Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit [Reprint 2012 ed.] 9783111495194, 9783111128986


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German Pages 57 [60] Year 1964

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Table of contents :
VORWORT
ANALOGIE ALS ANSATZ–PARMENIDES
ANALOGIE ALS GEGENSATZ–HERAKLIT
LITERATURVERZEICHNIS
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Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit [Reprint 2012 ed.]
 9783111495194, 9783111128986

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EBERHARD JÜNGEL

ZUM U R S P R U N G DER A N A L O G I E BEI PARMENIDES UND HERAKLIT

WALTER DE G R U Y T E R & CO / BERLIN VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG · J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG · GEORG REIMER · KARL J. TRÜBNER · VEIT & COMP.

1964

Archiv-Nr. 3627641

© 1964 by Walter de Gruyter & CoM vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

Herrn Professor D E R N S T FUCHS ¡(um 60. Geburtstag in tiefer Dankbarkeit a^ugeeignet

Λεϋσσε δ' όμως άττεόντα νόω παρεόνταβε βαίως" où γ α ρ άποτμήξει . . .

VORWORT Der Herrschaft des Neukantianismus in den Wissenschaften folgte eine Grundlagenkrisis der Wissenschaften, die Theologie und Philosophie in ihrem Anspruch, Wissenschaft zu sein, gleichermaßen in Verlegenheit gebracht hat. Die Theologie sowohl als auch die Philosophie wurde durch diese Verlegenheit gezwungen, sich auf ihr Wesen zu besinnen. Eine Besinnung auf das eigene Wesen konnte jedoch nicht den Weg ignorieren, den die Theologie und die Philosophie in der Geschichte des Denkens gegangen waren. Vielmehr verlangte die Besinnung dieser sich als Wissenschaften verstehenden Fakultäten auf ihr Wesen einen Rückgang auf den Ursprung jenes Weges, den die Theologie und die Philosophie gleichermaßen und dennoch mit verschiedenem Anspruch gegangen sind. Der Ursprung dieses Weges erschien als der geschichtliche Wesensursprung der sich auf ihr Wesen besinnenden Wissenschaften. Daß die Theologie und die Philosophie denselben Weg gleichermaßen mit einem dennoch verschiedenen Anspruch gegangen sind, ließ sich im Rückgang auf den Ursprung dieses Weges nur dadurch erklären, daß der Ursprung der Theologie und der Philosophie selbst ein verschiedener ist. Doch die Philosophie, die sich ihrem Ursprung gemäß der Geschichte des griechischen Denkens verpflichtet weiß, blieb von der entstehenden christlichen Theologie ebensowenig unberührt wie umgekehrt die entstehende christliche Theologie von der bereits traditionsbeladenen Philosophie. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß bei dem Rückgang beider Wissenschaften auf ihren Wesensursprung sowohl in der Theologie als auch in der Philosophie in neuer Weise ein Phänomen zur Geltung kam, mit dessen Hilfe in der Theologie und in der Philosophie wiederum gleichermaßen und in dennoch verschiedener Weise die Grundlagenkrisis beider Wissenschaften zu überwinden versucht wurde: die Analogie. Dabei wurde das Phänomen der Analogie nicht nur zum Kriterium der Unterscheidung von Theologie und Philosophie, sondern zugleich auch zum Kriterium für die Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Denken im Raum der Theologie selbst und damit zum Schibboleth der Konfessionen. Während in der katholischen Theologie 5

von ERICH PRZYWARA eine ontologisch in der Tradition des aristoteHsch-thomistisch-idealistischen Denkens begründete Zuordnung von Philosophie und Theologie auf dem Grundzug einer analogia entis als Prinzip versucht wurde, betonte KARL BARTH für die evangelische Theologie den Ausschließlichkeitsanspruch des einen und einzigen Ursprungs der Theologie im Worte Gottes unter dem Leitsatz einer analogia fidei. Es entsprach freilich dem Selbstverständnis katholischer Theologie, d a ß sie den v o n KARL BARTH heraufbeschworenen G e g e n s a t z v o n

analogia entis und analogia fidei zurückwies. Aber es entspricht nicht dem Selbstverständnis evangelischer Theologie, daß sie diese Zurückweisung allmählich stillschweigend zu akzeptieren bereit ist. Diese Ermüdungserscheinung in der evangelischen Theologie ist die Folge einer eigenartigen Interesselosigkeit für das Phänomen der Analogie selbst. Die Begriffe, unter denen das Phänomen der Analogie bisher zur Sprache gebracht worden ist, drohen das Phänomen selbst zu verdecken, und beanspruchen, über das Verständnis des Phänomens zu entscheiden. Die evangelische Theologie ist in der Gefahr, sich dem Diktat dieser (durchweg aus scholastischer Tradition stammenden) Begriffe zu beugen. Indessen sollte schon der so verschiedene Gebrauch des Analogiephänomens bei so unterschiedenen Denkern wie K A R L B A R T H , E R I C H P R Z Y W A R A u n d MARTIN H E I D E G G E R n a c h d e n k -

lich machen. In logie selbst sich hier vorgelegten der Analogie bei

solcher Nachdenklichkeit dem Phänomen der Anaaufmerksam zuzuwenden, soll das Ziel der beiden Studien sein, die auf den philosophischen Ursprung Parmenides und Heraklit hinweisen wollen.

Diese Studien sollten ursprünglich nur den Anfang einer umfassender geplanten Untersuchung bilden, die das Phänomen der Analogie als Denkform und Denkgeschick in der griechischen Philosophie aufzeigen sollte, um dann in einer Gegenbewegung die Grundlegung für die Möglichkeit eines evangelischen usus theologicus analogiae vorzubereiten. Der Ausführung dieses Vorhabens hat die Zeit Hindernisse in den Weg gestellt, die sich vorerst kaum werden überwinden lassen. Deshalb lege ich die beiden Studien nun für sich vor, in der Hoffnung, daß sie in das Dunkel des Ursprungs der Analogie etwas Licht zu bringen vermögen. Für die theologische Bedeutung des Phänomens der Analogie darf ich auf das den Gleichnissen Jesu gewidmete 6

Kapitel meines Buches „Paulus und Jesus"1 und auf meinen Aufsatz über das Analogieverständnis KARL BARTHS 2 verweisen. Zugleich sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die folgenden Untersuchungen nicht als theologische, sondern als philosophische Arbeit verstanden werden wollen. Auch die Philosophie hat ihre Texte, die ausgelegt werden müssen, um die Sache der Philosophie zur Sprache zu bringen. Insofern vollzieht sich die Auslegung im Räume der Philosophie durchaus historisch-kritisch als philologische Exegese. Die Philologie gilt dabei dem Logos, der die Buchstaben der Texte in diejenige Bewegung gebracht hat, die den Philosophen noch heute auf diese Texte sorgsam achten lassen. In solcher Achtung vor den Texten fragen die folgenden Studien nach dem Phänomen der Analogie bei Parmenides und Heraklit. Der Begriff der analogia kommt freilich weder in den uns erhaltenen Fragmenten des Parmenides noch in denen Heraklits vor. Aber das Verhältnis der beiden Teile des parmenideischen Lehrgedichtes zueinander macht ebenso wie der ontologische Bezug von Sein und Denken, den Parmenides behauptet, die Frage nach der Analogie thematisch. Sie kehrt in anderen Zusammenhängen innerhalb der Werden und Vergehen mit dem Denken in einem Sachverhalt zusammenhaltenden Dialektik Heraklits wieder. Hier und dort präzisiert sich die Frage nach der Analogie in die Frage nach dem Sprachbezug von Sein und Denken. So versuchen die folgenden Studien zu zeigen, wie dasselbe Phänomen bei Parmenides und Heraklit in geschichtlicher Andersartigkeit erscheint, ohne aufzuhören, dasselbe zu sein. Sie sind damit zugleich ein Beitrag zu einem der ersten Kapitel der Frühgeschichte des Denkens. Dieser Beitrag knüpft an bedeutende Arbeiten aus der philosophischen und philologischen Disziplin an, wie sich im Einzelnen zeigen wird. Vor allem ist hier das Werk M. HEIDEGGERS ZU nennen, dessen Denken sich in ursprünglicher Weise als Auslegung vollzieht. 1

Paulus und Jesus.

Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem

Ursprung der Christologie. Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 2, hrsg. von G. 1

EBELING,

E.

FUCHS,

M.

MEZGER,

Tübingen 1962.

Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie. Eine Untersuchung zum Analogieverständnis Karl Barths. Evangelische Theologie 22, 1962, S. 536—557.

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Dioch auch den Untersuchungen Κ . REINHARDTS und H . FRANKELS sind die folgenden Versuche besonders verpflichtet. Der mitunter vielleicht eigenwillig anmutende Sprachstil in den folgenden Studien beruht auf der Einsicht, daß dem Denken ungewohnt gewordene Phänomene eine eigene Weise der Aussage brauchen, um überhaupt wieder zur Sprache kommen zu können. Er bedarf also weniger der Entschuldigung als vielmehr der Bitte um Verständnis. Mein Freund Hartmut Hilgenfeld hat die gesamte Korrekturarbeit übernommen. Ihm gilt mein herzlicher Dank. Berlin, im März 1963 Eberhard Jüngel

ANALOGIE ALS ANSATZ — PARMENIDES Wir sind auf der Suche nach dem Wesen der Analogie. Wir suchen es auf dem Wege, den die Geschichte des Phänomens der Analogie gegangen ist. Die Spuren des verwehten Weges, der selber ein Gang ist, finden wir in den uns erhaltenen Texten, die von diesem Weg hier und da Zeugnis geben. Manche solcher Zeugnisse finden sich an ausgezeichneter Stelle, etwa da, wo der Weg sich gabelt. Es ist zu vermuten, daß an solchen Stellen das Phänomen sich in seinem Wesen deutlicher zeigt als auf gerader Bahn. Diese Vermutimg führt uns dorthin, wo das Phänomen der Analogie, als Ansatz eines Denkens, zum ersten Mal sichtbar wird: zu Parmenides. Aber ist dieser Gang unserer Untersuchung nicht verwegen? Wer die uns erhaltenen Fragmente des Parmenides kennt, weiß doch, daß der Ausdruck „Analogie" dort gar nicht vorkommt. Doch vielleicht vermag das Phänomen da ursprünglicher hervorzukommen, wo sein Begriff1 noch nicht vorkommt ? Der von uns eingeschlagene Weg phänomengeschichtlicher Forschung sprengt die Grenze einer begriffsgeschichtlichen Methode, die oft genug mehr verstellt als erhellt hat. Sie kann uns das Hören auf die Sprache der Phänomene auch dort nicht verwehren, wo der Ausweis eines geprägten Begriffes noch fehlt. I. Das Lehrgedicht des Parmenides zerfällt nach einem Prooemium in zwei Teile, deren Verhältnis zueinander ebenso umstritten ist wie das Verhältnis des Prooemiums zu ihnen. Innerhalb beider Teile ist die Reihenfolge der Fragmente verschieden geordnet worden. Eine gültige Ordnung ist angesichts der Tatsache, daß uns nur ein Rest des Lehrgedichtes überliefert ist, kaum zu erreichen. Die von DIELS/ KRANZ in der Ausgabe der Fragmente der Vorsokratiker zuletzt vorgeschlagene Reihenfolge ist durchaus akzeptabel. Im zweiten Teil des Lehrgedichtes findet sich das Fragment Β 16, dessen dunkler Sinn sich die gegensätzlichsten Erhellungen hat gefallen lassen müssen. Es lautet: cbç γάρ εκάστοτ' εχει κρδσις μελέων ττολυττλάγκτων, τώς vóos άνθρώποισι παρέστηκεν · τό γάρ αυτό εστίν 1

Wer sich an der Gegenüberstellung von „Phänomen" und „Begriff" aus einer von mir durchaus geteilten Hochachtung vor der Logik stößt, mag für „Begriff" jeweils „Ausdruck" und für „Phänomen" dann jeweils „Begriff" einsetzen. Ich wähle statt des Ausdrucks „Ausdruck" den Ausdruck „Begriff", um den Gegensatz zur „begriffsgeschichtlichen" Methode deutlich werden zu lassen.

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δττερ φρονέει μελέων φύσις άνθρώττοισιν καί ττδσιν και -ιταντί· τό γάρ πλέον έστί νόημα. Aristoteles, der das Fragment in seiner Metaphysik (y 1009 b , 22—25) überliefert, sagt in diesem Zusammenhang: „Da wäre j a das Suchen der Wahrheit wie fliegende Vögel verfolgen". Das Fragment des Parmenides wird von Aristoteles als ein Beispiel für die letztlich zur Skepsis führende Meinung, daß ή περί τα φαινόμενα άλήθεια . . . έκ των αίσθητώυ gekommen sei (1009 b , If.), angeführt. Nun weiß aber Aristoteles sehr wohl, daß Parmenides alles andere war als ein an den aus der Problematik der sinnlichen Wahrnehmung erwachsenden Aporien verzweifelnder Skeptiker. Aristoteles referiert (Met. A. 986 », 27—987», 2) den metaphysischen Entwurf des Parmenides, indem er den parmenideischen Denkansatz in der Unvereinbarkeit zwischen Sein und Nichtsein sieht. Das Nichtseiende sei neben dem Seienden nichts; das Seiende sei notwendig Eines und ein Anderes sei nicht. Wie ist aber diese Auskunft mit dem Fragment Β 16 und dessen aristotelischer Beurteilung zu vereinen ? Hier ein ganz am Sein des Seienden orientiertes Denken, dort ein von der Mischung der „vielfach irrenden Glieder" 1 bestimmter νους. Aristoteles hat den Gegensatz wohl empfunden. E r setzt sein Referat des Parmenides deshalb so fort, daß er sagt, Parmenides habe sich, weil er gezwungen war, den Phänomenen zu folgen, dafür entschieden, daß das Seiende Eines κατά τον λόγον, Vieles aber κατά τήν αϊσθησιν sei ; so setze auch Parmenides wieder zwei Prinzipien für die Erkenntnis des Seienden an usw. Dieses Urteil des Aristoteles hat die Parmenidesinterpretation für Jahrhunderte bestimmt. Der von Aristoteles empfundene Gegensatz entsprach dem Gegensatz zwischen den zwei Teilen des Lehrgedichtes, dessen erster Teil der Wahrheit des Seienden gilt, dessen zweiter Teil aber sich mit den δόξαι βροτεΐαι und den δοκοϋντα beschäftigt. Die aristotelische Motivation der Disparatheit beider Teile (άναγκαζόμενος δ' άκολουθεΐν τοις φαινομένοις) leuchtete ein und depravierte sich schließlich noch zu der Meinung, Parmenides habe der gängigen Popularphilosophie eben auch seine Konzessionen machen müssen. Wenn Aristoteles recht hat, müßte Parmenides zuerst seine Seinslehre aufgestellt haben, dann jedoch die Unvereinbarkeit seiner Spekulation mit der Phänomenwelt eingesehen und sich zu entsprechenden Korrekturen veranlaßt gesehen haben. Beachtet man jedoch den Aufbau des Lehrgedichtes auch nur im Groben, so ist festzustellen, daß der als Jüngling (Β 1, 24) bezeichnete Dichter aus der Welt der δόξαι zur Göttin geführt wurde, um dort sowohl der überzeugenden2 Wahr1

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Die Übersetzung ist hier vorläufig; cf. S. 12, Anm. 4, S. 13, Anm. 3, S. 22, Anm. 3. D I E L S - K R A N Z lesen das von Simplicius tradierte εϋκυκλέοΐ (wahrscheinlich aus Β 8, 43 eingetragen), eine einmalige Wortbildung, deren sonst unbekannte Endung nach D E I C H G R Ä B E R (a. a. O . S. 6 6 0 ) durch Analogiebildung zu dem u. a. von

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heit unerschütterliches Herz als auch der Sterblichen Meinungen zu erfahren (B 1, 28—30). So führt denn die Göttin in ihrer Kunde den Hörenden tatsächlich wieder in den κόσμος απατηλός zurück, indem sie ihm die Ordnung der δόξαι βροτεΐαι (Β 8, 51 f.) kundtut. Parmenides kommt so dahin zurück, woher er kam — freilich im Gefolge der Kunde der Göttin, den Meinungen der Sterblichen nicht ausgeliefert, sondern über sie belehrt, damit ihm niemals eine sterbliche Ansicht den Rang ablaufe (B 8, 61). Das mag vorerst genügen, um uns davor zu warnen, zwischen den beiden Teilen des Lehrgedichtes nur einen losen oder aber einen erzwungenen Zusammenhang zu sehen. Zwischen beiden Teilen waltet eine ebenso enge Beziehung wie zwischen der im ersten Teil thematischen Wahrheit des Seienden und den im zweiten Teil thematischen δόξαι1. Diese Beziehung ist für das VerSext. Emp. überlieferten εύττειβέοΐ, dem gegenüber man jedoch auch zurückhaltend zu sein habe, zustande gekommen sei. Der Sinn der Stelle wird von diesem Epitheton nicht getragen. 1

Das Problem des Zusammenhanges der beiden Teile des parmenideischen Lehrgedichtes ist seit K . R E I N H A R D T S grundlegendem Werk über Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie in positiver Weise zu lösen versucht worden. R E I N H A R D T selbst sieht den Zusammenhang in der Funktion der Kritik, die durch die Entdeckung einer übersinnlichen Erkenntnis gegenüber der Sinnenwelt gefordert wird (cf. a. a. O. S. 72). Die von Parmenides erwähnten verschiedenen Wege der Untersuchung sind nach R E I N H A R D T „das natürliche Ergebnis EINER Fragestellung" (a. a. O. S. 65; cf. S. 69). Ähnlich urteilt H. F R A N KEL (Dichtung und Philosophie . . S. 463) : Parmenides habe sich nicht damit begnügt, die Sinnenwelt zu widerlegen; er wollte sie auch verstehen, weshalb er „Struktur und Gesetzlichkeit der Scheinwelt" erklärt ihren „fundamentalen Fehler" aufdeckt und schließlich zeigt, „wie dieser Fehler, nachdem er einmal begangen war, sich selbst perpetuieren mußte". K. D E I C H G R Ä B E R hat nicht nur das Verhältnis der beiden Teile zueinander, sondern auch das des Prooemiums zu ihnen zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht, die in beiden Teilen die bereits im Prooemium angelegte Systemstruktur des Lehrgedichtes wiederentdeckt. K. R I E Z L E R versucht einen festen Zusammenhang zwischen den beiden Teilen dadurch herauszuarbeiten, daß er δόξα und άλήθεια sich gegenseitig aufeinander beziehen läßt (cf. a. a. O. S. 47 und 72); damit nimmt er M. H E I D E G G E R S Anregung aus „Sein und Zeit" (S. 222f.) auf. Gegenüber der von R E I N H A R D T bestimmten Interpretation des Zusammenhanges der beiden Teile des Epos in der neueren Forschung behauptet W. J A E G E R (Theologie . . ., S. 124), daß nicht die „Lehre vom Seienden . . . die natürliche Welt der Vielheit und Bewegung . . . erklären" soll; „sondern die seltsame Lehre von der Scheinwelt ist umgekehrt dazu bestimmt, den Irrtum der Menschen begreiflich zu machen, die an die Stelle des Einen die Zweiheit als das Ursprüngliche gesetzt haben". E. H O F F M A N N versteht den Unterschied und die Beziehung zwischen beiden Teilen vom Phänomen der Sprache her, indem er die Welt des ersten Teils als „die Welt des λόγος, die des zweiten" als,,die Welt der Ιπεα" (a. a. O. S. 12) unter Berufung auf Β 8, 60—62 (a. a. O. S. 10) charakterisiert; „so wird klar, daß die Welt der ¡hrca gar nicht vernichtet werden kann, sondern nur in ihre Grenzen verwiesen werden darf"

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ständnis des Fragmentes Β 16 entscheidend. Wir werden deshalb bei der Interpretation dieses Fragmentes ständig auf das ganze Lehrgedicht zurückgreifen müssen. II. Der das Fragment einleitende ώς-Satz verlangt nach der Fortführung durch τώς . . . Wie jeweils die Mischung der viel umherirrenden Glieder beschaffen ist, in entsprechender Weise stellt sich das Denken bei den Menschen ein. Das γάρ geht auf einen nicht mehr erkennbaren Zusammenhang zurück. Statt έκαστος ist mit Codd. E 7 έκάστοτ' (und statt κρδσιν dann κρδσις) zu lesen, wie H. FRANKEL 1 durch die beigebrachten Vorlagen überzeugend dargetan hat. Welche Form das Prädikat hat, ist umstritten. Neuerdings wird das von Theophrast (de sensu Iff.) überlieferte Perfekt, das H . D I E L S 2 noch eindeutig verwarf, dem Praesens vorgezogen. B. SNELLS 3 Entscheidung für das Perfekt ist gut fundiert. Das Verständnis des Satzes hängt an der Parallele von ώς und τώς, die das Denken der Menschen von der jeweiligen Mischung der viel umherirrenden Glieder abhängig macht, μέλεα meint nicht die körperlichen Glieder, zu denen ττολύττλαγκτα schlecht passen würde4, sondern muß hier als Bezeichnung der den Kosmos konstituierenden Elemente Sein und Nicht-Sein, der beiden „waltenden Prinzipien" verstanden werden. Diese für das Verständnis des ganzen Fragmentes entscheidende Erkenntnis verdanken wir J . BOLLACK 5 u n d K . DEICHGRÄBER 8 .

