Zum Verhältnis von Abbild und Bedeutung [Reprint 2021 ed.] 9783112573389


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Table of contents :
Vorbemerkungen
Inhalt
Einleitung
1. Erkenntnistheoretische Prämissen einer differenzierten Abbild - und Bedeutungsanalyse
1.1. Sprache und Denken
1.2. Arbeits-, Erkenntnis- und Kommunikationsprozeß
1.3. Zu den Konstituenten und Determinanten des Abbildprozesses
1.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Erkenntnis- und Kommunikationsprozessen
1.5. Die materiellen Grundlagen der internen Denk- und Sprachprozesse
1.6. Die Bedeutung als „durchschnittliches Abbild"
2. Zur Bedeutung sprachlicher Zeichen
Einleitung
2.1. Versuch einer Bestandsaufnahme
2.2. Entwicklung einer eigenen Bedeutungskonzeption
2.3. Bedeutung als kodifiziertes Korrelat der Ausdrucksebene
2.4. Zur Abbildqualität der Bedeutung
2.5. Lexikalische und grammatisohe Bedeutungen
2.6. Pragmatische und/oder stilistische Bedeutungen?
3. Zum Verhältnis von Bedeutung und Abbild
3.1. Sprache und Widerspiegelung
3.2. Zur Differenzierung des Begriffs „Abbild"
3.3. Die Vermittlung zwischen Abbild und Bedeutung
3.4. Bedeutung und Sachverhaltswiderspiegelung
3.5. Zur Struktur der Bedeutung
3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen
3.7. Syntagmatische semantische Makrostrukturen
4. Zur Konstituierung einer Semetik/Noematik
Einleitung
4.1. Zu einigen ausgewählten Beschreibungsmethoden
4.2. Zum Status des Sems und des Noems
4.3. Zu einem Seminventar
4.4. Zu den Sem-Sembeziehungen
4.5. Zu einer Typologie der Seme
4.6. Schlußbemerkungen
Übersicht über die verwendeten Symbole und Abkürzungen
Anmerkungen
Zum 1. Kapitel
Zum 2. Kapitel
Zum 3. Kapitel
Zum 4. Kapitel
Bibliographie
Falttabelle
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Zum Verhältnis von Abbild und Bedeutung [Reprint 2021 ed.]
 9783112573389

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W. L O R E N Z / G . WOTJAK ZUM VERHÄLTNIS VON ABBILD UND BEDEUTUNG

SAMMLUNG A K A D E M I E - V E R L A G

39

SPRACHE

WOLFGANG LORENZ GERD WOTJAK

ZUM VERHÄLTNIS VON ABBILD UND BEDEUTUNG Überlegungen im Grenzfeld zwischen Erkenntnistheorie und Semantik Mit 22 Abbildungen und mehreren, z. T. mehrseitigen Tabellen im Text und einer Falttabelle als Beilage

A K A D E M I E - V E R L A G • BERLIN 1977

Erschienen im Akademie-Verlag, 1.08 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1977 Lizenznummer: 202 • 100/182/77 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 445 Gräfenhainichen • 4896 Bestellnummer: 752 203 3 (7539) • LSV 0805 Printed in GDR DDR 3 8 , - M

Vorbemerkungen

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit eines Philosophen und eines Linguisten, bei der trotz gemeinsamer gegenstandsimmanenter und interessenbedingter Berührungspunkte nicht wenige Verständigungsschwierigkeiten auftraten. Wie oft haben Verfasser unbemerkt aneinander vorbeigeredet, verführt durch die unterschiedliche Extension und Intension der Begriffe und durch abweichende Terminologie f ü r den gleichen Sachverhalt, der hier zugegebenermaßen besonders komplex ist. Möglicherweise erscheint auch die Frucht unserer intensiven und z. T. recht mühevoll um beiderseitiges volles Verständnis bemühten Diskussionen nicht völlig frei von terminologischen und selbst inhaltlichen Widersprüchen und Inkongruenzen, doch verdeutlicht sie das Bemühen, dem interdisziplinären Charakter des Herangehens möglichst gut gerecht zu werden. Dabei war es unvermeidlich, jeweils f ü r Philosophen oder Linguisten hinlänglich bekannte Sachverhalte im Interesse eines breiten Erklärungszusammenhanges wie auch der Illustration f ü r den „Nichtspezialisten" ausführlicher darzustellen. Darüber hinaus waren wir durchgehend um eine Vertiefung, Ergänzung u n d Neuinterpretation von Detailaspekten bemüht, von denen wir hoffen, daß sie einen kleinen Beitrag zum Meinungsstreit unter „Spezialisten", Philosophen wie Linguisten, darstellen. Die Arbeit sollte als Ganzes der durchgängigen Illustration der Ausgangsthesen zum Verhältnis von Abbild und Bedeutung dienen und daher auch als eine Einheit begriffen werden, wenn auch in den einzelnen Kapiteln deutlich linguistische bzw. philosophisch-erkenntnistheoretische Aspekte akzentuiert werden. Inwiefern unser Hauptziel, eine im echten Sinne interdisziplinäre Beschreibung, tatsächlich gelungen ist, wird der Leser zu entscheiden haben. Uns verbleibt, abschließend allen denen zu danken, die uns im Prozeß der Entstehung und bei der Fertigstellung des Manuskripts mit R a t und T a t hilfreich zur Seite standen. Allen voran den Herren Professoren A. Neubert, 0 . Kade und V. A. Zvegincev, die wertvolle kritische Hinweise zur konzeptionellen Gestaltung gaben, nicht zuletzt aber auch den Schreibkräften und dem Lektorat Sprachwissenschaft des Akademie-Verlages f ü r die

VI

Vorbemerkungen

schnelle und sachkundige Bearbeitung des Druckmanuskripts. Schließlich gilt unser besonderer Dank unseren Frauen und Familien für ihre nimmermüde verständnisvolle Unterstützung, ohne die die Fertigstellung der Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Leipzig, im Sommer 1975 W. Lorenz/G. Wotjak

Inhalt

Einleitung 1. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.2. 1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3. 1.3.4. 1.4. 1.5. 1.6. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.3. 2.3.1.

Erkenntnistheoretische Prämissen einer differenzierten Abbild u n d Bedeutungsanalyse Sprache u n d D e n k e n I d e n t i t ä t , Parallelität, Verschiedenheit? Z u m P r o b l e m des „ S p r a c h d e n k e n s " I n n e r e Sprache u n d inneres Sprechen Arbeits-, E r k e n n t n i s - u n d K o m m u n i k a t i o n s p r o z e ß Zu den K o n s t i t u e n t e n u n d D e t e r m i n a n t e n des Abbildprozesses . Z u m Abbildbegriff Die A k t i v i t ä t des S u b j e k t s im Widerspiegelungsprozeß Die Dialektik der zwei Widerspiegelungsbeziehungen . Die Dialektik von individuellem und gesellschaftlichem E r k e n n t n i s prozeß Gemeinsamkeiten u n d Unterschiede zwischen E r k e n n t n i s - u n d Kommunikationsprozessen Die materiellen Grundlagen der i n t e r n e n Denk- u n d Sprachprozesse Die B e d e u t u n g als „durchschnittliches A b b i l d " Z u r B e d e u t u n g sprachlicher Zeichen Versuch einer B e s t a n d s a u f n a h m e B e d e u t u n g als R e l a t i o n B e d e u t u n g als B e w u ß t s e i n s t a t s a c h e E n t w i c k l u n g einer eigenen B e d e u t u n g s k o n z e p t i o n Dialog- u n d D i s k u r s b e d e u t u n g , Meinung u n d D e u t u n g Kontextbedeutungen und Langue-/System-Bedeutung B e d e u t e n u n d Bezeichnen (Bezeichnung), Referenzbezug . . . . K o m p e t e n z b e d e u t u n g u n d individuelles Abbild B e d e u t u n g als kodifiziertes K o r r e l a t der A u s d r u c k s e b e n e . . . . Z u r B e s c h r e i b u n g d e r Zuordnungsbeziehungen von E i n h e i t e n der Inhalts - und Ausdrucksebene

1

9 9 9 16 22 32 39 39 45 48 60 53 58 62 70 72 80 83 84 86 88 95 97 102 104

VIII

Inhalt

2.3.1.1. Zum Charakter der Zuordnungsrelationen; das Signifikat 2.3.1.2. Zur Motivation der Bezeichnung 2.3.2. Zur Größenordnung der Einheiten der Inhalts- und Ausdrucksebene 2.3.3. Versuch einer Modellierung der Inhalts-/Auadruckaebene . . . . 2.3.4. Zwischenbilanz 2.4. Zur Abbildqualität der Bedeutung 2.4.1. Die Bedeutung — eine reduzierte Aussage? 2.4.2. Denotation, Konnotation und die „Unscharfe" der Bedeutung . . 2.5. Lexikalische und grammatisohe Bedeutungen 2.6.1. Versuch einer Bestandsaufnahme 2.5.2. Zu den Cases als Beispiel grammatischer BedeutungBanalyse . . 2.5.3. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden lexikalischer und grammatischer Bedeutungen 2.6. Pragmatische und/oder stilistische Bedeutungen? 3. 3.1. 3.1.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.1.1. 3.4.1.2. 3.4.2. 3.5. 3.5.1. 3.6. 3.7. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.4. 4.4.1. 4.4.2.

107 111

115 12® 124 128 131 138 141 146 16® 152

Zum Verhältnis von Bedeutung und Abbild Sprache und Widerspiegelung Gesellschaftliche Widerspiegelung und Muttersprache Zur Differenzierung des Begriffs „Abbild" Die Vermittlung zwischen Abbild und Bedeutung Bedeutung und Sachverhaltswiderspiegelung Bedeutung und Sachwissen Zum Verhältnis von Zentrum (core) und Peripherie (periphery) . Selektionsbeschränkungen, Voraussetzungs- und Behauptungsseme Bedeutung und Sachverhalt Zur Struktur der Bedeutung Erläuterungen zu den Mikrostrukturdaratellungen der Verben des Besitzwechsels Paradigmatische semantische Makrostrukturen Syntagmatische semantische Makrostrukturen

159 159 165 173 178 182 199 211

Zur Konstituierung einer Semetik/Noematik Zu einigen ausgewählten Beschreibungsmethoden Zum Status des Sems und des Noems Zu einem Seminventar Erläuterungen zu den Semtabellen Semtabellen I und I I Zu den Sem-Sembeziehungen Zu den subordinativen Sembeziehungen. Zu den koordinativen Sembeziehungen der Exklusion, der Disjunktion und der Konjunktion

272 277 281 294 303 310 369 373

213 218 228 237 244' 258

383

Inhalt

IX

4.5.

Zu einer Typologie der Seme

386-

4.6.

Schlußbemerkungen

394

Übersicht über die verwendeten Symbole und Abkürzungen

400

Anmerkungen

404

1. Kapitel: 2. Kapitel: 3. Kapitel: 4. Kapitel: Bibliographie Falttabelle

404 420 450 470

480 Beilage

Einleitung

Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, einen Beitrag zur Beantwortung der Fragestellung nach dem Verhältnis von Sprache und Denken zu leisten. Dabei wird, dem Untersuchungsgegenstand wie auch der spezifischen Forschungsrichtung und Ausbildung der Autoren entsprechend, eine enge Zusammenarbeit und sich durchdringende Darstellung von Philosophie, speziell Erkenntnistheorie, und Sprachwissenschaft, vor allem der Bedeutungsforschung, angestrebt. Grundanliegen ist dabei, das Wechselverhältnis zwischen der weltanschaulich relevanten Bestimmung von Sprache und Denken sowie ihres Verhältnisses zueinander und der einzelwissenschaftlichen — wenn auch interdisziplinären — Konkretisierung dieser Problematik in der Abbild- und Bedeutungsebene durchschaubar zu machen, mit dem Ziel, eine erkenntnistheoretisch fundierte Semanalyse der Bedeutung sprachlicher Einheiten zu erreichen. Das Verhältnis von Abbild- und Bedeutungsstrukturen steht so im Mittelpunkt der Untersuchungen. Wir betrachten die materialistische Dialektik als allgemeine Methode unserer Untersuchungen und sind bestrebt, damit die innere Dialektik der DenkSprach-Prozesse sichtbar zu machen. Ihre Begriffsbestimmungen und Terminologie legen wir nicht nur den philosophischen, sondern auch den einzelwissenschaftlichen Untersuchungen zugrunde, und nur in wohlbegründeten Fällen werden wir neue Termini und Begriffe einführen bzw. Präzisierungen in Hinsicht auf die Zielstellung der Arbeit vornehmen. Wir hoffen, damit nicht nur einen geeigneten Begriffsapparat zur Beschreibung unseres Untersuchunsgegenstandes zur Verfügung zu haben, sondern darüber hinaus auch zur Verständigung von Philosophen und Linguisten über einen ohnehin sehr schwer zu fassenden, komplexen Gegenstand, wie die Abbilder und Bedeutungen und ihre Interrelationen, beitragen zu können. Die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken ist heute aktueller denn je; gleiches gilt auch für die eng damit verknüpfte speziellere Frage nach der Existenzweise der Semantik, die das Inbeziehungsetzen von Abbild und Bedeutung impliziert, wobei diese Fragestellung über die Anfänge einer eigentlichen Bedeutungsforschung hinaus (Ende des 19. Jahrhunderts) in

2

Einleitung

der prinzipiellen Fragestellung besonders in der Geschichte der Philosophie viel weiter zurückreicht; es sei nur darauf verwiesen, daß sich bereits Aristoteles und Piaton explizit dieser Problematik zuwandten. Fast unübersehbar ist die Zahl der theoretischen Arbeiten zum generellen Zusammenhang von Sprache und Denken bzw. zu speziellen Teilproblemen daraus in den letzten Jahren angewachsen, wie z. B . zur philosophiehistorischen Entwicklung der Fragestellung und der Lösungswege, zu Problemen des Zeichens und der Zeichentheorie, der Bedeutung und der Information, zu den neurophysiologischen und psychologischen Prozessen, zu Problemen der Erkenntnis und der Rolle der Sprache in ihr usw., die zumindest periphär den Zusammenhang von Sprache und Denken berühren. Eine auch nur annähernd vollständige Bestandsaufnahme bzw. auch nur ein allgemeiner Uberblick über die unterschiedlichen Standpunkte und Positionen würde den gegebenen Rahmen dieses Büches bei weitem sprengen. Es soll darum nur auf einige Grundprobleme, die die weltanschaulich-philosophische Grundlegung der Sprach-Denk-Beziehungen betreffen und die zur Fundierung der folgenden einzelwissenschaftlichen Untersuchungen relevant sind, sowie auf einige speziellere Beziehungen im Rahmen der engeren Fragestellung nach dem Verhältnis von Abbild und Bedeutung eingegangen werden. Wir stützen uns dabei vor allem auf marxistisch-leninistische Literatur aus Philosophie, Linguistik und partiell auch der Psychologie und Neurophysiologie, die in den letzten Jahren in den sozialistischen Ländern, vor allem in der UdSSR, erschienen ist, und verweisen nur auf die zahlreichen zusammenfassenden Arbeiten, die die philosophiegeschichtliche Problementwicklung bzw. die Entwicklung der Sprachtheorie darstellen. Es läßt sich jedochim Interesse der Verständlichkeit unserer Problemsicht nicht vermeiden, auf einige ältere, aber auch auf modernere, für die Sprachtheorie und ihre Methoden bedeutsame Literatur, auch des angloamerikanischen und des romanischen Sprachraums, einzugehen, wobei die Kapitel 2 und 4 auf Grund ihres Anliegens diese Literatur stärker aufarbeiten als die anderen Kapitel. Die gewählte Beschränkung auf die Beziehungen von erkenntnistheoretischem Abbild und sprachlicher Bedeutung ergibt sich einerseits daraus, daß die Beschäftigung mit dem Abbildbegriff sofort die weltanschauliche Position der marxistisch-leninistischen Widerspiegelungstheorie impliziert und eine Reihe von weltanschaulich relevanten Positionen schon dadurch genauer gefaßt werden können, daß an die Stelle der in der Literatur z. T. sehr vage bestimmten, relativ verschwommenen und zahlreichen Mißdeutungen ausgesetzten Begriffe des Denkens, des Gedankens, der Idee oder auch des Kognitiven der Begriff des Abbildes tritt. Wir folgen dabei besonders den Intentionen Lenins in seiner Auseinandersetzung mit dem Positivismus.

Einleitung

3

Da jedoch der Abbildbegriff allein dazu nicht ausreicht, weil die Behauptung von Widerspiegelungsbeziehungen an sich noch kein Materialismus ist, wird ein stärkeres Eingehen auf einige Probleme der Widerspiegelung, auf die Determination des Widerspiegelungsprozesses und besonders auf die f ü r die Sprachauffassung relevanten Beziehungen des Individuellen und Gesellschaftlichen im Widerspiegelungsprozeß notwendig, selbst auf die Gefahr hin, zumindest f ü r den Philosophen nichts wesentlich Neues darstellen zu können. Andererseits ist u. E . allein der Abbildbegriff geeignet, ein der Bedeutung sprachlicher Einheiten angemessenes Korrelat auf der Erkenntnisebene abzugeben; weder „Gedanke" noch „Begriff" entsprechen so sehr unseren Intentionen wie der Begriff des Abbildes. Seine Begründung findet dieser Umstand u. E. darin, daß die Bedeutung ihrem Charakter nach selbst eine Bewußtseinsgröße, eine spezielle Form des Abbildes darstellt, zugleich aber als Funktion materieller Signale, materieller Formative eine objektivierte, vergesellschaftete Existenz aufweist. Als besonders tragfähig erweist sich bei der Begründung dieser dialektischen Beziehungen die nähere Untersuchung des Arbeits-, Erkenntnis- und Kommunikationsprozesses, bei der sich zeigt, daß sowohl Erkenntnis- als auch Kommunikationsprozeß in gewisser Hinsicht selbst Momente, Seiten des Arbeitsprozesses, wie ihn Marx bestimmt, sind. Aus dem Vergleich der einfachen Elemente des Arbeitsprozesses mit denen des Erkenntnis- und des Kommunikationsprozesses ergeben sich grundlegende Folgerungen über die Rolle und Funktion des Abbildes und der Bedeutung. Die Beschränkung auf die Untersuchung dieser Zusammenhänge ist demnach Produkt einer umfassenderen Analyse, bei der sich Abbild und Bedeutung als Kern der Sprach-Denk-Beziehungen erweisen. Last not least erweitern sich die Rolle und die Funktion des Zeichens und damit die mit ihm funktional verbundene Bedeutung im gesellschaftlichen Leben, im Prozeß der wissenschaftlich-technischen Revolution. Die Erfordernisse der immer stärker theoretisch orientierten Forschungsmethoden führen notwendig zur Entwicklung einer Vielzahl künstlicher (formaler und formalisierter) Sprachen, zur verstärkten Einführung logischer und besonders mathematischer Symbole und theoretischer Konstruktionen. Damit gewinnt vor allem die Semantik rasch an Bedeutung; denn das eigentliche Problem hegt nicht in der Einführung neuer Zeichensysteme, sondern in den damit verbundenen gnoseologischen Problemen der möglichst genauen Bestimmung der Semantik dieser Zeichensysteme. Letztlich müssen alle diese künstlichen Zeichensysteme wieder auf die natürliche Sprache zurückgeführt werden, und das nicht nur bei der Einführung ihrer Terme, sondern auch bei der ständigen Interpretation der Zeichen und letztlich bei der Auswertung der Ergebnisse, die durch das formale Spiel mit den Zeichen ge-

4

Einleitung

wonnen werden. Spätestens hier wird die in den künstlichen Zeichensystemen erreichte Eindeutigkeit wieder aufgelöst. Man kann letztlich nur dann bleibende Erfolge auch mit künstlichen Sprachen erreichen, wenn es gelingt,, auch die natürlichen Sprachen, genauer die Semantik, exakter zu beschreiben. Exakter beschreiben heißt hier keineswegs die Aufhebung der relativen „Unbestimmtheit" der Semantik von Wörtern der natürlichen Sprache, so wie es z. B. Hobbes und Leibniz vorschwebte, sondern die Schaffung genauer Beschreibungsmethoden dieser Unbestimmtheit, die sichere Erfassung eben gerade dieser unbestreitbar dialektischen Übergänge, der Überschneidungen, Differenzierungen durch den K o - bzw. Kontext usw. usf. Jeder Versuch, die natürliche Sprache als festgefügtes, statisches System strukturierter Zeicheneinheiten zu erfassen, muß scheitern, wird dabei doch gerade das wesentliche Moment, welches die natürliche Sprache von allen Kunstsprachen unterscheidet, ihre historische Veränderbarkeit und ihre relative Unbestimmtheit, die große Redundanz, die sie erst befähigt, zum allgemeinen Kommunikationsmittel auch in beliebig neuen Kommunikationssituationen zu dienen, nicht beachtet. Das Ziel müßte u. E. sein, eine möglichst exakte Methode zur Beschreibung, dieser Unbestimmtheit der Semantik natürlicher Sprachen, die sowohl ein Ausdruck ihrer Veränderlichkeit als auch ihrer Flexibilität und Variabilität ist, zu finden. Die vorliegende Arbeit soll als Beitrag zur Entwicklung einer solchen Methode betrachtet werden, wobei im Mittelpunkt nicht die Methode selbst steht, sondern die metatheoretische Begründung eines möglichen Ansatzes dafür. Uns erscheint die Aufspaltung des Forschungsobjektes (Abbild bzw. Bedeutung) in einfache bzw. einfachste Elemente und Strukturen nicht nur ein möglicher, sondern der dem Gegenstand adäquate Weg zu sein, wobei wir — wie in Kapitel 1 nachgewiesen wird — den Intentionen von Marx bei der Analyse des Arbeitsprozesses folgen. Doch die Aufspaltung in einfache Elemente reicht allein noch nicht aus; das Problem ist nicht das Finden solcher kleiner bzw. kleinster Elemente, sondern die möglichst genaue erkenntnistheoretische Interpretation dieser semantischen Elemente. Ihr Vorhandensein haben die Konstituentenanalysen nachgewiesen, die in der modernen Semantiktheorie selbst bei Unterschieden in der Gegenstandsbestimmung, übereinstimmend als ein vielversprechender Ansatz zu einer optimalen Beschreibung der Bedeutung gewertet werden. Da Sprache und Sprachstrukturen eng mit dem Denken und den gedanklichen (noetischen) Strukturen verbunden sind, galt es, diese Beziehungen in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu rücken, wobei über die Aussage von der dialektischen Einheit von Sprache und Denken hinauseine genauere Bestimmung dieser dialektischen Beziehungen erforderlich.

Einleitung

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wurde. Der dabei eingeschlagene Weg und die über lange Jahre gemeinsamer Diskussion gereifte Lösungsvariante fand in letzter Zeit eine gewisse Bestätigung durch ähnliche Überlegungen anderer Linguisten. So stimmt z. B . das nach Abschluß des Textteiles der vorliegenden Arbeit erschienene Buch „Sprachliche Kommunikation und Gesellschaft" [746a] von einem Autorenkollektiv der Akademie der Wissenschaften der DDR unter der Leitung von Wolfdietrich Härtung in wesentlichen Fragestellungen und Lösungsvarianten mit unserem Anliegen überein. Auch in diesem Werk wird eine Beziehung zwischen Abbild und Bedeutung als wesentlichste Sprach-Denk-Beziehung aufgefaßt und die lexikalische Bedeutung als ein Abbild bestimmt, welches nicht mit dem gesamten kognitiven Abbild identisch ist (S. 549). Hier scheint es am Platz, etwas über unsere Position zur sogenannten „relationalen" Bedeutungskonzeption zu sagen. Im eben genannten Buch werden wir zu jenen Autoren gerechnet, die die Bedeutung als eine Relation zwischen Lautkomplex (Formativ) und Abbild (Semem) bestimmen (S. 549). In früheren Arbeiten war es unser Bestreben, den Unterschied zwischen sprachlicher Bedeutung und Begriff sichtbar zu machen, wobei die Kritik der Weisgerberschen Sprachinhaltsforschung ebenso wie die Kritik der neopositivistischen Einholung des Kognitiven in die Bedeutung Ausgangspunkte unserer Überlegungen waren. Wenn die Sphäre des Gedanklichen, des Ideellen, das erkenntnistheoretische Abbild, nicht auf die Bedeutung sprachlicher Einheiten reduziert werden soll, so muß dem Kognitiven eine relativ selbständige Existenz gegenüber den Bedeutungen zugesprochen werden. Wenn die Bedeutungen nicht einfach als erkenntnismäßiges Abbild gefaßt und damit letztlich die Philosophie und besonders die Erkenntnistheorie in die Sprachwissenschaft aufgelöst werden soll, beide also auch nicht als identisch interpretiert werden sollen, dann ergibt sich als eine Möglichkeit der Beschreibung der Bedeutung, sie als eine Relation zwischen Formativelementen und Abbildelementen zu sehen. Die Interpretation der Bedeutung als Relation schließt einerseits eine relative Selbständigkeit der Bedeutung gegenüber dem Abbild ein, andererseits macht sie zugleich ihre Einheit deutlich, da die Beschreibung als Relation die Erfassung der beiden Erscheinungen, zwischen denen Relationen angenommen werden, einschließt. Die Bedeutung wurde so immer als eine Zuordnung von Abbildelementen zu Formativen verstanden. In der Analyse dieser relationalen Beziehungen gingen wir jedoch von Anfang an weiter und waren bestrebt, die die jeweiligen Sememe konstituierenden semologischen Merkmale als noetische Elemente in besonderer Bündelung zu interpretieren, was letztlich die klassische relationeile Auffassung bereits durch eine „substantielle" Konzeption ergänzte, d. h. durch eine Auffassung, bei der die Bedeutung als ein besonderes struk-

6

Einleitung

turiertes Abbild gefaßt wird. Es fällt darum schwer, den Standort der von uns vertretenen Auffassung in die Polarität von „relationalen" und „substantiellen" Konzeptionen einzuordnen. Seinen allgemeinen theoretischen Ansätzen und Voraussetzungen nach ist es ein mehr relationaler denn ein substantieller Standpunkt, in der Analyse des Abbildes und der Bedeutung dagegen ein mehr substantieller denn ein relationaler Standpunkt. Unsere Konzeption dürfte wohl am treffendsten „dialektisch" genannt werden, da sie ihrem Wesen nach eine dialektische Vermittlung beider gegensätzlicher Positionen, eine dialektische Aufhebung ihrer Gegensätzlichkeit anstrebt. Die in der vorliegenden Arbeit vorgetragene Auffassung stellt also keinen Bruch gegenüber einer vorangegangenen Konzeption dar, sondern bedeutet ihre Wetterführung und Ergänzung, bei der nach neuen Möglichkeiten gesucht wurde, um die Dialektik von Identität und Unterschied in den Sprach-DenkProzessen möglichst adäquat zu beschreiben. Das machte eine eingehendere Analyse des Abbildprozesses notwendig und eine Aufgliederung des erkenntnistheoretischen Abbildbegriffes in eine Reihe unterschiedlicher Formen des Abbildes, denen verschiedene Formen der Bedeutung gegenübergestellt werden. Um die Tragfähigkeit der dabei gewonnenen theoretischen Postulate für die praktische linguistische Arbeit zu prüfen, werden eine Reihe von Bedeutungsanalysen vorgestellt. Die enge Zusammenarbeit eines Philosophen und eines Linguisten auf einem Grenzgebiet zwischen beiden Disziplinen hat sich als fruchtbar erwiesen, ergab aber auch manche Schwierigkeiten im gegenseitigen Verstehen der Problemsicht der Erkenntnistheorie bzw. der Bedeutungsforschung. Aus diesem Prozeß des interdisziplinären Forschens ergab sich die Auswahl der zu behandelnden Probleme, wobei im Interesse der Verständlichkeit sowohl für Philosophen als auch f ü r Linguisten auch stärker referierende Darstellungen aufgenommen wurden, ohne daß in diesen Abschnitten immer neue Forschungsergebnisse vorzuweisen wären. Die Notwendigkeit, über die relativ enge Terminologie des eigenen Spezialfaches hinauszugehen und zu einer f ü r Philosophen und Sprachwissenschaftler verständlichen, aber zugleich auch gemeinsamen Terminologie zu kommen, sowie die Notwendigkeit einer gemeinsamen Problemsicht und Beschreibungsmethode erkenntnistheoretischer und linguistischer Gegenstände brachte zugleich eine Reihe von partiellen Wiederholungen in verschiedenen Abschnitten der Arbeit mit sich. Um die Einheitlichkeit unserer Auffassungen zu betonen, schien es uns jedoch erforderlich, z. B. die im stärker erkenntnistheoretisch orientierten Kapitel 1 aufgeworfenen Probleme nochmals mit der gleichen Terminologie und der gleichen Intention der Darstellung in den stärker linguistisch orientierten anderen Kapiteln aufzugreifen. Zugleich wurde es notwendig, eine Reihe von Begriffen explizit zu definieren, da in

Einleitung

7

der langjährigen Zusammenarbeit deutlich wurde, wie leicht mit gleichen Termini in unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen verschiedene Sachverhalte verknüpft werden bzw. die Begriffe in anderer Extension und z. T. auch Intension gebraucht werden und wie schnell damit Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen aneinander vorbeireden können. Es wäre sehr zu wünschen, bei weiteren Forschungen in der dargelegten Richtung im Grenzfeld verschiedener Wissenschaftsbereiche zu einer stärkeren Kooperation mit Vertretern weiterer Wissenschaften, besonders der Psychologie und der Neurophysiologie zu kommen, um die Tragfähigkeit des Gedankens von einem neuen Wissenschaftsbereich „Semetik" — als Wissenschaft von der Analyse, Struktur, Wechselwirkung und Determination der Noeme/Seme — zu prüfen und gegebenenfalls ein geeignetes methodisches Instrumentarium zu schaffen. Erste Überlegungen dazu werden im 4. Kapitel vorgestellt. Noch tragen viele Aussagen vorliegender Arbeit einen hypothetischen Charakter, noch bleiben zahlreiche Fragestellungen unbeantwortet bzw. konnte nur die mögliche Richtung einer Lösung angedeutet werden, doch glauben wir, bei aller Unvollständigkeit und z. T. auch bei theoretisch noch nicht sicher genug formulierten Bestimmungen, einen das bisherige Wissen ergänzenden und zur Diskussion anregenden Beitrag zur weiteren Klärung der komplexen und komplizierten Sprach-Denk-Beziehungen vorlegen zu können.

2 Lorenz/Wotjak

1.

Erkenntnistheoretische Prämissen einer differenzierten Abbild- und Bedeutungsanalyse

1.1. Sprache und Denken Eine Untersuchung der unterschiedlichen Auffassungen über den Zusammenhang von Denken und Sprache stößt immer wieder auf eine Schwierigkeit, die ihre Ursache zu einem großen Teil in diesem Zusammenhang selbst findet: im metatheoretischen Charakter der Fragestellung, da ja in Sprache u n d Denken nicht über anderes, sondern über Sprache und Denken selbst geurteilt wird, sowie in der breiten Interpretierbarkeit der Ausdrücke „Denken" und „Sprache", ihrer unterschiedlichen Intension und Extension in den verschiedenen Richtungen der Sprachphilosophie als auch in den anderen Wissenschaftsbereichen, die über diesen Zusammenhang reflektieren.

1.1.1. I d e n t i t ä t , Parallelität, Verschiedenheit? Der Versuch, die verschiedenen Auffassungen nach Kriterien zu ordnen, die ihre Begründung in der Art des von den jeweiligen Autoren behaupteten Zusammenhangs zwischen diesen beiden Erscheinungen suchen, wie er etwa bei Kainz zu finden ist und von hier ausgehend Eingang in viele Monographien gefunden hat, scheint letztlich wenig geeignet, die unterschiedlichen Positionen tatsächlich einsichtig zu machen. Kainz 1 [358] spricht vom monistischen Identitätsstandpunkt, wie er etwa bei Klages 2 [375] zu finden sei, von der Parallelismustheorie [269, bes. 15], die er als gemilderte Form des Identitätsstandpunktes kennzeichnet, von der dualistischen Verschiedenheitsthese und nennt dabei Berkeley, K a n t , Schopenhauer, und von dem Standpunkt der korrelativen Beziehungen, den er selber einnimmt. Eine genauere Analyse jedoch macht deutlich, daß die gewählten Kriterien, die vorerst sehr einleuchtend scheinen, zu unbestimmt sind und nicht vermögen, die Vielschichtigkeit der Begründungen der einzelnen Standpunkte zu erfassen, zeigt doch bereits ein flüchtiger Uberblick, daß scheinbar gleiche Auffassungen in bezug auf die Art der behaupteten Beziehung zwischen Sprache und Denken in ihrer Interpretation erheblich auseinandergehen. Allein die Identitätsauffassung läßt viele Differenzierungen 2*

10

1. Erkenntnietheoretische Prämissen

zu, da sie im Grunde nie als absolute, als logische Identität gefaßt wird, selbst wenn verschiedene Autoren mit der erklärten Absicht auftreten, Sprache und Denken als identisch zu interpretieren. In der marxistischleninistischen Literatur spricht man allgemein von der „Einheit" von Sprache und Denken, die bei einigen Autoren — wie noch zu zeigen sein wird — als faktische Identität angesehen 3 , aber ebenso im Sinne der korrelativen Beziehungen 4 bzw. als dialektische Einheit im Gegensätzlichen interpretiert wird, in der Regel aber im Grunde keinem der bei Kainz genannten Standpunkte völlig adäquat ist. Eine nähere Betrachtung zeigt letztlich, daß, wie bereits von anderen Autoren festgestellt, die Bestimmung dieses Verhältnisses eine typisch philosophische Fragestellung ist 5 , wobei die eigentlichen Unterschiede bereits in der Bestimmung dessen liegen, was als Denken und was als Sprache verstanden werden soll. Werden sie als deckungsgleiche Begriffe gefaßt, so ist der Standpunkt der Identität die logische Konsequenz der Extension beider Begriffe. 6 Der Kantianer Marx Diez z. B. schreibt: „Denken ist diejenige Form der Vorstellungsfähigkeit, die sich in und mit der Sprache vollzieht." „Das Denken kommt zum Bewußtsein als ein (innerliches oder äußerliches) Sprechen" [144, 11]. Diese Konzeption des Denkens als „inneres Sprechen", das auch bei einer Reihe anderer Autoren expliziert ist und die wohl auf Piatons Logos-Begriff zurückgeht, führt notwendig — wie noch aufgewiesen werden soll — zu einer Identifizierung von Sprache und Denken, zumindest aber von Denken und Sprechen. Diese Konzeption ist aber eine andere Art der „Identitätsauffassung" als bei Klages, dem es ähnlich wie Weisgerber um die Erfassung der „Seele", der Sphäre des Geistigen als „Sprachgeistiges", als sprachliche Manifestation der „Seele" in der Sprache geht. Das ausgesprochen Logische bleibt außerhalb der Betrachtung, während Diez in Ablehnung dieses mystischen Seelenbegriffs eine rationale Fassung der Sprach-DenkBeziehungen anstrebt, wobei er — trotz einer weitgehenden Identität beider — sehr wohl zwischen ihnen zu unterscheiden weiß.7 Faßt man unter „Denken" auch das Entschlußfassen, die Festlegung von Handlungsstrategien, die Problemlösung (besonders praktischer Probleme, die sich z. B. in der immer wieder zitierten Tätigkeit eines Autoschlossers — „gewußt wo" — manifestiert) usw., so dürfte wohl als sicher angenommen werden, daß es sich dabei um Prozesse handelt, die zumindest aktuell auch ohne vorausgesetzte Sprachprozesse (im Sinne der natürlichen Sprache) oder auch ohne Sprechen, ob nun „inneres" oder „äußeres" Sprechen gemeint sei, ablaufen. Die Extension des hier benutzten Begriffs „Denken" ist weiter als die von „Sprache", zumindest als natürliche Sprache verstanden, und die Konstituierung eines „sprachfreien Denkens" ist dann absolut kein Problem. Bezieht man gar, wie z. B. der Psycholinguist Church — und wie die Mehrzahl

1.1. Sprache und Denken

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der Behavioristen — die Gesamtheit aller verhaltenssteuernden Aktivitäten in den Begriff „Denken" ein, so wird seine Extension so stark erweitert, d a ß das Denken — zumindest partiell — auch den höheren Tieren zukommt. Church schreibt: „Wenn Denken ausschließlich verbale Aktivität wäre, würde das menschliche Wesen zum Denken erst am Ende des Säuglingsalters fähig sein. Nun ist jedoch einwandfrei sicher, selbst wenn es n u r auf Grund des Problemlösens von Schimpansen wäre, d a ß bereits Tiere denken." [123] Bei Church finden wir somit eine Form der von Kainz bestimmten „Verschiedenheitsthese", die jedoch in ihrer Begründung und Zielrichtung anders liegt als die von Kainz zitierten Verschiedenheitsauffassungen bei Berkeley, Schopenhauer und K a n t . Auch Church macht deutlich, d a ß trotz aller Verschiedenheit von Sprache und Denken das „nicht perzeptuelle Denken" unbedingt an Sprache gebunden sei, während im Unterschied dazu das „perzeptuelle Denken" sich als situativ bezogenes Denken auch ohne Sprache vollziehe. Doch dieser — wenn auch gemilderte — Verschiedenheitsstandpunkt schlägt in sein Gegenteil um, sobald unter „Sprache" nicht allein die natürliche Sprache, sondern Zeichensysteme überhaupt verstanden werden. Denn dann wäre ja auch das „perzeptuelle Denken", selbst das zeichen vermittelte H a n deln höherer Tiere, bei Church als sprachfreies Denken bestimmt, sprachlich determiniert. Sowohl der Identitätsstandpunkt als auch die Verschiedenheitsthese erscheinen als logische Folge der unterschiedlichen Extension des Begriffs „Denken", die unterschiedlichen Standpunkte gehen — je nachdem wie „Denken" oder „Sprache" konzipiert werden, ineinander über, schlagen in ihr Gegenteil um. Ähnliche Überlegungen ließen sich zur sogenannten „Parallelismustheorie" aufstellen, wie sie z. B. bei Peter H a r t m a n n auftritt, der von der „Parallelität zwischen den beiden Faktoren Sprache und Denken" [269,15] spricht, wobei die Sprache als „abbildende (wiedergebende, mitteilende) Dokumentation des Erkennens und des Erkannten" anzusehen sei [269,18]. Diese „Parallelität" wird von P. Hartmann jedoch wesentlich infolge seines weltanschaulichen Standpunktes als Reduktion des Denkens auf den formalen Apparat der Sprache verstanden, was, wie Kainz richtig feststellte, eigentlich dem Identitätsstandpunkt sehr nahe steht. P . H a r t m a n n schlägt z. B . vor, an Stelle von „geistiger Tätigkeit" das „Wissen um zeichentechnische Prozeduren" zu setzen, oder nicht vom Denken zu sprechen, sondern vom Besitz bzw. der Schaffung einer Zeichenkorrelation ohne materiellen Signalteil [272, 598]. Auch hier zeigt sich, daß die von Kainz gewählten Kriterien f ü r die Einordnung wesentlicher Auffassungen vom Sprach-Denk-Zusammenhang viel zu unbestimmt sind und daß die genaue Extension der Begriffe „Denken" und „Sprache" der Beschreibung ihres Zusammenhanges voraus-

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

gehen muß, womit zugleich diese Problemstellung von einer Relationsbeschreibung zu einer ausgesprochen philosophischen Problemsicht wird. Wenden wir uns der Darstellung dieses Problems in der marxistischen philosophischen Literatur zu. Eine der wesentlichen Schwierigkeiten, die sich einer allgemeinen Bestimmung des Denkens entgegenstellt, besteht darin, daß es keine „Wissenschaft vom Denken" gibt, sondern daß die verschiedenen Wissenschaftsbereiche sich jeweils von ihrem spezifischen Untersuchungsgegenstand her mit den Problemen des Denkens beschäftigen. Resnikov vermerkt, daß „Wissenschaften wie die Psychologie, die Logik, die Erkenntnistheorie und die Linguistik" jeweils „verschiedene Aspekte des Denkens und der Sprache" erforschen [645, 51], ebenso Kopnin, der als weitere Wissenschaften, die sich mit den genannten Problemen beschäftigen, die Physiologie der höheren Nerventätigkeit (Neurophysiologie) sowie die Informationstheorie nennt [393, 173]. Es ist verständlich, daß in den Definitionen, die von den jeweiligen Wissenschaften gegeben werden, spezifische Aspekte des Denkens eine dominierende Rolle spielen. Neben diesen vom jeweiligen Wissenschaftsbereich her bestimmten Differenzierungen lassen sich unter marxistisch-leninistischen Autoren im wesentlichen zwei Auffassungen unterscheiden: Jene, die unter Denken die dem Menschen eigentümliche psychische Tätigkeit überhaupt — mit keinen oder nur geringen Einschränkungen — versteht, also einen seiner Extension nach weiteren Begriff des „Denkens" vertritt, und jene vor allem philosophischlogisch orientierte Auffassung, die unter „Denken" nur das begrifflichlogische Operieren faßt. Eine solche engere Fassung des Begriffs „Denken" findet sich in der Regel vor allem dort, wo — wie z. B . bei E . Albrecht, W. Kirchgässner u. a. — das Denken als „Sprachdenken" interpretiert wird.8 Von dieser die Rolle der Sprache für das Denken besonders hervorhebenden Auffassung ausgehend, wenden sie sich meist dagegen, neben den abstrakttheoretischen Formen noch andere Formen des Denkens gelten zu lassen9, wie sie eben z. B . bei Rubinstein genannt werden. Rubinsteins Auffassung, daß „das menschliche Denken . . . gedankliche Operationen von verschiedener Form und verschiedenem Niveau" [661, 453] einschließe, gehört heute wohl zum unbestrittenen Arsenal nicht nur der marxistisch-leninistischen Psychologie, sondern auch der Erkenntnistheorie, wobei gerade in letzter Zeit in der Erkenntnistheorie dieser Gedanke weiterentwickelt wurde.10 Rubinstein unterscheidet zwei Formen des Denkens: das „anschaulich-bildhafte" und das „abstrakt-theoretische" Denken [611, 454ff], wobei er immer wieder deutlich macht, wie sich beide Formen durchdringen und wechselseitig ergänzen. Für Rubinstein ist also selbstverständlich, daß das Denken, um überhaupt „theoretisch-abstrakt" werden zu können, des empirischen

1.1. Sprache und Denken

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Materials bedarf, also keine Kluft zwischen empirischer und theoretischer Erkenntnis aufgerissen werden darf. Jene Autoren, die von einem prinzipiellen „Sprachdenken" ausgehen, werden nun durch ihre Bestimmung des Denkens dazu geführt, eben diese Kluft aufzureißen und die empirische Erkenntnis aus dem Denken zu eliminieren, um „das Denken und die Sprache {Hervorhebung durch Verf.) als die erkenntnistheoretisch wichtigsten Bestandteile des Bewußtseins von den Elementen der empirischen Erkenntnis •abzugrenzen" [374,114]. Auch empirische Erkenntnis, die auf der Grundlage von Sinneserfahrungen •entsteht, setzt rationale Formen der Verarbeitung der Sinnesdaten voraus, enthält im starken Maße abstrakte Momente und bedarf letztlich sprachlicher Formen. Als Ergebnis der philosophischen Diskussion besonders der letzten Jahre kann als gesichertes marxistisches Wissen betrachtet werden: Der Erkenntnisprozeß umfaßt zwei Formen (nicht Stufen, wie nicht nur in älterer Literatur noch zu lesen ist, da beide Formen nicht als ein Nacheinander verstanden werden können, sondern als zwei sich wechselseitig beeinflussende Formen): sinnliche und rationale. Ergebnisse der sinnlichen Erkenntnis sind Abbilder in Form von Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen; sie verbinden den, Menschen besonders über seine praktische Tätigkeit direkt mit der äußeren Welt. Die rationale Erkenntnis umfaßt zwei Ebenen oder Arten: die empirische und die theoretische. Während die empirische Erkenntnis vor allem Abbilder von beobachtbaren Gegenständen bzw. Klassen dieser Gegenstände, von durch die Erfahrung vermitteltem Wissen u, a. liefert, sind die Produkte der theoretischen Erkenntnis vor allem Gesetze, abstrakte Konstruktionen {Theorien) usw., also all jene Erkenntnisse, die nicht mehr allein durch Beobachtung und Experiment gewonnen werden können.11 Es ist eines der Verdienste von Rubinstein, auf ein Problem aufmerksam gemacht zu haben, das in der traditionellen Psychologie so gut wie keine Rolle spielte: das Problem des „praktischen Denkens"12. Er versucht damit, die absolute Trennung von geistiger und praktischer Tätigkeit auch für die Psychologie aufzuheben in dem Sinne, wie Marx und Engels z. B. in der Deutschen Ideologie die „Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins" als „zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit" 13 bestimmen. Der Ausdruck „praktisches Denken" drückt nach Rubinstein „einerseits gleichsam die Uberwindung des Standpunktes aus, wonach der Intellekt nur in den theoretischen Operationen des abstrakten Wortdenkens in Begriffen zu finden ist: Praxis und Intellekt, Praxis und Denken werden in einem einheitlichen Begriff zusammengefaßt" [661,456]. Rubinstein verstand dar-

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

unter jene Denkform, „die sich im Verlauf praktischer Tätigkeit vollzieht und unmittelbar auf die Lösung praktischer Aufgaben gerichtet ist" [661, 457], Rubinstein folgt damit ganz den Intentionen von Marx und Engels, die in vielen Arbeiten immer wieder darauf verwiesen, daß die Entwicklung des Denkens untrennbar mit der praktischen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt verknüpft ist, Ausdruck dieser praktischen Einwirkung auf die Umwelt ist, daß Denken und Erkennen letztlich immer den Zweck verfolgen, dieser Praxis zu dienen [843, bes. 13ff]. Eine philosophische Bestimmung des Denkens kann die psychische Tätigkeit nicht aus sich selbst heraus erklären, auch nicht ausschließlich aus der Widerspiegelungstätigkeit 14, sondern nur aus der praktischen Tätigkeit des vergesellschafteten Menschen. Und gerade dieses Moment betont Rubinstein. Auch P . V. Kopnin — der leider viel zu früh verstorbene sowjetische Philosoph, der sich um die Erarbeitung eines philosophischen Begriffs des Denkens verdient gemacht hat 1 5 — ist bemüht, die Trennung der geistigen Tätigkeit (Denken) vom praktischen Verhalten des Menschen dialektisch aufzuheben, wobei er die außer jeder Frage stehende relative Selbständigkeit des Denkens betont. 16 Das Problem liegt u. E. nicht darin, ob das Denken eine relative Selbständigkeit gegenüber dem praktischen Handeln besitzt, was wohl außer Frage steht, sondern darin, ob das Denken nur die begriffliche, die theoretisch abstrakte Widerspiegelung erfaßt oder auch jenen Bereich, der nichtbegrifflicher Art ist — was natürlich wiederum eine Frage der Extension des Begriffs „Begriff" ist — so, wie ihn Rubinstein als „praktisches Denken" beschreibt. Die Standpunkte dazu sind keineswegs einheitlich, verbergen sich doch dahinter eine Vielzahl von Problemen, die letztlich ihre Ursache in der Vielschichtigkeit des hier abzuhandelnden Stoffes haben. I m Verlauf unserer Untersuchungen werden wir den Nachweis zu führen versuchen, daß wohl zwischen begrifflichem und nichtbegrifflichem Denken, aber auch zwischen begrifflichem und sprachlichem Denken differenziert werden sollte, nicht im Sinne von zwei Formen oder gar Stufen des Denkens, sondern von zwei sich dialektisch bedingenden und zugleich ausschließenden gegensätzlichen Momenten im Denkprozeß, die neben allgemeinen Gesetzen der Bewegung auch speziellen, nur ihnen eigenen Gesetzen der Bildung und Entwicklung folgen. (Vgl. dazu besonders Kapitel 3.2.) Wir verstehen unter Denken jene höheren Formen psychischer Tätigkeit des Menschen 17 , in denen mit kognitiven Abbildern operiert wird mit dem Ziel, ein ideelles Modell der objektiven Realität im menschlichen Subjekt aufzubauen, welches die praktisch-gegenständliche Tätigkeit des vergesellschafteten Menschen als bewußte zweckgerichtete Tätigkeit ermöglicht.

