung für den Schuldner teurer ist als der Schadensersatz statt der Leistung. So könnte im obigen Beispiel etwa der Verkäufer selbst Kontakt zu einer Werkstatt vor Ort aufnehmen und dort möglicherweise günstigere Konditionen „unter Kollegen“ erreichen als der Käufer. Die Fristsetzung gäbe dem Verkäufer zwar die Möglichkeit, den Sachverhalt zu prüfen und die verschiedenen Möglichkeiten der Naturalerfüllung auszuloten. Ergibt aber eine Prüfung ex post, dass keine günstigere Möglichkeit der Naturalerfüllung bestand, so ist kein Grund ersichtlich, dem Gläubiger die unterlassene Fristsetzung vorzuwerfen, weil diese nicht zum Ziel geführt hätte. Richtig an diesem Einwand ist allerdings, dass der Gläubiger, der dem Schuldner keine Frist setzt, insoweit auf eigenes Risiko handelt, als das Fehlen einer günstigeren Möglichkeit der Naturalerfüllung und damit die Entbehrlichkeit der Fristsetzung erst im späteren Prozess geklärt werden können. Er riskiert daher, keinen Schadensersatzanspruch, sondern lediglich den Anspruch auf die vom Verkäufer ersparten Aufwendungen zu erhalten – bzw. nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sogar leer auszugehen.
4. Schwerwiegende Nebenpflichtverletzung Zeigt der Schuldner anlässlich der Leistung ein gravierendes Fehlverhalten, so kann der Gläubiger das Vertrauen in ihn derart verlieren, dass er die (weitere) Leistung nicht mehr von ihm erhalten möchte, und das unabhängig von der Qualität der eigentlichen Leistung. Er verliert zwar nicht das objektive Interesse am Leistungsgegenstand, aber doch das Interesse an der Leistung gerade durch den Schuldner. Technisch betrachtet können diese Fälle nicht über § 281 Abs. 1 und 2 BGB gelöst werden, weil die geschuldete Leistung an sich fehlerfrei erbracht wird;528 das Fehlverhalten des Schuldners betrifft andere Umstände außerhalb der betroffenen Leistung. Diese Lücke schließt § 282 BGB, indem ein Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatz statt der Leistung auch dann ermöglicht wird, wenn der Schuldner zwar die eigentliche Leistung ordnungsgemäß erbringt, aber eine Rücksichtnahmepflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB verletzt, und dem Gläubiger infolgedessen die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zumutbar ist. Auch das Kriterium 527
S. oben § 4.V.5.c) (S. 266 ff.). Ernst, 2012, § 282 Rn. 1 f.; a.A. Palandt/Grüneberg, § 282
528 MünchKomm-BGB/W.
Rn. 2.
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der Zumutbarkeit setzt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen voraus,529 die der Abwägung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB entspricht – insbesondere in der Fallgruppe des arglistigen Verhaltens des Schuldners, die auf den gleichen Erwägungen beruht.530 Auch hier ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner eigentlich ein schutzwürdiges Interesse an der Erbringung der Naturalleistung hat. Die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht muss daher ein gewisses Gewicht haben, um dem Schuldner das Naturalandienungsrecht zu nehmen. Dadurch soll verhindert werden, dass der Gläubiger eine für sich genommen unbedeutende Pflichtverletzung zum Anlass nimmt, sich von einem Vertrag zu lösen, an den er aus anderen Gründen nicht mehr gebunden sein will. Dem gleichen Ziel dient das Kriterium der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Schuldners und der Unzumutbarkeit der weiteren Leistung für den Gläubiger.531 Im Übrigen können die Anforderungen an die Pflichtverletzung nicht abstrakt beschrieben werden, sondern hängen vom Einzelfall ab. So kann die Anwendung des § 282 BGB beispielsweise nicht auf vorsätzliche Pflichtverletzungen beschränkt werden, auch wenn Vorsatz des Schuldners die Unzumutbarkeit besonders nahelegt. Aber auch eine Häufung fahrlässiger Pflichtverletzungen kann insgesamt beim Gläubiger einen Eindruck der Unzuverlässigkeit des Schuldners hervorrufen, der ihm die weitere Zusammenarbeit mit dem Schuldner unzumutbar machen kann.532
VII. Folgerungen für den Schadensersatz statt der Leistung Der Grundsatz der Naturalerfüllung findet seine Fortsetzung bei der Ausgestaltung des Schadensersatzes statt der Leistung. Zwar besteht der ursprüngliche Anspruch auf Naturalerfüllung nicht mehr, wenn einer der oben behandelten Übergangstatbestände eingetreten ist. Im Rahmen des Schadensersatzes können aber wiederum die verschiedenen Stufen der Befriedigung des gläubigerischen Erfüllungsinteresses erreicht werden,533 dann aber als Frage des Verhältnisses zwischen Naturalrestitution durch den Schuldner (§ 249 Abs. 1 BGB), Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schuldners (Rechtsgedanke des § 249 Abs. 2 BGB) und reinem Vermögensersatz. Diese Frage stellt sich allerdings nur, wenn die Voraussetzungen eines Anspruches auf den Schadensersatz statt der Leistung gegeben sind, insbesondere der Schuldner die Leistungsstö529
Vgl. nur Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht AT, 202012, Rn. 511. S. dazu oben § 5.VI.3.b)cc) (S. 383). 531 Vgl. dazu MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 282 Rn. 7. 532 Vgl. auch MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 282 Rn. 8. 533 S. zu den verschiedenen Stufen oben § 1.II (S. 20 ff.). 530
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rung zu vertreten hat. Fehlt es hieran, so kommen ohnehin nur begrenzte Ersatzansprüche in Betracht, die nicht mehr darauf gerichtet sind, das Leistungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen, etwa ein Anspruch auf Herausgabe des stellvertretenden Commodums oder der ersparten Leistungsaufwendungen des Schuldners.534 Für den Schadensersatz statt der Leistung ist der Grundsatz der Naturalerfüllung aber auch auf der Rechtsfolgenseite zu beachten.
1. Naturalrestitution durch den Schuldner (§ 249 Abs. 1 BGB) Betrachtet man zunächst nur den Wortlaut und die Systematik der §§ 249 ff. BGB, so würde auch für den Schadensersatz statt der Leistung der Vorrang der Naturalrestitution535 gelten.536 Das würde zu dem – auf den ersten Blick paradoxen – Ergebnis führen, dass der Schuldner als Schadensersatz statt der Leistung zunächst Naturalrestitution schuldet, d.h. die Herstellung des Zustandes in Natur, der ohne die Leistungsstörung bestünde. Diese Naturalrestitution durch den Schuldner wäre indessen gleichbedeutend mit der Naturalerfüllung selbst, denn sie bestünde schlicht darin, dass der Schuldner die ursprüngliche Leistung noch in Natur erbringt – nur dieses Mal als Schadensersatz.537 Demgegenüber überwiegt in der heutigen Literatur und Rechtsprechung die Auffassung, beim Schadensersatz statt der Leistung käme zumindest grundsätzlich nur ein Anspruch auf eine Geldzahlung in Betracht, womit meist lediglich der Geldersatz nach § 251 BGB gemeint ist.538 Gegen die Möglichkeit der Naturalrestitution wird zumeist angeführt, dass die Leistungsgefahr und ihre Grenzen 534
Vgl. z.B. oben § 4.V.5.c) (S. 266 ff.). zu diesem allgemein Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV – Deliktsrecht und Schadensrecht, 2011, Rn. 528, 561 ff. 536 In diesem Sinne etwa Wächter, NJW 2013, 1270 ff. 537 So etwa der Ausgangspunkt von P. Gebauer, Naturalrestitution beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung, 2002, passim, insbes. S. 42 ff. Himmelschein hat diese Konstruktionsmöglichkeit sogar zum Anlass genommen, an der Sinnhaftigkeit des allgemeinen Naturalerfüllungsanspruches in § 241 Abs. 1 BGB fundamental zu zweifeln, weil das Ergebnis eines konkreten Erfüllungsanspruches in Natur sich auch aus § 249 Abs. 1 BGB ergebe, ohne dass zunächst ein durchsetzbarer Primäranspruch kodifiziert sein müsse (vgl. Himmelschein, AcP 135 (1932), 255, 275 ff.); s. zum Ganzen auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 565 ff. m.w.N. sowie im Kontext des Dienstvertragsrechts Tillmanns, Strukturfragen des Dienstvertrages, 2007, S. 377 ff. 538 Vgl. Kaiser, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB, 2000, S. 97 ff.; Soergel12/Wiedemann, § 325 a.F. Rn. 40; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 (S. 680 ff.); aus der Rechtsprechung etwa RGZ 61, 348, 353 (zu § 326 BGB a.F.); RGZ 107, 15, 17 f. (zu § 280 Abs. 1 BGB a.F.); BGH LM § 325 BGB a.F. Nr. 3; BGHZ 99, 81, 84 (zu § 635 BGB a.F.); BGH NJW 2013, 370, 371 (Rn. 9); anders aber RGZ 73, 21, 23 (zu § 283 BGB a.F.); offen gelassen in BGHZ 37, 147, 150; BGHZ 61, 369, 371; BGH NJW 535 Vgl.
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im allgemeinen Leistungsstörungsrecht bereits abschließend geregelt seien und diese Verteilung nicht durch die ergänzende Anwendung schadensrechtlicher Grundsätze wieder aufgeweicht bzw. modifiziert werden dürfe.539 Zwar ist der Ausgangspunkt richtig, dass der Übergang vom Erfüllungsanspruch auf den Schadensersatzanspruch im allgemeinen Leistungsstörungsrecht bereits vollzogen ist und damit aus guten Gründen der Erfüllungsanspruch – gleich auf welcher gesetzlichen Grundlage – ausgeschlossen sein soll. Gleichwohl bedarf der Überprüfung, ob die Gründe, welche den Erfüllungsanspruch ausschließen, durchgehend dazu führen müssen, dass weder der Gläubiger Naturalrestitution durch den Schuldner verlangen noch dieser sie anbieten darf. Denn auch der schadensrechtliche Grundsatz des Vorrangs der Naturalrestitution beruht im Kern auf den gleichen Wertungen wie der Grundsatz der Naturalerfüllung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht,540 und es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass diese Wertungen auch im Schadensersatzstadium noch für eine Naturalrestitution streiten. Das ist anhand der einzelnen Übergangtatbestände näher zu untersuchen.
a) Unmöglichkeit Ist der Erfüllungsanspruch wegen „echter“ Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, so sollte das nach § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB auch für die Naturalrestitution gelten. Denn dann greift der Einwand der Unmöglichkeit selbstverständlich auch gegenüber einer schadensrechtlichen Pflicht zur Erbringung der ursprünglich geschuldeten naturalen Leistung. Indessen ist der Unmöglichkeitsbegriff des § 251 Abs. 1 BGB nach h.M. ein anderer als der des § 275 Abs. 1 BGB, indem es für die Möglichkeit der Naturalrestitution i.S.v. § 249 Abs. 1 BGB genügen soll, wenn ein „gleichartiger und gleichwertiger“ Ersatzgegenstand geleistet werden kann. Damit kann sich das Spektrum an Leistungsgegenständen erweitern, welche der Gläubiger verlangen kann, bzw. mit welchen der Schuldner erfüllen kann. Die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB, welche den ursprünglich geschuldeten Gegenstand betrifft, muss nicht zwangsläufig das gesamte schadensrechtlich geschuldete Spektrum erfassen. Besonders deutlich wird das bei der Gattungsschuld: Geht eine aus der Gattung geschuldete Sache nach Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) aufgrund eines Verschuldens des Schuldners unter, so erlischt zwar wegen der Beschränkung des Schuldverhältnisses auf die eine Sache und des damit verbundenen Übergangs der Leistungsgefahr der Erfüllungsanspruch nach § 275 Abs. 1 1984, 2570, 2571. Offen auch Staudinger/Otto, 2009, § 280 Rn. E 86; Emmerich, NZM 2000, 1155, Vor § 281 Rn. 9; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 25 Rn. 57 a.E. 539 So insbesondere Kaiser, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nichtund Schlechterfüllung nach BGB, 2000, S. 97 ff.; Soergel12/Wiedemann, § 325 a.F. Rn. 40. 540 S. dazu oben § 1.II.5.b) (S. 26 f.).
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BGB;541 an seine Stelle tritt aber ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB. Verfügt der Schuldner noch über weitere Sachen aus der geschuldeten Gattung, so besteht im Regelfall weder aus Sicht des Gläubigers noch aus Sicht des Schuldners ein Bedürfnis, den Anspruch auf Naturalrestitution auszuschließen: Der Gläubiger erhält genau diejenige Sache (in Natur), auf die er einen Anspruch hat, und der Schuldner kann wenigstens im Schadensersatzwege seine Vorteile aus der Eigenleistung noch erzielen, muss also nicht das Deckungsgeschäft bei einem Dritten subventionieren.542 Freilich kann dieses Ergebnis auch durch eine Beschränkung der Konkretisierungswirkung auf der Ebene des allgemeinen Leistungsstörungsrechts erzielt werden, indem dem Schuldner etwa gem. § 242 BGB verweigert wird, sich auf die Konkretisierung zu berufen, wenn er selbst den Untergang in zu vertretender Weise herbeigeführt hat, und indem ihm ggf. – wenn der Gläubiger auf Geldersatz besteht – gestattet wird, die Konkretisierung wieder rückgängig zu machen und so die ursprüngliche Gattungsschuld wieder aufleben zu lassen.543 Indessen würde diese „leistungsstörungsrechtliche Lösung“ zu einer Aufspaltung der Konkretisierungswirkungen je nach dem Verschulden des Schuldners führen, und sich dadurch erheblich vom Gesetzestext entfernen, während eine „schadensrechtliche Lösung“ im Rahmen des § 249 Abs. 1 BGB das offenbar allgemein konsentierte Ergebnis durch schlichte Gesetzesanwendung herbeiführen kann. In anderen Fällen der Unmöglichkeit ist nicht in gleicher Weise sicher, ob eine Naturalrestitution durch den Schuldner das Leistungsinteresse voll befriedigen kann: Ist eine als Stück geschuldete Sache untergegangen, so wird die Naturalrestitution durch eine gleichartige und gleichwertige Sache nur dann zu einer Befriedigung des Gläubigers führen können, wenn das Interesse des Gläubigers nicht auf das konkrete Stück begrenzt war. Diese Frage der Ersetzbarkeit der Primärleistung,544 die aus der Problematik des Nachlieferungsanspruches beim Stückkauf bekannt ist,545 lässt sich aber ebenfalls zwanglos auf schadensrechtlicher Ebene lösen, weil auch hier § 251 Abs. 1 Alt. 2 BGB den Vorrang der Naturalrestitution durchbricht, wenn diese „zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist.“ Ein solcher Fall liegt bei einer nicht ersetzbaren Primärleistung, bei welcher der Gläubiger also ein besonderes Interesse gerade an dem geschuldeten Stück hat, vor.546 541
Vgl. dazu eingehend Canaris, JuS 2007, 793, 793 f. So für die Konkretisierung der Gattungsschuld i.E. auch U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 II 2 c (S. 689). 543 So der Ansatz von U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 II 2 c (S. 689); gegen die Rückgängigmachung der Konkretisierung nach Übergang der Gegenleistungsgefahr mit guten Gründen Canaris, JuS 2007, 793, 794 ff. 544 Vgl. dazu eingehend Canaris, FS H.P. Westermann, 2008, S. 137 ff. 545 Vgl. dazu die Nachweise oben S. 234 Fn. 56. 546 Ebenso in einer ähnlichen Konstellation zum alten Schuldrecht P. Gebauer, Naturalrestitution beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung, 2002, S. 105 f. 542
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Umgekehrt kann die Naturalrestitution für den Schuldner aufwändiger sein als der reine Geldersatz, wenn etwa die Beschaffung einer gleichartigen und gleichwertigen Ersatzsache für ihn mit hohen Aufwendungen verbunden ist. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass der Schuldner die Kosten des Deckungsgeschäfts in jedem Fall schuldet, und dass auch die „weichen“ Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts vorrangig beim Schuldner selbst anzusiedeln sind,547 so dass es im Grundsatz vorzugswürdig ist, den Schuldner selbst zur Vornahme des Deckungsgeschäfts zu verpflichten, sofern der Gläubiger dies verlangt (er also noch nicht das Vertrauen in die Leistungsbereitschaft des Schuldners verloren hat). Dies kann über § 249 Abs. 1 BGB erreicht werden. Ist der Aufwand für ein Deckungsgeschäft unwirtschaftlich im Vergleich zum Ersatz des reinen Vermögensschadens, so erlaubt § 251 Abs. 2 BGB dem Schuldner, den Gläubiger auf den Geldersatz zu verweisen. Und kann der Gläubiger das Deckungsgeschäft günstiger vornehmen als der Schuldner, so dürfte regelmäßig die Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Gläubiger es anstelle des Schuldners vornimmt. Insgesamt besteht in den Konstellationen der Unmöglichkeit kein Anlass, die schadensrechtliche Naturalrestitution kategorisch auszuschließen. Vielmehr bieten die §§ 249 ff. BGB selbst die richtigen dogmatischen Anknüpfungspunkte für die Gewährung und den Ausschluss der Naturalrestitution. Ist danach die Naturalrestitution durch den Schuldner möglich und zulässig, kann der Gläubiger sie verlangen. Das gilt insbesondere auch für Verstöße gegen Unterlassungspflichten, wenn diese rückgängig gemacht werden können: Hat sich etwa der Schuldner vertraglich verpflichtet, eine bestimmte Sache nicht zu veräußern, und verstößt er gegen diese Pflicht, so spricht nichts dagegen, ihn gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283, 249 Abs. 1 BGB zum Rückerwerb der Sache zu verpflichten.548
b) Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Leistungsinteresse Scheitert der Erfüllungsanspruch des Gläubigers an der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB, obwohl der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat, so stellt sich die gleiche Problematik wie bei der echten Unmöglichkeit: Wiederum könnte der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB auf Naturalrestitution gerichtet sein, die im Regelfall aufgrund der gleichen Leistungserschwerung gem. § 251 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist. Möglich bleibt nur die Verschaffung einer gleichartigen oder gleichwertigen Sache als Naturalrestitu547
S. oben § 3.IV.1.a) (S. 191 f.) und § 3.IV.1.h) (S. 198 ff.). Ebenso i.E. MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 275 Rn. 50; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 56 II 2 (S. 720), allerdings gestützt auf § 280 Abs. 1 BGB; nach a.A. folgt der Anspruch auf Rückgängigmachung aus der ursprünglichen Unterlassungspflicht, vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 275 Rn. 24. 548
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tion gem. § 249 Abs. 1 BGB, falls diese nicht mit der gleichen Leistungserschwerung verbunden ist wie die ursprüngliche Leistung. Im Übrigen bewirkt auch hier § 251 Abs. 2 BGB – dessen Schwelle nach h.M. niedriger als die des § 275 Abs. 2 BGB –, dass der Schuldner nicht auf dem Weg des Schadensersatzes mit Pflichten belastet wird, die über seine ursprüngliche Primärleistungspflicht hinausgehen.549
c) Schadensersatzverlangen nach Fristablauf Nicht ohne weiteres mit schadensrechtlichen Mitteln lösbar ist der Ausschluss der Naturalrestitution beim Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung nach einem Schadensersatzverlangen gem. § 281 Abs. 4 BGB, wobei es unerheblich ist, ob der Gläubiger dem Schuldner zunächst eine Frist gem. § 281 Abs. 1 BGB gesetzt hatte oder die Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich war. In diesen Fällen ist der ursprüngliche Erfüllungsanspruch infolge des Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, beiden Parteien Rechtssicherheit zu gewähren:550 Der Gläubiger kann zum Deckungsgeschäft übergehen, ohne fürchten zu müssen, dass der Schuldner ihm den Leistungsgegenstand noch in Natur aufdrängt; und der Schuldner kann über den Leistungsgegenstand neu disponieren, ohne fürchten zu müssen, dass er ihn dem Gläubiger doch noch schuldet. Diese Wertungen müssen auf die Art der Schadensersatzleistung durchschlagen und regelmäßig einer schadensrechtlichen Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB entgegenstehen.551 Grundsätzlich sollte daher weder der Gläubiger im Wege der schadensrechtlichen Naturalrestitution die Erfüllung der ursprünglichen Verbindlichkeit in Natur verlangen können, noch der Schuldner unter Berufung auf den Vorrang der schadensrechtlichen Naturalrestitution dem Gläubiger trotz Verlust des ursprünglichen Naturalandienungsrechts die naturale Leistung noch aufdrängen können. Allerdings bestimmt der Zweck des Ausschlusses der Naturalleistungspflicht auch seine Grenzen: Nutzt der Gläubiger den Wegfall des Naturalerfüllungsanspruches lediglich zu opportunistischen Zwecken, obwohl sein ursprüngliches Interesse an der Naturalleistung objektiv nicht weggefallen ist, so erscheint es missbräuchlich, wenn er die vom Schuldner angebotene Naturalleistung gleichwohl zurückweist. Derartige Fälle sind denkbar, z.B. in der Konstellation des 549
S. bereits oben § 5.IV.4.a) (S. 346 f.). Vgl. eingehend oben § 5.II.3 (S. 286 ff.). 551 Vgl. BGH NJW 2010, 3085, 306 (Rn. 10); MünchKomm-BGB/Emmerich, 2012, Vor § 281 Rn. 5 m.w.N.; Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 461 f. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 2 BGB, d.h. durch einen Dritten auf Kosten des Schädigers, die stets zulässig sein sollte (Deckungsgeschäft), vgl. dazu Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 ff. sowie unten § 5.VII.2 (S. 396 ff.). 550
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sog. „Zwangskaufs“ im Mietrecht:552 Der Vermieter einer Gewerbeimmobilie könnte etwa bei einer schlechten Lage des Immobilienmarktes versuchen, dem – solventen – Mieter eine Frist zur Räumung zu setzen und nach Ablauf der Frist anstelle der Räumung in Natur den Wert der Immobilie als Schadensersatz verlangen, dem Mieter die Immobilie also faktisch im Wege eine „Zwangskaufs“ aufdrängen. Hier nutzt der Vermieter, wenn keine besonderen Gründe vorliegen, die sein objektives Interesse an der Herausgabe tatsächlich ausschließen, die Möglichkeit des § 281 Abs. 4 BGB in einer zweckwidrigen Weise aus.
aa) Erfordernis einer teleologischen Reduktion der Folgen des Übergangstatbestands Die Vorschrift des § 281 Abs. 4 BGB soll den Gläubiger nämlich lediglich davor schützen, dass ihm die Naturalleistung noch aufgedrängt wird, obwohl er (nach Fristablauf) bereits Dispositionen für ein Deckungsgeschäft getroffen und daher kein Interesse mehr an der Naturalleistung hat.553 Weitergehende Begünstigungen wie insbesondere die Schaffung einer am freien Markt nicht bestehenden Verkaufsmöglichkeit sind durch diese Vorschrift nicht gedeckt. Im Vergleich zu den §§ 283, 286 Abs. 2 BGB a.F. führt § 281 Abs. 4 BGB lediglich dazu, dass der Gläubiger zum einen den Wegfall seines Herausgabeinteresses infolge der Leistungsverzögerung nicht mehr nachweisen muss,554 und dass zum anderen in Fällen hartnäckiger Herausgabeverweigerung trotz fortbestehenden Leistungsinteresses des Gläubigers diesem ermöglicht werden soll, Schadensersatz auch ohne vorherige rechtskräftige Verurteilung zur Herausgabe zu erlangen. Ist die vom Gläubiger verfolgte Verwendungsplanung aber noch nicht endgültig gescheitert bzw. durch ein Deckungsgeschäft anderweitig sichergestellt, so ist er objektiv noch an der Herausgabe der Sache interessiert.555 Die Anwendung des § 281 Abs. 4 BGB würde dem Gläubiger gestatten, seine Verwendungsplanung auf Kosten des Schuldners nachträglich in opportunistischer Weise zu ändern; seine Weigerung, die Sache anzunehmen (um stattdessen den Schadensersatz zu erlangen), müsste dann als missbräuchlich angesehen werden.556 552 Vgl. dazu Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311 ff. und oben § 5.II.5 (S. 299 ff.). 553 Canaris, Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 5, 49 spricht sogar von der „Gefahr […], dass der Schuldner jetzt doch noch erfüllt“ (Hervorhebung vom Verf.). 554 Dieser Nachweis scheint im früheren Mietrecht niemals gelungen zu sein, vgl. nur Emmerich, NZM 2002, 362, 367. 555 Vgl. zur Maßgeblichkeit der Verwendungsplanung des Gläubigers für den Fortbestand des Leistungsinteresses in § 286 II BGB a.F. statt aller U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 48 II 2 (S. 499). 556 Ähnlich im Ergebnis auch Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 138 f. = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 677; BeckOK-BGB/ Unberath, 01.03.2011, § 281 Rn. 6 a.E.; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 4.
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In einigen Konstellationen besteht hier eine Interessenlage, die von den gewöhnlichen Fällen des § 281 Abs. 4 BGB abweicht, die der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm im Auge hatte. Das prominenteste Beispiel ist der Räumungsanspruch des Vermieters einer Immobilie am Ende der Mietzeit: Hier ist das Interesse des Vermieters an der Rückgabe von vornherein auf genau diejenige Sache gerichtet, die er vermietet hat. Eine andere Sache kann dieses Interesse in aller Regel nicht befriedigen; es entfällt typischerweise auch nicht infolge der Herausgabeverzögerung, weil der Vermieter meist ein Interesse daran haben wird, die Sache weiterzuvermieten. Anders als in den „Normalfällen“ des § 281 BGB besteht daher bei der Rückgabepflicht aus § 546 BGB keine hinreichende Basis für die Annahme, dass die Verwendungsplanung des Vermieters nach Fristablauf gescheitert und damit sein Interesse an der Naturalleistung entfallen ist. Diese Erwägungen führen zu einer teleologischen Reduktion der Folgen des § 281 Abs. 4 BGB in dem Sinne, dass dem Schuldner in dem Fall, dass der Gläubiger aufgrund des weiterhin realisierbaren Verwendungsplanes noch ein objektives Herausgabeinteresse hat, er den Wegfall der Naturalleistungspflicht nach § 281 Abs. 4 BGB also zu opportunistischen Zwecken nutzt, gestattet wird, die Naturalleistung auch gegen den Willen des Gläubigers noch zu erbringen – im Beispiel also die Räumung der Immobilie.557
bb) Konstruktive Umsetzung der teleologischen Reduktion Zur konstruktiven Umsetzung dieser teleologischen Reduktion sind verschiedene Wege denkbar: Zunächst könnte bei § 281 Abs. 4 BGB selbst angesetzt werden, der Anspruch auf die Naturalleistung also nur dann ausgeschlossen werden, wenn der Gläubiger kein Interesse an der Naturalleistung mehr hat. Diese „leistungsstörungsrechtliche Lösung“ würde allerdings der Vorstellung, die der Reformgesetzgeber mit der Schaffung dieser Norm verbunden hat, diametral entgegenlaufen, denn auf das (vom Gläubiger zu beweisende) Kriterium des Interessewegfalls sollte mit § 281 BGB ganz bewusst verzichtet werden.558 Außerdem würde eine solche Lösung dem Gläubiger die Möglichkeit nehmen, die ohnehin schon missliche Schwebelage nach Fristablauf durch das Schadensersatzverlangen zu beenden, weil der Erfüllungsanspruch möglicherweise trotz des Schadensersatzverlangens fortbestünde. Der Vermieter könnte nach Fristablauf nicht ohne weiteres beurteilen, ob er vom Mieter Schadensersatz in Höhe des Restnutzungswertes der Sache oder „nur“ deren Herausgabe (zuzüglich etwaiger Verzögerungsschäden) verlangen könnte. Im letzteren Fall müsste er bei hartnäckiger Herausgabeverweigerung des Mieters erneut klagen, um dann 557
Vgl. dazu Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311, 316 f. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 139 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 677 f. 558 Vgl.
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doch noch den Schadensersatz statt der Leistung zu erhalten. Außerdem würde damit nicht nur die gläubigerschützende Komponente des § 281 Abs. 4 BGB reduziert, sondern zugleich die schuldnerschützende Funktion, d.h. auch der Gläubiger könnte trotz des Schadensersatzverlangens doch noch Naturalleistung verlangen, wenn er ein objektives Interesse daran hat, so dass der Schuldner etwaige Wiederbeschaffungsbemühungen sicherheitshalber trotz des Schadensersatzverlangens fortsetzen müsste; dies soll § 281 Abs. 4 BGB ihm jedoch gerade ersparen. Vorzugswürdig, da erheblich weniger in das Regelungs- und Wertungsgefüge des § 281 BGB eingreifend, ist daher auch hier eine „schadensrechtliche Lösung“: Ist die ursprüngliche Verwendungsplanung des Gläubigers nicht gescheitert,559 so ist dem Schuldner zu gestatten, den Schadensersatz statt der Leistung teilweise (d.h. hinsichtlich des Substanzausfallschadens) durch Herausgabe der Sache in Natur zu leisten. Hat der Gläubiger nämlich noch ein objektives Interesse an der Sache selbst, so verhält er sich rechtsmissbräuchlich, wenn er diese zurückweist, um einen höheren Schadensersatz statt der Leistung zu realisieren. Prozessual bedeutet diese Lösung, dass der Vermieter nach Fristablauf von vornherein auf vollen Schadensersatz statt der Leistung in Geld klagen kann (einschließlich des Restnutzungswerts der Mietsache) und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 281 BGB ein entsprechendes Urteil enthält. Dem Mieter ist auf entsprechendes Vorbringen hin im Urteilstenor aber zu gestatten, sich in Höhe eines bestimmten Schadensbetrages durch Herausgabe der Sache zu befreien. A fortiori hat der Mieter in diesen Fällen selbstverständlich auch vor und während des Schadensersatzprozesses die Möglichkeit, sich von der Schadensersatzpflicht durch Herausgabe der Sache insoweit zu befreien. Diese konstruktive Einordnung erhält dem Vermieter die durch § 281 BGB intendierte Möglichkeit eines robusten Vorgehens:560 Er kann nach Fristablauf ohne weiteres, insbesondere ohne zwei Prozesse führen zu müssen, Schadensersatz statt der Leistung in Höhe des Ertragswerts der Sache verlangen und erhält dafür ein vollstreckbares Urteil – wenn er bereit ist, die Sache für einen (in seiner Durchsetzung nicht immer sicheren) Schadensersatzanspruch zu opfern.561 Eine solche Lösung erhält also für den Gläubiger alle Sanktionsmöglichkeiten für die hartnäckige Herausgabeverweigerung des Mieters (und das effektiver als § 283 BGB a.F.). Gleichzeitig erhält der Mieter Klarheit hinsichtlich seiner 559 Zur
Beweislastverteilung durch Vermutungsregeln vgl. Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311, 319 ff. 560 Vgl. auch Unberath, ZMR 2004, 309, 314; s. zu diesem Gesetzeszweck das Beispiel des Entleihers eines Buches, der hartnäckig die Herausgabe verweigert, in Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 139 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 677 f. 561 Nur zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass es dem Gläubiger selbstverständlich unbenommen bleibt, keinen Schadensersatz zu verlangen, sondern auf der Herausgabe bzw. Räumung zu bestehen.
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Pflicht zur Herausgabe der Sache: Diese erlischt mit dem Schadensersatzverlangen endgültig, so dass etwa der Herausgabeschuldner keine Anstrengungen mehr unternehmen muss (aber kann), die Sache zurückzuerlangen, wenn er (z.B. infolge Untervermietung oder Verlusts) keinen Zugriff darauf hat. Die schuldnerschützende Funktion des § 281 Abs. 4 BGB bleibt also vollständig gewahrt; lediglich die gläubigerschützende Funktion wird auf das durch den Normzweck Geforderte reduziert. Unberührt bleibt zudem die Möglichkeit des Gläubigers, sämtliche Schadensposten des Schadensersatzes statt der Leistung geltend zu machen, insbesondere Kosten für die Ersatzvornahme der Räumung562 oder die nach dem Schadensersatzverlangen auflaufenden (weiteren) Ertragsausfälle und Rechtsverfolgungskosten (z.B. Kosten eines Wertgutachtens), die nach dem Wegfall des Naturalleistungsanspruches mangels Verzugs des Schuldners nicht mehr als Verzögerungsschaden geltend gemacht werden können.563 Zudem kann der Gläubiger, sollte sich der Mieter als zahlungsunfähig erweisen, jedenfalls in seine eigene Sache vollstrecken, wenn sie beim Mieter noch vorhanden ist.564 In diesem Fall besteht auch kein Anlass, die Rückerlangung der Sache wie die freiwillige Herausgabe zu behandeln, dem Gläubiger also seinen Schadensersatzanspruch um den gesamten Substanzausfallschaden zu kürzen. Akzeptiert man nämlich die Möglichkeit, dass der Gläubiger – z.B. infolge eines Deckungsgeschäfts – das objektive Interesse an der Herausgabe verliert, so kann ihm in einem solchen Fall die Sache eben gerade nicht in Natur aufgedrängt werden; er muss sie vielmehr nach den allgemeinen Regeln des Vollstreckungsrechts verwerten können, und sich lediglich den Erlös auf seine Schadensersatzforderung anrechnen lassen.
2. Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schuldners: Das Deckungsgeschäft Der schadensrechtliche Vorrang der Naturalrestitution beschränkt sich nicht auf die Naturalrestitution durch den Schuldner i.S.v. § 249 Abs. 1 BGB, sondern gilt auch für die Naturalrestitution durch Dritte auf Kosten des Schuldners i.S.v. §§ 249 Abs. 2, 250 BGB.
562
Vgl. dazu Katzenstein/Hüftle, NZM 2004, 601, 605. Vgl. dazu Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 743, 751. 564 Vgl. zur Zulässigkeit der Vollstreckung in eigene Sachen des Vollstreckungsgläubigers nur F. Baur/R. Stürner, Sachenrecht, 182009, § 59 Rn. 42; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 50 Rn. 71 ff. 563
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a) Das Deckungsgeschäft als Naturalrestitution durch Dritte Als solche kann vor allem das Deckungsgeschäft begriffen werden, welches dem Gläubiger einen gleichartigen und gleichwertigen Gegenstand von einem Dritten, aber auf Kosten des Schuldners verschafft.565 Allerdings wird in der Literatur verbreitet behauptet, der Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts sei schadensrechtlich keine Naturalrestitution i.S.v. § 249 BGB, sondern Geldersatz gem. § 251 BGB.566 Bei marktgängigen Leistungen – und hier hat der Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts seinen wesentlichen Anwendungsbereich – ist in der Tat schwer ein Unterschied zwischen beiden Ersatzvarianten auszumachen, denn der Marktwert der fehlenden Leistung, der nach § 251 BGB zu ersetzen wäre, besteht typischerweise gerade in den Kosten des Deckungsgeschäfts.567 Damit würden § 251 BGB und § 249 Abs. 2 BGB immer zu den gleichen Schadensbeträgen führen. Über beide Normen ließe sich auch die Zulässigkeit der abstrakten Schadensberechnung568 erklären: Der Wertersatz nach § 251 BGB ist ohnehin von der konkreten Vornahme des Deckungsgeschäfts unabhängig, weil nur die tatsächliche Vermögenseinbuße in Geld zu ersetzen ist; und für § 249 Abs. 2 BGB gilt der allgemeine Grundsatz der Dispositionsfreiheit des Geschädigten.569 Unerheblich wäre es sogar, dass die Leistung einem rein immateriellen bzw. nicht vermögenswerten Interesse dient (Restaurierung eines Kindergemäldes; Operation einer Hauskatze), weil die Leistung selbst gleichwohl Vermögenswert hat, wenn und weil sie vertretbar ist und am Markt auch von anderen zu einem Marktpreis angeboten wird. Allerdings setzt diese Argumentation voraus, dass der Vermögenswert i.S.v. § 251 BGB tatsächlich ausschließlich als Wert der ausstehenden (fungiblen) Leistung ermittelt wird, und nicht etwa die durch die Leistung erstrebte Vermögensmehrung stattdessen herangezogen wird. Bei einem behebbar mangelhaften Auto darf also etwa der Schadensersatz statt der Leistung für den Fall, dass der Verkäufer den Mangel nicht fristgerecht behebt (§§ 437 Nr. 3, 281 BGB), nicht anhand des mangelbedingten Minderwertes berechnet werden, sondern nur anhand der tatsächlichen (externen) Kosten für eine Behebung des Mangels durch eine Fachwerkstatt. Beide Beträge sind nicht zwangsläufig identisch. Daher erscheint es vorzugswürdig, hier § 249 Abs. 2 BGB anzuwenden: Einerseits wird das Risiko vermieden, dass ein Gericht auf den mit der ausstehenden 565
Vgl. bereits Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 f. Apodiktisch etwa Staudinger/Otto, 2009, § 280 Rn. E 86 letzter Abs.; U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 II 2 a (S. 687 f.). 567 So etwa Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 25 Rn. 1 mit Fn. 2 unter Hinweis auf BGH JZ 1952, 31, 32; RGZ 107, 15, 17 f.; ferner U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 36 I 2 (S. 177 ff.). 568 Vgl. zu dieser nur U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 38 II 2 (S. 236 ff.). 569 Vgl. nur BGHZ 66, 239, 241; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 IV 6 (S. 228 ff.) m.w.N. 566
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Leistung erstrebten Vermögenswert anstatt auf den Wert der Leistung selbst abstellt (ein Risiko, das insbesondere bei Werk- und Dienstverträgen nahe liegt). Und andererseits eröffnet man dadurch die Möglichkeit, § 251 BGB auf einer zweiten Stufe tatsächlich für den mit der ausstehenden Leistung erstrebten Vermögensvorteil im Rahmen des „reinen Geldersatzes“ zu reservieren, also für die dritte Stufe der Befriedigung des gläubigerischen Leistungsinteresse nach dem hier vertretenen Grundmodell.570 Wenn etwa ein Deckungsgeschäft nicht möglich ist und daher nur auf die Vermögenseinbuße im Gesamtergebnis – d.h. einschließlich des gesamten Ertragsausfallschadens – abgestellt werden kann, erlaubt § 251 BGB eine Kompensation allein dieser Vermögenseinbuße ohne Rücksicht auf die Kosten des Deckungsgeschäfts. Die schadensrechtlichen Voraussetzungen des Überganges von der Naturalrestitution gem. § 249 BGB auf den Geldersatz nach § 251 BGB sichern dann den Vorrang des Deckungsgeschäfts vor dem reinen Vermögensersatz,571 und damit letztlich die Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung auch auf der Ebene des Schadensersatzes statt der Leistung. Dann aber ist es systematisch folgerichtig (und weniger fehleranfällig in der Rechtsanwendung), wenn Deckungsgeschäfte generell der Naturalrestitution gem. §§ 249 Abs. 2, 250 BGB zugeordnet werden.572 Für die abstrakte Schadensberechnung, d.h. die Abrechnung der Kosten eines fiktiven Deckungsgeschäfts, wäre damit allerdings auch die einschränkende Regelung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB anzuwenden, wonach die Umsatzsteuer nur insoweit ersatzfähig ist, als sie tatsächlich angefallen ist. Beim Schadensersatz statt der Leistung kann diese Frage allerdings nicht pauschal beantwortet werden, hängt doch die umsatzsteuerliche Behandlung des Ausgangsgeschäfts davon ab, ob es sich überhaupt um einen entgeltlichen Vertrag handelt oder nicht, und wenn ja, ob der Gläubiger vom Vertrag zurücktritt oder nicht. Bei gesetzlichen Ansprüchen etwa (z.B. dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB) bestehen – schon wegen der Nähe zum deliktischen Schadensersatzanspruch – keine Bedenken dagegen, dem Gläubiger den Ersatz fiktiver Umsatzsteuer zu versagen, wenn er das Deckungsgeschäft nicht tatsächlich vornimmt, sondern lediglich dessen Kosten auf Gutachtenbasis verlangt. Bei gegenseitigen Verträgen ist im Einzelfall zu prüfen, ob bereits in der Gegenleistung des Gläubigers Umsatzsteuer enthalten ist und inwieweit diese Umsatzsteuerpflicht trotz der leistungsstörungsrechtlichen Abwicklung des Vertrags aufrechterhalten bleibt. Diese umsatzsteuerrechtlichen Fragen können hier nicht vertieft werden;573 typischerweise dürfte eine sorgfältige teleologische Anwendung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB zu zutreffenden Ergebnissen führen. Keinesfalls aber sollten etwaige umsatzsteuerrechtliche Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit § 249 Abs. 2 570
S. oben § 1.II.3 (S. 23 f.). S. bereits oben § 1.II.5.b) (S. 26 f.). 572 So schon Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 736 f. 573 Vgl. zu diesem Fragenkreis auch Lamprecht, r + s 2006, 134 ff. 571
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S. 2 BGB zum Anlass genommen werden, entgegen der schadensrechtlichen Gesamtsystematik Deckungsgeschäfte nicht als Naturalrestitution i.S.v. §§ 249 Abs. 2, 250 BGB zu behandeln.
b) Die Ersetzungsbefugnis des Gläubigers Die Besonderheit des Schadensrechts gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht besteht darin, dass der Gläubiger in den Fällen des § 249 Abs. 2 BGB eine eigene Ersetzungsbefugnis hat, er also im Anwendungsbereich dieser Norm die Naturalrestitution ohne weiteres sofort auf Kosten des Schuldners selbst vornehmen kann, ohne dem Schuldner zuvor Gelegenheit zur eigenen Naturalrestitution bieten zu müssen. Ihrem Wortlaut nach gilt diese Ersetzungsbefugnis aber nur für Sachschäden und Körperschäden, nicht dafür, dass der Schaden im Ausbleiben einer geschuldeten Leistung besteht.574 Außerhalb dieses Anwendungsbereichs gilt im Schadensrecht der Vorrang der Naturalrestitution durch den Schädiger, der durch das Fristsetzungserfordernis des § 250 BGB575 gesichert ist. Fraglich ist aber, ob dieser Vorrang auch für den Schadensersatz statt der Leistung gelten kann, mit der Folge, dass die Naturalrestitution durch den Schuldner – die nach dem oben Ausgeführten nur (aber immerhin) ausnahmsweise zulässig ist – vorrangig gegenüber dem Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts und erst recht gegenüber dem Geldersatz gem. § 251 BGB wäre. Zweck dieser Ersetzungsbefugnis ist vor allem, dem Gläubiger (und Geschädigten) nicht zumuten zu müssen, die beschädigte Sache oder gar seinen Körper erneut dem Schädiger auszuliefern; hinzu kommt der Umstand, dass der (deliktische) Schädiger typischerweise nicht in der Lage ist, eine Sachreparatur oder gar die medizinische Behandlung des Geschädigten fachgerecht auszuführen, so dass er ohnehin Dritte damit beauftragen müsste.576 Beide Gedanken greifen jedoch nicht für die Naturalrestitution beim Schadensersatz statt der Leistung: Der Gläubiger muss sich oder seine Rechtsgüter dem Schuldner zur Naturalrestitution nicht erneut ausliefern; dieser würde schlicht die geschuldete Leistung erbringen.577 Zudem ist der Schädiger geradezu typischerweise in der Lage, die Naturalrestitution in Person zu erbringen, handelt es sich doch genau um die Leistung, zu welcher er sich im Vertrag verpflichtet hatte, bzw. zu wel-
574
Vgl. auch U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 55 II 1 (S. 687). Dieses betrifft nach zutreffender inzwischen h.M. nicht den Übergang auf den Wertersatz i.S.v. § 251 BGB, sondern den auf den Ersatz der Kosten der Naturalrestitution, vgl. Frotz, JZ 1963, 391 ff. und oben § 1.II.5.b) (S. 26 f.). 576 S. oben § 4.II.2.b) (S. 223 f.). 577 Bei schuldhaft „verpfuschten“ Reparaturverträgen könnte man allerdings daran denken, den Gläubiger vor einer erneuten Auslieferung seiner Sache an den schlampigen Reparateur zu bewahren. 575
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cher er gesetzlich verpflichtet war. Daher ist die Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 BGB nicht analog auf das Deckungsgeschäft anzuwenden. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass ein Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung immer erst dann stattfindet, wenn der Schuldner kein schutzwürdiges Interesse an der Erbringung der Naturalleistung mehr hat und die Rechtsordnung dem Gläubiger die Vornahme eines Deckungsgeschäfts gestattet: Entweder ist die Naturalleistung – einschließlich der ausnahmsweise zulässigen Naturalrestitution durch den Schuldner – ohnehin unmöglich, oder der Schuldner hat bereits eine Frist zur Leistung gem. § 281 Abs. 1 BGB fruchtlos verstreichen lassen, oder die Fristsetzung war nach § 281 Abs. 2 BGB ohnehin entbehrlich, weil der Gläubiger sofort auf das Deckungsgeschäft übergehen dürfen sollte, ohne dem Schuldner zuvor noch Gelegenheit zur „zweiten Andienung“ geben zu müssen. In allen diesen Fällen ist eine erneute Fristsetzung nach § 250 BGB nicht sinnvoll; der Schuldner hat seine „zweite Chance“ zur Naturalerfüllung in den betreffenden Fällen ex praemissione schuldhaft versäumt. Daher muss der Gläubiger ohne erneute Fristsetzung auf das Deckungsgeschäft übergehen können. Dogmatisch ergibt sich das aus einer analogen Anwendung des § 281 Abs. 2 BGB (für die Unmöglichkeit der Naturalrestitution durch den Schuldner auch des § 283 BGB) auf das Fristsetzungserfordernis des § 250 BGB,578 das damit für den Schadensersatz statt der Leistung grundsätzlich ausgeschlossen ist.579 Allerdings steht auch der Anspruch auf Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts aus §§ 249 Abs. 2, 250 BGB unter dem Vorbehalt der Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 BGB. Besteht also nach dem oben Gesagten ausnahmsweise die Möglichkeit einer Naturalrestitution durch den Schuldner, und ist diese für den Gläubiger einem Deckungsgeschäft gleichwertig, so gebietet die Schadensminderungsobliegenheit, dass der Gläubiger dem Schuldner die Gelegenheit hierzu gibt, wenn dies – ohne Einbuße für den Gläubiger – günstiger für den Schuldner ist.
3. Reiner Geldersatz Die letzte Stufe des Schadensersatzes statt der Leistung bildet der reine Geldersatz nach § 251 BGB. Auf dieser Stufe erhält der Gläubiger nicht mehr die geschuldete Leistung in Natur – wenn auch von einem Dritten im Rahmen eines Deckungsgeschäfts –, sondern nur noch den Geldwert seines Leistungsinteres578 Eine solche Analogie entspricht in der Tat der h.M., vgl. nur H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 VI 2 (S. 234). 579 Für eine solche Analogie jedenfalls bei ernsthafter und endgültiger Verweigerung der Naturalrestitution BGHZ 40, 345, 352; BGH NJW 1992, 2220, 2222; Staudinger/Schiemann, 2005, § 250 Rn. 7; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 32003, § 5 VI 3 (S. 234).
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ses. Seine Verwendungsplanung wird dann nicht mehr in Natur verwirklicht; stattdessen erhält er den Vermögenswert, den er durch die Verwendung erlöst hätte. Wegen der damit verbundenen Nachteile in der Abwicklung – Übertragung des Verwendungsrisikos auf den Schuldner,580 Beweisprobleme des Gläubigers hinsichtlich des entgangenen Gewinns581 und hinsichtlich seiner Verwendungsplanung – sollte diese Abrechnungsmodalität grundsätzlich subsidiär gegenüber der Vornahme eines Deckungsgeschäfts sein.582 Ordnet man das Deckungsgeschäft mit der hier vertretenen Auffassung als Fall des Ersatzes der Kosten der Naturalrestitution ein, so ergibt sich dieser Vorrang des Deckungsgeschäfts zwanglos aus dem allgemeinen Schadensrecht, da Geldersatz gem. § 251 Abs. 1 und 2 BGB nur nachrangig nach der Naturalrestitution geschuldet ist. Solange danach ein Deckungsgeschäft möglich ist, kann der Gläubiger nur dessen Kosten (ggf. fiktiv) ersetzt verlangen, nicht aber den entgangenen Gewinn aus dem Scheitern seiner Verwendungsplanung, wenn und weil er diese auf der Grundlage des Deckungsgeschäfts weiterhin in Natur realisieren kann;583 der Anspruch auf den Geldersatz für den entgangenen Gewinn aus der geplanten Verwendung ist danach nach § 251 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, solange die Verwendungsplanung durch ein Deckungsgeschäft noch verwirklicht werden kann.
4. Differenz- und Surrogationsmethode Innerhalb des Schadensersatzes statt der Leistung stehen dem Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen nach h.M. zwei Berechnungsmöglichkeiten zur Verfügung: Die Differenz- und die Surrogationsmethode. Bei der Differenzmethode liquidiert der Gläubiger von vornherein nur die Differenz zwischen dem Wert der gestörten Leistung und seiner Gegenleistung; bei der Surrogationsmethode wird der Vertrag in Natur weiterhin durchgeführt, wobei lediglich die gestörte Leistung durch einen Schadensersatzanspruch in voller Höhe ersetzt wird.584 Die Differenzmethode entspricht dabei der schadensrechtlichen Abwicklung des Vertrags nach Ausübung eines Rücktrittsrechts – dessen Voraussetzungen nach den §§ 323, 324, 326 BGB stets neben dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gegeben sind –, die Surrogationsmethode der Abwicklung ohne Rücktritt. Besteht die Gegenleistung lediglich in Geld, so führen beide 580
S. oben § 3.IV.2.e) (S. 204 f.). S. oben § 3.IV.2.c) (S. 202) und § 3.IV.2.d) (S. 203 f.). 582 Ähnlich auch Eisenberg, 93 Cal. L. Rev. 975, 1041 ff. (2005); S. A. Smith, in: Rickett (Hrsg.), Justifying Private Law Remedies, 2008, S. 93 ff. 583 So auch U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 38 III 5 (S. 256 f.), allerdings auf Grund der Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 BGB, weil er das Deckungsgeschäft ebenfalls § 251 BGB zuordnet. 584 Vgl. dazu eingehend MünchKomm-BGB/Emmerich, 2012, Vor § 281 Rn. 15 ff. 581
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Methoden zu dem gleichen wirtschaftlichen Ergebnis, weil die gegenseitigen Geldzahlungspflichten (Schadensersatz gegen Gegenleistung) auch bei Anwendung der Surrogationsmethode miteinander zu verrechnen wären. Ein praktischer Unterschied besteht also ohnehin nur dann, wenn die Gegenleistung in einer Sachleistung besteht, sei es weil die Geldleistung gestört ist, oder weil ein Tauschvertrag vorliegt. In diesem Fall entspricht dabei die Surrogationsmethode eher dem Grundsatz der Naturalerfüllung, weil auf diese Weise der Vertrag wenigstens insoweit durchgeführt wird, als die Leistung nicht gestört ist.585 Der Gläubiger der gestörten Leistung, der als Schuldner der Gegenleistung ein eigenes Interesse an der Erbringung seiner Leistung haben kann,586 verliert dieses Interesse nicht automatisch infolge der Leistungsstörung. Es besteht kein Anlass, den – ex praemissione schuldhaft handelnden – Schuldner der gestörten Leistung vor der naturalen Durchführung des von ihm geschlossenen Vertrags zu schützen. Nach zutreffender Auffassung hängt der Umfang des Schadensersatzes daher allein davon ab, ob der Gläubiger zurücktritt oder nicht.587 In diesem Sinne hat er die freie Wahl zwischen beiden Methoden.588 Eine zwingende Beschränkung des Schadensersatzes auf die Differenzmethode würde den Gläubiger beim Schadensersatzverlangen stets zum Rücktritt zwingen. Das kann nicht Sinn des Rücktrittsrechts sein. Der Gläubiger kann nach § 325 BGB Schadensersatz und Rücktritt kombinieren, er muss es aber nicht tun. Tritt der Gläubiger nicht vom Vertrag zurück, so bleibt es bei der Anwendung der Surrogationsmethode. Dagegen wird zwar eingewandt, der Anspruch auf die Naturalleistung sei nach § 281 Abs. 4 BGB gerade ausgeschlossen; das müsse über § 326 Abs. 1 BGB auch für die Gegenleistung gelten.589 Dieses Argument überzeugt indessen nicht: Für einen Geldleistungsschuldner ist § 281 Abs. 4 BGB bedeutungslos. Die Norm bezweckt lediglich einen Schutz des Sachleistungsschuldners, der seine naturale Leistungsbereitschaft nicht ad infinitum aufrechterhalten müssen soll.590 Der Geldleistungsschuldner muss bis zum Schadensersatzverlangen aber stets damit rechnen, auf die volle Geldleistung als Erfüllung in Anspruch genommen zu werden; mit dem Schadensersatzverlangen ändert sich hieran nichts – wobei ohnehin zu fragen ist, welche Anforderungen an die Annahme 585
Vgl. zu diesem Zusammenhang auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 28. Vgl. dazu allgemein oben § 1.IV.1.b) (S. 49 ff.). 587 Zu Recht für eine Verknüpfung der beiden Berechnungsmethoden mit der Ausübung bzw. Nichtausübung des Rücktrittsrechts daher MünchKomm-BGB/W. Ernst, 2012, § 325 Rn. 6 ff., 11; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 114 f.; BeckOK-BGB/H. Schmidt, 01.05.2014, § 325 Rn. 6; Gsell, JZ 2004, 643, 645; Schwarze, Jura 2002, 73, 81 f.; Faust, in: P. Huber/Faust (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Kap. 3 Rn. 189 ff. 588 Vgl. bereits S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 208 ff.; a.A. insoweit U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 338 f. 589 U. Huber, AcP 210 (2010), 319, 336 ff. 590 S. oben § 5.II.3.c) (S. 291 f.). 586
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eines Schadensersatzverlangens statt der Leistung zu stellen sind, wenn es nur um den Ersatz der gestörten Geldleistung durch eine Schadensersatzleistung geht. Denn bei Geldleistungen dürfte die Summe aus „Natural“-Erfüllung und Verzögerungsschaden stets mit dem Schadensersatz statt der Leistung identisch sein. Solange ein Geldleistungsgläubiger nicht eindeutig zu erkennen gibt, an der naturalen Vertragsdurchführung nicht mehr interessiert zu sein, wird man seine Erklärung, auch wenn er „Schadensersatz“ verlangt, als Verlangen von Verzögerungsschaden neben der Erfüllung der Geldleistung verstehen müssen. Dann liegt aber schon kein Schadensersatzverlangen i.S.v. § 281 Abs. 4 BGB vor; anders als früher ändert der Ablauf der Nachfrist nichts an dieser Möglichkeit.591 Richtigerweise kann daher auch hier nur danach differenziert werden, ob der Gläubiger den Rücktritt erklärt oder nicht.
591
Vgl. zum alten Recht BGH NJW 1994, 3351.
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§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass sich die Sachfragen des Grundsatzes der Naturalerfüllung nicht nur bei vertraglichen Schuldverhältnissen stellen, sondern auch bei gesetzlichen Schuldverhältnissen, insbesondere auch bei solchen des Sachenrechts. Exemplarisch soll im Folgenden für die Vindikation und den negatorischen Beseitigungsanspruch untersucht werden, inwieweit die oben erörterten Grenzen des Naturalerfüllungsanspruches im allgemeinen Leistungsstörungsrecht auch auf dingliche Ansprüche Anwendung finden.
I. Grundlagen 1. Der universelle Geltungsanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts Das allgemeine Leistungsstörungsrecht findet nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung im ersten Abschnitt des zweiten Buches des BGB grundsätzlich auf alle Ansprüche Anwendung. Der Anspruchsbegriff des § 194 Abs. 1 BGB setzt dabei lediglich das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ voraus. Gleichermaßen setzt der Begriff des Schuldverhältnisses i.S.v. § 241 Abs. 1 BGB lediglich voraus, dass „der Gläubiger […] berechtigt [ist], vom Schuldner eine Leistung zu fordern.“ Damit stellen auch dingliche Ansprüche auf Leistung, die gegen eine Person gerichtet sind, im Ausgangspunkt Schuldverhältnisse im Sinne der §§ 241 ff. BGB dar, d.h. gesetzliche Schuldverhältnisse, auf welche das allgemeine Leistungsstörungsrecht grundsätzlich anwendbar ist,1 ohne dass es entscheidend darauf ankäme, in welchem 1 Vgl. Mot., 1888, Bd 2, S. 4; Bd. 3, S. 398 f.; Staudinger/Olzen, 2009, Einl. vor § 241 Rn. 12 ff.; Lieder, JuS 2011, 874, 875; M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 369 f.; E. Becker, Schadensersatz nach Fristsetzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 2012, S. 72 ff. Ganz entgegengesetzt, gegen eine „Verschuldrechtlichung“ des dinglichen Anspruches, E. Picker, FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 718 ff.; vgl. dazu im Einzelnen sogleich unter § 6.I.2 (S. 405 ff.).
§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht
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Buch des BGB dieser Anspruch geregelt ist.2 Schließlich käme auch niemand auf die Idee, die Verzugsvorschriften nicht auf den familienrechtlichen Zugewinnausgleich oder das Unmöglichkeitsrecht nicht auf den erbrechtlichen Anspruch des Vermächtnisnehmers anzuwenden,3 nur weil diese nicht im zweiten Buch des BGB geregelt sind. Nichts anderes gilt im Ausgangspunkt für Ansprüche, die sich aus sachenrechtlichen Vorschriften ergeben.4 Freilich hatten die Verfasser des allgemeinen Leistungsstörungsrechts in erster Linie vertragliche Schuldverhältnisse im Blick, und so ist bei seiner Anwendung auf gesetzliche Schuldverhältnisse, insbesondere auf dingliche Ansprüche, stets zu fragen, ob die Regeln auch „passen“, oder ob nicht entweder besondere sachenrechtliche Vorschriften den Sachverhalt abschließend regeln, oder Inhalt und Zweck der sachenrechtlichen Rechtsbeziehung eine abweichende Behandlung erfordern.5 Manche sprechen insoweit von einer analogen Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts,6 wovon sie sich möglicherweise größere Freiheit bei der Ablehnung einzelner Analogieschlüsse versprechen.7 Nach einer analogen Anwendung besteht nach dem soeben Ausgeführten aber kein Bedürfnis, weil sich die Anwendbarkeit bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 194 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB ergibt. Soweit im Einzelfall im Hinblick auf die Besonderheiten der sachenrechtlichen Rechtsbeziehung ein Bedarf nach Korrekturen des Ergebnisses besteht, kann dem methodisch durch eine teleologische Reduktion der Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts Rechnung getragen werden, ohne dass der Grundsatz der Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf alle vertraglichen wie gesetzlichen Ansprüche dadurch in Frage gestellt würde.
2. Generelle Ausnahme für dingliche Ansprüche? Teilweise wird allerdings behauptet, dingliche Ansprüche seien von schuldrechtlichen Ansprüchen kategorisch zu unterscheiden, und auf dingliche Ansprüche oder gar auf das gesamte Sachenrecht sei das allgemeine Leistungsstörungsrecht insgesamt nicht anwendbar.8 Hierzu ist zunächst zu untersuchen, 2
Vgl. zum Ganzen auch Lieder, JuS 2011, 874 ff. Anspruch des Vermächtnisnehmers war sogar ein vom Gesetzgeber herangezogenes Beispiel für die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB, vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 129, 135, 143 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 659, 672, 686; vgl. dazu T. Härle, Inhalt und Grenzen der Leistungspflicht beim Vermächtnis individuell bestimmter Gegenstände, 2006, S. 178 ff. 4 Vgl. auch Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 1 I 4 (S. 3). 5 Vgl. auch BGHZ 49, 263, 266; Staudinger/Olzen, 2009, Einl. vor § 241 Rn. 12; Palandt/ Bassenge, Einl. vor § 854 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, Einl. vor § 241 Rn. 6. 6 Vgl. BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 1004 Rn. 118; Lettl, JuS 2005, 871, 874. 7 Das klingt etwa an bei Lettl, JuS 2005, 871, 874. 8 Vgl. insbesondere E. Picker, FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 276 ff., insbes. S. 302 ff.; ders., 3 Der
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
was „dingliche“ Ansprüche von anderen Ansprüchen unterscheidet, das eine grundlegende Andersbehandlung rechtfertigt. Zunächst sind dingliche Ansprüche in der Tat bezüglich ihrer Entstehung und inhaltlichen Reichweite nicht auf einen Willen des Schuldners und dessen Auslegung gestützt, sondern werden vom Gesetz aus dem dinglichen Eigentumsrecht abgeleitet. Das betrifft aber nur die Entstehung des Anspruches selbst, nicht auch seine inhaltliche Ausgestaltung und sein weiteres Schicksal im Falle von Leistungserschwerungen. Wegen des gesetzlichen Entstehungsgrundes kann es daher etwa im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB sicherlich – anders als bei vertraglichen Ansprüchen9 – nicht darauf ankommen, wie das Verhältnis von Leistungsinteresse und Beseitigungsaufwand anfänglich beschaffen war – aber das gilt für alle gesetzlichen Ansprüche, nicht nur für dingliche. Zu untersuchen ist daher, worin die Besonderheit der dinglichen Ansprüche liegt, die einer Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts entgegenstehen sollte. Einerseits bedeutet die „Dinglichkeit“ eines Anspruches, dass er nicht aus einer schuldrechtlichen Beziehung zwischen zwei Personen folgt, sondern unmittelbar aus dem dinglichen Recht einer Sache abgeleitet wird, so dass er gegenüber jeder Person besteht, hinsichtlich derer die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind10 – bei der Vindikation also gegenüber jedem rechtswidrigen Besitzer, bei der actio negatoria gegenüber jedem Störer. Das betrifft indessen nur die Entstehung des Beseitigungsanspruches aus einem „universellen Stammrecht“, dem Eigentum. Dies gilt jedoch in gleicher Weise für den – fraglos schuldrechtlichen – Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, der im Falle einer Eigentumsverletzung ebenfalls gegenüber jedem Schädiger besteht und unmittelbar aus der – schuldhaften – Verletzung des Eigentumsrechts abgeleitet wird, und gleichfalls dem Schutz des dinglichen Rechts dient. Zudem setzt sich die „Universalität“ des Stammrechts nicht in dem einmal entstandenen konkreten Beseitigungsanspruch fort: Anders als der abstrakte Unterlassungsanspruch, der in der Tat gegen jede Art von Störung von jedermann gilt und daher kein in gleicher Weise fassbares Schuldverhältnis konstituiert, hat der Beseitigungsanspruch hinsichtlich einer bestimmten Störung sowohl konkrete Parteien als auch einen konkreten Inhalt – jedenfalls in Gestalt eines geschuldeten Erfolgs – und unterscheidet sich dann nicht mehr von anderen gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüchen. Weiterhin wird geltend gemacht, die Besonderheit dinglicher Ansprüche bestehe darin, dass ihr Fortbestand von spezifisch sachenrechtlichen Voraussetzungen abhänge. So könne etwa der Schuldner der Vindikation aus § 985 BGB FS Gernhuber, 1993, S. 315 ff.; ihm folgend etwa J. Wilhelm, Sachenrecht, 42010, Rn. 1175 ff.; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 96 ff.; Katzenstein, JZ 2008, 1129, 1132 ff. Aus der Rechtsprechung siehe BGHZ 49, 263 (zu § 286 BGB a.F.). 9 S. dazu oben § 5.IV.2.e) (S. 339 ff.). 10 Darauf stützt v.a. E. Picker, FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 719 ff. seine Kritik an der „Verschuldrechtlichung“; ebenso sein Schüler Katzenstein, JZ 2010, 633 ff.
§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht
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dem Herausgabeanspruch allein dadurch entgehen, dass er den Besitz aufgibt bzw. an einen Dritten überträgt.11 Hier passt das allgemeine Schuldrecht in der Tat nicht, das ein Erlöschen des Herausgabeanspruches erst bei Erfüllung, Unmöglichkeit o.ä. annimmt. Aber gerade aus diesem Grund sehen die §§ 987 ff. BGB für diese Konstellation ein besonderes Leistungsstörungsrecht vor, das den §§ 275 ff. BGB selbstverständlich vorgeht und die Folgen der Besitzaufgabe in den §§ 989 f., 816 Abs. 1 S. 1 BGB differenzierend löst. Für den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB besteht indessen kein besonderes Leistungsstörungsrecht, dem eine solche Verdrängungswirkung zukäme. Besonderheiten hinsichtlich des Fortbestands des Beseitigungsanspruches behaupten allein die Vertreter der sog. Usurpationstheorie, wonach der Beseitigungsanspruch eine andauernde Usurpation der Eigentümerbefugnisse durch den Störer voraussetzt;12 der Beseitigungsanspruch sei ebenso wie die Vindikation nur eine Folge des „widerrechtlichen Habens“ durch den Störer und damit an dessen Fortbestand gebunden.13 Hier ist nicht der Raum für eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Lehre; eine solche ist für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung auch nicht erforderlich, weil in den praktisch bisher allein relevanten Fällen des Überbaus typischerweise auch nach der Usurpationstheorie eine fortdauernde Beeinträchtigung anzunehmen ist. Da der Störer wegen der Unteilbarkeit des Eigentums an dem hinüberragenden Gebäude nicht einmal die rechtliche Möglichkeit hat, sich durch Dereliktion der überstehenden Gebäudeecke der Haftung zu entziehen14 – die ihm nach der Usurpationstheorie sonst grundsätzlich offen steht15 – spielt der Meinungsstreit hier keine Rolle. Die Usurpationstheorie führt hinsichtlich der Entstehung und des Fortbestands des Beseitigungsanspruches daher zu keinem abweichenden Ergebnis. Auch bezüglich des Inhalts des Beseitigungsanspruches bestehen keine Unterschiede zwischen der herrschenden Auffassung und der Usurpationstheorie: Geschuldet ist nach beiden Auffassungen nur die Beseitigung des eigentumswidrigen Zustands, d.h. nach der Usurpationstheorie die Aufgabe des „widerrechtlichen Habens“, nach der h.M. die Beseitigung der Störung. Beide Male ist der Anspruch auf die Beseitigung des Überbaus gerichtet, so dass in beiden Fällen die – zunächst ganz untechnische – Frage zu stellen ist, ob es erforderlich oder auch
11 Vgl.
E. Picker, FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 287. E. Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, S. 49 ff., 158 ff.; ders., FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693 ff.; ders., FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 310; ihm folgend etwa J. Wilhelm, Sachenrecht, 42010, Rn. 1175 ff. 13 Vgl. ferner näher E. Picker, FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 300 ff. 14 Die Entscheidung BGH NJW 2008, 3122 betraf einen Sonderfall (zu sachenrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für die Übertragung des Eigentums an einem Gebäudeteil vgl. die Vorentscheidung in der selben Sache, BGHZ 157, 301). 15 Vgl. E. Picker, FS Gernhuber, 1993, S. 315, 341 f.; J. Wilhelm, Sachenrecht, 42010, Rn. 1379 ff. 12 Grundlegend
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nur sinnvoll ist, den Wert des hinüberragenden Gebäudeteils zu vernichten, um den Schutz des gestörten Eigentums zu verwirklichen. Allerdings liegt der Usurpationstheorie ein grundlegend anderes Verständnis vom dinglichen Anspruch zugrunde, das nach Auffassung ihrer Vertreter von der Konzeption schuldrechtlicher Ansprüche derart abweiche, dass eine unmittelbare Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ausscheide. Die dinglichen Ansprüche dienten nicht der Herbeiführung einer Vermögensverschiebung wie die schuldrechtlichen Verschaffungsansprüche, sondern dem absoluten Schutz eines dinglichen Rechts, hätten also durchwegs negatorischen Charakter.16 Mit diesem spezifisch negatorischen Charakter sei eine „Ver schuldrechtlichung“ der dinglichen Ansprüche nicht vereinbar.17 Der negatorische Charakter der genannten dinglichen Ansprüche begründet indessen zunächst nur das Anspruchsziel: Die Wiederherstellung des eigentumsrechtlich geschuldeten Zustands. Hieraus zugleich zu schließen, dass der Schutz des Eigentums ausschließlich in Natur zu erfolgen habe, verabsolutiert den Eigentumsschutz zu einem zwingenden Integritätsschutz. Zwar genießt das Eigentum – auch von Verfassungs wegen (Art. 14 GG) – in der Tat besonderen Schutz. Aber dieser Schutz ist – auch unter Berücksichtung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG, der im Übrigen längst nicht mehr auf dingliche Rechte beschränkt ist18 – kein absoluter Schutz gegen jede Integritätsverletzung. Vielmehr ist das Eigentum auch „nur“ – und immerhin – in seiner Funktion als Freiheitsgarant einerseits und als Grundlage der Marktwirtschaft andererseits geschützt: Art. 14 GG steht im „inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit“19, die sich gerade darin manifestiert, mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren zu dürfen. Die Freiheitsgarantiefunktion führt zwar dazu, dass ein bloßer Wertschutz des Eigentums nicht ausreichend ist, sondern auch ein Integritätsschutz nötig ist, da die Freiheit gerade darin besteht, die Sache in integrum zur persönlichen Entfaltung nutzen zu können. Gleichwohl ist das Eigentumsrecht nicht immun gegen Abwägungen mit anderen Rechtsgütern, welche es zu einem Recht auf Wertschutz (liability right statt property right 20) herabstufen können. Derartige Abwägungen finden im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums allenthalben statt, ohne dass dadurch ein hinreichender Eigentumsschutz infrage gestellt würde. Paradigmatisch sind etwa die Vor16
Vgl. hierzu eingehend E. Picker, FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 282 ff., speziell zur actio negatoria S. 290 ff. 17 So insbesondere E. Picker, FS F. Bydlinski, 2002, S. 269, 302 ff.; ders., FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 718 ff. 18 Zum Schutz des schuldrechtlichen Besitzrechts des Mieters vgl. BVerfGE 89, 1; zum Schutz schuldrechtlicher Rentenanwartschaften BVerfGE 53, 257, 289 ff.; BVerfGE 69, 272. 19 BVerfGE 24, 367, 389; BVerfGE 30, 292, 334; BVerfGE 70, 191, 201 u.ö.; vgl. dazu auch von Münch/Kunig/Bryde, Art. 14 Rn. 3; Maunz/Dürig/Papier, 2010, Art. 14 Rn. 1. 20 Vgl. zu dieser Unterscheidung oben § 3.II.3 (S. 161 ff.).