Die Menschen haben nämlich δύο μορφάς setzend benannt — das ist um eins zu viel, an dieser Stelle gingen sie in die Irre — und haben die erscheinende Gestalt (δέμας) gegensätzlich geschieden und die (a. a. O. S. 12). Ist aber mit der bei allen diesen Deutungsversuchen in Ansatz gebrachten Absicht des Parmenides schon erklärt, wie bei allem Widerspruch „Wahrheit" und „Schein" doch zusammenhängend thematisch werden konnten ? 1

Dichtung und Philosophie . . ., S. 470; cf. Wege und Formen, S. 174f.; so aber auch schon H. D I E L S , Parmenides, S. 112. 2 Parmenides, S. 113. 3 Entdeckung des Geistes, S . 1 9 8 Anm. 2 ; cf. H . F R A N K E L , Wege und Formen, S . 1 7 5 . 4 Die von Aristoteles überlieferte Lesart πολυκάμτττων ist lectio facilior (so schon H. D I E L S , Parmenides, S . 112) zugunsten des Verständnisses, daß μέλεα die Körperteile als Erkenntnisorgane meint. Diese Auffassung blieb — unabhängig von der Entscheidung für die Lesart — herrschend; cf. ζ. Β. R E I N H A R D T a. a. O. S . 77f.; G I G O N a. a. O . S . 286; J . L O H M A N N a. a. O . S . 306f. und F R A N K E L a. a. O . S . 470f. Richtig jedoch J . B O L L A C K a. a. O. S . 70, Anm. 46: „Nous donnons à l'adjectif πολύττλσγκτοξ un sens objectif. Il désigne non les erreurs des membres, mais l'égarement, la dispersion des membres dans l'univers". 1 a. a. O. S. 67 : „Nous donnons à μέλη le sens de membres constitutifs de l'univers". • a. a. O. S. 696, wo aus den empedokleischen Parallelen und aus dem Zusammenhang des parmenideischen Epos ein überzeugender Beweis gegeben ist.

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Grundrißzeichen voneinander getrennt : hier das aetherische Flammenfeuer, ein milde Seiendes, sehr leicht, mit sich selbst überall selber dasselbe, dem anderen aber nicht das Selbe; aber jenes auch an sich selbst (diesem) entgegen gesetzt, die unkundige Nacht, eine dicke, niederdrückende Erscheinung (Gestalt). Diesen διάκοσμος will die Göttin dem Parmenides als in allem entsprechend (εοικότα πάντα) verkünden1, damit ihm keine Ansicht der Sterblichen jemals den Rang ablaufe (B 8, 53—61). Die Welt der Sterblichen ist also von der Zweiheit durchwaltet, die die Sterblichen selber gesetzt haben. Dieses Setzen geschieht in der Weise des Benennens (cf. Β 8, 38f.), das auf die Trennung (τάντία, χωρίς όπ' αλλήλων) angewiesen ist, um ein jedes als ein jedes (κατ' αυτό) nennend setzen zu können (cf. Β 19, 3). Das „Benennen" wird zum principium individuationis. Es hat eine die Wirklichkeit der δόξαι βροτεΐαι entwerfende Kraft. Die entscheidende Dyas, die Zweiheit von Feuer und Nacht, durchwaltet und gestaltet den ganzen Kosmos, der so zum διάκοσμος wird. Beide Mächte füllen alles aus, alles ist voll (πλέον) zugleich von Licht und unsichtbarer Nacht (B 9, 3)2, ohne daß beide sich miteinander vermischen (B 8, 57ff. und 9, 4). Eine Vermischung im Sinne gegenseitiger Teilhabe ist ausgeschlossen. In diesem Sinne kann also auch der Begriff κρδσις μελέων in Β 16 nicht verstanden werden. Wenn aber dennoch alles von Licht und Nacht voll (ττλέον) ist, so werden wir die κρδσις μελέων als das jeweilige Beieinander von Licht und Nacht zu verstehen haben, die beide alles erfüllen, ohne sich dabei zu vermischen. Durch ττολύττλαγκτα werden die μέλεα als viel umherirrende3 qualifiziert; denn sie müssen ja τά πάντα erfüllen; da sie es aber beide, die doch einander entgegengesetzt sind, einander gleich tun müssen (B 9, 4), ist ihre Bahn gegenwendig (παλίντροπός εστι κέλευθος, Β 6, 9), so daß der νους der Sterblichen, der ja nach Β 16 der jeweiligen Mischung der viel umherirrenden Glieder entsprechen soll, von Parmenides in der Tat entsprechend zu μέλεα πολύπλαγκτα (Β 16, 1) πλακτός (Β 6, 6) genannt werden kann. Daß die κρδσις im Sinne des πλέον von Β 9, 3 als ein alles ausfüllendes Beieinander ohne Ineinander zu verstehen ist, wird im Schlußsatz des Fragmentes Β 16 bestätigt: το yàp πλέον Cf. unten S. 14f. Ob Β 9, 4 ίττεί οϋδετέρω μέτα μηδέν hier auch als Beleg — entsprechend der sonst gängigen Übersetzung von D I E L S - K R A N Z (anders jedoch noch D I E L S , Parmenides, S . 41) — herangezogen werden darf, erscheint mir nach der Interpretation D E I C H G R Ä B E R S (a. a. O. S. 689f.), der hier eine gegenseitige Teilhabe der beiden μορφαί Licht und Nacht als ausgeschlossen behauptet sehen will (also analog zu Β8, 67ff.), fraglich. Cf. jedoch die in sich schlüssige Interpretation H. F R A N K E L S , Wege und Formen, S. 181 f. * Πολύττλαγκτα ist hier in demselben Sinn zu verstehen, in dem Odysseus am Eingang der Odyssee ein Mann, ôs μόλα πολλά ττλάγχθη genannt wird.

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έστί νόημα. Freilich schwingt in diesem πλέον zugleich die Bedeutung von „mehr" mit, die Theophrast dem Wort allein entnahm und gegen die sich einst H. FRANKEL1 und dann auch entschieden K. DEICHGRÄBER2 wandte.

III. Doch bevor wir in der Interpretation des Fragmentes Β 16 fortfahren, müssen wir uns noch einmal dem herbeigezogenen Abschnitt aus dem Fragment Β 8 zuwenden. Dort wollte die Göttin dem Parmenides den auf dem Grund der Dyas von Sein und Nichtsein, Feuer und Nacht, sich entwerfenden διάκοσμος als einen έοικότα ττάντα (Β 8, 60) verkünden. Das Wort έοικώς bietet verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Die negative, die es im Sinn von „nur wahrscheinlich" erklärt, scheidet aus, weil einem nur wahrscheinlichen Weltentwurf ein anderer durchaus den Rang ablaufen kann. Das will die Göttin aber gerade vermeiden (B 8, 61). Wie kann sie das ? Doch nur so, daß der auf der Dyas beruhende Weltentwurf dem ihm entgegengesetzten, auf der Wahrheit des Seins beruhenden Weltentwurf so nah wie möglich steht. Dann aber ist das έοικότα ττάντα am besten durch „als in allem entsprechend" wiederzugeben3. Dazu berechtigt uns auch eine Parallele aus Xenophanes, Β 35: ταύτα δεδοξάσθω μέν έοικότα τοις έτύμοισιν4. Das, was nur als Schein-Meinung gelten soll, soll als entsprechend dem Wahren gelten, έοικότα hat hier einwandfrei die Bedeutung von „entsprechend". Wenn sich diese Übersetzung auch 1

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Dichtung und Philosophie, S. 470, Anm. 28; cf. dagegen aber Wege und Formen, S. 175Í. a. a. O. S. 699; H . - G . G A D A M E R (Retraktationen, a . a . O . S. 6öf.) betont mit Recht, daß dem ττλίον der Sinn des „Mehr" nicht genommen werden darf. E. H O F F M A N N hat erkannt, daß έοικώς auf den ersten Teil verweist. Er redet deshalb von einem „relativen Wahrheitsgehalt" und einer „relative (n) Berechtigung" (a. a. O. S. 13) der δόξα-Welt, wobei in „relativ" zugleich die Bezogenheit auf die Welt des Seins zum Ausdruck kommen soll. H O F F M A N N hat dabei auch den finalen Begründungssatz Β 8, 60 richtig herangezogen. Der Satz verlangt bei Xenophanes eine Fortsetzung durch δέ. Zum Verständnis des Xenophanes wäre Β 34 zu vergleichen, das auch für die Erklärung des Parmenides hilfreich ist. Xenophanes weiß sich mit seiner Erkenntnis zwar den Sterblichen, die nur „wähnen" (ol βροτοί δοκέουσιν Β 14, 1) und wähnend benennen (καλέουσιυ; Β 32, 1; cf. das όνομάζειν bei Parmenidesl), auf Grund seines Ιδεϊν überlegen. Aber da kein Mensch το σαφέζ erblicken kann, gilt auch von seinem eigenen Wissen: δόκος δ' êirl ττδσι τέτυκται (Β 34, 4), aber eben έοικότα TOÎS έτύμοισιν . . . Die Beziehungen zu Parmenides liegen auf der Hand. Bemerkenswert ist, daß Xenophanes als Sehender zur Erkenntnis kommt, während Parmenides auf die Worte der Göttin hört. Für das Problem des Verhältnisses von Wahrheit und Schein im frühgriechischen Denken cf. die sorgfältige Untersuchung von F. H E I N I M A N N , Nomos und Physis, S. 43—68, aber auch S. 76ff.

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bei Parmenides bewährt, haben wir den Schlüssel für das Verhältnis der beiden Teile des Lehrgedichtes zueinander gefunden. Der δόξοαTeil stünde dann zu dem άλήθεια-Teil im Verhältnis der Analogie. In der Parmenidesliteratur finden sich hier und da Ansätze zu einer Interpretation des Verhältnisses der beiden Teile zueinander im Sinne der Analogie. Aber soweit ich sehe, wird die Analogie kaum1 als Ansatz im Denken des Parmenides erfaßt, so daß das Lehrgedicht von daher konsequent in seinem Zusammenhang erhellt werden könnte. Deutlich spricht von einer „Analogie zum Seinsdenken" im zweiten Teil des Epos DEICHGRÄBER 2 , der diese Erkenntnis vor allem in philologischer Hinsicht fruchtbar gemacht hat. Auch J . BOLLACK behauptet zwischen Sein und Doxa „une simple analogie, un pâle reflet de l'un dans l'autre" 3 . O. GIGON4 sieht das analoge Verhältnis zwischen Wahrheit und Meinen ebenfalls, aber schon unter platonischem Vorzeichen, wenn er die Wahrheit als „eine Art Urbild zum Meinen" versteht. An einzelnen Teilstücken hat die Entsprechung zwischen den beiden Hauptteilen des Lehrgedichtes wohl jeder Parmenidesexeget entdeckt. Was bedeutet es aber, wenn wir das ganze Lehrgedicht von der Analogie zweier sich widersprechender Weltentwürfe her verstehen ? Im Fr. Β 16 wird das Denken zu dem Zu-Denkenden in Entsprechung gesetzt. So wie sich jeweils das Beieinander von Licht und 1

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Eine Ausnahme bildet das mir erst nach Abschluß dieser Studie zugänglich gewordene, außerordentlich interessante Buch „Zur ontologischen Frühgeschichte von Raum—Zeit—Bewegung" von E U G E N F I N K , der das ontologische Problem im Verhältnis der beiden Teile des Lehrgedichtes scharf erkannt hat und ebenfalls das hier waltende Phänomen der Analogie als Ansatz im Denken des Parmenides nicht nur, sondern als Ansatz des ontologischen Denkens überhaupt behauptet hat (cf. vor allem S. 59ff.). „Die DOXA bei Parmenides" wird von F I N K „primär begriffen aus dem Horizont der Sprache", deren ΟΝΟΜΑΤΑ wir als „die Namen des S E I E N D vergeblich im Munde führen" (S. 81), die aber doch als SEMATA ontologische Analogien sind. Die überraschende Übereinstimmung im Interpretationsansatz bewährt sich in manchen Einzelheiten. Hier und da glaube ich in meiner Untersuchung eine (freilich ungewollte) exegetische Bestätigung dessen gegeben zu haben, was bei F I N K nur als Vermutung ausgesprochen werden konnte. Die Gegensätze in der Auffassung der Bedeutung der Analogie als Ansatz im Denken des Parmenides, die vor allem in dem von F I N K nicht bedachten Verhältnis des όνομάζειν zum λέγειν thematisch werden müßten, können als ein „Dissensus im Konsensus" hier unbetont bleiben. Sie stehen da zur Debatte, wo Parmenides zum Namen für eine die Geschichte des Denkens bestimmende Entscheidung wird. Ich hoffe, mich dieser Entscheidung in einer auf Parmenides und Heraklit zurückbezogenen Interpretation der platonischen Analogie stellen zu können. a. a. O. S. 684; S. 682 u. ö. a. a. O. S. 64. a. a. O. S. 249.

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Nacht verhält, so stellt sich bei den Menschen das Denken ein. In Entsprechung zueinander stehen nicht Erkenntnisorgane und Erkenntnisprozeß, sondern das Zu-Denkende und das Denken. „Denn identisch mit dem was man denkt, ist die Natur der Glieder" übersetzt H. F R A N K E L 1 . Er mag recht haben, wenn er όπερ als Objekt zu einem unpersönlichen Prädikat φρονέει auffaßt 2 . Doch er hat keineswegs recht, wenn er behauptet, daß „statt des unbestimmten man ... auch die φύσις μελέων das Subjekt von φρονέει sein" kann; „der Sinn ändert sich nicht" 3 . Er ändert sich gehörig. Denn die auch sonst übliche Erklärung, die die φύσις μελέων auf die Natur der menschlichen Glieder beziehen will, so daß der Mensch nur immer Licht und Nacht erkennt, weil die Natur seiner (Erkenntnis-) Organe so beschaffen sei, verkeimt die Bewegung der den Selbigkeitsbezug ausmachenden Entsprechung, die vom Zu-Denkenden zum Denken geht. Merkwürdigerweise hat gerade H. F R A N K E L zum Verständnis des Fr. Β 16 auf dessen Vorlagen aufmerksam gemacht, von der wir die eine, ein Archilochosfragment, hier nach F R A N K E L zitieren 4 : Arch.: όκοίην Ζεύς εφ' ήμέραν αγτ) Parm. : ώς έκάστοτ' εχει κρδσις μελέων ττολυττλάγκτων Arch. : τοΐος άνθρώττοισι θυμός γίγνεται θνητοίσι Parm.: τώς νόος άνθρώττοισι τταρέστηκεν Arch.: καί φρονεϋσι τοΐ' όκοίοισ' εγκυρέωσιν εργμασιν Parm. : τό γάρ αυτό εστίν οττερ φρονέει μελέων φύσις άνθρώττοισιν καί πδσιν καί τταντί . . . Η . F R A N K E L übersetzt den letzten Satz des Archilochosfragmentes : „und wir denken solches, wie uns Wirklichkeit entgegentritt" 6 . Aber während H. F R A N K E L selbst sagt, daß sich die in Β 16 auftretenden Unsicherheiten augenblicklich erledigen, „wenn wir es Satz um Satz mit seinen Vorbildern vergleichen"®, erklärt er zugleich, daß Parmenides den Sinn der Ausdrücke νόος (gegenüber der Odyssee) und φρονέειν geändert habe: „Während der alte Spruch besagte, daß eine jeweils andere Beschaffenheit seiner persönlichen Umwelt den Menschen umprägt, erklärt nun Parmenides, daß eine jeweils andere Beschaffenheit der Person für diese Person die Welt umprägt" 7 . Das ist nicht nur „etwas vereinfacht", wie H . F R A N K E L selbst zugibt 8 , 1

Wege und Formen S. 177. a. a. O. S. 175; FRANKEL hat auch recht, wenn er behauptet, daß τό αύτό nicht mit καί πδσιν καί τταντί korrespondiert. Dann wäre ζ. Β. das γ ά ρ völlig sinnlos. 8 a. a. O. S. 177, Anm. 1. 4 a. a. O. S. 174. 6 In seinem Aufsatz ,,ΕΦΗΜΕΡΟΣ als Kennwort für die menschliche Natur", Wege und Formen, S. 28. • Wege und Formen, S. 173 f. 7 a. a. O. S. 174. 8 Ebenda, Anm. 2. 2

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sondern falsch. Wir haben allen Anlaß, Parmenides nicht zu einem Interpreten zu machen, der seine Vorlagen zugunsten neukantianischer Gedanken umdeutet. Die Parallele zu Archilochos ist vielmehr schlagend. Auch Parmenides will sagen, daß wir „solches denken, wie uns Wirklichkeit entgegentritt". Das gilt für alle und für jeden Menschen, άνθρώττοισι καί ττδσιν και τταντί. Hätte Η. FRANKEL die Vorlagen für die Interpretation ebenso pünktlich verwendet wie er sie für die philologische Exegese fruchtbar gemacht hat, so hätte er die φύσις μελέων nicht auf den „beseelten Leib" beziehen und dann behaupten können, daß in Β 16 „der zweite Satz umgekehrt gerichtet ist wie der erste und wie das archilochische Vorbild" 1 . Seltsamerweise findet sich bei den Fehlinterpretationen meistens auch der Verweis auf Β 32, das unsere Deutung stützt: το γαρ αυτό νοείν εστίν τε και είναι. Die Parallelität zwischen Β 3 und Β 16, 2f. bewährt zugleich unsere Vermutung, daß die beiden Teile des Gedichtes im Verhältnis der Analogie zueinander stehen. Dieselbe einleitende Formel τό γάρ αυτό 3 1

2

a. a. O. S. 178. Gänzlich unklar ist mir geblieben, wie H. FRANKEL seine den zweiten Satz des Fragmentes umschreibende Deutung „ S u b j e k t und Objekt des Denkens sind ihrer Natur nach gleich" mit folgender Anmerkung interpretieren kann: „Der Begriff der φύσις gilt natürlich für beide Seiten der Identität: die Natur der Gedanken (nicht: der Gegenstand der Gedanken) ist identisch mit der Natur der Glieder" (S. 178, Anm. 2). J . BOLLACK (a. a. O. S. 68, Anm. 39) korrigiert diesen Satz FRANKELS zugunsten der φύσις μελέων „en nous et en dehors de nous". BOLLACK kommt meiner Deutung des Fragments am nächsten. E r hat die μέλεα ττολύπλαγκτα als Konstitutive der Doxa-Welt erkannt. Nur würde ich nicht sagen, daß die φύσις als „le propre des μέλη" darin bestünde, dasselbe zu denken („penser le même" a. a. O. S. 67). Deshalb würde ich dem Satz „les membres s'étant égarés en chacun de nous et en chaque chose" (a. a. O. S. 70, Anm. 45) nur zustimmen, wenn er so gemeint wäre : les membres s' étant égarés en chaque chose et donc en chacun de nous. Cf. K . REINHARDT a . a . O . S . 7 7 ; O . GIGON, U r s p r u n g S . 2 8 6 ; H . FRANKEL, W e g e

und Formen, S. 178 und Κ . DEICHGRÄBER a. a. O. S. 699, bei dem mir diese Fehlinterpretation besonders unverständlich ist, weil gerade er doch die μέλεα in Β 16, 1 r i c h t i g i n t e r p r e t i e r t h a t .

8

DEICHGRÄBER h a t wie FRANKEL v e r k a n n t ,

daß δττερ nicht als Objekt zu φύσις φρονέει verstanden werden darf. (Dann schon eher als Subjekt zu φρονέει, wie die Übersetzung bei DIELS-KRANZ vorschlägt; die Einwände, die FRANKEL gegen diese Auffassung anführt, entfallen, wenn man die φύσις μελέων nicht anthropologisch versteht.) Der Fehler DEICHGRÄBERS war jedoch schon in der Beziehung der κρδσις μελέων auf den Menschen anstatt auf das Zu-Denkende angelegt. J . BOLLACK versteht die κρδσις μελέων zwar ursprünglich als das Beieinander der im Diakosmos umherirrenden und ihn so konstituierenden Elemente „Sein und Nicht-Sein", behauptet aber dann auch, daß die μέλεα im Menschen denken, freilich indem sie sich selbst als Objekt außerhalb des Menschen denken (a. a. O. S. 66—70). Zur Bedeutung der Formel in Β 3 und Β 8, 34 cf. auch die Auseinandersetzung zwischen U. HÖLSCHER (Der Logos bei Heraklit, a. a. O. S. 79 f.) und H.-G. GADAMER ( R e t r a k t a t i o n e n , a . a. O . S . 6 4 u n d S . 6 7 , A n m . 1 0 ) .

2

Jüngel, Zum Ursprung der Analogie

17

findet sich in beiden Sätzen, νοεϊν steht zu όπερ φρονέει und είναι zu φύσις μελέων parallel. Dann ist aber der Satz τό γάρ αυτό εστίν όπερ φρονέει μελέων φύσις άνθρώποισι κτλ. das analoge Gegenstück aus der Welt der δόξοα zu dem in die Welt der αλήθεια gehörenden Satz τό γάρ αύτό νοειν εστίν τε και είναι. In beiden Sätzen geht es um eine Entsprechung zwischen dem Denken und dem Zu-Denkenden. Dabei haben wir die den Selbigkeitsbezug ausdrückende Formel τό γάρ αυτό als Ansage einer Entsprechung verstanden. Die gängige Auffassung, daß es sich hier um eine Identitätsformel handelt, hat schon K . R I E Z L E R 1 zurückgewiesen. M . H E I D E G G E R 2 hat die hier mißverständliche und deshalb leichtfertige Rede von der Identität mit Nachdruck in Frage gestellt. Parmenides setzt in Β 3 Denken und Sein in einen Selbigkeitsbezug. Es geht ihm dabei um mehr als um die Auskunft ,,A ==A". Es geht ihm freilich auch nicht um die Ineinssetzung von einander Widersprechendem. Parmenides lehrt vielmehr einen Selbigkeitsbezug von einander Entsprechendem. Das Denken entspricht dem Sein. Denn das Sein spricht sich dem Denken zu. Im έόν ist das Denken schon zur Sprache gekommen. Diesen Zusammenhang zwischen Entsprechung und Sprache entnehmen wir dem Fragment Β 8, 34—36. Dort kehrt die Aussage von Β 3 wieder: ταύτόν δ' εστί νοεϊν τε και ούνεκεν εστι νόημα. Der Satz besagt : Das Selbe ist Denken und worumwillen der Gedanke ist. Der folgende Satz, der die Begründung abgibt, erklärt zugleich, daß das Worumwillen des Denkens eben das έόν ist 3 : ού γάρ άνευ του έόντος, έν φ πεφατισμένον έστιν, εύρήσεις τό νοεϊν. Ohne das Seiende ist das Denken nicht zu finden. Deshalb also stehen beide in einem Selbigkeitsbezug. Aber dieser Bezug wird jetzt erhellt. Das Denken ist nicht ohne das Seiende zu finden, in dem es gesagt ist. Die Entsprechung zwischen Denken und Sein beruht darauf, daß das Denken im έόν zur Sprache gekommen ist4, φατίζειν darf nicht im Sinne einer logischen Aussage mißverstanden werden. Für so etwas wie ein logisches Urteil wird hier erst der ontologische Grund gelegt, φατίζειν hat hier noch die Bedeutung des Verlobens bei sich. Denken und Sein sind einander versprochen. Deshalb entsprechen sie sich. Parmenides kann den Bezug von Denken und Sein gar nicht ohne die Zwischenbestimmung der Sprache denken. Das zeigt uns eine Reihe von Stellen, 1 2 8

4

Parmenides, S. 64; cf. Das Nichts und das Andere a. a. O. S. 97. Vorträge und Aufsätze, S. 242. Das hat K. D E I C H G R Ä B E R a. a. O. S. 674, Anm. 1 richtig erkannt. Cf. auch die Deutung H . F R A N K E L S , Wege und Formen, S . 1 9 5 : „eine Erkenntnis kann also nur innerhalb des Seins ausgesagt sein". U . H Ö L S C H E R (a. a. O . S . 8 0 ) erklärt zu Β 8, 34 zwar ebenfalls, daß „das Denken . . . seine Gültigkeit vom Seienden" empfängt, behauptet aber seltsamerweise für Β 3 die umgekehrte Pointe. So ist zu beziehen; denn so fordert es ja nicht nur das Denkgefälle des Parmenides, sondern auch das syntaktische Gefälle des Satzes.