1.1. Sprache und Denken

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Das Denken umfaßt so neben dem — den Charakter des Denkens wesentlich bestimmenden — Operieren mit Begriffen auch das Operieren mit solchen Formen von Abbildern, die, empirisch konstituiert, auch sinnlich-konkrete Elemente, emotionale und bewertende Elemente u. ä. enthalten. Damit gebrauchen wir den nach seiner Extension weiteren Begriff des Denkens, während in der philosophischen Literatur häufig ein engerer Begriff des Denkens vertreten wird, der das Denken allein auf das Operieren mit Begriffen und logischen Formen reduziert. Wir werden auf die Konsequenzen dieser unterschiedlichen Extension des Begriffs „Denken" im Folgenden noch einzugehen haben, wobei bereits hier vermerkt sei, daß die Bestimmung des Denkens als Operieren mit Begriffen u. a. dazu zwingt, die Bedeutungen von Wörtern als Begriffe zu fassen, was wiederum den Linguisten vor fast unlösbare Schwierigkeiten in der Bedeutungsanalyse stellt. 18 Die weite Extension des Begriffs „Denken" ist der Versuch, eine Synthese zwischen den in der Philosophie und in der Linguistik differenziert gebrauchten Begriff des Denkens herzustellen. Sie scheint uns zumindest für die semantische Analyse unumgänglich. Das Bewußtsein umfaßt mehr als das Denken, es ist vor allem Produkt der Gesamtheit der psychischen Tätigkeiten im Sinne der Gesamtheit der Beziehungen, die zwischen den verschiedenen psychischen Prozessen vor sich gehen, der inneren Struktur dieser Prozesse, und weniger im Sinne einer aufzählbaren Menge einzelner Formen psychischer Tätigkeiten und Prozesse.19 W. P. Tugarinow definiert Bewußtsein als einen Teil der Psyche. „Bewußt nennt man solche psychischen Erscheinungen und Handlungen des Menschen, die über seinen Verstand und Willen laufen, von ihnen vermittelt werden, die sich folglich mit dem Wissen davon, was er macht, denkt oder fühlt, vollziehen". [771, 47] 20 Nach A. G. Spirgin umfaßt die Struktur des Bewußtseins einerseits alle Formen der kognitiven Tätigkeit wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Verstand, Vernunft, als auch die emotionalen Erlebnisse, die Interessen, den Willen, die vernünftige Tätigkeit, die Zielstellung und die schöpferische Aktivität. [533, 502] 21 Diese ganzheitliche Betrachtungsweise hat sich auch in der Neurophysiologie bei der Untersuchung der den Bewußtseinsprozessen zugrunde hegenden Nervenprozesse immer stärker durchgesetzt. M. Rosenberg spricht z. B. davon, daß Bewußtsein nicht als eine isolierte Tätigkeit bestimmter Hirnzentren, auch nicht als Funktion vereinzelter neuronaler Prozesse, sondern nur als „beziehungsverbundener Zusammenhang" der Tätigkeit des Gesamthirns oder zumindest großer Teile davon interpretiert werden kann. „Summierte Effekte der Reizimpulse integrieren wir zum Bewußtsein. Ein isolierter

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Reiz, der auf keinen Zusammenhang von Strukturen ( . . . ) stößt, bleibt unter seiner Schwelle, bleibt Reflexgeschehen . . . Es entsteht als neue Qualität, sobald und solange Reizimpulse zu einer Gesamtenergielage in einen Kontrast geraten." [659, 126] Problematisch ist noch die Einordnung des Unbewußten, dem nach F. W. Bassin alle jene nervalen Informationsprozesse zugeordnet werden können, „die komplizierte Formen des Adaptionsverhaltens bedingen und dabei weder mit einem Bewußtwerden der von ihnen hervorgerufenen psychischen Erscheinungen einhergehen noch eine Widerspiegelung im System der 'Erlebnisse' des Subjekts finden" [61,125; vgl. auch 533]. W. P. Tugarinow zählt zur Psyche sowohl bewußte als auch unterbewußte und unbewußte Prozesse, die sich gegenseitig durchdringen. „Nicht nur Gefühle und Handlungen des Menschen, sondern auch ein Denken, das sich,' wie es scheint, ausschließlich bewußt vollzieht (gemäß unserer Definition des Bewußtseins als eines psychischen Prozesses, der vermittels des Verstandes abläuft), wird in einer Reihe von Fällen vom Verstand ungenügend kontrolliert, enthält ein Moment des Unterbewußten" [771, 47]. Das Unterbewußtsein dürfte bei einer ganzen Reihe sprachlicher Prozesse beteiligt sein, zumindest aber bei allen durch sprachliche Zeichen verursachten Adaptionsverhalten menschlicher Subjekte. Sehr wahrscheinlich ist — worauf noch zurückzukommen sein wird — daß Unterbewußtes bei mitschwingenden Nebenbedeutungen, bei emotionalen „Ladungen" von Wörtern u. ä., zumindest mitbeteiligt ist. Begriff. Trotz der umfangreichen Literatur zu Problemen des Begriffs und der Begriffsbildung ist es infolge der „Komplexität und Kompliziertheit der mit dem Begriff verbundenen Probleme . . . auch bis heute noch nicht gelungen, eine befriedigende Definition des Begriffs „Begriff" zu geben" [837,173].22 Wir fassen entsprechend unseren Intentionen als Begriffe jene Teilmenge der Abbilder, die eine ausgesprochen rationale Form der Widerspiegelung darstellen und als Element eines theoretischen Systems auftreten; sie sind darum explizit oder in Ausnahmefällen auch implizit definierte, im betreffenden Wissenssystem festgelegte Abbilder.

1.1.2. Zum Problem des „Sprachdenkens" Ein gleich breites Spektrum von Interpretationen findet sich in Bezug auf „Sprache". Ohne den folgenden Untersuchungen vorzugreifen und ohne in die Diskussion über die Bestimmung der Sprache einzugreifen23, seien hier parallel zur Bestimmung des Denkens einige, die Kognition betreffende Momente der Sprache deutlich gemacht: wir meinen die Differenzierung von

1.1. Sprache und Denken

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„äußerer" und „innerer" Sprache bzw. Sprechen, das (Schein)Problem des „sprachfreien Denkens" oder des „sprachgebundenen Denkens" und das mit diesen Fragestellungen verbundene Problem, was eigentlich der „materielle Träger" des Gedanken sei, ob die Ausdrücke „materieller Träger", „materielle Hülle " bzw. „materielle Existenzform" des Gedankens gleiche Sachverhalte oder eventuell auch verschiedene meinen. Zweifellos sind es besonders zwei Momente, die den durch die genannten Ausdrücke gemeinten Sachverhalt kennzeichnen: 1. daß der Gedanke, das Ideelle, nicht an sich, sondern immer nur gebunden an materielle Prozesse existiert; 24 2. daß die Sprache die „unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens" ist. Der Ausdruck „materielle Hülle" findet sich bei einer Reihe von Autoren, wie z. B. bei Klaus 25 , der allerdings in einem seiner Artikel mit Segeth selbst darauf hinweist, daß der Ausdruck „Existenzform" sinnvoller sei [378], aber auch in Lehrbüchern.26 Die Sprache als „materielle Hülle der Gedanken" zu interpretieren, führt zu zwei Folgerungen, deren Konsequenzen deutlich gemacht werden sollen, auch wenn sie z. B . bei Klaus nie in dieser Konsequenz formuliert wurden. Der Zusammenhang von Sprache und Denken wird bei dieser Konzeption als Form-Inhalt-Beziehung beschrieben, wobei das Denken (das Ideelle) als Inhalt immer in der Form der Sprache (des Materiellen) auftritt. Betrachtet man dieses Verhältnis einerseits von Seiten der Sprache, so wird die Semantik gegenstandslos, weil die sprachlichen Bedeutungen (als das „Inhaltliche") mit dem Denken (meist mit dem Begriff) identifiziert, auf das Denken reduziert und die Sprache zu einem bloßen Inventar materieller Zeichenträger, zu einem ausschließlich materiellen Vehikel des Denkens gemacht, d. h. die Sprache als unilaterales Gebilde begriffen wird. Eine zweite Interpretationsmöglichkeit wäre andererseits die Auflösung des Denkens in die Semantik, die neopositivistische Ersetzung der Erkenntnisbeziehungen durch die Sprachanalyse. Einerseits wäre demnach die Bedeutung nichts anderes als Begriff, gedanklicher Inhalt, andererseits wäre der Begriff, das Abbild nichts anderes als Bedeutung, Sprachinhalt, wobei bei beiden Konzeptionen in der Konsequenz die dialektischen Beziehungen zwischen Sprache und Denken in eine logische Identität aufgelöst werden. Dieser Identitätsstandpunkt bezieht sich allerdings nur auf die Identität des Denkens (meist der Begriffe) mit einem Teil der Sprache, der Semantik. Gerade dadurch jedoch entsteht, betrachtet man das Verhältnis von Denken und Sprache insgesamt, zumindest bei der Auflösung der Semantik in das Begriffliche, eine Art Dualismus zwischen Geist und Materie 27 , zwischen Inhalt und Form.

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

Zweifellos ist auch die Semantik ein Gedankliches, worauf wir noch umfassend eingehen werden, doch vermögen u. E. die mit den Ausdrücken „materielle Hülle" verbundenen Konsequenzen nicht, die evidente Spezifik der Semantik, gegenüber den Erkenntnisinhalten, in der sich der Unterschied zwischen Kommunikation und Erkenntnis ausdrückt, einsichtig zu machen. Zweifellos gibt es Inhalt-Form-Beziehungen auch im Verhältnis von Denken und Sprache zueinander, aber sie sind nur ein möglicher Aspekt, keineswegs aber geeignet, die Gesamtbeziehungen zwischen ihnen zu beschreiben, da die Gefahr besteht, daß der eigentliche dialektische Charakter verloren geht, und das je konsequenter dieser Standpunkt formuliert wird. Eine gemäßigte Form dieses Standpunktes ist die Auffassung vom „Sprachdenken", wie sie z. B. bei Kirchgässner [374] — der uns hier für die ganze Richtung jener marxistischen Autoren steht, die von einer faktischen Identität von Sprachinhalten (Bedeutungen) und Denken (Begriffen) ausgehen — zu finden ist und zu denen z. B. Klaus in seinen frühen semiotischen Arbeiten 28 , unter den sowjetischen Autoren besonders Kacnel'son [346] u . a . zählen. Kirchgässner wehrt sich gegen die oben genannten Konsequenzen und spricht selbst von der „Einheit, aber Nichtidentität von Denken und Sprache" [374, 117], ohne aber die u. E. notwendigen Folgerungen für seine Auffassung vom „Sprachdenken" zu ziehen. Er bleibt bei der Bestimmung der Sprache „als materielle Existenz der Gedanken, als ein System arbiträrer Zeichen zur lautlichen Wiedergabe von Gedanken im Prozeß der Widerspiegelung der Wirklichkeit" [374,120]. Sprache als „materielle Existenz der Gedanken" betont stärker den vergesellschaftenden Charakter der Sprache, ihre kommunikative Funktion, nämlich das, was Marx und Engels die „unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens" nennen [499,432], In diesem Sinne hat eine Bestimmung der Sprache als „Existenzform" des (allerdings vergesellschafteten) Gedankens ihre volle Berechtigung, erfaßt damit aber wiederum auch nur eine Seite, nicht das Ganze. Doch solche Bestimmungen wie „Zeichen zur lautlichen Wiedergabe von Gedanken" legen erneut den bereits obengenannten Standpunkt eines Dualismus zwischen dem Gedanken (dem Ideellen) und der Sprache als „lautliche Wiedergabe" (dem Materiellen) nahe, zumindest sind sie in diesem Sinne zu interpretieren. Andererseits sprechen Kirchgässner, aber auch Albrecht u. a., häufig von der Sprache als Widerspiegelung der Wirklichkeit [374, bes. 148, 170], was ganz im Gegensatz zu obiger Bestimmung die Sprache zu einem Ideellen macht. Uns ist das Anliegen Kirchgässners durchaus verständlich, ja es ist unser eigenes: das Bestreben, eine dialektische Lösung des Problems zu finden. Nur setzt u. E. die Konzeption vom „Sprachdenken" eine Reihe logischer Widersprüche, die in seiner Arbeit von 197129 auch explizit deutlich werden. Während z. B. auf Seite 170 die Sprache als materielles Vehikel des Denkens be-

1.1. Sprache und Denken

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stimmt wird, betont er eine Seite weiter, daß die Sprache Bestandteil des Bewußtseins sei. 30 lieben der Nichtdifferenzierung zwischen den beiden Seiten der Sprache, wie sie sich zumindest als bilaterale Sprachkonzeption allgemein durchgesetzt hat, ihrer materiellen in der Form des Zeichenträgers (im weiteren „Formativ" genannt) und ihrer ideellen in der Form der Bedeutung, die sich auch bei Klaus u. a. zeigt, findet sich hier ein Problem, das Narski als eine „zwei Problem-Antinomie" bezeichnet [552], Narski untersucht die Frage, ob die Bedeutung allein im Interpreten, also als innersubjektives Ideelles existiert, als Gedankliches im Individuum, oder allein als Bedeutung eines Zeichens (wobei Narski hier die materielle Seite •des Zeichens, den Zeichenträger, meint), gewissermaßen als objektiviertes Ideelles außerhalb des Subjektes. Er formuliert die Antinomie so: „Die Existenz der Bedeutung im Zeichen sprach dagegen, daß sich die Bedeutung im Interpreten befindet, und die Existenz der Bedeutung im Interpreten dagegen, daß sich die Bedeutung im Zeichen befindet" [552, 304]. Narski weist schon in seiner Formulierung dieser Antinomien auf den dialektischen Charakter des Problems hin und sucht auch in der Dialektik von Identität und Unterschied (im Interpreten sein und nicht in ihm sein, im ^Zeichen sein und nicht in ihm sein) eine Auflösung dieser Antinomien. Ergibt sich nun aus dem Sachverhalt, daß das (vergesellschaftete) Gedankliche nur in Form der Sprache Existenz hat, tatsächlich die Folgerung, daß •der Gedanke prinzipiell nur als Sprache existiere? Diese Fragestellung hat zwei Seiten: ist der Gedanke prinzipiell an die materielle Seite der Sprache gebunden und sind Semantik und Denken identisch? Der zweiten Seite dieser Fragestellung werden wir uns besonders im Abschnitt 1.4. zuwenden. Eine für unsere Konzeption bedeutsame Fragestellung ist die nach der Rolle •der Sprache in Hinsicht auf die „Verwandlung" des Physischen in das Psychische, die Transformation der materiellen Prozesse des Nervensystems in die „ideellen" Prozesse des Denkens. Im bereits Gesagten wird deutlich, daß von einigen marxistischen Autoren 1, 13]. Aüf1 eine weitere mögliche Relation machen Kannegießer/Rochhausen in einer Analyse der Widerspiegelungsbeziehungen zwischen materiellen Systemen (also Widerspiegelung im weitesten Sinne, wie sie auch Wittich im Auge hat) aufmerksam: „S 2 besitzt die Fähigkeit (auf Grund der strukturierten Organisation), das Widerzuspiegelnde zeitweilig 'aufzubewahren' " [362, 447]. Nun ist „Fähigkeit zur Aufbewahrung" keine Relation, ließe sich wohl auch kaum ohne logischen Widerspruch in das Relationsgefüge Wittichs einbauen (die Behauptung ,,x' vermag auch unabhängig von x zu existieren" steht im logischen Widerspruch zur Behauptung „x'

1.3. Konstituenten und Determinanten

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existiert abhängig von x"), und außerdem handelt es sich um eine Aussage über eine Eigenschaft eines der Glieder der Widerspiegelungsrelation, nicht um eine Aussage über die Relation selbst. Diese Eigenschaft des widerspiegelnden Systems ist aber von besonderer Bedeutung, wenn das S 2 das menschliche Subjekt ist. Auf den menschlichen Widerspiegelungsprozeß übertragen hieße dies, daß das x' (Abbild) auch dann noch zu existieren vermag, wenn das an einem bestimmten Zeitpunkt widergespiegelte x (Abgebildetes) nicht mehr existiert. Dieser Gedanke ist in Hinsicht auf die Funktion der Sprache sehr bedeutsam und soll - ohne hier bereits auf damit verbundene Probleme einzugehen - zumindest notiert werden. Das noch weitgehend offene Problem im genannten Relationsgefüge ist die Relation Üb (x', x). Sie läßt verschiedene Möglichkeiten zu, wie diese Ubereinstimmung des Abbildes mit dem Abgebildeten zu interpretieren sei. Die Frage nach der Art und Weise dieser Übereinstimmung ist durchaus bedeutsam, da sie zugleich die Grundlage für die marxistisch-leninistische Wahrheitstheorie legt, sind doch die wahren Aussagen eine Teilmenge der Abbilder. Klaus nennt z. B . als mögliche Interpretationen der Relation Üb (x', x) die Isomorphie bzw. Homomorphie von Abbild (A) und abgebildetem Objekt (0), die Strukturgleichheit beider, die Modellrelation (A als gedankliches Modell von 0 ) und die Übereinstimmung im Sinne des mathematischen Abbildbegriffs. [381, 86]. Wie auch die Übereinstimmung interpretiert wird, wesentlich - und von allen marxistisch-leninistischen Erkenntnistheoretikern übereinstimmend hervorgehoben - ist die Übereinstimmung der gedanklich hergestellten Zusammenhänge im Abbild mit den wirklich bestehenden Zusammenhängen, Vorgängen, Wechselwirkungen [362, 455]. Es sei hier auf eine deutliche Differenz in den Abbildauffassungen von Wittich und Klaus verwiesen: Für Wittich kennzeichnet der Begriff „Abbild" nur die eine Eigenschaft von Bewußtseinselementen oder Bewußtseinsprozessen, nämlich Abbild von etwas in bezug auf etwas anderes zu sein. Bewußtseinselemente sind so nicht Abbilder an sich oder überhaupt, sondern sie haben lediglich unter anderen Eigenschaften auch die Eigenschaft, Objekte - oder noch vorsichtiger formuliert - Gegebenheiten abzubilden. Wittich faßt so den Abbildbegriff wesentlich relational. Klaus dagegen faßt den Begriff „Abbild" wesentlich substantiell, gewissermaßen als Synonym für „Psychisches", für „Bewußtseinsinhalt", also nicht als Eigenschaft von Bewußtseinselementen, sondern als Bewußtseinselement selbst. Diese beiden Standpunkte ergeben sich u. E. aus dem unterschiedlichen 4*

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

Herangehen an das Abbildproblem. Wittich geht es primär um die genauere Fixierung dessen, was „Abbild" generell sei. Ausgehend davon, daß die Widerspiegelung eine allgemeine Eigenschaft der Materie sei, formuliert er diese allgemeine Widerspiegelungsbeziehung, in der das Abbild eine beliebige Gegebenheit x' ist, die zu einer anderen Gegebenheit x in einer bestimmten, durch die oben beschriebenen 4 Relationen vermittelten, Beziehung steht, unabhängig davon, welcher Natur sowohl x' als auch x sind, ob ideeller oder materieller, ob natürlicher oder technischer usw. So kann natürlich die Eigenschaft, Abbild zu sein, nicht dem Bewußtseinsmäßigen, dem Kognitiven allein zukommen, wohl aber gilt diese allgemeine Widerspiegelungsrelation auch für Bewußtseinselemente, aber eben nur in dem eingeschränkten Sinne, daß ihnen auch, d. h. unter anderen, die Eigenschaft der Widerspiegelung zukommt. Das Bewußtseinsmäßige muß daneben noch andere Eigenschaften aufweisen, die es von den anderen Widerspiegelungsbeziehungen, z. B. in der Technik oder der unbewußten Natur, unterscheidet. Klaus dagegen bestimmt die für die Semiotik wesentliche Beziehung zwischen Zeichen (eigentlich Zeichenkörper, Formativ) und Gedanklichem. Er untersucht in diesem Zusammenhang nicht die Relation zwischen Abbild und Urbild, die ja tatsächlich als Relation, als Beziehung zwischen beiden bestimmt werden müßte, sondern die Relation zwischen materieller Seite des Zeichens und seiner ideellen, zwischen Zeichen und den anderen Faktoren der Zeichensituation. Diese Relationen sind ganz anderer Natur. Das Abbild tritt hier als Endglied einer Relation auf und nicht selbst als eine Eigenschaft von etwas in bezug auf etwas anderes. Bei Klaus tritt uns darum das Abbild seiner Form nach substantialisiert entgegen, eben als Synonym zu „Gedankliches". In dieser Interpretation des Abbildes liegt eine gewisse Gefahr der Vereinseitigung. Klaus vermag nicht voll einsichtig zu machen, ob seine Semiotik eine allgemeine Zeichentheorie in dem Sinne sein soll, daß sie von Zeichen überhaupt handelt, unabhängig davon, ob diese Zeichen durch ein bewußtes Zeichensubjekt geschaffen, verwendet, benutzt werden, oder aber, ob sie eine spezielle Semiotik sein soll, also nur von solchen Zeichen handelt, die die Existenz von Menschen ins Kalkül zieht, in der das Zeichensubjekt ein bewußtes Wesen ist. Da seine vier semiotischen Relationen jedoch eigentlich nur die spezielle Semiotik umfassen (wie sollte sonst die Relation R (Z, M) verstanden werden), tendiert Klaus zu einer solchen Auffassung bzw. zwingt er seinen Lesern zumindest den Gedanken auf, daß Nichtpsychisches nicht die Eigenschaft der Widerspiegelung besitze. Darauf wiesen in einem anderen Zusammenhang schon 1962 Stoljarov und Kannegießer hin. Unser Anliegen ist nicht die Untersuchung der Widerspiegelungsrelation,

1.3. Konstituenten und Determinanten

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weder im Allgemeinen noch im Besonderen, aber auch nicht die Untersuchung der Zeichenproblematik. Wir wenden uns einem Teilgebiet der Zeichenproblematik zu: den Beziehungen zwischen sprachlichen Formativen (im Sinne von natürlichen Sprachen) und ihren Bedeutungen (die nur eine Teilklasse der Zeichen darstellen). Dieser stark eingeengte Gegenstandsbereich zwingt uns auch, den generellen Abbildbegriff zu modifizieren. Indem wir die allgemeine Abbildauffassung von Wittich unseren Überlegungen zu Grunde legen, fassen wir ebenfalls das Abbild als Glied einer Widerspiegelungsbeziehung. Wir wenden uns jedoch stärker dem Produkt dieser Beziehung, dem Abbild, zu. Da wir sowohl die Relationen zwischen Abbildern und Bedeutungen als auch die Relationen zwischen Bedeutungen und Formativen, zwischen Bedeutungen und bezeichneten Objekten, zwischen materiellen Formativen und ihren ideellen Widerspiegelungen usw. untersuchen, also ein ganzes Netz von Relationsbezügen, in denen die Eigenschaft von Bewußtseinselementen, etwas anderes widerzuspiegeln, also das Abbild, selbst als Glied eines anderen Relationsgefüges auftritt, werden wir durch die innere Logik der Problemstellung mehr oder weniger gezwungen — soll zumindest das Ausgesagte noch verständlich bleiben — das Abbild als eine Bewußtseinstatsache gewissermaßen substantiell zu behandeln. Die weitere Analyse der Abbilder und der Bedeutungen, das Auffinden ihrer einfachsten Elemente brächte sonst erhebliche methodische Schwierigkeiten. Die Eigenschaft, Abbild von etwas und in bezug auf etwas zu sein, tritt in unseren Untersuchungen nur als Eigenschaft bewußter Prozesse, d. h. als Eigenschaft von Bewußtseinselementen, auf. Diese Bewußtseinsprozesse haben nicht nur ganz allgemein die Eigenschaft abzubilden, so wie in Wittichs vier Relationen dargestellt, sondern sie bringen als Ergebnis dieser Eigenschaft auch etwas hervor: Bewußtseinsinhalte. Diese Bewußtseinsinhalte als Produkt der Fähigkeit des menschlichen Nervenapparates — als Teil der Natur — zur Widerspiegelung nennen wir Abbild. Abbilder treten in den verschiedensten Formen auf: als Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen, als Begriffe, Aussagen und Schlüsse, als Abstraktionen auf allen Ebenen des Erkennens, einschließlich der Produkte der idealisierenden Abstraktion. Der Abbildtheorie wird häufig vorgeworfen, sie vermöge nicht die erkennende Aktivität des Subjekts, sein Schöpfertum, das z. B. bei der Schaffung von idealen Abstraktionen, von Metatheorien, besonders aber bei konstruktivem Denken, bei Prognosen und bei der Aufstellung von Handlungsanweisungen zur Veränderung materieller Objekte, bei denen ja das Ziel vorher ideell entwickelt würde, zu erfassen. So behauptet Markovic, daß es „sehr fruchtbare und unumgängliche Begriffe und Urteile, die keine Widerspiegelung sind . . . (gebe) . . . weil die Objekte, auf die sie sich beziehen, noch nicht existieren . . . sie

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

müssen erst geschaffen werden, z. B. Aktionspläne, gedankliche Kreationen, mittels derer die Menschen die Zukunft antizipieren . . . [491, 24], 44 Dieser Meinung liegt ein Abbildbegriff zugrunde, der durch denMarxschen Materialismus längst überwunden wurde, der Abbildbegriff des mechanischen Materialismus [403]. Für die marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie ist das Abbild keine passive Kopie, kein Spiegelbild der Dinge und Sachverhalte, sondern das Produkt der praktischen und auf deren Grundlage basierenden theoretischen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt. Auf den ebenso häufig besonders vom Revisionismus erhobenen Vorwurf, Marx selbst habe sich kaum zur Erkenntnistheorie und schon gar nicht im Sinne einer Abbildtheorie geäußert, sie sei erst später durch Engels und Lenin dazugetan worden, ist bereits Kosing 1968 ausführlich eingegangen, so daß hier nur auf die Literatur verwiesen sei [403, 8f.; s. auch 404], Auf den grundlegenden Unterschied seiner Widerspiegelungstheorie zur Widerspiegelungstheorie des mechanischen Materialismus wies Marx in seinen bekannten Feuerbachthesen hin [500, 5]: „Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus — der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt — entwickelt. Feuerbach will sinnliche — von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im „Wesen des Christentums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der 'revolutionären', der 'praktisch-kritischen' Tätigkeit." Der Mensch erfaßt die Welt nicht kontemplativ, er ist ein tätiges Subjekt, das nicht allein geistig die Welt reflektiert, sondern sich vor allem praktisch zu ihr verhält. Sich praktisch zu ihr verhalten heißt aber zu verändern, auf sie einzuwirken, sie entsprechend den menschlichen Zwecken umzugestalten. 45 I n diesem Verändern lernt der Mensch die Eigenschaften der Naturdinge kennen, lernt er, wie sich die Dinge unter unterschiedlichen Bedingungen, denen der Mensch sie unterwirft — soweit nicht schon die Natur jene Bedingung darstellt, unter denen die Dinge sich unter verschiedenen Seiten zeigen — zueinander verhalten, bemerkt er Regelmäßigkeiten ihres Verhaltens, die sich schließlich als das Allgemeine im Einzelnen, als Gesetzmäßiges herausstellen, lernt er, von der bloßen — oder wohl besser „reichen" — Erscheinung zum Wesen vorzudringen.

1.3. Konstituenten und Determinanten

45

Korsanov u. a. betonen, daß sich in der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie das Subjekt-Objekt-Verhältnis, verändert: Das Subjekt ist nicht ein einfaches Naturwesen, sondern es wird sozial bestimmt; die Gegenstände werden durch ihre Einbeziehung in die Sphäre der praktischen Tätigkeit zu Erkenntnisproj ekten, 46 Das sich in diesem Prozeß bildende Abbild kann kein reines Spiegelbild sein, drückt sich doch in ihm der Grad der Einsichten der Menschen, der Grad der Beherrschung der Natur aus, ist es ein Abbild auf bestimmte Weise tätiger und in einer bestimmten Zeit und Gesellschaft wirkenden Subjekte.

1.3.2. Die Aktivität des Subjekts ipi Widerspiegelungsprozeß Wenn auch das Abbild immer das Abbild eines Originals ist, auch wenn es primär in seinem Inhalt durch das Objekt selbst bestimmt ist, ist es als ein historisch-konkretes Abbild nicht das Abbild des Objekts schlechthin, sondern zugleich auch das Verständnis des Objektes durch das Subjekt. Da das Abbild vor allem in der tätigen Auseinandersetzung der Subjekte mit dem betreffenden Objekt entsteht, die Auseinandersetzung aber immer ein zielgerichteter Prozeß der Veränderung der Wirklichkeit entsprechend den Bedürfnissen der Menschen ist, geht diese Zielsetzung selbst als Moment in das Abbild ein [395]. Im aktiven Prozeß der Wechselwirkung des Menschen mit seiner Umwelt im Produktionsprozeß (im umfassenden Marxschen Sinne) interessiert jenen als Erkenntnissubjekt häufig nicht die Gesamtheit aller Eigenschaften, Relationen usw. eines Gegenstandes - wobei wir meist gar nicht zu entscheiden vermögen, wann wir alle Eigenschaften usw. erfaßt haben - sondern gerade jene, die für den Produktionsprozeß von Bedeutung sind. So spiegelt „Unkraut" nicht einen Gegenstand an sich wider, sondern einen Gegenstand „für uns". Wir erfassen so den Gegenstand der Wirklichkeit, wie Marx sagt, als „sinnliche menschliche Tätigkeit, Praxis" [500, 5ff.]. Lenin setzt sich besonders in seinen „Philosophischen Heften" mit diesem Problemkreis auseinander, wobei es uns angemessen erscheint, darauf näher einzugehen, da häufig Lenins Anteil an der Weiterentwicklung der Marxschen Erkenntnistheorie auf seine Arbeit „Materialismus und Empiriokritizismus" reduziert wird 47 , aber die weiterführenden Gedanken, besonders aus den „Philosophischen Heften", zu wenig beachtet werden. Lenins Auseinandersetzung mit dem Positivismus im „Materialismus und Empiriokritizismus" zwangen ihn, den objektiven Charakter menschlicher Erkenntnis zu betonen, das Abbild vor allem als eine „Kopie", d. h. in seiner primären Bestimmung durch das Objekt zu erfassen, wobei kaum Raum

46

1. Erkenntnistheoretische Prämissen

blieb, den tätigen Anteil des Subjekts am Abbildprozeß, seine Subjektivität, darzustellen. Die Rolle des Subjekts im Erkenntnisprozeß behandelt Lenin ausführlich in seinen „Philosophischen Heften". Er formuliert, der Prozeß der Widerspiegelung durch den Menschen sei „keine einfache, keine unmittelbare, keine totale Widerspiegelung, sondern der Prozeß einer Reihe von Abstraktionen, der Formierung, der Bildung von Begriffen, Gesetzen usw., welche Begriffe, Gesetze usw. (Denken, Wissenschaft = 'logische Idee') eben bedingt, annähernd die universelle Gesetzmäßigkeit der sich ewig bewegenden und entwickelnden Natur umfassen" [440,172]. Immer wieder betont Lenin, daß das Erkennen eine dialektische Vermittlung zwischen Objektivem und Subjektivem erfordert: „erste Stufe, Moment, Anfang, Ausgangspunkt der Erkenntnis ist ihre Endlichkeit und Subjektivität, die Negation der Welt an sich — der Zweck der Erkenntnis ist zunächst subjektiv . . . " [440,196]. Lenin betont hier „erste Stufe", d. h. diese Subjektivität ist nur ein Moment, ist der Anfang der Erkenntnis. Diese Subjektivität führt bei Kant, der dieses Moment verabsolutiert, der das Erkennen vom Objekt (dem Ding an sich, der Natur selbst) trennt, wie Lenin notiert, zum Subjektivismus. 48 Und an den Rand zu Hegels Satz: „Aber das Erkennen hat durch seinen eigenen Gang seine Endlichkeit und damit seinen Widerspruch aufzulösen" schreibt Lenin: „Aber der Gang des Erkennens führt es zur objektiven Wahrheit" [440,197]. Lenin unterstreicht wiederholt die Hegeische Kritik an Kant und übersetzt sie — wie z. B . auch im vorangegangenen Zitat deutlich wird —, erweitert sie zur materialistisch-dialektischen Konzeption. Daß dabei die Kritik an Kants „Ding an sich" eine große Rolle spielt, wird schon dadurch deutlich, daß Lenin immer wieder darauf zurückkommt. Hegel kritisiert Kant vom Standpunkt des Idealismus, d. h. er verwirft mit der Kritik des Kantschen Agnostizismus zugleich auch das materialistische Moment, das in Kants Auffassung vom Ding an sich steckt, da es „an sich", d. h. außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein, existiert. Hegel verwandelt das außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein existierende Ding an sich als eine „leere Abstraktion", die es durch seine Unerkennbarkeit ist, zu einem Gedankending, d. h. hebt die Trennung zwischen Subjekt und den Sachen, zwischen denen bei Kant die Gedanken stehen, auf, indem er die Sachen selbst in Gedankendinge verwandelt. „Das Wesen des Arguments" schreibt Lenin dazu, „ist meines Erachtens: (1) bei Kant trennt (schließt ab) die Erkenntnis Natur und Mensch; in Wirklichkeit schließt sie sie zusammen; (2) bei Kant steht die „leere Abstraktion' des Dinges an sich anstelle des lebendigen (Ganges), der (Bewegung) unseres sich immer mehr vertiefenden Wissens von den Dingen." [440, 83 bis 84].

1.3. Konstituenten und Determinanten

47

An die Stelle der idealistischen Identität von Denken und Sein setzt Lenin den Prozeß des Erkennens, der — siehe oben — zur objektiven Wahrheit führt. Er unterstützt die Hegeische Kritik an der absoluten Trennung von Natur (Ding an sich) und Mensch und an dem daraus erwachsenden Subjektivismus, gleichzeitig aber verteidigt er den Materialismus, unterwirft er die Hegeische Kritik selbst einer materialistischen Kritik. So schreibt Hegel z. B . : „Die Dinge heißen Ansich, insofern von allem Seinfür-Anderes abstrahiert wird, das heißt überhaupt, insofern sie ohne alle Bestimmung, als Nicfitse gedacht werden. In diesem Sinn kann man freilich nicht wissen, was das Ding-an-sich ist. Denn die Frage was? verlangt, daß. Bestimmungen angegeben werden; indem aber die Dinge, von denen sie anzugeben verlangt würde, zugleich Dinge-an-sich sein sollen, das heißt eben ohne Bestimmung, so ist in die Frage gedankenloserweise die Unmöglichkeit der Beantwortung gelegt, oder man macht nur eine widersinnige Antwort." [282, 142]. „Das ist sehr tief:" schreibt Lenin dazu, „das Ding an sich und seine Verwandlung in ein Ding für andere (vgl. Engels). Das Ding an sich als solches ist leere, leblose Abstraktion." Und nun folgt die materialistische Umkehrung Hegels: „Im Leben, in der Bewegung ist alles und jedes sowohl 'an sich' als auch 'für andere' in Beziehung zu einem Anderen, indem es sich von einem Zustand in den anderen verwandelt." [440, 99] Der Verweis auf Engels macht deutlich, wie Lenin dieses 'für andere' verstanden wissen will, nicht nur im Sinne einer natürlichen Entgegensetzung zu einem anderen, sondern im Sinne einer durch die Praxis bewirkten Zustandsveränderung. Engels sagt an der bei Lenin verwiesenen Stelle: „Die schlagendste Widerlegung dieser wie aller andern philosophischen Schrullen ist die Praxis, nämlich das Experiment und die Industrie. Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kantschen unfaßbaren 'Ding an sich' zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche 'Dinge an sich', bis die organische Chemie sie einen nach dem andern dazustellen anfing; damit wurde das 'Ding an sich' ein Ding für uns . . . " [168, 276], Ganz deutlich wird dieser grundlegende Gedanke für das Verständnis der marxistisch-leninistischen Abbildtheorie, wo Lenin über die Praxis und über die Objektivität bei Hegel notiert: „Das theoretische Erkennen soll das Objekt in seiner Notwendigkeit, in seinen allseitigen Beziehungen, in seiner widersprechenden Bewegung (an und für sich) geben. Aber der mensc hliche Begriff erfaßt, ergreift diese objektive Wahrheit des Erkennens und bemächtigt sich ihrer 'endgültig' erst dann, wenn der Begriff zum 'Fürsichsein*

48

1. Erkenntnistheoretische Prämissen

im Sinne der Praxis wird. Das heißt, die Praxis des Menschen und der Menschheit ist die Probe, das Kriterium für die Objektivität der Erkenntnis . . ." 1440, 202], Hier macht Lenin die Dialektik des Widerspiegelungsprozesses einsichtig: Der Mensch vermag nur dann in seiner praktischen Tätigkeit Erfolg zu haben, wenn seine Erkenntnisse (Abbilder) der objektiven Realität entsprechen, wenn sie das Objekt in seiner allseitigen Bestimmtheit 'an und für sich' erfassen. Der Mensch vermag aber die Welt eben nur als Subjekt — auch wenn wir für Subjekt „Menschheit" setzten —, nur subjektiv zu begreifen, als ein historisch konkretes Subjekt. „Der Mensch kann die Natur nicht als ganze, nicht vollständig, kann nicht ihre 'unmittelbare Totalität' erfassen = widerspiegeln = abbilden, er kann dem nur ewig näher kommen, indem er Abstraktionen, Begriffe, Gesetze, ein wissenschaftliches Weltbild usw. usf. schafft" [440, 172], Der Mensch „schafft" sich Abstraktionen usw., um die objektive Realität tiefer erfassen zu können. Da es dem Menschen versagt ist, die Welt sofort und in ihrer „unmittelbaren Totalität" zu erfassen, sind die Abbilder ihren Originalen immer nur mehr oder weniger adäquat, aber sie sind es, d. h. sie sind Widerspiegelungen dieser Originale; sie sind objektiv (wohl besser: haben einen objektiv bestimmten Inhalt, der durch das Abgebildete, das Original gegeben ist). Sie sind aber zugleich Abbilder im widerspiegelnden Subjekt, d. h. sind Produkt der subjektiven Widerspiegelungstätigkeit und werden durch die historisch konkreten Subjekte, ihre Zielsetzungen, ihr Wissen usw. geformt; so sind sie zugleich subjektiv. Die Vermittlung des Objektiven und des Subjektiven ist ein Prozeß, der selbst beide als Moment in sich h a t : die Praxis/' 9 Die Produktion macht aus dem „Ding an sich" ein „Ding für uns". Doch im gleichen Produktionsprozeß, in dem entsprechend unserem subjektiven Abbild das objektive Original verändert wird, gewinnt das subjektive Abbild Objektivität, da es einer unfehlbaren Probe unterworfen wird: der Praxis.

1.3.3. Die Dialektik der zwei Widerspiegelungsbeziehungen Kosing weist in seinem schon zitierten Artikel auf drei grundlegende Gesichtspunkte hin, die in der Marxschen Erkenntnistheorie zum Ausdruck kommen: „Erstens hat Marx die gesellschaftliche Praxis der Menschen als die konkrethistorische Grundlage des Erkenntnisprozesses ( . . . ) und die Erkenntnis selbst als notwendiges Moment im gesellschaftlichen Gesamtprozeß bestimmt" [403, 15].