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schriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten, die i.V.m. § 816 Abs. 1 BGB dem Eigentümer lediglich den vom Veräußerer erzielten Erlös belassen, die Sache selbst dagegen dem Erwerber zuweisen. 21 Gleiches gilt für die §§ 946 ff. BGB, die ebenfalls zu einem Verlust des Eigentums an den vermischten, vermengten oder eingebauten Sachen führen und dieses ggf. durch einen bereicherungsrechtlichen Wertersatzanspruch aus § 951 BGB i.V.m. §§ 812 ff. BGB ersetzen. Nichts spricht dagegen, auch in anderen Fällen höherrangigen Interessen Anderer oder der Allgemeinheit den Vorzug einzuräumen und Schranken des Eigentums vorzusehen, die zu einem Übergang vom Integritätsschutz auf einen Wertschutz führen, wie dies durch die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf dingliche Ansprüche geschehen würde. Umgekehrt kann es gerade im Interesse des Eigentümers liegen, auf die naturale Durchsetzung seines Eigentums zu verzichten und stattdessen den Wert zu liquidieren, wenn sich die naturale Durchsetzung als schwierig erweist und er kein besonderes Integritätsinteresse an der Sache selbst hat, sondern die Sache ohnehin nur als Verkörperung eines Werts betrachtet (wie dies beispielsweise beim Lagerbestand eines Händlers der Fall sein dürfte). Die Verabsolutierung des zivilrechtlichen Eigentumsschutzes im Sinne eines ausschließlichen Integritätsschutzes, wie sie der zitierten Auffassung von der Sonderstellung negatorischer Ansprüche zugrunde liegt, entspricht daher weder der verfassungsrechtlichen noch der einfachrechtlichen Konzeption des Eigentums.
II. Die Anwendung auf die Vindikation Im Hinblick auf die Vindikation ist der Grundsatz der Naturalerfüllung einerseits in verschiedenen sachenrechtlichen Spezialtatbeständen ausgeformt. Andererseits stellt sich daneben die Frage nach der Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts.
1. Sachenrechtliche Sondertatbestände Die sachenrechtlichen Sondertatbestände sind nicht auf den ersten Blick als Übergangstatbestände zu erkennen, weil sie nicht beim dinglichen Anspruch – der Vindikation – ansetzen und allein diese durch einen Geldzahlungsanspruch ersetzen, sondern zu einem Untergang des „Stammrechts“ Eigentum insgesamt führen, welches dann einen Schadensersatz- oder Bereicherungsanspruch ersetzt wird. Dabei handelt es sich aber nur um eine dogmatisch-technische Be21
Vgl. dazu sogleich § 6.II.1.a) (S. 410).
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sonderheit, die aus dem absoluten Charakter des Eigentumsrechts folgt. Denn das Eigentumsrecht kann gegenüber jedem Dritten durchgesetzt werden. Würde nur ein konkreter Herausgabeanspruch aus § 985 BGB ausgeschlossen, so beträfe dieser Ausschluss nur das Verhältnis zu dem aktuellen Besitzer, nicht dagegen das zu Dritten, so dass der Zweck des Ausschlusses nicht erreicht würde. Würde man ihn dagegen auch auf das Verhältnis zu Dritten erstrecken – was gesetzgebungstechnisch ohne weiteres möglich wäre22 –, so käme es zu einem dauerhaften Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz. Weil aber Besitz und Eigentum grundsätzlich nicht auf Dauer auseinanderfallen sollen, leitet das Gesetz auch die absolute Rechtsposition, das Eigentum selbst, über. Dieser Grund ist spezifisch für absolute Sachenrechte, rechtfertigt aber keine kategoriale Andersbehandlung gegenüber schuldrechtlichen Naturalleistungsansprüchen.
a) Die Regelungen über den gutgläubigen Erwerb Die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb des Eigentums vom Nichtberechtigten (§§ 892 f. BGB, 932 ff. BGB) entziehen dem bisherigen Eigentümer das Sacheigentum und weisen es dem Erwerber zu. Diese Regeln dienen dem Schutz des Rechtsverkehrs, indem die Erwerber von dem Erfordernis umfangreicher Nachforschungen über die Erwerbskette sämtlicher Voreigentümer entlastet werden, weil sie sich für die dingliche Wirksamkeit ihres Erwerbs auf klar bestimmte äußere Rechtsscheinstatbestände verlassen können (im Wesentlichen: Besitz des Veräußerers bzw. Grundbucheintragung). 23 Diese Wertung steht einem Integritätsschutz des bisherigen Eigentümers entgegen und verbietet – ähnlich wie die rechtliche Unmöglichkeit der Erfüllung – eine naturale Durchsetzung des Eigentums gegen den Erwerber. Es bleibt allein die Möglichkeit eines Geldanspruches, in diesem Fall sogar gerichtet gegen den Veräußerer, weil der gute Glaube den Erwerber nach der gesetzlichen Wertung nicht nur vor Herausgabeansprüchen schützen soll, sondern grundsätzlich 24 auch vor Geldansprüchen infolge seines Erwerbs. Der Geldanspruch trifft also den Veräußerer, und zwar entweder als voller Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB bei der schuldhaften Veräußerung durch einen bösgläubigen oder verklagten Besitzer, im Übrigen als Anspruch auf Erlösherausgabe aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB.
22 Eine derartige Formulierung verwenden etwa Art. 16 Abs. 2 WG und Art. 21 ScheckG (Ausschluss des Herausgabeanspruches bei gutgläubigem Erwerb); bezeichnenderweise versteht die ganz h.M. diese Formulierung aber aus den oben im Text genannten Gründen als Anordnung eines Eigentumsüberganges, vgl. nur Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 121986, § 8 IV 2 b aa (S. 89); Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Recht der kartengestützten Zahlungen, 232008, Art. 16 WG Rn. 8. 23 Vgl. J. Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, 1990, passim. 24 Außer bei unentgeltlichem Erwerb, vgl. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB.
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b) Verbindung, Vermischung und Verarbeitung Die §§ 946 ff. BGB sehen einen gesetzlichen Eigentumsübergang im Falle der Verbindung, Vermischung, Vermengung und Verarbeitung beweglicher Sachen vor. Der Eigentümer der jeweils „untergeordneten“ Sache verliert sein Eigentum und erhält als Ausgleich allenfalls – bei der Verbindung, Vermischung und Vermengung beweglicher Sachen – einen Miteigentumsanteil an der Gesamtsache, im Übrigen nur einen Bereicherungsanspruch aus § 951 BGB i.V.m. §§ 812 ff. BGB oder im Verschuldensfalle einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB (vgl. § 951 Abs. 2 S. 1 BGB). In keinem Fall kann die Wiederherstellung des vorherigen Eigentumszustandes in Natur verlangt werden; insbesondere ist wegen des Eigentumsüberganges die Vindikation sowie – gem. § 951 Abs. 1 S. 2 BGB – die bereicherungsrechtliche Herausgabe der erlangten Sache in Natur ausgeschlossen. Lediglich ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB könnte im Wege der Naturalrestitution noch zu einer Wiederherstellung des früheren Zustandes in Natur führen;25 dieser setzt allerdings Verschulden voraus und unterliegt zudem der Schranke des § 251 Abs. 2 BGB. Hinter diesen Tatbeständen steht die gleiche Wertung, die auch § 275 Abs. 2 BGB zugrunde liegt: Die Wiederherstellung des früheren Zustandes in Natur wäre in den Fällen der §§ 946 ff. BGB mit Einbußen verbunden, die außer Verhältnis zu dem Integritätsinteresse des Eigentümers stünden. 26 Bei der Verbindung zweier beweglicher Sachen zu wesentlichen Bestandteilen einer einheitlichen Sache (§ 947 BGB) ergibt sich das bereits aus der Definition des wesentlichen Bestandteils in § 93 BGB, die voraussetzt, dass die Trennung der Sachen zur Zerstörung oder Wesensveränderung (auch: zu einer erheblichen Beschädigung27) des Bestandteils führen würde; dem steht nach h.M. der Fall gleich, dass die Trennung im Vergleich zum Wert des Bestandteils unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. 28 Für die Verbindung beweglicher Sachen mit einem Grundstück als wesentlicher Bestandteil (§ 946 BGB) folgt dies aus der festen Verbindung mit dem Boden (vgl. § 94 Abs. 1 BGB), da eine solche nach h.M. – im Ergebnis genau wie bei §§ 947, 93 BGB – gerade dann vorliegt, wenn die verbundene Sache entweder durch die Trennung zerstört oder erheblich beschädigt würde, oder wenn die Trennung im Vergleich zum Wert des Bestandteils 25 Dem steht § 951 Abs. 1 S. 2 BGB seiner systematischen Stellung nach nicht entgegen, vgl. nur MünchKomm-BGB/Füller, 2013, § 951 Rn. 37; Staudinger/Gursky, 2011, § 951 Rn. 64. 26 Vgl. dazu auch Mot., 1888, Bd. 3, S. 41: Die Abtrennung wesentlicher Bestandteile „führt nicht blos zur Auflösung des Ganzen, sondern auch zur Beschädigung und wesentlichen Veränderung der zu gewinnenden Stücke, mithin zur Entwerthung oder wenigstens zur Herabminderung des Werthes von Vermögensgegenständen, einem Ergebnisse, welches den volkswirtschaftlichen Interessen zuwiderläuft.“ 27 Vgl. MünchKomm-BGB/Stresemann, 2012, § 93 Rn. 10. 28 Vgl. Staudinger/Jickeli/Stieper, § 93 Rn. 17 a.E.; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 102010, Rn. 1189.
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unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. 29 Auch für den Eigentumsübergang infolge Vermischung oder Vermengung setzt § 948 BGB entweder die Untrennbarkeit (=physische Unmöglichkeit der Trennung) oder unverhältnismäßige Kosten der Trennung voraus. Und schließlich stellt § 950 BGB für den Eigentumsübergang durch Verarbeitung darauf ab, dass der Wert der Verarbeitung nicht erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes, so dass deren Rückgängigmachung zu einer Wertvernichtung führen würde, die außer Verhältnis zum Wert des Stoffes stünde. Hierin liegt zwar gegenüber § 275 Abs. 2 BGB eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses; der Kerngedanke bleibt aber der Gleiche: Die verarbeitungsbedingte Wertschöpfung soll nicht vernichtet werden, ohne dass dem ein hinreichendes Interesse des Eigentümers als Herausgabe-Gläubiger gegenübersteht. Diese Übergangstatbestände, die auf den gleichen ökonomischen Erwägungen wie § 275 Abs. 2 BGB beruhen, zeigen übrigens, dass die Unterscheidung zwischen property rights und liability rights keine strikte ist.30 Denn das Eigentum ist – definitionsgemäß – der Inbegriff des property right, und dennoch erkennt die Rechtsordnung Fälle an, in denen es nicht im Sinne eines absoluten Herausgabeanspruches geschützt, sondern zugunsten einer Entschädigungspflicht „geopfert“ wird. In diesen Situationen ist also – terminologisch gesehen: paradoxerweise – das Eigentum nicht wie ein property right geschützt, sondern wird zum „bloßen“ liability right, in das gegen Entschädigung des Inhabers eingegriffen werden darf. Das zeigt, dass die Unterscheidung zwischen beiden Kategorien nicht absolut im Sinne einer Einordnung eines Rechts entweder in die eine oder in die andere Kategorie getroffen werden darf, sondern der Übergang zwischen beiden Kategorien von der Rechtsordnung fließend ausgestaltet wird – aus durchaus ökonomischen Erwägungen heraus. Denn die zentralen Fälle, in denen die Rechtsordnung dem Eigentümer einen Herausgabeanspruch verweigert (und stattdessen das Eigentum gegen Entschädigungspflicht auf den „Eingreifer“ überleitet), sind solche, in denen die Herausgabe der Sache in Natur mit unwirtschaftlichen, ja geradezu im Sinne von § 275 Abs. 2 BGB grob unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sind.
2. Die Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf die Vindikation Neben diesen sachenrechtlichen Sondertatbeständen stellt sich die Frage nach einer Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf die Vindikation. Grundsätzlich enthalten allerdings die Vorschriften über das Eigentü29 30
Vgl. RGZ 158, 362, 374; MünchKomm-BGB/Stresemann, 2012, § 94 Rn. 4. S. dazu oben § 3.II.3 (S. 161 ff.).
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mer-Besitzer-Verhältnis ein besonderes Leistungsstörungsrecht für den Vindikationsanspruch aus § 985 BGB. Dieses enthält spezifische Sonderregelungen, welche insbesondere der Privilegierung des gutgläubigen, aber unrechtmäßigen Besitzers dienen und das allgemeine Leistungsstörungsrecht insoweit verdrängen, als sie Regelungen vorsehen.31 Diese Regelungen umfassen aber nicht alle Folgen von Leistungsstörungen, wie sich bereits aus § 990 Abs. 2 BGB ergibt: Nach dieser Regelung bleibt – hinsichtlich des bösgläubigen Besitzers – eine weitergehende Haftung wegen Verzugs „unberührt“. Diese Formulierung zeigt, dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht (hier: die Verzugsvorschriften) neben den Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nach der Vorstellung des BGB-Gesetzgebers grundsätzlich anwendbar ist, denn andernfalls hätte die Geltung der Verzugsvorschriften ausdrücklich angeordnet werden müssen.32 Es stellt sich also lediglich die Frage, ob diese Vorschriften durch sachenrechtliche Sonderregelungen verdrängt sind, oder ob Wertungen des Sachenrechts ihrer Anwendung entgegenstehen; fehlen solche Sonderregelungen, bleibt es bei der Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts. Ob vorrangige sachenrechtliche Regelungen bestehen, ist für jede Leistungsstörung gesondert zu beurteilen.
a) Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) Der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB spielt im Bereich der Vindikation kaum eine praktische Rolle: Wenn die Sache vollständig zerstört wird, gibt es auch kein Eigentum mehr, wodurch sich die Vindikation bereits tatbestandlich erledigt. Folgt die Unmöglichkeit daraus, dass der Besitzer die Verfügungsgewalt über die Sache verliert, so verliert er dadurch zugleich den Besitz, und die Vindikation ist ebenfalls tatbestandlich ausgeschlossen.33 An ihre Stelle tritt jeweils der Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 BGB, der allerdings an besondere – und EBV-spezifische – Voraussetzungen geknüpft ist (Bösgläubigkeit des Besitzers bzw. Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruches, Verschulden). Bei qualitativer Teilunmöglichkeit (d.h. bei irreparabler Beschädigung der Sache) besteht ebenfalls kein Bedürfnis nach einer Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB, weil das Eigentum nur noch an der irreparabel beschädigten Sache besteht und sich die Vindikation nur auf die Sache in ihrem jeweiligen aktuellen Zustand richtet. Der Vindikationsanspruch wird durch die Sachbeschädigung nicht angetastet. Allerdings tritt im Falle der Sachbeschädigung neben die Vindikation ggf. ein Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB, der in den Fällen der qualitativen Unmöglichkeit für Kompensation sorgt.
31
Vgl. nur M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 104. Wie hier Staudinger/Olzen, 2009, Einl. v. § 241 Rn. 19; Lieder, JuS 2011, 874, 876. 33 Vgl. Lieder, JuS 2011, 874, 876; M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 372. 32
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Denkbar ist eine Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB allerdings bei rechtlicher Unmöglichkeit der Herausgabe, etwa wenn der Übergabe der Sache ein gesetzliches Verbot entgegensteht; man denke etwa an illegale Drogen, bei denen eine Übergabe vom (unrechtmäßigen) Besitzer an den Eigentümer den Tatbestand der Abgabe gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG erfüllen kann. Hier kann die Vindikation nicht durchgesetzt werden, ohne dass der Besitzer der Drogen deswegen ein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 Abs. 1 BGB hätte, welches die Vindikation tatbestandlich ausschließen würde. In diesem Fall spricht nichts gegen eine Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB, weil die Herausgabe rechtlich unmöglich ist.34 Eine etwaige Schadensersatzpflicht folgt dann aber nicht aus § 283 BGB, sondern aus den §§ 989, 990 BGB, um die Privilegierungsfunktion der Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses zu erhalten.35
b) Grobe Unverhältnismäßigkeit (§ 275 Abs. 2 BGB) Auch Anwendungsfälle des § 275 Abs. 2 BGB sind nur schwer vorstellbar, weil meist schon der Besitz gem. § 856 Abs. 1 BGB verloren gehen dürfte, wenn die Herausgabe der Sache nur mit grob unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (z.B. Bergung des Rings vom Seegrund). Ausgeschlossen ist es aber nicht, etwa wenn die Herausgabe einer Immobilie mit hohen Kosten verbunden ist oder die Herausgabe einer beweglichen Sache erst mit großem Aufwand für ihren Ausbau verbunden ist, bei welchem z.B. andere wertvolle Sachen zerstört werden (ohne dass die bewegliche Sache dadurch zum wesentlichen Bestandteil geworden wäre). Die meisten Anwendungsfälle werden schon durch sachenrechtliche Übergangstatbestände (insbesondere Verbindung oder Vermischung) erfasst sein; für ggf. verbleibende Restfälle sollte – wegen der besser passenden Rechtsfolge des Eigentumsüberganges – zunächst mit Analogien zu den §§ 946 ff. BGB gearbeitet werden; dann folgt auch die Entschädigung ohne weiteres aus § 951 BGB. Nur falls überhaupt keine Analogiebasis zu den §§ 946 ff. BGB zu finden ist, kann auf § 275 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden, der – wie gezeigt36 – auf dem gleichen Rechtsgedanken beruht. Der Eigentumsschutz mag hier geeignet sein, ein besonderes Integritätsinteresse des Eigentümers zu begründen, das dem Besitzer Anstrengungen abverlangt, die den Wert der Sache überschreiten.37 Keinesfalls aber ist dieser Integritätsschutz derart zu verabsolutieren, dass 34 Freilich werden solche Fälle aus naheliegenden Gründen die Gerichte nicht beschäf tigen. 35 Vgl. M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 104; Staudinger/Gursky, 2012, Vor §§ 987 ff. Rn. 74. 36 S. oben § 6.II.1.b) (S. 411 f.). 37 A.A. bereits im Ausgangspunkt E. Picker, FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 706 ff.: § 985 BGB begründe lediglich eine Pflicht des Besitzers zur Duldung der Wegnahme, nicht zu ei-
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jegliche Aufwendungen geschuldet sind. Vielmehr zeigen gerade die §§ 946 ff. BGB, dass das Gesetz eine wirtschaftliche Abwägung zwischen den Herausgabeaufwendungen und dem Herausgabeinteresse des Eigentümers vornimmt und die Vindikation ausschließt, wenn die Herausgabeaufwendungen außer Verhältnis zum Herausgabeinteresse des Eigentümers stehen. Daher bestehen gegen eine Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB auf die Vindikation keine grundsätzlichen Bedenken.38 Allerdings stellt sich bei einer Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB die Frage einer Entschädigung des Eigentümers: Immerhin verliert er mit der Vindikation zugleich zwar nicht das formelle Eigentum, aber doch auf Dauer den Besitz an der Sache und damit jegliche Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeit. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 BGB stellt wegen seiner engen Voraussetzungen keine ausreichende Kompensation dar; § 283 BGB ist wegen der Privilegierungsfunktion des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nicht anwendbar. Eine Anwendung des § 285 BGB39 auf die Vindikation wird von der h.M. abgelehnt40 – allerdings aus Gründen, die lediglich gegen die Herausgabe des Veräußerungserlöses sprechen: Der redliche Besitzer soll im Falle der Veräußerung der Sache nicht einerseits dem Anspruch des Eigentümers auf Ersatzherausgabe (§ 285 BGB) und andererseits der Rechtsmängelhaftung gegenüber dem Erwerber ausgesetzt sein; im Übrigen sei § 816 Abs. 1 BGB hierfür die spezielle Vorschrift.41 Diese Gesichtspunkte würden einer Herausgabe der infolge der Leistungserschwerung ersparten Aufwendungen nicht entgegenstehen. Dieser Anspruch wäre auf den Wert der Sache selbst gerichtet, soweit sich diese noch im Vermögen des Besitzers befindet und er durch sie bereichert ist. Lehnt man dagegen eine Anwendung des § 285 BGB ab, so würde eine – dann gebotene – Analogie zu § 951 Abs. 1 S. 1 BGB zu einer inhaltlich gleichlautenden Bereicherungshaftung des Besitzers führen, der durch die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB begünstigt würde. Festzuhalten bleibt bei alledem, dass in den meisten Fällen der Besitzer infolge der Leistungserschwerung genauso an der Nutzung der Sache gehindert sein wird, so dass ihm tatbestandlich keine Bereicherung verbleibt, die herauszugeben wäre.
genen Anstrengungen zur Herausgabe; dagegen die ganz h.M., vgl. Staudinger/Gursky, 2012, § 985 Rn. 59 ff. m.w.N. sowie bereits Mot., 1888, Bd. 3, S. 398. 38 Ebenso M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 104 Fn. 5; M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 373. 39 Vgl. zur allgemeinen Herleitung einer verschuldensunabhängigen Entschädigung des Gläubigers aus § 285 BGB oben § 5.IV.4.b) (S. 347 ff.). 40 Vgl. RGZ 157, 40, 44 f.; BGH NJW 1962, 587, 588; Staudinger/Gursky, 2012, § 985 Rn. 166; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 285 Rn. 19; Palandt/Grüneberg, § 285 Rn. 4; F. Hartmann, Stellvertretendes commodum, 2007, S. 91 ff. 41 Vgl. nur Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 285 Rn. 19.
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c) Fristsetzung (§ 281 BGB) Praktisch äußerst relevant wird die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf die Vindikation beim Fristsetzungsmodell des § 281 BGB.42 Die wohl überwiegende Auffassung bejaht dessen grundsätzliche Anwendbarkeit43 – zu Recht: § 281 BGB gewährt dem Gläubiger die Möglichkeit, sein Interesse an der naturalen Erfüllung des Anspruches zeitlich zu befristen und nach Fristablauf auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen;44 dieses Interesse hat der Vindikationsgläubiger in gleicher Weise wie ein schuldrechtlicher Herausgabegläubiger. Der Fristsetzungsmechanismus soll ihm insbesondere langwierige Prozesse und (möglicherweise fruchtlose) Vollstreckungsversuche hinsichtlich der Naturalleistung ersparen, wenn er an dieser kein spezifisches Interesse hat, und ihm einen zügigen Übergang auf ein Deckungsgeschäft erlauben, wenn dieses geeigneter ist, sein eigentliches Erfüllungsinteresse (d.h. seine Verwendungsplanung) zu erfüllen. Dies gilt umso mehr, als die früher nach § 283 BGB a.F. bestehende Möglichkeit, dem Besitzer wenigstens nach einer rechtskräftigen Verurteilung zur Herausgabe eine Frist zu setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf auf den Schadensersatz statt der Leistung überzugehen, durch die Schuldrechtsreform in § 281 BGB integriert wurde.45 Wie bereits oben ausgeführt,46 bedeutet der dingliche Charakter der Vindikation nicht, dass der Eigentumsschutz auf einen Integritätsschutz beschränkt ist. Gerade dann, wenn sogar der Eigentümer selbst bereit ist, sich mit einem bloßen Vermögensschutz zufrieden zu geben, besteht kein Grund, ihm den Übergang auf den Schadensersatzanspruch zu verwehren.47 Freilich lassen die Wertungen des Sachenrechts keine unmodifizierte Anwendung des § 281 BGB zu: Die Privilegierung des redlichen unverklagten Besitzers (§ 993 Abs. 1 Hs. 2) muss auch gegenüber § 281 BGB greifen, weil dieser sonst allein durch die – außergerichtliche – Verweigerung der Herausgabe (§ 281 42 Diese Frage ist dementsprechend heftig umstritten; vgl. dazu etwa Gursky, Jura 2004, 433 ff.; M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103 ff.; Katzenstein, AcP 206 (2006), 96 ff.; monographisch E. Becker, Schadensersatz nach Fristsetzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 2012. 43 Vgl. OLG München BeckRS 2008, 9857; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 4; Staudinger/ Otto/Schwarze, 2009, § 281 Rn. B 5; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 985 Rn. 30; Heinrichs, FS Derleder, 2005, S. 87, 94; M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103 ff.; Katzenstein, AcP 206 (2006), 96, 117 ff.; a.A. J. Wilhelm, Sachenrecht, 42010, Rn. 1088 f.; Jauernig/A. Stadler, § 281 Rn. 3; Gursky, Jura 2004, 433 ff.; Staudinger/ders., 2012, § 985 Rn. 82 ff.; Lieder, JuS 2011, 874, 876 f. 44 Vgl. eingehend oben § 5.II.1 (S. 275 ff.). 45 Vgl. E. Becker, Schadensersatz nach Fristsetzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 2012, S. 129 ff. sowie eingehend Gsell, JZ 2004, 110 ff.; Dedek, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 183 ff. 46 Oben § 6.I.2 (S. 405 ff.). 47 Ebenso BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 985 Rn. 30.
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Abs. 2 Alt. 1 BGB!) einer Haftung auf den gesamten Wert der Sache ausgesetzt wäre, die ihn nach der Konzeption der §§ 985 ff. BGB nur bei Bösgläubigkeit oder Rechtshängigkeit treffen soll.48 Auf Rechtsfolgenseite sind ebenfalls Besonderheiten zu beachten: Mit dem Schadensersatzverlangen ist der Herausgabeanspruch nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Daraus folgt für den Besitzer ein (schuldrechtliches) Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 BGB,49 das dieser – bei beweglichen Sachen – gem. § 986 Abs. 2 BGB auch Erwerbern der Sache entgegenhalten kann.50 Leistet der Besitzer Schadensersatz statt der Leistung, so hat der Eigentümer ihm analog § 255 BGB Zug um Zug das Eigentum an der Sache übertragen, weil das besitzlose Eigentum in seiner Hand nichts mehr wert ist und umgekehrt der Schadensersatz statt der Leistung ihn für den vollen Sachwert entschädigt.51 Der Schadensersatz statt der Leistung ist grundsätzlich in Geld zu leisten, d.h. als Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts; die Naturalrestitution ist nach dem Gedanken des § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen.52 Es kann also zu einer Art „Zwangskauf“ der Sache durch den Besitzer kommen. Allerdings hat der Besitzer nach der hier vertretenen Auffassung die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Eigentümer sein objektives Interesse an der naturalen Herausgabe noch nicht verloren hat und den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung aus opportunistischen Gründen geltend macht.53 Der Besitzer kann dann die Schadensersatzpflicht nach Fristablauf durch die naturale Herausgabe der Sache abwenden. Der Umstand, dass der Herausgabegläubiger Eigentümer der Sache ist, begründet allerdings keine Vermutung für den Fortbestand seines Herausgabeinteresses.54
48 Ebenso BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 985 Rn. 30; Palandt/Bassenge, § 985 Rn. 14; enger – Anwendung über § 990 Abs. 2 BGB und daher nur auf den unredlichen, nicht auch auf den verklagten Besitzer – M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 105 f.; Katzenstein, AcP 206 (2006), 96, 117 ff.; E. Becker, Schadensersatz nach Fristsetzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 2012, S. 117 ff. 49 Vgl. auch M. Schwab, NZM 2003, 50, 51. 50 Nach der hier vertretenen analogen Anwendung des § 255 BGB (dazu sogleich im Text) kann es zu einem solchen Erwerb nur in der Phase zwischen Schadensersatzverlangen und der Zug-um-Zug-Abwicklung des Schadensersatzes gegen Übertragung des Eigentums auf den Besitzer kommen. 51 Ebenso BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 985 Rn. 30; Palandt/Bassenge, § 985 Rn. 14; M. Gebauer/S. Huber, ZGS 2005, 103, 106; Lieder, JuS 2011, 874, 876. 52 S. oben § 5.VII.1.c) (S. 392 ff.). 53 S. oben § 5.VII.1.c)aa) (S. 393 f.) sowie näher Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311 ff. 54 Vgl. näher Riehm, FS 10 Jahre Mietrechtsreform, 2011, S. 311, 321.
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III. Die Anwendung auf den negatorischen Beseitigungsanspruch Zu diskutieren ist ferner die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Praktisch besonders relevant sind hier zwei Übergangstatbestände von der Naturalleistung auf den Geldersatz: Der Ausschluss wegen Unmöglichkeit bzw. grober Unverhältnismäßigkeit (§ 275 Abs. 1 und 2 BGB) sowie der Übergang auf den Schadensersatz nach Ablauf einer vom Eigentümer gesetzten Frist (§ 281 BGB). Anders als bei der Vindikation besteht für die actio negatoria kein besonderes sachenrechtliches Leistungsstörungsrecht, das eigene Wertungen enthält. Die Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ist daher nicht den oben diskutierten grundsätzlichen Zweifeln ausgesetzt.55
1. Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) Ist die Beseitigung einer Störung unmöglich, so ist ein natural durchsetzbarer Beseitigungsanspruch evident sinnlos. Der Eigentümer muss sie hinnehmen; sein Beseitigungsanspruch ist ausgeschlossen.56 Das gilt nach ganz h.M. für die rechtliche Unmöglichkeit ebenso wie für die tatsächliche Unmöglichkeit.57 Diese Rechtsfolge kann ohne weiteres § 275 Abs. 1 BGB entnommen werden.58 Dadurch wird die sonst gelegentlich bemühte Konstruktion einer Ablehnung der Störereigenschaft59 oder einer Einschränkung des Inhalts des Beseitigungsanspruches60 entbehrlich. Die Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB öffnet insbesondere auch den Weg zu den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB in den Fällen, in welchen der Störer die Beseitigung der Störung nachträglich61 schuldhaft unmöglich gemacht hat. Insoweit ist der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nicht anders zu behandeln als andere Ansprüche. Insbesondere ändert der dingliche Ursprung des Anspruches nichts an seiner Einordnung als gesetzliches Schuldverhältnis, auf 55
S. dazu oben § 6.II.2 (S. 412 ff.). Vgl. BGHZ 62, 388, 393; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 148; E. Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, S. 134 f.; a.A. allerdings J. Wilhelm, Sachenrecht, 42010, Rn. 1092 ff. 57 Vgl. BGHZ 160, 232; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 1004 Rn. 70 f. 58 Vgl. PWW/Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 2; a.A. insoweit Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 148. 59 So offenbar BGHZ 160, 232, 237 f. 60 So E. Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, S. 134 f. 61 Für schuldhaft herbeigeführte anfänglich irreparable Störungen ergibt sich ein Schadensersatzanspruch bereits aus § 823 Abs. 1 BGB, so dass es keines Rückgriffs auf § 283 BGB bedarf. 56
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welches die §§ 275 ff. BGB Anwendung finden.62 Die Anwendung des § 283 BGB führt auch nicht zu einer systemwidrigen Umwandlung des verschuldensunabhängigen bloßen Beseitigungsanspruches in einen Schadensersatzanspruch. Denn der Haftungsgrund des Schadensersatzanspruches ist gerade nicht mehr nur die (ggf. schuldlose) Störung als solche, sondern die schuldhafte Verursachung der Unmöglichkeit ihrer Beseitigung. Gerade im Hinblick darauf, dass für die anfänglich schuldhafte Verursachung einer irreparablen Störung eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB ohnehin besteht, liegt darin kein Wertungswiderspruch. Zwar wäre auch eine Konstruktion des Schadensersatzanspruches bei nachträglicher Verursachung der Unmöglichkeit über § 823 Abs. 1 BGB denkbar. Diese würde jedoch die Beweislast für das Verschulden dem Eigentümer aufbürden, während bei der Nichterfüllung bereits bestehender Pflichten die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB die sachgerechtere Regelung ist.63
2. Grobes Missverhältnis (§ 275 Abs. 2 BGB) Die Anwendung der Einrede des groben Missverhältnisses zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse aus § 275 Abs. 2 BGB auf den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB hat die Rechtsprechung bereits häufig beschäftigt.64 In der Tat kann die Beseitigungspflicht aus § 1004 Abs. 1 BGB etwa bei Überbauten65 oder Bodenkontaminationen66 zu exorbitanten Kosten der Leistungserbringung führen, die zum Wert der betroffenen Grundstücksfläche außer Verhältnis stehen;67 es liegt dann nahe, dass der Beseitigungsschuldner die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB erhebt, um dem Beseitigungsaufwand – der ihn unabhängig von einem Verschulden an der Störung trifft! – zu entgehen.
62
S. oben § 6.I.2 (S. 405 ff.). Vgl. dazu eingehend Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1084 ff. 64 Vgl. BGH NJW 2008, 3122; NJW 2008, 3123; NJW-RR 2010, 315; NJW 2010, 2341 (alle die Anwendbarkeit grundsätzlich bejahend, die Tatbestandsvoraussetzungen aber verneinend). Die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB wurde dem Störer gewährt von OLG Brandenburg BeckRS 2010, 26421; OLG Stuttgart BeckRS 2009, 26410; dem Rechtsgedanken nach auch von OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1024, 1025. 65 Solche betrafen die Entscheidungen BGH NJW 2008, 3122; NJW 2008, 3123; NJW-RR 2010, 315; OLG Brandenburg BeckRS 2010, 26421; OLG Stuttgart BeckRS 2009, 26410. 66 BGH NJW 2010, 2341. 67 Vgl. etwa den Sachverhalt in OLG Brandenburg BeckRS 2010, 26421: Wert der überbauten Grundstücksfläche: € 0,03; Kosten für die Beseitigung des Überbaus: ca. € 2.000. 63
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a) Die Anwendbarkeit des § 275 Abs. 2 BGB auf den Beseitigungsanspruch Auch hier stellt sich zunächst die Frage nach der Anwendbarkeit des § 275 Abs. 2 BGB auf den negatorischen Beseitigungsanspruch. Nach den obigen Ausführungen ergibt sich diese schon aus dem universellen Geltungsanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, der sich auch auf den dinglichen Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB erstreckt.68 Hiergegen wird allerdings geltend gemacht, der in § 275 Abs. 2 BGB niedergelegte Verhältnismäßigkeitsvorbehalt sei mit der Strenge des negatorischen Eigentumsschutzes unvereinbar. Wie § 985 BGB verfolge auch § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB das Ziel, den dem Eigentumsrecht entsprechenden tatsächlichen Zustand störungsfrei herzustellen. In beiden Fällen sei für eine Verhältnismäßigkeitsabwägung kein Raum.69 Die Möglichkeit einer Ablösung des Beseitigungsanspruches durch eine Geldzahlung würde ansonsten dem Störer gestatten, dem Grundstückseigentümer zwangsweise dasjenige abzukaufen, was er ihm freiwillig nicht geben will.70 Indessen ist § 275 Abs. 2 BGB Ausdruck eines universellen ökonomischen Grundgedankens, der letztlich im Rechtsmissbrauchsverbot verankert ist,71 dessen Geltung auch im Sachenrecht unbestritten ist:72 Der Gläubiger kann eine Leistung nicht in Natur verlangen, wenn sie ökonomisch zu einer Verschwendung von Ressourcen führen würde, weil seine zu erzielenden Vorteile außer Verhältnis zur Belastung des Schuldners stehen. Zwar kann die Ablehnung eines Beseitigungsanspruches aufgrund des § 275 Abs. 2 BGB in der Tat zu einer (teilweisen) Enteignung führen, weil der Eigentümer durch die – dann fortdauernde – Störung in seiner Möglichkeit, über die Sache zu verfügen (§ 903 BGB), dauerhaft beschränkt wird. Eine derartige Inhalts- und Schrankenbestimmung ist dem positivgesetzlichen Eigentumsrecht aber nicht fremd: Auf einem ganz ähnlichen Gedanken beruht etwa die Duldungspflicht für schuldlose Überbauten aus § 912 Abs. 1 BGB, welche die Vernichtung von Werten vermeiden soll, die mit der Beseitigung von Überbauten im Allgemeinen verbunden ist;73 die Duldungspflicht dient nach Auffassung des Gesetzgebers ausdrücklich dem „volkswirtschaftlichen Interesse“,74 indem sie den Integritätsschutz des über68
S. oben § 6.I.1 (S. 404 f.) sowie M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 371.
69 Vgl. Kolbe, NJW 2008, 3618, 3619; Katzenstein, JZ 2010, 633, 635 f.; i.E. auch Korth, ZJS
2008, 647 ff.; aus der Zeit vor der Schuldrechtsmodernisierung E. Picker, FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 693, 718 ff. und v.a. ders., AcP 176 (1976), 28, 53 ff. 70 Vgl. E. Picker, FS Lange, 1992, S. 625, 664 f. 71 S. dazu oben § 5.IV.1.a) (S. 325 ff.). 72 Für eine Beschränkung des negatorischen Rechtsschutzes bei missbräuchlichen Beseitigungsverlangen auch E. Picker, FS Lange, 1992, S. 625, 644, 692 ff.; ders., AcP 176 (1976), 28, 63 ff.; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 156 a.E. 73 Vgl. BGHZ 102, 311, 314; Staudinger/H. Roth, 2009, § 912 Rn. 1. 74 Mot., 1888, Bd. 3, S. 283; Prot., 1897 ff., Bd. 3, S. 135; vgl. auch RGZ 160, 166, 180.
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bauten Eigentums dem Interesse an der Erhaltung des hinüberragenden Gebäudes unterordnet und durch einen Wertschutz (§ 912 Abs. 2 BGB) ersetzt. Die gleiche Bewertung findet sich in § 906 Abs. 2 S. 1 BGB, wo ebenfalls dem Eigentümer im höherrangigen volkswirtschaftlichen Interesse zugemutet wird, eine (ortsübliche) Störung nicht in Natur abwehren zu können, weil die Verhinderung dem Störer wirtschaftlich nicht zumutbar ist; auch hier erhält der Eigentümer aber zumindest eine Entschädigung nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Eine Ersetzung des eigentumsrechtlichen Integritätsschutzes durch einen reinen Wertschutz aus volkswirtschaftlichen Gründen ist dem BGB also nicht fremd.75 Vor der Schaffung des § 275 Abs. 2 BGB im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung 2002 hatte die Rechtsprechung einen entsprechenden Rechtsgedanken bereits auf § 1004 BGB angewendet; dogmatisch wurde dies auf eine analoge Anwendung der §§ 251 Abs. 2, 632 Abs. 2 S. 3 a.F. BGB (entspricht § 635 Abs. 3 BGB n.F.) gestützt.76 Da § 275 Abs. 2 BGB nach dem Willen der Gesetzesverfasser eben diesen Rechtsgedanken allgemein kodifizieren sollte,77 kommt mangels Regelungslücke eine analoge Anwendung der §§ 251 Abs. 2, 635 Abs. 3 BGB nicht mehr in Betracht; vielmehr ist seither ausschließlich § 275 Abs. 2 BGB anzuwenden.78
b) Der Tatbestand des § 275 Abs. 2 BGB Der Tatbestand des § 275 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass zwischen dem Beseitigungsaufwand des Störers und dem Leistungsinteresse des Eigentümers ein grobes Missverhältnis besteht. Der Beseitigungsaufwand des Störers ist dabei zumeist anhand von Kostenvoranschlägen für die geschuldeten Beseitigungsmaßnahmen zu ermitteln. Das Leistungsinteresse des Gläubigers ist, wie oben ausgeführt,79 sein spezifisches Naturalleistungsinteresse. Gerade beim Eigentumsschutz ist dabei zu berücksichtigen, dass das Eigentumsrecht eine Sache ihrem Eigentümer nicht nur als Vermögenswert zuweist, sondern als Garantie der Freiheit des Eigentümers wirkt, mit der Sache nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB).80 Dabei beschränkt sich der rechtliche Eigentumsschutz nicht auf rein wirtschaftliche Nutzungszwecke des Eigentümers, sondern garantiert 75
S. bereits oben § 6.I.2 (S. 405 ff.). BGHZ 62, 388, 391; BGHZ 143, 1, 5 f.; s. auch M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 374. 77 Vgl. Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 130 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 662. 78 Vgl. BGH NJW 2008, 3122 (3123); NJW-RR 2010, 315; NJW 2010, 2341; ebenso Münch Komm-BGB4/Medicus, 2004, § 1004 Rn. 80; Palandt/Grüneberg, § 275 Rn. 3, 26; Canaris, JZ 2004, 214, 224 Fn. 109; unentschieden MünchKomm-BGB/Baldus, 2013, § 1004 Rn. 239 ff.; für Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB Lettl, JuS 2005, 871, 877; J. Neuner, JuS 2005, 385, 390. 79 Oben § 5.IV.2.b) (S. 334 f.). 80 S. oben § 6.I.2 (S. 405 ff.). 76 Vgl.
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die umfassende Freiheit zur Nutzung der Sache in Natur, auch zu rein ideellen oder konsumtiven Zwecken. Dementsprechend muss das Leistungsinteresse des Gläubigers i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB diese freiheitssichernde Funktion des Eigentums mit umfassen, die insbesondere bei privat genutzten Sachen weit über den Vermögenswert der betroffenen Sache hinausgehen kann. Affektionsinteressen und – ggf. nicht vermögenswerte – sonstige Verwendungsziele des Eigentümers sind also mit zu berücksichtigen.81 Es reicht demnach nicht aus, bloß auf den Wertverlust des beeinträchtigten Grundstücks abzustellen, sondern es muss ein Geldäquivalent für die tatsächliche Nutzungsbeeinträchtigung gefunden werden, das von der konkreten Nutzungsweise abhängt. Bei rein erwerbswirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks mag das Äquivalent regelmäßig bezifferbar sein und tatsächlich in etwa dem Wertverlust entsprechen. Bei konsumtiver Privatnutzung, insbesondere bei Wohnhäusern, sind dagegen die reellen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, etwa der Entzug von Luft, Licht, Ausblick etc., soweit diese eigentumsrechtlich geschützt sind (z.B. durch baurechtliche Abstandsvorschriften), oder die Belästigung durch Lärm oder Gestank. Hierfür ist ein Affektionsinteresse zu beziffern, so dass das tatsächliche Leistungsinteresse zwar höher liegt als die bloße Marktwert einbuße des Grundstücks, aber – im ökonomischen Sinne – der subjektiven Werteinbuße entspricht, d.h. dem Preis, für welchen der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks bereit wäre, auf die Ausübung des Beseitigungsanspruches zu verzichten (ohne dabei schikanös zu sein). Sicherlich wird es in der Praxis nicht immer leicht sein, hierfür ein Geldäquivalent zu ermitteln, das dem Beseitigungsaufwand des Schuldners gegenübergestellt wird. Diese Problematik ist aber nicht unlösbar; etwaige Bewertungsunsicherheiten werden dadurch aufgefangen, dass das Missverhältnis zwischen Beseitigungsaufwand und Leistungsinteresse „grob“ sein muss, so dass also die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB nur dann gewährt wird, wenn offensichtlich ist, dass das Beseitigungsverlangen des Eigentümers nicht mehr durch ein legitimes – materielles oder immaterielles – Interesse an der Beseitigung selbst gedeckt ist, sondern nur noch mit schikanösem oder rechtsmissbräuchlichem Verhalten erklärbar ist.82 Zweifel an der Existenz eines groben Missverhältnisses gehen nach der eindeutigen Formulierung des § 275 Abs. 2 BGB als Einrede zulasten des beseitigungspflichtigen Störers.83
81
S. oben § 5.IV.2.b) (S. 334 f.). S. oben § 5.IV.2.e) (S. 339 ff.). 83 Vgl. zu dem hier zu Grunde liegenden Konzept der Wertungslast für rechtliche Einzelfallabwägungen und ihrer Verteilung in Parallele zur beweislastrechtlichen Normentheorie Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, S. 138 ff. mit Beispielen. 82
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Wie bei der Anwendung auf schuldrechtliche Ansprüche auch84 bewirkt die Präventionsfunktion des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB, dass ein Vertretenmüssen des Störers die Anforderungen an seine Leistungsanstrengungen erhöht. In aller Regel wird die Störung von Anfang an nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen behebbar sein, so dass das Verschulden der Störung mit dem Verschulden der Leistungserschwerung zusammenfällt.85 Damit genügt es für eine Heraufsetzung der Leistungsanstrengungen z.B., wenn der Störer den Überbau grob fahrlässig herbeigeführt hat.86 Hat aber auch der Eigentümer zu der Leistungserschwerung beigetragen, weil er z.B. mit seinem Beseitigungsverlangen sehenden Auges so lange zugewartet hat, bis die Beseitigungskosten unverhältnismäßig geworden sind, so ist dies entsprechend § 254 Abs. 2 BGB dahingehend zu berücksichtigen, dass die vom Störer geschuldeten Beseitigungsaufwendungen abgesenkt werden.87 In dieser strengen Auslegung ist § 275 Abs. 2 BGB in der Tat nur eine Konkretisierung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsgedanken, dessen Anwendung auf § 1004 Abs. 1 BGB im Ergebnis unstreitig ist.88
c) Die Entschädigung des Eigentümers Die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB führt dazu, dass der Eigentümer einen Teil seiner Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB dauerhaft einbüßt. Hierin liegt faktisch eine Enteignung zugunsten des Störers, die nicht ohne einen angemessenen – verschuldensunabhängigen – Ausgleich erfolgen darf.89
aa) Erfordernis einer Entschädigung Die Regelung des § 275 Abs. 2 BGB verfolgt zunächst nur den Zweck, die Verpflichtung zur Leistung in Natur auszuschließen, wenn diese mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Ob der Gläubiger zum Ausgleich eine Geldleistung erhält oder nicht, ist durch § 275 Abs. 2 BGB nicht präjudi84
S. oben § 5.IV.2.d) (S. 337 ff.). Insoweit a.A. Gsell, LMK 2008, Nr. 266937, sub 2.c), die auf § 311a Abs. 2 BGB abstellt, eine Norm, die allerdings spezifisch auf die Leistungsgarantie abstellt, die in einem vertraglichen Leistungsversprechen implizit enthalten ist (vgl. dazu näher Canaris, FS Heldrich, 2005, S. 11 ff.; Riehm, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1079, 1081 ff.), und daher auf gesetzliche Schuldverhältnisse keine Anwendung finden kann. 86 Nach Auffassung des BGH wird die Abwägung nach § 275 Abs. 2 BGB in einem solchen Fall „in der Regel dazu führen, dass die Einrede zu versagen ist“ (vgl. BGH NJW 2008, 3123, 3125). 87 Ebenso BGH NJW 2008, 3123, 3125. 88 Vgl. E. Picker, FS Lange, 1992, S. 625, 644, 692 ff.; ders., AcP 176 (1976), 28, 63 ff.; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 156 a.E.; Gsell, LMK 2008, Nr. 266937, sub 2.b); s. dazu auch M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 376 f. 89 Ebenso Gsell, LMK 2008, Nr. 266937, sub 2.b; Kolbe, NJW 2008, 3618, 3619; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 156 a.E. 85
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ziert: Hat der Schuldner die Erschwerung zu vertreten, so erhält der Gläubiger ohnehin Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB. Das sind im vorliegenden Zusammenhang aber seltene Ausnahmefälle, die nicht weiter interessieren und insbesondere nicht ausreichen, um das Ausgleichsbedürfnis abzudecken. Daneben wurde oben vorgeschlagen, in den Fällen des § 275 Abs. 2 BGB generell einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Herausgabe der infolge der Leistungsbefreiung wegen Leistungserschwerung ersparten Aufwendungen aus § 285 BGB zu gewähren.90 Aber auch dieser Anspruch lässt eine Entschädigungslücke, weil einerseits die vom Störer ersparten „normalen“ Aufwendungen im – hier regelmäßig vorliegenden – Fall anfänglicher Leistungserschwerung kaum zu bestimmen sind,91 und weil andererseits die ersparten Aufwendungen keinen Bezug zum Wertverlust infolge der Störung haben; gerade dieser ist aber nach dem Grundsatz des Eigentumsschutzes durch Wertschutz der Ausgangspunkt für die Berechnung der Entschädigung. Eine entschädigungslose Befreiung des Störers von der Beseitigungspflicht war schon von der früheren Rechtsprechung nicht intendiert, die den Ausschluss der Naturalleistungspflicht auf eine Analogie zu § 251 Abs. 2 BGB stützte und damit den Weg zum Ersatz des Vermögensschadens öffnete, der infolge der Störung verblieb (z.B. Wertminderung des beeinträchtigten Grundstücks).92 § 275 Abs. 2 BGB bietet zwar nicht den gleichen unmittelbaren Weg zum Wertersatz; dieser lässt sich aber aus dem Rechtsgedanken der §§ 906 Abs. 2 S. 2, 912 Abs. 2, 917 Abs. 2 BGB herleiten.93 Diese Vorschriften enthalten den allgemeinen Gedanken der Aufopferungshaftung, wonach derjenige, der eine Beeinträchtigung wegen höherrangiger Interessen Dritter dulden muss, deren Beseitigung in Natur also nicht verlangen kann, Anspruch auf eine angemessene Vermögensentschädigung in Geld hat.94 Hier ordnet § 275 Abs. 2 BGB – ebenso wie die §§ 906 Abs. 2 S. 1, 912 Abs. 1, 917 Abs. 1 S. 1 BGB – an, dass der Eigentümer eine konkrete Störung seiner Befugnisse im höherrangigen Interesse eines Dritten hinzunehmen hat. Weil die Beseitigung der Störung einen Aufwand hat, der selbst unter Berücksichtigung aller immateriellen Interessen des Eigentümers grob unverhältnismäßig ist, ver90
Oben § 5.IV.4.b) (S. 347 ff.). Der Leistungsaufwand ist hier von Anfang an so hoch, dass er nicht in Natur geschuldet ist; wie sollte ermittelt werden, was der Schuldner erspart hat? 92 Vgl. als Beispiel BGHZ 143, 1, 6, 9. 93 Vgl. Gsell, LMK 2008, Nr. 266937, sub 2.b); im Ansatz ähnlich bereits Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 86 VI 2 a (S. 701 f.); MünchKomm-BGB4/Medicus, 2004, § 1004 Rn. 80 a.E. plädiert für einen Geldanspruch „aus Treu und Glauben“, Canaris, JZ 2004, 214, 224 mit Fn. 109 für eine analoge Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB; M. Stürner, FS v. Brünneck, 2011, S. 360, 377 f. für eine Anwendung der §§ 275 Abs. 4, 280 ff. BGB unter Verzicht auf das Verschuldenserfordernis, alle jeweils mit gleichem Ergebnis (vgl. auch Kolbe, NJW 2008, 3618, 3620). 94 Vgl. J. Neuner, JuS 2005, 487, 490. 91
§ 6. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht
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hindert die Rechtsordnung letztlich im Interesse der Gesamtökonomie die naturale Beseitigung, weil sie mehr Werte vernichten als schaffen würde. Die Lage ist insoweit die gleiche wie bei einem duldungspflichtigen Überbau i.S.v. § 912 Abs. 1 BGB oder bei einer duldungspflichtigen Störung durch wesentliche, aber ortsübliche und durch zumutbaren Aufwand nicht vermeidbare Immissionen i.S.v. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB. Jeweils wird der Eigentümer zwar zur Duldung in Natur verpflichtet; er erhält aber einen Ausgleich in Geld von demjenigen, der von der Duldung profitiert („Dulde und liquidiere“).95 Die Entschädigung, die an den Eigentümer zu bezahlen ist, ist dementsprechend nach den enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu richten. Dies ist für § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ohnehin anerkannt96 und führt dazu, dass sich die Entschädigung zunächst an der Werteinbuße des beeinträchtigten Grundstücks als Minimum zu orientieren hat. Zwar gewährt § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nach h.M. keinen Anspruch auf vollen Schadensersatz,97 so dass insbesondere Vermögensfolgeschäden nicht unmittelbar ersatzfähig sind; sie schlagen sich aber regelmäßig in der Grundstücksbewertung nieder (z.B. in der schwierigeren Vermietbarkeit), so dass sie über die Werteinbuße mit erfasst werden. Ansonsten ist der Anspruch nach der Billigkeit zu bewerten, so dass etwa auch immaterielle Einbußen mit anzusetzen sind. Dem entspricht es, dass der BGH beispielsweise bei selbst genutzten Wohnhäusern die Entschädigung anhand der Minderung eines fiktiven Mietzinses berechnet,98 in welche selbstverständlich auch reine „Unannehmlichkeiten“ wie etwa der Verlust der schönen Aussicht einfließen würden. Ist die Beeinträchtigung nicht nur vorübergehend, so kann die Entschädigung analog § 912 Abs. 2 BGB durch eine „Störungsrente“ erfolgen, die auch kapitalisiert werden kann.99
bb) Inhalt und Ausgestaltung der Entschädigung Damit stellt sich auch das von Picker aufgeworfene Problem nicht,100 dass ein Rechtsnachfolger des belasteten und entschädigungsberechtigten Eigentümers nicht an etwaige Entschädigungsvereinbarungen gebunden sein und daher erneut Beseitigung verlangen könnte. Denn zum einen kann die Rente 95 Vgl. bereits § 6.III.2.a) (S. 420 f.). S. auch BGH NJW 2004, 1798, 1801; Staudinger/H. Roth, 2009, § 912 Rn. 46 a.E., die eine Überbaurente analog § 912 Abs. 1 S. 2 BGB gewähren wollen, wenn ein Überbau wegen des Rechtsmissbrauchseinwandes nicht beseitigt werden muss. 96 Vgl. nur BGH NJW 1995, 714, 715; BGHZ 142, 66, 70; BGHZ 147, 45, 53; BeckOKBGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 906 Rn. 78. 97 Vgl. BGHZ 49, 148, 155; 62, 361, 371; 111, 158, 166; BGH NJW 1974, 1869; NJW 1990, 1910, 1912; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 906 Rn. 77; a.A. MünchKomm-BGB/ Säcker, 2013, § 906 Rn. 166: Ersatz des vollen Schadens. 98 Vgl. BGHZ 91, 20, 31. 99 Für eine Verrentung der Entschädigung auch E. Picker, FS Lange, 1992, S. 625, 695 f. 100 Aufgeworfen von E. Picker, AcP 176 (1976), 28, 55 ff.
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bei vertraglicher Festlegung ihrer Höhe analog § 914 Abs. 2 BGB ins Grundbuch des rentenpflichtigen Grundstücks eingetragen werden und bindet dann auch Rechtsnachfolger. Die Duldungspflicht, die sich faktisch aus § 275 Abs. 2 BGB ergibt, ist zwar als solche nicht eintragungsfähig,101 so dass der Störer bei Rechtsnachfolge aufseiten des Eigentümers eine neue Beseitigungsklage fürchten muss. Sollte dieser stattgegeben werden, weil der neue Richter die Voraussetzungen des § 275 Abs. 2 BGB anders beurteilt als der Erstrichter, so entfällt für die Zukunft zugleich die Grundlage für die „Störungsrente“, so dass der Störer stets nur entweder beseitigen oder den Eigentümer für die Störung entschädigen muss. Ist die Störungsrente kapitalisiert und an den Alteigentümer komplett bezahlt worden, so muss der Eigentümer in diesem Fall nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB (condictio ob causam finitam) den entsprechenden Anteil des Entschädigungsbetrages zurückerstatten. Auch im Verhältnis zwischen Alt- und Neueigentümer ist diese Lösung angemessen: Das beeinträchtigte Grundstück wird als mit der Beeinträchtigung belastet verkauft, also für einen geringeren Preis, wobei diese Einbuße des Veräußerers durch die Entschädigung nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB aufgewogen wird. Umgekehrt kann der Störer seine Sache infolge der dauerhaft möglichen Störung evtl. teurer verkaufen (wenn diese sich wertsteigernd auswirkt, z.B. bei einem Überbau), was wiederum die Entschädigungslast wirtschaftlich dem Erwerber aufbürdet.
3. Fristsetzung (§ 281 BGB) Auch die Anwendung des Fristsetzungsmodells nach den §§ 280 I, III, 281 BGB auf den Anspruch aus § 1004 I 1 BGB bedarf näherer Erörterung.
a) Anwendbarkeit des § 281 BGB Wiederum ist eingangs festzuhalten, dass die (unmittelbare) Anwendbarkeit des § 281 BGB auf den negatorischen Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB im Ausgangspunkt dem universellen Geltungsanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts entspricht.102 Es stellt sich daher lediglich die Frage nach einer etwaigen teleologischen Reduktion der Norm im Hinblick auf spezifische sachenrechtliche Wertungen. Eine solche Besonderheit wird hier teilweise im negatorischen Charakter des Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB gesehen, der einem Übergang auf eine Vermögenshaftung, wie er durch die Anwendung des § 281 BGB stattfinden würde, entgegenstehe.103 In der Tat ergibt 101
Vgl. MünchKomm-BGB/Säcker, 2013, § 914 Rn. 2. S. oben § 6.I.1 (S. 404 f.). 103 Vgl. dazu bereits oben § 6.I.2 (S. 405 ff.). 102
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sich aufgrund der Anwendung des § 281 BGB die Möglichkeit, dass die Beseitigungshaftung des Störers aus § 1004 I 1 BGB zu einer Haftung auf Vermögensfolgeschäden erweitert wird. Das im Rahmen der §§ 280 I, III, 281 BGB zu prüfende Vertretenmüssen bezieht sich dabei nur auf die Nichterfüllung der verschuldensunabhängig bestehenden Beseitigungspflicht, nicht notwendig auch auf den Haftungsgrund selbst, nämlich die Verursachung der Störung. Indessen ist diese Haftungserweiterung wertungsmäßig konsequent, da die Beseitigungspflicht aus § 1004 BGB, auch wenn sie verschuldensunabhängig gewährt wird, ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet, so dass es allgemeinen Grundsätzen entspricht, den Störer im Falle der schuldhaften Verletzung der Beseitigungspflicht Schadensersatzansprüchen zu unterwerfen. Es ist auch kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, den Beseitigungsschuldner hinsichtlich des Aufwands der Ersatzvornahme anders zu behandeln als bezüglich des spezifischen Verzögerungsschadens i.S.v. § 280 Abs. 1, 2, 286 BGB, für den er nach ganz allgemeiner Ansicht haftet.104 Der h.M. entsprechend ist § 281 BGB daher auch auf den Anspruch aus § 1004 BGB anzuwenden;105 der Eigentümer kann dem Störer also eine Frist zur Beseitigung setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen.
b) Die Folgen eines Schadensersatzverlangens (§ 281 Abs. 4 BGB) Nach Fristablauf ist gem. § 281 Abs. 4 BGB der Beseitigungsanspruch in Natur ausgeschlossen. Das ist dann unproblematisch, wenn der Eigentümer mit dem Schadensersatzbetrag die Störung tatsächlich beseitigt, denn dann entfällt der Beseitigungsanspruch auch tatbestandlich für die Zukunft. Verzichtet der Eigentümer aber im Rahmen seiner schadensrechtlichen Dispositionsfreiheit auf die Beseitigung in Natur, so muss aus § 281 Abs. 4 BGB zumindest eine gesetzliche Duldungspflicht i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB folgen, damit der Eigentümer die Beseitigung der – dann fortdauernden – Störung nicht weiterhin verlangen kann.106 Problematisch ist allerdings die Einzelrechtsnachfolge aufseiten des Eigentümers: Hier muss verhindert werden, dass der Störer einerseits Schadensersatz leistet und andererseits aber vom Rechtsnachfolger des Eigentümers gleichwohl 104 Vgl. Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 168 f.; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 1004 Rn. 118; Palandt/Bassenge, § 1004 Rn. 48; MünchKomm-BGB/Baldus, 2013, § 1004 Rn. 277. 105 Ebenso OLG Karlsruhe NJW 2012, 1520, 1521; Palandt/Grüneberg, § 281 Rn. 4; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 189; Bezzenberger, JZ 2005, 373, 375 f. Im Ergebnis ebenso, allerdings auf § 250 BGB gestützt, BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 1004 Rn. 74; Lettl, JuS 2005, 871, 874; a.A. Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 168 f.; MünchKomm-BGB/Baldus, 2013, § 1004 Rn. 277. 106 Eine Absicherung durch Dienstbarkeit erwägt Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 168.
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
erneut auf Beseitigung in Anspruch genommen werden kann. Grundsätzlich gehen relative Duldungspflichten im Falle der Sonderrechtsnachfolge jedoch nicht auf den neuen Eigentümer über.107 Allerdings wird man bei erkennbaren Störungen häufig von einer konkludenten Übernahme der Duldungspflicht durch den Grundstückserwerber ausgehen können.108 Fehlt es an einer solchen Übernahme, und macht der Erwerber gegenüber dem Störer tatsächlich einen Beseitigungsanspruch geltend, so kann dieser zumindest vom Voreigentümer seine Schadensersatzleistung nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB kondizieren, weil der Rechtsgrund der Zahlung durch das erneute Beseitigungsverlangen weggefallen ist. Dadurch wird eine doppelte Belastung des Störers vermieden.
107 Vgl. RGZ 66, 126, 128; BGHZ 60, 119, 123; BGHZ 66, 37, 39; BGH NJW-RR 2008, 827; Staudinger/Gursky, 2012, § 1004 Rn. 198; BeckOK-BGB/Fritzsche, 01.11.2013, § 1004 Rn. 105; MünchKomm-BGB/Baldus, 2013, § 1004 Rn. 204. 108 Vgl. Schapp, NJW 1976, 1092, 1093; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 131994, § 86 IV 2 b (S. 694); a.A. BGHZ 66, 37, 39, BGH NJW-RR 2008, 827.
§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung
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§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung Bereits mehrfach wurde in dieser Untersuchung darauf hingewiesen, dass eine Betrachtung des Grundsatzes der Naturalerfüllung nur möglich ist, wenn neben dem materiellen Recht auch das Vollstreckungsrecht und das Insolvenzrecht einbezogen werden. Wenn materiell-rechtliche Ansprüche auf Naturalerfüllung sich im Vollstreckungsverfahren in Geldforderungen umwandeln, weil eine Naturalvollstreckung nicht oder nur unter Einschränkungen vorgesehen ist, hat dies Auswirkungen auf die Sinnhaftigkeit der Gewährung von Naturalerfüllungsansprüchen überhaupt. Denn das wirtschaftliche Ziel des Anspruches auf Naturalerfüllung besteht nicht darin, ein Urteil auf Naturalerfüllung auf einem Stück Papier zu erlangen, sondern darin, dass die Naturalleistung selbst erbracht wird – im Idealfall durch den Schuldner selbst.1 Das setzt die Existenz eines geeigneten Vollstreckungsrechts voraus, welches dem Grundsatz der Naturalerfüllung auch im Vollstreckungsstadium zur Geltung verhelfen kann; die Verurteilung zur Naturalleistung ist nicht gleichbedeutend mit Naturalvollstreckung. 2 Das Vollstreckungsrecht ist daher unverzichtbarer Bestandteil der Untersuchung von Ansprüchen auf Naturalleistungen;3 der Grundsatz der Naturalerfüllung muss bis ins Vollstreckungsrecht verfolgt werden.4 Insoweit ist zwischen den verschiedenen Anspruchsgegenständen zu unterscheiden, weil sich insoweit unabhängig von der untersuchten Rechtsordnung unterschiedliche Sachfragen stellen.5
1
S. oben § 1.II.1 (S. 20 ff.). Vgl. dazu rechtsvergleichend auch H. Lando/Rose, 24 IRLE 473, 477 ff. (2004). 3 Vgl. auch Rückert, FS Kilian, 2004, S. 705, 710, 712; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 171, 235 ff. unter Hinweis auf Bucher, AcP 186 (1986), 1, 5 und Holmes, 10 Harv. L. Rev. 457, 459 (1897). 4 A.A. offenbar M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 422 ff. mit dem Argument, der zur Naturalleistung verurteilte Schuldner würde meist freiwillig erfüllen – aber das geschieht doch nur, weil die Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung (sei es durch Zwangsgeldandrohung, sei es durch die Möglichkeit einer Ersatzvornahme) besteht! 5 Vgl. bereits die Differenzierung bei Thomasius, Dissertatio inauguralis iuridica: An promissor facti liberetur praestando id, quod interest?, 1721, § VII f. (zitiert bei Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 549 mit Fn. 91); zur geschichtlichen Entwicklung und zum Rechtszustand am Ende des 19. Jahrhunderts vgl. allgemein Josef Kohler, AcP 80 (1893), 141 ff. 2
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I. Ansprüche auf die Herausgabe beweglicher Sachen 1. Grundlagen Historisch gesehen ist die Möglichkeit der Naturalvollstreckung von Herausgabeansprüchen durch Wegnahme die älteste: Bereits nach klassischem römischem Recht konnte der Magistrat dem Schuldner die herauszugebende Sache bei den Obligationen auf dare und restituere schlicht wegnehmen.6 Sie ist auch europaweit in allen Rechtsordnungen vorgesehen.7 Ob die gleiche Vollstreckungsmöglichkeit allerdings auch für vertragliche Besitzverschaffungspflichten, insbesondere für die kaufrechtliche obligatio tradendi bestand, ist unklar und wird für das römische Recht überwiegend verneint;8 erst im 14. Jahrhundert hat sich insoweit eine vorherrschende Auffassung zugunsten der Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung hinsichtlich der Übergabeklage des Käufers gebildet.9 Auch rechtsvergleichend ist die Naturalvollstreckung von Herausgabeurteilen (und damit die grundsätzliche Möglichkeit von Klagen auf Herausgabe in Natur) inzwischen überwiegend anerkannt. So sah bereits der ursprüngliche Code Civil von 1804 für Sachleistungen aller Art in Art. 1184 Abs. 2 eine Herausgabepflicht in Natur vor, die gem. Art. 56 des Gesetzes vom 9.7.1991 über die Reform des Vollstreckungsrechts auch in Natur durch Wegnahme vollstreckbar ist.10 Auch im common law sind Urteile auf die Herausgabe konkreter Sachen – soweit sie nach den Grundsätzen zur specific performance überhaupt ergehen – in Natur durch gewaltsame Wegnahme der Sache vollstreckbar (writ of specific delivery bzw. writ of possession).11
2. Gegenstand der Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO Im deutschen Recht ermächtigt § 883 ZPO den Gerichtsvollzieher für Ansprüche auf die Herausgabe beweglicher Sachen unmittelbar, dem Schuldner die Sache wegzunehmen. Derartige Ansprüche werden also nach dem heutigen
6
S. oben § 2.II.2 (S. 75 ff.). S. etwa Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 465; F. Baur/R. Stürner/A. Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 59.21 f., 59.50, 59.66, 59.96, jeweils m.w.N. 8 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 539 unter Hinweis auf Ulpian, Dig. 19, 1 pr.: „Si res vendita non tradatur, in id quod interest agitur“sowie oben § 2.II.4 (S. 79 ff.). 9 Vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529, 542 mit Nachweisen; s. zur gespaltenen Lage im gemeinen Recht bis ins 19. Jahrhundert Sintenis, ZCP 11 (1838), 20 ff. 10 Vgl. dazu Fages, Droit des obligations, 42013, n° 287 und oben § 2.V.2.a) (S. 107 ff.). 11 S. oben § 2.VI.3 (S. 139 f.). 7
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deutschen Recht durch unmittelbaren Zwang natural durchgesetzt, sofern dies möglich ist, insbesondere die Sache sich noch beim Herausgabeschuldner befindet. Der Rechtsgrund des Herausgabeanspruches ist insoweit unerheblich: § 883 ZPO findet sowohl auf die Vindikation oder bereicherungsrechtliche Herausgabeansprüche als auch auf vertragliche Besitzverschaffungsansprüche (z.B. aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB) Anwendung.12 Allerdings besteht diese Vollstreckungsmöglichkeit nur für Sachen, die sich tatsächlich im Besitz des Vollstreckungsschuldners befinden. Findet der Gerichtsvollzieher die Sache nicht vor, so bleibt dem Vollstreckungsgläubiger nur die Möglichkeit, vom Vollstreckungsschuldner nach § 883 Abs. 2 ZPO die Abgabe einer Offenbarungsversicherung zu verlangen, ihn also zu zwingen, dem Gläubiger zu bestätigen, dass er die Sache nicht besitze und auch nicht wisse, wo sie sich befindet. Faktisch findet in den Fällen, in denen der Schuldner die Sache im Zeitpunkt des Vollstreckungsversuches noch nicht oder nicht mehr besitzt, daher keine Naturalvollstreckung statt. Insbesondere bietet § 883 ZPO dem Gläubiger keine Handhabe, den Schuldner zur Beschaffung oder zur Herstellung der geschuldeten Sache zu zwingen.13 Muss etwa ein zur Übergabe und Übereignung einer Sache verurteilter Verkäufer die Kaufsache erst beschaffen oder ein Werkunternehmer das zu übereignende Werk erst herstellen, so geht die Herausgabevollstreckung ins Leere.