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auf die wir noch eingehen wollen, um dem Irrtum zu entgehen, als habe Parmenides das Verhältnis von Denken und λέγειν (φατίζειν) so verstanden, daß „die Möglichkeit der Aussage an die Denkbarkeit gebunden ist" 1 . In Β 2, If. spricht die Göttin: „Wohlan, ich werde Dir sagen, Du aber nimm auf sie hörend die Kunde auf, welche Wege des forschenden Suchens allein zu denken sind!" Das νοήσαι ist zum vornhinein an die Kunde der Göttin gebunden. Sie sagt dem Denken den Weg an, auf dem es sich als forschendes Suchen betätigen kann. Dieser Tätigkeit des Denkens geht darum das andere vorauf, daß das Denken im Hören auf die Kunde der Göttin deren μΟθος in die Acht nimmt. Daß das Denken sich als Forschen betätigt, ist dadurch ermöglicht, daß es zuvor auf die Sage der Göttin hört und im aufnehmenden Hören dem entspricht, was die Göttin spricht. So kommt das Denken auf den Weg — des Denkens. IV. Wovon spricht die Göttin? Davon, daß das Seiende (Sein) ist und Nichtseiendes (Nichtsein) nicht ist. Auf diesem Weg, der freilich nicht als „Forschungsmethode" des Parmenides interpretiert werden darf 2 , 1

So K . D E I C H G R Ä B E R (a. a. O . S. 6 7 4 ) , der übersieht, daß bei Parmenides das Denken dem Sagen nicht vorgeordnet werden kann. Vor diesem Mißverständnis hätte ihn seine eigene Feststellung, daß die „Wahrheit an das Wort gebunden ist" (S. 665), und seine Interpretation von Β1,15ff. (S. 668) bewahren können. Die Bedeutung der Sprache für das Denken bei Parmenides erkennt und verkennt zugleich K . R E I N H A R D T (a. a. O . S. 51) : „am Anfang des begrifflichen Denkens, bei Parmenides wie Sokrates, steht allemal das Wort, der Glaube an das Wort, und was davon untrennbar ist, die Wortklauberei". H. D I E L S (Parmenides, S. 85) sieht die entscheidende Funktion der Sprache im Lehrgedicht des Parmenides ebenso wie J. S T E N Z E L (Metaphysik des Altertums, S. 55). Aber während D I E L S es bei einem Hinweis bewenden läßt, orientiert sich S T E N Z E L nur am Begriff des όνομάζειν, ohne dessen Differenz zum λέγειν zu erkennen. Dieselbe Einseitigkeit findet sich bei F. H E I N I M A N N (a. a. O. S. 60f.), wo die Sprache nur als Ausdruck der δόξα in den Blick kommt, weil sie in ihrem Gegensatz zur άλήόεια die Vorform des Gegensatzes von νόμος und φύσις abgeben soll. Bei Parmenides gehört aber nicht nur das νομίζειν (Β 6, 8), sondern auch das φύειν auf die Seite der δόξα (cf. S. 19). Das ist zugleich auch der entscheidende Einwand gegen die These R E I N H A R D T S , daß der Gegensatz von άλήθεια und δόξα bei Parmenides die Wiege des Begriffsgegensatzes φύσις — νόμος sei (a. a. O . S. 82f.), ein Einwand, den H E I N I M A N N (a. a. O . S. 91) selbst geltend macht. Klar erkannt hat den Unterschied zwischen λέγειν und όνομάζειν E. H O F F MANN

2



(a. a. O.

S. 10f.,

S.

13).

K. D E I C H G R Ä B E R kommt mit seiner Interpretation des Abschnittes Β 2, 1 — Β 8, 2 als Methodenteil des Lehrgedichtes trotz vieler guter Beobachtungen in methodologische Aporien, die nur entstehen können, wenn man da eine Methode sucht, wo das Denken selbst auf den Denkweg gebracht wird. Der Weg (ή οδός.

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kommt das Denken in die Bahn bezeugender Überzeugung, die ihre Überzeugungskraft daher hat, daß sie der Wahrheit folgt (B 2, 3f.). Die κέλευθος der Peitho hat eine Bewegungsrichtung, weil sie der Wahrheit des Seins folgt, die ihr vorausgeht: „Zu Anfang ist die Antwort da" 1 . Zu ihr tritt in Gegensatz die τταλίντροττος κέλευθοξ, auf der Sein und Nichtsein als das Selbe und nicht als das Selbe gelten. So wird der νους hier hin und her gerissen (B 6, 5 ff.). Doch dazwischen gibt es noch einen anderen Weg, der dem ersten ebenfalls entgegengesetzt ist. Er besagt, daß das Sein nicht ist und daß notwendig Nichtsein ist (B 2, 5—8)2. Von diesem Weg sagt die Göttin, daß er gänzlich unerkundbar sei. „Denn das Nichtseiende könntest Du weder denken (denn es ist nicht ausführbar) noch sagen." Auch hier, wo das Denken als unmöglich bezeichnet wird, steht es in Beziehung zu einem, ebenfalls unmöglichen, Sagen. Wo kein Sagen möglich ist, da schweigt auch das Denken. Ähnlich heißt es in Β 8, 8 f. : „Denn es ist unsagbar und undenkbar, daß das Seiende nicht sei", so daß es aus dem Nichtsein hätte entstehen können. Das Denken kann diesen Weg nicht denken, weil dieser Weg unsagbar bleibt. Deshalb wendet sich das Denken im λόγω κρίνειν (cf. Β 7, 5 und Β 8, 16ff.) gegen diesen Weg, indem es ihn als undenkbar und anonym ausscheidet; denn es ist kein wahrer Weg. Die Wahrheit verträgt keine Anonymität. Deshalb braucht sie die Sprache, die es möglich macht, daß das Denken dem Zu-Denkenden entspricht. Im Sagen ist das Sein dem Denken geöffnet. Das Sagen ist deshalb immer ein Sagen des Seins : μόνος δ' ετι μΟθος όδοϊο λείττετοα d>s εστίν (Β 8, lf.). Die Kunde vom Sein erschließt den Weg des Denkens. Nur eine Kunde gibt es ; denn es ist nur das Sein. Der wahre Mythos kündet vom Sein. Die Kunde vom Sein ist der Weg des Denkens. Jetzt verstehen wir Β 6, 1 : χρή το λέγειν τε νοεϊν τ' εόν εμμεναι. Der zwischen Sein, Sagen und Denken waltende Bezug ist ein notwendiger. Das χρή gibt an, daß Sagen und Denken an das Sein des Seienden gebunden sind. Sie sind das, weil das Sein des Seienden das Sagen braucht, um das Denken in den Brauch zu nehmen. Das Sagen ist dem Sein nötig, damit das Seiende vor das Denken kommt. Das macht das Denken erst zum Denken, nicht aber sucht sich das Denken hier eine Methode. Das meint trotz seiner entgegengesetzten Formulierung auch W. J A E G E R , Paideia I , S. 2 3 9 , cf. Theologie . . ., S. 116ff. (Anmerkungen verschieben!) Ή KÉÂEUÔOS)

1

K . DEICHGRÄBER

a

Die Verse Β 2, 3 und Β 2, 5 sind parallel gebaut, müssen also auch parallel übersetzt werden. Dabei ist in der ersten Vershälfte jeweils das Subjekt (έόν oder είναι) zu ergänzen. D I E L S - K R A N Z ergänzen jeweils das Prädikat (έστίν); so auch K. D E I C H G R Ä B E R a. a. O. S. 672. Damit geht jedoch die Spannung zwischen erster und zweiter Vershälfte in Β 2, 5 verloren.

20

a. a. O.

S. 676.

Denken ist dem Sein nötig, damit das Seiende den seinem Sein entsprechenden Umgang findet. Denn das Selbe ist Denken und Sein. Und dieser Selbigkeitsbezug erhellte sich uns als das Walten einer Entsprechung. Zu dieser Entsprechung kommt es auf Grund des λέγειν. „Das νοεΐν, In-die-Acht-Nehmen, wird durch das λέγειν bestimmt" 1 . Dabei wird „durch das Gefüge von λέγειν und νοεΐν . . . das, was Denken heißt, erst angesagt" 2 . Das Gefüge von λέγειν und νοεΐν fügt sich vom Seienden her zu dessen Sein hin. Das έόν εμμεναι bindet durch das λέγειν das νοεΐν. Ihm allein gehört Sagen und Denken zu: ούδ' εκ μή έόντος έάσσω φάσθαι σ ' ούδέ νοεΐν sagt die Göttin (Β 8, 7f.) und legt damit den Ton in Β 6, 1 auf das έόν εμμεναι. Yon ihm her bekommt das χρή seine Kraft, die das auf das λέγειν achtende Denken in den Selbigkeitsbezug der Entsprechung zum Sein bringt. M. HEIDEGGER hat als einziger3, wenn auch scheinbar nur beiläufig und in Nebensätzen, den Bezug von Denken und Sein des Seienden als Entsprechung gekennzeichnet. E r versteht das εόν des Parmenides als eine „Zwiefalt von Sein und Seiendem" 4 . Zu dieser Zwiefalt steht das Denken in Beziehung, indem es zu ihr, „ihr entsprechend und von ihr verlangt, unterwegs bleibt" 6 . In einem anderen Nebensatz bei HEIDEGGER heißt es vom denkenden Sagen bei Parmenides, daß es „der Zwiefalt entspricht"6. Nun sagt HEIDEGGER selbst von großen Denkern, „daß sie das eigentlich zuDenkende in einem unversehens angefügten Nebensatz sagen und es dabei bewenden lassen" 7 . Daran wollen wir uns auch bei seiner Parmenidesinterpretation halten. Sie hat das Wesentliche in zwei unversehens angefügten Nebensätzen gesagt. Das „eigentlich zuDenkende" des parmenideischen Lehrgedichtes ist das Verhältnis vom Denken zum Sein als Entsprechung. Das Wort „Entsprechung" ist eine Übersetzung des Wortes „Analogie". Das Phänomen der Analogie zeigte sich uns schon einmal 1 2 3

4

6 6 7

M. HEIDEGGER, Was heißt Denken?, S. 127; cf. Vorträge und Aufsätze, S. 243. Was heißt Denken ?, S. 126. Gewöhnlich versteht man den Selbigkeitsbezug von Denken und Sein bei Parmenides als „Identität" von „Denken" und „Denkinhalt". Von diesem Verständnis ist auch noch W. JAEGER (Paideia I, S. 238) geleitet, wenn er formuliert: „wahrer Erkenntnis muß ein Gegenstand entsprechen". Was „entsprechen" besagt, bleibt hier ungedacht. Vorträge und Aufsätze, S. 240; cf. Was heißt Denken?, S. 134. Der Ausdruck „Zwiefalt" vertritt HEIDEGGERS eigenen ontologischen Ansatz besser als den des Parmenides, der im Bereich des Seins die Einheit im Sinne des Eins viel zu sehr betont, als daß er hier von einer ontologischen Differenz reden würde. E s besteht jedoch insofern kein Gegensatz zwischen Parmenides und HEIDEGGER, als letzterer die Zwiefalt ja aus der Einheit des Partizipiums her denkt. Vorträge und Aufsätze, S. 250; die Sperrung ist von mir. Vorträge und Aufsätze, S. 253; die Sperrung ist von mir. Vorträge und Aufsätze, S. 251.

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bei Parmenides 1 . Die Entsprechung durchwaltet das Epos des Parmenides, so scheint es, in zwiefacher Weise: 1. als Ansatz im Verhältnis des Denkens zum Sein (ontologisch) ; 2. als Ansatz im Verhältnis des διάκοσμος der δόξαι βροτεΐαι zur Wahrheit des Seins (metaphysisch). Der metaphysische Ansatz gibt uns das Recht, den ontologischen Ansatz auch in der Welt der δόξαι geltend zu machen. Unsere Auffassung wird dabei durch philologische Beobachtungen bestätigt. V. Im Fragment Β 16, 2 begegnete dieselbe Formel wie in Β 3: το γάρ αυτό. Hier und dort geht es um das Verhältnis von Denken und ZuDenkendem, das durch die Formel als Entsprechung gekennzeichnet wird. Zwischen der im Reich der αλήθεια waltenden Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken und der im Reich der δόξαι waltenden Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken waltet Entsprechung. Dreimal fiel in djesem Satz das Wort „Entsprechung". Jedesmal ist die Entsprechung eine andere, aber jedesmal handelt es sich um Entsprechung. Die im Reich der αλήθεια waltende Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken unterscheidet sich von der im Reiche der δόξαι waltenden Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken in dem Maße, in dem sich das είναι (Β 3) von der φύσις μελέων (Β 16) unterscheidet. Deren Unterschied aber besteht darin, daß das Sein keinen Unterschied kennt, während die φύσις μελέων durch die Zweiheit von Sein und Nichtsein konstituiert ist. Vom Sein gilt : νυν εστίν όμοΟ πάν, εν, συνεχές (Β 8, 5f.). Deshalb ist es nicht teilbar (διαιρετόν) ; es kennt keinen Komparativ (μάλλον—χειρότερον)2, keine Veränderung (άκίνητον), sondern als ein ξυνεχές παν ruht es bei sich selbst (καθ' έαυτό τε κείται), von der (Göttin) Notwendigkeit ringsum an die es abschließend-vollendenden Grenzen gebunden (B 8, 22—32), so daß es der „Würde" einer wohlgerundeten Kugel vergleichbar erscheint (cf. Β 8, 42—49). Dem entgegen steht der διάκοσμος, wo Sein und Nichtsein für das Selbe gehalten wird und doch nicht für das Selbe, wo das Denken auf eine gegenwendige Bahn gelangt (B 6, 8f.), weil zwei μορφαί als Gegensätze durch Benennung gesetzt sind, Licht und Nacht, die alles durchwalten, so daß alles voll (πάν πλέον) von ihnen ist (B 8, 53—Β 9, 4). Deshalb heißen sie μέλεα πολύπλαγκτα, viel umherirrende Glieder3, die auch die Menschen der Zweiheit unterwerfen : 1 2

8

Cf. oben S. 15 ff. ,,μδλλον ist ein Adverb des Grades, nicht ein Adjektiv der Ausdehnung"; so H. FRANKEL, Wege und Formen, S. 197. Es sind weder viele irrende noch vielfach irrende Glieder (Erkenntnisorgane) des Menschen, sondern die zwei alles, aber eben in der Weise des Hin- und Her-

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δίκρανοι1 sind sie, so daß auch ihr voôç hin und her irrt, von der Ratlosigkeit der Zweiheit gelenkt (B 6, 5f.). Denn wie sich jeweils die Mischung der viel umherirrenden Glieder verhält, in entsprechender Weise stellt sich der vous bei den Menschen ein. So wie jeweils Licht und Nacht in ihrer Mischung, im Beieinander ohne Ineinander, etwas ausfüllen, so fällt der Gedanke aus: TÒ yàp ττλέον εστί νόημα (Β 16, 4). Dabei richtet sich der Gedanke, der dem πλέον ( = voll) von Licht und Nacht entspricht, in seiner Entsprechung nach dem in der jeweiligen κρδσις vorherrschenden πλέον ( = mehr) des einen der beiden μέλεα πολύπλαγκτα 2 . Damit haben wir den Unterschied zwischen der im Bereich der αλήθεια waltenden Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken und der im Bereich der δόξαι waltenden Entsprechung von Zu-Denkendem und Denken aufgewiesen. Aber inwiefern wird die Entsprechung als Entsprechung von diesem Unterschied berührt ? Gerade sie wird doch durch die sich gleichbleibende Formel τό yàp αύτό als unverändert ausgewiesen. Wenn die sich jeweils entsprechenden Größen hier und dort verschieden sind, so ändert das doch nichts daran, daß hier und dort die Entsprechung als Entsprechung dieselbe bleibt. Wenn a zu b und c zu d in Entsprechung steht, so mögen a und b gegenüber c und d noch so verschieden sein, die Entsprechung selbst bleibt doch hier und da dieselbe. Man könnte dann freilich nicht mehr davon Irrens (τταλίντροττός ίοτι κέλευθοξ !), durch waltenden μέλεα und Nacht; cf. dazu oben, S. 12, S. 13, Anm. 3 und S. 16f. 1

8

( = μορφαί)

Licht

„ D a ß dieser Name keine Schmähung sein soll", hat schon K . REINHARDT (a. a. O. S. 68) ausgesprochen. Cf. auch J . BEAUFRET (a. a. O. S. 22) : „Pourquoi vouloir reconnaître a tout prix le symptôme de la réprobation voléreuse là où ne se manifeste au contraire que la sévérité exacte d'un c o n s t a n t ? " — So interessant es dem Historiker sein mag, die Begriffe und Sätze des Parmenides aus der Polemik gegen andere Schulmeinungen heraus zu verstehen, er verbaut sich damit den Zugang zu dem, was hier gedacht wird. Die beiden Teile des Lehrgedichtes werden unter dem Gesichtspunkt der Polemik gegen die doppelköpfigen Sterblichen als Vertreter besonderer Schulmeinungen von vornherein falsch interpretiert. Parmenides polemisiert auch nicht gegen die Sterblichen überhaupt. E r ist j a selbst ein Sterblicher. E r bleibt es auch in und nach „dem Augenblick, da die Göttin ihm den wahren Sachverhalt offenbarte" (gegen W. JAEGER, Theologie . . ., S. 119) ; sonst hätte er sein Epos nicht den Sterblichen vorgetragen. Aber er redet als Sterblicher zu Sterblichen von der göttlichen Kunde der Wahrheit, die die Welt der δόξαι βροτείοα allererst zu erklären vermag, indem sie freilich über sie hinaus weist. Die Parallele zu Piatons Höhlengleichnis ist hilfreich. Insofern ist das Wort πλέον hier doppeldeutig. — Man erkläre das Fragment Β 16 nicht durch das Schlagwort γνώσις τ ω όμοίω! Denn gerade das, was diese These meint, soll j a hier verstanden werden. Wer sich dieser Aufgabe entzieht, macht Parmenides zu einem primitiven Monisten, den man dann freilich leicht rezipieren oder erledigen kann.

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reden, daß zwischen beiden Entsprechungen Entsprechung herrscht: (a zu b) zu (c zu d). Gerade das aber haben wir getan. Mit welchem Recht ? VI. Wir sahen, daß die zwischen Sein und Denken waltende Entsprechung auf dem λέγειν beruht, das — gerade nicht als Sprechereignis der sich ihrer Sprechwerkzeuge bedienenden Menschen verstanden — das Seiende dem Denken vorlegt und so das Denken zum Sein hin fügt. Die zwischen Sein und Denken waltende Entsprechung ist als Entsprechung durch das λέγειν konstituiert : χρή τό λέγειν . . . Die Entsprechung läßt sich als Entsprechung nicht aus dem Gefüge von Sagen, Denken und Sein lösen. Zwischen der φύσις μελέων des διάκοσμος und dem, was man denkt, waltet ebenfalls Entsprechung. Doch sie beruht nicht auf dem λέγειν des εόν. Vielmehr gilt hier der schon bekannte Satz: μορφάς γάρ κατέθεντο δύο γνώμας όνομάζειν (Β 8, 53)1. Das Wort όνομάζειν ist der Gegenbegriff zum λέγειν (φατίζειν) in Teil I. Das zeigt deutlich Β 8, 35 —41. Während das von der Moira zu seinem (Ganz- und Unbeweglich-) Sein gebundene Seiende der Ort ist, wo das Denken schon immer als πεφατισμένον da ist, gilt von dem, was die Sterblichen fest setzen, όνομα εσται. Das όνομάζειν wird hier ebenso wie in Β 8, 53 im Zusammenhang mit κατατίθεσθαι thematisch. In Β 8, 55f. wird das vorausgehende κατατίθεσθαι durch τίθεσθαι σήματα χωρίς άπ' αλλήλων wieder aufgenommen. Das όνομάζειν hat setzende und trennende Kraft 2 ; es ist zer-setzend. Man beachte die Dyaden in Β 8, 40 und die Fortsetzung in Β 8, 41 ! Ebenso fungiert das όνόμασται in Β 9, If. Auch hier erscheint eine Dyas, nach der alles „benannt" wird. Nach den ihnen (Licht und Nacht) eignenden Kräften kommt der Name επί τοίσί τε και τοις. Diese Wendung nimmt das πάντα auf. Auch hier also gehört zum όνομάζεσθαι die Trennung. Ähnlich schließt der letzte Satz der uns erhaltenen Fragmente: τοις δ' δνομ' άνθρωποι κατεθέντ' επίσημον έκάστω (Β 19, 3). Das κατατίθεσθαι als die durch Benennung fest setzende Kraft kehrt hier ebenso wieder wie die mit ihr verbundene 1

2

Die Konstruktion des Satzes ist unklar. Subjekt sind jedenfalls die im Prädikat versteckten Sterblichen. Als Objekt kommt γνώμος in Frage, wovon dann μορφάς δύο όνομάζειν abhängig wäre (so H . D I E L S , Parmenides, S. 9 2 ; D I E L S - K R A N Z , S. 2 3 9 ; J. B E A U F R E T a. a. O. S. 87 u. a.). Ebenso kann aber auch μορφάς Objekt zu κοττέθεντο sein, wovon dann γνώμαξ όνομάζειν abhängig wäre (so K . D E I C H G R Ä B E R a. a. O. S. 682). Da όνομάζειν mit όνομα κατοττίθεσθαι umschrieben werden kann (B 19, 3; cf. Β 8, 38f.), sollte man vielleicht übersetzen: Im Benennen haben sie ihre zwiefache Meinung als zwei Gestalten grundlegend gesetzt. Die vereinzelnde und fest setzende Funktion des όνομάζειν betont auch M. HEID E G G E R , Vorträge und Aufsätze, S. 254; ebenso E. F I N K a. a. O. S. 65—77.