1.3. Konstituenten und Determinanten

49

„Zweitens hat Marx die gesellschaftliche Natur des Erkenntnisprozesses und der Erkenntnis, d. h. des Widerspiegelungsprozesses und der Abbilder, materialistisch begründet und damit die Abbildtheorie auf eine qualitativ neue Stufe gehoben" [403, 18]. „Drittens hat schließlich Marx die sozialhistorische Bestimmtheit von Subj e k t und Objekt sowie den dialektischen Charakter ihrer Wechselwirkung herausgearbeitet" [403, 24]. Diese Gedanken werden von Wittich im gleichen Heft weitergeführt, indem er von zwei erkenntnistheoretisch relevanten Widerspiegelungsbeziehungen spricht. Zuerst greift er die bei Kosing ausführlich begründete These auf, daß Marx die z. B . bei den vormarxschen Materialisten übliche Beschränkung der Widerspiegelungsrelation auf die Beziehungen zwischen dem individuellen Bewußtsein und dem Objektbereich, bedingt durch das Fehlen einer praktischen Vermittlung beider, überwindet. 50 „Tatsächlich befindet sich das individuelle und gesellschaftliche Bewußtsein nicht nur hinsichtlich des Objekts in einem Widerspiegelungsbezug zur objektiven Realität, sondern auch in bezug auf den praktischen Aneignungsprozeß dieses Objekts. F ü r jede Erkenntnis gibt es einen Widerspiegelungsbezug sowohl zum Objekt als auch zu dem materiellen Bereich der Praxis, der in seiner historischen Ausprägung stets ein gesellschaftliches Sein von bestimmter Spezifik ist" [841, 3 6 - 3 7 ] . Das Abbild ist so Produkt zweier Widerspiegelungsbezüge: Einerseits ist es immer Abbild eines Abgebildeten; Ziel des Erkenntnisprozesses ist es, dieses Abbild seinem Original, seinem „Urbild", immer adäquater zu machen. Da das Abbild jedoch immer Abbild im Bewußtsein menschlicher Subjekte ist, die sich praktisch zu den Dingen verhalten, gehen die Determinanten dieser Vermittlung, der Praxis, selbst als Moment in das Abbild ein. Marx f a ß t Praxis immer als gesellschaftliche Praxis, nicht als Vermittlung der vereinzelten Individuen zur Wirklichkeit. Der gesellschaftliche Charakter des Arbeitsprozesses bedingt, wie unter 1.2. gezeigt, auch den gesellschaftlichen Charakter des Erkenntnisprozesses. Diese Gesellschaftlichkeit nennt nun Wittich den „zweiten Widerspiegelungsbezug". Dieser Gedanke, daß in den Widerspiegelungsprozeß auch die gesellschaftlichen Bedingungen eingehen, unter denen widergespiegelt wird, geht weit über das hinaus, was bisher unter Subjektivität der Erkenntnis gefaßt wurde; es ist eine wesentliche Präzisierung des materialistisch-dialektischen Standpunktes, der es u. a. auch erlaubt, die klassenmäßige Bedingtheit der Erkenntnis exakter zu beschreiben, [vgl. 4 6 8 ; 474] Die Tragfähigkeit dieses Gedankens zeigte sich auf einer Arbeitstagung zur marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie 1972 in Leipzig, auf der z. B . Gößler formulierte, „daß der Inhalt unserer Erkenntnis durch zwei Gegebenheiten materiell determiniert wird: einmal durch die objektive Realität als den letztlichen Gegenstand

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

unserer Erkenntnis, welche Formen, Eigenschaften, Gesetzmäßigkeiten usw. derselben abbilden, und zum anderen durch die konkret-historische Praxis der Menschen, die ihrer Erkenntnistätigkeit zugrunde hegt, durch die materiellen sozialökonomischen Verhältnisse, unter denen sie Erkenntnisse gewinnen." 51 Gößler spricht von der „doppelten materiellen Determiniertheit des Erkenntnisprozesses" 59 [228] bzw. von der „gegenständlichen" und der „sozialökonomischen Determiniertheit". 53 Es ist schwierig — anhand der bisher vorliegenden Publikationen — festzustellen, ob die beiden Autoren den gleichen Sachverhalt nur sprachlich anders benennen oder ob es sich hier um unterschiedliche Zusammenhänge handelt. U. E . sind die beiden Auffassungen nicht identisch, sie ergänzen einander. Bei Wittich steht die Gesellschaftlichkeit des Abbilds im Vordergrund, das durch die doppelte bzw. zweite Widerspiegelungsbeziehung entsteht, während Gößler größeren Wert auf die sozialökonomischen Bedingungen des Erkenntnisprozesses legt. Die sozialökonomischen Determinanten gehen als Moment in den zweiten Widerspiegelungsbezug ein, Wittich scheint ihn aber wesentlich weiter zu fassen, spricht er doch vom gesellschaftlichen Sein, zu dem dieser zweite Widerspiegelungsbezug besteht. 54 Wittich vermerkt schon 1968, daß dieser doppelte Widerspiegelungsbezug sowohl das individuelle als auch das gesellschaftliche Bewußtsein betreffe. Es war nur folgerichtig, wenn sich nunmehr die Aufmerksamkeit auf die dialektische Beziehung der individuellen Und der gesellschaftlichen Widerspiegelung hinwendet; warf doch sowohl der doppelte Widerspiegelungsbezug als auch die doppelte Determiniertheit die Frage der gesellschaftlichen Bedingtheit auch des individuellen Widerspiegelungsprozesses auf. 1.3.4. Die Dialektik von individuellem und gesellschaftlichem Erkenntnisprozeß Diesem Problem war eine Arbeitstagung im Februar 1973 in Leipzig gewidmet. 55 In einer Reihe von Beiträgen 56 wurde das Für und Wider diskutiert, wobei sich in der Diskussion der Gedanke durchsetzte, zwischen einem individuellen und einem gesellschaftlichen Erkenntnisprozeß zu differenzieren, die wie in einer Relation Teil-Ganzes stehend zu betrachten sind [s. 577]. Rochhausen/Lorenz nannten in ihrem Beitrag [653], drei Relationen, die dieses Verhältnis bestimmten: 1. Die Teile bilden die Voraussetzung für das Ganze, d. h. das Ganze besteht aus einer bestimmten endlichen Menge von Teilen. Die Teile bedingen durch ihre gegenseitige Einwirkung die Entwicklung des Ganzen.

1.3. Konstituenten und Determinanten

51

2. Die Teile werden erst durch ihr Zusammenwirken im Ganzen, durch ihre widersprüchlichen Beziehungen untereinander, zu dem, was sie sind. 3. Das Ganze stellt gegenüber der Summe seiner Teile eine spezifische Qualität dar. Es ist „mehr" als die Summe seiner Teile, denn durch die Wechselwirkung der Teile entsteht erst die qualitativ neue Struktur des Ganzen, mit Merkmalen, die seinen einzelnen Elementen auch nicht teilweise zukommen.57 In mehreren Beiträgen wurde betont, daß es nicht zwei getrennte Widerspiegelungsprozesse seien, sondern daß der individuelle Widerspiegelungsprozeß bereits einen gesellschaftlichen Charakter trage. So formulierte Martina Thom: „So scheint die Unterscheidung von 2 Typen von Erkenntnisprozessen (gesellschaftlicher — individueller) den hier gemeinten Sachverhalt nicht richtig zu bezeichnen. Geht es doch um einen einheitlichen, zeitlich nicht auseinanderfallenden Prozeß des Erkennens, der sich immer in konkreten Verhältnissen der Individuen zueinander abwickelt, der aber einmal nach seinen Gesetzmäßigkeiten von Seiten des Beziehungsgefüges, welches die Individuen bilden, untersucht wird (Klassenbewußtsein, Meinungsstreit), und zum anderen von Seiten des Vorganges des Erkennens im Kopf des Individuums dabei." 5 8 Der individuelle Widerspiegelungsprozeß ist nur zu verstehen als Teil der Auseinandersetzung der Menschheit mit ihrer Umwelt und ist so — wie der Arbeitsprozeß — von vornherein eine kollektive Tätigkeit. Kollektiv wird hier einerseits verstanden als Kooperation der Individuen beim Erkennen selbst, als „Erkenntnisgemeinschaften", die aus dem Arbeitsprozeß hervorgehen. Kollektiv heißt aber andererseits auch arbeitsteilig. Und auch das sind nicht zwei getrennte Prozesse, sondern zwei Seiten, Momente des einheitlichen Erkenntnisprozesses. Selbst wenn ein Individuum relativ selbständig, vereinzelt seine Umwelt widerspiegelt, so setzt doch gerade diese Vereinzelung die Gesellschaft voraus. Marx betont: „Allein auch wenn ich wissenschaftlich tätig bin, eine Tätigkeit, die ich selten in unmittelbarer Gemeinschaft mit anderen ausführen kann, so bin ich gesellschaftlich, weil als Mensch tätig . . , " 5 9 [504, 538] Diese Gesellschaftlichkeit setzt sich aus einer ganzen Reihe von Faktoren zusammen, von denen einige bereits genannt wurden und von denen einige noch genannt werden sollen, wobei aber deutlich wird, daß die Erfassung der Vielzahl von Faktoren, sowie ihrer Gruppierung und ihres inneren Zusammenhanges noch aussteht. Die vereinzelte Widerspiegelungstätigkeit des Individuums ist durch die Arbeitsteilung auf das Erkennen eines spezifischen Ausschnittes der objektiven Realität gerichtet, was wiederum voraussetzt, daß das Individuum sich auf die Erkenntnisse anderer Individuen und besonders auf das gesellschaftlich fixierte Wissen, das in den vorangegangenen Generationsfolgen gespeichert wurde, stützen kann. Der individuelle Wider-

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

spiegelungsprozeß setzt so voraus, daß die Menschen untereinander gesellschaftliche Verhältnisse eingehen. Wissenschaftliches Erkennen setzt ferner voraus, daß die Menschen über Erkenntnismittel verfügen, die ihnen auf der gegebenen Stufe der gesellschaftlichen Organisation zugänglich sind. 00 Damit wird das Niveau der Erkenntnis nicht nur durch die natürlichen und individuellen Besonderheiten des Menschen bestimmt, sondern vor allem durch die gesellschaftlichen Bedingungen: die Gesellschaft gibt dem Individuum überhaupt erst die Möglichkeiten, zu erkennen, und der Entwicklungsstand der Produktivkräfte bestimmt zugleich die historischen Grenzen des Eindringens in die Gesetzmäßigkeiten des betreffenden Objektbereiches, bestimmt den Stand der Erkenntnismittel und z. T. auch der Erkenntnismethoden. Auf diese Weise ist der gesellschaftlich determinierte individuelle Widerspiegelungsprozeß Teil des gesellschaftlichen Widerspiegelungsprozesses. Das Individuum hat insofern Anteil am gesellschaftlichen Widerspiegelungsprozeß und ist damit Teil des gesellschaftlichen Gesamtsubjekts., I n dieser Vermittlung zwischen dem individuellen und dem gesellschaftlichen Widerspiegelungsprozeß kommt der Sprache eine besondere Rolle zu, was ausführlich im 3. Kapitel dargelegt werden soll. In den Abbildprozeß gehen mindestens ein : 1. die Dialektik des Objektiven und Subjektiven, wobei die Praxis als Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt tritt ; 2. die Dialektik der zwei Widerspiegelungsbeziehungen, die den gesellschaftlichen, historischen und sozialen Charakter des Erkenntnisprozesses deutlich macht ; 3. die historischen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen des Erkenntnisprozesses ; 4. die Dialektik von individueller und gesellschaftlicher Widerspiegelung. Auf das Problem, daß zwischen Individuum und Gesellschaft im Widerspiegelungsprozeß ein ganzes Spektrum von sozialen Gruppen liegt, verwiesen in Hinsicht auf die daraus resultierenden gruppenspezifischen Abbilder Verfasser schon 1970 [472], in Hinsicht auf die widerspiegelnden Subjekte u. a. Gößler 1972 [227, 538], Wenn im folgenden vom Abbild und seinen Beziehungen zur Bedeutung gesprochen wird, so verstehen wir unter Abbild das Produkt des Widerspiegelungsprozesses in seiner Komplexität ; es umfaßt sinnliche und rationale, wohl auch emotionale Formen der Widerspiegelung, umschließt nach der primären Widerspiegelung von Objekten auch die eben genannten zusätzlichen Voraussetzungen, Bedingungen und Bezüge. Diese Vorbemerkungen scheinen uns wesentlich für das Verständnis der Beziehungen von Abbild und Bedeutung.

1.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

53

1.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Erkenntnisund Kommunikationsprozessen Da sowohl die Erkenntnis als auch die Kommunikation letztlich ihre Begründung im Arbeitsprozeß finden, liegt der Gedanke nahe, durch einen Vergleich beider Prozesse ihre dialektischen Bezüge einsichtig zu machen, wobei drei wesentliche Abhängigkeiten beachtet werden sollen: die Abhängigkeit des Abbildes vom Objekt, die Abhängigkeit des Ideellen vom Materiellen, die Abhängigkeit des Subjektiven vom Objektiven. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen diesen Kategorien läßt sich durch ein Schema verbildlichen, wobei die Pfeile nicht als ein Nacheinander im Erkenntnis- bzw. im Kommunikationsprozeß verstanden werden sollen, sondern als Darstellung der funktionalen bzw. kausalen Abhängigkeiten zueinander. AhbUdebene (Psychisches1

Ideelles Subjektbereich

Neuronaler Bereich /Physisches) Materielles Objektebene tAbgebildetes)

• Objektbereich.

Abb. 1

Ein bestimmtes Erkenntnisobjekt (Abgebildetes und in der Regel auch Materielles) wird von einem Subjekt widergespiegelt, wobei im zentralen Nervensystem bestimmte neuronale Erregungsmuster entstehen (Materielles im Subjektbereich), die auf der Ebene des Psychischen zu einem Abbild (Ideelles im Subjektbereich) des Objektes führen. 61 Unter 0 wird das Objekt, unter ' 0 werden die materiellen Prozesse, die beim Widerspiegelungsprozeß vor sich gehen, d. h. eine bestimmte neuronale Erregungsstruktur, und unter A das ideelle Abbild verstanden ( = 0 ' ) . Die Folge ' 0 — A ist keineswegs als zeitliche Aufeinanderfolge interpretierbar, sondern — wie bereits begründet — nur so, daß A funktional von ' 0 abhängig ist, wobei ' 0 durchaus eine selbständige Existenz auch ohne das A, d. h. das

54

1. Erkenntnistheoretische Prämissen

Bewußtwerden, besitzt, das Abbild aber die neuronale Erregung voraussetzt. Die Folge 0 -*'0 dagegen ist kausaler Natur. Dabei ist zu beachten, daß diese Beziehungen nicht reversibel sind. Das Abbild — auch das Abbild eines Formati vs — hat keine gesonderte Existenz neben oder außerhalb der neuronalen, physischen Zustände, ist letztlich nur als Funktion individueller materieller Prozesse erfaßbar. Wohl aber ist ein Erregungszustand der neuronalen Verbindungen möglich, der nicht zur Bewußtheit führt, d. h. ' 0 vermag auch ohne A zu existieren. Diese Überlegung stützt sich — neben den bereits genannten Problemen des Unbewußten und des Unterbewußten — u. a. auch auf die Ergebnisse der Mnemologie besonders beim Erlernen von Sprachen mit Hilfe der Suggestopädie, bei der eine Einspeicherung ohne bewußte Hinwendung auf den Lernvorgang in gewissem Umfange möglich ist. 62 In der Differenzierung der beiden Ebenen, der innersubjektiv-materiellen und der innersubjektiv-ideellen, liegt natürlich die Gefahr, das Ideelle zu verselbständigen oder das Schema so zu interpretieren, als ob das Transformieren 63 ins Ideelle eine Verwandlung des Materiellen in das Ideelle, ein Auflösen in Ideelles sei. 64 Auch Reschke wendet sich gegen eine zeichnerische Abgrenzung physiologischer und psychischer Prozesse [640, 97, Fußnote 16]. Jedes Schema ist natürlich eine starke Vereinfachung und vermag nie die vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen und schon gar nicht die Dialektik von Unterschied und Identität voll zu erfassen. Wenn wir trotz dieser Gefahr, die wir durchaus sehen, bei einer Unterscheidung der beiden Ebenen bleiben, so tun wir das zuerst aus methodischen Gründen: Ein Schema vermag häufig auf einen Blick Zusammenhänge deutlich zu machen, die sonst eine umfangreiche verbale Beschreibung nötig machen würden; hier zeigt sich u. a. die Macht der Symbole. 65 Eine Differenzierung erscheint uns aber auch sinnvoll in Hinsicht auf die Darstellung der neurophysiologischen Prozesse und auf die besonders im 3. Kapitel darzustellende Möglichkeit, das Individuell-Ideelle durch eine Kodierung des Individuell-Materiellen, das besonders in der psychologischen, aber auch in der kybernetischen Literatur häufig als Signal interpretiert wird 66 , in das Formensystem der Sprache zu objektivieren, es gewissermaßen zu einem Außerindividuell-Ideellen zu machen. Im Kommunikationsprozeß geht es um eine analoge Grundstruktur: Auch hier wird durch einen von außen kommenden Reiz (ein materielles Formativ) über die neuronale Erregung ein ideelles Abbild erzeugt, nur mit dem Unterschied, daß an Stelle eines beliebigen Objektes ein Formativ tritt. Das Individuum L t sendet ein Formativ, das durch gesellschaftliche Konvention einem bestimmten Abbild zugeordnet wurde und das beim Individuum I 2 ein ähnliches Abbild auf Grund der ihm bekannten Zuordnungsbeziehungen auslöst. Wir setzten stillschweigend voraus, daß beide Subjekte

1.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

55

über den gleichen Zeichenvorrat verfügen, beiden die jeweiligen gesellschaftlich bestimmten Zuordnungsbeziehungen zwischen Formativ und Abbild bekannt sind, daß beide bereits das gleiche Objekt ideell widerspiegelten. Um beim Empfänger allein durch ein bestimmtes F ein solches Abbild auszulösen, welches den gewünschten Kommunikationsabsichten des Senders entspricht, muß der Empfänger das objektiv-reale, also materielle Ereignis F , als Träger einer Information, einer Bedeutung — die wir vorerst noch als Abbild fassen, da die differenzierte Analyse von Abbild und Bedeutung und ihrer Intrastrukturen später erst erfolgen wird, obwohl u. E. Abbild und Bedeutung nicht prinzipiell identisch sind — erkennen, d. h. eine durch das Formativ ausgelöste neuronale Erregung ' F führt zum Bewußtwerden eines Abbildes. Die Kommunikation scheint jetzt noch weitgehend dem Erkenntnisprozeß zu entsprechen, zumindest wenn man die beiden Prozesse auf die stark vereinfachenden Beziehungen oben genannter Kategorien zueinander reduziert. Das Schema könnte darum wie folgt ergänzt werden : Sender

Smpfâagar A

A

Abb. 2 Im Erkenntnisprozeß entsteht ein ideelles Abbild von einem Objekt. Betrachten wir dagegen den Kommunikationsprozeß, so ergibt sich nun zweifellos nicht, daß das im Empfänger reproduzierte Abbild ein Abbild des gesendeten Formativs, also dessen, was an Stelle des Objektes getreten ist, darstellt. Eine Lösung ergäbe sich auch nicht, wenn wir an die Stelle von „Abbild" (eines Objektes) die „Bedeutung" (eines Formativs) setzten, denn auch die Bedeutung ist nicht die Widerspiegelung des Formativs, mit dem sie verbunden ist. Von einem Abbild des Formativs ist 1. nur dann sinnvoll zu sprechen, wenn das Formativ außerhalb des Kommunikationsprozesses zum Objekt der Untersuchung gemacht wird, d. h. selbst als Objekt auftritt. (Als Abbild eines Formativs bzw. einer Klasse gleicher Formative könnte z. B. das Morphem betrachtet werden); oder 2. höchstens im übertragenen Sinne dann zu sprechen, wenn ein Formativ als Träger einer Bedeutung (Zeichenerkennung) erkannt wird. Im zweiten Falle geht es um den Kommunikationsprozeß, der den Erkennt6 Lorenz/Wotjak

56

1. Erkenntnistheoretische Prämissen

nis- bzw. Aneignungsprozeß voraussetzt. Wollte man diese Zusammenhänge bildlich darstellen, so ergäbe das — wiederum bei starker Reduktion auf die bereits genannten Kategorien — folgendes: Smptönger ~r

tl

r

A

1 'O

I

0

Abb. 3 Dabei ist das F ' nicht als ideelles Abbild des Formativs als materielles Objekt, sondern als Widerspiegelung der Zeichennatur des materiellen Objektes „ F " verstanden. Das ideelle Abbild des Formativs nennen wir „ A r " . Wir sprechen dann von A p , wenn das Formativ zum Objekt erkennender Betrachtung wird, d. h. wenn es im Erkenntnisprozeß als Objekt auftritt und nicht als Zeichen. Während bei A r die Aufmerksamkeit auf das materielle Objekt, das zugleich ein Zeichen ist, (Oy) gerichtet ist, richtet sich die Aufmerksamkeit bei F ' auf die Zeichenerfassung, d. h. eigentlich darauf, was F „bedeutet". Während bei Aj, die bewußte Reflektion über F obligatorisch ist, ist sie bei F ' fakultativ, da weniger das Formativ als vielmehr dessen Bedeutung interessiert. Wir nehmen an, daß die Kopplung eines bestimmten F mit seiner Bedeutung im individuellen Bewußtsein gewissermaßen automatisch verläuft, d. h. die Zuordnung f

1

•F

A

1 'O

Abb. 4 auf der Grundlage eingeübter, unbewußt und wahrscheinlich synchron verlaufender neuronaler Prozesse vor sich geht und erst das Endglied dieses Prozesses, das Abbild, bewußt wird. Es sei bereits hier vermerkt, was im Grunde auch schon aus der Differenzierung von Erkenntnis- und Kommunikationsprozeß folgt, aber im Detail erst später dargestellt werden soll, daß eine direkte, bewußte Beziehung zwischen F ' und A, also dem Abbild einer Zei-

1.4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

57

chengestalt und dem Abbild eines Objektes, nur in Ausnahmefällen, wie z. B. bei einer Erstcodierung, in der Regel aber wohl nicht anzunehmen ist. Zwischen beide tritt wahrscheinlich ein weiteres Glied, nämlich die Bedeutung: A

!

1

L

0

r 1 1

0

B

1 1

B

r

F

_i _ i i i F

Neumann spricht in diesem Zusammenhang von einer „Abbildung sememischer Strukturen auf phonische": „Es werden Strukturen, die im menschlichen Bewußtsein durch seine Erkenntnistätigkeit organisiert werden und die (auf der Basis eines neurophysiologischen Substrats) in ideeller Form existieren, auf solche projiziert, die in ihrer Organisation die Notwendigkeit reflektieren, materielle, durch physikalische und physiologische Gesetzmäßigkeiten bestimmte Kommunikationsvorgänge zu gewährleisten." [566, 175; vgl. auch 568]. Problematisch ist noch, worin sich die sememischen Strukturen von den Abbildstrukturen unterscheiden und wie der interne Zusammenhang zwischen ihnen beschrieben werden kann. Auch Neumann Unterscheidet die kognitiven Bewußtseinsinhalte vom Sprachsystem, spricht von „kognitiven Bewußtseinsinhalten und gesellschaftlichen Kommunikationsvorgängen",67 wobei allerdings offen bleibt, in welchem Verhältnis das Kognitive zum Semantischen steht. Sicherlich sind beide nicht als getrennte, isolierte Erscheinungen zu erfassen, aber auch nicht als miteinander identisch, da sonst die im Abschnitt 1.1. in Frage gestellte Identitätsauffassung von Sprache und Denken erneut etabliert würde. Eine Lösung sollte u. E. auch hier von der dialektischen Vermittlung ausgehen und das Kognitive und das Semantische als in gewisser Hinsicht identisch, in anderer aber als verschieden betrachten und zwar wesentlich verschieden in dem Sinne, daß sie unterschiedenen, spezifischen Bildungs- und Entwicklungsgesetzen unterworfen sind. 68 Aus der Tatsache, daß es sich bei der Gestalterkennung um das Auffinden von invarianten Merkmalen von Formativklassen handelt, um die ideelle Reflektion der Formativstrukturen, geht hervor, daß F ' eine strukturierte Ganzheit ist und als Menge von Grundelementen beschreibbar sein muß. Ebenso sind Abbild und Bedeutung als strukturierte Ganzheiten zu erfassen, und ihre Interrelationen dürften Beziehungen unterschiedener Mengen von Grundelementen sein. Während die Abbildelemente die Widerspiegelung von 6*

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

Objektelementen darstellen, sind die Bedeutungselemente an bestimmte Formati vstrukturen gebunden. Die Vermittlerrolle, die die Sprache zwischen Individuum und Gesellschaft spielt, findet innerindividuell eine Entsprechung durch die Vermittlung, die offensichtlich die Bedeutungen zwischen den Formativ- und den Abbildstrukturen darstellen. Die Problemlage wird sofort einsichtig: Neben einer analogen Grundstruktur, die das Gemeinsame des Erkenntnis- und des Kommunikationsprozesses deutlich macht, ergeben sich doch recht erhebliche Unterschiede. Es sind vor allem zwei Differenzen, die bisher sichtbar wurden und die näher untersucht werden sollen, da sie für das zu untersuchende Problem bedeutsam sind und deren Lösungswege bereits angedeutet wurden: 1. Besteht der Unterschied zwischen Erkenntnis- und Kommunikationsprozeß nur darin, daß im Kommunikationsprozeß an die Stelle des Objektes ein Formativ tritt, das jenes repräsentiert, vertritt ? Sind demnach '0 — A und 'F — F' identisch ? Aktiviert ein bestimmtes Formativ die gleichen neuronalen Erregungsmuster wie das vom Formativ vertretene Objekt ? Denn nur unter dieser Voraussetzung wäre die Bedeutung des Zeichens mit dem Abbild identisch. 2. Sind das Abbild und die Bedeutung identisch (da ja beide als Ideelles durch von außen kommende Reize ausgelöst) oder ist die Bedeutung die Relation, Beziehung zwischen dem A und dem F'? Gibt es also zwischen Abbild und Bedeutung Identität, Zuordnungsbeziehungen, funktionale oder kausale Abhängigkeiten ? Diesen beiden Fragestellungen sind die folgenden Abschnitte gewidmet, wobei sowohl Fragestellung als auch Lösungswege so gewählt wurden, daß sie Voraussetzungen für das Verständnis der vor allem im 3. Kapitel dargelegten Probleme schaffen. Es kann nicht unser Ziel sein, z. B. die neurophysischen Grundlagen der Denk- und Sprachprozesse umfassend darzulegen, wohl aber sind wir bemüht, die für unsere Konzeption relevanten Ergebnisse neuerer neurophysiologischer Forschung nutzbar zu machen.

1.5. Die materiellen Grundlagen der internen Denk- und Sprachprozesse Wenn auch Aussagen über neuronale Zustände gegenwärtig noch stark hypothetischen Charakter tragen, ergeben sich doch aus der Struktur des Erkenntnisprozesses einige allgemeine Folgerungen, die sich durch Ergebnisse neurophysiologischer Forschung stützen lassen. Prinzipiell ist jeder Zeichenkörper, jedes Formativ selbst ein materieller Gegenstand, der auch als solcher als Objekt widergespiegelt werden kann,

1.5. Materielle Grundlagen

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ohne in ihm ein Zeichen zu erkennen. Um einen materiellen Gegenstand als ein Zeichen zu erfassen, bedarf es des Wissens, daß er als Glied einer Zeichensituation auftritt und damit etwas anderes darstellt („bedeutet") als er selbst seiner Natur nach ist, d. h. daß er hier nur als materieller Träger einer Information, einer Bedeutung auftritt; und im Falle der natürlichen und künstlichen Sprachen: daß er nur zu diesem Zwecke produziert, geschaffen wurde. Damit muß man eine Lautfolge z. B . noch nicht „verstanden" haben, denn bei der Zeichenerkennung geht es nicht schlechthin um die Widerspiegelung des materiellen Objektes „ F " , sondern um die Erfassung seiner Zeichennatur, die Erfassung des Invarianten einer Klasse von Formativen, also die Erkennung der Gestalt des Zeichens [vgl. 381, 32f.]. Doch im Kommunikationsprozeß geht es um mehr, geht es um die Erfassung dessen, was das Formativ „bedeutet". Da die Erkennung der Zeichennatur eines Objektes „ F " die bewußte Reflektion dessen, also des F ' voraussetzt, mußte die gesonderte Existenz eines ' F angenommen werden, als dessen Funktion allein das F ' aufzutreten vermag. Diese speziellen neuronalen Strukturen, die der Zeichenerkennung dienen, d. h. in denen sich bestimmte Erregungsabläufe (verzweigte Neuronennetze) als Antwortreaktion des Subjekts auf die durch Formative ausgelösten Reize herausbilden, die bei Wiederholung und Übung zu festen „Mustern", „Pattern" werden und denen funktionell ideelle Modelle von Formativen, Abbildern von Formativen entsprechen, sind nicht unbedingt als spezifische, lokalisierbare Sprachzentren zu begreifen. Die Frage nach der Lokalisier bar keit bestimmter Zentren im Gehirn, die für bestimmte menschliche Funktionen „verantwortlich" sind, einschließlich eines gesonderten Sprachzentrums, ist häufig diskutiert worden 69 , die dabei vertretenen Standpunkte sind z. T. extrem. Durchgesetzt hat sich offensichtlich ein Standpunkt, den schon Rubinstein formulierte: „An den komplizierten psychischen Funktionen des Menschen nimmt ein beträchtlicher Teil der Rinde oder die gesamte Rinde, das gesamte Gehirn, als einheitliches Ganzes teil, aber als ein sowohl funktionell wie histologisch qualitativ differenziertes Ganzes und nicht als gleichartige Masse. Jeder Abschnitt nimmt an jedem ganzheitlichen Prozeß in mehr oder weniger spezifischer Weise teil. Die komplizierten intellektuellen Funktionen haben keine 'Zentren', die sie angeblich produzieren, sondern bei jeder von ihnen spielen bestimmte Gehirnabschnitte eine besonders wesentliche Rolle" [661, 190]. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise hat sich auch in der Neurophysiologie immer stärker durchgesetzt. M. Rosenberg folgert aus seinen 40jährigen Erfahrungen in der Aphasieforschung z. B . , daß man das Bewußtsein nicht als eine isolierte Tätigkeit bestimmter Hirnzentren, auch nicht als Funktion vereinzelter neuronaler Prozesse, sondern nur als „beziehungsverbundenen Zu-

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

sammenhang" der Tätigkeit des Gesamthims oder zumindest großer Teile davon interpretieren kann. „Summierte Effekte der Reizimpulse integrieren wir zum Bewußtsein." [659,190] Ähnliche Interpretationen findet man z. B. bei Lurija [479] Ananjev [27], Fischel [185], Rosenberg [657], Lenneberg [443], Rüdiger [663] u. a. Die speziellen Neuronenmuster ' F verstehen wir darum auch nicht als lokalisierbare Bereiche des Kortex, die Differenzierung besteht im wesentlichen in der erkenntnistheoretisch relevanten Fragestellung nach dem Charakter des Widergespiegelten: ist es ein Objekt der Erkenntnis oder ein Formativ, welches f ü r das Objekt steht und eine im Formativ codierte Information enthält? Neurophysisch sind jedoch beide, sowohl '0 als auch 'F, als Erregungsstrukturen neuronaler Verbindungen zu interpretieren, wobei es f ü r unsere Untersuchungen irrelevant ist, ob f ü r die Gestalterkenntnis ('F) gesonderte Hirnabschnitte verantwortlich sind oder nicht. Die Differenzierung ferner zwischen dem materiellen, aber subjektiven '0 bzw. ' F und dem ihm funktional zugeordneten ideellen A bzw. F ' erleichtert die Beschreibung dessen, was eigentlich im Gehirn gespeichert wird. Reschke schreibt dazu: „Nach G. Klaus tauschen die Menschen nicht nur Gedanken aus, sondern sie können diese auch speichern. 70 Unser Hinweis mag trivial anmuten, aber er erscheint uns notwendig: . . . Auf einer Schallplatte, einem Tonband, im Gehirn des Menschen werden keine Bewußtseinsinhalte, sondern (in letzterem primär) Zeichen gespeichert, die sich durch ihre Substanz und deren Struktur voneinander unterscheiden. 'Informationstheoretisch gesprochen' ist die Sprache auch nicht 'ein gemeinsamer Kode . . . mit dessen Hilfe die Menschen Informationen austauschen, speichern, verarbeiten können', 7 1 sondern stellt sie in bestimmter Weise kodierte materielle Ereignisse dar, mit deren Hilfe die Bedürfnisse der Kommunikationssituation befriedigt werden. Diesen erkenntnistheoretisch nicht unwichtigen P u n k t abschließend, wollen wir unsere Meinung auf eine kurze Formel bringen: Nicht Gedanken werden in der Kommunikationssituation ausgetauscht, auch nicht mit Hilfe von Zeichen, sondern Zeichen tauscht man an Stelle von Gedanken aus. Nicht Bewußtseinsinhalte werden gespeichert, sondern Zeichen." [640, 92] Zweifellos muß man Reschke darin unterstützen, daß nicht Gedanken, also Ideelles „an sich" im Gehirn gespeichert werden können, aber bereits in 1.1. wurde nachgewiesen, daß diese extreme unilaterale Sprachauffassung wenig geeignet scheint, die Dialektik von Sprache und Denken voll einsichtig zu machen. Reschke reduziert hier das Zeichen auf seine materielle Substanz und deren Struktur und interpretiert unilateral die Sprache als „materielles Ereignis", ohne ausreichend zu reflektieren, daß ein materielles Ereignis erst dadurch

1.5. Materielle Grundlagen

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zum Zeichen wird, d a ß ihm eine Bedeutung zugeordnet wird oder werden k a n n , d a ß eine Lautfolge erst durch die ihr zugeordnete Bedeutung zum sprachlichen Zeichen wird. 7 3 Gespeichert wird u. E . aber auch nicht die materielle Substanz u n d S t r u k t u r der Zeichen einer Kommunikationssituation, die ihre F u n k t i o n als Träger von Informationen, von Bedeutungen nur erfüllen können, wenn sie intersubjektiv austauschbar, also außerhalb des Subjekts existent sind. Gespeichert werden bestimmte neuronale Reizlagen, bestimmte durch mikrochemische Veränderungen in den Synapsen zueinander zu einer Erregungsstruktur, zu einem Erregungsmuster „geschaltete" Neuronen Verbindungen. Die Vielzahl der Verbindungen einzelner Neuronen miteinander, d. h. ihre synaptische Expressivität, die nach Matthies ein räumlich-zeitliches E r regungsmuster ermöglichen, das sich durch mikrochemische Erregungsübertragung zwischen den Nervenzellen bildet u n d in „deren Verlauf Konzentrationsänderungen und Dislokationen von Überträgerstoffen u n d deren Stoffwechselprodukten a u f t r e t e n " 7 4 [506,22], schaffen ein sehr komplexes, auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht a n n ä h e r n d überschaubares, verzweigtes Nervennetz, das Erregungsmuster zu bilden vermag. Vermerkt sei, d a ß die Terminologie der verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich ist, wobei natürlich immer die Gefahr besteht, d a ß vom jeweiligen Autor etwas anderes gemeint ist, als der Interpret diesen sprachlichen Zeichen a n Ideellen zuordnet; verwendet werden vor allem „Erregungsmuster", „Erregungsstruktur", „Erregungskreise", aber auch „Ladungsbilder" (bei Rosenberg, der Fernsehtechnik entlehnt), „Reizlagen", „dynamischer Stereotyp", „Neuronennetz" u . a . Durch Wiederholung wird aus dieser „Synaptosomalen Regulation", was der Kurzzeit-Speicherung gleichkommt, eine „nukleare Regelung" (LangzeitGedächtnis), die über R N S - und Protein-Synthesen f ü h r t u n d d a m i t dauerhaftere Veränderungen der Synapsenfunktionen bewirkt, was häufig — mehr umgangssprachlich — das „Einschieifen" bestimmter Nervenbahnen genannt wird. Diese gespeicherten „Gedächtnisspuren" können jederzeit durch den gleichen Reiz bzw. Reizkomplex, durch den sie primär entstanden, wieder aktiviert, d. h. bewußt gemacht werden, da jedem Erregungsmuster f u n k t i o n a l ein Ideelles zugeordnet ist, wobei über den inneren Mechanismus dieses Bewußtwerdens gegenwärtig so gut wie nichts — es sei denn recht Hypothetisches — bekannt ist. 75 I n diesem Zusammenhang ist es unwesentlich, ob der auslösende Reiz d u r c h eine Objektein Wirkung oder durch ein F o r m a t i v erfolgt, in beiden Fällen handelt es sich u m dynamische Prozesse, bei denen stabilisierte Erregungsmuster („Gedächtnisspuren") aktiviert werden.

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

Ideelle Abbilder, ob von Objekten im Erkenntnis- oder von Formativen im Kommunikationsprozeß, sind darum beschreibbar als eine strukturierte Menge von kognitiven Elementen, denen jeweils bestimmte neuronale Verbindungen, Erregungsmuster zu Grunde liegen. (Vgl. 3.1.) Wenden wir uns der zweiten Fragestellung zu, dem Verhältnis von Abbild und Bedeutung.

1.6. Die Bedeutung als „durchschnittliches Abbild" Aus dem Vergleich zwischen Erkenntnis- und Kommunikationsprozeß wurde ersichtlich, daß neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten doch erhebliche Unterschiede bestehen, die besonders darin zu suchen sind, daß die Bedeutung nicht als die Widerspiegelung des sie auslösenden außerindividuellen Objektes „Formativ" betrachtet werden kann. E s wäre somit zu klären, in welchem Verhältnis sie zum erkenntnistheoretischen Abbild eines Objektes steht. Im individuellen Erkenntnisprozeß entsteht im widerspiegelnden Subjekt ein Abbild von einem Objekt. Im Abschnitt 1.3. wurde bereits begründet, daß dieses Abbild im Individuum durch eine Reihe von gesellschaftlichen Faktoren mitbestimmt wird, daß es seinem Charakter nach, obwohl es immer Abbild im Individuum ist, ein gesellschaftliches Abbild ist. Die Bedeutung dagegen ist immer die Bedeutung eines Formativs, d. h. ist eine Art von ideellem Abbild, das seiner Funktion nach der Kommunikation über Objekte und nicht primär der Erkenntnis dieser Objekte dient. Unsere Fragestellung ist somit anders, als sie z. B. bei Schaff gestellt wird, der umfangreich untersucht, was die Bedeutung sei, ob der bezeichnete Gegenstand oder eine Beziehung zwischen den Zeichen, zwischen Zeichen und Gedanken usw. 76 Die z. B . bei Reznikov [645, Abschn. II], Klaus [bes. 379] u. a. sehr breit behandelte und außerordentlich interessante Fragestellung nach dem Zusammenhang oder den Beziehungen zwischen Zeichen und Bedeutung stellt sich für uns, da wir das Zeichen nicht nur als das materielle Ereignis, sondern als Einheit von Formativ (materieller Seite des Zeichens) und Bedeutung (ideeller Seite des Zeichens, dessen Semantik) fassen, eben als Frage nach dem Verhältnis von Bedeutung zum Abbild. Wenn als Zeichen nur das materielle Signal, nur das materielle Objekt gefaßt wird, dann ist die Semantik des Zeichens das Ideelle, das Gedankliche, die Widerspiegelung selbst. „Die Bedeutung ist im Zeichen fixiert und widerspiegelt den Gegenstand extensional und intensional" [645, 98]. (Der Ausdruck „die Bedeutung ist im Zeichen fixiert" scheint uns Ungünstig ge-

1.6. „Durchschnittliches Abbild"

63

wählt, da er assoziiert, die Bedeutung in der materiellen Struktur des Zeichens zu suchen.) Andererseits betont aber auch Resnikov, daß die Bedeutung keinesfalls mit dem Begriff identifiziert werden dürfe.77 Auf die Widersprüche, die durch eine Gleichsetzung von Bedeutung und Abbild infolge der Reduktion des Zeichens auf seine materielle Struktur entstehen, sind wir bereits eingegangen. Die von der Bedeutungsforschung, besonders der semantischen Komponentenanalyse, an die Erkenntnistheorie gestellte Frage ist aber gerade die nach dem typisch Semantischen, nach dem Kommunikativen, das nun einmal anderen Formbildungs- und Entwicklungsgesetzen gehorcht als der Prozeß des Erkennens. Eine wissenschaftliche Theorie über einen Objektbereich ist ebenfalls etwas anderes, ist mehr als nur eine bestimmte Sprache über diesen Objektbereich. Zweifellos sind Bedeutung und Abbild nicht zwei getrennte Welten, beide sind letztlich Kognitives, beide tragen letztlich Widerspiegelungscharakter, sie haben aber unterschiedliche Funktionen als auch unterschiedliche Determinanten ihrer Bildung, besitzen eine unterschiedliche Struktur. Das erkenntnismäßige Abbild ist, auch wenn es einen gesellschaftlichen Charakter trägt, im Prozeß seines Entstehens zuerst das Produkt des individuellen Erkenntnisprozesses, ist Besitz des Individuums; die Bedeutung eines Formativs ist dagegen nicht alleiniger Besitz des Individuums. Sie ist schon durch den Zeichencharakter, d. h. durch die Potenz zur außerindividuellen materiellen Existenz in einem ganz anderen Charakter gesellschaftlich als das individuelle Abbild, ist zugleich Teil des gesellschaftlichen Sprachsystems und als solches dem Individuum vorgegeben. Was sich das Individuum beim Erlernen der Sprache aneignet, ist einerseits die richtige Zuordnung bestimmter Formative zu bestimmten Abbildern von bestimmten Objekten (und wohl weniger — selbst wenn ihm vor allem bei der Sprachaneignung eine gewisse Rolle zukommt — die Zuordnung zu bestimmten Gegenständen oder auch Sachverhalten), ist die gesellschaftliche Norm im Gebrauch der Formative in bestimmten Kommunikationssituationen und bestimmten Kontexten. 78 Damit eignet sich das Individuum gesellschaftliches Wissen an, Alltagswissen, in der Sprache (Sprachsystem) „gefrorenes" Wissen. Es ist ein Wissen, das über den kommunikativen Gebrauch angeeignet wird. Die Bedeutung von Worten entspricht so zwar noch dem, was im Erkenntnisprozeß das Abbild ist. Zugleich stellt die Bedeutung aber eine kommunikationsgemeinschaftliche Norm dar, eine Erscheinung, die primär durch die „Notdurft des Verkehrs" bestimmt wird, d. h. aber auch, daß hier viel Zufälliges, z. B . das nur für bestimmte Kommunikationsgemeinschaften als wichtig oder wesentlich Erachtete, das in bezug auf die jeweiligen Sprachbenutzer Relevante, eingeht. Die Bedeutung von „steiler Zahn" ist

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

f ü r eine bestimmte Kommunikationsgemeinschaft ganz klar, ist aus einer Zufallsbildung zur — allerdings zeitbedingten — gemeinschaftlichen Norm geworden. Die Verständigung setzt voraus, daß alle Angehörigen einer Kommunikationsgemeinschaft das gleiche Formativ mit der gleichen Bedeutung koppeln. Vom Formativ her gesehen ist diese Bindung eine Übereinkunft, eine Konvention, die, einmal von der Kommunikationsgemeinschaft aufgenommen, nunmehr nicht mehr beliebig verändert werden kann, d. h. relativ stabil wird und so als gemeinschaftliches Wissen — und unter speziellen, hier nicht näher zu untersuchenden Bedingungen auch wissenschaftliche Erkenntnisse — durch den ständigen Gebrauch fixiert, aufbewahrt, weitergegeben wird, z. T. sogar von Generation zu Generation. Die Bedeutung fassen wir so als ein von der ganzen Kommunikationsgemeinschaft einem bestimmten Formativ zugeordnetes gesellschaftliches Abbild besonderer Art. Das individuelle Abbild wird durch die Bindung an ein Formativ vergesellschaftet, wird im kommunikativen Gebrauch zu einer Art Norm. Da die Erlebniswelt der Individuen nicht absolut identisch ist, werden die individuellen Abbilder, auch über gleiche Objekte, wohl nie völlig identisch sein, so daß die mit dem gleichen Formativ bei verschiedenen Individuen gekoppelten Abbilder Abweichungen enthalten dürften. Die bei verschiedenen Individuen durch ein Formativ ausgelösten Bedeutungen (Deutung) entsprechen n u r in einem solchen Umfange der Norm, d a ß die Kommunikation gewährleistet bleibt. Die Bedeutung eines Formativs als kommunikationsgemeinschaftliche Invariante trägt so den Charakter eines „durchschnittlichen" Abbildes. Dieses durchschnittliche Abbild (A0) ergibt sich aus dem Übergang vom individuellen Abbild zu einem durch die Kommunikation und in der Kommunikation bestimmten Abbild. Es ist jenes virtuelle Abbild, das sich in zahlreichen Kommunikationsakten (Dialogbedeutung) über ein Objekt (das auch ein Sachverhalt, eine Beziehung usw. sein kann) als invariant in den reellen, individuellen Produkten der Kommunikation bei den Partnern erweist. Dieses Invariante ist also primär bestimmt durch den Gebrauch bei den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft. Franz Schmidt äußerte schon 1962 ähnliche Gedanken, wobei er allerdings andere Ziele verfolgte (den Zusammenhang von Logik und Syntax), demnach auch einen anderen Ansatzpunkt wählte und letztlich auch zu anderen Folgerungen kam, was durchaus aus der Unterschiedlichkeit der zu untersuchenden Bereiche verständlich ist. Er nannte den hier dargestellten Sachzusammenhang „Kointention (Gegenstandsgemeinschaft)": „Den entscheidenden Sachverhalt, daß man innerhalb einer eben damit formierten Sprachgemeinschaft bei denselben Lautfolgen sich dasselbe denkt und vorstellt, nennen wir Kointention (Gegenstandsgemeinschaft). . . . Daß die kointentionale Iden-

1.6. „Durchschnittliches Abbild"

65

tität einer Bedeutung etwas anders ist als die logische Identität, liegt auf der Hand. . . . Die Verschiedenheit macht die Kluft zwischen der logischen und der sprachlichen Sphäre offenbar. Eine natürliche Sprache konstituiert sich also in jedem Querschnitt ihrer Geschichte dadurch, daß der Gesamtbestand ihrer grammatischen Formen und ihres Wortschatzes von den Menschen, •die sie eben damit zu einer sprachlichen Gemeinschaft zusammenschließt, im ganzen als kointentionale Norm für das Sprechen praktisch anerkannt wird." [686,15] Aus dieser Vermittlerrolle der Bedeutung von Formativen zwischen dem Bewußtsein verschiedener Individuen ergibt sich, daß die Bedeutung einerseits im einzelnen Individuum ist, d. h. ein innerindividuelles ideelles Abbild ist, zugleich aber als interindividuelle, zwischen den Individuen als Teil einer Kommunikationssituation existierende (Dialogbedeutung) und dem Individuum gesellschaftlich vorgegebene Bedeutung eines Formativs im Rahmen eines gesellschaftlichen Sprachsystems (Systembedeutung) außerhalb des Individuums existiert. Auf diese Antinomie geht schon Narski ein 79 , denn wenn die Bedeutung gefaßt wird als etwas, was an ein gesellschaftlich bestimmtes Formativ gebunden ist, dann kann sie nicht mit den individuellen Abbildern absolut identisch sein. Diese Antinomie löst sich u. E . bei einer dialektischen Betrachtung auf, bei der die Bedeutung als sowohl individueller Besitz als auch nicht, als sowohl gesellschaftliche Größe als auch nicht gefaßt wird: Bedeutung ist eine Art durchschnittliches Abbild, das Invariante in Bezug auf die Kommunikation und hat als Norm des Gebrauchs virtuell eine gesellschaftliche, eine außerindividuelle Existenz, existiert aber zugleich real nur in den Individuen als Ergebnis des Kommunikationsaktes und unterscheidet sich von dem erkenntnistheoretischen Abbild dadurch, daß ihm Elemente, Komponenten zukommen können, die sich aus seinem Charakter als Verständigungsmittel ergeben.80 Das entspricht aber dann nicht mehr voll dem, was in der Erkenntnistheorie unter Abbild verstanden wird. Die Erkenntnistheorie kann individuelle und gesellschaftliche Abbilder unterscheiden, auch gruppenspezifische Abbilder, wie z. B . in den Ideologien von Klassen, in „Berufssprachen" u. ä., aber sie vermag keine Kriterien für ein durchschnittliches Abbild zu geben. Denn ein Abbild ist dem Abgebildeten entweder adäquat oder nicht, es kann auch mehr oder weniger adäquat sein. Die Adäquatheit ist aber immer auf das Abgebildete gerichtet und nicht auf den gemeinsamen Durchschnitt derjenigen, die abbilden. Die Zulassung eines „durchschnittlichen Abbildes" als erkenntnistheoretische Größe würde unter der gegebenen Voraussetzung, daß auch Aussagen Abbilder sind, die marxistische Wahrheitsauffassung negieren. Ein Abbild ist Abbild von etwas, was außerhalb und unabhängig von diesem Abbild existiert, es kann nur in bezug auf das, was es abbildet, überhaupt

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

gefaßt werden. Die für eine bestimmte Sprachgemeinschaft in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Zeichensituation durchschnittliche Darstellung eines Gegenstandes in der Kommunikation (und für die Kommunikation) ist demnach ein anderer Sachverhalt als der der Widerspiegelungsbeziehung. Da ein durchschnittliches Abbild erkenntnistheoretisch fragwürdig ist, ergibt sich eine deutliche Differenz in den Konstituenten des Abbildes und der als durchschnittliches Abbild gefaßten Bedeutung. Alle Überlegungen, dieses durchschnittliche Abbild doch noch in den Erkenntnisprozeß einzuordnen, führen höchstens zu dem Ergebnis, daß dieses Abbild das im Sprachsystem vergesellschaftete, gefrorene Sachwissen einer Sprachgemeinschaft ist, daß es eine Art „umgangssprachlicher Begriff" sei. Doch der Ausdruck „umgangssprachlicher Begriff" ist — wie schon nachgewiesen — nicht weniger unglücklich als der Ausdruck „durchschnittliches Abbild", denn im streng logischen Sinne ist eben der umgangssprachliche Begriff kein Begriff und ebenso das durchschnittliche Abbild kein Abbild. Beide sind Bezeichnungen für das dialektische Ineinanderübergehen von Sprach- und Denkprozessen, bei der die Identität den Unterschied selbst setzt. Betrachten wir die Determination des Abbildes und die der Bedeutung, so ergibt sich die primäre Determination des Abbildes durch das Abgebildete. Das Abbild, als Resultat der Widerspiegelung eines konkreten oder auch theoretischen Objekts durch ein erkennendes Subjekt, wird jedoch noch durch weitere Determinationen bestimmt, wie die durch das soziale und kooperative Zusammenleben der Menschen begründeten Faktoren Interesse, Motiv und Zielstellung der praktischen Auseinandersetzung mit dem Abgebildeten, das historisch bedingte gesellschaftliche Wissen über den betreffenden Abbildungsbereich sowie die Kenntnisse des erkennenden Subjekts von diesem Wissen, die individuellen Erfahrungen und Fähigkeiten usw., wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten ausführlicher dargestellt. Zu den sozialen Determinanten gehört auch das bisher gesellschaftlich gespeicherte Wissen, das sich das Individuum zum größten Teil durch und mit der Sprache aneignet, d. h. aber auch, über das in den Bedeutungen von Wörtern „gefrorene" Sachwissen. So wird Sprache selbst zu einem das Abbild — das individuelle Bewußtsein — mitformenden Faktor, denn immerhin werden auch Theorien, Weltanschauungen usw., d. h. die Formen des gesellschaftlichen Bewußtseins, vorrangig, wenn nicht sogar potentiell ausschließlich — da ja auch künstliche Zeichensysteme ebenso wie formale Sprachen durch die natürliche Sprache eingeführt und in die natürüche Sprache übersetzt werden müssen 81 — vermittels der Wörter natürlicher Sprachen verbreitet und vom Individuum angeeignet. Hier zeigt sich einmal mehr die Dialektik der Abbild- und Bedeutungsstrukturen, die sich weder völlig voneinander trennen lassen, noch völlig aufeinander reduzierbar sind.

