Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen - eine gesetzgeberische Unentschlossenheit? [1 ed.] 9783428488100, 9783428088102

Der in § 2065 BGB niedergelegte »Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen« wirft viele

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Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen - eine gesetzgeberische Unentschlossenheit? [1 ed.]
 9783428488100, 9783428088102

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FRANZ WAGNER

Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen eine gesetzgeberische Unentschlossenheit?

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 198

Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen eine gesetzgeberische Unentschlossenheit?

Von

Franz Wagner

DUßcker & Humblot · Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wagner, Franz: Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen - eine gesetzgeberische Unentschlossenheit? / von Franz Wagner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 198) Zug!.: Passau, Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-08810-7

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08810-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Meinen Eltern

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau im Wintersemester 1995/1996 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Herbst 1995 abgeschlossen. Zu großem Dank verpflichtet bin ich an dieser Stelle den Herren Prof Dr. Hans-Joachim Musielak und Prof. Dr. Michael Kobler. Herr Prof. Dr. Musielak hat die Arbeit betreut und mir manch wertvollen Hinweis gegeben. Er war auch im übrigen stets ein für alle Fragen offener Gesprächspartner. Herr Prof. Dr. Kobler hat das Zweitgutachten gefertigt. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich all denen, die mich während der Erstellung der Arbeit unterstützt haben. München, im September 1996

Franz Wagner

Inhaltsübersicht Te i 1 1 Einführung in die Problematik

17

A. Der Gnmdsatz der Se1bstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verft1gungen im Überblick ...................................................................... 17 B. Gnmdprobleme und praktische Konsequenzen einer dem Anschein nach gesetzgeberischen Unentschlossenheit ..................................................... 19 C. Konkretisierung der Fragestellung und Gang der Arbeit .......................... 25

Te i 1 2 Kapitell Der gesetzliche Ausgangspunkt - Funktionen des Grundsatzes der

Selbstentscheidung ................................................................................ 28

A. Die Fragwürdigkeit des gesetzlichen Bekenntnisses zur Eigenverantwortlichkeit. ................................................................................................... 28 B. Die Identität der Regelungszie1e von § 2064 und § 2065 BGB ................. 29 C. Die Funktionen des Gnmdsatzes der Se1bstentscheidung im Spiegel der Literatur .................................................................................................. 31

Kapitel 2 Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen -

Gründe für das Zusammenspiel von Grundsatz und Ausnahmeregelungen ............ ................................ 49

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB .............................................. 49 B. Erster Versuch einer Charakterisierung der gesetzlichen Regelung .......... 56

Te i I 3 Kapitell

Bestimmungen Dritter über Erbeinsetzungen oder Vermächtniszuwendungen und die Problematik von Umdeutungen ... 60

A. Das Gnmdmodell - Bestimmungen Dritter über die Person des Erben oder den Gegenstand einer Erbeinsetzung ................................................ 60 B. Verwandte Konstellationen ..................................................................... 87

10

Inhaltsübersicht

c. Die DrittbestimmWlg bei Vennächtnissen Wld die Problematik von

UmdeutWlgen .......................................................................................... 91

D. Gesanltergebnis ..................................................................................... 100

Kapitel 2 Die These der Unanwendbarkeit des § 2065 BGB auf die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben .............................................. 101 A. Der Ausgangspunkt - die RechtsprechWlg des Reichsgerichts Wld die

ihr folgende Literatur ............................................................................ 102

B. Die KoppelWlg der Nacherbschaft an die letztwillige VerfügWIg des Vorerben über dessen eigenes Vermögen ............................................... 133

C. Das GrWldproblem - Die Reichweite des GrWldsatzes der SelbstentscheidWlg bei ErbeinsetzWlg filr spätere Generationen............. 141 D. Gesamtergebnis zur Vereinbarkeit disponibler Nacherbschaften mit § 2065 BGB .......................................................................................... 148 E. GestaltWlgshinweise filr die Praxis ........................................................ 151 F. Zur UmdeutWlg Wlwirksamer AnordnWlgen .......................................... 153 Te i 1 4 SchluObetrachtung

155

A. Die RechtsprechWlg des Reichsgerichts - der Versuch einer BegreDZWlg

des § 2065 BGB nach formalen Kriterien .............................................. 155

B. Das Gegenmodell in der Literatur - § 2065 BGB als Gebot zu "zumutbaren" eigenen EntscheidWlgen .................................................. 157 C. Die RechtsprechWlg des BWldesgerichtshofes ........................................ 158 D. Der eigene Standpunkt .......................................................................... 159 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 161 Anhang: Die einschlägigen Regelungen des ersten und des zweiten Entwurfes .. 168 Sachwortverzeichnis .............................................................................................. 174

Inhaltsverzeichnis Te i 1 1

Einführung in die Problematik

17

A. Der Grundsatz der Selbstentscheidnng bei Errichtung letztwilliger VerfilgWlgen

iIn Überblick ....................................................................................................... 17

B. Grundprobleme nnd praktische Konsequenzen einer dem Anschein nach gesetzgeberischen Unentschlossenheit.. ............................................................... 19 I. Wortlautinterpretation oder wechselseitige Angleichnng ................................ 19 1. Die Rittergutsentscheidnng...................................................................... 20 2. Der Nichtenfall ....................................................................................... 22 3. Reichweite nnd Grenzen von gesetzlich zulässigen Drittbestinunnngen.... 23 n. Die Problematik der Umdeutung ................................................................... 24 C. KonkretisierlU1g der Fragestellnng nnd Gang der Arbeit ...................................... 25 Te i 1 2

Kapitell Der gesetzliche Ausgangspunkt Funktionen des Grundsatzes der Selbstentscheidung

28

A. Die Fragwürdigkeit des gesetzlichen Bekenntnisses zur Eigenverantwortlichkeit .28

B. Die Identität der Regelnngsziele von § 2064 nnd § 2065 BGB ............................. 29 C. Die Fnnktionen des Grundsatzes der Selbstentscheidnng iIn Spiegel der Literatur....................................................................................................................... 31

I.

n.

Die MißbilligWlg der Drittbestimmnng als Instrument zur Vermeidnng unklarer Situationen ...................................................................................... 32 Der Schutz der gesetzlichen Erbfolge ............................................................ 33 1. Leipolds Interpretation des § 2065 BGB als Schutzvorschrift zugunsten der Intestaterbfolge.................................................................................. 33 2. Stellnngnahme ........................................................................................ 34

12

Inhaltsverzeiclmis

rn.

Die Höchstpersönlichkeit als gesellschaftspolitisches Anliegen ..................... 36 1. Die Argmnentation Großfelds .................................................................. 36 2. Stellungnahme ........................................................................................ 37 IV. Das Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit als konsequente Fortfithrung allgemein geltender Beschränkungen im Vertretungsrecht ............................. 41 1. Die zweite These Großfe1ds..................................................................... 41 2. Die Kritik von Sens ................................................................................. 42 3. Stellungnahme ........................................................................................ 42 V. Die friedenstiftende Funktion des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit... ... .43 1. Die These von der ausschließlichen Autorität des Erblassers .................. .43 2. Begründungen ......................................................................................... 44 3. Eigene Ansicht ........................................................................................ 45 VI. Zusannnenfassung ......................................................................................... 48

Kapitel 2

Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen Gründe für das Zusammenspiel von Grundsatz und Ausnahmeregelungen

49

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB ......................................................... 49

I.

Die Regelungen ft1r Vennächtnisse ................................................................ 50 1. Drittbestimmungen über die Person des Vennächtnisnehmers ................. 50 2. Drittbestinunung über den Gegenstand des Vennächtnisses ..................... 51

3. Die fortdauernde Geltung der §§ 2064, 2065 Abs. 1 BGB. ....................... 53 II. Die Drittbestimmung bei den sonstigen letztwilligen Verfilgungen ................ 53 1. Drittbestimmungen bei Auflagen ............................................................. 53 2. Drittbestimmungen bei der Anordnung einer Testamentsvollstreckung und bei Teilungsanordnungen .................................................................. 54 rn. Analyse der gesetzlich gestatteten Einschaltung Dritter ................................. 55 B. Erster Versuch einer Charakterisierung der gesetzlichen Regelung ...................... 56 1. Die bisherigen Erläuterungsversuche in Rechtsprechung und Literatur .......... 56 II. Stellungnahme .............................................................................................. 57 1. Kritik an den bisherigen Begründungen ................................................... 57 2. Eigene Ansicht. ....................................................................................... 58

Inhaltsverzeichnis

13

Te i 1 3 Kapitell Bestimmungen Dritter über Erbeinsetzungen oder Vermächtniszuwendungen und die Problematik von Umdeutungen

60

A. Das Gnmdmodell - BestimmWlgen Dritter über die Person des Erben oder den Gegenstand einer Erbeinsetzung .......................................................................... 60

I.

Fallgruppen ................................................................................................... 60 1. Die BestimmWlg über den Zeitpunkt der Erbenberufung .......................... 61

n.

2. Die testamentarische AnordnWlg von Schiedsgerichten oder Schiedsgutachten ..................................................................................... 63 Die diesbezügliche DeutWlg des § 2065 BGB in RechtsprechWlg Wld Literatur........................................................................................................ 66 1. Die Ansicht des Reichsgerichts................................................................ 67 2. Literaturansichten ................................................................................... 69

m.

3. Die RechtsprechWlg des BWldesgerichtshofes .......................................... 71 Kritik an den verschiedenen LösWlgsvorschlägen Wld eigene Ansicht.. .......... 73 1. Billiges Wld freies Ennessen ................................................................... 75 2. Zur Ansicht des Reichsgerichtes .............................................................. 75 3. Die innere Schlüssigkeit der Ansicht des BWldesgerichtshofes................. 77 4. Das Gnmdproblem - Die sachliche Berechtigoog einer eingeschränkten DeutWlg des § 2065 BGB ........................................................................ 80 5. ZusammenfassWlg ................................................................................... 86

B. Verwandte Konstellationen ................................................................................. 87

I.

Unbestimmte letztwillige VerftlgWlgen.......................................................... 87 I. ErscheinWlgsfonnen ................................................................................ 87 2. Die BehandlWlg derartiger Fälle in RechtsprechWlg Wld Literatur ........... 88

n.

3. Eigene Ansicht. ....................................................................................... 89 ErbenbestimmWlgen durch Losentscheid ....................................................... 90

C. Die DrittbeStimmWlg bei Vermächtnissen Wld die Problematik von UmdeutWlgen...................................................................................................... 91 I.

Die bisher vorgeschlagenen Begrenzungsversuche ......................................... 92 1. DrittbestimmWlgen im Vennächtnisrecht Wld die Auslegoogsregel des § 2087 BGB ............................................................................................ 92

n.

2. DrittbestimmWlgen im Vermächtnisrecht Wld allgemeine Gnmdsätze der Höchstpersönlichkeit. .............................................................................. 93 Eigene Ansicht .............................................................................................. 94

Inhaltsverzeichnis

14

1. Die aus der gesetzlichen Rege1ungsabsicht folgende Beschränkung der Bestinunungsbefugnis im Vennächtnisrecht ............................................ 95 2. Praktische Konsequenzen der neuen Argmnentation ................................ 98 D. Gesamtergebnis ................................................................................................ 100

Kapitel 2

Die These der Unanwendbarkeit des § 2065 BGB auf die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben

101

A. Der Ausgangspunkt - die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die ihr folgende Literatur ............................................................................................. 102 I.

Die Ennächtigung des Vorerben zur Neurege1ung der Nacherbfolge - die beiden grundsätzlich möglichen Auslegungsweisen ..................................... 102

II. Anknüpfungspunkte filr ein rechtliches Verbot außerhalb des Gnmdsatzes der Selbstentscheidung ................................................................................ 107

1. Die Vereinbarkeit mit § 2113 Abs. 2 BGB ............................................ 107

m.

2. Die Vereinbarkeit mit § 2302 BGB ....................................................... 108 Die Vereinbarkeit disponibler Nacherbschaften mit dem Gnmdsatz der Selbstentscheidung - Die Argumentation des Reichsgericht und der herrschenden Literatur ................................................................................ 111 1. Disponible Nacherbfolgen und Anknüpfungspunkte filr einen Verstoß gegen den Gnmdsatz der Selbstentscheidung ......................................... l11 2. Das Scheinargument, der Vorerbe verfüge letztwillig über eigenes Vennögen ............................................................................................. 115 3. Die Begründung Raapes - der Vergleich zur Ausschlagung ................... 116 4. Der Vorerbe als Dritter ......................................................................... 124 5. Die Argumentation des Reichsgerichts und ihre Wiederbelebung durch Otte - das Aufschwingen zum Vollerben als Fall einer zulässigen Potestativbedingung .............................................................................. 124 6. Die Ansicht Johannsens ......................................................................... 132 7. Zusammenfassung ................................................................................. 133

B. Die Koppelung der Nacherbschaft an die letztwillige Verfügung des Vorerben über dessen eigenes Vennögen .......................................................................... 133

I.

Der Ausgangspunkt - Das Abhängigmachen des Anfalles einer Nacherbfolge von einer Erbenberufung durch den Vorerben ..................................... 134 1. Die Auffassung Leipolds ....................................................................... 134 2. Die Ergänzung durch Frank ................................................................... 135

Inhaltsveneiclmis

15

II. Die Gesamtproblematik - Die Frage nach der Zulässigkeit gekoppelter Nacherbfolgen unabhängig von der konkreten Gestaltungsfonn ................... 136 1. Die Auffassung Leipolds und Franks zur Zulässigkeit der Nacherbenbestimmung durch eine Erbeinsetzung des Vorerben ............. 136 2. Weitere Literaturstinunen...................................................................... 136 IIl. Stellungnahme ............................................................................................ 137 1. Der Einwand mangelnder Bestimmtheit ................................................ 137 2. Die jederzeitige mögliche Vereinbarkeit mit § 2065 BGB ..................... 138 3. Zusammenfassung ................................................................................. 140 C. Das Grundproblem - Die Reichweite des Grundsatzes der Selbstentscheidung bei Erbeinsetzung für spätere Generationen ....................................................... 141

I.

Der Hinweis auf die Testierfreiheit ............................................................. 142 I. Die Argumentation Behrends' ............................................................... 142 2. Konsequenzen ....................................................................................... 142 3. Stellungnahme ...................................................................................... 143 II. Die These vom hinreichend geäußerten Erblasserwillen .............................. 144 1. Die Argumentation Flads und Loritz' ..................................................... 144 2. Gründe für diese Argumentation ............................................................ 144 3. Konsequenzen ....................................................................................... 145 4. Abschließende Stellungnahme ............................................................... 147

D. Gesamtergebnis zur Vereinbarkeit disponibler Nacherbschaften mit § 2065 BGB ................................................................................................................. 148 I. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse .............................................. 148 II. Exkurs: Die Rechtslage bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten ......... 149 E. Gestaltungshinweise für die Praxis .................................................................... 151 F. Zur Umdeutung unwirksamer Anordnungen ...................................................... 153 I. Umdeutung in modiflZierbare Vennächtnisse .............................................. 153 II. Umdeutung in eine unbedingte ErbfolgelNacherbfolge ................................ 154 Te i I 4

Schlußbetrachtung

155

A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts - der Versuch einer Begrenzung des § 2065 BGB nach fonnalen Kriterien ................................................................ 155 B. Das Gegenmodell in der Literatur - § 2065 BGB als Gebot zu "zumutbaren"

eigenen Entscheidungen .................................................................................... 157

C. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.................................................... 158

16

Inhaltsverzeichnis

D. Der eigene StandpwUct .................. .................................................................... 159 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 161 Anhang .................................................................................................................. 168

Die einschlägigen RegelWlgen des ersten Wld des zweiten Entwurfes ...................... 168 A. Allgemeine Vorschriften Wld Rege1Wlgen fitr Vermächtnisse ....................... 168 B. Rege1Wlgen fitr Auflagen ....... ...................................................................... 171 C. RegelWlgen fitr die AnordnWlg einer Testamentsvollstreckung .................... 172 D. RegelWlgen fitr TeilWlgsanordnWlgen .......................................................... 173 Sachwortverzeichnis .......................... ......................... ........................................... 174

Te i I 1

Einführung in die Problematik

A. Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verf"tigungen im Überblick

Das Fünfte Buch des BGB regelt in seinem Dritten Abschnitt Möglichkeiten und Grenzen testamentarischer Erbeinsetzungen. Der erste Titel enthält hierzu allgemeine Vorschriften. Wer sich mit der Lektüre der einzelnen Normen befaßt, mag vielleicht enttäuscht sein, dort nirgends eine gesetzliche Niederlegung der Testierfreiheit zu finden. Die Geltung dieses Prinzips, Coing bezeichnet es als die erbrechtIiche Ausprägung der Privatautonomie 1, war den Verfassern des Bürgerlichen Gesetzbuches offensichtlich derart selbstverständlich, daß sie auf eine programmatische Wiedergabe verzichtet hatten2 . Statt dessen offenbaren sich dem Leser in den §§ 2064 und 2065 BGB gleich zu Beginn des ersten Titels des Dritten Abschnittes zwei gesetzliche Verbote, die diese stillschweigend vorausgesetzte Testierfreiheit begrenzen.

§ 2064 BGB bestimmt als Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit testamentarischer Erbeinsetzungen, daß der Erblasser sein Testament selbst errichten muß, er sich hierbei nicht von einem Dritten vertreten lassen kann3 . § 2065 BGB enthält das Gebot der materiellen Höchstpersönlichkeit. Nach § 2065 Abs. 1 BGB ist es dem Erblasser nicht gestattet, die Bestimmung über 1 Kipp/Coing, § 1 II 3.

2 In § 2302 BGB erklärt das Gesetz jedoch, daß es die Testierfreiheit des einzelnen fiIr derart schützenswert erachtet, daß es nicht möglich ist, sich durch einen Vertrag zu verpflichten, Verfügungen von Todes wegen zu errichten, aufzuheben oder nicht auf-

zuheben. 3 § 2274 BGB enthält eine entsprechende Norm fiIr den Erbvertrag (hierzu und über den Umstand, daß auch die §§ 2282, 2284, 2290 Abs. 2 und 2296 BGB der Höchstpersönlichkeit Rechnung tragen, Münchener Kommentar-Musie1ak, § 2274 RdNr. 1), § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB eine fiIr den Erbverzicht. 2 Wagner

18

Teil I: Einftlhrung in die Problematik

die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung4 einem Dritten zu überlassen. § 2065 Abs. 2 BGB untersagt es ihm, Gegenstand oder Person einer Zuwendung durch einen Dritten festzulegen 5 . Die beiden Bestimmungen sind dem ersten Anschein nach klar und eindeutig. Das Gesetz will offenbar bewirken, daß der Erblasser selbst die Verantwortung fiir den Inhalt seiner testamentarischen Regelungen trägt: Nach § 2064 BGB muß er, ähnlich wie bei familienrechtlichen Rechtsgeschäften6, eigenhändig und damit letztverantwortlich handeln. Nach § 2065 BGB kann er dieses Gebot auch nicht dadurch umgehen, daß er zwar formell eigenhändig seine letztwillige Verfügung niederlegt, einen anderen aber über den konkreten Inhalt bestimmen läßt. Diese anfangliche Klarheit schwindet aber bei einem weiteren Studium des Gesetzestextes. In einer Vielzahl von Einzelvorschriften wird nämlich bestimmt, daß bei vermächtnisweisen Zuwendungen, bei Auflagen, Teilungsanordnungen und bei der Anordnung einer Testamentsvollstreckung die Entscheidung eines Dritten zulässig ist. Beispielhaft sei hier nur auf die Bestimmung des § 2151 Abs. 1 BGB hingewiesen. Danach gilt: "Der Erblasser kann mehrere mit einem Vermächtnis in der Weise bedenken, daß der Beschwerte oder ein Dritter zu bestimmen hat, wer von den mehreren das Vermächtnis erhalten soll."

Die Statuierung des Gebotes der Selbstentscheidung wird damit nicht einheitlich durchgehalten. Dies wirkt inkonsequent7. Man muß jedenfalls bezweifeln, ob in den §§ 2064, 2065 BGB wirklich ein tragendes Prinzip des Erbrechts verwirklicht wurde, wie es aufgrund der systematischen Stellung der Normen gleich zu Anfang der Vorschriften über das Testament zunächst einmal zu vermuten war8.

4 Der Begriff der letztwilligen Verfiigung hat zwei unterschiedliche Bedeutungen. Entsprechend der in § 1937 BGB enthaltenen DefInition bezeichnet man so zunächst einmal das Testament selbst. Aus den §§ 2278 Abs. 1,2299 BGB ergibt sich, daß man darunter aber auch die einzelne in einem Testament oder einem Erbvertrag enthaltene Anordnung versteht. Vgl. hierzu Palandt-Edenhofer, § 1937 RdNr. 1.

5 § 2065 BGB gilt nach § 2299 Abs. 2 BGB bei Erbverträgen fiir einseitige Verfiigungen direkt, nach § 2279 Abs. I BGB ist er auf vertragsmäßige Verfügungen entsprechend anwendbar.

6 Auf diese Parallele weist Großfeld, JZ 1968, S. 113, 118, hin. 7 Nach Zimmermann, Quos Titius Voluerit, S. 8, ergibt sich gar "ein Bild voller Merkwürdigkeiten" . 8 So Westermann, Festschrift fiir Möhring, S. 183,195.

B. Grundprobleme und praktische Konsequenzen

19

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn man sich die Frage stellt, was das Gesetz mit diesen Regelungen überhaupt sachlich bezweckt. Unklar ist zunächst einmal der vom Gesetz eingenommene Ausgangspunkt, wonach anders als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden eine der Stellvertretung entsprechende Einschaltung Dritter verwehrt sein soll. Was einmal als konsequente Umsetzung der Privatautonomie9 erlaubt ist, kann doch nicht ohne weiteres das andere Mal verboten sein. Wenn es nun aber doch Gründe für ein derartiges Verbot geben sollte, so bleibt erst recht unklar, warum dieses dann wieder gelockert wird.

B. Grundprobleme und praktische Konsequenzen einer dem Anschein nach gesetzgeberischen Unentschlossenheit Diese anscheinend unklare gesetzliche Umsetzung und Ausgestaltung der Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen wirft eine Vielzahl von Einzelprobleme auf. Letztendlich lassen sich die wichtigsten Probleme jedoch auf zwei Grundfragen reduzieren.

I. Wortlautinterpretation oder wechselseitige Angleichung Bis heute herrscht Streit, ob der sich aus dem Gesetzeswortlaut der §§ 2064, 2065 BGB einerseits und der vielfältigen hierzu im Gesetz enthaltenen Ausnahmeregelungen andererseits ergebende diametral entgegengesetzte Regelungsgehalt auch der Sache nach besteht, oder ob sich die Verbote und Befugnisnormen der wörtlichen Auslegung zum Trotz gegenseitig beeinflussen. Es ist mit anderen Worten zu klären, ob es hinzunehmen ist, daß das Gesetz bei wörtlicher Interpretation die Einschaltung Dritter nur dann erlaubt, wenn davon andere letztwillige Verfügungen als Erbeinsetzungen betroffen sind, oder ob man angesichts der Tatsache, daß es bei der erbrechtlichen Universalsukzession einerseits und den sonstigen erbrechtlichen Anordnungen andererseits jeweils um die Zuwendung von Vermögen geht, die beiden entgegengesetzten Rechtsfolgen einander angleichen sollte. Dies soll an den folgenden drei klassischen Problemstellungen verdeutlicht werden.

9 Die Ableitung der Stellvertretung aus der Privatautonomie beschreiben Flume, Rechtsgeschäft, § 43,3, und Larenz, Allgemeiner Teil, § 30 I a.

20

Teil 1: Einführung in die Problematik 1. Die Rittergutsentscheidung

Im Jahre 1939 hatte das Reichsgericht lO folgenden Fall zu entscheiden: Der Erblasser hatte letztwillig verfiigt, derjenige der Söhne seiner Nichte solle sein Erbe werden, den diese als den geeignetsten erachten werde, "unter den heutigen schwierigen Verhältnissen" das zur Erbmasse gehörende Landgut zu bewirtschaften und im sozialen Geiste zu wirken. Aufgrund dieser Ermächtigung hatte die Nichte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers einen ihrer Söhne zum Erben bestimmt. Dieser wurde von einer Großnichte 11 des Erblassers verklagt, die das Testament wegen eines Verstoßes gegen § 2065 BGB für nichtig hielt. In der Tat könnte in der getroffenen Anordnung insbesondere ein Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB zu sehen sein, weil die Nichte den Empfänger der in der Erbeinsetzung liegenden Zuwendung bestimmen sollte l2 . Das Reichsgericht erklärte das Testament gleichwohl für gültig und verneinte einen Verstoß gegen § 2065 BGB13. Der Erblasser müsse den Erben nicht namentlich benennen. Es genüge, einen begrenzten Kreis von Personen vorzugeben, aus dem der Erbe nach bestimmten sachlichen Gesichtspunkten, zum Beispiel der Eignung für eine bestimmte Aufgabe, durch einen Dritten bindend ausgewählt werden könne, sofern nur der Personenkreis von vornherein so eng begrenzt sei und die Auswahlgesichtspunkte so genau festgelegt seien, daß für eine Willkür des Dritten kein Raum bleibe. Ein eigenes Urteil des Dritten ist nach dieser Rechtsprechung gegen den klaren Wortlaut der Vorschrift zulässig, auch wenn dieses in einem reinen Werturteil besteht oder ein solches mit einschließt.

10 RGZ 159,296 = DR 1939, S. 310f 11 Eine Enkelin seines vor ihm verstorbenen Bruders, die bei gesetzlicher Erbfolge zu 1/27 (!) zur Erbin berufen worden wäre.

12 Versteht man Wlter einer VerftlgWlg im Sinne des § 2065 Abs. 1 BGB aber nicht nur das Testament als solches, sondern auch oder gerade die darin enthaltenen einzelnen erbrechtlichen AnordnWlgen (vgl. oben FN 4), so ist auch ein Verstoß gegen § 2065 Abs. 1 BGB denkbar. Letztendlich wurde jeder einzelne Sohn zum Erben bestimmt, wobei jede dieser Erbeinsetzungen davon abhängig gemacht wurde, daß die Nichte gerade diese Wld nicht eine der anderen fi1r gültig erklärte.

13 Eine Angabe des Absatzes erfolgte nicht. Die Literatur diskutiert diese Frage überwiegend Wlter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit § 2065 Abs. 2 BGB, so insbesondere Staudinger-Otte, § 2065 RdNr.30; Milnchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 16ff.; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr.27; von Lübtow, Band I, S. 143; Sens, S. 47fE,97ff.

B. Grundprobleme Wld praktische Konsequenzen

21

Der Bundesgerichtshof14 hatte im Jahre 1955 die Möglichkeit, zu dieser Rechtsprechung Stellung zu nehmen. Im Ergebnis hat er der reichsgerichtlichen Entscheidung eine klare Absage erteilt. Es sei, so führte das Gericht aus, daran festzuhalten, daß der Erblasser nach § 2065 Abs. 2 BGB nicht die Bestimmung, sondern nur die Bezeichnung der Person des Bedachten oder des Gegenstandes der Zuwendung einem Dritten überlassen könne. Eine Bezeichnung sei nur dann anzunehmen, wenn die Vorgaben des Erblassers so konkret seien, daß es jeder mit genügender Sachkunde ausgestatteter Person möglich sei, den Bedachten oder den Gegenstand der Zuwendung aufgrund dieser Angaben zu benennen, ohne daß ein eigenes Ermessen dabei bestimmend oder mitbestimmend sei. Das Reichsgericht hatte demgegenüber ein Urteil des Dritten zugelassen, das ein reines Werturteil darstellte oder ein solches mit enthielt. Die Auffassung des Bundesgerichtshofes ist damit enger, da sie eine abschließendere Willensbildung durch den Erblasser verlangt. Im Schrifttum sind die Auffassungen geteilt. Einige Stimmen15 haben sich dem Bundesgerichtshof angeschlossen. Überwiegend folgt man der Auffassung des Reichsgerichtes l6 . Teilweise stimmt man mit dem Reichsgericht nur in der Tendenz überein und gestattet dem Dritten bei seiner Bestimmung eine Entscheidung nach dessen Ermessen, macht die Zulässigkeit derartiger Anordnungen aber von weiteren Voraussetzungen abhängig l7.

14 BGHZ

15, 199, 201f. = NJW 1955, S. 100f

15 Kipp/Coing, § 18 III 4b; John, Grundzüge des Erbrechts, RdNr. 40; Schlüter, § 14 IV 4; Sünner, S. 78; P1anck-F1ad, § 2065, 2, 3; Kretzschmar, Erbrecht, S. 40; Sudhoff, DB 1966, S. 651, 1720; Dobroschke, DB 1967, S. 803; Schäfer, BWNotZ 1962, S. 188,200; Keim, S. 108ff. (mit Einschränkungen). Unklar Model, Testamentsrecht, RdNr. 306 Wld von Lübtow, Band I, S. 145, Band TI, S. 878, die beide einmal der Ansicht des BWldesgerichtshofes Wld einmal der des Reichsgerichtes folgen.

16 MÜIlchener Kommentar-Leipo1d, § 2065 RdNr. 16; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 35; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 30; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 16; Pa1andt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 6, der zwar in der Terminologie dem BWldesgerichtshof, der Sache nach aber dem Reichsgericht folgt; Erman-Schmidt, § 2065 RdNr. 8; LangelKuchinke, § 25 12; Brox, Erbrecht, RdNr. 104; Ebenroth, Erbrecht, RdNr. 186; Leipold, Erbrecht, RdNr.223; Bartz, DNotartag 1965, S. 52, 67; Johannsen, WM 1972, S. 914,924; Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1199; Rohs, DNotZ 1951, S. 371f, mit kritischer GrundhaltWlg zustimmend auch Vogels, DR 1939, S. 310 (wonach die EntscheidWlg keine NachahmWlg verdiene). Schon lange vor der reichsgerichtlichen EntscheidWlg hatte sich Boehm, Erbrecht, S. 58, für die Zulässigkeit von ErmessensentscheidWlgen Dritter bei ErbeinsetzWlgen ausgesprochen. 17 Namentlich Westermann, Festschrift für Möhring, S. 183, 195; ähnlich Stiegeler, Dissertation S. 115ff.; Großfeld, JZ 1968, S. 113, 120f

Teil I: Einführung in die Problematik

22

2. Der Nichtenfall

Ähnlich umstritten ist die Frage, ob der Erblasser der Vorschrift des § 2065 BGB zum Trotz einem Vorerben die Befugnis erteilen kann, in dessen eigener letztwilliger Verfügung die Nacherbfolge zu ändern. Derartige Anordnungen kommen in vielfältigen Fallgestaltungen vor. Im folgenden soll ein typischer Beispielsfall dargestellt werden, dem eine reichsgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahre 1919 zugrundeliegtl8. Der Erblasser ernannte seine Frau testamentarisch zur Vorerbin und unter der Voraussetzung, daß diese nicht anderweitig verfüge, seine Nichte zur Nacherbin. Im Unterschied zur Rittergutsentscheidung wurde hier die erstmalige erbrechtliche Nachfolge nach dem Tod des Erblassers selbst unaufhebbar angeordnet. Der Rechtsnachfolger sollte nun aber seinerseits befugt sein, das weitere Schicksal des Nachlasses für die auf ihn folgende Generation zu steuern. Auch diese Anordnung könnte gegen den in § 2065 BGB angeordneten Grundsatz der Selbstentscheidung des Erblassers verstoßen. Denkbar ist insbesondere ein Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB, weil die Ehefrau befugt war, einer anderen Person als der Nichte die in der Nacherbenberufung bestehende Zuwendung zukommen zu lassen l9 . Das Reichsgericht erklärte derartige Anordnungen in ständiger Rechtsprechung20 für zulässig21 . Maßgeblich war, daß hier die Bestimmung des Dritten in einer letztwilligen Verfügung erfolgte und daß dieser Dritte vom Erblasser ebenfalls zum Erben bestimmt war. Auf die vom Gericht hieraus entwickelte, höchst komplizierte weitere Begründung kann und soll an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden. Die Literatur spricht sich nur vereinzelt gegen diese Rechtsprechung aus22 . Überwiegend stimmt man ihr zu23 • Einzelne Fragen sind allerdings innerhalb 18 RGZ 95, S. 278ff. 19 Zugleich könnte ein Verstoß gegen § 2065 Abs. I BGB in der Befugnis der Ehefrau zu sehen sein, über die Gültigkeit der Nacherbenberufung der Nichte zu bestimmen. 20 RG JW 1910, S. 820; RG Recht 1916, S. 253; RG JW 1920, S. 286; RG Seufferts Archiv 76 Nr. 163; RG JW 1925, S. 2121; RG Warn. RSPR 1938, S. 237; RG DNotZ 1942, S. 374. 21 Eine ablehnende Entscheidung erging nur in RGZ 79, 32ff. 22 Münchener Kommentar-Leipo1d, § 2065 RdNr. 10; neuerdings auch ErmanSchmidt, § 2065 RdNr. 5; lauernig-Stürner, § 2065 Nr. 1; Kipp/Coing § 79 IV 3, 18 III 4; von Lübtow, Band I, S. 140; Männer, LZ 1925, S. 570; Stiege1er, Dissertation S. 74ff., 89ff.; derselbe in BWNotZ 1986, S. 25ff. Distanziert Münchener Kommentar-

B. Grundprobleme und praktische Konsequenzen

23

der herrschenden Meinung äußerst umstritten. Teilweise erachtet man nur bestimmte Fallgestaltungen für zulässig. Der Bundesgerichtshof hatte sich in seinen früheren Urteilen ebenfalls der Rechtsprechung des Reichsgerichts angeschlossen24 . In einer späteren Entscheidung25 ließ er demgegenüber ausdrücklich offen, ob er in Zukunft weiter die Zulässigkeit derartiger Anordnungen bejahen würde. Diese Entscheidung ist in der Literatur fast ohne Resonanz geblieben26 , sie hat auch die obergerichtliche Rechtsprechung nicht davon abgehalten, derartige Bestimmungen weiterhin für wirksam zu erklären27 .

3. Reichweite und Grenzen von gesetzlich zulässigen Drittbestimmungen

Der Grundsatz der Selbstentscheidung samt seiner Ausnahmevorschriften wirft aber nicht nur das soeben dargestellte Problem auf, ob die Vorschrift des § 2065 BGB einengend auszulegen ist. Gleichsam spiegelbildlich stellt sich als weitere Frage, ob nicht gerade wegen § 2065 BGB auch die Interpretation seiner vielfältigen Durchbrechungen an der einen oder anderen Stelle einschränkend auszufallen hat. Dies soll an der Frage der Zulässigkeit von Drittbestimmungen bei Vermächtnissen kurz erläutert werden. Musielak, § 2271 RdNr. 32; Leopold, Testamentsrecht, S. 133 FN. I; Buchholz, Erbfolge und Wiederverheiratung, S. 92fT.; Stanovsky, BWNotZ 1974, S. 102; Sens, S. 39fT. 23 MÜllchener Kommentar-Grunsky, § 2100 RdNr. 13; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 19fI; Staudinger-Behrends, § 2100 RdNr. 29; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 19, 20; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 10; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8; DittmannlReimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, Vor §§ 2229fT. RdNr. 17; Langenfeld/Gail, Handbuch, Kap IV RdNr. 52; Model, Testamentsrecht, RdNr. 122; Nieder, Handbuch RdNr. 543; Spiegelberger, Handbuch, RdNr. 687; Kipp, JW 1920, S. 286; Sieber, JW 1925, S. 2121f; Flad, ZaKDR 1938, S. 431,434; Raape, AcP 140, 233fT.; Hemnann, AcP 155, S. 434fI, Schäfer, BWNotZ 1962, S. 188, 190fI; Gaberdiel, Rpfleger 1966, S. 265; Haegele, Rpfleger 1965, S. 355, 357; Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41, 43fI; derselbe in Erbrecht, RdNr. 103; Zawar, DNotZ 1986, S. 515,521; Langenfeld, NJW 1987, S. 1577,1579; SOnner, S. 80fT.; Keim, S. 114fI 24 BGHZ 2, 35fT. = NJW 1951, S. 959f und BGHZ 59, 220fT. = LM § 2065 Nr. 7 = NJW 1972, S. 1987f = MDR 1972, S. 1022f =Rpfleger 1972, S. 345.

25 JZ 1981, S. 229,230

=NJW 1981, S. 2051,2052.

26 Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8, fuhrt sie gar als Beleg für die Zulässigkeit

derartiger Anordnungen an.

27 BayObLGZ 1982, 331, 341; OLG Oldenburg NJW-RR 1991, S. 646f = FamRZ 1991, S. 862fI; BayObLG FamRZ 1991, S. 1488f

24

Teil 1: Einftlhrung in die Problematik

Bis heute herrscht Streit, ob letztwillige Verfügungen zulässig sind, in denen bestimmt wird, daß ein Dritter festzulegen habe, wem die gesamte Erbmasse im Wege eines Vermächtnisses zuzuwenden ist. Bei derartigen Anordnungen (sog. Universalvermächtnissen) gibt es zwar einen dinglichen Erben. Dieser ist aber wirtschaftlich nicht begünstigt, weil er schuldrechtlich verpflichtet ist, den gesamten Nachlaß an die Person auszukehren, die ein Dritter bestimmt. Mit § 2151 Abs. 1 BGB und den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen über Vermächtnisse sind derartige Anordnungenjedenfalls dem Wortlaut nach vereinbar. Der vermachte Gegenstand im Sinne des § 2174 BGB wird nirgendwo näher bestimmt, so daß er nach einhelliger Ansicht28 durchaus auch den gesamten Nachlaß umfassen kann. Auch aus § 2151 Abs. 1 BGB läßt sich zunächst einmal nicht entnehmen, daß die hierin für zulässig erklärte Drittbestimmung nur einen Teil des Nachlasses betreffen darf. Aus diesem Grunde erklärt eine verbreitete Ansicht in der Literatur29 - in der veröffentlichten Judikatur wurde zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen - derartige Anordnungen rur zulässig. Unbestritten ist dies freilich nicht; den abweichenden Stimmen30 ist zugutezuhalten, daß Drittbestimmungen bei Universalvermächtnissen jedenfalls wirtschaftlich gerade zu den Ergebnissen fUhren, die § 2065 BGB anscheinend verhindern will.

11. Die Problematik der Umdeutung Aus der Gegensätzlichkeit der gesetzlichen Regelung entspringt jedoch noch eine zweite Grundfrage. An sich wäre es nur eine bare Selbstverständlichkeit, ftir unwirksam befundene Erbeinsetzungen daraufhin zu überprüfen, ob diese nicht in eine zulässige sonstige letztwillige Verfügung mit Drittbestimmung umgedeutet werden können. Diese Frage stellt sich theoretisch bei allen im Zusammenhang mit § 2065 BGB diskutierten Anordnungen. So müßten eigentlich die Stimmen, die oben bei den zu den Schlagwörtern "Rittergutsentscheidung" oder "Nichtenfall" angeftihrten Fallbeispielen einen 28 Münchener Kommentar-Skibbe, Vor § 2147 RdNr. 4; von Lübtow, Band I, S.

355. 29 Staudinger-Otte, § 2151 RdNr. 2; Dobroschke, DB 1967, S. 803, 804; Klunzinger, BB 1970, S. 1197,1199; Haegele, BWNotZ 1967, S. 74,78; ders. Rpfleger 1973, S.203. 30 Ennan-Schmidt, § 2151 RdNr. 1; Menz, DB 1966, S. 1719; Sudhoff, DB 1966, S. 1720; Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1200; Keim, S. 154; Zawar, Das Vennächtnis in der Kautelarjurisprudenz, S. 115.

c. Konkretisierung der Fragestellung und Gang der Arbeit

25

Verstoß gegen § 2065 BGB bejahen, diese letztwilligen Anordnungen daraufhin überprüfen, ob sie nicht in entsprechende, wirksame Vennächtnisanordnungen mit Drittbestimmung umgedeutet werden können. Erstaunlicherweise gibt es jedoch zu dieser Fragestellung fast keine Literatur, einschlägige Rechtsprechung wurde bis heute nicht veröffentlicht. So begnügt sich die fiihrende Kommentarliteratur mit dem kryptischen Hinweis, eine Umdeutung "komme in Betracht31 " oder "sei unter Umständen möglich32 ". Kuchinke3 3 erörtert immerhin noch die Frage, ob eine unwirksame Universalerbenbestimmung in ein Universalvennächtnis umgedeutet werden kann. Ansonsten fehlt so gut wie jede weitere Stellungnahme.

c. Konkretisierung der Fragestellung und Gang der Arbeit Der soeben aufgezeigte kurze Abriß über die wesentlichen Problempunkte im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Selbstentscheidung und das hierzu vertretene grobe Meinungsspektrum hat einen Befund erbracht, der bei unvoreingenommener Betrachtung etwas irritiert. Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich ganz überwiegend mit § 2065 BGB. Die zentrale Fragestellung lautet hier, ob dem an sich klar formulierten Gesetzeswortlaut wirklich uneingeschränkt Folge zu leisten ist, oder ob nicht im Einklang mit der reichsgerichtlichen Rechtsprechung doch in gewissen Konstellationen auch bei Erbeinsetzungen Drittbestimmungen zu erlauben seien. Hierüber ist nicht nur seit fast einem Jahrhundert keine Einigung erzielt worden, es kommt noch hinzu, daß die Bandbreite der inzwischen publizierten Ansichten im Lauf der Zeit einen Grad erreicht hat, der selbst unter Zuhilfenahme des Adjektivs "schillernd" allenfalls noch euphemisch umschrieben werden kann34.