3. Vollstreckung vorgelagerter Beschaffungsoder Herstellungspflichten Möglich bleibt allenfalls eine Vollstreckung der Herstellungs- oder Beschaffungspflicht als vertretbare Handlung über § 887 ZPO, d.h. durch Ersatzvornahme.14 Diese Vorschrift wird von einer verbreiteten Auffassung allerdings im Hinblick auf § 887 Abs. 3 ZPO in der Weise eng ausgelegt, dass eine Beschaffungspflicht, die lediglich der Herausgabepflicht vorgeschaltet ist und keine selbständige Bedeutung hat, nicht nach § 887 ZPO vollstreckt werden können soll.15 Danach soll der Vollstreckungsgläubiger in den Beschaffungs- oder Herstellungsfällen regelmäßig auf den Anspruch auf das Interesse beschränkt (vgl.
12
Vgl. etwa RGZ 58, 160, 161 sowie statt aller Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 883 Rn. 2. Vgl. zum Problem auch Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, 2007, S. 458 ff. 14 S. dazu unten § 7.II.3 (S. 437 ff.). 15 Vgl. RGZ 36, 369, 372; RGZ 58, 160 ff.; OLG Köln NJW 1958, 1355, 1356; OLG Frankfurt NJW 1983, 1685; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 102014, Rn. 1068; Petermann, RPfleger 1959, 309, 305; für Beschaffungspflichten auch MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 883 Rn. 20; a.A. wohl h.M., vgl. nur Erman, JZ 1960, 298, 302; Baumbach/Lauterbach/P. Hartmann, § 883 Rn. 4; Zöller/K. Stöber, § 883 Rn. 9 a.E.; Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 883 Rn. 7. 13
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§ 893 ZPO) sein, wenn nicht der Schuldner unter dem Eindruck der drohenden Schadensersatzpflicht doch die Naturalleistung erbringt.16 Diese Auffassung verkürzt jedoch den vollstreckungsrechtlichen Rechtsschutz des Gläubigers eines Verschaffungsanspruches in unnötiger Weise. Nur eine Vollstreckung der Beschaffungs- oder Herstellungspflicht nach §§ 887 f. ZPO verhindert, dass der Gläubiger nach einem fruchtlosen Vollstreckungsversuch erst gem. § 893 ZPO erneut Klage erheben muss, um einen Titel auf das Interesse zu erlangen, das bei vertretbaren Beschaffungs- oder Herstellungspflichten ohnehin in aller Regel den Kosten der Ersatzvornahme i.S.v. § 887 ZPO entspricht. Der Gläubiger wird dadurch in zwei Prozesse gezwungen, ohne dass daraus ein sachlicher Unterschied im Ergebnis folgt. Vorzugswürdig ist es daher, die Vollstreckung von Beschaffungs- oder Herstellungspflichten, die einer Herausgabepflicht vorgelagert sind, nach § 887 ZPO trotz des Wortlauts des § 887 Abs. 3 ZPO zuzulassen.17 Diese Vorschrift hat danach lediglich klarstellende Bedeutung, indem sie die Verpflichtung zur Herausgabe selbst (d.h. zur schlichten Übergabe einer Sache an den Gerichtsvollzieher) der Anwendung des § 887 ZPO entzieht und insoweit auf die Spezialvorschrift des § 883 ZPO verweist. Dieser Regelungsgehalt ist v.a. historisch zu erklären, weil die vollstreckungsrechtliche Einordnung der Herausgabepflichten als (wenn auch besondere) Handlungspflichten (obligationes faciendi) zum Zeitpunkt des Erlasses der CPO 1877 nach wie vor weit verbreitet war, so dass eine entsprechende Klarstellung durchaus erforderlich war. Einen über diese Klarstellung hinausgehenden Vollstreckungsschutz des Schuldners hinsichtlich der Verpflichtung zur Herstellung oder Beschaffung einer Sache intendiert die Vorschrift dagegen nicht.18 Allerdings muss für § 887 ZPO nach den allgemeinen Grundsätzen des Vollstreckungsrechts der Titel die Herstellungs- oder Beschaffungspflicht hinreichend bestimmt bezeichnen, damit eine Vollstreckung möglich ist.19 Noch größer ist die praktische Relevanz bei unvertretbaren Beschaffungsoder Herstellungspflichten, wenn also die geschuldete Sache am Markt nicht durch einen Dritten beschafft bzw. hergestellt werden kann. Hier liegt die einzige Möglichkeit zur Befriedigung des gläubigerischen Leistungsinteresses in Natur in der Vollstreckung nach § 888 ZPO durch Zwangsgeld bzw. Zwangshaft – in den engen Grenzen dieser Vorschrift;20 die Verweisung des Gläubigers 16 Vgl. auch MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633. 17 Ebenso Baumbach/Lauterbach/P. Hartmann, § 883 Rn. 4; Zöller/K. Stöber, § 883 Rn. 9 a.E.; Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 883 Rn. 9; ausf. Bartels/Sajnovits, JZ 2014, 322 ff., die insoweit nicht nur § 887 ZPO, sondern sogar § 888 ZPO anwenden wollen (S. 328 ff.). 18 Ähnlich Erman, JZ 1960, 298, 302. 19 Vgl. statt aller Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 883 Rn. 4 f.; Zöller/K. Stöber, § 887 Rn. 4; dass zur Erfüllung einer Pflicht verschiedene Mittel in Betracht kommen, steht einer Vollstreckung nach § 887 ZPO aber nicht entgegen (ebd. § 887 Rn. 4). 20 Vgl. sogleich § 7.II.2 (S. 434 ff.).
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auf die Interesseklage nach § 893 ZPO kann nur sein Geldinteresse befriedigen. Das Bedürfnis nach einer naturalen Vollstreckung ist daher besonders hoch, und es ist kein Grund ersichtlich, dem Gläubiger diese Möglichkeit abzuschneiden. Daher ist aus den gleichen Gründen wie bei § 887 ZPO auch die Vollstreckung unvertretbarer vorgelagerter Herstellungs- oder Beschaffungspflichten gem. § 888 ZPO zuzulassen, 21 ohne dass § 883 ZPO oder § 887 Abs. 3 ZPO dem entgegenstünde.
II. Handlungspflichten Der im Hinblick auf die Zulässigkeit der Naturalvollstreckung problematischste Fall ist zweifellos die Vollstreckung von Handlungspflichten. 22
1. Die maßgeblichen Interessen und Wertungen Bei der Handlungsvollstreckung sind die Interessen von Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner in besonderer Weise gegeneinander abzuwägen: Einerseits ist die Eingriffsintensität aufseiten des Schuldners beim Zwang zur Vornahme einer bestimmten Handlung besonders groß. Denn da die Vornahme der Handlung vom Willen des Schuldners abhängt, kann die Vollstreckung nur mittels einer Beugung dieses Willens durch die Androhung und ggf. Durchsetzung von Zwangsmitteln (Geld oder Haft) erfolgen. Diese Zwangsmittel haben im Falle ihrer Durchsetzung Strafcharakter und stellen einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte des Schuldners dar, zumal der Nachteil für den Schuldner weder durch den Versprechensinhalt (weil der Schuldner derartige Strafen nicht versprochen hat) noch durch einen unmittelbar korrespondierenden Vorteil für den Gläubiger (wenn und weil die Strafen nicht zu einer Vermögensmehrung des Gläubigers führen) gerechtfertigt werden kann. Betroffen ist nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern im Falle einer Haftandrohung auch die Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) des Schuldners. Diesem Interesse des Schuldners steht das Naturalvollstreckungsinteresse des Gläubigers gegenüber. Dieses ist zwar bei vertretbaren Handlungen gering, weil hier eine Vollstreckung durch Ersatzvornahme möglich ist und der Gläubiger dadurch letztlich nichts verliert. Bei unvertretbaren Handlungspflichten kann zwar das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers umso geringer ausfallen, je weniger die Qualität bei zwangsweiser Durchsetzung der Handlungspflicht des Schuldners gesichert werden kann. Bei Werkverträgen mit sicheren 21 22
So auch Bartels/Sajnovits, JZ 2014, 322, 328 ff. S. bereits oben § 5.V.1 (S. 355 ff.).
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Gewährleistungsrechten des Gläubigers wird das jedoch nicht allzu relevant sein, bei Dienstverträgen sowie bei Werkverträgen ohne werthaltige Gewährleistungsrechte (z.B. beim Auftritt im Rahmen einer Opernaufführung) dagegen schon. Hier ist die Naturalvollstreckung objektiv typischerweise sinnlos, weil zu erwarten ist, dass die zwangsweise erwirkte Leistung des Schuldners das Naturalleistungsinteresse des Gläubigers nicht befriedigt. 23 Damit bleibt ihm letztlich nur der Schadensersatz (bzw. der Rücktritt). Bei Handlungen, die nicht wirtschaftlichen, sondern ideellen Zwecken dienen (z.B. beim Künstlerportrait der eigenen Kinder), ist das Interesse des Gläubigers an der naturalen Handlungsvollstreckung jedoch erheblich höher zu bewerten, weil er beim Verweis auf den Schadensersatz bzw. auf die Ersatzvornahme in der Tat leer ausgeht bzw. jedenfalls nicht voll befriedigt wird. Diese unterschiedliche Interessenlage bei unvertretbaren und vertretbaren Handlungen ist der Grund dafür, dass diese auch vollstreckungsrechtlich verschieden behandelt werden.
2. Unvertretbare Handlungen (§ 888 ZPO) Ansprüche auf unvertretbare Handlungen können nach § 888 Abs. 1 ZPO durch Zwangsgeld und Zwangshaft vollstreckt werden. Anders als in anderen Rechtsordnungen fließt das Zwangsgeld nach deutschem Recht allerdings nicht dem Gläubiger zu, sondern der Staatskasse. 24 Damit kann das Zwangsgeld nicht die Form einer alternativen Befriedigung des Gläubigerinteresses annehmen, sondern dient allein der Druckausübung gegen den Schuldner. 25
a) Vertretbarkeit und Unvertretbarkeit der Handlung Zwangsgeld und vor allem Zwangshaft greifen massiv in die Freiheitsrechte des Schuldners ein. 26 Dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend sind derartige Eingriffe auf dasjenige zu beschränken, was zur Befriedigung des Gläubigerinteresses erforderlich und verhältnismäßig ist. 27 Ob eine Handlung vertretbar oder unvertretbar ist, ob also die Vollstreckung durch Ersatzvornahme oder durch Zwangsgeld und Zwangshaft erfolgt, muss sich folglich am Gläubigerinteresse messen lassen: Vertretbar ist die Handlung, wenn die Leis23
Vgl. bereits L. J. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen nach deren neuesten Ausgabe, 81818, § 743 Anm. 2 sowie Puig, RDC 2005, 85, 87. 24 Vgl. nur Zöller/K. Stöber, § 888 Rn. 13 sowie rechtsvergleichend näher A. Bruns, ZZP 118 (2005), 3 ff. 25 Vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 18. 26 S. soeben § 7.II.1 (S. 433 f.). 27 Vgl. zu dessen Geltung im Vollstreckungsrecht allgemein Wieser, ZZP 98 (1985), 50 ff., speziell zur Vollstreckung nach § 888 ZPO ebd. S. 76.
§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung
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tung durch einen Dritten das Gläubigerinteresse gleichermaßen befriedigt wie die Leistung durch den Schuldner selbst; unvertretbar ist sie, wenn der Gläubiger ein spezifisches Interesse an der Leistungserbringung gerade durch den Schuldner hat. Die rein objektive Möglichkeit, dass ein Anderer die geschuldete Handlung ebenfalls vornehmen kann, genügt hierfür nicht;28 entscheidend ist vielmehr, dass aus Sicht des Gläubigers die Handlung eines Anderen gleichwertig ist, sein Naturalerfüllungsinteresse (das durchaus auch immaterielle Komponenten beinhalten kann) also durch die Handlung eines Anderen in gleicher Weise befriedigt wird. 29 Vertretbare Handlungen, die nach § 888 ZPO zu vollstrecken sind, sind danach etwa der Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung,30 die Erteilung eines Arbeitszeugnisses aus § 630 BGB,31 ferner auch eine vertraglich übernommene Betriebspflicht eines Mieters von Gewerberäumen in einem Einkaufszentrum32 oder die Mitwirkung an gemeinsamen Rechtshandlungen.33
b) Ausschluss der Naturalvollstreckung nach § 888 Abs. 3 ZPO Ausgeschlossen ist die Naturalvollstreckung gem. § 888 Abs. 3 ZPO bei der Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag, sowie gem. § 120 Abs. 3 FamFG für die Verurteilung zur Eingehung der Ehe (praktisch wegen § 1297 Abs. 1 BGB nahezu bedeutungslos) und für die Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens aus § 1353 Abs. 1 BGB. Die Naturalvollstreckung ist nach § 888 Abs. 3 ZPO schließlich auch für die Verurteilung zur Abgabe von Willenserklärungen ausgeschlossen; insoweit sieht § 894 ZPO eine besondere Form der Naturalvollstreckung durch gerichtliche Ersatzvornahme vor. Bedeutsam ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem der Ausschluss nach § 888 Abs. 3 ZPO für die Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag. Der Zweck dieser Ausnahmeregelung besteht darin, die oben erwähnten Defizite der Naturalvollstreckung unvertretbarer Handlungen zu vermeiden: Einerseits sollen die Persönlichkeitsrechte des Schuldners geschützt werden, indem er keinem Zwang zu einem bestimmten positiven Tun unterworfen werden soll, andererseits soll eine wegen der fehlenden Möglichkeit einer Qualitätssicherung problematische Vollstreckung von Dienstleistungspflichten vermieden werden. Allerdings decken sich Normzweck und Wortlaut des § 888 28
Der Begriff der Vertretbarkeit in § 887 ZPO ist also ein anderer als der in § 91 BGB. die zutreffende h.M., vgl. BGH NJW 1995, 463, 464; Zöller/K. Stöber, § 887 Rn. 2; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 71 Rn. 4, 10; MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 887 Rn. 9; Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung, 1998, S. 19 f.; s. dazu unten § 7.II.2.a) (S. 434 f.). 30 BGH FamRZ 2008, 1751; BGHZ 49, 11, 15. 31 BAG NJW 2005, 460, 461. 32 OLG Hamburg NJW-RR 2014, 133; WuM 2003, 641. 33 Vgl. MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 888 Rn. 3. 29 So
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Abs. 3 ZPO nicht vollständig: So ist etwa die (höchstpersönliche) Verpflichtung zur Erfüllung eines Werkvertrags über ein Gemälde nach h.M. vollstreckbar,34 obwohl die Eingriffsintensität hier kaum geringer als bei der Verpflichtung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag sein dürfte. Einer analogen Anwendung von § 888 Abs. 3 ZPO auf alle höchstpersönlichen Handlungspflichten steht allerdings entgegen, dass die Handlungsvollstreckung nach § 888 ZPO dadurch jeglichen Anwendungsbereichs beraubt würde, weil dadurch sämtliche unvertretbaren Handlungen unvollstreckbar würden. Teleologisch kann für die Differenzierung zwischen Dienst- und Werkverträgen immerhin angeführt werden, dass bei Werkverträgen die Qualität der zwangsweise herbeigeführten Leistung anhand der werkvertragsrechtlichen Gewährleistungsregeln zu kontrollieren ist, so dass das oben beschriebene Qualitätsproblem sich nicht in gleicher Weise stellt. Der Gläubiger kann also einigermaßen sicher gehen, trotz des Einsatzes von Zwangsmitteln eine qualitativ pflichtgemäße Leistung zu erlangen, was sein Naturalvollstreckungsinteresse stärkt und letztlich gegenüber dem Freiheitsschutz des Schuldners überwiegen lässt. Allgemein wird in entsprechender Anwendung von § 888 Abs. 3 ZPO die Vollstreckung von unvertretbaren Handlungspflichten – zu Recht – abgelehnt, wenn diese einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Schuldners bedeuten würde.35 So kann etwa die Verpflichtung zur Teilnahme an einer religiösen Handlung schon wegen der negativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) auch dann nicht vollstreckt werden, wenn sie vertraglich versprochen wurde.36 Damit ist letztlich auch für Werkverträge sichergestellt, dass keine übermäßigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Eingriffe in Grundrechte des Werkunternehmers erfolgen; insbesondere dürfte in dem oben genannten Beispiel des Vertrags über die Herstellung eines Familienportraits durch einen namhaften Künstler die Kunstfreiheit des Schuldners regelmäßig einer zwangsweisen Durchsetzung entgegenstehen.
c) Ausschluss der Naturalvollstreckung bei Unmöglichkeit Der Einwand der Unmöglichkeit muss auch im Vollstreckungsverfahren berücksichtigt werden, denn die Anwendung von Zwangsmitteln gegen den Schuldner ist sinnlos, wenn er die geschuldete Handlung schlechthin nicht erbringen kann. Der Wortlaut des § 888 Abs. 1 BGB bietet dafür einen Anhalt, 34 RG JW 1894, 428; OLG Frankfurt OLGRspr. 1929, 251; MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 888 Rn. 20; Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 888 Rn. 39 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 71 Rn. 21. 35 Vgl. etwa BGH NJW 2008, 2919, 2920 zur Auskunftsvollstreckung beim Anspruch des Scheinvaters auf Bekanntgabe des wahren Vaters. 36 Vgl. OLG Köln MDR 1973, 768; s. zum Ganzen MünchKomm-ZPO/Gruber, 2012, § 888 Rn. 22; Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 888 Rn. 38.
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weil die Vollstreckung einer Handlung nach dieser Vorschrift nur zulässig ist, wenn „sie allein vom Willen des Schuldners abhängt.“ Das ist bei unmöglichen Handlungen nicht der Fall.37 Dieser Einwand ist im Vollstreckungsverfahren nach §§ 887 f. ZPO zu berücksichtigen, ggf. auch im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO).38 Bei einem groben Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse (i.S.v. § 275 Abs. 2 BGB) hängt die Leistung gleichwohl allein vom Willen des Schuldners ab.39 Die Vollstreckung ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen. Der Schuldner hat lediglich die Möglichkeit, gestützt auf die nachträglich erhobene Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu erheben – vorausgesetzt, diese ist nicht nach § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert.
3. Vertretbare Handlungen (§ 887 ZPO) Vertretbare Handlungen werden gem. § 887 ZPO im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt, d.h. der Gläubiger kann die Handlung statt durch den Schuldner durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners vornehmen lassen. Dabei handelt es sich gegenüber der Vollstreckung mittels Zwangsgeld und Zwangshaft gem. § 888 ZPO um ein milderes Mittel, weil es den Schuldner nicht tatsächlich zu einer Handlung zwingt, sondern ihm nur eine Geldleistung abverlangt.
a) Verhältnis zum Schadensersatz statt der Leistung In der Sache bewirkt die Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners nichts anderes als eine Verurteilung zur Leistung des Interesses:40 Das Urteil führt (über die Feststellung der Naturalleistungspflicht hinaus) nicht dazu, dass der Schuldner die Leistung unbedingt tatsächlich selbst erbringt, sondern gibt dem Gläubiger die Möglichkeit, unter vollstreckungsrechtlicher Absicherung ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Wirtschaftlich betrachtet geht es nur um einen zeitlich hinter das Naturalleistungsurteil hinausgeschobenen Übergang vom Naturalerfüllungsanspruch auf einen Geldanspruch in Höhe der Kos-
37 Vgl. BGHZ 161, 67; BGH NJW 2014, 2571, 2573 (Rn. 26); Stein/Jonas/Brehm, 2004, § 888 Rn. 9 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 71 Rn. 27. 38 S. dazu Zöller/K. Stöber, § 888 Rn. 11. 39 Sofern dieser über die erforderlichen Geldmittel verfügen würde; andernfalls ist die Vollstreckung nach § 888 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen, vgl. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 71 Rn. 28. 40 So auch MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 466 f.
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ten eines Deckungsgeschäfts.41 Die praktische Besonderheit besteht allenfalls darin, dass im Rahmen der Vollstreckung nach § 887 ZPO der vom Gläubiger erlangte Geldbetrag ausschließlich zur Vornahme eines Deckungsgeschäfts verwendet werden darf, während er als Schadensersatzbetrag nach h.M. seiner vollen Dispositionsfreiheit unterliegt. Zudem liegt ein praktischer Vorteil des Vorgehens nach § 887 ZPO in der Möglichkeit, nach Abs. 2 der Vorschrift einen Kostenvorschuss zu erlangen.42 Das führt zu der Frage, wie sich § 887 ZPO zu den materiell-rechtlichen Übergangstatbeständen des BGB verhält. Nach zutreffender h.M. sind diese auch nach Ergehen eines Naturalleistungsurteils weiterhin unverändert anwendbar, so dass der Gläubiger dem Schuldner etwa eine Frist nach § 281 BGB setzen kann. Hinzu kommt dabei, dass das Stellen eines Klagabweisungsantrags häufig eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung i.S.v. § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB darstellt,43 so dass der Gläubiger im Vollstreckungsstadium ohne Fristsetzung auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen kann, wenn der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten hat. Nimmt er das Deckungsgeschäft dann vor, ohne sich vom Gericht gem. § 887 ZPO dazu ermächtigen zu lassen, so kann er auch die Kosten hierfür nicht über den einfachen Weg des § 788 ZPO beitreiben, sondern muss eine neue Klage auf das Interesse erheben (vgl. § 893 ZPO).44 Im praktischen Ergebnis begründet § 887 ZPO daher keine besondere materielle Rechtsposition des Gläubigers, sondern nur eine prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit für den nach materiellem Recht ohnehin bestehenden Anspruch auf Geldersatz.
b) Die ergänzende Anwendung des § 888 ZPO Die wesentliche Aussage des § 887 ZPO ist nach dem vorstehend Gesagten eine negative: Eine Vollstreckung durch Zwangsmittel nach § 888 ZPO soll nicht stattfinden, wenn es sich um eine vertretbare Handlung handelt.45 Insoweit ist der Eingriff des Vollstreckungsrechts in die Freiheitsrechte des Schuldners nicht erforderlich, um den Gläubiger zu befriedigen. Allerdings führt das zu den gleichen Defiziten wie eine allgemeine Geltung des Grundsatzes der Geldkondemnation: Ist der Schuldner mittellos, so geht der vollstreckungsrechtliche An41 S. oben § 1.III.2.b)bb) (S. 40 f.); s. auch Kleinschmidt, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, S. 436, 438: Der Schuldner werde „mit einer Geldzahlung entlassen“. 42 Vgl. dazu Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 467 ff. 43 Vgl. U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 52 I 2 e (S. 596 ff.); MünchKomm-BGB/ W. Ernst, 2012, § 323 Rn. 100. 44 BGH NJW-RR 2007, 213, 214; Musielak/Lackmann, § 887 Rn. 23. 45 So überzeugend Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 469 f.
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spruch auf Kostenersatz ins Leere – und das auch dann, wenn der Schuldner die geschuldete Handlung ohne Rücksicht auf seine finanziellen Mittel selbst vornehmen könnte.46 Man denke etwa an einen mittellosen Nachbarn, der nach § 1004 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, abgerutschten Kies vom Grundstück des Eigentümers zu entfernen. Solange hier eine Vollstreckung ausschließlich nach § 887 ZPO zugelassen wird, ist der Schuldner gewissermaßen vogelfrei, weil er selbst bei hartnäckiger Leistungsverweigerung nur Geldzahlungspflichten fürchten müsste, die ihm aber wegen seiner Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz nichts anhaben können. Der Beseitigungsanspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB ist dadurch vollständig entwertet, obwohl der Schuldner die geschuldete Leistung eigentlich selbst vornehmen könnte. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 888 ZPO auf vertretbare Leistungspflichten zu schließen, wenn die Vollstreckung durch Ersatzvornahme mangels Zahlungsfähigkeit des Schuldners nicht zum Ziel führen kann, zugleich aber der Schuldner persönlich zur Vornahme der geschuldeten Leistung imstande ist.47 Zwar hilft insoweit auch ein Zwangsgeld nicht weiter, weil auch dieses nicht beizutreiben wäre. Aber an die Stelle des Zwangsgeldes kann nach § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO Ersatzzwangshaft treten. Und diese ist für einen mittellosen Schuldner genauso schmerzhaft wie für einen zahlungsfähigen Schuldner. Damit (und nur damit) besteht eine wirkungsvolle Sanktion auch gegen zahlungsunfähige oder insolvente Handlungsschuldner.48
III. Unterlassungspflichten (§ 890 ZPO) Die Vollstreckung von Unterlassungspflichten stößt an natürliche Grenzen: Will man den Schuldner nicht präventiv in Haft nehmen bzw. ihm alle denkbaren Mittel für die zu unterlassende Handlung präventiv abnehmen, so kommen nur repressive Sanktionen in Betracht, weil bereits mit der ersten Zuwiderhandlung die Naturalerfüllung der Unterlassungspflicht (insoweit) unmöglich geworden ist. In Natur kann die Unterlassung daher nicht erzwungen werden.49 Der Schuldner kann also nur durch die Androhung repressiver Sanktionen, d.h. durch mittelbare Zwangsmittel, die nach der Zuwiderhandlung eingreifen,50 überhaupt präventiv zur Unterlassung angehalten werden. Häufig wird hierfür 46
S. dazu oben § 1.IV.1.a)cc) (S. 47 f.). In diesem Sinne auch Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 143 f. mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 48 So auch Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 144, allerdings ausschließlich mit Blick auf das Zwangsgeld, nicht auf die Zwangshaft. 49 Vgl. HKK-BGB/Dorn, 2007, § 241 Rn. 87; Köhler, FS Georgiades, 2006, S. 223, 230. 50 Vgl. Köhler, FS Georgiades, 2006, S. 223, 231; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 18 ff. 47
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bereits die drohende Schadensersatzpflicht oder eine vereinbarte Vertragsstrafe ausreichen. Sicher ist dies indessen nicht, da – z.B. bei Wettbewerbsverboten – der Gewinn, den der Unterlassungsschuldner aus der Zuwiderhandlung zieht, den zu erwartenden Schaden des Gläubigers überschreiten kann. Daher sind weitere Sanktionen auf der Vollstreckungsebene erforderlich – im deutschen Recht Ordnungsgeld und Ordnungshaft gem. § 890 ZPO. Diese haben aber – anders als Zwangsgeld und Zwangshaft – keine präventive, sondern nur noch repressive Funktion.51 Aus diesem Grund sind sie dem Schuldner vorher anzudrohen; die Androhung erfüllt dann die Präventivfunktion.52 Zugleich kann sich der Schuldner durch die zukünftige Unterlassung der Vollziehung eines bereits verwirkten Ordnungsgeldes nicht mehr entziehen, weil die Androhung dann keine Abschreckungswirkung mehr entfalten würde: Verhindert werden soll ja gerade die erste Zuwiderhandlung, und die kann durch die spätere Unterlassung nicht mehr ungeschehen gemacht werden.53 Die repressive Natur zeigt sich auch darin, dass das Ordnungsgeld – wie das Zwangsgeld nach § 888 ZPO – zugunsten der Staatskasse beigetrieben wird, nicht zugunsten des Gläubigers.54 Es handelt sich also faktisch um eine staatliche Strafe für die Nichtbeachtung eines Unterlassungstitels.55 Aus diesem Grund hängt ihre Vollstreckung auch von einem Verschulden des Schuldners ab.56 Mit dem Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung haben diese Vollstreckungsmittel aber nichts zu tun: Ihre Verwirkung und Vollstreckung lassen einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers aus § 283 BGB unberührt. Es handelt sich also um ein reines „echtes“ Vollstreckungsmittel zur Durchsetzung der Naturalerfüllung.57
51 Vgl.
auch BVerfGE 20, 323, 332; BVerfGE 58, 159; W. Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 190; R. Bruns/E. Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 31987, S. 297 f. 52 Vgl. Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 19. 53 So auch Zieres, NJW 1972, 751 ff.; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, S. 133. 54 Vgl. nur OLG Düsseldorf GRUR 1987, 575, 576; Zöller/K. Stöber, § 890 Rn. 23. 55 Dagegen spricht nicht, dass der EuGH das Ordnungsgeld im Rahmen der EuGVVO als „Zivil- und Handelssache“ ansieht (vgl. EuGH NJW 2011, 3568 – Realchemie Nederland). Hier handelt es sich zum einen um autonom auszulegendes Unionsrecht, und zum anderen ist die Einordnung des EuGH im Hinblick auf die Anwendbarkeit der EuGVVO zutreffend, weil es sich um eine Annexsache zu einem Zivilrechtsstreit handelt. 56 Vgl. BVerfGE 20, 323, 332; Zöller/K. Stöber, § 890 Rn. 5. 57 S. bereits oben § 1.III.2.b)cc) (S. 41 f.).
21982,
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IV. Einstweiliger Rechtsschutz bei Naturalerfüllungsansprüchen Einer der wesentlichen praktischen Gründe, die gegen eine gerichtliche Durchsetzung von Naturalerfüllungsansprüchen sprechen, ist die lange Dauer von Gerichtsverfahren.58 Bis es tatsächlich zu einem vollstreckbaren (und ggf. rechtskräftigen) Urteil zugunsten des Gläubigers kommt, hat dieser sehr häufig bereits sein Interesse an der Naturalleistung gerade durch den Schuldner verloren: Entweder ist seine Verwendungsplanung verzugsbedingt schon gescheitert, oder er hat sich im Wege eines Deckungsgeschäfts bereits anderweitig eingedeckt. Die Durchsetzung oder zumindest Sicherung des Erfüllungsanspruches im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist daher von besonderer praktischer Bedeutung. Die Durchsetzung von Ansprüchen im einstweiligen Rechtsschutz geschieht im Wege der Leistungsverfügung gem. §§ 940, 935, 916 ff. ZPO. Diese ist nach der gesetzlichen Konzeption des einstweiligen Rechtsschutzes in der ZPO nur ausnahmsweise zulässig, weil sie zu einer (zumindest partiellen) Vorwegnahme der Hauptsache durch endgültige Befriedigung des Gläubigers führt, die grundsätzlich dem rechtskräftigen bzw. zumindest vorläufig vollstreckbaren Endurteil vorbehalten ist, das erst nach vollständiger Sachprüfung ergeht.59
1. Geldforderungen Bei Ansprüchen auf Geldzahlung kommt dem Zeitmoment in der Regel keine allzu große Bedeutung zu, weil der Gläubiger seinen Geldbedarf während der Wartezeit auf ein gerichtliches Urteil und dessen Vollstreckung aus vorhandenem anderen Kapital oder notfalls durch Kreditaufnahme (ggf. unter Einsatz der eingeklagten Forderung als Sicherheit) decken kann. Einstweiliger Rechtsschutz zur Durchsetzung von Geldforderungen im Wege der Leistungsverfügung ist daher nur dann geboten, wenn dem Gläubiger ohne die sofortige Zahlung eine akute Notlage droht, wie dies etwa bei Unterhaltsansprüchen (vgl. hierzu die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach §§ 246–248 FamFG) oder Ansprüchen auf Arbeitsentgelt60 der Fall sein kann, aber auch bei Ansprüchen auf Zahlung von Vorschüssen auf existenzgefährdende Kur- oder
58
S. bereits oben § 1.IV.3.a) (S. 59 f.). dazu allgemein Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 76 Rn. 15 ff. 60 Insoweit kann eine Leistungsverfügung jedenfalls in Höhe des Notbedarfs ergehen, vgl. LAG Bremen NZA 1998, 902. 59 S.
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Heilungskosten61. Im Übrigen ist bei Geldansprüchen jedoch aus dem eingangs genannten Grund Zurückhaltung geboten.62
2. Herausgabeansprüche Bei Herausgabeansprüchen ist der Leistungsgegenstand dagegen nicht in gleicher Weise austauschbar wie bei Geldforderungen, so dass dem einstweiligen Rechtsschutz besondere Bedeutung zukommt. Zu denken ist dabei zunächst an den possessorischen Besitzschutz nach §§ 861, 862 BGB, zu dessen Durchsetzung Leistungsverfügungen ohne weiteres zulässig sind.63 Im Übrigen kommt eine Leistungsverfügung im wesentlichen dann in Betracht, wenn die herauszugebende Sache vom Gläubiger nicht verbraucht, sondern lediglich gebraucht werden soll.64 Denn dann tritt infolge der Vollstreckung der einstweiligen Verfügung kein endgültiger Nachteil ein, sondern nur ein solcher, dessen Folgen wieder rückgängig gemacht werden können. Eine Leistungsverfügung ist hier etwa denkbar, wenn der Gläubiger die herauszugebende Sache dringend benötigt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (z.B. Arbeitsmittel).65 Bei der Herausgabe einer Sache zum Verbrauch kommt es dagegen infolge der einstweiligen Leistungsverfügung in der Regel zu einer irreversiblen Vorwegnahme der Hauptsache, die bei Speziessachen nicht einmal mehr durch die Rückerstattung einer Ersatzsache rückgängig gemacht werden kann. Ein entsprechender Verfügungsgrund kann daher nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden, in denen der Gläubiger auf den Verbrauch des Anspruchsgegenstandes existenziell angewiesen ist, sich keine entsprechende Ersatzsache am Markt finden lässt, und dies für den Schuldner nicht in gleicher Weise gilt. In der Praxis dürften solche Fälle kaum vorkommen.
61
OLG Köln MDR 1959, 398. Vgl. ausführlich Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 76 Rn. 18 f. 63 Vgl. etwa OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 1717; Lehmann-Richter, NJW 2003, 1717 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 76 Rn. 20. 64 Lediglich für die Räumung von Wohnungen enthält § 940a Abs. 1 ZPO einen – durch den sozialen Mieterschutz motivierten (MünchKomm-ZPO/Drescher, § 940a Rn. 1) – Ausschluss der Leistungsverfügung in bestimmten Fällen. 65 Vgl. etwa Haertlein, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf (Hrsg.), Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 22013, § 935 ZPO Rn. 41. 62
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3. Ansprüche auf vertretbare Handlungen Bei Ansprüchen auf vertretbare Handlungen dürfte kaum je ein Verfügungsgrund bestehen: Diese können ja gerade von Dritten ohne Nachteil für den Gläubiger vorgenommen werden,66 so dass es in aller Regel möglich sein wird, schon vor Erlangung eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Auch die Zwangsvollstreckung einer etwaigen Leistungsverfügung nach § 887 ZPO würde ja nur zu einem Zahlungsanspruch auf Kostenersatz (und Vorschuss) führen. Dies kann ohne weiteres auch rein materiell-rechtlich nach § 281 BGB erreicht werden, so dass für eine vollstreckbare einstweilige Verfügung auf Vornahme der Handlung kein Bedürfnis besteht. Denkbar ist ein Verfügungsgrund allenfalls dann, wenn ein Deckungsgeschäft bei einem Dritten aus zeitlichen Gründen nicht mehr rechtzeitig möglich ist, etwa bei der Belieferung mit Wasser oder Elektrizität67 oder bei anderen Fixgeschäften.68 Dann wird die geschuldete Handlung gewissermaßen aus Zeitgründen zu einer unvertretbaren.69
4. Ansprüche auf unvertretbare Handlungen Ansprüche auf unvertretbare Handlungen sind im Hinblick auf eine Leistungsverfügung insofern problematisch, als deren Vollstreckung zur unmittelbaren Befriedigung des Gläubigers führt und zugleich erheblicher Zwang auf den Schuldner ausgeübt wird. Das macht Leistungsverfügungen zwar nicht unzulässig, stellt aber hohe Anforderungen an die Annahme eines Verfügungsgrundes. Denkbar ist eine solche Leistungsverfügung – in diesem Fall zum Schutz des eigenen Leistungserbringungsinteresses des Schuldners70 – etwa für den arbeitsrechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung aus § 102 Abs. 5 BetrVG71 bzw. für den allgemeinen arbeitsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch.72 Ausgeschlossen sind Leistungsverfügungen dagegen grundsätzlich bei Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen, die lediglich spätere Zahlungsansprüche vorbereiten und daher als solche regelmäßig nicht hinreichend dringlich sind.73 66
S. oben § 7.II.2.a) (S. 434 f.). Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 76 Rn. 24. 68 Näher und mit Beispielen MünchKomm-ZPO/Drescher, § 935 Rn. 38 f. 69 S. zum Ganzen ausf. Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung, 1998, S. 35 ff. 70 S. dazu oben § 1.IV.1.b)cc) (S. 52 f.). 71 Vgl. Musielak/M. Huber, § 940 Rn. 17. 72 Vgl. dazu BAG AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14 = NJW 1985, 2968; LAG Niedersachsen NZA 1995, 1176. 73 Vgl. Musielak/M. Huber, § 940 Rn. 18; großzügiger Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 76 Rn. 25. 67 Vgl.
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5. Ansprüche auf Unterlassung Ein typischer Anwendungsfall der Leistungsverfügung – namentlich im Bereich des Wettbewerbs-74 und Immaterialgüterrechts – sind Unterlassungsansprüche. Hier spricht für die Zulässigkeit von Leistungsverfügungen, dass derartige Ansprüche durch die Befolgung bzw. Vollstreckung einer einstweiligen Verfügung regelmäßig nicht voll erfüllt werden, sondern nur zeitanteilig. Damit kann allerdings schon ein erheblicher Schaden des Schuldners verbunden sein (etwa bei einem vorübergehenden Produktionsstopp aufgrund einer vermeintlichen Patentverletzung); dies ist im Rahmen der Interessenabwägung beim Verfügungsgrund ebenso zu berücksichtigen wie der umgekehrte Umstand, dass ein Verstoß gegen die Unterlassungspflicht dem Gläubiger irreversible Nachteile bringen kann.
6. Lieferansprüche Bei Ansprüchen auf die Lieferung von Sachen – insbesondere beim Anspruch des Käufers auf Übereignung und Übergabe der Kaufsache – kommt eine Leistungsverfügung in aller Regel nicht in Betracht, weil sie ohne hinreichende Sachprüfung zu einer vollständigen Befriedigung des Käufers führen würde. Beim Kauf vertretbarer Sachen besteht hierfür auch keinerlei Bedürfnis, weil der Käufer – wie bei Ansprüchen auf vertretbare Handlungen75 – ohne weiteres gem. § 281 BGB nach materiellem Recht ein Deckungsgeschäft vornehmen und dessen Kosten beim Schuldner liquidieren kann. Dessen Naturalerfüllungsinteresse wird durch den vorgeschalteten Vorrang der Naturalerfüllung in Gestalt des Fristsetzungserfordernisses hinreichend geschützt. Etwas anderes kann – wie bei den entsprechenden Ansprüchen auf vertretbare Handlungen – bei besonders zeitkritischen Kaufverträgen gelten, wo die geschuldete Sache allein dadurch wirtschaftlich eine unvertretbare wird, dass eine Ersatzbeschaffung bei Dritten zu lange dauern würde, um das Leistungsinteresse des Käufers noch zu befriedigen.76 Bei Ansprüchen auf die Lieferung unvertretbarer Sachen genügt dieser Schutz indessen nicht, weil hier die Gefahr drohen kann, dass die verkaufte Sache unwiederbringlich verloren geht, etwa weil der Verkäufer sie während des Lieferungsprozesses anderweitig veräußert. Zwar schuldet er dem Käufer auch in diesem Fall Schadensersatz statt der Leistung, weil er sich die Leistung schuldhaft unmöglich gemacht hat (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB); bei unvertretba74 Hier erleichtert § 12 Abs. 2 UWG den Erlass von Leistungsverfügungen gegenüber den Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO. 75 S. soeben § 7.IV.3 (S. 443). 76 Vgl. Bairlein, BB 2014, 138, 138 f.
§ 7. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung
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ren Sachen genügt der Schadensersatz aber nach dem oben Ausgeführten77 möglicherweise nicht für die vollständige Befriedigung des Leistungsinteresses des Käufers. Denkbar ist hier – abgesehen von einer nur in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommenden Leistungsverfügung – insbesondere eine einstweilige Verfügung zur Sicherung des Lieferanspruches. Diese kann ein gerichtliches Veräußerungsverbot i.S.v. §§ 135, 136 BGB begründen und damit möglichst effektiv verhindern, dass der Schuldner den Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers durch anderweitige Verfügung faktisch vereitelt. Zwar bietet auch ein Veräußerungsverbot keinen absoluten Schutz, weil ein gutgläubiger Erwerb eines Dritten nach §§ 135 II, 136, 932 ff. BGB möglich bleibt. Zum einen wird aber eine entsprechende einstweilige Verfügung auch hier einen deutlichen Abschreckungseffekt haben, und zum anderen kann diese ggf. auch mit der Anordnung einer vorübergehenden Verwahrung oder Hinterlegung der geschuldeten Sache verbunden werden, wodurch eine verbotswidrige Veräußerung auch praktisch verhindert werden kann.78
7. Fazit Der einstweilige Rechtsschutz ist ein wichtiges Instrument zur faktischen Sicherung von Naturalleistungsansprüchen, das ihrer Entwertung durch lange Verfahrensdauern für Hauptsacheklagen vorbeugen kann. Bei der Prüfung des Verfügungsgrundes sind die spezifischen Interessen des Gläubigers am Erhalt der Naturalleistung79 besonders zu berücksichtigen. Das führt dazu, dass eine Leistungsverfügung auf eine Naturalleistung immer dann zulässig ist, wenn ein nachträglicher Geldersatz (oder eine spätere Naturalleistung) die Interessen des Gläubigers nicht mehr hinreichend wahren kann. Insbesondere bei unvertretbaren Leistungen (Handlungen oder Lieferungen) kann dies häufig der Fall sein.
V. Zusammenfassung Insgesamt führt die Naturalvollstreckung nur sehr selten tatsächlich zu einem unmittelbaren Zwang gegen den Schuldner, die geschuldete Handlung vornehmen zu lassen.80 Die meisten Zwangsmittel können lediglich als mittelbare 77
Oben § 1.II.4 (S. 24 f.). S. näher Bairlein, BB 2014, 138, 141 f. 79 S. dazu oben § 1.IV.1.a) (S. 43 ff.). 80 Vgl. auch HKK-BGB/Repgen, 2007, §§ 362–371 Rn. 1 a.E.: „Das führt dazu, dass auf der vollstreckungsrechtlichen Ebene außer bei Geldschulden nur selten präzise erfüllt werden muss.“ 78
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Zweiter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung im deutschen Recht
Zwangsmittel angesehen werden, die dem Schadensersatz statt der Leistung in ihrer Wirkung nicht so fernstehen, wie dies gemeinhin angenommen wird. Eine unmittelbare Naturalvollstreckung findet nur bei Herausgabe- und Verschaffungspflichten hinsichtlich konkreter Sachen statt. Bei Unterlassungspflichten und gewissen unvertretbaren Handlungspflichten besteht die Möglichkeit einer mittelbaren Vollstreckung durch die Androhung und Beitreibung von Ordnungs- bzw. Zwangsgeldern oder die Verhängung von Ordnungs- oder Zwangshaft. In den übrigen Fällen läuft die Vollstreckung von Naturalleistungsurteilen auf eine Geldvollstreckung hinaus, die den Gläubiger aber immerhin in die Lage versetzt, ein Deckungsgeschäft auf Kosten des Schuldners vorzunehmen und auf diese Weise sein Naturalleistungsinteresse befriedigen zu lassen. Naturalleistungsurteile sind jedoch auch ohne naturale Vollstreckungsmöglichkeit gleichwohl sinnvoll, weil sie zumindest Feststellungswirkung haben und der Schuldner auch ohne drohende Naturalvollstreckung einen Anreiz hat, das Urteil freiwillig zu erfüllen, um die Kostenvorteile zu realisieren, die für ihn mit der Eigenleistung gegenüber der ansonsten drohenden Belastung mit den Kosten der Ersatzvornahme verbunden sind.81 Rechtsordnungen, die den Anspruch auf Naturalerfüllung bereits auf der Ebene des materiellen Rechts ausschließen, nehmen den Parteien diese Möglichkeit der Klarstellung ihrer Rechte und Pflichten.82
81 Vgl. auch M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 425 ff., der allerdings m.E. die Bedeutung der Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung für die freiwillige Erfüllung gerichtlich festgestellter Leistungspflichten unterschätzt. 82 S. dazu oben § 1.IV.3.a) (S. 59 f.).
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Dritter Teil
Der Grundsatz der Naturalerfüllung in internationalen und europäischen Regelwerken Im Anschluss an die Analyse der Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung im deutschen Privatrecht ist abschließend zu untersuchen, wie dieser Grundsatz in europäischen und internationalen Regelwerken umgesetzt wird bzw. werden soll. Die Untersuchung bezieht sich dabei zunächst auf das geltende überstaatliche Recht in Gestalt des CISG sowie des Unionsprivatrechts (acquis communautaire), hier beschränkt auf die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und die Pauschalreiserichtlinie. Auf diesen in Kraft befindlichen Rechtsakten bauen die verschiedenen wissenschaftlichen und inzwischen auch politischen Projekte zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Privatrechts auf, von den Principles of European Contract Law (PECL) über die Principles of International Commercial Contracts (PICC), die Acquis Principles (ACQP), den Draft Common Frame of Reference (DCFR), bis hin zum Vorschlag der Kommission zu einer Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEK-E). Diese sollen im Anschluss untersucht werden.
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
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§ 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire Das UN-Kaufrechtsübereinkommen (Convention on the International Sale of Goods – CISG) aus dem Jahre 1980 illustriert die Schwierigkeiten, die sich für eine internationale Rechtsvereinheitlichung aus der unterschiedlichen Rechtsentwicklung in Kontinentaleuropa und im Bereich des common law im Hinblick auf den Naturalerfüllungsanspruch ergeben. Da das CISG den grenzüberschreitenden Warenkauf umfassend regeln soll, muss es sich auch zur Frage des Naturalerfüllungsanspruches des Käufers verhalten: Kann dieser die Lieferung der Sache in Natur verlangen, oder lediglich Schadensersatz? Kann er im Falle eines Sachmangels dessen Beseitigung in Natur fordern oder lediglich den Kaufpreis mindern oder Schadensersatz geltend machen? Die Antwort des CISG auf diese Fragen ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil das CISG nicht nur das in der Praxis wichtigste Regelwerk des Einheitsrechts auf dem Gebiet des Schuldrechts darstellt, sondern zudem großen Einfluss auf die weitere Rechtsentwicklung in Europa ausübt:1 So wurde die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG weitgehend nach dem Vorbild des CISG erlassen. 2 Ebenso orientierte sich die deutsche Schuldrechtsreform zu Anfang am CISG3 und später an der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie;4 gleiches gilt schließlich für das geplante Gemeinsame Europäische Kaufrecht.5
1 Vgl. zum Einfluss des CISG auf die weltweite Entwicklung des Leistungsstörungsrechts auch Basedow, FS Georgiades, 2006, S. 801 ff. 2 Vgl. U. Magnus, in: Ferrari (Hrsg.), The 1980 Uniform Sales Law, 2003, S. 129, 132 ff.; Staudenmayer, NJW 1999, 2393 f. 3 Vgl. dazu das grundlegende Gutachten von U. Huber, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1981, S. 647 ff., das durchweg das CISG zum Maßstab hatte. 4 Vgl. etwa Regierungsbegründung zum SMG. BT-Drs. 14/6040, S. 80, 86 = Canaris (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 570 f., 581 f. 5 Staudenmayer, in: ders. (Hrsg.), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2012, S. VII, XIV; O. Lando, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 15, Rn. 2; Remien, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 1 f., 4 (Rn. 3, 13).
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
I. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG 1. Der primäre Naturalleistungsanspruch Nach langen Diskussionen über die Behandlung des Naturalleistungsanspruches im CISG, die vor allem zwischen den Vertretern des common law und des deutschen Rechtskreises geführt wurden,6 hat das CISG eine auf den ersten Blick eigenartige Kompromisslösung gewählt:7 Art. 46 Abs. 1 CISG gibt dem Käufer zunächst auf der Ebene des materiellen Rechts einen Anspruch auf die Lieferung der Kaufsache in Natur.8 Auf der Ebene der prozessualen Durchsetzung9 stellt es Art. 28 CISG aber den nationalen Gerichten frei, diesen Anspruch nicht für klagbar zu halten, wenn der Käufer nach dem jeweiligen nationalen Recht keinen klagbaren Erfüllungsanspruch hätte. Interessanterweise scheinen die Gerichte von dieser Möglichkeit kaum Gebrauch zu machen: Soweit ersichtlich, stammt die einzige Verurteilung zur Naturalleistung unter Geltung des CISG ausgerechnet von einem amerikanischen Gericht.10 Die Kompromisslösung zwischen Art. 46 CISG und Art. 28 CISG offenbart das Dilemma, vor dem jedes Vereinheitlichungsprojekt im Hinblick auf die Gewährung von Naturalerfüllungsansprüchen steht: Ein klagbarer materiell-rechtlicher Naturalerfüllungsanspruch kann nur gewährt werden, wenn auch das Vollstreckungsrecht darauf abgestimmt ist und hierfür passende Vollstreckungsregeln bereithält. Da sich der Regelungsbereich des CISG nicht bis ins Vollstreckungsrecht erstreckt, kann das CISG nicht selbst entsprechende Regeln enthalten. Daher muss ggf. der materiell-rechtlich gegebene Naturalerfüllungsanspruch prozessual wieder entwertet werden, um überhaupt zu einer praktikablen Lösung zu gelangen.
6 Vgl. zur Entstehungsgeschichte näher Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 46 CISG Rn. 6 ff.; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 62. 7 Vgl. auch Medicus, in: Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, S. 179, 190: „Lieblosigkeit eines nicht gelungenen Konsenses“. 8 Vgl. dazu eingehend U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199 ff. 9 Zum rein prozessualen Charakter des Art. 28 CISG vgl. U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 203 m.w.N. 10 Vgl. die Entscheidung des U.S. Federal District Court i.S. Magellan International v. Salzgitter Handel, 76 Fed. Suppl. 2d 919, zitiert bei Schmidt-Ahrendts, Das Verhältnis von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG, 2007, S. 9.
§ 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire
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2. Der Nacherfüllungsanspruch im CISG Auch für den Fall der mangelhaften Leistung sieht das Rechtsbehelfssystem des CISG in Art. 46 Abs. 1 CISG zunächst einen Anspruch auf Erfüllung in Natur in Gestalt eines Nacherfüllungsanspruches (auf Nachbesserung oder Nachlieferung) vor. Allerdings steht der Anspruch auf Nachlieferung gem. Art. 46 Abs. 2 CISG unter dem Vorbehalt, dass die Vertragsverletzung wesentlich ist.11 Die Nachbesserung kann der Verkäufer nach Art. 46 Abs. 3 CISG verweigern, wenn sie „unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar“ ist, oder wenn seit der Mängelanzeige eine angemessene Frist verstrichen ist (so dass der Verkäufer nicht mehr mit einem Nachbesserungsverlangen rechnen musste). Wiederum ist – abgesehen von den schon oben geschilderten Ausnahmen – eine Nachfristsetzung grundsätzlich erforderlich, bevor der Käufer auf sekundäre Rechtsbehelfe, insbesondere den Schadensersatzanspruch übergehen kann. Lediglich die Minderung kann er gem. Art. 50 CISG sofort erklären; jedoch kann der Verkäufer auch die Minderung durch eine freiwillige Nachbesserung abwenden. Dadurch bleibt auch insoweit zumindest seine Nacherfüllungsbefugnis geschützt und hat Vorrang vor der Minderung.12
3. Der Vorrang der Naturalerfüllung im CISG Das CISG weist zudem eine weitere systematische Besonderheit auf: Obwohl der Naturalerfüllungsanspruch aus Art. 46 CISG nicht zwingend klagbar ist, ist er dennoch materiell-rechtlich in gewisser Weise vorrangig ausgestaltet. Das Recht des Käufers zur Vertragsaufhebung (nicht aber die Minderung gem. Art. 50 CISG) steht gem. Art. 49 Abs. 1 CISG unter dem Vorbehalt, dass entweder die Vertragsverletzung „wesentlich“ i.S.d. Art. 25 CISG ist oder der Käufer dem Verkäufer zunächst erfolglos eine Nachfrist zur Naturalleistung gesetzt hat.13 Diese Regelung gilt unabhängig davon, ob der Erfüllungsanspruch nach der nationalen Rechtsordnung des angerufenen Gerichts klagbar ist oder nicht.14
11
Vgl. dazu Grundmann/Hoerning, in: Eger/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 420, 432, sowie noch unten § 8.I.3.b) (S. 454 ff.). 12 Vgl. Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 50 CISG Rn. 27. 13 Vgl. nur Gsell, in: Honsell (Hrsg.), Kommentar zum UN-Kaufrecht, 22010, Art. 28 Rn. 25 m.w.N. 14 Vgl. U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 203; Schmidt-Ahrendts, Das Verhältnis von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG, 2007, S. 8 ff.
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a) Erfordernis der Voraussetzungen der Vertragsaufhebung für den Schadensersatz statt der Leistung Diese Regelung betrifft allerdings nach ihrem Wortlaut nur die Vertragsaufhebung, nicht aber den Schadensersatz. Dieser kann nach Art. 45 Abs. 1 lit. b) i.V.m. Art. 74 CISG grundsätzlich ohne weitere Voraussetzungen geltend gemacht werden, erfordert also insbesondere weder eine wesentliche Vertragsverletzung noch eine Fristsetzung. Allerdings ist durchaus umstritten, ob dies auch für diejenigen Schadensposten gilt, die an die Stelle der Naturalleistung treten, also den „Schadensersatz statt der Leistung“ nach deutschem Verständnis (§ 280 Abs. 3 BGB). Von der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur wird aus den Regelungen in den Art. 75, 76 CISG, welche den Ersatz der Kosten für ein Deckungsgeschäft nach einer vorherigen Vertragsaufhebung regeln, gefolgert, dass diese Vorschriften als leges speciales dem Art. 74 CISG für den Schadensersatz statt der Leistung vorgehen.15 Die Vertreter der Gegenmeinung sehen die Art. 75 f. CISG nur als Erleichterung der Geltendmachung des Schadensersatzes für ein Deckungsgeschäft – insbesondere durch Verzicht auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Schadens und geringere Beweisanforderungen –, ohne dass sie aber die allgemeine Regel des Art. 74 CISG verdrängen sollten.16 Für diese Auffassung wird angeführt, der Zweck der Rücktrittsschranken des Art. 49 CISG, nämlich die Erhaltung des Vertrags,17 erfordere nicht stets ein Verbot der Geltendmachung von Schadensersatz. Vielmehr bleibe der Vertrag auch dann erhalten, wenn der Käufer den Kaufpreis schon bezahlt habe und dann Schadensersatz in der vollen Höhe des Werts der entgangenen Leistung – u.U. auch in Höhe der Kosten eines Deckungsgeschäfts – zuzüglich Nebenkosten erhalte.18 Eines Rücktritts bedürfe es in diesem Fall nicht, so dass weder eine wesentliche Vertragsverletzung noch eine vorherige Fristsetzung nötig 15 So
etwa OLG Bamberg TranspR-IHR 2000, 17 (= CISG-online Nr. 516); öst. OGH ZfRV 37 (1996), 248, 253 (= CISG-online Nr. 224); Hans Stoll, RabelsZ 52 (1988), 617, 635; MünchKomm-BGB/P. Huber, 2012, Art. 74 CISG Rn. 9 ff.; ders., RabelsZ 71 (2007), 13, 29 f.; Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 45 Rn. 22; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 45 CISG Rn. 27; Offermanns, Methoden der Schadensbemessung in internationalen Regelungswerken, 2011, S. 29 f. 16 S. etwa Schlechtriem, FS Georgiades, 2006, S. 383, 387 ff.; Schlechtriem/Schwenzer/ Schwenzer, Art. 74 Rn. 22; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, 52013, Rn. 729; CISG-Advisory Council, Opinion No. 6: Calculation of Damages under CISG Article 74, 2006 (http://www.cisgac.com/UserFiles/File/CISG Advisory Council Opinion No 6 PDF.pdf), Ziff. 8 (geprüft am 1.12.2014); zumindest missverständlich dagegen ders., Opinion No. 8: Calculation of Damages under CISG Articles 75 and 76, 2008 (http://www. cisgac.com/UserFiles/File/CISG AC Opinion no 8 _Calculation of Damages under CISG Articles 75 and 76__GTS_.pdf), Ziff. 2.3.3 (geprüft am 1.12.2014), wonach eine Schadensberechnung aufgrund eines Deckungsgeschäfts nur möglich sein soll, wenn der Vertrag vor dem Deckungsgeschäft aufgehoben wurde. 17 Vgl. BGH NJW 1996, 2364, 2366; Staudinger/U. Magnus, 2013, Vor Art. 45 ff. Rn. 7. 18 Schlechtriem, FS Georgiades, 2006, S. 383, 388 f.
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seien. Lediglich der Anspruch auf (weitere) Erfüllung in Natur sei dann ausgeschlossen – entsprechend dem deutschen § 281 Abs. 4 BGB.19 Diese Auffassung verkennt aber, dass die Schwellen des Art. 49 CISG nicht nur dem Schutz des säumigen Schuldners vor einer voreiligen Rückabwicklung des Vertrags dienen, sondern auch dem Schutz seines Naturalleistungsinteresses. 20 Auch dieses ist, wie oben bereits dargelegt wurde, 21 ein legitimes Interesse des Schuldners. Im Hinblick auf diese Interessenlage ist zwischen verschiedenen Formen des Schadensersatzes statt der Leistung zu differenzieren: Im Falle der vollständigen Nichtleistung entspricht der Schadensersatz statt der Leistung jedenfalls bei der Anwendung der Differenzmethode wirtschaftlich einer Rückabwicklung, weil es zu keiner Durchführung des Vertrags mehr kommt. Auch bei der – äußerst selten praktisch relevanten – Surrogationsmethode verliert der Verkäufer seinen Vertragsgewinn und muss stattdessen über den Ersatz der Kosten des (vollständigen) Deckungsgeschäfts den Vertragsgewinn eines Dritten bezahlen. Gleiches gilt beim „großen Schadensersatz“ (d.h. „Schadensersatz statt der ganzen Leistung“ in der Terminologie des BGB22), bei welchem der Käufer die mangelhafte Sache zurückgibt und vom Verkäufer den vollständigen Wert einer mangelfreien Sache (Deckungsgeschäft) als Schadensersatz – gewissermaßen als „Schadensersatz statt der Nachlieferung“ – verlangt. Dazu passt, dass Art. 46 Abs. 2 CISG den Anspruch auf die Nachlieferung selbst ebenfalls von einer wesentlichen Vertragsverletzung abhängig macht. Ob die Pflicht zur Rückgewähr des Kaufpreises als Rückgewährpflicht aus Art. 81 Abs. 2 CISG oder integriert in den Schadensersatz aus Art. 74 CISG folgt, spielt für das wirtschaftliche Ergebnis keine Rolle. Mit Recht sieht daher etwa das deutsche Recht im wesentlichen einen Gleichlauf zwischen den Voraussetzungen des Rücktritts und des Schadensersatzes statt der Leistung vor (vgl. §§ 281–283, 323–326 BGB). 23 Daher ist insoweit die auch zum CISG wohl herrschende Gegenauffassung vorzuziehen, wonach der „große Schadensersatz“ in dem hier behandelten weiten Sinne grundsätzlich bei gleichzeitiger Vertragsaufhebung nach Art. 49 Abs. 1 CISG verlangt werden kann, d.h. bei einer wesentlichen Vertragsverletzung oder nach Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Frist (Art. 47 CISG). 24 19 So Schlechtriem, FS Georgiades, 2006, S. 383, 386 f.; s. aber auch Schlechtriem/Schroe ter, Internationales UN-Kaufrecht, 52013, Rn. 730: Naturalerfüllungsrecht des Schuldners bleibt bestehen, so dass der Gläubiger ggf. die vom Schuldner erneut angebotene Sache annehmen muss. 20 Ähnlich T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 47. 21 S. eingehend oben § 1.IV.1.b) (S. 49 ff.). 22 S. dazu oben § 5.II.4.b) (S. 294 ff.). 23 Das sieht auch Schlechtriem, FS Georgiades, 2006, S. 383, 384, 389, allerdings ohne die hier vorgeschlagene Konsequenz zu ziehen. 24 Eingehend dazu Schmidt-Ahrendts, Das Verhältnis von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG, 2007, S. 119 ff.