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Beziehung auf das jeweils Einzelne (έττίσημου έκάστω). An die Stelle des im Sagen bewahrten Zusammenhanges (συνέχεσθαι ; cf. Β 8, 23 —25) des Seins ist die im Benennen zur Geltung kommende Individuation getreten. Von dem dem Sein entsprechenden vous hieß es, daß er den Zusammenhang von Abwesendem und Anwesendem fest wahrt: ού γάρ άποτμήξει TÒ èòv του έόντος εχεσθαι (Β 4, lf.). Das aber tut gerade der der φύσις μελέων entsprechende πλακτός νοΰς. Er tut es im όνομάζειν, kraft dessen das Zu-Denkende als Gegenstand vorgestellt wird. Gerade dadurch wird die Entsprechung zwischen der φύσις μελέων ττολυπλάγκτων und dem νους ιτλακτός konstituiert. Die im Bereich der δόξαι waltende Entsprechung wird zur Entsprechung zwischen Erkennen und vor-gestelltem Gegenstand — und gerade so als Entsprechung gefaßt. Das όνομάζειν entspricht gerade in seiner Gegensätzlichkeit dem λέγειν1. Freilich gehört das όνομάζειν in dem Maße näher zum νους als das λέγειν näher zum είναι gehört. Der νους im Bereich der δόξαι ist eine der alles durchwaltenden Zweiheit von Sein und Nichtsein entsprechende zersetzende Kraft, die ein auf das Einzelne gerichtetes Einverständnis erzwingt. Sie beruht im όνομάζειν, das die hier waltende Entsprechung als Entsprechung konstituiert. Das νοεϊν im Bereich der αλήθεια ist eine dem Zusammenhang des Seins entsprechende sammelnde Gelassenheit2, die ein auf das Ganze gerichtetes Einverständnis voraussetzt. Sie beruht im λέγειν, das die hier waltende Entsprechung als Entsprechung konstituiert. Beidesmal weist die Entsprechung in den Raum der Sprache, aber jedesmal in ganz verschiedener Weise3. Deshalb ist es nicht möglich, eine formale Entsprechungsstruktur als das beiden Verhältnissen Gemeinsame von ihnen abzulösen. Dennoch waltet zwischen beiden Entsprechungen ein beide gerade in ihrer Verschiedenheit aneinander bindendes Verhältnis: zwischen der Entsprechung hier und der Entsprechung dort waltet Entsprechung; eine Entsprechung, die wir bereits allgemein als Analogie zwischen dem άλήθεια-Teil und dem δόξαι-Teil des Lehrgedichtes kennengelernt haben. Wir wenden uns ihr noch einmal zu, um das ihr (gegenüber den beiden Entsprechungen zwischen Denken und Zu-Denkendem in beiden Teilen des Epos) eigene Wesen in den Blick zu bekommen. 1

2

Bei Piaton (Kratylos 387 C) ist dann das όνομάζειν zu einem μόριον του λέγειν geworden. Cf. Β 5, I f . : ξυνόν δέ μοί êcrnv, όττπόθεν δρξωμαι - τό6ι γ ά ρ ιτάλιν ϊξομαι

crisis. 3

Der Unterschied zwischen als Sprachphänomen wird tischem Satz jedoch nicht und ein synthetischer S.atz Parmenides möglich.

dem όνομάζειν als Sprachphänomen und dem λέγειν mit dem Gegensatz von analytischem und syntheerfaßt. Vielmehr wird so etwas wie ein analytischer erst auf Grund des όνομάζειν und λέγειν im Sinne des

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VII. Κ . DEICHGRÄBER hat darauf aufmerksam gemacht, daß gerade da, wo sich die Welt der Sterblichen von der Welt der Wahrheit unterscheidet, zwischen beiden engste Verwandtschaft besteht. An die Stelle des Einen ,,έόν εμμεναι" ist dieZweiheit als Gegensatz getreten: είναί τε καΐ ουχί, Licht und Nacht. Aber indem die getrennte Zweiheit an die Stelle des einigen Einen getreten ist, ist bei voller Geschiedenheit der komplementären Gegensatzteile jedes für sich zu selbständiger Einheit gekommen, so daß DEICHGRÄBER sagen kann: „die Sterblichen . . . haben sich die Denkweise des Parmenides zu eigen gemacht"1. In der Tat, gerade im Widerspruch zur Wahrheit entspricht die δόξα der Wahrheit. Gerade indem sie der Einheit des Seins durch den Gegensatz von Sein und Nichtsein widerspricht, bewahrt sie in diesem Gegensatz die Einheit eines jeden von beiden: jedes έωυτω ιτάντοσε τωύτόν, τω δ' έτέρω μή τωύτόν (Β 8, 57f.). Im Widerspruch zu . . . waltet Entsprechung zu . . . — so können wir das zwischen αλήθεια und δόξα bestehende Verhältnis charakterisieren. κατά δόξαν εφυ τάδε sagt Parmenides am Ende des Gedichtes (B 19, 1). Die Welt der δόξα ist die Welt der φύσις. Zu ihr gehört auch der Himmel, von dem der lauschende Dichter erfahren soll, ενθεν εφυ τε καΐ ώς μιν άγουσα έττέδησεν 'Ανάγκη ττείρατ' εχειν άστρων (Β 10, 6f.)2. Das φύειν gibt an beiden Stellen eine Bewegung wieder. Die Welt der δόξα ist durch Bewegung konstituiert. Darin widerspricht sie dem εόν, das in Β 8, 26 als άκίνητον behauptet war mit der Begründung κρατερή γαρ 'Ανάγκη ττείρατος εν δεσμοϊσιν εχει (Β 8, 30f.). Es ist dieselbe Ananke, die in der bewegten Welt der δόξα wirkt. Und sie tut auch hier und dort dasselbe, sie zwingt in die Grenzen: das unbewegt Seiende, indem sie es hält; den aus der Bewegung gewordenen Himmel, indem sie ihn führt und dadurch bindet, selber Grenzwächter (der Sterne) zu sein. Damit haben wir den Grund für die Entsprechung mitten im Widersprach gefunden. Die mächtige Göttin Ananke waltet hier und dort. Zur Bestätigung sei noch Β 8, 37 herangezogen3, wo von der Göttin — diesmal Moira 1

2

8

a. a. O. S. 685; aber Parmenides ist selbst ein Sterblicher, auch an der Seite der Göttin. Wenn er nicht schizophren ist, muß also ein Grund für dieses seltsame Doppelspiel da sein. Dieser Grund liegt im Wesen der Analogie. Zum Aufbau des Fragmentes Β 10 cf. die vorzügliche Deutung F. H E I N I M A N N S a. a. O. S. 90f., wo auch die Bedeutungsentwicklung des Begriffes φύσΐζ aufgezeigt wird (S. 89—109). Cf. aber auch Β 8, 13 ff., wo von der Göttin Dike gesagt wird, daß sie das Seiende fest in ihren Banden hält. Zur Interpretation sei auf W. J A E G E R , Theologie . . ., S. 268, Anm. 56 (lies 55) und auf H. F R A N K E L , Wege und Formen, S. 162—173, insbesondere aber auf Erik Wolf, Griechisches Rechtsdenken I, S. 294, verwiesen : „Dike als Fügung des Seins für alles Seiende bedeutet . . . Einheit und Selbstbehauptung des wesenhaften Seins in allem Seienden".

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geheißen1 — gesagt wird, daß sie das Seiende daran gebunden hat, ein Ganzes und unbeweglich zu sein. Dasselbe Prädikat, sogar in derselben Form, bringt das Wirken der Göttin hier und dort zum Ausdruck: επέδησεν. Verstehen wir die Moira (Ananke), ohne sie ihrer Göttlichkeit zu berauben, mit M. HEIDEGGER 2 als Geschick des Seins, so hieße das, daß auch im Bereich der δόξα das Sein seinen Ort hat 3 . In der Tat, Parmenides redet auch hier vom Sein; aber dem είναι ist ein τε και ουχί zur Seite getreten (B 8, 40). ,,Τέ und και bedeuten beide und, unterscheiden sich aber so, daß das erstere Zusammengehöriges verbindet und die verbundenen Begriffe oder Gedanken als eine Einheit darstellt, das letztere hingegen die verbundenen Begriffe oder Gedanken als Verschiedenes bezeichnet4". Daß Sein und Nichtsein etwas Verschiedenes sind, leuchtet ein. Als Verschiedenes kommen sie aber nur in den Blick, wenn sie in ihrer Verschiedenheit als zusammengehörig begriffen werden. Die Welt der δόξα ist von der des Seins grundverschieden. Denn in ihr haben Sein und Nichtsein Raum, während in der Welt des Seins nur das Geschick des Seins waltet. Aber daß das Geschick des Seins auch dort waltet, wo ihm das Nichtsein entgegentritt, das erst macht es möglich, das εΐναί τε καί ουχί als Widerspruch zum εόν εμμεναι zu denken. Ebenso läßt sich der Gegensatz des zer-setzenden όνομάζειν zum sammelnden λέγειν erst aus dem λέγειν her denken. Nicht umsonst begegnet sowohl die Kunde von der Wahrheit des Seins als auch die vom Erscheinen des Seins im Schein (cf. Β 1, 31 f.) im Sagen der Göttin6. Ausdrücklich weist die Göttin darauf hin, daß auch der απατηλός κόσμος ihren Worten entspringt (B 8, 52). Ausdrücklich heißt es im Prooemium, daß die Göttin, die hart strafende Dike, es ist, die die wechselnden 1

2 3

4 6

Von der als Moira verstandenen Göttin Themis sagt E. WOLF, Griech. Rechtsdenken I, S. 32: „die Fügung des Seins und die aus ihr verfügten Geschicke sind . . . Entsprechungen des Seins selbst, das sich im Seienden entfaltet und den Kosmos gestaltet". Als solche ist sie zugleich die,, Gottheit der verbindenden Kraft, die Urgegensätze des Daseins" (S. 34) zur Ordnung bindend. Die Bestimmungen der Göttin durch E. WOLF kommen unserer Interpretationen des άλήθεια-δόξαBezuges als Entsprechung im Widerspruch im Sinne einer theo-onto-logischen Analogie sehr entgegen. Vorträge und Aufsätze, S. 252. Damit grenze ich mich freilich gegenüber H E I D E G G E R insofern ab, als dann nicht gesagt werden kann, daß „das Geschick das in der Zwiefalt (sc. von νοεΐν und νόημα, von Sein und Seiendem) Entfaltete dem alltäglichen Vernehmen von Seiten der Sterblichen überläßt" (Vorträge und Aufsätze, S. 263; cf. S. 255). Sie überläßt gerade nicht, sondern hat gebunden. Das έττέδησεν kann man schon in Β 8, 37 nicht im Sinne von „Sie hat . . . entbunden und so gerade . . . gebunden" (ebenda, S. 252) verstehen, wenn es in Β 8, 37 und Β 10, 6 dasselbe sein soll. KÜHNER-GERTH, Grammatik der griechischen Sprache, Satzlehre II, S. 246. Darauf weist auch W. JAEGER, Theologie . . ., S. 119, S. 268, Anm. 46 (lies 46) immer wieder hin.

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Schlüssel des Tores von Licht und Nacht im Besitz hat (B 1, 11—14)1. In allem Widerspruch begegnet uns die Entsprechung, die den Widerspruch als Widerspruch bestätigt : Entsprechung im Widerspruch. Der κόσμος ist selber Widerspruch, διάκοσμος, aber darin entspricht er im Sagen der Göttin durchgängig der Ordnung des Seins : τόν σοι έγώ διάκοσμου εοικότα πάντα φατίζω (Β 8, 60). Er bleibt im Widerspruch entsprechend, da auch hier das göttliche Geschick des Seins bindend ('Ανάγκη έπέδησεν) zur Sprache kommt (φατίζω). Er kommt im Widerspruch als Entsprechung zur Sprache: Analogie. Das Wesen dieser Analogie impliziert eine Theologie. Diese Analogie ist ihrem Wesen nach theo-onto-logisch2. VIII. Auf der Suche nach einem Ort, der uns das Phänomen der Analogie in ursprünglicher Weise zu erkennen gibt, beschäftigten wir uns ausgerechnet mit dem in seiner Interpretation so umstrittenen Lehrgedicht des Parmenides, in dem der Begriff der Analogie überdies überhaupt nicht vorkommt. Parmenides hat uns diesen Begriff nicht vorgestellt. Begriffe sind an Vorstellungen gebunden. Es ist also sachgemäß, wenn Parmenides keinen Begriff von etwas anbietet, wovon er keine Vorstellung hat. Parmenides Hebte klare Begriffe. Das, was wir bei ihm als Entsprechung und Analogie zur Geltung gebracht haben, ist jedoch ein komplexes Phänomen. Es läßt sich nur schwer auf klare Begriffe bringen. Es läßt sich nur schwer vorstellen. Taten wir also recht, wenn wir Parmenides heranzogen, um das Phänomen der Analogie in ursprünglicher Weise in den Blick zu bekommen? Sind wir etwa gegenüber Parmenides und mit Parmenides in die Irre gegangen? Daß wir Parmenides selbst keine Gewalt angetan haben, zeigt die Geschlossenheit unserer Interpretation, die in allen Stücken vom parmenideischen Text bestimmt ist. Ja, ich wage zu behaupten, daß nur vom Ansatz der Analogie her sich das Lehrgedicht des Parmenides konsequent interpretieren läßt. Wo ein Phänomen sich als Ansatz eines mit ihm ansetzenden Denkens zeigt, da mögen ihm freilich noch Begriff und Vorstellung fehlen. Dadurch bleibt es jedoch davor be1

Cf. die sorgfältige Deutung, die K. DEICHGRÄBER diesen Versen gibt (a. a. O. S. 658—661) ; ebenso H. F R A N K E L , Wege und Formen, S. 168, Anm. 1 und

2

Für den historischen Hintergrund dieser These wäre W. J A E G E R , Theologie . . ., S. 107—126, zu vergleichen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß der Rekurs auf ein religiöses Erlebnis für das Verständnis dessen, was hier „theo-onto-logische Analogie" besagt, gar nichts austrägt. W. JAEGER darf nicht gegen K . R E I N HARDT, sondern nur im Einverständnis mit seinen Ausführungen, a. a. O. S. 250 —257 (ohne Bindung an Details) herangezogen werden.

E . WOLF a. a. O.

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S. 2 8 8 — 2 9 2 .

wahrt, in einer Vorstellung zum Begriff abgestellt zu werden. Es zeigt sich uns dafür in seiner ursprünglichen Vielfalt, die von einer einfältigen Ursprünglichkeit des Denkens zeugt. Dann befinden wir uns aber mit Parmenides auf dem rechten Weg. Wir können also zusammenfassend das bei Parmenides in den Blick kommende Phänomen der Analogie so beschreiben: 1. Das Phänomen der Analogie ist als solches vielfältig. 2. In ihrer Vielfalt weist die Analogie beständig in den Raum der Sprache, aus dem her sie allein in ihrer Vielfalt zu verstehen ist. 3. In ihrer Vielfalt weist die aus dem Raum der Sprache verstandene Analogie auf das Sein hin. 4. Die aus dem Raum der Sprache verstandene Analogie weist auf das Sein hin in der Entsprechung von Denken (νοεΐν) und Sein (είναι). Sie wird als Entsprechung durch das den Zusammenhang des Seins wahrende λέγειν konstituiert. Die Sage des Seins bringt das Denken dem Sein zur Ent-sprechung. Die durch das Sagen des Seins konstituierte Ent-sprechung ist der Ansatz des Denkens als Denken. 5. Die aus dem Raum der Sprache verstandene Analogie weist auf das Sein hin in der Ent-sprechung von Gegenstand und Erkennen. Sie wird als Entsprechung durch das den Zusammenhang des Seins in Gegenstände zer-setzende όνομάζειν konstituiert. Die den Zusammenhang des Seins zer-setzende Kraft des Benennens bringt das Erkennen dem Zu-Erkennenden zur Entsprechung. Die durch die zer-setzende Kraft des Benennens konstituierte Entsprechung ist der Ansatz des Denkens zum vorstellenden Erkennen. 6. Die aus dem Raum der Sprache verstandene Analogie weist auf das Sein hin in der dem Widerspruch zwischen der Wahrheit des Seins und der Ordnung des Scheins eigenen Entsprechung zwischen der Wahrheit des Seins und der Ordnung des Scheins. Sie wird als Entsprechung sowohl durch den Widerspruch als auch durch den vorgängigen Spruch (μύθος) der Göttin konstituiert. Das den Widerspruch zwischen der Wahrheit des Seins und der Ordnung des Scheins kündende Geschick des Seins bindet den Widerspruch zur Entsprechung, die als Entsprechung im Widerspruch zur Sprache kommt. Die als Widerspruch zwischen der Wahrheit des Seins und dem διάκοσμος der δόξαι βροτείαι waltende Entsprechung ist der Ansatz des Denkens zum metaphysischen Entwurf. 7. Die als Ansatz des Denkens zum metaphysischen Entwurf verstandene Entsprechung ist, indem sie den Widerspruch nicht sich selbst überläßt, wesentlich eine theo-onto-logische Analogie. 29

ANALOGIE ALS GEGENSATZ — HERAKLIT Das Phänomen der Analogie soll in seinem Wesen sichtbar werden. Wir haben gelernt, auch dort danach zu suchen, wo der Ausweis eines geprägten Begriffes noch fehlt. Dieser methodische Grundsatz erfährt eine überraschende Bestätigung, wenn wir unsere Aufmerksamkeit einer „heraklitischen Denkform" zuwenden, der H . F R A N K E L eine eingehende Untersuchimg gewidmet hat 1 . I. Piaton unterscheidet im VII. Buch der Politela in einer zusammenfassenden Erörterung über die Funktion und die Bedeutung der διαλεκτική μέθοδος (533c 7—535a 2) vier Weisen der „Erkenntnis", nämlich επιστήμη, διάνοια, πίστις, und εικασία. Die beiden letzten Erkenntnisweisen faßt er unter dem Oberbegriff δόξα, die beiden ersten unter dem Oberbegriff νόησις zusammen. Beiden Erkenntnisarten ist ein eigener „Gegenstandsbereich" zugeordnet: der δόξα der Bereich der γένεσις, der νόησις der Bereich der ουσία. Und nun stellt Piaton zwei Verhältnisbestimmungen auf: 1. Wie ούσία zu γένεσις so νόησις zu δόξα. 2. Wie νόησίξ ( = έπιστήμη + διάνοια) zu δόξα ( = πίστις + εικασία) so επιστήμη zu πίστις und so διάνοια zu εικασία. Mathematisch formuliert: 1. Wie C zu D so A zu B, 2. Wie A zu Β so a(x) zu b(*) so a(2) zu b(2). Piaton nennt dieses Ordnungsgefüge αναλογία. In den uns erhaltenen Fragmenten des Heraklit findet sich dieser Begriff nicht. Wohl aber findet sich bei Heraklit solch ein Proportionsschema, das bei Piaton den Namen der Analogie trägt 2 . H. F R A N K E L hat nachgewiesen, daß Piaton im Zusammenhang der zitierten Stelle aus der Politela sich in heraklitischen Denkbahnen bewegt, daß er auch 1

2

H. FRANKEL, „Eine heraklitische Denkform". Ursprünglich auf englisch „ A thought pattern in Heraclitus" veröffentlicht im American Journal of Philology 59 (1938), S. 309—337 ; die deutsche Fassung ist abgedruckt im Sammelband „Wege und Formen frühgriechischen Denkens", S. 263—283. Auf die Bedeutung dieses Aufsatzes für das in der Theologie verhandelte Analogieproblem hat G. SÖHNGEN hingewiesen: „Gesetz und Evangelium", S. 130, Anm. 18. Der Name „Analogie" als Bezeichnung eines Proportionsschemas stammt nicht von Piaton.