31 Staudinger-Otte, § 2065 ReINr. 2.

32 So Münchener Konunentar-Leipold, § 2065 ReINr. 25 und Soergel-Loritz, § 2065 ReINr. 40, wobei die genannten Stinunen die Erörterung dieser Frage auch noch auf die wenig relevante Umdeutung in ein Zweckvermächtnis nach § 2156 BGB beschränken. 33 Lange!K.uchinke, § 25 14; derselbe in Festschrift fiir Neumayer, S. 389,406. 34 Der absolute Extremstandpunkt wird neuerdings von Sens vertreten. In ihrer Dissertation "Die Erbenbestinunung durch Dritte" untersucht sie die schon oben dargestellte Rittergutsentscheidung. Hierbei konunt sie zu dem krassen Ergebnis, daß der diesen Fall an sich eindeutig regelnde § 2065 Abs. 2 Alt 1 BGB "teleologisch zu reduzieren sei" und daß § 2151 Abs. 1 BGB auf derartige Fälle analoge Anwendung [mden solle. Im Ergebnis bedeutet dies, daß nach der Ansicht von Sens der Einschaltung Dritter nahezu keine Grenzen gesetzt werden. Vgl. hierzu unten Teil 3, Kapitell, AIIII.

Teil I: Einfiihrung in die Problematik:

26

Demgegenüber wird nur am Rande untersucht, ob oder inwieweit dem Spektrum zulässiger Drittbestimmungen Grenzen zu setzen sind. Diese einseitige Betrachtungsweise dürfte ein Grund dafür sein, warum der oben aufgezeigte Frage zur Zulässigkeit von Umdeutungen so wenig Beachtung geschenkt wurde und warum bis heute kein überzeugender Ansatz vorgestellt wurde, der das Nebeneinander so unterschiedlicher Regelungen schlüssig erklären kann. Dies ist unbefriedigend. Zunächst kann eine isolierte Behandlung der Drittbestimmungen bei Erbeinsetzungen nicht deutlich genug aufzeigen, welchen Stellenwert das gesetzliche Bekenntnis zur Selbstentscheidung einnimmt, weil so zwangsläufig offenbleiben muß, inwieweit es überhaupt durch die Vielzahl von Ausnahmevorschriften relativiert wird. Zum zweiten ist so der juristischen Praxis wenig geholfen, weil sowohl bei der Abfassung letztwilliger Verftigungen als auch bei der Beurteilung ihrer Umdeutbarkeit zu wenig Klarheit darüber herrscht, zu welchen Konsequenzen das Zusammenspiel von Grundsatz und Ausnahmevorschriften führt. Die vorliegende Arbeit wird daher versuchen, anstelle einer isolierten Betrachtung der §§ 2064, 2065 BGB vermehrt die Gesamtheit der Normen in den Mittelpunkt zu rücken, welche die Möglichkeiten und Grenzen der Einschaltung Dritter regeln. Der dabei aufgezeigte Lösungsweg wird - dies soll bereits an dieser Stelle festgehalten werden - die bereits oben kurz angedeutete Behauptung35 bestätigen, wonach das Gesetz in den §§ 2064, 2065 BGB einerseits und den vielfältigen Durchbrechungen andererseits ein gemeinsames Ziel verfolgt. Die genannte Fragestellung soll zunächst von einem eher theoretischen, danach von einem mehr praktisch orientierten Standpunkt aus angegangen werden. - Der nachfolgende Teil der Arbeit wird versuchen, Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen abstrakt zu definieren. Dazu soll zunächst untersucht werden, was das in den §§ 2064, 2065 BGB enthaltene grundsätzliche Bekenntnis des Gesetzes zur Eigenverantwortlichkeit des Erblassers der Sache nach bewirkt36 . Ist damit der gesetzliche Ausgangspunkt geklärt, kann geprüft werden, aufgrund welcher Überlegungen das Gesetz in seiner Gesamtheit Durchbrechungen dieses Grundsatzes enthält37 . Die Zielsetzung ist, eine Grundthese auszuformulieren, die für den abschließenden Teil der Arbeit bereits grob umschreiben soll, wie sich das in den §§ 2064, 2065 BGB einerseits

35

Oben A am Ende.

36

Dazu wlten Teil 2, Kapitell.

37 Dazu unten Teil

2, Kapitel 2.

C. Konkretisierung der Fragestellung und Gang der Arbeit

27

und ihrer Durchbrechungen andererseits zum Ausdruck kommende grundsätzliche gesetzgeberische Anliegen darstellt. - Anhand konkreter Fälle soll dann in einem späteren Teil der Arbeit die zuvor ausformulierte Grundthese näher erläutert und zugleich verifiziert werden. Dies wird zunächst anhand der oben unter den Schlagwörtern "Rittergutsentscheidung" , "Universalvermächtnis" und "Umdeutung" kurz vorgestellten Konstellationen erfolgen38 . In einem eigenen Kapitel39 soll schließlich die unter dem Schlagwort "Nichtenfall" angesprochene Problematik geklärt werden, ob eine Einflußnahme Dritter dann gestattet werden kann, wenn diese als Vorerben die Nacherbfolge regeln. Auch in diesem Teil der Arbeit sollen vergleichbare Vermächtnisanordnungen und Fragen der Umdeutung mit behandelt werden. - Abschließend40 sollen die zu den einzelnen Fragen bisher in Rechtsprechung und Lehre vertretenen Meinungen zusammengefaßt werden. Gleichzeitig soll aufgezeigt werden, wie der eigene Standpunkt hierin einzubinden ist.

38

Dazu unten Teil 3, Kapitell.

39

Dazu unten Teil 3, Kapite12. Dazu unten Tei14.

40

Te i I 2

Kapitell

Der gesetzliche Ausgangspunkt - Funktionen des Grundsatzes der Selbstentscheidung Dieser Teil der Arbeit wird untersuchen, was der in den §§ 2064, 2065 BGB enthaltene Grundsatz bewirkt, wonach der Erblasser seine testamentarischen Verfügungen selbst niederzulegen und über deren Inhalt selbst letztverantwortlich zu entscheiden hat. Die dabei gefundenen Ergebnisse - die Funktionen des gesetzlichen Ausgangspunktes - bilden die Grundlage, um zu eruieren, worin Sinn und Zweck des Zusammenspiels von Grundsatz und Ausnahrnevorschriften der Gesamtheit der gesetzlichen Regelung über die Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen zu sehen sind.

A. Die Fragwürdigkeit des gesetzlichen Bekenntnisses zur Eigenverantwortlichkeit Es wurde schon angesprochen l , daß Sinn und Zweck des Grundsatzes der Selbstentscheidung nicht auf Anhieb erkennbar sind. So zieht es niemand ernstlich in Zweifel, daß eine letztwillige Verfügung selbst dann wirksam ist, wenn sich der Erblasser vor deren Abfassung umfassend beraten ließ2. Man fragt sich daher, warum es dem Erblasser dann aber verboten sein soll, einen Dritten als seinen Stellvertreter mit der Errichtung einer letztwilligen Verfügung zu betrauen oder ihm zumindest in anderer Form eine Einflußnahme zu gestatten. Die im Gesetz enthaltene Beschränkung der Testierfreiheit durch die Gebote von Selbsttätigkeit und Selbständigkeit ist daher zumindest auf den ersten Blick nicht selbstverständlich. Das gilt insbesondere für die in § 2065

lOben Teil I, A am Ende. 2 Staudinger-Otte, § 2064 RdNr. 8; Soerge1-Loritz, § 2064 RdNr. 8 jeweils unter

Verweis auf §§ 17,30 BeurkG.

B. Die Identität der Regehmgsziele von § 2064 und § 2065 BGB

29

BGB normierte materielle Höchstpersönlichkeit, auf deren Einführung einige Stimmen bereits bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches verzichten wollten3 und deren tatsächliche Berechtigung gerade in jüngster Zeit erneut in Frage gestellt wurde4 . Für die Untersuchung ist dabei zu beachten, daß sich die Erörterungen der Literatur überwiegend auf die materielle Höchstpersönlichkeit beschränken5 . Zuweilen wird auch nur die Berechtigung des Absatzes 2 des § 2065 BGB näher untersucht6. Daher ist vorab zu klären, ob der Grundsatz der Selbstentscheidung ein einheitliches Ziel verfolgt oder ob zwischen dem Gebot der Selbsttätigkeit und dem der Selbständigkeit unterschieden werden muß.

B. Die Identität der Regelungsziele von § 2064 und § 2065 BGB Die beiden Ausprägungen der Höchstpersönlichkeit stehen in einem engen systematischen Zusammenhang. Die ganz herrschende Meinung steht darüber hinaus auf dem Standpunkt, beide Normen würden auch sachlich zusammengehörige Fragen regeln7 . Demgegenüber erblickt Zimmermann8 im Grundsatz der Selbsttätigkeit ein gerechtfertigtes Anliegen des Gesetzgebers, während er den der Selbständigkeit fiir rechtspolitisch verfehlt hält9 . Dieser Einwand ist jedenfalls dann unzutreffend, wenn die §§ 2064 und 2065 BGB identische Ziele verfolgen, weil dann nur ein gemeinsames gesetzgeberisches Anliegen bestehen kann.

3 Die Entstehungsgeschichte des § 2065 BGB schildern Meischeider, Die letztwilligen Verfügungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ftlr das Deutsche Reich, S. 51; Imme!, Dissertation, S. 117ff., und Stiege!er, Dissertation, S. 32ff. 4 Zinunennann, Quos Titius Voluerit, S. 50, bezeichnet § 2065 Abs. 2 BGB gar polemisch als eine "Fehlentscheidung des Gesetzgebers". 5 Stiegeier, Dissertation, S. 20ff. 6 So beispielsweise Großfeld, JZ 1968, S. 113, 114ff.; Zinunennann, Quos Titius Voluerit, S. 23ff.; Sens, S. 69ff. 7 Münchener Kommentar-Leipold, § 2064 RdNr. 1; Staudinger-Otte, § 2064 RdNr.2, § 2065 RdNr. 1; Soergel-Loritz, § 2064 RdNr.2; Ennan-Schmidt, § 2064 RdNr.3. 8 Quos Titius Voluerit, S. 36. 9 Zinunennann, Quos Titius Voluerit, S. 50.

30

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

Die formelle Höchstpersönlichkeit erklärt sich zunächst einmal aus den Besonderheiten von Verfügungen von Todes wegen 10 . Es handelt sich hierbei um nicht empfangsbedürftige, erst mit dem Tode des Erblassers Rechtsfolgen entfaltende Rechtsgeschäfte 11 . Dem Erblasser steht somit fiir die Abfassung seiner letztwilligen Anordnungen ein langandauernder Zeitraum zur Verfügung, so daß es anders als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden gerade nicht auf den Zeitpunkt der Vornahme ankommt. Deshalb ist eine Stellvertretung zu Lebzeiten des Erblassers insoweit entbehrlich, als er jederzeit selbst seine Verfügung errichten kann 12 . Wenn der Erblasser dennoch einen Dritten damit betraut, kann er, unabhängig davon, ob der Dritte vor oder nach seinem, des Erblassers Tode, letztwillig verfügen soll, nur das Ziel verfolgen, auf dessen Willen abzustellen, um so einen eigenen Entschluß zu vermeiden. Ebenso verhält es sich, wenn er eine eigene Verfügung errichtet und dem Dritten die Befugnis erteilt, über deren Gültigkeit oder über die konkrete Ausgestaltung hinsichtlich Person und Gegenstand zu entscheiden. Daher verfolgen die § 2064 und § 2065 BGB ein einheitliches Ziel, nämlich die Gewährleistung der eigenverantworteten Entscheidung des Erblassers 13 . Wenn Zimmermann 14 demgegenüber meint, der Gesetzgeber wolle mit § 2064 BGB den Erblasser zwingen, eine Verfügung von Todes wegen selbst zu errichten 15 , so ist das fiir sich genommen richtig. Er hinterfragt dabei jedoch nicht den tieferen Grund fiir dieses Anliegen. Daher ist mit der ganz herrschenden Meinung an einer Identität der Regelungsziele der beiden Ausprägungen der Höchstpersönlichkeit festzuhal10 Soergel-Loritz, § 2064 RdNr. 2. 11 Dazu Flume, Rechtsgeschäft, § 14,1; von Thur, Band TI 1. Halbband, S. 454. 12 Gerade hier ist auch der Grund zu sehen, warum die Stellvertretung als Instrument zur Verwirklichung der Privatautonomie unter Lebenden geboten ist, da es insoweit eben gerade auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts ankommen kann. Dazu schon oben Teil 1, A am Ende.

13 Die erste Kommission (Motive, Band V, S. 246f) wollte mit der dem § 2064 BGB inhaltlich entsprechenden Vorschrift des § 1911 EI (vgl. hierzu die Übersicht im Anhang) zugleich klarstellen, daß auch die Einschaltung eines Boten untersagt ist. Insofern würde § 2064 BGB einen über § 2065 BGB hinausgehenden Zweck verfolgen. Die Einschaltung eines Boten kommt bei Testamenten aber kaum in Betracht, da diese auch ohne Zugang wirksam werden. Bedeutung könnte § 2064 BGB demnach nur noch im Zusanunenhang mit § 2232 Satz 1 Alt. 2 BGB haben, weil damit klargestellt wird, daß ein öffentliches Testament nur vom Erblasser selbst dem Notar übergeben werden kann. Allerdings ist auch hier § 2064 BGB letztendlich entbehrlich, weil § 2232 BGB ausdrücklich davon spricht, daß nur der Erblasser selbst die Schrift aushändigen kann (vgl. zu dieser Problematik Staudinger-Otte, § 2064 RdNr. 5).

14 Zimmermann, Quos Titius Voluerit, S. 24. 15 Quos Titius Voluerit, S. 36.

c. Der Grundsatz der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur

31

ten. Zu klären bleibt freilich, ob tragende Gründe für eine solche Regelung bestehen.

C. Die Funktionen des Grundsatzes der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur Schon oben wurde erwähnt l6, daß das vom Gesetz mit dem Grundsatz der Selbstentscheidung verfolgte Ziel nicht ohne weiteres erkennbar ist. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte trägt ebenfalls wenig zur Klärung bei. Die Materialien begründen § 2065 BGB lediglich mit einer "sittlichen Verantwortung" des Erblassers, die verlange, daß dieser seinen Willen abschließend bilde und die Erbeinsetzung nicht vom Wollen Dritter abhängig mache 17. Einige Stimmen in Rechtsprechung 18 und Literatur 19 haben sich dem ohne weitere Argumentation angeschlossen. Das vennag nicht zu befriedigen. Bei dem Hinweis auf eine angeblich bestehende sittliche Verantwortung des Erblassers zur eigenverantworteten Entscheidung handelt es sich de facto nur um eine Umschreibung der eigentlichen Problematik. Die Frage ist vielmehr, ob allgemein akzeptierte rechtsethische Werte oder zumindest pragmatische Erwägungen die Einschaltung Dritter bei letztwilligen Verfügungen verbieten. Im folgenden soll versucht werden, die hierzu in Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Ansätze aufzuzeigen und zu systematisieren2o . Dabei ist auf folgendes hinzuweisen: Wie schon angesprochen21 , wurde die Erörterung des gesetzlichen Bekenntnisses zur Eigenverantwortlichkeit bislang nahezu ausschließlich von § 2065 BGB aus angegangen. Insoweit konsequent wurde daraufhin versucht, den Sinn und Zweck dieser Nonn zu ergründen. Nach dem hier verfolgten Ansatz soll demgegenüber geklärt werden, welche Zielsetzung das Gesetz in seiner Gesamtheit, bestehend aus den §§ 2064, 2065 BGB einerseits und den vielfältigen Ausnah16 A 1. 17 Protokolle, Band V, S. 16.

18 BGHZ 15,199,200 = NJW 1955, S. 100. Das Gericht fiihrte aus, der Erblasser habe "vor seinem Gewissen die Verantwortung zu übernehmen". 19 Von Lübtow, Band I, S. 139; Flad, ZAkDR 1938, S. 431 tT.

20 Im früheren Schrifttum wurde die Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfilgungen unter anderem mit der Erwägung gerechtfertigt, der Erblasser "lebe in seinem Erben fort". Derartiges wird heute nicht mehr vertreten. Auf eine Auseinandersetzung mit dieser Frage soll deshalb verzichtet werden. Zum Ganzen Sens, Dissertation, S. 78fI 21 Teil 1, C.

32

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspwtlct

men andererseits, verfolgt. Daher soll nachfolgend auch nicht vom Normzweck der §§ 2064, 2065 BGB gesprochen werden, sondern nur von den Funktionen dieser Bestimmungen. Die Erörterung der gesetzlichen Zweckrichtung ist dann einem späteren Teil der Arbeit vorbehalten.

I. Die Mißbilligung der Drittbestimmung als Instrument

zur Vermeidung unklarer Situationen

Schon frühzeitig wurde darauf hingewiesen22 , daß eine Ermächtigung Dritter zur Bestimmung des Erben zur Folge hat, daß bis zu dieser Entscheidung die Person des Erben noch nicht feststeht. Auf den ersten Blick scheint dies möglicherweise zu einem zeitweise herrenlosen Nachlaß zu führen, da die endgültige Zuordnung durch den Dritten unter Umständen erst weit nach dem Tod des Erblassers erfolgt. Das ergäbe eine mißliche Situation, da niemand vom wahren Erben Erbschaftsgegenstände erwerben könnte und die Nachlaßgläubiger sich im Unklaren darüber befanden, wer ihnen für die Nachlaßverbindlichkeiten haftet. Nachlaßschuldner wüßten schließlich nicht, wem gegenüber sie ihre Verpflichtungen zu erfüllen haben. Eine Funktion des § 2065 Abs. 2 BGB könnte daher darin gesehen werden, derartige Schwebelagen auszuschalten. Ein Vergleich zu den in den §§ 2151ff., 2192f. BGB getroffenen Anordnungen über Vermächtnisse und Auflagen scheint diese Überlegung zu bestätigen. In diesen Fällen steht der Erbe bereits fest, so daß Dritte in ihren Interessen nicht beeinträchtigt werden. Die Drittbestimmung berührt hier nur die Interessen der von diesen Anordnungen Begünstigten und die des verpflichteten Erben oder Vermächtnisnehmers. Würde man in der Vermeidung dinglich unklarer Schwebezustände demnach den einzigen vom Grundsatz der Selbstentscheidung verfolgten Zweck sehen, wäre die gesetzliche Regelung freilich wenig verständlich. Das Verbot des § 2064 BGB dürfte sich konsequenterweise nur auf den Zeitraum nach dem Tode des Erblassers beschränken, weil bis zu diesem Zeitpunkt der Erblasser selbst noch dinglich berechtigt ist. Das differenzierte System der Durchbrechungen im Recht der Vermächtnisanordnungen, Auflagen, Testamentsvollstreckung und bei Teilungsanordnungen wäre wenig einleuchtend. Außerdem ist zu bedenken, daß die Anordnung der Entscheidung eines Dritten über Person oder Gegenstand einer Erbeinsetzung letztendlich eine

22 Vogels, DR 1939, S. 310.

C. Der Gnmdsatz der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur

33

bedingte Erbeinsetzung darstellt23 . Daher sieht das Gesetz selbst eine zutreffende Lösung vor. Nach § 2103 BGB ist in einem derartigen Fall davon auszugehen, daß der vom Dritten bestimmte Erbe zum Nacherben berufen ist24 . Nach § 2105 Abs. I BGB sind die gesetzlichen Erben des Erblassers bis zur Bestimmung durch den Dritten dann Vorerben25 . Es zeigt sich, daß es sich bei der Vermeidung dinglicher Schwebelagen nicht um das Ziel des Gebotes der Selbstentscheidung handeln kann.

11. Der Schutz der gesetzlichen Erbfolge 1. Leipolds Interpretation des § 2065 BGB als Schutzvorschrift

zugunsten der Intestaterbfolge

Häufig wird im Zusammenhang mit § 2065 BGB angefiihrt, es werde klargestellt, daß der Erblasser nur dann die gesetzliche Erbfolge aufheben könne, wenn er selbst einen abschließenden Willen gebildet habe26 . Leipold27 nimmt dies zum Anlaß, § 2065 BGB als eine Schutzvorschrift für die Intestaterbfolge zu deuten. Zur Stützung dieser Ansicht kann sicherlich angefiihrt werden, daß die aus den §§ 2064, 2065 BGB folgende Nichtigkeit einer letztwilligen VerfUgung zum Eintritt der gesetzlichen Erbfolge fUhren kann. Es ist allerdings klärungsbedürftig, ob gerade das auch durch § 2065 BGB erreicht werden soll. 23 Zur Defmition des bedingten Rechtsgeschäft als Abhängigkeit von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis auch Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1. Band, S. 434. 24 Nach DittmannlReimannJBengel, Testament und Erbvertrag, Systematischer Teil D, RdNr. 120 und Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1200 soll in einem derartigen Fall statt einer Nacherbfolge eine Nachlaßpflegschaft nach § 1960 BGB angeordnet werden. Dem ist nicht zu folgen. Sens, S. 64, weist zutreffend darauf hin, daß § 1960 BGB das Vorhandensein eines Erben voraussetzt (ebenso Staudinger-Marotzke (1994), § 1960 RdNr. 5; Binder, Erbrecht, S. 55, Ziegltrum, Sicherungs- und Prozeßpflegschaft, S. 53). Daran fehlt es aber in den vorliegenden Fällen, da die Erklärung des Dritten den Erben konstitutiv bestimmt.

25 So auch Großfeld, JZ 1968, S. 113, 115; Westermann, Festschrift filr Möhring, S. 183, 185 FN. 3; Sens, S. 62ff., 107.

26 RGZ 159,296,299; BGHZ 15, 199,200 = NJW 1955 S. 100; MÜIlchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 1; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 1; von Lübtow, Band I, S. 139; Brox, Erbrecht, RdNr. 101; Westermann, Festschrift filr Möhring, S. 183, 193f.; Bunke, MittRhNotK 1962, S. 536,537. 27 MÜIlchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. I. 3 Wagner

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

34

2. Stellungnahme

Leipolds These des Schutzes der Intestaterbfolge beruht auf zwei Grundannahmen. Einmal soll der gesetzlichen Erbfolge als solcher ein eigener Gerechtigkeitswert zukommen. Sie soll sich gerade nicht in einer bloßen Auffangfunktion für die Fälle fehlender letztwilliger Verfügungen erschöpfen, sondern darüber hinaus eine eigene, höhere und damit gerechtere Ordnung darstellen. Des weiteren soll gerade § 2065 BGB zum Schutze dieses Rechtsgutes beitragen. Nur wenn beides kumulativ erfüllt wäre, wäre Leipolds Überlegung zu folgen. a) Für die Deutung der gesetzlichen Erbfolge als generell schutzwürdige Institution könnte angeführt werden, daß das Gesetz selbst an einigen Stellen, beispielsweise bei einigen Auslegungsregeln28 , auf die gesetzliche Erbfolge zurückgreift. Diese Erwägung ist aber letztendlich nicht tragflihig. aa) Sie entspricht zunächst einmal nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers. Dieser stand gerade nicht auf dem Standpunkt, die Familienerbfolge müsse vor einer übergroßen Testierfreiheit geschützt werden. Der Redaktor des Erbrechts, Gottfried von Schmitt, entschied sich in seinem Entwurf nämlich gerade dafür, mit dem Erbrecht eine größtmögliche Testierfreiheit des einzelnen zu erreichen und den Schutz der Familie über das Intestaterbrecht demgegenüber hintanzustellen29 . Da es dem Individuum unbenommen sei, durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden über sein gesamtes Vermögen zu verfügen und diese Verfügungen über dessen Tod hinaus wirkten, müßten nach der Auffassung von Schmitts dieselben Wirkungen auch im Wege des Erbrechts zu erzielen sein30 . Außerdem werde durch die Testierfreiheit die Autorität des Familienvaters gestützt, da kein Kind einen Anspruch auf einen festen Erbteil habe und so durch Wohlverhalten einer Enterbung zuvorkommen müsse. Folgerichtig stellte von Schmitt die gewi11kürte Erbfolge der gesetzlichen voran31 . Die erste Kommission übernahm diesen Entwurf und bestimmte sogar eine ausdrückliche Subsidiarität der gesetzlichen Erbfolge32 . Otto von Gierke3 3 kritisierte gerade deshalb den ersten Entwurf und trat für einen 28

Vgl. hierzu die §§ 2067, 2068, 2069, 2104 BGB.

29 Dazu Mertens, Entstehung, S. 34ff. 30 Von Sclunitt, Entwurf, S. 52. 31 Vgl. dazu § 1 des Teilentwurfes.

32 Nach den Motiven, Band V, S. 2, sollte dadurch zwar kein grundsätzlicher Vorrang des einen oder des anderen Berufimgsgrundes bestinunt werden. Der Gesetzgeber stand damit aber klar auf dem Standpunkt, daß er der gesetzlichen Erbfolge zwnindest keinen Vorrang vor der gewillkürten einräumen wollte. 33 Von Gierke, S. 506f.

C. Der Grundsatz der SelbstentscheidlUlg im Spiegel der Literatur

35

grundsätzlichen Vorrang des Verwandtenerbrechts vor der Testierfreiheit des einzelnen ein. Da die Familienbanden die Grundlage allen Erbrechts seien, müsse die gesetzliche Erbfolge die Regel sein, die Testierfreiheit habe auf sachgerechte Ergebnisse im Einzelfall hinzuwirken. Die zweite Kommission sah jedoch keine Notwendigkeit, zu dieser Kritik Stellung zu nehmen34 . Das zeigt sich auch an der endgültigen Fassung des Fünften Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches, dessen mit der allgemeinen Bezeichnung "Erbfolge" überschriebener erster Abschnitt gleichzeitig mit der gesetzlichen Erbfolge auch die Grundlagen der gewillkürten Erbfolge regelt35 . Nach der gesetzgeberischen Konzeption sind beide Formen des Vermögenserwerbs von Todes wegen damit gleichwertig. bb) Wenn demnach bereits der auf die historische Interpretation gestützte Hinweis auf den Schutz des Familienerbrechts den Grundsatz der Selbstentscheidung nicht rechtfertigen kann, führt die inzwischen fortgeschrittene gesellschaftliche und sozialpolitische Entwicklung zu einer endgültigen Ablehnung dieser Begründung36 . Ererbtes Vermögen dient heutzutage gerade nicht mehr der materiellen Grundversorgung. Weitaus bedeutsamer sind eine Vielzahl staatlicher Leistungen. Dieses Sozialvermögen37 steht außerdem auch früher zur Verfügung als ererbte Mittel, welche dem Bedachten angesichts der gegenüber vergangenen Jahrhunderten gewachsenen durchschnittlichen Lebenserwartung oft erst dann zufließen, wenn er sich bereits selbst eine ausreichende Lebensbasis geschaffen hat. Der in der gesetzlichen Erbfolge zum Ausdruck kommenden Verwandtenerbfolge ist damit kein eigener Gerechtigkeitswert zuzusprechen. Dem Familienschutz wird über das Pflichtteilsrecht Rechnung getragen; dieser Schutz besteht zudem bei allen letztwilligen Verfügungen und deckt nicht wie die Unwirksamkeit von Drittermächtigungen nur einen kleinen Teilbereich ab. b) Nachdem der gesetzlichen Erbfolge wie gezeigt kein Vorrang vor der gewillkürten zukommt, ist Leipolds These an sich bereits die Grundlage entzogen. Seine Argumentation ist aber auch deswegen abzulehnen, weil § 2065 BGB nicht zum Schutze der gesetzlichen Erbfolge beitragen kann. aa) Der Grundsatz des § 2065 BGB ist teilweise erheblich durchbrochen38 . Gerade die §§ 215lff. BGB erlauben weitestgehende Übertragungen der Entscheidungsbefugnisse auf Dritte. Wollte man § 2065 BGB als Schutzvorschrift zugunsten der Intestaterbfolge wirklich ernst nehmen, müßte man allen Ver34 Protokolle Band V, S. 1. 35 Stiegeler, Dissertation, S. 59. 36 Sens, S. 77f. 37 Der Begriff stammt von Kipp/Coing, § 1 14. 38 Dazu lUlten in Teil 2, Kapitel 2, A.

36

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

fügungen die Wirksamkeit versagen, die im Wege des Vermächtnisrechts zu einer Drittbestimmung über die Zuordnung weiter Teile der Erbmasse gelangen wollen. Die §§ 2151fI. BGB dürften konsequenterweise nur auf wirtschaftlich unbedeutende Anordnungen angewendet werden. Eine derartige Beschränkung ist dem Wortlaut dieser Normen aber nicht zu entnehmen, auch Leipold selbst tritt offensichtlich nicht für eine derart eingeengte Interpretation der genannten Vorschriften ein. bb) Außerdem ordnet § 2065 BGB als Rechtsfolge gerade nicht die Geltung der Intestaterbfolge an, sondern "nur" die Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung. Das bedeutet, daß die gesetzliche Erbfolge nur dann zum Tragen kommt, wenn nicht ein früheres Testament Wirksamkeit entfaltet. Das hängt letztendlich von den Zufalligkeiten des Einzelfalles ab.

111. Die Höchstpersönlichkeit als gesellschaftspolitisches Anliegen 1. Die Argumentation Großfelds

Großfeld39 kommt das Verdienst zu, das Gebot der Selbstentscheidung in seinem rechtspolitischen und rechtshistorischen Kontext erstmals umfassend analysiert zu haben. Er mißt der materiellen Höchstpersönlichkeit unter anderem eine gesellschaftspolitische Funktion zu. § 2065 BGB wolle dazu beitragen, die Konzentration des Vermögens in einer Hand zu unterbinden und stattdessen erreichen, daß mehrere an der Erbschaft partizipierten40 . Von der Testierfreiheit werde nämlich im Regelfall Gebrauch gemacht, um einen Universalerben zu bestimmen. Das werde durch die Einschaltung eines Dritten noch verstärkt, weil der Erblasser dann die Möglichkeit habe, weit in die Zukunft zu wirken. Nach dieser Argumentation soll der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit eine sozial- und wirtschaftspolitische Funktion erfiillen41 . Großfeld hat zur Begründung seiner Ansicht darauf verwiesen, daß insbesondere in Frankreich der Adel in der Zeit vor der französischen Revolution versucht habe, über den Weg der Drittbestimmung das Vermögen zusammen39

JZ 1968, S. 113fT.

Ist die Verfügung wegen eines Verstoßes gegen § 2065 BGB nichtig Wld kommt deshalb die gesetzliche Erbfolge zum Tragen, so ft1hrt das im Regelfall zu einer Beteiligung mehrerer. 41 JZ 1968, S. 113, 118ff. Dem zustimmend Heldrich, Fälle zum Erbrecht, S. 54; Keim, S. 42fT.; ablehnend John, Gnmdzüge des Erbrechts, RdNr. 38; Sens, S. 84f, Schlüter § 14 IV 4b. 40

C. Der Grundsatz der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur

37

zuhalten und auf eine Person zu konzentrieren. Gerade deshalb sei in der antifeudalistisch geprägten Revolutionsgesetzgebung der Grundsatz der Selbstentscheidung eingeführt worden. Diesen Umstand habe man bei Einführung des § 2065 BGB zwar nicht ausdrücklich diskutiert, durch die französische Revolution und das darauffolgende Übergreifen dieses revolutionären Gedankengutes auf Deutschland habe dieser Grundgedanke aber dennoch die Gesetzgebung beeinflußt.

2. Stellungnahme

Großfelds Argumentation läßt genaugenommen zwei unterschiedliche Deutungen zu. Er selbst scheint davon auszugehen, daß § 2065 BGB die Erbmasse auf mehrere verteilen will. Sein Hinweis auf die Intentionen der französischen Revolutionsgesetzgebung spricht aber auch dafiir, in § 2065 BGB ein Instrument zu sehen, das die Veräußerungsfreiheit über ererbtes Vermögens aufrechterhält. Der erstgenannten Sichtweise kann nicht gefolgt werden (unten a). Demgegenüber ist die zweite Erwägung durchaus geeignet, das gesetzliche Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit des Erblassers zu erklären (unten b). a) Großfeld ist zwar zunächst einmal zuzugestehen, daß die Motive zuweilen Hinweise darauf enthalten, aus nationalökonomischen Gründen solle eine zu lange Vinkulierung des Vermögens verhindert werden42 . Seiner These einer angeblichen Zerschlagungsfunktion des § 2065 BGB ist aber bereits entgegenzuhalten, daß es andererseits auch klare Stellungnahmen dahingehend gibt, wonach eine "an sich unerwünschte Vermögenszersplitterung" in Kauf genommen werden müsse43 . Gegen die Überlegungen Großfelds spricht außerdem die Behandlung der Fideikommisse44 45, deren Anordnung vor Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Deutschland möglich war. Das In-

42 Motive, Band V, S. 90, zur Rechtfertigung der zeitlichen Beschränkungen der Nacherbschaft, des weiteren Motive, Band V, S. 362, 382, zum Ausschluß eines bloßen Nießbrauches bei der Intestaterbfolge von Eltern, Voreltern und Ehegatten.

43 Nachweise finden sich bei Mertens, Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 85. 44 Der Begriff des Fideikonunisses ist dem römischen Recht entlehnt (Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 419). Im deutschen Recht bezeichnet er Vermögensmassen, die nach dem Willen des Berechtigten durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch letztwillige Verfi1gung unveräußerlich bleiben und sich nach bestimmten Regeln meist innerhalb der Familie vererben sollten. Hierzu Staudinger-Promberger/Schreiber, EGBGB Art 59, RdNr. 9, 10. 45 Stiegeier, Dissertation, S. 56f.; Sens, S. 85.

38

Teil 2, Kap. I: Der gesetzliche Ausgangspunkt

stitut als solches sollte nicht abgeschafft werden, nach dem inzwischen aufgehobenen Art. 59 EGBGB blieben diese auf landesrechtlicher Ebene bestehen. Den Materialien läßt sich somit keine allgemeine Tendenz entnehmen46 . Die historische Interpretation kann damit Großfelds' These nicht stützen. Damit ist bereits ein erstes Indiz gegen eine Verteilungsfunktion des § 2065 BGB gefunden47. Endgültig abzulehnen ist sie schließlich, wenn man sich ohne überhaupt auf die Frage einzugehen, ob die Aufsplitterung der Erbmasse auf mehrere ein sachlich gerechtfertigtes Anliegen darstellt48 49 - vergegenwärtigt, daß der Grundsatz der Selbstentscheidung gerade kein Instrument zur Verfolgung derartiger Ziele darstellen kann. Es ist nämlich schlicht unzutreffend zu behaupten, eine Drittbestimmung führe gerade zur Vermögenskonzentration. Oft ist das gerade nicht der Fall, eine Drittbestimmung kann gerade auch für eine angemessene Verteilung sorgen. Wenn eine Norm nun aber zwei

46 Vgl. zur heutigen Bedeutung des Fideikommißverbotes Däubler, JZ 1969, S.99ff.

47 Anders Stiegeler, Dissertation, S. 56f., und Sens, S. 85, die beide die Ansicht Großfelds bereits anhand der historischen Interpretation endgültig ablehnen. 48 So Papantoniou, AcP 173, S. 385, 388. Demgegenüber spricht sich Leipold, AcP 180, S. 161,205, gegen die Versuche aus, über das Erbrecht zu einer Vermögenszersplitterung zu gelangen. Steffen, DRiZ 1972, S. 263,267, verneint eine verfassungsrechtlich tragflihige Grundlage, über das Erbrecht allgemeine wirtschaftspolitische Anliegen zu verfolgen. Allgemein zum Dualismus Erbteilung - Erbvereinigung Radbruch, Rechtsphilosophie, § 21. 49 Großfeld, JZ 1968, S. 113, 122, hält den Grundsatz der Höchstpersönlichkeit aufgrund der von ihm unterstellten Zerschlagungswirkung für rechtspolitisch verfehlt. Er befürchtet, Personengesellschaften könnten davon negativ betroffen werden, während "unsterbliche" juristische Personen, insbesondere große Aktiengesellschaften, dadurch die Möglichkeit erhielten, an deren Stelle zu treten. Diese Bedenken sind selbst dann wenig überzeugend, wenn man Großfelds Ausgangsthese der angeblichen Zerschlagungswirkung des § 2065 BGB teilt. Da heute die Singularsukzession in einen Gesamthandsanteil am Restnachlaß vorbei allgemein anerkannt wird, leuchtet es nicht ein, warum eine Beteiligung mehrerer an diesem Restnachlaß zu einer Gefiihrdung derartiger Unternehmen führen soll. Im übrigen werden Personengesellschaften heutzutage ganz überwiegend als GmbH & Co ausgestaltet. Dann fehlt es zunächst einmal an einer unbeschränkten persönlichen Haftung der an der Gesellschaft beteiligten natürlichen Personen. Außerdem kann in der Komplementär-GmbH ein Nichtgesellschafter zum Geschäftsführer bestellt werden, so daß hierdurch der Grundsatz der Selbstorganschaft jedenfalls in seinen praktischen Auswirkungen umschiffi werden kann. Damit ist die GmbH & Co einer juristischen Person derart stark angenähert, daß es nicht nachvollziehbar ist, warum hier eine Vererbung des Kommanditanteiles und des Gesellschaftsanteils an der Komplementär-GmbH zu einer negativen Beeinflussung filhren soll.

C. Der Gnmdsatz der SelbstentscheidlUlg im Spiegel der Literatur

39

gegensätzliche Funktionen beinhaltet, kann nicht die eine von ihnen zu ihrem maßgeblichen Zweck erklärt werden. b) Die Funktion der Selbstentscheidung, die Verfügungsfreiheit über ererbtes Vermögen aufrechtzuerhalten, kann demgegenüber nahtlos in das Gesamtsystem des Bürgerlichen Gesetzbuches eingebunden werden. Dieses mißbilligt nämlich an verschiedenen Stellen die Bildung übermäßiger Vermögensbindungen. Grundsätzlich besteht eine dreißigjährige Frist für den Anfall einer Nacherbschaft, bedingter und befristeter Vermächtnisse, für die Dauer der Testamentsvollstreckung und für Teilungsverbote innerhalb einer Miterbengemeinschaft, §§ 2109 Abs. 1 Satz 1, 2162, 2210 Satz 1, 2044 Abs.2 Satz 1 BGB. Damit ist gewährleistet, daß der Erblasser durch letztwillige Verfügungen den Zusammenhalt seines Vermögens jedenfalls nicht unbegrenzt lange aufrechterhalten kann. Darüber hinaus entfalten die Vorschriften der §§ 2162 und 2044 Abs.2 Satz 1 BGB nur schuldrechtliche Wirkungen und beeinflussen die Verfügungsbefugnis als solche nicht50 . Entsprechende Anordnungen des Erblassers können daher durch vertragliche Vereinbarung außer Kraft gesetzt werden. Das Ziel des Gesetzes, die Vinkulierung von Vermögen zu begrenzen, ist aber nicht nur in den oben angegebenen Spezialvorschriften enthalten, die zudem auch nur eine Bindung über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren mißbilligen. Selbst diese wird in den §§ 2109 Abs. 1 Satz 2, 2163 BGB noch durchbrochen. Im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches wird diese Mißbilligung wesentlich deutlicher. § 137 Satz 1 BGB will generell sicherstellen, daß veräußerliche Gegenstände dem Rechtsverkehr nicht entzogen werden und der Zwangsvollstreckung unterliegen51 . Die Regelung des § 137 BGB ist gerade auch heute gerechtfertigt. Eine res extra commercium, also die völlige Außerverkehrsetzung eines Gegenstandes 52, widerspricht den Erfordernissen des Wirtschaftslebens. Besonders bedeutsam ist das im Zusammenhang mit der Verfügungsbefugnis über Grundstücke, da Grund und Boden nur begrenzt zur Verfügung steht und oftmals nicht gleichwertig ersetzt werden kann.

50 Für § 2044 Abs. 2 Satz 1 BGB ist das heute nicht mehr streitig. Dazu Weckbach, Die BindlUlgswirkung von ErbteillUlgsverboten, S. 64iT., 76.

51 § 137 BGB gilt als multifunktionale Norm, MÜllchener Kommentar-Mayer-Maly, § 137 RdNr. 7. Die oben angesprochenen Normzwecke, aber auch die weiteren Funktionen beschreiben plastisch Medicus, Allgemeiner Teil, RdNr. 678, sowie Buchholz, JURA 1989, 393, 396iT. (letzterer zu der die vorliegende DarstelllUlg sprengen Problematik der Auswirkungen des § 137, S. 1 BGB auf die Zulässigkeit der Sicherllllg schuldrechtlicher erbrechtlicher Anspruche durch Vormerkungen gern. § 883 BGB). 52 Buchholz, aaO, S. 397.