1.6. „Durchschnittliches Abbild"

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Betrachten wir einige Determinanten der Bedeutung. Die Bedeutung eines Formativs — das „durchschnittliches Abbild" oder, wie wir es besser nennen wollen, die kommunikative Invariante — wird, ungeachtet der sie konstituierenden Abbildelemente, im Hinblick auf seine, die interpersonelle Kommunikation im Rahmen einer Kommunikationsgemeinschaft gewährleistende Funktion bestimmt. Das bedeutet aber, daß f ü r eine Bedeutungsanalyse die erkenntnistheoretische und f ü r eine Abbildanalyse relevante Frage nach der Adäquatheit gegenüber dem Abgebildeten zurücktritt gegenüber der Frage danach, was der Gesamtheit der bei den Sprechern eines Kode bei der .Zeichenbenutzung ausgelösten individuellen Abbildern gemeinsam ist, eben das kommunikativ Invariante. Die Schwierigkeit, diesen dialektischen Prozeß der „Verwandlung" der Bedeutung in individuelle Abbilder und umgekehrt, von aktueller Bedeutung im konkreten Kommunikationsakt und Bedeutung im Rahmen des jeweiligen Sprachsystems, exakt zu beschreiben, liegt u. a. auch noch darin begründet, daß eine Reihe von Vorleistungen, die •diese Beschreibung letztlich erst voll einsichtig zu machen vermögen, erst noch im Kapitel 2 zu erbringen sind, so daß sich eine Beschreibung an dieser Stelle mit Andeutungen auf mögliche Lösungswege begnügen muß. Um aus dem individuellen Abbild ein gesellschaftlich relevantes zu machen — wobei dahingestellt sei, ob relevant für eine bestimmte Kommunikationssituation als Bestandteil z. B. des Produktionsprozesses in dem schon ausgeführten weiten Sinne, oder relevant für den Aufbau eines theoretischen Modells — muß dieses individuelle Abbild einem bestimmten Formativ bzw. einer Formativreihe zugeordnet werden. Wird diese — bis jetzt noch individuelle, d. h. im Individuum sich vollziehende — Zuordnung über die wieder holteÄußerung — hier im eigentlichen Sinne als Nach-außen-treten verstanden — von der Kommunikationsgemeinschaft akzeptiert, von anderen Mitgliedern dieser Kommunikationsgemeinschaft selbst in dem eingeführten Sinne benutzt, so wird durch diesen Akt der Vergesellschaftung aus dem individuellen Abbild, respektive aus den individuellen Abbildern der verschiedenen Subjekte, die Bedeutung eines Formativs. Der Prozeß der Vergesellschaftung durch Konvention — es wäre wohl besser, hier nicht von Konvention, was j a immer einen Willensentschluß assoziiert, sondern von Gebrauch zu sprechen —, bringt aber auch mit sich, daß die verschiedenen Individuen entsprechend ihrem unterschiedlichen Erfahrungsschatz, Wissensstand usw. dem Formativ nicht völlig übereinstimmende Abbilder zuordnen, wobei sich allerdings im Verlaufe der Kommunikation eine Annäherung der individuellen Abbilder, eine Korrektur von Fehlinterpretationen, ergibt. Diese Regulation bei der Konstituierung der gesellschaftlichen Erkenntnis im Individuum ist ja gerade eine der Funktionen der Sprache. I n der jeweiligen Kommunikationsgemeinschaft setzt sich so eine Norm

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1. Erkenntnistheoretische Prämissen

durch, ein vergesellschaftetes individuelles Abbild, das den Charakter eines kommunikationsgemeinschaftlichen Durchschnitts trägt. Wir fassen darum die Bedeutung als das Invariante in Bezug auf die Kommunikation in einer bestimmten Sprache, und nicht primär als das Invariante in Bezug auf das Abgebildete. Damit soll keine Kluft zwischen erkenntnistheoretischem Abbild und sprachlicher Bedeutting aufgerissen werden, ist es doch einsichtig, daß die Verständigung über ein Objekt nicht nur eine gleiche Meinung über das Objekt voraussetzt, sondern die möglichst adäquate Widerspiegelung des Objekts. Auch ein „durchschnittliches Abbild" ist seinem Entstehen nach ein Abbild bzw. aus einem Abbild entstanden, ist ein gesellschaftlich „festgeschriebenes" Abbild, auch wenn es — auf Grund seiner Funktion im Kommunikationsprozeß — anderen Determinationen ausgesetzt ist. Eine Diskrepanz zwischen dem in den Bedeutungen „eingefrorenen" Sachwissen (sogenannter gesunder Menschenverstand, Alltagsbewußtsein) und Denotatswissen, Sachwissen als Gegenstand fachwissenschaftlicher Analyse, ist aber eigentlich immer vorhanden. Wenn eine Kommunikation über Erscheinungen und Sachverhalte der objektiven Realität dennoch gewährleistet wird, so eben dank dem Umstand, daß in allen individuellen Abbildern zumindest ein wesentlicher Teil der die Bedeutung konstituierenden semantischen Elemente zugleich begriffliche Elemente sind. Auf diesen Zusammenhang gehen sowohl Reznikov, Narski als auch Zweginzew [871] umfassender ein.82 Wenn auch die Fragestellungen, von denen aus die genannten Autoren an dieses Problem herangehen, unterschiedlich sind, so betonen sie alle die prinzipielle Nichtidentität von Begriff und Bedeutung, betonen aber zugleich ihren Zusammenhang. Auch in der deutschsprachigen Literatur wird besonders von Sprachwissenschaftlern seit vielen Jahren darauf aufmerksam gemacht, wie z. B. von Pätsch [587]83, Neubert [553; 557] und Albrecht« [12], um nur einige zu nennen. Wenn wir zusammenfassend nochmals die Differenz der Erkenntnis- und Kommunikationsprozesse an Hand des bereits eingeführten Grundschemas zur bildlichen Darstellung der Abhängigkeiten des Ideellen vom Materiellen, des Subjektiven vom Objektiven und des Abbildes vom Objekt, unter Einbeziehung des bis hierher Diskutierten deutlich machen wollen, so müßte gesagt werden: 1. Die Bedeutung ist nicht zu erfassen als das einem Formativ zugeordnete Ideelle im Sinne der erkenntnistheoretischen Relation 0 ->-('0 -*-A), also etwa eine Relation F -»('F -»Bedeutung), da das Abbild des F eben die ideelle Widerspiegelung des Formativs — entweder in seiner Zeichengestalt oder als Morphem —, nicht aber dessen Bedeutung ist (Vgl. 2.3.). 2. Die Bedeutung ist auch nicht einfach das Abbild eines Objektes, also die Relation 0 —-{'0 -»Bedeutung) und das Abbild auch nicht einfach die Be-

1.6. „Durchschnittliches Abbild"

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deutung von Zeichen, also F —-('F — Abbild), da im ersten Falle die kognitiven Abbilder in sprachliche Bedeutungen aufgelöst und im letzteren die Erkenntnisse nur als Interpretation von Zeichen möglich würde. Das eine wäre eine ontologische85 Sprachauffassung, die die Bedeutung nur als Name von Objekten versteht, das andere eine subjektiv-idealistische Konzeption. 3. Mit größerer Berechtigung könnte die Bedeutung als die Relation zwischen dem kognitiven Abbild und dem Abbild des Formativs verstanden werden:

F' r F

Abb. 6

Doch auch dieser Standpunkt, obwohl manches für ihn spricht und ihn die Verfasser selbst vor Jahren vertraten, macht es schwer, die Dialektik von Identität und Unterschied in den Erkenntnis- und Kommunikationsprodukten, zwischen Abbild und Bedeutung, voll einsichtig zu machen. Einzelnen Formativen müßten dann eine Vielzahl von Abbildern zugeordnet werden, wobei die Bedeutungen dann lediglich den jeweiligen Gebrauch eines Formativs in einem bestimmten Text angeben könnten. Die größte Schwierigkeit ergibt sich dabei jedoch in der Beschreibung der Spezifik der Semantik, da sie als die inhaltliche Seite der Sprache bei einer solchen Konzeption in letzter Konsequenz mit dem Abbild identifiziert wird. 4. Sinnvoller erscheint, diese relationelle Konzeption zu ergänzen durch eine „substantielle" Konzeption, in der die Bedeutungen nicht schlechthin als schwer differenzierbare Relationen, sondern als eine bestimmte Unterklasse von Bewußtseinstatsachen gefaßt werden, als kommunikative Invarianten auf der Basis erkenntnistheoretischer Abbilder. Das erfordert aber, sowohl Abbild als auch Bedeutung stärker zu differenzieren, sie als geordnete Mengen von Elementen zu erfassen, deren „Substanz" kognitive Elemente sind, deren spezifische Menge und Struktur entweder vom Erkenntnis- und/oder vom Kommunikationsprozeß bestimmt wird. Als kognitive Elemente nennen wir sie „Noeme" 86 , als Bedeutungselemente „Seme". Der interne Zusammenhang beider, ihre unterschiedliche Strukturiertheit usw. wird Gegenstand besonders des 3. Kapitels sein.

2. Zur Bedeutung sprachlicher Zeichen

Mit der in 1. 6. gegebenen Bestimmung der Bedeutung als durchschnittliches „Abbild" {A0) wurde bereits Wesentliches unserer Konzeption vorweggenommen; eine hinreichende Bestimmung jedoch wurde damit noch nicht erreicht. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem nach verbreiteter Ansicht der Linguistik wie auch der Sprachphilosophie zentralen Gegenstand1 erscheint aus mehreren Gründen unerläßlich: zum einen gibt es wohl kaum einen weiteren Gegenstand, der in der Linguistik wie auch in angrenzenden Wissenschaftsdisziplinen eine ebenso zahlreiche wie unterschiedliche Bestimmung und Bezeichnung gefunden hätte und über dessen Definition noch heute so große Meinungsverschiedenheiten herrschten wie die Bedeutung sprachlicher Zeichen.2 Zum anderen erweist sich nicht zufällig gerade dieser offensichtlich komplexe Gegenstand von Interesse für zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen; eröffnet doch die Beschreibung der Bedeutung und damit im Zusammenhang die Beschreibung der Abbilder — den Zugang zu einer Reihe von faktisch seit Jahrtausenden umstrittenen bzw. ungelösten Problemen. Erlaubt nicht zuletzt eine befriedigende Beschreibung dieses Verhältnisses auch interessante Schlußfolgerungen und Nutzanwendungen für angewandte Disziplinen, die mit Sprache zu tun haben, wie die Sprachdatenverarbeitung, maschinelle Übersetzung, für Übersetzungswissenschaft und -praxis, für die Lexikologie/Lexikographie, aber auch die Neurophysiologie, Psychologie, Mnemologie, Pädagogik und nicht zuletzt die Philosophie/ Erkenntnistheorie3 etc. Gewiß wäre es verfehlt, sollte von unseren Betrachtungen eine endgültige, hinreichende Erklärung erwartet werden, um die sowohl von Philosophen wie auch von Linguisten und Psychologen etc. seit vielen Jahren gerungen wird. Immerhin wollen wir durch die Vereinigung von philosophischer und linguistischer Argumentation und eine annähernd repräsentative Berücksichtigung des modernen Forschungsstandes auf diesem außerordentlich umfangreichen Gebiet im folgenden einen Beschreibungsversuch vorlegen, der auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Philosophie um eine Synthese und eine möglichst homogene Darstellung bemüht ist. Nachstehende Überlegungen sind nicht als eine wissenschaftsgeschicht-

2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

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liehe Betrachtung gedacht; bereits eine Erörterung, ja selbst nur eine E r fassung und Klassifizierung der Vielfalt der Meinungen, die über die Bedeutung sprachlicher Zeichen vorgebracht wurden— sei sie nun als solche bezeichnet worden oder nicht —, würde Gegenstand einer umfangreichen Monographie sein u n d könnte auch dann nicht leicht Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir werden uns daher vor allem auf die Ausarbeitung der eigenen Konzeption konzentrieren, im übrigen aber sehr summarisch u n d ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige ausgewählte Konzeptionen u n d Fragestellungen darstellen. Dies umso mehr, als wir hier auf neuere und ältere Werke unterschiedlicher philosophischer Provenienz verweisen können, in denen z. T. sehr ausführlich und subtil Auswertungen vorgenommen bzw. Klassifizierungen von Bedeutungskonzeptionen versucht werden. 4 Diese eigene Konzeption (2.2.) erhebt durchaus nicht Anspruch auf Originalität in allen Teilen, vielmehr ist sie Ergebnis einer kritisch-erkenntnistheoretischen Sichtung vorhandener Konzeptionen, wobei die Auseinandersetzung mit vorgegebenen — materialistischen wie idealistischen — Auffassungen im allgemeinen impliziter Natur ist. Dabei möchten wir auch keine Wertung hinsichtlich der Verbreitung der jeweiligen Konzeptionen vornehmen; so ist aus dem Umstand, d a ß wir uns — der Thematik unserer Arbeit und der marxistisch-leninistischen erkenntnistheoretischen Grundlage entsprechend — auf solche Auffassungen besonders orientiert haben, die die Bedeutung als A bzw. in einer irgendwie gearteten Beziehung zu A und der Widerspiegelung stehend betrachten, nicht ohne weiteres auch zu schlußfolgern, daß diese an der Abbildtheorie angelehnten Konzeptionen in der gegenwärtigen Linguistik und Philosophie dominieren. 5 Es ist gewiß kein Zufall, daß immer wieder Zweifel daran geäußert wurden, ob die Bedeutung als eine sprachliche Erscheinung betrachtet werden sollte. 6 Offensichtlich hängt eine Entscheidung darüber vor allem von der Definition der Sprache, der Bestimmung der sprachlichen Zeichen als unilaterale oder bilaterale Gebilde 7 ab. Doch auch bei einer unilateralen Zeichenauffassung erscheint die Bedeutung als eine Art Mittler zwischen den Zeichen und den bezeichneten, denotierten Objekten, Gegenständen, Sachverhalten der objektiven Realität, deren sprach- wie bewußtseinsunabhängige Existenz wir in Übereinstimmung mit der marxistisch-leninistischen Philosophie als hinreichend bewiesen voraussetzen. Damit aber stellt sich die Bedeutungsproblematik in den umfassenderen, erkenntnistheoretisch-philosophisch bedeutsamen Zusammenhang der Wechselbeziehungen von Mensch-Sprache-Wirklichkeit, der bezeichnenderweise auch von solchen Autoren nicht geleugnet, ja sogar beschworen wird, die Zweifel am Widerspiegelungscharakter der Bedeutung bzw. an der Wissenschaftlichkeit der marxistisch-leninistischen Widerspiegelungstheorie überhaupt hegen. 8 6 LorenzAVotJak

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

Wenn wir der Frage „Was ist Bedeutung?" nachgehen9, so sind wir uns bewußt, daß wir auf eine ganze Reihe von Schwierigkeiten stoßen werden, die nicht zuletzt mit dem metasprachlichen Charakter einer solchen Fragestellung zusammenhängen; wir halten eine Beschäftigung mit der „Bedeutung von Bedeutung" 10 indessen für möglich und sehr nützlich 11 , sehen dabei durchaus die wohl im Wesen des Gegenstandes und der Dialektik von Sprache und Denken begründete Gefahr von Zirkeldefinitionen12, glauben jedoch nicht, daß wir den Schwierigkeiten aus dem Wege gehen könnten oder sollten, indem wir z. B. den Terminus „Bedeutung" durch einen anderen, im übrigen kaum weniger „belasteten" Terminus, z. B. Inhalt 1 3 , ersetzen. Uns will aber auch scheinen, als würde der versuchte Ausweg in Richtung auf operationalistische Bedeutungsdefinitionen14 letztendlich in der Regel auch nur einen neopositivistischen Postulaten verhafteten Umweg zu dem im Grunde auch diesem Vorgehen zugrunde liegenden eigentlichen Kernproblem, dem Verhältnis von Bedeutung und Abbild, darstellen. Wir werden dazu im 3. Kapitel eingehender Stellung nehmen; doch zuvor erscheint im 2. Kapitel eine nähere Bestimmung der Bedeutung selbst erforderlich. In diesem Zusammenhang werden zwei weltanschaulich relevante Grundtendenzen zu beachten sein: 1. eine - neopositivistische - Reduzierung des Bewußtseins auf die Sprache, auf die Semantik, die Bedeutung sprachlicher Zeichen; 2. die Annahme einer dialektischen Beziehung von Abbild und Bedeutung, die von einer partiellen Identifizierung beider bis zu unterschiedlich motivierter Nichtidentität reicht (vgl. 3.2.) In diesen zweiten Komplex integrieren sich sowohl die unter 2.1.1. näher beschriebene relationale Bedeutungskonzeption wie auch die Bestimmung der Bedeutung als Bewußtseinstatsache (2.1.2.), wobei hiermit nicht automatisch eine generelle Identifizierung von Bedeutung und Abbild impliziert wird, wie sie sich undifferenziert u. a. bei Kirchgässner (vgl. 1.1.) findet.

2.1. Versuch einer Bestandsaufnahme Bei allen Unterschieden im Detail lassen sich u. E. mehr oder weniger alle Bedeutungskonzeptionen nachstehenden zwei Grundtypen zuordnen: 15 Typ A den sogenannten referentiellen Typ B den sogenannten operationalistischen Bedeutungskonzeptionen, wobei innerhalb dieser Grundtypen z. T. beträchtliche Abweichungen zu verzeichnen sind. Andererseits sind selbst zwischen verschiedenen Grundtypen zugeordneten Bedeutungskonzeptionen gewisse Gemeinsamkeiten und Ubereinstimmungen festzustellen bzw. zwischen den Konzeptionen mannigfaltige

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2.1. Bestandsaufnahme

Ubergänge und Berührungspunkte vorhanden, wobei als grundlegendes vereinigendes Band die Zeiehensituation (Semiosis) betrachtet werden könnte. Aus dieser werden verschiedene Aspekte in unterschiedlichen Detailgroßaufnahmen, u. U. auch verabsolutiert, ungerechtfertigt aus dem Zusammenhang gerissen, beleuchtet und jeweils als Bedeutung bezeichnet. Letzteres gilt besonders, aber nicht allein, f ü r die Konzeptionen, die dem Grundtyp A zuzuordnen sind und im folgenden aus einsichtigen Gründen ausschließlich näher beschrieben werden sollen. Dabei bieten die u. a. auch als mentalistisch, ideational 1 6 bezeichneten Bedeutungskonzeptionen des Grundtyps A ein in seiner Vielfalt verwirrend heterogenes Bild, aus dem neben einem f ü r alle Konzeptionen möglichen Bezug auf die nachstehend dargestellte - semantische - Zeichensituation nach G. K l a u s « oder auf die bekannten Dreiecksoder auch Vielecksschemata 18 wiederum zwei Varianten (V t u n d V 2 ) herausgestellt werden können. Wir meinen die Bestimmung der Bedeutung als Relation, als Beziehung, mit vielfältig wechselnder Besetzung der jeweiligen Endpole (2.1.1.) und die von uns früher - mißverständlich - in Ermangelung einer adäquateren Bezeichnung als substantiell bezeichneten Konzeptionen 1 9 , die die Bedeutung gewissermaßen punktuell als einen Endpol einer Relation bestimmten und die in diesem Zusammenhang weiter auf solche Auffassungen eingeschränkt werden sollen, die als Endpunkt eine Bewußtseinstatsache annehmen. 2 0 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit könnten unter Anlehnung an die von G. Klaus aufgegriffene und als Dreiecksschema mit F , A und 0 als Endpunkten dargestellte Zeichensituation (Semiosis) diese Bedeutungskonzeptionen der relationalen (V t ) und der nichtrelationalen Variante (V2) z. B. folgendermaßen graphisch dargestellt werden als metasprachliche E r scheinungen :

Abb. 7

Aus dieser stark vereinfachten schematischen Darstellung sind zugleich die Wechselbeziehungen zwischen V t und V 2 wie auch die gemeinsamen Bezugspunkte F(F') und A ersichtlich. Darüber hinaus wird durch die Angabe von 0 als dem extralingualen Bezeichneten, dem Referent bzw. Denotat, die Beziehung von A zu O mit angegeben, deren Einbeziehung in die semantische Analyse i f ü r die Bedeutungsbeschreibung wie f ü r die philosophischerkenntnis-theoretische Betrachtung von außerordentlicher Tragweite ist. 6»

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

I n diesem Zusammenhang drängen sich f ü r beide Varianten Fragen nicht nur nach dem Verhältnis von Bedeutungen und Abbildern (als Sachverhaltswiderspiegelungen, darunter vor allem zum Begriff 21 ), sondern auch nach der Beziehung von Bedeutung und Referenzbezug (Bezeichnung) 22 , von Bedeutungsintension und -extension, von Denotation und Konnotation, generell von Bedeutung und Sachverhaltswiderspiegelung(sbezug) und der behaupteten Unscharfe der Bedeutung usw. auf. Nachstehend wollen wir thesenartig einige uns notwendig erscheinende Prämissen und Präzisierungen f ü r die Darlegung der eigenen Bedeutungskonzeption aufführen, wobei neben allgemeineren Fragestellungen auch speziellere Fragen der Bedeutungsforschung angerissen werden sollen. 1. Die Bedeutung wird als Bestandteil sprachlicher Zeichen oder doch zumindest als unabdingbares Korrelat sprachlicher Zeichen 2 3 bestimmt; damit aber ist die Definition der Bedeutung unlöslich mit einer Bestimmung des Wesens sprachlicher Zeichen verknüpft und über die Linguistik hinaus auch Gegenstand semiotischer Betrachtungen. Die sprachlichen Zeichen werden im folgenden als bilaterale Komplexe von materiellem Zeichenkörper und ihm zugeordneten Bedeutungen/Abbildern (vgl. 2.3.) definiert, die für die Gewährleistung der kognitiven und kommunikativen Funktion der Sprache von gleichermaßen unerläßlicher Bedeutung sind. Daraus wiederum folgt u. a., daß die Bedeutungsproblematik im Gesamtkontext der noch nicht völlig geklärten Wechselbeziehungen von Sprache — Denken — objektiver Realität, Sprache — Arbeit — Erkennen, wie auch Sprache — Gesellschaft — Individuum, also unter Berücksichtigung des außerordentlich komplexen Charakters der Sprache, ihrer Funktionen und Funktionsweise beschrieben werden muß, wobei sich verständlicherweise mehr oder weniger große Abweichungen ergeben können. 24 Wir verweisen in diesem Zusammenhang nur auf die sich in der Sprache manifestierende Dialektik von dynamischer Entwicklung und relativer Beständigkeit, von Diachronischem und Synchronischem, Okkasionellem und Usuellem, von Sprache als historisch-gesellschaftlicher Größe in all ihrer diatopischen, diastratischen und diaphasischen Vielfalt 25 und innerer Sprache in dem unter 1.1. aufgezeigten Sinne als Interiorisierung im Individuum (sowohl den individuellen Wortschatz wie auch bestimmte syntaktisch-semantische Verknüpfungsregeln und Regeln für die kommunikationssituations-, -gegenstands und -partnerangemessene Auswahl sprachlicher Mittel umfassend), als individueller Anteil am disponiblen Gesamtlexikon (als Dialektik von Individuellem und Uberindividuell-Gesellschaftlichem in der Kompetenz des Sprechers). Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich die sich in einer Mehrebenenbetracht u n g 2 8 niederschlagende komplexe Wechselbeziehung von Sprache als Abstrakt-Virtuelles, als Potentiell-Systemhaftes (langue) und Sprache als

2.1. Bestandsaufnahme

75

praktische Tätigkeit (Handlung usw.) des Einzelsprechers wie auch von Gruppen, Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften, als Sprechen, Sprechakt, Sprechereignisse (parole, habla . . .) 27 mit dem dabei zu beachtenden Zusammenspiel mit der Kommunikationssituation (Gesprächssituation wie soziokultureller Hintergrund28) und paralinguistischen Mitteln (Gestik, Mimik usw.). 2. Die Bedeutung selbst wird entweder als Bewußtseinstatsache (V2) bestimmt oder doch in Beziehung zu einer Bewußtseinstatsache (V t ) gesetzt. Dies trifft im Prinzip auf alle Varianten des oft auf Ogden/Richards zurückgeführten Dreieckschemas29 wie auch der sogenannten — semantischen — Zeichensituation zu. Hier kommt es auf eine möglichst exakte Bestimmung der „mentalistischen" Größe an, die sowohl als Reference 30 , sens(e) 31 , Designat/Signifikat/signifi^ 32 , als Abbild 33 , Begriff 34 wie auch als Vorstellung, idea 35 , ja sogar Gedanke (thought) 36 , bezeichnet wurde und dringend einer erkenntnistheoretisch-philosophischen wie einer einzelwissenschaftlichen, besonders psychologisch-neurophysiologischen Präzisierung bedarf. Gewiß könnte damit sowohl einer in diesem Bereich unter Linguisten noch zu oft verbreiteten Unscharfe in der Begriffsbildung und -Verwendung bzw. auch einer gewissen Unkenntnis hinsichtlich der exakten Begriffsbestimmung durch nichtlinguistische Disziplinen abgeholfen und eine präzisere Darlegung der Wechselbeziehungen zwischen Abbild und Bedeutung ermöglicht werden. Neben einer Bestimmung der Bedeutung als nichtrelationale Größe, der Beschreibung ihrer Zuordnungsbeziehungen zu den Formativen (2.3.) und ihrer qualitativen Charakterisierung im Hinblick auf das Abbild (2.4.) wollen wir auch noch einige Spezialprobleme kurz streifen, die mit der Unterscheidung von lexikalischen und syntaktischen wie pragmatischstilistischen Bedeutungen zusammenhängen. 3. Für die Darlegung unserer eigenen Bedeutungskonzeption (2.2.) erscheint es angebracht, als weitere Prämissen u. a. herauszustellen: — Sprachliche Zeichen als bilaterale Gebilde besitzen eine Bedeutung, dank derer sie die Bezeichnung von etwas — in der Regel — Extralinguistischem gewährleisten, d. h. sie realisieren ihre Bezeichnungsfunktion, rechtfertigen ihren Zeichencharakter. Sie stehen „für etwas" und werden erst durch die ihnen zugeordnete Bedeutung zu Zeichen, die eine Mitteilung, eine Information, eine Nachricht 37 , übertragen. Als solche realisieren sie die Darstellungs-(Mitteilungs-)funktion sowie die Kundgabe-(Symptom-) und Auslöse(Signal-, Appell-)f unktion 38 und speichern Wissen (kognitive Funktion). — In Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der Bedeutungsforscher seit H. Paul wollen wir unter der Bedeutung etwas Usuelles, Nichtokkasionelles verstehen, das synchronisch relativ stabil mit einem Zeichenkörper (Formativ F ) verknüpft ist. Zugleich betrachten wir diese Bedeutung

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

lexikalischer Einheiten (LE) als kommunikative Norm u n d Invariante, als Garant und P r o d u k t der die Gesellschaft wesentlich erhaltenden und voraussetzenden Kommunikation. Wird die Bedeutung als Bewußtseinstatsache bestimmt, so m u ß diese Elemente beinhalten, die potentiell allen Sprechern (Normsprechern) 3 9 gemeinsam sind. — I n bewußter Abweichung von einem gegenwärtig weit verbreiteten Trend wollen wir uns im folgenden ausschließlich der sogenannten Wortbedeutung zuwenden, allgemeiner die Bedeutung lexikalischer Einheiten (LE) als Bestandteil des langue-Inventars zum Ausgangspunkt unserer Untersuchungen machen. Diese L E werden als bilaterale Gebilde verstanden, in denen die Bedeutung als Bewußtseinstatsache in einer festen, synchronisch relativ stabilen Zuordnung zu Formativen bzw. deren Abbildern im Bewußtsein ('F u n d F ' / A j , — vgl. 1.4. u n d 2.3.) steht, also rekurrente, fest eingeschliffene Gedächtniskomplexe u n d Einheiten der Erstkodierung/primären Kodierung (Martinets 1. Gliederung) 4 0 von E r f a h r u n g und Widerspiegelung der Realität gebildet werden. I m Unterschied dazu liegen auf der syntagmatischen E b e n e in der Regel größere, zwar potentiell, aber nicht wie bei den Systemeinheiten obligatorisch rekurrente, in einer spezifischen, eingeschliffenen, wechselseitigen (eindeutigen) Zuordnungsbeziehung stehende Einheiten (Lautgebilde + Semkonfigurationen als Einheiten) vor. Diese hier n u r flüchtig skizzierte Unterscheidung hinsichtlich des obligatorischen, usuell-rekurrenten bzw. fakultativen, nicht selten einmaligen Charakters der Zuordnung von Formativ/Lautbildkomplexen zu Semkonfigurationen, wobei von Bedeutung einschränkend n u r im Hinblick auf die obligatorischen, d . h. immer wieder in der gleichen Relation (Endpole auf der Ausdrucksu n d Inhaltsebene synchronisch dieselben) vorkommenden Gebilde gesprochen werden soll, h a t u . a. die Konsequenz, d a ß wir z. B. im Hinblick auf d e n Satz u n d Text entgegen einem weitverbreiteten Sprachgebrauch nicht von B e d e u t u n g 4 1 sprechen. Wir sind uns dabei im klaren, d a ß es daneben eine generellere Verwendung von „Bedeutung" gibt, die neben der L E Bedeutung mit lexikalischer Bedeutung im engeren Sinne u n d grammatischer Bedeutung auch die Satz- u n d Textsemstrukturen (vgl. 3.7.) a b d e c k t . 4. I n der Tradition der Wortsemantik, genauer der Semantik paradigmatischer L E 4 2 , halten wir d a f ü r , d a ß neben in der Regel endlich vielen aktualisierten, manifestierten Bedeutungen in der Sprach Verwendung (Sprecha k t , Sprechen = Kontextbedeutungen) auch abstrakte Langue-(System-) Bedeutungen angenommen werden müssen. Dabei interpretieren wir das dialektische Wechselverhältnis beider so, d a ß die Langue-Bedeutungen als P o t e n z gewissermaßen f ü r die Kontextaktualisierungen relevante Vorgaben mit in die Sprach Verwendung einbringen 4 3 , so daß entgegen der Auffassung extremer Kontextualisten davon ausgegangen wird, d a ß Zeichen auch als

2.1. Bestandsaufnahme

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Systemgrößen eine Bedeutung besitzen, die zugegebenermaßen besonders komplex und schwer zu bestimmen ist, die ihren Ausdruck aber z. B. als Definition in einem einsprachigen Wörterbuch findet. 5. Keine Frage mehr ist es für uns angesichts der positiven Ergebnisse der praktischen semantischen Komponenten- bzw. Konstituentenanalyse wie auch der allgemeinen Bestätigung ihrer Möglichkeit und Zweckmäßigkeit 44 , daß bei der Bedeutungsbeschreibung der Aufgliederung in kleinere Merkmale Rechnung getragen werden muß, wobei diese nicht nur als metasprachliche Beschreibungselemente, sondern als bedeutungsinhärente Komponenten zu betrachten sind. Der Wert einer Bedeutungsdefinition wird daher auch in nicht unerheblichem Maße davon bestimmt, inwieweit sie mehr oder weniger bewiesenen oder einleuchtenden modernen Forschungshypothesen nicht nur nicht widerspricht, sondern — unabhängig — Vorschub leistet. In der Tat ist eine weitgehend unabhängig aufgebaute Hypothese äußerst willkommen zur wechselseitigen Abstützung der Annahmen, wobei dies u. a. auch auf die gegenwärtig immer stärkere Verbreitung findenden sogenannten prädikatenlogischen Beschreibungen zutrifft. 6. Wird die Bedeutung als eine in spezifischer Weise bestimmte Bewußtseinstatsache bestimmt, so leuchtet ein, daß in ihr — auch bei keiner völligen Identität mit den jeweiligen Abbildformen — kognitive Elemente enthalten sein müssen, die sich auch im Abbild nachweisen lassen Und den denotativreferentiellen Bezug ermöglichen. Daraus ergibt sich u. a., daß a) die Bedeutungsforschung als Rand/Grenzgebiet der Sprachwissenschaft, wenn nicht gar — bei einer u. E. zu engen (mikrolinguistischen) Konzeption — als extralinguistische Disziplin 45 bestimmt werden kann; b) die Bedeutung als eine spezifische „Abbildform" von weiteren „Abbildformen" — wie etwa den Begriffen, Aussagen usw. abgehoben werden sollte, wobei in der Abbildqualität bedingte Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede nicht zu übersehen sind. Wir selbst vertraten bereits 1967 eine eindeutig makrolinguistische Konzeption 46 und betrachten in Übereinstimmung mit der bilateralen Zeichenkonzeption die Bedeutung als eine Einheit der Sprache, in der sich gerade die Vermittlerfunktion der Sprache als Einheit kognitiver und kommunikativer Faktoren manifestiert; obgleich die Bedeutung im Gegensatz zu den individuellen und gesellschaftlichen Abbildern Gegenstand der Linguistik ist, kann zu ihrer Beschreibung mit Nutzen auf Ergebnisse extralinguistischer Disziplinen, so u. a. besonders der Psychologie und Einzelwissenschaften zurückgegriffen werden (vgl. dazu auch 4.0., 4.1.). 7. So wie die Sprache als Kommunikationsmittel per definitionem überindividuell-gesellschaftlichen Charakter besitzt, wird auch die Bedeutung von uns von vornherein als eine gesellschaftliche, überindividuelle Größe

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

bestimmt. Letztlich aber gewinnt sie erst im Individuum an psychologischer Realität, manifestiert sich das Allgemeine nur im Einzelnen und durch das Einzelne, hier: in der inneren Sprache jedes Sprechers eines bestimmten Kode, in interiorisierter, innersubjektiver Existenz des gesellschaftlich-historischen Phänomens der Sprache. Diese Dialektik von Individuellem und Gesellschaftlichem, vom Gesellschaftlichen im Individuellen bzw. vom vergesellschafteten Charakter der individuellen Widerspiegelung, an der nicht zuletzt die Sprache mit den Bedeutungen einen entscheidenden Anteil hat, gilt es bei der weiteren Beschreibung zu beachten. Dadurch sollte es möglich sein, eine Reihe von Ungenauigkeiten zu vermeiden. Auf der gesellschaftlichen Ebene, der vergesellschafteten, objektivierten Sprache als Mittel zur Kommunikation und Speicher der Erkenntnis/Kognition haben wir es mit den eigentlichen Lexikonbedeutungen zu tun. Auf der Ebene des Individuums als mehr oder minder kompetentes Mitglied einer betreffenden Kommunikationsgemeinschaft 47 finden wir dagegen nur eine mehr oder minder vollständige, anteilige Realisation, Reproduktion bzw. Widerspiegelung dieser Sprachbedeutung als Kompetenzbedeutung 48 und individueller Anteil an der vergesellschafteten Bedeutung lexikalischer Einheiten LE, als im individuellen Aj und darüber hinaus soziolinguistisch relevant auch z. B. im gruppenspezifischen A ^ realisierte Komponenten/Konstituenten der Lexikonbedeutung. Die weitere Betrachtung wird ergeben, daß es sinnvoll ist, aus methodischen Gründen neben einer solchen abstrahierten Langue-Größe noch eine besondere Abstraktionsebene für den syntagmatischen Gebrauch der LE von überindividuellen, wenn auch kontextuell situativ bestimmten aktualisierten Vorkommen (type, Symbol gegenüber token) 49 anzunehmen, bei denen es sich also auch um gesellschaftliche Größen handelt. Dabei scheint es — wie unter 2.2. zu präzisieren sein wird — möglich, diese syntagmatische Ebene noch weiter — etwa in eine Ebene des „abstrakten Satzes" 50 und in eine solche des „konkreten Satzes" zu untergliedern, von denen sich die Ebene der individuellen Äußerungen als Realisation durch den jeweiligen Sprecher unterscheidet. 51 8. Mit einer Bestimmung des Wesens der Bedeutung werden naturgemäß eine ganze Reihe von Problemen aufgeworfen, die von Methoden zur Beschreibung der Bedeutung bis hin zur Einordnung der Bedeutungsforschung in die Linguistik und in das Gesamtgebäude der Wissenschaften, von speziellen Fragen einer internen Strukturierung bis hin zu sprachphilosophischerkenntnistheoretischen Überlegungen und Schlußfolgerungen etwa betreffs des Anteils der Sprache an der Erkenntnis (vgl. besonders 3.2.) reichen. Nachstehend eine begrenzte Auswahl solcher in ihrer Gewichtigkeit und Brisanz unterschiedener Fragestellungen, die in dieser oder jener Form in un-