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Texte Heraklits verwendet, so daß schließlich sogar das berühmte Höhlengleichnis Piatons vonHeraklit angeregt gewesen sei. H. FRANKEL hat das platonische Proportionsschema schon bei Heraklit als eine grundlegende Denkform konstatiert. „Mit einer unwesentlichen Änderung hat Piaton . . . ein grundlegendes Prinzip des heraklitischen Denkens mit technischer Präzision formuliert" 1 . Wir wollen nun das, was bei Piaton unter dem Namen αναλογία Thema wird2, dort aufsuchen, wo es noch nicht als Prinzip formuliert und mit einem Namen benannt ist, aber dennoch das Denken und Sagen eines Mannes bestimmt, der durch sein Denken für die Menschen „dunkel" wurde: Heraklit ό Σκοτεινός. Am Eingang der Fragmente des Heraklit steht eine Grundsatzerklärung. In ihr geht es um den λόγος und um seine Erkenntnis. Sofern es um die Erkenntnis des λόγος geht, geht es auch um die επη καί εργα3 der Menschen4. Sofern es um die Menschen geht, geht es auch um Heraklit selbst. Freilich tritt sein εγώ in einen scharfen Gegensatz zu den άλλοι άνθρωποι (Β 1, 8ff.). Denn sein Verhältnis zum λόγος ist ein anderes als das der anderen Menschen. Sein Ver1 2

3

4

Wege und Formen, S. 281. Wir kommen auf die zitierte Politeiastelle in dem Piaton gewidmeten Paragraphen zurück. Zum Gegensatz λόγος —Ιττη cf. E. H O F F M A N N a. a. O. S. I f f . ; zu επη καί Ιργα cf. F. H E I N I M A N N a. a. O. S. 43ff. und S. 92f. Der doppelte Ausdruck soll „das ganze menschliche Gebahren . . . umschreiben" (K. R E I N H A R D T a. a. O. S. 218). Der Begriff λόγος soll vorerst unbestimmt bleiben, damit wir nicht vorschnell in die von K. R E I N H A R D T a. a. O. S. 219 aufgestellte Alternative „Weltgesetz" oder „Denknotwendigkeit" eingespannt werden. Zur Kritik an K. R E I N H A R D T cf. E. H O F F M A N N a. a. O. S. 2, Anm. 1. Auf jeden Fall scheidet schon hier die Übersetzung „Sinn der Lehre" ( D I E L S / K R A N Z ) aus. U . H Ö L S C H E R S (a. a. O . S. 70) Umschreibung „Rede der Vernunft" scheint mir angemessener zu sein, bleibt jedoch mißverständlich. O. G I G O N S Behauptung, daß λόγος als „gelegentliche Notbezeichnung der ganzen Summe objektiver Größen . . . seine Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem heraklitischen Werke" (Untersuchungen zu Heraklit, S. 6) habe, ist trotz der weitläufigen Begründung nicht überzeugend, sondern eher harmlos; sie scheint überdies bereits auf S. 44 vom Verfasser wieder vergessen worden zu sein. G I G O N bestreitet auch die philosophische Spannung zwischen λόγος und Ιττη in Β 1, weil eine entsprechende „Sprachphilosophie . . . Heraklit sicher sehr ferne" gelegen habe (ebenda, S. 8) ; doch cf. S. 91. Gänzlich vorbei am Wesen des heraklitischen Logos geht die Auffassung W. K E L B E R S (Die Logoslehre von Heraklit bis Orígenes, S. 11—43), der im Logos Heraklits den anthroposophisch mißverstandenen Logos des Johannesevangeliums wiederfindet, angeleitet von R. S T E I N E R , „der auch in das Dunkel Heraklits . . . wieder Licht brachte" (a. a. O. S. 42). Daß es hier also „um die Menschen in ihrem Verhältnis . . . zum Logos" geht, darf nicht zu der Meinung führen: „das eigentliche Anliegen ist überhaupt nicht der Logos als solcher" ( F R . J . B R E C H T , Heraklit, S . 3 9 ) . Vielmehr: weil es um den Logos als solchen geht, geht es um die Menschen in ihrem Verhältnis zu ihm. 31

hältnis zum λόγος bewährt sich jedoch gerade an den επη και έργα der Menschen, die zu erörtern er sich vornimmt, κατά φύσιν\ / διαιρέων εκαστον και φράζων ^ \ ÔKCOS εχει. Κ . R E I N H A R D T hat erklärt, daß „jede Herakliterklärung, die zum Ziele kommen will, vom Satzbau ausgehen muß" 1 . Der Bau dieses Satzes ist chiastisch2. Diese Stilform ist für das Denken Heraklits bestimmend; immer wieder werden in seinen Sätzen durch einen Chiasmus Beziehungen hergestellt zwischen Satzgliedern, die sich entweder entsprechen (bis hin zur Identität) oder einander widersprechen (bis hin zum Paradox). Als ein Beispiel für beide Möglichkeiten sei Β 62 genannt. In der ersten Hälfte des Fragments begegnet der Chiasmus zwischen identischen Satzgliedern: αθάνατοι θνητοί, θνητοί αθάνατοι.

In beiden Sätzen, die zueinander in einem konversiven Verhältnis stehen, treten jeweils dieselben gegensätzlichen Begriffe zueinander in Beziehung. Beide Sätze sind je für sich ein Paradox. Aber beide Sätze zusammen ergeben eine Einheit, die den in jedem Satz ausgesprochenen Gegensatz bewahrt. Die Einheit der beiden paradoxen Sätze findet formal ihren Ausdruck in dem die identischen Satzglieder miteinander verbindenden Chiasmus. In der zweiten Hälfte des Fragments begegnet ein Chiasmus zwischen einander widersprechenden Satzgliedern : ζώντες τον έκείνων θάνατον, τον δέ εκείνων βίον τεθυεώτες. In beiden Sätzen, die ebenfalls in einem konversiven Verhältnis zueinander stehen, wird ein Gegensatz ausgesagt. Doch bei der Konstatierung des einen Gegensatzes darf es nicht bleiben. Er verlangt seine Umkehrung zum konversiven Gegensatz, so daß beide Gegensätze zusammen wiederum eine Einheit ergeben. Der Chiasmus, in dem auch diese Einheit ihren formalen Ausdruck findet, verbindet diesmal einander scharf entgegengesetzte Begriffe. Der Chiasmus hat im Denken und in der Sprache Heraklits offensichtlich eine die Einheit von Gegensätzen wahrende Funktion. Das bestätigt sich uns, wenn wir zu der Grundsatzerklärung Β 1 zurückkehren. Auch das Stück Β 1, Iff. ist chiastisch aufgebaut 3 : 1

a. a. O. S. 215.

2

Cf. F . HEINIMANN

8

Das folgende Schema hat gegenüber der schematischen Darstellung O. G I G O N S (Heraklit, S. 9) nicht nur einen ästhetischen Vorzug, sondern auch den Vorzug der Klarheit und Einfachheit. G I G O N hat den chiastischen Aufbau nicht erkannt.

32

a. a. O.

S. 93.

Του δέ λόγου τουδ^ φόντος άεΐ άξύνετοι γίνονται^ /'άνθρωποι \ \/ / καί πρόσθεν ή \ f f άκον/σαι καΐ άκούσαντες Λ ί \ τ ό πρώτον· / /' \ \ γινομένων γαρ πάντων / \ κατά τον λόγον τόνδε άπείροισιν έοίκασι, πειρώμενοι καί έπέων καί Ιργων . . . In diesem ersten Teil des Fragmentes begegnen mindestens fünf Chiasmen. Die beiden ersten „Verse" drücken zusammen einen Gegensatz aus. In ihm treten dem λόγος die Menschen gegenüber, seinem Sein ihre Erkenntnislosigkeit. Freilich „gehört fast schon Bekanntschaft mit dem eleatischen Problem dazu, um den doppelten Gegensatz zwischen dem είναι und dem μή ξυνιέναι, zwischen λόγος und άνθρωποι und die sich überkreuzende Entsprechung der vier Glieder, diese von Heraklit so überaus beliebte Figur, als archaische Kunstform nachzufühlen" 1 . Der Chiasmus verbindet hier die sich nach eleatischer Lehre entsprechenden Glieder in der Weise des Gegensatzes. Die folgenden „Verse" zerlegen das αεί2 in zwei konträre Bestimmungen, die zusammen eine Einheit, ein Ganzes ausmachen. Chiastisch sind einerseits die konträren temporalen Momente, andererseits die identisch bleibenden Akte des jeweiligen Hörens verbunden. Die beiden nächsten „Verse" erläutern die beiden ersten, so daß der Chiasmus von dort sich hier wiederholt, nuanciert durch das πάντων, das in επέων καί έργων seine Entsprechung hat. Damit ergeben sich jedoch zwei weitere Chiasmen. Das Sein des Logos findet seine Entsprechung im Werden des All. Das κατά τον λόγον τόνδε weist deutlich auf das erste Satzglied des Fragmentes zurück. Die Menschen gleichen den Unerfahrenen, sie erweisen ihre Uneinsichtigkeit (άεί άξύνετοι) als πειρώμενοι καί επέων καί έργων. Von diesen aber will Heraklit sagen, wie es sich mit ihnen verhält, indem er sie κατά φύσιν zerlegt. Heraklit denkt, indem er Gegensätzliches zu Gegensätzen verknüpft. In solchem Verknüpfen zu Gegensätzen vollzieht sich das der wahren Natur entsprechende Zerlegen. Κατά φύσιν handelnd, 1

2

3

a. a. O . S . 2 1 7 f . Ich halte den Nachweis R E I N H A R D T S , daß Heraklit später als Parmenides anzusetzen ist, mit J. STENZEL (Metaphysik des Altertums, S. 56) für geglückt; cf. aber W. JAEGER, Theologie . . ., S. 275, Anm. 54. Ich beziehe άε(, dessen Stellung schon für A R I S T O T E L E S (Rhetorik Γ, 5, 1407 b, 17f.) problematisch war, auf άξύνετοι; ebenso K . R E I N H A R D T a. a. O . S. 218; dagegen beziehen W . J A E G E R (Theologie . . ., S. 271, Anm. 11), O . GIGON (Heraklit, S. 2ff.) und schon M. H E I N Z E (a. a. O. S. 10) άεί auf âôirros. GIGON gibt freilich auch der Beziehung des άεί auf άξύνετοι ein relatives Recht. B R E C H T (a. a. O. S. 38, Anm. 1) will es nach vorn und hinten bezogen verstehen. Aber bedarf das έόν des Zusatzes άεί ? Κ. REINHARDT

Jüngel, Zum Ursprung der Analogie

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indem man nämlich auf die φύσις hört, redet man die Wahrheit (B 112). Und da nach Heraklit die φύσις κρύτττεσθαι φιλεϊ (Β 123)1, ist das sich im διαιρείν κατά φύσιν vollziehende Reden der Wahrheit notwendig paradox2: τα ψυχρά θέρεται, θερμού / \ ψύχεται, ùypòv \ / αύαίνεται, καρφαλέον χ^ Χ ν ο τ ί ζ ε τ α ι (Β 126). Doch wieder sind die Gegensätze chiastisch zu einer Einheit verbunden. Die Stilform des Chiasmus ist für Heraklit keineswegs nur eine archaische Kunstform, sondern eine Denkform, in der seine Methode des κατά φύσιυ διαιρείν ihren angemessenen Ausdruck findet3. Der Chiasmus entläßt das Seiende nicht in Gegensätzliches, sondern bewahrt den Gegensatz als Gegensatz auf Grund einer ihm schon immer zugrunde liegenden Einheit. Freilich, ,,erst mit dem Gegensatz tritt jedes Ding ins Dasein, und die innere Einheit, das ταύτόν, . . . wird sichtbar erst durch Zweiheit, Widerspruch und ewigen Wechsel" 4 . Aber im Gegensatz waltet eben die Einheit. Nach dieser durch den Chiasmus angedeuteten Einheit im Gegensatz gilt es zu fragen. Wo und wie kommt sie bei Heraklit zum Ausdruck ? II. Heraklit wollte alles, so sahen wir, κατά φύσιν zerlegen und dadurch aufzeigend sagen, δκως εχει (Β 1). Er kann das, denn er folgt damit dem λόγος, dem man als dem allen Gemeinsamen (τοϋ λόγου δ' εόντος ξυνοΟ, Β 2, cf. Β 113 und Β 114) folgen muß (δεϊ εττεσθαι, Β 2). Der λόγος selbst kommt also zu Worte®, wo κατά φύσιν zerlegt 1

Das stützt M. H E I D E G G E R S Interpretation der Wahrheit als Unverborgenheit (cf. Sein und Zeit, S . 2 1 9 f f . und fast alle weiteren Veröffentlichungen H E I D E G G E R S ) gegen die nicht-philologischen Einwände P. F R I E D L Ä N D E R S (Platon I, S. 233ff.).

2

Cf.

3

Cf. O. G I G O N (Heraklit, S. 124) zu Β 62 : „Durch solche künstlich erzwungenen Sätze wird die von Heraklit . . . behauptete Einheit von Leben und Tod unmittelbar deutlich gemacht. Sprache und Inhalt stehen in eigenartiger Wechselbeziehung".

Κ . REINHARDT

a. a. O.

U . HÖLSCHER a. a. O.

S. 7 3 .

1

K . REINHARDT

6

Heraklit soll nach Hippolyt das Zu-Worte-Kommen des λόγος in dem Menschen, der den λόγος vernommen hat, sogar als όμολογεϊν (Β 50) bezeichnet haben. Indessen kann dieser Begriff auf Kosten der Polemik des erzürnten Theologen gehen, der den Noëtianern die heraklitische Philosophie substituiert, um sie so besser der Häresie überführen zu können (cf. dazu K. R E I N H A R D T a. a. O. S. 158ff.). Freilich kehrt der Ausdruck in dem ebenfalls von Hippolyt überlieferten Fragment Β 51 wieder, wo er zweifellos keinen Bekenntnischarakter haben kann. Das spräche

34

a. a. O.

S. 2 0 4 u n d

S. 1 7 9 .

wird und dadurch zur Sprache kommt, δκως εχει. So geschieht es in Β 10. Heraklit folgt dem Logos, κατά φύσιν διαιρέων εκαστον: όλα καΐ ούχ δλα, σνμφερόμενον διαφερόμενον, σννδδον διδδον. Gerade so aber folgt er dem Logos, φράζων δκως εχει: και εκ πάντων εν καί έξ ένός πάντα. Die Gegensätze können nur deshalb als συνάψιες, wie es am Anfang dieses Fragments geschieht, bezeichnet werden, weil aus dem All der Gegensätze das Eine resultiert, aus dem selbst Alles kommt und zum Verständnis kommt. Was ist das Eine ? "Εν τό σοφόν μοΟνον. Dieses Eine-Einzig-Weise will nicht und will doch1 mit dem Namen des Zeus benannt werden (B 32). Warum und warum nicht? Είναι yàp εν τό σοφόν έπίστασθαι γνώμην έτεη· κυβερνήσαι πάντα δια πάντων 2 (Β 41). Bei Parmenides ist es die Daimon, ή πάντα κυβέρνα (28 Β 12, 3), bei Anaximander das άπειρον (12 A 15, 18f.). Insofern mag das "Εν τό Σοφόν bei Heraklit Zeus heißen3. Aber weil diesem Einen „alles Persönliche . . . fehlt" 4 , deshalb will es nicht Zeus heißen. Hier unterscheidet sich Heraklit von den λόγοι aller Menschen (Philosophen), die er gehört hat und von denen keiner zu der Erkenntnis gelangt ist, ότι σοφόν έστι πάντων κεχωρισμένον (Β 108). Gerade weil es als das von Allem Getrennte Eine sein Sein hat, kann das All der Gegensätze aus diesem Einen entstehen und dieses Eine wiederum aus Allem. Der χωρισμός ist die Entdeckung Heraklits, auf der seine Theologie und von ihr her seine Ontologie basiert. Das zweimalige έκ in Β 10 (έκ πάντων εν καί έξ ένός πάντα) und das διά in Β 41 (πάντα διά πάντων) ist nur möglich auf Grand des Einen als κεχωρισμένον πάντων, das in Β 108 von dem σοφόν prädiziert wird5. für die Echtheit auch in Β 50. Aber nun verweist O. GIGON (Heraklit, S. 22) für Β 51 auf Β 10, wo dem διαφερόμενον ein σνμφερόμενον entgegengesetzt ist, so daß es unwahrscheinlich ist, daß Heraklit in Β 51 „die eindrucksvolle Wortgleichheit von Fr. 10 zugunsten des banaleren όμολογεΐ aufgegeben hätte". Dann wäre in Β 61 συμφέρεται zu lesen (so auch ZELLER/NESTLE unter Berufung auf Piaton, Symposion 187 A und Sophistes 242 C ff. ; Philosophie der Griechen I, S. 827, Anm. 1), während ich, auf Β 114 verweisend, in Β 50 für όμολογείν lieber (ξύν vóco) λέγειν lesen möchte. 1

2 8

Das ούκ ίθέλει καί έθέλει darf nicht voluntaristisch verstanden werden. M. HEIDEGGER (Logos, in: Vorträge und Aufsätze, S. 223) übersetzt έθέλειν hier treffend „in der Rückbeziehung auf sich selber etwas zulassen". G. SÖHNGEN (Gesetz und Evangelium S. 33) übersetzt ebenfalls „zulassen". Cf. auch unten, S. 41, Anm. 4. Ich folge der Korrektur K. REINHARDTS a. a. O. S. 200f., Anm. 1. In der Tat heißt es in Β 64: τά δέ πάντα οίακίζει Κεραυνός Der Blitz ist das Attribut des Zeus.

* K . REINHARDT a. a . O. 5

31

S. 2 0 6 .

Daß das Getrenntsein des Einen („Transzendenz" sagt BRECHT) der Möglichkeitsgrund dafür ist, daß die Gottheit zugleich „sich wandelnd in allem, was das Sein und Dasein ausmacht", da ist, hat FR. BRECHT (a. a. O. S. 121) richtig erkannt. 35

Jetzt verstehen wir das scheinbar so abstrakte Fragment Β 10 besser. Es geht in ihm, wie die Parallele in Β 67 zeigt, um Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sattheit-Hunger. Und es geht in all diesem um den θεός. Er ist Tag-Nacht, Winter-Sommer, KriegFrieden, Sattheit-Hunger 1 . Aber bevor (ontologisch früher) er das alles ist, ist er jenseits, getrennt von allem. Getrennt nämlich von dem All der Gegensätze, als das Eine Identische, aus dem dann alle Gegensätze werden, aber aus ihnen resultiert wieder das Eine, das so alles durch alles steuert als der λόγος, dem man ξύν νόω als dem ττασι ξυνόν folgen muß, um zu erfahren, δκως εχει. Wenn Heraklit sagen will, όκως εχει, so tut er es gern mit dem Leitwort οκωσ-ττερ. Das Wort begegnet in den Fragmenten Β 1, Β 29, Β 44, Β 51, Β 79, Β 90, Β 114 und in unserem Fragment Β 67. In gleicher Funktion kann Heraklit auch ώσττερ gebrauchen, wie ein Vergleich zwischen Β 73 und Β 1, 11 lehrt (cf. Β 124) ; ebenso ώς (Β 2), οίον (Β 5), όκοΐον (Β 5) oder die prädikative Form εοίκασι (Β 34). Heraklit redet in „Gleichnissen". Er tut es auch da, wo ein das „Gleichnis" markierendes Leitwort wie δκωσττερ fehlt (cf. ζ. Β. Β 36 und Β 52). Die „Gleichnisse" sind, sofern nicht völlig dunkel, sehr präzis. Sie gleichen oft Verhältnisbestimmungen. Der Mann gilt im Verhältnis zum Gott als so kindisch wie das Kind im Verhältnis zum Mann (B 79). Heraklit benutzt eine Verhältnisbestimmung, um zu sagen, wie es sich verhält 2 . Doch kehren wir vorerst zurück zu Β 67. Auch dort wird erörtert, wie es sich verhält, nämlich mit Gott und dem All der Gegensätze, wie der Scholiast richtig interpretiert (τάναντία άπαντα), ττώς εχει; Die Rede von der transzendentalen (!) Tiefe der Einheit der Gegensätze droht diese Erkenntnis jedoch zu verdunkeln. Hinter den heraklitischen Gegensätzen gibt es keine „transzendentale Tiefe ihrer Einheit". Die Einheit der Gegensätze ist vielmehr der Gegen-Satz, wie unten darzulegen sein wird. Man vermißt bei B R E C H T eine klare Unterscheidung von „transzendent" und „transzendental". 1

2

Ich bezweifle die Richtigkeit der Deutung O. GIGONS (Heraklit, S . 147), der der Meinung ist, daß die „Gegensatzreihe für die Reihe der Volksgötter" steht, die zur Zeit Heraklits „schon so weit allegorisiert worden sind . . ., daß sie mit ihren kosmologischen Namen bezeichnet werden können". U . HÖLSCHER weist sehr richtig darauf hin, daß die „Gleichnisse Heraklits . . . nicht bloß literarische Form" sind; vielmehr „steht das Gleichnis bei Heraklit an der Stelle des Beweises" (a. a. O. S. 74). Jawohl! — Auf die Verwendung des Gleichnisses als Proportion hat B. SNELL besonders hingewiesen (Entdeckung des Geistes, S. 265 u. S. 292). Der proportionale Charakter der heraklitischen Gleichnisse wird verdeckt, wenn die „Dinge" als die „Chiffren des Seins" im Lichte von „lichten Symbolen des Seinssinnes" bezeichnet werden, wie das F R . BRECHT (a. a. O S. 98) in allzu deutlicher Anlehnung an K. J A S P E R S tut. Das Interesse am „Sinn" ist eine Folge erst der neuzeitlichen Metaphysik, deren Überwindung erst dann bekannt gegeben werden darf, wenn auch die Frage nach dem Sinn (ζ. B. von Sein) als die beherrschende metaphysische Frage überwunden worden ist.