40

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

Der Grundsatz des § 137 Satz 1 BGB wird nun durch die erbrechtlichen Verfügungsbeschränkungen durchbrochen53 . Die deutlichste Durchbrechung stellt die Nacherbschaft dar, die zunächst einmal in § 2115 BGB die Zwangsvollstreckung durch Eigengläubiger des Vorerben ausschließt. In Form der nicht befreiten Vorerbschaft wird des weiteren unveräußerliches und nicht belastbares Grundvermögen geschaffen, § 2113 Abs. 1 BGB. Darüber hinaus gilt gerade hier die dreißigjährige Frist des § 2109 BGB auch nicht ausnahmslos. Der von Rechtsprechung und Literatur weit ausgelegte § 2109 Abs. 1 Satz 2 BGB erlaubt auch eine Nacherbschaft über längere Zeiträume54 . Dieses Institut steht damit in einem Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher Testierfreiheit einerseits und den Erfordernissen des Wirtschaftslebens andererseits. Gerade hier wird auch deutlich, daß der Grundsatz der Selbstentscheidung eine Beschränkung dieser Auswirkungen der Nacherbschaft bewirkt. Gäbe es diesen Grundsatz nicht, so wäre es dem Erblasser möglich, zunächst einmal eine Nacherbschaft anzuordnen und dann einem Dritten55 die Befugnis zu erteilen, diese später anzupassen und zu modifizieren. Sofern er jedoch dazu angehalten ist, eine eigenverantwortete Entscheidung zu treffen, erschwert ihm dies den Entschluß zur Anordnung einer Nacherbschaft, da dieser Schritt dann nicht mehr modifizierbar ist56 . c) Damit bleibt als Ergebnis festzuhalten, daß § 2065 BGB die auch an anderen Stellen des Gesetzes zum Vorschein kommende Wertung enthält, daß der Privatautonomie des einzelnen dort Grenzen zu setzen sind, wo diese durch die Bildung unveräußerlichen Vermögens Interessen der Allgemeinheit beeinträchtigen würde.

53 Staudinger-Coing, § 137 RdNr. 10. 54 Dieser Gesichtspunkt wird von Zimmennann, Quos Titius Voluerit, S. 25, zu Unrecht völlig vernachlässigt. 55 Dabei muß die Bestimmungsbefugnis nicht notwendig dem Vorerben eingeräumt werden, vgl. hierzu den in Teil 1, B I 2 dargestellten Nichtenfall. 56 So wohl auch Großfeld, JZ 1969, S. 113, 119, der davon spricht, die Tendenz zur Vermögenskonzentration werde durch die Einschaltung eines Dritten noch gefOrdert, ohne allerdings die speziellen Regelungen der Nacherbschaft anzusprechen.

c. Der Grundsatz der Se1bstentscheidWlg im Spiegel der Literatur

41

IV. Das Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit als konsequente Fortführung allgemein geltender Beschränkungen im Vertretungsrecht § 2064 BGB enthält ein schrankenloses Verbot57 jedweder Stellvertretung. Die Konkretisierung dieses Grundsatzes in § 2065 BGB hat Teile der Literatur dazu veranlaßt, das Gebote der Selbstentscheidung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Vertretungsrechtes zu vergleichen.

1. Die zweite These Großfelds

Großfeld will dem § 2065 BGB nicht nur die schon angesprochene sozialund wirtschaftspolitische Funktion zumessen. Er vertritt daneben auch die Ansicht58, § 2065 BGB lasse sich auf die allgemeine Wertung zurückfuhren, kein Individuum könne sich seiner Privatautonomie entledigen. Jedwede Bevollmächtigung und ebenso die bloße Verleihung einer Zustimmungsbefugnis übertrage nunmehr die Privatautonomie auf einen Dritten. Das Recht der Bevollmächtigung unterliege daher bereits im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches gewissen Beschränkungen. So sei es unzulässig, einem Dritten eine unwiderrufliche Generalvollmacht zu erteilen, ganz generell sei die unwiderrufliche Vollmacht nicht selbstverständlich zulässig59 . Selbst wenn eine wirksame Vollmacht erteilt werde, bestehe die Rechtszuständigkeit des Vollmachtgebers fort, so daß dieser weiterhin seine Angelegenheiten regeln könne. § 2065 BGB60 sei nun im Lichte dieser Grundsätze zu sehen. Die Grenzen der Bevollmächtigung unter Lebenden seien hier auf den Bereich des Erbrechts übertragen. Eine Drittbestimmung komme in ihren tatsächlichen Folgen der 57 Nach § 2267 BGB reicht es beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament aus, wenn ein Ehegatte das vom anderen verfaßte Testament Wlterschreibt. Das stellt aber keine DurchbrechWlg des Grundsatzes der Selbsttätigkeit dar, da der das Testament verfassende Ehegatte ftlr den anderen lediglich die ManifestierWlg des testamentarischen Willens Wlternirnmt, nicht aber die WillensbildWlg. 58 JZ 1968, S. 114fT. ZUStimmWlg findet sich bei John, Grundzüge des Erbrechts, RdNr. 31fT., Heldrich, Fälle Wld LösWlgen zwn Erbrecht, S. 54, Keim, S. 26fT. 59 Die Zulässigkeit einer Wlwiderruflichen Vollmacht folgt aus § 168 Satz 2 BGB. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist die Vollmacht allerdings jederzeit frei Wld sofort widerruflich. Vgl. zwn Ganzen Fhune, Rechtsgeschäft, § 53,6 Anm. 36.

60 Großfelds Ausführungen beziehen sich nur auf § 2065 Abs. 2 BGB. Sie müßten wegen der identischen RegelWlgsziele aber auch ftlr die §§ 2064 Wld 2065 Abs. I BGB gelten.

42

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

Einräumung einer unwiderruflichen Generalvollmacht sehr nahe. Es fehle auch an einer eigenen Rechtszuständigkeit des Ermächtigenden, da die Drittbestimmungsermächtigung vor dem Erbfall jederzeit widerruflich sei und erst nach dem Tode wirksam werde. Grundsätzlich sei die Bevollmächtigung auch entbehrlich, weil die gesetzliche Erbfolge als Reservelösung zur Verfügung stehe. Daher sei die Drittbestimmung grundsätzlich unzulässig.

2. Die Kritik von Sens

Sens61 widerspricht diesen Erwägungen. Die Ausgangslage bei einer Bevollmächtigung unter Lebenden sei von der Befugnis zur Drittbestimmung über Verfügungen von Todes wegen zu unterscheiden. Einmal würden die Rechte des Übertragenden selbst berührt, das andere Mal nur die außenstehender Dritter. Entscheidender Grund fiir das Verbot der Generalvolhnacht sei, daß man so der Gefahr der Selbstvernichtung vorbeugen wolle. Bei Erbeinsetzungen bestehe diese Gefahr aber nicht, weil das Individuum dann ohnehin nicht mehr am Leben sei62 .

3. Stellungnahme

Die Ausführungen von Sens zeigen, daß über den doch recht weit hergeholten Vergleich zum Recht der Bevollmächtigung unter Lebenden der Grundsatz der Selbstentscheidung nicht erklärt werden kann. Außerdem hinkt Großfelds Vergleich zur Generalvollmacht bereits dann, wenn die Befugnis des Dritten nur die Zuordnung eines Teils der Erbmasse betrifft. Andererseits ist Großfelds Hinweis auf die unterschiedliche Regelung der Bevollmächtigung bei Verfügungen von Todes wegen und bei Rechtsgeschäften unter Lebenden in einem anderen Zusammenhang durchaus von Bedeutung. Es wurde schon oben63 angesprochen, daß letztwillige Verfügungen erst dann wirksam werden, wenn der Erblasser verstorben ist. Das bedeutet aber zugleich, daß jeder Dritte, dessen Mitwirkung sich der Erblasser zu Nutzen gemacht hat, dann anders als bei lebzeitigen Rechtsgeschäften vom Vollmachtgeber nicht mehr

61 Sens, S. 70f.

62 Ähnlich Zimmennann, Quos Titius Voluerit, S. 27f

630benB.

C. Der Gnmdsatz der SelbstentscheidWlg im Spiegel der Literatur

43

zur Verantwortung gezogen werden könnte64 . Eine Stellvertretung bei Verfügungen von Todes wegen würde den Bevollmächtigten in die Lage versetzen, innerhalb der Grenzen der ihm eingeräumten Befugnis völlig willkürlich zu handeln. Es bestünde dann die Gefahr, daß dieser sich von sachfremden, dem Willen des Erblassers widersprechenden Erwägungen leiten ließe. Dieser Gesichtspunkt kann zwar für sich genommen die §§ 2064, 2065 BGB nicht erklären. Im Zusammenhang mit den sogleich folgenden Erwägungen wird er aber dazu dienen, eine weitere Funktion der genannten Normen klarer hervortreten zu lassen.

v. Die friedenstiftende Funktion des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit

1. Die These von der ausschließlichen Autorität des Erblassers

Die gewillkürte Erbfolge verdrängt die Intestaterbfolge. Daraus resultieren Eingriffe in die Familienerbfolge, weil die einzelnen Familienmitglieder ungleich behandelt werden. Nach der Ansicht einiger Stimmen in Rechtsprechung65 und Literatur66 liegt dem Gebot der Selbstentscheidung die Wertung zugrunde, daß nur der Erblasser selbst die notwendige Autorität besitzen solle, die durch die Intestaterbfolge angeordnete gleichberechtigte Beteiligung seiner Familienmitglieder zu verändern. Wenn der Testator selbst die Entscheidung über die erbrechtliche Nachfolge treffe, werde das von den durch die Aufhebung ihres gesetzlichen Erbrechtes nachteilig betroffenen Familienangehörigen akzeptiert. Bei einer Entscheidung durch einen Dritten sei das regelmäßig nicht der Fall.

64 So auch John, Gnmdzüge des Erbrechts, RdNr. 34, Wld wohl auch Soergel-Loritz, § 2064 RdNr. 2; ähnlich Staudinger-Otte, § 2064 RdNr. 4.

65 Etwa OLG ZweiblÜcken, OLGZ 1989,268,270 =NJW-RR 1989, S. 453f 66 Kipp/Coing, § 18 I 3; John, Gnmdzüge des Erbrechts, RdNr. 35; Großfeld, JZ 1969, S. 113,118; Stiegeier, Dissertation, S. 57fT., 61fT.; Sens, S. 85fT.; Keim, S. 35ff.

44

Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspunkt

2. Begrondungen a) Stiegeler67 will diese Erwägung unter anderem mit einem Hinweis auf die Regelungen über eine Anfechtung letztwilliger Verfügungen rechtfertigen. Daraus sei zu folgern, daß die Familie nur das irrtumslose Abweichen von der Intestaterbfolge hinzunehmen habe. Leide die Verfügung aber an Willensmängeln, so könne durch die Anfechtung die gesetzliche Erbfolge wiederhergestellt werden. Selbst wenn die Anfechtung nur zur Gültigkeit einer früheren Verfügung führe, so werde doch deutlich, daß nur ein fehlerfrei gebildeter Erblasserwille die Familie vom Nachlaß ausschließen könne. Auch in § 2079 BGB komme dieser Gedanke des Familienschutzes zum Ausdruck, weil bei einem familienbezogenen Motivirrtum die Anfechtung erleichtert werde. Das zeige sich letztendlich auch an der Beweislastregel des § 2079 Satz 2 BGB. Der Hinweis Stiegelers auf das Anfechtungsrecht ist jedoch nicht geeignet, den Gedanken des Familienschutzes zu rechtfertigen. § 2079 Satz 2 BGB selbst stärkt nicht die Position der Familie, sondern schwächt sie, weil die Anfechtung ausgeschlossen ist, soweit anzunehmen ist, daß der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung in gleicher Weise angeordnet hätte. Die Aufhebung oder Abänderung der Familienerbfolge bleibt dann bestehen. Sicherlich trägt die in § 2079 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastregelung ihrerseits zum Schutze des Familienerbrechts bei, aber insgesamt wird durch diese Regelung trotz des Irrtums eben doch der Bestand der letztwilligen Verfügung geschützt68 . Außerdem ist mit der Möglichkeit der Anfechtung irrtumsbehafteter letztwilliger Verfügungen des Erblassers kein Argument dafür gefunden, eine Einflußnahme Dritter generell zu verbieten. Diese Nonnen wollen eben nur erreichen, daß eine willensfehlerhafte letztwillige Verfügung nicht notwendig fortbesteht. Es ist damit aber nicht gesagt, daß das Familienerbrecht damit auch vor dem irrtumsfreien Willen eines Dritten geschützt werden soll. Das ist eine völlig andere Fragestellung.

67 Dissertation, S. 60fT., 66f 68 Eine weitere Abkehr vom Gedanken des Familienschutzes fmdet sich außerdem bei der Regelung der Anfechtungsberechtigung, nämlich in § 2080 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Selbst wenn die irrtumsbehaftete letztwillige Verfügung die gesetzliche Erbfolge aufgehoben hat, haben die futestaterben nicht automatisch die Möglichkeit, diese Verfugung zu beseitigen. Anfechtungsberechtigt ist nur derjenige, dem die Aufhebung der Verfügung zugutekommt und auf den sich der Irrtum bezogen hat. Ist dieser vor dem Erbfall verstorben, scheidet die Anfechtung generell aus (Staudinger-Otte, § 2080 RdNr. 19). Das Gesetz nimmt also in derartigen Fällen bewußt eine irrtumsbehaftete Abweichung von der futestaterbfolge in Kauf.

c. Der Gnmdsatz der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur

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b) Großfeld69 und Sens70 folgern die ausschließliche Autorität des Erblassers vor allem daraus, daß höchstpersönliche Rechtsgeschäfte ansonsten nur noch im Familienrecht zu finden seien. Diese Gemeinsamkeit erklären sie damit, daß das Erbrecht einen Schlußstrich nicht nur unter die wirtschaftliche, sondern auch unter die persönliche und familiäre Lebensführung des Erblassers ziehe. Jede Abkehr von der Intestaterbfolge stelle nunmehr einen Eingriff in die familiären Verhältnisse des Erblassers dar. Kein Außenstehender solle in diesen Bereich hineinwirken können, da ihm die dazu notwendige Autorität fehle71. Diese Autorität beruht nach der Auffassung von Sens72 einmal darauf, daß ein Außenstehender Art und Intensität familiärer Bindungen schlecht einschätzen könne. Desweiteren habe er kein Interesse daran, das fiir ihn fremde Vermögen sachgerecht zu verteilen. Im Gegensatz zu der Situation eines Stellvertreters bei Rechtsgeschäften unter Lebenden sei er auch dem Vollmachtgeber gegenüber nicht verantwortlich.

3. Eigene Ansicht

a) Sens spricht zur Begründung ihrer Ansicht zwei unterschiedliche Gesichtspunkte an. Zunächst solle die Autorität des Erblassers daraus zu folgern sein, daß dessen eigenverantwortete Willensbildung aufgrund seines bestmöglichen Einblicks in die familiären Verhältnisse von besserer Qualität sei als die eines außenstehenden Dritten. Das ist zweifelhaft. Es ist letztendlich nicht mehr als eine bloße Behauptung, einem Dritten derartige Einblicke abzusprechen. Besonders nahestehende Personen, beispielsweise der Ehegatte, können die familiären Beziehungen ähnlich wie der Erblasser selbst einschätzen. Unter Umständen haben sie sogar bessere Einblicke, weil es ja auch denkbar ist, 69

JZ 1968, S. 113,118.

70

S. 85fT.

71 Großfeld, JZ 1969, S. 113,121, will eine Entscheidung eines Dritten allerdings nur dann untersagen, wenn dieser darüber zu bestimmen habe, ob das Vennögen innerhalb der Familie verbleiben oder an einen familienfremden Dritten fallen solle. Sogar diese Einschränkung solle nicht gelten, wenn der Dritte selbst Familienmitglied sei. Zulässig müsse es außerdem jederzeit sein, einem Dritten die Wahl nur zwischen Familienangehörigen oder nur zwischen Familienfremden zu gestatten. Diese Überlegungen werden von Zimmennann, Quos Titius Voluerit, S. 26, zu Recht kritisiert. Es ist unverständlich, warum der Dritte dann nicht auch die Wahl haben sollte, zwischen Familienangehörigen und Familienfremden zu wählen. Es besteht nämlich kein Unterschied, ob die Erwartungen eines Familienangehörigen zugunsten eines anderen Familienmitgliedes oder aber zugunsten eines Familienfremden beeinträchtigt werden. 72 S. 89f.

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Teil 2, Kap. 1: Der gesetzliche Ausgangspllllkt

daß gewisse Umstände nur und gerade dem Erblasser verborgen geblieben sind73 . Die Autorität des Erblassers ließe sich auf den ersten Blick allenfalls noch mit der Erwägung rechtfertigen, eine letztwillige Verfügung stelle im Regelfall das Produkt reiflicher Überlegungen dar, die der Erblasser über lange Jahre hinweg vorgenommen habe. Wegen des Grundsatzes der freien Widerruflichkeit letztwilliger Verfügungen könne er eine einmal getroffene Anordnung jederzeit aufheben oder ergänzen74. Anders würde es sich bei der Erklärung des Dritten verhalten. Diese würde erst nach dem Tod des Erblassers erfolgen, dem Dritten würde damit eine wesentlich kürzere Bedenkzeit verbleiben. Seine Entscheidung würde sofort Rechtswirkungen zeitigen, sie wäre gerade nicht frei widerruflich. Daraus wäre dann abzuleiten, daß eine Entscheidung des Erblassers selbst aufgrund der ihm zustehenden größeren Bedenkzeit regelmäßig zu angemesseneren Ergebnissen führen würde als die sofortige Entscheidung eines Dritten. Letztendlich ist aber auch diese Erwägung nicht tragfähig. Eine derartige Idealisierung der Willensbildung durch den Erblasser selbst entspricht nicht der Realität. Es mag sein, daß letztwillige Verfügungen im Regelfall gerecht und angemessen sind. Zuweilen sind sie das aber gerade nicht, nämlich dann, wenn der Erblasser unvernünftige oder ungerechte Entscheidungen trifft. Derartigen Anordnungen spricht niemand ihre Wirksamkeit ab, sofern nicht ausnahmsweise ein Verstoß gegen § 138 BGB in Rede steht. Außerdem - und dies ist ein gewichtiger Einwand - kann es im Einzelfall gerade Ausdruck einer verantwortlichen Willensbildung sein, wenn der Erblasser einen Dritten in die Entscheidung mit einbindet. So verhält es sich nämlich immer dann, wenn diesem Dritten gegenüber dem Erblasser ein Informationsvorsprung zur Verfügung steht, der es ihm ermöglicht, die Auswirkungen einer letztwilligen Verfügung nachhaltiger abzuwägen. Schlußendlich zeigt sogar das Gesetz selbst, daß es der Willensbildung des Erblassers einen nicht allzu hohen Stellenwert beimißt. Ein Mindetjähriger kann nach § 2229 Abs. 1 BGB bereits mit Vollendung des sechzehnten Lebensjahres ein Testament errichten. Bei der Anordnung einer Betreuung kann sich ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 Abs. 2 BGB gerade nicht auf Verfügungen von Todes wegen beziehen. 73 Eben deshalb besteht auch die Möglichkeit, letztwillige Verfügungen anzufechten. fusofern ist Stiegelers Hinweis auf das Anfechtungsrecht (oben C V 2a) in Wahrheit ein Argument gegen seine Überlegung.

74 Das Gesetz verlangt filr den bindenden Erbvertrag in § 2276 BGB nicht ohne Grund die Wahrung spezieller FOlIDvorschriften und gestattet darüber hinaus auch dem Erblasser selbst dessen Anfechtung, § 2281 BGB. Für das dem Erbvertrag in Bezug auf die Bindungswirkung vergleichbare gemeinschaftliche wechselbezügliche Ehegattentestament besteht zu Lebzeiten beider Ehegatten eine Widerrufsmöglichkeit, § 2271 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.

c. Der Gnmdsatz der Selbstentscheidung im Spiegel der Literatur

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Das Gesetz erlaubt damit sogar denen die Errichtung einer letztwilligen Verfugung, denen es die sachgerechte Erledigung ihrer eigenen, lebzeitigen Angelegenheiten nicht zutraut. Die These einer angeblich sachgerechteren Entscheidung durch den Erblasser selbst kann hiermit nicht vereinbart werden. b) Überzeugender ist demgegenüber Sens' Hinweis auf die fehlende Verantwortung des Dritten gegenüber dem Vollmachtgeber. Dieser greift den signifikanten Unterschied zwischen einer Stellvertretung bei Rechtsgeschäften unter Lebenden und denen von Todes wegen auf, der bereits oben bei der Stellungnahme zu Großfelds Vergleich zwischen der Drittbestimmung im Erbrecht und der Generalvollmacht bei lebzeitigen Rechtsgeschäften erarbeitetet wurde75 . Anders als bei der Bevollmächtigung unter Lebenden muß der zu einer Zuteilung des Nachlasses ermächtigte Dritte gerade nicht befiirchten, vom Ermächtigenden zur Verantwortung gezogen zu werden. Hierin ist eine ganz wesentliche Funktion einer Mißbilligung der Stellvertretung bei letztwilligen Verfügungen zu sehen. Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf Dritte könnte - ungeachtet dessen, ob die Entscheidung des Dritten sachlich "richtiger" ist als die des Erblassers selbst - dazu fuhren, daß sich dieser auch von eigenen Interessen lenken lassen und so seine Entscheidung nach sachfremden Erwägungen treffen könnte76 . Dann wäre er Vorhaltungen der übergangenen, in ihren Erwerbshoffnungen enttäuschten Familienangehörigen ausgesetzt. Diese würden sich mit der Entscheidung oft nicht abfinden, sondern nach Mitteln und Wegen suchen, diese zu revidieren. Gerade wegen der bei letztwilligen Verfügungen oft beträchtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen würden sie auch den Gang zu Gericht erwägen. Jedenfalls, und darin besteht der maßgeblichste Unterschied, würden die Beziehungen unter Lebenden getrübt, nicht das Verhältnis der Familienangehörigen zum verstorbenen Erblasser. Die Zulässigkeit von Drittbestimmungen würde dadurch Konfliktsituationen provozieren, die bei einer Entscheidung durch den Erblasser selbst nicht entstehen könnten77 . Selbst fiir den Fall, daß der Dritte tatsächlich zu einer angemessenen und gerechten Entscheidung findet, ist die Gefahr von Konfliktsituationen nicht gänzlich aus der Welt geschafft. Auch damit ist nämlich noch nicht gesagt, daß das von den benachteiligten Angehörigen ebenso empfunden werden wird. 75 Oben C IV 3. 76 Wie hier Soergel-Loritz, § 2064 RdNr. 2; von Lübtow, Band I, S. 136; Vogels, DR 1939, S. 310. Ähnlich Staudinger-Otte, § 2064 RdNr. 4.

77 Diese Erwägungen lassen sich durch einen weiteren Rückgriff auf das Recht der Bevo1hnächtigung stützen. Nach § 168 BGB ist eine Bevolhnächtigung über den Tod des Volhnachtgebers hinaus möglich. Anders als im Falle der §§ 2064,2065 BGB ist der Bevolhnächtigte dann aber den Erben des Volhnachtgebers verantwortlich. Dazu Haegele, Rpfleger 1968, S. 345ff

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Teil 2, Kap. I: Der gesetzliche AusgangspWJkt

In eigenen Angelegenheiten urteilt man nun einmal nicht mit der gleichen Objektivität wie bei Belangen Dritter. Selbst in diesem Falle besteht die soeben genannte Konfliktgefahr fort.

VI. Zusammenfassung Die Darstellung hat gezeigt, wie schwierig es ist, die Funktionen herauszuarbeiten, die das Gesetz mit den §§ 2064, 2065 BGB verfolgt. Viele der in der Literatur vorgetragenen Ansichten können nicht überzeugen. Das gesetzliche Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit des Erblassers ist allerdings gleichwohl nicht überflüssig78 . Es verfolgt zunächst ein gesellschaftspolitisches Anliegen. Entgegen Großfeld ist dieses aber gerade nicht darin zu sehen, daß so die Verteilung des Nachlasses auf mehrere erreicht werden soll. Stattdessen soll die Bildung unveräußerlichen Vermögens nicht durch die Einräumung nachträglicher Anpassungsmöglichkeiten über Gebühr gefördert werden. Des weiteren entfalten die §§ 2064, 2065 BGB eine friedenstiftende Funktion. Die Unterbindung der Einflußnahme Dritter vermeidet eine Situation gegenseitigen Mißtrauens. Entgegen Großfeld und Sens resultiert diese Funktion aber nicht aus der angeblich angemesseneren oder richtigeren Willensbildung durch den Erblasser selbst. Entscheidend ist vielmehr, daß der Dritte als bindungsloser Stellvertreter des Erblassers immer dem Verdacht ausgesetzt sein kann, er werde seine Entscheidung nach sachfremden Gesichtspunkten treffen. Beide Funktionen stellen sicherlich keine unverzichtbaren erbrechtlichen Prinzipien dar. Sie sind gleichwohl für sich genommen sachlich gerechtfertigt. Nachfolgend soll nun geklärt werden, wie dieser Befund in die Gesamtheit der gesetzlichen Regelung eingebunden werden kann.

78 Anders aber Zimmennann, Quos Titius Voluerit, S. 50.

Kapitel 2

Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen - Gründe für das Zusammenspiel von Grundsatz und Ausnahmeregelungen Die gesetzliche Regelung der Selbstentscheidung setzt sich aus dem schon oben behandelten grundsätzlichen Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit und einer Vielzahl von Ausnahrnevorschriften zusammen. Die Analyse dieser Gesamtheit von Normen ist Gegenstand des nun folgenden Teiles. Dazu sollen zunächst die einzelnen Ausnahrnevorschriften dargestellt und in ihren Rechtsfolgen analysiert werden. Darauf aufbauend wird dann der Versuch unternommen werden, diese Ergebnisse mit den Schlußfolgerungen des vorangegangenen Kapitels zu verbinden.

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB Die Regelung des § 2065 BGB wird durch eine Vielzahl von Ausnahrnevorschriften gelockertl.

1 Die Ausnahmen zu § 2065 BGB wurden zwn ganz überwiegenden Teil erst von der zweiten Kommission in ihrer heute gültigen Fonn eingefi1hrt:. Der erste Entwurf erklärte in § 1765 E I letztwillige Verfi1gungen dann filr nichtig, wenn sie nur vom Wollen eines Dritten abhängig gemacht wurden. In den §§ 1770, l777 E I wurde darüber hinaus die Festlegung von Begünstigtem oder Gegenstand einer Zuwendung durch Dritte untersagt. Diese Verbotsnonnen wurden nun nur ganz geringfügig durchbrochen. Zunächst war bei der Auswahl eines Testamentsvollstreckers die Bestimmung durch Dritte gestattet. § 1890 E I entsprach dem heutigen § 2198 BGB (es gab damals jedoch keine den §§ 2199, 2200 BGB entsprechenden Regelungen). Daneben war eine Drittbestimmung bei Wahl- und Gattungsvermächtnissen erlaubt, die §§ 1862, 1863 EI entsprachen den heutigen §§ 2154,2155 BGB. Zuletzt konnte bei Auflagen die Bestimmung der Person des Leistungsempflingers durch einen Dritten festgelegt werden, 4 Wagner

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Teil 2, Kap. 2: Der Sinn Wld Zweck der gesetzlichen Rege1Wlg im ganzen

I. Die Regelungen für Vermächtnisse Im Vennächtnisrecht ist der Grundsatz des § 2065 BGB sehr weitgehend aufgehoben. Allerdings sind der Bestimmungsbefugnis des Dritten gewisse Schranken gesetzt.

1. Drittbestimmungen über die Person des Vermächtnisnehmers

§ 2151 BGB enthält eine Vorschrift, wonach ein Dritter die Person des Vennächtnisnehmers bestimmen kann2 . Auf den ersten Blick scheint diese

§ 1886 E I verwies gerade nicht auf § 1770 EI (vgl. zu den einzelnen RegelWlgen des ersten Wld des zweiten Entwurfes die Übersicht im Anhang). 2 Umstritten ist, ob die EntscheidWlg des Dritten den Anfall des Vermächtnisses nach § 2178 BGB Wld damit dessen EntstehWlg festsetzt. GrWldsätzlich entsteht ein Vermächtnis mit dem Tod des Erblassers, § 2176 BGB. Nach § 2177 BGB kann der Erblasser diesen Zeitpunkt verschieben. Bei Schaffimg des Bürgerlichen Gesetzbuches stand die zweite Kommission auf dem Standpunkt, die EntscheidWlg des Dritten stelle eine BedingWlg dar, von der es abhänge, welche der vom Erblasser bestinunten Personen Vermächtnisnehmer werde (Protokolle, Band V, S. 28, 29). In der Tat handelt es sich bei der EntscheidWlg des Dritten um ein zukünftiges, Wlgewisses Ereignis, mithin um eine BedingWlg, so daß die §§ 2177, 2178 BGB eigentlich einschlägig sein müßten (vgl. hierzu schon oben Teil 2, Kap. 1, CI am Ende). Die herrschende MeinWlg (Staudinger-Otte, § 2178 RdNr. 3; MÜIlchener Kommentar-Skibbe, § 2178 RdNr. 3; Soerge1-Wolf, § 2178 RdNr. 4; Kipp/Coing § 55 IlI4) vertritt nWl aber die Ansicht, daß die BestinunWlg des Dritten gerade nicht BedingWlg für den Anfall sei. Das ergebe sich daraus, daß mangels BedingWlgseintritt, also mangels EntscheidWlg des Dritten, das Vermächtnis nicht wegfalle, sondern wegen § 2151 Abs. 3 BGB dem vom Erblasser vorgegebenen Personenkreis in Gesamtgläubigerschaft zustehe (Kipp/Coing, aaO). SÜlIDer hat nWl dezidiert nachgewiesen (S. 9lf.), daß die RegelWlg des § 2151 Abs. 3 BGB einer AnwendWlg der §§ 2177, 2178 BGB gerade nicht im Wege steht. Er zeigt, daß die herrschende MeinWlg zu Unrecht davon ausgeht, daß die Bedingtheit des Anspruches dessen grundsätzliches Bestehen nicht betreffe Wld nur dessen Qualität ändere. Richtigerweise sei der Individualanspruch von dem in Gesamtgläubigerschaft zu lösen. Erfolge die BestinunWlg durch den Dritten, so entstehe der Individualanspruch des Bedachten. Andernfalls komme der Anspruch eines jeden potentiell Bedachten in Gesamtgläubigerschaft zum Anfall. Diese subsidiäre VermächtnisanordnWlg in Gesamtgläubigerschaft sei damit als gesetzlich angeordnetes Ersatzvermächtnis zu qualifIZieren. Es besteht somit kein vernünftiger GrWld, entgegen der vom historischen Gesetzgeber gewollten Deutung den Anfall des Vermächtnisses nicht als von der BestimmWlg des Dritten abhängig anzusehen.

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB

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Ermächtigung schrankenlos zu sein. Nach allgemeiner Ansicht3 eröffnet sie aber gleichwohl nur eine begrenzte Bestimmungsbefugnis. Es ist dem Erblasser nämlich verwehrt, dem Dritten die Bestimmung der Person aus einer unüberschaubar großen Zahl möglicher Bedachter oder gar nach freiem Belieben zu gestatten. Vielmehr ist er gehalten, selbst einen hinreichend bestimmten Personenkreis vorzugeben4. Diese Beschränkung folgt aus der Vorschrift des § 2151 Abs.3 BGB. Danach sind die Bedachten Gesamtgläubiger, wenn die Bestimmung durch den Dritten nicht erfolgt. Diese Gesamtgläubigerschaft wäre praktisch nicht durchführbar, wenn die Zahl der Bedachten nicht feststeht oder unüberschaubar groß ist56 .

2. Drittbestimmung über den Gegenstand des Vermächtnisses

Die §§ 2153 bis 2156 BGB enthalten Vorschriften über die Bestimmung des Vermächtnisgegenstandes durch einen Dritten. Auch insoweit ist die Übertragung der Testierbefugnis nicht schrankenlos möglich. Der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung ist hier, daß der Erblasser den Gegenstand des Ver3 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: RGZ 96, 15, 17f.; OLG Düsseldorf JW 1925, S. 2147f. mit insoweit zustimmender Anmerkung von Herzfelder; MÜllchener Kommentar-Skibbe, § 2151 RdNr. 2; Soergel-Wolf, § 2151 RdNr. 2; Nieder, Handbuch, RdNr. 352. 4 MÜllchener Kommentar-Skibbe,

§ 2151 RdNr. 2.

5 Soergel-Wolf, § 2151 RdNr. 2. 6 Die in § 2151 Abs. 3 BGB filr den Fall der unterbliebenen Drittbestimmung getroffene Regelung bedarf einer näheren Untersuchung. Nach § 2151 Abs. 3 Satz 1 BGB sind die Bedachten Gesamtgläubiger. Dies bedeutet nun aber gerade nicht, daß damit alle potentiell Bedachten in den Genuß der Vennächtniszuwendung kommen. Nach § 428 Satz 1 BGB kann nämlich der Beschwerte zunächst einmal wahlweise an jeden der Bedachten leisten. § 2151 Abs. 3 Satz 3 BGB schließt außerdem den internen Ausgleichsanspruch des § 430 BGB im Zweifel aus. Demnach kann derjenige die Leistung endgültig behalten, an den der Beschwerte geleistet hat. Oe facto bedeutet das, daß in einem derartigen Falle das Bestimmungsrecht auf den Beschwerten übergeht (MÜllchener Kommentar-Skibbe, § 2151 RdNr. 14). Diese Regelung ist grundsätzlich sachgerecht. Der Erblasser wollte, daß der Vermächtnisgegenstand nur einer Person zugutekommt. Daher würde eine reine Gesamtgläubigerschaft mit interner Ausgleichspflicht seinem Willen nicht entsprechen. Andererseits muß Vorsorge filr den Fall getroffen werden, daß der ursprünglich vorgesehene Dritte die Entscheidung nicht treffen kann. Wenn der Erblasser hier keine Ersatzperson bestimmt hat, wird es seinem mutmaßlichen Willen am nächsten kommen, den Beschwerten bestimmen zu lassen, weil dieser ihm nahesteht und so in seinem mutmaßlichen Willen zu handeln in der Lage ist.

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Teil 2, Kap. 2: Der Sinn Wld Zweck der gesetzlichen RegelWlg im ganzen

mächtnisses entweder exakt festzusetzen oder aber doch hinreichend zu konkretisieren hat. Legt er den Gegenstand fest, so kann er nach § 2153 Abs. 1 BGB einem Dritten die Entscheidung überlassen, welcher Anteil mehreren Bedachten hieran jeweils zustehen so1l7 8. Will er demgegenüber einem Dritten die Entscheidung über den Gegenstand selbst übertragen, so ist dies nach den §§ 2154 bis 2156 BGB nur möglich im Falle eines Wahlvermächtnisses, Gattungsvermächtnisses oder bei einem Vermächtnis, dessen Zweck der Erblasser bestimmt hat9 . Bei einem Zweckvermächtnis muß der Dritte bei seiner Auswahl allerdings nach billigem Ermessen handeln, § 2156 Satz 2 BGB. Nach den §§ 2156,319 Abs. 1 Satz 2 BGB geht im letztgenannten Fall die Entscheidungsbefugnis auf ein Gericht über, wenn der Dritte die Entscheidung nicht treffen kann 10 . Diese beschränkte Ausgestaltung der Bestimmungsbefugnis über den Gegenstand des Vermächtnisses ist sachgerechtll . Jeder Begünstigung eines Vermächtnisnehmers steht eine entsprechende Belastung des oder der mit dem Vermächtnis beschwerten Erben 12 gegenüber. Wenn letztere nun vor der Entscheidung stehen, ob sie die Verfügung des Erblassers annehmen oder ausschlagen sollen, müssen sie dazu den Umfang der Nachlaßverbindlichkeiten kennen. Würde das Gesetz eine Drittbestimmung über den Vermächtnisgegenstand schrankenlos zulassen, bestünde Unklarheit, was den mit dem Vermächtnis Belasteten letztendlich verbleibt.

7 hn Einklang mit der oben in FN 3 zur Frage des Anfalles eines Vennächtnisses nach § 2151 BGB vertretenen Argwnentation filhrt die Erklärung des Dritten auch hier zwn Anfall des Vermächtnisses entsprechend § 2177 BGB, vgl. Stlnner, S. 92f 8 Hier [mdet sich fitr den Fall der Wlterbliebenen DrittbestimmWlg eine von § 2151 Abs. 3 BGB abweichende RegelWlg: Anders als bei der BestimmWlg der Person des Vennächtnisnehmers entOOlt das BestimmWlgsrecht. Stattdessen sind die Bedachten nach § 2153 Abs. 2 Satz 1 BGB zu gleichen Teilen berechtigt. 9 Nach der AuffassWlg des BGH in NJW 1991, S. 1885f., zählt der Bedachte selbst nicht zu den BestimmWlgsberechtigten Dritten im Sinne des § 2156 BGB. Das Gericht begründete diesen Standpunkt mit dem Ausnahmecharakter des § 2156 BGB Wld dem Fehlen eines praktischen Bedarfs fitr derartige AnordnWlgen.

10 Instruktiv hierzu die EntscheidWlg RG JW 1901, S. 856. 11 Außerdem würden praktische Schwierigkeiten entstehen, wenn der Dritte die EntscheidWlg nicht treffen will oder kann: Ist der Gegenstand als solcher nicht bestimmt, kann daran keine Gesamtgläubigerschaft entstehen.

12 Oder eines anderen Vermächtnisnehmers, § 2147 Satz 1 BGB.

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB

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3. Die fortdauernde Geltung der §§ 2064, 2065 Abs. 1 BGB

Die §§ 2064, 2065 Abs. 1 BGB haben demgegenüber in den §§ 2151ff. BGB keine Durchbrechung erfahren. Es ist demnach nicht zulässig, einem Dritten die Befugnis zu übertragen, an Stelle des Erblassers ein Vermächtnis neu zu errichten oder über die Gültigkeit einer Vermächtnisanordnung zu entscheiden 13 .

11. Die Drittbestimmung bei den sonstigen letztwilligen Verfügungen 1. Drittbestimmungen bei Auflagen

Bei Auflagen handelt es sich um letztwillige Verfügungen, nicht aber, wie § 2279 BGB zeigt, um Zuwendungen. Demnach dürfte für das Recht der Auflage eigentlich nur § 2065 Abs. 1 BGB gelten. § 2192 BGB erklärt aber auch § 2065 Abs. 2 BGB für anwendbar. Allerdings gilt auch hier das Verbot der Drittbestimmung nicht absolut. Eine Bestimmung bezüglich des Gegenstandes der Auflage ist zwar möglich, jedoch in weit geringerem Umfang als bei Vermächtnissen. § 2192 BGB verweist hierzu nur auf die §§ 2154 bis 2156 BGB, nicht aber auf den wesentlich weitreichenderen § 2153 BGB. Daneben erlaubt § 2193 BGB die Bestimmung der Person des Leistungsempfängers durch einen Dritten. Hierbei fehlt es an einer dem § 2151 Abs. 3 BGB entsprechenden Norm. Das liegt daran, daß wegen § 1940 BGB bei einer Auflage keine Gesamtgläubigerschaft entstehen kann. Anders als im Vermächtnisrecht ist es daher nicht erforderlich, daß der Erblasser den Personenkreis vorab konkretisiert l4 . Insoweit ist bei Auflagen eine weitere Bestimmungsbefugnis des Dritten möglich als bei Vermächtnissen l5 . Gegenüber der Regelung des § 2151 BGB ist andererseits zu beachten, daß der Erblasser die Drittbestimmung der Person des Leistungsempfängers nach § 2193 Abs. 1 BGB nur dann anordnen kann, wenn er den Zweck der Leistung bestimmt hat. Damit ist der Spielraum 13 Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß nach herrschender Meinung der Erblasser dem Dritten die Entscheidung übertragen kann, ob der Beschwerte selbst oder eine andere Person ein Vermächtnis erhalten sollen. Damit wird in den tatsächlichen Auswirkungen dasselbe Ergebnis erzielt wie bei einer Entscheidung des Dritten über die Gültigkeit (dazu MÜDchener Kommentar-Skibbe, § 2151 RdNr. 3). 14

Soerge1-Dieckmann, § 2193 RdNr. 1.

15 Soergel-Dieckmann, § 2193 RdNr. 1.

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Teil 2, Kap. 2: Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen

für Bestimmungen durch Dritte über Person und Gegenstand gegenüber der Rechtslage bei Vermächtnissen auch wieder beschränkt l6 .