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Die Frage nach einer evtl. fortbestehenden Naturalleistungsberechtigung des Schuldners25 stellt sich infolge der Vertragsaufhebung nicht mehr. Der sog. „kleine Schadensersatz“, bei welchem der Käufer die mangelhafte Sache behält und vom Verkäufer lediglich die Kosten der Reparatur durch einen Dritten ersetzt verlangt (eine Art „kleines Deckungsgeschäft“), steht in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen eher einer Minderung nahe. Das Naturalandienungsrecht des Verkäufers ist hier nicht in gleicher Weise schutzwürdig, weil nicht die Realisierung seines gesamten Vertragsgewinns auf dem Spiel steht, sondern nur die Differenz zwischen seinen internen Mängelbeseitigungskosten und den externen Beseitigungskosten, die der Käufer bei einem Dritten aufwenden muss. Ist der Verkäufer nur ein Zwischenhändler, der über keine eigene Reparaturwerkstatt verfügt, besteht eine solche Differenz nur dann, wenn der Verkäufer privilegierten Zugang zu dem Reparaturmarkt hat oder dort Skalenvorteile erzielen kann. Seine Einbuße wird sich von dem Minderungsbetrag meistens nicht wesentlich unterscheiden. Nachdem das CISG das Minderungsrecht des Käufers – anders als § 441 Abs. 1 BGB – nicht von den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung abhängig macht (vgl. Art. 50 CISG), erscheint es konsequent, diese auch nicht für den „kleinen“ Schadensersatz zu verlangen. Allerdings besteht zumindest insoweit ein Vorrang der Nacherfüllung, als dem Verkäufer das Heilungsrecht nach Art. 37, 48 CISG zusteht, das die Minderung ausschließt (Art. 50 S. 2 CISG).
b) Die fehlende „Wesentlichkeit“ der Vertragsverletzung bei behebbaren Mängeln Der Vorrang der Nacherfüllung ist im CISG noch durch einen weiteren Umstand gesichert: Folgt man den vorstehenden Ausführungen zur Erforderlichkeit der Voraussetzungen einer Vertragsaufhebung für die Geltendmachung des „großen“ Schadensersatzes statt der Leistung, so verbleibt die Möglichkeit, dass der Käufer bei einem Mangel, der die Schwelle der „wesentlichen Vertragsverletzung“ i.S.v. Art. 49 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 25 CISG überschreitet, sofort die Vertragsaufhebung erklärt und den „großen Schadensersatz“ verlangt. Diese Vertragsaufhebung ginge nach Art. 48 Abs. 1 CISG dem Heilungsrecht des Verkäufers vor. Ob auch bei objektiv schwerwiegenden, aber ohne weiteres behebbaren Mängeln ein Vorrang der Nacherfüllung besteht, ist umstritten.26 Eine Auffassung in der Literatur stellt v.a. auf den Wortlaut des Art. 48 Abs. 1 CISG ab, wonach das Heilungsrecht des Verkäufers nur „vorbehaltlich 25
Vgl. dazu Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, 52013, Rn. 730. Ausf. zum Ganzen Karollus, ZIP 1993, 490 ff.; Robert Koch, in: Pace University International Law Journal (Hrsg.), Review of the Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG) 1998, 1999, S. 177, 224 ff., 281 ff., jeweils m.w.N.; Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 107 ff. 26
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des Art. 49 [Vertragsaufhebung]“ besteht. 27 Außerdem möchte sie den Begriff der „Wesentlichkeit“ der Vertragsverletzung rein objektiv nach der Schwere des Mangels, nicht nach dessen Behebbarkeit bestimmen. 28 Und schließlich wird angeführt, dass Art. 46 Abs. 2 CISG den Anspruch auf Ersatzlieferung ebenfalls von einer „wesentlichen Vertragsverletzung“ abhängig macht: Würde man zugleich die Möglichkeit einer (zumutbaren) Ersatzlieferung zum Anlass nehmen, die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung zu verneinen, so käme man zu dem absurden Ergebnis, dass eine Ersatzlieferung faktisch immer ausgeschlossen wäre; daraus ist z.T. geschlossen worden, dass über die Auslegung der „Wesentlichkeit“ der Vertragsverletzung lediglich ein Vorrang der Nachbesserung, nicht aber ein Vorrang der Ersatzlieferung begründet werden könne.29 Allerdings überzeugen diese Argumente im Ergebnis nicht:30 Der Vorbehalt in Art. 48 Abs. 1 CISG zugunsten des Art. 49 CISG ist vom Vorliegen von dessen Voraussetzungen, mithin der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung abhängig; auf die Frage, ob eine Vertragsverletzung wesentlich ist, gibt die Vorschrift keine Antwort. Eine Beschränkung des Kriteriums der „Wesentlichkeit“ auf objektiv schwerwiegende Mängel lässt sich Art. 25 CISG nicht entnehmen. Vielmehr ist nach dem Wortlaut dieser Norm allein entscheidend, ob einer Partei „im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen.“ Das ist auch dann nicht der Fall, wenn die Partei nach einer – zumutbaren und zeitnahen – Heilung nicht mehr durch einen Mangel belastet ist. Auch das systematische Argument aus Art. 46 Abs. 2 CISG lässt sich ausräumen, weil Art. 46 Abs. 2 CISG lediglich den Nachlieferungsanspruch des Käufers einschränkt, nicht aber die Heilungsmöglichkeit des Verkäufers: Die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung (und damit der Nachlieferungsanspruch) entfällt nur, wenn der Verkäufer von sich aus die Ersatzlieferung anbietet. Der Verkäufer ist in diesem Fall zwar nicht nach Art. 46 CISG, wohl aber aufgrund seines eigenen Angebots zur Nachlieferung verpflichtet. Lediglich wenn der Verkäufer keine Nachlieferung anbietet, sondern nur Nachbesserung, sind die Rechte des Käufers beschränkt, und er kann wegen der dann ggf. fehlenden Wesentlichkeit der Vertragsverletzung nur die (zumutbar) angebotene Nachbesserung verlangen. Im Hinblick auf den Schutzzweck des Art. 46 Abs. 2 CISG, den Verkäufer vor den hohen dreifachen Transportkosten durch die Ersatzlieferung zu schützen, erscheint diese Lösung sachgerecht, ohne dass Art. 46 Abs. 2 CISG dadurch bedeutungslos würde.31 27
Vgl. etwa Holthausen, RIW 1990, 101, 105; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 66 f.; hiergegen Karollus, ZIP 1993, 490, 494 f.; ausf. und mit zahlr. Nachw. aus der internationalen Literatur U. Magnus, FS Schlechtriem, 2003, S. 599, 601 ff. 28 Vgl. Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 66. 29 Vgl. U. Huber, Die Haftung des Verkäufers nach dem Kaufrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und nach deutschem Recht, 1991, S. 14. 30 Vgl. dazu eingehend Karollus, ZIP 1993, 490, 494 ff. 31 S. Karollus, ZIP 1993, 490, 495, der allerdings selbst ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs der „wesentlichen Vertragsverletzung“ für Ersatzlieferung einerseits und Ver-
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Der optimale Schutz des Naturalandienungsrechts des Verkäufers gebietet vielmehr, dass jedenfalls bei solchen Mängeln, die – unabhängig von ihrem objektiven Gewicht – ohne besondere Beeinträchtigungen des Käufers vom Verkäufer behoben werden können, keine sofortige Vertragsaufhebung und kein sofortiger Übergang auf den Schadensersatz statt der ganzen Leistung möglich ist, sofern der Verkäufer bereit ist, den Mangel zu beheben. Zu Recht geht daher die wohl h.M. zum CISG davon aus, dass selbst ein objektiv schwerwiegender Mangel keine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, wenn der Verkäufer zur Nachlieferung ohne unzumutbare Belastung des Käufers bereit ist.32 Das führt dazu, das faktisch immer dann, wenn die Voraussetzungen des Heilungsrechts nach Art. 48 Abs. 1 CISG vorliegen, zugleich mangels wesentlicher Vertragsverletzung sowohl die Vertragsaufhebung als auch (konsequenterweise) die Geltendmachung des großen Schadensersatzes statt der Leistung ausgeschlossen ist.33 Hierdurch wird im Ergebnis der Vorrang der Nacherfüllung umfassend gesichert.
4. Übergangstatbestände Mit der Entscheidung für den Vorrang der Naturalerfüllung vor dem Schadensersatz besteht auch das Bedürfnis nach Übergangstatbeständen, um dem Käufer den Übergang auf den Schadensersatz anstelle des Naturalleistungsanspruches zu gestatten.34 Die Fristsetzung als zentraler Übergangstatbestand, die sich am deutschen Vorbild des § 326 BGB 1900 (heute § 281 BGB) orientierte, wurde bereits erwähnt. Entbehrlich ist die Fristsetzung nach Art. 47 Abs. 2 S. 1 bzw. Art. 49 Abs. 1 lit. b) CISG im Falle einer Leistungsverweigerung des Verkäufers sowie im Hinblick auf die Vertragsaufhebung gem. Art. 49 Abs. 1 lit. a) CISG bei wesentlichen Vertragsverletzungen; hierzu zählt etwa die Versäumung eines fix vereinbarten Liefertermins.35 Eine Regelung des Übergangs zum Schadensersatz wegen Unmöglichkeit hat das CISG dabei nicht aufgenommen.36 Daraus ist zum Teil gefolgert worden, tragsaufhebung andererseits fordert (ebd. S. 496) – eine Auffassung, die mit der offensichtlich einheitlich gewollten Definition in Art. 25 CISG nur schwer vereinbar scheint. 32 Vgl. OLG Koblenz IR 2003, 172, 175 (= CISG-online Nr. 256); HG Kanton Aargau, Urt. v. 5.11.2002, CISG-online Nr. 715; Ferrari, IHR 2005, 1, 7; ders., in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, 22012, Art. 25 CISG Rn. 18; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 25 Rn. 48; MünchKomm-BGB/Gruber, Art. 25 CISG Rn. 24 ff. m.w.N. 33 Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 48 Rn. 18. 34 Vgl. U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 199 f. 35 Vgl. Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 49 CISG Rn. 11. 36 Vgl. dazu U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 205 mit Fn. 21.
§ 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire
457
dass bei vom Schuldner nicht zu vertretender (also keine Schadensersatzhaftung auslösender) Unmöglichkeit nach wie vor ein Anspruch auf Naturalerfüllung bestehe.37 Inzwischen besteht in der Literatur jedoch zumindest im Ergebnis Einigkeit, dass bei objektiver Unmöglichkeit kein Anspruch auf Naturalerfüllung besteht.38 Dies wird teilweise mit dem Verweis des Art. 28 CISG auf die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen begründet, die einen entsprechenden Ausschluss naheliegender Weise durchweg vorsehen.39 Teilweise wird das gleiche Ergebnis – vorzugswürdig – aus der Zusammenschau von Art. 79 CISG und den Regelungen über den Gefahrübergang abgeleitet.40 Letztlich folgt der Ausschluss des Erfüllungsanspruches im Falle objektiver wie (echter) subjektiver Unmöglichkeit aus der Natur der Sache, weil eine Naturalleistungsverurteilung in diesem Fall keinen Sinn machen würde.41 Richtigerweise ist diese Lösung auch auf Fälle zu übertragen, in denen die Naturalerfüllung vom Verkäufer Anstrengungen erfordern würde, die in einem groben Missverhältnis zum Naturalerfüllungsinteresse des Käufers stehen.42
II. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im acquis communautaire Im derzeitigen acquis communautaire sind noch wenige Regelungen über Naturalerfüllungsansprüche enthalten. Die bisherigen Regelungen verfolgten jeweils einen sektorspezifischen Ansatz und hatten daher keinen Anlass zu grundsätzlichen Regelungsaussagen zum Inhalt von Ansprüchen. Relevant geworden ist 37 Vgl. UN-Sekretariat, in: United Nations Conference on Contracts for the International
Sale of Goods, Vienna, 10 March-11 April, 1980 – Official Records, 1981, S. 14, 55 (Art. 65 Anm. 8, 9); a.A. U. Huber, RabelsZ 43 (1979), 413, 467. 38 Vgl. etwa Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 79 CISG Rn. 58 ff.; U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 206 f.; Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, § 79 Rn. 53; MünchKomm-HGB/Mankowski, Art. 79 CISG Rn. 8 f.; s. zum Streitstand auch Düchs, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, 2006, S. 90 ff. 39 So etwa UN-Sekretariat, in: United Nations Conference on Contracts for the International Sale of Goods, Vienna, 10 March-11 April, 1980 – Official Records, 1981, S. 14, 55 (Art. 56 Anm. 9); Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, 1991, Art. 79 Rn. 23; w.N. bei Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 79 CISG Rn. 59. 40 So überzeugend U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 206 f.; Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 79 CISG Rn. 58 f. m.w.N.; ebenso Schmidt-Ahrendts, Das Verhältnis von Erfüllung, Schadensersatz und Vertragsaufhebung im CISG, 2007, S. 9. 41 Plakativ U. Huber, in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987, S. 199, 206: „Caesar non supra grammaticos.“ 42 So für existenzgefährdende Erfüllungsanstrengungen auch Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 79 CISG Rn. 60.
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
die Frage lediglich im Rahmen des Gewährleistungsrechts, dort als Frage der Existenz und ggf. des Vorranges von Nacherfüllungsansprüchen. Die beiden wesentlichen Regelungen hierzu finden sich in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG und in der Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG, die im Folgenden untersucht werden sollen.
1. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Im Unionsrecht hat sich zunächst die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG43 mit der Problematik der Naturalerfüllung beschäftigt. Diese Richtlinie, die unter anderem auf dem Vorbild des CISG beruht,44 enthält zwar keine Regelungen über den Primäranspruch des Käufers auf Lieferung der Kaufsache und dementsprechend insoweit auch keine Anordnung eines Anspruches auf Naturalerfüllung. Allerdings gibt sie in Art. 3 ein detailliertes Gewährleistungsregime für mangelhafte Leistungen vor.
a) Der Nacherfüllungsanspruch und sein Vorrang Den Kern dieses Gewährleistungsregimes bildet der Anspruch auf Nacherfüllung gem. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie. Dieser Anspruch ist nach Wahl des Käufers auf Nachbesserung oder Nachlieferung gerichtet. Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Gewährung eines kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruches wurde bereits oben behandelt.45 Der Nacherfüllungsanspruch ist zudem vorrangig vor den Sekundärrechtsbehelfen der Minderung und Rückabwicklung ausgestaltet. Das ergibt sich einerseits aus der Formulierung „zunächst“ in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie, andererseits daraus, dass Minderung oder Vertragsauflösung gem. Art. 3 Abs. 5 nur dann verlangt werden können, wenn entweder kein Nacherfüllungsanspruch besteht oder der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat, oder wenn die ggf. erfolgte Abhilfe nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgt ist.46
43 Richtlinie
1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABlEG L 171 vom 7.7.1999, S. 12 ff. 44 Vgl. Kommission, Dok. KOM(1995) 520 endg., S. 6; Staudenmayer, NJW 1999, 2393 ff.; U. Magnus, FS Jayme, 2004, S. 1307, 1315 f.; Schroeter, UN-Kaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2005, § 4 Rn. 22 ff., § 16 Rn. 43 ff. 45 S. oben § 4.III.3.b) (S. 233 ff.). 46 Vgl. zur Entstehung dieser Regelung Baldus, Binnenkonkurrenz kaufrechtlicher Sachmängelansprüche nach Europarecht, 1999, S. 22 ff.
§ 8. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire
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aa) Unmöglichkeit und Unverhältnismäßigkeit Die erste Variante (Nichtbestehen eines Nacherfüllungsanspruches) betrifft die Fälle der Unmöglichkeit und der Unverhältnismäßigkeit, in welchen ein Anspruch auf Nacherfüllung gem. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie ausgeschlossen ist. Unter den Begriff der Unmöglichkeit fallen unproblematisch die physische und rechtliche Unmöglichkeit. Ob aber auch Fälle des groben Missverhältnisses zwischen Leistungsaufwand und Erfüllungsinteresse (im Sinne des deutschen § 275 Abs. 2 BGB) als „Unmöglichkeit“ gem. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie zu behandeln sind, ist unklar. Zutreffend dürfte die Rechtsprechung des EuGH hierzu insoweit sein, als jedenfalls das Merkmal der „Unverhältnismäßigkeit“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie diese Fälle der sog. „absoluten Unverhältnismäßigkeit“ nicht erfasst, weil die Richtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 nur die sog. „relative Unverhältnismäßigkeit“ meint, also die Unverhältnismäßigkeit der einen Form der Nacherfüllung gegenüber der jeweils anderen.47 Damit können die Fälle des deutschen § 275 Abs. 2 BGB jedenfalls nicht unter das Tatbestandsmerkmal der „Unverhältnismäßigkeit“ im Sinne der Richtlinie subsumiert werden. Es spricht aber nichts dagegen, den autonom auszulegenden Begriff der Unmöglichkeit weit auszulegen48 und das grobe Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand des Verkäufers und Mängelbeseitigungsinteresse des Käufers als „praktische Unmöglichkeit“ unter Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 der Richtlinie zu fassen.49 Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, müsste man doch eine implizite Beschränkung des Nacherfüllungsanspruches durch das – auch im Unionsrecht geltende – Rechtsmissbrauchsverbot anerkennen, die zu dem gleichen Ergebnis führen würde. Hinsichtlich des Maßstabs der Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigungsaufwendungen sollte nach dem oben Ausgeführten50 – insoweit entgegen dem EuGH51 – nicht auf den Wert der Kaufsache oder gar auf den Vertragspreis abgestellt werden. Relevant sollte allein das Interesse des Käufers an der Mangelfreiheit der Kaufsache sein, das sich aus dem Substanz- und dem Verwendungsinteresse zusammensetzt: Dieses bildet den Maßstab für die vom 47 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 (Weber/Wittmer und Putz/ Medianess), Slg. 2011, I-5257 = NJW 2011, 2269, Rn. 66 ff. und dazu oben § 5.IV.3 (S. 342 ff.) m.w.N. 48 Für eine weite Auslegung auch Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 30. 49 Vgl. MünchKomm-BGB/S. Lorenz, 2012, Vor § 474 Rn. 18; Unberath, ZEuP 2005, 5, 22 ff.; K. Kirsten, ZGS 2005, 66, 67 f.; Glöckner, JZ 2007, 652, 663 sowie bereits oben § 5. IV.3.b) (S. 344 ff.) m.w.N. 50 Oben § 5.IV.2 (S. 332 ff.). 51 EuGH, Urt. v. 16.6.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 (Weber/Wittmer und Putz/Medianess), Slg. 2011, I-5257 = NJW 2011, 2269, Rn. 74 deutet als Abwägungskriterien den Wert der Kaufsache und die Bedeutung der Vertragswidrigkeit an, die eine Begrenzung der Mängelbeseitigungsaufwendungen rechtfertigen könnten.
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Verkäufer geschuldeten Aufwendungen zur Leistung und Mängelbeseitigung. Überschreiten die erforderlichen Aufwendungen dieses Interesse, so sollte der Verkäufer die Nacherfüllung wegen „Unmöglichkeit“ im Sinne der Richtlinie bzw. wegen der Missbräuchlichkeit ihrer Geltendmachung verweigern dürfen.
bb) Ablauf einer angemessenen Frist Die zweite Durchbrechung des Vorrangs der Nacherfüllung ist nach Art. 3 Abs. 5 zweiter Spiegelstrich der Richtlinie der Ablauf einer angemessenen Frist für die Abhilfe. Diese Frist muss nach der zutreffenden h.M. nicht explizit vom Käufer gesetzt werden, sondern läuft kraft Gesetzes.52 Wann diese Frist zu laufen beginnt, ist in der Richtlinie nicht explizit geregelt. Richtigerweise ist sie ab dem Moment zu bemessen, in dem der Verkäufer vom Käufer zur Nacherfüllung aufgefordert worden ist.53 Diese Lösung der ipso iure laufenden Frist verhindert zwar die „Falle“ für Käufer, in die diese geraten können, wenn sie ohne vorherige Fristsetzung auf sekundäre Rechtsbehelfe (insbesondere Rücktritt oder Schadensersatz) wechseln wollen. Eine solche „Falle“ besteht jedoch nur, wenn man dem Käufer – entgegen der hier vertretenen Auffassung54 – sämtliche Rechte abschneidet, wenn er dem Verkäufer nicht zuvor erfolglos eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat. Nachteile hat diese Lösung allerdings im Hinblick auf die Rechtssicherheit, weil beide Parteien keine Sicherheit über die Zeitabhängigkeit der Verwendungsplanung des Käufers erhalten, wenn dieser die Frist nicht selbst setzt.55
b) Schadensersatz statt der Leistung und Mindestharmonisierung Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält allerdings keine Vorschriften über den Schadensersatz statt der Leistung. Sämtliche schadensrechtliche Fragen wurden aus ihrem Regelungsbereich ausgeklammert. Damit betreffen die soeben erörterten Übergangstatbestände nicht den Übergang vom (Nach-)Erfüllungsanspruch auf den Schadensersatz statt der Leistung, sondern lediglich auf die übrigen Gewährleistungsrechte nach der Richtlinie, d.h. die Minderung und den Rücktritt. Da die Regelungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gem. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie nur einen Mindeststandard für die Rechtsordnun52
Vgl. nur Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 32013, § 2 Rn. 180; W. Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1418; Canaris, in: ders. (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. VII, XXV f.; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 552; Unberath, ZEuP 2005, 5, 28 ff.; BeckOK-BGB/Faust, 01.03.2011, § 437 Rn. 17; MünchKomm-BGB/S. Lorenz, 2012, Vor § 474 Rn. 20; Soergel/Gsell, 2005, § 323 Rn. 85. 53 Vgl. Micklitz, EuZW 1999, 485, 489; W. Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1418; W. Ernst, ZRP 2001, 1, 9; Unberath, ZEuP 2005, 5, 28. 54 S. oben § 4.V.5.c) (S. 266 ff.). 55 Vgl. zu diesem Hintergrund des Fristsetzungserfordernisses oben § 5.II.1.b) (S. 277 ff.).
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461
gen der Mitgliedstaaten festlegen, dürfen die Mitgliedstaaten aber zugunsten der Verbraucher-Käufer davon abweichen, insbesondere Schadensersatzansprüche einführen.56 Der deutsche Gesetzgeber hat dies getan (vgl. § 437 Nr. 3 BGB) und dabei den Vorrang der Nacherfüllung freiwillig den Vorgaben der Richtlinie angepasst. Die Mitgliedstaaten können die Mindestharmonisierungsklausel aber auch nutzen, um den Vorrang der Nacherfüllung des Art. 3 der Richtlinie, der die Wahlfreiheit des Verbrauchers zwischen den möglichen Rechtsbehelfen einschränkt, nicht umzusetzen, dem Verbraucher also den sofortigen Zugriff auf Schadensersatzansprüche und Rücktritt zu eröffnen.57 Diese Möglichkeit nutzen beispielsweise Frankreich und das Vereinigte Königreich.58 Diese Regelungen sind zwar sicherlich verbraucherfreundlich, verkennen aber das berechtigte Interesse der Verkäufer an einem vorrangigen Nacherfüllungsrecht, das ihre Investitionen in die Vertragserfüllung schützt und opportunistische Vertragsaufsagen durch Verbraucher verhindert.59
2. Die Pauschalreiserichtlinie Auch die ältere Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG60 enthält ein – zumindest rudimentäres – Gewährleistungsrecht für Reisemängel. Relevant ist im vorliegenden Kontext insbesondere Art. 4 Abs. 7, der im Falle von Reisemängeln eine Art Nacherfüllungsanspruch der Pauschalreisenden vorsieht. Dieser ist nach UAbs. 2 dieser Vorschrift vorrangig gegenüber einem Rücktransport zum Abreiseort – gleichbedeutend mit einer Rückabwicklung der Reise – oder einer Entschädigung ausgestaltet. Zudem enthält Art. 6 eine Abhilfepflicht des Veranstalters im Falle von Beanstandungen des Reisenden. Und schließlich sieht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie eine verschuldensabhängige Schadensersatzhaftung des Reiseveranstalters für die Nicht- oder Schlechterfüllung des Reisevertrags vor, der in Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie eine Anzeigeobliegenheit des Reisenden vorausgeht. Zwar sind die Regelungen der Richtlinie nicht so konkret wie die deutschen Umsetzungsvorschriften.61 Es lässt sich ihnen aber eine verhältnismäßig deut56 Vgl. Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 77 ff.; Baldus, Binnenkonkurrenz kaufrechtlicher Sachmängelansprüche nach Europarecht, 1999, S. 90 f. 57 S. dazu auch Sivesand, The Buyer’s Remedies for Non-Conforming Goods, 2005, S. 81 f. 58 S. oben § 2.V.3 (S. 116 f.) zum französischen Recht und § 2.VI.2.d) (S. 134 ff.) zum englischen Recht. 59 Vgl. dazu noch unten § 9.I.4.b)ff)(2) (S. 495 ff.) im Kontext des GEK. 60 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABlEG L 158 vom 23.6.1990, S. 59 ff. 61 S. dazu oben § 4.III.3.c) (S. 237 f.).
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
liche Entscheidung einerseits überhaupt zugunsten der Gewährung eines Naturalleistungsanspruches in Gestalt des Nacherfüllungsanspruches, und andererseits zugunsten des Vorrangs der Nacherfüllung vor der Vertragsaufhebung, aber auch vor dem Schadensersatz statt der Leistung entnehmen.62
62 Ähnlich auch Pisuli n ´ ski/Zoll/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:301 Rn. 1 (S. 411).
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§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht In den vergangenen Jahrzehnten sind aus der Wissenschaft und auch aus der Politik zahlreiche Vorschläge vorgelegt worden, deren Ziel die Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Vertragsrechts war – entweder in umfassender Form oder begrenzt auf Teilgebiete wie das Kaufrecht.1 Alle diese Regelungswerke mussten sich auch der Frage widmen, ob ein Anspruch auf Naturalerfüllung gewährt werden sollte: Sei es als primärer Erfüllungsanspruch oder zumindest als Nacherfüllungsanspruch für den Fall der mangelhaften Leistung. Soweit dabei ein Anspruch auf Naturalerfüllung eingeführt wurde, stellte sich die weitere Frage nach seinem Vorrang vor einem Geldanspruch bzw. nach etwaigen Übergangstatbeständen und ihrer näheren Ausgestaltung. Im Hinblick auf den europaweit uneinheitlichen rechtsvergleichenden Befund und die unterschiedlichen Regelungstraditionen in Europa 2 überrascht es nicht, dass auch hier intensiv um Kompromisse gerungen wurde. Ein Beispiel hierfür bildet die Kompromissregelung in Art. 28 CISG, die bereits oben dargestellt wurde.3 Im Anschluss an die Analyse der Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung im deutschen Privatrecht ist daher nun abschließend zu untersuchen, wie dieser Grundsatz in europäischen und internationalen Regelwerken umgesetzt wird bzw. werden soll. Hierzu werden ausgewählte Prinzipien untersucht, die in den vergangenen mehr als 20 Jahren als Entwürfe für die Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Vertragsrechts vorgeschlagen wurden. Einbezogen werden die Grundregeln für ein Europäisches Privatrecht der sog. Lando- Gruppe aus den Jahren 2002 (Teile I und II) und 2005 (Teil III) (Principles of European Contract Law – PECL),4 die UNIDROIT-Grundregeln für inter1 Überblick bei Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 32013, § 2 Rn. 1 ff., 10 ff.; Zimmermann, EuZW 2009, 319 ff.; ders., öJBl 2012, 2–22, 5 ff. 2 S. oben § 2 (S. 64 ff.). 3 S. oben § 8.I.1 (S. 450). 4 Veröffentlicht in O. Lando/Beale, Principles of European contract law (Parts I and II), 2000 bzw. O. Lando/Clive/Prüm u.a., Principles of European contract law (Part III), 2003; deutsche Übersetzung in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertrags-
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nationale Handelsverträge in der aktuellen Fassung aus dem Jahr 2010 (Prin ciples of International Commercial Contracts – PICC),5 der Entwurf der Study Group on a European Civil Code u.a. eines Gemeinsamen Referenzrahmens für ein Europäisches Privatrecht (Draft Common Frame of Reference – DCFR),6 die Grundregeln des bestehenden Vertragsrechts der Europäischen Gemeinschaft der sog. Acquis-Gruppe (Acquis Principles – ACQP)7 sowie der Entwurf einer Verordnung über das Gemeinsame Europäische Kaufrecht in der Fassung der EU-Kommission vom 11. Oktober 2011 (GEK-E)8, in der vom European Law Institute vom 7. September 2012 (GEK-ELI)9 und in der des Draft Report des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments10. Diese Regelwerke, die alle (teilweise: noch) nicht den Status hoheitlicher Rechtsnormen haben, sollen im Folgenden im Hinblick auf die Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung untersucht und bewertet werden. Diese Analyse wird in Vorschläge für die zukünftige Gestaltung eines europäischen Vertragsrechts münden. Die Gliederung folgt dabei den einzelnen Sachfragen, die bereits im vorangegangenen Teil zum Maßstab der Analyse des deutschen Rechts gemacht wurden. Aus Raumgründen und wegen der teilweise nur sehr rudimentären bzw. z.T. inexistenten Regelung des Schadens-, Rücktrittsfolgenund Bereicherungsrechts konzentriert sich die nachfolgende Untersuchung auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht für vertragliche Ansprüche.
rechts (Teile I und II), 2002 bzw. von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teil III), 2005. 5 Veröffentlicht z.B. in Uniform Law Review 2011, 735 ff. sowie mit Commentaries in UNIDROIT, UNIDROIT principles of international commercial contracts 2010, 32010; deutsche Übersetzung des Textes: UNIDROIT, Grundregeln für internationale Handelsverträge, 2010 (http://www.unidroit.org/english/principles/contracts/principles2010/trans lations/blackletter2010-german.pdf) (geprüft am 1.12.2014). 6 Abgedruckt z.B. in Study Group on a European Civil Code, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR), 2009. 7 Abgedruckt z.B. in ZEuP 2012, 377 ff. 8 Dokument KOM(2011) 635 endg. 9 European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013. 10 Rechtsausschuss des EP, Draft Report on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on a Common European Sales Law (Dok. 2011/0284(COD)), 18.2.2013 (http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/juri/dv/927/ 927290/927290en.pdf) (geprüft am 1.12.2014).
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Europäischen Privatrecht
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I. Die Pflicht zur und der Anspruch auf Naturalerfüllung 1. Naturalerfüllungspflicht des Schuldners Bereits oben wurde herausgearbeitet, dass eine Naturalerfüllungspflicht des Schuldners als gedachtes Sollen und Maßstab für die Erfüllung allen Rechtsordnungen immanent ist.11 Der Schuldner kann also zunächst nur die Naturalleistung erfüllungstauglich anbieten, und erbringt er die Naturalerfüllung nicht, so liegt eine Pflichtverletzung bzw. Nichterfüllung vor. Das gilt auch für die Vorschläge für europäische und internationale Regelwerke: Zwar enthalten weder die PECL, die PICC, der DCFR noch die ACQP eine explizite Regelung über die Erfüllungswirkung der Naturalleistung. Aus dem einheitlichen Terminus der Nichterfüllung (non-performance) als Grundbegriff des Leistungsstörungsrechts in Art. 8:101 Abs. 1 PECL (bzw. Art. III.-3:101 DCFR, Art. 7.1.1 PICC, Art. 8:101 ACQP, Art. 87 Abs. 1 GEK-E) folgt aber, dass die Nichterbringung der geschuldeten Leistung die Sekundärrechte des Gläubigers auslöst – und damit die fehlende Naturalleistung. Ausdrücklich ergibt sich das aus dem Kommentar zu Art. 9:102 PECL: „Die benachteiligte Partei hat nicht nur ein selbständiges Recht, die Leistung der anderen Partei, wie im Vertrag vereinbart, zu verlangen.“12 Gleiches gilt für den GEK-E, der die Nichterfüllung in Art. 87 Abs. 1 GEK-E ausführlicher definiert und dort ausdrücklich „die Nichtlieferung oder verspätete Lieferung der Waren“ ebenso wie „die Lieferung nicht vertragsgemäßer Waren“ als Nichterfüllung definiert, und in Art. 2 lit. y GEK-VO-E die „Verpflichtung“ ausdrücklich bestimmt als „Pflicht zu leisten“.13 Die Acquis Principles sehen immerhin in Art. 7:101 Abs. 1 ACQP nach Auffassung ihrer Verfasser14 eine „duty to perform“ des Schuldners vor, also eine primäre Leistungspflicht. Das Sollen des Schuldners ist daher in allen untersuchten Regelwerken auf die Naturalleistung gerichtet.15 Damit besteht in allen Beispielen eine vorrangige Pflicht des Schuldners zur Naturalleistung – verstanden als reines Sollen, ohne dass damit zwingend ein korrespondierendes subjektives Gläubigerrecht verbunden wäre. 11
S. oben § 4.I.1 (S. 219).
12 Vgl. von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und
II), 2002, S. 477; ebenso Comment zu Art. III.-3:302 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Prin ciples, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 829. 13 S. dazu auch Schmidt-Kessel/Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 87 GEK-E Rn. 2, 4. 14 Vgl. Aubert de Vincelles/Machnikowski/Pisuli´nski u.a., in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 7:101 Rn. 2 ff. 15 Vgl. auch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 714 f.
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2. Anspruch auf Naturalerfüllung (specific performance) Wesentlich differenzierter fällt das Bild hinsichtlich des Anspruches des Gläubigers auf die Naturalleistung (specific performance) aus. Hier gewähren die untersuchten Regelwerke keinesfalls einheitlich einen primären Erfüllungsanspruch.
a) Die Regelung in den PECL, PICC, ACQP, im DCFR und im GEK-E Art. 7.2.2 PICC und Art. 9:102 Abs. 1 PECL (sowie darauf aufbauend Art. III.3:302 DCFR, Art. 8:202 ACQP16 und Art. 110 Abs. 1 GEK-E) sehen im Grundsatz einen Anspruch des Gläubigers auf Naturalerfüllung vor. Dieser soll ausweislich des eindeutigen Wortlauts wie auch des Kommentars in den PECL17 insofern zwingend ausgestaltet sein, als er nicht im Ermessen des Gerichts steht.18 Darin liegt eine erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des common law,19 wonach der Anspruch auf specific performance u.a. von der discretion des Gerichts abhängt. 20 Allerdings stellt diese Regelung insofern einen Kompromiss zwischen den kontinentalen und den angelsächsischen Grundsätzen dar, als der Anspruch auf specific performance keineswegs uneingeschränkt gewährt wird. Vielmehr unterliegt er einer Reihe von Einschränkungen, die ihrerseits häufig von unbestimmten Tatbestandsmerkmalen abhängen, so dass deren Anwendung dem Gericht letztlich doch eine Art Ermessensspielraum gewähren, ob ein Anspruch auf Naturalerfüllung möglich sein soll oder nicht. 21
16 Die ACQP enthalten nur eine sog. „grey letter rule“, d.h. eine wörtliche Übernahme der PECL ohne spezifische Basis im acquis communautaire, weil die Acquis Group der Auffassung war, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte im geltenden Unionsrecht für einen Erfüllungsanspruch (s. zur Genese Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, 22009, S. 195, 201 f.); vgl. aber auch U. Magnus, ZEuP 2007, 260, 270 f. 17 Vgl. von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 479. 18 Freilich ist die Regelung insgesamt dispositiv, so dass die Vertragsparteien davon abweichen können, vgl. U. Huber, ZEuP 2008, 708, 714. 19 Vgl. auch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 714 ff.; MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 623; de Vries, ERPL 17 (2009), 581, 594 ff. sowie EU-Kommission, A Common Sales Law for Europe: Factsheet for United Kingdom, 2011 (http://ec.europa.eu/justice/contract/files/com mon_sales_law/sales_law_uk_en.pdf), S. 2 (geprüft am 1.12.2014). 20 S. oben § 2.VI.2.c)bb) (S. 131 ff.). 21 S. Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 75. U. Huber, ZEuP 2008, 708, 744 sieht in den Einschränkungen des Erfüllungsanspruches sogar dessen „vom praktischen Effekt her gesehen, weitgehende Aufhebung“.
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Europäischen Privatrecht
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aa) Der Ausschluss des Erfüllungsanspruches bei „entschuldigter Nichterfüllung“ Insbesondere sticht heraus, dass der Anspruch auf Naturalerfüllung anders als in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen nicht ohne besondere Voraussetzungen gewährt wird. 22 Vielmehr ist nach Art. 8:101 Abs. 2 PECL (parallel Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR 23 und Art. 106 Abs. 4 GEK-E, allerdings nicht in die ACQP übernommen) nicht nur der Schadensersatzanspruch, sondern auch der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist. Als Entschuldigung fungiert in diesem Zusammenhang ausschließlich ein Leistungshindernis infolge höherer Gewalt (Art. 8:108 PECL, Art. 88 Abs. 1 GEK-E, Art. III.-3:104 DCFR). Gleiches ist nach Art. 7.1.7 Abs. 4 PICC anzunehmen, weil im Falle der höheren Gewalt alle Rechte des Gläubigers mit Ausnahme der Vertragsaufhebung, des Zurückbehaltungsrechts und der Zinsen ausgeschlossen sein sollen – mithin offensichtlich auch der Erfüllungsanspruch. 24 Zweck und Herkunft 25 dieser Einschränkung sind unklar:26 Die in den Kommentaren herangezogenen Beispiele betreffen jeweils Fälle der – zumindest vorübergehenden – Unmöglichkeit, 27 in denen der Erfüllungsanspruch aber bereits nach Art. 9:102 Abs. 2 PECL (Art. 7.2.2 lit. (a) PICC, Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR, Art. 110 Abs. 3 lit. (a) GEK-E) ausgeschlossen ist. Insoweit bewirkt der Ausschluss über Art. 8:101 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR, 7.1.7 Abs. 4 PICC bzw. Art. 106 Abs. 4 GEK-E lediglich eine Doppelung der Ausschlussregelung. 28 Diese Doppelung ist aber nicht nur unnötig und verwirrend, 29 sondern auch sachlich unzutreffend: So passt sie etwa nicht im Falle ei22
S. dazu oben § 4.IV.1.b) (S. 245 f.).
23 Vgl. Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 71, 90 f. 24 Vgl.
Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 7, 13 m. Fn. 57. Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 8 besteht dieser Ausschlusstatbestand in keiner Rechtsordnung in vergleichbarer Weise. 26 Krit. daher auch M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 771; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 761 f.; Schopper, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (Hrsg.), Am Vorabend eines gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, 2012, S. 107, 130; Zöchling-Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?, 2012, S. 327, 338. 27 So auch Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 9; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 88 Rn. 13; s. Kommentar A zu Art. 8:101 PECL in von Bar/ Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 459, wonach dieser Artikel Fälle betrifft, in denen die Leistungserbringung „unmöglich geworden ist“; jede Form der spezifischen Erfüllung sei schon „per definitionem“ unmöglich (Kommentar D ebd., S. 461). 28 S. aber auch Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, 2008, S. 175 ff., die einen Vorrang der Haftungsbefreiung nach Art. 8:101 Abs. 2 PECL vor der Unmöglichkeitsregel des Art. 9:102 Abs. 2 PECL annimmt, letztere Vorschrift also nur auf nicht entschuldigte Leistungsstörungen anwendet. 29 Vgl. etwa Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 76; ähnlich auch S. Lorenz, JbItalR 21 (2009), S. 43, 50. 25 Nach
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
ner Schlechtleistung, die auf höherer Gewalt beruht. Ist etwa ein als Einzelstück verkauftes elektronisches Gerät mangelhaft, weil es beim Verkäufer vor der Übergabe einen Blitzschlag erlitten hatte, so ist teleologisch nicht zu rechtfertigen, warum der Verkäufer nicht verpflichtet sein sollte, dieses Gerät nunmehr als Nacherfüllung zu reparieren, sofern das möglich ist. Genau das schließen die Art. 7.1.7 (4) PICC, Art. 8:101 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:104 DCFR, Art. 106 Abs. 4 GEK-E indessen aus.30 Für ein zukünftiges Europäisches Privatrecht ist daher dringend anzuraten, im Falle einer nicht zu vertretenden Leistungsstörung lediglich die Schadensersatzhaftung, nicht aber den Erfüllungsanspruch auszuschließen. Der Ausschluss des Erfüllungsanspruches in den von den Kommentaren zitierten Fällen lässt sich ohne weiteres zielgenau über den Unmöglichkeitseinwand bewirken, ohne die unnötige Regelung in Art. 7.1.7 (4) PICC, Art. 8:101 Abs. 2 PECL, III.-3:104 DCFR, 106 Abs. 1 GEK-E. Das entspricht der Vorbildregelung des Art. 79 Abs. 5 CISG, die ebenfalls lediglich den Schadensersatz, nicht aber den Erfüllungsanspruch ausschließt.31 Die Abweichung hiervon in den PECL, PICC, im DCFR und im GEK-E ist unverständlich und sachlich nicht gerechtfertigt und sollte keinesfalls als „Toolbox“ für weitere europäische oder internationale Rechtsetzungsprojekte genutzt werden.32 Es ist daher zustimmungswürdig, dass auch das European Law Institute und der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments den Ausschluss des Erfüllungsanspruches bei entschuldigter Nichterfüllung wieder aus dem GEK verbannen möchten:33 Art. 128 GEK-ELI und Art. 106 Abs. 4 des Entwurfs nach dem Draft Report des Rechtsausschusses34 sehen keine entsprechende Einschränkung mehr vor. Sollte die
30 Vgl. auch Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 14; a.A. dagegen Faust, in: Schulte-Nölke/ Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 265 f., wonach der Verkäufer bei behebbaren Mängeln ab der Mängelanzeige für den Mangel verantwortlich sein soll, weil er ihn ab jetzt beseitigen könnte; damit würde der Ausschlusstatbestand nur vorübergehend für die Zeit zwischen Lieferung und Mängelanzeige wirken. 31 S. auch Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 9. 32 Jedenfalls für eine Klarstellung auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 267; zum DCFR auch Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 71, 91. 33 Vgl. European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013, S. 277 f. (Anm. (5) zu Art. 128): „[T]here is simply no justification for excluding specific performance where non-performance is excused.“ 34 Rechtsausschuss des EP, Draft Report on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on a Common European Sales Law (Dok. 2011/0284(COD)), 18.2.2013 (http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/juri/dv/927/ 927290/927290en.pdf), S. 77 (Amendment 144) (geprüft am 1.12.2014) unter Berufung auf die ansonsten eintretende Reduktion des Verbraucherschutzniveaus.
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Europäischen Privatrecht
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Regelung beibehalten werden, ist jedenfalls dem Vorschlag von Zöchling-Jud zu folgen, sie nicht anzuwenden, wenn die Erfüllung noch möglich ist.35
bb) Der Vorrang des Deckungsgeschäfts in PECL und PICC Die Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL, 7.2.2 lit. (c) PICC sehen einen Vorrang des Deckungsgeschäfts vor der Naturalleistung durch den Schuldner vor: Nach dieser Regelung ist der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Gläubiger „die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann.“ Diese Regelung, die ersichtlich vom adequacy-Test des common law36 inspiriert ist,37 erlegt dem Gläubiger zwangsläufig die „weichen“ Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts auf, die er im Falle einer Leistung durch den Schuldner nicht aufwenden müsste.38 Die Regelung steht also im diametralen Gegensatz zu einer interessengerechten Lösung.39 Im Kommentar zu dieser Regelung wird als Beispiel ein leistungsunwilliger Verkäufer genannt, der gegenüber dem Erfüllungsverlangen des Käufers einwendet, dieser möge sich die Kaufsache anderweitig beschaffen.40 Dieses Beispiel wirkt indessen zum einen reichlich lebensfremd, weil kaum nachvollziehbar ist, warum ein Verkäufer den Käufer auf einen Konkurrenten verweisen sollte, zumal er im Wege des Schadensersatzes verpflichtet wäre, dessen Preis (und damit dessen Gewinn) zu bezahlen, obwohl er in der Regel selbst in der Lage sein dürfte, sich günstiger selbst einzudecken. Rational scheint das Verkäuferverhalten nur auf der Grundlage der Hoffnung, dass er den Schadensersatz nicht wird leisten müssen, wie dies in der Praxis offenbar häufig der Fall ist.41 Zum anderen erscheint die Lösung aber auch nicht interessengerecht, weil die Anreize zur Vermeidung eines ineffizienten Vertragsbruches seitens des Schuldners nur dann richtig gesetzt werden, wenn dieser selbst die Transaktionskosten des Deckungsgeschäfts zu tragen hat. Warum sollte der leistungsunwillige Verkäufer die Sache nicht selbst bei der Konkurrenz erwerben und an den Käufer liefern lassen? Für den Käufer sind damit 35 Vgl. Zöchling-Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 106 Rn. 12 ff. 36 S. dazu oben § 2.VI.2.c)aa) (S. 129 ff.). 37 Vgl. Anmerkung 3 (e) zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 486 sowie Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 187 f.; de Vries, in: Smits/D. Haas/Hesen (Hrsg.), Specific Performance in Contract Law, 2008, S. 327, 333 f.; Beale, in: Blaurock/G. Hager (Hrsg.), Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S. 115, 119. 38 Vgl. auch Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 111. 39 Krit. auch van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 610 f.; zust. dagegen Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 187 f. 40 Kommentar H zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 481 f.; das Fallbeispiel basiert auf der Entscheidung Cohen v. Roche, (1927) 1 KB 169. 41 Vgl. Beale/Dugdale, 2 Brit. J. L. Soc. 45, 57 f. (1975).
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
keine zusätzlichen Unannehmlichkeiten verbunden, weil diese der Verkäufer tragen muss, der den zusätzlichen Aufwand durch seine Pflichtverletzung verursacht hat. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, dem Gläubiger auch im Falle eines leicht verfügbaren Deckungsgeschäfts zumindest ein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Schadensersatz zuzusprechen,42 wenn der Erfüllungsanspruch nicht ohnehin mit einem Vorrang ausgestaltet werden sollte. Die Regelung der Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL, 7.2.2 lit.(c) PICC hat daher mit Recht nicht als Vorbild eines künftigen Europäischen Privatrechts gedient. Schon in Art. 8:202 Abs. 4 ACQP findet sie sich nur noch in der abgeschwächten Form, dass der Nichterfüllungsschaden insoweit nicht ersatzfähig ist, als er darauf beruht, dass der Gläubiger „in unangemessener Weise auf Erfüllung in solchen Umständen bestanden hat, in denen der Gläubiger ein angemessenes Deckungsgeschäft ohne nennenswerte Anstrengungen oder Kosten hätte vornehmen können.“ Hierbei handelt es sich lediglich um eine Konkretisierung der allgemeinen Prinzipien des mitwirkenden Verschuldens bzw. der Schadensminderungsobliegenheit, die als solche unbedenklich ist, zumal das Erfordernis der „unangemessenen Weise“ genug Raum für eine Interpretation lässt, die dem Interesse des Gläubigers an der naturalen Vertragsdurchführung gerecht wird. In Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR findet sich sodann gar keine ausdrückliche Regelung eines Vorrangs des Deckungsgeschäfts mehr,43 weil sie auch rechtsvergleichend außerhalb des common law nicht anzutreffen ist.44 Der Kommentar zu dieser Vorschrift erwähnt die einfache Verfügbarkeit eines Deckungsgeschäfts allerdings als einen Fall, in welchem die Naturalerfüllung gem. Art. III.3:302 Abs. 2 lit. (b) DCFR wegen unvernünftiger Kosten verweigert werden könne, wenn der Schuldner zugleich die Schadensersatzzahlung anbietet.45 Als „Kompensation“ für diesen Wegfall46 ist dem Artikel allerdings ein Absatz 5 angefügt worden, wonach der Schadensersatz insoweit ausgeschlossen ist, 42 So Mak, Performance-Oriented Remedies, 2009, S. 112; die Regelung der PECL verteidigt dagegen Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 187 f. 43 Interessanterweise findet sich eine vergleichbare Einschränkung des Rechts auf die naturale Durchführung des Vertrags aufseiten des Geldleistungsgläubigers in Art. III.-3:301 Abs. 2 lit. (a) DCFR: Dieser darf nicht auf der Geldleistung bestehen (und damit auch nicht seine Gegenleistung anbieten), wenn er vernünftigerweise ein Deckungsgeschäft (z.B. einen Deckungsverkauf) hätte vornehmen können; zu Recht krit. hierzu Leible, in: R. Schulze/ von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 97, 99 f.; zustimmend dagegen Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 80 f. 44 Vgl. Kommentar Nr. 31 zu Art. III.-3:302 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 841. 45 Kommentar F mit Illustration 4 zu Art. III.-3:302 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 831; s. dazu auch Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 78. 46 So die Einordnung von van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 612.
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als er darauf beruht, dass der Gläubiger „unvernünftigerweise“ (unreasonably) auf Naturalerfüllung bestanden hat, obwohl ihm ein Deckungsgeschäft ohne nennenswerten Aufwand (without significant effort or expense) möglich gewesen wäre. Auch diese Regelung setzt – nicht wesentlich anders als Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL – den Gläubiger der gestörten Leistung einer erheblichen Unsicherheit über die spätere Bewertung des Aufwands für ein Deckungsgeschäft aus, die ihn von der Geltendmachung des Erfüllungsanspruches in ineffizienter Weise abhalten kann. Zu dieser Unsicherheit tragen die gewählten unbestimmten Rechtsbegriffe (unreasonably, reasonable substitute transaction, significant expense) erheblich bei.47 Zudem bleibt auch bei dieser Lösung unerklärt, warum der Aufwand für das Deckungsgeschäft vom Gläubiger getragen werden sollte, wo es doch der Schuldner ist, der seine Leistungspflicht nicht erfüllt hat. Umgekehrt mutet sie dem Gläubiger zu, auf den Schadensersatz zu wechseln, ohne vorhersehen zu können, ob der Schuldner zu dessen Leistung überhaupt bereit und in der Lage ist.48 Dass die Regelungen Spekulationen des Gläubigers auf Kosten des Schuldners verhindern sollen,49 genügt nicht zu ihrer Rechtfertigung. Denn zum einen können solche Spekulationen auch durch andere Regelungsmodelle verhindert werden,50 und zum anderen kann der Schuldner die Spekulation durch eine Erfüllung des Anspruches in Natur ohne weiteres jederzeit gegenstandslos machen. Eine Lösung über das schadensmindernde Mitverschulden des Gläubigers und ggf. eine Obliegenheit zum Hinweis auf ein evtl. erhöhten Schaden scheinen hier völlig ausreichend.51 Es ist daher zustimmungswürdig, dass sich in Art. 110 Abs. 3 GEK-E weder die Einschränkung des Erfüllungsanspruches aus den PECL noch die Einschränkung des Schadensersatzes aus dem DCFR wiederfinden.52 Vielmehr kann der Käufer nach diesem Entwurf den Erfüllungsanspruch auch dann uneingeschränkt geltend machen, wenn ein Deckungsgeschäft möglich ist. Auch das ELI und der Rechtsausschuss des EP möchten daran nichts ändern. 47 Krit. hierzu auch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 722; van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 612. 48 Zu Recht schlägt Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 79 daher vor, die Einwendung des Schuldners von seiner Bereitschaft zur Schadensersatzleistung abhängig zu machen. 49 Vgl. etwa Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 78. 50 S. als Beispiel U. Huber, ZEuP 2008, 708, 733 f. 51 S. auch den Vorschlag von U. Huber, ZEuP 2008, 708, 733 f., den abstrakten Schadensersatz statt der Leistung nur anhand der Kosten eines Deckungsgeschäfts zum letztmöglichen Leistungszeitpunkt zu bemessen und für andere Schäden nur die konkrete Schadensermittlung zuzulassen; hierdurch würden viele praktische Probleme der Regelung im DCFR vermieden. 52 Der erste Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie enthielt keine Regelung über den Vorrang der Erfüllung bei Nichtleistung, sondern lediglich über den Vorrang der Nacherfüllung bei Schlechtleistung (Art. 26 Abs. 2–4 VRRL-E; s. dazu unten § 9.I.4.b)dd) (S. 486 ff.)).
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cc) Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Erfüllungsanspruches Sowohl nach Art. 9:102 Abs. 3 PECL als auch nach Art. 7.2.2 lit. (e) PICC und Art. III.-3:302 Abs. 4 DCFR ist der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn er nicht innerhalb einer angemessenen Zeit geltend gemacht wird, nachdem der Gläubiger von der Nichterfüllung erfahren hat bzw. hätte erfahren müssen. Zweck und Herkunft der Regelung sind nicht eindeutig. Vergleichbare Regelungen existieren im englischen common law, was angesichts der grundsätzlichen Skepsis gegenüber der specific performance nicht überraschend ist. Im Übrigen verweisen die Anmerkungen zu den PECL auf das finnische, schwedische und dänische Kaufrecht, sowie auf Art. 46 Ab. 2 CISG.53 Als Anwendungsfall erwähnt der Kommentar der PECL nur den Fall, dass eine Lieferung aus dem Warenbestand des Schuldners erfolgen muss, wo eine kurze Frist „angemessen“ sein sollte.54 Das erscheint allerdings nicht nachvollziehbar: Entweder der Warenbestand ist erschöpft, dann liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor, so dass der Erfüllungsanspruch ohnehin nach Art. 9:102 Abs. 2 lit. (a) PECL ausgeschlossen ist. Oder der Warenbestand ist noch nicht erschöpft, dann ist kein Grund ersichtlich, den Schuldner vor dem Naturalerfüllungsbegehren zu schützen. Ein berechtigtes Anliegen der Einschränkung liegt sicherlich darin, die Dispositionsfreiheit des Schuldners wieder zu etablieren und für ihn Rechtssicherheit wiederherzustellen, nachdem eine „angemessene Zeit“ verstrichen ist. Dafür spricht auch die Parallelvorschrift in Art. 9:303 Abs. 2 PECL (Art. 7.3.2 Abs. 2 PICC, III.-3:508 DCFR), die auch den Rücktritt ausschließt, wenn eine angemessene Zeit seit Kenntnis bzw. Kennenmüssen von der Leistungsstörung verstrichen ist. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum die Frist nicht ab dem Leistungsversuch des Schuldners laufen soll, sondern ab dem – für den Schuldner nicht erkennbaren – Zeitpunkt der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Leistungsstörung durch den Gläubiger. Zudem ist das Zusammenspiel dieser „angemessenen Zeit“, die dem Käufer für die (gerichtliche?) Geltendmachung des Nacherfüllungsanspruches bleibt, mit dem Heilungsrecht des Verkäufers aus Art. 8:104 PECL (Art. 7.1.4 PICC bzw. Art. III.-3:201 ff. DCFR) äußerst unklar.55 Denn auch das Heilungsrecht kann nur innerhalb einer „angemessenen Zeit“ ausgeübt werden und suspendiert während dieser Zeit sämtliche Rechtsbehelfe des Käufers – einschließlich des Nacherfüllungsanspruches.56 53 Anmerkung 4 zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 486. 54 Kommentar I zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 482. 55 Krit. auch Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 149. 56 S. dazu unten § 9.I.4.b) (S. 482 ff.).
§ 9. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Europäischen Privatrecht
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Zwar kann das ius variandi des Käufers die Interessen des Verkäufers in der Tat erheblich beeinträchtigen, weil er sich in mehrfacher Hinsicht leistungsbereit halten muss, solange nicht klar ist, ob der Käufer Nacherfüllung, Minderung oder Rückabwicklung wählt. Diese Unsicherheit kann gesetzgeberisch allerdings besser dadurch beseitigt werden, dass dem Verkäufer allgemein das Recht eingeräumt wird, dem Käufer nach Zugang einer Mängelrüge eine Frist zur Ausübung eines seiner Rechte zu setzen. Zudem ist zweifelhaft, ob der Verkäufer einer mangelhaften Sache dieses Schutzes überhaupt bedarf, zumal er in den hier allein interessierenden Fällen behebbarer Mängel über ein Heilungsrecht verfügt, durch dessen Ausübung er sämtliche Mängelrechte des Käufers zunächst suspendieren und nach erfolgreicher Heilung tatbestandlich beseitigen kann.57 Es ist daher zu begrüßen, dass Art. 8:202 ACQP58 und Art. 110 GEK-E keine entsprechende Einschränkung des Erfüllungsanspruches vorsehen.59
b) Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie Im ersten Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie (VRRL-E)60 war unklar, ob dem Käufer ein durchsetzbarer Anspruch auf Lieferung der Kaufsache zustehen sollte: Art. 22 I VRRL-E sah zwar eine Lieferpflicht des Verkäufers innerhalb von 30 Tagen nach Vertragsabschluss vor. Als Rechtsfolge für den Fall, dass der Verkäufer seiner Lieferpflicht nicht nachgekommen ist, bestimmte Art. 22 II VRRL-E jedoch nur einen Anspruch des Käufers auf Rückerstattung aller von ihm geleisteten Zahlungen binnen sieben Tagen, aber keinen Anspruch auf Lieferung. Unklar war dabei, ob diese – vollharmonisierende! – Regelung abschließend gemeint war, so dass die Mitgliedstaaten darüber hinaus keinen Anspruch auf Lieferung einführen durften.61 Da der Richtlinien-Entwurf aber offenbar zahlreiche Einzelfragen nicht selbst regeln, sondern den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen überlassen sollte,62 ist davon auszugehen, dass auch mit dieser 57
S. dazu noch unten § 9.I.4.b) (S. 482 ff.). In die Acquis Principles wurde diese Einschränkung ausdrücklich nicht aus den PECL übernommen, weil sie keine Basis im acquis hatte, vgl. Machnikowski/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:202 Rn. 2 a.E. 59 Dieser Regelung zustimmend dagegen Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 79. 60 EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM(2008) 614 endg., abgedruckt z.B. in Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, Anhang A (S. 209 ff.). 61 Vgl. dazu Jud, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 119, 124; Effer-Uhe/Watson, GPR 2009, 7, 14; Gsell, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 219, 222 f. 62 Vgl. zum Gewährleistungsrecht die Antwort der Kommissarin Kuneva bei der Anhörung vor dem Europäischen Parlament am 4. Mai 2009, 2009 (http://www.europarl. europa.eu/sides/getDoc.do?type=CRE&reference=20090504&secondRef=ITEM-024& 58
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
Regelung ein nach mitgliedstaatlichem Recht bestehender Anspruch auf Lieferung in Natur nicht ausgeschlossen werden sollte. Vielmehr sollte den Verbrauchern lediglich ein zusätzlicher Rechtsbehelf für den Fall der Nichtlieferung gewährt werden.63 Angesichts der hiermit verbundenen Unklarheiten über die Reichweite der angestrebten Vollharmonisierung64 war es sicherlich im Interesse der Rechtssicherheit, dass die Kommission in der endgültigen Fassung der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) auf eine Regelung zum Erfüllungsanspruch des Verkäufers ebenso wie zu sonstigen leistungsstörungsrechtlichen Fragen ganz verzichtet hat.
3. Der Anspruch auf Nacherfüllung Alle hier behandelten Regelungsentwürfe sehen zusätzlich zum allgemeinen Anspruch auf Naturalerfüllung auch einen Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung für den Fall vor, dass der Verkäufer die Kaufsache mangelhaft geliefert hat (Art. 9:102 Abs. 1 PECL; Art. 7.2.3 PICC; Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR; Art. 8:202 ACQP; Art. 26 VRRL-E; Art. 110 Abs. 2 GEK-E). Regelmäßig wird der Nacherfüllungsanspruch im Rahmen des allgemeinen Erfüllungsanspruches geregelt und damit dogmatisch als dessen besondere Ausprägung für den Fall der mangelhaften Leistung eingeordnet. Insoweit besteht kein Unterschied zum deutschen Recht und zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Das Recht des Käufers auf Nacherfüllung besteht in diesen Entwürfen – nach dem Vorbild des Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – jeweils aus den beiden Varianten Nachbesserung (Reparatur) und Nachlieferung (Ersatzlieferung). Anders als nach Art. 46 Abs. 2 CISG steht der Anspruch auf Ersatzlieferung in den hier behandelten Regelwerken nicht unter dem Vorbehalt, dass die Vertragswidrigkeit eine wesentliche Vertragsverletzung (bzw. wesentliche Nichterfüllung) darstellt. Das Wahlrecht zwischen den beiden Varianten der Nacherfüllung ist unterschiedlich verteilt: Die PECL, PICC, ACQP und der DCFR sehen insoweit gar keine Regelung vor, so dass der Käufer lediglich Anspruch auf Beseitigung des Mangels hat, während es dem Verkäufer obliegt, hierfür ein angemessenes Mittel auszuwählen.65 Die Berücksichtigung der Interessen des Käufers dürfte über den Grundsatz von Treu und Glauben zu gelanguage=DE) (geprüft am 1.12.2014), wonach die Horizontalrichtlinie die nationalen kaufrechtlichen Regelungen wie die garantie des vices cachés oder das right to reject unberührt lasse. 63 Vgl. zum Ganzen auch Zoll, in: Howells/R. Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 279, 284, 285 f. 64 Vgl. dazu auch Riehm, in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 83, 97 ff.; Gsell, ebd., S. 219, 230 ff. 65 Vgl. U. Huber, ZEuP 2008, 708, 719 f.; Kommentar zu Art. IV.A.-4:201 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 1341.
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währleisten sein. Interessanterweise sehen nicht einmal die Acquis Principles eine Regelung des Wahlrechts vor, obwohl dieses in Art. 3 VerbrGKRL enthalten ist und damit zweifellos zum gesicherten Bestand des acquis communautaire zählt. Das mag allerdings daran liegen, dass der gegenwärtig veröffentlichte Stand der Acquis Principles noch kein umfassendes Kaufrecht enthält, sondern nur einige rudimentäre Regelungen in Art. 7:B-01 f. ACQP. Auch der DCFR, der einige Sonderregelungen zum Verbraucherkauf vorsieht, enthält keine Vorschriften über das Wahlrecht in diesem Fall. Demgegenüber führte erstmals der Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie in Art. 26 VRRL-E eine explizite Regelung des Wahlrechts zwischen den Nacherfüllungsalternativen ein, das gem. Art. 26 Abs. 2 VRRL-E – abweichend von Art. 3 Abs. 3 VerbrGKRL – dem Verkäufer zustehen sollte. Umgekehrt sieht nunmehr allerdings Art. 111 GEK-E ein grundsätzliches Wahlrecht des Verbraucher-Käufers vor, das den aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entlehnten Einschränkungen der Unmöglichkeit und Unverhältnismäßigkeit unterliegt (Art. 111 Abs. 2 GEK-E). Hinsichtlich des Wahlrechts bei einem Unternehmer-Käufer enthält der GEK-E – insoweit wie PECL, PICC, DCFR und ACQP – keine explizite Regelung, so dass es im Grundsatz ebenfalls bei dem Wahlrecht des Verkäufers als Schuldner der Nacherfüllungspflicht bleibt.66 Gegen das Wahlrecht des Verbraucher-Käufers in Art. 111 GEK-E haben weder das ELI (vgl. Art. 132 GEK-ELI) noch der Rechtsausschuss des EP Bedenken angemeldet. Diese Abkehr von dem Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie ist zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 VerbrGKRL verständlich; die Interessenlage der Parteien hätte aber eher für die entgegengesetzte Lösung gesprochen.67 Es wäre daher wünschenswert, wenn zukünftige Entwürfe wieder auf die sinnvolle Regelung eines Verkäuferwahlrechts aus Art. 26 Abs. 2 VRRL-E zurückgreifen würden, wie sie mit gutem Grund auch in den PECL, in den PICC, in den ACQP und im DCFR enthalten ist. 66 Vgl. S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 763 f.; Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 269; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 111 Rn. 1; Zöchling-Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 111 Rn. 2; für eine Begrenzung des Verkäufer-Wahlrechts in Anlehnung an die Grenzen des Heilungsrechts gem. Art. 109 GEK-E MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 629. 67 So auch Jud, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 119, 129; Effer-Uhe/Watson, GPR 2009, 7, 14; Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 150; Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 258 f. sowie oben § 4. III.3.b) (S. 233 ff.); krit. hinsichtlich der Unternehmerbeteiligung dagegen Twigg-Flesner, in: Howells/R. Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 147, 159 f.; auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 764, der für die Ungleichbehandlung des Unternehmer-Käufers keinen rechtpolitischen Grund sieht.
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4. Der Vorrang des Erfüllungsanspruches Sehen danach die hier behandelten Regelwerken jeweils einen durchsetzbaren Anspruch auf Erfüllung bzw. auf Nacherfüllung vor, so stellt sich die weitere Frage nach seinem Verhältnis zu anderen Rechtsfolgen der Nichterfüllung, d.h. zum Rücktritt und im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung vor allem zum Ersatz des Erfüllungsinteresses in Geld.
a) Vorrang des Erfüllungsanspruches Der Erfüllungsanspruch – oben „sekundärer Erfüllungsanspruch“ für den Fall der Nichtleistung bei Fälligkeit genannt – ist in den hier behandelten Regelwerken allerdings nicht vorrangig ausgestaltet.
aa) Freies Wahlrecht des Gläubigers zwischen den Rechtsbehelfen mit Ausnahme der Vertragsaufhebung Nach Art. 8:101 PECL kann der Gläubiger im Falle einer Nichterfüllung grundsätzlich zwischen allen „Rechtsbehelfen“ des Kapitels 9 frei wählen, d.h. zwischen Naturalerfüllung (Art. 9:102 PECL), Vertragsaufhebung (Art. 9:301 PECL) und Schadensersatz wegen Nichterfüllung (Art. 9:501 PECL). Entsprechende Regelungen finden sich in Art. 7.2.2 PICC, Art. III.-3:101 Abs. 1 DCFR, sowie in Art. 106 Abs. 1 GEK-E. Die Acquis Principles enthalten zwar keine explizite vergleichbare Regelung, gewähren aber in Art. 8:401 ACQP einen Schadensersatzanspruch für alle Fälle der Nichterfüllung, ohne dass ein Vorbehalt zugunsten der Naturalerfüllung gem. Art. 8:202 ACQP gemacht wird. Da ein solcher Vorbehalt bei der Vertragsbeendigung in Art. 8:301 Abs. 1 ACQP gemacht wird, kann im Umkehrschluss hieraus geschlossen werden, dass der Anspruch auf Schadensersatz ebenfalls grundsätzlich gleichrangig mit dem Erfüllungsanspruch besteht. Lediglich das Rücktrittsrecht ist gem. Art. 8:301 Abs. 1 lit. (b) ACQP durch das Erfordernis eingeschränkt, dass der Schuldner die Erfüllung bzw. Nacherfüllung „nicht innerhalb angemessener Frist“ erbracht hat. Eine entsprechende Regelung für den Schadensersatz besteht aber nicht. Die Wahlfreiheit des Gläubigers zwischen diesen Rechtsbehelfen ist nach dem Wortlaut der Regelwerke nur zulasten der Vertragsaufhebung eingeschränkt: Diese ist nur bei wesentlicher Nichterfüllung ohne Fristsetzung möglich (Art. 9:301 Abs. 1 PECL bzw. Art. 7.3.1 PICC), bei unwesentlicher Nichterfüllung dagegen nur nach Fristsetzung (Art. 9:301 Abs. 2 i.V.m. Art. 8:106 Abs. 3 PECL bzw. Art. 7.3.1 Abs. 3 PICC, Art. III.-3:502 f. DCFR). Für die Frage, ob die Nichterfüllung „wesentlich“ ist, kann auf die zu Art. 25 CISG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach liegt Wesentlichkeit bei einer bloßen Leistungsverzögerung zum einen dann vor, wenn die Leistungszeit von besonderer Bedeutung ist („time is of the essence“), also etwa – aber nicht nur
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– bei Fixgeschäften.68 Zum anderen liegt auch im Fall der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung Wesentlichkeit vor.69 In der Gesamtschau unterscheiden sich die unter dem Gesichtspunkt der „Wesentlichkeit“ behandelten Fallgruppen nicht von denjenigen, in denen auch nach deutschem Recht eine Nachfristsetzung entbehrlich ist (vgl. §§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2; 282, 324; 283, 326 Abs. 5 BGB).70 In etwas anderer Weise gewährt Art. 8:301 Abs. 1 ACQP die Möglichkeit der Vertragsaufhebung nur unter der Voraussetzung, dass entweder der Gläubiger keinen Erfüllungsanspruch aus Art. 8:201 ACQP hat, oder der Schuldner die Naturalerfüllung nicht binnen angemessener Frist erbracht hat. Diese Regelung ist ersichtlich aus Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und Art. 4 Abs. 7 UAbs. 2 der Pauschalreiserichtlinie abgeleitet71 und sichert ebenfalls den Vorrang der Naturalerfüllung gegenüber der Aufhebung. Über diese Regelungen hinaus ist das Recht zur Vertragsaufhebung auch dann eingeschränkt, wenn der Gläubiger dem Schuldner freiwillig eine Nachfrist für die Naturalerfüllung nach Art. 8:106 Abs. 1 PECL (bzw. Art. 7.1.5 PICC, Art. III.-3:103 DCFR) gesetzt hat. In diesem Fall ist er an diese Wahl während der laufenden Frist gebunden – ebenso wie im deutschen Recht gem. § 242 BGB72. Anders als der missverständliche Wortlaut des Art. 8:106 Abs. 2 S. 1 PECL (Art. 7.1.5 Abs. 2 S. 1 PICC, Art. III.-3:103 Abs. 2 DCFR) vermuten lässt, kann der Gläubiger während des Fristlaufs Schadensersatz nur „neben der Leistung“ (nach deutschem Verständnis) verlangen, nicht „statt der Leistung“. Das ergibt sich eindeutig aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dem Schuldner während der Nachfrist die naturale Erfüllungsmöglichkeit zu erhalten, und auch aus den Kommentaren zu dieser Vorschrift.73 Die Lesbarkeit der Regelwerke würde aber gewinnen, wenn diese Unterscheidung zwischen den Schadenskategorien transparent gemacht würde, wie dies in ähnlichem Zusammenhang etwa in Art. 109 Abs. 7 GEK-E geschehen ist.74
68 Vgl. MünchKomm-BGB/Gruber, Art. 25 CISG Rn. 21; Kommentar zu Art. 8:104 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 445. 69 Vgl. etwa Schiedsgericht Hamburger freundschaftliche Arbitrage NJW-RR 1999, 780,782; MünchKomm-BGB/Gruber, Art. 25 CISG Rn. 20 m.w.N. 70 Vgl. hierzu eingehend oben § 5.III (S. 307 ff.). 71 Vgl. Pisuli´nski/Zoll/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:301 Rn. 1. 72 S. oben § 5.II.3.a) (S. 286 ff.). 73 Vgl. Beispiel 1 in Kommentar A. zu Art. 8:106 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 451 f. 74 Vgl. dazu noch unten § 9.III.4 (S. 523 f.).