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Die Antwort lautet: δκωσττερ . . ., gerade wie mit dem öl, das, wenn es mit den (das ö l zum Parfüm machenden) Duftstoffen vermischt wird, nach dem Dufte eines jeglichen heißt 1 . Das heißt, daß wie das ö l dasselbe bleibt, wenn nach den jeweilig beigemischten Duftstoffen die verschiedensten Parfüms aus ihm entstehen, „ebenso . . . die jeweiligen Begebenheiten der Welt, Tag und Nacht, Frieden und Krieg, Sattheit und Hunger, verstanden werden können als Abwandlungen Gottes, der das Wesen des Alls ist" 2 . Das heißt weiter, „daß die eigentliche Substanz und wirkende Kraft der sich ergebenden Verbindungen nicht in den akzidentiellen Modifikatoren zu suchen ist, sondern allein in Gott" 3 . Das heißt aber schließlich: So wie das öl, zu einem bestimmten Parfüm geworden, seinen eigentlichen Namen verliert und nach dem jeweiligen Duft benannt wird, so geht für die Menge der Menschen das Wissen um die Gegensätze der Welt als Erscheinungsformen des Einen, des Gottes, der jenseits von allen Gegensätzen ist, verloren4. Das entspricht genau dem Geschick des gemeinsamen Aóyos bei der Menge der Menschen, die da leben cos Ιδίαν εχοντες φρόνησιν (Β 2). Heraklit bestreitet nicht die „Realität" der einzelnen „Gegenstände". Aber er will sie als das verstehen, was sie sind. Zu diesem Zweck sucht er den Zusammenhang der Gegenstände. Den Zusammenhang der Gegenstände sieht er in ihrem Gegen-Stand: Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden usw. Aber auch Ganzes und Nichtganzes, Einträchtiges und Zwieträchtiges, Leben und Tod befinden sich in einem Gegen-Stand. Nicht das Gegenüber von „erkennendem Subjekt" und „zu erkennendem Objekt" macht das Seiende zum Gegenstand. Das Seiende als solches im Ganzen ist schon immer im Gegen-Stand und läßt von daher etwas als Gegenstand erscheinen. Der Gegen-Stand des Heraklit ist ein Gegen-Stand von Gegensätzen. Denn in Gegensätzen hat sich das Eine-Einzig-Weise auseinander gesetzt. Der Gegen-Stand ist durch Auseinandersetzung be1

2

8

4

So deutet H. F R A N K E L in seinem Aufsatz „Heraklit über Gott und die Erscheinungswelt", Wege und Formen, S. 237—252 dieses Fragment, indem er sich auf W. A. H E I D E L beruft (a. a. O . S. 240). θύωμα darf hier nicht als Weihrauch verstanden werden, so daß für das verlorene Subjekt des Vergleichssatzes πϋρ zu erschließen wäre, sondern es ist „im Sinne von μύρον, d. h. Parfüm" (ebenda, S. 240f.) zu verstehen. Das άλλοιοΟται ist nach F R A N K E L S überzeugendem Nachweis (ebenda, S. 238f., Anm. 3) sekundär. Es ist wahrscheinlich, „daß Heraklit nach λιμόζ gleich mit όκωσττερ fortgefahren war" (ebenda, S. 239, Anm. 3 zu S. 238). H. F R A N K E L , ebenda S. 242. Ebenda S. 2 4 3 ; den Begriff der Substanz entnimmt F R A N K E L einem entsprechenden Vergleich P L U T A R C H S (de tuenda san. 1 0 , S. 1 2 7 Β ) , ebenda S. 2 4 3 , Anm. 1 . H . F R A N K E L verweist auf die Weiterführung des Gedankens bei Piaton, Timaios 48 Eff., ebenda S. 245.

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bestimmt: πόλεμος πάντων μέν πατήρ έστι, πάντων δέ βασιλεύς (Β 53). Aber indem das Eine-Einzig-Weise sich in gegenständige Gegensätze auseinandersetzt, setzt es sich zu sich selbst in einen Gegensatz: aus dem iv ist πάντα geworden, aus dem mit sich identischen Einen das All der gegenständigen Gegensätze. Dieses All der gegenständigen Gegensätze ist jedoch im Gegensatz zu dem Einen-Einzig-Weisen κατά τον λόγον geworden (Β 1). Selbst im Gegensatz, ja gerade im Gegensatz waltet eine Entsprechung. Im κατά τον λόγον meldet sich das Phänomen der Analogie. Es wird noch deutlicher da sichtbar, wo der Gegensatz als Gegen-Satz erscheint. Nach Heraklit sind nämlich die gegenständigen Gegensätze nicht sich selbst überlassen. Das Kalte bleibt nicht als der dem Warmen entgegenstehende Gegensatz kalt. Der Tag bleibt nicht als der der Nacht entgegenstehende Gegensatz Tag. Das Leben bleibt nicht als der dem Tod entgegenstehende Gegensatz Leben. Die Gegensätze sind vielmehr in Bewegung1. Das Kalte erwärmt sich, das Warme erkältet sich, Feuchtes trocknet sich, Trockenes netzt sich (B 126). Unsterbliche-Sterbliche, Sterbliche-Unsterbliche ; lebend bringen sie jenen den Tod, gestorben jenen das Leben (B 62). Der Gegensatz wird durch die ihn durchwaltende Bewegung zum Gegen-Satz2. Die Bewegung des Gegen-Satzes setzt im gegenständigen Gegensatz das Eine gegen den gegenständigen Gegensatz durch, indem er den einen Gegenstand in seinen Gegensatz umschlagen läßt 3 . Das zweimalige εκ in Β 10 1

2

8

„Aus dem ruhenden Faktum wird das Schicksal eines Fieri", sagt F R . B R E C H T (a. a. O. S. 95). „Gegen-Stand" und „Gegen-Satz" sind hier verbal zu verstehen. Wer gegen diese scheinbar manierierte Art der Interpretation den Vorwurf der Gewaltsamkeit erheben will, prüfe zuvor am heraklitischen Text, ob er ein Recht dazu hat. Aristoteles weist im unmittelbaren Anschluß an die Formulierung des Satzes vom verbotenen Widerspruch die diesem Satz entgegengesetzte Meinung, καθάπερ Tivès οίονται λέγειν 'Ηράκλειτου (Met. Γ , 1005b, 24f.), ab. Schon M. H E I N Z E (a. a. O. S. 13, Anm. 6) hat der Formulierung des Verweises auf Heraklit entnommen, „dass Aristoteles seiner Sache . . . nicht sicher" sei. In der Tat, wenn wir Heraklits „Lehre" vom Gegensatz im Sinne des Gegen-Satzes verstehen, so scheidet ein Widerspruch gegen den Satz vom verbotenen Widerspruch in letzter Tiefe aus. (So auch, in freilich nur mit Vorbehalt zu akzeptierender Begründung, Z E L L E R / N E S T L E I, S. 831). Es ist zu vermuten, daß die vorsichtige Formulierung des Aristoteles Heraklit in diesem Sinne gegen die dialektischen Herakliteer abgrenzen sollte. — Das heraklitische Phänomen des Gegen-Satzes wird von Piaton am heraklitischen Thema „Leben-Tod, Tod-Leben" (B 62) m. E. treffend formuliert: έκ των έναντίων τά έναντία (Phaidon 70 Ε If.). Allerdings darf der platonische Kontext nicht als heraklitisch gelten, wenngleich der παλαιός λόγο; in 70 C 5f. eine Anspielung auf Heraklit zu sein scheint. Auch für O . G I G O N (Heraklit, S. 9 2 ) scheint es nicht ausgeschlossen, daß „Piaton hier heraklitische Gegensatzlehre tatsächlich einmal benutzt hat".

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weist ebenso wie das διά in Β 41 auf die göttliche Bewegung des Gegensatzes hin. Der Gegen-Stand zweier sich in der Auseinandersetzung entgegen-stehender Gegenstände wird durch den Gegen-Satz des einen Gegenstandes in seinen Gegensatz aufgehoben und bestätigt 1 : τάδε γαρ μεταπεσόντα έκεΐνά εστί κάκεΐνσ πάλιν μετοητεσόντα ταϋτα (Β 88, cf. Β 90). So setzt sich das Identische als Gegen-Satz in allen gegenständigen Gegensätzen durch: ταύτό τ' ενι ζών και τεθυηκός καΐ έγρηγορός και καθευδον καί νέον καί γηραιόν (Β 88; zu τό αυτό cf. Β 59 und Β 60). Wer den Gegensatz nicht als den alle Gegensätzlichkeit aufhebenden Gegen-Satz versteht, hat nichts verstanden: εστι γαρ εν (Β 57). Dieses Eine setzt sich in allen Gegensätzen, ihre gegenständige Gegensätzlichkeit aufhebend, als Gegen-Satz durch, so daß es zu einer παλίντροττος άρμονίη (Β 51) kommt 2 . Im Gegen-Satz ist deshalb Entspannung beschlossen: μεταβάλλον αναπαύεται (Β 84a). Der πόλεμος als gegenständige Auseinandersetzung wird kraft des verbal zu denkenden Gegen-Satzes eine ττσλίντροττος άρμονίη, die in ihrer Verbergung in den Gegensatz (φύσις κρύπτεσθαι φιλεΐ, Β 123) kräftiger ist als sichtbare „Harmonien" (άρμονίη αφανής φανερής κρείττων, Β 54)3. Jetzt verstehen wir das ό θεός über den in Β 67 aufgezählten Gegensätzen, jetzt das Ικ πάντων εν καί εξ ένός πάντα (Β 10). Jetzt verstehen wir aber auch den Chiasmus als eine heraklitische Denkund Sprachform, die die gegenständige Gegensätzlichkeit durch den Gegen-Satz überwindet. In diesem Gegen-Satz ist als das εν τό σοφόν der λόγος des Heraklit beschlossen. „°Ev Πάντα besagt, in welcher Weise der Λόγος west" 4 . Denn κατά του λόγον ist alles geworden (Β 1), nach ihm ist Alles Eines (B 50). Während die επη und §ργα der Menschen bei der gegenständigen Gegensätzlichkeit verweilen, wie es Hesiod getan hat (B 57), und so höchstens Vielwisserei erzeugen (aber πολυμαθίη νόον εχειν où διδάσκει, Β 40), lehrt der λόγος, wie alle Gegensätze κατά τον λόγον geworden sind (κατά τόν λόγον und κατά φύσιν in Β 1 entsprechen sich!) und wiederum kraft des Gegen-Satzes Eines sind5. Im Begriffsgefüge κατά τον λόγον meldet sich das Phänomen der Analogie zu Worte. Sie waltet 1 2

3

Das hat G. W. F. H E G E L an Heraklit fasziniert. Das ist ein für Parmenides völlig undenkbarer Gedanke und unsagbarer Begriff. Mir scheint auch von daher die These K. REINHARDTS, daß Heraklit sich mit Parmenides auseinandersetzt, für gesichert (wir kennen ja den Begriff παλίντροποί aus Fr. 28 Β 5, 9). — Zum Begriff άρμονίη und zum Bild von Bogen und Leier cf. die einleuchtende Erörterung O . G I G O N S (Heraklit, S. 23ff.), aber auch W . J A E GERS Ausführungen (Theologie . . ., S. 139 und 274, Anm. 45). Cf. zu Β 61 und Β 54 auch Β 8, das jedoch vielleicht ein „freies Zitat von Frg. 10, 51 u n d 8 0 " (O. GIGON, Heraklit, S. 26) ist.

4 5

M. HEIDEGGER, Logos, in: Vorträge und Aufsätze, S. 220. Dasselbe meint, bei anderer Formulierung, E. H O F F M A N N a. a. O. S. 2 f.

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im Entwurf des heraklitischen Denkens als die göttliche Bewegung des Gegen-Satzes, der sich als das Eine in allen Gegensätzen und durch alle Gegensätze durch-setzt1 und so alles durch alles lenkt (B 41) : Analogie als Gegen-Satz2. Indessen bleibt zu fragen, wie die Analogie als Gegen-Satz möglich ist. III. Nach Heraklit ist alles κατά τον λόγον geworden (Β 1) : έξ ενός πάντα (Β 10). Das Gewordene ist gegensätzlich, das GegensätzlichGewordene aber ist im Gegen-Satz, der das Gegensätzlich-Gewordene in das Eine zurückfügt: εκ πάντων εν (Β 10). Denn όδός άνω κάτω μία καί ώυτή (Β 60). Dann müßte der Gegen-Satz das κατά τον λόγον Gegensätzlich-Gewordene άνά τον λόγον zurückwenden. In der Tat haben wir den Gegen-Satz als τταλίντροπος άρμονίη (Β 51) kennengelernt. Zwar kommt in den uns erhaltenen Heraklit-Fragmenten das Wortgefüge άνά τον λόγον nicht vor. Aber in Β 60 hieß es ja, die οδός άνω κάτω sei ein und dieselbe, also eine τταλίντροττος όδός — nach Parmenides der Denkweg der doppelköpfigen Sterblichen in der Welt der δόξαι (28 Β 6, 9). Heraklit geht den gegenwendigen Weg, um so, dem λόγος folgend (B 2), im Gegen-Satz das κατά τον λόγον Gewordene άνά τον λόγον zu sammeln (ξύν νόω λέγειν Β 114) und also aufzeigend auszusagen, wie es sich verhält (φράξων δκως εχει, Β 1). Es verhält sich: Der Mann vor Gott als ebenso kindisch δκωσττερ παΤς ττρός ανδρός (Β 79). Solch einen aufzeigend-aussagenden Logos, in dem das κατά τον λόγον Gegensätzlich-Gewordene (Gott-Mann, Mann-Kind) άνά τον λόγον gesammelt wird, nennt Piaton (im Anschluß an ältere Traditionen) άναλογία3. 1

O. GIGON kommt unserer Deutung sehr nahe, wenn er von einer „Doppelstufigkeit des Gegensatzverhältnisses" (Heraklit, S. 22f.) spricht, die „Einheit der Gegensätze" als „alldurchdringendes Urphänomen" (ebenda, S. 24) Heraklits bezeichnet und die Bewegung in der „Abfolge der Gegensätze" als „Voraussetzung ihrer Einheit" (S. 26) kennzeichnet. Mit all dem scheint mir das umschrieben zu sein, was ich unter dem Begriff des Gegen-Satzes zur Sprache brachte. GIGON freilich meinte: „Die Logik dieses Lehrsatzes erklären zu wollen, führt nicht viel weiter. Wir verzichten hier auf ein Nachforschen der letzten Gründe der heraklitischen Idee" (S. 25).

2

K. REINHARDT hat völlig recht, wenn er behauptet, daß Heraklit an die Problematik des Parmenides anknüpft, wenn er „das Problem des Werdens und die Lehre von den Gegensätzen zur Begründung einer sittlich-religiösen Weltanschauung" (a. a. O. S. 212), zum Werk der „Versöhnung zwischen den αίσθήσε^ und dem λ ό γ ο ; " (S. 213) benutzt. In der heraklitischen Analogie als Gegen-Satz ist das parmenideische Problem der theo-onto-logischen Analogie als Entsprechung im Widerspruch thematisch. Cf. oben, S. 30 f.

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H. FRANKEL hat dieses Sammeln des Gegensätzlich-Gewordenen άνά του λόγον ein „charakteristisches heraklitisches Denkschema" genannt und von ihm behauptet, daß diese „Denkfigur eine Schlüsselstellung im heraklitischen System inne" hat1. Wir verdanken FRANKEL eine explizite Erörterung dieser „Denkfigur" und haben Anlaß, dieser Erörterung zu folgen. Dabei lassen wir uns allerdings von dem bisherigen Gang unserer Untersuchung leiten, so daß manches anders zur Sprache kommt als in der Untersuchung H. FRANKELS. Wir haben bereits bemerkt, daß Heraklit, wenn er aufzeigend aussagen will, wie es sich verhält, das οκως εχει gern durch ein δκωσπερ zur Sprache bringt. Dieses Leitwort2 hilft, das Gegensätzlich-Gewordene zu sammeln. So geschieht es in dem bereits erwähnten Fragment Β 79: Άνήρ νήπιος ήκουσε προς δαίμονος δκωσπερ τταϊς ττρός ανδρός. Gesammelt werden die Gegensätze Gott-Mann, Mann-Kind, um zu sagen, „daß der Kontrast von Vollkommenheit und Unvollkommenheit in beiden Fällen der gleiche ist" 3 . Ähnlich heißt es in einem nur als Paraphrase erhaltenen Fragment, daß ανθρώπων ό σοφώτατος προς θεόν πίθηκος φανεϊται (Β 83)4. Beidemal lassen sich drei Glieder einer Proportion bestimmen. Glied a sei Gott, „also etwas zweifellos Herrliches und Vollkommenes, das aber schwer zu erkennen und zu verstehen ist". Glied b (Mann) ist eine „wohlbekannte Größe, die aber von Heraklit in ihrer Fragwürdigkeit entlarvt wird". Glied c (Kind, Affe) ist zwar „gleichfalls eine wohlbekannte Größe, aber seine Minderwertigkeit 1 2

3

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Eine heraklitische Denkform. IN: Wege und Formen, S. 258. Die Synonyme sind oben, S. 36, aufgezählt; das Leitwort kann auch fehlen. H. F R A N K E L , Wege und Formen, S. 258; „für Heraklit wie für sein Publikum war es eine Selbstverständlichkeit, daß ein Kind schwach, töricht und verächtlich i s t " (ebenda, S. 259). Der Entwicklungsgedanke ist hier wie auch sonst bei der gegensätzenden Bewegung Heraklits fernzuhalten; so auch O . G I G O N (ZU Β 31) : „keine Entwicklung, ein Umschlag" (Heraklit, S. 66) ist gemeint. Das Affenfragment macht gegenüber Β 79 nicht nur die Weisheit, sondern auch die Schönheit als Unterschied zum Thema der Proportion, so daß eine Beziehung zu Xenophanes (21 Β 23) nicht abzuweisen ist. Daß jedoch Xenophanes, anstatt die Reihe der Eleaten zu eröffnen, der Vorgänger Heraklits gewesen sei, wie O. GIGON (Heraklit, S. 150—159) zu beweisen sucht, halte ich für ebenso irrig, wie die Behauptung, Heraklit habe (in Β 32) „durch die Nennung des Zeus dem Volksglauben stärkere Konzessionen gemacht als Xenophanes, der seinen eis θεός strikte anonym hielt" (S. 140). Ausgerechnet Heraklit, der das εν als κεχωρισμένον πάντων (Β 108) gekennzeichnet hat, soll dem Volksglauben Konzessionen gemacht haben ? Gerade die Paradoxie in Β 32 ούκ έβέλει καΐ έθέλει zeigt doch, daß an Konzessionen überhaupt nicht zu denken ist. Gibt es denn nur die Alternative von Polemik und Konzession ? Heraklit hat jedenfalls unter ιτόλεμο; etwas anderes als Polemik und unter είρήνη etwas anderes als Irenik verstanden, διαφερόμενον σνμφέρετοα (Β 51) — in diesem Sinn will Β 32 verstanden sein.

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steht . . . für jedermann außer Frage" 1 . Wir können formulieren: a : b = b:c. Darin liegt „die Behauptung beschlossen, daß das Mittelglied b, von einem höheren Standort aus betrachtet, nicht besser ist als sein scheinbarer Gegensatz c. So kann Heraklit die Gleichung zu der Aussage reduzieren, daß b eigentlich auf seinen Gegensatz c herausläuft" 2 : „L'identification du divers par la simiütude du rapport" 3 . Damit hat sich schlagend bestätigt, daß sich das Eine (Weise, Gott, Logos), das getrennt von allem ist, durch den Gegen-Satz in allen Gegensätzen als das Identische durch-setzt. Β 53 lautet: „Auseinandersetzung ist Vater von allem, von allem König; die einen läßt sie als Götter sein, die anderen als Menschen, die einen hat sie zu Sklaven gemacht, die anderen zu Freien", ανθρώπους wird durch ελευθέρους aufgenommen. Der Sklave zur Zeit Heraklits war ebensowenig Mensch wie das Kind. Dann wiederholt sich jedoch hier der Dreitakt Gott (a) — Mensch (b) — Sklave (c) : a : b = b : c. Der freie Mensch ist gegenüber den Göttern so wenig wie der Sklave gegenüber den freien Menschen4. In beiden Gegensätzen zeigt sich der πόλεμος als Aus-einander-setzung5. Aber gerade da, wo sie Gegensätze (und damit überhaupt Seiendes) schafft (έττοίησε), setzt sie durch den Gegen-Satz zur eigenen Aus-einander-setzung in den Gegensätzen das Eine durch. Das heißt nun, daß die Aus-einander-setzung durch den Gegen-Satz selber gegensätzlich wird. Konsequent verbindet Heraklit auch den πόλεμος mit seinem Gegensatz ειρήνη (Β 67)6. Denn er weiß, δκως διαφερόμενον Ιωυτφ συμφέρεται· παλίντροπος άρμονίη όκωσττερ τόξου καί λύρης (Β 51). Der Gegen-Satz waltet als Analogie, die die Gegensätze άνά τόνλόγον zurückführt : μεταβάλλονάνοπτοώεται (B 84a). Die „Denkform" Heraklits konstituiert die Welt als Welt 7 . Mit Hilfe der als Gegen-Satz waltenden Analogie vermochte Heraklit die 1 2

H. FRANKEL, Wege und Formen, S. 259. Ebenda, S. 260.

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P . GRENET a. a. O. S. 1 0 8 f . , A n m . 367.

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Die Aufweisung der Proportion und die Kennzeichnung des πόλεμος als Auseinandersetzung soll dem πόλεμο; seine „konkrete" Bedeutung „Krieg" ebenso wenig nehmen, wie sie übersieht, daß der Krieg die Sieger zu έλεύθεροι, die Besiegten aber zu δούλοι macht. Ob man freilich mit O. GIGON (Heraklit, S. 119) auch die Unterscheidung von Göttern und Menschen („Die Lebenden bleiben Menschen, die Gefallenen werden aber zu Göttern erhoben") als Resultat des Krieges auf dem Schlachtfeld ansehen darf, erscheint mir zweifelhaft. Als Auseinandersetzung wird der πόλεμος auch von E. W O L F (Griech. Rechtsdenken I, S. 261ff. u. ö.) gekennzeichnet. Das hat O. G I G O N (Heraklit, S. 137) erkannt. Sehr richtig sagt K . R E I N H A R D T a. a. O . S. 202: „Heraklits Physik . . . ist bedingt durch dies logische Problem (sc. des Widerspruchs), nicht umgekehrt das logische Problem durch die Physik; . . . die Lehre von den Gegensätzen ist kein Beiwerk, das dem Denker neben der Hauptarbeit gelungen wäre,. . . sondern sie ist die innere Bindung, . . . der Grund, auf dem das Ganze steht".