2. Drittbestimmungen bei der Anordnung einer Testamentsvollstreckung und bei Teilungsanordnungen

§ 2048 Satz 2 BGB erlaubt die Einschaltung eines Dritten bei Teilungsanordnungen. Allerdings ist es nur möglich, den Dritten Entscheidungen nach billigem Ermessen zu erlauben. Es handelt sich hierbei zwar um eine Vorschrift, die die Einschaltung Dritter gestattet, allerdings nicht um eine Durchbrechung speziell des § 2065 BGBI7. Das "Ob" einer Teilungsanordnung hat der Erblasser selbst zu bestimmen, § 2065 Abs. 1 BGB ist damit nicht berührt. § 2065 Abs. 2 BGB ist nicht betroffen, weil der Erblasser die wertmäßige Zuordnung des Nachlasses bereits vorab unverrückbar festgelegt hat, der Dritte soll nur noch die konkrete Verteilung der einzelnen Gegenstände regeln. Im Ergebnis bedeutet dies, daß § 2048 Satz 2 BGB die nach einem e-contrarioSchluß zu § 2065 BGB unbeschränkt zulässige Bestimmung Dritter über die gegenständliche Verteilung des Nachlasses auf solche nach billigem Ermessen beschränkt. Die §§ 2198 bis 2200 BGB erlauben die Einflußnahme Dritter hinsichtlich der Festlegung der Person des Testamentsvollstreckers. Auch hier gilt grundsätzlich § 2065 Abs. 1 BGB, der Erblasser hat die Testamentsvollstreckung als solche selbst anzuordnen. Daher stellen auch diese Normen keine rechtstechnische Durchbrechung des § 2065 BGB dar. Für § 2200 BGB ist jedoch anerkannt, daß das Nachlaßgericht dem Ersuchen des Erblassers nicht unbedingt nachkommen muß l8 . ·Das beruht auf dem Wortlaut der Vorschrift und dem Willen des historischen Gesetzgebers 19. Insofern kann für diesen speziellen Fall entgegen § 2065 Abs. 1 BGB auch über das "Ob" einer letztwilligen Verfügung entschieden werden, wenn auch mit der Besonderheit, daß diese Bestimmung durch ein Gericht erfolgt. 16 Dabei ist zu beachten, daß sich die Bestimmung des Zwecks oft bereits aus der Angabe des Personenkreises ergibt, Protokolle, Band V, S. 31. Daher scheitert die Zulässigkeit derartiger Anordnungen regelmäßig nicht aus einer fehlenden Angabe des Zwecks. 17 So aber wohl Ennan-Schmidt, § 2064 RdNr. 3.

18 So die ganz herrschende Meinung, etwa BayObLGZ 1964, 153; OLG Hanun, Rpfleger 1984, S. 316; Staudinger-Reimann, § 2200 RdNr.8; Palandt-Edenhofer, § 2200 RdNr. 2. Anders nur MÜllchener Kommentar-Brandner, § 2200 RdNr. 5. 19 Dazu Protokolle, Band V, S. 251.

A. Die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB

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III. Analyse der gesetzlich gestatteten Einschaltung Dritter Das Gesetz durchbricht den Grundsatz der Selbstentscheidung in vielfacher Weise. Dabei sind zwei Feststellungen zu treffen. - Die Durchbrechungen des Grundsatzes der Selbstentscheidung unterliegen zunächst immer gewissen Schranken. Der Erblasser ist fast immer dazu angehalten, das "Ob" einer letztwilligen Verfügung selbst zu bestimmen. Daneben muß er auch über die konkrete Ausgestaltung seiner jeweiligen Verfügungen vielfach selbst Vorgaben treffen. Bei Vermächtniszuwendungen obliegt es ihm insbesondere, den Kreis der in Frage kommenden Personen zu individualisieren; außerdem kann er die Bestimmung des Vermächtnisgegenstandes niemals dem freien Belieben des Dritten überlassen. Bei Auflagen hat er deren Zweck vorzugeben, des weiteren ist hier die Bestimmung über den Gegenstand selbst nur in begrenztem Umfang möglich. - Zum zweiten wird die gesetzliche Regelung dadurch geprägt, daß die Einflußnahme Dritter inhaltlich auf "zwei Ebenen" gestattet wird: Sie ist zunächst immer dann möglich, wenn es nur noch darum geht, die vom Erblasser in den wesentlichen Grundzügen bereits vorgegebene Vermögensverteilung letztverbindlich umzusetzen. Hierzu ist auf die Regelung über die Drittbestimmung bei Wahl- und Gattungsvermächtnissen, die entsprechenden Regelungen für Auflagen, die Entscheidung Dritter bei Teilungsanordnungen und die Bestimmung der Person des Testamentsvollstreckers zu verweisen, denen gemeinsam ist, daß der Erblasser hier die Grundentscheidungen über die Vermögenszuordnung bereits selbst getroffen hat. Bei der Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen ist dem Dritten aber auch die planerische Gestaltung der Nachlaßzuwendung erlaubt20, also die Entscheidung über die wertmäßige Beteiligung am Nachlaß. Im Vermächtnisrecht ist diese Ermächtigung insoweit beschränkt, als der Erblasser bezüglich des in Frage kommenden Personenkreises eine Vorabentscheidung zu treffen hat. Bei Auflagen fehlt diese Einschränkung. Stattdessen hat der Erblasser deren Zweck zu bestimmen. Sieht man diese Folgerungen im Lichte der oben den §§ 2064, 2065 BGB zugemessenen Funktionen, so ist festzuhalten, daß das Spannungsverhältnis inhaltlich konträrer Normen nur zwischen § 2065 Abs. 2 BGB einerseits und den Regelungen andererseits besteht, die die Einschaltung Dritter bei der planerischen Gestaltung der Nachlaßzuwendung gestatten. Alle anderen die Einschaltung Dritter gestattenden Vorschriften stellen keine Durchbrechung der 20 Dies gilt eventuell auch bei Wahlvennächtnissen nach § 2154 Abs. 1 BGB, wenn die zur Wahl stehenden Gegenstände von erheblich verschiedenem Werte sind.

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Teil 2, Kap. 2: Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen

Funktionen des Grundsatzes der Selbständigkeit dar. Für die §§ 2048 Satz 2, 2198 Abs. 1 und 2199 Abs. 1, Abs. 2 BGB gilt dies bereits aus rechtstechnischer Sicht, weil der Dritte hier nicht über Zuwendungen zu entscheiden hat. Außerdem durchbrechen sie diesen Grundsatz auch der Sache nach nicht, weil sie dem Dritten nur Konkretisierungsentscheidungen erlauben, nachdem die wesentliche Vermögenszuordnung bereits verbindlich getroffen wurde. Deswegen kann es nicht zu den von den §§ 2064, 2065 BGB mißbilligten Konfliktsituationen kommen21 . Der letztgenannte Gesichtspunkt gilt auch für die §§ 2154 Abs. 1, 2155 Abs. 2, 2156 BGB und die diesbezügliche Verweisung in § 2192 BGB. Ähnlich verhält es sich schließlich mit § 2200 BGB. Hier wird nur ein Gericht autorisiert - dieses ist als unabhängiges staatliches Organ frei von jedwedem Verdacht, es lasse sich bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen leiten. Damit ist der erste Schritt getan, um das grundlegende Anliegen der Gesamtheit der gesetzlichen Regelung zu charakterisieren.

B. Erster Versuch einer Charakterisierung der gesetzlichen Regelung I. Die bisherigen Erläuterungsversuche in Rechtsprechung und Literatur Im krassen Gegensatz zu den oben in Kapitel zwei referierten Deutungen der §§ 2064, 2065 BGB haben Rechtsprechung und Literatur bisher nur wenige Gedanken darauf verwendet, um zu begründen, warum das Gesetz sein anfängliches Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit an anderer Stelle relativiert. Im wesentlichen werden hierzu nur zwei Argumente vorgetragen. Zunächst betont man immer wieder einen Umstand, der schon bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgetragen wurde. Die gesetzliche Regelung habe Kompromißcharakter22 , eine schrankenlose Geltung des Grundsatzes der Selbstentscheidung widerspreche praktischen Erfordernissen23 .

21 Oben Teil 2, Kapitell, C V 3b.

B. Erster Versuch einer Charakterisierung der gesetzlichen Regelung

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Zum zweiten weist man darauf hin, diese Durchbrechungen seien "wegen ihrer geringen praktischen Konsequenzen" hinzunehmen24 .

11. Stellungnahme 1. Kritik an den bisherigen Begründungen

Diese Erwägungen greifen zu kurz, um die gesetzliche Regelung in ihrer Gesamtheit schlüssig zu erläutern. Es trifft zwar noch zu, daß das Gesetz letztendlich einen Kompromiß sucht zwischen dem Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit einerseits und dem Bestreben andererseits, die Testierfreiheit des Erblassers dahingehend zu erweitern, daß in gewissen Konstellationen auch die Einschaltung Dritter gestattet ist. Ob diese Kompromißlösung aber als gelungen zu bezeichnen ist, muß näher untersucht werden. Schlechterdings unzutreffend ist es nämlich, den gesetzlichen Kompromiß mit angeblich geringeren praktischen Konsequenzen der Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB rechtfertigen zu wollen. Die soeben angestellte Charakteristik der gesetzlichen Regelung25 hat ja gerade den Befund erbracht, daß die Einschaltung Dritter nicht nur bei der konkreten Ausgestaltung einer als solchen vom Erblassers bereits letztverbindlich vorgegebenen Vermögenszuordnung erlaubt ist, sondern daß diese bei Vermächtnissen und Auflagen auch und gerade hinsichtlich dieser Vermögenszuordnung selbst möglich ist. Vermächtniszuwendungen und Auflagen haben folglich unter Umständen ähnliche wirtschaftliche Konsequenzen wie Erbeinsetzungen. Es bedarf keiner näheren Erläuterung26 , daß das Gesetz hiermit unter Umständen die Zuordnung so umfangrei-

22 So ausdrücklich Münchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 2. 23 Vgl. etwa aus der Entstehungsgeschichte Protokolle, Band V, S. 28 (filr das Vennächtnisrecht) und Protokolle, Band V, S. 249 (fiir die Testamentsvollstreckung). Aus der Rechtsprechung RGZ 159,296,298 = DR 1939, S. 310, aus der Literatur etwa Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 30; Ennan-Schmidt, § 2065 RdNr. 7, Brox, Festschrift filr Bartholomeyczik, S. 54[., Westennann, Festschrift filr Möhring, S. 190, 196; Zirnmennann, Quos Titius Voluerit, S. 36ff. 24 So ausdrücklich Münchener Kommentar-Skibbe, § 2151 RdNr. 1; StaudingerOtte, § 2151 RdNr. 1, spricht von geringen "dogmatischen" Konsequenzen. 250benAill. 26 Dies wurde zudem oben in Teil 1, BI 3, bei der Darstellung der Frage nach der Zulässigkeit einer Drittbestimmung bei Universalvennächtnissen schon gezeigt.

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Teil 2, Kap. 2: Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im ganzen

cher Vennögenswerte gestattet, daß die in § 2065 BGB enthaltene Grundaussage vollkommen preisgegeben wird.

2. Eigene Ansicht

Die Grundüberlegung für die gesetzliche Kompromißregelung liegt auf der Hand. Das Gesetz will offensichtlich sowohl die dem Gebot der Eigenverantwortlichkeit zukommenden Funktionen der Konfliktvenneidung und der Unterbindung von Vennögensblockaden verwirklichen, als auch zugleich erreichen, daß der Erblasser bei Bedarf eben doch einen Dritten einschalten kann. Es wurde schon gezeigt27, daß eine schrankenlose Geltung des Gebotes der Selbstentscheidung zur Folge hätte, daß der Erblasser dann auch in den Fällen selbst entscheiden müßte, in denen ihm die für diese Entscheidung notwendigen Tatsachengrundlagen fehlen, nämlich dann, wenn diese erst in der Zukunft erkennbar werden. Die Einschaltung kann daher dazu dienen, dem Wunsch des Erblassers zu entsprechen, seine letztwillige Verfügung späteren Veränderungen anzupassen. Dann - die Protokolle umschreiben dies als "Fälle eines praktischen Bedürfnisses"28 - soll das grundsätzliche Gebot zur Eigenverantwortlichkeit offensichtlich gelockert werden. Bei einer Kompromißlösung stellt sich dann aber auch die Frage, ob durch dieses gleichzeitige Bekenntnis zu völlig unterschiedlichen Zwecksetzungen tatsächlich nur die jeweiligen Vorteile verwirklicht werden, oder ob sich diese nicht vielmehr wechselseitig neutralisieren. Werden durch die genannten Durchbrechungen nunmehr nicht, so könnte man fragen, die dem § 2065 BGB zugemessenen, als vorteilhaft erkannten Funktionen preisgegeben? Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb in voller Deutlichkeit, weil die Ausnahmevorschriften zu § 2065 BGB wie gezeigt zu erheblichen praktischen Konsequenzen fUhren können. Ein erster Hinweis zur Lösung könnte in der rechtstechnischen Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung zu sehen sein. Das Verbot des § 2065 BGB bezieht sich faktisch nur auf Erbeinsetzungen, weil es nur dort schrankenlos gilt. Die Übertragung der Testierbefugnis betreffend die planerische Gestaltung der Nachlaßzuwendung ist eben nur bei Vennächtnissen und Auflagen gestattet. Dem könnte durchaus ein sachlich gerechtfertigtes Anliegen zugrunde liegen. Erbeinsetzungen wirken dinglich, Vennächtniszuwendungen und Auflagen fUhren zu bloß schuldrechtlich wirkenden Rechtsbeziehungen. 27 Teil 2, Kapitell, C V 3a. 28 Vgl. filr das Vennächtnisrecht Protokolle, Band V, S. 28 und filr die Testaments-

VOllstreckung Protokolle, Band V, S. 249.

B. Erster Versuch einer Charakterisienmg der gesetzlichen Regelung

59

Der Plan des Gesetzes scheint demnach darin zu sehen sein, die Einschaltung Dritter auf Bereiche zu begrenzen, die eine gegenüber Erbeinsetzungen geringere Außenwirkung aufweisen. Ruft man sich die oben in Kapitel zwei29 dem Grundsatz der Selbstentscheidung beigemessenen Funktionen ins Gedächtnis, so kann dem eine gewisse innere Schlüssigkeit nicht abgesprochen werden. Die eine Funktion der §§ 2064, 2065 BGB wird so nämlich uneingeschränkt aufrechterhalten: Vinkuliertes Vermögen kann erbrechtlich nur im Wege von Erbeinsetzungen geschaffen werden, schuldrechtliche Rechtsbeziehungen unterbinden (kraft Rechtsgeschäft oder im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgende) Verfügungen nicht. Ob mit diesem Befund - der scheinbar völligen Preisgabe der friedenstiftenden Funktion der §§ 2064, 2065 BGB fur lediglich schuldrechtlich wirkende letztwillige Verfügungen - bereits eine hinreichende Erklärung gefunden ist, um aus der bei anfänglicher Betrachtung widersprüchlich erscheinenden Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung ein sinnvolles Ganzes zu machen, oder ob gerade wegen dieser Disparität noch Korrekturen erforderlich sind, soll nunmehr anband konkreter Fälle untersucht werden. Dabei soll zugleich geklärt werden, ob es der Gesichtspunkt der Unterbindung von Vermögensblockaden tatsächlich rechtfertigt, das bei einer wörtlichen Interpretation der §§ 2064,2065 BGB gegebene völlige Verbot der Einschaltung Dritter bei Erbeinsetzungen vollständig aufrechtzuerhalten, oder ob dem vom Reichsgericht und der herrschenden Literatur eingeschlagenen Weg zu folgen ist, wonach § 2065 BGB gerade auch bei Erbeinsetzungen eingeschränkt zu interpretieren ist30 .

29 Kapitel 2, J1I 2b zur Unterbindung der Bildung vinkulierten Vennögens; Kapitel 2, V 3b zur friedenstiftenden Funktion. 30 Vgl. oben Teil 1, B 11,2.

Te i I 3

Kapitell

Bestimmungen Dritter über Erbeinsetzungen oder Vermächtniszuwendungen und die Problematik von Umdeutungen Der nunmehr folgende Teil der Arbeit soll dazu dienen, die soeben aufgestellte Überlegung anband von in der Praxis entschiedenen Fällen zu verifizieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Dazu sollen von den oben in Teil I aufgezeigten Streitfragen zunächst diejenigen behandelt werden, bei denen die Entscheidung des Dritten die Rechtsnachfolge in der ersten auf den Erblasser folgenden Generation betraf. Es sind dies die Fallgruppen der Bestimmung Dritter über Person oder Gegenstand einer Erbeinsetzung, der Drittbestimmung bei Vermächtnissen sowie die Problematik von Umdeutungen.

A. Das Grundmodell- Bestimmungen Dritter über die Person des Erben oder den Gegenstand einer Erbeinsetzung J. Fallgruppen § 2065 BGB besagt, daß der Erblasser einem Dritten nicht gestatten kann, über die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung zu entscheiden sowie die begünstigte Person oder den Gegenstand einer Zuwendung festzulegen. Wie anhand der Rittergutsentscheidung l schon angesprochen wurde2 , soll es dem an sich klaren Gesetzeswortlaut zum Trotz gemäß der herrschenden Meinung in der Literatur im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts gleich1 RGZ 159, 296ff. =DR 1939, S. 310f.

2 Oben Teil 1, B I 1.

A. Bestimmungen Dritter über Person oder Gegenstand

61

wohl möglich sein, einem Dritten begrenzte Ennessensentscheidungen über die Person des Erben zu gestatten. In Rechtsprechung und Literatur werden nun einige hierzu verwandte Fallgruppen diskutiert, die, wie im folgenden zu zeigen sein wird, entgegen einiger anderslautender Stimmen identisch zu lösen sind. Es sind dies die Fälle der Bestimmung über den Zeitpunkt des Anfalles einer Erbeinsetzung (unten 1) sowie die der schiedsrichterlichen oder schiedsgutachterlichen Tätigkeit Dritter (unten 2).

1. Die Bestimmung über den Zeitpunkt der Erbenberufung

a) § 2065 BGB enthält keine Aussage zu der Frage, ob es dem Erblasser erlaubt ist, einem Dritten die Befugnis zu verleihen, über den Zeitpunkt des Anfalles einer Erbschaft zu bestimmen. Hat der Erblasser eine derartige Bestimmung getroffen, handelt es sich wegen der §§ 2103, 2105 Abs. 1 BGB um die Anordnung einer Nacherbschaft, bei der in Ennangelung einer anderweitigen Anordnungen die gesetzlichen Erben zu Vorerben berufen sind3 . Die Erklärung des Dritten führt dann zum Eintritt des Nacherbfalles. Hachenburg4 ist dafür eingetreten, derartige Ermächtigungen zuzulassen. Sein einziges Argument war, daß der Zeitpunkt des Anfalles der Erbschaft in § 2065 BGB nicht explizit aufgeführt worden ist. Diese Ansicht wird heute nicht mehr vertreten. Die ganz herrschende MeinungS hält derartige Ermächtigungen fiir unzulässig. Man stützt sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes6 . Das Gericht hatte sich darin der bereits von Flad7 vorgetragenen Argumentation angeschlossen, wonach der Zeitpunkt des Anfalles der Nacherbschaft unter den Gegenstand der Zuwendung gemäß § 2065 Abs. 2 Alternative 2 BGB falle, weil die Dauer der Rechtsinhaberschaft entscheidend sei fiir die Dauer der Nutzungsberechtigung. Das Gericht hatte so einer formalen Interpretation des Begriffs des Gegenstandes im Sinne von § 2065 Abs. 2 BGB eine Absage erteilt und stattdessen einen wirtschaftlichen Maßstab angelegt. b) Der Entscheidung des Bundesgerichtshof ist in der grundsätzlichen Tendenz zuzustimmen. Die Bestimmung des Zeitpunktes des Anfalles der 3 Vgl. hierzu schon oben Teil 2, Kapitell, C I. 4 DNotZ

1906, S. 321, 332. Kommentar-Grunsky, § 2106 RdNr. 1; RGRK-Johannsen, § 2106 RdNr. 4; Ennan-Schmidt, § 2106 RdNr. 3. 6 BGHZ 15, 199ff. = NJW 1955, S. 100f. 7 Planck-Flad, § 2106, 5. S MÜllchener

62

Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeutung

Nacherbschaft ist an § 2065 Abs. 2 BGB Überlegungen:

ZU

messen. Das ergibt sich aus zwei

aa) Das erste Argument fur die Gleichsetzung der Bestimmung über den Gegenstand einer Zuwendung mit der Festlegung der Dauer der Nutzungsberechtigung hatte der Bundesgerichtshof selbst vorgetragen: Die in § 2065 Abs. 2 BGB geregelte Entscheidung über die Person des Bedachten kann darauf hatte schon Flad8 hingewiesen - mit der Bestimmung des Zeitpunktes zuweilen eine untrennbare Einheit bilden. Ist der Dritte befugt, den Zeitpunkt festzulegen, so bestimmt er unter Umständen auch die Person des Bedachten. Hat der Erblasser beispielsweise nicht näher ausgeführt, wer Nacherbe sein soll, so sind nach § 2104 Satz 1 BGB diejenigen berufen, die gesetzliche Erben des Erblassers wären, wenn dieser zum Zeitpunkt des Nacherbfalles gestorben wäre. Damit ändert sich der Kreis der Nacherben im Laufe der Zeit, weil neue gesetzliche Erben entstehen und vorhandene wegfallen können. Bestimmt der Dritte nun den Zeitpunkt, so legt er zugleich fest, daß gerade die derzeit als Nacherben in Betracht kommenden Personen bedacht werden sollen9 . bb) Für die Ansicht des Bundesgerichtshofes spricht aber auch die oben 10 erarbeitete friedenstiftende Funktion des § 2065 BGB. Wenn der Erblasser demnach dazu angehalten ist, die sich durch die Ausübung seiner Testierbefugnis ergebenden Einschnitte in die Lebensverhältnisse seiner nächsten Angehörigen selbst vorzunehmen, so ist nicht zu unterscheiden, ob seine Anordnung die grundsätzliche Teilhabe oder aber die Dauer der Rechtsinhaberschaft betrifft. Vielmehr ist er zunächst einmal verpflichtet, alle die Eingriffe selbst 8 Planck-Flad, § 2106, S.

9 Ebenso verhält es sich übrigens im umgekehrten Fall: Hat der Erblasser dem

Dritten konkrete Vorgaben gemacht, anhand derer dieser seine Entscheidung auszurichten habe, und treten die fiir diese Vorgaben relevanten Tatsachen erst weit nach dem Tod des Erblassers zu Tage, so bestimmt der Dritte, der nun einen Erben auswählt, zugleich mit der Person auch den Zeitpunkt. Der Erblasser kann beispielsweise bestimmt haben, dasjenige seiner Kinder solle sein Erbe werden, welches ein Dritter als das geeignetste zur FortfiUmmg des Familienunternehmens erachte. Die Entscheidung des Dritten solle sich insbesondere nach der QualifIkation der Kinder richten. Im Zeitpunkt seines Todes hinterläßt der Erblasser drei Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Hier sind die QualifIkationen der Kinder beim Tod des Erblassers noch nicht erkennbar. Wenn der Dritte Jahre später eine Entscheidung oolt, weil er etwa zu dem Entschluß gekommen sein mag, die beiden älteren Kinder seien ungeeignet, das jüngste habe aber nunmehr die notwendige fachliche QualifIkation und genügend Lebenserfahrung gewonnen, so legt er mit seiner nunmehr erfolgenden Bestimmung der Person zugleich den Zeitpunkt fest. 10 Teil 2, Kapitell, C V 3b.

A. Bestimmungen Dritter über Person oder Gegenstand

63

anzuordnen, die die aus der Intestaterbfolge resultierende Verteilung der Erbmasse aufheben. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Frage nach der grundsätzlichen Beteiligung und der nach der Dauer einer eventuellen Berechtigung am Nachlaß. c) Diese Erwägungen haben gezeigt, daß der Bundesgerichtshof die Bestimmung Dritter über den Zeitpunkt des Anfalles einer Erbeinsetzung zu Recht dem § 2065 Abs. 2 BGB unterstellt. Man kann nun aber derartige Anordnungen nur dann pauschal für unzulässig erklären, wenn man auch sonst der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung folgt, daß es mit § 2065 BGB nur vereinbar ist, einem Dritten die Bezeichnung des Erben zu gestatten ll . Will man demgegenüber einem Dritten unter Umständen auch die Bestimmung des Bedachten erlauben, so muß man dann auch die Festlegung des Zeitpunktes erlauben. Beide Male geht es nämlich um Eingriffe Dritter in die Intestaterbfolge, es ist kein Grund ersichtlich, warum man diese unterschiedlich behandeln sollte. Vor allem aber ist die Festlegung des Zeitpunktes, wie gezeigt, zuweilen in der Bestimmung der Person mit enthalten. Wenn man letzteres für zulässig erklären will, erreicht man das unter Umständen nur über die Zulässigkeit der Festlegung des Zeitpunktes l2 .

2. Die testamentarische Anordnung von Schiedsgerichten oder Schiedsgutachten

Unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde in letztwilligen Verfiigungen nicht selten ein Schiedsverfahren angeordnet. Heute sind derartige Anordnungen so gut wie außer Gebrauch 13. Hinsichtlich der Frage nach der Tragweite des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit ist die Zulässigkeit derartiger Bestimmungen aber nach wie vor von Bedeutung. a) Eine schiedsrichterliche Befugnis kann verschiedenartig ausgestaltet sein. Der Erblasser kann sie zunächst einmal sehr weit fassen, etwa dahingehend, daß bei jedweder Streitigkeit über die Wirksamkeit einer Zuwendung in seinem (des Erblassers) Sinne zu entscheiden sei. Es handelt sich dann um die Einsetzung eines Schiedsgerichts bzw. eines Schiedsrichters, weil der Dritte 11 Hierzu schon oben Teil I, B I I, sowie unten, A II 3. 12 Inkonsequent daher Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 8, 30; Palandt-Edenhofer,

§ 2065 RdNr. 5, 6; von Lübtow, Band I, S. 878 und Brox, Erbrecht, RdNr. 104, 342, die sämtlich die Bestimmung über Person und Erbquoten in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht im begrenzten Umfange ftir zulässig erklären wollen, bei der Bestimmung über den Zeitpunkt aber der strengeren Ansicht des Bundesgerichtshofes folgen. 13 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 33, RdNr. 24.

64

Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vermächtnis und die Umdeutung

hier eine abschließende und bindende Entscheidung treffen soll14 15. Die gesetzliche Grundlage hierfur findet sich im Verfahrensrecht. § 1048 ZPO unterstellt, daß im Wege einer letztwilligen Verfügung ein Schiedsgericht eingesetzt werden kann l6 . Allerdings folgt aus § 1048 ZPO nur, daß derartige Anordnungen dann zulässig sind, wenn sie in gesetzlich statthafter Weise getroffen wurden. Dazu sind die Beschränkungen des sachlichen Rechts zu beachten 17. Erstreckt sich die Befugnis des Schiedsrichters daher auch darauf, den oder die Erben zu individualisieren oder den Gegenstand einer Erbeinsetzung festzulegen, könnte darin ein Verstoß gegen § 2065 BGB zu sehen sein. b) Hat der Erblasser lediglich bestimmt, der Dritte habe über eng begrenzte Voraussetzungen zu urteilen, beispielsweise über die Erfüllung der Voraussetzungen für den Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung, so handelt es sich um die Anordnung eines Schiedsgutachtens. Dessen Entscheidung tritt nicht an die Stelle des gerichtlichen Urteils, sondern bereitet letzteres nur durch die bindende Vorabentscheidung 18 einzelner Punkte vor 19 20. Obwohl das Gesetz hierzu keine nähere Bestimmung trifft, werden derartige Verfügungen allgemein für zulässig erachtet21 . Es ist allerdings anerkannt, daß es

14 MÜIlchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 6; Staudinger-Mayer-Maly, § 317 RdNr. 30; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 124 I 1. 15 Unter den Voraussetzungen des § 1027a zpo ist eine Klage vor den ordentlichen Gerichten dann unzulässig.

16 Vgl. BayObLGZ 30 (Jahrgang 1930), 75, 78; Staudinger-Otte (1994) Vorbem. zu §§ 1937 - 1941, RdNr. 6; von Lübtow, Band I, S. 113; Strohal, Erbrecht Band I, S. 123 Anmerkung 4.

17 ThomaslPutzo, ZPO, § 1048 RdNr. 1; BaumbachlLauterbach, ZPO, § 1048 RdNr.1. 18 Ist die Bestimmung des Schiedsgutachters offensichtlich unbillig, so ist diese analog § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. 19 BGHZ 6, 335, 338. 20 Nach herrschender Meinung (etwa MÜllchener Kommentar zur ZPO-Maier, § 1025 RdNr. 39) ist die Klage als unbegründet abzuweisen, wenn das Schiedsgutachten im Prozeß nicht vorgelegt wird. Der Grund liegt darin, daß der Kläger in diesem Falle beweisOOlig bleibt.

21 MÜllchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr.4. Eine Begründung emdet sich bei Kohler, DNotZ 1962, S. 125, 126. Er weist zutreffend darauf hin, daß in den §§ 1937ff BGB nicht alle denkbaren erbrechtlichen Ved:Ugungen aufgefiUut sind, wie etwa die §§ 332, 2197, 2336 BGB zeigen. Daraus läßt sich ersehen, daß alle die Anordnungen zulässig sind, die nicht ausdrücklich untersagt werden.

A. BestimmlUlgen Dritter über Person oder Gegenstand

65

auf diese Art und Weise nicht zu einem Verstoß gegen § 2065 BGB kommen darf22.

c) Bei der Frage nach einem Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstentscheidung behandelt die herrschende Meinung23 die Anordnung eines Schiedsgerichts und die eines Schiedsgutachtens gleich. Die Zulässigkeit sei abhängig von der Art der Bestimmungsbefugnis. Solle der Dritte den Willen des Erblassers nur ermitteln, entscheide er anstelle des gesetzlichen Richters. Das sei zulässig, so daß dem Dritten alle Streitigkeiten über Gültigkeit, Anfechtbarkeit oder Auslegung einer letztwilligen Verfügung wirksam übertragen werden könnten24 . Unzulässig sei es demgegenüber, einen Dritten zur "authentischen Interpretation" zu ermächtigen25 , da er dann das Testament selbst ergänze. d) Diese Differenzierung der herrschenden Meinung zwischen der Befugnis zur bloßen Willensermittlung und der zur authentischen Interpretation ist mehr als mißverständlich. Sie geht auf eine Entscheidung des Reichsgerichts26 zurück, der ein Testament zugrundelag, in dem die Erblasserin bestimmt hatte, ein Dritter solle ihr Testament "authentisch interpretieren". Dies wurde für unwirksam erklärt, weil § 2065 BGB verletzt sein sollte. Eine authentische Interpretation kann nun aber per Definition27 nur vom Verfasser selbst vorgenommen werden, nicht von einem Dritten, so daß dieser Begriff bereits deshalb nicht zur Unterscheidung zulässiger von unzulässigen Anord22 Es wird zwar kontrovers diskutiert, ob eine schiedsgutachterliche Tätigkeit insoweit an den Vorschriften des Verfahrensrechts (also nicht an § 2065 BGB) zu messen ist, als sie nicht rechtsgestaltend geprägt ist, sondern die FeststelllUlg von Tatbestandsmerkmalen beinhaltet (dazu SteinlJonas-Schlosser, Vor § 1025 RdNr. 24ft). Für die hier zu lUltersuchende FragestelllUlg der Festleg\Ulg der Person lUld des Gegenstandes einer ZuwendlUlg ist jedoch lUlbestritten, daß diese im Einklang mit dem Gebot der Höchstpersönlichkeit stehen muß (MÜllchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 6; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 10; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 5; Sens, S. 24). Das liegt daran, daß die KonkretisieflUlg der Person des Erben durch wertende EntscheidlUlgen auch rechtsgestaltend wirken kann lUld so dem materiellen Recht lUlter-

liegt. 23 MÜllchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 4, 6; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr.9, 10; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 13; von Lübtow, Band I, S. 142, 273; Sens, S. 24; ähnlich, jedoch sehr auf den Einzelfall bezogen RGZ 100, 76ff. Teilweise abweichend Staudinger-Otte (1994) Vorbem. zu §§ 1937 -1941 lUld § 2065 RdNr. 10. 24 Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 9.

25 Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 10; von Lübtow Band 1, S. 142; jeweils im Anschluß an RGZ 66, 103, 105f. 26 RGZ 66, 103ff. 27 Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 127. 5 Wagner

66

Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeutung

nungen verwendet werden sollte. Die Begriffswahl der herrschenden Meinung ist auch insbesondere deshalb abzulehnen, weil eine authentische Interpretation gerade keine Ergänzung des Willens des Verfassers darstellt, sondern nur eine bloße Ennittlung28 . Im weiteren Verlauf der Arbeit wird deshalb ausschließlich darauf abgestellt, ob der Dritte anstelle des Erblassers entscheidet29 . e) Die Behandlung letztwilliger Schiedsklauseln durch die herrschende Meinung ist aber auch der Sache nach inkonsequent. Oftmals erklären dieselben Stimmen, die dem Dritten in der der "Rittergutsentscheidung" zugrundeliegenden Fallkonstellation einen begrenzten Ermessensspielraum zuerkennen wollen, letztwillige Schiedsklauseln nur dann mit § 2065 BGB für vereinbar, wenn dem Schiedsgutachter oder Schiedsrichter gerade nicht die Befugnis verliehen wurde, die letztwillige Verfügung im Interesse des Erblassers zu ergänzen30 . Hier soll also eine Ermessensentscheidung unzulässig sein. Dem kann nicht gefolgt werden. Es kann nämlich nicht darauf ankommen, ob der Erblasser bestimmt hat, "deIjenige der Söhne seiner Nichte solle Erbe des Ritterguts werden, den diese auswähle31 ", oder ob er angeordnet hat, "das Rittergut solle dem zufallen, den die Nichte durch schiedsrichterliche oder schiedsgutachterliche Tätigkeit ennittle". Diese beiden qualitativ identischen Wege der Einflußnahme auf letztwillige Verfügungen müssen gleich behandelt werden. Die Frage der Zulässigkeit von Entscheidungen Dritter ist damit in beiden Fällen gleich zu lösen32 .

11. Die diesbezügliche Deutung des § 2065 BGB in Rechtsprechung und Literatur Die Darstellung hat gezeigt, daß Bestimmungen über den Zeitpunkt und schiedsgutachterliche bzw. schiedsrichterliche Bestimmungen ebenso zu behandeln sind wie Bestimmungen über Person oder Gegenstand einer Erbein28 So wohl auch SteiniJonas-Schlosser, § 1048 RdNr. 3.

29 Wie hier Ennan-Schmidt, § 2065 RdNr. 4. 30 Münchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 4, 6; Soerge1-Loritz, § 2065

RdNr. 9; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 6,7, sowie letztendlich auch das Reichsgericht selbst, vgl. unten FN 35. 31 So der der Rittergutsentscheidung zugrunde liegende Sachverhalt, vgl. oben Teil 1, B I 1. 32 So auch Stiegeier, Dissertation, S. 118. Ebenso für den Fall der Anordnung eines Schiedsgutachtens Staudinger-Otte (1994) Vorbem. zu §§ 1937 - 1941 RdNr. 10 und § 2065 RdNr. 11.

A. Bestimlmmgen Dritter über Person oder Gegenstand

67

setzung. Ob hier § 2065 BGB vollinhaltlich aufrechtzuerhalten oder aber im Einklang mit den überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten einengend zu interpretieren ist, soll nachfolgend geklärt werden.

1. Die Ansicht des Reichsgerichts

a) Das Reichsgericht33 hatte im Rittergutsfall eine letztwillige Verfügung für wirksam erachtet, in der ein Dritter vom Erblasser dazu ermächtigt wurde, den Erben nach sachlichen Gesichtspunkten auszuwählen. Das Gericht hatte im einzelnen ausgeführt, der Erblasser sei zunächst einmal nicht gehalten, den Erben namentlich zu benennen. Darüber hinaus sei es ihm ohne Verstoß gegen § 2065 BGB34 möglich, einen eng begrenzten Kreis von Personen vorzugeben, aus denen der Erbe nach bestimmten sachlichen Kriterien ausgewählt werden solle. Zulässig sei es, diese Auswahl von einem reinen Werturteil des Dritten abhängig zu machen, unzulässig sei es nur, den Dritten willkürlich entscheiden zu lassen. b) Das Reichsgericht hatte seine Ansicht kaum begründet35 . Es hatte neben einem Hinweis auf ein "praktisches Bedürfnis" für derartige Bestimmungen nur pauschal festgestellt, der Grundgedanke des § 2065 BGB verbiete dem Erblasser ausschließlich, die Erbeinsetzung von der Willkür des Dritten abhängig zu machen. Warum § 2065 BGB aber nur diesen Grundgedanken enthalten und entgegen seinem Wortlaut doch in begrenztem Umfang die Einflußnahme Dritter ermöglichen soll, hat das Gericht nicht weiter untersucht. c) Die obergerichtliche Rechtsprechung wurde durch die reichsgerichtliche Entscheidung vor erhebliche Probleme gestellt. Dazu soll exemplarisch auf drei Urteile des Oberlandesgerichts Celle eingegangen werden. Das Ge-

33 RGZ 159,296, 299f. = DR 1939, S. 310. 34 Ein Angabe des Absatzes erfolgte nicht. 35 Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil die Literatur zu diesem Zeitptmkt überwiegend für eine strenge BefolgtUlg des Gebotes des § 2065 BGB eingetreten ist, vgl. etwa Planck-Flad, § 2065 RdNr. 2; Kretzschmar, Erbrecht, S. 40. Anders allerdings die AuffassWlg von Boehm, Erbrecht, S. 58. Abgesehen von der zu diesem Zeitptmkt bereits gefestigten RechtsprechWlg, wonach einem Vorerben die Befugnis erteilt werden könne, die Nacherbfolge im Nachhinein zu modifIzieren (vgl. oben Teil 1, FN. 20), hatte das Gericht auch selbst bei der Interpretation des § 2065 BGB einen eher strengen Maßstab abgelegt, vgl. RGZ 66, 103, 105; 100, 76, 77 (Beide EntscheidWlgen ergingen zur AnordnWlg letztwilliger Schiedsklauseln, hierzu schon oben Wlter A I 2. Das Gericht hatte in der RittergutentscheidWlg auf diese beiden Urteile nicht einmal Bezug genommen).

68

Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetztmg, Vennächtnis Wld die Umdeutung

richt hatte einmal die Wirksamkeit eines Testamentes zu überprüfen36 , in dem der Erblasser den Eintritt der Nacherbfolge davon abhängig gemacht hatte, daß entweder dem Vorerben die notwendige Wirtschaftsfähigkeit fehle oder daß die Nacherbin aufgrund ihrer allgemeinen Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften zur Fortführung des Hofes geeigneter erscheine. Diese Entscheidung über den Bedingungseintritt sollte von einem Kollegium getroffen werden, dessen Mitglieder genau festgelegt waren. Das Oberlandesgericht berief sich auf die Rechtsprechung des Reichsgerichtes in der Rittergutsentscheidung und lehnte die Gültigkeit dieses Testamentes ab37 . Der Eintritt der Nacherbfolge hänge hier von der Willkür der Bestimmungsberechtigten ab. Diese Subsumtion ist überraschend. Die Vorgaben an die Bestimmungsbefugten waren hier teilweise sogar enger als in dem der reichsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt, da die als Bedachte in Frage kommende Person hier bereits namentlich feststand. Außerdem wurden für die Bestimmung konkrete Vorgaben gemacht. Im krassen Gegensatz zu dieser Entscheidung steht ein Urteil, das das Gericht zwei Jahre zuvor getroffen hatte3 8 . Hier hatte es eine Drittentscheidung sogar dann für zulässig erachtet, wenn das Testament gerade keinerlei Auswahlgesichtspunkte enthielt, diese aber "aus den bestehenden familiären und bäuerlichen Verhältnissen" erschlossen werden könnten39 . In der dritten Entscheidung4° wurde eine Anordnung für gültig erachtet, nach der derjenige von zwei Söhnen Erbe werden sollte, der "dazu aufgrund seiner Vorbildung, Veranlagung und sonstiger Fähigkeiten am besten geeignet war". Zur Begründung hatte sich das Gericht erneut auf die reichsgerichtliehe Rechtsprechung berufen41 . 36 RdL 1955, S. 137f 37 Dagegen wurde nicht weiter untersucht, ob die in der Drittentscheidung hier mit enthaltene Festlegung des Zeitpunktes der Nacherbfolge überhaupt von § 2065 BGB erfaßt wird, dazu oben All. 38 OLG Celle RdL 1953, S. 211 f. 39 Mit derselben Erwägung hat das OLG Köln, FamRZ 1995, S. 57f, kürzlich eine ganz ähnliche Anordnung einer Drittbestimmung filr zulässig erklärt. Allerdings ist es nicht nachvollziehbar, wie sich das Gericht veranlaßt sah auszuftlhren, "die reichsgerichtliche Ansicht habe in Rechtsprechung und Literatur allgemein Zustimmung erhalten", nachdem es an anderer Stelle sogar selbst auf die vom reichsgerichtlichen Standpunkt abweichende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Bezug genommen hat Gedoch nur vergleichsweise). 40 OLG Celle NJW 1958, S. 953f

41 Die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende Entscheidung BGHZ 15, 199ff. = NJW 1955, S. 100f., wurde nur am Rande erwähnt, obwohl die zu beurteilende Anordnung nach den dortigen Kriterien schwerlich filr zulässig erachtet werden konnte.