2.1. Bestandsaufnahme

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seren Betrachtungen eine Rolle spielen bzw. Anlaß zu weiterführenden Überlegungen sein sollten. Ein erster Komplex von F r a g e n ergibt sich im H i n blick auf die postulierte spezifische Abbildqualität der B e d e u t u n g ; hierher gehören Fragen wie: — K a n n angesichts der angenommenen Abbildqualität f ü r die B e d e u t u n g u. a. die Frage nach Adäquatheit gegenüber dem denotierten Sachverhalt gestellt werden? — Welche Beziehungen ergeben sich in diesem Zusammenhang zwischen Sprachwissen (Bedeutungen) und Sachwissen, Denotatskenntnis, fachwissenschaftlicher Erkenntnis und dem sogenannten gesunden Menschenverstand, der unmittelbaren „naiven" Evidenz, dem Alltagsbewußtsein? 5 2 — Spiegelt Sprache, speziell Wortschatz, die objektive Realität wider? Ist die sogenannte erste Gliederung — die Bezeichnungsstruktur einschließlich der „Lückenhaftigkeit" der sogenannten Felder — nicht eventuell doch Ausdruck einer muttersprachlichen Weltsicht? — L ä ß t sich neben der Bedeutung in Gestalt einer Beschreibung der semantischen Mikrostruktur eines Formativs z. B. auch noch eine gesonderte logisch-gnoseologische Ebene abheben? Ist diese als ein Abbild zu interpretieren? Welche Beziehungen bestehen d a n n zwischen Bedeutung u n d logisch-gnoseologischem Substrat? Ist letzteres bei allen Sprechern einer Sprachgemeinschaft oder vielmehr potentiell bei all den Menschen aller Sprachen gleich, die zu dem widergespiegelten Sachverhalt in gleicher E r kenntnisbeziehung (z. B. Auseinandersetzung im spezifischen Arbeitsprozeß — Gauchos, Eskimos — sprachliche Weltsicht 5 3 ) stehen? Ein weiterer Komplex von Fragen erwächst aus einer eingehenderen Bestimmung der internen S t r u k t u r der Bedeutung, die ja bereits als in kleinere Komponenten auflösbar charakterisiert wurde u n d u m f a ß t neben der F r a g e nach der Möglichkeit einer vollständigen, restfreien Auflösung der Bedeut u n g in semantische Merkmale, hier nicht ganz terminologisch e x a k t , aber in Ubereinstimmung mit einem weitverbreiteten Sprachgebrauch als Seme 5 4 bezeichnet, Fragen nach dem Charakter dieser Bestandteile u n d n a c h deren Interrelationen; hier eine kleine Auswahl: — Gehen die Seme in gleicher Weise in die Konstituierung der jeweiligen Abbilder ein? Gibt es kognitive Elemente in den verschiedenen Abbildformen, die — obgleich von überindividuellem, gesellschaftlichem Charakter — nicht als Bestandteil der Bedeutung fungieren ? Mit anderen W o r t e n : Sind neben den Semen als Bestandteilen der Bedeutung der L E noch weitere kognitive Elemente zu unterscheiden, z. B. die Noeme, u n d worin liegen die Unterschiede? — Sind die semantischen bzw. semologischen Merkmale (Seme) die letzten, kleinsten Einheiten u n d m ü ß t e n sie nicht als universelle Elemente b e t r a c h t e t

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

werden können, die mithin potentiell in allen Bedeutungen aller Sprachen auftreten können, so daß diese noetischen kognitiven Elemente als kleinste Denkuniversalien (Monaden von Leibniz) zu verstehen wären? — Bestehen zwischen ihnen — wie etwa in den sogenannten Semsystemen (vgl. 4.4.) 5 5 — Wechselbeziehungen, die gleichfalls universell sind oder doch zumindest für alle Bedeutungen einer Sprache gültige Klassifikationsprinzipien (Dominanz/Implikation . . . ) darstellen ? — Wie sind diese noetischen Elemente zu bestimmen, zu beschreiben? Spielt nicht hierbei die Bedeutungsanalyse eine außerordentlich wichtige Rolle neben und zusätzlich z. B . zur Begriffsbestimmung/Sachverhaltsbeschreibung durch die Einzelwissenschaften? — Ist zwischen Bedeutung und Abbild die Gesamtheit der jeweiligen Konstituenten qualitativ gleich oder liegen notwendige Abweichungen vor? Welcher Art sind sie; gibt es Elemente, die bevorzugt übereinstimmen und welche sind dies? Zur Abrundung der bislang im wesentlichen auf eine Aufzählung von Prämissen und offenen Fragestellungen zugeschnittenen Bestandsaufnahme wollen wir im folgenden noch kurz auf zwei einander komplettierende oder zumindest überlappende Bedeutungskonzeptionen eingehen, die u. a. auch von marxistisch-leninistischen Sprachwissenschaftlern und Erkenntnistheoretikern vertreten wurden.56 2.1.1. Bedeutung als Relation Zu dieser auch von Uns eine Zeitlang vertretenen Konzeption finden sich in der umfangreichen Literatur zur Bedeutung zahlreiche Belege 57 , wobei terminologische Abweichungen hier nicht berücksichtigt werden sollen. Nicht berücksichtigen wollen wir unter Verweis auf N. E. Komlev [392, bes. 13—22] u. a. auch die relationalen Bedeutungskonzeptionen, bei denen an die Stelle des einen oder eventuell auch beider Endpunkte andere Einheiten herangezogen wurden. So finden wir beispielsweise die bereits sehr alte Bestimmung der Bedeutung als Beziehung zwischen Zeichen und Sachverhalt, Wirklichkeit, Gegenstand58, aber auch als Beziehung zwischen Zeichen [vgl. 392, 20—21], des weiteren aber auch die Bestimmung der Bedeutung als Funktion des Wortzeichens.59 Aber selbst bei einer Einschränkung der im Prinzip variablen Besetzung der Endpunkte auf das Formativ als materiellen Zeichenkörper und/oder auf das Lautbild sowie des anderen Endpoles auf eine Bewußtseinstatsache, finden sich auch hier noch Unterschiede, je nachdem wie diese Bewußtseinstatsache als Spitze des Dreiecks bestimmt wurde. Als besonders charakteristischer Vertreter dieser rela-

2.1. Bestandsaufnahme

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tionalen Konzeption sei hier S. Ullmann erwähnt, der bekanntlich die Bedeutung (meaning) als „a reciprocal relation between name and sense which enables them to call up one another . . . " [777, 70] bestimmte. Auf dieser Grundlage hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Bedeutungsbeschreibung mikrolinguistisch vorzunehmen, also die Bestimmung des Endpols A der Relation als nicht zum Gegenstand linguistischer Analysen gehörig — vorläufig — aus der Betrachtung auszuklammern. 6 0 Diese extreme methodologische Position fand allerdings kaum Verbreitung, vielmehr überwog allgemein die Annahme, daß die Bedeutung als eine Relation in den Termen ihrer beiden Endpunkte beschrieben werden müßte. 6 1 Damit schien zwar einer Identifizierung von Bedeutung und Abbild — aus Angst vor einer neopositivistischen Reduzierung des Bewußtseins auf die Sprache etwa — nachhaltig ein Riegel vorgeschoben, zugleich wurde aber eine Beschreibung dieses A in der angegebenen Bedeutungsrelation erforderlich. Dieser Endpol erscheint z. B. als A (beispielsweise bei G. Klaus) f ü r eine linguistische Analyse der Bedeutung als zu unbestimmt 6 2 ; er ist in der Vergangenheit bereits verschiedentlich entweder als Vorstellung oder auch als Begriff bestimmt oder aber z. B. als Beschreibungseinheit der Bedeutung von dieser terminologisch abgehoben worden 6 3 . Wir werden eine solche nähere Bestimmung des sense, der Vorstellung bzw. auch des Begriffes, Semems usw., die nach Variante V 2 mit der Bedeutung selbst gleichzusetzen wären, noch im einzelnen versuchen und verweisen hierzu besonders auf 2.2., 2.4.-2.6. sowie auf die Abschnitte 3.1. ff. der vorliegenden Arbeit. Während mit einer solchen relationalen Auffassung der Bedeutung, a) die Beziehung der Bedeutung zum Formativ als konstitutives Element ihrer Definition (im Gegensatz zu V 2 , wo dies ein zusätzliches Bestimmungselement darstellt) herausgehoben wurde; b) die Bedeutung als eine sprachliche Erscheinung bestimmt werden konnte, die mit dem A in enger Beziehung steht, ohne jedoch mit diesem identisch zu sein, womit neopositivistische Konsequenzen vermieden werden sollten und c) keineswegs die Inhaltsseite der sprachlichen Zeichen (unter V 2 als Bedeutung, hier z. B. als Beschreibungseinheit der Bedeutung bestimmt) ausgeklammert wurde, lassen sich gegen eine solche Konzeption doch eine Reihe allgemeiner Bedenken vorbringen, die eine Entscheidung f ü r eine Konzeption der Variante V 2 angeraten scheinen lassen. So wird bei einem solchen vor allem aus philosophischer Sicht verfochtenen Anliegen u. a. nicht hinreichend beachtet, daß a) bei dieser Konzeption nie zwei gleiche Bedeutungen, weder innerhalb einer Sprache (Synonymie) noch etwa zwischen zwei Sprachen (interlin-

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

guale Äquivalenz), existieren könnten (wohl aber eventuell gleiche Sememe, I n h a l t e oder wie immer d a n n das Korrelat in der Bedeutungsrelation b e zeichnet werden sollte), b) diese Auffassung bei leichtfertiger Interpretation eventuell geradezu h i n derlich im Hinblick auf die notwendige eingehendere Betrachtung der Wechselbeziehungen von Bedeutung und Abbild sein k ö n n t e ; wäre doch einerseits möglicherweise eine weitere Spezifizierung des A nicht ins Auge gefaßt worden, wie sie sich bei V 2 aus dem Vergleich heraus aufdrängen m u ß t e und wäre die Frage nach einer I d e n t i t ä t von Bedeutung u n d Abbild, wie sie der b e k ä m p f t e n neopositivistischen Reduktion zugrundelag, durch die vorgenommene Definition als gegenstandslos erschienen, c) sich auch bei einer relationalen Bedeutungsauffassung eine B e s t i m m u n g des inhaltlichen Korrelats erforderlich mächt, so d a ß nicht einzusehen ist, warum d a f ü r abweichend von einem weitverbreiteten Gebrauch nicht von Bedeutung, sondern von Beschreibungseinheit, von I n h a l t oder auch sehr speziell von Semem, Semantem, usw. gesprochen werden sollte, zumal auch bei einer Bedeutungskonzeption V 2 durchaus nicht automatisch eine Gleichsetzung mit dem A bzw. eine Reduktion von letzterem auf die Bedeutung die Folge ist. Wir wollen abschließend zu dieser alles in allem recht summarischen D a r stellung der relationalen Bedeutüngsauffassungen nicht versäumen, darauf hinzuweisen, d a ß eine relationale Konzeption u n d die Bestimmung der B e deutung als Bewußtseinstatsache allein einander nicht notwendig ausschließen. So h a t z. B. H . Geckeier 6 * in Anlehnung an E . Coseriu den Versuch u n t e r nommen, die Bedeutung als — paradigmatische — Beziehung zwischen den signifiés (d. h . der Spitze des Dreiecks u n d V 2 entsprechend), also als Relation zwischen Bewußtseinstatsachen, zu bestimmen. Schließlich w ä r e es auch denkbar, die hier vor allem aus pragmatischen und methodischen Gründen abgelehnte Variante V t als R (F, A) bzw. R (F, Semem) dahingehend zu modifizieren, d a ß die Bedeutung nunmehr als Relation zwischen einem Formativabbild (F') 6 5 u n d der ihm zugeordneten jeweiligen Beschreibungseinheit der Bedeutung, generell als Semem (S) bezeichnet, einem — spezifischen - Objektabbild (0'), verstanden wird, also als R (F', S) oder allgemein als R (F', O') 6 6 . Bei einer solchen Bestimmung der B e d e u t u n g könnte m a n im übrigen wohl aiich dem Argument begegnen, d a ß bei einer relationalen Konzeption im angeführten Sinne — R (F, A) — der U n t e r schied zwischen Bedeutung und Zeichen Z verwischt werde; und zwar d a n n , wenn die Z als komplexe materielle Gebilde verstanden, also nicht auf Bewußtseinstatsachen reduziert werden. Trotzdem kann auch der im letzteren Fall unbestreitbare Zusammenfall von Bedeutung als R (F', S) und Zeichen — als Bewußtseinsgröße — als ein weiteres Argument f ü r die Bevorzugung der

2 . 1 . Bestandsaufnahme

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Konzeptionen V 2 , also deutlich punktuellen Charakters, gewertet werden. Im übrigen aber wird aus der im Wesen der Sache liegenden Unterscheidung von F und F ' bereits deutlich, daß bei Konzeptionen der Variante V 2 dieser Bezug zu F ' und F prinzipiell bestehen bleibt, es sich also nur um eine Akzentverschiebung handelt. Zugleich wird klar, daß eine Darstellung der tatsächlichen Beziehungen zwischen Zeichen-Mensch-Abbild und objektiver Realität wesentlich komplexer ist, als wir dies in Abbildung 7 verdeutlichen konnten. 67

2.1.2. Bedeutung als Bewußtseinstatsache Auch für diese Grundannahme (V2), die in der Bedeutungsforschung sowohl psychologischer wie generell mentalistischer Provenienz 68 eine lange Tradition aufweist, lassen sich zahlreiche, möglicherweise noch umfangreichere Belege anführen.69 Die Bedeutung wird dabei als Korrelat des Ausdrucks, als Signifikat (signifié, Designat, Semem, sens(e), Inhalt Bewußtseinstatsache, Gedanke, Begriff, Sinn, Vorstellung usw.), allgemein als A, bezeichnet. Wir wollen hierfür stellvertretend die von W. Schmidt seit 1965 im wesentlichen unverändert belassene Bestimmung der Bedeutung als „die abstrahierende, die invarianten Bestandteile des Erkenntnisprozesses umfassende Widerspiegelung eines Gegenstandes, einer Erscheinung oder einer Beziehung der objektiven Realität im Bewußtsein der Angehörigen einer Sprachgemeinschaft, die traditionell mit der Form zu der strukturellen Einheit des sprachlichen Zeichens verbunden ist", [698, 142] anführen. Es leuchtet ein, daß es mit einer solchen Bestimmung nicht getan ist, so vorteilhaft sie sich auch für eine philosophisch-erkenntnistheoretische Durchleuchtung der Zusammenhänge von Sprache, Denken und Realität erweist. Vielmehr ergeben sich damit vielfältige Fragen, insbesondere nach dem konkreten Verhältnis von Bedeutung und Formativ einerseits und Bedeutung und Abbild andererseits. Dabei könnte aber auch die Frage auftauchen, ob die Bedeutung nicht doch als ein relationaler Begriff verstanden werden müßte ; insofern nämlich, als die Bedeutung als sprachliche Einheit und Bestandteil der sprachlichen Zeichen in der Tat sowohl in Beziehung zu dem ihm zugeordneten Formativ F bzw. dessen Abbild F ' , über ' F als neurophysiologisches, innersubjektives materielles Substrat vermittelt, als auch im Rahmen des Lexikons paradigmatisch in Beziehung zu weiteren Bedeutungen synonymer, aber z. B . auch antonymer L E steht. Nicht zuletzt schließlich befindet sich die als spezifisches Abbild verstandene Bedeutung auch im Schnittpunkt eines umfassenderen Beziehungsgefüges mit dem Menschen als erkennendem und kommunizierendem Subjekt und der Wirklichkeit als

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

in einem aktiven, schöpferischen Widerspiegelungsprozeß individuell und gesellschaftlich abgebildeten Erkenntnisobjekt als wesentlichen Bezugspunkten. Es braucht hier nicht besonders begründet zu werden, daß die als Bewußtseinstatsache bestimmte Bedeutung vielfältige Beziehungen zum Menschen als gesellschaftlich bestimmtes, aber auch individuell geprägtes Einzelwesen wie auch zum widergespiegelten Sachverhalt, verstanden als konkretes Denotat hic et nunc 7 0 , aber auch als Denotatsklasse, eingeht. Werden diese Beziehungen bei der Beschreibung der Bedeutung als real existentes Beziehungsgefüge beachtet, so erweist sich im Grunde der Streit um die Präferenz für Konzeptionen der Varianten V t oder V 2 des generellen Grundtyps A (referentielle Bedeutungskonzeptionen) letztlich als sekundär; werden doch auch in V 2 relationale Bezüge integrierbar oder jederzeit mit impliziert, deren komplexes Zusammenwirken erst die kommunikative und kognitive Leistung der Sprache voll einsichtig macht. In diesem Kontext erweist sich eine mentalistische Bedeutungskonzeption, der wir uns im folgenden unter ausdrücklicher Betonung der dialektischen Beziehungen zwischen Bedeutung und Abbild anschließen wollen, zweifellos im Hinblick auf unsere Themenstellung besonders ergiebig, macht sie doch die Notwendigkeit deutlich, die Bedeutung und das A selbst näher zu bestimmen, um ihr Wechselverhältnis mit allen erkenntnistheoretischen Konsequenzen beschreiben zu können. Dies wiederum erscheint umso aktueller, als eine undifferenzierte Gleichsetzung von Bedeutung und Abbild zu Fehlinterpretationen Anlaß geben könnte, so z. B., wenn eine Reduktion des Abbilds auf die Bedeutung erfolgte (vgl. 1.4., 3.2.).

2.2. Entwicklung einer eigenen Bedeutungskonzeption Uns scheint, daß wir unter Beachtung der Dialektik von Gesellschaftlichem und Individuellem, Allgemeinem und Einzelnem, bei der Beschreibung der Bedeutung im konkreten Fall von deren individuellen Manifestationen ausgehen und beispielsweise aus dem individuellen Abbild überindividuellgesellschaftliche Konstanten zu extrapolieren suchen sollten. Daher wollen wir auch im folgenden vom individuellen Kommunikationsvorgang ausgehen. Dabei haben wir zunächst ein einmaliges, in Zeit und Raum und durch den Gegenstand festgelegtes Sprechereignis im Auge, an dem ein Sender (Sprecher) und ein Empfänger (Hörer) beteiligt sind. Auch wollen wir auf das hierbei wie generell in der Kommunikation zu beobachtende Wechselund Zusammenspiel von durch sprachliche und außersprachliche (paralinguistische) Mittel übermittelte Informationen nicht näher eingehen 71 und auch innerhalb der sprachlichen Mittel zunächst ausschließlich solchen L E

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

85

näher nachgehen, die, im Wörterbuch nachgewiesen eine, lexikalische Bedeutung aufweisen. Schließlich nehmen wir den Normalfall der einsprachigen Kommunikation an, bei dem die in Frage kommende lexikalische Einheit (LE) zum individuellen Sprachbesitz von Sender S und Empfänger E gehört, sie demnach Bestandteil der interiorisierten — inneren — Sprache ist, Sprecher wie Hörer also die betreffende produzierte bzw. zu reproduzierende L E 72 kennen. Mit anderen Worten, daß S und E die L E als ein bedeutungstragendes Zeichengebilde einer bestimmten Sprache — hier der Einfachheit halber zunächst der Muttersprache von beiden — werten, eine Zuordnungsrelation des Formativs zu einem A als existent annehmen bzw. genauer, das F — über Zwischenstufen ('F, F ' . .) — mit einem bestimmten individuellen Abbild (Aj) assoziieren. Daß sich die jeweiligen A ; von S und E, also A & und A e , nicht völlig decken, ist seit langem unbestritten — zumindest, was die vom konkreten Sprechereignis losgelöste Aktualisierung dieser A, durch ein bestimmtes F angeht. Dies ist aus den individuellen Besonderheiten der erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Relation wie auch aus der im einzelnen abweichenden (dialektal wie sozial, altersmäßig, bildungsmäßig usw., also soziolinguistisch zu erfassenden) Sprachbeherrschung, d. h. hier Interiorisierung der sprachlich-kommunikativen Norm als kommunikatives K ö n n e n 7 3 , leicht einsichtig. Viel erstaunlicher und in unserem Zusammenhang interessanter ist vielmehr der Umstand, daß sich neben Abweichungen in den A s und A b auch eine — nach Kommunikationssituation, Kommunikationsgegenstand wie -partner — je spezifische, unterschiedlich große Menge an gemeinsamen Abbildfaktoren ( € 0 ' ) finden läßt, die im betreffenden Sprechereignis wie auch in allen darauffolgenden Sprechereignissen der gleichen Kommunikationspartner als eine Art gemeinsamer Durchschnitt von A s und A E ( n A s + A E ) eine — zumindest minimale — Verständigung ermöglicht. Die Existenz gemeinsamer, die Kommunikation zwischen S und E in einem spezifischen Sprechereignis bzw. auch Sprechakt gewährleistender bzw. im Ergebnis des Kommunikationsaktes übereinstimmend in A s und A e aktualisierter Abbildelemente erklärt sich zum einen aus Gemeinsamkeiten im Erkenntnisprozeß selbst (mehr oder weniger große Übereinstimmung in Interessen, Kenntnisstand, Einstellung usw. der Erkenntnissubjekte zum Erkenntnisobjekt), in dem übereinstimmend bestimmte Eigenschaften eines Sachverhalts als relevant bewußtseinsmäßig eingespeichert, widergespiegelt, zum Bestandteil des inneren Modells der Außenwelt wurden, sowie aus Möglichkeiten der sinnlich-empirischen Überprüfung bzw.. Ergänzung etwa bei f ü r S und E während des Sprechereignisses simultan sinnlich wahrnehmbarem Kommunikationsgegenstand usw. Zum anderen aber auch aus der Existenz der Bedeutung dieser L E als gesellschaftlichkommunikativer Norm, die sich sowohl S wie E als tagtägliche Teilnehmer

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

am gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß in zahlreichen, mehr oder weniger typischen, vorgängigen Sprechereignissen mehr oder minder vollständig als Bedeutung (Kompetenzbedeutung) und gültige Regel für den kommunikationssituations-, -gegenstands- und -partnerangemessenen Gebrauch der betreffenden LE angeeignet haben. Damit aber wird diese langue-Bedeutung nicht nur zu einer Menge von durch die Kommunikation vergesellschafteten Abbildelementen, zu einem Produkt der Kommunikation, sondern zugleich auch in ihrer Rolle als Garant, als unabdingbare Voraussetzung der interpersonellen Verständigung entscheidend bestätigt.

2.2.1. Dialog- und Diskursbedeutung, Meinung und Deutung Wir wollen den gemeinsamen Durchschnitt zwischen A s und A B im konkreten Sprechereignis als Dialog- bzw. allgemeiner in einer Folge von 1 . . . n Sprechereignissen, im Sprechen, als Diskursbedeutung74 bezeichnen. Dabei kann es sich, bedingt durch eine Reihe von weitgehenden Übereinstimmungen in der Widerspiegelung des betreffenden Sachverhalts durch die S und E 7 5 , ergeben, daß dieser gemeinsame Durchschnitt beinahe deckungsgleich mit A S und A b ist, d. h. daß die betreffende Dialogbedeutung (Kommunikat) — eventuell noch verstärkt durch sinnlich-empirische Rückkopplung aus der Kommunikationssituation — mehr gemeinsame Abbildelemente ( £ 0 ' ) aufweist als die jeweilige Dialogbedeutung in einem Sprechereignis zwischen anderen Kommunikationspartnern, zwischen dem gleichen S und einem anderen E, mehreren E, anderen S und gleichem E/anderen E usw. bzw. in anderen Kommunikationssituationen, in zeitlich auseinanderliegenden Sprechereignissen der gleichen/unterschiedlicher Partner usw., also als die entsprechende Diskursbedeutung. Es braucht hier wohl nicht besonders betont zu werden, daß das A, in besonderem Maße instabil ist, was nicht als ein Mangel, sondern als unschätzbarer Vorzug gewertet werden muß. Kann doch dadurch die individuelle Erkenntnis in erforderlichem Maße immer mehr der Realität angenähert, dieser immer adäquater werden und über den Umweg der Verbreitung neuer individueller Einsichten/Erfahrungen mittels bereits kodierter LE wie u. U. auch neu zu kodifizierender LE, also vermittels der Sprache, vergesellschaftet, objektiviert, d. h. zum Besitz potentiell der gesamten Sprachgemeinschaft, ja der gesamten Menschheit, werden. Wir wollen unter diesem kommunikativen Gesichtspunkt die vom Sprecher bei Verwendung einer LE intendierte Mitteilung als Meinung76 und die im Sprechereignis durch den E mit der betreffenden LE assoziierte individuelle

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

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Bewußtseinstatsache als Deutung77 bezeichnen. Dabei weisen mit Sicherheit Meinung wie Deutung gemeinsame £ 0 ' auf, die sowohl aus der langueBedeutung als kommunikativer Norm wie auch aus übergreifenden Gemeinsamkeiten der jeweiligen Erkenntnissituation von S und E (z. B. berufsspezifische Gemeinsamkeiten) resultieren. Im Individuellen, in Meinung und Deutung, ist also im Normalfall ein die Kommunikation gewährleistender gemeinsamer Bestand an überindividuellen Merkmalen anzunehmen, die ihre Existenz nicht zuletzt der interpersonellen Kommunikation verdanken und diese zugleich ermöglichen. Es liegt in der Dialektik von Individuellem und Überindividuellem/Gesellschaftlichem begründet, daß es aber auch individuelle Abbilder geben kann, die nichtusuelle, rekurrente Zuordnungen zu Formativen darstellen. Mit anderen Worten, es gibt also Meinungen (z. B. im Akt der Neubezeichnung/Erstbezeichnung), denen noch keine Bedeutung (als Langue-Bedeutung) entspricht. Und dies sogar, wenn im konkreten Sprechakt ein Durchschnitt der individuellen Abbilder von Sender und Empfänger ( f | A s/B ) dank evidenten Situations- und Sachverhaltsbezuges erzielt wurde. Erst wenn diese Zuordnungsbeziehung sich verbreitet, usuell und rekurrent wird, entwickelt sich eine überindividuelle Langue-Bedeutung, die für alle Sprecher einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft, bestenfalls der gesamten Sprachgemeinschaft, potentiell die gleichen Merkmale synchronisch relativ stabil aufbewahrt. Es ist in diesem Sinne auch denkbar, daß Meinung und Deutung von Sender A und Empfänger B einander mehr gleichen als die von Sender B und Empfänger c , was sich auch in den jeweiligen Diskursbedeutungen niederschlägt und Konsequenzen ü. a. für die Verständigung, den Kontext und die Rolle der Situation mit sich bringt. Völlig deckungsgleich aber dürften sie ebenso wenig sein, wie es die jeweiligen A s und A B sind, mit denen sie weitgehend, aber — wie noch zu zeigen sein wird — nicht immer übereinstimmen. Wir glauben vielmehr, daß Divergenzen zwischen Meinung und Deutung auch in den jeweils entsprechenden Kontexten wohl die Regel sein dürften, wobei allerdings der nicht in den gemeinsamen Durchschnitt fallende subjektiv individuellidiosynkratische Teil der individuellen Abbilder nicht Gegenstand linguistischer Beschreibung sein kann. 78 Solche Diskrepanzen ergeben sich z. B. auch dann, wenn ein vom S positiv bewerteter Sachverhalt — etwa ideologiebedingt — vom E negativ bewertet wird. Dabei wird unter 2.6. dem Zusammenspiel von Bedeutung als gesellschaftlich-intersubjektiver Größe und deren Widerspiegelung im individuellen Abbild als Kompetenzbedeutung und dem sogenannten Sinn 79 als einer in diesem Zusammenhang relevanten Erscheinung noch nachzugehen sein, so daß wir es hier mit einem Hinweis auf den Beitrag des Sinnes zur Bildung von Meinung und Deutung und zu deren möglicher Differenzierung bewenden lassen wollen. Meinung und Deu7

Lorenz/Wotjak

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

tung dürfen u. E. aber auch nicht einfach mit den A a bzw. AK gleichgesetzt werden; vielmehr sind erstere immer nur als die im Sprechereignis aktualisierten Aj, nicht aber als die von S und E zu einem bestimmten Zeitpunkt generell, d. h. potentiell disloziiert, mit dem jeweiligen F assoziierten Aj zu betrachten. Diskrepanzen wären aber auch dahingehend denkbar, daß z. B. ein S sich in ironischem Sprachgebrauch von der sprachlich realisierten Meinung/Dialog- bzw. Diskursbedeutung selbst distanzieren kann (vom E bemerkt oder nicht) bzw. der E beispielsweise eine negative Einstellung zu der von S als positiv intendierten Meinung haben kann und entgegen seinem eigenen negativen Sachverhaltsabbild diese positive Meinung versteht. Damit aber ergibt sich im Gefolge einer solchen Deutung getreu der Senderintention u. U. eine bemerkenswerte Abweichung gegenüber dem A E , insbesondere im Bereich der sogenannten Einstellungs- und Wertkomponenten (vgl. dazu auch 2.4.). Hier hegen ganz spezifische kommunikative Sachverhalte vor, auf die wir im folgenden nicht näher eingehen können.

2.2.2. Kontextbedeutungen und Langue-/Systejn-Bedeutung Beziehen wir in die Beschreibung der Bedeutung als gesellschaftliche und zugleich linguistische Erscheinung mehr als nur eine spezifische Diskursbedeutung in einem einzigen umgrenzten Sprechereigiiis ein, so ergibt sich als Abstraktion aus den jeweiligen, sich mehr oder weniger deckenden Durchschnitten letztlich als Durchschnitt potentiell aller Kommunikationspartner in allen potentiell möglichen Sprechereignissen — die gleiche LE in der gleichen Kommunikationssituation und als Bezeichnung für den gleichen Gegenstand, aber in Verbindung mit unterschiedlichen anderen LE bzw. in abweichenden Situationen mit den gleichen LE, vorausgesetzt — das, was wir im folgenden als eine bestimmte Kontextbedeutung der betreffenden LE bezeichnen wollen. Auf dieser höheren Abstraktionsstufe, die gegenüber dem Sprechereignis wie auch gegenüber den Sprechakten als Vielzahl solcher individueller Sprechereignisse als Einzelnes ein Allgemeines darstellt, erscheinen die Kontextbedeutungen als überindividuell aktualisierte, d. h. kontextuell-syntagmatisch in größere Zeichenverwendungszusammenhänge eingehende Größen. Die Kontextbedeutung wäre somit auf dieser innerhalb der in neuerer Zeit vorgenommenen weiteren Differenzierungen der klassischen Dichotomie von langue und parole am ehesten der^-parole 8 0 gleichzusetzenden Abstraktionsebene als die Bedeutung einer LE in einem bestimmten Ko- und Kontext 8 1 ohne jeglichen Bezug auf das sprechende Individuum zu betrachten. Sie stellt somit eine — soziolinguistisch bedeutsame —

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

89

Verallgemeinerung aus den Dialog- u n d Diskursbedeutungen dar, bei denen •der Bezug auf je konkrete S u n d E immer mit impliziert war. Zugleich k a n n sie als die syntagmatisch-distributionelle Realisation der langue-Bedeutung angesehen werden, wie sie z. B. in Wörterbüchern in Definitionen angegeben wird. Bei den Ko- u n d Kontextbedeutungen geht es schon nicht mehr u m individuelle oder überindividuelle Variationen hinsichtlich der Bedeutungsbestandteile, sondern u m die Untersuchung der möglichen Veränderungen, die die jeweilige Langue-Bedeutung der L E bei E i n b e t t u n g in einen anderen sprachlichen und/oder außersprachlichen K o n t e x t erfährt. Bei der Scheidung von Ko- u n d K o n t e x t ist u n s klar, d a ß es sich hier u m eine f ü r die wissenschaftliche Beschreibung der Bedeutung notwendige methodische Abstraktion handelt. Vom K o n t e x t im weiten Sinne (Gesprächssituation, K o m m u n i kationssituation, soziokultureller Hintergrund usw.) wollen wir den sprachlichen K o t e x t auch terminologisch abheben. B e s t ä r k t in diesem Vorgehen sehen wir u n s durch die mögliche Unterscheidung zwischen dem Vorkommen einer L E in einem sogenannten „abstrakten S a t z " u n d in einem „konkreten Satz". Damit würde die E b e n e der 2"P&role untergliedert werden können in a) die Ebene des Kotextes, d . h. die Manifestierung, Aktualisierung der Langue-Bedeutung ohne Bezug zu einem konkreten Sachverhalt (Denotat hic et nunc), eventuell auch als Bedeuten zu bezeichnen; b) die Ebene des Kontextes, des „konkreten Satzes", die die erste E b e n e mit u m f a ß t u n d auf der der Sachverhalts- bzw. Denotatsbezug (Referenz) erfolgt. I m Zusammenhang mit der von u n s vorgenommenen Begriffsbestimmung wird auch klar, d a ß wir im Hinblick auf eine L E immer von mehreren, potentiell unendlich vielen K o n t e x t / K o t e x t b e d e u t u n g e n sprechen müssen, d a ß also, wenn von der Bedeutung einer L E die Rede ist, i m m e r n u r die Langue-Bedeutung gemeint sein k a n n , die sich als Abstraktionsklasse aller potentiell möglichen Ko- und K o n t e x t v o r k o m m e n der betreffenden L E darstellt u n d f ü r eine linguistische Bedeutungsbeschreibung, aber auch f ü r die Lexikographie, zweifellos von besonderem Interesse ist. Nicht zufällig war sie seit langem Gegenstand theoretischer wie praktischer U n t e r suchungen. Wir haben sie bereits als Abstraktionsklasse aller potentiellen Kontextvorkommen der betreffenden L E bestimmt, doch reicht diese Definition nicht aus, wird ein zusätzliches paradigmatisches Moment zu berücksichtigen sein, das f ü r eine Reihe von Linguisten zum alleinigen Bestimmungskriterium erhoben wurde 8 2 , das jedoch m i t dem syntagmatischen Herangehen u . E . notwendig zu einer dialektischen Einheit v e r k n ü p f t werden sollte. I n der T a t steht die Langue-Bedeutung nicht n u r in der syntagmatischen Verknüpfung zu Sätzen (syntagmatische semantische Makrostrukturen 8 3 ) in vielfachen Wechselbeziehungen zu umgebenden anderen L E bzw. genauer zu deren Bedeutungen, sondern auch auf der E b e n e d e r 7»

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

sogenannten paradigmatischen semantischen Makrostrukturen, des lexikalischen Systems, des Lexikons. Gewiß könnte auch diese Integration in einemweiteren Sinne als Kontexteinbettung bezeichnet werden, doch würde dies zu einer Verwischung des Kontextbegriffes und zur Verkennung charakteristischer Besonderheiten des paradigmatischen lexikalischen Systems führen. Es läge nahe, unter diesem paradigmatischen Gesichtspunkt von einer Systembedeutung zu sprechen, wäre nicht der Terminus System durch zahlreiche und widersprüchliche Interpretationen belastet 84 und würde — was bedeutend schwerwiegender ist — der Kontextbedeutung nicht damit u. U. ein systemhafter Charakter abgesprochen. Tatsächlich aber bestehen zwischen Langue-Bedeutung und aktualisierten Kontextbedeutungen sehr enge dialektische Wechselbeziehungen, reflektieren sich in ihnen die LangueBedeutungen in spezifischer Weise (vgl. weiter unten). In jedem Fall aber wäre eine rein paradigmatische Bestimmung im Rahmen des historisch gewordenen Bezeichnungssystems einer Sprache (Systembedeutung) zu einseitig, bliebe der dynamische Aspekt der Verwendung sprachlicher Mittel in der tagtäglichen Kommunikation einschließlich der angedeuteten Rückwirkungen auf die Langue-Bedeutung unbeachtet. Wird unter Systembedeutung nicht begrenzt das verstanden, was z. B. de Saussure in etwa unter valeur 85 verstanden wissen wollte, sondern in unserem Sinne die Langue-Bedeutung unter dem Blickwinkel ihrer Einbettung in das lexikalische System, so könnte auch der Terminus durchaus Verwendung finden. Wird den Langue-Bedeutungen durch ihre Einbettung in die paradigmatischen semantischen Makrostrukturen (vgl. 3.4. und 3.6.) und die sie konstituierenden Oppositionen und Affinitäten (Antonymie, Synonymie usw.) die für die Kommunikation erforderliche Stabilität und Invarianz über einen gewissen Zeitraum gewährleistet, so wird mit deren Aktualisierung in spezifischen Kontexten sowohl die Bezugnahme zur objektiven Realität ermöglicht als auch in diesem Zusammenhang die erforderliche Eindeutigkeit (monosemierende Wirkung des Kontextes) und Flexibilität zugleich erreicht; gehen doch über die Meinungen und Deutungen, über die Diskursbedeutungen und schließlich — bei entsprechender Verbreitung und Eingang in den allgemeinen Usus, in die sogenannte usuelle Bedeutung — auch über die Kontextbedeutungen und vorrangig über diesen Weg und die wesentlich seltenere Erstkodierung (Neubezeichnung und damit Veränderung in der paradigmatischen Bezeichnungsstruktur) Veränderungen in den LangueBedeutungen vor sich, die U. U. auch zu Änderungen im lexikalischen System führen können. Bei jedem primären Bezeichnungs-/Benennungsakt, dem wie auch jedem Kommunikationsgeschehen ein gesellschaftliches Bedürfnis an einer Verständigung über einen spezifischen — meist extralinguistischen — Sachverhalt,

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

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also gesellschaftliche Faktoren und Erfordernisse (Notdurft des Verkehrs [499,30]), zugrunde liegen, erfolgt in einer Urkodierung (1. Gliederung und 2. Gliederung) die Zuordnung eines bestimmten F (dieses kann partiell oder total neu oder auch bereits als L E mit anderer Bedeutung vorhanden sein) zu einer zunächst individuellen Sachverhaltswiderspiegelung (Abbild), die in der Kommunikation zur Meinung wird. I m Sprechereignis wird dank des sprachlichen und außersprachlichen Kontextes auch beim Kommunikationspartner in der Regel ein Abbild erzeugt, das mit dem A s einen mehr oder weniger großen gemeinsamen Durchschnitt aufweist. Aus dieser — okkasionellen — Diskursbedeutung als Keimzelle der vergesellschafteten LangueBedeutung bildet sich im Zuge der weiteren Verwendung dieser neu entstandenen Einheit über die Kontextbedeutungen eine Langue-Bedeutung aus und wirkt als solche, im Rahmen der paradigmatischen Makrostrukturen, im Bezeichnungsgefüge des Lexikons stabilisiert, zurück auf den syntagmatischen Gebrauch und die individuellen, interiorisierten Realisationen in den einzelnen Sprechern (Kompetenzbedeutungen), womit sich zugleich auch die Notwendigkeit eines außersprachlichen (z. B. sinnlich-empirischen) Referenzbezuges im Interesse der Gewährleistung der Kommunikation verringert. Wir wollen und können hier nicht ausführlicher auf die bereits betonte Dialektik von Langue-/System-Bedeutung und Kontextbedeutungen und damit auf den syntagmatischen Verwendungskontext (Kombinatorik) eingehen; immerhin sei darauf verwiesen, daß die Langue-Bedeutungen (LB) in unserer Konzeption als Semkonfigurationen bereits exakte „Vorgaben", „Anforderungen" etwa in Gestalt von durch den Kontext zu erfüllenden Voraussetzungen hinsichtlich der lexikalischen Besetzung von Leerstellen bei Verben, aber auch Adjektiven (vgl.auch Selektionsrestriktionen; 3.4.1.2.) an den Kontext beinhalten. Dabei ist es unbestritten, daß sich auf allen drei Ebenen in nachstehender schematischer Darstellung (Abb. 9, S. 101) gemeinsame Seme ( € 0 ' ) in spezifischen Strukturen nachweisen lassen, daß aber quantitative wie eventuell auch qualitative Abweichungen auch zwischen den L B und den Kontextbedeutungen (KB) angenommen werden können, wobei es sich in der Regel um Reduktionen, Präzisierungen und Konkretisierungen ersterer handelt. Besonders augenfällige Abweichungen sind beim Vergleich der Semstrukturen von Dialogbedeutungen untereinander und mit der überindividuellen Langue-Bedeutung zu erwarten, wobei u. U. selbst das kommunikative Minimum ausgewählter referentieller Merkmale nicht als invariant nachgewiesen werden kann. Anders bei den Kotextbedeutungen, die sich in ihrer Semstruktur nur darin von den semantischen Mikrostrukturen unterscheiden, daß letztere als Potenz und Semkonfigurationen unter Umständen alternative und/oder fakultative Semangaben bzw. übergeordnete Seme bein-

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

halten, die in den Semsequenzen der Kontextbedeutungen (Alloseme) nicht erscheinen, bzw. konkretisiert werden. (Nur eines der alternativen Seme wird realisiert, ein spezielles Sem als untergeordnetes Merkmal tritt f ü r das übergeordnete Sem der Mikrostruktur ein usw.). Der Unterschied zwischen Langue- und Kotext/Kontextbedeutung reduziert sich demnach im wesentlichen auf die Frage, inwieweit zwischen den Semsequenzen als aktualisierten Merkmalabfolgen und den virtuellen Merkmalkomplexen als Konfigurationen relevante Unterschiede qualitativer wie quantitativer Art vorhanden sind. Dabei kann ein solcher Unterschied im einzelnen Fall auch nicht nachweisbar sein, so daß eine identische Semstruktur dann auch eine formale Unterscheidung in Langue-Bedeutung und Kontextbedeutung als problematisch erscheinen läßt. Generell jedoch sollte auf eine solche mit dem Übergang vom Paradigmatisch-Abstrakt-Virtuellen zum SyntagmatischAktualisierten verknüpfte, wenn auch in beiden Fällen eindeutig überindividuelle Größen erfassende Unterscheidung nicht verzichtet werden. Dabei sollte nicht übersehen werden, daß auch in den Kontextbedeutungen als Semsequenzen durch die suggerierte Linearität nicht die für die semantischen Mikrostrukturen generell charakteristischen — z. B. binär-hierarchiechen — Unterordnungsbeziehungen hinfällig werden. Die Kontextbedeutungen eignen sich offensichtlich besonders für eine exakte Merkmalsanalyse infolge der f ü r sie allgemein typischen monosemierten Semstruktur (Fehlen von Semdisjunktionen usw.). Da andererseits der Mechanismus der kontextspezifischen Selektion aus dem Semvorrat der Semkonfiguration der L B bei der Aktualisierung (Manifestation) noch nicht im einzelnen herausgearbeitet wurde, erscheint es als ein durchaus berechtigtes, komplettierendes, wenn nicht u . U. sogar größeren Erfolg versprechendes Vorgehen, wenn die jeweiligen KB-Semsequenzen beschrieben und diese dann als je komplette Semstränge in die Mikrostrukturdarstellung integriert werden. Es wird in diesem Zusammenhang allerdings noch zu prüfen sein, ob in Weiterentwicklung der von uns bereits signalisierten Vorgaben in der Semkonfiguration f ü r den Kontext angenommen werden kann, daß die semantische Mikrostruktur, die SK der Langue-/System-Bedeutung, als in spezifischer Weise strukturierte Ganzheit integral ausgebildeter KB-Semstränge betrachtet werden sollte. Immerhin wären auch hier bei einer solchen, noch ebenso wenig bewiesenen Annahme einer durchgehenden kontextdeterminierenden Struktur der L B mehrfache Überschneidungen der Semstränge sowohl in übergeordneten Merkmalen (also z. B. der Spitze von Hierarchiebäumen- so (dynamisch) oder (locomotio) als Fortbewegung) wie auch in speziellen Semen (z. B. Instrument) zu erwarten. Bei einem solchen Herangehen würde aber nicht nur die Komplexität der semantischen Mikrostrukturen offensichtlich, sondern auch ein vielversprechender, wenn auch noch nicht voll

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

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überschaubarer Ansatz f ü r die Beschreibung von Sememen u n d kontextuellen Sememvarianten (Allosemen), wie auch der Polysemie überhaupt, gegeben. Wir wollen uns hier im folgenden darauf beschränken, K B mit den L B in Beziehung zu setzen, ohne daraus bereits eine Entscheidung f ü r die zuletzt angedeuteten Postulate hinsichtlich der Semstruktur abzuleiten. Einen generellen Vergleich von Kotextbedeutungen, von Allosemen (in der Terminologie von Greimas gleich Sememen) und Langue-Bedeutung (von Greimas als Bedeutung, von uns etwa als Semem bezeichnet) h a t u. a. E . U. Grosse angestellt [242]. Wir greifen damit den weiteren Darlegungen, insbesondere zu den jeweiligen Merkmalstrukturen der Bedeutung (so unter 2.4., 3.4; 3.7) voraus, halten ein solches Vorgehen jedoch im Interesse einer hinreichenden Illustration f ü r angebracht. Als eine Möglichkeit wird dabei von E. U. Grosse die selektive Beziehung von Allosemen im Hinblick auf die jeweiligen Sememe herausgestellt, bei der eine Auswahl aus den Merkmalen der Langue-Bedeutung in den Kontextbedeutungen erfolgt. Mengentheoretisch dargestellt : Langue-Bedeutung (LB) =3ßg (s1; s 2 , s 3 ,Vs 4 • • • s n ) Kontextbedeutungen (KB t ) =äßQ (Sj, s 2 , s 3 ) ( K B 2 ) = 9 R g ( s 1 ; s 2 , s 4 • • •) Als Beispiel dafür wird von E . U. Grosse cuisinière angeführt, wobei er „Inhalt" undifferenziert f ü r das verwendet, was wir in 2.3.1.1. als Signifikat bestimmen werden. Es scheint aber beispielsweise auch möglich, daß KiJi-m und ihre L B weitgehend identische Semstrukturen aufweisen (vgl. inhaltsidentische Bedeutungen nach Grosse); als Beispiel sei auf französisch pis „Euter", rouge-gorge „Rotkehlchen" oder auch émigrant verwiesen. Formal dargestellt als: Langue-Bedeutung (LB) =9Jlg (s^ s 2 , . . . , s n ) ^ Kontextbedeutung (KB) =9Rg (s 1; s 2 , . . . , s n ) Darüber hinaus kann die Beziehung zwischen beiden auch die F o r m einer Inklusion oder Intersektion annehmen, so daß formal folgendes Verhältnis besteht : Langue-Bedeutung (LB) = (s^s 2, . . . , s n + s n + „ . . . s n + m ) = Kontextbedeutung (KBj) Kontextbedeutung (KB 2 ) = (s1; s 2 , . . . , s n ) Beispiel : une femme: (Hum) A (Fem) A (Adult)/A (Verwandtschaft) A (soziale) A (direkte Linie) A (verheiratet (x, y)) - (vgl. deutsch F r a u als E h e f r a u u n d generelle Bezeichnung).