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6 7

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Welt der Gegensätze als einen Kosmos zu behaupten, der für alle derselbe ist, weder von einem der Götter noch von einem der Menschen erschaffen (B 30). Diesem durch die als Gegen-Satz waltende Analogie konstituierten Kosmos gegenüber ist ó κάλλιστος κόσμος: ώσττερ σάρμα εική κεχυμένων (Β 124). Denn jener Kosmos war immer und ist und wird sein als ein ewig lebendes Feuer, das aufglüht nach Maßen und nach Maßen1 verlischt (B 30). Der Gegen-Satz hält die Gegensätze an das Maß des Gegen-Satzes. Helios wird sein Maß nicht überschreiten (B 94). Auch er weicht nach dem Maß des Gegen-Satzes dem Dunkel der Nacht. So sind Tag und Nacht Eines (B 57) in dem vom Gegen-Satz durchwalteten Kosmos der Gegensätze, der κατά τον λόγον geworden ist. Verbindet man die Fragmente Β 124 und Β 30 miteinander, wie es ihr Text nahelegt, so erhalten wir wiederum eine dreigliedrige Proportion (die freilich schon aus Β 124 allein zu erschließen wäre) : Zum wahren (unsichtbaren, cf. Β 54 und Β 123) Kosmos (a) verhält sich der schönste (sichtbare) Kosmos (b) wie Dreck (c), also a:b = b:c. Der Gegensatz zwischen einem Haufen Schmutz und dem κάλλιστος κόσμος ist evident. Doch angesichts des wahren κόσμος, von dem man entsprechend zum σοφόν ebenfalls ein πάντων κεχωρισμένος wird prädizieren dürfen, ist der κάλλιστος κόσμος seinem Gegensatz gleich : σάρμα εική κεχυμένων. Der Gegensatz zwischen „jener" und „dieser" Welt wird zum die Gegensätze „dieser" Welt aufhebenden, d. h. auf das Eine zurückführenden Gegen-Satz. Heraklit denkt diesen GegenSatz in der Weise der Analogie, in der jeweils von einem gegenständigen Gegensatz (b—c) das eine Glied (b) zum Relationsglied eines „höheren" Gegensatzes (a—b) wird. In diesem „höheren" Gegensatz tritt ein „Absolutes" (a) in Gegensatz zu b; dieser Gegensatz aber wird zum Gegen-Satz, der b in das ihm entgegenstehende Gegensatzglied c umschlagen läßt, so daß der Gegensatz beider aufgehoben ist. Die Analogie a:b = b : c ist also eine Denkform, die den Gegen-Satz als eine άνά τόν λόγον geschehende Bewegung des Einen (a) erkennen läßt. Vor (durch2) a ist b gleich c. „Die Wahrheit ist eine Para1

2

Das μέτρα — μέτρα muß weder zeitlich (so O . G I G O N , Heraklit, S . 61) noch räumlich verstanden werden; es bringt vielmehr den gegen-sätzenden Bezug zum λόγο$ zum Ausdruck (cf. Β 31) und kennzeichnet so das „Entflammen und Verlöschen" als „an ein bestimmtes Maß gebunden, es ist proportional" (K. R E I N H A R D T a. a. O . S . 176; cf. auch W . J A E G E R , Theologie . . ., S . 276f., Anm. 5 8 ) . Heraklit gebraucht bereits das später für die Analogie terminologische irpós. Aber dieses irpôç hat hier in der Bedeutung des lateinischen coram noch eine ursprüngliche Kraft. Das unterscheidet es von der aristotelischen Kategorie des irpós τι, die bekanntlich in der Kategorientafel von allen Kategorien das „schwächste Sein" hat (sie ist ens minimum). — H. F R A N K E L hat darauf hingewiesen, daß bei Heraklit „die sprachliche Ausdrucksweise . . . wechselnd und mannigfaltig" war. „Eine äußere Gleichförmigkeit fehlt" ebenso wie die „markante aber steife

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doxie" 1 . Doch die Paradoxie ist in Bewegung. Als Denkform ist die Analogie als Gegen-Satz zugleich der angemessene Ausdruck der Bewegung des Seins. Auch in der Elemententheorie Heraklits zeigt sich die Analogie als Gegen-Satz. Aus Β 31 ist zu entnehmen, daß sich das Feuer zum Meer verhält wie das Meer zur Erde 2 . Auch hier ergibt sich durch einen Vergleich mit Β 36 und Β 61 dasselbe Ergebnis. „Auch hier erweist sich b (Wasser) als nicht besser als c (Erde), sobald es sich um a (Feuer und eigentliches Leben) handelt" 3 : Analogie als GegenSatz. Das Verhältnis aber, auf das die Gegensatzglieder im Vollzug des Gegen-Satzes bemessen sind, heißt λόγος : θάλασσα διαχέεται, και μετρέεται eïç τον αύτόν λόγου (Β 31). Auch nach Η. FRANKEL besteht kaum ein Zweifel, daß λόγος hier im gleichen Maße wie das den Gegen-Satz ausdrückende ανταμοιβή in Β 904 „in einem Sinn gebraucht ist der dem Begriff .Entsprechung' oder .Proportion' mindestens sehr nahekommt" 5 . IV. Die Analogie als Gegen-Satz erschien im Denken Heraklits als eine Denkform, die die Bewegung des Seins zum Ausdruck brachte. Indem die Analogie als Gegen-Satz die Bewegung des Seins zum Ausdruck bringt, ist sie zugleich eine Erkenntnishilfe. Als Erkenntnishilfe wird die Analogie sowohl „logisch" als auch „sittlich" bedeutsam. Heraklit hat die „Denkform der mittleren Proportionale" benutzt, um die Erkenntnislosigkeit der Menge der Menschen zu kritisieren®. und einförmige Livree einer Fachsprache" (Wege und Formen, S. 265). Es sei jedoch auf den charakteristischen Gebrauch von όκωσπερ hingewiesen. 1

K . REINHARDT a. a. O.

2

S. 204.

Zur Elementenlehre Heraklits cf. H. F R A N K E L , Wege und Formen, S. 273—281. Auch G. GigON (Heraklit, S. 44) betont, daß „die heraklitische Kosmologie . . . nur ein angewandter Sonderfall der Gegensatzlehre" ist; „der Logos hat die Kosmologie wirklich unterworfen". 8 H . F R A N K E L , Wege und Formen, S. 279; daß der Gegensatz Feuer-Meer gegenüber dem Gegensatz Meer-Erde einen überlegenen Charakter hat, behauptet auch O. G I G O N , Heraklit, S. 65. Das Problem, ob Heraklit eine έκπύρωσίζ gelehrt habe, ist f ü r unsere Untersuchung belanglos und bleibt deshalb unentschieden. Es genügt, wenn die besondere Bedeutung des Feuers in der Elementenlehre zugegeben wird. 4 Β 90 lautet : mipó; -re άνταμοιβή τ ά π ά ν τ α καΐ ττΟρ απάντων όκωσπερ ( !) χρυσού χρήματα καΐ χρημάτων χρυσός. 6 Wege und Formen, S. 278; cf. S. 274. Die Interpunktion F R A N K E L S ist eigen. • Cf. Β. S N E L L , Entdeckung des Geistes, S. 292 f.

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Diese Kritik vollzieht sich, indem der Weg zur Erkenntnis eben mit Hilfe dieser Denkform gegangen wird. Die Bewegung des Seins als Gegen-Satz, die die Analogie zum Ausdruck brachte, faßten wir in die Proportion a : b = b : c . Die Analogie bewährt sich als Erkenntnishilfe, wenn man die Proportion von hinten liest: c : b = b : a , eine „Gleichung", deren beide „Seiten . . . zwei gegensätzliche Haltungen" repräsentieren, „die weltliche (links) und die philosophische (rechts), und als Ganzes bietet sie eine Methode dar, sich von jener zu dieser herüberzuschwingen. Auf der linken Seite steht ein wohl vertrauter Kontrast (Kind und Mann, Affe und Mensch, Schläfer und Wachender usf.), und beim Ubergang zur rechten Seite werden wir veranlaßt, denselben Kontrast noch einmal zu wiederholen, aber nun mit dem Glied b, dem im weltlichen Sinne Höchsten, als Ausgangsposition. Wenn dieser zweite Schritt gelingt, gelangen wir zu dem was der Menschheit unbekannt war bis Heraklit es entdeckte und verkündigte . . . In diesem Sinne können wir die Gleichung auch mit einem χ an Stelle von a schreiben: c : b = b : x . " So werden mit Hilfe der Analogie als „Methode, durch Extrapolation", Fragen wie „Was ist G o t t ? " beantwortet 1 . So „fordert Heraklit . . . auf, dem Transzendenten durch die indirekte Methode der Extrapolation mit Hilfe der Doppelproportion nachzugehen" 2 . Die Analogie als eine von den Gegenständen im Gegen-Satz zum εν führende Methode ist eine Erkenntnishilfe, ein λόγος εαυτόν αύξων (Β 115 3 ), der im Gegensatz zu sonst vernommenen λόγοι dahin gelangen läßt, γινώσκειν ότι σοφόν εστί πάντων κεχωρισμένον (Β 108). Ist man aber durch die Erkenntnishilfe der Analogie als Gegen-Satz zu dieser Erkenntnis gelangt, so hat man den den Zusammenhang des Alls der gegenständigen Gegensätze wahrenden Gegen-Satz selbst erkannt. Denn das All der gegenständigen Gegensätze steht im Gegensatz zu dem Einen κεχωρισμένον, das als Gegen-Satz alle Gegensätze zu einer άρμονίη αφανής (Β 54) vereint. Die Erkenntnishilfe der Analogie als Gegen-Satz bringt also den Erkennenden kraft des allen 1

2

3

H. FRANKEL, Wege und Formen, S. 261 f. FRANKEL hat die Fr. Β 1, Β 117 und Β 118 zu folgender, die Frage „Was ist göttliche Klarheit des Geistes und die Einsicht einer erleuchteten Seele, die in heller, unverfälschter, feuriger Glut brennt?" beantwortenden, Doppelproportion verbunden: Das Erfragte (x), zu dem sich das gewöhnliche (wache) Bewußtsein (b) verhält wie sich zu diesem (b) der Schlaf (c) verhält, „ist ein Zustand, im Vergleich zu dem . . . nüchternes Nachdenken" (b) „wie die Benommenheit eines Trunkenen" (c) ist, „der nicht weiß wohin er geht, weil seine Seele feucht ist" (S. 262, cf. Anm. 1). Ebenda, S. 263; der Begriff des Transzendenten ist wohl durch das πάντων κεχωρισμένον in Β 108 gedeckt. Gänzlich anders ist die Deutung, die O. GIGON (Heraklit, S. 105) dem Fr. Β 116 gibt: „Das Maß der Seele vergrößert sich, doch wohl durch die beständige Ernährung aus dem Blute".

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gemeinsamen λόγος (Β 2) in die Nähe des Einen, das Heraklit lockend εν τό σοφόν1 genannt hat 2 . Deshalb ist es nötig, dem allen gemeinsamen λόγος zu folgen (B 2). Diese Notwendigkeit, in Β 2 durch δεϊ ausgedrückt, begegnet uns auch in Β 80 als Forderung: εΐδέναι δέ χρή τον ττόλεμον έόντα ξυνόν, και δίκην εριν, και γινόμενα πάντα κατ' εριν και χρεών. Die Parallele zu Β 2 ist evident. Für λόγος steht hier πόλεμος, der durch ερις wieder aufgenommen wird. Daß die Gleichung λόγος — πόλεμος — ερις berechtigt ist, zeigt die Parallele zwischen der Formulierung γινόμενα πάντα κατ' εριν hier und dem γινομένων πάντων κατά τόν λόγον in Β 1. E s genügt nicht nur, daß alles dem Logos gemäß als Gegensatz geworden ist und im Gegen-Satz wieder Eines wird, sondern das muß erkannt werden3. Denn der Logos, „als Gesetz des richtigen Denkens, zeigt sich am Seienden als Gesetz des Seins"4. Ebenso wie vom λόγος und vom πόλεμος ein ξυνός ausgesagt werden kann, gilt: ξυνόν έστι πδσι τό φρονέειν (Β 113). Das Denken vollzieht sich aber, wie wir sahen, eben mit Hilfe des λόγος und πόλεμος, mit Hilfe der Analogie ι Wenn Β 35 echt ist (was Z E L L E R - N E S T L E a. a. Ο . , I , S . 903f., Anm. 2 , auf Grund der Konkurrenz zu Β 40 bezweifelt, während O. GigON, Heraklit, S. 17, beide Fragmente ohne weiteres zusammennimmt), dann wäre Β 35 „die älteste Stelle, in der das Wort φιλόσοφος vorkommt" ( Z E L L E R - N E S T L E , ebenda). Die Bedeutung, die das σοφόν für Heraklit hat, macht es wahrscheinlich, daß er den Menschen, der dem zum σοφόν führenden ?όγο$ folgt, φιλόσοφος genannt hat. Mit einer ganz geringen Änderung läßt sich zudem das Fr. Β 35 durchaus im Sinne von Β 40 verstehen; wenn man nämlich das εΰ in ein ού verwandelt. Diese Konjektur, über deren Entdeckung ich mich freute, hat nach D I E L S - K R A N Z a. a. Ο., I, S. 493 bereits W. N E S T L E (WO ?) vorgeschlagen; in seinem Buch „Vom Mythos zum Logos" hält N E S T L E Β 35 allerdings noch für der Unechtheit verdächtig (cf. S. 16, Anm. 58 und S. 249f., Anm. 3). 2 Denn es „ist das σοφόν bei Heraklit eben seine eigene philosophische Beschäftigung: zu erforschen, wie die Welt regiert wird, nach welchem Prinzip. Das einzusehen ist die Aufgabe des σοφός" (O. G I G O N , Heraklit, S. 144), der in seinem „Einsehen" eben demselben Prinzip folgt, nach dem die Welt regiert wird, der Analogie als Gegen-Satz. Das meint j a wohl auch G I G O N , wenn er (S. 139) sagt: „Dem logischen Weltprinzip entspricht derjenige, der es versteht. Das ist der σοφός". 3 eiSévai ist freilich eine (allgemein akzeptierte) Konjektur S C H L E I E R M A C H E R S aus dem εΐ δέ der Handschrift. Ob δίκη und χρεών (von D I E L S vorgeschlagen) nur „das Richtige" (O. GIGON, Heraklit, S. 116) ausdrücken, ist angesichts des Gebrauchs von Δίκη in Β 94 fraglich. Beachtet man mit W. J A E G E R (Theologie, S. 272f., Anm. 33 und 43, S. 275, Anm. 55) die Verwandtschaft zu Anaximander, so wird man die Bedeutung der δίκη nicht unterschätzen. Davor bewahrt auch die der ursprünglichen Anfänglichkeit des vorsokratischen Denkens angemessene Interpretation des Fragmentes durch E. WOLF, Griech. Rechtsdenken I, S. 248 bis 254. 4

U . HÖLSCHER

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a. a. O.

S. 75.

als Gegen-Satz. Wer ihr folgt, der hat γνωμαι, deren Besitz das discrimen zwischen menschlichem und göttlichem ήθος ist (B 78). So erweist denn die zum γνώμας εχειν führende Analogie als Gegen-Satz wirklich die Erkennenden als Götter, die Menge der Menschen aber, die ihre eigene φρόνηση zu haben glauben (B 2), als Sklaven-Menschen (B 53). Das ήθος wird άνθρώπω δαίμων (Β 119), den einen das göttliche ήθος zur Erkenntnis, den anderen das menschliche ήθος zum βορβόρω χαίρειν (Β 131). So waltet Δίκη. Sie waltet im von der Analogie als Gegen-Satz bestimmten Gefüge des Seins als Bewegung2 und damit auch in der Menschenwelt, wo der λόγος im φρονέειν (Β 113), im ξύν vóco λέγειν (Β 114) zur Erkenntnis der Wahrheit führt. Dieses sich als σληθέα λέγειν καί -ττοιεΐν κατά φύσιν επαΐοντας vollziehende φρονέειν ist άρετή μεγίστη (Β 1123). Hier dürfte deutlich sein, wie die Erkenntnishilfe der Analogie als Gegen-Satz auch „sittlich" bedeutsam wird. Die Begriffe ήθος und άρετή weisen deutlich in den Bereich, den man später als „Ethik" von anderen Disziplinen der Philosophie zu unterscheiden begann. Für Heraklit freilich ist die Welt des „Ethischen" kein gegenüber seiner „Seinsphilosophie" „spezieller Bereich" ; sondern das „Nächstliegende, von dem . . . Heraklits Sprüche aussagen und woraufhin sie gesagt sind, ist die Polis"*. Bevor wir uns nun noch dem viel zitierten Fragment Β 114 zuwenden, gilt es, eine Beziehung von Heraklit zu Anaximander zurückzuverfolgen, auf die W. JAEGER mehrfach aufmerksam gemacht hat und die für uns von Interesse ist. W. JAEGER sagt zu Β 80: „Der Vergleich des Krieges mit einem Rechtsstreit (Dike), mit dem er den Wesenszug des Streites gemeinsam hat, beweist, daß im letzten Grunde Heraklits Weltbild auf Anaximanders Deutung des Werdens- und Vergehensprozesses als eines Rechtsstreites (Dike) zurückgeht" 5 . 1 2

1

Cf. zu Β 13 Η. FRANKEL, Wege und Formen, S. 266. Cf. die hervorragende Deutung des heraklitischen Polemos bei E. WOLF, Griech. Rechtsdenken I, S. 251: πόλεμος enthüllt sich „als die Auseinandersetzung, welche das Seiende in Bewegung hält . . . es ist die δίκη des Seins, das ihm wesentlich Zukommende, diese Bewegung zu vollziehen". Z u Β 1 1 2 cf. E . H E I N I M A N N a. a . O. S. 9 2 f f .

* E.WOLF, Griech. Rechtsdenken I. S., S. 261; cf 264. 5 W. JAEGER, Theologie, S. 273, Anm. 41. Auch H. FRANKEL (Wege und Formen, S. 188, Anm. 1) redet von „heraklitischen Vorklängen in Sache und Sprache" des Anaximander. Nach Ε. WOLF (Griech. Rechtsdenken I, S. 245f.) war Heraklit „vermutlich ein Schüler des Anaximander", da die „Heraklitsprüche über δίκη und νόμος. . . im Grunde eine Entfaltung dessen" sind, „was im zweiten Teil des zweiten Anaximanderspruches gedacht ist". Von den Älteren hat vor allem TH. GOMPERZ auf die Verwandschaft Heraklits mit Anaximander hingewiesen (a. a. O. S. 54).

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Der Spruch des Anaximander1 ist bekannt. Im Anschluß an die These vom άπειρον als αρχή heißt es : εξ ών δέ ή γένεσίς έστι τοις ούσι, καΐ την φθοράν els ταϋτα γίνεσθαι Kcrrà το χρεών διδόναι yàp corrà δίκην καί τίσιν άλλήλοις της αδικίας κατά την του χρόνου τάξιν (12 Β 1). Die Begriffe δίκη und (das in 22 Β 80 wohl zu lesende2) χρεών aus Heraklits Fragment Β 80 begegnen auch hier. Doch darüber hinaus gibt es noch eine wichtigere Beziehung zwischen beiden Denkern. Das Anaximander-Fragment versteht die Welt „als eine Rechtsgemeinschaft der Dinge" 3 , die einander Buße und Strafe für ihre Ungerechtigkeit zahlen müssen. Worin besteht diese Ungerechtigkeit ? „Die Pleonexie, das ,Zuvielnehmen', ist für die Griechen das eigentliche Unrecht, denn das Gerechte ist für sie das Gleiche". Das Dasein der Dinge beruht für Anaximander „offenbar auf einem Zuvielhaben, wofür sie Buße erleiden müssen, indem sie an andere abgeben müssen, was sie haben" 4 . Die Bewegung der γένεσις schlägt in ihren Gegensatz, in die φθορά um. Mit Recht zieht W. JAEGER den Vergleich zu Heraklit Β 62. Aber auch Β 65 (καλεί δέ) αυτό χρησμοσύνην καί κόρον dürfte hier als Ausdruck des Zuviel und Zuwenig eine treffende Parallele zur Erklärung des Daseins der Dinge als Werden und Vergehen durch Anaximander sein6. Der Gegen-Satz stellt die Dike wieder her; die Dike verlangt den Gegen-Satz κατά τό χρεών6. Der Gegen-Satz vollzieht sich κατά την τον χρόνου τάξιν7. Wenn wir den Gegen-Satz des Heraklit schon bei Anaximander finden, haben wir Grund, anzunehmen, daß dieser Gegen-Satz dort ebenfalls als Analogie waltet. Die Vermutung wird überraschend bestätigt, wenn wir zu dem sich im Gegen-Satz vollziehenden Ausgleich zwischen Zuviel und Zu1

Ich lese getrost den ganzen Spruch als anaximandrisch. Denn wenn das ursprüngliche Wort des Anaximander auch nur, wie M. HEIDEGGER (Der Spruch des Anaximander. I n : Holzwege, S. 314) annimmt, die Wörter . . . κατά TÒ χρεών διδόναι γάρ αΰτά δίκην καί τίσιν άλλήλοις τη; αδικίας . . . umfassen sollte, so dürften die vorausgehenden und nachfolgenden Wörter ein authentischer Kommentar sein.

2

Cf. A p p a r a t b e i D I E L S - K R A N Z I , S . 1 6 9 .

3

Paideia I, S. 219; cf. W. NESTLE, Vom Mythos zum Logos, S. 84ff. W. JAEGER, Theologie, S. 47. κόρος meint j a die Sattheit nicht primär im Sinne des „genug", sondern, wie die Lexika lehren, im Sinne des „zuviel", so daß das Wort den Überdruß, den Ekel und sodann auch den Übermut und den Trotz, kurz das Übermaß bezeichnen kann. So erklärt auch Simplicius (Phys. 24, 13; cf. 150, 24 — DIELS-KRANZ, 12 A 9) von Anaximander: ούτος δε ούκ άλλοιουμένου του στοιχείου την γένεσιν ποιεί, άλλ' άττοκρινομένων των εναντίων δια της άιδίου κινήσεως. Als Gegensätze werden später aufgezählt: έναντιότητε; δέ είσι θερμόν, ψυχρόν, ξηρόν, ύγρόν. Bei Heraklit hieß es 22 Β 126: τά ψυχρά θέρεται, Θερμόν ψύχεται, ύγρόν αύαίνεται . . . Simplicius ordnet freilich mit Aristoteles Anaximander dem Kreis um Anaxagoras zu (cf. 6 9 Β 4, Β 8 und Β 1 2 ) .