A. Bestinuntmgen Dritter über Person oder Gegenstand

69

2. Literaturansichten

a) Die Entscheidung des Reichsgerichtes hat in der Literatur überwiegend Zustimmung erfahren42 . Es finden sich daneben aber auch Stimmen, die zwar im Einklang mit dem Gericht für die Zulässigkeit einer Entscheidung durch Dritte eintreten, dies aber nicht wie das Reichsgericht nach dem Ausmaß der dem Dritten verschafften Bestimmungsbefugnis lösen wollen, sondern abhängig von der Motivation des Erblassers entscheiden. Nach der Auffassung von Harry Westermann43 , Großfeld44 und Stiegeler45 sollen nämlich Bestimmungen eines Dritten dann und nur dann zulässig sein, wenn sich der Erblasser zu seinen Lebzeiten über den konkreten Inhalt seiner letztwilligen Verfügung aufgrund von damals noch bestehenden Unsicherheiten keine abschließenden Vorstellungen machen konnte. Unzulässig seien derartige Anordnungen nach den genannten Autoren demnach dann, wenn der Erblasser selbst vor der eigenen Entscheidung zurückschreckte und die Last der Verantwortung auf einen Dritten übertragen wollte. Diese Ansicht scheint zunächst enger zu sein als die des Reichsgerichtes, weil die Ermessensentscheidung des Dritten von einer zusätzlichen Voraussetzung abhängig gemacht wird. Entgegen dem Reichsgericht können diese Autoren wohl auch die der Rittergutsentscheidung zugrunde liegende letztwillige Verfügung nicht für wirksam erklären46 , weil dort die Bestimmung durch den Dritten unmittelbar nach dem Tod des Erblas-

42 MÜIlchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 16; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 35; Soerge1-Loritz, § 2065 RdNr. 30; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 16; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 6, der zwar in der Tenninologie dem Bundesgerichtshof, der Sache nach aber dem Reichsgericht folgt; Boehm, Erbrecht, S. 58; LangelKuchinke, § 25 12; Brox, Erbrecht, RdNr. 104; Ebenroth, Erbrecht, RdNr. 186; Leipold, Erbrecht, RdNr. 223; Bartz, DNotartag 1965, S. 52, 67; Johannsen, WM 1972, S. 914, 924; Klunzinger, BB 1970, S. 1197,1199; Rohs, DNotZ 1951, S. 371f., mit kritischer Grundhaltung zustimmend auch Vogels, DR 1939, S. 310 (wonach die Entscheidung keine Nachahmung verdiene); einschränkend nunmehr Erman-Schmidt, § 2065 RdNr. 8. 43 Festschrift für Möhring, S. 183,195. 44 JZ 1968, S. 113, l20ff. Großfeld hält den vom Reichsgericht eingeschlagenen Weg für richtig. Zwischen seiner Ansicht und der Entscheidung des Reichsgerichtes besteht aber ein gewisser Unterschied, dazu sogleich im Text.

45 Dissertation S. llOff., l15ff. Stiege1er betrachtet seine Überlegungen allerdings als eigene, neue Ansicht und unterläßt einen Hinweis darauf, daß er zumindest im Ergebnis mit der Ansicht Westermanns und Großfe1ds übereinstimmt. 46 So auch Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 34; Keim, S. 90 mit weiteren Nachwei-

sen.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeutung

sers getroffen wurde47 und weil sich aus dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt auch nicht ergibt, daß kurz nach dem Tod des Erblassers eine fiir diesen noch nicht abschätzbare Entwicklung der fiir die Erbeinsetzung maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Dann hätte der Erblasser aber seinen Erben auch noch selbst auswählen können. In Wahrheit ist diese Ansicht aber wesentlich weiter, weil gerade nicht verlangt wird, daß der Erblasser dem Dritten gewisse Kriterien vorzugeben habe, innerhalb derer die Entscheidung zu treffen sei. Das bedeutet, daß der entscheidungsbefugte Dritte völlig frei entscheiden kann, sobald nur die zur Rechtfertigung dieser Einschaltung erforderliche "Anstandsfrist" verstrichen ist. b) Einige Autoren wollen die Einschaltung eines Dritten sogar in noch größerem Umfange gestatten. Rötelmann48 spricht sich unter Hinweis auf § 2048 S. 2 BGB fiir die Zulässigkeit einer Ermächtigung aus, wonach der Dritte nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. Nach der Meinung von Sens49 sind gar Entscheidungen nach freiem Ermessen möglich, weil § 2151 Abs. 1 BGB auf § 2065 BGB analoge Anwendung finden solle. Diese Stimmen verlangen einschränkend nur, daß der Personenkreis möglicher Bedachter noch überschaubar ist und daß die vom Dritten getroffenen Bestimmung nicht

47 Gerade hier zeigt sich, daß zwischen den Ansichten Westermanns, Großfelds und Stiegelers und der des Reichsgerichts ein Unterschied besteht. Stellt man auf die Zumutbarkeit fiIr den Erblasser ab, so liegt der entscheidende Unterschied zum Reichsgericht darin, daß nur dann die Einmischung eines Dritten zugelassen werden kann, wenn sie sich auf einen Zeitpunkt weit nach dem Tod des Erblassers bezieht oder wenn eine neue Entwicklung eingetreten ist, die dieser noch nicht abschätzen konnte. Stiegeler, Dissertation, S. 117, erklärt allerdings, seine Ansicht laufe im Endeffekt auf die des Reichsgerichts hinaus. Das triffi nur insofern zu, als er nur einen begrenzten Auswahlspielraum zulassen möchte. Andererseits verlangt er ausdrücklich, daß der Erblasser die Last der Verantwortung dann nicht auf einen Dritten abschieben dürfe, wenn er selbst die Entscheidung hätte treffen können. Darin liegt ein Unterschied zur Auffassung des Reichsgerichtes. Stiegeler entwickelt seinen Standpunkt zwar dahingehend weiter, daß eine Flucht des Erblassers aus seiner Verantwortung im Regelfall dann nicht anzunehmen sei, wenn er enge Kriterien vorgegeben habe. Damit kommt er der Ansicht des Reichsgerichtes ziemlich nahe, ein grundsätzlicher Unterschied bleibt freilich bestehen. Großfeld, JZ 1968, S. 113,122, will mit seiner Argumentation ebenfalls die Ansicht des Reichsgerichtes stützen. Anders Westermann, Festschrift Möhring, S. 183, 195, der darauf hinweist, daß seine Argumentation der des Reichsgerichtes widerspreche.

48 Rötelmann, NJW 1958, S. 953 als Anmerkung zu OLG Celle aaO. 49 Sens, S. 97ff. Sens beschränkt ihre Untersuchung zwar auf die Frage der Zulässigkeit einer freien Bestimmung der Person des Emptangers einer Zuwendung durch einen Dritten. Sie müßte aber bezüglich des Gegenstandes einer Zuwendung in konsequenter Fortftlhrung ihrer Argumentation zum selben Ergebnis kommen.

A. Bestimnnmgen Dritter über Person oder Gegenstand

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gegen die §§ 138, 226 BGB verstößt. Vor allem aber halten sie es auch für möglich, daß die Entscheidung des Dritten sofort nach dem Tod des Erblassers erfolgen kann.

3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

a) Im krassen Gegensatz zu den oben angegebenen Stimmen aus Literatur und Rechtsprechung steht die schon oben angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1955 50 , in der zu untersuchen war, ob der Erblasser einem Dritten die Befugnis einräumen kann, über den Zeitpunkt des Anfalles der Nacherbschaft zu entscheiden. Nachdem das Gericht auch derartige Fälle zutreffend unter den Anwendungsbereich des § 2065 BGB subsumiert hatte 51 , führte es weiter aus, "es sei daran festzuhalten, daß der Erblasser nach § 2065 Abs. 2 BGB nur die Bezeichnung, nicht aber die Bestimmung der Person oder des Gegenstandes einer Zuwendung einem Dritten überlassen könne". Damit hat der Bundesgerichtshof der Auffassung des Reichsgerichtes eine klare Absage erteilt, auch wenn er das mit dem Hinweis abzuschwächen versuchte, "es könne dahingestellt bleiben, ob der Erkenntnis des Reichsgerichtes für den dort entschiedenen Rechtsstreit zuzustimmen sei52 ". Eine zulässige Bezeichnung solle nämlich nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nur dann vorliegen, wenn jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person in der Lage sei, den Bedachten oder den Gegenstand der Zuwendung ohne eigenes Ermessen festzulegen. Demgegenüber hatte das Reichsgericht ausdrücklich klargestellt, eine eigene Ermessensentscheidung des Dritten sei unter der Voraussetzung zulässig, daß das dem Dritten eingeräumte Ermessen nicht zu einer willkürlichen Entscheidungsbefugnis führe. b) Unklar ist, ob der Bundesgerichtshof - insoweit im Einklang mit der herrschenden Meinung in der Literatur53 - verlangt, daß der Erblasser den zur Bezeichnung ermächtigten Dritten namentlich benennt54 . Danach wäre es etwa unzulässig, ein Kollegium mit wechselnden Mitgliedern zur Konkretisie50 BGHZ 15, 199ff. =NJW 1955, S. lOOf 51 Vgl. dazu oben AI!.

52 Unzutreffend ist es deshalb, wenn die Entscheidung der Reichsgerichtes und die des Bundesgerichtshofes nebeneinander zitiert werden. So aber Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 6; Rötelmann, NJW 1958, S. 953f; Sudhoff, Betrieb 1966, S. 649; 650 und Dobroschke, Betrieb 1967, S. 803. Zu Recht hierzu kritisch Sens, S. 12. 53 Münchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 17; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 37, Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 32. 54 Anders OLG Celle, RdL 1955, S. 137f

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Teil 3, Kap. I: Erbeinsetzung, Vennächtnis Wld die Umdeutung

rung der letztwilligen Verfiigung zu ermächtigen. Diese Unklarheit resultiert aus einem Urteil aus dem Jahre 1965 55 , das unterschiedliche Deutungsweisen zuläßt. In dieser Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof ein Testament wegen eines Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB für unwirksam erklärt, weil der Erblasser die namentliche Benennung des Dritten unterlassen hatte. Weite Teile der Literatur56 verstehen dies dahingehend, daß der Bundesgerichtshof die nach seiner Rechtsprechung ausschließlich mögliche Bezeichnung von Person oder Gegenstand nur durch einen vorher individualisierten Dritten zulasse. Diese an sich naheliegende Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Der Bundesgerichtshof hatte dem Urteil nämlich seine eigene Rechtsansicht überhaupt nicht zugrundegelegt. Er hatte stattdessen auf die schon oben dargestellte Rechtsprechung des Reichsgerichts 57 als eine "in Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht" Bezug genommen. Nach dieser weitergehenden Interpretation war es durchaus denkbar, daß die fragliche Anordnung rur wirksam zu erklären war. Das Gericht hatte die Beantwortung dieser Frage jedoch mit dem Hinweis vermieden, "erforderlich sei stets, daß der Erblasser den Dritten benenne". Aufgrund der Formulierung, die Benennung des Dritten sei "stets" (ohne ein "nach dieser Auffassung") erforderlich, könnte man zwar mit den oben genannten Literaturstimmen der Meinung sein, auch jede Bezeichnung von Person oder Gegenstand könne nur einem namentlich benannten Dritten übertragen werden. Die Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichtes spricht jedoch dafür, daß der Bundesgerichtshof dieses Erfordernis nur hierauf beziehen wollte. Der fraglichen Entscheidung kann daher keine allzu große Bedeutung zugemessen werden. Es bleibt zumindest offen, ob eine Bezeichnung nicht auch durch nicht individualisierte Dritte erfolgen kann58 . 55 BGH NJW 1965, S. 2201 = LM § 2065 Nr. 5. 56 Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 35; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 32; Großfeld, JZ 1968, S. 113, 120; Zimmermann, Quos Titius Voluerit, S. 52; John, GrWldzüge des Erbrechts, RdNr. 34; Brox, Erbrecht, RdNr. 104. 57 Oben Wlter A TI 1. 58 Im übrigen ist zu beachten, daß es sich bei der angefuhrten EntscheidWlg gerade nicht um einen Fall handelte, bei dem ein Dritter den Begünstigten zu bestimmen hatte. Der Erblasser hatte nämlich bestimmt, "deIjenige seiner Söhne solle Erbe werden, der sich am besten für die Landwirtschaft eigne". Damit handelt es sich hier um einen Fall einer unbestimmten letztwilligen VerfiigWlg, der von den klassischen Fällen der Einflußnahme Dritter streng zu Wlterscheiden ist (im einzelnen Wlten unter B TI). Er zeichnete sich gerade dadurch aus, daß der Erblasser meinte, er selbst habe alles Notwendige mitgeteilt, um den Dritten zu individualisieren. Gerade deshalb war er auch gar nicht veranlaßt, eine entscheidWlgsbefugte Person zu benennen. § 2065 BGB

A. Bestimmungen Dritter über Person oder Gegenstand

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c) Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes haben sich nur einige wenige Stimmen in der Literatur angeschlossen59 .

111. Kritik an den verschiedenen Lösungsvorschlägen und eigene Ansicht Zu diesem Streit ist folgendes zu bemerken. Weder der Wortlaut des § 2065 BGB, noch dessen systematische Stellung oder Entstehungsgeschichte60 geben Anlaß, hieraus die Möglichkeit Bestimmungsbefugnis eines Dritten abzuleiten. Derartiges ließe sich demnach nur dann mit dem Gesetz vereinbaren, wenn dies vom Normzweck verlangt werden würde. Gegen eine derartige einschränkende Interpretation spricht zunächst, daß das Gesetz mit seinem Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit des Erblassers das Ziel verfolgt, den Erblasser dazu anzuhalten, selbst und eigenverantwortlich die :fur die konkrete Ausgestaltung der gewillkürten Erbfolge notwendigen Entscheidungen zu treffen. Nur diese selbständige Entscheidung des Erblassers vermeidet Konfliktsituationen, die bei Einschaltung eines Dritten zu be:furchten wären. § 2065 BGB ist danach keine überflüssige Norm, die Einschaltung des Drittwillens wird keinesfalls "zu stark verpönt"61. ist demnach nur dann auf diese Verfilgung anwendbar, wenn man die fragliche letztwillige Verfiigung dergestalt (ergänzend) auslegt, daß das Nachlaßgericht als Dritter den Begünstigten individualisieren solle. Demzufolge könnte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes sogar dahingehend verstanden werden, daß in den Fällen einer zu unbestimmten letztwilligen Verfilgung ein Nachlaßgericht gerade nicht zur Entscheidung berufen sein kann. Hierzu unten unter BI 2,3. 59 Kipp/Coing, § 18 III 4b; John, Grundzüge des Erbrechts, RdNr. 40; Schlüter, § 14 IV 4; SÜIll1er, S. 78; Planck-Flad, § 2065, 2, 3; Kretzschmar, Erbrecht, S. 40; SudhotT, DB 1966, S. 651, 1720; Dobroschke, DB 1967, S. 803; Schäfer, BWNotZ 1962, S. 188,200; Keim, S. 108ff (mit Einschränkungen). Unklar Model, Testamentsrecht, RdNr. 306 und von Lübtow, Band I, S. 145, Band II, S. 878, die beide einmal der Ansicht des Bundesgerichtshofes und einmal der des Reichsgerichtes folgen.

60 Die Motive, Band V, S. 35 sprachen sich filr die Unzulässigkeit jedweder Einschaltung eines Dritten aus. Die damals maßgebliche Regelung war in § 1765 des ersten Entwurfes enthalten (der Wortlaut dieser Norm wird im Anhang wiedergegeben). Die zweite Kommission stand auf demselben Standpunkt und strich sogar die noch im ersten Entwurf enthaltene Regelung, nach der bei einer derart nichtigen Regelung eine Miterbschaft der alternativ bedachten Erben vorliegen sollte, Protokolle, Band V, S. 29[ 61 So aber ohne Begründung Zimmermann, Quos Titius Voluerit, S. 50; Rötelmann, NJW 1958, S. 954.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis Wld die Umdeutung

Andererseits muß berücksichtigt werden, daß dem Wunsch des Erblassers zu angemessenen Regelungen im Einzelfall aufgrund der Unvorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung nur über eine Durchbrechung des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit Rechnung getragen werden kann62 . Gerade deshalb relativiert das Gesetz auch seinen ursprünglichen Ausgangspunkt und gestattet über die §§ 2151 Abs. 1,2153 Abs. 1,2192 i.Y.m. 2153 Abs. 1 und 2193 Abs. 1 BGB die Einschaltung Dritter gerade auch bezüglich der planerischen Gestaltung der Nachlaßzuteilung selbst63 . Daher könnte man durchaus daran denken, derartige vermögenszuordnende Grundentscheidungen auch im direkten Anwendungsbereich des § 2065 BGB zu gestatten, um so das Instrumentarium erbrechtlicher Gestaltungen zu erweitern. Freilich kann dies niemals dazu führen, jedes Handeln Dritter bei Erbeinsetzungen zu rechtfertigen. Wenn das Gesetz einerseits die Entscheidung Dritter gestattet, um angemessene Regelungen im Einzelfall zu ermöglichen, so bedeutet dies andererseits auch, daß die Einflußnahme Dritter eben nur dann gestattet werden kann, wenn eine diese rechtfertigende Unvorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung auch wirklich besteht. Es dürfen sich demzufolge die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände erst aus der weiteren zeitlichen Entwicklung ergeben64 . Ist sich der Erblasser nämlich hinsichtlich der Zuteilung seines Nachlasses direkt nach seinem Tod nicht ganz sicher und will er deshalb auf den Willen des Dritten abstellen, so reicht es aus, wenn er diesen vor der Niederlegung seiner letztwilligen Verfiigung lediglich um Rat fragt und die dann vom Dritten beeinflußte Entscheidung selbst trifft. Dies ist schon deswegen zu fordern, weil dann letztendlich er die Verantwortung trägt und nur so der friedenstiftenden Funktion des Gebotes zur Selbstentscheidung Rechnung getragen werden kann. Die in § 2065 BGB enthaltene Mißbilligung einer Drittentscheidung kann demnach nicht pauschal beiseite geschoben werden. Für das oben dargestellte Meinungsspektrum führt dies zu folgenden Konsequenzen:

62 Oben Teil 2, Kapitell, C V 3a. 63 Vgl. hielZU noch einmal Teil 2, Kapitel 2, A

m, B.

64 Sünner, S. 70, meint, derartige Fälle seien nur ausnahmsweise gegeben. Dem

kann nicht zugestinWlt werden. Derartige Konstellationen treten nämlich inWler dann auf, wenn die EntscheidWlg des Dritten zu einem Zeitpunkt weit nach dem Tode des Erblassers erfolgen soll.

A. Bestimnumgen Dritter über Person oder Gegenstand

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1. Billiges und freies Ermessen

Die Ansicht von Rötelmann und Sens, eine Drittbestimmung sei sogar dann zulässig, wenn sie in das billige65 oder gar das freie66 Ermessen eines Dritten gestellt werde, enthält gerade keine Einschränkung dahingehend, daß dies nur bei einer tatsächlichen Unübersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung zu gestatten ist. Da aber nur dann nach dem Plan des Gesetzes eine Einschaltung Dritter zulässig sein kann, ist den genannten Autoren bereits deshalb nicht zu folgen67 .

2. Zur Ansicht des Reichsgerichtes

a) Auch die vom Reichsgericht und der herrschenden Literatur vertretene Ansicht, eine objektiv begrenzte Entscheidungsbefugnis des Dritten sei generell zulässig, läßt sich nicht mit dem Normzweck des § 2065 BGB in Einklang bringen. Auch ihr kann deshalb nicht gefolgt werden. Das Reichsgericht wollte in der Rittergutsentscheidung eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis wie gezeigt bereits unter der Voraussetzung gestatten, daß hinsichtlich des Umfanges der Bestimmungsbefugnis gewisse Beschränkungen beachtet werden. Damit könnte der Erblasser einen Dritten mit der Entscheidung aber auch dann betrauen, wenn gerade keine Unklarheit bezüglich der weiteren Entwicklung bestünde. Die Rittergutsentscheidung zeigt das deutlich, weil hier die Entscheidung gleich nach dem Tod des Erblassers erfolgen sollte, ohne daß dies durch neue Umstände gerechtfertigt wurde. b) Otte68 weist ebenfalls auf diesen Gesichtspunkt hin, schließt sich aber gleichwohl dem Reichsgericht an. Er begründet dies damit, daß die nach dem 65 So Rötelmann, NJW 1958, 953.

66 So Sens, S. 92ff., 97ff. 67 Soweit Sens, S. 97ff., ihr Ergebnis auf eine angeblich aus dem Gnmdsatz der Gleichbehandlung zu folgernde Analogie zu einer ihrer Ansicht nach unbeschränkt zulässigen Drittbestimmung im Vennächtnisrecht stützt, ist diesen Überlegungen ebenfalls nicht zuzustimmen. Selbst wenn man die Ansicht von Sens teilen würde, wonach der rechtstechnische Unterschied zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung keine unterschiedliche Behandlung beider Institute rechtfertige, so ist die Lösung dieses Widerspruchs jedenfalls nicht über eine pauschale Gleichbehandlung zu suchen. Dann würde man die so bereits fragwürdige Regelung im Vermächtnisrecht auch noch auf andere Bereiche ausdehnen. Vgl. im übrigen zu der von Sens angesprochenen Problematik unten unter C. 68 Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 35.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis lUld die Umdeutung

Normzweck des § 2065 BGB "eigentlich erforderliche" Motivforschung zu einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führen würde69 . Diese Argumentation vermag letztendlich nicht zu überzeugen. Es trifft zwar zu, daß die Rechtssicherheit und die Tauglichkeit von Abgrenzungskriterien die juristische Dogmatik mit beeinflussen70. Es ist Otte auch zuzugestehen, daß das Abstellen auf die Motivation des Erblassers nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führt, weil der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung nicht notwendig Gründe für die Anordnung der Drittbestimmung mitgeteilt haben muß. Dann kann sie nur anband von Indizien ermittelt werden. Andererseits ist es aber für das Erbrecht gerade wesenstypisch, Abgrenzungsfragen über die Ermittlung der Beweggründe des Testierenden zu lösen. Stiegeler71 weist zutreffend darauf hin, daß etwa bei der Abgrenzung von Teilungsanordnungen zu Vorausvermächtnissen alle heute vertretenen Ansichten72 auf den Willen des Erblassers abstellen und daß es auch bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eine letztwilligen Verfügung darauf ankomme, was der Testator hiermit beabsichtigt habe73. Darüber hinausgehend erfordert die Auslegung letztwilliger Verfügungen wegen § 133 BGB immer die Erforschung der Motive des Testators74 . Daher spricht einiges dafür, auch für die vorliegenden Streitfragen zugunsten des teleologisch überzeugendsten Ergebnisses nach den Beweggründen des Erblassers zu fragen 75. Das entscheidende Argument gegen die Überlegung Ottes ist schließlich, daß er letztendlich nur den einen Problempunkt durch einen anderen ersetzt. Anstatt nach der Motivation des Erblassers zu fragen, muß nun nach dem Umfang des Ermessensspielraums des Dritten geforscht werden76. Die oben beispielhaft angeführten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle zeigen77, daß auch hierbei eine nicht unerhebliche 69 ZustimmlUlg bei Soerge1-Loritz, § 2065 RdNr. 30. 70 Vgl. Staudinger-Coing (1995), Einl. 1 zum BGB, RdNr 72; Larenz, Methodenlehre, S. 314; Zippe1ius, § 3 n b. 71 Dissertation, S. 70f. 72 BGHZ 36,115, 118f. =NJW 1962, S. 343,344; BayObLG MittRhNotK 1982, S. 40,42; Soergel-Wolf, § 2048 RdNr. 8 stellen ausschließlich auf den BegÜllStigilllgswillen ab. Loritz, NJW 1988, S. 2697, 2703fT., ihm folgend MÜllchener Kommentar-Dütz, § 2048 RdNr. 16, berücksichtigen daneben auch die Rechtsfolgen beider AnordnlUlgen. 73 Stiege1er, Dissertation, S. 71, lUlter Verweis aufKeuk, FarnRZ 1972, S. 9, 13. 74 Statt aller John, GrlUldzüge des Erbrechts, RdNr. 61. 75 Vergleiche außerdem Mikat, Festschrift fiir Nipperdey, Band I, S. 581, 600fT., der fiir die Frage, ob eine letztwillige Verfi1gilllg gegen Art. 3 GG verstößt, ebenfalls auf die Motivation des Erblassers abstellt.

76 So bereits Westennann, Festschrift fiir Möhring, S. 183,196. 77 ObenAn 1c.

A. BestimmWlgen Dritter über Person oder Gegenstand

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Unsicherheit besteht. Stellt man aber ausschließlich auf die Motivation des Erblassers ab, so entfällt die Frage nach dem Ermessensspielraum des Dritten.

3. Die innere Schlüssigkeit der Ansicht des Bundesgerichtshofes

a) Die Ansicht des Bundesgerichtshofes wird in der Literatur mit zwei Argumenten bekämpft. Zunächst weist man darauf hin, zwischen Bestimmung und Bezeichnung lasse sich nicht sinnvoll unterscheiden. Es bestehe lediglich ein verbaler, nicht jedoch ein tatsächlich durchführbarer Unterschied78 , weil auch jede Bezeichnung eine Wertung des Dritten erfordere79 . Der zweite Vorwurf ist der einer mangelnden Schlüssigkeit. Habe das Gericht mit dem Hinweis auf die zulässige Bezeichnung lediglich an die Fälle gedacht, in denen eine eigene Ermessensentscheidung des Dritten nicht denkbar sei, weil die Vorgaben des Erblassers so genau abgefaßt seien, daß die Bezeichnung jeder mit genügend Sachkunde ausgestatteten Person in gleicher Weise möglich sei, so sie es inkonsequent, auf eine ausdrückliche Benennung des entscheidungsbefugten Dritten zu bestehen8o . b) Diese beiden Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Sie sind zwar insoweit richtig, als sie bemängeln, daß auch nach der Ansicht des Bundesgerichtshofes Abgrenzungsschwierigkeiten nicht gänzlich vermieden werden können. Sie sind auch zutreffend, soweit dem Gericht vorgeworfen wird, es sei inkonsequent, auf der Benennung des entscheidungsbefugten Dritten durch den Erblasser selbst zu bestehen. Hierbei ist allerdings zu bedenken, daß unklar ist, ob der Bundesgerichtshof tatsächlich die namentliche Bestimmung des Dritten für erforderlich hält81 . Unzutreffend ist es jedoch, wenn durch diesen Vorwurf der Inkonsequenz der Eindruck erweckt werden soll, die Argumentation der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei gänzlich ungeeignet, die regelmäßig zu untersuchenden Fälle der Drittentscheidung praktikabel zu behandeln. aa) Der Bundesgerichtshof hat die Benennung des Erben von dessen bloßer Bezeichnung dadurch unterschieden, daß im letztgenannten Fall die Entscheidung gerade nicht von einem eigenen Ermessen des Dritten beeinflußt

Staudinger-Otte, § 2065, RdNr. 35. OLG Köln OLGZ 1984, S. 299,302 = Rpfleger 1984, S. 236f.; Staudinger-Otte, § 2065, RdNr. 35. 78 79

80 Staudinger-Otte, § 2065, RdNr. 35; Brox, Erbrecht, RdNr. 104; Ebemoth, Erbrecht, RdNr. 186. 81 Oben A II 3b.

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werde82 . Diese Abgrenzung kann und darf nun nicht dahingehend verstanden werden, daß eine Bezeichnung nur noch dann vorliege, wenn die Entscheidung des Dritten frei von jeglicher persönlicher Wertung bleibe. Das wäre letztendlich nur bei Zahlenbegriffen möglich, diese sind als absolute Meßgrößen frei von jeglicher weiteren Interpretation83 . Stattdessen ist immer dann von einer bloßen Bezeichnung auszugehen, wenn die dem Dritten übertragene Wertungsbefugnis die Grenzen der richterlichen Auslegungsbefugnis nicht überschreitet84 . So verhält es sich immer dann, wenn der Erblasser die zur Individualisierung des Erben erforderlichen Kriterien derart exakt vorgegeben hat, daß der Dritte den Bedachten aus dem Inhalt der letztwilligen Verfügung selbst ableiten kann85 . Im praktisch bedeutsamen Fall der Auswahl des Bedachten nach Eignung und Befähigung zur Fortführung eines Unternehmens würde es etwa nicht genügen, nur wertausftillungsbedürftige Begriffe wie Fleiß und Tüchtigkeit anzuführen. Der Erblasser ist stattdessen gehalten, die Art der Berufsausbildung anzugeben und den möglichen Zeitraum des Anfalles der Zuwendung auf wenige Jahre zu begrenzen. Bei mehreren potentiell Bedachten oder mehreren Auswahlkriterien muß die Gewichtung der einzelnen Abgrenzungskriterien erkennbar werden. Hat nun der Testator tatsächlich eine genügende Anzahl von Kriterien vorgegeben, so beschränkt sich die Tätigkeit des Dritten nur noch auf die Auslegung dieser Anordnung. Sind die Kriterien dagegen zu vage und ist dem Dritten die Auslegung nicht möglich, so ist die letztwillige Verfügung mangels genügender Bestimmtheit nichtig86 . Gerade hier zeigt sich übrigens erneut, daß die Fälle der Bestimmung oder Bezeichnung des Erben und die der schiedsgutachterlichen Befugnis gleich zu behandeln sind87 . Hat der Erblasser einen Dritten benannt, so handelt dieser als

82 BGHZ 15, 199,203. 83 Engisch, Einfilhrung in das juristische Denken, S. 108. 84 Wie hier auch Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1199 und Lüderitz, ESJ Erbrecht, S. 150. Auch Stein/Jonas-Schlosser, § 1048 RdNr. 3 schlägt für die Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen schiedsrichterlichen Bestimmungen über die Person des Erben vor, nur dann einen Verstoß gegen § 2065 BGB zu verneinen, wenn der Erblasser seine letztwillige Verfiigung "subjektiv vollständig" gestaltet habe. Auch dieses Kriterium dürfte im Ergebnis auf die oben vorgeschlagene Unterscheidung hinauslaufen. 85 Zu dieser allgemeingültigen Unterscheidung zwischen Auslegung und Ermessen statt aller Kopp, VwVfG, § 40 RdNr. 3. 86 Sofern der letztwilligen Verfiigung nicht ausnahmsweise über die §§ 2072, 2073 BGB zur Wirksamkeit verholfen werden kann, dazu Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts, S. 165. 87 Dazu schon oben A I 2.

A. BestimmWlgen Dritter über Person oder Gegenstand

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SChiedsgutachter8 8, auch wenn der Erblasser nicht ausdrücklich diesen Begriff verwendet hat. Er hat dann die letztwillige Verfügung verbindlich auszulegen. Fehlt eine derartige Ernennung, obliegt die Auslegung dem Nachlaßgericht. bb) Die hier vorgeschlagene Differenzierung hat der Bundesgerichtshof auch selbst einmal angedeutet. In einer späteren Entscheidung89 hat er darauf hingewiesen, die Befugnis zur Auslegung sei immer mit § 2065 BGB zu vereinbaren90 . c) Gegen diese Überlegung kann auch nicht eingewendet werden, der Erblasser habe überhaupt keine Veranlassung, eine Entscheidung durch einen Dritten anzuordnen, wenn er selbst die Kriterien zur Individualisierung des Erben bereits derart exakt vorzugeben hat, daß regelmäßig eine eindeutige Entscheidung zu treffen ist. Erforderlich ist nämlich nur, daß die Vorgaben im Regelfall eine eindeutige Individualisierung erlauben. Aufgrund unerwarteter Entwicklungen könnten sich dann immer noch Unklarheiten ergeben91 . Der Erblasser kann sich dessen bewußt sein und deshalb durch die Anordnung einer Entscheidung eines Dritten eine Vorsorge für den Fall künftiger Streitigkeiten treffen wollen. d) Es hat sich gezeigt, daß die vom Bundesgerichtshof geforderte Unterscheidung zwischen Bestimmung und Bezeichnung in sich schlüssig ist. Es ist damit allerdings noch nicht gesagt, daß sie auch dem Plan des Gesetzes am nächsten kommt. Zunächst ist diese Betrachtungsweise nicht notwendig praktikabler als die Westermanns, Großfelds und Stiegelers. Auch bei der Ausle-

88 Ist ihm auch die Befugnis eingeräumt, den Rechtsstreit im Ganzen zu entscheiden, kann es sich auch um eine schiedsrichterliche Befugnis handeln. 89 WM 1970, S. 930,931; ebenso Staudinger-Otte (1994) Vorbem. zu §§ 1937 1941, RdNr. 7.

90 Allerdings kann dem BWldesgerichtshof nicht in dem dort gefundenen konkreten Ergebnis gefolgt werden. In der zu Wltersuchenden VerfiigWlg war bestimmt, der Erbe solle mit Erreichen des 21. Lebensjahres zum Zuge kommen, wenn er seine EignWlg durch "Fühnmg Wld LeistWlg" Wlter Beweis gestellt habe. Diese Vorgabe war nach dem hier vertretenen Standpunkt entgegen der MeinWlg des Gerichtes zu weit, weil die Abgrenzungskriterien zu wenig konturiert waren Wld jegliche Vorgabe fiI.r ihre GewichtWlg fehlte. 91 Ein denkbarer AnwendWlgsbereich könnte sich etwa bei der Vorgabe gewisser Kriterien der BerufsausbildWlg ergeben. Ordnet der Erblasser beispielsweise an, sein Erbe solle nur zum Zuge kommen, wenn er ein wirtschaftswissenschaftliches Studium abgeschlossen habe, so kann der Dritte zur BeurteilWlg der Frage berufen sein, ob der Erblasser den Studiengang zum Wirtschaftsingenieur als wirtschaftswissenschaftliches Studium verstanden hatte.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vermächtnis Wld die Umdeutwlg

gung einer letztwilligen Verfügung verbleibt eine Restunsicherheit92 . Vor allem aber verweist der Bundesgerichtshof den Erblasser für Drittbestimmungen auf den Weg der Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen, während die genannten Autoren diese gerade auch bei Erbeinsetzungen ermöglichen wollen. Dem Bundesgerichtshof ist daher nur dann zu folgen, wenn es neben dem Wortlautargument auch noch sachliche Gründe dafür gibt, bei Erbeinsetzungen die Mitwirkung Dritter auf die bloße Auslegung der letztwilligen Verfügung zu beschränken.

4. Das Grundproblem - Die sachliche Berechtigung einer eingeschränkten Deutung des § 2065 BGB

a) Auf den ersten Blick scheinen sogar gute Gründe für die Ansicht Westermanns, Großfelds und Stiegelers zu sprechen. Diese wollen dem Erblasser dann von der Verpflichtung zu einer abschließenden Willensbildung befreien, wenn ihm für eine eigene Entscheidung nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Das Gesetz will in derartigen Fällen den Erblasser auch nicht zu einer eigenen Entscheidung zwingen, weil es die strenge Regel des § 2065 BGB durch eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften durchbricht. Daher könnte man durchaus daran denken, sich über den Wortlaut des § 2065 BGB in derartigen Situationen hinwegzusetzen und das Gesetz im Sinne eines "beschränkten Bekenntnisses zur Eigenverantwortlichkeit" zu interpretieren. Methodisch würde es sich hierbei um eine teleologische Reduktion handeln93 , weil außerhalb des noch möglichen Wortsinns der Anwendungsbereich des § 2065 BGB beschränkt wird94. b) Im Ergebnis ist den genannten Autoren jedoch nicht zu folgen. Es trifft zwar zu, daß das Gesetz tatsächlich bei einer Unklarheit über die weitere Entwicklung entgegen dem Grundsatz des § 2065 BGB die Einschaltung Dritter ermöglichen will. Anders als Großfeld, Westermann und Stiegeier und im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gibt es aber gute

92 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 294f, wonach dem Richter bei der ErmittlWlg des entscheidWlgserheblichen Sachverhaltes ein eigener EntscheidWlgsspielrawn verbleibt. 93 Zur DefInition der teleologischen Reduktion als Beschränkung des AnwendWlgsbereiches einer Norm entgegen ihrem Wortlaut Staudinger-Coing (1995), Eint. 1 zwn BGB, RdNr. 126; Larenz, Methodenlehre, S. 366ff., 377, 391; Hübner, Allgemeiner Teil, RdNr. 69; Zippelius, § 11 I b, Ir b.

94 Anders Großfeld, JZ 1968, S. 113, 114. Er meint, seine Deutwlg des § 2065 Abs. 2 BGB entspreche noch einem möglichen Sprachgebrauch.

A. BestinuntUlgen Dritter über Person oder Gegenstand

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Gründe, derartiges nur über die Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen zu gestatten. Die hieraus folgende Beschränkung des erbrechtlichen Gestaltungsspielraumes - ein Vermächtnisnehmer kann beispielsweise nicht durch einen Erbschein ausgewiesen werden95 - ist zugunsten anderer vom Gesetz als schützenswert erachteter Rechtspositionen hinzunehmen. Dieser Gesichtspunkt wurde bereits in den Protokollen96 angesprochen, er ist auch heute noch uneingeschränkt gültig. Aus methodischer Sicht fehlt es daher an der für eine teleologische Reduktion erforderlichen verdeckten Lücke97, an einem zu weit geratenen Wortlaut des § 2065 BGB. aa) Zunächst würde der erbrechtliche Gestaltungsrahmen nicht wesentlich erweitert werden, wenn man die Drittbestimmung über die Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen hinaus auch bei Erbeinsetzungen anerkennen würde. Zwar können im Vermächtniswege bzw. über Auflagen nur Vermögensvorteile, nicht aber Verbindlichkeiten übertragen werden. Dies ist aber ohne größere praktisches Bedeutung, weil bei der Zuwendung eines überschuldeten Nachlasses immer die Gefahr besteht, daß der Begünstigte diese ausgeschlagen wird, so daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß er auch Erbe bleiben wird. Des weiteren können über Vermächtnisse und Auflagen Vermögensvorteile beliebiger Art zugewendet werden, §§ 1939, 1940 BGB. Eine betrags- oder quotenmäßige Beschränkung existiert nicht, so daß dieser Weg für die Bedürfnisse des Erblassers auch völlig ausreichend ist98 . Außerdem ist es im Vermächtnisweg und über die Anordnung von Auflagen sogar möglich, einem Dritten die Festlegung des Zeitpunktes zu gestatten, zu 95 Zu gewissen Unterschieden kann es auch im Unternelunensrecht kommen. Der Erbe eines einzelkaufinännischen Handelsunternelunens haftet nach § 27 HGB, wenn er das Unternelunen fortfiihrt. Diese Norm gilt nicht für Vermächtnisneluner, Heymann-Emmerich, HGB, § 27, RdNr. 5. Dieser haftet nach § 25 HGB nur dann, wenn er nach Erfiillung des Vermächtnisses das Unterne1unen unter Beibehaltung des Finnennamens fortführt. Hat in einem derartigen Falle der Erbe selbst das Unternehmen bis zur Erfiillung des Vermächtnisses fortgefiihrt, so haftet er nach § 27 HGB (vgl. hierzu Staub-Hüffer, § 27 RdNr. 7; § 25 RdNr. 8; BaumbachIHopt, HGB, § 25, RdNr. 4). 96 Protokolle, Band V , S. 30. 97 Larenz, Methodenlehre, S. 377, 391ff. 98 Die herrschende Meinung (etwa RGZ 96, 15, 17; Münchener KommentarSkibbe, § 2153 RdNr. 2; Staudinger-Otte, § 2153 RdNr. 1; Soergel-Wolf, § 2153 RdNr. 1; Erman-Schmidt, § 2153 RdNr. 1; Palandt-Edenhofer, § 2153 RdNr. 1) läßt es zu Recht zu, die Ermächtigung bezüglich der Drittbestinunung der Person des Bedachten mit der der Beteiligung an einem Gegenstand zu verbinden. Sie weist zutreffend darauf hin, daß eine Verbindung dieser Ermächtigungen die Interessen des Belasteten nicht stärker beeinträchtige, als es bei einer isolierten Übertragung der Entscheidungsbefugnis der Fall sei. 6 Wagner

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dem der Begünstigte eine Zuwendung erhalten soll. Diese Fragestellung wurde zwar, soweit ersichtlich, bis dato noch nicht untersucht99, sie löst sich jedoch zwanglos nach denselben Kriterien, die schon oben 100 dazu herangezogen wurden, die Zulässigkeit derartiger Bestimmungen bei Erbeinsetzungen zu beurteilen: Wie im Recht der Erbeinsetzung fehlt es zwar sowohl bei den §§ 2151ff. BGB als auch bei den §§ 2192f. BGB an einer ausdrücklichen Regelung über die Möglichkeit einer Bestimmung des Zeitpunktes. Da aber wie oben gezeigt die Drittbestimmung über den Zeitpunkt bei der Erbeinsetzung dem in § 2065 Abs. 2 Alternative 2 BGB enthaltenen Verbot der Bestimmung Dritter über den Gegenstand einer Zuwendung unterfallt, ist sie bei der Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen in den Grenzen des § 2153 Abs. 1 BGB bzw. der §§ 2192, 2156 BGB zulässig lO1 . Dies ergibt sich wie bei der Rechtslage betreffend Erbeinsetzungen zum einen daraus, daß die Bestimmung des Zeitpunktes mit der Bestimmung der Person Hand in Hand gehen kann 102. Außerdem sollen es die §§ 2151ff., 2192f. BGB dem Erblasser gerade ermöglichen, einem Dritten die Einflußnahme auf die Zuordnung der wirtschaftlichen Werte des Nachlasses einzuräumen l03 .