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bb) Abhängigkeit des Schadensersatzes statt der Leistung von den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung Ihrem Wortlaut nach betreffen die soeben erörterten Einschränkungen nur die Aufhebung des Vertrags, nicht aber die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung. Insoweit sehen die PECL lediglich in Art. 9:506 f. besondere Regelungen über Deckungsgeschäfte vor (ebenso Art. 7.4.5 f. PICC, Art. III.3:706 f. DCFR, Art. 164 f. GEK-E, jeweils nach dem Vorbild der Art. 75 f. CISG75): Danach kann der Gläubiger im Falle der Nichtleistung und anschließenden Vertragsaufhebung zum einen die Differenz zwischen den Kosten eines konkreten angemessenen Deckungsgeschäfts und dem Vertragspreis verlangen (Art. 9:506 PECL bzw. Art. 7.4.5 PICC, Art. III.-3:706 DCFR, Art. 164 GEK-E), zum anderen ohne Abschluss eines konkreten Deckungsgeschäfts die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem Vertragspreis (abstrakte Schadensberechnung, Art. 9:507 PECL bzw. Art. 7.4.6 PICC, Art. III.-3:707 DCFR, Art. 165 GEK-E). Diese Schadensberechnung entspricht der Differenzmethode des deutschen Rechts. Nachdem die Differenzmethode sachlich einer Vertragsaufhebung gleichkommt,76 ist es zutreffend, dass die genannten Regelwerke ihre Anwendung von einer wirksamen Aufhebung des Vertrags, und damit von deren Voraussetzungen abhängig machen.77 Das wird auch zur Vorbildregelung im CISG von einer in der Literatur stark vertretenen Auffassung postuliert.78 Dadurch setzt sich der in Bezug auf die Vertragsaufhebung geltende Vorrang der Naturalerfüllung jedenfalls gegenüber der Schadensberechnung nach der Differenzmethode durch.79 Daraus sollte auch für die den Art. 75 f. CISG nachgebildeten Vorschriften in PECL, PICC, DCFR und GEK-E allgemein gefolgert werden, dass die schadensrechtliche Anerkennung eines Deckungsgeschäfts – und damit die Gewährung von Schadensersatz statt der Leistung nach deutschem Verständnis – nach diesen Regelwerken stets von einer Vertragsaufhebung abhängen soll.80 Zwar könnte man aus der Systematik der genannten Regelwerke, insbesondere dem grundsätzlichen freien Wahlrecht des Gläubigers zwischen den Rechtsbehelfen, auch das Recht ableiten, den Schadensersatz wegen Nichterfüllung ohne be75
Vgl. dazu bereits oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.). S. dazu oben § 5.VII.4 (S. 401 ff.). 77 So auch Offermanns, Methoden der Schadensbemessung in internationalen Regelungswerken, 2011, S. 29 f., 235. 78 Vgl. etwa MünchKomm-BGB/P. Huber, 2012, Art. 74 CISG Rn. 9 ff.; Schlechtriem/ Schwenzer/Müller-Chen, Art. 45 Rn. 27; eingehend zur Problematik Schlechtriem, FS Georgiades, 2006, S. 383 ff.; P. Huber/Bach, FS Bergsten, 2011, S. 585 ff. 79 So zum DCFR auch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 725. 80 So auch Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 193 (zu den PECL); T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 46 ff.; U. Huber, ZEuP 2008, 708, 725, 731 (zum DCFR); M.-P. Weller/ Harms, GPR 2012, 298, 302 f. (zum GEK). 76
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sondere Voraussetzungen geltend zu machen. Die Vorschriften der Art. 9:506 f. PECL (bzw. Art. 7.4.5 f. PICC, Art. 164 f. GEK-E) wären dann lediglich Beweisregeln zum erleichterten Nachweis des Differenzschadens im Falle eines Deckungsgeschäfts,81 keine materiellen Einschränkungen des Schadensersatzes. Aus den schon oben zum CISG erörterten Erwägungen ist diese Interpretation jedoch abzulehnen, weil sie das Naturalleistungsinteresse des Schuldners nicht hinreichend berücksichtigt.82 Liegen die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung nicht vor, so sollte der Gläubiger daher trotz des grundsätzlichen Wahlrechts aus Art. 8:101 PECL (Art. 7.2.2 PICC, Art. III.-3:101 Abs. 1 DCFR, 106 GEK-E) keinen Schadensersatz statt der „ganzen“ Leistung geltend machen dürfen, der im wirtschaftlichen Ergebnis zu vergleichbaren Konsequenzen wie die Vertragsaufhebung führt. Damit besteht faktisch kein freies Wahlrecht des Gläubigers, sondern ein Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches. Freilich wäre es wünschenswert, wenn diese Rechtslage in zukünftigen Regelwerken klargestellt würde.83 Das würde allerdings voraussetzen, dass die Regelwerke den Schadensersatz statt der Leistung als besondere Kategorie definieren, denn nur auf diesen würden sich dann auch die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung beziehen. Einen gewissen Ansatz für diese Differenzierung enthalten die Art. 8:106 Abs. 2 S. 1 PECL, Art. III.-3:204 Abs. 3 DCFR, Art. 7.1.4. Abs. 5 PICC und Art. 109 Abs. 7 GEK-E, die jeweils zumindest die Kategorien des Schadensersatzes wegen Verzögerung der Leistung und des sonstigen Schadensersatzes erwähnen.
cc) Das Recht zur „Nachleistung“ in den PICC Eine erhebliche Einschränkung erfährt das freie Wahlrecht des Gläubigers zwischen Erfüllung und anderen Rechtsbehelfen in den PICC durch das Recht des Schuldners zur Nachleistung gem. Art. 7.1.4 PICC: Danach kann der Schuldner jede Nichterfüllung durch Nachleistung heilen, wenn er die „Nachleistung“ unverzüglich anzeigt und die vorgesehene Weise und den geplanten zeitlichen Ablauf mitteilt, die Nachleistung umgehend vorgenommen wird, die Nachleistung geeignet ist und (v.a.) der Käufer kein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der Nachleistung hat. Das ist sogar noch nach einer Aufhebungserklärung (Rücktritt) des Gläubigers möglich (Art. 7.1.4 Abs. 2 PICC). Während der vom Verkäufer bestimmten „angemessenen“ Frist für die Nachleistung sind die Rechte des Käufers (mit Ausnahme des Zurückbehaltungsrechts und des 81 So wohl Možina, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 160 Rn. 8. Hierfür sprächen auch die Artikelüberschriften in den PICC („Beweis des Schadens im Falle eines Deckungsgeschäftes“). 82 S. oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.). 83 So auch Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 193.
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Verzugsschadens) gem. Art. 7.1.4 Abs. 3–5 PICC suspendiert. Damit kann der Schuldner aus eigener Initiative den Gläubiger faktisch zwingen, die Naturalleistung anzunehmen, sofern die Voraussetzungen des Art. 7.1.4 Abs. 1 PICC erfüllt sind. Er erhält dadurch in denjenigen Fällen, in denen die präzise Leistungszeit nicht von wesentlicher Bedeutung für den Vertrag ist,84 eine zusätzliche Frist zur Vertragserfüllung. Diese Regelung dient der Aufrechterhaltung des Vertrags und soll wirtschaftliche Verschwendung durch eigentlich unnötige Vertragsauflösungen minimieren.85 Sachlich liegt es auf der gleichen Linie wie die oben behandelte Abhängigkeit des Schadensersatzes statt der Leistung von den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung.86 Hierin liegt eine unmissverständliche Entscheidung zugunsten eines Vorranges der Naturalerfüllung vor dem Schadensersatz und anderen Rechtsbehelfen. Dieser ist technisch allerdings recht kompliziert umgesetzt: So ist bereits nicht sichergestellt, dass der Schuldner von seiner eigenen Nichterfüllung erfährt, weil die PICC weder ein Mahnungserfordernis noch eine Rügeobliegenheit bei Sachmängeln kennen. Dadurch sind beide Vertragsparteien in einer misslichen Situation:87 Der Gläubiger kann zunächst zwar zwischen allen Rechtsbehelfen (einschließlich Aufhebung und Schadensersatz) frei wählen. Sobald der Schuldner aber von seiner Nichterfüllung Kenntnis erlangt (etwa durch das Schadensersatzverlangen oder die Aufhebungserklärung des Gläubigers), kann er „unverzüglich“ die Nachleistung anbieten, die der Gläubiger dann grundsätzlich auch annehmen muss, so dass seine bereits ausgeübten Sekundärrechtsbehelfe (Aufhebung oder Schadensersatz) wieder wegfallen. Das gilt sogar dann, wenn der Käufer sich im Falle einer mangelhaften Leistung bereits zwischen Nachbesserung und Nachlieferung entschieden hat: Auch hier kann der Verkäufer im Rahmen seines Nachleistungsangebots noch dem Käufer das andere Mittel aufzwingen, solange auch dieses „nach den Umständen geeignet“ i.S.v. Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (b) ist.88 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Anforderungen des Art. 7.1.4 Abs. 1 PICC erfüllt sind, die eine ganze Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe enthalten: Die Nachleistung muss „nach den Umständen geeignet“ sein, der Gläubiger darf „kein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung“ haben, und die Nachleistung muss „umgehend“ vorgenommen werden. Was „umgehend“ 84 Bei wesentlicher Bedeutung der Leistungszeit für den Vertrag ist die Nachleistung nicht „geeignet“ i.S.v. Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (b) PICC, vgl. Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.1.4 Rn. 11. 85 S. Kommentar 1 zu Art. 7.1.4 PICC in UNIDROIT, UNIDROIT principles of international commercial contracts 2010, 32010, S. 227; s. auch van der Mersch/Philippe, in: Fontaine/ Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 701, 742. 86 S. oben § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.). 87 Krit. daher auch Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.1.4 Rn. 22. 88 So Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.1.4 Rn. 13.
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bedeutet, ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln.89 Ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, kann endgültig erst ex post im Prozess geklärt werden. Besteht der Schuldner auf Naturalerfüllung, der Gläubiger aber auf Schadensersatz, so kommt es zu einer unbefriedigenden Schwebelage. Das wird durch Art. 7.2.2 lit. (c) PICC verschärft, wonach der Gläubiger den Erfüllungsanspruch nicht geltend machen kann, wenn er die Leistung vernünftigerweise aus anderer Quelle erhalten kann.90 In diesen Fällen kann der Gläubiger keine Naturalerfüllung verlangen (sondern nur Schadensersatz), der Schuldner sie ihm aber im Wege der Nachleistung aufdrängen und dadurch den Schadensersatzanspruch wieder in Wegfall bringen. Für den Gläubiger besteht dadurch keine Planungssicherheit, so dass etwa unklar ist, ob er ein Deckungsgeschäft vornehmen kann oder nicht. Die Mitteilungspflichten des Schuldners nach Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (a) PICC erscheinen nur als schwacher Trost, weil für den Gläubiger gleichwohl unklar ist, ob der Schuldner seine Versprechen (dieses Mal) halten wird, ihm aber letztlich die Hände gebunden werden, aus eigener Initiative vorzugehen. Unklar ist im Übrigen, wie sich das Nachleistungsrecht nach Art. 7.1.4 PICC, bei welchem der Schuldner die benötigte Nachleistungsfrist in den Grenzen des Begriffs „umgehend“ bestimmt, zur Nachfrist nach Art. 7.1.5 PICC verhält, welche der Gläubiger setzt. Nach der Fassung des Art. 7.1.4 Abs. 3 PICC, wonach alle Rechte des Gläubigers während der Nachleistungsfrist ausgesetzt sind, ist davon auszugehen, dass das Nachleistungsrecht nach Art. 7.1.4 PICC und damit die vom Schuldner bestimmte Frist vorrangig maßgeblich sein soll. Das ist vor allem deswegen ungünstig, weil die Angemessenheit der Nachfrist maßgeblich vom Leistungsinteresse des Gläubigers und dessen Zeitbezogenheit abhängt. Dieses ist aber nur dem Gläubiger bekannt, und es ist gerade ein zentraler Vorteil der Fristsetzungslösung des deutschen Rechts (und damit auch der nach Art. 7.1.5 PICC), dass diese Information anlässlich der Fristsetzung des Gläubigers kommuniziert wird und den Parteien Rechtssicherheit verschafft. Ob die vom Schuldner angebotene Frist zur Nachleistung unter Berücksichtigung auch der Interessen des Gläubigers „umgehend“ i.S.v. Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (b) PICC ist, und der Gläubiger kein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der Nachleistung hatte, lässt sich dagegen erst ex post im Prozess klären – und damit zu spät.91 Es wäre daher zu wünschen, dass die Vorschriften über Nachleistung und Nachfrist nach Art. 7.1.4 und 7.1.5 PICC zusammengefasst und besser aufeinander abgestimmt werden, um eine einheitliche Fristsetzung durch den Gläubi89 Vgl. etwa Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.1.4 Rn. 21. 90 S. dazu noch unten § 9.I.2.a)bb) (S. 469 ff.). 91 Vgl. auch Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.1.5 Rn. 1.
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ger zu ermöglichen. Die Fristsetzungslösung des deutschen Rechts, verbunden mit Ausnahmeregelungen, die sachlich denen des Art. 7.1.4 PICC entsprechen (vgl. §§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB), scheint hier in der praktischen Anwendung deutlich überlegen zu sein.92
b) Der Vorrang des Nacherfüllungsanspruches („Heilungsrecht des Verkäufers“) Im Hinblick auf den Vorrang des Nacherfüllungsanspruches ist die Lage wesentlich deutlicher als beim primären Erfüllungsanspruch: Ausgehend vom Regelungsmodell der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und des CISG hat sich in den internationalen Regelwerken in der Regel die Auffassung eines – im Detail unterschiedlich gestalteten – Vorrangs des Nacherfüllungsanspruches durchgesetzt. Meist wird in den neueren Regelungsentwürfen der Vorrang des Nacherfüllungsanspruches nicht nur dadurch zum Ausdruck gebracht, dass andere Rechtsbehelfe zusätzlichen Voraussetzungen unterliegen (insbesondere dem Ablauf einer Frist zur Nacherfüllung), sondern in expliziten Regelungen über die „Heilung“ (cure) der Nichterfüllung durch den Schuldner (s. Art. 8:104 PECL bzw. Art. III.-3:201 ff. DCFR; Art. 109 GEK-E; dagegen übersetzt Art. 7.1.4 PICC cure mit „Nachleistung“). Lediglich die Acquis Principles enthalten keine Vorschrift über die Heilung einer mangelhaften Leistung durch den Schuldner, sondern nur den Nacherfüllungsanspruch des Gläubigers (Art. 8:202 Abs. 2 ACQP), weil für ein selbständiges Heilungsrecht des Schuldners keine Basis im acquis communautaire besteht. Dafür ist der Vorrang der Nacherfüllung gegenüber der Rückabwicklung – nicht aber gegenüber dem Schadensersatz – hier auf andere Weise gesichert (vgl. Art. 8:301 Abs. 1 ACQP).93
aa) Das Heilungsrecht in Art. 8:104 PECL Die PECL sehen ein Heilungsrecht des Schuldners für den Fall vor, dass er die Leistung mangelhaft erbringt und der Gläubiger sie aus diesem Grund zurückweist. Hier gestattet Art. 8:104 PECL dem Schuldner, ein neues, vertragsgerechtes Angebot zu machen, das der Gläubiger konsequenterweise annehmen muss. Dieser kann dann keine weiteren Rechtsbehelfe ergreifen, insbesondere nicht auf den Schadensersatz umschwenken. Allerdings setzt diese Heilungsmöglichkeit des Käufers voraus, dass entweder die Leistung noch nicht fällig ist – der Schuldner den mangelhaften Leistungsversuch also vor Fälligkeit erbracht hat –, oder dass die Verzögerung nicht derart ist, dass sie eine wesentliche Nichterfüllung darstellt.
92 93
So auch P. Huber, RabelsZ 71 (2007), 13, 32 f. zum entsprechenden Problem im CISG. S. dazu oben § 9.I.4.a)aa) (S. 476 f.).
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Die erste Variante hat keine allzu große dogmatische Bedeutung, weil sich ihre Regelungsaussage im wesentlichen darauf beschränkt, dass der Gläubiger sich wegen eines vorzeitigen mangelhaften Erfüllungsversuchs nicht auf einen antizipierten Vertragsbruch des Schuldners berufen darf. Im Übrigen entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Schuldrechts, dass vor Eintritt der Fälligkeit ohnehin noch keine relevante Pflichtverletzung eintreten kann. Bedeutsamer ist die zweite Variante, wonach der Schuldner auch nach Fälligkeit noch zur Heilung berechtigt ist, wenn die Verzögerung unterhalb der Schwelle einer wesentlichen Vertragsverletzung bleibt. Die Schwelle der wesentlichen Verletzung ist nach Auffassung des Kommentars94 zum einen dann erreicht, wenn der Lieferzeitpunkt nach dem Vertrag wesentlich ist – insbesondere, aber offenbar nicht nur bei Vereinbarung eines Fixgeschäfts –, und zum anderen, wenn der Gläubiger dem Schuldner eine (freiwillige) Nachfrist nach Art. 8:106 PECL gesetzt hat und diese fruchtlos abgelaufen ist.95 Im praktischen Ergebnis ist das formal bestehende freie Wahlrecht des Gläubigers zwischen den verschiedenen Rechtsbehelfen (Art. 8:101 Abs. 1 PECL) im Falle einer mangelhaften Leistung erheblich eingeschränkt, weil jede Wahl des Gläubigers stets unter dem Vorbehalt steht, dass der Schuldner nicht doch noch die Heilung nach Art. 8:106 PECL anbietet. Rechtssicher kann er nur auf den Schadensersatz übergehen, wenn entweder ein Fixgeschäft (o.ä.) vereinbart wurde oder er eine Frist nach Art. 8:106 PECL gesetzt hat, sowie in den Fällen des Art. 9:102 Abs. 2 PECL, in denen von vornherein kein Anspruch auf Nacherfüllung besteht, weil diese unmöglich, rechtswidrig oder mit unangemessenen Anstrengungen verbunden wäre, es sich um einen Anspruch auf eine persönliche Dienstleistung handelt, oder der Gläubiger die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann. Die letztgenannte Einschränkung, die einen Vorrang des Deckungsgeschäfts vor der Naturalerfüllung festlegt,96 gilt auch für die Nacherfüllung. Dadurch wird allerdings zweifelhaft, wie der Käufer einer mangelhaften Sache hier verfahren soll, wenn die Reparatur oder Ersatzlieferung – wie meist – bei Dritten möglich ist: Einerseits schneidet ihm Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL den Anspruch auf Nacherfüllung ab, so dass er sich nicht an den Verkäufer wenden darf, sondern er die Sache bei dem Dritten reparieren lassen muss. Gleichzeitig steht sein Schadensersatzanspruch aber unter dem Vorbehalt der Heilungsmöglichkeit des Verkäufers aus Art. 8:104 PECL, so dass der Verkäufer durch ein Reparatur- oder Austauschangebot den Schadensersatzanspruch des Käufers jederzeit zu Fall bringen kann. Problematisch ist das vor allem dann, wenn das 94 Vgl. Kommentar zu Art. 8:104 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 445. 95 Zu der Vorbildregelung im CISG wird das allerdings nicht immer so gesehen, vgl. etwa P. Huber, RabelsZ 71 (2007), 13, 33. 96 Vgl. dazu soeben § 9.I.2.a)bb) (S. 469 ff.).
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Angebot der Heilung zu einem Zeitpunkt kommt, in welchem die Reparatur durch einen Dritten zwar noch nicht abgeschlossen ist, aber der Käufer gleichwohl schon Kosten hierfür aufgewandt hat. Eine interessengerechte Lösung wird man hier nur dann finden können, wenn man dem Käufer ungeachtet des Heilungsangebots jedenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz für die ex ante erforderlich erscheinenden Aufwendungen zur versuchten Mängelbeseitigung aus Art. 9:501 ff. PECL gewährt. Will er sich auf dieses Risiko nicht einlassen, kann der Käufer dem Verkäufer eine Frist nach Art. 8:106 PECL setzen; nach deren Ablauf erlischt das Heilungsrecht des Verkäufers, weil die Nichterfüllung dann wesentlich ist. Diese Möglichkeit ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus dem Text der PECL, sondern nur aus den Kommentaren,97 während die Beschränkung der Rücktrittsmöglichkeit des Art. 8:106 Abs. 3 PECL auf die Leistungsverzögerung98 eher dagegen spricht. Insoweit waren die PECL in gesetzgebungstechnischer Hinsicht unbefriedigend.
bb) Das Nachleistungsrecht in Art. 7.1.4 PICC Das Recht des Schuldners zur „Nachleistung“ nach Art. 7.1.4 PICC ist bereits im Zusammenhang mit der „reinen“ Nichterfüllung eingehend dargestellt worden.99 Der terminologische Unterschied („Nachleistung“ in den PICC gegenüber „Heilung“ in allen anderen Regelwerken) ist lediglich der deutschen Übersetzung geschuldet; in den englischen Originalversionen wird jeweils der identische Begriff „cure“ verwendet, so dass mit der terminologischen Abweichung kein inhaltlicher Unterschied verbunden ist. Inhaltlich sticht im Vergleich zu den PECL hervor, dass das Heilungsrecht nach Art. 7.1.4 PICC nicht nur bei der Schlechterfüllung, sondern bei „jeder Nichterfüllung“ besteht. Es bewirkt damit nicht nur einen Vorrang der Nacherfüllung, sondern einen Vorrang jeglicher Naturalerfüllung. Eine Besonderheit im Hinblick auf die Nacherfüllung bei mangelhafter Leistung liegt darin, dass die Fristsetzungsmöglichkeit des Art. 7.1.5 PICC hier dem Käufer kein Aufhebungsrecht bei Fristversäumung ermöglicht (Art. 7.1.5 Abs. 3 PICC). Insoweit bleibt es bei der allgemeinen Regelung, dass eine Vertragsaufhebung grundsätzlich nur möglich ist, wenn der Mangel eine wesentliche Nichterfüllung begründet (Art. 7.3.1 PICC). Die oben geäußerte inhaltliche Kritik an der mangelnden Abstimmung des Nachleistungsrechts mit den übrigen Regelungen zum Vorrang der Naturalerfüllung gilt gleichermaßen auch für die regelungstechnische Umsetzung des 97 Kommentar zu Art. 8:104 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 445. 98 Vgl. Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 261; Kommentar C zu Art. 8:106 in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 453. 99 S. oben § 9.I.4.a)cc) (S. 479 ff.).
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Vorrangs der Nacherfüllung mit Hilfe des Nachleistungsrechts. Besonders misslich ist, dass – wie bei den Art. 75 f. CISG – ungeregelt ist, ob die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung auch für die Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung gelten.100 Außerdem ist die Artikulation zwischen Heilungsrecht aus Art. 7.1.4 PICC und freiwilliger Nachfristsetzung gem. Art. 7.1.5 PICC unklar und praktisch wie teleologisch unbefriedigend gelöst.101 Schließlich kommt als praktisches Problem hinzu, dass die PICC keine Rügeobliegenheit des Käufers bei Sachmängeln kennen, so dass der Verkäufer nicht gewissermaßen „automatisch“ an die Informationen gelangt, die er für eine „umgehende“ Ausübung (Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (d) PICC) des Heilungsrechts benötigt. In einer zukünftigen Version der PICC sollte daher dringend eine Neuregelung dieses Komplexes dahingehend angestrebt werden, dass Heilungsrecht und freiwillige Nachfristsetzung zu einem einheitlichen Fristsetzungserfordernis verschmolzen werden, die dann sowohl der Vertragsaufhebung als auch dem Schadensersatz statt der Leistung – zumindest dem „großen“ Schadensersatz – vorgeschaltet wird. Auf diese Weise können die erforderlichen Informationen über den Mangel ebenso ans Licht befördert werden wie über die Dringlichkeit der Leistung für den Käufer.
cc) Die Regelung in den Acquis Principles Die Acquis Principles orientieren sich hinsichtlich des Rücktritts am Fristen-Modell der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.102 Ein explizites Heilungsrecht des Schuldners sehen die Acquis Principles nicht vor; für eine zukünftige Fassung wird aber offenbar darüber nachgedacht.103 Vielmehr ist ein Rücktritt gem. Art. 8:301 Abs. 1 ACQP nur möglich, wenn der Schuldner die Erfüllung bzw. Nacherfüllung nicht innerhalb angemessener Frist erbracht hat. Wie nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch ist es nicht erforderlich, dass der Gläubiger dem Schuldner die Frist zur Erfüllung bzw. Nacherfüllung gesetzt hat. Sie läuft objektiv, ohne dass explizit geregelt wäre, ab welchem Zeitpunkt; gemeint ist offenbar der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner Kenntnis von seiner Nichterfüllung erlangt.104 Ein unmittelbarer Rücktritt ist nach Art. 8:301 Abs. 2 ACQP möglich, wenn dem Gläubiger „ein Festhalten am Vertrag vernünftigerweise nicht zugemutet werden kann.“ Hierin liegt ein knapper Verweis auf 100 S.
oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.) zum CISG sowie § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.) zu den übrigen Regelwerken. 101 S. oben § 9.I.4.a)cc) (S. 479 ff.). 102 Vgl. Pisuli n ´ ski/Zoll/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:301 Rn. 1. 103 Vgl. Pisuli n ´ ski/Zoll/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:301 Rn. 15. 104 Vgl. Pisuli n ´ ski/Zoll/Szpunar, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:301 Rn. 24.
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die Gründe, nach denen auch im deutschen Recht die Fristsetzung gem. § 323 Abs. 2 BGB entbehrlich ist. Diese Einschränkungen gelten aber ausdrücklich nur für den Rücktritt. Schadensersatz kann demgegenüber gem. Art. 8:401 ACQP stets ohne weitere Voraussetzungen in jedem Fall der Nichterfüllung verlangt werden.105 Insoweit besteht also keinerlei Vorrang der Naturalerfüllung. Dies ist zum einen teleologisch wegen der – hier vertretenen – grundsätzlichen Vorzugswürdigkeit des Vorrangs der Nacherfüllung unbefriedigend. Zum anderen scheint diese Wertungsentscheidung aber auch nicht zwingend aus dem acquis hervorzugehen. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist insoweit zwar unmittelbar unergiebig, weil sie selbst keine Schadensersatzansprüche regelt. Allerdings müsste der Vorrang der Nacherfüllung, der in ihrem Art. 3 im Hinblick auf den Rücktritt festgelegt ist, konsequenterweise zumindest für die Schadensberechnung nach der Differenzmethode und für den „großen“ Schadensersatz statt der ganzen Leistung ebenso gelten, weil diese dem Rücktritt wirtschaftlich entsprechen. Der mit dem Erfordernis einer angemessenen Nacherfüllungsfrist in Art. 3 VerbrGKRL bezweckte Grundsatz der Vertragserhaltung106 muss daher auch hier greifen. Gleiches gilt für die Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG, die ebenfalls als Vorbild der Regelung in den Acquis Principles gedient hat, und die in ihrem Art. 4 Abs. 7 den Reiseveranstalter im Falle eines Reisemangels ebenfalls vorrangig zur (naturalen) Mängelbeseitigung und nur nachrangig zur monetären Entschädigung des Reisenden verpflichtet. Auch die innere Logik der Acquis Principles spricht daher dafür, auch gegenüber dem Schadensersatz einen Vorrang der Naturalerfüllung anzunehmen. Hierfür wäre das Fristsetzungserfordernis des Art. 8:301 Abs. 1 ACQP auf den Schadensersatz statt der Leistung auszudehnen. Der passende Regelungsort hierfür wäre ein neuer Absatz des Art. 8:401 ACQP.
dd) Fristsetzung und Heilungsrecht im DCFR Der DCFR enthält in Art. III.-3:503 Abs. 1 die generelle Möglichkeit, im Falle einer verspäteten Leistung dem Schuldner eine Frist zur Erfüllung zu setzen, und nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist vom Vertrag zurückzutreten. Ob diese Regelung allerdings auch auf Schlechtleistungen anwendbar ist, ist unklar.107 Dafür spricht, dass Art. III.-3:503 DCFR schlicht von einer vertraglichen Verpflichtung („contractual obligation“) ausgeht, worunter auch die Nacherfüllungspflicht aus Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR verstanden werden kann. Dagegen spricht aber zunächst, dass Art. III.-3:503 DCFR ausdrücklich 105 Vgl.
U. Magnus, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:401 Rn. 9. S. nur Grundmann/Bianca/Bianca, Art. 3 Rn. 55. 107 Vgl. dazu eingehend Faust, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 19, 24 ff. 106
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nur von „delay in performance“ ausgeht, die Schlechtleistung also ausschließt. In systematischer Hinsicht ist die Regelung in Art. IV.A.-4:201 DCFR zu beachten, die (nur) für den Verbraucherkauf die Regelungen der Art. III.-3:501 ff. DCFR über die Vertragsbeendigung auf mangelhafte Leistungen für anwendbar erklärt: Diese Vorschrift wäre gegenstandslos, wenn die Beendigungsregeln ohnehin auf Schlechtleistungen anzuwenden wären. Auch die Herkunft des Art. III.-3:503 DCFR aus Art. 8:106 PECL, der definitiv nicht auf Schlechtleistungen, sondern nur auf „reine“ Nichtleistungen Anwendung findet, spricht gegen seine Anwendung auf die Nicht-Nacherfüllung. Daher dürfte jedenfalls nach der Intention der Verfasser des DCFR im Falle einer mangelhaften Leistung keine Möglichkeit zur Fristsetzung mit anschließendem Rücktritt (und konsequenterweise Schadensersatz statt der ganzen Leistung) bestehen,108 sofern es sich nicht um einen Verbraucherkauf handelt (s. dazu Art. IV.A.-4:201 DCFR). An die Stelle dieses Fristsetzungsmodells treten die Regelungen über das Heilungsrecht in den Art. III.-3:201 bis III.-3:205 DCFR, die im Ausgangspunkt auf Art. 8:104 PECL beruhen.109 Allerdings sind die Regelungen des DCFR zum einen detaillierter ausgestaltet, und zum anderen auch inhaltlich verändert. Für das Kaufrecht werden sie zudem durch Art. IV.A.-2:203 DCFR präzisiert. Nach Art. 8:104 PECL war die Heilung immer dann möglich, wenn die Verzögerung keine wesentliche Nichterfüllung darstellt (so Art. 8:104 PECL). Nach Art. III.-3:202 Abs. 2 DCFR ist die Heilung nur dann möglich, wenn der Schuldner sie in angemessener Zeit auf seine Kosten anbietet, unmittelbar nachdem ihm die Nichterfüllung angezeigt wurde. Im DCFR trifft immerhin den unternehmerischen Gläubiger – anders als nach den PICC – auch eine Obliegenheit, dem Schuldner einen Mangel anzuzeigen (vgl. Art. III.-3:107 DCFR sowie speziell für das Kaufrecht Art. IV.A.-4:301 ff. DCFR),110 so dass er das Heilungsrecht nicht durch die schlichte Nichtanzeige des Mangels unterlaufen kann.111 Auch der Verbraucher-Käufer kann auf sämtliche Rechtsbehelfe gem. Art. III.-3:204 Abs. 1 DCFR erst zurückgreifen, wenn er dem Verkäufer die Gelegenheit zur Heilung gegeben hat.112
108 So auch Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 154 f.; U. Huber, ZEuP 2008, 708, 726. 109 Oben § 9.I.4.b)aa) (S. 482 ff.). 110 Vgl. dazu Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 145 ff. 111 Vgl. zu diesem Problem in den PICC oben § 9.I.4.b)bb) (S. 484 f.). 112 So auch Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 151 f.; anders offenbar Beale, in: Blaurock/G. Hager (Hrsg.), Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S. 115, 142 f.
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Das Heilungsrecht ist nach Art. III.-3:203 DCFR ausgeschlossen, wenn bereits die anfängliche Störung eine wesentliche Nichterfüllung darstellt; wenn der Gläubiger Anlass hat davon auszugehen, dass die Schlechtleistung in Kenntnis des Schuldners und entgegen den Geboten von Treu und Glauben erfolgte; wenn der Gläubiger Anlass zu der Befürchtung hat, der Schuldner werde die Heilung nicht in angemessener Zeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten erbringen; oder schließlich wenn sie „nach den Umständen unpassend“ (inappropriate) wäre. Diese Ausnahmetatbestände dürften in der Sache den im deutschen Recht zu § 323 Abs. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 2 BGB entwickelten Kriterien entsprechen. Das Heilungsrecht des Schuldners schließt sämtliche Rechtsbehelfe des Gläubigers mit Ausnahme des Zurückbehaltungsrechts aus (Art. III.-3:204 Abs. 1 DCFR). Damit schließt sein Bestehen unzweifelhaft auch den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung aus, so dass es einen grundsätzlichen Vorrang der Nacherfüllung gegenüber einer Geldzahlung bewirkt.113 Eingeschränkt ist dieser Vorrang nur durch das Erfordernis, dass der Schuldner die Heilung aus eigener Initiative anbieten muss, um die übrigen Rechtsbehelfe des Gläubigers auszuschließen.114 Da aber der Regelungsmechanismus des DCFR sicherstellt, dass der Schuldner von der Mangelhaftigkeit erfährt, dürfte ein solches Angebot die Regel sein und mithin den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz regelmäßig verhindern. Die Regelung des DCFR trifft im Ergebnis die gleiche Kritik wie die PECL:115 So zustimmungswürdig es ist, den Vorrang der Naturalerfüllung vor der Vertragsaufhebung und auch vor dem Schadensersatz statt der Leistung zu sichern,116 so unpraktikabel ist die Regelung in einem eigenständigen „Heilungsrecht“ des Schuldners ohne hinreichende Koordination mit der vom Gläubiger gesetzten Frist nach Art. III.-3:103 DCFR,117 und mit den verschiedenen „angemessenen“ Fristen für die Information des Schuldners über den Mangel und sein Heilungsangebot.118 Das gilt insbesondere für die Regelungen in Art. III.-3:203 DCFR darüber, wann der Gläubiger dem Schuldner die Mög113 Vgl. auch Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 157. 114 Aus diesem Grund leugnet Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 193 f. einen Vorrang der Nacherfüllung; s. auch ders., in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 85. 115 Vgl. soeben § 9.I.4.b)aa) (S. 482 ff.). 116 Insoweit krit. Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 196. 117 S. dazu krit. auch Faust, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 19, 32. 118 Krit. insoweit auch Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 159.
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lichkeit der Heilung einräumen muss: Diese insinuieren eine separate Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner über die Durchführung der Heilung, bei welcher der Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Zustimmung des Gläubigers zur Heilung hat – eine überkomplexe und wenig praktikable Regelung. Auch hier wäre eine einfachere Regelung im Sinne einer Fristsetzungsobliegenheit des Gläubigers vor der Geltendmachung von Vertragsaufhebung und Schadensersatz statt der Leistung vorzugswürdig.
ee) Der Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie Der erste Entwurf der Verbraucherrechterichtlinie sah in Art. 26 Abs. 3 und 4 VRRL-E einen echten Vorrang der Nacherfüllung im Kaufrecht vor. Der Rückgriff des Käufers auf Minderung und Rücktritt vom Kaufvertrag hätte nach Abs. 3 dieser Vorschrift vorausgesetzt, dass der Verkäufer nachweist, dass die Nacherfüllung rechtswidrig, unmöglich oder mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist. Nach Abs. 4 hätte der Verbraucher frei zwischen allen Rechtsbehelfen wählen können, wenn der Verkäufer die Nacherfüllung verweigert hätte, die Nacherfüllung mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Käufer verbunden gewesen wäre, der Verkäufer den Mangel nicht innerhalb angemessener Frist beseitigt hätte, oder derselbe Fehler innerhalb kurzer Zeit mehrmals aufgetreten wäre. Diese Regelungen entsprachen im wesentlichen dem Rechtszustand nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie,119 wenngleich die einzelnen Übergangstatbestände gesetzgebungstechnisch anders ausgestaltet waren. Im Kern hätte die „angemessene Frist“ zur Mängelbeseitigung gestanden (Art. 26 Abs. 4 lit. b) VRRL-E), die übrigen Tatbestände konnten als Ausnahmen vom Erfordernis des Fristablaufs angesehen werden. Ob der Entwurf einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung vorsehen sollte, war unklar: Zwar sah Art. 27 Abs. 2 VRRL-E vor, dass „der Verbraucher den Ersatz aller Schäden verlangen [kann], denen nicht gemäß Artikel 26 abgeholfen wurde.“ Trotz dieser vergleichsweise deutlichen Formulierung als Anspruchsgrundlage120 irritierte aber, dass der Richtlinien-Entwurf keinerlei weitere Vorschriften zu Voraussetzungen und Ausgestaltung des Schadensersatzes enthielt. Danach wäre sowohl unklar gewesen, ob der Schadensersatz ein Verschulden voraussetzt oder zumindest bei höherer Gewalt ausgeschlossen ist, als auch, in welcher Höhe Schadensersatz geschuldet gewesen wäre (entgangener Gewinn, Vorhersehbarkeitskriterium, …).121 Richtigerweise sollte in 119 So auch Howells/R. Schulze, in: dies. (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009, S. 3, 19. 120 Als solche versteht die Vorschrift etwa Whittaker, Dalloz 2009, 1152, 1156. 121 Vgl. etwa Jud, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 119, 137; Schmidt-Kessel, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 21, 36 f.; Jud/Wendehorst, GPR 2009, 68, 69;
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dieser Vorschrift lediglich ein Verweis auf die mitgliedstaatlichen Schadensersatzregelungen liegen, verbunden mit einem Verbot der Doppelliquidation.122 Der Vorbehalt zugunsten der Abhilfe nach Art. 26 VRRL-E dürfte im Sinne eines Vorranges der Nacherfüllung zu verstehen gewesen sein;123 deutlich ist das allerdings nicht, weil er sich nach seinem Wortlaut auch auf Minderung und Rücktritt bezieht – was aber durchaus möglich erscheint, weil die beiden letztgenannten Rechtsbehelfe im Falle ihrer Ausübung schadensmindernd berücksichtigt werden könnten. Angesichts dieser (und zahlreicher weiterer124) handwerklichen Mängel des VRRL-E ist es zu begrüßen, dass dieser Regelungsansatz nicht weiterverfolgt wurde und die schließlich in Kraft getretene Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU125 kein eigenes Leistungsstörungsrecht mehr enthält.
ff) Der Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts Im GEK-E ist der Vorrang der Nacherfüllung in Art. 109 GEK-E ebenfalls durch ein eigenständiges „Heilungsrecht“ (Right to cure) des Verkäufers nach dem Vorbild der Art. 8:104 PECL, Art. 7.1.4 PICC und Art. III.-3:202 DCFR gesichert.126 Nach dieser Regelung kann der Verkäufer dem Käufer unverzüglich nach Mitteilung der Vertragswidrigkeit anbieten, den Mangel auf eigene Kosten zu „heilen“, also zu beseitigen. Allerdings ist dieses Heilungsrecht gem. Art. 106 Abs. 2 lit. (a) GEK-E nur bei unternehmerischen Käufern vorrangig ausgestaltet; Verbraucher-Käufer können dagegen gem. Art. 106 Abs. 3 lit. (a) GEK-E sämtliche Gewährleistungsrechte unabhängig von einem Heilungsangebot des Verkäufers geltend machen.
owells/R. Schulze, in: dies. (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract H Law, 2009, S. 3, 21; Tettinger, ZGS 2009, 106, 107. 122 Vgl. näher Riehm, JbJZivRWiss 2009, 2010, 164 f.; ebenso Rott/Terryn, ZEuP 2009, 456, 480 sowie der Diskussionsbeitrag von Welser, zitiert bei Schmidt-Kessel, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 21, 36 Fn. 35. 123 So Schmidt-Kessel, in: Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 21, 37. 124 Vgl. neben den nahezu durchweg kritischen Beiträgen in den Tagungsbänden von Jud/Wendehorst (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, Gsell/ Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009 und Howells/R. Schulze (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, 2009 nur Artz, GPR 2009, 171 ff.; K. Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; dies., 46 CMLR 471 (2009). 125 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher […], ABlEG L 304 vom 22.11.2011, S. 64 ff. 126 S. dazu auch Samoy/Vu/S. Jansen, ERPL 19 (2011), 855, 870 f.
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(1) Unternehmerkauf Nach Art. 109 Abs. 1 GEK-E kann der Verkäufer zunächst bis zum Eintritt der Fälligkeit seiner Lieferpflicht jederzeit die Heilung der Vertragswidrigkeit – nach seiner Wahl durch Ersatzlieferung oder Nachbesserung – anbieten, wenn dies innerhalb der Leistungszeit möglich ist. Dieses Recht zur „vorzeitigen“ Leistung ist in der Sache unproblematisch und schließt faktisch nur die Möglichkeit eines Rücktritts wegen eines antizipierten Vertragsbruches aus.127 Wesentlich relevanter ist das Heilungsrecht für die Fälle der Heilung nach Fälligkeit der Leistungspflicht (Art. 109 Abs. 2 GEK-E). Dieses erlaubt dem Verkäufer, unverzüglich nach seiner Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit128 die Heilung auf eigene Kosten anzubieten. Der Käufer muss dieses Angebot grundsätzlich annehmen, sogar noch nach der Beendigung des Vertrags (insofern wie Art. 7.1.4 Abs. 2 PICC). Die Voraussetzungen, unter denen der Käufer dieses Angebot nach Art. 109 Abs. 4 GEK-E ablehnen darf, sind aus den verschiedenen vorgehenden Regelwerken kombiniert:129 Er darf es einerseits ablehnen, wenn die Heilung nicht umgehend und nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer bewirkt werden kann (wie Art. 48 Abs. 1 S. 1 CISG, Art. 3 Abs. 5 dritter Spiegelstrich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, Art. 7.1.4 lit. (d) PICC); ferner, wenn der Käufer Grund zur Annahme hat, dass er sich auf die künftige Leistung durch den Verkäufer verlassen kann (wie Art. III.-3:202 lit. (c) DCFR); oder wenn die Verzögerung eine wesentliche Vertragsverletzung darstellen würde (wie Art. 3:202 lit. (a) DCFR). Der Verkäufer verfügt dann über einen „angemessenen Zeitraum für die Heilung“ (Art. 109 Abs. 5 GEK-E), während dessen der Käufer keine Rechtsbehelfe außer dem Zurückbehaltungsrecht geltend machen darf.130 Gegenüber dem DCFR fehlt im GEK-E allerdings auch ein allgemeiner Tatbestand entsprechend Art. III.-3:203 lit. (d) DCFR, wo127 S. bereits oben § 9.I.4.b)aa) (S. 482 ff.). Für überflüssig halten diese Regelung Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 109 Rn. 11; Feltkamp/ Vanbossele, ERPL 19 (2011), 873, 894. 128 Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 267 f. kritisiert hieran, dass es nicht genügen soll, wenn der Verkäufer Kenntnis von dem Mangel durch eigene Warentests erlangt: Auch dann müsse ein Heilungsrecht des Verkäufers bestehen. 129 Vgl. dazu näher Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 109 Rn. 15 ff. 130 Dass nach Art. 106 Abs. 2 lit. (a) GEK-E das Heilungsrecht nur „das Recht des Käufers auf Abhilfe“ ausschließt, ist ein Übersetzungsfehler der deutschen Fassung. Nach der englischen Originalfassung ist „any remedy“ ausgeschlossen (s. nur S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 750). Das ist ein Folgeproblem der Doppelverwendung des Begriffs „Abhilfe“, der gleichermaßen für „Rechtsbehelf“ wie für „Nacherfüllung“ verwendet wird (vgl. einerseits die Überschrift des Art. 106 GEK-E und andererseits Art. 110 Abs. 2 GEK-E, s. Faust, in: Remien/ Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 161, 176).
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nach die Heilung durch den Verkäufer ausgeschlossen ist, wenn diese für den Käufer unzumutbar ist.131 Dem Heilungsrecht vorgeschaltet ist eine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des Käufers nach Art. 121 f. GEK-E: Der Käufer muss die Ware untersuchen und rügen, und der Verkäufer hat auf diese Rüge des Käufers hin die Möglichkeit zur Heilung. Damit kann der Käufer das Heilungsrecht weniger leicht unterlaufen, weil nach Art. 106 Abs. 2 lit. (b) GEK-E ohnehin alle Rechtsbehelfe des Käufers von der Einhaltung der Rügeobliegenheit abhängen.132 Der Weg zur Vertragsaufhebung bzw. zum „großen“ Schadensersatz statt der Leistung führt daher über drei Schritte: Rüge, Heilungsmöglichkeit, Vertragsbeendigung.133 Damit erweist sich die Konstruktion des Heilungsrechts im GEK-E als praktisch tragfähiger als in den PECL oder den PICC, wo es jeweils an einer korrespondierenden Rügeobliegenheit fehlt, so dass nicht sichergestellt ist, dass der Verkäufer von einem Mangel überhaupt erfährt, um sein Heilungsrecht auszuüben. Macht der Verkäufer von seinem Heilungsrecht keinen Gebrauch, so kommt eine Vertragsbeendigung durch den Käufer und die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung in Betracht. Die Beendigung setzt nach Art. 114 Abs. 1 GEK-E allerdings bei Unternehmer-Kaufverträgen grundsätzlich voraus, dass der Mangel eine „wesentliche Nichterfüllung“ i.S.v. Art. 87 Abs. 2 GEK-E darstellt. Das ist bei behebbaren Mängeln nie der Fall, wenn der Verkäufer zur Behebung bereit ist.134 Unbehebbare Mängel sind nur dann eine „wesentliche Nichterfüllung“, wenn sie von so erheblichem Gewicht sind, dass dem Käufer ein erheblicher Teil dessen entgeht, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, oder der Mangel klar erkennen lässt, dass sich der Käufer nicht auf die künftige Erfüllung durch den Verkäufer verlassen kann. Die Möglichkeit des Käufers in Art. 115 GEK-E, eine Frist zur Nacherfüllung „freiwillig“ zu setzen, und dadurch die Möglichkeit für die Vertragsbeendigung (und konsequenterweise für den Schadensersatz statt der Leistung) zu schaffen, gilt – wie die Vorbildvorschrift in Art. III.-3:503 DCFR135 – nicht für die Schlechtleistung.136 Bei unbehebbaren Mängeln, die unterhalb der Schwelle der „wesentlichen Nichterfüllung“ bleiben, ist der Käufer daher auf Minderung und Schadenersatz beschränkt, und muss die mangelhafte Sache in Natur behalten, ohne den Vertrag 131 Krit. daher Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 268 f. 132 Vgl. Wiese, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Euro päisches Kaufrecht, 2014, Art. 121, 122 Rn. 45; s. dazu auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 802. 133 Vgl. Wagner, ZEuP 2012, 797, 817 f. 134 S. dazu oben § 8.I.3.b) (S. 454 ff.) zum Parallelproblem im CISG. 135 S. dazu oben § 9.I.4.b)dd) (S. 486 ff.). 136 So auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 261; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 115 Rn. 2, 5.
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beenden zu können.137 Bei behebbaren Mängeln kann allerdings eine Fristsetzung durch den Käufer sinnvoll sein, weil die Weigerung (oder Unfähigkeit) des Verkäufers, den Mangel innerhalb der Frist zu beseitigen, ein Indiz für die Wesentlichkeit der Nichterfüllung i.S.v. Art. 87 Abs. 2 GEK-E, v.a. in der Variante der Nr. 2 dieser Vorschrift, begründen kann.138 Im GEK-E nicht explizit geregelt sind die Folgen einer „voreiligen“ Selbstvornahme der Mängelbeseitigung durch den Käufer unter Missachtung eines bestehenden Heilungsrechts des Verkäufers. Diese Problematik wird schon dadurch etwas entschärft, dass einerseits die Rechtsbehelfe des Käufers eine Mängelrüge voraussetzen, und andererseits das Heilungsrecht nur besteht, wenn der Verkäufer dem Käufer die Heilung ausdrücklich anbietet (Art. 109 Abs. 2 GEK-E). Gleichwohl sind unschwer Fälle denkbar, in welchen der Käufer den Mangel sofort bei seiner Entdeckung beseitigen lässt (z.B. weil der Mangel bei einer Routinekontrolle in der Werkstatt entdeckt und – u.U. ohne Zutun des Käufers – sogleich repariert wird), und erst danach den Mangel dem Verkäufer anzeigt. Hier wird teilweise vertreten, der Käufer habe in einem solchen Fall „die Nichterfüllung des Verkäufers verursacht“ i.S.v. Art. 106 Abs. 5 GEK-E.139 Der Begriff der „Verursachung“ wäre dabei so zu verstehen, dass der Käufer die Nichterfüllung unter Umgehung des Heilungsrechts nach Art. 109 GEK-E verursacht haben muss. Damit sind ihm alle anderen Rechtsbehelfe abgeschnitten, wenn er das Heilungsrecht nicht beachtet oder durch eigenmächtige Selbstvornahme aushöhlt, bevor er den Mangel dem Verkäufer mitteilt. Jedoch fehlt im GEK-E eine dem § 326 Abs. 2 S. 2 BGB entsprechende Anrechnungsregel, die den Verkäufer wenigstens zum Ersatz der ersparten Aufwendungen zur Mängelbeseitigung verpflichten würde.140 Offen ist allerdings, ob die Regelungen des GEK-E insoweit insgesamt abschließend sind, oder ob zumindest der Rückgriff auf das mitgliedstaatliche Bereicherungsrecht möglich ist. Dafür ist entscheidend, ob es sich hier um eine in-
137 Damit muss konsequenterweise auch der „große“ Schadensersatz ausgeschlossen sein, weil dieser im wirtschaftlichen Ergebnis der Vertragsbeendigung gleichkommt (vgl. dazu bereits oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.) zum CISG); s. auch Art. 8 Abs. 2 S. 2 GEK-E, wonach die den Vertrag beendende Partei einen Anspruch auf Schadensersatz „anstelle der künftigen Erfüllung der anderen Partei“ hat – aber eben nur bei Beendigung des Vertrags (vgl. Wagner, ZEuP 2012, 797, 803; M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 302). 138 So auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 262; zum DCFR ebenso Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 154 f. 139 Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 270. 140 Eine entsprechende Ergänzung des Art. 106 Abs. 5 GEK-E schlägt in der Tat Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 270 vor.
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terne oder eine externe Regelungslücke handelt:141 Interne Lücken müssen gem. Art. 4 Abs. 2 GEK-E autonom aus dem GEK-E geschlossen werden; hier würde sich bei dem aktuellen Entwurfsstand kein Anhaltspunkt für eine Herausgabepflicht finden. Externe Lücken sollen dagegen nach dem 27. Erwägungsgrund des Verordnungsentwurfes unter Rückgriff auf das nach dem einschlägigen IPR jeweils anzuwendende mitgliedstaatliche Recht (Vertragsstatut) geschlossen werden.142 Ob eine interne oder eine externe Lücke vorliegt, hängt davon ab, ob das Kaufrecht die Folgen der voreiligen Selbstvornahme selbst umfassend regeln soll oder daneben noch der Rückgriff auf andere Rechtsvorschriften möglich ist. Mit den gleichen Argumenten wie zum deutschen Recht lässt sich ohne weiteres vertreten, dass die bereicherungsrechtlichen Folgen der „Selbsterfüllung“ einer Verbindlichkeit durch den Gläubiger vom GEK-E nicht erfasst sind und daher nach nationalem Recht behandelt werden können. De lege ferenda empfiehlt sich ein ausdrücklicher Anspruch auf Abschöpfung der ersparten Eigenaufwendungen bei der voreiligen Selbstvornahme nach dem oben entwickelten Modell.143 Zu kritisieren bleibt ferner die gesetzgebungstechnisch unglückliche Regelung des Vorrangs der Nacherfüllung in Form eines „Heilungsrechts“. Der Sache nach geht es um eine Beschränkung der Käuferrechte im Falle eines Sachmangels. Dem entspricht auch die systematische Stellung des Heilungsrechts im Abschnitt über die Rechtsbehelfe des Käufers (Art. 106 ff. GEK-E), obwohl es als Möglichkeit des Verkäufers formuliert ist.144 Wie auch in den anderen Regelwerken erweckt das Zusammenspiel aus Heilungsangebot des Verkäufers und Pflicht des Käufers zu dessen Annahme den Eindruck übermäßiger Komplexität. So sehr dieses Modell die Kommunikation zwischen den Vertragsparteien fördert, so unsicher ist doch, ob die Kommunikation auch tatsächlich funktioniert, und ob dieses Prozedere nicht zu erhöhten Transaktionskosten führt. Zudem bewirkt das Konzept des GEK-E für den Käufer angesichts der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe rund um das Heilungsrecht und seinen Ausschluss erhebliche Rechtsunsicherheit,145 zumal nicht einmal eine (berechtigte) Vertragsbeendigung das Heilungsrecht verhindern kann.146 Wenn auch noch – entgegen der hier vertretenen Auffassung – kein Anspruch auf Abschöpfung der infolge einer Selbstvornahme der Mängelbeseitigung ersparten Aufwendungen 141 Vgl. zur Lückenproblematik im GEK-E allgemein Solomon, in: M. Gebauer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2013, S. 129 ff.; Gsell, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 145 ff. 142 Vgl. nur Gsell, in: Remien/Herrler/Limmer (Hrsg.), Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, 2012, S. 145, 154 f.; Mansel, WM 2012, 1253, 1266. 143 So der Sache nach auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 270. 144 S. auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 802. 145 Krit. daher auch Feltkamp/Vanbossele, ERPL 19 (2011), 873, 894. 146 Vgl. schon oben § 9.I.4.a)cc) (S. 479 ff.) zu den PICC.
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gewährt wird, droht das Heilungsrecht des Verkäufers zu einer Falle für den Käufer zu werden. Vorzugswürdig wäre auch hier die Regelung im Rahmen eines einheitlichen Fristsetzungstatbestandes, um die Initiative für die Wahl des Rechtsbehelfs beim Käufer zu belassen und für beide Parteien für Rechtssicherheit zu sorgen, verbunden mit Ausnahmen für diejenigen Fälle, in denen der Vorrang der Nacherfüllung nicht sinnvoll ist (und in denen nach Art. 109 Abs. 4 GEK-E der Käufer das Heilungsangebot des Verkäufers nicht annehmen muss).147 Positiv hervorzuheben – insbesondere im Kontrast zu den Regelungen über den Verbraucherkauf – ist, dass die Regelungen zum Heilungsrecht dispositiv sind (wie im Übrigen bei allen anderen behandelten Regelwerken). Die Parteien können daher ggf. abweichende Regelungen vereinbaren und dabei den Vorrang der Nacherfüllung einschränken oder seine Modalitäten ändern. Dadurch kann – in Verbindung mit einer wirksamen AGB-Kontrolle – eine flexible und sachadäquate Lösung herbeigeführt werden.148
(2) Verbraucherkauf Beim Verbraucherkauf bestehen die Mängelrechte des Käufers nach Art. 106 Abs. 3 lit. (a) GEK-E ausdrücklich „ungeachtet der Heilung der Nichterfüllung durch den Verkäufer“.149 Das ist zwar nicht so zu verstehen, als könnte der Käufer auch nach einer erfolgreichen Mängelbeseitigung durch den Verkäufer (die ohne Kooperation des Käufers, bei dem sich die mangelhafte Sache befindet, ohnehin schwer vorstellbar ist) noch Mängelrechte auf den dann nicht mehr vorhandenen Sachmangel stützen.150 Er muss dem Verkäufer nur keine Gelegenheit zur Heilung geben, muss also den Mangel auch nicht mitteilen, sondern kann direkt Gewährleistungsrechte geltend machen und muss ein Heilungsangebot des Verkäufers nicht akzeptieren.151 Damit hat der Verbraucher-Käufer einer mangelhaften Sache ein freies Wahlrecht zwischen sämtlichen mängelbedingten Rechtsbehelfen, ohne dass ein irgendwie gearteter Vorrang der Nacherfüllung bestünde. Insbesondere kann er sowohl sofort mindern als auch sofort zurücktreten und Schadensersatz statt der Leistung verlangen.152 147 Ebenso Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 269. 148 So auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 816. 149 Ein Heilungsrecht ist lediglich in Art. 155 Abs. 5 lit. (b) GEK-E für begleitende Dienstverträge vorgesehen (z.B. ein Wartungsvertrag im Anschluss an die Lieferung), s. dazu MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 632. 150 So auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 804; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 752. 151 Vgl. auch Stempel, EuZW 2013, 174, 175, der zu Recht eine entsprechende Präzisierung des GEK-E anregt. 152 Vgl. nur M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 302 f.; Wagner, ZEuP 2012, 797, 820 ff.; C. Wilhelm, IHR 2011, 225, 227 f.
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Dabei ist die Schwelle für die Zulässigkeit des Rücktritts gegenüber dem Unternehmerkauf reduziert: Während Unternehmer-Käufer gem. Art. 114 Abs. 1 GEK-E nur zurücktreten können, wenn der Mangel eine wesentliche Nichterfüllung i.S.v. Art. 87 Abs. 2 GEK-E darstellt, ist der Rücktritt bei Verbraucher-Käufern grundsätzlich möglich und nur dann ausgeschlossen, wenn der Mangel „unerheblich“ ist – insoweit wie nach Art. 3 Abs. 6 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bzw. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB.153 Auch wenn man diese Einschränkung sinnvollerweise auf den „großen“ Schadensersatz statt der ganzen Leistung übertragen sollte (entsprechend § 281 Abs. 1 S. 3 BGB), ändert das nichts daran, dass der Käufer jedenfalls den Mangelschaden unmittelbar geltend machen kann, ohne dem Verkäufer die Gelegenheit zur Nacherfüllung bieten zu müssen. Das Problem der „voreiligen Selbstvornahme“ stellt sich in diesem Kontext nicht, weil der Käufer die (vollen) Kosten einer Mängelbeseitigung in Eigenregie vom Verkäufer als Schadensersatz gem. Art. 106 Abs. 2 lit. e, 159 f. GEK-E ersetzt verlangen kann,154 ohne den Verkäufer zuvor auch nur auf den Mangel hingewiesen zu haben.155 Ein (äußerst begrenzter) Vorrang der Nacherfüllung besteht nur dann, wenn der Verbraucher selbst den Verkäufer zunächst zur Nacherfüllung auffordert: In diesem Fall hat der Verkäufer hierfür eine „angemessene Frist“, maximal 30 Tage; der Käufer kann gem. Art. 111 Abs. 2 GEK-E erst nach Ablauf dieser Frist auf andere Rechte übergehen. So begrüßenswert ein Vorrang der Nacherfüllung im Grundsatz ist, geht doch diese Regelung zu weit, weil Fälle wie das Fehlschlagen der Nachbesserung oder die Leistungsverweigerung durch den Verkäufer während der Frist nicht erfasst sind. Entsprechend Art. 109 Abs. 4 GEK-E müsste in diesen Fällen zumindest die „angemessene Frist“ auf Null reduziert werden;156 besser wäre freilich eine ausdrückliche Regelung. Der Ausschluss des Heilungsrechts gegenüber Verbrauchern ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu beurteilen:157 Er ignoriert die oben herausgearbeiteten 153 Bei unerheblichen Mängeln besteht dagegen kein Rücktrittsrecht; der Weg über eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gem. Art. 111, 115 GEK-E dürfte – entgegen Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 282 – nicht gangbar sein, weil sich Art. 115 GEK-E nur auf die verspätete Leistung, nicht auf die Schlechtleistung bezieht (s. dazu oben § 9.I.4.b)dd) (S. 486 ff.) zum DCFR und § 9.I.4.b)ff)(1) (S. 491 ff.) zum GEK sowie Faust, in: Schulte- Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 261). 154 Vgl. Možina, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 160 Rn. 10. 155 Vgl. nur M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 303. 156 So Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 259. 157 Kritisch auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 752 ff.; Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281 f.; Wagner, ZEuP 2012, 797, 821 ff.; C. Wilhelm, IHR 2011, 225, 228 f.; Zöchling-Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?, 2012, S. 327, 345; dies., in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches
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wirtschaftlichen Gründe, die für den Vorrang der Nacherfüllung sprechen,158 und ermöglicht es dem Käufer, in opportunistischer Weise vom Vertrag bzw. vom Naturalerfüllungsanspruch abzugehen.159 Dadurch können enorme wirtschaftliche Werte vernichtet werden,160 weil der Verkäufer im Falle eines Rücktritts oder einer Abwicklung über den „großen Schadensersatz“ nur eine gebrauchte Sache zurückerhält, die – unabhängig vom Mangel – einen erheblichen Wertverlust erlitten haben kann, zumal die Gewährleistungsrechte erst nach zehn Jahren verjähren (Art. 179 Abs. 2, 180 Abs. 2 GEK-E) und für die Zwischenzeit grundsätzlich noch nicht einmal Nutzungsersatz geschuldet sein soll (vgl. Art. 174 Abs. 1 GEK-E). Hier dem Verkäufer keine Heilungsmöglichkeit einzuräumen bedeutet, dass wegen eines vergleichsweise geringfügigen Mangels, der nur über der Erheblichkeitsschwelle des Art. 114 Abs. 2 GEK-E liegen muss, der Käufer den Vertrag aus161 opportunistischen Gründen beenden und damit entsprechende volkswirtschaftliche Werte vernichten kann. Besonders negativ sind die Auswirkungen des fehlenden Vorrangs der Nacherfüllung bei Sonderanfertigungen, die als Werklieferungsverträge ebenfalls unter das GEK fallen sollen (Art. 2 lit. (k) GEK-E). Hier sind die hergestellten Sachen für den Anbieter wertlos; mit Recht ist aus diesem Grund das Widerrufsrecht ausgeschlossen (Art. 40 Abs. 2 lit. (d) GEK-E). Ein Rücktrittsrecht besteht aber ohne weiteres bei nicht unerheblichen Mängeln, ohne dass der Verkäufer ein NachKaufrecht, 2014, Art. 106 Rn. 8; Beale, Stellungnahme zur Feasibility Study, 2011 (in http:// ec.europa.eu/justice/contract/files/publication_2011_en.zip), S. 2 (geprüft am 1.12.2014); M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 305 f.; Stempel, EuZW 2013, 174, 175; R. Magnus, FS U. Magnus, 2014, S. 615, 627. Zustimmend dagegen Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 267; Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 148 (zum DCFR). 158 S. oben § 4.III.3.b) (S. 233 ff.). 159 Micklitz, EuZW 1997, 229, 236; ders., ZEuP 1998, 253, 265 ff. spricht insoweit euphemistisch von einem „kompetitiven Vertragsrecht“, weil die Verbraucher ihre Verträge jederzeit wieder auflösen könnten, um bei einem günstigeren Wettbewerber zu kaufen. Das negiert jedoch geradezu die Vertragsbindung und vernichtet die vertragsspezifischen Investitionen der Verkäufer (krit. dazu auch Baldus, Binnenkonkurrenz kaufrechtlicher Sachmängelansprüche nach Europarecht, 1999, S. 94 ff.; s. ferner oben § 3.III.2.b) (S. 167 ff.)). 160 Vgl. auch das Beispiel bei Wagner, ZEuP 2012, 797, 812: Das Wasserbett, das im Sachverhalt der Entscheidung BGHZ 187, 268 für € 1265 verkauft worden war, hatte schon nach dreitägigem Testen nur noch einen Restwert von € 258, weil nur noch die Heizung verwertbar war, der Rest nach erstmaliger Befüllung nicht mehr. 161 Der Vorschlag von M.-P. Weller/Harms, GPR 2012, 298, 306 f., das Merkmal der Unerheblichkeit in Art. 114 Abs. 2 GEK-E weit auszulegen und den Rücktritt bei behebbaren Mängeln an dieser Vorschrift scheitern zu lassen, dürfte weder mit der eindeutigen Intention des GEK-Gesetzgebers vereinbar sein, gerade kein Heilungsrecht einzuräumen, noch mit der ausdrücklich vorgenommenen Unterscheidung zwischen „wesentlicher Nichterfüllung“ beim Unternehmerkauf (Art. 114 Abs. 1 GEK-E), wo eine solche Interpretation in Anlehnung an das CISG (s. oben § 8.I.3.b) (S. 454 ff.)) naheliegt, und der „Unerheblichkeit“ beim Verbraucherkauf (skeptisch auch Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 282).
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besserungsrecht hätte, obwohl gerade bei Werklieferungsverträgen der Hersteller den Mangel mit großer Wahrscheinlichkeit günstiger beseitigen kann.162 Hier könnte zwar möglicherweise unter Berufung auf Treu und Glauben gegengesteuert werden;163 es ist jedoch nicht zu erwarten, dass sich angesichts des Fehlens einer expliziten Regelung hierzu bald eine entsprechende einheitliche Rechtsprechung herausbilden wird.164 Besonders problematisch an der Regelung des GEK-E ist zudem, dass der Ausschluss des Heilungsrechts im Verbraucherkauf zwingend ist (Art. 108 GEK-E). Dadurch wird den Vertragsparteien die Möglichkeit genommen, eine Heilungsmöglichkeit vorzusehen, wenn sie – wie meist – im Interesse beider Parteien liegt.165 Der GEK-E bleibt insofern erheblich hinter dem Rechtszustand des BGB 1900 zurück, wo zwar ebenfalls kein gesetzliches Nachbesserungsrecht des Verkäufers bestand, sondern ein Recht des Käufers zur sofortigen Wandelung (§ 459 BGB 1900), wo aber die Möglichkeit bestand, ein Nachbesserungsrecht vertraglich oder durch AGB einzuführen, wovon die weitaus meisten Händler Gebrauch gemacht haben.166 In einigen Branchen wird die Wahl des GEK-E schon allein aus diesem Grund nicht in Betracht kommen. Mit gutem Grund ist im weiteren Verlauf der Arbeiten am GEK-E daher erwogen worden, dem Verkäufer ein Recht zur zweiten Andienung zu gewähren. Das ELI möchte etwa bei Werklieferungsverträgen ebenso wie bei personalisierten Waren oder digitalen Inhalten ein vorrangiges Heilungsrecht des Verkäufers einführen (Art. 128 Abs. 2 lit. (a) GEK-ELI167).168 Zudem soll ein Heilungsrecht nach Ablauf von sechs Monaten seit Ablieferung der Kaufsache bestehen (Art. 128 Abs. 2 GEK-ELI), und schließlich soll – nach dem Vorbild des englischen right to reject – die Vertragsbeendigung nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Entdeckung des Mangels erlaubt sein (Art. 142 GEK-ELI).169 162 Vgl.
Wagner, ZEuP 2012, 797, 824; Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281; R. Magnus, FS U. Magnus, 2014, S. 615, 627. 163 So etwa European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013, S. 29 (Rn. 39); Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 109 Rn. 4 a.E. 164 Vgl. allgemein zu den Problemen einer einheitlichen Rechtsprechung im GEK-E Riehm, in: Gsell/Hau (Hrsg.), Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012, S. 203, 210 ff. 165 So auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 816 f., 820. 166 Ebenso Stempel, EuZW 2013, 174, 175; Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281; s. dazu näher oben § 4.III.1 (S. 225 f.). 167 European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013, S. 276 f. 168 So auch die Forderung von Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 281; Wagner, ZEuP 2012, 797, 823 f. 169 Vgl. European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013, S. 30 (Rn. 41).