4 5

6

7

Cf. W. JAEGER, Theologie, S. 47 und S. 240, Anm. 69.

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wenig zugunsten des Gleichen eine spätere Parallele heranziehen. Aristoteles nennt im fünften Buch der Nik. Ethik das άδικο ν ein άνισον, das δίκαιον ein ίσον, das ίσον aber ein μέσον zwischen το πλέον und TÒ ελαττον (1131a lOff.). Als μέσον ist das δίκαιον ein άνάλογόν τι (1131a 29), und zwar je nach der zu verhandelnden Gerechtigkeit ein μέσον κατά την γεωμετρικήν άναλογίαν — oder ein μέσον κατά την άριθμητικήν άναλογίαν (cf. 1131» 12f., 1132a If. und 30). Der Richter stellt als Mittler die verletzte Gleichheit nach Maßgabe der Analogie wieder her (cf. 1132 a 24ff.). Das tut aber bei Anaximander die Zeit, deren τάξις der αναλογία des Aristoteles entspricht. Dabei bleiben wir uns des Unterschiedes zwischen Anaximander und Aristoteles wohl bewußt. Aber die aufgezeigte Beziehung lag zu sehr auf der Hand, als daß wir sie nicht hätten fruchtbar machen sollen. Der von Aristoteles verwendete Begriff αναλογία weist auf das bei Anaximander als zuteilend-entziehender Richtspruch der Zeit beschriebene Phänomen zurück. Der zuteilend-entziehende Richtspruch der Zeit vollzieht sich im Gegen-Satz vom Werden zum Vergehen. Das έξ ών . . . εις ταϋτα verweist wiederum auf den Gegen-Satz des Heraklit (cf. nur Β 10), so daß wir über den Umweg von Anaximander und Aristoteles eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit unserer Interpretation des heraklitischen Prinzips als „Analogie als Gegen-Satz" erhalten haben. V. Abschließend soll das Fragment Β 114 exegisiert werden, in dem sowohl im Wie als auch im Was des Sagens noch einmal das das Denken Heraklits bestimmende Prinzip der Analogie als GegenSatz zur Sprache kommt: ξύν νόω λέγοντας ΙσχυρίζεσΘαι χρή τω ξυνω πάντων, όκωσπερ νόμω πόλις, καΐ πολύ ίσχυροτέρως. τρέφονται γάρ πάντες ot άνθρώπειοι νόμοι ύπό ένός του Θείου· κρατεί γάρ τοσούτον όκόσον ¿θέλει καΐ Ιξαρκεϊ πδσι καΐ περιγίνεται. Das χρή beherrscht das ganze Satzgefüge. Nicht nur das ΙσχυρίζεσΘαι, sondern auch das λέγειν ist ihm unterstellt 1 . Man soll mit Vernunft reden und man soll sich, indem man mit Vernunft redet, durch das allen Gemeinsame stärker machen. Wie schon das Wortspiel ξύν νόω — ξυνω verrät, geht es um den λόγος. Er ist ξυνός (Β 2) und fordert (χρή, δεϊ) daß man ihm folgt, indem man ξύν νόω redet 2 . Das χρή wiü also vom ξυνόν her 1

2

4

Die philologische Begründung gibt H. FRANKEL, Wege und Formen, S. 264, Anm. 2. Schon allein wegen dieser Entsprechung halte ich die von O. GIGON (Heraklit, S. 11) mit vorzüglicher Begründung vertretene Auffassung, daß Β 114 ursprünglich zwischen Β 1 und Β 2 gestanden hat, für richtig. J Ungel, Zum Ursprung d a Analogie

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verstanden werden. Im χρή kommt der Anspruch des ξυνόν zur Sprache, selber im ξύν νόω λέγειν ( = φρονέειν, Β 113; auch hier ist also ähnlich wie bei Parmenides das Denken ein Sprachgeschehen) zur Sprache zu kommen. Im ξύν νόω λέγειν entspricht der Mensch dem Anspruch des ξυνόν. Indem er aber dem Anspruch des ξυνόν entspricht, stärkt er sich durch das ξυνόν. Das Entsprechen des Menschen im ξύν νόω λέγειν bringt also das ξυνόν selbst zum Zuge. Diese Bezüge zeigen uns, daß die Entsprechung hier nicht im gängigen Sinne als eine Analogie verstanden werden darf, die entweder den λόγος ξυυός als eine erhöhende Übertragung vom menschlichen λέγειν her oder aber das ξύν νόω λέγειν der Menschen als eine abbildende Übertragung vom λόγος ξυνός her erklärt. M. H E I D E G G E R 1 verwirft eine solche Art von Analogie für Heraklit mit Recht, indem er sagt, daß „der Λόγος weder die Übersteigerung des sterblichen λέγειν, noch dieses nur die Nachbildung des maßgebenden Λόγος sein" kann. Die Entsprechung zwischen beiden ist vielmehr aus einer anfänglicheren „Herkunft in der einfachen Mitte zwischen beiden" zu denken. Das Denken der Menschen ist weder eine den λόγος schaffende, noch eine den λόγος imitierende Leistung. Denn nicht der Mensch leistet etwas, sondern der λόγος ξυνός2. Vom Menschen gilt vielmehr δεϊ επεσθαι τω ξυνω (Β 2). Die Nachfolge freilich vollzieht sich als ein μάχεσθοα (Β 44). Gekämpft wird für das ξυνόν, aber im Kampf wird man durch das ξυνόν für das ξυνόν gestärkt. Der λόγος ist ein έαυτόν οά/ξων (Β 115). Denn mit dem Verhältnis von λόγος ξυνός und dem ihm entsprechenden ξύν νόω λέγειν verhält es sich wie (δκωσττερ) mit dem Verhältnis von νόμος und-ιτόλις. Mit dem Verhältnis von νόμος und πόλις verhält es sich aber wie mit dem Verhältnis von δήμος und τείχος (Β 44)3. Für die Mauer der Stadt kämpft die Bevölkerung. Denn durch die Mauer ist die Bevölkerung gegenüber dem Angreifer in ihrem Inneren stark. Wer die Mauer preisgibt, hat die Stadt geschwächt und damit die Gemeinschaft geschwächt. Ebenso ist es mit dem Verhältnis der πόλις zum νόμος. Durch das Gesetz ist das Staatswesen stark und gefestigt. Deshalb ist es nötig, für das Gesetz zu kämpfen, denn allein durch das Gesetz kann das Staatswesen als Gemeinschaft sein und bestehen; das Gesetz „ist der Ursprung der Polis, mit ihm beginnt sie, nicht umgekehrt" 4 . Dasselbe χρή wie in Β 114 verlangt in Β 44 den Kampf für 1

Logos. In: Vorträge und Aufsätze, S. 225. Von „einem inneren Tun (!) des philosophierenden Menschen" ( B R E C H T a, a. O . S. 90) würde ich deshalb nicht reden. * Auch G. S Ö H N G E N weist ausdrücklich darauf hin, daß jeweils Verhältnisse zueinander in ein Verhältnis gebracht werden (Gesetz und Evangelium, S. 32f.). 4 E. W O L F , Griech. Rechtsdenken I, S . 275. Interessant ist W O L F S Hinweis auf die gegensätzliche Auslegung des Fragments Β 114 durch zwei Rechtsphilosopben (S. 279, Anm. 1), von denen der eine den νόμο; θείο? als ewige Auseinandersetzung, der andere ihn als Versöhnung der Gegensätzlichkeit deutet. Mit Recht wehrt 2

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den νόμος der ττόλις — ein weiterer Hinweis auf die ethische Relevanz der Analogie als Erkenntnishilfe. Denn der νόμος der πόλις nährt sich wie alle menschlichen νόμοι (Β) von dem Einen Göttlichen Gesetz (A), dessen Macht soweit reicht, wie es will: es genügt allen und geschieht noch darüber hinaus. Die Entsprechung ξύν νόφ λέγειν (b): ξυνόν (a) = ττόλις (c): νόμος (d) wird also überboten (και πολύ {σχυροτέρως) durch eine Beziehung der beiden bisher verglichenen Verhältnisse zu einem weiteren, beiden Verhältnissen und ihrer Entsprechung entsprechenden Verhältnis, so daß sich folgende Proportion ergibt: (b:a) : (c:d) : (B:A). Die Entsprechung zwischen dem Verhältnis des verständigen Redens zum sich im verständigen Reden zur Entsprechung bringenden, stärkenden Logos und dem Verhältnis von der Gemeinschaft des Staatswesens zum das Staatswesen begründenden und festigenden Gesetz der Menschen — (b : a) : (c : d) — bindet Denken und Handeln, λόγος und νόμος aneinander. Doch diese Entsprechung steht ihrerseits zu dem sie erst begründenden Verhältnis aller menschlichen Gesetze zu dem Einen Göttlichen Gesetz in einer sie selbst überbietenden Entsprechung. Noch viel stärker als die πόλις durch das Gesetz der Menschen wird das verständige Reden durch das ξυνόν gestärkt, denn auch die menschlichen Gesetze nähren sich ja nur von dem Einen Göttlichen Gesetz, das aber nicht nur allen menschlichen Gesetzen genüge tut, sondern auch darüber hinaus zur Geltung kommt, nämlich da, wo ξύν vócp geredet wird, wo dem λόγος ξυνός ent-sprechend gedacht wird. Der Gedankengang erscheint kompliziert. Doch er vereinfacht sich wesentlich, wenn man sich von dem dreifachen Gebrauch des Begriffes νόμος nicht verwirren läßt. K . REINHARDT1 hat darauf hingewiesen, daß es sich hier wieder um „ein Wortspiel, nur diesmal mit verschiedenen Bedeutungen desselben Wortes, ähnlich wie in Fr. 124" handelt. Es handelt sich jeweils um ein anderes Gesetz, nämlich einmal um das der πόλις (d), sodann um alle menschlichen Gesetze, „νόμοι in demselben erkenntnistheoretischen 2 Sinne, den wir bei Parmenides entdeckten" 3 . Diese νόμοι, bei Parmenides durch den διάκοσμος der δόξαι βροτεϊαι repräsentiert, sind durch gegensätzliche Zweiheit konstituiert. Die νόμοι άνθρώπειοι des Heraklit sich WOLF gegen die Alternativfrage, ob Heraklit ein „Dialektiker" oder ein „ Synthetiker" sei. Es gibt eine ursprünglichere Einheit solcher systematisierenden Denkschemata. Sie begegnet uns im Denken Heraklits da, wo die Gegensätze im Gegen-Satz als Entsprechung ihre Einheit finden. 1

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a. a. O. S. 215f. Ich würde freilich nicht sagen, daß der „politische νόμο; . . . hier nur (!) zum Vergleiche dienen" soll. Ich würde lieber „erkenntnismetaphysisch" sagen.

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K . HEINHARDT, ebenda.

51

sind ebenso wie die δόξαι βροτεΐαι des Parmenides1 durch die gegensätzliche Zweiheit konstituiert. πάντες ot Ανθρώπειοι νόμοι — das ist das All der Gegensätze, wie es uns aus Β 10 bekannt ist. Das Iv aus Β 10 steht als πάντων κεχωρισμένον zu allen gegenständigen Gegensätzen der Menschenwelt, also zu πάντες oí άνθρώπειοι νόμοι seinerseits im Gegensatz. Es ist „ihr Gegenteil, der θειος νόμος"2, der als Gegen-Satz allen Gegensätzen Genüge tut und darüber hinaus da zur Geltung kommt, wo im ξύν νόω λέγειν dem λόγος ξυνός als Gegen-Satz denkend gefolgt wird. So erhellen sich die aufgestellten Proportionen, wenn man nur beachtet, daß hier nicht dreierlei νόμοι miteinander verglichen, sondern jeweils Verhältnisse zueinander in Verhältnis gesetzt werden: analogia proportionalitatis. So wie die Gegensätze nur durch den Gegen-Satz und als Gegen-Satz „stark" sind, so ist die πόλις nur durch den νόμος und als νόμος stark und so ist auch das Denken (ξύν νόω λέγειν) nur durch den λόγος ξυνός und als λόγος ξυνός3 kräftig. Denn der λόγος ξυνός ist es, der im Gegen-Satz alle κατά τον λόγον gewordenen Gegensätze (εξ ένός πάντα) άνά τον λόγον zurückfügt (έκ πάντων εν). So geschieht es auch im Aufbau dieses Fragmentes, das in drei sich jeweils entsprechend zueinander verhaltenden Verhältnissen vom Denken des Menschen über das allen Gemeinsame im Denken, über die das Denken verpflichtende Gemeinschaft der Menschen im Staatswesen, über das alle Staatswesen begründende menschliche Gesetz, über das All der Gegensätze (Gesetze), zu dem Einen vom All der Gegensätze getrennten Gegen-Satz (Göttliches Gesetz) denkend hinauf^ führt4. Dem das All der Gegensätze durchwaltenden Einen Gegen-Satz als Analogie entspricht die sich im Denken vollziehende Analogie als Gegen-Satz. 1

Parmenides zählt solche gegensätzlichen Zweiheiten in 28 Β 8, 40 f. auf. Wir haben hier einen weiteren Beweis dafür, daß Heraklit mit seiner Gegensatzlehre Parmenides voraussetzt.

2

K . REINHARDT,

3

Ich möchte angesichts des „Wortspieles" ξύν vóco λέγειν — λόγος ξυνό; (das ξυνόν ist ja im Sinne Heraklits der λόγο; aus Β 1 und Β 2) noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß unsere Unterscheidung des „Gegen-Satzes" von den „Gegensätzen" keine sprachliche Spitzfindigkeit ist. In solchen „Wortspielen" steht mehr als Spielerei auf dem Spiel.

4

Insofern ist es richtig von einer „anabatischen Analogie" zu reden. Von dieser Bezeichnung G. SÖHNGENS (Gesetz und Evangelium, S. 33) unterscheide ich mich jedoch insofern, als ich die „anabatische Analogie" gerade nicht von der „sonst bei Heraklit herrschenden metabolischen Analogie oder Analogie des Umschlags" unterscheiden kann. Die Analogie führt, wie ich am Beispiel vieler Fragmente gezeigt zu haben glaube, gerade als Gegen-Satz (also metabolisch) άνά TÒV λόγον (also anabatisch).

52

ebenda.

VI.

Bei Parmenides zeigte sich uns das Phänomen der Analogie als Ansatz eines mit ihm ansetzenden Denkens. Mit Heraklit setzt sich dieses Denken fort, indem er im Gegensatz zu Parmenides das Phänomen der Analogie als Gegen-Satz eines sich mit ihm vollendenden Denkens zum Zuge bringt. Während die Analogie bei Parmenides als ein vielfältig waltendes Phänomen erscheint, zeigt sie sich im Denken Heraklits als das die Vielfalt der Gegensätze durchwaltende „EineEinzig-Einende"1. Zusammenfassend läßt sich das bei Heraklit in den Blick kommende Phänomen der Analogie so beschreiben: 1. Die Analogie waltet als die die Vielfalt der κατά TÒV λόγον gewordenen gegenständigen Gegensätze im Gegen-Satz άνά TÒV λόγον zurückwendende Bewegung des Seins. 2. Als die die Vielfalt (πάντα) der aus dem Einen (έξ έυός) gemäß dem Einen (κατά TÒV λόγον) gewordenen gegenständigen Gegensätze (συνάψιες) zu dem Einen (έκ πάντων) zurückwendende Bewegung des Seins ist die Analogie als Gegen-Satz selbst das von allem getrennte (πάντων κεχωρισμένον) Eine. 3. Als das von allem getrennt Eine ist die Analogie als Gegensatz die alle gegenständigen Gegensätze einende göttliche (θεός, Ζεύς, Δίκη, "Εν τό σοφόν μοϋνου, λόγος) Bewegung (πόλεμος) des Seins. 4. Die Analogie als Gegen-Satz setzt die gegenständigen Gegensätze in Bewegung, indem sie das eine Glied des Gegensatzes in das ihm entgegenstehende Gegensatzglied durch einen Gegen-Satz umschlagen (μεταπίπτειν) läßt. Sie wahrt so als Gegen-Satz die Identität im Gegensatz als eine verborgene παλίντροπος άρμονίη. 5. In die παλίντροπος άρμονίη der Analogie als Gegen-Satz hat sich die φύσις der Vielfalt verborgen (κρύπτεσβαι φιλεϊ), so daß sich die Entbergung der φύσις der Vielfalt in einem διαιρεϊν κατά φύσιν vollzieht. Das der verborgenen φύσις entsprechende Gliedern der Vielfalt in Gegensätze bringt aufzeigend zur Sprache, wie es sich verhält (φράζειν όκως Ιχει). Dies geschieht in der Weise der Analogie als Gegen-Satz, die so der göttlichen Bewegung des Seins in der Wiederholung des Denkens entspricht (ξυνόν— ξύν νόω λέγειν). 6. Die der die Vielfalt der Gegensätze durchwaltenden Analogie des Seins als Gegen-Satz entsprechende Analogie als Gegen-Satz des Denkens geschieht, indem sie die Vielfalt in Gegensätze gliedert (a—b, b—c) und sich durch diese Gegensätze, aufzeigend wie es sich verhält (c:b = b : a ) , als Gegen-Satz hindurchsetzt (vor a ist b gleich c). 1

So übersetzt M . H E I D E G G E R (Logos, Xóyos als das ?w τ ό σοφόν μοΟνον.

IN:

Vorträge und Aufsätze,

S.

220ff.) den

53

7. Die Analogie als Gegen-Satz des Denkens ist eine Hilfe zur Erkenntnis des Einen, kraft dessen sie selber waltet. Als eine solche Erkenntnishilfe verpflichtet die Analogie als Gegen-Satz die Gemeinschaft zu dem allen Gemeinsamen (ξυνόν, Aóyos), das die Gemeinschaft zur Gemeinschaft macht (νόμος). Die Analogie als Gegen-Satz zeigt sich so im Denken Heraklits als eine Denkform, die in der Geschichte des griechischen Denkens a) als logisches Verfahren im (plat.) Dialog des Sokrates, b) als ontologisch-metaphysische Ordung in der Dialektik Piatons, c) als Rechtsprinzip in der aristotelischen Ethik, d) als Syllogismus in der aristotelischen Logik verwandelt wiederkehrt.

54

LITERATURVERZEICHNIS ι. Novum Testamentum Graece, ed. E. NESTLE, Stuttgart 1956, 22. Aufl. ARISTOTELES, Ethica Nicomachea, recognovit brevique adnotatione critica instruxit L. BYWATER, Oxford 1957. ARISTOTELES, Metaphysica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. JAEGER, Oxford 1957. ARISTOTELES, Ars Rhctorica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross, Oxford 1959. Platonis Opera, recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. BURNET, tomus I, Oxford 1966, tomus IV, Oxford 1957. Die Fragmente der Vorsokratiker, edd. H . D I E L S und W . K R A N Z , Berlin 1 9 5 6 , 8. Aufl. R . K Ü H N E R / B . G E R T H , Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Satzlehre I und II, Leverkusen 1955, 4. Aufl. F. PASSOW, Handwörterbuch der griechischen Sprache, bearbeitet von C. R O S T und F. PALM, Leipzig 1841 ff., 5. Aufl. H. G . L I D D E L L / R . SCOTT, A Greek-English Lexicon, revised and augmented throughout by H. S T U A R T J O N E S , Oxford 1958, Nachdruck der 9. Aufl. II. J . BEAUFRET, Le Poème de Parménide. I n : Epiméthée Essais Philosophiques' Collection dirigée par J . HYPPOLITE, Paris 1955. J . BOLLACK, Sur deux fragments de Parménide (4 et 16). I n : Revue des études grecques, publication trimestrielle de l'association pour l'encouragement des études grecques, tome L X X , 1957, p. 56—70. FR. J . BRECHT, Heraklit. Ein Versuch über den Ursprung der Philosophie, Heidelberg 1936. E. CASSIRER, Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1956. K. DEICHGRÄBER, Parmenides' Auffahrt zur Göttin des Rechts. Untersuchungen zum Prooimion seines Lehrgedichts. I n : Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, 1958, Nr. 11, Mainz/Wiesbaden 1959. H. DIELS, Parmenides. Lehrgedicht. Griechisch und Deutsch mit einem Anhang über griechische Thüren und Schlösser, Berlin 1897. E. FINK, Zur ontologischen Frühgeschichte von Raum—Zeit—Bewegung, den Haag 1957. H. FRANKEL, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Literatur von Homer bis Pindar. I n : Philological Monographs published by the American Philological Association, Ν. X I I I , ed. by J . L. HELLER, New York/Frankfurt a. Main 1951. H. FRANKEL, Wege und Formen frühgriechischen Denkens, Literarische und philosophiegeschichtliche Studien, hrsg. von F . TIETZE, München 1955. Daraus:

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56

Κ.

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57

INHALT Seite

VORWORT

6

A N A L O G I E ALS A N S A T Z — P A R M E N I D E S

9

A N A L O G I E ALS GEGE NSATZ—Η E R A K L I T

30

LITERATURVERZEICHNIS

65

WERNER

JAEGER

DAS F R Ü H E C H R I S T E N T U M UND DIE GRIECHICHE BILDUNG (Ubersetzung aus dem Englischen von W.

ELTESTER)

Groß-Oktav. X, 127 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 20 —

EMANUEL

HIRSCH

HAUPTFRAGEN CHRISTLICHER R E L I G I O N S P H I L O S O P H I E Oktav. YIII, 405 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 19,80

JÜRGEN MITTELSTRASS

DIE RETTUNG DER P H Ä N O M E N E Ursprung und Geschichte eines antiken Forschungsprinzips

Groß-Oktav. VI, 281 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 36,—

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO · B E R L I N