99 Die juristische Praxis scheint freilich jedenfalls fur den Bereich der §§ 215Iff. BGB von der Zulässigkeit derartiger Anordnungen auszugehen: Nieder, Münchener Vertragshandbuch Band 4,2. Halbband, S. 633, schlägt eine Anordnung vor, in welcher ein Dritter bestimmen sollte, wer von zwei möglichen Bedachten ein Vennächtnis erhalten sollte. Die Entscheidung des Dritten sollte, so der Fonnulierungsvorschlag, frühestens nach Volljährigkeit des Jüngeren und spätestens mit dem fllnfundzwanzigsten Lebensjahr des Älteren erfolgen. Damit bestimmte der Dritte neben der Person zugleich auch den Zeitpunkt, zu welchem der Bedachte das Vennächtnis erhalten sollte, vgl. oben FN 9. 100 Oben A I Ib. 101 Bei der Anordnung von Vennächtnissen kann demnach nach § 2153 Abs. BGB ein Dritter jederzeit eine Bestimmung über den Zeitpunkt der Zuwendung treffen. Bei Auflagen hängt die Zulässigkeit davon ab, daß der Erblasser den Zweck der Auflage bestimmt hat. Der Dritte bestimmt beide Male mit seiner Festlegung des Datums der Leistung, welcher Anteil der zeitweiligen Nutzungen dem oder den belasteten ErbenlVennächtnisnehmern gebührt und welcher Anteil der Nutzungen an den oder die Bedachten fällt. 102 Oben A I Ib aa. 103 In derartigen Fällen kann die Vorschrift des § 2153 Abs. 2 Satz 1 BGB zu Problemen fUhren. Die Bedachten sind danach zu gleichen Teilen berechtigt, wenn die Entscheidung des Dritten nicht erfolgt, weil er beispielsweise verstorben ist und eine Ersatzperson nicht bestimmt wurde. Da der Wert der Zuwendung hier davon abhängt, wie lange man diesen nutzen kann, muß zunächst errechnet werden, wie lange der jeweilige Gegenstand den in Frage kommenden Personen zur Verfugung steht. Hat der Erblasser Kriterien vorgegeben, die den maßgebliche Zeitraum fur den Anfall des

A. Bestimnumgen Dritter über Person oder Gegenstand

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bb) Zum zweiten fehlt es trotz der bei Vermächtniszuwendungen bestehenden Erfordernisse der Bestimmung des in Frage kommenden Personenkreises und der Festlegung des Gegenstandes einer Zuwendung 104 an anerkennenswerten Gründen, dem Erblasser daneben den Weg zur Einschaltung Dritter auch bei Erbeinsetzungen zu eröffnen. Wenn sich der Erblasser nämlich noch nicht einmal in der Lage sieht, die möglichen Bedachten zu individualisieren, so heißt das nichts anderes, als daß zum gegebenen Zeitpunkt mangels hinreichender Anhaltspunkte noch nicht einmal eine Vorentscheidung getroffen werden kann. Die zukünftige Entwicklung ist dann derart unvorhersehbar, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Planung noch nicht möglich ist. Will der Erblasser nur soziale, kulturelle oder wissenschaftliche Zwecke verfolgen, genügt außerdem die Anordnung einer Zweckauflage 105 . ce) Das entscheidende Argument gegen die Ansicht Großfelds, Westermanns und Stiegelers liegt schließlich in der unterschiedlichen Außenwirkung von Erbeinsetzungen einerseits und der Anordnung von Vermächtnissen oder Auflagen andererseits Erbeinsetzungen bewirken den unmittelbaren Übergang des Vermögens und der Nachlaßschulden, Vermächtnisse und Auflagen führen nur zu schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen. Das Gebot der Praktikabilität verlangt es, Drittbestimmungen nur im Zusammenhang mit schuldrechtlichen Rechtsfolgen zuzulassen. (I) Die absoluten Rechtswirkungen der Erbeinsetzung würden daher bei einer fehlerhaften oder unzulänglichen Willensbildung des Dritten zu unerwünschten Konsequenzen führen. War die Willensbildung des die Erben beVennächtnisses begrenzen, so ist dieser Zeitraum Ausgangspunkt der Berechnung. Hat der Erblasser dagegen keine einschränkenden Kriterien vorgegeben, ist zu Lebzeiten des Beschwerten noch nicht abzusehen, wie lange dieser noch am Leben bleiben wird und den fraglichen Gegenstand auch nutzen kann. Ausgangspunkt ist dann die mutmaßliche Lebenserwartung der Parteien (die Praxis behilft sich hier mit sogenannten Lebenstafeln) beziehungsweise die mutmaßliche Nutzbarkeit des Gegenstandes, sofern diese geringer ist. Beide Male kann nun freilich nicht einfach die so errechnete Nutzungszeit halbiert werden. Wenn der Bestimmungsberechtigte während des Laufes der Bestimmungsfrist verstirbt (und nicht schon vor Wirksamkeit des Testaments), ist regelmäßig davon auszugehen, daß er durch seine nicht erfolgte Bestimmung bis zum Zeitpunkt seines Todes gleichzeitig festgelegt hat, der Vermächtnisgegenstand solle bis dahin noch dem Beschwerten zustehen. Damit ist der zu halbierende Zeitraum deIjenige zwischen dem Tod des Dritten und dem Zeitpunkt, bis zu dem die Entscheidung erfolgen sollte. 104 Vgl. hierzu oben Teil 2, Kapitel 2, All, 2. 105 Dieser Weg ist fur die Wünsche des Erblassers bereits deswegen völlig ausreichend, weil hier regelmäßig eine Behörde deren Vollziehung verlangen kann, § 2194, Satz 2 BGB. Daher ist davon auszugehen, daß die Anordnung des Erblassers tatsächlich auch ausgefilhrt wird.

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stimmenden Dritten irrtumsbehaftet, so müßte man zumindest in den Fällen der Täuschung oder Drohung eine Anfechtung gestatten 106 107. Nach § 142 Abs. 1 BGB wäre dann die davon betroffene dingliche Zuordnung des Nachlasses ex tunc unwirksam, so daß der vom Dritten ursprünglich zum Erben Ernannte bloßer Scheinerbe wäre. Der fehlerhaft bestimmte Erbe wäre dann Erbschaftsbesitzer, so daß jede Verfügung an den §§ 935 Abs. 1, 857 BGB gemessen werden muß. Dritte wären nur bei Erteilung eines Erbscheins geschützt, § 2366 BGB. Letzteres hätte wiederum nachteilige Folgen für den wahren Erben. Dieser bereits erteilte Erbschein wäre unrichtig und könnte nur in einem langwierigen Verfahren beseitigt werden, wobei im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gutglaubenswirkung des § 2366 BGB gerade nicht beseitigt werden kann 108 . Bis zur endgültigen Beseitigung dieses dann unrichtigen Erbscheines kommen einem zweiten, inhaltlich richtigen Erbschein außerdem materiellrechtlich gerade nicht die Wirkungen der §§ 2365f. BGB zul09. Dieselben Probleme stellen sich, wenn man eine offenbar unbillige Drittbestimmung in entsprechender Anwendung des § 319 BGB für unwirksam erachtet llO . Dagegen werden die Rechtsverhältnisse Dritter durch die Unwirksamkeit der lediglich schuldrechtlich wirkenden Drittbestimmung nicht berührt. Diese betrifft nur das Verhältnis des Vermächtnisnehmers zum Erben. Die Gegen106 Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1201, und Staudinger-Otte, § 2065 RdNr.43, scheiden eine Anfechtbarkeit beim Motivirrtwn beziehungsweise beim Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft aus, weil das im Endeffekt auf eine Korrektur einer Erbeinsetzung bei Nichtgewährung hinauslaufen würde. 107 Umstritten ist innerhalb der herrschenden Meinung, wer zur Anfechtung berechtigt sein soll. Nach der Auffassung von Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 43 soll dieses Recht einem Pfleger zustehen. Demgegenüber halten Klunzinger, BB 1970, S. 1197, 1201, und Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 37, die übergangenen Personen und den bestimmungsberechtigten Dritte fiir befugt, die Anfechtung zu erklären. 108 Das Gesetz stellt hier zwei Wege zur Verfügung: Der Erbprätendent könnte einmal einen Antrag auf Einziehung von Amts wegen nach § 2361 Abs. I BGB stellen. Dieser Weg ist deshalb problematisch, weil das Nachlaßgericht den Erbschein erst bei Überzeugung der Unrichtigkeit einziehen darf, BGHZ 40, 54ff., und die Verfügung des Beschwerdegerichts auf vorläufige Rückgabe zu den Akten nach § 24 Abs. 3 FGG die Gutglaubenswirkung des Erbscheins nicht zerstört, Bumiller/Winkler, FGG, § 24, 4. Daneben kann der Erbprätendent im Klagewege die Herausgabe des Erbscheins an das Nachlaßgericht verlangen, § 2362 Abs. 1 BGB. Auch hier würde der einstweilige Rechtsschutz nach § 935 ZPO die Gutglaubenswirkung des Erbscheins nicht zerstören, BGHZ 40, 54, 59f 109 FirschinglGraf, Nachlaßrecht, RdNr. 4.509f. 110 Für die Anwendung des § 319 BGB tritt die insoweit herrschende Meinung ein, vgl. Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 39.

A. BestinunWlgen Dritter über Person oder Gegenstand

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stände der Erbmasse stehen nach wie vor dem Erben zu, dieser ist durch einen dann auch inhaltlich richtigen Erbschein ausgewiesen. Hat der Erbe den Vermächtnisanspruch erfüllt, so ist der Vermächtnisnehmer der neue dinglich Berechtigte. Auch jetzt werden die Interessen außenstehender Dritter dann nicht beeinträchtigt, wenn dieser Gegenstand später schuldrechtlich rückzuübertragen ist. (2) Nach der Ansicht Westermanns, Großfelds und Stiegelers kann eine Drittbestimmung wie gezeigt nur dann gestattet werden, wenn sie zu einem Zeitpunkt weit nach dem eigentlichen Erbfall erfolgen soll oder wenn zuvor eine neue, für den Erblasser nicht absehbare Entwicklung eingetreten ist. Andernfalls läge regelmäßig eine unzulässige Flucht des Erblassers aus seiner Verantwortung vor ll1 . Derartige Anordnungen würden damit immer zu einer Vorerbschaft ftihren 112 113. Auch dadurch würde nun dem Zweck des § 2065 BGB widersprochen werden. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit will wie gezeigt auch die Bildung dinglich zusammengehaltener Vermögensmas-

111 Vgl. oben A II 2a. 112 Großfeld, JZ 1968, S. ll3, 115; Westennann, Festschrift fiIr Möhring, S. 183, 185 FN. 3; Sens, S. 62ff., 107. Anders Milnchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 19. Danach soll die BestimmWlg des Dritten auf den Erbfall zurückwirken. Diese Ansicht widerspricht nicht nur dem § 2103 BGB, sie ist vor allem bei EntscheidWlgen weit in der Zukunft völlig Wlpraktikabel.

113 Für die Praxis ist hierbei besonders bedeutsam, daß die AnordnWlg einer Nacherbschaft gegenüber bedingten Vennächtnissen nachteilige erbschaftsteuerliehe Folgen nach sich ziehen kann, wenn die Steuerschuld des Nacherben geringer ist als die des Vorerben: Der Vorerbe gilt nach § 6 Abs. 1 ErbStG als Erbe. Die von ihm zu bezahlende Erbschaftsteuer ist aus den Mitteln der Erbschaft zu entrichten, § 20 Abs. 4 ErbStG. Damit erhält der Nacherbe beim Eintritt des Nacherbfalles die Nacherbschaft abzüglieh der bereits vom Vorerben bezahlten Steuer. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG gilt außerdem der Nacherbfall als erneuter Erbfall, selbst wenn ein anderes Ereignis als der Tod des Vorerben zum Nacherbfall erhoben wurde. Auf die Steuerschuld des Nacherben ist nWl die auf die Nacherbschaft entfallende Erbschaftsteuer des Vorerben lediglich anzurechnen, § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG. Eine etwaige vom Vorerben zu viel bezahlte Steuer wird nicht erstattet, so daß der Nacherbe eventuell stärker belastet wird, als es bei einem Soforterwerb der Fall gewesen wäre. Anders verhält es sich im Vennächtnisrecht. Hier gilt die soeben genannte Vorschrift gerade nicht, § 6 Abs. 4 ErbStG. Daher verbleibt es bei der allgemeinen RegeIWlg der § 9 Abs. I Nr. la ErbStG, § 5 Abs. 2 BewG. Das hat zur Folge, daß der Erbe ZWlächst die volle Erbschaftsteuer zu entrichten hat, er diese aber bei Anfall des Vermächtnisses wieder ausbezahlt bekommt, vgl. hierzu Troll, ErbschaftsteuerG, § 9 RdNr. 4. Damit wird nur Wld ausschließlich der Vennächtnisnehmer entsprechend der auf ihn entfallenden Steuer besteuert.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeuhmg

sen erschweren 114. Die Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113ff. BGB durchbrechen den allgemeinen Grundsatz des § 137 BGB, wonach auf rechtsgeschäftlichem Wege gerade kein unveräußerliches Eigentum geschaffen werden soll und vernachlässigen so die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens. Anders verhält es sich bei bedingten Vermächtnissen l15 . § 2179 BGB verweist nur auf den schuldrechtlichen Teil des Bedingungsrechts l16 , § 161 BGB gilt gerade nicht. dd) Ein letztes Argument für die strikte Beibehaltung des Grundsatzes des § 2065 BGB ist schließlich darin zu sehen, daß das Gesetz mit guten Gründen gerade die rechtliche Stellung des Bedachten schwächen will (etwa durch die fehlende Möglichkeit einer Erbscheinserteilung). Es wurde schon angesprochen, daß das Gesetz einen Kompromiß sucht zwischen der Verwirklichung der größtmöglichen Testierfreiheit einerseits und dem Schutz der Interessen der von einer Erbeinsetzung Betroffenen andererseits 117. Zur Umsetzung des ersten Anliegens wurden die §§ 2151ff. BGB und die §§ 2192f. BGB geschaffen. Letzterem sollte über § 2065 BGB Rechnung getragen werden. Eine strenge Befolgung dieser Norm führt nun dazu, daß sich der Erblasser im Zweifel dafür entscheiden wird, selbst eine vollständige letztwillige Verfügung zu errichten oder doch die Einflußnahme Dritter wenigstens zu beschränken. Das ist vom Rechtsanwender anzuerkennen, weil mit § 2065 BGB bei Erbeinsetzungen gerechtfertigte Anliegen verfolgt werden l18 .

5. Zusammenfassung

Obwohl für die Zulassung von Drittbestimmungen auch bei Erbeinsetzungen einige Gesichtspunkte vorgetragen werden können, ist an den Kriterien des Bundesgerichtshofes festzuhalten, nach denen eine Drittbestimmung nur insoweit zulässig ist, als der Erblasser die Auswahlkriterien so exakt vorzugeben hat, daß der Dritte sein Ermessen nicht hinsichtlich der Auswahl der bedachten Personen, sondern nur hinsichtlich der Auslegung der letztwilligen 114 Oben Tei12, Kapitel 1, C III 2b. 115 Vgl. oben Kapitel 2, B I 3 zur Frage, ob ein Vennächtnis nach den §§ 2151ff BGB als bedingtes Vennächtnis im Sinne der §§ 2177ff BGB anzusehen ist. 116 MÜllchener Kommentar-Skibbe, § 2179 RdNr. 4; Staudinger-Otte, § 2179 RdNr. 5; Soergel-Loritz, § 2179 RdNr. 2; Ennan-Schmidt, § 2178 RdNr. I, Zawar, Das Vennächtnis in der Kaute1arjurisprudenz, S. 39; Bungeroth, NJW 1967, S. 1357f.; Bühler, BWNotZ 1967, S. 174. Anders nur Gudian, NJW 1967, S. 431. 117 Oben Teil 2, Kapite12 B. 118 Vgl. oben Teil 2, Kapitell, C III 2b, V 3b.

B. VeIWaIJ.dte Konstellationen

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Verfiigung ZU gebrauchen hat. Hierbei ist jedoch zu verlangen, daß der Erblasser die fiir die (einzig zulässige) Auslegung seiner letztwilligen Verfiigung erforderlichen Vorgaben genau umreißt und deren Gewichtung vorgibt. Insgesamt hat sich gezeigt, daß die oben 119 erarbeitete Charakteristik der gesetzlichen Regelung fiir die Fallgruppen der Entscheidung Dritter über Person und Gegenstand einer Erbeinsetzung, über den Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft sowie bei schiedsrichterlichen und schiedsgutachterlichen Entscheidungen vollständig aufrechtzuerhalten ist

B. Verwandte Konstellationen Im folgenden sollen weitere Fallgruppen behandelt werden, in denen die Vorschrift des § 2065 BGB hinsichtlich der Gültigkeit von Erbeinsetzungen ebenfalls von Bedeutung ist.

I. Unbestimmte letztwillige Verfügungen In der Rechtsprechung 120 und bei Teilen der Literatur l2l finden sich immer wieder Stimmen, die einen Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung annehmen, wenn der Erblasser eine letztwillige Verfiigung mit unbestimmten Inhalt vorgenommen hat.

1. Erscheinungsformen

Unbestimmte letztwillige Verfiigungen treten in zwei 122 verschiedenen Konstellationen auf.

119 Teil 2, Kapitel 2, B II 2 am Ende. 120 Ein Überblick fmdet sich bei Sens, S. 19fT. 121 RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 17; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 4. 122 Mißverständlich Sens, S. 19, die die EntscheidWlg des Kanunergerichtes in

JR 1953, S. 422f., als dritte Fallgruppe bezeichnet. In diesen beiden Fällen hatten die Gerichte die fraglichen Testamente dahingehend ausgelegt, der Testamentsvollstrecker habe die Erben auszuwählen. Damit handelt es sich um die bereits oben angesprochene Fallgruppe des "Rittergutsfalles", nicht um eine Wlbestimmte VerfilgWlg.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeutung

a) Zunächst kann die Testamentsauslegung unmöglich sein, weil die testamentarische Umschreibung auf mehrere Personen zutrifft, nach dem Willen des Testators aber nur eine Person Erbe werden soll. Ein Beispiel dafür findet sich in einer Entscheidung des Landgerichts Bonn 123 , in der ein Testament für nichtig erklärt wurde, das eine Blindenanstalt in Köln oder Umgebung zum Erben bestimmte. Das Gericht hielt diese Anordnung wegen eines Verstoßes gegen § 2065 BGB124 für unwirksam, weil es in der Gegend von Köln eine große Anzahl von Einrichtungen für Blinde gab. b) Die Bestimmung kann aber auch lediglich ungenau formuliert sein. Diese Problematik stellte sich etwa in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden l25 , in der die Ehegatten den bedacht hatten, der sie im Alter unterstützt und gepflegt hatte. Das Gericht hielt diese Bestimmung wegen eines Verstoßes gegen § 2065 BGB für nichtig.

2. Die Behandlung derartiger Fälle in Rechtsprechung und Literatur

Beiden Fällen ist gemeinsam, daß der Erblasser den Erben nicht namentlich bezeichnet hat. Daraus folgert die herrschende Meinung, daß diese deshalb an § 2065 BGB zu messen seien. Dies ist jedoch nicht zwingend. Anders als bei Anordnungen, nach denen ein Dritter (eventuell schiedsgutachterlich) über Gültigkeit, Person oder Gegenstand einer letztwilligen Verfügung bestimmen soll, hat hier der Erblasser gerade nicht daran gedacht, daß dieser Erbe erst durch die Einschaltung eines Dritten, nämlich des Nachlaßgerichtes, ermittelt werden kann. Er ist im Gegenteil davon ausgegangen, selbst abschließend die wesentlichen, zur Ermittlung des Erben erforderlichen Kriterien vorgegeben zu haben. Eine Drittentscheidung ist hier nicht beabsichtigtl26. Daher sprechen gute Gründe für die Ansicht Ottes 127, der derartige Fallgestaltungen unter Heranziehung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes und gerade nicht über § 2065 BGB lösen wiU l28 .

123 Rpfleger 1989, S. 63[. 124 Eine Angabe des Absatzes erfolgte nicht. 125 NJW 1949, S. 346. 126 Dazu schon oben FN 58. 127 Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 9. Zustimmung fmdet sich bei Sens, S. 21. 128 Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 9.

B. Verwandte Konstellationen

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3. Eigene Ansicht

a) Eine Entscheidung zwischen dem Ansatz Ottes und dem der herrschenden Meinung ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn man der hier für zutreffend erachteten Ansicht des Bundesgerichtshofes folgt und Entscheidungen Dritter bei Erbeinsetzungen nur dann zuläßt, wenn sich diese in der Bezeichnung des Erben erschöpfen. Da die zulässige Bezeichnung wie gezeigt mit der Auslegung letztwilliger Verfiigungen übereinstimmt und die Benennung eines entscheidungsbefugten Dritten gerade die Ernennung eines Schiedsgutachters bedeutet l29, besteht der Unterschied zwischen beiden Ansichten lediglich im Zitat des § 2065 BGB. Die Prüfung endet dann mit der Feststellung, ob die vom Erblasser gewählte Umschreibung ausreichend bestimmt ist oder nicht. Ist sie genügend bestimmt, ist das Testament gültig. Ist sie das nicht, so ist das Testament nichtig, sofern nicht über die Heilungsvorschriften der §§ 2072, 2073 BGB der letztwilligen Verfiigung ausnahmsweise doch zur Wirksamkeit verholfen werden kann 130. b) Hielte man im Einklang mit den oben abgelehnten Stimmen eine Bestimmung Dritter auch bei Erbeinsetzungen für zulässig, so müßte man nach der Vorgehensweise der herrschenden Meinung die Feststellung mangelnder Bestimmtheit an sich nur als Zwischenergebnis ansehen. Wenn unbestimmte letztwillige Verfiigungen ebenfalls dem § 2065 BGB unterliegen, müßte in einem zweiten, nachfolgenden Prüfungsschritt untersucht werden, ob der Erbeinsetzung nicht im Wege der Umdeutung in ein Vennächtnis gemäß den §§ 2151ff. BGB oder in eine Zweckauflage nach § 2193 Abs. I BGB zur Wirksamkeit verholfen werden könnte. Dabei müßte dann das Nachlaßgericht bestimmen, an wen die Leistung zu erfolgen habe. Gerade dieser zuletzt genannte Schritt wird von der Rechtsprechung nun nicht unternommenm. Stattdessen wird die letztwillige Verfiigung ebenso wie nach dem Ansatz Ottes allenfalls an den §§ 2072, 2073 BGB gemessen 132 . Daraus wird klar, daß die Rechtsprechung derartige Verfiigungen gerade nicht dahingehend versteht, das Gericht habe den Bedachten oder dessen Gegen-

129 Oben A m 3b aa. 130 Hierzu Baldus, JR 1969, S. 179f. und Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts, S. 165.

131 Vgl. BayObLG FamRZ 1984, S. 420f.; BayObLG FamRZ 1991, S. 61Of.; BayObLG FamRZ 1992, S. 987f. MÜllchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 25 am Ende, und Soerge1-Loritz, § 2065 RdNr. 40, weisen ebenfalls darauf hin, daß in den genannten Fällen eine Umdeutung nicht in Betracht kommt. 132 Vgl. LG Bonn, Rpfleger 1989, S. 63f.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis Wld die Umdeutung

stand ZU benennen 133, sondern daß sie § 2065 BGB als Begrenzung seiner Auslegungsbefugnis deutet 134 135. Die Ansicht Ottes führt daher auch nach diesem Ansatz nicht zu einer inhaltlich anderen Behandlung derartiger Fälle, sondern betrifft wiederum nur das Zitat des § 2065 Abs. 2 BGB.

11. Erbenbestimmungen durch Losentscheid a) Eine praktisch kaum relevante, dafür aber akademisch um so interessantere Fragestellung lautet schließlich, ob es dem Erblasser möglich ist, Erbeinsetzungen unter Losentscheid anzuordnen. Die Zulässigkeit derartiger Fallgestaltungen wird immer wieder unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit diskutiert. Nach herrschender Meinung 136 sollen derartige Anordnungen zulässig sein. § 2065 Abs. 2 BGB sei nicht verletzt, weil hier keine Einmischung eines Dritten vodiege 137.

133 Dadurch würde außerdem in lUlZUlässiger Weise eine nicht vom Gesetz vorgesehene gerichtliche Zuständigkeit begründet; vgl. hierzu BGH LM § 317 Nr. 3; BGH WM 1978, S. 64; Miinchener Kommentar-Söllner, § 317 RdNr. 7; Miinchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 17; Staudinger-Mayer-Maly, § 317 RdNr. 4. 134 Diese Funktion des § 2065 BGB betont auch Miinchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 3. 135 Dieser Gesichtspunkt sollte von der RechtsprechWlg freilich stärker herausgestellt werden. Es trägt jedenfalls zur Verwirrung bei, wenn das BayObLG in FamRZ 1991, S. 61Of., im Falle einer Wlbestimmten letztwilligen VerfiigWlg auf die zur BeStimmWlg des Zeitpunktes des Nacherbfalles ergangene EntscheidWlg des BWldesgerichtshofes BGHZ 15, 199ff. hinweist. Der BWldesgerichtshof selbst hatte in LM § 2065 Nr. 5 in einem anderen Falle einer Wlbestimmten VerfilgWlg sogar auf die wesentlich weitergehende Ansicht des Reichsgerichtes Bezug genommen. Vgl. hierzu schon oben FN 58. 136 Seit RG Seufferts Archiv 91, Nr. 106. Seitdem etwa Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 12; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 15; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 7. 137 Innerhalb der herrschenden MeinWlg werden zwar oft Bedenken angemeldet, ob man derartige AnordnWlgen zulassen solle. Diese werden jedoch regelmäßig mit dem Argument verworfen, Testamente seien eine anerkannte Möglichkeit, persönliche Eigenheiten auszuleben (Raape, Festschrift für Zitelmann, S. 9, spricht plastisch von einem "Tummelplatz für Käuze"). Überzeugend ist dies nur dann, wenn man Argumente dafür fmdet, warum letzteres eine aus § 2065 BGB zu folgernde BeschränkWlg darstellen soll, dazu oben im Text.

c. VennächtniszuwendlUlgen lUld die Umdeutung

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Demgegenüber halten einige Stimmen 138 derartige Anordnoogen für unzulässig, weil § 2065 BGB nicht erst dann verletzt sein solle, wenn ein Dritter entscheide, sondern bereits dann, wenn die Entscheidoog nicht vom Erblasser selbst stamme. b) Die Entscheidoog der Streitfrage fällt hier besonders schwer. Sicherlich handelt es sich bei derartigen Anordnoogen nicht gerade um ein Paradebeispiel einer verantwortlichen, angemessenen Willensbildoog. Andererseits fehlt hier die in der EinschaltWlg eines Dritten liegende Gefahr der Konfliktentstehoog, weil ein Dritter gerade nicht zu einer Entscheidoog berufen ist 139 . Der letzte Gesichtspunkt wurde oben 140 als maßgeblicher Zweck des Gebotes der Höchstpersönlichkeit erarbeitet. Demnach sollte an der herrschenden Meinoog festgehalten werden, wonach derartige Anordnoogen zulässig sind l41 . Außerdem können nur so Wertilllgswidersprüche vermieden werden: Letztwillige Verfiigoogen sind fraglos dann gültig, wenn der Erblasser den zum Erben bestimmt, den er selbst durch Losentscheid auserwählt hat. Dies gilt sogar dann, wenn er dies in seiner letztwilligen Verfiigoog Initteilt. DaInit kann es schlecht vereinbart werden, Anordnoogen für oowirksam zu erklären, in denen dieser Losentscheid von anderen vorgenommen werden soll.

C. Die Drittbestimmung bei Vermächtnissen und die Problematik von Umdeutungen Im Vermächtnisrecht ist die Befugnis des Erblassers zur EinschaltWlg Dritter in erheblichem Umfang möglich. Dort kann dem Dritten auch die planerische GestaltWlg der Nachlaßzuteiloog erlaubt werden l42 . 138 Münchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 14; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 15; Stiegeler, Dissertation S. 54, 72; kritisch zur herrschenden MeinlUlg auch Erman-Schmidt, § 2065 RdNr. 6. 139 Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 12. 140 Teil 2, Kapitell, C V 3b. 141 Es geht allerdings nicht an, wenn Zimmermann, Quos Titius Voluerit, S. 54, aus dieser Zulässigkeit der ErbeinsetzWlg lUlter einer Zufallsbedingung die grundsätzliche Zulässigkeit der Einflußnahme eines Dritten folgern will. Entweder ist diese in der Tat ZIlllächst einmal wenig einleuchtende verschiedenartige BehandllUlg wie hier damit zu rechtfertigen, daß der entscheidende Zweck der Höchstpersönlicbkeit gerade in der VermeidlUlg der Einschaltung eines Dritten zu sehen ist, oder aber die Vereinbarkeit der Zufallsbedingung mit § 2065 BGB zu hinterfragen, nicht die Berechtigung der Norm an sich. 142 Oben Teil 2, Kapitel 2 A Ill.

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Teil 3, Kap. I: Erbeinsetzung, Vennächtnis Wld die Umdeutung

Diese Befugnis steht in einem Spannungsverhältnis zum strikten Verbot des § 2065 BGB und wirft daher die Frage auf, wie diese unterschiedlichen Rechtsfolgen miteinander zu vereinbaren sind. Es reicht jedenfalls nicht, dies mit einer geminderten Bedeutung von Vermächtnisanordnungen zu rechtfertigen l43 , da diese in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen sehr wohl die Ausmaße einer Erbeinsetzung erreichen können l44.

I. Die bisher vorgeschlagenen Begrenzungsversuche 1. Drittbestimmungen im Vermächtnisrecht und

die Auslegungsregel des § 2087 BGB

Einige Autoren wollen die genannte Diskrepanz dadurch entschärfen, daß sie in bestimmten Fallkonstellationen die Anwendbarkeit der §§ 215lff. BGB verneinen. a) Menz 145 und Sudhoff146 meinen, der Erblasser könne bei Universalvermächtnissen keine Drittbestimmungen erlauben. Dazu ziehen sie § 2087 BGB als Argument heran. Nach dem Absatz 1 dieser Vorschrift ist die Zuwendung der gesamten Erbschaft oder einer Quote als Erbeinsetzung anzusehen. Nach der herrschenden Meinung 147 ist daneben die Zuwendung eines Einzelgegenstandes entgegen der Regel des Absatzes 2 dann ebenfalls als Erbeinsetzung auf eine diesem Gegenstand entsprechende Nachlaßquote anzusehen, wenn dieser Gegenstand den wesentlichen Wert des Nachlasses ausmacht. § 2087 BGB führt allerdings in diesen Fällen entgegen Menz und Sudhoff nicht notwendig zur Annahme einer Erbeinsetzung. Beide Absätze sind nicht zwingend l48 ; demnach kann die Auslegung der letztwilligen Ver143 So aber Milnchener Kommentar-Skibbe, § 2151 RdNr. 1. 144 So schon oben Teil2, Kapite12, A III am Ende. 145 DB 1966, S. 1719. 146 DB 1966, S. 1720 (StellWlgnahme zu Menz). 147 BayObLGZ 1958,248, 250f.; Milnchener Kommentar-Skibbe, § 2087 RdNr. 8; Staudinger-Otte, § 2087 RdNr. 24; Soergel-Loritz, § 2087 RdNr. 19; Barz, ErbeinsetZWlg oder Vermächtnis, S. 144ff. 148 Für § 2087 Abs. 2 BGB ergibt sich dieses bereits aus dem Wortlaut. Für Absatz 1 hatte Kretzschmar, Erbrecht, § 27 II 3, im Anschluß an die Motive, Band V, S. 61, noch angenommen, insoweit stelle die Norm zwingendes Recht dar. Heute ist nicht mehr streitig, daß § 2087 BGB nur insoweit Wlabdingbar ist, als damit angeordnet wird, daß es keine erbrechUiche Nachfolge in Einzelgegenstände geben kann

c. Vennächtniszuwendungen und die Umdeutung

93

fügung durchaus ergeben, daß eine Erbeinsetzung gewollt war 149 . Insoweit steht § 2087 BGB der Anwendung des § 2151 BGB nicht entgegen. b) Klunzinger 150 meint, § 2087 BGB verhindere jedoch bei der Zuwendung eines sehr wertvollen Einzelgegenstandes eine wohlwollende Auslegung nach § 2084 BGB, wenn bei einem unklar formulierten Erblasserwillen nicht eindeutig von einer Vermächtnisanordnung ausgegangen werden könne. Außerdem stehe diese Norm einer Umdeutung nach § 140 BGB entgegen. Eine derartige Derogierung des § 2087 BGB wäre nämlich eine unzulässige Umgehung des § 2065 BGB. Konsequent weiterentwickelt müßten dann auch in den Fällen des § 2087 Abs. 1 BGB, also bei der Zuwendung der Gesamtheit oder von Bruchteilen des Nachlasses, nur bei eindeutigen Anordnungen des Erblassers die Vermächtnisvorschriften Anwendung finden. Dem kann nicht gefolgt werden. Da § 2087 BGB nur eine Auslegungsregel darstellt, ist die Anordnung von Universal- und Quotenvermächtnissen mit Drittbestimmung nicht untersagt. Der Sinn der §§ 2084, 140 BGB besteht nun gerade darin, dem unzulässig formulierten Erblasserwillen dann zum Durchbruch zu verhelfen, wenn seine Intention auf anderem Wege in gesetzlich zulässiger Art und Weise erreicht werden kann. § 2087 BGB hat demgegenüber keinen eigenen Gerechtigkeitsgehalt. Das Gesetz will hier nur erreichen, daß der hauptsächlich Bedachte auch zum Erben eingesetzt wird 151. Dieses gesetzgeberische Anliegen ist dispositiv und hat mit den für § 2065 BGB maßgeblichen Erwägungen nichts gemeinsam. Es kann daher nicht für die Interpretation dieser Norm herangezogen werden. Somit besteht kein Grund, den zu benachteiligen, der in Unkenntnis der gesetzlichen Regelung seinen an sich anerkennenswerten Plan in unzulässiger Weise umgesetzt hat.

2. Drittbestimmungen im Vennächtnisrecht und allgemeine Grundsätze der Höchstpersönlichkeit

a) Andere Autoren stützen ihre Bedenken direkt auf § 2065 BGB. Zawar 152 und Schmidt153 befürchten bei der Anordnung eines Universalver(Zutreffend Otte, NJW 1987, S. 3164f, in Erwiderung zur allgemein abgelehnten Ansicht von Schrader, NJW 1987, S. 117f., wonach auch außerhalb der erbrechtlichen Nachfolge in Gesamthandsantei1e eine Singularsukzession möglich sein soll). 149 KlWlZinger, BB 1970, S. 1197, 1200. 150 BB 1970, S. 1197,1200. 151 Mattem, Erbeinsetzung oder Vermächtnis, DNotZ 1963, S. 450,452. 152 Zawar, Das Vermächtnis in der Kaute1aJjurisprudenz, S. 115. 153 Erman-Schmidt, § 2151 RdNr. 1.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vermächtnis Wld die Umdeutung

mächtnisses eine Umgehung des § 2065 Abs. 2 BGB. Sie empfehlen, dann den für Drittbestimmungen zulässigen Rahmen des § 2065 BGB nicht zu überschreiten. Keim 154 hält eine Umgehung des § 2065 BGB bei Universalvermächtnissen "im Ausnahmefall" für denkbar. Kuchinke 155 spricht sich dafür aus, eine Umdeutung nichtiger Erbeinsetzungen in Vermächtnisse nicht zuzulassen, da dem der Sinn des § 2065 Abs. 2 BGB entgegenstehe. b) Den genannten Autoren ist zuzugestehen, daß das in § 2065 Abs. 2 BGB enthaltene grundsätzliche Verbot der Einschaltung Dritter bei Erbeinsetzungen und die nach den §§ 2151ff. BGB mögliche weitestgehende Zulässigkeit bei Vermächtnisanordnungen widersprüchlich ist. Die vorgeschlagenen Korrekturen vermögen aber nicht gänzlich zu überzeugen. Für die Ansicht Kuchinkes gilt das oben zu Klunzinger Gesagte 156 entsprechend. Er benachteiligt ohne Grund den weniger rechtskundigen Erblasser. Für die anderen Stimmen gilt, daß die Unzulässigkeit der Entscheidung eines Dritten bei Anordnung eines Universalvermächtnisses keine tragfähige Begründung für die Unterschiede zwischen § 2065 Abs.2 BGB und den §§ 2l511f. BGB bietet. Universalvermächtnisse mit Drittbestimmung sind sehr selten. Im Regelfall wird sich die Bestimmungsbefugnis des Dritten nur auf eine Quote oder einen Einzelgegenstand beziehen. In diesen Fällen läge nach dieser Argumentation bei der Anordnung einer Drittbestimmung über die Erbenstellung ein Verstoß gegen § 2065 Abs.2 BGB vor, während eine derartige Anordnung im Vermächtnisweg für zulässig erachtet werden müßte. Damit verbliebe es in zu vielen Fallgestaltungen bei unterschiedlichen Rechtsfolgen.

11. Eigene Ansicht An dieser Stelle der Arbeit ist der Punkt erreicht, um die oben in Teil 2, Kapitel 2, grob ausformulierte Charakteristik der Gesamtheit der gesetzlichen Regelung der Selbstentscheidung ein erstes Mal umfassend zu überprüfen. Diese lautete, daß die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Erbeinsetzungen einerseits und von Vermächtnissen bzw. Auflagen andererseits der maßgebliche Grund seien, warum das Gesetz die Einschaltung Dritter nur bei den letztgenannten Anordnungen gestatte. Diese Überlegung wurde oben 157 bei der Frage, ob bei der der Rittergutsentscheidung zugrunde liegenden Fallkonstel154 S. 154. 155 LangelKuchinke, § 25 14, derselbe in Festschrift für Neumayer, S. 389,406. 156 Oben CI lb. 157 A IIl4b cc.

c. Vennächtniszuwendungen und die Umdeutung

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lation die Übertragung der Testierbefugnis gleichwohl gestattet werden kann, auch vollständig aufrechterhalten. Nunmehr ist jedoch zu klären, ob sie alleine auch ausreicht, um zu erklären, warum Drittbestimmungen im Vermächtnisrecht derart weitgehend zulässig sein sollen i58, ob also die oben noch offengelassene Frage zu bejahen ist, daß die friedenstiftende Funktion des § 2065 BGB dann völlig preiszugeben ist. Wie sogleich zu zeigen sein wird, ist dies nicht der Fall. Die gesetzliche Regelung bildet nur dann ein sinnvolles Ganzes, wenn man die Vorschriften der §§ 2151ff. BGB im Lichte des § 2065 BGB interpretiert. Die dafür maßgeblichen Überlegungen wurden ebenfalls schon angestellt, es gilt nunmehr, sie nutzbar zu machen.