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Diese Vorschläge hat auch der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments aufgegriffen, der ebenfalls bei Werklieferungsverträgen ein Heilungsrecht vorschlägt,170 und im Übrigen als weitere Option zur Entlastung des Verkäufers wegen des fehlenden Heilungsrechts auch noch die Möglichkeit anführt, den Käufer im Falle der Vertragsbeendigung wenigstens zum Nutzungsersatz zu verpflichten.171 Die Zielrichtung dieser Änderungsvorschläge ist zu begrüßen. Sie greifen allerdings zu kurz: Erforderlich ist ein Heilungsrecht auch bei Kaufverträgen. Anders als bei der Einräumung eines Widerrufsrechts o.ä. sind keine spezifischen Gründe erkennbar, warum gerade der private Verwendungszweck des Käufers (Art. 2 lit. (f) GEK-VO-E) diesen durch ein sofortiges Recht auf Rücktritt und Schadensersatz privilegieren sollte.172 Die Belastungen durch ein Nachbesserungsrecht des Verkäufers treffen Verbraucher- wie Unternehmer-Käufer in gleicher Weise.173 Dass der Verbraucher-Käufer „ohne viel hin und her den Kaufpreis mindern oder zurückverlangen“ können soll,174 wenn die Sache mangelhaft ist, vermischt Elemente des Widerrufsrechts mit dem Gewährleistungsrecht. Geht es dem Käufer tatsächlich nur darum, eine mangelfreie Kaufsache zu erhalten, so ist ihm mit einer kurzfristigen und nicht mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbundenen Nacherfüllung durch den Verkäufer, wie sie das Heilungsrecht nach Art. 109 GEK-E fordert, optimal gedient. Etwaige übermäßige Beeinträchtigungen des Käufers durch lange Wartezeiten o.ä. können durch eine restriktive Interpretation der „erheblichen Unannehmlichkeiten“ vermieden werden. Besteht der Käufer gleichwohl trotz eines solchen Nachbesserungsangebots auf einer Rückabwicklung, so ist das ein Indiz dafür, dass er aus anderen Gründen vom Vertrag abgehen will – sei es, weil er die Kaufsache bei einem anderen Anbieter günstiger gefunden hat, oder weil er an der Sache insgesamt kein Interesse mehr hat. Beides fällt aber grundsätzlich in den Risikobereich des Käufers, und nur das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht erlegt diese Risiken für eine kurze Frist nach der Lieferung dem Verkäufer auf. Bei dieser Risikoverteilung sollte es bleiben, und das ist mit einem Nachbesserungs170 Vgl. Rechtsausschuss des EP, Draft Report on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on a Common European Sales Law (Dok. 2011/ 0284(COD)), 18.2.2013 (http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/ juri/dv/927/927290/927290en.pdf), S. 114 (geprüft am 1.12.2014). 171 Vgl. Draft Report (Fn. 170), S. 111. 172 So auch Wagner, ZEuP 2012, 797, 823; Zöchling-Jud, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 106 Rn. 8; krit. gegenüber der Differenzierung zwischen Verbraucher- und Unternehmerkauf insoweit auch Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 109 Rn. 4. 173 So auch Feltkamp/Vanbossele, ERPL 19 (2011), 873, 895. 174 So Dauner-Lieb/Quecke, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 135, 148 zum DCFR; zustimmend Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 267.
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recht des Verkäufers am besten gesichert. Dass damit eine „Falle“ für den Käufer verbunden sein kann,175 trifft nur dann zu, wenn man ihm entgegen der hier vertretenen Auffassung176 im Falle einer eigenmächtigen Mängelbeseitigung sämtliche Rechte gegen den Verkäufer abschneidet. Diesen Fehler durch eine Abschaffung des Heilungsrechts zu korrigieren, hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass die Vorteile eines Nachbesserungsrechts der Gesamtheit der Verbraucher über ein günstigeres Preisniveau zugutekommen, weil sie so nicht mehr die Kosten opportunistischer Vertragsbrüche Einzelner mittragen müssen.177 Das war offensichtlich auch der Gedanke hinter der (verbraucherschützenden!) Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die einen Vorrang der Nacherfüllung vorgesehen hat.178 Ob das Heilungsrecht gegenüber Verbrauchern explizit im GEK vorgesehen oder lediglich die Möglichkeit aufgenommen wird, abweichend von Art. 108 GEK-E vertraglich (auch in AGB) ein Nachbesserungsrecht einzuräumen,179 ist dabei zweitrangig. Auch im letztgenannten Fall dürften die Unternehmen von dieser Möglichkeit immer dann Gebrauch machen, wenn es wirtschaftlich sinnvoller ist.
gg) Fazit Die Untersuchung der vorgeschlagenen nicht-legislativen Regelwerke und des GEK-E hat einige strukturelle und konzeptionelle Defizite zu Tage gefördert, die abschließend kurz zusammenzufassen sind. Unglücklich ist zunächst die durchgehende Umsetzung des Vorrangs der Naturalerfüllung bzw. der Nacherfüllung durch ein „Heilungsrecht“ des Schuldners und einen dadurch geforderten komplizierten Mechanismus von Heilungsangebot des Schuldners und Annahmepflicht des Gläubigers nebst zugehörigen Fristen.180 Diese Regelungstechnik trägt erhebliche Rechtsunsicherheit in den Vorrang der Nacherfüllung, und das zu einem Zeitpunkt, in dem kein gerichtliches Verfahren schwebt, beide Parteien also typischerweise „auf eigene Faust“ und ohne rechtliche Beratung agieren. Unklar ist etwa im Beispiel des Art. 109 GEK-E, was geschehen soll, wenn der Verkäufer nach der Mängelanzeige nicht sofort die Heilung anbietet, diese aber möglich ist. Der Schuldner muss das Angebot nach Art. 109 Abs. 2 GEK-E nur annehmen, wenn es „unverzüglich“ erfolgt; welche Frist hierfür im Einzelfall angemessen ist, könnte erst ex post geklärt werden. Die Entschei175 So
Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 267. 176 S. oben § 4.V.5 (S. 260 ff.) zum deutschen Recht und § 9.I.4.b)ff)(1) (S. 491 ff.) zum GEK-E. 177 So auch C. Wilhelm, IHR 2011, 225, 229. 178 S. oben § 8.II.1.a)bb) (S. 460). 179 Dafür Wagner, ZEuP 2012, 797, 816 f. 180 Krit. insoweit auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 269 f.
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dung über die Annahme muss der Käufer aber schnell und ohne Beratungsmöglichkeit treffen, und läuft dabei Gefahr, seine Rechte in der einen oder anderen Richtung zu verlieren. Rechtssicherer ist hier die Lösung über eine Nachfristsetzung nach dem Vorbild der §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB, mit entsprechenden Ausnahmetatbeständen, welche das „Heilungsrecht“ des Verkäufers lediglich als Rechtsreflex aus der Obliegenheit des Käufers schafft.181 Ein weiteres Defizit aller behandelten Regelwerke liegt darin, dass die Voraussetzungen für den Schadensersatz statt der Leistung nicht präzisiert sind. Es ist geradezu unerklärlich, dass die Autoren sämtlicher Regelwerke von den PECL über die PICC bis hin zum GEK-E die Art. 75 f. CISG schlicht kopiert haben, ohne für die dort bestehende „klassische“ und bislang ungelöste Kontroverse, ob der Ersatz der Kosten eines Deckungsgeschäfts den Voraussetzungen der Vertragsbeendigung („wesentliche Nichterfüllung“) unterliegt,182 eine Lösung anzubieten. Dies würde freilich voraussetzen, dass Kategorien wie der „Schadensersatz statt der Leistung“ sowie „großer“ und „kleiner Schadensersatz“ in die Regelwerke eingeführt würden, um eine angemessen differenzierende Regelung zu schaffen.183 Nur auf diese Weise könnte Klarheit über die Reichweite des Vorrangs der Nacherfüllung gegenüber dem Schadensersatz statt der Leistung geschaffen werden.
5. Dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches Der Erfüllungsanspruch ist in den Regelwerken regelmäßig im Abschnitt über die „Remedies“ (Rechtsbehelfe bzw. Abhilfen) eingeordnet (vgl. die Abschnittsüberschrift des Kapitels 9 der PECL: „Rechtsbehelfe“, Book 3 Chapter 3 DCFR: „Remedies for Non-Performance“, Kapitel 11 GEK-E: „Abhilfen des Käufers“). Daran zeigt sich, dass der Erfüllungsanspruch jeweils nicht als primär klagbares Recht wie nach § 241 BGB, sondern als Rechtsbehelf wie nach dem Aktionensystem des common law konstruiert ist.184 Der klagbare Erfüllungsanspruch entsteht jeweils nicht bereits durch den Vertragsschluss selbst, sondern setzt eine Vertragsverletzung des Schuldners voraus. Dem Rechtsbehelf „Erfüllungsanspruch“ ist damit jeweils eine primäre Leistungspflicht des Schuldners vor181 So auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 269 f. 182 S. oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.). 183 S. bereits oben § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.). 184 So zu Recht Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 130 ff.; M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 771; ders., Die Vertragstreue, 2009, S. 397 f.; M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 181; Mansel, WM 2012, 1309, 1319; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 106 Rn. 2; Albers, ZEuP 2012, 687, 694; a.A. Atamer, FS Hopt, 2010, S. 3, 10 unter Hinweis auf Schmidt-Kessel, in: R. Schulze (Hrsg.), New Features in Contract Law, 2007, S. 183, 186 f.
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angestellt, deren Verletzung erst den Rechtsbehelf auslöst.185 Deutlich wird das etwa im DCFR, wo die Abschnittsüberschrift zu Book 3 Chapter 1 lautet: „Obligations and corresponding Rights“. Daraus geht eine Trennung zwischen Leistungspflicht des Schuldners einerseits und (Klage-)Recht des Gläubigers andererseits hervor. Noch deutlicher besagt der Kommentar zu Art. 9:102 PECL: „Die benachteiligte Partei hat nicht nur ein selbständiges Recht, die Leistung der anderen Partei, wie im Vertrag vereinbart, zu verlangen. Die benachteiligte Partei hat überdies das Recht auf Durchsetzung ihres Anspruches, z.B. durch gerichtliche Anerkennung oder Urteil.“186
Der Kommentar trennt also auf Gläubigerseite zwischen einem Recht auf die Leistung (im Sinne eines subjektiven Rechts) und seiner gerichtlichen Durchsetzbarkeit (im Sinne eines Rechtsbehelfes bei Pflichtverletzung). Auch der Kommissionsentwurf zum Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht (GEK-E) trennt explizit zwischen der Pflicht des Verkäufers zur naturalen Lieferung der Kaufsache (Art. 91 lit. (a), (b) GEK-E) und dem korrespondierenden Anspruch des Käufers auf Lieferung (Art. 106 Abs. 1 lit. (a), 110 Abs. 1 GEK-E). Dieser Anspruch ist dabei als Rechtsbehelf für den Fall ausgestaltet, dass der Verkäufer seine Pflicht nicht (freiwillig) bei Fälligkeit erfüllt (vgl. den Eingangssatz in Art. 106 Abs. 1 GEK-E).187 Eine solche Einordnung bringt allerdings vielfältige Probleme mit sich,188 gerade wenn sie in einem überstaatlichen Rechtsinstrument vorgenommen wird, das an unterschiedliche Rechtsordnungen „andocken“ soll.
a) Abtretung Fraglich ist etwa die Behandlung einer Abtretung des Lieferungsanspruches (z.B. an einen Drittabnehmer): Diese muss sich mangels einer Regelung im GEK-E nach mitgliedstaatlichem Recht richten (Erwägungsgrund 27 GEKVO-E). Das deutsche Abtretungsrecht geht von der Abtretung gerichtlich durchsetzbarer Ansprüche i.S.v. § 241 BGB aus; ein solcher Anspruch besteht nach dem GEK-E aber erst mit Eintritt einer Pflichtverletzung. Der GEK-E geht offenbar unausgesprochen davon aus, dass – entsprechend Art. III.-5:101 185
S. bereits oben § 4.IV.2 (S. 247 ff.). Kommentar A zu Art. 9:102 in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 477. 187 S. etwa MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 619; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 757 f.; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 110 Rn. 1. 188 Krit. dazu auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 756 ff.; C. Wilhelm, IHR 2011, 225, 226 f.; Schopper, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (Hrsg.), Am Vorabend eines gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, 2012, S. 107, 127; zum DCFR auch M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 771 f. Als „pointless“ bezeichnet dagegen Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 84 die Debatte um die dogmatische Einordnung des Erfüllungsanspruches. 186
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Abs. 1 DCFR – nicht der Rechtsbehelf „Erfüllungsanspruch“, sondern das zugrunde liegende, nicht klagbare Primärrecht (DCFR: „right to performance of an obligation“) Gegenstand der Abtretung sein soll.189 Das ist zwar konstruktiv möglich,190 aber nur um den Preis schwieriger Folgefragen hinsichtlich des Umfangs der mit abgetretenen Rechtsbehelfe: Soll der Erfüllungsanspruch mit auf den Zessionar übergehen, oder soll die Wahl des Rechtsbehelfs im Falle einer Vertragsverletzung beim Zedenten verbleiben? Diese Fragestellungen scheinen zwar lösbar, aber doch überflüssig komplex.191
b) Klage auf künftige Leistung Eine Trennung zwischen dem Forderungsrecht des Gläubigers und seiner gerichtlichen Durchsetzbarkeit, wie sie mit dem Remedy-Konzept verbunden ist, ist zwar analytisch nachvollziehbar. Sie ist aber in einer Weise vom aktionenrechtlichen Denken des common law geprägt, die ihre Übertragung in kontinentale Rechtssysteme kaum möglich erscheinen lässt. Wenn mit dem „Rechtsbehelf“ (remedy) tatsächlich nur die gerichtliche Durchsetzbarkeit einer Forderung gemeint sein soll, würde die Konstruktion in das Prozessrecht übergreifen, welches die Regelwerke – mit Ausnahme des Art. 7.2.4 PICC – aber gerade nicht berühren sollen. Die Vorschriften über eine eventuelle Klage auf künftige Leistung müssten dann aber konsequenterweise ebenfalls in die Regelwerke aufgenommen werden, weil es auch hier um die Klagbarkeit der Forderung geht. Gleichzeitig ist die Vorstellung einer Klage auf künftige Leistung nach dem Vorbild des § 259 ZPO mit der Rechtsbehelfs-Konstruktion aber schon von vornherein unvereinbar, weil es in diesen Fällen gerade an einer Pflichtverletzung bzw. Nichterfüllung fehlt. Es bestünde dann nur die Wahl, auf das Institut einer Klage auf künftige Leistung trotz des hierfür bestehenden praktischen Bedürfnisses ganz zu verzichten, oder in die Regelwerke Vorschriften über einen Erfüllungsanspruch bei antizipiertem Vertragsbruch aufzunehmen. Die auf Art. 71 f. CISG basierenden Regelungen über antizipierte Vertragsbrüche (Art. 9:304 PECL; Art. 7.3.3 f. PICC; Art. III.-3:504 f. DCFR; Art. 116 GEK-E) betreffen jeweils nur das Recht zur Vertragsaufhebung und das Zurückbehaltungsrecht, keinen Erfüllungsanspruch. Das CISG hat diese Problematik zumindest erkannt und den prozessualen Charakter seiner Lösung in Art. 28 CISG offen angesprochen. Die übrigen Regelwerke gehen hierauf jedoch nicht ein, sondern verharren in einem unglücklichen – und unmöglichen – Kompromiss zwischen common law und kontinentaleuropäischem Rechtsdenken.192 189 Vgl.
M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 398. Insoweit offenbar a.A. M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 410. 191 Vgl. auch M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 770. 192 So auch M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 180; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 758. 190
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c) Voraussetzungen des Erfüllungsanspruches und Beweislast Die Ausgestaltung des Erfüllungsanspruches als Rechtsbehelf führt schließlich auch dazu, dass er besonderen Voraussetzungen unterworfen wird, die bei einem Anspruch auf Naturalerfüllung nicht selbstverständlich sind. So ist nach Art. 8:101 Abs. 2 PECL (Art. 7.1.7 Abs. 4 PICC; Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR; Art. 106 Abs. 4 GEK-E) der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist.193 Zudem soll die Geltendmachung des Erfüllungsanspruches nach Art. 9:102 Abs. 3 PECL (Art. 7.2.2 lit. (e) PICC; Art. III.3:302 Abs. 4 DCFR) ausgeschlossen sein, wenn der Gläubiger ihn nicht innerhalb einer angemessenen Zeit nach Kenntnis bzw. Kennenmüssen von der Nichterfüllung geltend macht.194 Schließlich enthalten die Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL, 7.2.2 lit. (c) PICC und mittelbar auch Art. 8:202 Abs. 4 ACQP einen Vorrang des Deckungsgeschäfts vor dem Erfüllungsanspruch.195 Diese Einschränkungen gestalten den Erfüllungsprozess aufwändiger und unsicherer, weil sie die Voraussetzungen für die gerichtliche Geltendmachung des Erfüllungsanspruches erhöhen, und wirken dadurch abschreckend.196 Die Einordnung als Rechtsbehelf hat zuletzt auch missliche Konsequenzen für die Beweislast: Ist die Nichterfüllung der Leistungspflicht anspruchsbegründende Voraussetzung für den Erfüllungsanspruch, so muss nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung der Gläubiger die Beweislast für die Nichterfüllung tragen,197 anstatt wie nach § 362 Abs. 1 BGB der Schuldner die Beweislast für die Erfüllung.198 Sollte dies vom Gesetzgeber des GEK-E anders gemeint sein, wäre zumindest eine ausdrückliche Regelung entsprechend Art. III.-2:114 DCFR nötig, um die Beweislast klarzustellen.
II. Grenzen des Erfüllungsanspruches Der Erfüllungsanspruch wird von den hier behandelten Regelwerken nicht grenzenlos gewährt, sondern unterliegt Einschränkungen. Diese entsprechen im Kern – mit einigen Modifikationen und Ausnahmen im Detail – den oben bereits ausführlich behandelten, sachgesetzlich vorgegebenen Grenzen.199 Im Einzelnen geht es um die Tatbestände des Ablaufs einer vom Gläubiger gesetz193
S. dazu oben § 9.I.2.a)aa) (S. 467 ff.). S. dazu oben § 9.I.2.a)cc) (S. 472 f.). 195 Krit. dazu oben § 9.I.2.a)bb) (S. 469 ff.). 196 Krit. unter Effizienzgesichtspunkten auch M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 771 f. 197 So Mansel, WM 2012, 1253, 1319; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 758, zum DCFR auch ders., JbItalR 21 (2009), S. 43, 50 f.; M.-P. Weller, JZ 2008, 764, 771; Flessner, FS Bucher, 2009, S. 145, 158; M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 181. 198 S. bereits oben § 4.IV.1.a) (S. 242 ff.). 199 S. oben § 5 (S. 269 ff.). 194
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ten Frist, der Unmöglichkeit, der Unverhältnismäßigkeit der Leistungsaufwendungen, höchstpersönliche Dienstleistungen, und sonstige Übergangstatbestände, die in den Regelwerken typischerweise unter dem Stichwort „wesentliche Nichterfüllung“ behandelt werden.
1. Fristsetzung Unabhängig von einem etwaigen Heilungsrecht sehen die Regelwerke nach dem Vorbild des § 326 BGB 1900200 und des Art. 47 CISG stets auch die Möglichkeit des Gläubigers vor, dem Schuldner eine Frist zur Leistung zu setzen (Art. 8:106 PECL; Art. 7.1.5 PICC; Art. III.-3:103 DCFR; Art. 115 Abs. 1, 135 Abs. 1 GEK-E). 201 Die Rechtsfolgen einer solchen Fristsetzung unterscheiden sich allerdings vom früheren wie auch vom heutigen deutschen Recht:202 Dort gibt der Fristablauf dem Gläubiger die Möglichkeit, anstelle des Erfüllungsanspruches Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§ 281 BGB) oder vom Vertrag zurückzutreten (§ 323 BGB), so dass das Fristsetzungserfordernis den Vorrang des Erfüllungsanspruches und des Nacherfüllungsanspruches sowohl begründet als auch begrenzt. In den Regelwerken wird diese Funktion dagegen im wesentlichen vom Heilungsrecht des Schuldners übernommen.203 Der Fristsetzungsmechanismus dient dort vielmehr zwei anderen Zwecken:204 Zum einen soll er für den Schuldner insoweit Rechtssicherheit schaffen, als der Gläubiger während des Laufs der Frist an sein Erfüllungsbegehren gebunden ist und nicht auf einen anderen Rechtsbehelf übergehen kann. Diese Funktion entspricht der Bindung an eine gesetzte überobligatorische Frist gem. § 242 BGB im deutschen Recht. 205 Näher an § 323 BGB ist die zweite Funktion: Nach Ablauf der vom Gläubiger gesetzten Frist kann dieser gem. Art. 8:106 Abs. 3 PECL (Art. 7.1.5 Abs. 3 PICC; Art. III.-3:503 Abs. 1 DCFR; Art. 115 Abs. 1, 135 Abs. 1 GEK-E) den Vertrag auch dann beenden, wenn die (anfängliche) Verzögerung der Leis200 Vgl. etwa Anmerkung 2. zu Art. 8:106 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 456; Comment zu Art. 7.1.5 PICC (vor I.) in UNIDROIT, UNIDROIT principles of international commercial contracts 2010, 32010, S. 231. 201 Nach Art. 8:301 Abs. 1 lit. (b) ACQP läuft eine vergleichbare Frist kraft Gesetzes, s. dazu oben § 9.I.4.b)cc) (S. 485 f.). 202 Vgl. dazu auch L. Meyer, Non-Performance and Remedies under International Contract Law Principles and Indian Contract Law, 2010, S. 79 ff. 203 S. dazu oben § 9.I.4.a)cc) (S. 479 ff.) und § 9.I.4.b) (S. 482 ff.). 204 Vgl. Kommentar A zu Art. 8:106 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 451; Comment 2 zu Art. 7.1.5 PICC in UNIDROIT, UNIDROIT principles of international commercial contracts 2010, 32010, S. 232. 205 S. dazu oben § 5.II.3.a) (S. 286 ff.) sowie Althammer, NJW 2006, 1179, 1181.
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tung selbst noch keine wesentliche Nichterfüllung war. Der Gläubiger kann sich also bei „nicht wesentlichen“ Nichterfüllungen, d.h. bei Verträgen, bei denen die Leistungszeit nicht vertragswesentlich war, 206 im Wege der Fristsetzung ein Rücktrittsrecht verschaffen. Ähnlich war schon zu Art. 47 CISG, wo es keine entsprechende Vorschrift gab, anerkannt, dass eine nicht wesentliche Vertragsverletzung durch den Fristablauf zu einer wesentlichen werden kann und dadurch den Weg zum Rücktritt eröffnet. Mit der Vertragsaufhebung wird auch der Weg frei für den Schadensersatz statt der Leistung im Wege des Ersatzes der Kosten eines Deckungsgeschäfts (Art. 9:506 f. PECL; Art. 7.4.5 f. PICC, Art. III.-3:706 f. DCFR, Art. 164 f. GEK-E, jeweils nach dem Vorbild der Art. 75 f. CISG). 207 Allerdings ist diese Möglichkeit in den Regelwerken jeweils auf die Fälle der reinen Nichtleistung beschränkt und gilt nicht für die Schlechtleistung; nach zutreffender Auffassung lässt sich die Fristsetzung dort auch nicht auf den Nacherfüllungsanspruch anwenden. 208 Damit greift der Fristsetzungsmechanismus in denjenigen Fällen nicht ein, wo die Leistung zwar rechtzeitig, aber mangelhaft erbracht wird. Hier bleibt es nach den Regelwerken dabei, dass eine Vertragsbeendigung nur möglich ist, wenn der Mangel selbst eine wesentliche Nichterfüllung darstellt (mit Ausnahme von Art. 114 Abs. 2 GEK-E, wo eine nicht „unerhebliche“ Nichterfüllung genügt). Eine Fristsetzung kann nur insoweit zum Rücktritt führen, als die fehlende Bereitschaft des Schuldners zur Nacherfüllung innerhalb angemessener Frist einen Mangel, der für sich genommen nicht wesentlich wäre, zu einer wesentlichen Nichterfüllung macht.209 Das ist aber nicht stets der Fall. 210 Dadurch verliert die Fristsetzungslösung einen wesentlichen Anwendungsbereich, was zwar der Vertragserhaltung dient, aber im Ergebnis dazu führen kann, dass der Käufer gezwungen wird, eine mangelhafte Sache zu behalten, obwohl der Verkäufer nicht zur (möglichen) Mängelbeseitigung bereit ist. Eine Lösung ist hier zum einen dadurch zu suchen, dass der Begriff der „Wesentlichkeit“ der Nichterfüllung so verstanden wird, dass die fehlende Bereitschaft des Verkäufers zur Mängelbeseitigung innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist aus einem „gewöhnlichen“ Mangel eine wesentliche Nichterfüllung machen kann, so dass der Rücktritt nach Art. 114 Abs. 1 GEK-E möglich wird. Besser wäre insoweit allerdings eine Änderung des Art. 115 Abs. 1 GEK-E im laufenden Gesetzgebungsverfahren dahingehend, dass die Beschränkung des Rücktritts nach Fristsetzung auf verspätete Lieferungen aufgehoben wird.
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S. dazu noch unten § 9.II.5.b) (S. 517). S. dazu oben § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.). 208 S. oben § 9.I.4.b)dd) (S. 486 ff.). 209 S. dazu oben § 9.I.4.b)aa) (S. 482 ff.). 210 Vgl. zum CISG P. Huber, RabelsZ 71 (2007), 13, 33. 207
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Zusätzlich sollte für unerhebliche Mängel, die trotz fruchtlosen Fristablaufs noch so geringfügig bleiben, dass eine Vertragsaufhebung mangels Wesentlichkeit der Nichterfüllung nicht in Betracht kommt, klargestellt werden, dass neben bzw. anstelle der Minderung auch der „kleine“ Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden kann. Dieser ist entweder nach den Kosten für eine (mögliche) Mängelbeseitigung oder, falls diese unmöglich ist, nach der Wertminderung der Kaufsache infolge des Mangels zu berechnen. Hierfür wäre allerdings eine weitergehende Konkretisierung des Schadensersatzrechts im GEK-E erforderlich, um diese Schadenskategorie eingrenzen zu können.
2. Unmöglichkeit Die Erfüllung kann nach Art. 9:102 Abs. 2 lit. (a) PECL (Art. 7.2.2 lit. (a) PICC; Art. 8:202 Abs. 3 lit. (a) ACQP; Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. (a) DCFR; Art. 110 Abs. 3 lit. (a) GEK-E) nicht verlangt werden, wenn sie rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Für die tatsächliche – objektive wie subjektive – Unmöglichkeit im strengen Sinne ist dieser Ausschluss ontologisch vorgegeben.211 Gleiches gilt für die rechtliche Unmöglichkeit, bei welcher die geschuldete Leistung aus Rechtsgründen nicht erbracht werden darf. Die (endgültige) Unmöglichkeit der Leistung wird immer eine wesentliche Vertragsverletzung darstellen, 212 so dass der Gläubiger den Vertrag beenden und auf den Schadensersatz statt der Leistung übergehen kann. Damit ist die Unmöglichkeit in diesen Regelwerken auch ein Übergangstatbestand vom Naturalerfüllungsanspruch auf den Schadensersatz statt der Leistung. Zur Befreiung von der Schadensersatzhaftung führt die Unmöglichkeit dagegen nur, wenn sie auf höherer Gewalt beruht bzw. sonst im Sinne der Regelwerke entschuldigt ist (Art. 8:108 Abs. 1 PECL; Art. 7.1.7 Abs. 1 PICC; Art. 8:401 Abs. 2 ACQP; Art. III.-3:104 Abs. 1, 2, 4 DCFR; Art. 88 Abs. 1 GEK-E). Die Regelung in Art. 110 Abs. 3 lit. (a) GEK-E weicht von den zitierten Regelwerken insoweit ab, als die Leistung bei rechtlicher Unmöglichkeit nur ausgeschlossen sein soll, wenn sie „rechtswidrig geworden ist“. Der Grund für die damit offensichtlich gewollte Beschränkung auf nachträgliche Rechtswidrigkeit der Leistung dürfte wohl darin liegen, dass die Frage der (anfänglichen) Rechtswidrigkeit des gesamten Vertrags nach dem 27. Erwägungsgrund des Verordnungsentwurfes nicht vom Anwendungsbereich des GEK umfasst sein soll.213 Rechtswidrigkeit eines Vertrags und anfängliche rechtliche Unmöglichkeit seiner Erfüllung sind allerdings nicht identisch. Gerade bei grenzüberschrei211
S. dazu oben § 5.III.3 (S. 310 ff.). So zu Art. III.-3:502 DCFR Faust, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 19, 22. 213 Vgl. S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 760. 212
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tenden Verträgen ist es denkbar, dass der Vertrag nach dem Vertragsstatut nicht rechtswidrig ist, die Erfüllung am Leistungsort aber verboten. In einem solchen Fall anfänglicher rechtlicher Unmöglichkeit muss der Naturalerfüllungsanspruch selbstverständlich ebenfalls ausgeschlossen sein.214 Art. 110 Abs. 3 lit. (a) GEK-E ist daher entsprechend den Vorbildregelungen in den PECL, PICC, ACQP und im DCFR auf alle Fälle rechtlicher Unmöglichkeit auszudehnen. 215 Das konterkariert nicht die Intention des 27. Erwägungsgrundes, weil sich die Frage, ob eine Leistung rechtlich unmöglich ist, nach wie vor nach dem anwendbaren mitgliedstaatlichen Recht am Leistungsort bestimmt. Lediglich die Auswirkungen dieser rechtlichen Unmöglichkeit auf die Leistungspflicht sind in Art. 110 Abs. 3 lit. (a) GEK-E zu regeln. Die Unmöglichkeitsregeln sprechen vorübergehende Leistungshindernisse im Rahmen der Übergangstatbestände nicht ausdrücklich an, sondern nur im Rahmen der Haftungsbefreiung (Art. 8:108 Abs. 2 PECL; Art. 7.1.7 Abs. 2 PICC; Art. III.-3:104 Abs. 3 DCFR; Art. 88 Abs. 2 GEK-E). 216 Allerdings ist wegen der – hier abgelehnten 217 – Regelung der Art. 8:101 Abs. 2 PECL (Art. 7.1.7 Abs. 4 PICC; Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR; Art. 106 Abs. 4 GEK-E) der Naturalerfüllungsanspruch während des Bestehens eines nicht zu vertretenden vorübergehenden Leistungshindernisses ebenfalls ausgeschlossen. 218 Nicht explizit geregelt ist allerdings der Fall, dass das vorübergehende Leistungshindernis nicht entschuldigt ist. Auch hier ist ein durchsetzbarer Anspruch auf Naturalerfüllung nicht sinnvoll, so dass die Unmöglichkeitsvorschriften insoweit angewendet werden sollten. Während des Bestehens des Leistungshindernisses ist danach keine Erfüllungsklage möglich. Daher erscheint es regelungstechnisch konsistenter, die Auswirkungen vorübergehender Leistungshindernisse auf den Erfüllungsanspruch mit der Unmöglichkeit zu erfassen, 219 anstatt sie über die Haftungsbefreiung wegen entschuldigter Nichterfüllung zu lösen. Sobald absehbar ist, dass die Verzögerung infolge ihrer Dauer eine wesentliche Nichterfüllung bewirken wird, kann die Verzögerung als solche behandelt, der 214 So auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 760; Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 110 Rn. 14. 215 Für eine analoge Anwendung auch Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 110 Rn. 14 a.E. 216 Vgl. dazu Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, 2008, S. 235 ff. (zu den PECL). 217 S. oben § 9.I.2.a)aa) (S. 467 ff.); regelungstechnisch besser scheint es, den Erfüllungsanspruch hier schlicht an der Unmöglichkeit scheitern zu lassen. 218 So Comment zu Art 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 479, und zu Art. III.-3:302 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 830. Zum GEK-E s. Zoll, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 88 Rn. 13. 219 So auch Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.2.2 Rn. 19, 22.
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Vertrag also aufgehoben werden (Art. 8:108 Abs. 2 S. 2 PECL; Art. 7.1.7 Abs. 4 PICC; Art. III.-3:104 Abs. 3 S. 2 DCFR; Art. 88 Abs. 2 S. 2 GEK-E). Für den Fall, dass das vorübergehende Leistungshindernis nicht entschuldigt ist, gibt es keine entsprechende Regelung. Insoweit bleibt es bei den allgemeinen Vorschriften über die Vertragsaufhebung bei wesentlicher Nichterfüllung und den Schadensersatz statt der Leistung. Die genannten Normen sollen lediglich eine Vertragsaufhebung trotz entschuldigter Nichterfüllung ermöglichen, aber keine abschließende Regelung der Folgen vorübergehender Leistungshindernisse enthalten. Ist die Schwelle der wesentlichen Vertragsverletzung allein durch die Verzögerung nicht erreicht, sollte entsprechend den zum deutschen Recht entwickelten Grundsätzen 220 trotz der Entschuldigung der Pflichtverletzung der Weg über eine „freiwillige“ Fristsetzung nach Art. 8:106 PECL; Art. 7.1.5 PICC; Art. III.-3:103 DCFR; Art. 115 Abs. 1, 135 Abs. 1 GEK-E möglich sein.
3. Unverhältnismäßigkeit Die hier behandelten Regelwerke sehen auch sämtlich – mit unterschiedlichen Formulierungen im Detail – eine Regelung für den Ausschluss des naturalen Erfüllungsanspruches für den Fall vor, dass die Aufwendungen für die Naturalerfüllung unverhältnismäßig sind (Art. 9:102 Abs. 2 lit. (b) PECL: Erfüllung würde „dem Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen“; Art. 7.2.2 lit. (b) PICC: „Erfüllung oder, sofern erheblich, die Durchsetzung ist unzumutbar beschwerlich oder teuer“; Art. 8:202 Abs. 3 lit. (b) ACQP: Erfüllung wäre „unangemessen beschwerlich oder teuer“; Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. (b) DCFR: „performance would be unreasonably burdensome or expensive“; Art. 110 Abs. 3 lit. (b) GEK-E: Erfüllung wäre „im Vergleich zu dem Vorteil, den der Käufer dadurch erlangen würde, unverhältnismäßig aufwändig oder kostspielig“).
a) Der Maßstab der Abwägung Mit Ausnahme des GEK-E gibt keine Regelung ausdrücklich den Maßstab der hier vorzunehmenden Abwägung vor. Folgt man den ökonomischen und teleologischen Erwägungen, die diesen Vorschriften ebenso wie der deutschen Regelung in § 275 Abs. 1 und 2 BGB221 zugrunde liegen, 222 so muss der Maßstab der „Angemessenheit“ das spezifische Interesse des Gläubigers an der Naturalerfüllung sein, das zum Leistungsaufwand des Schuldners ins Verhältnis zu 220
Oben § 5.III.4.b) (S. 318 ff.). S. oben § 5.IV.1.a) (S. 325 ff.). 222 Vgl. Leible, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 97, 100. 221
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setzen ist. Die Formulierung „beschwerlich oder teuer“ lässt dabei jeweils darauf schließen, dass nicht nur der monetäre Leistungsaufwand, sondern auch immaterielle Erschwernisse aufseiten des Schuldners zu berücksichtigen sind, sofern solche vorliegen. Dann ist es aber nur konsequent, mit der hier vertretenen Auffassung223 auch ein etwaiges immaterielles Leistungsinteresse des Gläubigers in die Abwägung mit einzubeziehen. 224 Während derartige immaterielle Interessen bei internationalen Handelsverträgen nur schwer vorstellbar sind, 225 können sie bei grenzüberschreitenden Verbraucherkäufen im Anwendungsbereich des GEK-E eher relevant werden. Wie im deutschen Recht spielt auch in den Regelwerken die Angemessenheit der Gegenleistung für die Beurteilung der „Unangemessenheit“ der Anstrengungen oder Kosten des Schuldners keine Rolle: Die Unangemessenheit bezieht sich allein auf das Verhältnis zwischen Leistungsaufwand des Schuldners und Leistungsinteresse des Gläubigers. 226 Dass die Schwelle des Ausschlusses schon bei der „einfachen“ Unangemessenheit statt bei dem „groben Missverhältnis“ des § 275 Abs. 2 BGB liegt, sollte nicht überbewertet werden: Auch die Regelwerke gehen von dem Grundsatz pacta sunt servanda aus, dessen Schutz eine erhöhte Schwelle dient. Nichts spricht dagegen, auch die Schwelle der (bloßen) „Unangemessenheit“ so zu handhaben, dass nur Fälle eindeutiger Unangemessenheit davon erfasst sind. 227 Nicht umsonst zitiert auch der Kommentar zu Art. 9:102 PECL als Beispiel Fälle, in denen es „schikanös sein [kann], die nicht leistende Partei zu zwingen, ihr Versprechen einzuhalten.“228 Auch eine Berücksichtigung des Vertretenmüssens des Schuldners aus präventiven Erwägungen heraus229 lässt die Offenheit des Begriffs „unzumutbar“ bzw. „unangemessen“ ohne weiteres zu. Damit sind die Vorschriften der behandelten Regelwerke über die Unverhältnismäßig223
S. oben § 5.IV.2.b) (S. 334 f.). Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 76 zum DCFR; Albers, ZEuP 2012, 687, 695 ff. 225 Mit diesem Argument lehnt Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.2.2 PICC Rn. 26 die Berücksichtigung immaterieller Interessen in den PICC ab. 226 Vgl. Kommentar F zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 479 sowie Beale, in: Blaurock/G. Hager (Hrsg.), Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S. 115, 118 zum DCFR; zum GEK-E auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 257. 227 Anders aber Mansel, WM 2012, 1309, 1319 sowie MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 631, die im GEK-E eine signifikant niedrigere Schwelle der Unverhältnismäßigkeit sehen. 228 Kommentar F zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 479; ebenso Comment zu Art. III.-3:302 DCFR in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 831. 229 S. dazu oben § 5.IV.2.d) (S. 337 ff.). 224 Ebenso
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keit der Leistungsaufwendungen mit der hier vertretenen Interpretation des § 275 Abs. 2 BGB deckungsgleich. Freilich ist es im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen, dass Art. 110 Abs. 3 lit. (b) GEK-E den Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung definiert; gleiches wäre auch für die PICC zu wünschen.
b) Abgrenzung zur „Änderung der Umstände“ Wie im deutschen Recht besteht zuletzt auch in den Regelwerken ein potenzielles Abgrenzungsproblem zwischen den genannten Vorschriften über den Ausschluss des Erfüllungsanspruches wegen Unverhältnismäßigkeit einerseits und den Regelungen über nachträgliche Erschwerungen (hardship) andererseits. 230 Diese finden sich in Art. 6:111 PECL; Art. 6.2.1 ff. PICC; Art. III.-1:110 DCFR; Art. 89 GEK-E. Nur die Regelung der PICC geht dabei ausdrücklich von einer Störung des vertraglichen Gleichgewichts aus, was eine eindeutige Abgrenzung zur Unverhältnismäßigkeit ermöglicht: Bleibt trotz der Leistungserschwerung für den Schuldner das Leistungsinteresse des Gläubigers gleich, so liegt ein Fall der Unverhältnismäßigkeit vor, der zum Ausschluss des Erfüllungsanspruches führen kann. Steigt das Leistungsinteresse dagegen mit der Leistungserschwerung an (z.B. weil der Marktpreis des verkauften Gutes über den Vertragspreis steigt), so greift die Regelung über die Unverhältnismäßigkeit nicht ein, so dass Raum für die Anwendung der Regeln über hardship ist. 231 Die übrigen Regelwerke behandeln die Abgrenzungsproblematik zwischen beiden Rechtsinstituten weder ausdrücklich noch in den Kommentaren. 232 Allerdings lässt sich den Formulierungen des erhöhten Leistungsaufwandes in den Regelungen über veränderte Umstände entnehmen, dass an Äquivalenzstörungen gedacht ist, weil jeweils entweder von erhöhten Erfüllungskosten oder vom reduzierten Wert der Gegenleistung die Rede ist. Die hier zu den PICC sowie bereits oben 233 zum BGB vorgeschlagene Lösung sollte daher auf die PECL, den DCFR und den GEK-E übertragen werden. 234 Sie entspricht dem sachlogischen Vorrang der Leistungsbefreiung wegen Unverhältnismäßigkeit vor Neuverhandlungspflichten und ggf. einem Rücktrittsrecht wegen Äquivalenz230
Vgl. dazu etwa Mansel, WM 2012, 1309, 1319; M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 184. auch Schelhaas, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.2.2 PICC Rn. 30. 232 Der Kommentar A zu Art. 6:111 PECL (in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 389) spricht nur das Konkurrenzverhältnis zu Art. 8:108 PECL an, überlässt die Abgrenzung insoweit aber den Gerichten, ohne nähere Hinweise für die Auflösung zu geben. 233 § 5.IV.1.c) (S. 327 ff.). 234 So auch Faust, in: Schulte-Nölke/Zoll/N. Jansen u.a. (Hrsg.), Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 2012, S. 251, 257; wohl auch Schmidt-Kessel/Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 89 Rn. 2, 4; a.A. M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 184: Vorrang der Regeln über „veränderte Umstände“. 231 So
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störungen: Wird der Schuldner ohnehin wegen Unverhältnismäßigkeit infolge der Leistungserschwerung von der Leistungspflicht befreit, so entfällt damit die Störung des Äquivalenzverhältnisses. Umgekehrt würde eine Vertragsänderung durch Anpassung der Gegenleistung nichts an der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit einer Naturalleistungserbringung ändern, die erheblich teurer ist als der Vorteil, den der Gläubiger aus ihr zieht.
4. Höchstpersönliche Verpflichtungen Der Erfüllungsanspruch ist nach Art. 9:102 Abs. 2 lit. (c) PECL ausgeschlossen, wenn die Erfüllung in der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters besteht oder von einer persönlichen Beziehung abhängt.
a) Höchstpersönliche Dienst- und Werkleistungen Ein „persönlicher Charakter“ einer Dienst- oder Werkleistung soll nach dem Kommentar zu dieser Vorschrift immer dann vorliegen, wenn die Leistung „individuelle Fertigkeiten künstlerischer oder wissenschaftlicher Natur“ erfordert, oder wenn sie im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zu erbringen sind. 235 Damit sind diejenigen Leistungen umschrieben, die aus deutscher Sicht „unvertretbare Dienstleistungen“ i.S.v. § 888 ZPO darstellen. 236 Die Gründe für eine Sonderbehandlung höchstpersönlicher Dienstleistungen sind oben bereits dargestellt worden;237 sie gelten auch hier. 238 Eine vergleichbare Regelung zu höchstpersönlichen Dienstleistungspflichten findet sich in Art. 7.2.2 lit. (d) PICC. Dass diese – nach Normzweck und praktischem Ergebnis dem § 888 ZPO entsprechenden – Regelungen im materiellen Recht als Anspruchsausschluss zu finden sind anstatt im Vollstreckungsrecht, dürfte zwei Gründe haben: Zum einen den offensichtlichen, dass die PECL von vornherein nur das materielle Vertragsrecht regeln sollen, so dass eine vollstreckungsrechtliche Annexregelung nicht in ihren Regelungsbereich fallen würde.239 Zum anderen aber führt das gewählte Remedy-Konzept dazu, dass die Regelung tatsächlich mit den gleichen Effekten im materiellen Recht erfolgen kann. Das aktionenrechtlich orientierte Remedy-System führt dazu, dass der Ausschluss des Rechtsbehelfs „Erfüllungsanspruch“ den gleichen praktischen Effekt hat wie ein Ausschluss 235 Kommentar G zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 480. 236 S. dazu oben § 7.II.2.a) (S. 434 f.). 237 Oben § 5.V.1 (S. 355 ff.). 238 Vgl. Kommentar G zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 480. 239 S. auch M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 168.
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seiner Klagbarkeit. Der Grund, warum Teile der Problematik im deutschen Recht über § 275 Abs. 3 BGB statt über § 888 Abs. 3 ZPO gelöst werden, 240 liegt am Vorrang des Erfüllungsanspruches. Dieser macht einen expliziten Übergangstatbestand nötig, um für den Fall einer zu vertretenden Unzumutbarkeit Schadensersatz statt der Leistung nach § 283 BGB verlangen zu können, und auch im Übrigen eine Vertragsauflösung über § 326 BGB zu ermöglichen. Aus Sicht eines Remedy-Systems sind diese Funktionen nicht nötig, weil der Weg zu den Rechtsbehelfen Vertragsaufhebung und Schadensersatz ohnehin frei ist, wenn kein Erfüllungsanspruch besteht. Um die Funktionen des § 275 Abs. 3 BGB vollständig abzudecken, fehlt dann allerdings ein Pendant zur Haftungsentlastungsfunktion, das systematisch in Art. 8:108 PECL zu verorten wäre: Dass die Sängerin mit krankem Kind nicht auftreten muss (Art. 9:102 lit. (c) PECL) ist das eine; dass sie auch keinen Schadensersatz schulden sollte, ist das andere. Hier sollte jedenfalls Art. 8:108 Abs. 1 PECL so interpretiert werden, dass bei persönlichen Dienstleistungen „Hinderungsgründe“ nicht nur als objektive Leistungshindernisse verstanden werden, sondern auch Leistungshindernisse aus moralischen, ideellen oder Gewissensgründen. Der Wortlaut der Regelung dürfte dieses Auslegungsergebnis decken, wenngleich eine Klarstellung wünschenswert wäre. Die genannten Regelungen führen dazu, dass Ansprüche auf Erfüllung persönlicher Dienstleistungen nach PECL und PICC insgesamt weder klagbar noch vollstreckbar sind. Eine Abwägung, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich bereits die Klage – mag auch ein entsprechendes Urteil nicht vollstreckbar sein – dem Schuldner nicht zumutbar ist, findet nicht statt. Auch nach ACQP und DCFR wird bereits die Klagemöglichkeit verneint, wenn nur die Vollstreckung unzumutbar wäre. Damit schneiden die Regelwerke die Möglichkeit eines Leistungsurteils mit bloßer Appellwirkung, aber ohne Vollstreckungsmöglichkeit, ab. 241 Ein Streit zwischen den Parteien über die Wirksamkeit des Vertrags muss daher zwingend im Schadensersatzprozess ausgetragen werden – selbst wenn der Schuldner für den Fall der Wirksamkeit leistungsbereit wäre. Der auf Werklohnzahlung verklagte Besteller eines höchstpersönlichen Werkes kann im Werklohnprozess nicht einmal widerklagend die Fertigstellung bzw. Nachbesserung des Werkes verlangen; lediglich ein Zurückbehaltungsrecht nach Art. 9:201 PECL (Art. 7.1.3 PICC; Art. 8:304 ACQP; Art. III.-3:401 DCFR; Art. 113 GEK-E) darf er wohl geltend machen, erhält dadurch aber keinen eigenen Vollstreckungstitel. Umgekehrt steht dem Schuldner jedoch das Heilungsrecht noch zu. Im praktischen Ergebnis sind höchstpersönliche Leistungen nach der Regelung in den PECL und den PICC unvollkommene Verbindlichkeiten, die nicht durch den Gläubiger durchgesetzt werden können, die 240 241
Vgl. zum Verhältnis der Regelungen zueinander oben § 5.V.1.c) (S. 357 ff.). Krit. daher auch M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 168.
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aber der Schuldner freiwillig erbringen kann, um seine Gegenleistung zu verdienen bzw. um einschneidendere Rechtsbehelfe des Gläubigers zu verhindern. Diese Rechtsfolge erscheint überschießend. Der eigentliche Schutzbedarf des Schuldners besteht nur gegenüber der zwangsweisen Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung, und auch hier nur insoweit, als durch die Zwangsvollstreckung tatsächlich in Grundrechte des Schuldners eingegriffen würde. Das ist längst nicht bei allen unvertretbaren Leistungspflichten der Fall. So ist nicht einzusehen, warum beispielsweise die Pflicht eines Arbeitgebers zur Zeugnis erteilung oder die Pflicht eines Handelsvertreters zur Rechnungslegung und Auskunftserteilung nicht einklagbar sein sollten – obwohl es sich sicherlich um höchstpersönliche Pflichten handelt. Nach den PECL könnte man zwar möglicherweise durch ein enges Verständnis der „Dienst- oder Werkleistungen“ diese Fälle ausscheiden; gleichwohl ist es misslich, dass Art. 9:102 Abs. 2 lit. (c) PECL nicht explizit auf die Unzumutbarkeit der Vollstreckung abstellt. Nach den PICC besteht eine solche Möglichkeit ohnehin nicht, weil diese bei sämtlichen höchstpersönlichen Leistungspflichten den naturalen Erfüllungsanspruch ausschließen. Besser getroffen erscheint insoweit die Regelung in Art. 8:202 Abs. 2 lit. (c) ACQP, wonach der Erfüllungsanspruch nur ausgeschlossen ist, wenn „wegen des persönlichen Charakters der Leistung eine zwangsweise Erfüllung unzumutbar wäre“; ähnlich schließt Art. III.-3:302 Abs. 2 lit. (c) DCFR den Erfüllungsanspruch aus, wenn „performance would be of such a personal character that it would be unreasonable to enforce it.“ Die Merkmale der „Unzumutbarkeit“ bzw. „Angemessenheit“ der Zwangsvollstreckung ermöglichen zumindest eine zielgenauere Einschränkung derjenigen Ansprüche, die tatsächlich auszuschließen sind. 242 In Art. 110 Abs. 3 GEK-E ist gar keine Einschränkung des Erfüllungsanspruches für höchstpersönliche Leistungen vorgesehen. Das mag im Hinblick auf reine Kaufverträge zunächst verständlich erscheinen, weil hier ohnehin keine höchstpersönlichen Leistungspflichten im Raum stehen. Allerdings soll das GEK nach Art. 9 GEK-E auch für Kaufverträge mit verbundenen Dienstleistungen gelten; zudem (und vor allem) erfasst der Begriff des Kaufvertrags nach Art. 2 lit. (k) GEK-VO-E auch Verträge über die Lieferung neu hergestellter Sachen, also Werklieferungsverträge im Sinne des deutschen Rechts. 243 Hier sind höchstpersönliche Leistungspflichten ohne weiteres denkbar (z.B. bei der grenzüberschreitenden Bestellung eines Gemäldes oder eines wissenschaftlichen Gutachtens), so dass sich die Sachfrage nach dem Schuldnerschutz vor Zwangsvollstreckung ebenso stellen kann. Das ELI hat dementsprechend einen Ausschluss des Erfüllungsanspruches entsprechend dem DCFR angeregt 242 S. zu den Gründen der Beschränkung der Ausnahme gegenüber den PECL auch Schmidt-Kessel, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 69, 76. 243 Vgl. S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 714.
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(Art. 132 Abs. 2 lit. (c) GEK-ELI). 244 Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat diesen Vorschlag allerdings nicht aufgegriffen. Damit bliebe es dabei, dass im Anwendungsbereich des GEK die Frage des Schuldnerschutzes allein vollstreckungsrechtlich zu lösen ist, was nach dem 27. Erwägungsgrund des GEK-VO-E auf die Anwendung des mitgliedstaatlichen Vollstreckungsrechts hinausläuft. Da aber längst nicht alle Mitgliedstaaten entsprechende vollstreckungsrechtliche Schutzvorschriften vorsehen, weil einige diese Problematik materiell-rechtlich durch Ausschluss des Erfüllungsanspruches lösen (etwa das common law), kommt es insoweit zu einer (vermeidbaren) Rechtszersplitterung, die in manchen Mitgliedstaaten Klage und Vollstreckung höchstpersönlicher Leistungen zulässt, in anderen nicht.
b) Abhängigkeit der Erfüllung von einer persönlichen Beziehung Nach den PECL ist der Erfüllungsanspruch auch ausgeschlossen, wenn die Erfüllung „von einer persönlichen Beziehung abhängt.“ Dieses Merkmal ist zumindest unklar. Gemeint sind nach dem Kommentar zu dieser Regelung Fälle, in denen die Erfüllung eine besondere Nähebeziehung zwischen den Parteien begründet, etwa bei Geschäftsführerverträgen oder bei Mietverträgen im Haus oder in der Wohnung des Vermieters. 245 Diese Verträge haben in der Tat eine gewisse Sonderstellung, die sich im deutschen Recht etwa in dem privilegierten Kündigungsrecht des Vermieters einer Wohnung in einem selbstgenutzten Gebäude nach § 573a BGB oder dem erleichterten Recht zur fristlosen Kündigung von Dienstverträgen mit besonderer Vertrauensstellung nach § 627 BGB zeigt. 246 Allerdings ist die Formulierung, dass die Erfüllung „von einer persönlichen Beziehung abhängt“, ohne Heranziehung des Kommentars nicht in dieser Weise zu verstehen. Da zudem relevante Fälle, die nicht zugleich höchstpersönliche Dienst- oder Werkleistungspflichten sind, äußerst selten sein dürften und über Treu und Glauben lösbar sind (Art. 1:201 PECL), erscheint diese Variante verzichtbar. Die Variante wurde daher zu Recht nicht in die Formulierung des DCFR übernommen, sondern ist dort – ohne Änderung in der Sache247 – in der einheitlichen Formulierung „such a personal character that it would be unreasonable to enforce it“ aufgegangen.
244 European Law Institute, Statement of the European Law Institute on the Proposal for a regulation on a common European sales law (COM(2011) 635 final), 2013, S. 284 f. 245 Kommentar G mit Beispiel 6 zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 480 f. 246 Vgl. auch M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 166. 247 Comment G zu Art. III.-3:302 DCFR (in von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009, S. 832) wiederholt als Illustration 5 das Beispiel 6 des entsprechenden PECL-Kommentars.
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c) Regelungsstandort Nach dem Vorstehenden ist ein Bedarf für eine einheitliche Regelung der Naturalerfüllung bei höchstpersönlichen Leistungspflichten zu konstatieren. Im Interesse der angestrebten Rechtsvereinheitlichung sollte diese Regelung auch im Rahmen der jeweiligen Regelwerke – d.h. auch im GEK – erfolgen. Es handelt sich bei der Problematik höchstpersönlicher Leistungspflichten zwar um eine genuin vollstreckungsrechtliche Frage, 248 die dementsprechend auch als Vollstreckungsausschluss – und nicht als materiell-rechtlicher Anspruchsausschluss – ausgestaltet werden sollte. Wie das Beispiel des Art. 7.2.4 PICC zeigt, ist eine solche Regelung auch im Rahmen der Regelwerke möglich. Sie ist erforderlich, um eine einheitliche Anwendung trotz divergierender Prozess- und Vollstreckungsrechte der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Auch hier zeigt sich – wieder –, dass eine Vereinheitlichung nur des materiellen Rechts ohne Blick auf das Prozess- und Vollstreckungsrecht zu kurz greift. 249
5. Sonstige Übergangstatbestände a) Ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung Die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung ist in den Regelwerken nicht explizit als Grund für den sofortigen Übergang auf den Schadensersatzanspruch statt der Leistung genannt. Der Vorrang der Naturalerfüllung ist dort allerdings ohnehin vorwiegend durch das Merkmal der „wesentlichen Nichterfüllung“ gesichert. Zum CISG entspricht es jedoch ganz herrschender Auffassung, dass die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG begründet. 250 Diese Auffassung ist auf die Regelwerke zu übertragen, so dass auch hier eine Vertragsaufhebung – und in der Folge die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung – unmittelbar nach einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung möglich ist. 251 Im Rahmen des GEK-E ergibt sich die Lösung unmittelbar aus Art. 87 Abs. 2 lit (b) GEK-E, wonach eine wesentliche Nichterfüllung auch dann vorliegt, wenn die Nichterfüllung „klar zu erkennen gibt, dass sich die andere Partei nicht auf die künftige Erfüllung durch die andere Partei verlassen kann“. Dieser weit formulierte Tatbestand umfasst auch die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung. Ein vorrangiges Heilungsrecht des Schuldners 248
So auch M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 168. S. dazu noch näher unten § 9.IV (S. 524 ff.). 250 Vgl. nur OLG München IHR 2005, 70 (CISG-online Nr. 1013); Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 25 Rn. 37; MünchKomm-BGB/Gruber, Art. 25 CISG Rn. 20; Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 25 CISG Rn. 20. 251 Ebenso U. Huber, ZEuP 2008, 708, 728 zum DCFR. 249
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kommt im Falle einer Erfüllungsverweigerung nicht in Betracht, weil dieses jeweils ein Heilungsangebot voraussetzt, das hier gerade nicht vorliegt. Problematisch wird die Rechtslage nur unter Geltung der PICC und des GEK-E, weil dort Art. 7.1.4 Abs. 2 PICC bzw. Art. 109 Abs. 3 GEK-E das Heilungsrecht des Schuldners nicht ausschließen, wenn der Gläubiger wirksam den Vertrag aufgehoben hat. Dadurch wäre die Situation denkbar, dass der Schuldner zunächst die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, der Gläubiger daraufhin den Vertrag aufhebt, und der Schuldner nun doch noch ein Heilungsangebot macht. Allerdings dürfte es in derartigen Fällen regelmäßig schon am Zeitmoment für das Heilungsangebot fehlen, das „unverzüglich“ gemacht werden muss. Zudem bietet in den PICC die Generalklausel des Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. (c) PICC genug Spielraum, um hier einen Fall anzunehmen, in dem der Gläubiger „ein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der Nachleistung“ hat. Unter Geltung des GEK-E käme wohl nur eine Anwendung des Art. 109 Abs. 4 lit. (b) GEK-E in Betracht, wonach das Heilungsrecht des Verkäufers ausgeschlossen ist, wenn „der Käufer Grund zu der Annahme hat, dass er sich nicht auf die künftige Leistung durch den Verkäufer verlassen kann“. Dieses Merkmal wird jedoch nicht in jedem Fall erfüllt sein. Angesichts der Seltenheit solcher Fälle dürfte eine legislative Klarstellung aber entbehrlich sein, weil diese auch über das Verbot widersprüchlichen Verhaltens gelöst werden können.
b) Zeitkritische Verträge Ein weiterer Fall wesentlicher Nichterfüllung, der die sofortige Vertragsbeendigung und damit auch den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung ermöglicht, liegt vor, wenn das Erfüllungsinteresse in besonderem Maße zeitbezogen ist („time is of the essence“). Hier begründet eine Leistungsverzögerung über den aus Gläubigersicht relevanten Zeitpunkt hinaus eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.v. Art. 25 CISG. Das betrifft nicht nur relative Fixgeschäfte im Sinne des deutschen § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sondern auch andere Fälle zeitkritischer Lieferungen, etwa bei Just-in-time-Lieferverträgen oder Verträgen mit Liefertermin beim Verkauf von Saisonware, die nach deutschem Recht unter die Generalklausel des § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB (und § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB a.F.) fallen. 252 Nichts anderes gilt für den Begriff der wesentlichen Nichterfüllung nach den hier behandelten Regelwerken. 253
252 S. nur Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 25 CISG Rn. 22; Schlechtriem/Schwenzer/ Schroeter, Art. 25 Rn. 38 ff.; MünchKomm-BGB/Gruber, Art. 25 CISG Rn. 21. 253 Zum DCFR etwa Faust, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 19, 22; U. Huber, ZEuP 2008, 708, 726; zum GEK-E S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 746.
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c) Sonstige Übergangstatbestände Auch die übrigen zu § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB behandelten Übergangstatbestände254 lassen sich allesamt zwanglos mit Hilfe des Begriffs der wesentlichen Nichterfüllung im Sinne der Regelwerke lösen.255 Voraussetzung ist allerdings auch hier – wie schon mehrfach herausgestellt 256 –, dass die Geltendmachung des „großen“ Schadensersatzes statt der Leistung vom Vorliegen der Voraussetzungen der Vertragsbeendigung abhängig gemacht wird, mithin von der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung.
III. Voraussetzungen und Umfang des Schadensersatzes statt der Leistung Eine Bewertung der Regelungen zum Erfüllungsanspruch und seinem Vorrang setzt auch eine Untersuchung des Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung voraus. Vor dem Hintergrund des oben behandelten 257 Prinzips der Indifferenz ist zu beurteilen, inwiefern der Schadensersatzanspruch so ausgestaltet ist, dass er tatsächlich die vollen Folgen des Vertragsbruches beim Schuldner internalisiert und den Gläubiger tatsächlich schadlos stellt. Nur dann sind die Anreize richtig verteilt, damit der Schuldner die richtigen Anstrengungen unternimmt, um die Leistung tatsächlich zu erbringen.
1. Voraussetzungen des Schadensersatzes Die Regelwerke gehen alle – nach dem Vorbild der Art. 74 ff. CISG – von einer objektiven Schadensersatzhaftung aus, die unabhängig von einem Verschulden des Schuldners besteht.258 Voraussetzung ist allein die objektive Nichterfüllung der Leistungspflicht, die nicht „entschuldigt“ sein darf, wobei die „Entschuldigung“ nicht auf den Nachweis schuldnerischen Wohlverhaltens gestützt werden kann, sondern lediglich auf den Nachweis von Umständen außerhalb des schuldnerischen Einflussbereichs, die nicht vorhersehbar oder nicht vermeidbar waren (Art. 9:501, 8:108 PECL; Art. 7.4.2, 7.1.7 PICC; Art. 8:401 ACQP; Art. III.-3:701, III.-3:104 DCFR: Art. 159 Abs. 1, 88 GEK-E).
254
Oben § 5.VI.3 (S. 380 ff.). So auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 745. 256 S. oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.) zum CISG und § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.) zu den übrigen Regelwerken. 257 § 3.III.2.d) (S. 171 ff.). 258 Vgl. nur T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 38 ff. 255
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Damit ist im Wesentlichen sichergestellt, dass immer dann, wenn bei einer vom Schuldner verursachten Pflichtverletzung kein Erfüllungsanspruch gewährt wird, jedenfalls ein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Wenigstens das monetäre Leistungsinteresse des Gläubigers ist im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches optimal gegen Vertragsbrüche des Schuldners geschützt.259
2. Umfang des Schadensersatzes: Das Kriterium der Vorhersehbarkeit Der Schadensersatz statt der Leistung umfasst nach den Regelwerken grundsätzlich das Erfüllungsinteresse einschließlich des entgangenen Gewinns (Art. 9:502 PECL; Art. 7.4.2 Abs. 1 PICC; Art. 8:402 Abs. 1 ACQP; Art. III.3:702 DCFR; Art. 160 GEK-E). 260 Allerdings ist – in der Folge der Hadley vs. Baxendale-Doktrin des common law 261 und im unmittelbaren Anschluss an Art. 74 S. 2 CISG262 – der ersatzfähige Schaden begrenzt auf solche Verluste263, die der Schuldner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können (Art. 9:503 PECL; Art. 7.4.4 PICC; Art. III.-3:703 DCFR; Art. 161 GEK-E). 264 In den PECL und im DCFR ist der Einwand der Unvorhersehbarkeit bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Nichterfüllungen 259 S. auch Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 282; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 791. 260 S. im Einzelnen T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 54 ff. zum DCFR; Možina, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 160 Rn. 12 zum GEK-E. 261 Vgl. McKendrick, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.4.4 Rn. 1 sowie oben § 2.VI.2.f) (S. 138 f.); auch im französischen Recht begrenzt Art. 1150 Code Civil den Schadensersatz wegen fahrlässiger Vertragsverletzung auf nach dem Vertrag vorhersehbare Schäden, vgl. dazu Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 3 ff. 262 Vgl. Anmerkung 1 zu Art. 9:503 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 538. 263 Der Kontrast zwischen dem Begriff „Verlust“ in der Vorhersehbarkeitsregel von CISG, DCFR und GEK-E (nicht aber PECL und PICC) und der Differenzierung zwischen „Verlust“ und „entgangenem Gewinn“ in der allgemeinen Schadensregel legt zwar zunächst nahe, die Vorhersehbarkeitsregel nicht auf den entgangenen Gewinn anzuwenden. Das wird aber – zu Recht – soweit ersichtlich nicht vertreten (s. etwa die diskussionslose Anwendung der Vorhersehbarkeitsregel auf entgangenen Gewinn bei Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß § 74 Satz 2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996, S. 265 f.); es handelt sich vielmehr um ein Redaktionsversehen. 264 Dagegen enthalten die Art. 8:401 ff. ACQP keine entsprechende Einschränkung – offenbar weil diese im acquis communautaire keine Basis hätte; U. Magnus, in: Acquis Group (Hrsg.), Contract II, 2009, Art. 8:402 Rn. 9 ff. (S. 436) verweist lediglich auf die Quellen im acquis für das Prinzip der Totalreparation, ohne die gegenüber den übrigen Regelwerken fehlende Einschränkung anzusprechen.
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
ausgeschlossen; in den PICC und im GEK-E kann er jedoch auch in diesen Fällen erhoben werden. 265 Zur Rechtfertigung dieser Einschränkung des Schadensersatzes wird – neben einer Haftungsreduktion als Kompensation für das fehlende Verschuldenserfordernis266 – angeführt, dass es zu einer optimalen Informationsverteilung vor Vertragsschluss führt, weil der Gläubiger dadurch veranlasst werde, dem Schuldner sein Erfüllungsinteresse im Hinblick auf den später möglichen Schadensersatz offenzulegen. 267 Das würde ermöglichen, dass der Schuldner entweder seine Leistungsanstrengungen von Anfang an auf ein effizientes Niveau ausrichtet, das dem zu erwartenden Schaden im Falle einer Nichterfüllung entspricht, oder auf einen Haftungsausschluss drängt, wenn er nicht bereit ist, das Schadensrisiko zu tragen (bzw. der Gläubiger sich als cheapest cost avoider erweist). 268 Allerdings ist es schwer vorstellbar und ökonomisch auch nicht wünschenswert, dass der Gläubiger schon während der Vertragsverhandlungen sein Erfüllungsinteresse offenlegt. Denn dieses bildet zugleich die Obergrenze des Preises, den er zu zahlen bereit wäre, so dass er seine Verhandlungsposition durch dessen Offenlegung erheblich schwächen würde.269 Zudem ist es durchaus denkbar, dass eine besondere Gewinnchance sich erst nach Vertragsschluss herausstellt; sie ist dann ökonomisch in gleicher Weise schutzwürdig, nach dem Vorhersehbarkeitskriterium aber nicht geschützt. Das Vorhersehbarkeitskriterium kann daher zu einer Unterkompensation des Gläubigers führen, weil mögliche tatsächlich infolge der Nichterfüllung eintretende Schäden (entgangene Gewinnchancen) nicht ersetzt werden. Da-
265 S. zum Vorhersehbarkeitskriterium in den Regelwerken eingehend Saidov, The Law of damages in International Sales, 2008, S. 101 ff.; Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 76 ff.; krit. zu seiner Anwendung auch bei Vorsatz nach dem GEK-E Pichonnaz, RabelsZ 76 (2012), 819, 833. 266 Vgl. S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 796 mit Hinweis auf U. Huber, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1981, S. 647, 729 („dogmatisch und praktisch untrennbar miteinander verbunden“); s. auch Offermanns, Methoden der Schadensbemessung in internationalen Regelungswerken, 2011, S. 35 f.; Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 71. 267 Vgl. Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß § 74 Satz 2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996, S. 205 ff.; Eidenmüller/N. Jansen/Kieninger u.a., JZ 2012, 269, 283. Zu weiteren ökonomischen Gesichtspunkten vgl. T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 62 m. zahlr. Nachw. in Fn. 108; Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 58 ff.; s. allgemein dazu auch Gordley, in: Hartkamp/Hondius/Hesselink (Hrsg.), Towards a European civil code, 42011, S. 699 ff. 268 Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 74 Rn. 58 ff.; Offermanns, Methoden der Schadensbemessung in internationalen Regelungswerken, 2011, S. 39 f.; Xynopoulou, Die Voraussehbarkeit als Voraussetzung des Schadensersatzes in der Vertragshaftung, 2013, S. 58. 269 S. dazu bereits oben § 3.III.3.b)cc) (S. 178 f.).