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2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

Dabei können zum einen (KB 2 ) nur die sogenannten Bestandteile der Kernbedeutüng aktualisiert werden, zum anderen (KB^) entsprechend dem Kotext auch die anderen Seme der Langue-Bedeutung, so daß wir es mit einer weitgehenden Identität zwischen (KBj) und (LB) zu tun hätten. Wir sehen die blockierend-selektive Wirkung des Kotextes deutlich auch an dem Beispiel komme, das sowohl in der Kontextbedeutung als „Mensch" aber auch als „Mann" realisiert werden kann, wobei die generellen Merkmalangaben von Mensch auch in denen von Mann, ergänzt und präzisiert, auftreten können, sich aber die Frage ergibt, ob wir es nicht mit zwei unterschiedlichen LB zu tun haben. Damit aber wird deutlich, daß der Kotext nicht nur Veränderungen gegenüber den semantischen Mikrostrukturen der LB in ihren jeweiligen KB bewirkt, sondern — auch und dies ist ein wahrscheinlich noch bedeutsamer Fakt — Polysemie durch Ausschaltung von konkurrierenden LB eines Signifikats auflöst bzw. homonyme Verwendungsweisen deutlich nachempfinden läßt. Als weitere Beispiele für Abweichungen in den Semstrukturen von Allosemen und Sememen, d. h. von Semsequenzen und Semkonfigurationen, können ausgewählte Verben aus der tabellarischen Übersicht (3.3.) herangezogen werden, wobei hier Reduktionen der alternativen Seme in den Argumentvorgaben wie auch Konkretisierungen hinsichtlich von sogenannten Kernsemen, also Bestandteilen des Valenzträgers, des Prädikats bzw. der Funktorenstruktur, möglich werden. Besonderes Interesse verdienen dabei solche Verben wie u. a. geben, reichen, die gegenüber der beiden gemeinsamen Besitzrelation bzw. dem Merkmal HAVE (x, z) alternativ spezifizierbar, also z. B. durch ± ausgewiesen sind. Diese können je nach dem weiteren Kontext zum Ausdruck des Besitzes (Poss) wie auch der Verfügung über eine Sache (hab) genutzt werden, wären also als LangueBedeutungen mit einer Merkmaldisjunktion (Poss) vs (hab) 86 zu verstehen: HAVE Poss

hab

Als ein Beispiel für die durch die Integration der Zeichenfolge in der Kommunikation, im Kontext bedingte Selektion und Bildung entsprechender Semsequenzen aus einer Semkonfiguration einer mehrstelligen semantischen Sn/Agens/

Sa/Experienced

fSd/Adressat/)

fHum)

Abb. 8

95

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

Miferostruktur mit Semdisjunktion in den Leerstellen sei hier z. B . schenken in der Variante 1 nach Helbig/Schenkel 1973 a n g e f ü h r t (Abb. 8). Daraus ergeben sich nachstehende Semsequenzen, die letztendlich die e n t scheidende Vergleichsbasis etwa f ü r die Übersetzung liefern: Argumentsemsequenzen von schenken : Sn + (Sd) + Sa 1 Hum A 2 Hum A 3 Hum A (-Hum) 4 Hum A

H u m A + A n i m (-Hum) H u m A -Anim Abstr (Hum) A + A n i m

Sie schenkt ihm einen H u n d . Sie schenkt ihm ein Buch. Sie schenkt der L P G ihr P f e r d .

Abstr (Hum) A -Anim

Sie schenkt dem I n s t i t u t ihre Bücher. Die Gruppe schenkt ihm ein Tier.

5 Abstr (Hum) A H u m A + Anim (-Hum) 6 Abstr (Hum) A H u m A -Anim 7 Abstr (Hum) A Abstr (Hum) A + Anim (-Hum) 8 Abstr (Hum) A Abstr (Hum) A -Anim 9 H u m A + A n i m (-Hum) 10 H u m A -Anim 11 Abstr (Hum) A -I-Anim (-Hum) 12 Abstr (Hum) A -Anim

Das Ministerium schenkt ihr Blumen. Die L P G schenkt dem V E G eine Kuh. Der S t a a t schenkt d e m Betrieb Maschinen. Sie schenkt einen H u n d . Sie schenkt einen Roller. Der Verein schenkt einen Blindenhund. Die Gruppe schenkt einen Bildband.

2.2.3. B e d e u t e n u n d Bezeichnen (Bezeichnung), R e f e r e n z b e z u g I n u n d mit den Kontextbedeutungen, d. h. also dem Vorkommen der L E in konkreten Sätzen, vollzieht sich die Bezeichnungsfunktion der sprachlichen Zeichen. I m konkreten Bezug auf ein konkretes Element einer Sachverhaltsklasse (Designat), ein D e n o t a t hic et nunc, wird die in der Bedeut u n g gespeicherte Menge € 0 ' über die Abstraktionsklasse (Designat) auf einen Sachverhalt bezogen. Hier ergibt sich aber auch die Möglichkeit, d a ß weitere £ 0 ' als linguistisch-gesellschaftlich-kommunikativ relevant in die historisch gewordenen, relativ stabilen, wenn auch nicht auf ewig u n v e r änderlich „eingefrorenen" Abbildelemente (Seme) der Langue(System)Bedeutung integriert werden. Dabei wird abermals das Zusammenspiel von Bedeutung und Abbild deutlich, wobei sich Berührungen auf allen

96

2. Bedeutung sprachlicher Zeichen

Ebenen, nicht zuletzt in Gestalt des sich in den individuellen A neben den Kompetenzbedeutungen realisierenden Denotatswissens, ergeben, von dem beträchtliche Teile vergesellschaftet sein können, als gruppen-/berufsspezifisches Wissen, wie auch z. B. als Begriffe. Wir werden eine Grenzziehung zwischen Langue-Bedeutung und Sachwissen wie auch der Sachverhaltswiderspiegelung generell noch unter 3.4. zu versuchen haben. Hinsichtlich der Abgrenzung von Bedeutung, Bedeuten und Bezeichnen ergäbe sich nach unserem Verständnis u. a.: — — Es gibt kein Bedeuten (Ebene des abstrakten Satzes = überindividuell vergesellschaftete Kotextbedeutungen) ohne Langue-Bedeutung, denn die L B ist die abstrakte Voraussetzung, die unabdingbare Grundlage für das Bedeuten. Bedeutung als Abstrakt-Virtuelles wird in der Kommunikation zu Aktuellem, wobei — wie aufgezeigt — entsprechend dem Kontext/Kotext eine Selektion aus dem Semvorrat, der Semkonfiguration, erfolgt und eine spezifische Semsequenz aufgebaut bzw. — weniger wahrscheinlich — als präexistent aktualisiert wird. Mit anderen Worten: Es erfolgt also in bestimmtem Umfang eine Umgruppierung und Selektion aus der simultanen und nichtlinearen Semkonfiguration (SK) der Langue-Bedeutung. — Im konkreten Satz (Bezeichnen) muß es sich beweisen, ob die in die Bedeutung als spezifisch soziolinguistisch bestimmtes durchschnittliches Abbild eingegangenen vergesellschafteten Abbildelemente (die zugleich klassenkonstitutive Elemente eines Designats sind) gegenüber dem bezeichneten konkreten, zunächst wohl auch unverwechselbar einmaligen Sachverhalt hic et nunc adäquat sind, d. h. mit den Eigenschaften des konkreten Objekts bzw. der konkreten Objektwiderspiegelung als Element der bezeichneten Objektklasse übereinstimmen. I m Normalfall der Kommunikation setzt das Bezeichneri wie das Bedeuten die Bedeutung intensional als Abstraktionsklasse voraus, wird es also nur dank der Existenz dieser Klassenbildung ermöglicht (vgl. 3.4.). — Bedeuten und Bezeichnen bilden ihrerseits eine enge dialektische Einheit, wobei eine L E allerdings in der Kommunikation durchaus etwas bezeichnen kann, ohne etwas in dem Sinne zu bedeuten, daß bereits eine generalisierte, durchschnittliche Systembedeutung vorhanden wäre. 87 Damit wird aber neuerlich deutlich, daß es zu einer Verständigung zwischen Sender und Empfänger selbst dann kommen kann, wenn in einem festumrissenen Kontext und Situationsbezug unter Einschaltungparalinguistischer Mittel Meinung und Deutung zwar einen Durchschnitt, (gemeinsames Kommunikat), nicht aber bereits gemeinsame £ 0 ' aufweisen im Sinne von disloziierten, vom konkreten Kommunikationssituationsbezug abgelösten rekurrenten, dem betreffenden Formativ fest zugeordneten € A t des Senders und Empfängers (letztlich der Seme).

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

97

— I m Bezeichnen vollzieht sich der konkrete Denotatsbezug durch die denotativ-referentiellen Bestandteile, über die zumindest jede lexikalische Bedeutung unzweifelhaft verfügt, wobei aber — wie gezeigt — in Sonderfällen auch ein Bezeichnen möglich ist, wo noch keine Klassenbildung in Gestalt einer Langue-Bedeutung als Abstraktion von Elementen konkreter Sachverhalte erfolgte. Daß bei diesem Sonderfall des individuellen Bezeichnungsaktes dem Referenzbezug, letztlich der Präsenz eines nicht nur linguistisch faßbaren Sachverhalts f ü r die jeweiligen Kommunikationspartner bzw. auch dem linguistischen Kotext als vertexteter Situation 8 8 , besondere Bedeutung zukommt, liegt auf der Hand. Wir werden an gegebener Stelle {besonders 2.4., 3.4.) auf weitere Einzelheiten dieser sogenannten Denotation zurückkommen, der insbesondere durch die „situative Semantik", aber auch durch die sogenannte generative und die logische Semantik {Referenzidentitäten, Wahrheit/Falschheit, Adäquatheit einschließlich der Beurteilung des Sinnes bzw. der Sinnlosigkeit von Sätzen) 8 9 verstärkt Beachtung zugewandt wird und die auch f ü r eine Erörterung des Verhältnisses von Bedeutung und Abbild sehr ergiebig ist.

2.2.4. K o m p e t e n z b e d e u t u n g u n d individuelles Abbild Ein Zugang zu dieser überindividuellen, ja in gewissem Sinne sogar außerindividuellen, potentiell-virtuellen bzw. z. B. im Wörterbuch manifestierten Größe der Langue-Bedeutung wie auch ihrer syntagmatischen Aktualisierungen aber ist nur möglich dank des Umstandes, daß jedes Mitglied der betreffenden Sprachgemeinschaft in seiner Eigenschaft als Kodeteilhaber {Muttersprachler oder nicht) die betreffenden L E und mit diesen auch in mehr oder weniger großer Näherung (soziolinguistisches Differential) 9 0 deren Bedeutung (Langue- wie Ko/Kontextbedeutungen) interiorisiert hat. I n der Kommunikation erlernt der Sprachbenutzer die Bedeutung, schleifen sich durch den Gebrauch der betreffenden L E in verschiedenen Sprechereignissen mit wechselnden Partnern und Situationen als gewissermaßen durchschnittliche überindividuelle Norm u n d kommunikative Invariante die Bedeutungen der L E ein (als Langue — wie auch als Kontextaktualisierungen), wobei zum vollständigen Erwerb der jeweiligen Langue-Bedeutung bzw. zu einer annähernd hundertprozentigen Aneignung durch die Kommunizierenden u. a. auch der Gebrauch von Definitionswörterbüchern beiträgt. Es ist wohl möglich, daß die Kompetenzbedeutungen von S A u n d E B einander mehr gleichen als die von Sender c und Empfänger^, was sich in den jeweiligen Diskursbedeutungen (Dialogbedeutungen), in Meinung und Deutung, letztlich in den jeweiligen A s und A B , niederschlägt. So ist

98

2. Bedeutung sprachlicher Zeichen.

durchaus nicht ausgeschlossen, d a ß im übrigen „vollwertige" Sprachbenutzer ein Leben lang von ihnen und meist auch von anderen (sonst Korrektiv der Umwelt bei Fehlleistungen . . . ) unbemerkt mit einer bestimmten L E als Bestandteil ihres A, bzw. der jeweiligen Meinungen/Deutungen eine Kompetenzbedeutung assoziieren, die sich nicht in allen Bestandteilen mit der kommunikativen I n v a r i a n t e der Langue-Bedeutung deckt. Dabei sind Diskrepanzen zwischen diesen interiorisierten Widerspiegelungen (Kompetenzbedeutungen) u n d der gesellschaftlichen Norm, der Langue-Bedeutung, denkbar sowohl als Abweichungen in Quantität wie Qualität von Bedeutungselementen, denen wir hier jedoch nicht im einzelnen nachgehen wollen. Auch leuchtet ein, d a ß die Abweichungen zwischen dem in derindividuellen Meinung (Aj) eingegangenen individuell-interiorisierten Anteil an der überindividuellen Bedeutung,, an gesellschaftlichen, linguistisch-kommunikativ relevanten Abbildelementen also, u n d der Langue-Bedeutung der L E nicht k o n s t a n t bleiben, sondern sich in der Zeit wie auch dahingehend ändern, ob es sich u m spezifische Kontextbedeutungen handelt, bei denen die Situation z. B. mögliche Diskrepanzen nivelliert, eventuell aber auch potenziert. 9 1 E s entwickelt sich im Verlaufe der Kommunikation mit anderen Mitgliedern einer K o m munikationsgemeinschaft u n d zwischen den Kommunikationsgemeinschaften einer Sprachgemeinschaft die individuelle Kompetenzbedeutung, indem sie sich unter Abbau der individuellen Differenzen mehr u n d mehr der Langue-/System-Bedeutung angleicht. U n t e r Verweis auf eine unseren Überlegungen entgegenkommende Unterscheidung von System- u n d K o m p e t e n z bedeutung bei Henne/Wiegand [300, S. 136ff.], könnten deren Wechselbeziehungen wie folgt umrissen werden: I n beiden Fällen handelt es sich u m Überindividuelles, Vergesellschaftetes, Potentielles; dabei ist unter der Kompetenzbedeutung der im I n d i v i d u u m M t allgemein, generell, also losgelöst von einer konkreten Kommunikationssituation gemäß seinem individuellen Sprachbesitz mit dem Zeichenkörper bzw. dessen Abbild F[ bzw. F ' a fest assoziierte Bestand an überindividuellen Bedeutungsmerkmalen, also der jeweilige überindividuelle, vergesellschaftete K e r n des individuellen Abbilds, zu verstehen. I n diesem Sinne wäre auch die als Terminus möglicherweise problematische Kompetenzbedeutung als individuelle Annäherung an die - f ü r die gesamte Sprachgemeinschaft als kommunikative Norm verbindliche - Systembedeutung zu b e t r a c h t e n . Letztere ergäbe sich als eine höhere Abstraktion aus den Kompetenzbedeutungen der einzelnen Indviduen MJ...2 und wäre zugleich auch Ergebnis der dem Einzelnen (MI; MN) in dieser Gesamtheit nicht zugänglichen bzw. präsenten 9 2 Wechselwirkungen der Einheiten des Gesamtlexikons einer Sprache. Repräsentiert erschiene diese L B u. a. in Definitionen eines Wörterbuches, im Vergleich zu denen Abweichungen in der individuellen K o m -

2.2. Eigene Bedeutungskonzeption

99

petenzbedeutung als Differenz zur Definition herausgestellt werden könnten. Wir erachten eine solche Differenzierung in sich in den Individuen manifestierende Kompetenzbedeutung und damit subjektiv anteilmäßige Interiorisierung der überindividuellen Systembedeutung f ü r sehr fruchtbar, und dies vor allem angesichts des unbestreitbaren soziolinguistischen Differentials innerhalb einer Sprachgemeinschaft, der durch Gruppenzugehörigkeit bzw. letztlich durch spezifische Aktivitätsmerkmale im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der objektiven Realität (z. B. Berufsgruppen, Klassen, usw.) und durch den Bildungsstand, Alter usw. bedingten differenzierten Sachverhaltswiderspiegelungen und Kompetenzbedeutungen, wie auch der Dialekt von Individuum und Gesellschaft. Da jedoch auch die — subjektive — Kompetenzbedeutung in dem definierten Sinne eindeutig überindividuellen Charakter und mit der Langue-/System-Bedeutung im Interesse der Gewährleistung der Kommunikation unbedingt gemeinsame Merkmale aufweist und zugleich wie diese potentiellen Charakter besitzt, sollten im Praktischen wie im Theoretischen die Unterschiede zwischen beiden nicht überbewertet werden. Sie dürften sich auf Unterschiede im Abstraktionsgrad und in der Semfülle beschränken, wobei eine Entleerung, Ausfilterung von in den einzelnen Kompetenzbedeutungen (z. B. Gruppenkompetenz = Gruppenbedeutungen) noch vorhandenen, wenn auch von Kommunikationsgemeinschaft zu Kommunikationsgemeinschaft abweichenden Merkmalen erfolgt. Unter Beachtung der aufgezeigten Dialektik von Gesellschaftlichem und Individuellem scheint es möglich, nicht nur im Individuum die vergesellschafteten, die Kommunikation gewährleistenden € 0 ' zu ermitteln, sondern a.uch die Bedeutung als gesellschaftliches Phänomen im folgenden ohne direkten Bezug auf das Einzelindividuum zu bestimmen. 9 3 Mit vorstehender differenzierter Betrachtung des komplexen Phänomens der Bedeutung und dessen auch terminologischer Untergliederung in LangueBedeutung, Ko- und Kontextbedeutungen sowie Diskurs- und Dialogbedeutungen als überindividuelle Abstraktionen auf der einen und in Meinungen und Deutungen sowie in Kompetenzbedeutungen auf der anderen Seite (der des kommunizierenden Individuums) ist indessen noch immer keine hinreichende Beschreibung gewährleistet. Vielmehr ergibt sich daraus die Verpflichtung, die einzelnen Erscheinungsformen — Existenzweisen — der Bedeutung untereinander abzugrenzen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich herauszustellen und die aufgezeigte Vielschichtigkeit auch im Hinblick auf die Beziehung von Bedeutung und Abbild zu berücksichtigen. Dabei gilt es festzuhalten, daß sich beide nicht mehr als globale Entitäten gegenüberstehen (vgl. 3.2.) und daß es sich bei allen Bedeutungsformen um gesellschaftlich-überindividuelle Erscheinungen handelt, um einen extrapolierten Abbilddurchschnitt, wobei auch in der Meinung bzw. Deutung

100

2. Bedeutung sprachlicher Zeichen.

anteilmäßig solche linguistisch relevanten £ 0 ' enthalten, d. h. durch den kommunikativen Gebrauch fixiert, eingeschliffen, sind, dank derer die Verständigung — auch in einem reduzierten Kontext — möglich wird. Als weitere Gemeinsamkeiten für alle Bedeutungsarten gilt es herauszuarbeiten, daß alle in engster, unter 2.3. eingehender zu beschreibender Zuordnungsrelation zu Zeichenkörpern stehen und über denotative Komponenten verfügen, die den Referenzbezug ermöglichen (vgl. 2.4.). Nicht zuletzt gilt eszu beachten, daß es erst über die Integration der L B in die paradigmatischen semantischen Makrostrukturen möglich wird, linguistisch relevante vergesellschaftete £ 0 ' von solchen vergesellschafteten £ 0 ' zu scheiden, die Bestandteil der Awlgg sind. Als vorläufiges Fazit unserer Überlegungen zur differenzierten Mehrebenenbetrachtung der Bedeutung als gesellschaftliches Phänomen und Vermittler zwischen individuellen Abbildern möge nachfolgende graphische Darstellung stehen, bei der die für jedes Schema geltenden Vor- und Nachteile (leichtere Faßlichkeit, bessere Einspeicherung; allzu große Vereinfachung, Nichtberücksichtigen von Mehrdimensionalität...) zu berücksichtigen sind. Das zeigt sich gleich in mehrfacher Hinsicht: so haben wir z. B. den für die Bedeutungsbestimmung wichtigen Umstand der Zuordnung zu Formativen nicht beachtet, sind nicht alle denkbaren Wechselbeziehungen, so zwischen den Kompetenzbedeutungen, Meinung/Deutung und A s / E im Detail ausgewiesen. Dabei könnte man folgende Formel angeben: - individuelles Abbild Sender/Empfänger A 8 / E § Meinung/Deutung — A s minus Kompetenzbedeutung S = 9Ji individueller und vergesellschafteter £ 0 ' (Denotatswissen, S i n n . . . ) A 8 / B und Meinung/Deutung, die ebenfalls nicht in jedem Fall identisch sind, inkludieren also die Kompetenzbedeutungen, umfassen darüber hinaus aber noch weitere Komponenten. Der Empfänger evoziert zusammen mit übereinstimmenden £ 0 ' seiner Kompetenzbedeutung auch weitere Abbildelemente, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß Sender wie Empfänger in der Kommunikation noch weitere £ 0 ' gemeinsam mit dem F assoziieren (etwa als Bestandteil des Denotatswissens), so daß in die Dialogbedeutung u . U . mehr £ 0 ' als überindividuell gemeinsame Elemente eingehen als bei den weiter generalisierten Diskurs- und Kontextbedeutungen. Mit der soziolinguistischen Verallgemeinerung auf der Ebene von Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften ergeben sich demnach auch echte Veränderungen im jeweiligen Bestand an gemeinsamen £ 0 ' .

2.2. Eigene

101

Bedeutungskonzeption c £ 9 «3

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t - (Geschwindigkeit: [ ± Schnell]) A (Delokal) — ( + Gerichtet: [ + Horizontal]) A (Medium: [ 4- Wasser]) A (Instrument - für A t oder belegt werden können, werden in slawischen Sprachen hier in Unterschieden der Mikrostrukturen der potentiellen Äquivalente begründete Differenzierungen erforderlich, die lexikalisch modifiziert, also sprachlich relevant sind (Bezeichnungsunterschiede). So wird bekanntlich für eine Abfolge A4 < (Mensch) A (Erwachsen) A (Männlich) =- heiratet A2 «s (Mensch) A (Erwachsen) A (Weiblich) >- im Russischen z. B. ienit'sja, für die umgekehrte Abfolge dagegen obligatorisch idti za m u í verwandt. Noch wurden zu wenige interlinguale Vergleiche von Mikrostrukturen durchgeführt 89 , bzw. sind die Ergebnisse einsprachiger Mikrostrukturdarstellungen häufig durch abweichende Semsymbolisierungen und -Verwendungen kaum miteinander vergleichbar; so kann es nicht verwundern, wenn entsprechende Feststellungen sehr vorsichtig formuliert werden. So kann beispielsweise auch nicht ausgeschlossen werden, daß sich selbst zwischen Sprach- und Kulturgemeinschaften, die in engen Austauschbeziehungen stehen 90 , auch im Bereich der sogenannten Valenzträger 91 , des Prädikators also, Abweichungen ergeben. Nach unserem bisherigen Dafürhalten scheinen jedoch Abweichungen im Bereich der Argumente in diesem Fall zu überwiegen bzw. zumindest für den Sprachvergleich und das Übersetzen gravierendere Probleme zu schaffen — ganz davon abgesehen, daß Abweichungen hier auch deutlicher empfunden werden bzw. leichter feststellbar sind. Die Strukturiertheit der Bedeutung zeigt sich jedoch nicht nur in einer bestimmten hierarchischen Anordnung von Semen, in denen eine bestimmte Abfolge vom Einzelnen, Konkreten zum Allgemeinen, also eine Abstufung des Abstraktionsgrades und der Rekurrenz der Merkmale, festgestellt werden kann. Vielmehr zeigt sie sich auch in Gestalt der von den Prädikatsmerkmalen (Funktoren) eröffneten Argument- bzw. Leerstellen sowie der für diese geforderten semantisch-funktionalen (Cases) und semantisch-denotativen Angaben 92 , in Implikations-, Inklusions- und Präsuppositionsbeziehungen (vgl. Verhältnis von Behauptung und Voraussetzung). Dabei sind noch nicht im einzelnen erforschte Wechselbeziehungen zwischen Prädikatssemen und Argumentsemen (Valenzträger (VT) und Leerstellen (LS)) 93 wie auch innerhalb des Prädikats (Funktor + Modifikatoren = VT) und der Argumente festzustellen. Ihnen wird am ehesten eine prädikatenlogisch orientierte 91 Beschreibung gerecht, bei der von Propositionen, bestehend aus 1. . . m Prädikatoren (unterschiedlicher Ordnung) und 1. . . n Argumentvariablen mit semantisch eingeschränkter Belegbarkeit, ausgegangen wird (vgl. auch 2.4.). Besonders komplexe Strukturen ergeben sich daher 16 Lorenz/Wotjak

232

3. Bedeutung—Abbild

dort, wo sogenannte relationale Seme 95 vorhanden sind. An solchen relationalen Semen bzw. an Semen, die als Argumente ihrerseits wieder eine — mehrstellige — logische Proposition eingebettet haben, kann auch eine plausible Erklärung für Speicherleistungen unseres Gehirns angeboten werden. Denn diese eingebetteten Propositionen sind ihrerseits wieder Ausgangspunkt f ü r weitere Auflösungen, bei denen sich u. U. gleichfalls relationale Seme bzw. eingebettete mehrstellige Propositionen ergeben können usw. und so fort. Hinzu kommt, daß die Argumente von relationalen Semen bei mehrwertigen Sememen z. B. als Argumente A t und A 2 (auch als NP 0 , N P t , N P 2 usw. bezeichnet) voneinander geschieden werden müssen, woraus erneut die Notwendigkeit einer Syntax der Semantik offensichtlich wird. Voraussetzung f ü r exakte Aussagen über diese Wechselbeziehungen und Ordnungen wie auch über ihren sememspezifischen oder eventuell auch generell f ü r mehrere/alle Sememe einer Sprache/mehrerer, potentiell aller Sprachen gültigen Charakter, sind detaillierte Beschreibungen der semantischen Mikrostrukturen als eine Art prälexikalischer Pattern mit einem vergleichbaren Seminventar wie auch genauere Analysen zum Sem selbst. Diese würden Gegenstand einer eigenständigen Monographie sein müssen, so daß auch nachstehende Mikrostrukturanalysen nur illustrativen Charakter tragen. Für die Darstellung der Mikrostrukturen nutzen wir im folgenden vor allem prädikatenlogisch orientierte Klammerschreibungen bei denen z. B. auch Vorgänge in eine räumliche und/oder zeitliche Abfolge von statischen Widerspiegelungen von Eigenschaften/Relationen aufgelöst werden können (s. 2.4.). Der Darstellung als Baumgraph mit den damit verknüpften Problemen einer exakten Unterordnung, binärer, ternärer usw. Gliederungen 9 5 habeil wir eine Matrizendarstellung und lineare Klammerung vorgezogen, wobei erstere eine gute Vergleichsgrundlage für die semantische Makrostruktur abgibt. Dabei wurden auch Fragen hinsichtlich des zu wählenden Grades der Auflösung der verdichteten, komplexen Merkmale wie auch z» B. der Angabe übergeordneter, latent präsenter, durch Redundanzregeln explizierbarer Merkmale akut. Vieles hängt hier von der Zielstellung der Analyse a b ; im allgemeinen wird eine möglichst ökonomische, d. h . mit einem relativ hohen Verdichtungsgrad von Merkmalen wie auch mit spezielleren Merkmalen operierende Beschreibung angestrebt. So könnte untfer Ausnutzung solcher genereller hierarchischer Unterordnungsbeziehungen mit dem Merkmal (Mensch) zugleich (Belebt) und sogar das nächststehende Merkmal (Stofflich) bzw. (Materiell) impliziert werden. Wir werden im 4. Kapitel noch einmal auf Fragen der Symbolisierung und der Auflösung bzw. Ersetzung komplexer Merkmale zu sprechen kommen. Bisher gibt es keinen hinreichenden Grund dafür, anzunehmen, daß die semantischen Mikrostrukturen nicht restfrei durch kleinere Bedeutungs-

3.5. Struktur der Bedeutung

233

elemente (Seme und kleinere €0') zu beschreiben wären, wobei allerdings der Auflösungsgrad, wie erwähnt, von der Zielsetzung der Analyse bzw. vom Kontext bestimmt und die interne Struktur durch eine verfeinerte Beschreibung äußerst kompliziert und unübersichtlich wird. Hinzu kommt daß eine solche jederzeit mögliche Auflösung verdichteter Merkmale u. E . nicht typisch etwa für die Speicherung sprachlicher Einheiten und mithin auch für die Erläuterung des Verhältnisses von Bedeutung und Abbildstrukturen ist. Operiert der Sprecher doch bevorzugt beim Denken mit verdichteten Merkmalkomplexen. Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings, daß für die Seme bzw. auch kleinere begrifflich-noetische Abstraktionselemente nicht nur die Möglichkeit sprachlicher Symbolisierungen besteht; so kann z. B . vor allem zur Wiedergabe der Vorstellungskomponente auf graphische, d. h. bildhafte Darstellungen zurückgegriffen werden, wofür sich besonders unter 4.4. anschauliche Beispiele finden. Es leuchtet ein, daß die Qualität der semantischen Mikrostrukturdarstellungen prinzipiell vor allem daran gemessen werden müßte, daß die entsprechende Semkonfiguration wie auch ihre kontextspezifischen Realisationen als Semsequenzen (Kontextbedeutungen) eine unverwechselbare, eindeutige Belegung durch L E erfahren könnte. Die Semstruktur müßte also die feinsten semantischen Unterschiede zwischen sehr engen Synonymen verdeutlichen, wobei eventuell weitere Nuancierungen noch durch stilistisch-soziolinguistische Indexierungen erfolgen könnten. Eine solche Mikrostrukturbeschreibung setzt, falls sie durch die Postulierung eines idiosynkratischen Restbestands der Bedeutung nicht überhaupt in Frage gestellt wird, vor allem ein einheitliches oder doch zumindest vergleichbares Inventar von Semen voraus, deren Beziehungen untereinander exakt bestimmt, und die genau voneinander abgegrenzt wurden. Es kann angesichts der Problematik einer Konstituentenbeschreibung nicht wunder nehmen, daß vorrangig solche Sememe und Bereiche des Lexikons beschrieben wurden, in denen die Struktur besonders deutlich und eine Feststellung der Seme leichter wurde (z. B. Verben der Fortbewegung, des Besitz wechseis; aber auch schon der Wahrnehmung, Verwandtschaftsbeziehungen, Dimensionsbezeichnungen), bzw. daß bei solchen Merkmalen Übereinstimmung erzielt wurde, die besonders allgemeingültig sind.97 Wir haben uns daher auch darauf beschränkt, zur Illustration ausgewählte Verben des Besitzwechsels heranzuziehen, zu denen bereits relativ umfangreiche Untersuchungen vorlagen.98 Besondere Probleme ergeben sich für die Mikrostrukturdarstellung aber auch aus Merkmalen, die Bestandteil eines betreffenden Semsystems, jedoch im Hinblick auf das Semem neutralisiert, also durch ± ausgezeichnet, sind; (z. B. schnell/langsam bei gehen mit dem übergeordneten Merkmal (Geschwindigkeit)).99 Soll hier nun das Merkmal (Geschwindigkeit) eliminiert 16*

234

3. Bedeutung—Abbild

werden oder im Hinblick auf die syntagmatische Verknüpfbarkeit der Bedeutung von gehen mit schnell oder langsam als wichtige Angabe f ü r die Kombinatorik doch mit aufgeführt werden % Die Meinungen der Bedeutungsforscher hierzu scheinen noch geteilt, wobei neben einer Tendenz zur Darstellung einer minimal differentiellen Bedeutung auch eine gegenläufige, komplementäre zur Darstellung einer maximalen Mikrostruktur nachweisbar ist. F ü r beide Tendenzen lassen sich Argumente anführen; wir neigen eher einer Erfassung einer maximalen Zahl von Semen, übergeordneten Merkmalen usw. zu, die zumindest solange jeder anderen Darstellung vorzuziehen ist, wie nicht gesicherte Kenntnisse über die semotaktischen Beziehungen und damit Möglichkeiten zur Rekonstituierung von in der Strukturbeschreibung ausgesparten Semen bestehen. Da zwischen Bedeutung und Abbild ganz offensichtlich sehr enge und komplexe Beziehungen bestehen, die letztlich auf den für beide konstitutiven kognitiven Widerspiegelungselementen (Elemente, £0') beruhen, sind aus einer detaillierten Beschreibung der Bedeutungsstrukturen auch wertvolle Einsichten in die Abbildstrukturen selbst zu erwarten. Eine Beschreibung der Bedeutungsstrukturen in Termen ihrer Konstituenten ist aber nicht nur f ü r die Darstellung der Bedeutung und sprachphilosophisch erkenntnistheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Bedeutung und Abbild und im weiteren Sinne von Sprache und Denken von Bedeutung. Sie dient darüber hinaus unmittelbar praktischen Bedürfnissen, so in der kontrastiven Linguistik und Übersetzungstheorie, in der Lexikographie wie auch in der Sprachdaten- und Informationsverarbeitung. 1 0 0 Anordnung, Anzahl und Beschaffenheit der die jeweiligen semantischen Mikrostrukturen konstituierenden Seme sind synchronisch relativ invariant und gewährleisten als vergesellschaftete, gesellschaftlich-kommunikative Norm die interpersonelle Verständigung. Durch die Kommunikation und in dieser wird eine immer größere Annäherung der individuellen Kompetenzbedeutungen an die Langue- wie an die jeweiligen Ko-/Kontextbedeutungen bewirkt. Dennoch ist diese historisch fixierte — eingefrorene — Semanordnung (Sembestand) nicht unveränderlich, nicht einmal in der Synchronie; so ist sie z. B. in Prozessen der Metaphorik, aber auch im Zuge des Erwerbs und der Vergesellschaftung von neuen Erkenntnissen über die Realität in gewissen Grenzen veränderlich bzw. Umstrukturierungen unterworfen. Ihre Begründung findet diese Veränderlichkeit der Sememe, die der Sprache erst die f ü r die Kommunikation erforderliche Variabilität/Elastizität als Voraussetzung f ü r die Modellierung der objektiven Realität verleiht, unter anderem darin, daß die Realität selbst in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit existiert und die menschliche Erkenntnis „die ewige, unendliche Annäherung des Denkens an das Objekt ist, da die Widerspiegelung der Natur im mensch-

3.5. Struktur der Bedeutung

235

liehen Denken nicht 'tot', nicht 'abstrakt', nicht ohne Bewegung, nicht ohne Widersprüche, sondern im ewigen Prozeß der Bewegung, des Entstehens der Widersprüche und ihrer Lösung aufzufassen" ist [440, 185]. Als Rückwirkung der spezifischen kontextuellen und wissensmäßigen Modifikationen der Semstruktur in den Sem Varianten, den Ko-/Kontextbedeutungen bzw. zunächst in den Diskurs-/Kompetenzbedeutungen, können sich Veränderungen in der semantischen Mikrostruktur ergeben. Diese können dazu führen, daß nicht nur eine Bedeutungsveränderung (Erweiterung oder Einengung) erfolgt, sondern eine qualitativ völlig neue Mikrostruktur angenommen werden kann. Wir wollen hier nicht näher auf diese vor allem für eine diachronische Betrachtung relevanten, aber sich auch im Gefolge der Dialektik von Diachronie und Synchronie auf die Synchronie auswirkenden Faktoren eingehen 101 ; zusammengefaßt ergäben sich folgende mögliche Veränderungen: 1. Semsubstitution, 2. Semeliminierung, 3. Komplettierung durch Seme (Ergänzungen), 4. Veränderungen in der — hierarchischen — Anordnung der Seme . . . Modifikationen beruhen demnach nicht auf einer Umgruppierung der Bestandteile, sondern auch auf Veränderungen im Grundbestand der Merkmale ; durch sie wird die notwendige Anpassung der Bedeutung an die Widerspiegelung und über diese an die widergespiegelte Realität vollzogen. Das aber bedeutet, auch das Seminventar wie auch die Seme selbst werden durch fortschreitende Erkenntnis verändert, erweitert, verallgemeinert und verdichtet. Die semantischen Merkmale, Seme, wie die daraus gebildeten sprachspezifischen und sprachspezifisch Formativen bzw. Formativabbildern (F') zugeordneten Sememe als semantische Mikrostrukturen müssen beweglich, elastisch und wechselseitig verknüpft sein. In synchroner Sicht erweisen sich jedoch die L B als stabilisierender, die Kommunikation zwischen Sprechern mit den unterschiedlichsten Aj und auch Kompetenzbedeutungen gewährleistender Faktor. Natürlich gelingt dies nur über die Kontextbedeutungen völlig, bei denen weitere monosemierende Faktoren der Situation mit einfließen102, aber auch ausgewählte Seme der L B als Kontextvorgaben aktualisiert werden. Die L B weisen in der Tat neben einem Kern, der in den Kontextbedeutungen im wesentlichen invariant bleibt und bei Verben z. B. mit dem Valenzträger (VT — bestehend aus Funktor und Modifikatoren) gleichgesetzt werden kann, etwa im Argumentenbereich mit der dort häufig anzutreffenden Disjunktion im Kontext variabel belegbare Leerstellen (LS)-Vorgaben auf, die meist sehr allgemeinen Charakter besitzen und größere Kontextklassen konstituieren und deshalb als Kontextseme bzw. Klasseme bezeichnet wurden 103 . Wir

236

3. Bedeutung—Abbild

würden in diesem Zusammenhang lieber von Argumentsemen sprechen und ihnen die Funktor-/Modifikatorseme (allgemein Prädikat (or)seme) gegenüberstellen, den Terminus Kontextseme aber lieber vermeiden, da im Kontext nicht nur die oft mit diesen identifizierten Klasseme eine seiegierende Funktion ausüben. Bei der von uns nachstehend näher erläuterten Mikrostrukturdarstellung von 50 ausgewählten deutschen Verben, die der paradigmatischen semantischen Makrostruktur des Besitzwechsels im weiteren Sinne zugerechnet werden können, sind demnach recht komplexe semische Strukturen anzunehmen und kann eine Untergliederung in VT (Prädikatsseme) und Argumentseme (gemeint sind die lexikalischen Voraussetzungen im Sinne von Selektionsbeschränkungen für die Kontextmitspieler) als gesichert vorgegeben werden. Dabei weisen diese Verben gegenüber den Verben der Fortbewegung ein einfacheres Merkmalgefüge im Bereich des Valenzträgers auf, was wohl nicht zuletzt durch den widergespiegelten Sachverhalt selbst, der übersichtlicher und weniger vielfältig interpretierbar scheint, bedingt ist. Demgegenüber fällt eine größere Vielfalt und Anzahl der obligatorischen und fakultativen Argumentseme auf, wobei zu wenige empirische Untersuchungen vorliegen, um die Annahme eines umgekehrt proportionalen Verhältnisses von Anzahl der Prädikatsseme („Intension" des Prädikats) und Anzahl der Argumentseme (Extension) hinreichend zu validieren. Vorsicht vor unangebrachten Verallgemeinerungen im Hinblick auf andere Kommunikationsgemeinschaften scheint aber auch hier am Platze, da in einer L 2 abweichend von dem hier analysierten Sachverhalt durchaus auch weitere Aspekte als relevant in der Sprachgeschichte herausgestellt und in die betreffenden Mikrostrukturen „eingefroren" sein können. Abschließend sei noch darauf verwiesen, daß die Wahl von Verben zwar einem allgemeinen Trend einer bevorzugten Darstellung von Verbbedeutungen folgt, dies aber nicht bedeutet, daß z. B. nicht auch semantische Mikrostrukturen von Adjektiven und von Substantiven außerordentlich komplex sein können. In der Tat scheinen z. B. Untersuchungen zur Valenz von Adjektiven, aber auch von Substantiven 104 die von uns in 2.4.1. bereits formulierte Annahme einer prinzipiell gleichartigen Beschaffenheit von Mikrostrukturen verschiedener Wortarten nachdrücklich zu bestätigen: hier wie dort finden wir 1—n wertige Propositionen vor, lassen sich Prädikats- und Argumentseme sowie mannigfache Wechselbeziehungen zwischen ihnen nachweisen.