1. Die aus der gesetzlichen Regelungsabsicht folgende Beschränkung

der Bestimmungsbefugnis im Vermächtnisrecht

a) Eine sinnvolle Interpretation der §§ 2151ff. BGB läßt sich nur erreichen, wenn zwischen zwei unterschiedlichen Arten vermächtnisweiser Zuwendungen unterschieden wird. Vermächtnisse werden wegen § 2087 BGB üblicherweise dann angeordnet, wenn nur ein Einzelgegenstand zugewendet werden soll, der den Wert des Nachlasses nicht größtenteils erschöpft l59 . Ausnahmsweise kann aber auch die Zuwendung einer Quote oder eines sehr wertvollen Einzelgegenstandes im Wege eines Vermächtnisses erfolgen. Die erstgenannten Anordnungen sollen im folgenden als typische, die zuletzt angeführten als atypische Vermächtnisse bezeichnet werden. Ordnet der Erblasser an, daß sich die Entscheidung des Dritten auf ein typisches Vermächtnis beziehen soll, so ist das Spannungsverhältnis zu der friedenstiftenden Funktion des § 2065 BGB zu vernachlässigen. Derartige Vermächtnisse stellen nämlich jedenfalls keine erhebliche Übertragung der planerischen Gestaltung der Nachlaßzuteilung auf den Dritten dar. Diese wurde vielmehr noch im wesentlichen vom Erblasser vorgenommen. Daher kann es auch schwerlich zu den von § 2065 BGB mißbilligten Konfliktsituationen zwischen den Nachkommen und dem Dritten kommen. Es besteht somit kein vernünftiger Grund, um die Einschaltung Dritter hier zu mißbilligen. Derartige Regelungen sind damit uneingeschränkt zulässig. Anders verhält es sich bei den atypischen Vermächtnissen. Das Gesetz will zwar auch hier die Einschaltung Dritter zulassen, da die §§ 2151ff. BGB ge-

158 Bejahend Staudinger-Otte, § 2151 RdNr. 1.

159 Statt aller Palandt-Edenhofer, § 2087 RdNr. 6.

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis und die Umdeutung

rade keine wertmäßige Beschränkung beinhalten. Dies kann aber wegen der dann dem Dritten übertragenen erheblichen Entscheidungsbefugnis gerade zu den von § 2065 BGB mißbilligten Zerwürfnissen unter den Beteiligten fUhren. Die entscheidende Fragestellung ist nun, ob es gerechtfertigt ist, die friedenstiftende Funktion des § 2065 BGB auch nunmehr vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. Dies ist zu verneinen. Die beiden Grundanliegen der gesetzlichen Regelung, einerseits Konflikte zwischen den Nachkommen und dem entscheidungsbefugten Dritten zu vermeiden, andererseits aber gerade durch die Einschaltung Dritter einem praktischen Bedürfnis Rechnung zu tragen, bilden nämlich gerade keine völlig unversöhnlichen Gegenpole. Stattdessen ist zu unterscheiden zwischen den Fällen einerseits, in denen die friedenstiftende Funktion hinter ein praktisches Bedürfnis zurückzutreten hat, und den Konstellationen andererseits, in denen aufgrund des Fehlens eines praktischen Bedürfnisses an der Grundaussage des § 2065 BGB festzuhalten ist. Dies wurde schon oben 160 bei der Interpretation des § 2065 BGB im Zusammenhang mit der Rittergutsentscheidung geklärt. Die damals gezogenen Schlußfolgerungen ist nun mit umgekehrten Vorzeichen auf atypische Vermächtnisanordnungen zu übertragen. Wurde oben noch gefolgert, daß die von Großfeld, Westermann und Stiegeier bei Erbeinsetzungen fiir möglich erachtete Einschaltung Dritter in den Fällen, in denen dessen Entscheidung nicht die Rechtslage direkt beim Tod des Erblassers betreffen sollte l61 , mit der Teleologie des Gesetzes durchaus in Einklang zu bringen und (nur) deshalb abzulehnen ist, weil § 2065 BGB Drittbestimmungen gerade bei Erbeinsetzungen zu Recht unterbindet, so ist mit dem von diesen Autoren vorgeschlagenen Abgrenzungskriterium das entscheidende Korrektiv gefunden, wann das Gebot zur Selbstentscheidung bei atypischen Vermächtnisanordnungen zurückzutreten hat. Eine Drittbestimmung ist folglich auch bei derartigen Anordnungen unzulässig, wenn diese im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Erbfall erfolgen soll, ohne daß eine fiir den Erblasser noch nicht absehbare Entwicklung eingetreten ist. Dann ist es nämlich gerechtfertigt, den Erblasser darauf zu verweisen, den von ihm zur Entscheidung auserwählten Dritten eben noch vor der Abfassung der letztwilligen Verfiigung um Rat zu fragen und die Anordnung selbst in eigener Verantwortung zu treffen. Anders verhält es sich wie gezeigt dann, wenn die Entscheidung des Dritten erst einige Zeit nach dem Tod des Erblassers erfolgen soll oder wenn die Zulässigkeit dieser Entscheidung an die Veränderung wesentlicher Umstände geknüpft ist. Da dem Handeln des Dritten dann auch die sich aus der weiteren Entwicklung ergebenden, neuen Tatsachen zugrunde liegen, rechtfertigt der Erblasser, warum er nicht selbst entscheiden wollte. Nur mit dieser Differenzierung kann eine unzuläs160 A 1I14. 161 Vgl. hierzu oben A Il2a, 1Il am Anfang.

c. VennächtniszuwendlUlgen lUld die Umdeutung

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sige Flucht des Erblassers vor einer ihm zumutbaren eigenverantworteten Regelung unterbunden werden. Die §§ 2151ff. BGB sind insoweit einschränkend zu interpretieren162 163. Diese Sichtweise geht über die Begrenzungsvorschläge Zawars, Schmidts und Keims insoweit hinaus, als die Bestimmungen der §§ 2151ff. BGB auch dann nicht angewendet werden können, wenn die Zuwendung nicht annähernd den gesamten Nachlaß betrifft. Andererseits bleibt sie hinter dieser Einschränkung zurück, weil die Bestimmung durch Dritte auch dann erlaubt ist, wenn weite Teile der Erbmasse betroffen sind, sofern nur diese Bestimmung nicht im unInitte1baren zeitlichen Zusammenhang mit dem Erbfall oder aufgrund neuerer Entwicklungen erfolgen soll. b) Diese Interpretation spricht zumindest nicht gegen die historische Auslegung. Nach den Protokollen sollte über die §§ 2151ff. BGB einem praktischen Bedürfnis Rechnung getragen werden l64 . Es findet sich jedoch keine Erörterung der Problematik, wonach eine schrankenlose Zulässigkeit derartiger Ermächtigungen auch die Gefahr birgt, auch dann die Einflußnahme eines Dritten zu erlauben, wenn ein derartiges Bedürfnis gerade nicht besteht. Dieses Problem wurde offensichtlich nicht gesehen. Dann kann man aber aus der fehlenden Beschränkung des Wortlautes der §§ 2151ff. BGB auch nicht zwingend schließen, diese weite Fassung sei auch tatsächlich gewollt. c) Die eingeschränkte Deutung der §§ 2151ff. BGB läßt sich des weiteren auf die Gesetzessystematik stützen. § 2065 BGB befindet sich im Bereich des allgemeinen Teils der Vorschriften über testamentarische Anordnungen, nicht im darauf folgenden Titel über Erbeinsetzungen. Die Folge ist, daß die in § 2065 Abs. 2 BGB für unzulässig erklärte Drittbestimmung über die Person des Zuwendungsempfangers oder den Gegenstand einer Zuwendung im Vermächtnisrecht noch einmal speziell geregelt ist. Nach der Lesart der herrschenden Meinung hätte § 2065 Abs. 2 BGB systematisch richtiger in den zweiten Titel aufgenommen werden müssen, weil dort die Sonderbestimmungen (nur) für Erbeinsetzungen enthalten sind. Gerade weil dies nicht der Fall

162 Da der Wortlaut dieser Vorschriften insoweit keine Anhaltspunkte liefert, handelt es sich um eine teleologische Reduktion. Hierzu schon oben FN 93. 163 Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Normwiderspruch zwischen den §§ 2151ff. BGB einerseits lUld dem § 2065 BGB andererseits, weil filr den einheitlichen Sachverhalt "Übertragung der EntscheidlUlgsbefugnis auf Dritte" ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung zwei divergierende AnordnlUlgen getroffen werden, Larenz, Methodenlehre, S. 335. Dieser ist vom Rechtsanwender zwingend zu beseitigen, Larenz, aaO. 164 Protokolle, Band V, S. 29. 7 Wagner

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vennächtnis lUld die Umdeutung

ist, ist davon auszugehen, daß diese Norm auch die Spezialvorschriften im Vermächtnisrecht inhaltlich mit beeinflussen muß. d) Ein letztes Argument für die hier vorgeschlagene Auslegung der §§ 2151ff. BGB ergibt sich aus einem wertenden Vergleich zum Recht der Drittbestimmung bei Auflagen. Wie oben gezeigt wurde l65 , ist die Möglichkeit der Einflußnahme Dritter dort gerade nicht unbegrenzt gestattet. Hinsichtlich des Gegenstandes ist diese nur sehr begrenzt möglich. Die § 2192 BGB i.Y.m. §§ 2154 Abs. 1 Satz 2, 2155 Abs. 2 BGB gestatten die Einschaltung eines Dritten nur dann, wenn eine Wahl- oder Gattungsauflage angeordnet wurde. Nach § 2192 in Verbindung mit § 2156 BGB ist außerdem eine Entscheidung nach billigem Ermessen möglich, wenn der Erblasser den Zweck der Anordnung vorgegeben hat. Eine Bestimmung der Person des Leistungsempfangers ist nach § 2193 BGB nur dann möglich, wenn der Erblasser den Zweck der Anordnung vorgegeben hat. Dies alles hat zur Folge, daß der Erblasser im Recht der Auflage immer dazu gehalten ist, bereits teilweise eine eigene Willensbildung vorzunehmen. Es ist entweder der Gegenstand sehr genau zu individualisieren oder doch zumindest der Zweck der Auflage vorzugeben. Stellt man rein auf den Wortlaut der beiden Vorschriften ab, sieht das Gesetz demnach für die Rechtfertigung der Anordnung einer Auflage insoweit 166 strengere Anforderungen vor als im Vermächtnisrecht. Das wäre wenig sachgerecht, da eine Auflage den von ihr betroffenen Erben oder Vermächtnisnehmer zumindest nicht stärker belastet als eine Vermächtnisanordnung. Die einschränkende Interpretation der §§ 2151ff. BGB beseitigt auch diesen Wertungswiderspruch.

2. Praktische Konsequenzen der neuen Argumentation

Die vorstehenden Ausfiihrungen zeigen, daß ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept aller gesetzlichen Ausprägungen der Drittbestimmung nur durch eine einschränkende Interpretation der §§ 2151ff. BGB erreichbar ist. Dieses Ergebnis soll nun auf seine praktischen Auswirkungen untersucht werden.

165 Teil 2, Kapitel 2, A TI 1. 166 Anders als bei Vennächtnissen hat der Erblasser bei Außagenjedoch keine Begrenzung des Personenkreises vorzunehmen. Insoweit ist nach den §§ 2192f. BGB eine weitere Befugnis zur Einschaltung Dritter gegeben. Damit wird allerdings nur der Rahmen der EntscheidlUlgsbefugnis des Dritten erweitert. Von der RechtfertigWlg der Einschaltung des Dritten ist der Erblasser nicht entblUlden.

c. VennächtniszuwendWlgen Wld die Umdeutung

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a) Während die herrschende Meinung 167 bisher nur im Bereich der Erbeinsetzung zu untersuchen hatte, ob die Drittbestimmung den Rahmen des Zulässigen überschreitet, muß nach der hier vertretenen Ansicht auch bei der Anordnung von Vermächtnissen nach der Motivation des Erblassers gefragt werden, sobald diese die Größenordnung einer typischen Erbeinsetzung erreichen. Darin liegt zweifelsohne ein Nachteil, weil die mit der Abfassung und Auslegung letztwilliger Verfügungen befaßten Personen in diesen Fällen einen zusätzlichen Gesichtspunkt zu beachten haben. Andererseits ist die Ermittlung der Motivation des Erblassers dann ohne größere Schwierigkeiten möglich, wenn man ein praktisches Bedürfnis für die Drittbestimmung wie angesprochen nur dann verneint, wenn das Vermächtnis sofort mit dem Tode des Erblassers anfallen soll, ohne daß dies durch neuere Entwicklungen gerechtfertigt ist. b) Ein großer Vorteil der hier vertretenen Ansicht liegt darin, daß nunmehr das Spannungsverhältnis zwischen § 2065 BGB und den §§ 2151ff. BGB gelöst ist. Vermächtniszuwendungen im Ausmaße von Erbeinsetzungen sind ohne Bedenken zulässig, wenn die genannte Einschränkung beachtet wird. Vor allem ist nunmehr geklärt, wann die wegen eines Verstoßes gegen § 2065 BGB unwirksamen Erbeinsetzungen in Vermächtniszuwendungen umgedeutet werden können. Die Konversion ist immer dann problemlos möglich, wenn die Drittbestimmung eine Zeit weit nach dem Tod des Erblassers oder bei Auftreten unabsehbarer Entwicklungen erfolgen soll. Andernfalls scheidet sie aus, die letztwillige Verfügung ist endgültig nichtig. Die Autoren, die eine Umdeutung ganz generell für unwirksam erachten 168, legen ihrer Argumentation einen Widerspruch zwischen den beiden Formen letztwilliger Zuwendungen zugrunde. Dann besteht in der Tat Grund zur Annahme, einer an sich unzulässige Zuwendung könnte auf eigentlich zu mißbilligende Weise doch noch zur Wirksamkeit verholfen werden. Da die gesetzliche Regelung nach der hier vertretenen Ansicht aber ein einheitliches Ganzes darstellt, handelt es sich hier nicht um eine Umgehung einer zu mißbilligenden Motivation des Erblassers, sondern im Ergebnis nur um die Verwirklichung eines billigenswerten Zieles in der dafür rechtstechnisch zulässigen Form. c) Dieser Vorteil wiegt neben der hinzutretenden Harmonisierung der verschiedenen Arten der Drittbestimmung bei den einzelnen letztwilligen Verfügungen den Nachteil einer zusätzlichen Erforschung der Beweggründe des Erblassers auf, so daß die hier vertretene Argumentation einen angemessenen

167 Oben A II 1. 168 So KlWlZinger (oben FN 150) Wld Kuchinke (oben FN 155), wohl auch Keim (FN 154).

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Teil 3, Kap. 1: Erbeinsetzung, Vermächtnis Wld die Umdeutung

Kompromiß zwischen praktischen Erwägungen einerseits und teleologischen Überlegungen andererseits darstellt.

D. Gesamtergebnis Die Darstellung hat gezeigt, daß die im vorherigen Teil der Arbeit ausformulierte Charakteristik der gesetzlichen Regelung in den Fällen der Bestimmung Dritter über Person und Gegenstand einer Erbeinsetzung, bei der Festlegung des Zeitpunktes des Anfalles einer Erbeinsetzung und bei schiedsrichterlichen und schiedsgutachterlichen Entscheidungen vollständig aufrechtzuerhalten ist. Das Gesetz mißbilligt das Abstellen auf fremden Willen bei Erbeinsetzungen zu Recht, weil die insoweit gegenüber Vermächtnisanordnungen und Auflagen größere Außenwirkung zu unerwünschten Konsequenzen führt. Daher ist dem Bundesgerichtshof zu folgen, der die Einschaltung Dritter nur insoweit erlaubt, als sich diese in der (schiedsgutachterlichen) Auslegung der letztwilligen Verfügung erschöpft. Andererseits wurde klar, daß bei Vermächtniszuwendungen der Wortlaut der §§ 2151ff. BGB zu weit geraten ist. Eine Übertragung der Testierbefugnis kann hier nur dann gestattet werden kann, wenn entweder nur unwesentliche Teile des Nachlasses zugeordnet werden sollen oder wenn die Entscheidung nicht den Zeitraum unmittelbar nach dem Tod des Erblassers betreffen soll bzw. wenn der eine für den Erblasser noch nicht absehbare Entwicklung eingetreten ist. Die genannte teleologische Reduktion führt den Gesetzeswortlaut auf seinen eigentlichen Sinngehalt zurück.

Kapitel 2

Die These der Unanwendbarkeit des § 2065 BGB auf die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben Im Zusammenhang mit § 2065 BGB wird nicht nur die erbrechtliche Nachfolge in der ersten Generation diskutiert. Umstritten ist auch, inwieweit der Erblasser einen Vorerben dazu ermächtigen kann, in seiner - des Vorerbenletztwilligen Verfügung zu bestimmen, wem diese Erbschaft nach seinem eigenen Tode, also in der zweiten auf den letztwillig Verfügenden folgenden Generation, zufallen soll. Dies wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt, nach der in der Literatur vorherrschenden Ansicht sollen derartige Anordnungen grundsätzlich zulässig sein. Die Problematik wird durch zwei Umstände erschwert. Zunächst läßt sich die Neuregelung der Nacherbfolge durch den Vorerben rechtstechnisch auf mehrere Arten konstruieren. Zum zweiten wird in Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl von Argumenten vorgetragen, mit denen die Vereinbarkeit derartiger Anordnungen mit dem Grundsatz der Selbstentscheidung gerechtfertigt wird. Diese Argumente betreffen teilweise nur einzelne Fallkonstellationen, teilweise erfassen sie aber auch die gesamte Problematik. Eine sinnvolle Grobstrukturierung läßt sich gleichwohl erreichen, wenn man das Meinungsspektrum in drei Gruppen zusammenfaßt. Ausgangspunkt ist die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Dieses hatte in ständiger Rechtsprechung lediglich einen speziellen Unterfall modifizierbarer Nacherbschaften für zulässig erachtet. Diese Rechtsprechung findet in der Literatur bis heute verbreitete Zustimmung, wobei die reichsgerichtlichen Erwägungen teilweise durch neue Gedankengänge zusätzlich gestützt werden sollen (hierzu unten A). Daneben finden sich in der Literatur einige Stimmen, die von einem - jedenfalls dem ersten Eindruck nach - abweichenden Ansatz ausgehend eine ganz andere Fallgruppe fiir zulässig erachten (unten B).

102

Teil 3, Kap. 2: Die RegelWlg der Nacherbfolge durch den Vorerben

Schließlich ist auf die Auffassungen einiger Autoren einzugehen, die sämtlieh dadurch gekennzeichnet sind, daß sie zwar fonnal nur dazu dienen sollen, die schon vorn Reichsgericht als mit dem Gesetz vereinbar erklärte Gestaltungsform für zulässig zu erklären, die jedoch konsequent zu Ende gedacht zu Resultaten fUhren, die über die reichsgerichtliehe Ansicht weit hinausgehen (unten C). Nach einer kurzen Zusammenfassung der jeweiligen Ergebnisse (unten D) soll schließlich kurz aufgezeigt werden, ob und wie mit modifizierbaren Vermächtnissen eine Entscheidung Dritter für die Nachlaßzuteilung in der zweiten Generation angeordnet werden kann (unten E) und ob bzw. wie unwirksam angeordnete modifizierbare Nacherbenberufungen im Wege der Umdeutung aufrechterhalten werden können (unten F).

A. Der Ausgangspunkt - die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die ihr folgende Literatur I. Die Ermächtigung des Vorerben zur Neuregelung der Nacherbfolge - die beiden grundsätzlich möglichen Auslegungsweisen In Teil 1 wurde der "NichtenfallI" schon kurz angesprochen. Dabei wurde ein Vorerbe ermächtigt, über die der Nichte zugewendete Nacherbschaft (letztwillig) "anderweitig zu verfügen". Diese Ermächtigung kann zweierlei besagen2 : Sie kann einmal bedeuten, daß der Vorerbe anstelle der Nichte eine andere Person zum neuen Nacherben ernennen kann. Sie kann aber auch die Befugnis des Vorerben aussprechen, die Nacherbfolge als solche in seiner eigenen letztwilligen Verfügung aufzuheben. Damit kommt es nicht mehr zum Eintritt des Nacherbfalles. Das dem Vorerben als "Nacherbschaft" vererbte Vermögen fällt ihm somit als Eigenvermögen zu3. Damit wird es aber auch von der (gleichzeitig die Nacherbschaft auf1 RGZ

95, 278ff.

=JW 1920, S. 286.

2 Besonders klar wird diese UnterscheidWlg bei Brox, Festschrift filr Bartholomeyczik, S. 41, 43ff. 3 Allgemeine MeinWlg, vgl. nur Soergel-Harder, Vor § 2100 RdNr. 6. Diese Folge zeigt das Gesetz auch selbst. Nach § 2142 Abs. 2 BGB verbleibt die Nacherbschaft bei Fehlen einer anders lautenden AnordnWlg des Erblassers dem Vorerben, wenn der

A. Die RechtsprechWlg des Reichsgerichts Wld die ihr folgende Literatur

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hebenden) letztwilligen Verfügung erfaßt4. Der Erbe des Vermögens des (vormaligen) Vorerben wird auch Berechtigter an der Nacherbschaft. Es ist Nacherbe die Nacherbschaft ausschlägt. Diese Aussage läßt sich für jeden Ausfall der Nacherbfolge verallgemeinern, vgl. Wilhelm, NJW 1990, S. 2860,2861. 4 Umstritten ist, worin bei dieser Variante eigentlich die maßgebliche BedinglUlg zu sehen ist, von der es abhängt, ob der Vorerbe Vollerbe wird oder nicht. Wie oben geschildert, soll die die Vorerbschaft beseitigende letztwillige VerfüglUlg des Vorerben zugleich auch die nWl ihm zugefallene Vorerbschaft zuordnen. Damit ergibt sich ein logisch - zeitliches Problem: Der Vorerbe kann seinem eigenen Erben nur das zukommen lassen, wortlber er von Todes wegen verfügen konnte - sein Eigenvermögen. Gerade deshalb sollte auch die Nacherbschaft zu Eigenvermögen des Vorerben werden. Dies muß jedoch erfolgt sein, bevor die eigene letztwillige Verfügung des Vorerben wirksam wurde, weil die Nacherbschaft ansonsten gerade nicht mehr Nachlaßbestandteil werden konnte (Diese Problematik wird insbesondere von RG DR 1942, S. l360; Männer, LZ 1925, S. 570,574; Flad, ZakDR 1938, S. 431,434; Herrmann, AcP 155, S. 434,438; Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41,45 Wld Buchholz, Erbfolge, S. 94 erörtert). Das Reichsgericht hatte in DR 1942, S. l360, zur LÖSWlg dieser Frage auf die ErwägWlg zurtlckgegriffen, durch den in der VerfilgWlg des Vorerben liegenden BedingWlgseintritt werde rückwirkend klargestellt, daß der Vorerbe schon immer Vollerbe gewesen sei. Diese BeobachtlUlg ist sicherlich zutreffend, sie trägt aber nicht zur LöSWlg des Problems bei. Man kann nicht aus der rechtlichen BehandlWlg der Nacherbschaft auf den Umfang des vom Vorerben vererbten Vermögens schließen. Natürlich wird das durch die AnordnWlg einer Vorerbschaft geschaffene Sondervermögen rückwirkend von den für sie bestehenden BindWlgen befreit, wenn der Nacherbfall nicht eintritt. Der Vorerbe konnte dann zu seinen Lebzeiten wie ein Vollerbe über dieses Vermögen verfügen. Es wird aber nur dann Bestandteil des Nachlasses Wld kann nur dann von dessen eigener letztwilligen VerfügWlg erfaßt werden, wenn die Nacherbschaft zum Zeitpunkt seines Todes bereits endgültig entfallen ist. Sofern sie aber erst zeitgleich mit dem Erbfall aufgehoben werden würde, kann die Nacherbschaft eben nicht mehr von der VerfüglUlg des Vorerben über dessen eigenes Vermögen betroffen werden (Flad, ZakDR 1938, S. 431,434). Herrmann tritt in AcP 155, S. 434, 438, deshalb dafür ein, bereits die ErrichtlUlg der abändernden VerfüglUlg als maßgebliche BedinglUlg für die AufhebWlg der Nacherbschaft anzusehen. Diese Argumentation hat in der Tat zur Folge, daß die Nacherbfolge beim Tod des Vorerben bereits beseitigt ist. Damit wird der Vorerbe schon vor seinem Ableben zum Vollerben. Herrmann löst so die oben angefuhrte Problematik, die AufhebWlg erfolgt rechtzeitig. Zutreffend wird seine Ansicht jedoch mit dem Argument kritisiert, dem Erblasser komme es nicht darauf an, daß der Vorerbe eine VerfiigWlg von Todes wegen errichte, sondern daß eine derartige VerfügWlg bestehe (Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 28; Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41,45). Er wolle gerade, daß der Vorerbe die Erbfolge für die ihm folgende Generation defInitivabändere. Dann könne man aber nur auf die Wirksamkeit der letztwilligen VerfügWlg des Vorerben abstellen. Diese stehe erst mit dem Tod des Vorerben fest, vorher könne er sie jederzeit nach § 2253 BGB widerrufen.

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Teil 3, Kap. 2: Die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben

daher nur konsequent, in derartigen testamentarischen Bestimmungen die dem Vorerben eingeräumte Möglichkeit zu sehen, sich zum Vollerben aufzuschwingen5 und nunmehr Schlußerben6 zu bestimmen. Diese Unterscheidung ist für die gesamte Problematik modifizierbarer Nacherbschaften von fundamentaler Bedeutung. Die beiden Auslegungswege fuhren nämlich zu unterschiedlichen Rechtsfolgen. Dies soll anband der für die Nacherbschaft geltenden Verfiigungsbeschränkungen kurz erläutert werden7. Die dingliche Verfiigungsbefugnis des Vorerben über den ihm vom Erblasser zugewendeten Nachlaß ist erheblich begrenzt8 . Zwar ist es dem Erblasser So berechtigt die Kritik an der Ansicht Hennanns insofern auch sein mag, so richtig ist doch der von i1un verfolgte Grundansatz. Die Verfitgung des Vorerben kann nur dann das vom Erblasser stammende Vennögen erfassen, wenn die Aufhebung der Nacherbschaft dem Erbfall zeitlich vorangeht. Anstatt nun aber wie Hernnann den Bedingungseintritt bereits in der Errichtung der aufhebenden Verfitgung zu sehen, reicht es aus, den letztmöglichen Zeitpunkt ftIr die Aufhebung der Nacherbschaft eine logische Sekunde vor dem Tod des Vorerben anzusiedeln. Das erreicht man dadurch, daß man die Anordnung des Erblassers dahingehend deutet, das ftIr den Bedingungseintritt maßgebliche Ereignis sei darin zu sehen, daß der Vorerbe eine abweichende Verfitgung wirksam errichte und diese bis zu seinem Ableben unwiderrufen bestehen lasse (wie hier Buchholz, Erbfolge, S. 94). 5 Diese prägnante Beschreibung stammt von Brox, Festschrift

ftIr Bartholomeyczik,

S. 41,44. 6 Der Begriff der Schlußerbschaft wird überwiegend ftIr die Auslegung von gemeinschaftlichen Testamenten im Sinne der § 2269 Abs. I BGB gebraucht, um die Einheits- von der Trennungslösung zu unterscheiden. Nieder, Handbuch, RdNr. 534, hat diese Terminologie auch filr die vorliegenden Fälle eingeführt. 7 Erbschaftsteuerlich verhält es sich bei den beiden Auslegungswegen wie folgt: Hinsichtlich der vom Vorerben zu entrichtenden Erbschaftsteuer gilt in beiden Varianten § 6 Abs. I ErbStG, der Vorerbe gilt als Vollerbe. Unterschiede ergeben sich aber bei der Besteuerung des Nacherben. Dieser hat beim Tod des Vorerben die Nachlaßzuwendung grundsätzlich als vom Vorerben stammend zu versteuern, § 6 Abs. 2 S. I ErbStG. Er kann jedoch beantragen, daß der Versteuerung das Verwandtschaftsverhältnis zum Vorerben zugrundegelegt wird, § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Dies wird er immer dann tun, wenn dann eine günstigere Steuerklasse einschlägig ist, vgl. § 15 ErbStG. Dieses Wahlrecht bleibt bei modiflZierbaren Nacherbfolgen nun nur dann uneingeschränkt bestehen, wenn der Vorerbe neue Nacherben bestimmen können soll. Soll er dagegen die Nacherbfolge gänzlich beseitigen können, so entfällt diese Wahlmöglichkeit immer dann, wenn der Vorerbe die Nacherbfolge aufhebt. Der Begünstigte ist dann (Voll)Erbe des (seinerseits zum Vollerben gewordenen) Vorerben, so daß § 6 Abs. 2 ErbStG nicht greift, vgl. Troll, ErbschaftsteuerG, RdNr. 2 am Ende.

8 Die Rechtsstellung des Vorerben ist daneben auch schuldrechtlich beschränkt. Eine der wichtigsten Beschränkungen fmdet sich in § 2134 Satz I BGB. Danach hat

A. Die RechtsprechWlg des Reichsgerichts Wld die ihr folgende Literatur

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möglich, den Vorerben von den meisten dieser Verbote freizustellen, nach den §§ 2136, 2137 BGB betriffi: diese Freistellung jedoch nicht die Vorschriften der §§ 2113 Abs. 2 und § 2115 BGB. Nach § 2113 Abs.2 BGB sind unentgeltliche Verfugungen über Erbschaftsgegenstände unwirksam91O . Gleiches gilt nach § 2115 BGB fiir Verfugungen im Wege der Zwangsvollstreckung, des Arrestvollzuges und im Konkurs, sofern sie nicht durch einen Nachlaßgläubiger erfolgen. Die soeben genannten Rechtsfolgen treten nun bei modifizierbaren Nacherbschaften nur dann zwingend ein, wenn die Auslegung ergibt, daß der Vorerbe einen neuen Nacherben bestimmen können soll (= erste Interpretationsmöglichkeit). Kann er demgegenüber die Nacherbfolge als solche völlig beseitigen (= zweite Interpretationsmöglichkeit), werden die dinglichen Schutzinstrumente der Nacherbschaft der Disposition des Vorerben überlassen. Allerdings wirkt die Unsicherheit darüber, ob eine aufhebenden Verfugung getroffen werden wird oder ob eine bereits errichtete letztwillige Verfugung auch noch beim Tod des Erstbedachten Bestand haben wird, stattdessen wie eine faktische Beschränkung: Eine die Nacherbfolge beseitigende Anordnung des Vorerben führt nämlich nunmehr dazu, daß es überhaupt nicht mehr zu einer Nacherbfolge kommt. Hat der Vorerbe zu Lebzeiten unter Verstoß gegen die §§ 2113 Abs. 2, 2115 BGB über Nachlaßgegenstände verfugt, kann eine derartige Verfugung das Recht des Nacherben mangels Eintritts eines Nacherbfalles nicht mehr beeinträchtigen. Sie ist dann von Anfang an wirksam 11 12.

der Vorerbe Wertersatz zu leisten, wenn er einen Erbschaftsgegenstand ft1r sich verwendet. Nach § 2138 Abs. 2 BGB hat er außerdem im Falle Wlentgeltlicher VerfügWlgen Schadensersatz zu leisten. Schließlich werden die Rechte des Vorerben durch die §§ 2116 bis 2123 BGB beschränkt. Diese Vorschriften wollen durch eine VerpflichtWlg zu einer risikolosen VerwendWlg der Erbmasse deren SchmälerWlg vermeiden. Allerdings gelten diese RegelWlgen abgesehen von § 2138 Abs. 2 BGB bei einer befreiten Vorerbschaft nicht, § 2136 BGB. 9 Derartige VerfügWlgen könnten allerdings über § 2113 Abs. 3 BGB bei Gutgläubigkeit des Dritten wirksam werden. Dem Dritten wäre freilich auch in einem derartigen Falle nicht viel geholfen, da er dann nach § 816 Abs. I Satz 2 BGB schuldrechtIich zur Herausgabe verpflichtet wäre, Münchener Kommentar-GrWlsky, § 2113 RdNr. 32. Daneben haftet in einem derartigen Fall der Vorerbe nach § 2138 Abs. 2 BGB. 10 Die herrschende MeinWlg wendet § 2113 Abs. 2 BGB auch auf bloß teilweise Wlentgeltliche VerfügWlgen an. Nachweise Wld Kritik bei Soergel-Harder, § 2113 RdNr.21. 11 So ausdrücklich Stiegeier, Dissertation, S. 98f.; Nieder, Handbuch, RdNr. 543.

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Teil 3, Kap. 2: Die Regehmg der Nacherbfolge durch den Vorerben

Unterläßt der Vorerbe demgegenüber eine die Nacherbfolge beseitigende Verfiigung, bleibt die vom Erblasser angeordnete Nacherbschaft bestehen. Die Rechtsfolgen der §§ 2113ff. BGB treten dann ohne Beschränkung ein. Zu Lebzeiten des Vorerben steht damit nicht fest, ob dagegen verstoßende Verfiigungen auch tatsächlich unwirksam sind. Das wird erst nach dem Tod des Vorerben geklärt 13 . Praktisch hat dies zur Folge, daß die Vertragspartner des Vorerben die eventuelle Geltung der Verfiigungsbeschränkungen der Vorerbschaft berücksichtigen und aufgrund dieser unkalkulierbaren Lage auf den Abschluß derartiger Geschäfte regelmäßig verzichten werden 14. Dieser rechtstechnische Unterschied zwischen den beiden Interpretationsweisen ist deshalb so wichtig, weil nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und den ihm folgenden Literaturstimmen nur bei dem zuletzt genannten Auslegungsweg (der Ermächtigung, sich zu einem Vollerben aufzuschwingen) ein Verstoß gegen § 2065 BGB ausscheiden soll. Vor der Darstellung dieser 12 Des weiteren scheiden dann auch die in den §§ 2134, 2138 Abs. 2 BGB geregelten schuldrechtlichen Ersatzanspruche des Nacherben gegen den Vorerben aus, weil ohne Nacherbfall niemand aktivlegitimiert ist.

13 Aus diesem Grund muß der Nacherbenvermerk im Grundbuch eingetragen werden, HorberlDemharter, GBO § 51 Anm. I b; Meikel, § 51 RdNr. 13; Haegele/Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, RdNr. 3496. 14 Außerdem führten die beiden Interpretationsweisen zu unterschiedlichen pflichtteilsrechtlichen Folgen (dies betont auch Frank, MittBayNot 1987, S. 231,235). Vorliegend kommt es auf die Pflichtteilsanspruche beim Tode des Vorerben an. Grundsätzlich ist ein gegen einen Vorerben gerichteter Pflichtteilsanspruch kleiner als der gegen einen Vollerben: Der Vollerbe wird nach § 1922 BGB Berechtigter des Nachlasses. Stirbt dieser, berechnet sich der Pflichtteilsanspruch nach § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB aus dem Gesamtnachlaß, in dem das vom Erblasser stammende Vermögen mit enthalten ist. Anders verhält es sich, wenn beim Tod des Bedachten das diesem zugewendete Vermögen als Nacherbschaft einer dritten Person zufiillt. Dieses wird dann nicht Bestandteil des fiir die Pflichtteilsberechnung maßgeblichen Eigenvermögens des Vorerben (Soergel-Dieckmann, § 2311 RdNr.7; Nieder, Handbuch, RdNr. 548). Der Pflichtteilsanspruch ist damit regelmäßig kleiner als im Falle einer Vollerbschaft. Dies gilt nun bei modifIzierbaren Nacherbfolgen nur dann, wenn der Vorerbe dazu ermächtigt ist, neue Nacherben zu bestimmen. Soll er demgegenüber die Nacherbfolge völlig beseitigen und sich demzufolge zu einem Vollerben aufschwingen können, so kann er dadurch die Nacherbschaft mit seinem Eigenvermögen vereinigen. Wegen § 2311 Abs. I S. 1 BGB berechnet sich der Pflichtteil bei Vorliegen einer aufhebenden VerfUgung aus dem nun entstehenden Gesamtvermögen. Er ist damit regelmäßig höher als beim Bestehenbleiben der Nacherbfolge. Es bleibt demgegenüber bei der Berechnung aus dem Eigenvermögen des Vorerben, wenn es nicht zu einer aufhebenden VerfUgung kommt.

A. Die Rechtsprechllllg des Reichsgerichts lllld die ihr folgende Literatur

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Auffassung soll jedoch noch geklärt werden, ob modifizierbare Nacherbfolgen nicht noch aus anderen Gründen unwirksam sein könnten.

11. Anknüpfungspunkte für ein rechtliches Verbot außerhalb des Grundsatzes der Selbstentscheidung Die Zulässigkeit modifizierbarer Nacherbfolgen stößt bereits unter dem Gesichtspunkten einer Verletzung des § 2113 Abs. 2 BGB oder des § 2302 BGB auf Bedenken. Hierzu ist jeweils zwischen den beiden oben dargestellten Auslegungswegen zu unterscheiden.

1. Die Vereinbarkeit mit § 2113 Abs. 2 BGB

a) Nach § 2113 Abs. 2 BGB sind dem Vorerben unentgeltliche Verfiigungen nicht gestattet. Letztwillige Verfiigungen erfolgen unentgeltlich. Von dieser Beschränkung kann der Vorerbe auch nicht befreit werden, § 2136 BGB. Man könnte daher erwägen, die Anordnung einer durch den Vorerben modifizierbaren Nacherbschaft bereits aufgrund eines Verstoßes gegen § 2113 Abs. 2 BGB für unzulässig zu erachten, weil die letztwillige Verfiigung des Vorerben unentgeltlich erfolgt. b) Diese Betrachtungsweise würde allerdings übersehen, daß nach § 2113 Abs. 2 BGB eine unentgeltliche Verfiigung nicht schlechthin unwirksam ist l5 . Die Unwirksamkeit steht vielmehr unter einem doppelten Vorbehalt. Zum einen muß durch die Verfiigung das Recht des Nacherben beeinträchtigt werden. Zum zweiten hat dies bei Eintritt der Nacherbfolge zu erfolgen. Daher verstoßen modifizierbare Nacherbschaften auch nicht gegen § 2113 Abs. 2 BGB. aa) Ergibt die Auslegung der letztwilligen Verfiigung, daß der Vorerbe neue Nacherben bestimmen können soll, so fehlt es an einer "Beeinträchtigung des Rechts des Nacherben". Dazu kommt es nämlich nur dann, wenn der Wert der Anwartschaft durch eine lebzeitige Verfiigung des Vorerben geschmälert wird, nicht aber bei einer Neuzuordnung der als solche unveränderten Nacherbschaft. Der Zweck des § 2113 Abs.2 BGB besteht nämlich nur darin, übertriebene Wertminderungen der Nacherbenanwartschaft zu unterbinden l6 . Das folgt aus dem systematischen Zusammenhang zu den §§ 2111, 2112 BGB. Danach ist der Vorerbe in seiner Verfiigungsbefugnis grundsätzlich frei, weil 15 Milnchener Korrunentar-Gfllllsky, § 2113 RdNr. 9. 16 Milnchener Korrunentar-GflUlsky, § 2113 RdNr. 20.

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Teil 3, Kap. 2: Die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben

die Surrogate Nachlaßbestandteil werden. Bei unentgeltlichen Verfügungen kommt es aber nicht zur Surrogation. bb) Ergibt die Auslegung demgegenüber, daß der Vorerbe die Nacherbfolge völlig beseitigen können soll, so fehlt es bereits an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmales "bei Eintritt der Nacherbfolge" 17.

2. Die Vereinbarkeit mit § 2302 BGB

Die Ermächtigung des Vorerben, die Nacherbfolge im Nachhinein zu modifizieren, ist auch noch unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Verletzung des § 2302 BGB problematisch l8 . Allerdings trifft dies nur für einen speziellen Unterfall zu. Möglicherweise will der Erblasser die Anordnung einer vom Willen des Vorerben abhängigen Nacherbfolge dahingehend ausgestalten, daß der Vorerbe bei der Abänderung gewisse Vorgaben zu beachten habe. Denkbar ist insbesondere, daß der oder die Letztbedachten einem bereits vorgegebenen Personenkreis entnommen werden sollen oder daß die Entscheidung des Dritten nur die Erbquoten von als solchen namentlich bereits feststehenden Nacherben betreffen SOllI9. Geht man davon aus, daß die Befugnis des Vorerben dahin gehen soll, die Nacherbfolge völlig zu beseitigen, so bedeutet dies, daß er hinsichtlich seiner eigenen Verfügung von Todes wegen, also bezüglich der Bestimmung des Erben seines Nachlasses (in dem die vormalige Vorerbschaft nunmehr enthalten ist), gewisse Vorgaben des Erblassers zu beachten hat. Im Ergebnis könnte so seine Testierfreiheit beeinträchtigt werden, da er zwar Vollerbe werden, dann aber bei seiner eigenen Erbeinsetzung nicht völlig frei sein soll. Gerade die Testierfreiheit wird nun aber durch § 2302 BGB geschützt. a) Für eine Anwendung des § 2302 BGB sprechen bei anfanglicher Betrachtung auch gute Gründe. Diese Norm gilt zwar unmittelbar nur rur schuldrechtliche Verträge. Nach wohl unbestrittener Ansicht20 ist sie jedoch

17 Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41, 46f.; Herrmann, AcP 155, S. 434, 438. Flad, ZaKDR 1938, S. 431,434, läßt diese Frage offen. 18 Dieser Gesichtspunkt wird insbesondere von Brox, Festschrift fllr Bartholomeyczik, S. 41, 49ff., behandelt.

19 So in dem vom Bundesgerichtshof in BGHZ 59, 220ff. = NJW 1972, S. 1987f., entschiedenen Fall. 20 BayObLGZ 1958, 225, 230; OLG Ramm NJW 1974, S. 60; MÜllchener Kommentar-Musie1ak, § 2302 RdNr. 3; Soergel-Wolf, § 2302, RdNr 2; von Lübtow, Band I

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analog auf Auflagen anzuwenden, wonach der Erbe in einer bestimmten Art und Weise letztwillig zu verfugen habe. Der Grund liegt darin, daß auch so auf den Erblasser Druck ausgeübt wird, in einer bestimmten Weise zu testieren. Danach könnte bei einer nur begrenzten Abänderungsbefugnis auf den ersten Blick ein Verstoß gegen § 2302 BGB zu bejahen sein, weil der Vorerbe nun scheinbar aufgrund der dahingehenden Auflage des Erblassers in der von ihm vorgegebenen Art und Weise testieren soll. b) Letztendlich scheidet ein Verstoß freilich aus21 . Die in Rede stehende Anordnung ist nämlich gerade nicht als Auflage an den Erstbedachten zu interpretieren, in der vorgegebenen Weise zu testieren. Sie ist vielmehr dahingehend auszulegen22, daß der Vorerbe nur dann Vollerbe werden solle, wenn er sich bei seiner eigenen letztwilligen VerfUgung innerhalb der Vorgaben des Erblassers bewegt23. Im Gegensatz zu den Anordnungen, die dem Vorerben das Recht verleihen, die Nacherbschaft völlig zu beseitigen, hat der Erblasser den Eintritt der Bedingung vorliegend davon abhängig gemacht, daß der Vorerbe eine aufhebende letztwillige VerfUgung errichtet und diese sich - kumulativ - innerhalb des vorgegebenen Rahmens möglicher Anordnungen hält2425 .