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mit entfällt eine der grundlegenden Annahmen der ökonomischen Analyse des Leistungsstörungsrechts im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Erfüllungsanspruch und Schadensersatz: das Prinzip der Indifferenz. 270 Aus Sicht des Gläubigers macht es dann eben doch wirtschaftlich betrachtet einen Unterschied, ob er einen Naturalerfüllungsanspruch oder nur einen (unterkompensatorischen) Anspruch auf Schadensersatz hat. Damit ist den ökonomischen Begründungsansätzen zu effizienten Vertragsbrüchen der Boden entzogen. 271 Die Gründe für die Gewährung oder den Ausschluss des Erfüllungsanspruches müssen völlig neu bewertet werden. Besonders deutlich wird die ökonomische Nachteiligkeit des Vorhersehbarkeitskriteriums in Fällen, in denen eine besondere Gewinnmöglichkeit des Gläubigers erst nach Vertragsschluss entstanden ist (bei langfristigen Lieferverträgen keine ungewöhnliche Konstellation). Hier vereitelt es – im Zusammenspiel mit einem etwaigen Ausschluss des Naturalerfüllungsanspruches aufgrund der zahlreichen Ausnahmetatbestände in den Regelwerken – im Falle einer Nichterfüllung des Schuldners die Realisierung dieser außergewöhnlichen Gewinnchance und verhindert Wertschöpfung, führt also zu einer echten volkswirtschaftlichen Einbuße: Die besondere Gewinnchance entfällt infolge der Nichterfüllung, und der Schuldner hat keinen Anreiz, seine Leistungsanstrengungen zu erhöhen, um dem Gläubiger die Realisierung des besonderen Gewinns doch noch zu ermöglichen. Das sollte ein auf Effizienz bedachtes Leistungsstörungsrecht verhindern. 272 Allenfalls könnte der Gläubiger an den Schuldner herantreten und ihm eine Vertragsänderung zu einem höheren Vertragspreis anbieten, um ihn doch noch zur Leistung zu bewegen. Von sich aus hätte der Schuldner hieran unter Geltung des Vorhersehbarkeitskriteriums kein Interesse, weil er bei konsequenter Leistungsverweigerung nur einen verhältnismäßig geringen Schadensersatz zahlen müsste. Erst wenn der drohende Schadensersatz das tatsächliche Erfüllungsinteresse des Gläubigers erreichen kann, wird auch der Schuldner seine Leistungsanstrengungen bis zu dieser – ökonomisch sinnvollen – Grenze erhöhen. Sollte dadurch das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aus dem Gleichgewicht geraten, ist dies keine Frage von Erfüllungsanspruch oder Schadensersatz, sondern ggf. einer Vertragsanpassung wegen veränderter Umstände. Das Vorhersehbarkeitskriterium sollte daher aufgegeben werden. An seine Stelle könnte eine Hinweisobliegenheit entsprechend § 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB treten, die unerwartete Schadensexzesse ebenso vermeidet, ohne dies an
270
S. oben § 3.III.2.d) (S. 171 ff.). S. bereits oben § 3.III.3.b)aa) (S. 175 ff.). 272 Das spricht auch gegen den Vorschlag von Gordley, in: Hartkamp/Hondius/Hesselink (Hrsg.), Towards a European civil code, 42011, S. 699, 223 ff., den Ersatz unverhältnismäßiger Schäden auszuschließen. 271
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
den – unnötig frühen – Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu binden. 273 Eine solche Regelung würde zugleich die Beweislast für den fehlenden Hinweis auf außergewöhnliche Schäden und dessen Kausalität für den betreffenden Schadensposten dem Schuldner auferlegen, 274 anstatt diese – erhebliche275 – Beweisunsicherheit beim Gläubiger zu allozieren, 276 wo sie weiter zu dessen Unterkompensation beiträgt und den Vertragsbruch für den Schuldner attraktiver macht.
3. Art des Schadensersatzes: Vorrang des Deckungsgeschäfts vor Wertersatz Hinsichtlich der Art des zu leistenden Schadensersatzes sehen die Regelwerke lediglich einen Anspruch auf eine Geldleistung vor, keine Naturalrestitution. 277 Die allgemeinen Regelungen über die Schadensberechnung in Art. 9:502 PECL (Art. 8:402 Abs. 1 ACQP; Art. III.-3:702 DCFR; Art. 160 GEK-E) sprechen jeweils von dem zu ersetzenden „Betrag“ bzw. „Geldbetrag“. Sie umfassen jeweils ausdrücklich den Ersatz von Verlusten und des entgangenen Gewinns. Zur erleichterten Schadensbemessung werden die aus Art. 75 f. CISG bekannten Möglichkeiten der abstrakten Schadensberechnung anhand eines Deckungsgeschäfts bzw. anhand der Differenz zwischen Vertrags- und Marktpreis angeboten (Art. 9:506 f. PECL; Art. 7.4.5 f. PICC; Art. III.-3:706 f. DCFR; Art. 164 f. GEK-E). Die Regelwerke ermöglichen gleichwohl eine Differenzierung innerhalb des Schadensersatzes mit dem Ziel eines Vorrangs des Deckungsgeschäfts vor dem Wertersatz (einschließlich des entgangenen Gewinns):278 Anstatt über einen Vorrang der Naturalrestitution ist dieser dogmatisch über die Schadensminderungsobliegenheit zu realisieren (vgl. Art. 9:505 Abs. 1 PECL; Art. 7.4.8 Abs. 1 PICC; Art. 8:403 Alt. 2 ACQP; Art. III.-3:704 DCFR; Art. 163 Abs. 1 GEK-E). In diesem Rahmen ist es als Verstoß des Gläubigers anzusehen, wenn er auf ein (mögli273 Zum Recht des Gläubigers zur einseitigen Definition seines Leistungsinteresses s. oben § 3.IV.3.b) (S. 209 f.). 274 S. nur MünchKomm-BGB/H. Oetker, 2012, § 254 Rn. 145. 275 Vgl. Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß § 74 Satz 2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996, S. 324. 276 So zu Art. 74 S. 2 CISG OLG Bamberg TranspR-IHR 2000, 17, 18 (CISG-online Nr. 516); Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 74 Rn. 64; MünchKomm-BGB/P. Huber, 2012, Art. 74 CISG Rn. 59; zu den PICC McKendrick, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), PICC, 2009, Art. 7.4.4 Rn. 10; a.A. Staudinger/U. Magnus, 2013, Art. 74 CISG Rn. 62; MünchKomm-HGB/Mankowski, Art. 74 CISG Rn. 46 sowie zu Art. 161 GEK-E Remien, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 161 Rn. 5. 277 Rechtsvergleichend ist die schadensrechtliche Naturalrestitution ohnehin nur wenig verbreitet, vgl. U. Magnus, in: ders. (Hrsg.), Unification of Tort Law, 2001, S. 185 ff. 278 Vgl. zu diesem Vorrang oben § 3.IV.3.e) (S. 213 f.).
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ches) Deckungsgeschäft verzichtet, durch dessen Vornahme er seinen erstrebten Gewinn noch in Natur hätte erzielen können. Dieser Verstoß führt dazu, dass er nur die Kosten eines (fiktiven) Deckungsgeschäfts bzw. – gleichbedeutend – den Substanzausfallschaden ersetzt erhält, nicht aber den Ertragsausfallschaden, soweit er bei rechtzeitiger Vornahme nicht eingetreten wäre. 279 Kein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit sollte aber – entgegen Art. III.-3:302 Abs. 5 DCFR – angenommen werden, solange der Gläubiger versucht, den bestehenden Naturalerfüllungsanspruch gegen den Schuldner durchzusetzen.280
4. Schadenskategorien Vorstehend wurde bereits mehrfach kritisiert, dass die Regelwerke keine Unterscheidung verschiedener Kategorien des Schadensersatzes vorsehen. Lediglich Art. 109 Abs. 7 GEK-E und Art. 7.1.4 Abs. 5 PICC enthalten an versteckter Stelle in der Sache eine Unterscheidung zwischen Schadensersatz „statt“ und „neben der Leistung“, indem das Heilungsrecht den Schuldner nicht vor dem Ersatz des Verzögerungsschadens und sonstiger Schäden schützt. In der Sache liegt die Unterscheidung zwischen dem Schadensersatz „statt“ und „neben der Leistung“ jedem Regelungssystem zugrunde, das einen Vorrang der Naturalerfüllung vorsieht – sei es durch ein Fristsetzungserfordernis wie im deutschen Recht oder durch ein eigenes Heilungsrecht. 281 Denn jeweils muss geklärt werden, mit welchen Schadensposten ein Heilungsrecht kompatibel ist (Schadensersatz neben der Leistung) und mit welchen nicht (Schadensersatz statt der Leistung). 282 Es handelt sich also nicht um eine dogmatische Spitzfindigkeit des deutschen Rechts, sondern um eine sachgesetzlich angelegte kategorische Unterscheidung. Die Regelwerke würden sowohl an Lesbarkeit als auch an Einheitlichkeit in der Anwendung gewinnen, wenn diese Unterscheidung explizit gemacht würde. Das gilt umso mehr, als sie aufgrund ihres internationalen Anwendungbereichs auch auf eine Anwendung durch Gerichte ausgelegt sind, in deren Heimatrechtsordnung eine detaillierte Überprüfung der Details der Schadensermittlung nicht durch das oberste Zivilgericht kontrolliert wird (z.B. in Frankreich), so dass keine dogmatische Präzisierung des Schadensersatzrechts durch die Rechtsprechung zu erwarten ist. 283 279
In diese Richtung wohl auch Možina, in: R. Schulze (Hrsg.), Common European Sales Law (CESL), 2012, Art. 163 Rn. 4. 280 S. oben § 9.I.2.a)bb) (S. 469 ff.) a.E. 281 S. rechtsvergleichend auch S. Lorenz, JbItalR 21 (2009), S. 43, 57 sowie zum GEK-E Remien, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, 2014, Art. 160 Rn. 2. 282 Vgl. zu diesem Zusammenhang Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 733 ff. 283 S. auch T. Ackermann, in: Wagner (Hrsg.), The Common Frame of Reference, 2009, S. 35, 55 ff.
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Gleiches gilt für die Unterscheidung zwischen „großem“ und „kleinem“ Schadensersatz bei Teilleistungsstörungen (in deutscher Terminologie „Schadensersatz statt der Leistung“ und „Schadensersatz statt der ganzen Leistung“). Auch diese Kategorien sind sachgesetzlich bedingt, weil sie an die Sachfrage anknüpfen, ob der Empfänger einer quantitativen oder qualitativen Teilleistung diese behalten muss oder zurückgeben darf. Während der „kleine“ Schadensersatz funktional der Minderung entspricht, ist der „große“ Schadensersatz dem Rücktritt vergleichbar. Dementsprechend sollten die Voraussetzungen des „großen“ Schadensersatzes an diejenigen der Vertragsaufhebung angeglichen werden, 284 was zunächst erfordert, die Kategorie des „großen“ Schadensersatzes überhaupt zu definieren und vom „kleinen“ Schadensersatz zu unterscheiden.
IV. Prozessrecht und Vollstreckungsrecht Alle bislang vorgelegten Entwürfe eines vereinheitlichten Privatrechts beschränkten sich auf das materielle Recht. Völlig ausgeblendet wurden damit das Prozessrecht und das Recht der Zwangsvollstreckung, für welche weiterhin nach allgemeinen Grundsätzen die lex fori gelten soll.285 Auch die Kompromisslösung des Art. 28 CISG, wonach die nationalen Gerichte die Gewährung von Naturalerfüllungsansprüchen verweigern können, wenn diese in ihrem nationalen Recht nicht vorgesehen sind, 286 hat in den Vorschlägen – zu Recht – keine Entsprechung gefunden.287 Die praktische Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Einheitsrechte, auch soweit sie materiell-rechtliche Ansprüche auf Naturalerfüllung gewähren, ist daher davon abhängig, dass die staatlichen Rechtsordnungen jeweils auch das prozess- und vollstreckungsrechtliche Instrumentarium vorhalten, um Naturalerfüllungsansprüche angemessen durchsetzen zu können. 288 Das ist beispielsweise im anglo-amerikanischen Rechtskreis schwierig, wo Urteile auf specific performance auf der Grundlage von contempt of court mit drastischen Strafen, in der Theorie (wenn auch nicht in der Praxis) bis hin zu Haftstrafen sanktioniert werden. 289 Derartige Folgen müssen mitbedacht wer-
284
S. oben § 8.I.3.a) (S. 452 ff.) zum CISG und § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.) zu den Regelwerken. Kommentar A zu Art. 9:102 PECL in von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Teile I und II), 2002, S. 477 sowie van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 607; Muir Watt, in: Fontaine/Viney (Hrsg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001, S. 789, 793 ff. 286 S. dazu oben § 8.I.1 (S. 450). 287 Vgl. auch Leible, in: R. Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 97, 100 f. 288 S. auch van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 607 ff.; Albers, ZEuP 2012, 687, 698 ff. 289 S. dazu auch MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633 f. 285 Vgl.
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den, wenn materiell-rechtliche Erfüllungsansprüche gewährt werden, oder besser: Sie müssen in den Regelwerken mit geregelt werden. Vorbild hierfür kann Art. 7.2.4 PICC sein, wonach die Gerichte für den Fall einer Verurteilung zur Naturalerfüllung auch befugt sind, ein Zwangsgeld anzuordnen. Dieses ist an den Gläubiger zu zahlen, sofern nicht – wie etwa in Deutschland290 – zwingende Normen der lex fori entgegenstehen. Allerdings gibt die Regelung keinerlei Anhaltspunkte für die genaue Ausgestaltung und die Höhe der Zwangsgelder. 291 Gleichwohl dokumentiert sie das Bedürfnis nach einer Abstimmung zwischen materiellem Recht und Prozess- und Vollstreckungsrecht im Hinblick auf Naturalerfüllungsansprüche: Ihre wesentliche Funktion dürfte darin liegen sicherzustellen, dass auch in Rechtsordnungen, die keine Naturalerfüllungsansprüche bzw. hierfür keine praktikablen Vollstreckungsregeln vorsehen, über die Zwangsgeldandrohung zumindest eine mittelbare Vollstreckungsmöglichkeit geschaffen wird. Das gilt v.a. für das common law. Ausgehend von diesem Bedürfnis und seiner rudimentären Erfassung in Art. 7.2.4 PICC existieren noch weitere vollstreckungsrechtliche Fragen, deren Regelung zwingend mit der Gewährung von materiell-rechtlichen Naturalerfüllungsansprüchen verbunden ist. Auf die funktionale Identität von materiell-rechtlichem Anspruchsausschluss und Vollstreckungsausschluss bei höchstpersönlichen Leistungspflichten ist bereits hingewiesen worden.292 Hier besteht die Gefahr, dass materiell-rechtliche Regelungen der Regelwerke durch Vollstreckungsausschlüsse des mitgliedstaatlichen Rechts konterkariert werden. Gleiches gilt für Regelungen über die Ersatzvornahme, die einerseits dem Schadensersatz statt der Leistung in Gestalt des Deckungsgeschäfts entspricht, 293 andererseits aber auch eine Methode der Zwangsvollstreckung ist und daher im deutschen Recht neben § 281 BGB auch vollstreckungsrechtlich in § 887 ZPO geregelt ist. 294 Die Existenz einer solchen vollstreckungsrechtlichen Ersatzvornahme begünstigt die Zulassung von Erfüllungsklagen, was einerseits dem Schuldner die Chance gibt, das Urteil abzuwarten und unter dessen Eindruck die Leistung selbst zu erbringen, und andererseits gleichwohl dem Gläubiger einen effektiven Weg zum Übergang auf ein Deckungsgeschäft bietet, wenn der Schuldner sich trotz des Urteils als leistungsunwillig oder -unfähig erweist. 295 Das wiederum hat Auswirkungen auf die Ausgestaltung des materiellen Rechts, weil Regelungen über den Ausschluss des Erfüllungsanspruches bei Verfügbar290
S. oben § 1.III.2.b)cc) (S. 41 f.). daher Schwenzer, 1 EJLR 289, 303 (1998–99), die progonstiziert, dass die Regel außerhalb Frankreichs nicht angewendet werden würde. 292 Oben § 9.II.4.c) (S. 516); s. dazu auch van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 608 f. 293 Und daher z.B. in Frankreich materiell-rechtlich qualifiziert wird, vgl. Art. 1144 Code Civil und dazu oben § 2.V.1 (S. 105 ff.). 294 S. dazu auch MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633. 295 Vgl. auch van Kogelenberg, ERPL 17 (2009), 599, 608. 291 Krit.
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Dritter Teil: Der Grundsatz der Naturalerfüllung in int. u. eur. Regelwerken
keit eines Deckungsgeschäfts (Art. 9:102 Abs. 2 lit. (d) PECL; Art. 7.2.2 lit. (c) PICC) dann nicht nötig sind. Auch hinsichtlich des Lieferungsanspruches des Käufers gegen den Verkäufer besteht eine enge Wechselwirkung mit dem Vollstreckungsrecht: Ob etwa über die – in allen Rechtsordnungen vorgesehene – Möglichkeit einer Wegnahmevollstreckung beim Verkäufer hinaus auch eine vollstreckungsrechtliche Möglichkeit besteht, den Verkäufer zu zwingen, die zu liefernde Sache herzustellen oder sich zu verschaffen, 296 hat evidente Auswirkungen auf die praktische Sinnhaftigkeit einer Naturalkondemnation, und damit mittelbar auch auf die praktischen Auswirkungen der Gewährung eines Erfüllungsanspruches. Auch insoweit fehlt es in den Regelwerken an koordinierenden Vorschriften.
V. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben zunächst den schon im historischen und rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit ermittelten Befund bestätigt, wonach die Entwicklung der Rechtsordnungen auf europäischem Boden hin zu einer grundsätzlichen Gewährung von Ansprüchen auf die Erfüllung in Natur, und zu deren vorrangigen Ausgestaltung vor dem Schadensersatz geht. Keines der modernen Regelwerke beruht auf dem Grundsatz der Gelderfüllung nach dem Vorbild des common law. Allerdings bleiben sie allesamt auf halbem Wege zu einer Umsetzung des Grundsatzes der Naturalerfüllung stehen. Das äußert sich in zahlreichen Kompromissen: Offensichtlichen wie die „Nicht-Regelung“ des Erfüllungsanspruches in Art 28 CISG, und weniger offensichtlichen in Gestalt zahlreicher unbestimmter Tatbestandsmerkmale, die den Erfüllungsanspruch oder das Heilungsrecht ausschließen, wenn es „unangemessen“ oder „unzumutbar“ wäre (z.B. Art. III.-3:302 Abs. 5 DCFR für das Verhältnis zwischen Erfüllungsanspruch und Deckungsgeschäft, Art. III.-3:203 lit. (d) DCFR für das Heilungsrecht). Damit wird die Ausgestaltung des Naturalerfüllungsanspruches und seines Vorrangs letztlich in das Belieben der Gerichte gestellt und dadurch – in Ermangelung einer zentralen Auslegungsinstanz297 – doch der Rechtsvereinheitlichung entzogen. Offenbar bestehen auch bei den wissenschaftlichen Vereinheitlichungsprojekten politische und diplomatische Rücksichtnahmen, 296 Vgl. dazu auch MacQueen/Dauner-Lieb/Tettinger, in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 612, 633 sowie oben § 7.I.3 (S. 431 ff.). Für eine konkludente entsprechende Regelung im GEK-E Albers, ZEuP 2012, 687, 699 f. 297 Auch der EuGH wird das zum GEK wohl nicht leisten können, vgl. Grigoleit, AcP 210 (2010), 354, 388 ff.; Max Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 75 (2011), 371, 434 ff. (Rn. 150 ff.); Riehm, in: Gsell/Hau (Hrsg.), Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012, S. 203 ff.
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die dazu führen, dass die Regelwerke nicht allein anhand objektiver Qualitätsmaßstäbe (etwa der ökonomischen Effizienz der Regeln), sondern auch aufgrund von manchmal fast kuhhandelartig anmutenden Kompromissen zwischen verschiedenen nationalstaatlichen Regelungsmodellen gestaltet werden.298 In einer so fundamentalen Frage wie der Grundsatzentscheidung zwischen Geld- und Naturalerfüllung ist ein Kompromiss aber nicht sinnvoll möglich. 299 Der Versuch, trotzdem einen Kompromiss zu finden, zum einen zwischen Gelderfüllungsgrundsatz und Naturalerfüllungsgrundsatz, und zum anderen zwischen Remedy-Konzept und der Vorstellung eines Primäranspruches, führt zu zahlreichen dogmatischen Verwerfungen, die die vorstehende Untersuchung zu Tage geführt hat. Hingewiesen sei hier nur auf die Unklarheit über die Erforderlichkeit der Rücktrittsvoraussetzungen für den Schadensersatz statt der Leistung, dessen Bedeutung als Kategorie unter Geltung des Grundsatzes der Naturalerfüllung noch nicht hinreichend erkannt ist,300 die unklare Einordnung der „Heilungsrechte“ des Schuldners in die Rechtsbehelfssystematik,301 die missliche Beweislastverteilung für den Erfüllungsanspruch302 und der fehlende Blick auf die prozessualen Konsequenzen und Wechselwirkungen der Gewährung von Naturalerfüllungsansprüchen.303 Diese Verwerfungen zu beseitigen kostet Zeit und Überzeugungsarbeit und – auf allen Seiten – auch die Bereitschaft, Gewohntes über Bord zu werfen. Solange die Regelwerke vorrangig wissenschaftliche „Experimentierlabors“ sind, in denen gewissermaßen tastend nach immer besseren Regelungsmodellen gesucht wird, kann ihre stetige Weiterentwicklung ein wertvoller Erkenntnisprozess sein. Die konstante Überarbeitung der PICC, die immerhin im Rahmen schiedsgerichtlicher Verfahren auch eine gewisse praktische Bedeutung erlangt haben, ist insoweit ein gutes Vorbild. Wenn die Regelwerke aber als geltendes Gesetzesrecht angewendet werden sollen, wie das beim GEK-E der Fall ist, kann nach dem Vorstehenden nur konstatiert werden, dass die Zeit offenbar noch nicht reif ist für eine qualitativ gute, konsistente, handhabbare und konsensfähige Regelung.
298
757 f.
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Krit. zu den Kompromissen im GEK-E auch S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 709, 731,
So auch M. Stürner, ERPL 19 (2011), 167, 180; S. Lorenz, AcP 212 (2012), 702, 758. Oben § 9.I.4.a)bb) (S. 478 f.) und § 9.III.4 (S. 523 f.). 301 Oben § 9.I.4.b) (S. 482 ff.). 302 Oben § 9.I.5.c) (S. 504). 303 Oben § 9.IV (S. 524 ff.). 300
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Zusammenfassung in Thesen Einleitung 1. Gegenstand der Untersuchung ist der Grundsatz der Naturalerfüllung, d.h. das Prinzip, dass Ansprüche auf Sachleistungen vorrangig in Natur zu erfüllen sind (Einl. I, S. 1 f.). 2. Die Arbeit beschränkt sich nicht auf vertragliche Ansprüche, sondern bezieht auch gesetzliche Ansprüche aus dem Schadensrecht, Rücktrittsrecht, Bereicherungsrecht und Sachenrecht mit ein (Einl. II.1, S. 2 ff.). 3. Der Untersuchungsgegenstand erstreckt sich zudem auf das Prozessrecht und das Vollstreckungsrecht, sowie auf das Insolvenzrecht, weil der Grundsatz der Naturalerfüllung sich auch und gerade in diesen Gebieten auswirkt (Einl. II.3, S. 6 f.).
I. Naturalerfüllung und Geldleistung 4. Nach dem Grundsatz der Naturalkondemnation steht dem Gläubiger eine Klage auf die Erfüllung der Verbindlichkeit in Natur zu; der entgegengesetzte Grundsatz der Geldkondemnation lässt nur eine Klage auf Geldzahlung zu; diese beiden Grundsätze sind die prozessualen Pendants zu den materiell-rechtlichen Grundsätzen der Naturalerfüllung und der Gelderfüllung (§ 1.I.1, S. 15 ff.). 5. Aus Sicht des Gläubigers stellt sich einerseits die Frage, ob der Gläubiger Naturalerfüllung verlangen kann (Existenz eines durchsetzbaren Erfüllungsanspruches), und andererseits, ob er sie verlangen muss (Vorrang des Erfüllungsanspruches); aus Sicht des Schuldners geht es darum, ob er die Naturalleistung erbringen muss oder den Gläubiger durch eine Geldzahlung befriedigen darf, ggf. aber auch darum, ob er sie erbringen darf, um eine Geldzahlungspflicht zu vermeiden (§ 1.I.2, S. 17 f.). 6. Das Leistungsinteresse des Gläubigers kann durch eine Naturalleistung des Schuldners selbst (Erfüllung) befriedigt werden, durch eine Naturalleistung Dritter auf Kosten des Schuldners (Deckungsgeschäft) oder durch Schadensersatz in Höhe des entgangenen Gewinns (reiner Geldersatz). Diese Möglichkeiten mit einer entsprechenden Hierarchie der Befriedigungsstufen fin-
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den sich im deutschen Recht bei allen untersuchten vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen (§ 1.II, S. 20 ff.). 7. Im materiellen Recht kann der Grundsatz der Naturalerfüllung in verschiedenen Stufen verwirklicht sein: Existenz einer erfüllbaren Naturalleistungspflicht des Schuldners; Recht des Gläubigers auf die Naturalleistung; Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches bei Fälligkeit; Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches im Falle einer Leistungsstörung (§ 1.III.1, S. 31 ff.). 8. In prozessualer Hinsicht kann der Naturalerfüllungsgrundsatz fortgeführt werden durch die Klagbarkeit des Anspruches auf Naturalerfüllung sowie durch seine Vollstreckbarkeit durch unmittelbaren oder mittelbaren Zwang (§ 1.III.2, S. 37 ff.). 9. Der Anspruch auf Naturalerfüllung dient dem Interesse des Gläubigers am Erhalt der geschuldeten Leistung in specie, um diese seiner Verwendungsplanung entsprechend zu nutzen; zudem seinem Interesse daran, die Leistung zeitnah zu erhalten, und daran, das Insolvenzrisiko des Schuldners zu vermeiden (§ 1.IV.1.a), S. 43 ff., § 1.IV.2.a), S. 54 ff.). 10. Er dient ferner dem Interesse des Schuldners daran, durch die Leistung von seiner Leistungspflicht befreit zu werden, seinen Vertragsgewinn bzw. sonstige Vorteile durch die Eigenleistung zu realisieren, die Rückabwicklung des Vertrags zu vermeiden, und ggf. auch einem spezifischen Interesse daran, die Naturalleistung selbst zu erbringen (§ 1.IV.1.b), S. 49 ff., § 1.IV.2.b), S. 57 f.). 11. Er dient schließlich dem gemeinsamen Interesse beider Parteien an einer präzisen Definition des Schuldinhalts und an der Möglichkeit seiner gerichtlichen Feststellung (§ 1.IV.3, S. 59 ff.). 12. Der Grundsatz der Naturalerfüllung kann aber absolute Rechte sowie konkurrierende Forderungen Dritter beeinträchtigen (§ 1.IV.4, S. 61 ff.).
II. Die geschichtliche Entwicklung des Grundsatzes der Naturalerfüllung in Europa 13. Für die historische und vergleichende Untersuchung sind zwei Funktionen des Erfüllungsanspruches zu trennen: Der reale Erfüllungsanspruch als Grundlage einer Erfüllungsklage, und der „virtuelle“ Erfüllungsanspruch als gesetzliche Voraussetzung einer Schadensersatzklage (§ 2.I.1, S. 65 ff.). 14. Im klassischen römischen Recht war zunächst die Naturalkondemnation zulässig; die Vollstreckung erfolgte zur Zeit des Legisaktionenverfahrens als Personalvollstreckung durch den Gläubiger selbst, der sich des Schuldners bemächtigen und ihn dadurch zur Leistung zwingen durfte (legis actio per manus iniectionem; § 2.II.1.a), S. 71 ff.).
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15. Die Personalvollstreckung wurde durch eine Ablösungsbefugnis abgemildert, wobei die Bestimmung der Ablösesumme im Urteil bald Vollstreckungsvoraussetzung wurde, und sich in der Höhe dem Interesse des Gläubigers annäherte (§ 2.II.1.b), S. 73 ff.). 16. In der Zeit des römischen Formularprozesses galt der Grundsatz der Geldkondemnation, d.h. die actiones waren praktisch durchgehend auf eine Geldleistung zu richten (omnis condemnatio pecuniaria; § 2.II.1.b), S. 73 ff.). 17. Im Kognitionsverfahren ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. wurden immer mehr Klageformeln anerkannt, die auf eine Naturalverurteilung gerichtet waren, insbesondere bei Herausgabeklagen hinsichtlich konkreter Sachen. Die Rechtslage blieb insgesamt aber uneinheitlich, vor allem hinsichtlich des Lieferungsanspruches des Käufers (§ 2.II.2, S. 75 ff.). 18. Die Glossatoren und Kommentatoren des römischen Rechts im Mittelalter versuchten – letztlich erfolglos –, die Widersprüchlichkeit des Corpus Iuris Civilis im Hinblick auf die Möglichkeit einer Naturalkondemnation aufzulösen bzw. zumindest die vorhandenen Widersprüche zu systematisieren; abgelehnt wurde ein Naturalerfüllungsanspruch v.a. für Handlungspflichten (nemo praecise cogi ad factum) (§ 2.II.4, S. 79 ff.). 19. Im kanonischen Recht wurde aus der religiösen Bindung an den Eid ein Naturalerfüllungsanspruch für eidliche Leistungsversprechen gefolgert, für den auch die Möglichkeit einer Vollstreckung bestand (§ 2.II.5, S. 83 f.). 20. Der usus modernus übernahm zunächst die Widersprüchlichkeit der Glossatoren und Kommentatoren; in der Neuzeit entwickelte die Rechtswissenschaft unter dem Einfluss naturrechtlichen Gedankenguts aber eine deutliche Tendenz zur Naturalerfüllung, bis im gemeinen Recht am Ende des 19. Jahrhunderts die Existenz eines klagbaren Naturalleistungsanspruches durchgehend anerkannt war (§ 2.II.6, S. 74, § 2.III, S. 88 f.). 21. Die deutschen Partikularrechte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit orientierten sich im Ausgangspunkt am römischen Grundsatz der Geldverurteilung; Naturalverurteilung und Naturalvollstreckung waren im wesentlichen auf Herausgabeansprüche begrenzt. Soweit Naturalerfüllungsklagen zulässig waren, enthielten die Klageformeln zumeist zugleich Schadensklauseln, die eine Geldvollstreckung für den Fall ermöglichten, dass der Schuldner das Urteil nicht in Natur erfüllte (§ 2.IV.1.a), S. 90 f.). 22. Erst in der Neuzeit entwickelte sich ein leistungsfähiges staatliches Vollstreckungswesen auch für Naturalvollstreckungen, und parallel dazu erstarkte die Naturalkondemnation (§ 2.IV.1.b), S. 91 f.). 23. Mit der Aufklärung und dem Vordringen der Naturrechtslehre drangen der prozessuale Grundsatz der Naturalkondemnation und der materiell-rechtliche Grundsatz der Naturalerfüllung weiter vor und fanden schließlich Eingang in das preußische ALR (§ 2.IV.2, S. 92 ff.).
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24. Im 19. Jahrhundert setzte sich in Deutschland die gedankliche Trennung zwischen materiellem Anspruch und seiner prozessualen Durchsetzbarkeit durch, welche die Anerkennung eines universellen materiell-rechtlichen Anspruches auf Naturalerfüllung begünstigte (§ 2.IV.3.b)aa), S. 96 f.). 25. Parallel entwickelte sich in der CPO ein Vollstreckungsrecht, das für die meisten Ansprüche auf Naturalerfüllung auch die Vollstreckbarkeit sicherte (§ 2.IV.3.b)bb), S. 97 ff.). 26. Im BGB von 1900 wurde der Grundsatz der Naturalerfüllung durch die Anerkennung eines universellen und vorrangigen Anspruches auf naturale Erfüllung in § 241 BGB 1900 vollständig verwirklicht (§ 2.IV.4.a), S. 99). 27. Mit der Anerkennung eines vorrangigen Naturalerfüllungsanspruches entstand das Bedürfnis nach Übergangstatbeständen auf eine Geldleistung (Schadensersatz wegen Nichterfüllung). Das BGB 1900 enthielt insbesondere den Tatbestand der Unmöglichkeit (§§ 275, 280 BGB 1900) sowie – als Neuerung – die Möglichkeit der einseitigen Nachfristsetzung durch den Gläubiger (§ 326 BGB 1900) (§ 2.IV.4.b), S. 100 ff.). 28. Die Schuldrechtsreform 2002 ließ den Grundsatz der Naturalerfüllung unangetastet; der Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches wurde durch die §§ 281–283 BGB einheitlich geregelt, indem das Fristsetzungserfordernis auf alle Ansprüche – nicht nur synallagmatische Hauptleistungspflichten wie im BGB 1900 – übertragen wurde. Erstmals explizit geregelt wurden die Einreden des groben Missverhältnisses zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse (§ 275 Abs. 2 BGB) und der persönlichen Unzumutbarkeit (§ 275 Abs. 3 BGB) (§ 2.IV.5, S. 104 f.). 29. Der französische Code Civil geht auf die vernunft- und naturrechtlichen Strömungen des 18. Jahrhunderts zurück; dennoch wurde ein Naturalerfüllungsanspruch nur für die obligation de donner vorgesehen, nicht für obligations de faire (§ 2.V.1, S. 105 ff.). 30. Gleichwohl gewährt die heutige französische Rechtsprechung – trotz unveränderten Gesetzestextes – auch bei obligations de faire durchgehend einen klagbaren Anspruch auf Naturalleistung, der mit dem universellen Zwangsmittel der astreinte vollstreckt werden kann (§ 2.V.2, S. 107 ff.). 31. Die aktuellen Projekte zur Reform des französischen Schuldrechts sehen sämtlich eine positivrechtliche Bestätigung des Grundsatzes der Naturalerfüllung vor (§ 2.V.3, S. 116 f.). 32. Nach common law besteht im Falle einer Vertragsverletzung – außerhalb des Anwendungsbereichs der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – kein Anspruch auf Naturalerfüllung (specific performance), sondern nur auf Schadensersatz; nach equity kann das Gericht nach seinem Ermessen (discretion) zu specific performance verurteilen, wenn es Schadensersatz für inadequate hält. Die praktischen Ergebnisse dieser Rechtsprechung unterscheiden sich nur wenig von den Ergebnissen auf dem Kontinent (§ 2.VI.2, S. 124 ff.).
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33. Die Zwangsvollstreckung von Naturalerfüllungsurteilen nach equity erfolgt in Gestalt der Sanktionierung einer Missachtung des Gerichts (contempt of court) durch Geldstrafen und ggf. sogar Haftstrafen (§ 2.VI.3, S. 139 f.). 34. Bei außervertraglichen Schuldverhältnissen ist das common law sehr zurückhaltend gegenüber der Gewährung von Naturalerfüllungsansprüchen (§ 2.VI.4, S. 141 ff.).
III. Ökonomische Analyse des Grundsatzes der Naturalerfüllung 35. Die ökonomische Analyse des Rechts ist zunächst ein deskriptives Werkzeug zur Ermittlung und Bewertung der wirtschaftlichen Folgen einer rechtlichen Regelung; ob bzw. inwieweit ihre Erkenntnisse bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen sind, hängt vor allem davon ab, ob der Gesetzgeber mit den fraglichen Regeln selbst Effizienzziele verfolgt (§ 3.I, S. 150 ff.). 36. Das Ideal der normativen ökonomischen Analyse ist Allokationseffizienz. Diese kann zunächst anhand des Pareto-Kriteriums danach bestimmt werden, ob eine Verbesserung einer Person nur noch durch die Verschlechterung einer anderen Person möglich ist; nach dem weitergehenden Kaldor-Hicks-Kriterium liegt eine Verbesserung der Allokationseffizienz auch dann noch vor, wenn eine Veränderung Vorteile zugunsten einer Partei bewirkt, welche die Nachteile anderer Parteien überwiegen (§ 3.II.1, S. 156 ff.). 37. Auf einem Umkehrschluss aus dem Coase-Theorem basiert die Transaktionskostentheorie, welche die hemmenden Auswirkungen rechtlicher Regelungen auf eine effiziente Güterallokation durch Markttransaktionen zum Gegenstand hat (§ 3.II.2, S. 159 ff.). 38. Für die Unterscheidung von Ansprüchen auf Naturalerfüllung und auf Geldleistung sind die ökonomischen Kategorien der property rules (Eigentumsregeln) und liability rules (Haftungsregeln) zentral: property rules gewähren einen Rechtsschutz in specie, während liability rules einen Rechtsschutz lediglich in Geld, d.h. Vermögensschutz gewähren (§ 3.II.3, S. 161 ff.). 39. Das Rechtsinstitut des Vertrags hat aus ökonomischer Sicht die Funktion, Transaktionen zur Optimierung der Ressourcenallokation zu ermöglichen; mit der Durchführung des Vertrags verbessert grundsätzlich jede Vertragspartei ihre Situation (§ 3.III.1, S. 165). 40. Dabei ermöglicht das Institut der Vertragsbindung bei ungestörter Vertragsdurchführung den Schutz des vertragsimmanenten Wohlfahrtsgewin-
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nes und bei gestörter Durchführung den Schutz der vertragsspezifischen Investitionen. Hinzu kommt der Schutz des Vertrauens der Vertragspartner in die ordnungsgemäße Erfüllung der übernommenen Pflichten, der ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von Marktakteuren überhaupt erst ermöglicht (§ 3.III.2, S. 166 ff.). 41. Die Lehre vom effizienten Vertragsbruch behauptet, es sei eine wichtige – wenn nicht sogar die wichtigste – Aufgabe des Leistungsstörungsrechts, solche Vertragsbrüche zu erlauben, die gegenüber einer Vertragsdurchführung zu einer Wohlfahrtssteigerung führen. Derartige Fälle seien das Mehrgebot eines Dritten, die Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners sowie die Reduktion des Leistungsinteresses des Gläubigers (§ 3. III.3.a), S. 173 f.). 42. Diese Lehre basiert auf zahlreichen, häufig nur impliziten Annahmen: Dass das Gläubigerinteresse im Falle eines Vertragsbruches durch den Schadensersatz vollständig kompensiert wird; dass der Schadensersatz stets realisiert werden kann; dass der Schuldner das Leistungsinteresse des Gläubigers vollständig kennt, um seine Entscheidung für oder gegen den Vertragsbruch daran ausrichten zu können; und dass der Vertragsbruch keine negativen Auswirkungen auf Dritte oder die Allgemeinheit hat (§ 3.III.3.b), S. 174 ff.). 43. In Wahrheit hat die Lehre vom effizienten Vertragsbruch allerdings nur marginale Bedeutung für das Leistungsstörungsrecht, dessen vornehmste Aufgabe es ist, typischerweise ineffiziente Vertragsbrüche zu verhindern (§ 3.III.3.c), S. 180 f.). 44. Im Übrigen ist in allen Fallgruppen fraglich, ob tatsächlich der einseitige Vertragsbruch durch den Schuldner zu einer effizienten Lösung führt; regelmäßig dürften verhandlungsorientierte Regelungsmodelle effizienter sein. Die Rechtsordnung sollte so ausgestaltet werden, dass sie in den relevanten Situationen einen Anreiz für Verhandlungen zwischen den Parteien setzt, im Rahmen derer die notwendigen Informationen kommuniziert werden (§ 3.III.3.d), S. 181 ff.). 45. Aus ökonomischer Sicht werden – meist basierend auf der Lehre vom effizienten Vertragsbruch – verschiedene Nachteile eines Naturalerfüllungsanspruches genannt: Es bestehe die Gefahr, dass der Schuldner einen unwirtschaftlichen Leistungsaufwand betreibe, dass der Gläubiger in irrationaler Weise auf Naturalerfüllung bestehe, dass hohe Kosten für Verhandlungen zwischen den Parteien oder für die Überprüfung der Naturalleistung entstünden, dass kein Anreiz zur Annahme des Mehrgebots eines Dritten bestehe, und dass keine Schadensminderungsobliegenheit des Gläubigers existiere. Diese Nachteile überzeugen nahezu alle nicht (§ 3.IV.1, S. 191 ff.).
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46. Als Vorteile des Naturalerfüllungsanspruches wird aus ökonomischer Sicht angeführt, dass der Gläubiger sein Leistungsinteresse sicher realisieren könne, dass ein Anreiz für Verhandlungen der Parteien vor einem etwaigen Vertragsbruch gesetzt wird, dass eine defizitäre Schadensermittlung mit den dadurch bedingten Fehlanreizen für den Schuldner unterbleiben kann, dass die Verwendungsrisiken und -chancen der vertraglichen Leistung zutreffend verteilt werden, dass Rechtsverfolgungskosten vermieden werden können, dass die vertragsspezifischen Investitionen des Schuldners geschützt werden, und dass das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Verlässlichkeit von Verträgen insgesamt gestärkt wird (§ 3.IV.2, S. 200 ff.). 47. Bei ökonomischer Betrachtung erweist sich ein vorrangiger Anspruch auf Naturalerfüllung als effizient; der Gläubiger erhält dadurch sein Leistungsinteresse voll befriedigt, und zugleich kann der Schuldner die Vorteile aus der Leistungserbringung selbst ziehen (§ 3.IV.3, S. 207 ff.). 48. Die gleichen Erwägungen gelten auch für gesetzliche Ansprüche: Wo das Gesetz die Herstellung oder Wiederherstellung eines bestimmten Zustandes anordnet, ist regelmäßig der Anspruch auf naturale Erfüllung effizienter als ein Geldanspruch und daher unter ökonomischem Blickwinkel vorzugswürdig (§ 3.V, S. 215 f.).
IV. Der Anspruch auf Naturalerfüllung 49. Die Obligation – vertraglich wie gesetzlich – ist vorrangig auf die Naturalleistung gerichtet; der Schuldner ist bei Fälligkeit zur Erfüllung nur in Natur verpflichtet, und dem Gläubiger steht – außer im Schadensrecht – nur ein solches subjektives Recht zu (§ 4.I, S. 219 ff.). 50. Auch im Falle einer Leistungsstörung bleibt der Schuldner zunächst nur zur Naturalerfüllung verpflichtet; der Gläubiger hat ein entsprechendes klagbares subjektives Recht, den Erfüllungsanspruch (§ 4.III.1, S. 225 f.). 51. Auch dieser hier sog. „sekundäre Naturalerfüllungsanspruch“ nach Eintritt einer Leistungsstörung ist vorrangig gegenüber einem Anspruch auf Geldleistung; der grundsätzliche Vorrang wird im deutschen Recht insbesondere durch das Erfordernis einer Fristsetzung in § 281 Abs. 1 BGB gesichert (§ 4.III.2, S. 227 ff.). 52. Auch im Falle einer mangelhaften Leistung ist ein sekundärer Naturalleistungsanspruch – in Gestalt des auf Mängelbeseitigung gerichteten Nacherfüllungsanspruches – vorzugswürdig und als vorrangige Lösung sinnvoll; das gilt sowohl für das Werkvertragsrecht als auch – mit gewissen Einschränkungen – für das Kauf- und Mietrecht (§ 4.III.3, S. 232 ff.).
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53. Auch bei Handlungspflichten ist ein materiell-rechtlicher Erfüllungsanspruch sinnvoll; die Gründe, die für den Grundsatz nemo praecise cogi ad factum sprechen (v.a. der Schutz der Freiheitsrechte des Schuldners) sind richtigerweise erst im Vollstreckungsrecht zu berücksichtigen (§ 4.III.4, S. 238 ff.). 54. Nimmt der Gläubiger die geschuldete Leistung selbst vor und macht er dem Schuldner dadurch die Leistung unmöglich, so verliert er nicht nur den Erfüllungsanspruch, sondern auch Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe seiner eigenen Aufwendungen; ihm steht aber aus § 285 BGB (ggf. i.V.m. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB) oder aus Aufwendungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) ein Anspruch auf Ersatz der vom Schuldner ersparten Aufwendungen zu. Auch eine schadensrechtliche Lösung über §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, gestützt auf die Verletzung des Naturalandienungsrechts des Schuldners, führt nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zur selben Lösung (§ 4.V.5, S. 260 ff.).
V. Grenzen des Anspruches auf Naturalerfüllung 1. Vertragliche Abbedingung 55. Der Naturalerfüllungsanspruch kann vertraglich abbedungen werden, z.B. durch einen Ausschluss der Klagbarkeit, durch eine Beschränkung des Gläubigers auf Sekundärrechte oder durch die Vereinbarung einer Naturalobligation; in AGB sind derartigen Vereinbarungen enge Grenzen gesetzt. Auch der Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches kann abbedungen werden, z.B. indem dem Gläubiger für den Fall einer Leistungsstörung unmittelbar der Übergang auf Sekundärrechte gestattet wird (§ 5.I, S. 270 ff.).
2. Fristablauf und Schadensersatzverlangen 56. Der wichtigste Übergangstatbestand vom Naturalleistungsanspruch auf einen Geldleistungsanspruch ist die Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB. Die Norm mutet dem Gläubiger grundsätzlich zu, auf die Naturalerfüllung durch den Schuldner trotz Eintritts der Fälligkeit etwas weiter zu warten, um dem Schuldner eine „zweite Chance“ zu geben (§ 5.II.1, S. 275 ff.). 57. Mit der Fristsetzung kommuniziert der Gläubiger, wie lange er noch an der Naturalleistung durch den Schuldner interessiert ist, bzw. ab wann er sich die Möglichkeit eines Deckungsgeschäfts offen halten möchte. Daher muss die Frist zu einem bestimmbaren Termin und für eine konkrete Leistung gesetzt werden. Die Kontrolle der Angemessenheit der Frist dient dem
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Schutz des Schuldners vor einem opportunistischen Übergang des Gläubigers auf den Schadensersatzanspruch (§ 5.II.2, S. 279 ff.). 58. Nach Fristablauf hat der Gläubiger die Wahl, ob er weiter auf Naturalerfüllung besteht oder stattdessen Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 281 Abs. 4 BGB); im letzteren Fall geht der Naturalerfüllungsanspruch unter, wenn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches bestehen (§ 5.II.3, S. 286 ff.). 59. Bei partiellen Leistungsstörungen bleibt der Erfüllungsanspruch hinsichtlich des nicht gestörten Leistungsteils grundsätzlich erhalten; er entfällt nur, wenn der Gläubiger an diesem Teil kein Interesse mehr hat. Der Interesseverlust wird bei der Schlechtleistung vermutet, bei der quantitativen Teilleistung dagegen nicht (§ 5.II.4, S. 292 ff.). 60. Der Übergangstatbestand des § 281 BGB ist auch auf bloße Herausgabeansprüche anzuwenden, etwa auf den Herausgabeanspruch des Vermieters nach Beendigung der Mietzeit. Der Herausgabegläubiger hat damit grundsätzlich die Möglichkeit, nach Fristablauf anstelle der Herausgabe der Sache in Natur Schadensersatz in Höhe ihres restlichen Nutzungswerts zu verlangen; der Herausgabeanspruch ist dann nach § 281 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Nach hier vertretener Auffassung darf der Herausgabeschuldner aber den Schadensersatzanspruch durch Herausgabe der Sache in Natur erfüllen, wenn er nachweist, dass der Gläubiger sein naturales Herausgabeinteresse nicht verloren hat, sondern den Übergang auf den Schadensersatz aus opportunistischen Gründen missbräuchlich geltend macht (§ 5.II.5, S. 299 ff.).
3. Unmöglichkeit 61. Die Unmöglichkeit in ihrer Funktion als Übergangstatbestand vom Anspruch auf Naturalerfüllung auf einen Geldleistungsanspruch (§ 275 Abs. 1 BGB) erfasst nur die echten Leistungshindernisse, die unabhängig von einer Wertung der Leistungserbringung durch den Schuldner entgegenstehen, d.h. die naturgesetzliche und die rechtliche Unmöglichkeit (§ 5.III.1–§ 5. III.3, S. 307 ff.). 62. Vorübergehende Leistungshindernisse sind kein Fall der Unmöglichkeit in diesem Sinne. Die Sekundärfolgen richten sich vielmehr nach den Vorschriften für Leistungsverzögerungen; lediglich der Erfüllungsanspruch ist insofern gehemmt, als er nur im Wege der Klage auf künftige Leistung (§ 259 ZPO) aufschiebend bedingt durch den Wegfall des Leistungshindernisses eingeklagt werden kann (§ 5.III.4, S. 313 ff.). 63. Steht nicht fest, ob die Leistung tatsächlich unmöglich ist, so ist hierüber Beweis zu erheben, wenn der Gläubiger unmittelbar Folgen aus der Un-
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möglichkeit ableiten will; ihm steht aber auch der Weg einer Fristsetzung nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB offen. Beschreitet er ihn, so kann das Gericht nach Fristablauf offenlassen, ob die Leistung unmöglich geworden ist oder nicht (§ 5.III.5, S. 322 f.).
4. Grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse 64. Die Einrede des groben Missverhältnisses zwischen Leistungsaufwand des Schuldners und Leistungsinteresse des Gläubigers dient dazu, Ressourcenverschwendung durch Naturalerfüllung in den Fällen zu vermeiden, in denen die Naturalerfüllung dem Gläubiger einen geringeren Vorteil verschafft, als der Schuldner für sie aufwenden muss (§ 5.IV.1, S. 325 ff.). 65. In die Abwägung sind der vom Schuldner zu betreibende Aufwand und das spezifische Interesse des Gläubigers an der naturalen Leistung – jeweils einschließlich immaterieller Bestandteile – einzubeziehen; der Vertragspreis ist dabei unerheblich (§ 5.IV.1.d), S. 329 ff.). 66. Die Berücksichtigung des Vertretenmüssens in § 275 Abs. 2 S. 2 BGB hat eine Sanktionswirkung und entfaltet auf diese Weise Präventionsfunktion. Hat der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten, so steigen dadurch die Anforderungen an seine Naturalleistungsbemühungen (§ 5.IV.2.d), S. 337 ff.). 67. Um die Einrede aus § 275 Abs. 2 S. 1 BGB zu begründen, muss die Abwägung ein „grobes Missverhältnis“ zwischen Leistungsaufwand und dem spezifischen Naturalleistungsinteresse des Gläubigers ergeben, damit die immateriellen und nicht in Geld quantifizierbaren Abwägungsgesichtspunkte Berücksichtigung finden. Auch für nicht zu vertretende Leistungserschwerungen kann sich daraus ergeben, dass der Schuldner einen höheren Leistungsaufwand erbringen muss als ursprünglich kalkuliert; ein Verstoß gegen die Privatautonomie liegt darin nicht (§ 5.IV.2.e), S. 339 ff.). 68. Der gleiche Rechtsgedanke liegt den Einreden unverhältnismäßiger Mängelbeseitigungskosten in §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB zugrunde. Für die sog. „absolute Unverhältnismäßigkeit“ ist sogar der Maßstab des § 275 Abs. 2 BGB entsprechend heranzuziehen (§ 5.IV.3, S. 342 ff.). 69. Der Schadensersatz statt der Leistung ist in den Fällen des § 275 Abs. 2 BGB regelmäßig nicht nach den Kosten des Deckungsgeschäfts zu bestimmen, wenn und weil diese ebenfalls in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers stehen; zu ersetzen ist dann lediglich der Vermögensschaden des Gläubigers (reiner Geldersatz). Das ergibt sich aus § 251 Abs. 2 BGB (§ 5.IV.4.a), S. 346 f.).
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70. Unabhängig von einem Vertretenmüssen muss der Schuldner im Falle einer Leistungsbefreiung nach § 275 Abs. 2 BGB dem Gläubiger gem. § 285 BGB dasjenige herausgeben, was er infolge der Befreiung erspart hat; das ist der „gewöhnliche Leistungsaufwand“ unter Hinwegdenken der Leistungserschwerung (§ 5.IV.4.b), S. 347 ff.). 71. Die schadensrechtliche Parallelregelung bildet § 251 Abs. 2 BGB, die – mit einer geringeren Übergangsschwelle – dem Schädiger gestattet, anstelle der unwirtschaftlichen Kosten der Naturalrestitution gem. §§ 249 Abs. 2, 250 BGB den Wert des Vermögensschadens des Gläubigers zu ersetzen; bei Kfz-Schäden ist dabei zugunsten des Geschädigten ein sog. „Integritätszuschlag“ zu berücksichtigen, d.h. der Schädiger schuldet die Reparaturkosten bis zu 30 % über dem geschätzten Wiederbeschaffungswert (§ 5.IV.5, S. 351 ff.).
5. Persönliche Unzumutbarkeit 72. Persönliche Handlungspflichten sind wegen der grundrechtlichen Dimension des mit ihnen verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheitssphäre besonderen Regelungen sowohl auf der Ebene des materiellen Rechts als auch auf der Ebene des Vollstreckungsrechts unterworfen (§ 5.V.1, S. 355 ff.). 73. Die Regelung des § 275 Abs. 3 BGB sieht für persönliche Handlungspflichten eine erleichterte Befreiung von der Naturalerfüllungspflicht vor, welche die Berücksichtigung immaterieller Interessen des Schuldners gestattet (§ 5.V.2, S. 360 ff.). 74. § 275 Abs. 3 BGB ist über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich der rechtlich höchstpersönlichen Handlungspflichten hinaus auch auf sonstige, faktisch nicht delegierbare Handlungspflichten analog anzuwenden (§ 5.V.2.a), S. 360 ff.). 75. Die Vorschrift des § 275 Abs. 3 BGB gilt nicht für materielle, sondern nur für immaterielle Leistungshindernisse; darunter fallen auch Gewissenskonflikte (§ 5.V.2.b), S. 362 ff.). 76. Ausweichmöglichkeiten des Schuldners sind im Rahmen der Abwägung nach § 275 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen; sie schließen eine Berufung auf die persönliche Unzumutbarkeit nicht schlechthin aus (§ 5.V.2.c), S. 364 f.). 77. Die Einrede der persönlichen Unzumutbarkeit setzt eine Abwägung zwischen den immateriellen Beeinträchtigungen, die eine Leistungserbringung für den Schuldner mit sich bringen würde, und dem spezifischen Interesse des Gläubigers an der persönlichen Leistungserbringung durch den Schuldner voraus; ob der Schuldner das Hindernis zu vertreten hat, ist innerhalb der Abwägung mit geringem Gewicht zu berücksichtigen (§ 5.V.2.d), S. 365 ff.).
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78. Als Sekundärfolge der Leistungsverweigerung wird nur selten ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB in Betracht kommen, weil die Gesichtspunkte, die ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB begründen, meist auch dem Vertretenmüssen entgegenstehen werden; denkbar ist aber der Wegfall des Gegenleistungsanspruches gem. § 326 Abs. 1 BGB sowie bei Arbeitsverhältnissen ein Recht des Arbeitgebers zur personenbezogenen Kündigung (§ 5.V.2.e), S. 369 ff.). 79. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 275 Abs. 3 BGB können immaterielle Leistungshindernisse über § 242 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht begründen (§ 5.V.3, S. 371).
6. Weitere Gründe für den sofortigen Übergang auf den Schadensersatz 80. Bei absoluten Fixgeschäften ist die Naturalerfüllung nur während eines bestimmten Erfüllungszeitraums möglich; danach ist die Leistungserbringung naturgesetzlich oder rechtlich unmöglich. Die Folgen einer Verzögerung über den Erfüllungszeitraum hinaus bestimmen sich nach Unmöglichkeitsrecht (§ 5.VI.1.a), S. 372 f.). 81. Bei relativen Fixgeschäften vereinbaren die Parteien einen festen Leistungstermin, mit der Folge, dass vermutet wird, dass das Interesse des Gläubigers an der Naturalleistung durch den Schuldner mit Ablauf des Termins entfallen ist. Dem Gläubiger steht dann ein sofortiges Rücktrittsrecht zu; für den Übergang zum Schadensersatz ist zusätzlich ein objektiver Interessewegfall erforderlich (§ 5.VI.1.b), S. 374 ff.). 82. Der Fixhandelskauf (§ 376 HGB) unterscheidet sich vom gewöhnlichen Fixgeschäft nach dem BGB zum einen durch die Möglichkeit, sofort Schadensersatz statt der Leistung verlangen zu können, und zum anderen durch den automatischen Wegfall des Erfüllungsanspruches bei Verstreichen des fixen Leistungstermins, sofern der Gläubiger nicht sofort sein Erfüllungsbegehren anzeigt. Diese Rechtsfolge nötigt zu großer Zurückhaltung bei der Annahme von Fixhandelskäufen (§ 5.VI.1.c), S. 376 f.). 83. Im Falle einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung ist der Schutz des Schuldners durch den Vorrang der Naturalerfüllung nicht mehr geboten; der Gläubiger kann sofort vom Naturalerfüllungsanspruch abgehen und Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§ 5.VI.2.a), S. 377 ff.). 84. Diese Folgen treten auch ein, wenn die Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit der Forderung erklärt wird (§ 5.VI.2.b), S. 379). 85. Nach einer allgemeinen Interessenabwägung wird der Vorrang der Naturalerfüllung nach § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB durchbrochen, wenn das Interesse des Gläubigers am sofortigen Übergang auf den Schadensersatz (also
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ohne Abwarten der angemessenen Frist) das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Naturalleistung überwiegt (§ 5.VI.3.a), S. 380 f.). 86. Fallgruppen eines sofortigen Übergangs ohne Fristsetzung sind der Wegfall des Gläubigerinteresses an der Naturalerfüllung (z.B. durch Scheitern seiner Verwendungsplanung), die besondere Dringlichkeit der Leistung, Arglist des Schuldners sowie der Fall, dass der Schadensersatz statt der Leistung für den Schuldner günstiger ist als die Erbringung der Naturalleistung (§ 5.VI.3.b), S. 381 ff.). 87. Auch eine Nebenpflichtverletzung kann derart schwer wiegen, dass dem Gläubiger ein Festhalten an der naturalen Durchführung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist und er daher gem. § 282 BGB ohne Fristsetzung zum Schadensersatz statt der Leistung übergehen darf (§ 5.VI.4, S. 386 f.).
7. Folgerungen für den Schadensersatz statt der Leistung 88. Im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung wird der Grundsatz der Naturalerfüllung weitergeführt; auch hier führt das Gebot der Schonung des Schädigers (soweit dies ohne Beeinträchtigungen des Geschädigten möglich ist) zu einem Vorrang der Naturalerfüllung in Gestalt der schadensrechtlichen Naturalrestitution (§ 5.VII.1, S. 388 ff.). 89. Ist die Naturalerfüllung unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB, so gilt das nicht in allen Fällen auch für eine schadensrechtliche Naturalrestitution: Kann der Schuldner einen gleichartigen und gleichwertigen Gegenstand beschaffen, so ist er hierzu in den allgemeinen Grenzen des Schadensrechts (insbesondere § 251 Abs. 2 BGB) verpflichtet (§ 5.VII.1.a), S. 389 ff.). 90. Ein grobes Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und Gläubigerinteresse steht zumeist gem. § 251 Abs. 2 BGB auch einer schadensrechtlichen Naturalrestitution durch den Schuldner entgegen, sofern dieser nicht – ohne unverhältnismäßigen Herstellungsaufwand – einen gleichartigen und gleichwertigen Ersatzgegenstand leisten kann (§ 5.VII.1.b), S. 391 f.). 91. Das Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4 BGB schließt nicht nur den Anspruch auf Erfüllung in Natur, sondern grundsätzlich auch den Anspruch auf schadensrechtliche Naturalrestitution im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung aus. Weil der Ausschluss im überwiegenden Interesse des Schuldners besteht, ist diesem in teleologischer Reduktion dieser Ausstrahlungswirkung der Nachweis zu gestatten, dass die Verwendungsplanung des Gläubigers noch nicht gescheitert ist, und ihm dann zu erlauben, dem Gläubiger die Naturalleistung als Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB aufzudrängen (§ 5.VII.1.c), S. 392 ff.). 92. Das Deckungsgeschäft ist ebenfalls eine Form der Naturalrestitution, weil es zu einer vollständigen Befriedigung des naturalen Gläubigerinteresses
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führt. Es hat daher am Vorrang der Naturalrestitution gegenüber dem reinen Geldersatz teil (§ 5.VII.2, S. 396 ff.). 93. Reiner Geldersatz i.S.v. § 251 BGB umfasst das Vermögensinteresse des Gläubigers, einschließlich des entgangenen Gewinns. Es ist nur ersatzfähig, wenn die schadensrechtlichen Voraussetzungen für einen Übergang von der Naturalrestitution (durch ein Deckungsgeschäft) auf den Geldersatz gegeben sind (§ 5.VII.3, S. 400 f.). 94. Zur Schadensberechnung ist sowohl die Differenzmethode als auch die Surrogationsmethode zuzulassen. Welche davon anzuwenden ist, bestimmt sich ausschließlich danach, ob der Gläubiger vom Vertrag zurücktritt (Differenzmethode) oder nicht (Surrogationsmethode). Nach einer rein schadensrechtlichen Konstruktion eines „Rücktritts“ durch Anwendung der Differenzmethode trotz fehlender Rücktrittserklärung besteht kein Bedürfnis (§ 5.VII.4, S. 401 ff.).
VI. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im Sachenrecht 95. Der Grundsatz der Naturalerfüllung, wie er im allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB durchgeführt ist, gilt auch im Sachenrecht; auch dingliche, selbst negatorische Ansprüche begründen gesetzliche Schuldverhältnisse i.S.v. § 241 BGB, auf welche die §§ 275 ff. BGB Anwendung finden, soweit sachenrechtliche Sonderregelungen oder Wertungen keine abweichende Behandlung erfordern (§ 6.I, S. 404 ff.). 96. Hinsichtlich der Vindikation finden sich derartige Sonderregelungen in den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten, die im Interesse des Verkehrsschutzes zum Verlust der naturalen Vindikation des bisherigen Eigentümers gegen den Veräußerer führen und diese durch einen Anspruch auf Schadensersatz (§§ 989 f. BGB) oder jedenfalls Erlösherausgabe (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB) ersetzen (§ 6.II.1.a), S. 410). 97. Die Vorschriften über die Verbindung, Vermischung und Verarbeitung beweglicher Sachen (§§ 946 ff. BGB) dienen der Erhaltung wirtschaftlicher Werte durch Ausschluss der Vindikation in Natur und deren Ersetzung durch einen bereicherungsrechtlichen Wertersatzanspruch oder – im Verschuldensfalle – einen Schadensersatzanspruch (§ 951 BGB); sie stehen funktional dem § 275 Abs. 2 BGB nahe (§ 6.II.1.b), S. 411 f.). 98. Im Übrigen finden die Normen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf die Vindikation nur insoweit Anwendung, als die Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis keine vorrangigen Sonderregeln enthalten. Für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB besteht danach allenfalls ein marginaler Anwendungsbereich (§ 6.II.2.a), S. 413 f.).
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99. Ebenfalls nur in Ausnahmefällen kann die Vindikation wegen eines groben Missverhältnisses zwischen Herausgabeaufwand des Besitzers und dem Herausgabeinteresse des Eigentümers nach § 275 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein (§ 6.II.2.b), S. 414 f.). 100. Das universelle Fristsetzungsmodell des § 281 BGB ist auch auf die Vindikation anwendbar, wobei allerdings die haftungsrechtlichen Privilegierungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses zu berücksichtigen sind (§ 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB). Die Folgen der Anwendung werden aber dadurch gemildert, dass – wie hier allgemein vertreten wird – der Besitzer nachweisen darf, dass das naturale Herausgabeinteresse des Eigentümers objektiv noch besteht, und in diesem Fall den Schadensersatzanspruch durch naturale Herausgabe erfüllen darf (§ 6.II.2.c), S. 416 f.). 101. Auf den negatorischen Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ist das allgemeine Leistungsstörungsrecht ohne spezifisch sachenrechtliche Modifikationen unmittelbar anwendbar. So ist der Beseitigungsanspruch nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die Beseitigung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (§ 6.III.1, S. 418 f.). 102. Dem Beseitigungsanspruch kann auch die Einrede des groben Missverhältnisses zwischen Beseitigungsaufwand des Störers und Beseitigungsinteresse des Eigentümers nach § 275 Abs. 2 BGB entgegengehalten werden. Bei der Abwägung ist zu beachten, dass das Beseitigungsinteresse des Eigentümers regelmäßig nicht auf den bloßen Sachwert beschränkt ist, sondern anhand seiner tatsächlichen – ggf. immateriellen – Nutzungsbeeinträchtigung infolge der Störung zu ermitteln ist (§ 6.III.2, S. 419 ff.). 103. Ist der Beseitigungsanspruch nach § 275 Abs. 2 BGB nicht durchsetzbar, so steht dem Eigentümer eine Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen analog §§ 906 Abs. 2 S. 2, 912 Abs. 2, 917 Abs. 2 BGB zu (§ 6.III.2.c), S. 423 ff.). 104. Auch das Fristsetzungsmodell des § 281 BGB findet auf den negatorischen Beseitigungsanspruch Anwendung: Der Eigentümer kann dem Störer eine Frist zur Beseitigung setzen und nach deren fruchtlosem Ablauf die Beseitigung auf dessen Kosten vornehmen. Ab dem Schadensersatzverlangen folgt aus § 281 Abs. 4 BGB eine schuldrechtliche Duldungspflicht i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB (§ 6.III.3, S. 426 ff.).
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VII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in der Zwangsvollstreckung 105. Ansprüche auf die Herausgabe beweglicher Sachen werden gem. § 883 ZPO durch unmittelbaren Zwang (Wegnahme der Sache in Natur) vollstreckt; insoweit wird der Grundsatz der Naturalerfüllung vollständig verwirklicht (§ 7.I, S. 430 ff.). 106. Um die Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO nicht zu entwerten, müssen auch der Herausgabe vorgelagerte Pflichten auf Beschaffung oder Herstellung der geschuldeten Sache vollstreckbar sein: Bei vertretbaren Handlungen gem. § 887 ZPO, bei unvertretbaren Handlungen gem. § 888 ZPO (§ 7.I.3, S. 431 ff.). 107. Im Falle von Handlungspflichten kommt dem Schutz der Freiheitsrechte des Schuldners besondere Bedeutung zu. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedingt daher, dass Zwangsmittel gegen den Schuldner nur eingesetzt werden dürfen, wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht auch anderweitig (d.h. durch Ersatzvornahme) befriedigt werden kann (§ 7.II.1, S. 433 f.). 108. Lediglich für unvertretbare Handlungen, also solche, die aus Sicht des Gläubigers nicht durch einen Anderen vorgenommen werden können, kommt daher die Anwendung von Zwangsmitteln wie Zwangsgeld und Zwangshaft in Betracht (§ 888 ZPO). Diese Zwangsmittel unterliegen wegen ihrer massiven Beeinträchtigung der Freiheitsrechte des Schuldners engen Grenzen und dürfen daher z.B. bei dienstvertraglichen Leistungspflichten nicht angewendet werden (§ 7.II.2, S. 434 ff.). 109. Für vertretbare Handlungen schließt das deutsche Vollstreckungsrecht die Anwendung von Zwangsmitteln gegen den Schuldner aus. Die Vollstreckung durch Ersatzvornahme (§ 887 ZPO) entspricht wirtschaftlich dem Ersatz der Kosten des Deckungsgeschäfts, hat also de facto nur die Wirkung einer Geldkondemnation (§ 7.II.3, S. 437 ff.). 110. Wo die Vollstreckung durch Ersatzvornahme wirtschaftlich nicht ans Ziel führt, weil der Schuldner zahlungsunfähig ist, er die geschuldete Handlung aber selbst vornehmen könnte, gebietet es der Grundsatz der Naturalerfüllung, die Vollstreckung durch Zwangsgeld und (v.a.) Zwangshaft analog § 888 ZPO zuzulassen (§ 7.II.3.b), S. 438 f.). 111. Bei Unterlassungspflichten ist regelmäßig keine präventive Vollstreckung möglich, weil eine Verletzung der Pflicht typischerweise nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Die Vollstreckung erfolgt daher durch die Androhung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft (§ 890 ZPO); damit die Androhung den erforderlichen Abschreckungseffekt erzielt, muss die
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Strafe bei jeder Zuwiderhandlung tatsächlich vollstreckt werden und darf nicht durch zukünftiges Wohlverhalten entfallen können (§ 7.III, S. 439 f.). 112. Der einstweilige Rechtsschutz ist ein wichtiges Instrument zur praktischen Durchsetzung von Naturalerfüllungsansprüchen. Bei nahezu allen Anspruchszielen sind einstweilige Leistungsverfügungen denkbar, die den Schuldner wenigstens vorläufig zur Leistungserbringung zwingen; bei Lieferansprüchen sind zumindest einstweilige Veräußerungsverbote möglich. Jeweils ist das spezifische Naturalleistungsinteresse des Gläubigers bei der Prüfung des Verfügungsgrundes zu berücksichtigen (§ 7.IV, S. 441 ff.).