3.5. Struktur der Bedeutung

3.5.1. Erläuterungen zu den Mikrostrukturdarstellungen des Besitzwechsels

237

der Verben

Hinsichtlich der Darstellung der Seme und ihrer Interrelationen bestehen keine allgemeinverbindlichen Vorgaben (vgl. 4.3.). Wir haben uns in der Spalte Mikrostrukturdarstellung um eine an der Prädikatenlogik angelehnte Beschreibung des Valenzträgers bemüht und die Argumente bewußt herausgenommen und wollen damit keineswegs mehr als nur eine, sicher noch unvollkommene von mehreren Darstellungen anbieten. I n einem onomasiologischen Vorgehen wurde zudem bei allen Verben, die bewußt in ungeordneter Reihenfolge aufgeführt wurden, immer nur die Bedeutung dargestellt, die in irgendeiner Weise den zugrundeliegenden Sachverhalt des Besitzwechsels tangiert. So wurden z. B. die LB von gewinnen im Sinne von Wette, Wettkampf gewinnen ebensowenig berücksichtigt wie Wendungen, wie z. B. sein Herz verschenken, wobei z. T. solche Kombinationen ohne Berücksichtigung der Variationen in den VT-Semen unter den Argumenteintragungen vermerkt wurden. (So ist erhalten in Das Haus erhält einen neuen Anstrich z. B. kaum noch als Verb des Besitzwechsels zu deklarieren.) Zum besseren Nachvollzug wurde eine ausführliche Legende wie auch eine Beispielsammlung beigegeben, in der allerdings nicht die Vielzahl der in Gestalt der semantischen Merkmale in den Argumentangaben Vorausgesetzen, vorangelegten potentiellen lexikalischen Besetzungen (Mitspieler) mit Beispielsätzen belegt wurde. In Klammern gesetzte L E in den Beispielsätzen sollen die in den Argumentangaben vermerkte Feststellung (fak = fakultatives Merkmal) veranschaulichen, die im übrigen zusammen mit den seltenen obligatorischen Leerstellen in der Matrix durch die Auszeichnung unter X und Y bzw. durch die entsprechenden Eintragungen in der Mikrostruktur als X/Y ( = fak) bzw. X 0 , bzw. Y 0 ( = oblig) zum Ausdruck gebracht werden. Dabei wird dem aufmerksamen Betrachter deutlich, daß die Unterscheidung in fak. und oblig., d. h. die kontextuelle bzw. generelle Eliminierbarkeit (Eliminierungszwang), im Matrizenteil nicht ausgewiesen wird und die LSAngaben nicht selten ein sehr komplexes Bild bieten. Sicher hätte hier z. B. durch die Angabe von LS-Sequenzen bzw. die Aufnahme entsprechender variierter Beispielsätze die Anschaulichkeit vergrößert werden können. Aus diesem Grund auch noch einige zusätzliche Bemerkungen zur Legende selbst. Wir haben durchgehend die Ansicht zugrunde gelegt, daß als Gegenstand des Besitzwechsels, aber auch des Verfügungswechsels, so z. B. auch bei mieten, verkaufen, wegnehmen, weggeben . . . (eine Ausnahme stellt z. B. die in ihrer spezifischen semantischen Mikrostruktur nicht berücksichtigte

238

3. Bedeutung—Abbild

Wendung sie bekam ein Kind dar), entsprechend unserem gültigen Moralkodex ein (Hum) ausgeschlossen werden muß. Es leuchtet ein, daß bei Voraussetzung eines anderen soziokulturellen Kontextes (z. B . Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus usw.) diese Annahme für potentiell alle Verben ihre Gültigkeit verliert (anschaulicher Einfluß der Gesellschaft/Ideologie, des gesellschaftlichen Bewußtseins auf die Konstituierung der Bedeutungen). Diese soziokulturelle, kulturanthropologische Relevanz bestimmter Bedeutungselemente, wie auch von Bedeutungen und Abbildern allgemein, zeigt sich im übrigen auch an weiteren Verben und Merkmalen ihrer Bedeutungen; so z. B . bei stehlen, berauben, erobern usw., bei denen davon ausgegangen wurde, daß die begangene Handlung im Widerspruch zum geltenden Recht (=|= geltendes Rechtsgefühl) steht, es sich also um eine widerrechtliche Aneignung handelt und der betreffende Gegenstand de jure nach wie vor dem Bestohlenen usw. gehört (— *). Auf den sich z. B. mit der Beurteilung der Eroberung ergebenden weiten politisch-ideologischen Hintergrund sei hier gleichfalls nur verwiesen. Durch die gewählte Eintragung sollte der Unterschied zu dem sich im übrigen auch in der Spalte vol (B) als + (plus) bzw. im ersteren Falle als — (minus) manifestierenden Sachverhalt verdeutlicht werden, der in Verben wie mieten, leihen abgedeckt wird und eine temporäre Verfügung über den betreffenden Gegenstand zum Ausdruck bringt (s. auch stehlen ...), aber wohl auch im Unterschied zu oben die Anerkennung seitens A, daß das C dem B noch gehört. Als weitere Voraussetzung (moralisch-ethischer Natur) wurde im Interesse der Festlegung einer bestimmten kommunikativen Norm der Umstand berücksichtigt, daß man z. B. nur Dinge in den Besitz (rechtlich) eines anderen überführen kann (darf — vorbehaltlich juristischer Sanktionen), sei es nun als schenken, oder als verkaufen, die dem Geber gehören (also durch Poss bzw. + in der betreffenden Spalte ausgewiesen sind). Hier sind, wie weitverbreitet bei den semantischen Merkmalen, natürlich gewisse Graduierungen sowohl hinsichtlich der jeweiligen Kompetenzbedeutung wie auch hinsichtlich der jeweils bezeichneten Sachverhalte denkbar; so wird z. B . ein Vermieten eines Gegenstandes, der einer bestimmten Person nicht gehört, zwar auch moralisch bestritten (weniger stark bei verborgen ...), aber wohl nicht als juristisch zu belangender Fakt bewertet (vgl. das Zusammenwirken von Bedeutung und Sachverhaltswiderspiegelung unter 3.3. — hier juristisch fixierte Sachverhalte). Bei den Verben kaufen, verkaufen, einkaufen wurde hinsichtlich der LS davon ausgegangen, daß ein Verkäufer als Vertreter einer bestimmten Institution/ Einrichtung fungiert, der — obwohl nicht der Realität entsprechend — um Mißverständnisse zu vermeiden, stellvertretend als Besitzer gewertet werden sollte. Im übrigen wurde bei den Beispielsätzen wie auch bei der Kontrolle

3.5. Struktur der Bedeutung

239

der Intuition im Test a m eigenen Sprachgefühl wie auch a m Sprachgefühl von vier weiteren I n f o r m a n t e n davon ausgegangen, d a ß als A in der Regel „ich" eintreten u n d die Perfektform des betreffenden Verbs gewählt werden sollte. Damit hofften wir gewissen, noch nicht voll überschaubaren Kollisionen mit den internen Zeitangaben der Mikrostrukturen wie auch etwaigen Kollisionen im Sprecher/Agens/Beobachter-Tripel vorzubeugen; doch h a b e n wir — der Sprachwirklichkeit entgegenkommend — bei einigen Verben von der sonst beabsichtigten Identifizierung von Sprecher u n d Agens A b s t a n d genommen, da sich ganz einfach solche „Selbstentlarvungen" als allzu u n gewohnt ausnehmen würden (vgl. Beispiele 14—18). Die tabellarische Übersicht soll hier allein zur Illustration f ü r semantische Mikrostrukturdarstellungen ausgewählter Verben stehen; zusammen mit den unter 2.4. gegebenen weiteren Darstellungen, auch zu Substantiven, deren S t r u k t u r e n keinen prinzipiellen Unterschied zu denen der Verben erkennen lassen, machen sie deutlich, wie komplex die semantischen Mikrostrukturen sind, wie es eine prädikatenlogisch orientierte Konstituentenanalyse jedoch vermag, sehr detaillierte semantische Einsichten zu vermitteln u n d eine Mikrostrukturdarstellung zu geben. Weitergehende Schlußfolgerungen zur Synonymie, Überlegungen zur Bedeutung von solchen Präfixen wie „be", „weiter", „zurück" usw. wurden von Verf. andernorts formuliert. 1 0 5 Was an differenzierenden Semen, an sogenannten Differentia-Semen, im Bereich des V T mit den angegebenen Merkmalen nicht erfaßt werden konnte, wurde in der Tabelle — reichlich unsystematisch und willkürlich Und d u r c h a u s nicht auf Vollständigkeit bedacht — in der Spalte Sonstiges vermerkt, wobei eindeutig die Darstellung in der Matrize u n d in den Mikrostrukturen Und Argumenten gegenüber der Herausarbeitung weiterer differenzierender Merkmale im Vordergrund stand. Zwischen den VT-Semen u n d den L S Semen als — grob betrachtet — Ausdruck von B e h a u p t u n g u n d Voraussetzungen bestehen vielfältige, im einzelnen noch nicht völlig geklärte, Wechselbeziehungen. Dabei haben wir bei den untersuchten Verben eine explizite Unterscheidung zwischen F u n k t o r - u n d Modifikatorsemen (letztere als valenzirrelevante Größen ihrem theoretischen S t a t u s nach noch weitgehend unbestimmt) nicht vorgenommen. Abweichend von der durch den zugrunde liegenden Sachverhalt des Besitzwechsels (Geber-Empfänger-Gegebenes) als logische Valenz suggerierten Dreiwertigkeit finden wir in den semantischen Mikrostrukturen als semantische Valenz auch obligatorische Zweiwertigkeit u n d als Kontextbedeutungen virtuell einwertigen Gebrauch, wobei allerdings in jedem Fall das in der Oberflächenstruktur nicht lexikalisierte oder nicht lexikalisierbare Argument letztlich mitverstanden wird (Y 0 , X 0 ). Noch besonders problematisch erscheint auch die versuchte Angabe von Kasusrollen wie auch der Versuch, bestimmte Regularitäten hinsichtlich der seman-

3. Bedeutung—Abbild

240

tisch-funktionalen Charakteristik der L S sowie eines vom VT zugelassenen bzw. „verhinderten" Rollentausches usw. postulieren zu wollen.106 Immerhin wollen wir nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß nicht nur die Anzahl der LS, sondern auch deren semantische Besetzbarkeit weitgehend vom VT, von den Behauptungssemen, letztlich vom Sachverhalt bzw. von den aus dem Denotatswissen heraus für möglich/unmöglich gehaltenen Sachverhaltsnuancierungen, determiniert wird und auch zwischen den LS A und L S p / 0 / E usw. bestimmte, vom konkreten VT vermittelte, (u. U. aber auch auf generelle Beziehungen des Sachverhalts bzw. Denotatswissens rekurrierende) Relationen angenommen werden können.

3.5.1.1. Legende zur Tabelle der Verben des Besitzwechsels (siehe beiliegende Falttabelle) 1. Prädikatsmerkmale: Posa (A, C) — lies: ein Argument A hat ein C als Eigentum Posa (A, D) — lies: ein A hat ein D als Eigentum, und dieses ist eindeutig als eine bestimmte Summe Geldes bestimmt. Poss (A, X ) — lies: ein A ist Eigentümer eines Gegenstandes, der im Satz nicht unbedingt ausgedrückt zu sein braucht (fakultative bzw. auch obligatorische Leerstelle) Poss i ß ' D) > — liesPoss ( B ' X ) i '

e ' n -^• r 8 ument ® ist Eigentümer eines C, D, X (verstanden als fakultative oder obligatorische Leerstelle)

Poss (Y, C) — lies:

ein fakultativ bzw. obligatorisch nicht ausgedrücktes Argument Y ist Eigentümer von C, D ; handelt es sich um eine fakultative Leerstelle, so ist Y = B ; handelt es sich um eine obligatorische Leerstelle Y 0> kann für Y nicht in jedem Fall eine eindeutige Angabe erfolgen. ein Y ist Eigentümer eines von einem konkreten Exemplar der Klasse C unterschiedenen Exemplars der gleichen Klasse als Ci

Poss (Y, D)

Poss (Y, C4) — lies:

A vol

— lies:

ein Argument A will/beabsichtigt

eine bestimmte Hand-

lung (Eintragung j +| in der Spalte („schenken, wegwerfen")) ; ist ein | — | angegeben, so bedeutet dies, daß die Handlung gegen den Willen/ohne Wissen von A erfolgt; („verlieren"); ist B vol tj =

— lies:

jlfcj eingetragen, so ist beides möglich

vgl. A vol Angabe von in der Regel zwei, in einigen wenigen Fällen drei .Zeäiebenen

3.5. S t r u k t u r der B e d e u t u n g

Sonstiges

241

t j — gibt einen Z e i t p u n k t an, der vor einem Z e i t p u n k t t 2 usw. liegt. I n der semantischen M i k r o s t r u k t u r d a r s t e l l u n g w u r d e die zeitliche Abfolge d u r c h die A n g a b e n t ¡ sowie t ¡ + k u n d in wenigen Fällen ( „ u m t a u s c h e n " , „ z u r ü c k k a u f e n " usw.) t i + i bzw. d u r c h t ¡ u n d die Z e i t a n g a b e n t¡_]£ u n d t¡_i symbolisiert, wobei d u r c h diese Schreibung eine gewisse G-erichtetheit z u m A u s d r u c k g e b r a c h t wird — im ersten Fall von A f o r t / -•/, im zweiten auf A zu /— /. N i c h t zufällig wird eine qualitative B e s t i m m u n g der A r g u m e n t e in einem t¡ vorausgehenden Z e i t p u n k t , also e t w a in t t bei zwei — oder drei — dimensionalen Y e r b e n ä u ß e r s t problematisch (im wesentlichen m ü ß t e sie m i t der aktuellen bei t2(3) übereinstimmen), u n d in d e r Tabelle wird d a h e r darauf verzichtet. = A n g a b e v o n durch die bisherigen E i n t r a g u n g e n n i c h t e r f a ß t e n Spezifika der B e d e u t u n g .

2. B e m e r k u n g e n zur K l a m m e r s c h r e i b u n g : = p r ä d i k a t enlogisch-lineare Darstellung der in der M a t r i x durch + HAVE habere Poss a)

HAVE bzw.

b)

Poss

u n d | — | sowie ± beschriebenen B e d e u t u n g e n

= besitzen oder V e r f ü g u n g = h a b = über etwas verfügen = E i g e n t ü m e r sein b e d e u t e t Verneinung des Sachverhalts, d. h., d a ß bei a) e t w a s weder E i g e n t u m n o c h z u r V e r f ü g u n g ist („verlieren" . . .) u n d bei 6) e t w a s n i c h t E i g e n t u m ist.

3. A r g u m e n t a n g a b e n : A = ein d u r c h semantische Merkmale n ä h e r zu b e s t i m m e n des A r g u m e n t A = S u b s t a n t i v i m N o m i n a t i v (Sn) — vgl. in der Beispielsammlung; A in d e r Regel = „ i c h " . B/Y=fak = ein A r g u m e n t B bzw. — w e n n dieses n u r f a k u l t a t i v besetzt wird — als Y bezeichnet, m i t der e n t s p r e c h e n d e n Spezifizierung hinsichtlich semantischer M e r k m a l e wie a u c h semantisch-funktionaler Kasusrollenangaben. Y0 =oblig = obligatorische Leerstelle, d. h . i m K o n t e x t in der Regel n i c h t besetzt/nicht besetzbar. D a b e i gilt f ü r B wie Y / Y 0 , d a ß wir p r i m ä r den potentiellen E m p f ä n g e r (also H u m ) i m A u g e h a b e n ; ihnen e n t s p r i c h t in der s y n t a k t i s c h e n D i s t r i b u t i o n entweder ein S u b s t a n t i v im D a t i v (Sd) bzw. eine präpositionale E r g ä n z u n g (pS). C/X =fak = vgl. B / Y XQ = oblig = vgl. Y 0 ; hierbei h a n d e l t es sich u m ein S u b s t a n t i v im A k k u s a t i v (Sa), d a s semantisch als d a s Gegebene ( = das,

242

3. Bedeutung—Abbild

was den Besitzer wechselt) bestimmt ist — (daher im allgemeinen n u r —Hum). 4. Bemerkungen zu den Eintragungen in der Matrix:

@ B

ein | ± |

in den Spalten Foss bedeutet, daß eine echte Besitz* relation (Besitz de facto und de jure) besteht. in den Spalten Poss bedeutet, daß sowohl ein Besitz, sowieauch nur ein Verfügen über den betreffenden Gegenstand möglich ist. in den Spalten unter Poss (A, C)/(A, X ) bzw. unter Poss(B, C), (B, X) bzw. (Y, C), (Y, C t ) soll zum Ausdruck bringen, daß der betreffende Geber/Empfänger rechtlich, also de jure, Eigentümer des Gegenstandes bleibt, de facto aber nicht über ihn verfügt (z. B. vermieten, l e i h e n . . . ) ; finden wir beispielsweise bei „vermieten" unter Poss (A, C) Und unter Poss (A, X) = Geber ein | — * | so ergibt sich für den Empfängerbereich unter Poss (Y, C> automatisch hab

ihab

HAVE

soll in den Spalten Poss verdeutlichen, daß es sich jeweils nur u m ein Verfügen über den Gegenstand des Besitzwechsels handelt. in den Spalten Poss zeigt an, daß A bzfr. B / Y den betreffenden Gegenstand des Besitz/Eigentumswechsels nicht — nicht mehr oder noch nicht als Eigentum haben, aber auch nicht darüber verfügen.

3.5.1.2. Beispielsammlung (in K l a m m e r n f a k u l t a t i v e Angaben bzw. Ergänzungen) 1. Ich habe ihm das Buch gegeben. 2. Ich habe (ihm) den Kaffee gereicht, (nicht „Hand", da es sich hier nicht u m Besitzwechsel handelt!) 3. Ich habe das Hemd umgetauscht, (weil es mir zu klein war) (C=Ware=Ct) 4. Ich habe mir die Ersatzteile beschafft, (gegen oder ohne Entgelt) 5. Ich habe meinen Neffen enterbt. 6. Die Soldaten haben die Stadt besetzt. 7. Die Soldaten haben die Stadt erobert. (In beiden Fällen wurde angenommen, daß es sich um einen unrechtmäßigen Akt der Besitznahme handelt, was aus klassenmäßiger Sicht u. TJ. anders bewertet wird.) 8. Ich habe mich des belastenden Materials entledigt, (s. eines Menschen ~ = umbringen/hier nicht berücksichtigt)

3.5. Struktur der Bedeutung 9. 10. a) b) 11. 12. .13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.

243

Ich habe das Schriftstück weggeworfen. Ich habe den Schlüssel verloren. Ich habe (im Spiel) (eine höhere Summe) (an ihn) verloren. Ich habe ihr das Wasser weggenommen. Ich habe mich der Waffe bemächtigt. Ich habe (Butter, B r o t . . .) eingekauft. ( Y =Verkäufer bzw. Institution des Handels) E r hat (ihm) (den Schmuck) gestohlen. E r hat die Kasse/die B a n k /ihn/ ausgeraubt. E r hat ihn (seines Geldes,/(seiner Ehre)) beraubt. E r hat ihn bestohlen. E r hat (ihm) (das Fahrrad) geklaut. Ich habe ihm das Haus vermacht. Ich habe ihn beerbt. Ich habe es ihm vererbt. Ich habe (ein Haus/Schulden) geerbt. Ich habe (ihm) (das Pferd) verkauft. Ich habe ihm das B a d abgekauft. Ich habe ihm das Radio geborgt. [*] Ich habe das Zimmer/Auto gemietet. [*] Ich habe das B o o t . . . (an ihn) vermietet. [*] aber: a) Ich habe vermietet. ( = immer das Zimmer) b) Ich habe an ihn vermietet Ich habe (ihm) den Preis verliehen. Ich habe ihm das Buch geliehen. [*] Ich habe (mir) die Sportgeräte ausgeliehen, (eventuell auch ohne Entgelt, z. B . Bücher) [»] Ich habe mein Radio (an ihn) verschenkt. Ich habe das Gemälde/[die Kenntnisse] (von ihm) erworben, (gegen oder ohne Entgelt) loh habe (ihm) das Buch zurückgegeben. Ich habe (ihm) das Schreiben ausgehändigt. Ich habe (ihm) das Beglaubigungsschreiben/den Hof übergeben. Ich habe (das Auto) gekauft. Ich habe (im Lotto) (1000 M) gewonnen. [Ich habe (den 100-m-Lauf) gewonnen = nicht berücksichtigt, da es sioh nicht um Besitzwechsel handelt.] Ich habe (ihm) die Urkunde überreicht. Ich habe (ihr) Blumen geschenkt. Ich habe den Hund/das Lexikon weggegeben. Ich habe den Brief erhalten. Ich habe das Paket bekommen. E r hat mir das Geld vorenthalten. Ich habe den Projektor (an einen Kollegen) weiterverkauft. ( Y 4= Y t ) Ich habe (Blut/Geld) gespendet.

244 46. 47. 48. 49. 50.

3. Bedeutung—Abbild

Ich habe meine Uhr versetzt. Sie haben (die Stadt) geplündert. Ich habe sie (mit einem Collier) beschenkt. Sie haben die Stadt zurückerobert. Ich habe das Gerät zurückgekauft.

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen Untersuchungen der Beziehungen der Langue-Bedeutungen im Rahmen sogenannter Felder, Synonymgruppen usw. also systemhafter Beziehungen im Wortschatz, dienen nicht nur der exakteren Beschreibung der jeweiligen Mikrostrukturen selbst, der Herausarbeitung systembildender distinktiver und gemeinsamer Merkmale (Differentiaseme und Genusseme, differenzierender und identifizierender Merkmale. 107 Eine Analyse dieser systemhaften LB-Beziehungen und ihrer semantisch relevanten Untergruppen (LB-LBBeziehungen), der paradigmatischen semantischen Makrostrukturen, ermöglicht auch die Überprüfung der intersememischen Gültigkeit von SemSem-Beziehungen (vgl. 4.4.). Unter diesem Gesichtspunkt und auch, weil z. B. bei der Untersuchung von Sachgruppen grundlegendere Fragen der Beziehung von Abbild und Bedeutung berührt werden, stellen die folgenden Betrachtungen zu den paradigmatischen semantischen Makrostrukturen eine sinnvolle Abrundung unserer bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Abbild und Bedeutung dar. Die paradigmatischen semantischen Makrostrukturen als Untermenge der Gesamtheit der systemhaften Beziehungen von L E in der Lexik, zu der u. a. auch die Wortfamilien, Wortzeichenfelder usw. zu zählen wären, könnten unter Bezugnahme auf die Bestimmung der semantischen Mikrostruktur als geordneter Menge von Semen(s) semantische Mikrostruktur sMi = Stög Sj n als eine geordnete Menge — nunmehr von semantischen Mikrostrukturen (S)— bezeichnet werden, die in vielfältiger Interrelation zueinander stehen: semantische Makrostruktur sMa = 9J£g S, >m Noch sind in der Regel nicht einmal diese Teilstrukturen/Systeme hinreichend beschrieben, geschweige denn Versuche unternommen worden, auf ihrer Grundlage übergreifende Systembeziehungen der Makrostrukturen untereinander zu ermitteln und damit den gesamten Wortschatz hinsichtlich der zugrunde liegenden systematischen LE-Beziehungen zu beschreiben. Ausgewählte semantische Makrostrukturanalysen, die auf semantischen Mikrostrukturdarstellungen beruhen, zugleich aber auch zu deren vertiefter Er-

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen

245

fassung beitragen 108 , lassen vermuten, daß neben hierarchischen Subordinationsbeziehungen auch Koordinationsbeziehungen, nicht nur zwischen den LE, sondern auch von Makrostruktur zu Makrostruktur, vorliegen und die Vermittlung z. B. über eingelagerte „systemfremde", selbst aber z. B. ein Teilsystem bildende Bedeutungsmerkmale erfolgt (ein Merkmal ist z. B. zugleich das Archisemem (Oberbegriff) eines anderen LE-Systems); wir verweisen in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf unsere Untersuchungen zu den Verben der Fortbewegung [849, 185ff.] z. B. auf das Merkmal (Instrument), das durchaus als Hyperonym wie auch Archisemem selbst wieder eine lexikalische Untergruppe als Subsystem charakterisieren kann. Einen interessanten, ausbaufähigen Gedanken von A. Ja. Säjkevic [671] aufgreifend, sollte überlegt werden, ob nicht die vorhandene Systemhaftigkeit in der Lexik in Gestalt eines Netztes erfaßt werden könnte, wobei auch Beziehungen über mehrfache Vermittlungen (Knotenpunkte als semantische Merkmale) verlaufen könnten. Im Interesse einer Beschreibung der Lexik einer Sprache mit dem Ziel der Aufdeckung einer ihr innewohnenden Ordnung, der semantischen Struktur des Wortschatzes, ist in jedem Fall eine semantische Mikrostrukturanalyse erforderlich, die ihrerseits trotz bereits erzielter Teilerfolge bei Konstituenten- und prädikatenlogischen Beschreibungen ausgewählter LE und Teilbereiche noch immer keine hinreichend gesicherte Grundlage bieten. 109 Es leuchtet angesichts des insgesamt noch unbefriedigenden Erkenntnisstandes der semantischen Analyse ein, daß es nicht leicht fällt, gültige Aussagen über die Systemhaftigkeit der Lexik zu fällen, wo doch selbst eine Bestimmung der semantischen Nähe/Ferne noch Schwierigkeiten bereitet bzw. in den Anfängen steckt, ganz abgesehen von Übereinstimmungen und Differenzen der einzelnen LE, die eine bestimmte Makrostruktur bilden. Bei einer Beschreibung der Semem-Semem-Beziehungen auf der Ebene der Langue (genauer der LB-LB-Beziehungen) könnten im wesentlichen folgende Interrelationen herausgestellt werden: I. Intersektion 1. Als Sonderfall der Intersektion absolute Identität von semantischen Mikrostrukturen, die unterschiedlichen Formativen, z. B. F t und F 2 , zugeordnet sind; graphisch ausgedrückt: Semkonfigurationen (SK) SK t = SK 2 , was dem in praxi wohl zu bezweifelnden Vorhandensein einer absoluten, vollkommenen Synonymie auf der Ebene des Systems gleichkäme; Beispiel: ascenseur, lift. 2. Kein gemeinsamer Durchschnitt der SK t und SK 2 liegt vor; dieser zweite Sonderfall einer Intersektion (Exklusion) muß hier unbeachtet bleiben; er trifft — bei Zuordnung nur eines Formativs — den Sachverhalt der Homonymie, bei Annahme unterschiedlicher F z. B. LE wie Haus und singen.

3. Bedeutung—Abbild

246

3. Es liegt ein gemeinsamer Durchschnitt von SK^ und S K 2 vor, wobei beide Merkmale aufweisen, die sich unterscheiden. Dabei sind vor allem die gemeinsamen Seme, aber auch die Abweichungen als Gradmesser für die Bedeutungsähnlichkeiten zu werten; ist jedem S K ein unterschiedliches Lautbild zugeordnet, so handelt es sich um synonyme Zeichen, ist ihnen nur ein gemeinsames Lautbild zugeordnet, so sprechen wir von einem polysemen Zeichen; (vgl. hierzu bes. J u . D. Apresjan [36], der Synonyme von Quasisynonymen unterscheidet sowie die sinnvolle nähere formale Differenzierung als Syn n , Syn 0 , Syn-, durch I . A. Mel'cuk [528]). Beispiel: für Polysemie doux, louer . . . I I . Inklusion Sind alle Bestandteile von S K t als inkludierter Teil auch dem S K 2 immanent, das darüber hinaus noch weitere unterschiedliche Seme aufweist, so sprechen wir von Inklusion; wenn S K t nur ein S K 2 nicht gleichfalls immanentes Sem aufweisen würde, so hätten wir es mit Intersektion (I) zu tun; in jedem Falle aber würde es sich um eine hochgradige Synonymie handeln (partielle Identität). Beispiel:

dominer

maîtriser

dissiper

gaspiller

I I I . Exklusion Hierfür lassen sich am ehesten die sogenannten Antonyme anführen, die in letzter Zeit insbesondere von J . Lyons 1 1 0 und J u . D. Apresjan [36] noch näher aufgegliedert wurden, denen aber insgesamt eigen ist, daß es sich um semantische Mikrostrukturen mit einem oder evtl. auch mehreren einander anschließenden (konträren, kontroversen, oppositionellen usw.) Semen handelt. jeune — vieux; bon — mauvais I V . Implikation Hierbei handelt es sich in der Regel um Beziehungen zwischen semantischen Mikrostrukturen, von denen die eine als der Oberbegriff, als hierarchisch übergeordnete Einheit, die untergeordnete impliziert, wobei diese Beziehung durchaus umkehrbar ist. Nach T. Schippan sind solche Semem — Semembeziehungen nicht unter Synonymie zu fassen, nach E . Agricola [3,106] konstituieren sie den Unterfall der „partiellen Synonymie" (Hyperonym — Hyponym — Beziehungen). Dabei bildet sich, wie z. B . bei fleur = Hyperonym ->-tournesol, rose, oeillet..., als Hyponyme 111 eine Beziehung von artgleichen Elementen zu einer Gattung, die durch ein Semem als Hyperonym repräsentiert wird. „Die Relation zwischen einem Hyperonym-Semem und einem Hyponym-Semem kann Ausdruck der verschiedensten logischen Verhältnisse sein, etwa: Ganzes—Teil, Allgemeines—Spezielles, Konstante—

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen

247

Variante, Gesamtheit — Element usw." [8,106] Damit liegt auch hier eine mengentheoretisch beschreibbare Beziehung von semantischen Mikrostrukturen vor, die große Ähnlichkeit mit der Inklusion aufweist, wobei das Hyperonym unter Umständen dem vonB.Pottier als gemeinsamer Durchschnitt von n > 1 Sememen bestimmten Archisemem sehr nahe kommt, es sich also um eine Archisemem — Semem — bzw. eine Archilexem — Lexembeziehung handelt. Bereits aus diesen kurzen, sicher noch unvollständigen Bemerkungen wird die Vielgeschichtigkeit und Verwobenheit der semantischen Makrostruktur, zugleich aber auch die Bedeutung semantischer Mikrostrukturanalysen für deren exakte Beschreibung offensichtlich. Andererseits ist es einleuchtend, daß eine auf den Makrostrukturbeziehungen basierende Bestimmung der semantischen Mikrostrukturen zu einer vertieften Beschreibung sowohl der gemeinsamen wie auch der abweichenden Merkmale der einzelnen Sememe wie auch zu einem gemeinsamen minimalen Bestand von Merkmalen und zu einem endlichen maximalen Bestand an differenzierenden Merkmalen führen kann. Es kann unter diesen Umständen nicht verwundern, daß einige Teilbereiche mit deutlicher innerer Struktur (z. B. Verwandtschaftsbezeichnungen, Dimensionsadjektive, Verben der Fortbewegung, des Besitzwechsels . . . ) bevorzugt untersucht wurden, wobei sich die dialektische Wechselbeziehung von semantischen Mikro- und Makrostrukturen, ihre wechselseitige Bedingtheit und Beschreibbarkeit als theoretisch begründet wie folgt in nachstehender tabellarischer Übersicht belegen läßt. Wir erachten es im Rahmen unserer Aufgabenstellung für ausreichend, wenn wir im folgenden einige solcher Makrostrukturen in ungeordneter Folge zusammenstellen und nur zu ausgewählten Erscheinungen kurz Stellung nehmen, wobei im einzelnen semantische Aspekte unterschiedliches Gewicht besitzen. Denn einerseits liegt zu Einzelproblemen eine umfangreiche Literatur vor 112 , zum anderen — und dies ist hier entscheidend — erbrächte eine ausführlichere Betrachtung, etwa der Synonymie, Felder oder Antonymie, hinsichtlich der Bestimmung der Bedeutung nichts prinzipiell Neues, wenn auch vertiefte Einsichten in die konkreten semantischen Mikrostrukturen den heuristisch-methodischen Wert einer Beschäftigung mit den paradigmatischen Makrostrukturen erhärten. Bezeichnung Explikation der der Systembeziehung Beziehungen

Beispiele

1. Homonymie

Gemeinsame F' (relevante Unterschiede in Bedeutungen)

Bremse, schwimmen; voler . . .

2. Polysemie

einem F' entsprechen mehrere Bedeutungen, die 1 . . . n Elemente gemeinsam haben

Fuchs, schwimmen (Fähigkeit/Aktion)

17 LorenzAVotJak

248

3. Bedeutung—Abbild

Bezeichnung der Systembeziehungen

Explikation der Beziehungen

Beispiele

3. Synonymie

gemeinsame BedeutungsLift, Aufzug, elemente bei unterschiedlichen F ' Fahrstuhl. . . (nS!... n )

4. territoriale/ soziolektale Dubletten

gemeinsamer begrifflichreferentieller Kern, aber L E unterschiedlichen funktionalen Sprachen zugehörig

5. Antonymie

gewisser gemeinsamer Bestand beau — joli — laid an Semen neben weiteren exklu- bon-mauvais dierenden/privativen usw. Semen klein-groß . . .

6. Kollokationen

typische, usuelle, rekurrente Zu- pénal code/rigid sammenvorkommen, code (M. Joos [344]) Verknüpfungen von L E

7. Teil-von-Relationen als Teil der Pertinenzrelationen

Teilinklusionen/Intersektionen

Finger c Hand c Arm c Körper c Mensch . . .

8. wesenhafte Bedeutungsbeziehungen (semantische Valenzen. (Porzig)

Implikationen, z. B . hinsichtlich Bedeutung der Mitspieler, aus Verbbedeutung (VT)

gehen - ( F u ß ) , küssen -»(Lippen)

9. Intensitätsstaffeln

Angabe zunehmender/abnehmender Quantität hinsichtlich eines Merkmals in Synonymen (vgl. Magn bei I. A. Mel'öuk [626])

kühl-kalt-lauwarmwarm-heiß . . .

10. Schlüsselwörter (mots-clés)

quatre-vingt-dix/ nonante . . . Schlachter, Metzger . . .

charakteristische Begriffe für Menschenrechte ; größere Zusammenhänge (polifriedliche Koexistenz tische Epochen) — vgl. [505 a] Matorf [605a], I. A. Mel'öuk [526]; Ideologeme bei A. Neubert [563]

11. Lexiko - semanti- Assoziationsreihen, semantische Verwandtschaftssche Subsysteme wie morphologisch-phonologische beziehungen, Verben (vgl. 12-14) Gemeinsamkeiten (Oberbegriff des Besitzes und Be-

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen Explikation der Beziehungen

Beispiele

Element-Klasse Beziehungen als Teil der Pertinenzrelation

für viele Beziehungen) vgl. A. A. Ufimceva [773], M. D. Stepanova [761]

sitzwechsels, Verben der Fortbewegung

thematische Reihen/ Sachgruppen

durch außersprachlich-thematischen Zusammenhang des Bezeichneten (Denotats) determinierte Beziehungen; Aufgliederung eines Sachbereichs aus Denotatswissen, Dornseiff [153]; Hyperonym-Hyponymbeziehungen

Buch, Broschüre, Zeitung; Gebäude, Schuppen, Villa, Hotel, Fabrik, Bauwerk

Bezeichnung der Systembeziehungen

12.

249

13. Begriffsgruppen/ Begriffssysteme (Hallig/Wartburg [259], Roget-Thesaurus . . .) 14. Felder

a) assoziative, Bally [56] b) Wortzeichen/Sprachfelder, G. Müller [544] c) morphosemantische Felder/ Kombination morphemat. und semant., Guiraud [246] d) Begriffsfelder (Sinnbezirke), Trier [767, 768] e) Bedeutungsfelder/semantische Felder, Oksaar [574], Ipsen [325 a]

15. logische Beziehungen (übergreifende Beziehungen, durchdringen vorangehende)

a) Konjunktion/Koordination b) Subordination-Implikation/ Dominanz (Redundanzregeln...) c) Intersektion d) Exklusion e) Inklusion

E s würde zu weit führen, sollten im folgenden alle in der Tabelle aufgeführten Unterarten semantischer Makrostrukturen näher beschrieben werden; dies ist insbesondere für die Erscheinung der Synonymie und Antonymie anderen17»

250

3. Bedeutung—Abbild

orts 113 sehr ausführlich geschehen; wir wollen uns daher hier kurz den Feldern und den unter 12—14 aufgeführten Erscheinungen der sogenannten thematischen Reihen, Begriffsgruppen (-systeme) und Sachgruppen sowie Felder zuwenden, weil — wie bereits aus den knappen Angaben ersichtlich — hier weitere Aufschlüsse auf das Verhältnis inner- und außersprachlicher Elemente bzw. von Bedeutung/Bedeuten und Sachverhaltsbezug/Denotationskenntnis (enzyklopädisches Wissen) erwartet werden können. Zunächst einige Bemerkungen zu den Feldern. Die unter „Feldtheorie" zusammengefaßten Versuche der Beschreibung von Sprachfeldern, Begriffsfeldern (d) und Bedeutungsfeldern (e) weisen untereinander vielfältige Wechselbeziehungen auf und lassen die Feldtheorie, die nicht unwesentlich zur Befruchtung des Strukturdenkens in der Lexikologie beigetragen hat, als sehr heterogen erscheinen. Dabei spielt die Dreiteilung in Wortzeichen-, Bedeutungs- und Begriffsfelder u. E. in signifikanter Weise die bei der Bedeutungsanalyse herausgestellten Ebenen des Zeichenkörpers (Formativs), des Zeichens als dialektischer Einheit von Ausdruck und Inhalt wie auch des Inhalts (Semems) wider, der entweder als Bedeutung oder aber als Begriff interpretiert wurde. 114 Durchaus nicht alle Feldanalysen sind in gleicher Weise für die hier interessierende Darstellung paradigmatisch-inhaltlicher Beziehungen von Sememen interessant. Letzteres trifft vor allem auf die Untersuchungen zu den WortZeichen- bzw. Sprachfeldern zu, die bislang kaum Beachtung gefunden haben und mit dem Namen G. Müllers [544] verknüpft sind. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang aber auch der sich von den Bedeutungsfeldern und der zu ihrer Beschreibung verwendeten Methoden deutlich abhebende Versuch Ju. D. Apresjans [33], semantische Felder durch eingehende asemantisch-formale Distributionsanalysen zu ermitteln. Durch semantische Kontextanalysen ergänzt, können solche mikrolinguistischen Ermittlungsprozeduren nicht nur zur Beschreibung der jeweiligen Mikrostrukturen, sondern in gewissem Umfang wohl auch zur Ermittlung von sich in Distributionsregularitäten und -gemeinsamkeiten niederschlagenden intersememischen Beziehungen dienen. 115 Wie auch Apresjan, wenn auch mit unterschiedlicher Zielstellung, wendet sich G. Müller vor allem den syntagmatischen Makrostrukturen (Sememkombinationen im Satz/Text) zu, wenn er auf den insbesondere für die Spracherlernung bedeutsamen Umstand aufmerksam macht, daß es beim korrekten Sprachgebrauch vor allem auf die Kenntnis der den sprachlichen „Lebensraum" einer lexikalischen Einheit bildenden Sprachgewohnheiten ankäme [544,157]. Diese Sprachfelder, die wesentlichen Anteil an der Herausbildung von Sprachgewohnheiten haben, die gewissermaßen „im Schlafe" zur Verfügung stehen, besitzen aber auch für die semantische Theorie insofern

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen

251

Bedeutung, als sie auf eine bislang in der semantischen Analyse der syntagmatischen Makrostrukturen wenig beachtete Erscheinung a u f m e r k s a m machen. I n der T a t können die den Sprachfeldern zugrunde liegenden Semem-Lexembeziehungen möglicherweise nicht allein aus den semantischen Mikrostrukturen und ihrer Kombination im Satz motiviert werden. 1 1 6 Dabei handelt es sich bei den „Sprachfeldern" im Unterschied etwa zu Sperbers Konsoziationen durchaus nicht u m subjektive Erscheinungen; ihre Beschreibung als Erscheinungen der Norm im Sinne Coserius (vgl. die ^ - p a r o l e von K . H e g e r [288]) bildet daher zu Recht den Gegenstand linguistischer Analysen. Auch die u. a . von Porzig [613] mit seinen elementaren Bedeutungsfeldern (wesenhaften Bedeutungsbeziehungen) aufgezeigten Lexembeziehungen ragen aus der Reihe der Analysen heraus, die die Untersuchung inhaltlicher Beziehungen von bedeutungsverwandten Einheiten zum Gegenstand haben, ohne dabei, wie die Begriffsfeldtheorien, von apriorisch ausgegliederten Feldern auszugehen. 1 1 7 Die von W. Porzig aufgezeigten usuell-überindividuellen u n d zudem „wesenhaften" Bedeutungsbeziehungen weisen sehr f r u c h t b a r e Ansätze zu einer Aufdeckung des Mechanismus auf, der bei der Verknüpfung lexikalischer Einheiten im Satzkontext wirksam wird. U n t e r Hinweis auf die wesenhaften Beziehungen zwischen gehen u n d Füßen oder etwa auch bellen u n d Hund lenkt Porzig die Aufmerksamkeit auf sememinterne Strukturkomponenten. Diese fordern insbesondere bei Verben gewissermaßen automatisch u n d obligatorisch die angeführten Substantive (Argumente) als Subjekt bzw. Objekt oder aber auch als nicht unbedingt mitgenanntes, aber mitverstandenes I n s t r u m e n t (Lippen, F ü ß e . . .) u n d bei den gesuchten Beispielen allgemein n u r diese. Von hier aus ist es nicht mehr weit zu den Gebrauchsbedingungen und semantischen Valenzen E . Leisis [437] u n d von dort zu den allgemeinen Selektionsrestriktionen (Klassemen von Pottier, Kontextsemen von Greimas), Argumentsemen usw. der modernen semantischen Theorie. D a r a n ändert auch der U m s t a n d nichts, d a ß die von Porzig aufgedeckten Beziehungen zwischen Sememen, vor allem Verb (Prädikat) + Argument (Subjekt, Objekt), eigentlich tiefere semantische S t r u k t u r beziehungen des P r ä d i k a t s darstellen. I n der T a t handelt es sich bei den gewählten Beispielen u m spezifische semantische Valenzen — u n d zwar in der Regel u m die einzig möglichen konkreten lexikalischen Belegungen der inhärenten semantischen Konstituenten der Verbbedeutung (Argumente) selbst (eigentlich intrasememische Beziehungen). D a m i t aber n e h m e n die elementaren Bedeutungsfehler eine Sonderstellung innerhalb der anderen Bedeutungsfeldanalysen ein. Letztere sind auf eindeutig intersememische Beziehungen paradigmatischer Art ausgerichtet u n d unterscheiden sich von den Begriffsfeldanalysen im wesentlichen durch ihr semasiologisches Vor-

252

3. Bedeutung—Abbild

gehen und die Ablehnung einer Existenz vorgegebener festumrissener Begriffsfelder, also auch der Verabsolutierungen und philosophisch unhaltbaren Grundpositionen etwa der Trierschen Konzeption. 118 Was im folgenden zu den bedeutendsten Erkenntnissen der sich selbst zur Lehre von den Begriffsfeldern (Sinnbezirken) rechnenden Untersuchungen festgestellt werden soll, gilt mit in der Regel nur geringfügigen Abwandlungen auch f ü r nicht wenige Analysen der Bedeutungsfelder, weil Bedeutung und Begriff in dem dort zugrunde gelegten Verständnis weitgehend deckungsgleich sind. Hinzu kommt, daß neuere Untersuchungen, die sich offiziell auf Trier und nicht etwa auf die insgesamt weit weniger bekannte und verbreitete Theorie der Bedeutungsfelder berufen, die offensichtlichen Unzulänglichkeiten der Trierschen Konzeption erfolgreich zu überwinden bemüht sind. Dabei gehen sie nicht selten zu einer mehr onomasiologischen Betrachtungsweise bzw. auch zu einer semasiologisch und syntagmatisch orientierten Untersuchung über. 119 Bekanntlich betrachtet Trier die Sprache als ein geordnetes Ganzes, aus dem sich apriorische Sinnbezirke ergliedern würden, die keine körperlich wahrnehmbare Erscheinungsform in äußerer Lautung besitzen, „deswegen aber nicht weniger wirksam sind, nicht weniger einwirkend auf den Sinn des Wortes, nicht weniger dem Bewußtsein zugängig" [767, 4]. Das Einzelzeichen erhält nur innerhalb der Gesamtheit der zum gleichen Begriffsfeld gehörigen Zeichen seine Bedeutung: für sich allein jedoch ist es nach Trier bedeutungslos. Die Bedeutung der Glieder des Wortzeichenfeldes, d. h. die ihnen entsprechenden Ausschnitte aus dem Begriffsfeldganzen, ergäben sich mithin aus der Beziehung dieses Gliedes zu allen anderen Wortzeichen des gleichen Feldes. Also nicht im Satzzusammenhang ist wirklicher Sinn des Wortes, sondern dieser wirkliche Sinn finde sich ausschließlich — und hierin zeigt sich deutlich die Verabsolutierung der Paradigmatik — im objektiven, in der Sprache überlieferten und den Sprechern und Hörern gleichermaßen gegenwärtigen Ganzen des Begriffsfeldes. Durch Reihung und Zusammenfügung, wie es die vom Wort ausgehende Bedeutungsforschung versucht habe, ergäbe sich nie ein Ganzes. Die Wortinhalte existierten nur als Glieder des Sprachinhalts, der von der betreffenden Sprache gesetzt werde [768, 175,184,187]. Gegen die im übrigen von den modernen Begriffsfeldanalysen beträchtlich abgemilderte Behauptung, daß das Einzelwort nur im und durch das Feldganze Bedeutung besitze, sind von mehreren Forschern bereits zu Recht Einwände erhoben worden. Dabei fehlt es wiederum nicht an Verabsolutierungen, so z. B., wenn behauptet wird, daß es ein Bedeuten nur im konkreten Kotext/Kontext gebe.12» Er soll hier nicht den einzelnen Gegenargumenten, insbesondere auch gegen-

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen

253

über der neohumboldtianistischen philosophischen Grundkonzeption, im einzelnen nachgegangen werden. Vielmehr wollen wir uns auf eine knappe resümierende Darstellung der Wechselbeziehungen zwischen semantischen Mikrostrukturen und Feldern als einer Untergruppe möglicher semantischer Makrostrukturen paradigmatischer Art beschränken. Es scheint erwiesen, •daß ein auf Grund seiner Bedeutung einem bestimmten Feld F ( als einer Menge -öl von Elementen (Lexemen) £ l n in absentia zuordenbares Zeichen £ k in einem konkreten Satzkotext Ck, d. h. in einer ganz spezifischen Verknüpfung mit 1 . . . m Zeichen in präsentia, die jeweils bestimmten Begriffsfeldern zuzurechnen wären und gewissermaßen das „kotextuelle Feld" für £ k bilden, seine Bedeutung nicht nur oder gar ausschließlich aus dem Strukturlietz des gesamten Begriffsfeldes erhält, dem es angehört. Es besteht in der Tat vielmehr Grund zu der Annahme, daß beim Gebrauch eines Feldelements nie die Gesamtheit des Feldes Fj evoziert wird, ja auch dem jeweiligen Sprachbenutzer nicht ohne sorgfältige Analyse zugängig wird. Letzteres dürfte P. Hartmann dazu bewogen haben, die Existenz von Feldern außerhalb der jeweils individuellen Ordnungen und des sich um eine Ordnung des Wortschatzes bemühenden Individuums überhaupt in Frage zu stellen. 121 Sicher sind individuelle Abweichungen sowohl hinsichtlich der Bestimmung •der Elemente der semantischen Mikrostruktur der zu einer größeren Inhaltseinheit zuordenbaren Lexeme als auch der internen Gliederung und des Umfanges des Feldes, nicht zuletzt auch der Bewußtheit der Systembeziehungen, vorhanden, doch sind die semantischen Makrostrukturen deshalb nicht weniger existent oder etwa für die Bestimmung der Systembedeutung des Stellenwertes (valeur) bedeutsam. So ist mit Sicherheit anzunehmen, daß paradigmatische Makrostrukturen in ihrer Komplexität, bedingt durch die Vielzahl der einander in vielfältiger Weise semantisch differenzierenden Bezeichnungen, nicht in gleicher Weise (Umfang) Bestandteil der Individualwortschätze von zwei, bildungsmäßig durchaus miteinander vergleichbaren und z. B. auch in ständiger Kommunikation stehenden Personen sind, daß wohl in keinem Fall die Gesamtheit des Feldes simultan präsent oder evozierbar ist. Dieser Unterschied zwischen „innerer Sprache" des Individuums und der Sprache als vergesellschaftetes Kommunikationsmittel mit allen möglichen dialektischen Wechselbeziehungen, sollte uns jedoch nicht zu dem auf einer Verabsolutierung des Individuellen beruhenden Schluß verleiten, die Existenz von extraindividuellen, interindividuell gültigen systemhaften Beziehungen im Lexikon einer Sprache unter Hinweis darauf, daß wir es vielleicht nur mit den klassifikatorischen Versuchen eines Forschers bzw. der Sprecher generell im Hinblick auf die Ordnung ihres Individualwortschatzes zu tun haben 122 , überhaupt in Zweifel stellen. Wir gehen vielmehr davon aus, daß im Lexikon, unabhän-