S. 105; Schlüter, § 14 IV 3; Battes, AcP 178,337, 364ff., 368ff.; Nieder, Handbuch, RdNr.364.

21 Anders wohl Kossmann, S. 93. 22 Nach ganz herrschender Meinung kommt sogar eine Umdeutung in Betracht, vgl. die Nachweise bei Nieder, Handbuch, RdNr. 364, FN. 878.

23 Brox, Festschrift filr Bartholomeyczik, S. 41,49. 24 So OLG Hamm, Rpfleger 1972, S. 445; Keim, S. 127. Prägnant Langenfe1d1 Gail, Handbuch, Kap. IV. RdNr. 53, die darauf hinweisen, hier sei der Anfall der Nacherbfolge "doppelt bedingt".

25 Dies fiUrrt übrigens hinsichtlich der Geltung der §§ 2l13ff. BGB zu eigentümlichen Konsequenzen. Unterläßt der Vorerbe jedwede eigene Anordnung, verbleibt es bei der Anordnung des Erblassers. Die Nacherbfolge tritt ein, die §§ 2l13ff. BGB beschränken die lebzeitige Verft1gungsbefugnis des Vorerben. Ebenso verhält es sich, wenn der Vorerbe eine eigene Verfiigung von Todes wegen errichtet, die gegen die Vorgaben des Erblassers verstößt. Da dann die Bedingung nicht eingetreten ist, nach der die Nacherbschaft in eine Schlußerbschaft abgeändert werden soll, verbleibt es wiederum bei der Geltung der §§ 2l13ff. BGB. Anders verhält es sich jedoch filr den Fall, daß sich die abändernde Verft1gung des Vorerben innerhalb der vom Erblasser gesetzten Grenzen hält. Dann wird aus der Nacherbschaft eine Schlußerbschaft, die §§ 2l13ff. BGB gelten dann nicht.

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Bei einer derartigen Gestaltung handelt es sich um eine sogenannte kaptatorische VerfUgung26. Nach heutigem Verständnis27 liegt diese dann vor, wenn der Erblasser einen anderen zum Erben unter der Bedingung einsetzt, daß dieser in einer vom Erblasser vorgegebenen Weise testiere2 8 . Hier wurde der Vorerbe nun unter der Bedingung zum Vollerben ernannt, daß er gerade die vom Erblasser bestinunten Personen bedenkt. Eine derartige Anordnung stellt nach allgemeiner Meinung29 jedenfalls keinen Verstoß gegen § 2302 BGB dar, weil der Vorerbe hier gerade nicht dazu verpflichtet werden soll, in einer bestinunten Art und Weise letztwillig zu verfUgen, sondern weil sein Testat nur darüber bestinunt, ob die Nacherbfolge fortbesteht. Die von einigen Autoren30 gegen die Zulässigkeit derartiger Anordnungen gerichteten Bedenken beruhen daher auch ausschließlich auf der Annahme, § 2065 BGB werde so umgangen31 . Gerade die Frage der Vereinbarkeit mit § 2065 BGB gilt es auch nunmehr zu untersuchen.

26 Vgl. Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 24. 27 Vgl. zur wesentlich engeren Defmition derartiger Anordnungen im römischen Recht hnmel, Die höchstpersönliche Willensentscheidung, S. 18ff.

28 BGH MDR 1972, S. 36; MÜllchener Korrunentar-Musielak, § 2302 RdNr.3; Soergel-Wolf, § 2302 RdNr. 3; Kipp/Coing, § 18 V. 29 BGH LM § 533 Nr. 1 = WM 1971, S. 1510; BGH LM § 533 Nr. 6 = NJW 1977, S. 950; MÜllchener Korrunentar-Musie1ak, § 2302 RdNr.3; Staudinger-Otte, § 2074, RdNr. 43; Soerge1-Wolf, § 2302 RdNr. 3; Ennan-Schmidt, § 2302 RdNr. 3; Nieder, Handbuch, RdNr. 364; Brox, Festschrift ftlr Bartholomeyczik, S. 41, 49; Johannsen, WM 1973, S. 530; Battes, AcP 178, S. 364ff., 368tI 30 Kipp/Coing, § 18 V, Brox, Festschrift ftlr Bartholomeyczik, S. 41, 52. Zu Kipp/Coing unten A V 5d ce (2) und FN 162, zu Brox unten FN 40 am Ende.

31 Nur in krassen Ausnalunefallen soll auch gegen § 138 BGB verstoßen werden (RGRK-Johannsen, § 2074 RdNr. 12), nämlich dann, wenn der Wille des Vorerben in eine bestimmte Richtung hin beeinflußt werden soll. Letzteres ist hier aber nicht der Fall, da von der Eigenverftlgung des Vorerben nur abhängt, ob er sich auch zwn Vollerben machen kann.

A. Die RechtsprechWlg des Reichsgerichts Wld die ihr folgende Literatur

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IH. Die Vereinbarkeit disponibler Nacherbschaften mit dem Grundsatz der Selbstentscheidung - Die Argumentation des Reichsgericht und der herrschenden Literatur 1. Disponible Nacherbfolgen und Anknüpfungspunkte für einen Ventoß gegen den Grundsatz der Selbstentscheidung

a) Ennächtigt der Erblasser den Vorerben, in dessen eigener letztwilliger Verfügung die Nacherbfolge zu modifizieren, liegt ein Verstoß gegen § 2065 BGB scheinbar auf der Hand. Wie sogleich zu zeigen sein wird, ist in einer ganz speziellen Fallkonstellation auch noch an einen Verstoß gegen § 2064 BGB zu denken. Im einzelnen ist hier wie folgt zu unterscheiden. aa) Regelmäßig wird die Ennächtigung an den Vorerben dahin gehen, daß er anstelle des ursprünglich Bedachten eine neue Person zum Erben einsetzen kann. Dies könnte gegen § 2065 BGB verstoßen, wobei zu berücksichtigen ist, daß derartige Anordnungen, wie schon oben gezeigt, auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden können. Soll der Vorerbe neue Nacherben ernennen können, so kommt ein Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 Alt. 1 BGB in Betracht, weil der Vorerbe nun ennächtigt ist, anstelle des zunächst eingesetzten Nacherben eine andere Person zum neuen Nacherben zu bestimmen. Darüber hinaus ist diese Anordnung aber auch noch an § 2065 Abs. 1 BGB zu messen, weil der Vorerbe zugleich entscheidet, ob die Einsetzung des zunächst bestimmten Nacherben fortgelten soll. Ergibt die Auslegung demgegenüber, daß der Vorerbe die Nacherbfolge völlig beseitigen kann, so könnte § 2065 Abs. 1 BGB verletzt sein, weil der Vorerbe nun über die Gültigkeit der Nacherbfolge zu bestimmen hat. bb) Möglicherweise soll der Vorerbe aber nur die Erbquoten von als solchen unverrückbar feststehenden Erben modifizieren können. Geht man davon aus, daß die Nacherbfolge bestehenbleiben soll, so sind derartige Anordnungen an § 2065 Abs. 2 Alt. 2 BGB zu messen, weil der Vorerbe nun über die Bestimmung der Erbquoten den Gegenstand festlegen kann, der den Nacherben jeweils zustehen soll. Wie schon gezeigt32 ist es aber auch bei derartigen Anordnungen denkbar, diese wiederum dahingehend zu interpretieren, daß der Vorerbe die Nacherbfolge völlig beseitigen kann. Er ist dann zusätzlich verpflichtet, nur diejenigen als neue Schlußerben (mit geänderten Quoten) zu bedenken, die der Erblasser ursprünglich zu Nacherben bestimmt hat. Dann

32 Vgl. oben All 2, dort zu der Frage, ob dies gegen § 2302 BGB verstößt.

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Teil 3, Kap. 2: Die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben

könnte erneut § 2065 Abs. 1 BGB verletzt sein, weil der Vorerbe wiederum bestimmt, ob die Nacherbfolge gilt. cc) Gestattet der Erblasser dem Vorerben, den zum Nacherben Berufenen nachträglich noch mit Vermächtnissen zu beschweren, so ist wiederum zu unterscheiden (dabei ist es irrelevant, ob er zugleich befugt sein soll, zusätzlich auch noch neue Nacherben zu bestimmen): Ergibt die Auslegung, daß die Nacherbfolge als solche bestehenbleiben soll, so soll der Vorerbe an einem ftir ihn fremden Nachlaß, nämlich der Nacherbschaft, Vermächtnisse aussetzen. Dies kann einem Dritten grundsätzlich nicht gestattet werden, die §§ 2151ff. BGB ermöglichen dessen Einschaltung nämlich nur bei der späteren Konkretisierung von als solchen bereits feststehenden Anordnungen33 . Vielmehr muß hier der in § 2064 BGB enthaltene Grundsatz der Selbsttätigkeit eingreifen, weil der Vorerbe hier als Stellvertreter des Erblassers zu Lasten eines ftir ihn fremden Nachlasses ein Vermächtnis anordnen soll. Dieses Vermächtnis soll, wie es gern. § 2177 BGB möglich ist, auf seinen eigenen Tod hinaus aufschiebend befristet sein. Anders verhält es sich dann, wenn man derartigen Anordnungen die Gestaltungsvariante zugrundelegt, daß sich der Vorerbe zu einem Vollerben aufschwingen können soll. Dieses Aufschwingen erfolgt, wenn der Vorerbe zugleich neue Schlußerben bestimmt, durch diese Erbeinsetzung. Andernfalls erfolgt es durch die nachträgliche Vermächtnisanordnung. Der ursprünglich zum (unbelasteten) Nacherben bestimmte soll damit zu einem mit einem Vermächtnis belasteten Schlußerben werden. Nunmehr belastet das Vermächtnis gerade nicht das dem Vorerben nicht zustehende Sondervermögen. Es ist vielmehr aus der zu seinem Eigenvermögen gewordenen vormaligen Nacherbschaft zu erfullen. Derartige Anordnungen verstoßen deshalb nicht gegen § 2064 BGB, weil der Vorerbe nunmehr gerade nicht als Stellvertreter des Erblassers auf einen fremden Nachlaß Einfluß nimmt34. Als Anknüpfungspunkt ftir ein rechtliches Verbot kommt wiederum nur § 2065 Abs. 1 BGB in Betracht, weil nun mittels der Einsetzung neuer Schlußerben bzw. der Neuanordnung des Vermächtnisses die Nacherbfolge beseitigt werden so1l35. b) Obwohl wie gezeigt in allen Fallkonstellationen modifizierbarer Nacherbfolgen eine Verletzung der §§ 2064, 2065 BGB zu beftirchten ist, will die herrschende Meinung in der Literatur3 6 im Anschluß an die reichsgerichtliche 33 Vgl. oben Teil 2, Kapitel 2, A 13. 34 Vgl. dazu RG JW 1925, S. 2l21ff. 35 Vgl. hierzu RG DR 1942, 1368. 36 MÜllchener Kommentar-Grunsky, § 2100 RdNr. 13; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 19fT.; Staudinger-Behrends, § 2100 RdNr. 29; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 19, 20; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 10; Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8; Ditt-

A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die ihr folgende Literatur

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Rechtsprechung37 derartige Anordnungen für zulässig erklären. Sie hält diese jedoch nur dann mit dem Gebot zur Selbstentscheidung für vereinbar, wenn die Auslegung ergibt, daß der Vorerbe dazu ermächtigt sein soll, die Nacherbfolge zu beseitigen, sich also zum Vollerben aufzuschwingen, und so über den ihm als Eigenvermögen zugefallenen Nachlaß zu verfügen (diese Anordnungen sind wie soeben gezeigt immer hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit § 2065 Abs. 1 BGB fragwürdig). Unzulässig soll es demgegenüber sein, dem Vorerben die Befugnis einzuräumen, neue Nacherben zu emennen38 . Dies war lange Jahre gleichsam als Dogma39 anerkannt40 , auch der Bundesgerichtsmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, Vor §§ 2229ff RdNr. 17; Langenfe1d1Gai1, Handbuch, Kap IV RdNr. 52; Model, Testamentsrecht, RdNr. 122; Nieder, Handbuch RdNr. 543; Spiegelberger, Handbuch, RdNr. 687; Kipp, JW 1920, S. 286; Sieber, JW 1925, S. 2121f; F1ad, ZaKDR 1938, S. 431,434; Raape, AcP 140, 233ff.; Hemnann, AcP 155, S. 434ff, Schäfer, BWNotZ 1962, S. 188, 190ff; Gaberdie1, Rpfleger 1966, S. 265; Haegele, Rpfleger 1965, S. 355, 357; Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41, 43ff.; derselbe in Erbrecht, RdNr. 103; Zawar, DNotZ 1986, S. 515,521; Langenfeld, NJW 1987, S. 1577,1579; SÜI1ner, S. 80ff; Keim, S. 114ff 37 Erstmals in RG JW 1910, S. 820. Seither RG Recht 1916 Nr. 253; RGZ 95, 278f = JW 1920, S. 286; RG JW 1925, S. 2121ff.; RG SeuffA 76 (1921) Nr. 163; RG

DNotZ 1942, S. 374. 38 Deutlich OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, S. 646ff; FamRZ 1991, S. 862, 863; Staudinger-Otte § 2065 RdNr. 19; Soergel-Loritz, § 2065 RdNr. 20; Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41, 42f 39 Endemann, JW 1933, S. 1349 für den spezielleren Fall eines gemeinschaftlichen Ehegattentestamentes. 40 Streit herrscht demgegenüber im Detail. Eine verbreitete Ansicht (etwa Münchener Kommentar-Grunsky, § 2100 RdNr. 13; RGRK-Johannsen, § 2065 RdNr. 16, beide gegen BGHZ 59, 220ff.) meint nämlich, daß eine Interpretation modiflzierbarer Nacherbschaften im Sinne der (von den genannten Stimmen als mit § 2065 Abs. 1 BGB vereinbar angesehenen) Befugnis zur völligen Beseitigung der Nacherbfolge dann nicht möglich sei, wenn der Erblasser dem Vorerben nur eine begrenzte Gestaltungsbefugnis einräumen wollte, etwa dergestalt, daß er unter den als solche feststehenden ''Nacherben'' nur eine andere Verteilung vornehmen können solle (vgl. oben A 1111b, zur Frage eines Verstoßes gegen § 2302 BGB schon oben A 112). Demgegenüber soll nach der Auffassung von Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 23, auch in derartigen Fällen mit der Aufschwungkonstruktion gearbeitet werden können. Dem ist zumindest für die Fälle einer befreiten Vorerbschaft zuzustimmen. Rechtstechnisch ist, wie oben unter A 1111 a bb gezeigt, die Anwendung der Aufschwungkonstruktion entgegen Grunsky auch vorliegend möglich. Außerdem setzt man sich auch nicht zu dem Willen des Erblassers in Widerspruch. Bei befreiten Vorerbschaften ist es dem Erblasser regelmäßig nicht so sehr auf die speziellen Rechtsfolgen der Nacherbfolge angekommen (dazu schon oben A I), sondern eher darauf, daß er selbst bereits grobe Leitlinien ftir die weitere Vermögenszuordnung vorgeben konnte. Gerade dies wird auch bei der Aufschwungkonstruktion gewährleistet. 8 Wagner

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Teil 3, Kap. 2: Die Regelung der Nacherbfolge durch den Vorerben

hoF 1 und die Obergerichte42 haben sich dem zunächst angeschlossen4344 . Nur wenige Stimmen in der Literatur lehnen diese Ansicht ab45 . Völlig überNach der Meinung von Brox, Festschrift für Bartholomeyczik, S. 41, 52(, soll allerdings bei begrenzten ModifIzierungsbefugnissen eine (unzulässige) Umgehung des § 2065 BGB vorliegen, wenn man diese im Wege einer Ermächtigung zur Beseitigung der Nacherbfolge interpretiert (schon oben FN 30). Dem ist jedenfalls entgegenzuhalten, daß eine Umgehung des § 2065 BGB wohl schwerlich davon abhängen kann, daß der Abänderungsbefugnis des Vorerben gerade Grenzen gesetzt werden. 41

BGHZ 2, 35ff. = NJW 1951, S. 959; BGHZ 59, 220ff. =NJW 1972, S. 1987f.

42 KG DNotZ 1956, S. 195; OLG Hamm DNotZ 1967, S. 315(; OLG Hamm OLGZ

1973, S. 103 = DNotZ 1973, S. 110. 43 Einige Autoren lassen sich durch die breite Akzeptanz dieser herrschenden Meinung sogar zu der Empfehlung verleiten, über den Umweg der angeblich zulässigen Drittbestinunung bei der Nacherbschaft die nach herrschender Meinung bestehenden Grenzen der Drittbestimmung bei der normalen Erbeinsetzung (dazu vorher in Teil 3, Kapitel 1, A) zu umgehen (so Langenfeld, Testament, S. 78(; Sudhoff, Handbuch, S. 28; wohl auch Graf zu Castell, Beck'sches Formularbuch Kapitel Vl4 Anm. 2.). Dabei wird der Kehrtwendung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung offensichtlich keine weitere Bedeutung beigemessen. 44 Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes in BGH LM § 2065 Nr. 6 = WM 1970, S. 640, soll es unzulässig sein, das zur Bedingung für den Anfall der Nacherbschaft erhobene Verhalten auch in einer Verfügung des Vorerben zu sehen, die dieser schon vor dem Anfall der Vorerbschaft errichtet hatte, also noch zu Lebzeiten des Erblassers. Johannsen, WM 1972, S. 923, 924, und Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8 am Ende, haben sich dem angeschlossen. Der Bundesgerichtshof hatte darauf hingewiesen, daß sich der Testierwille des Vorerben in derartigen Fällen nur auf das eigene Vermögen bezogen habe. Die Rechtssicherheit verlange aber, daß der Vorerbe auch über das ihm zufließende Vermögen verfugen wollte. Dieser Überlegung ist nicht zuzustimmen (so auch Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 27; Brox, Festschrift ftir Bartholomeyczik, S. 41,47). Es überzeugt nicht, wenn der Bundesgerichtshof darauf abstellt, der verfUgende Vorerbe wisse noch nicht, daß er auch über zukünftiges Vermögen mit verfUgen werde. Grundsätzlich erfaßt eine Verfügung von Todes wegen nämlich immer auch zukünftiges Vermögen, daher kann auch die Verfügung des Vorerben sehr wohl die ihm später zufallende Vorerbschaft einschließen. Es ist somit grundsätzlich möglich, daß die Nacherbfolge auch durch eine vor dem Tode des Erblassers errichtete letztwillige Verfugung aufgehoben wird. Die Auslegung kann allerdings ausnahmsweise ergeben, daß der Erblasser nur auf eine Verfügung des Vorerben abstellen wollte, die dieser in dem Bewußtsein getroffen hatte, die Nacherbfolge zu modifIzieren. 45 Münchener Kommentar-Leipold, § 2065 RdNr. 10; neuerdings auch ErmanSchmidt, § 2065 RdNr. 5; Jauernig-StÜffier, § 2065 Nr. 1; Kipp/Coing § 79 N 3, 18 m4; von Lübtow, Band I, S. 140; Männer, LZ 1925, S. 570; Stiegeler, Dissertation S. 74ff., 89ff; derselbe in BWNotZ 1986, S. 25ff. Distanziert Münchener KommentarMusielak, § 2271 RdNr. 32; Leopold, Testamentsrecht, S. 133 FN. 1; Buchholz, Erb-

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raschend hat der Bundesgerichtshof später ausdrücklich offengelassen, ob er an seiner Rechtsprechung weiterhin festhalten wolle46 . Dies ist im Schrifttum nur auf geringe Resonanz gestoßen47, auch die Obergerichte wurden dadurch nicht davon abgehalten, die genannten Anordnungen weiterhin für wirksam zu erklären48 . Im einzelnen werden für die Zulässigkeit der für wirksam erachteten Anordnungen die nachfolgenden Begründungen vorgetragen.

2. Das Scheinargument, der Vorerbe verfüge letztwillig über eigenes Vermögen

Wenn man sich mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Ermächtigung des Vorerben zur Aufhebung der Nacherbfolge befaßt, stößt man immer wieder auf dieselbe Formulierung. Geradezu beschwörend weisen die derartige Anordnungen für zulässig erachtenden Stimmen immer wieder darauf hin, "der Vorerbe verfüge in einern solchen Falle nicht über das Vermögen des Erblassers, was man ihm auch nicht gestatten könne, sondern nur über sein eigenes Vermögen, in welchem das des Erblassers mit enthalten sei"49. Diese Beobachtung trifft sicherlich zu. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden eingangs dargestellten Auslegungswegen liegt darin, daß der Vorerbe in der zuerst dargestellten Variante - der Ernennung neuer Nacherben - eine Verfügung über einen fremden, in der zweiten Variante - das Aufschwingen zum Vollerben - aber über einen zu Eigenvermögen gewordenen Nachlaß trifft. Diese Aussage kann jedoch entgegen einiger Stimmen in der Literatur50 folge Wld WiederverheiratWlg, S. 92ff.; Stanovsky, BWNotZ 1974, S. 102; Sens, S. 39ff.

NJW 1981, S. 2051,2052 = JZ 1981, S. 229,230. 47 Die meisten Autoren haben ihren Standpunkt beibehalten. Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8, führt diese EntscheidWlg gar als Beleg fiIr die Zulässigkeit derartiger AnordnWlgen an. 48 BayObLGZ 1982, S. 331, 341; OLG Oldenburg NJW-RR 1991, S. 646f = FamRZ 1991, S. 862ff.; BayObLG FamRZ 1991, S. 1488f 49 Etwa RGZ 95, 278, 280; BayObLGZ 1982, S. 331, 341; OLG Oldenburg, FamRZ 1991, S. 862,863; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 19; Kipp, JW 1920, S. 286; Herrmann, AcP 155, S. 434, 436; Brox, Festschrift fiIr Bartholomeyczik, S. 41, 43; derselbe in Erbrecht, RdNr. 103. 50 So wohl Palandt-Edenhofer, § 2065 RdNr. 8. Auch Frank, MittBayNot 1987, S. 231,232 Wld Stiegeler, Dissertation, S. 78, erwecken den Eindruck, dies sei als Argument der herrschenden MeinWlg anzusehen. 46

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ftir sich genommen die Zulässigkeit einer nachträglich modifizierbaren Nacherbschaft nicht begründen. Das grundsätzliche Problem ist nämlich nicht, ob der Vorerbe über eigenes oder fremdes Vermögen von Todes wegen verfügt, sondern ob er generell eine ftir ihn fremde Verfügung von Todes wegen beeinflussen kann. § 2065 BGB verbietet nicht nur die Bestimmung von Person oder Gegenstand einer Zuwendung; in Absatz 1 ist bereits die Bestimmung über die Geltung oder Nichtgeltung einer Verfügung untersagt. Wenn der Vorerbe vom Erblasser aber dazu ermächtigt ist, über den Fortbestand oder die Aufhebung einer Nacherbschaft zu bestimmen, liegt darin wie gezeigt51 die Bestimmung über die Geltung dieser zunächst einmal angeordneten Nacherbfolge. Mit der bloßen Überlegung, der Vorerbe verfüge nur über sein eigenes Vermögen, würde das erwünschte Ergebnis unzulässigerweise zum eigentlichen Argument erhoben werden52 . Die eigentliche Fragestellung liegt darin, ob das der Verfügung des Vorerben vorausgehende Aufheben der Nacherbfolge vom Gesetz gestattet wird. Dies zu klären ist auch Gegenstand der nachfolgend wiedergegebenen Auffassungen.

3. Die Begründung Raapes - der Vergleich zur Ausschlagung

a) Am ausführlichsten hat bis dato Raape53 die Zulässigkeit modifizierbarer Nacherbfolgen begründet. Er bildet dazu mehrere Beispielsfälle, denen gemeinsam ist, daß ein willkürlicher Akt des zunächst Bedachten zur Bedingung ftir den Anfall der Erbenberufung eines anderen gemacht wurde. Alle Beispiele Raapes sollen keinen Verstoß gegen § 2065 BGB darstellen. Der ihnen gemeinsame Grundgedanke soll auch in der Ermächtigung des Vorerben enthalten sein, die Nacherbschaft später wieder aufzuheben. Daher soll auch diese Ermächtigung nicht gegen § 2065 BGB verstoßen.

51 Aillla. 52 Man könnte diese Argumentation auch nicht damit begründen, § 2065 Abs. 1 BGB beziehe sich nur auf die Gültigkeit der Verft1gung von Todes wegen im ganzen, nicht auf die einzelnen Anordnungen. Eine wirtschaftlich erhebliche Einflußnahme eines Dritten liegt nämlich auch schon bei der Bestimmung über die Geltung einer einzelnen Verft1gung vor. 53 AcP 140, S. 233ff.; zustimmend OLG Ramm DNotZ 1967, S. 315, 316; OLG 0ldenburg, FarnRZ 1991, S. 862, 864; Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 20; PalandtEdenhofer, § 2065 RdNr. 8; Remnann, AcP 155, S. 431, 434, 435; Schäfer, BWNotZ 1962, S. 188,190.

A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die ihr folgende Literatur

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Raapes Argumentation beginnt mit einem Vergleich zur Ausschlagung. Sein Ausgangspunkt ist eine Gegenüberstellung zweier eindeutig gelagerter Fälle. Es liege zweifelsfrei ein Verstoß gegen § 2065 BGB vor, wenn der Erblasser einen Dritten unter der Bedingung zum Erben einsetze, daß der Ehegatte des Erblassers dieser Erbeinsetzung zustimme oder ihr nicht widerspreche54 . Demgegenüber scheide ein Verstoß gegen § 2065 BGB aus, wenn der Erblasser seinen überlebenden Ehegatten zum Erben mache und für den Fall, daß dieser ausschlage, einen Dritten an dessen Stelle als Ersatzerbe bedenke55 . Der Tatbestand des § 2065 BGB sei hier nicht betroffen, so daß es Fälle geben müsse, in denen der Wille eines anderen, hier der Wille des überlebenden Ehegatten, über die Erbeinsetzung eines Dritten bestimme. Beiden Fällen sei gemeinsam, daß der Erblasser den Dritten nur dann zum Erben machen wolle, wenn sein Ehegatte mit dieser Erbeinsetzung einverstanden sei. Sein Beweggrund sei in beiden Fällen derselbe. Zweifelsohne sei aber der zweite Weg rechtlich zulässig. Das liege daran, daß der Erblasser hier nicht eine, sondern zwei Verfiigungen getroffen habe, nämlich einmal die Erbeinsetzung des Ehegatten und des weiteren die Berufung des Dritten zum Ersatzerben. Letztere sei von der Wirksamkeit der Erbeinsetzung des Ehegatten abhängig 56. Weil die Wirksamkeit der Ersatzerbenberufung nun aber nur und ausschließlich davon abhänge, ob die Erbenberufung des überlebenden Ehegatten zum Tragen komme, soll sich nach Raape die Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten nur auf sein eigenes Erbrecht beziehen, nicht aber auf das des Dritten. Dessen Erbrecht soll nach Raape unmittelbar nur von der Anordnung des Erblassers abhängen, nur mittelbar werde es von der Ausschlagung durch den Ehegatten beeinflußt. Somit habe der Testator trotz der Vorschrift des § 2065 BGB ein Mittel in der Hand, die Entscheidung über das Wirksamwerden einer letztwilligen Verfiigung einem Dritten, hier dem überlebenden Ehegatten, zu übertragen. Daraufhin bildet Raape ein drittes Fallbeispiel. Es sei weiterhin möglich, daß der Erblasser seinen Ehegatten zum Erben einsetze und für den Fall, daß dieser ausschlage, diesen zum bloßen Vorerben und den Dritten zum Nacherben bestimme57 . Die Zulässigkeit derartiger Anordnungen könne § 1951 Abs. 3 BGB entnommen werden. Auch jetzt sei § 2065 BGB nicht verletzt, obwohl es wiederum vom Willen des Ehegatten abhänge, ob der Dritte bedacht werde. Der Grund für die Gültigkeit derartiger Anordnungen soll nach Raape wiederum darin zu sehen sein, daß die Erklärung des Ehegatten hier nur sein 54 AcP 140, S. 233. 55 AcP 140, S. 233,234. 56 AcP 140, S. 233,234. 57 AcP 140, S. 233, 234f.

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eigenes Erbrecht betreffe, nicht das des Dritten. Letzteres hänge nur von der Erbenstellung des Ehegatten ab. Dieses Beispiel modifiziert Raape dann erneut (= viertes Fallbeispiel). Der Erblasser könne dem Erben wirksam die Möglichkeit einräumen, über seine Stellung als Vor- oder Vollerbe auch außerhalb der von § 1944 BGB bestimmten Fristen zu bestimmen58 59. Das sei auf folgendem Wege zu erreichen: Der Erblasser brauche nur den überlebenden Ehegatten zum Vorerben und den Dritten zum Nacherben zu ernennen und darüber hinaus anzuordnen, der Ehegatte werde dann Vollerbe, wenn er eine dahingehende Erklärung abgebe60 . Die letztgenannte Fallkonstellation liegt auch den hier zu untersuchenden Fällen der Abänderung der Nacherbschaft in eine Vollerbschaft zugrunde. (= fünftes Fallbeispiel) Nach der Meinung von Raape sollen auch derartige Bestimmungen zulässig sein61 . Der Grund sei darin zu sehen, daß sich die Erklärung des Ehegatten wiederum nur auf sein eigenes Erbrecht beziehe. b) Raapes Gedankenfiihrung basiert auf rein formalen Gesichtspunkten. Er argumentiert, in seinen Beispielsfällen betreffe die Erklärung des überlebenden Ehegatten unmittelbar immer nur sein eigenes Erbrecht. Diese Überlegungen überzeugen nun schon deshalb nicht, weil sich bei formaler Betrachtung in den beiden von ihm zuletzt gebildeten Fällen (viertes und fünftes Fallbeispiel) die Erklärung des Überlebenden auf sein eigenes Erbrecht wie auf das des Nacherben in gleicher Weise "mittelbar bzw. unmittelbar" auswirkt. aa) Raape ist zunächst einmal zuzugestehen, daß sich die Erklärung des überlebenden Ehegatten in den Beispielen der Vollerbschaft des Ehegatten und der Ersatzerbschaft des Dritten unmittelbar nur auf sein eigenes Erbrecht bezieht. Dies beruht darauf, daß der Anfall dieser Ersatzerbschaft zunächst vom

58 AcP 140, S. 233, 235f. 59 Diese Ausfiihrungen Raapes stehen übrigens im Einklang mit der wohl herrschenden Meinung (vgl. dazu Staudinger-Marotzke (1994), § 1944 RdNr. 5). Freilich verwirft diese herrschende Meinung den an sich naheliegenden Einwand einer Verletzung des § 2065 BGB (dafilr etwa Münchener Kommentar-Leipold, § 1942 RdNr. 8) letztendlich mit der Argumentation Raapes. Daher ergibt die Untersuchung der Argumentation Raapes zugleich Hinweise filr die Beantwortung der Frage, ob der Erblasser über den Weg der Nacherbschaft die Fristen des § 1944 BGB verlängern kann. Dazu untenFN75. 60 Nach Raapes Ansicht soll der Erblasser den Zeitraum filr diese Erklärung beispielsweise auf filnf Jahre festlegen können. Für die grundsätzliche Richtigkeit der Argumentation ist die Länge dieses Zeitraumes unerheblich. 61 AcP 140, S. 233,238.

A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die ihr folgende Literatur

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Nichteintritt einer Bedingung62 abhängt, nämlich von der Nichtgeltung der Erbenberufung des Ehegatten. Daher wirkt die Ausschlagung hier nur über den Zwischenschritt der aus ihr resultierenden Unwirksamkeit der Erbeinsetzung auf die Ersatzerbenberufung des Ehegatten. Die aus der Ausschlagung folgende Unwirksamkeit der Erbeinsetzung ist Tatbestandsmerkmal der Ersatzerbenberufung. bb) In den Fällen einer Ermächtigung des Vorerben zum Aufschwung zum Vollerben (viertes und fünftes Fallbeispiel) fehlt nun diese lediglich mittelbare Wirkung. Das Wahlrecht des Vorerben, Vollerbe werden zu können, bezieht sich hier in gleicher Weise (nach der Terminologie Raapes "gleich mittelbar bzw. unmittelbar") auf dessen Stellung als Vollerbe wie auf die Geltung der Nacherbschaft. Das Nebeneinander von Voll- und Vorerbschaft ist nämlich im Gegensatz zum Nebeneinander von Voll- und Ersatzerbschaft gerade nicht von einer gesetzlichen Subsidiarität gekennzeichnet, weil das Wirksamwerden der Vollerbschaft gerade nicht Tatbestandsmerkmal fur den Wegfall der Nacherbschaft ist. Dieses Ergebnis folgt zwingend aus einer genauen Analyse der rechtlichen Besonderheiten von bedingten Nacherbschaften. Nacherbschaften können grundsätzlich unter einer Bedingung angeordnet werden. § 2108 Abs. 2 Satz 2 BGB enthält nämlich eine Auslegungsregel fur die Vererblichkeit einer unter einer aufschiebenden Bedingung angeordneten Nacherbschaft. Problematisch ist nun aber, wie derartige Anordnungen rechtlich exakt zu qualifizieren sind. Dabei handelt es sich um eine höchst umstrittene Fragestellung63. (1) Die in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretene Ansicht64 geht von der Überlegung aus, daß der Erblasser den Erstbedachten bei nur 62 Dabei ist es ohne Bedeutung, ob man im Nichteintritt der zunächst angeordneten Erbschaft eine Bedingung im Rechtssinne oder eine sogenannte Rechtsbedingung erblickt (ztun Streitstand Soergel-Loritz, § 2096 RdNr. 2). In beiden Fällen verbleibt es bei der Subsidiarität der Ersatzerbschaft, weil der Nichteintritt des Erbfalles Voraussetzung fi1r ihr Eingreifen ist. 63 Dazu jilngst Caspar, Bedingte Erbeinsetzungen, S. 74tI, 79ff. mit umfassenden Nachweisen ztun Streitstand.

64 Letztmals BGH NJW 1988, S. 59; vorher grundlegend BGHZ 96, 198,203. Aus der Literatur etwa Staudinger-Kanzleiter, § 2269, RdNr. 41; Soergel-Wolf, § 2269 RdNr. 26; Palandt-Edenhofer, § 2269, RdNr. 17; Kipp/Coing, § 79 IV 1; Ebenroth, Erbrecht, RdNr. 239. Alle diese Fundstellen beziehen sich auf den Fall einer Wiederverheiratungsklausel in einem Berliner Testament. Wie die Ausfi!hrungen von OLG Oldenburg, NJW-RR 1991 S. 646f. = FamRZ 1991, S. 862tI, und Staudinger-Otte, § 2065 RdNr. 20, zeigen, wird auch die Deutung der vorliegenden Fallkonstellationen von dieser Auffassung beeinflußt.

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bedingt angeordneten Nacherbschaften entweder zum Vorerben oder aber zum Vollerben machen wolle. Der Nacherbe solle ebenfalls nur bedingt zum Zuge kommen. Im Falle einer aufschiebend bedingt angeordneten Nacherbschaft sei der Erstbedachte daher zunächst einmal Vollerbe. Dieses Vollerbenrecht sei auflösend bedingt durch den Umstand, den der Erblasser zur Wirksamkeitsvoraussetzung für den Anfall der Nacherbschaft erhoben habe. Trete diese Bedingung ein, so werde der Vollerbe zum bloßen Vorerben65 . Er sei demnach auch aufschiebend bedingter Vorerbe. Konsequenterweise müßte der Vorerbe nach der herrschenden Meinung im hier zu untersuchenden Falle einer auflösend bedingten Nacherbschaft dann zugleich aufschiebend bedingter Vollerbe sein. Diese Vollerbschaft müßte dann zum Tragen kommen, wenn das zur Bedingung für den Ausfall der Nacherbschaft erhobene Ereignis nicht eintritt. (2) Die Gegenansicht66 meint, auch in den Fällen einer bedingten Nacherbschaft habe der Erblasser nichts anderes angeordnet als eine schlichte Nacherbfolge. Sie legt ihren Ausführungen anders als die herrschende Meinung gerade nicht ein Nebeneinander von Voll- und Vorerbschaft zugrunde, sondern argumentiert mit einem Vergleich von bedingten oder befristeten Erbeinsetzungen einerseits und der Anordnung einer Nacherbschaft andererseits67 . Der Nacherbe werde Erbe, nachdem zuvor der Vorerbe in den Genuß der Erbenstellung gekommen sei. Diese Erbschaft falle dem Nacherben mit einem zukünftigen Ereignis an. Letzteres sei entweder gewiß, wie zum Beispiel der Tod des Vorerben, oder ungewiß, wie zum Beispiel dessen erneute Heirat. Damit sei die Anordnung einer Nacherbschaft mit einer befristeten oder bedingten Erbeinsetzung identisch68 . Die Erbenstellung des Vorerben sei kraft Gesetzes auflösend bedingt oder befristet, die des Nacherben stehe unter einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung. 65 Die herrschende Meinung steht durch diese ihrer Ansicht nach erst später eintretende Wirksamkeit der Nacherbschaft vor dem Problem, wie sie Verftlgungen des Erstbedachten behandeln soll, die dieser noch zu seiner Zeit als Vollerbe vorgenommen hat. Die Beschränkungen der §§ 2113ff BGB dürften dann nicht gelten. Sie meint aber, wenn es einmal zur Geltung der §§ 2113ff BGB komme, so müßten diese auch rückwirkend filr die Zeit der Vollerbenstellung des Erstbedachten gelten. Dazu stellvertretendRGZ 156, S. 172,181. 66 So insbesondere Wilhelm, NJW 1990, S. 2857, 2860fI, im Anschluß an Otte, AcP 187, S. 603,605; Zawar, DNotZ 1986, S. 515ff, 519f.; derselbe in DNotZ 1986, S.544fT. und NJW 1988, S. 16fT.; ähnlich von Lübtow, BandIT, S. 918f. Wilhelms Ansicht haben sich unter anderem Soergel-Harder, Vor § 2100 RdNr. 10, Caspar, Bedingte Erbeinsetzungen, S. 74fT., und Nieder, Handbuch, RdNr. 609, angeschlossen. 67 Wilhelm, NJW 1990, S. 2857, 2860. 68 Wilhelm, NJW 1990, S. 2857,2860.

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Verfüge der Erblasser, daß die Nacherbschaft zu einem genau festgesetzten Zeitpunkt oder jedenfalls mit einem in Zukunft sicher eintretenden Ereignis anfallen solle, so sei die Nacherbschaft befristet angeordnet. Sei der Anfall ungewiß, liege eine bedingte Erbeinsetzung vor. Nach dieser Ansicht ist die Anordnung einer bedingten Nacherbschaft nichts anderes als eine nähere Umschreibung des Nacherbfalles69 . Den Verzicht auf die von der herrschenden Meinung für notwendig erachtete zusätzliche Anordnung einer bedingten Vollerbschaft begründet die Gegenansicht mit einem Hinweis auf die spezielle rechtstechnische Gestaltung der Regelungen über die Unwirksamkeit von Verfügungen des Vorerben. Diese seien, wie § 2113 BGB zeige, nicht schlechthin unwirksam. Die Unwirksamkeit erfordere zusätzlich, daß das Recht des Nacherben beeinträchtigt werde. Komme es mangels Bedingungseintritts aber nicht zum Anfall der Nacherbschaft, so seien derartige Verfügungen ohne weiteres wirksam. Der Vorerbe stehe dann einem Vollerben gleich. Daher sei die Vollerbschaft in der Anordnung einer Vorerbschaft rechtstechnisch mit enthalten70 . In dem hier zu beurteilenden Fall hat der Erblasser die Nacherbschaft aber einmal auf den Tod des Vorerben befristet und daneben für deren Anfall eine aufschiebende Bedingung angeordnet. In konsequenter Fortführung der These, die konkrete Umschreibung des Nacherbfalles grenze nur zwischen bedingt und befristet angeordneter Nacherbschaft ab, muß die Gegenansicht somit zu dem Ergebnis gelangen, der Nacherbfall sei hier ein doppelter, nämlich einmal ein befristeter, daneben ein bedingter. Bedingung und Befristung müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Nacherbschaft entfällt7l . (3) Eine Entscheidung zwischen den beiden Ansichten ist entbehrlich. Raapes Argumentation ist beide Male unzutreffend. (a)