VIII. Der Grundsatz der Naturalerfüllung im CISG und im acquis communautaire 113. Das CISG gewährt dem Käufer in Art. 46 Abs. 1 einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Lieferung der Kaufsache in Natur sowie bei mangelhafter Lieferung einen Anspruch auf Nacherfüllung; beide Ansprüche sind gegenüber Sekundärrechtsbehelfen vorrangig ausgestaltet. Über die prozessuale Durchsetzbarkeit des Lieferungsanspruches können die Gerichte aber gem. Art. 28 CISG nach den Grundsätzen ihres nationalen Rechts entscheiden (§ 8.I.1, S. 450). 114. Der Erfüllungsanspruch nach Art. 46 Abs. 1 CISG umfasst auch den Anspruch auf Nacherfüllung in Gestalt der Nachbesserung oder Nachlieferung, wobei die Nachlieferung nach Art. 46 Abs. 2 CISG nur bei wesentlichen Vertragsverletzungen in Betracht kommt (§ 8.I.2, S. 451). 115. Der Vorrang der Naturalerfüllung vor dem Schadensersatzanspruch ist im CISG dadurch gesichert, dass nach zutreffender h.M. der Übergang auf den (großen) Schadensersatz statt der Leistung nur unter den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung (Art. 49 CISG), d.h. bei einer wesentlichen Vertragsverletzung oder nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist möglich ist; behebbare Mängel begründen dabei grundsätzlich nie eine wesentliche Vertragsverletzung (§ 8.I.3, S. 451 ff.). 116. Neben der Fristsetzung und der wesentlichen Vertragsverletzung sieht das CISG einen unmittelbaren Übergang von der Naturalerfüllung auf den Schadensersatz noch bei einer Erfüllungsverweigerung des Verkäufers vor; darüber hinaus ist auch die Unmöglichkeit als Übergangstatbestand anzuerkennen (§ 8.I.4, S. 456 f.). 117. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie regelt zwar nicht den primären Erfüllungsanspruch des Käufers, aber den Nacherfüllungsanspruch, und gestaltet diesen vorrangig vor anderen Rechtsbehelfen aus. Ein Übergang
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auf Minderung oder Rücktritt ist nur zulässig, wenn eine angemessene Frist für die Nacherfüllung verstrichen ist oder diese unmöglich ist. Schadensersatzansprüche werden von der Richtlinie nicht geregelt, daher auch nicht der Übergang auf Geldleistungsansprüche; das deutsche Recht orientiert sich in § 281 BGB insoweit aber freiwillig an den Vorgaben der Richtlinie (§ 8.II.1, S. 458 ff.). 118. Die Pauschalreiserichtlinie enthält eine rudimentäre Regelung des Gewährleistungsrechts bei Pauschalreiseverträgen und sieht ebenfalls einen Vorrang der Nacherfüllung vor (§ 8.II.2, S. 461 f.).
IX. Der Grundsatz der Naturalerfüllung in den Entwürfen für ein Europäisches Privatrecht 119. Alle untersuchten Regelwerke (PECL, PICC, ACQP, DCFR, GEK-E) gehen zumindest implizit, teilweise aber auch explizit davon aus, dass der Schuldner primär zur Naturalerfüllung verpflichtet ist und nur durch diese von seiner Leistungspflicht frei wird (§ 9.I.1, S. 465). 120. PECL, PICC, ACQP, DCFR und GEK-E gewähren dem Gläubiger grundsätzlich einen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch, der allerdings – mit Ausnahme der ACQP – jeweils bei „entschuldigter Nichterfüllung“ ausgeschlossen sein soll. Zudem gestalten PECL und PICC – in geringerem Maße auch der DCFR – den Erfüllungsanspruch subsidiär gegenüber einem Deckungsgeschäft aus. Schließlich ist er nach diesen drei Regelwerken auch einer Ausschlussfrist unterworfen; diese Einschränkungen sind kritisch zu beurteilen und – mit Ausnahme der erstgenannten – zu Recht nicht in den GEK-E übernommen worden (§ 9.I.2.a), S. 466 ff.). 121. Alle behandelten Regelungsentwürfe sehen auch einen Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung für den Fall einer mangelhaften Lieferung vor, der jeweils in den beiden Varianten Nachbesserung und Nachlieferung geltend gemacht werden kann. Bedauerlicherweise hat nur der VRRL-E das Wahlrecht zwischen beiden Varianten generell dem Verkäufer zugesprochen; bei den übrigen Entwürfen gilt dies lediglich beim Kauf durch einen Unternehmer (§ 9.I.3, S. 474 f.). 122. Die Regelwerke sehen zwar im Grundsatz alle – mit Ausnahme des Art. 7.1.4 PICC – ein freies Wahlrecht des Gläubigers zwischen Erfüllungsanspruch und Schadensersatz vor. Es wird allerdings vorgeschlagen, wie beim CISG auch den Übergang auf den (großen) Schadensersatz statt der Leistung davon abhängig zu machen, dass die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung vorliegen (§ 9.I.4.a), S. 476 ff.).
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123. Im Hinblick auf das Nachleistungsrecht des Art. 7.1.4 PICC ist dessen mangelnde Abstimmung mit dem Nachfristmechanismus des Art. 7.1.5 PICC zu kritisieren; hier besteht noch Nachbesserungsbedarf (§ 9.I.4.a) cc), S. 479 ff.). 124. Das Heilungsrecht des Verkäufers im Falle einer mangelhaften Lieferung (Recht zur zweiten Andienung) ist in allen Regelwerken detailliert ausgestaltet. Regelmäßig ist ein komplizierter Mechanismus aus Angebot der Nacherfüllung durch den Verkäufer und begrenzten Ablehnungsgründen des Käufers vorgesehen. Jeweils fehlt eine Koordination mit dem allgemeinen Fristsetzungsmechanismus des Käufers, die rechtstechnisch wünschenswert wäre (§ 9.I.4.b), S. 482 ff.). 125. Im GEK-E ist hinsichtlich des Unternehmerkaufes zu kritisieren, dass keine Regelung der „voreiligen Selbstvornahme“ getroffen wurde. Hier sollte eine externe Regelungslücke angenommen werden, mit der Folge, dass die mitgliedstaatlichen Vorschriften des Bereicherungsrechts zur Lückenfüllung Anwendung finden (§ 9.I.4.b)ff)(1), S. 491 ff.). 126. Aus ökonomischer Perspektive ist ferner zu kritisieren, dass der GEK-E zugunsten der Verbraucher überhaupt keinen Vorrang der Nacherfüllung vorsieht. Das ermöglicht es diesen, sich einfach vom Vertrag zu lösen und dadurch u.U. erhebliche Werte zu zerstören, zumal noch nicht einmal ein Nutzungsersatzanspruch des Verkäufers im Falle einer Vertragsaufhebung vorgesehen ist (§ 9.I.4.b)ff)(2), S. 495 ff.). 127. In dogmatischer Hinsicht ist der Erfüllungsanspruch in allen Regelwerken als Rechtsbehelf eingeordnet. Das führt zu Problemen bei der Konstruktion einer Abtretung des Erfüllungsanspruches, bei der Zulassung einer Klage auf künftige Leistung und bei der Beweislast hinsichtlich der Erfüllung bzw. Nichterfüllung (§ 9.I.5, S. 501 ff.). 128. Alle Regelwerke sehen – in Anlehnung an § 326 BGB 1900 – einen Fristsetzungsmechanismus vor, der mindestens zu einer Selbstbindung des Gläubigers dergestalt führt, dass er während der selbst gesetzten Erfüllungsfrist nicht auf den Schadensersatz oder die Vertragsaufhebung übergehen darf; teilweise begründet der Fristablauf auch die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung und damit das Recht zur Vertragsaufhebung und zum (großen) Schadensersatz statt der Leistung (§ 9.II.1, S. 505 ff.). 129. Die Unmöglichkeit ist in den Regelwerken regelmäßig nicht explizit als Übergangstatbestand, sondern als Haftungsbefreiungstatbestand ausgestaltet, der die Nichterfüllung entschuldigt. Gleichwohl liegt bei Unmöglichkeit in der Regel eine wesentliche Nichterfüllung vor, die zur Vertragsaufhebung und damit zugleich zum Schadensersatz statt der Leistung berechtigt (§ 9.II.2, S. 507 ff.). 130. Die Regelungen über die Einrede eines unverhältnismäßigen Leistungsaufwands entsprechen in ihrer Grundstruktur § 275 Abs. 2 BGB; der
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Maßstab der Unverhältnismäßigkeit ist zwar im Detail gelegentlich abweichend formuliert, dürfte in der Sache aber gleich angewendet werden. Auch die Abgrenzung gegenüber dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (Änderung der Umstände) sollte nach den gleichen Kriterien erfolgen wie im deutschen Recht (§ 9.II.3, S. 509 ff.). Bei höchstpersönlichen Dienst- und Werkleistungen schließen die Regelwerke (mit Ausnahme des GEK-E) schon den materiell-rechtlichen Erfüllungsanspruch aus, so dass diese Ansprüche noch nicht einmal klagbar, geschweige denn vollstreckbar sind. Wegen der teilweisen Überantwortung der Frage höchstpersönlicher Dienstleistungen in das (nach der lex fori zu beurteilende) Vollstreckungsrecht sollte diese Frage im Interesse echter Rechtsvereinheitlichung durchgehend in den Regelwerken gelöst werden (§ 9.II.4, S. 512 ff.). Nach den Regelwerken ist der sofortige Übergang auf den Schadensersatz auch im Falle einer Erfüllungsverweigerung durch den Schuldner sowie bei zeitkritischen Verträgen oder Interessewegfall des Gläubigers jeweils konstruierbar, indem die Vertragsverletzung bzw. Nichterfüllung in diesen Situationen als wesentlich behandelt werden (§ 9.II.5, S. 516 ff.). Die Regelwerke gewähren Schadensersatz statt der Leistung jeweils ohne vorgeschaltetes Verschuldenserfordernis, so dass bei Ausschluss des Naturalerfüllungsanspruches jeweils ein Schadensersatzanspruch an dessen Stelle tritt (§ 9.III.1, S. 518 f.). Der Schadensersatzanspruch ist grundsätzlich auf das positive Interesse gerichtet. Allerdings wird der ersatzfähige Schaden in den meisten Regelwerken auf vorhersehbare Schäden begrenzt. Das kann zu einer Unterkompensation des Gläubigers führen, wodurch das ökonomische Prinzip der Indifferenz zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz verletzt wird. Das Vorhersehbarkeitskriterium sollte daher entfallen bzw. durch eine Hinweisobliegenheit des Gläubigers bei besonders hohen drohenden Schäden ersetzt werden (§ 9.III.2, S. 519 ff.). Zutreffend lässt sich aus den Regelwerken im Rahmen der Schadensermittlung ein Vorrang des Deckungsgeschäfts vor dem reinen Wertersatz ableiten (§ 9.III.3, S. 522 f.). Zu kritisieren bleibt, dass die Regelwerke allesamt auf eine Definition der Schadenskategorien „statt der Leistung“, „wegen Verzögerung der Leistung“ und „neben der Leistung“ verzichten, obwohl diese Einteilung einigen Regeln der Sache nach zugrunde liegt. Dieser Verzicht auf eine sachadäquate Kategorienbildung führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit in vielen schadensrechtlichen Fragen, auch weil dadurch eine international anerkannte Terminologie nicht entstehen kann. Die Kategorisierung des § 280 Abs. 1–3 BGB sollte daher – trotz ihrer vermeintlichen Überkomplexität – auch in die Regelwerke aufgenommen werden, weil mit ihr ein
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Gewinn an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verbunden ist (§ 9.III.4, S. 523 f.). 137. Die Regelwerke blenden – mit Ausnahme des Art. 7.2.4 PICC – den untrennbaren Zusammenhang der Frage des Naturalerfüllungsanspruches mit dem Prozess- und Vollstreckungsrecht völlig aus. Dadurch kann keine Rechtsvereinheitlichung gelingen, weil unklar bleibt, ob die Einzelstaaten die von den Regelwerken vorgegebenen materiell-rechtlichen Ergebnisse nicht auf der Durchsetzungsebene konterkarieren. Insoweit sollten zumindest einige Harmonisierungsregeln oder Mindeststandards in die Regelwerke aufgenommen werden (§ 9.IV, S. 524 ff.).
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Sachregister Abatement 142 Ablehnungsandrohung 102, 230, 272 ff., 280, 305 f. Ablösezahlung 73 Abnahme – Pflicht zur ~ 53, 254 f., 260 ff. – Verweigerung der ~ 262 Absolutes Fixgeschäft siehe Fixgeschäft Abstrakte Schadensberechnung siehe Schadensersatz statt der Leistung, abstrakte Berechnung Abtretung 33 ACQP 464 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – Änderung der Umstände 511 – cure siehe ACQP, Heilung – Deckungsgeschäft 470 – Frist zur Erfüllung bzw. Nacherfüllung 485 – Heilung 485, 500, 513 – Hinweisobliegenheit 521 – höchstpersönliche Leistungspflichten 513, 525 – höhere Gewalt 507 – Nacherfüllungsanspruch 474, 482, 485 – nachträgliche Erschwerung (hardship) 511 – Naturalerfüllungsanspruch (Anspruch auf specific performance) 466 – Naturalerfüllungspflicht 465 – Nichterfüllung (non-performance) 465 – Schadensersatz neben der Leistung 523 – Schadensersatz statt der Leistung 486, 501, 507, 518 f., 524 – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 501, 518 – Schadenskategorien 523
– Schadensminderungsobliegenheit 470, 522 – Teilleistungsstörungen 524 – Unmöglichkeit 507 f. – Unverhältnismäßigkeit der Naturalerfüllung 509 f. – Vertragsaufhebung 477, 485 f. – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs 482 ff. – Wahlrecht des Gläubigers bzgl. der Rechtsbehelfe 476 – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 474 – Wesentlichkeit der Nichterfüllung 518 – zeitkritische Verträge 517 – Zurückbehaltungsrecht 513 Acquis communautaire – Heilung 482 – Nacherfüllungsanspruch 458 – Naturalerfüllungsanspruch 457 – Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG siehe dort – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG siehe dort Acquis Principles siehe ACQP Actio 16, 74 f., 96, 122, 147, 242 – arbitraria 77 – emti 76 ff., 239 – negatoria 30, 34, 54 f., 406, 418 Action – of assumpsit 127 f., 144 – of covenant 124 ff. – of debt sur obligation 125 f. – of detinue 126, 141 – of ejectment 141 – of trespass on the case 126 f. Adequacy-test 129 ff., 135, 144 ff., 226, 469
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Sachregister
Affektionsinteresse 23, 203, 333 ff., 340 ff., 352, 422 Aktionenrechtliches Denken 7, 120 ff., 147 ff., 241 Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten 93 Allgemeines Leistungsstörungsrecht – analoge Anwendung 405 – Anwendbarkeit auf den Beseitigungsanspruch 30, 408, 418 – Anwendbarkeit auf die Vindikation 30, 412 f., 416 – Anwendbarkeit im Sachenrecht 405 – Rangverhältnis der Befriedigungsstufen 26 – universeller Geltungsanspruch 404, 420, 426 – Verdrängung durch das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht 263 – Verdrängung durch Sonderregelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses 413 Allokationseffizienz 156, 160 Annahme – Abnahme im Werkrecht 260 – -obliegenheit 253 f. – Pflicht zur ~ 253 ff. – Verweigerung der ~ 33, 254, 257 – Verzögerung der ~ 254, 257 – von Teilleistungen 294 Annahmeverzug – abschließender Charakter der Vorschriften über den ~ 257 – Haftungslücken im Recht des ~ 256 – Voraussetzungen des ~ 253 – Zurückweisung der Naturalleistung 253, 287 – Zurückweisung einer Geldzahlung 19, 34 – Zurückweisung von Teilleistungen 293 Anspruchsdenken 7 Assumpsit siehe Action of assumpsit Astreinte 110, 113 ff. – définitive 114 f. – provisoire 110, 114 f. Atiyah, Patrick S. 137 Aufopferungshaftung 424 Avant-projet Catala 117 f.
Bacon, Sir Francis 123 Behavioural economics 195 Beschäftigung – Anspruch auf ~ 52, 66, 254, 259 – einstweiliger Rechtsschutz bei Anspruch auf ~ 443 Besitzeffekte 196 Bierlieferungsvertrag 357 Breach of contract 68, 143, 220 – Efficient ~ siehe Efficient Breach of contract Breach of warranty 135 Bulgarus 19, 79 Calabresi, Guido 161 Cheapest cost avoider 193, 520 CISG siehe UN-Kaufrecht Civilis causa 88 Coase, Ronald 159 Coase-Theorem 159 f., 162 Contract Code (MacGregor) 145 Contrainte par corps 113 Corpus Iuris Civilis 76 ff., 84 ff. cure siehe Heilung Damages 127 ff., 138, 142, 145 DCFR 464 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – abstrakte Schadensberechnung 522 – Abtretung des Erfüllungsanspruchs 503 – Änderung der Umstände 511 – antizipierter Vertragsbruch 503 – Ausschluss des Erfüllungsanspruchs 472, 515 – Beweislast 504 – cure siehe DCFR, Heilung – Deckungsgeschäft 470, 478 – Erfüllungsanspruch 502, 504 – Fristsetzung 486 f., 505 – Haftungsbefreiung wegen Unmöglichkeit 508 – Heilung 472, 482, 486 ff., 491, 500, 513 – Hinweisobliegenheit 521 – höchstpersönliche Leistungspflichten 513, 525 – höhere Gewalt 507 – künftige Leistung 503
Sachregister
– Nacherfüllungsanspruch 468, 474 – nachträgliche Erschwerung (hardship) 511 – Naturalerfüllungsanspruch (Anspruch auf specific performance) 466, 503 – Naturalerfüllungspflicht 465 – Nichterfüllung (non-performance) 465 – Nichterfüllung, entschuldigte 467 f., 504 – Schadensersatz neben der Leistung 523 – Schadensersatz statt der Leistung 478 f., 501, 506 f., 518 f., 522, 524 – Schadensersatz während des Laufs der Nacherfüllungsfrist 477 – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 478 f., 501, 518 – Schadenskategorien 523 – Schadensminderungsobliegenheit 522 – Teilleistungsstörungen 524 – Unmöglichkeit 467, 507 f. – Unverhältnismäßigkeit der Naturalerfüllung 509 ff. – Vertragsaufhebung 476 f., 487, 492, 505 f., 509 – Verzögerung als Aufhebungsgrund 509 – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs 482 – vorübergehendes Leistungshindernis 508 – Wahlrecht des Gläubigers bzgl. der Rechtsbehelfe 476 – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 474 – Wesentlichkeit der Nichterfüllung 476, 506, 518 – zeitkritische Verträge 517 – Zurückbehaltungsrecht 513 Deckungsgeschäft – abstrakte Schadensberechnung 478 – Allokation des Verwendungsrisikos 213 – als mittelbare Befriedigung des Naturalerfüllungsinteresses 23, 44, 47, 201, 204 – als Naturalrestitution 25 f., 216, 347, 397 ff.
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– als zweitbeste Lösung siehe Deckungsgeschäft, Vorrang des Naturalerfüllungsanspruchs – Ausschluss des Schadensersatzes wegen unvernünftigen Unterlassens des ~ 471 – Begriff 20, 22 – Ersatz des Verzögerungsschadens 24, 45, 175 – immaterielle Nachteile eines ~ 20, 24, 45 ff., 175, 179, 192, 199, 203, 234, 312, 335 – konkretes ~ 478 – Kosten des ~ als Schadensersatz statt der Leistung 25, 45, 261, 469, 506 – Mühewaltung in eigenen Angelegenheiten 45, 176, 203, 234, 312, 335, 341 – Schadensminderungsobliegenheit beim ~ 199 f. – schadensrechtliche Anerkennung 478 – sofortiges ~ 383 – Transaktionskosten eines ~ 20, 24, 130, 179 ff., 225, 469 ff. – Übergang auf ein ~ nach Verurteilung zur Naturalerfüllung 525 – Unmöglichkeit eines ~ 24, 45, 207 ff., 214 – Vermeidung eines Verzögerungsschadens 59, 379 – Verwendungsplanung des Gläubigers 22, 44 f., 177, 204, 213 f., 229, 303, 319, 380, 393 – Vorrang der Naturalrestitution 230, 305 – Vorrang des ~ vor der Naturalerfüllung 469, 483 – Vorrang des ~ vor reinem Geldersatz 213, 398, 522 – Vorrang des Naturalerfüllungsanspruches 25, 208, 228 – Zuweisung des ~ an den Schuldner 199, 391 Differenzmethode 127, 287 f., 401 f., 478 Digesten 77 Discretion 123, 129 ff., 141, 146, 324, 466 Doppelliquidation, Verbot der 490
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Sachregister
Draft Common Frame of Reference siehe DCFR Duldungspflicht – dulde und liquidiere 425 – Eintragungsfähigkeit der ~ 426 – im volkswirtschaftlichen Interesse 420 Earl of Oxford 123 Efficient Breach of contract 171, 173, 521 – Begründung 173 – Fallgruppen 173 – Kenntnis des Schuldners vom gläubigerischen Leistungsinteresse 178, 181 f., 185 – Kritik an der Lehre vom ~ 181 ff. – Leistungserschwerung aufseiten des Schuldners 174, 184 – Mehrgebot eines Dritten 173 – Minderung des gläubigerischen Leistungsinteresses 174 – Realisierbarkeit des Schadensersatzes 177 – Rechtswidrigkeit des ~ 189 – Verhandlungen zur Ermittlung der Effizienz 182 f. – Verhinderung eines ~ durch Gewährung eines Anspruches auf Naturalerfüllung 190 f., 195, 198 – Wohlfahrtssteigerung durch ~ 171, 173 Effizienz 151 f., 156, 165, 173 f. Effizienzkriterium 153 ff. Eidbruch 83 Eigenmächtige Selbstvornahme siehe Selbstvornahme Eigentum – als universelles Stammrecht 406 – Auseinanderfallen von ~ und Besitz 410 – Beeinträchtigung 54, 407 – Eigentumsgarantie 356, 408 – Enteignung 420, 423 – Entschädigung bei Enteignung 425 – Freiheitsgarantiefunktion 408, 421 Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 29, 413 ff. Eigentumsregeln siehe property rules Eigentumsschutz – als Integritätsschutz 408 ff., 414 ff., 421
– als Wertschutz 408 – Ansprüche aus ~ im common law 141 ff. – Verhältnismäßigkeit beim negatorischen ~ 420 – Wertersatzpflicht für gesetzlichen Eigentumsverlust 409 Eigentumsübergang – durch Abschluss des Kaufvertrags 106, 126 Eigentumsverlust – infolge gutgläubigen Erwerbs siehe gutgläubiger Erwerb Einstweiliger Rechtsschutz – Ansprüche auf unvertretbare Handlungen 443 – Ansprüche auf vertretbare Handlungen 443 – einstweilige Verfügung 445 – Geldforderungen 441 – Herausgabeansprüche 442 – Leistungsverfügung 441 – Lieferansprüche 444 – Unterlassungsansprüche 444 – Verhältnis zu Sekundärfolgen der Pflichtverletzung 444 – Wettbewerbsrecht 444 Elegante Jurisprudenz 84, 88 Equity 123 f., 128, 134, 139 ff., 226 – equity decrees 140 – equity shall prevail 123 Erfüllungsgehilfen – Delegation der Erfüllungshandlung auf ~ 355, 361 Erfüllungsinteresse – Offenlegung vor Vertragsschluss 520 Erfüllungsverweigerung 377 ff. – Europäisches Privatrecht 516 Erkenntnisverfahren 37, 48, 71, 97, 316 f. Erläuterte Prozessordnung Sachsens 91 Ersatzvornahme 525 – als milderes Mittel gegenüber Zwangsgeld 437 – als prozessual gewandete Form der Geldkondemnation 39 ff., 66 – als zweitbeste Lösung 40 – gerichtliche ~ bei der Abgabe von Willenserklärungen 435
Sachregister
– Insolvenzrisiko bei der Vollstreckung durch ~ 49, 57, 439 – Keine Beeinträchtigung der schuldnerischen Handlungsfreiheit bei der ~ 240 – Naturalerfüllung durch ~ 40 – Verhältnis zu Sekundäransprüchen des Gläubigers 437, 443 – Vollstreckung vertretbarer Handlungen im Wege der ~ 17, 443 – Vollstreckung von Beschaffungs- und Herstellungspflichten durch ~ 431 Feststellungsklage 242 ff. Fixgeschäft – absolutes ~ 229, 311, 372 f. – Begriff 372 – bei zeitabhängiger Verwendungsplanung 276 – Flugbeförderungsvertrag als ~ 373 – relatives ~ 102, 374 ff. – Übergangstatbestand 11, 372, 375 – Vereinbarung eines ~ 273, 376 f., 381 Fixhandelskauf 271, 376 f. Force majeure siehe höhere Gewalt force obligatoire du contrat 109 Formularprozess 15, 73 ff., 86, 122, 147 Fristsetzung 26, 29, 101 ff., 223, 230 f. – Abbedingung des Fristsetzungserfordernisses 272 ff., 376 – Ablehnungsandrohung siehe dort – ACQP 477, 485 – Auslegung der Fristsetzung 280 – Automatismus in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG 460 – bei vorübergehenden Leistungshindernissen 319 – Beseitigungsanspruch 231, 426 – Bezugspunkt 282 f., 292 – Bindung an die ~ 135, 288 – Bindung an überobligatorische ~ 505 – common law 37, 135, 146 – Dauer der Frist 211 f., 228, 237, 269, 277, 284, 383 – DCFR 486 – doppelte ~ 282 f. – durch das Gericht 323
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– Entbehrlichkeit 102 ff., 212, 229 f., 237, 261, 272 ff., 284, 306, 374 ff., 477 – Erfordernis einer konkreten Fristbestimmung 279 – Erfordernis einer vorausgehenden Mahnung 281 – Europäisches Privatrecht 505 – Fixhandelskauf 376 – für die Ausübung der Käuferrechte 473 – GEK-E 496 – Gnadenfrist 71, 114 f. – Konkretisierung der Leistungsaufforderung 281 – kraft Gesetzes 278 – nicht vollstreckbare Handlungspflichten 360 – ökonomische Vorteile 279 – PICC 481 – Schadensersatz während des Laufs der Frist zur Nacherfüllung 477 – Schadensersatzverlangen nach Fristablauf 392 – schadensrechtliche ~ 27, 224, 230, 305, 399 f. – Setzung einer ~ für das Heilungsrecht des Käufers 484 – Teilleistungen 294 – UN-Kaufrecht (CISG) 35 f., 451, 456 – unsichere Unmöglichkeit 322 f. – Verbindung mit Schadensersatzverlangen 290 – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 459 f. – Vindikation 231, 416 f. – vorrangsichernde Funktion 35, 230, 241, 245, 254, 261, 274 f., 319, 377 – VRRL-E 489 – Wahlrecht nach Fristablauf 60, 255, 285 f., 306, 376 – Warnfunktion 276, 280, 285 – Zurückweisungsrecht nach Fristablauf 255, 287, 292, 303 f. – Zweck 147, 155, 211, 247, 254, 261, 275 ff. Garantiehaftung – Ausschluss der ~ 138, 245 – im common law 68, 138 – im französischen Recht 68
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Sachregister
Garnishment 139 GEK-E 464 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – abstrakte Schadensberechnung 522 – Abtretung des Erfüllungsanspruchs 502 – Änderung der Umstände 511 – anfängliche (rechtliche) Unmöglichkeit 507 – antizipierter Vertragsbruch 503 – Ausschluss des Erfüllungsanspruchs bei höchstpersönlichen Leistungspflichten 514 f. – behebbare Mängel 492 f. – Bereicherungsrecht, ergänzende Anwendung 493 – Beweislast 504 – cure siehe GEK-E, Heilung – Deckungsgeschäft 478 – digitale Inhalte 498 – Erfüllungsanspruch 502 ff., 514 – Erfüllungsverweigerung 516 f. – Erheblichkeit der Nichterfüllung 506 – Folgen der Nichtbeachtung des Heilungsrechts 493 – Frist zur Nacherfüllung 496 – Fristsetzung 505 – Haftungsbefreiung wegen Unmöglichkeit 508 – Heilung 482, 490 ff., 513, 517 – Hinweisobliegenheit 521 – höchstpersönliche Leistungspflichten 514, 525 – höhere Gewalt 507 – kleiner Schadensersatz statt der Leistung bei unerheblichen Mängeln 507 – künftige Leistung 503 – Minderung 507 – Nacherfüllungsanspruch 468, 474 – nachträgliche (rechtliche) Unmöglichkeit 507 – nachträgliche Erschwerung (hardship) 511 – nachträgliche Rechtswidrigkeit der Leistung 507
– Naturalerfüllungsanspruch (Anspruch auf specific performance) 466 – Naturalerfüllungspflicht 465 – Nichterfüllung (non-performance) 465 – Nichterfüllung, entschuldigte 467 f., 504 – personalisierte Waren 498 – right to reject 498 – Rügeobliegenheit des Käufers 492 – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 478 f., 501, 518 – Schadensersatz neben der Leistung 523 – Schadensersatz statt der Leistung 478 f., 496, 501, 506 f., 518 ff. – Schadensersatz statt der Leistung, Verhältnis zur Heilung 492 – Schadenskategorien 523 – Schadensminderungsobliegenheit 522 – Sonderanfertigungen 497 – Specific Performance 468 – Teilleistungsstörungen 524 – Unannehmlichkeiten, erhebliche 499 – unbehebbare Mängel 492 – Unmöglichkeit 467, 507 – Unternehmerkauf 491 – Unverhältnismäßigkeit der Naturalerfüllung 509 ff. – Verbraucherkauf 495 – Vertragsaufhebung 476, 492, 496, 505 f., 509 – Vertragsaufhebung, Anwendungsbereich 506 – Vertragsaufhebung, Verhältnis zur Heilung 492 – Verzögerung als Aufhebungsgrund 509 – vollstreckungsrechtlicher Schuldnerschutz 515 – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – voreilige Selbstvornahme der Mangelbeseitigung 493, 496, 500 – Vorrang der Nacherfüllung 490, 496 – Vorrang der Nacherfüllung beim Verbraucherkauf 495 – Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs 482 – vorübergehendes Leistungshindernis 508
Sachregister
– Wahlrecht des Gläubigers bzgl. der Rechtsbehelfe 476 – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 475 – Werklieferungsvertrag 498 – Wesentlichkeit der Nichterfüllung 476, 492, 506, 518 – zeitkritische Verträge 517 – Zurückbehaltungsrecht 513 Geldentschädigung 5, 8, 26 – im common law siehe Damages – keine Berücksichtigung des Affektionsinteresses 24 – Schadensersatz statt der Leistung als ~ 26 – Subsidiarität der ~ 55 – Voraussetzungen des Anspruches auf ~ 26 Gelderfüllung, Grundsatz der 18 – als Vorrangregel 17 – defizitäre Schadensermittlung 203 – effizienter Vertragsbruch 190, 195 ff., 203 – gerichtliche Feststellung der Leistungspflicht 59 – im common law 120 – kein Anreiz zu Verhandlungen vor Vertragsbrüchen 202, 206 – Kosten der Schadensermittlung 202 f. – Rückkehr zum ~ im Mittelalter 87 Geldersatz – als Schadensersatz statt der Leistung 26 – als schlechteste Lösung 24 – Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers 182 – Bewertungsunsicherheiten 46, 401 – Deckungsgeschäft als ~ 213, 397 – Ertragsausfallschaden 23 ff. – Gefahr einer Unterkompensation 130, 204 – Pauschalreiserichtlinie 461 – Reisevertragsrecht 237 – Risiko eines opportunistischen Übergangs zum ~ 210, 286 – Schadensrecht 352 – Subsidiarität des ~ 26 ff., 213, 220, 398 ff.
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– Vorrang des ~ 17, 19 Geldkondemnation – Abkehr von der ~ 92, 95 – Ersatzvornahme als ~ 66 – Grundsatz der ~ 4, 15 f., 64, 77 ff. – Grundsatz der ~ im Code Civil 107 – Grundsatz der ~ im common law 16, 128 – Grundsatz der ~ im Kanonischen Recht 83 – Grundsatz der ~ im Römischen Recht 38, 70, 74, 98, 238 – keine Erfüllungswirkung einer Geldzahlung 34 – mittelbarer Zwang durch ~ 42 Geldvollstreckung 40, 75, 97, 140, 446 Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Draft Report des Rechtsausschusses des EP) siehe Draft Report Rechtsausschuss Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (Entwurf der EU-Kommission, 11.10.2011) siehe GEK-E Gentlemen’s agreements 271 Gerichtsvollzieher 316, 430 ff. Germanische Treue 93 Gesamtwohlfahrt siehe Effizienz Gewinninteresse 49 ff., 58 Gewissenskonflikt – Auflösung durch Delegation der Leistung 364 – bei höchstpersönlicher Verpflichtung 356 – bei nicht höchstpersönlicher Verpflichtung 361, 371 – Leistungsverweigerungsrecht aus Gewissensgründen 362 f., 371 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 364 Glanvill, Ranulf de 122 ff. Gläubigerkonkurrenz 61 f. Glossatoren 34, 79 ff., 239 – Postglossatoren 80 Gosia, Martinus 80 Groenewegen, Simon van 89 Grotius, Hugo 89 Grundrechte – des Gläubigers 356, 365 – des Schuldners 356, 365, 514
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– des Schuldners als Grund für Unzumutbarkeit 355 Grundrechtskollision 357 ff., 365 ff. Gutgläubiger Erwerb 5, 30, 409 f. Hadley vs. Baxendale-Doktrin 61, 139, 519 – wirtschaftliche Folgen 139, 176 hardship 511 Heilung – Anwendungsbereich 484 – Ausschluss gegenüber Verbrauchern 496 – Dispositivität der Regelungen zur ~ 495, 498 – Einschränkung der Käuferrechte 494 – Erforderlichkeit bei Kaufverträgen 499 – Koordination mit Fristenregelungen 488, 500 – nach Fälligkeit der Leistungspflicht 491 – Pflicht des Käufers zur Annahme der angebotenen ~ 491, 494, 500 – Recht des Schuldners zur ~ 482 – Recht des Verkäufers zur ~ 472 f. – systematische Funktion im Europäischen Privatrecht 505 – systematische Stellung 494 – Verhältnis zur Vertragsaufhebung 494 – vertragliche Einräumung eines Rechts zur ~ 500 – volkswirtschaftliche Bedeutung 497, 500 – Vorrang der Nacherfüllung 500 Herausgabevollstreckung – als echte Naturalvollstreckung 39 – durch unmittelbaren Zwang 39, 431 – Schadensersatz statt der Leistung als Alternative zur ~ 301 – Sinnlosigkeit der ~ 431 High Court 123 Höchstpersönlichkeit der Leistungspflicht – als vollstreckungsrechtliche Frage 516 – Auswirkung bei Leistungserschwerungen 362, 367 – bei Werklieferungsverträgen 514 – Europäisches Privatrecht 512
– funktionale Identität von Anspruchsund Vollstreckungsausschluss 525 – rechtliche und faktische ~ 361 Höhere Gewalt 68, 138, 205, 245 Hold-up 186, 192 Holmes, Oliver Wendell 19, 136 House of Lords 123 Huber, Ulrik 88, 92 f. Impossibilium nulla est obligatio 100 f. Indifferenz, Prinzip der ~ 157, 171 f., 175 ff., 200, 518, 521 Injunction 140 ff. – mandatory ~ 142 – prohibitory ~ 142 Integritätsinteresse 233, 236, 354, 409 ff., 414 Integritätsschutz 408 ff., 414 ff., 421 Integritätszuschlag siehe Naturalrestitution, Integritätszuschlag Invarianzthese 160 Ius variandi 255, 473, siehe auch Fristsetzung, Wahlrecht nach Fristablauf sowie Wahlrecht Jacobus 19 Jugement valant acte 108 Just-in-time-Lieferung 374, 383, 517 Kanonisches Recht 121 f., 128 Klauselerteilungsverfahren 317 f. Koch, Christian Friedrich 97 Kognitionsverfahren 75, 90 Kommentatoren 34, 79 ff., 148 Konkretisierung von Gattungsschulden 389 f. künftige Leistung, Klage auf 503 Kursächsische Prozessordnung 91 Laches, Theorie der 133 Lando-Principles siehe PECL Legis actio per manus iniectionem 71 Legis actio sacramento in rem 72 Legisaktionenprozess 71 f., 86, 91 Lehre vom effizienten Vertragsbruch siehe Efficient Breach of contract Leistungshindernis – immaterielles ~ 365
Sachregister
– überwindbares ~ 336 – unüberwindbares siehe Unmöglichkeit – vorübergehendes ~ siehe vorübergehende Leistungshindernisse Leistungsstörungsrecht – besonderes ~ des Eigentümer-BesitzerVerhältnisses 407, 413 – Ermöglichung effizienter Vertragsbrüche als Aufgabe des ~ 180 – ökonomische Analyse des ~ 191 – Pflichten- und verschuldensbezogene Konzeption des deutschen ~ 67 – Reform des ~ durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 104 – Systematik 265 Leistungsverfügung siehe einstweiliger Rechtsschutz, Leistungsverfügung lex fori 524 Liability rule 164 MacGregor, Harvey 145 Malfeasance 127 Meinungsfreiheit 356 Melamed, A. Douglas 161 Minus-Lieferung 297 f. Mise en demeure 35, 119 Misfeasance 127 Molina, Louis 88 f. Moral hazard 236, 303 Nacherfüllung siehe auch PICC, Nachleistung – absolute Unverhältnismäßigkeit 233, 246, 342 ff., 459 – Arglist des Schuldners 297 – aufgedrängte ~ 481 – beim Stückkauf 310, 390 – Einrede des nicht erfüllten Vertrags siehe Einrede des nicht erfüllten Vertrags – materiell-rechtlicher Vorrang 345 – materiell-rechtlicher Vorrang des sekundären Nacherfüllungsrechts 36, 235, 346 – Pflicht zur ~ 135 – Recht des Schuldners zur ~ 479, 484 – relative Unverhältnismäßigkeit 236, 342 ff.
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– Schutzwürdigkeit des Schuldners 264 – Unverhältnismäßigkeit 457 ff., 509 ff., siehe auch Nacherfüllung, absolute bzw. relative Unverhältnismäßigkeit – Unzumutbarkeit nach CISG 451 – Vereinbarung eines Rechts auf ~ 225, 235 – Verhältnis zum Begriff der Heilung 482 – Vorrang der ~ 484 – Wahlrecht zwischen ~ und Schadensersatz 227, 470 Nacherfüllungsanspruch – Abbedingung 270 f. – acquis communautaire 458 – bei entschuldigter Nichterfüllung (Europäisches Privatrecht) 468 – common law 134, 227 – dogmatische Einordnung 246 f., 474 – Effizienz eines vorrangigen ~ 235 – Einschränkungen 273, 298, 346 – Europäisches Privatrecht 474 – Kaufvertrag 225, 235 – Mietvertrag 235 – Pauschalreiserichtlinie 461 – UN-Kaufrecht (CISG) 451 – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 227, 235, 458 – Vorrang 479, 482 ff. – Wahlrecht des Käufers beim Kaufvertrag 236, 246, 344 – Wahlrecht des Unternehmers beim Werkvertrag 233 – Werkvertrag 232 f. Naturalerfüllungsanspruch – Abbedingung in AGB 272 – Abtretung 502 – acquis communautaire 457 – als Nacherfüllungsanspruch 463 – als Rechtsbehelf (remedy) 241, 244, 476, 501, 504, 513 – Ausschluss des ~ 36, 61, 309, 373, 471 – Ausschluss des ~ bei entschuldigter Nichterfüllung 467 – Ausschluss des ~ bei obligations de faire 120
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– Ausschlussfrist (PECL, PICC, DCFR) 472 – Begriff 7 f. – bei höchstpersönlichen Leistungs pflichten, Regelungsstandort 516 – Beschränkung auf ~ siehe Ius variandi – Beweislast 504 – BGB 1900 99 – Bindung 286 – common law siehe Specific performance und Equity – dogmatische Einordnung 501 – Effizienz 216 – einstweiliger Rechtsschutz 441 – Entwertung durch lange Verfahrensdauer 59, 66, 441, 445 – Europäisches Privatrecht 463, siehe Specific performance – Exklusivität 227 – Funktionen 65 – Grenzen 61, 104, 197, 504 – historische Entwicklung 147 – irrationales Festhalten am ~ 212 – keine Schadensminderungsobliegenheit beim ~ 198 – Klagbarkeit 16, 37 ff., 82, 147, 450 – Leistungsverfügung 445 – Lösung vom ~ durch Fristablauf 303 – Nemo praecise cogi ad factum 355 – ökonomische Kritik an einem unbeschränkten ~ 192 f. – primärer 242 ff., 246, 450, 463 – prozessrechtliches Instrumentarium zur Durchsetzung 524 – rechtskräftige Feststellung des ~ 59 – Schadensersatzanspruch anstelle des ~ 82 – sekundärer ~ 35 f., 225 ff., 377, 476, siehe auch Nacherfüllung – Suspendierung des ~ 320 f. – trotz Schadensersatzverlangens 291 – Übergangstatbestände auf einen Geldersatzanspruch 16, 36, 74, 100 ff., 269, 360, 369, 456 – und Naturalerfüllungspflicht 33 – und Schadenskategorien 523 – universeller ~ im Code Civil 111 – UN-Kaufrecht (CISG) 35, 449 f.
– Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 458 – Verlust des ~ infolge des Schadensersatzverlangens 50, 289 – Verzicht auf den Vorrang des ~ 271 ff. – vollständige Befriedigung des Leistungsinteresses durch ~ 250 – Vollstreckbarkeit 39, 61, 450, 525 – Vorrang 34 f., 73, 97, 104, 222 ff., 245, 289, 374, 451, 476 ff. – VRRL 474 – VRRL-E 473 – Wechselwirkung mit dem Voll streckungsrecht 524 ff. Naturalerfüllungsbefugnis des Schuldners 253 – als schadensersatzbewehrtes Recht 265 – Anspruch auf Annahme der Natural leistung siehe Annahme – bei der Selbstvornahme 263 f. – Schutzwürdigkeit der ~ 261, 264 f., 287 – Verzicht auf die ~ 377 – Wegfall der ~ 255 Naturalerfüllungsinteresse 21, 25, 227, 253 – bei Teilleistungen 294 – besonderes ~ des Schuldners bei Handlungspflichten 239 – Bestimmung des ~ 295 – bis zum Fristablauf 319 – des Gläubigers 44, 334 – des Schädigers 223 – immaterielle Komponenten des ~ 435 – Interessenabwägung 327, 344 f., 380 – Schutz des ~ durch Fristsetzungs erfordernis siehe Fristsetzung – Schutzpflicht des Gläubigers 257 – Schutzwürdigkeit des Schuldners 223, 226 f., 319 – spezifisches ~ 335, 338 ff., 352, 421 – Wegfall 148, 229 Naturalkondemnation – Ausschluss der ~ 43, 148 – Kognitionsverfahren 75, 90 – Legisaktionenprozess 71, 86, 91 – prozessrechtlicher Grundsatz der ~ 4, 15 f., 77 – usus modernus 84 Naturalleistungsklage 60, 76, 97
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Naturalleistungspflicht 9, 66 ff., siehe auch Naturalerfüllungsanspruch – als reines Sollen des Schuldners 466 – Befreiung von ~ durch Interesse zahlung 20 – entgegenstehende Interessen Dritter 61 – Europäisches Privatrecht 465 – Existenz einer ~ 32, 67, 77, 108, 125, 219, 465 – Vorrang der ~ 221 Naturalleistungsurteil – Erfordernis eines staatlichen Vollstreckungswesens 148 – Feststellungswirkung des ~ 43, 59, 446 – mittelbare Vollstreckung eines ~ 446 – Übergangstatbestände nach Ergehen eines ~ 438 – Vollstreckbarkeit 99, 147 Naturalrestitution – Ausschluss der ~ 388 ff. – beim Schadensersatz statt der Leistung 388 ff., 399, 417 – durch den Schuldner 5, 26 f., 113, 224, 388 ff., 400 – durch Dritte 27, 113, 216, 305, 396 ff. – durch Ersatzbeschaffung 353 f., 392 – Ersetzungsbefugnis des Geschädigten 224, 399 – Integritätszuschlag 10, 212, 353 f., siehe Integritätszuschlag – kein Grundsatz der ~ im common law 142 – Unmöglichkeit der ~ 26 f., 389 – Unverhältnismäßigkeit der ~ 27, 351 ff. – Vorrang der ~ 27, 55, 112, 216, 224, 305, 388 ff., 396, 399 ff. – Wahlrecht des Geschädigten 27, 223, 227, 230, 305 Naturalvollstreckung 73 – als Voraussetzung für einen effektiven Naturalerfüllungsanspruch 37 – Ausschluss 87, 97, 435 f. – Begriff 39 – durch Ersatzvornahme 435 – Handlungspflichten 434 – Herausgabeansprüche 430 – Kognitionsverfahren 75
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– Legisaktionenprozess 73, 86 – mit mittelbaren Zwangsmitteln 446 – ökonomische Vorteile der ~ 148 – unmittelbare ~ 446 – Unmöglichkeit der ~ 3, 436 Naturrecht 85, 88 f., 93, 105 Naturrechtslehre 88 f., 92 Nebenpflichtverletzung 104, 386 Nemo praecise cogi ad factum 80 ff., 238, 355 Nichterfüllung – entschuldigte ~ 467 f. – materiell-rechtliche und voll streckungsrechtliche Folgen 359 Nonfeasance 127 Ökonomisches Menschenbild 192 f. Opportunitätskosten 333 Ordnungshaft 440 Overreliance 167, 172, 193 Pacta sunt servanda 92, 109, 128, 179 f., 220, 340 f., 351 f., 365 f. Partikularrechte 85, 89 ff. Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG 461, 486 – Vorrang der Nacherfüllung 461 PECL 463 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – abstrakte Schadensberechnung 522 – Änderung der Umstände 511 – antizipierter Vertragsbruch 503 – Ausschluss des Erfüllungsanspruchs 472, 515 – Ausschluss des Erfüllungsanspruchs wegen höchstpersönlicher Verpflichtung 512 – Beweislast 504 – cure siehe PECL, Heilung – Deckungsgeschäft 469 f., 478 – Erfüllungsanspruch 502 ff. – Erfüllungsanspruch als remedy 513 – Frist für das Heilungsrecht 484 – Fristsetzung 505 – Haftungsbefreiung wegen Unmöglichkeit 508 – Heilung 472, 482 ff., 500, 513
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– Hinderungsgründe bei persönlichen Dienstleistungen 513 – Hinweisobliegenheit 521 – höchstpersönliche Leistungspflichten 512 f., 525 – höhere Gewalt 507 – künftige Leistung 503 – Nacherfüllungsanspruch 468, 474 – nachträgliche Erschwerung (hardship) 511 – Naturalerfüllungsanspruch (Anspruch auf specific performance) 466 – Naturalerfüllungspflicht 465 – Nichterfüllung (non-performance) 465 – Nichterfüllung, entschuldigte 467 f., 504 – Pflichtverletzung vor Fälligkeit 483 – Schadensersatz neben der Leistung 523 – Schadensersatz statt der Leistung 478 f., 501, 506 f., 518 ff. – Schadensersatz statt der Leistung bei zu vertretender Unzumutbarkeit 513 – Schadensersatz während des Laufs der Nacherfüllungsfrist 477 – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 478 f., 501, 518 – Schadenskategorien 523 – Schadensminderungsobliegenheit 522 – Teilleistungsstörungen 524 – Unmöglichkeit 467, 472, 507 f. – Unverhältnismäßigkeit der Natural erfüllung 509 ff. – Vertragsaufhebung 476 f., 505 f., 509 – Vertragsaufhebung bei zu vertretender Unzumutbarkeit 513 – Verzögerung als Aufhebungsgrund 509 – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – Vorrang der Heilungsmöglichkeit 483 – Vorrang des Deckungsgeschäfts vor der Naturalerfüllung 483 – Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs 482 – vorübergehendes Leistungshindernis 508 – Wahlrecht des Gläubigers bzgl. der Rechtsbehelfe 476, 483
– Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 474 – Wesentlichkeit der Nichterfüllung 476, 484, 506, 518 – Wesentlichkeit der Vertragsverletzung 483 – zeitkritische Verträge 517 – Zurückbehaltungsrecht 513 Pecunia non olet 369 Personalvollstreckung 42, 70 ff., 86, 90 Persönliche Leistungspflicht – Begriff 355 – Verurteilung zur Naturalerfüllung 359 Persönliche Unzumutbarkeit 11, 104, 132, 309, 313, 355 ff. – Abgrenzung zwischen § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB 365 – Abwägung 365 – Ausweichmöglichkeiten 364 – Dauerschuldverhältnisse 370 – Gläubigerinteresse (Gewichtung) 366 – immaterielle Leistungserschwerung 363 – Kündigungsrecht des Gläubigers 370 – materielle Leistungserschwerung 362 – Schicksal der Gegenleistung 370 – Schuldnerinteresse (Gewichtung) 366 – Schutzwürdigkeit 364 – Sekundärrechte des Gläubigers 369 – Verhältnis des § 275 Abs. 3 BGB zu § 242 BGB 371 – Vertretenmüssen des Schuldners 367 f. – Wechselwirkung rechtlicher und moralischer Anforderungen 366 – Wertungslastverteilung 365 – Zusammenspiel von § 275 Abs. 3 BGB mit § 311a Abs. 2 S. 2 BGB 369 PICC 464 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – abstrakte Schadensberechnung 522 – Änderung der Umstände 511 – Anforderungen an die Nachleistung 480 – antizipierter Vertragsbruch 503 – aufgedrängte Naturalerfüllung 481
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– Ausschluss der Naturalerfüllung bei höchstpersönlichen Leistungspflichten 514 ff. – Ausschluss des Erfüllungsanspruchs 472 – Beweislast 504 – cure siehe PICC, Heilung – Deckungsgeschäft 469 f., 478 – Erfüllungsanspruch 504 – Erfüllungsverweigerung 517 – Frist zur Nachleistung und Nachfrist 481 – Fristsetzung 484, 505 – Haftungsbefreiung wegen Unmög lichkeit 508 – Heilung 472, 482 ff., 491, 500, 513, 517 – Hinweisobliegenheit 521 – höchstpersönliche Leistungspflichten 513, 525 – höhere Gewalt 507 – künftige Leistung 503 – Mahnungserfordernis 480 – Nacherfüllungsanspruch 468, 474 – Nachfrist 481 – Nachleistung 479 – Nachleistungsrecht des Schuldners 484 – nachträgliche Erschwerung (hardship) 511 – Naturalerfüllungsanspruch (Anspruch auf specific performance) 466 – Naturalerfüllungspflicht 465 – Nichterfüllung (non-performance) 465 – Nichterfüllung, entschuldigte 467 f., 504 – Rügeobliegenheit 480, 485 – Schadensersatz neben der Leistung 523 – Schadensersatz statt der Leistung 478 f., 501, 506 f., 518 ff. – Schadensersatz während des Laufs der Nacherfüllungsfrist 477 – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 478 f., 485, 501, 518 – Schadenskategorien 523 – Schadensminderungsobliegenheit 522 – Teilleistungsstörungen 524 – Unmöglichkeit 467, 507 f. – Unverhältnismäßigkeit der Naturalerfüllung 509 ff.
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– Vertragsaufhebung 476 f., 505 f., 509 – Verzögerung als Aufhebungsgrund 509 – Vollstreckungsrecht 525 – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs 482 – vorübergehendes Leistungshindernis 508 – Wahlrecht des Gläubigers bzgl. der Rechtsbehelfe 476 – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 474 – Wesentlichkeit der Nichterfüllung 476, 484, 506, 518 – Wirkung der Fristsetzung 480 – Wirkung des Angebots der Nachleistung 480 – zeitkritische Verträge 517 – Zurückbehaltungsrecht 513 – Zwangsgeld 525 Porta Ravennate, Ugo de 19, 79 Pothier, Robert-Joseph 105 f. Präklusion 437 Presser 92 Preußisches Allgemeines Landrecht 93, 107 Principles of European Contract Law siehe PECL Principles of International Commercial Contracts siehe PICC Private nuisance 142 f. Privatexekution 75 Property rights 161 ff., 408, 412 Prozessrecht im Europäischen Privatrecht 524 Punitive damages 9, 42 Quattuor doctores 19, 34, 64 Ratio scripta 80 Räumungsfrist 299 Rechtsmissbrauch 192 ff., 223, 420 Relatives Fixgeschäft siehe Fixgeschäft Religions- und Gewissensfreiheit 356, siehe auch Gewissenskonflikt – Wechselwirkung mit rechtlichen Anforderungen 366
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Remedy 67, 221, 241, 244, 248, 501, 512 – Auswirkungen der ~-Konstruktion auf die Beweislast 504 – prozessuale Dimension des ~-Konzeptes 503 – Trennung zwischen Forderungsrecht und Durchsetzbarkeit 503 – Verwurzelung des ~-Konzepts im common law 503 REMM siehe Ökonomisches Menschenbild Rentabilitätsvermutung 47 Reputationseffekte 152, 176, 188 right to reject 498 Sale of Goods Act (UK) 134 f., 227 Saxoferrato, Bartolus de 81 Schadensersatz neben der Leistung – während des Laufs der Nacherfüllungsfrist 477 Schadensersatz statt der Leistung – Abhängigkeit von den Voraussetzungen der Vertragsaufhebung 524 – abstrakte Berechnung 397 f., 478, 522 – Differenzmethode 127, 287 f., 401 f., 478 – Europäisches Privatrecht 506, 518 – großer Schadensersatz 453 – im Geltungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG 460 – kleiner Schadensersatz 454 – Kosten eines Deckungsgeschäfts siehe Deckungsgeschäft, Kosten des Deckungsgeschäfts als Schadensersatz statt der Leistung – Risiken der Schadensberechnung 209 – Schwierigkeiten der Schadensberechnung 47, 139, 276 – Surrogationsmethode 127, 287 f., 401 f. – UN-Kaufrecht (CISG) 452 – Verhältnis zum Rücktritt 453 – Verhältnis zur Minderung 454 – Verhältnis zur schadensrechtlichen Anerkennung eines Deckungsgeschäfts 478 – Verluste durch die Berechnung 197
– Vorhersehbarkeit 9, 42, 61, 489, 519, siehe auch Hadley vs. BaxendaleDoktrin Schadenskategorien – als notwendige Folge des Vorrangs der Naturalerfüllung 523 – als sachgesetzliche Gegebenheiten 523 – wirtschaftliche Bedeutung 523 Schadensminderungsobliegenheit 26 f., 200, 214, 251, 384, 391, 400, 471 Schätzeid 77, 80, 90 Selbstvornahme der Mangelbeseitigung – bereicherungsrechtliche Folgen 494 – voreilige 260 ff., 493, 496 Sintenis, Carl F. F. 96 Sittenwidrigkeit – und persönliche Unzumutbarkeit 357 Skalenvorteile 234, 454 Specific performance 1, 16, 120 – adequacy-test siehe Adequacy-test – aufgrund einer Beschaffenheits vereinbarung siehe Warranty – Ausschluss 130 ff. – bei fehlendem Vermögensschaden 250 – Beweislast für die Voraussetzungen der ~ 226 – Ermessen des Gerichts siehe Discretion – Europäisches Privatrecht 466 – faktisches Ermessen des Gerichts 467 – Grundstückskäufe als wichtigste Fallgruppe der ~ 130 – Klage auf ~ 38 – nach equity 128 f. – Regel-Ausnahme-Verhältnis 145 f. – Vermeidung einer Unterkompensation des Gläubigers 139 – virtual ~ 146 – vorrangiger Anspruch auf ~ im US-amerikanischen Recht 144 – Zwangsmittel zur Durchsetzung der ~ 140 Sponsionsverfahren 72 Strafschadensersatz siehe Punitive damages Study Group on a European Civil Code siehe DCFR Supreme Court of Judicature Act 123, 129 Surrogationsmethode 127, 287 f., 401 f.
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Talionsprinzip 70 Thomasius, Christian 92 f. Time is of the essence 476, 517 Ubi remedium ibi ius 122 UNIDROIT Principles siehe PICC United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods siehe UN-Kaufrecht (CISG) Unjust enrichment 143 UN-Kaufrecht (CISG) 449 – Abstimmung mit Prozess- und Vollstreckungsrecht 524 – antizipierter Vertragsbruch 503 – behebbare Mängel 454 ff. – Erfüllungsverweigerung 516 – Fristsetzung 36, 456 – großer Schadensersatz 453 – Heilung 491 – Klagbarkeit des Naturalerfüllungs anspruchs 450 – künftige Leistung 503 – Nacherfüllungsanspruch 451, 474 – Schadensersatz statt der Leistung 452 ff., 506, 518 ff. – Schadensersatz, Verhältnis zur Vertragsaufhebung 452, 501 – Skalenvorteile 454 – Unmöglichkeit 456 – Unverhältnismäßigkeit der Natural erfüllung 457 – Unzumutbarkeit der Nacherfüllung 451 – Vertragsaufhebung 451 ff., 456 – Vollstreckungsrecht, Wechselwirkung mit dem 450, 524 – Voraussehbarkeit des Schadens 519 ff. – Vorrang der Nachbesserung 455 – Vorrang der Naturalerfüllung 451 – Vorrang des Nachlieferungsanspruchs 455 – Wesentlichkeit der Vertragsverletzung 455, 517 – zeitkritische Verträge 517 Unmöglichkeit – absolutes Fixgeschäft siehe Fixgeschäft – als Befreiungstatbestand 67, 74, 308
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– als Übergangstatbestand 11, 16, 36, 74, 93, 100, 223, 274, 307 f., 312, 325 – Anspruch auf Ersatz der ersparten Aufwendungen 267 f., 382 – Ausschluss der Nacherfüllung bei ~ 111 – Ausschluss der specific performance bei ~ 132 – Begriff 309 ff., 327 – beiderseits zu vertretende ~ 257 f. – Beseitigungsanspruch 418 – Beweislast 322 – der Herausgabe des Leistungs gegenstandes 29, 230 – der Nachlieferung beim Stückkauf 310 – der Naturalvollstreckung 3, 436 – durch Selbstvornahme 259, 262, 379 – echte ~ 349 – Europäisches Privatrecht 507 – Funktionen 307 – infolge höherer Gewalt siehe höhere Gewalt – Nichterfüllung wegen ~ als Pflicht verletzung 248, 321 – objektive ~ 310 f. – physische ~ 307 ff. – Schadensersatz bei ~ der Herausgabe 231 – Schuldnerpflicht trotz ~ 248 – subjektive ~ 311 ff. – und Wesentlichkeit der Vertrags verletzung 507 – unsichere ~ 322 f. – Verhältnis zur entschuldigten Nicht erfüllung 468 – Verurteilung zur Naturalleistung bei zu vertretender ~ 101 – Vindikation 30, 413 f. – vom Gläubiger zu vertretende ~ 257 – vorübergehende ~ siehe vorüber gehende Leistungshindernisse – wegen Zweckerreichung 250, 382 Unverhältnismäßigkeit – absolute und relative siehe jeweils bei Nacherfüllung – Aufwendungen 347, 351 ff., 423 – grobe ~ 10 f., 52, 104, 190, 272 ff., 309, 325 f., 348, 414, 418
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– Maßstab 339, 509 – Naturalerfüllung 509 – Naturalherstellung 26 f. Unvertretbarkeit 355, 361 – Dienstleistungen 512 – faktische bzw. wirtschaftliche ~ 443 f. Unzumutbarkeit – Mängelbeseitigung 297 – persönliche ~ siehe dort – Vertragsdurchführung 387 – zwangsweise Erfüllung 514 Usurpationstheorie 407 f. Usus modernus 84 Verarbeitung – Erlösherausgabe nach ~ 231 – gesetzlicher Eigentumsübergang bei ~ 411 Verbindung – Ausgleichsanspruch nach ~ 411 – gesetzlicher Eigentumsübergang bei ~ 411 – keine Naturalrestitution nach ~ 411 Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU, endgültige Fassung siehe VRRL Verbraucherrechterichtlinie, erster Entwurf siehe VRRL-E Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG 458 – CISG 449 – Fristsetzung 459 f. – Gewährleistungsregime 458 – Heilung 491 – Mindestharmonisierungsklausel 461 – Naturalerfüllungsanspruch 458 – Schadensersatz statt der Leistung 460 – Unmöglichkeit 345 – Unmöglichkeit der Nacherfüllung 459 – Unverhältnismäßigkeit der Beseiti gungskosten 459 – Unverhältnismäßigkeit der Natural erfüllung 459 – Unverhältnismäßigkeit, absolute und relative 459 – Vorrang der Nacherfüllung 458 ff. – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 475
Verhaltenssteuerung – durch Berücksichtigung des Vertreten müssens 338 – durch Haftung 285 – durch Vorrang der Naturalrestitution 215 Verhandlungskosten 184, 195 Verhandlungsmacht 165 Vertragsaufhebung 451 ff., 456, 476, 485 – Begründung eines Rechts zur ~ durch Fristsetzung 506 – einvernehmliche ~ 183 ff., 201, 206, 211 – Erforderlichkeit der Voraussetzungen der ~ für den Schadensersatz statt der Leistung 452, 478 Vertragsbindung – institutionelle ~ 167 – konkrete ~ 166 – moralische Pflicht 187 – Wohlfahrtsgewinn durch ~ 168, 340 – zuverlässige wirtschaftliche Kooperation durch ~ 169 f. Vertragsbruch – Anreiz für ~ 189 – Anreiz für Verhandlungen vor ~ 195, 201, 208 ff. – antizipierter 244, 483, 491, 503 – Ineffizienz des ~ 166, 192, 469 – Internalisierung des vollständigen Leistungsinteresses 171, 175 ff., 203 – Sanktionslosigkeit des ~ 137 – Schaden durch Vertrauensverlust infolge ~ 176 – Schutz immaterieller Erfüllungs interessen beim ~ 172 – Transaktionskosten durch ~ 180 f., 184 ff. – unbezifferbare negative Folgen eines ~ 179, 192, 196 – Verhinderung eines ~ durch einstweilige Verfügung 198, 441 – volkswirtschaftliche Schäden durch ~ 168 – Widerrechtlichkeit des ~ als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch 189
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– Wohlfahrtssteigerung durch ~ siehe Efficient Breach of contract Vertragsbruch, effizienter siehe Efficient Breach of contract Vertragserhaltung, Grundsatz der 486 Vertragsstrafe 37, 42, 87, 125, 168, 207, 271, 359, 370, 440 – bedingte Zahlungspflicht als ~ 126 Vertretenmüssen 26, 245, 297, 308, 327, 341 f. – als Abwägungsfaktor 337 f., 367 – Einfluss von Grundrechten 370 – Folgen fehlenden ~ 348 – keine Voraussetzung der Leistungs befreiung bei Unmöglichkeit 322 – und Unzumutbarkeit 358 Verwendungsrisiko 170, 204 f., 214, 401 Verzug – als Übergangstatbestand 93 – bei vorübergehenden Leistungs hindernissen siehe vorübergehende Leistungshindernisse – Haftung für zufällige Leistungs hindernisse ab ~ 321 – Nacherfüllungsanspruch 247 – Naturalerfüllungsverlangen als Mahnung 33 – Verlust des Naturalleistungsinteresses infolge ~ 102 Vollstreckungsrecht 429 – als Mittel zum Schutz bei Grundrechts konflikten 358 – Europäisches Privatrecht 524 ff. – Wechselwirkung mit dem Natural erfüllungsanspruch 524 ff. Voreilige Selbstvornahme siehe Selbstvornahme Vorteilsausgleichung, Grundsatz der 251, 258 f., 265 vorübergehende Leistungshindernisse – Anwendbarkeit der Verzugsfolgen 314, 321 – Anwendbarkeit des Unmöglichkeits rechts 314, 318 – bedingte Verurteilung zur Leistung 318 – Begriff 314 – Beispiele 314
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– Fristsetzungserfordernis 319 – kein Ausschluss des Erfüllungsanspruches 315 – sofortiger Übergang auf einen Geldleistungsanspruch 320 VRRL – Naturalerfüllungsanspruch 474 VRRL-E – Minderung 489 – Nacherfüllungsanspruch 474 – Naturalerfüllungsanspruch 473 – Rücktritt 489 – Schadensersatz statt der Leistung 489 – Vorrang der Nacherfüllung 489 f. – Wahlrecht des Käufers bzgl. der Art der Nacherfüllung 475 Wahlrecht – des Geschädigten 27, 223, 227, 230, 305 – des Gläubigers zwischen Rechts behelfen bei Nicht- oder Schlecht leistung 476 – des Käufers bzgl. Nacherfüllung 227, 235 f., 246, 344, 470 – des Schuldners bei grober Unverhält nismäßigkeit 325, 328 – des Verkäufers 236 – Einschränkungen des ~ bei Teil leistungen 294 – infolge Erfüllungsverweigerung 377 – materiell-rechtliche Einschränkungen des ~ 93 – nach Fristablauf siehe Fristsetzung – Verlust des ~ beim Fixhandelskauf 376 – Verlust des ~ infolge des Schadens ersatzverlangens 292 Wahlschuld 289 Warranty 135 Weathersby v. Gore 199 Wettlauf der Gläubiger 62 Windscheid, Bernhard 96, 242 Wirtschaftlichkeitspostulat 26 f., 213, 354, 384, 391, siehe auch Schadensminde rungsobliegenheit Writ 122 – of execution 139
608 – – – –
Sachregister
of mandamus 128 of possession 139, 430 of specific delivery 139, 430 -System 122, 144
Zwangsgeld – Auskehrung des ~ an den Gläubiger 42 – bei Zahlungsunfähigkeit 439 – Ersatzvornahme als milderes Mittel siehe Ersatzvornahme – Ersatzzwangshaft 439 – Europäisches Privatrecht 525 – Handlungsvollstreckung durch ~ 39 ff., 91, 355, 434 – keine Befriedigung des Gläubiger interesses durch Zwangsgeldzahlung 41, 434
– Verhältnis zu Sekundäransprüchen des Gläubigers 358 – Verhältnismäßigkeit des ~ 434 – Wirkung durch mittelbaren Zwang 41, 86 Zwangshaft – bei Zahlungsunfähigkeit 57 – Ersatzvornahme als milderes Mittel siehe Ersatzvornahme – Gefahr des Missbrauchs 92 – Handlungsvollstreckung durch ~ 39 ff., 355, 434 – Verhältnismäßigkeit der ~ 434 – Wirkung durch mittelbaren Zwang 41, 87, 239 Zwangskauf 393, 417 Zwölftafelgesetz 71 ff.