3. Bedeutung—Abbild

254

gig vom gliedernden Bestreben einzelner Individuen wie auch von Unterschieden in den interiorisierten Makrostrukturen, objektiv real vergesellschaftete und in diesem Sinne überindividuelle LE-Beziehungen nachweisbar sind. Die als Bedeutungs- bzw. Begriffsfelder bezeichneten semantischen Makrostrukturen sind als in spezifischer Weise gegliederte Subsysteme des Lexikons zu betrachten. Allen Feldbestandteilen! n des Feldes Fj sind 1 . . . m Genusseme als eine Art gemeinsamer Oberbegriff — als Archisemem S A — gemeinsam, so daß S A (F,)= n s ^ m Die „innere Struktur" der Felder ist durch einander vielfältig überschneidende Sememe gekennzeichnet. Dabei lassen sich einige mehr oder weniger deutliche Untergruppen von £ (Fj) je nach dem (den) ihnen im Unterschied zu allen übrigen Sememen des Feldes gemeinsamen — „felduntermengendifferenzierenden" — Sem(en) herausstellen. Für eine exakte Beschreibung dieser Makrostrukturbeziehungen wird eine detaillierte Analyse der Sememe erforderlich, die das durch das Archisemem in der Art eines kleinsten gemeinsamen Vielfachen bzw. Hauptnenners bestimmte Feld bilden. Bei einer solchen Konstituentenanalyse werden die im Vergleich zu einem oder auch mehreren Sememen bis zu allen übrigen Sememen des Feldes unterschiedlichen Seme als distinktiv, als Differentiaseme, herausgehoben und zugleich nicht nur vertiefte Einsichten in die semantischen Mikrostrukturen, sondern darüber hinaus auch in den Grad der Bedeutungsverwandtschaft (semantischen Affinität) der einzelnen Sememe gewonnen. Abschließende Bemerkungen zu den thematischen Reihen, Begriffssystemen basieren im wesentlichen auf Ausführungen von Hallig/Wartburg [259], Dornseiff [153] und Schippan [685,140ff.] und hängen auf das engste mit der Begriffsbestimmung der Bedeutung als vergesellschaftete, „eingefrorene" Widerspiegelung der objektiven Realität und deren Abgrenzung gegenüber weiteren Abbildformen zusammen. So ist logischerweise z. B. das von Hallig/ Wartburg angestrebte Ziel, ein für alle Sprachen gültiges Begriffssystem zu schaffen, unlöslich mit der erkenntnistheoretischen Bestimmung des Begriffes bzw. mit einer möglichen Abgrenzung von Bedeutung und Begriff verknüpft. Wird der Begriff einschränkend mit dem vom abgebildeten, widergespiegelten — extralinguistischen — Sachverhalt durch wissenschaftliche Beschäftigung abstrahierten, definierten und festumrissenen Bestand an begrifflich-noetischen Elementen (Noemen) identifiziert, so bestehen zwischen Bedeutung und Begriff offensichtlich neben Gemeinsamkeiten auch beträchtliche Diskrepanzen (sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht — vgl. 3.2.); wird Begriff dagegen im Sinne von „umgangssprachlicher

3.6. Paradigmatische semantische Makrostrukturen

255

Begriff" verwendet, so besteht im Grunde kein Unterschied zu den Bedeutungen, die — wie erwähnt — sprachspezifischen Charakter besitzen. Ein allgemeingültiges universelles oder doch außereinzelsprachliches Klassifikationsprinzip kann, wenn überhaupt, nur auf der Basis solcher wissenschaftlicher Begriffe erarbeitet werden, womit allerdings sowohl seine Möglichkeit wie auch seine Nützlichkeit für eine Klassifizierung sprachlicher Bedeutungen/semantischer Mikro- und Makrostrukturen in Frage gestellt ist. In diesem Sinne können wir daher auch T. Schippan [685,146] voll zustimmen, wenn sie ausführt, daß das „Kriterium der Einteilung semantischer Gruppen, der Erfassung sprachlicher Relationen nicht logischer, sondern . . . sprachlicher Natur sein (muß)." Wollten wir dagegen die — umgangssprachlichen — Begriffe zur Grundlage einer Klassifizierung machen, so würden wir — automatisch — bei semantischen Makrostrukturen, etwa den von Sprache zu Sprache in spezifischer Weise differierenden Feldern anlangen, und ein Reden von Begriffssystemen wäre irreführend. Eine nähere Betrachtung von wissenschaftlichen Begriffsklassifikationen bzw. dabei bevorzugt herangezogenen Kriterien sowie von den semantischen Mikrostrukturen und Makrostrukturen, in denen in spezifischer, historisch-gesellschaftlich-bedingter Weise Widerspiegelungselemente zu sprachspezifischen, überindividuellen, synchronisch relativ stabilen Konfigurationen eingefroren sind, macht Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich, die im übrigen nicht unbedingt allein im Wesen der widergespiegelten Erscheinung, sondern vielmehr in den übrigen Determinanten des Erkenntnisprozesses begründet liegen. So ist das Ordnungsprinzip, der inhaltliche, thematische Zusammenhang, etwa der sogenannten thematischen Gruppen, vorrangig außersprachlicher Natur, durch den objektiv gegebenen Zusammenhang des Bezeichneten bedingt. 123 Doch gilt dieses prinzipiell — wenn auch mit Abstufungen — auch für alle lexikalischen Bedeutungen, die demnach thematische Reihen bilden können. Daß sie das tun und warum sie das tun, die Art also, „wie ein Sachbereich in thematische Gruppen aufgegliedert wird, welche Wörter in eine solche Gruppe gehören, welche Hyponyme zu einem Hyperonym auftreten, ist eine historisch bedingte sprachliche Erscheinung" [685,147]. Uns will scheinen, daß eine solche Bestimmung allein die thematischen Gruppen nicht hinreichend von weiteren semantischen Makrostrukturen unterscheidet, daß diese allenfalls als eine Untergruppe von Bedeutungsbeziehungen verstanden werden können, bei denen Merkmale als Bedeutungsbestandteile fungieren, die einen deutlich referentiell-denotativen Charakter besitzen bzw. die zugleich auch als Bestimmungselemente wissenschaftlicher Begriffsbildungen über diesen Bereich fungieren. In diesem Sinne aber wären sehr viele semantische Makrostrukturen, deren Sememe im Zuge einer verstärkt denotatsbezogenen (sachbezogenen) Elementenanalyse ermittelt wurden bzw. für deren außersprach-

256

3. Bedeutung—Abbild

liehe Denotate sich spezielle Einzelwissensehaften interessieren, als thematische Reihen und/oder Sachgruppen bzw. als Teile von solchen zu bestimmen. Dank unserem extralinguistischen Denotatswissen, unserer enzyklopädischen Sachkenntnis, wie auch unserem — individuellen — Anteil an der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Interiorisierung wissenschaftlicher Klassifikationen ist es uns möglich, zu solchen umfassenden thematischen Reihen alle die .Zeichen einer Wortart zusammenzufassen, die diesen Sachbereich aufgliedern, „unabhängig davon, ob es sich um synonymische, antonymische, hyperonymische, hyponymische Beziehungen handelt" [685, 147]. Um die Richtung, die eine solche Betrachtung nehmen kann, zu verdeutlichen, sei Auf eine solche mögliche Klassifizierung von Substantiven nach T. Schippan (vgl. [685,148,149]) verwiesen 124 , wobei sich die notwendige Systematik auf •dem Wege der Gegenüberstellung des Wortmaterials, also letztlich wohl auch » "> oder auch gar keine Indikation. Da sowohl runde wie eckige Klammern „belastet" sind; erstere wurden zur Angabe der Fakultativität, letztere z. B. bei Katz/Fodor zur Angabe der Distinguisher genutzt, würden wir uns im folgenden für die Schreibung ( } entscheiden, wobei wir wissen, •daß sie von Katz/Fodor für die Angabe von Selektionsbeschränkungen benutzt wurde und für die Niederschrift Probleme schaffen kann. Ungünstig, weil besonders eng an die Einzelsprache gebunden, erscheinen uns solche Seme wie (auf dem boden), die z. B . durch solche generellen Angaben des Mediums, des Aggregatzustandes wie (solid) — evtl. in Kombinationen mit Semen wie (superficie), (contact) — u. E . ohne Schaden, sogar mit Gewinn für das Seminventar ersetzt werden können. Nicht mehr dem Ermessensentscheid des Einzelnen — sorgfältige Prüfung des Für und Wider vorausgesetzt — überlassen bleiben kann dagegen ein besonderes Problem, das für die Symbolisierung Konsequenzen hat, aber auf •das engste mit der Bestimmung des Status des Sems verknüpft ist: die Frage, ob bzw. wie in dem Sem die Tatsache ausgedrückt werden kann, daß es sich um eine logische Proposition mit ein oder mehreren Argumenten handelt. Wir verweisen darauf, daß unseres Wissens als erste McCawley [509] und Arutjunow [39] dieser Wertigkeit der Seme in ihren Darstellungen auch for-

302

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

mal Rechnung trugen. Wir selbst sind der Auffassung, daß nur die mehrwertigen Seme formal gekennzeichnet werden sollten, bei einwertigen Semen dagegen die mögliche zusätzliche Angabe des Arguments aus ökonomischen Erwägungen entfallen könnte. Beispiel: (belebt) für (belebt (x)), dagegen aber: (plus (x, y)) bzw. auch (Magn (x, y)), (simil (x, y)) usw. Bei dieser Schreibung handelt es sich um sehr allgemeine Festlegungen, die nach Bedarf weiter präzisiert werden können (so wäre z. B. bei A t an eine Ergänzung semantisch-denotativer bzw. semantisch-funktioneller Art (Kasusrollen) ähnlich wie bei den Sememen zu denken). Auf weitere Spezialfragen, die sich im Zusammenhang mit den Eintragungen in den Tabellen ergeben können, wollen wir hier nicht eingehen, wohl aber noch auf ein Problem verweisen, das gleichfalls nicht nur ein rein formales ist: auf die Behandlung von Semdisjunktionen bzw. -Oppositionen. Diese Frage ist umso bedeutsamer, als offensichtlich die Merkmalsdisjunktion/exklusion — etwa als Semkategorie (vgl. 4.4.) — ein weitverbreitetes Strükturprinzip zu sein scheint. Wir wollen hier nur auf den formalen Aspekt eingehen, wobei dieser eng mit inhaltlichen Fragen zusammenhängt. Konkret geht es darum,, wie diese Oppositionen formal zu kennzeichnen sind. Offensichtlich wird neben einer Charakterisierung eines Sems durch + oder — in nicht wenigen Fällen diese Disjunktion/Exklusion auch durch Vorsilben, z. B. in-, unusw., also morphologisch, in anderen dagegen durch die Verwendung von morphologisch völlig unzusammenhängenden Symbolisierungen gekennzeichnet. Als Beispiele dafür seien angegeben: ( ± hum), ( ± an) (wobei im Deutschen auch (belebt)/(unbelebt) konkurrieren können (vgl. französisch anime/inamim6 usw.); daneben aber finden wir: (klein) V (groß); (jung) V (alt), (männlich) V (weiblich), wobei deutlich wird, daß z. B. ( — alt) nicht unbedingt als synonym zu (jung) verstanden werden muß, weshalb wir uns auch nicht durchgehend für die Anwendung von ± in Verbindung mit den entsprechenden Merkmalen entschieden haben. Sicher bedarf gerade diese Frage noch gründlicher Erörterung mit dem Ziel, vielleicht doch durchgehend eine einheitliche Lösung zu finden (wahrscheinlich empfiehlt sich ± , da sich die Sprachen ohnehin morphologisch voneinander unterscheiden). Zur Frage, welches als das Merkmal angeführt werden soll, das als ± ausgezeichnet wird — was mit der Frage nach Merkmalhaftigkeit in Zusammenhang steht —, verweisen wir auf entsprechende Erörterungen im Zusammenhang mit dem Sempaar (horizontal) V (vertikal), wo z. B.

4.3. Seminventar

303

die größere subjektiv-biologische Bedeutung des Vertikalen herausgestellt wurde, so daß also eigentlich auch (vertikal) als das merkmalhafte Glied dieser Opposition zu bezeichnen wäre.40 In der Tabelle I allerdings ist die Anordnung noch weitgehend willkürlich, und dies nicht nur, was die Wahl von merkmalhaften Semen angeht, sondern auch insofern, als nicht durchgehend ± -Eintragungen vorgenommen wurden (so finden wir z. B . (( -(^dynamisch) und (-dynamisch) als getrennte Einträge, wobei in diesem Fall wohl gewichtige Gründe für eine Differenzierung angeführt werden könnten, in anderen Fällen aber einfach eine noch ungenügend konsequente Aufarbeitung die Schuld trägt). Im übrigen sind auch insofern noch Weitergehende Überlegungen zu den Semeintragungen in Tabelle I angebracht, als durchaus noch weitere Reduktionen (Zusammenfassungen von getrennt aufgeführten Merkmalen, so z. B . (mom), (instant) und (cont) denkbar sind. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, daß gleichsymbolisierte Merkmale durchaus auch abweichende Sachverhalte widerspiegeln können, wodurch die Notwendigkeit einer exakten Festlegung ein weiteres Mal unterstrichen wird; als Beispiel dafür möge das Sem (Caus) gelten, das bei Heibig/ Schenkel zur Angabe der Ursachen, des Grundes, verwandt wird (vgl. causé bei Greimas), von uns jedoch in Übereinstimmung mit einer ganzen Reihe weiterer Forscher 41 als Kausativum bestimmt wird (vgl. auch Poss als Möglichkeit gegenüber (Poss) als Besitz, Final als Ende oder als Ziel).

4.3.1. Erläuterungen zu den Sepitabellen In der Tabelle I wird der Versuch unternommen, einige besondere häufige, dabei durchaus unterschiedlich symbolisierte Merkmale zusammenzustellen. Die in der ersten Spalte unterbreiteten Symbolisierungsvorschläge sind sicher noch nicht endgültig; doch sollte es möglich sein, auf ihrer Grundlage und unter Berücksichtigung der vorgefundenen Merkmale (vgl. hierzu auch eine anders angelegte Merkmalsammlung von M. Perl [593]) zu einer Einigung zu kommen. Unsere Darstellung erweist sich dabei in wenigstens zweifachem Sinne als unvollständig : zum einen werden nicht alle modernen semantischen Beschreibungen herangezogen, zum anderen werden aus den zugrunde gelegten Werken (vgl. nachstehende Liste) nicht mit Sicherheit alle Merkmale erfaßt, obwohl wir uns Um eine möglichst erschöpfende Auswertung bemühten. In den Aufstellungen unter I l . l . f f . wurden weitere ca. 400 Merkmale angeführt, die in mehr oder weniger geeigneter Weise zur Charakterisierung von Bedeutungen herangezogen wurden. Gerade hier wird die Bestimmung als Merkmal besonders problematisch. Wir haben die betreffenden Merkmale

304

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

kommentarlos übernommen, wohl wissend, daß hinsichtlich ihres Verdichtungsgrades wie auch ihres Status als Sem große Unterschiede bestehen und in einigen Fällen Bedenken angemeldet werden können. So sind z. B . (ameise), (reh (x)), (hase (x)), aber auch (rot) sehr spezielle Angaben, denen paradigmatisch systembildende bzw. differenzierende Eigenschaften kaum zuerkannt werden dürften. Ähnliches dürfte auch auf solche Eintragungen wie {bürgerliches Schulsystem), in noch höherem Maße für (während sich die Sonne über dem Horizont befindet) und analoge, als Merkmale undenkbare Symbolisierungen zutreffen, die sehr komplex und verdichtet sind. Wir können hier nicht Fragen der Merkmalbestimmung im einzelnen nachgehen und verweisen daher nur auf noch im Detail zu klärende Abgrenzungen von Merkmalen wie (eval), (emot), (comport); (phys) und (mat) usw. Für die Tabellen I l . l . f f . wurden die Merkmale nach der Sprache, in der die Symbolisierung erfolgt, und innerhalb dieser Tabellen weitgehend alphabetisch geordnet. Dabei stellte sich heraus, daß mit dem Heranziehen immer weiterer semantischer Analysen nicht selten auch Merkmale gleichen Inhalts, wenn auch unterschiedlicher Symbolisierung (z. B . dt.) hinzugefügt werden konnten. In diesem Fall wurde meist, aber nicht mit Anspruch auf Vollständigkeit, die wechselseitige Zuordnung und weitgehende Identität (durch ^ bzw. gekennzeichnet. Eine vertiefte Analyse der Tabellen I l . l . f f . wie auch die Berücksichtigung weiterer Semanalysen wird im übrigen mit Sicherheit zu weiteren Eintragungen in Tabelle I führen, so daß die gegenwärtige Form der Eintragungen nur sehr vorläufigen Charakter trägt. Nicht zuletzt mögen einzelne Zuordnungen zu den Tabellen zu Recht als ziemlich willkürlich erscheinen, so z. B. warum [fleur] unter (blüte) eingetragen wurde und nicht umgekehrt, zumal sich unter dem französischen oder englischen Stichwort durchaus auch deutsche Symbolsierungen finden — /prudence/ — /vorsichtig/; Believe — Glaube — bzw. warum z. B . Heilmittel mit 3 Eintragungen in Tabelle II.4. vermerkt wird und nicht in Tabelle I, wo sich durchaus auch Seme mit nicht mehr Eintragungen finden lassen. In beiden Tabellen bedeutet . . daß noch weitere Angaben erforderlich wären, und das Zeichen //, daß Antonymie im weitesten Sinne vorliegt (also z. B. auch Konverse angegeben werden — bei Apt Ar, Me als Conv.) Mit dem Zeichen cz wird eine Teilinklusion, mit -*• eine Implikation/Expansion und mit % wird angegeben, daß eine nicht näher bestimmte Sembeziehung, meist etwa in Form von Hyponym-Hyperonymen (also Gener im Sinne vonMe, Api), vorliegt. In die Tabellen aufgenommen wurden auch die logischenKonnektoren A, V ('und'—'oder' — Ap^, wobei unter(neg)1, —,nonbzw. 'nicht' subsummiert wurden. Von graphischen Darstellungen wurde weitestgehend abgesehen, wiewohl diese (vgl. auch 4.4.) durchaus in einigen Fällen hinzugefügt oder gar an die Stelle der gewählten Merkmale gesetzt werden könnten.

4.3. Seminventar

305

Abschließend seien noch einige Bemerkungen zu den für die Aufstellung •des Seminventars herangezogenen ungefähr 80 Untersuchungen gestattet, die im einzelnen einen recht unterschiedlich großen Anteil (Quantität der aufgeführten „Seme") an den Tabellen I und II haben. Wir werden hierbei nur zu ausgewählten Arbeiten kurz Stellung nehmen, ohne damit eine wichtung anzustreben. Unzweifelhaft an der Spitze hinsichtlich der Anzahl der verwendeten Seme hegen die ATW-Skripte, in der sowohl ein Fazit bisheriger Konstituentenanalysen gezogen wie auch eigene Semanalysen unternommen wurden, sowie die von R. Pasch [585] unter Bezugnahme auf Arbeiten zu einem Noematikon einer Forschungsgruppe unter Leitung von G. F. Meier vorgelegten noematischen Untersuchungen, die in exemplarischer Weise definierte und durch Beispiele belegte Noeme zusammenstellen. Für detailliertere Informationen verweisen wir auf die jeweiligen Originalwerke, wobei der von z. B. R. Pasch unterstrichene deutlich axiomatische Charakter der angeführten Noemkriterien wie auch ihr postulierter außereinzelsprachliche, begriffliche Charakter Bedenken hinsichtlich ihrer Gleichsetzung mit Semanalysen gerechtfertigt erscheinen lassen. Bei der Eingliederung der von R. Pasch angegebenen Noeme wurde der terminologische und vielleicht auch inhaltliche Unterschied allerdings nicht berücksichtigt (alle Angaben wurden undifferenziert als Seme betrachtet), außerdem wurden z. B. die Relatoren (R loc , Rm0d usw.), ähnlich wie auch die jeweiligen Eintragungen S loo , S ingtr , S mod usw. bei I. A. Mel'cuk [526], bei den betreffenden Semen (loc), (mod), (instr) usw. eingeordnet. Schließlich mußte — nicht zuletzt aus Gründen der Übersichtlichkeit — auf deflatorische Festlegungen der jeweiligen Eintragungen, wie sie sich z. B. bei R. Pasch [585], aber auch bei A. R. Arutjunow [39], I. A. Mel'cuk [526] und Ju. D. Apresjan [36] finden, zumindest in Tabelle I, verzichtet werden. Wir haben schließlich in nachstehende Zusammenstellung auch als Da gekennzeichnete Semvorschläge aufgenommen, wie sie in ca. 40 Diplomarbeiten aufgeführt wurden, die in den letzten 4 Jahren speziell zu VerbSubjekt, Verb-Objekt-Kollokationen an der Sektion Theoretische und angewandte Sprachwissenschaft vorgelegt und in der Regel weitgehend voneinander unabhängig und ohne Berücksichtigung der einschlägigen Literatur zur Semanalyse angefertigt wurden 42 . Dabei messen wir dem Umstand, daß offensichtlich unabhängig voneinander und für die Beschreibung unterschiedlicher Verben in verschiedenen Sprachen (Russisch, Französisch, Spanisch), wenn auch in der Regel in Konfrontation zum Deutschen, annähernd gleiche zusätzliche Seme zu dem von Heibig/Schenkel 1969/1973 [298] vorgelegten Inventar für die Beschreibung auf Stufe III vorgeschlagen wurden, besondere Bedeutung zu. Zeugt er doch von der übereinstimmend empfundenen Notwendigkeit, bestimmte Objekt-/Subjektklassen semantisch

306

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

noch wesentlich differenzierter zu bestimmen. Hervorzuheben ist hier u . a . die mehrfach unterstrichene Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung des durch das Sem (Abstr) abgedeckten Bereiches wie auch der Ausarbeitung von „sicheren" Kriterien, um im konkreten Fall die jeweiligen Substantive als Abstr. oder -Anim (Konkr) zu charakterisieren, also letztlich von Kriterien f ü r eine Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta. 4 3 Hier finden sich in den Arbeiten nicht nur Abweichungen, sondern zeugen z. B. auch nicht in jedem Fall voll einsichtige Doppelzuordnungen (z. B. (mon) zu Abstr und Konkr von Fall zu Fall) von real existierenden Unsicherheiten, die u. W . auch von der semantischen Theorie bislang nur durch ad-hoc Entscheidungen etwa der A r t : Konkret sind Erscheinungen, die in der Regel unmittelbar — sinnlich — wahrnehmbar (auditiv, visuell, taktil, gustativ, olfaktil) sind, gelöst werden. Als Beispiel für das erwähnte Bestreben einer Differenzierung sei nachfolgende, nicht Anspruch auf Vollständigkeit erhebende und im einzelnen sicher diskutable Aufzählung angeführt. Auf der einen Seite finden sich -Anim (Konkr) mit Lexemen als Indices, auf der anderen Seite -Anim (Abstr). Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, daß noch nicht in jedem Fall eine genügende Vereinheitlichung und Reduktion der Seme bzw. Lexeme vorgenommen wurde (so ist z. B. statt Apparaturen besser Maschinen zu verwenden als übergeordnete Größe/Hyperonym). Dies gilt auch f ü r die gewählte Symbolisierung (einschließlich der Wahl lateinischer, englischer oder deutscher Bezeichnungen, von denen die lateinischen am universellsten verwendet werden könnten), bei der wir uns (mit Ausnahme der Spalte Semzuordnung) auf Diplomarbeiten beziehen. -Anim (Konkr) —•

Semzuordnung

-Anim (Abstr)

Apparaturen Backwaren Bedarf, persönl. build business Druckmechanismen Entfernung (dist) Explosivstoffe Gegenstände —finanzielle —lösbare —spitze —verschmutzte —zerbrechbar zerschneidbar

(masch) (aliment) (nutr)

Act (Vorgang) Angebot Bedarf, Verlangen Bewegung, schnelle . . . Dienste Gefühle (emot) Glaube (Einbildung) Geschwindigkeit Krankheit Opfer prof pleasant (unpleasant) Richtschnur (Verhaltens' norm) elektrischer Strom

(merx) (masch) (-proximate) (object) (mon) x Caus y (liquid) pointed . . . y (Conditio: solid)

307

4.3. Seminventar -Anim (Konkr)

Semzuordnung

zusammenklappbar open (geöffnet) —rund Kleidung Körperteil Material Musikinstrumente Pflanzen value Waffen Konkrut

(pliable) (habit) (pars) (corps) (instr) (mus) (plant)

-Anim (Abstr) stat (Zustand) victory Wert (moralischer) Wettbewerb zeitliche Größe

Abstrut

Bedenken hinsichtlich einer Bestimmung als Seme könnten aber auch gegenüber den in der Tabelle I I . l . angeführten semantischen Angaben von A. R . Arutjunow, J u . D. Apresjan und I. A. Mel'cuk angeführt werden. In der Tat handelt es sich hier um im einzelnen leicht divergierend bestimmte sogenannte lexikalische Funktionen, deren Status auch in sich nicht völlig einheitlich ist und deren Beziehungen zu den Semen noch im Detail zu klären wären. In dem diesen Versuchen zugrunde liegenden theoretischen Ansatz, dem Modell smysl-tekst, nehmen die generell gültigen und für die lexikographische Praxis außerordentlich nützlichen lexikalischen Funktionen (LF) eine zentrale Stellung ein, wobei diese paradimatische und syntagmatische Beziehungen zwischen den L E signalisieren. Zu den sogenannten lexikalischen Substituten wären solche generelle semantische Makrostrukturbeziehungen signalisierende Angaben zu zählen wie Syn, Conv und die sogenannten syntaktischen Derivate; ihnen verwandt seien nach J u . D. Apresjan [36,43] die lexikalischen Funktionen Anti (Antonyme) und Gener, worunter etwa in Anlehnung an E. Agricola [8], die Hyperonyme bzw. generell Gattungsbegriffe verstanden werden könnten. Ganz offensichtlich ist aber nicht nur die Abgrenzung einzelner lexikalischen Funktionen voneinander (vgl. u. a. I. A. Mel'cuk [526] -Real, Func, . . .) problematisch, sondern auch die versuchte Grenzziehung zwischen paradigmatischen und syntagmatischen L F , insofern als zwischen beiden Ebenen dialektische Wechselbeziehungen bestehen und u. E . auch solche durchaus vorrangig syntagmatische Beziehungen signalisierenden L F , wie Magn z. B., als reihenkonstituierendes Merkmal der paradigmatischen Makrostrukturen auftreten (vgl. 3.6. die Intensitätsstaffeln). Unter den lexikalischen Parametern, die semantische Beziehungen zwischen zwei oder, auch mehreren L E auf der syntagmatischen Ebene signalisieren sollen, werden über 30 L F angeführt, deren Beziehung zu den jeweils bedeu-

308

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik.

tungsimmanenten Semen der miteinander in Beziehung gesetzten L E (hier wären z. B . Angaben wie S}^®1 für sitzen-Stuhl den wesenhaften Bedeutungsbeziehungen von W. Porzig oder auch bestimmten Virtuemen B. Pottiers vergleichbar) und hier vor allem der sogenannten Klasseme (Kongruenzseme) noch im Detail zu klären. Sind beispielsweise mit solchen lexikalischen Parametern wie Mult und auch Singul, aber z. B . auch Magn, Result usw. nicht doch im konkreten Fall kongruente, d. h. z. B . in den VerbSubjekt/Objekt-Bedeutungen angelegte besonders rekurrente Seme signalisiert? Sind umgekehrt nicht für die miteinander syntagmatisch kombinierten/bzw. zu kombinierenden L E die jeweiligen L F als Seme konstitutiv ? Wir wollen abschließend dazu auch auf die in der Tabelle selbst nicht vermerkte wechselseitige Kombinierbarkeit der L F (elementaren Bedeutungen, elementaren Situationen . . .) verweisen, die noch näher an eine semantische Konstituentenanalyse der zu kombinierenden L E heranführt und bislang zwar zu bestimmten gehäuften bevorzugten Kombinationen ausgewählter L F , noch nicht aber zu einer detailliert ausgearbeiteten Kombinatorik geführt hat (auch nicht zur Feststellung genereller oder sememspezifischer Inkompatibiltäten von LF), wohl aber zur Herausstellung der L F Plus und Minus als „Untergruppen" zu Magn, die nur in Kombination mit weiteren L F auftreten können. Wir haben in den Tabellen in Russisch angegebene Merkmale bei Apt übersetzt, was zweifellos Anlaß zu ernsthaften Bedenken sein kann. Bei der Durchsicht der Eintragungen, besonders in I I . 3. und II.4. fällt eine Häufung von Semen/Semkomplexen auf, die ganz bestimmte Tätigkeitsbereiche denotieren/widerspiegeln, während andere, möglicherweise nicht weniger wichtige oder selbst bedeutendere nicht berücksichtigt wurden (warum finden sich z. B . (hase), (reh) als Einträge, nicht aber Hund, Katze, Pferd usw.?). Die Ursache dafür dürfte zweifellos darin zu suchen sein, daß, aus welchen Gründen auch immer, bestimmte semantische Makrostrukturen beschrieben wurden, andere — noch — nicht (offensichtlich bot sich die Bewegung als relativ klar überschaubarer und markanter Tätigkeitsbereich/ Sachverhalt besonders an; vgl. auch Lokaladverbien und Präpositionen, aber es wurden auch Verben der Willensäußerung und literarische Werke hinsichtlich des sozialpolitischen Wortschatzes untersucht, woraus sich die weitgehende Auflösung im Gefühlsbereich — (emot) erklärt). Damit aber sind wir wieder zu einer Frage zurückgekehrt, die für die Aufstellung eines Seminventars von zentraler Bedeutung ist, der Frage nach dem zu veranschlagenden Auflösungs- bzw. Verdichtungsgrad der Seme. Da u. W. noch keine ausreichenden generellen Kriterien für die Festlegung, wann z. B. ein generelles Sem, wann zwei speziellere Seme getrennt aufzuführen wären,

4.3. Seminventar

309

vorliegen, ist wohl auch hinsichtlich der eventuellen Auflösung von (sciens) in (Cogn) und (sciens) gegenüber dem in Tabelle I angegebenen (sciens) (vgl. z. B. auch (instr) als Genussem zu (vehic)) noch nicht das letzte Wort gesprochen. Als eine gewisse indirekte Bestätigung für unser Vorgehen allgemein werten wir dabei den Umstand, daß bis zur Symbolisierung hin weitgehende Übereinstimmungen zwischen unseren Vorschlägen und den erst in einem letzten Arbeitsgang eingearbeiteten Noemangaben von R. Pasch [585] festgestellt werden konnten.

Abkürzungen für Namen von Autoren, aus deren Werken die Merkmale entnommen wurden, bzw. für Werktitel Ag Ap Apt Ar AK ATW

E . Agricola [8] J u . D . A p r e s j a n [37] J u . D . A p r e s j a n [36] A. R . A r u t j u n o v [39] S. A b r a h a m / F . Kiefer [2] Skripte der Arbeitsgruppe Theorie des Wortschatzes [43] B1 M. Bierwisch [76] B2 M. Bierwisch [77] B3 M. Bierwisch [81] B4 M. Bierwisch [82] Ba I . Barz [60] B/E M. B o n a n Garrigues/J. Elie [93] Bo D . Bolinger [92] Be/R T . B. B e v e r / P . S. R o s e n b a u m [71a] D H . Diersch [143] Da Diplomarbeiten 1971-1974 Dixon R . M. W . Dixon [149] Fi Ch. J . Fillmore [181] G A. J . Greimas [283] H H u n d s n u r s c h e r [321] H/S G. Helbig/W. Schenkel [298] Ha S t r u k t u r u n d F u n k t i o n des sozialen W o r t s c h a t z e s in der f r a n -

He Hil Hi2 Hi3 Katz KF K L Ml Mi Me Ni PI P2 Pa Pas Pet R Re S U W We

zösischen L i t e r a t u r , Wiss. Zschr. der M L U H a l l e (1970) 3/4 D . H e b e r g [281] G. H i l t y [307] G. H i l t y [306] G. H i l t y [308] J . J . K a t z [368] J . J . K a t z / J . A. F o d o r [366] B. K e r t s e h e v [372] G. L ü d i [477] G. F . Meier [513] G. A. Miller [531] I . A. Mel'èuk [526] E . A. N i d a [570] B . P o t t i e r [617] B. P o t t i e r [570] D . Parisi [584] R . P a s c h [585] J . S. P e t ö f i [595] J . T. E . R i c h a r d s o n [648] H . R e h w a l d t [638] T. Schippan [685] A. A. U f i m c e v a [773] -o- = G . W o t j a k [849] U . Weinreich [816]

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4.3. Seminventar

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4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

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336

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

Tabelle I I . l . SymboliBierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Ap, Me Ablei

1 . . . 2 . . . n participants of situation

Ar -accomod (x, y, z)

x p a ß t y an z an

Pas Art

K u n s t . . .; 4= (art)

Pas atm

erdnaher B a u m ; vgl. cosm

Me Attr

typische Metonymie

Pas ballist

ballistisch; (werfen)

Pas •can

Rohren, Leitung; vgl. (object)V(anim)

Ap, Me Cap vgl. (caput)

name of the head

Pas •caract

Eigenschaft; charakterisieren

Ar Caus fune (x, y) Ar Caus^uno (x, y)

x bringt y in Betriebszustand Ap Liqu (liquidate, cause not to be . . .), x setzt y außer Betrieb

Me Centr

zentraler Teil einer Tätigkeit

Pas chasse

(aliment)V(play); R ((hum)A(an))

4.3. Seininventar

337

SymboliBierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Ap, Me Conv

conversive

Pas coord

Koordinatensystem

Me, Apt copul vgl. (copula) Ar correspond (x, y)

Pas x entspricht y, Rcorr

Pas cosm

Kosmos

Ar defin (x, y)

Pas Ba x bestimmt die Merkmale von y ; def //(unbest)

Ar defin (x, y, z)

z Caus x, Cogn (sign y)

Ap, Me Degrad

Me Me to go b a d ; Incep Pred Anti Ver, Incep Pejor

Pas demonstr

zeigen, verweisen

M2 Der

synt. Derivat

Pas descript

vgl. (hum) S t A S 2 (inform); (loqui) v gest interrog, optat, prescript Pas

Me Destr vgl. (destruere) M 1 dissolv Ar divid (x, y, z)

typische „aggressive" Tätigkeit; destruct auflösen x teilt y in z—s

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

338 Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Ap, Me Equip

staff

Ar fact (x) vgl. (factum)

Me. Fact 1 ,Wirklichkeit werden, F a k t werden

Ap, Me Figur

Standard figurative designation of Co

Ar fune® (x)

Me, Ap Funco,!^

Ar fune (x, y) Ar

Funktion erfüllen, funktionieren, (funktion)

x handelt entsprechend y x erfüllt die Funktion von y

fune als (x, y) funeArcond (x, y) Ap 1 ; Me Gener

was macht x, wenn y . . . verallgemeinernd

Pas géogr

geographisch

Pas gran

Kornform

Ar idem (x)

x bleibt dasselbe, x nach wie vor; (ident), (simil)

Ap, Me Imper

K K to order; /gebieterisch/, /fordernd/

Ap, Me Incep Plus

beginnen-*(mehr werden)

Pas industr

Pas M1 Industrie; écon, (ökonomisch)

4.3. Seminventar

339

Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Pas interrog

fragen

Pas kin

energ (Energie); vgl. (mov)

Ar labor (x, y, z)

Ap, Me Ha Pas Pas labor;j, /arbeitend/, einwirken auf y durch z ; R-^j

Pas libr

Freiheit

Ml limit

Pas limit (in Dauer in Richtung Zukunft begrenzt)

Ar liqu (x, y)

Ap t , Me Liqu, Caus [x, adesse (y)]

Pas lit

Da -Animj. t ; vgl. (script)

Ar manag (x, y)

Pas leiten, in seiner Gewalt haben; Rg^ eu > Conv. bzw. Pas //serv (x,y), Dienste . . ., R f i n

Api Manif Ar occup (x, y)

deutlich werden const oper (x, y)

Ar, Me

oper (x, y) = w a s macht man mit y in der Regel

operj vgl. (operari)

Pas sich einsetzen für; vgl. R.pro

Ar oper pro (x, y) Ar oper contr (x, y)

sich einsetzen gegen y ; vgl.

Pas R c o n t r a

340

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Ar opin [x, pars (y, z)]

meinen, daß

Fas optat

wünschen, optativ

Ar orn (x, y, z)

x versieht y mit z

Pas OSS

vgl. vertöbrö; [Knochen]

Pas ph6n. nat.

Naturerscheinung

Pas predict

vorhersagen

Pas prescript

verschreiben

Pas psychotact

vgl. (actio), ( — phys)

Pas pulv

pulverförmig; vgl. gran

Ap, Me Perm vgl. (permitiere)

to permit, make it possible; vgl. (pot)

Ap, Me Prepar vgl. (preparare)

make ready for use

Ml prof

Da Beruf betreffend, Prof

Pas por

poros

Pas R abb

—x ist Abbild von y

4.3. Seminventar Symbolisierungen Pas R aeq Pas R contra

341 Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen Ar —x ist äquivalent von y ; vgl. (simil), uno (x, y) - x ist y gegenüber negativ eingestellt

Pas R-bidir

in beide Richtungen

Pas R . . . ex

x von y hinaus nach z

Pas R unidir

in eine Richtung

Pas R . . . ab

Me x von y fort; vgl. L o c ^

Pas R . . . ad

Me x nach y hin; vgl. L o c a ( j

Pas R . . . adme

Pas R

x nach y her (auch durch Kombination von (locut) + (observ)) x an y befestigt

Pas R . . . choc

x trifft auf Oberfläche

Pas R . . . dein

He x aus y heraus; vgl. x caus (y, (draußen))

Pas R gel

x lehnt an y

Pas R hang

x an y hängend

342

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Pas R . . . in

He x befindet sich in y ; vgl. (drin)

Pas R

into

He x in y hinein; vgl. x caus [y, (drin)]

Pas R . . . la

x an Ort von y

Pas R 'lorn

Da x von y lösend ; vgl. lösbar

Pas R . . . los

x ist abgetrennt von y

Pas R„.

x an y vorbei

Pas R perpend

x lotrecht auf y

Pas R . . . umhl

ATW x umhüllt y ; vgl. (medium); (umhüllen), [dient, dazu, die Toten einzuhüllen]

Pas R YV

x befindet sich y gegenüber

Pas R . . . sied

bei gemeinsamer Richtung folgt x dem y

Pas R pro

x ist y gegenüber positiv eingestellt; vgl. R contra

Pas R regi

x regelt y

Pas R Social ^ h o s p

x ist Gastgeber von y

343

4.3. Seminventar Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Pas R . . . stt

x statt y

Pas R sys

x bildet mit y ein System

Pas R simult

x gleichzeitig mit y ; vgl. [(simil) (temp)]

Ap realj

Mej make real, fulfill. . . ; Reali

Ar repl

antworten

Ap t , Me Sc

typ. Bezeichnimg des Circonstant, S

loc' S instr.' S m o d ' S r e s '

SAp

Me ®instr ,-usual Ar separ (x, y, z)

x Caus (x), pars (y, z)

Ml sequ

Pas Folge; = R f o l (x folgt aus y)

Ar sign (x, y)

y ist ein Merkmal von x

Me Sing vgl. (aingul)

einer Größeneinheit von Co

Ar sud

plötzlich

Ar summ (x, y, z)

x sammelt y zu z

Apj, Me Syn

23 Lorenz/Wotjak

Syn,

usual' Susual; instr., Loc

344

4. K o n s t i t u i e r u n g einer S e m e t i k / N o e m a t i k

Symbolisierungen

B e s t i m m u n g e n , Beispiele, Auflösungen

Pas temper

T e m p e r a t u r ; vgl. t h e r m

Pas therm

énerg Ar

t r a n s f o r m p a r v (x)

kleiner werden ; [Caus (minus)]

Ar t r a n s f o r m m a g n (x)

x wird größer

Pas transp.

Transportwesen

Ar vict

Da Sieger sein . . ., victory

Pas viol

Gewalt; vgl. (forza)

Tabelle I I . 2 . Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Dixon across

He He (loc), (dim); (durch), (via)

Dixon attention B4 (Believe)

Da Pas Glaube (Einbildung), B , j o x a

Lyons (bovine)

(an) (spec) . . .

R branching

vgl. tree

We (Chew)

4.3. Seminventar Symbolisierungen

345 Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

We (Cunning) Pet ± direct

K Mj |unmittelbar|, immed

Pet + dull Pet +element Lyons (equine)

(an) (spec) .

Fi fear Pet + fire

L [brennend]

Pet +flammable Pet +freezable Pet —gladness

(emot)

Pet ± gradient Fi gravity Bo (Hirsute) Pet + insect 23*

(anim) ( —hum) bzw. (an) (spec) .

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

346 Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Pet +layer R (leaf)

vgl. tree

R (mainsteemed)

vgl. tree

Bo (Military)

Pas milit (Militarwesen)

Bo (Non becoming) Pet —open

L Da [offen], open

Pet +pain R (perennial)

(temp) ( — fin)

Pet +pitch Pet ±plaine-like Da Play Pet +pointed

Da spitz

Pet +primary B4 (Regret) Dixon (rest) Ni (role)

(emot)

347

4.3. Seminventar Symbolisierungen

B e s t i m m u n g e n , Beispiele, A u f l ö s u n g e n

Pet ± sharp Pet + simple We (Swallow) Pet —technical Fi territory

ATW vgl. (gebiet)

Pet +tone Pet — unimpaired BO (Unmated)

vgl. (anim) ( — h u m )

Pet + wind R (wood)

H H Pas vgl. t r e e ; {Material: H o l z ) ; (hölzern), eslign (qual von (plank))

Tabelle II.3.

Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

B/E Actualité G antériorité

vgl. ( t e m p ) (mom)

4. Konstituierung einer Semetik/Noematik

348 Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

Ha /ardeur/

vgl. (emot)

G aspectuel

vgl. (temp)

«avecPbras» «avec dossier»

ATW (mit riickenlehne)

Ha /bassesse/

vgl. (emot)

G contenant

H Pas vgl. (Funktion: Behälter), récipient

G contraction Ha /délicatesse/

vgl. (emot)

G dépassement (d'une norme) G discrétion G dureté Ha /égoisme/

vgl. (emot) (neg)

Ha /élévation/

vgl. (emot)

Ha /enthousiasme/

vgl. (emot)

4.3. Seminventar Symbolisierungen

349 Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

G expansion G

vgl. (dim)

extéroeeptivité G

vgl. (dim)

extrémité

Pas Da H H ssflux,strömend; vgl. (liquids), |fließend| || |stehend|

G fluidité B/E Fonction

H H Ar vgl. (func 0 ); {Funktion; Verwendung: als Möbel), [wärmende Funktion]

Ha /froideur/

(emot) (neg)

G futur

Ml vgl. (temp); fut = zeitlich folgend, bevorstehend, K K |in der nächsten Zeit|, |Bevorstehend!

Ha /générosité/ Ha /grandeur/

(emot), (pos)

(emot), (pos)

Ha /grossièreté/

(emot), (neg)

Ha /hypocrisie/

(emot), (neg)

G image G intéroceptivité

350

4. Konstituierung einer Semetib/Noematik

Symbolisierungen

Bestimmungen, Beispiele, Auflösungen

G latéralité

(dim)

G mollesse G neutre Ha /passions/

(emot) < H ~ >

!Entfernung)

über x hinausLängsrichtung

konkretisierend*

Lebensalter*

körperlich*

< a/s Einzelner > '< Angehöriger einer Schicht >